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German Pages 648 [663] Year 2018
Kant-Forschungen 23
KANT-FORSCHUNGEN Begründet von Reinhard Brandt und Werner Stark Band 23
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
Werner Euler
Natur und Freiheit Kommentar zu den Einleitungen in Kants »Kritik der Urteilskraft«
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
Meinen Eltern Anna Katharina und Georg Euler gewidmet in dankbarer Erinnerung
Bibliographische Information der deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-7873-3187-1 ISBN eBook 978-3-7873-3586-2
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Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
ERST ER T EI L
Kommentar zur Ersten Einleitung I. Abschnitt: »Von der Philosophie als einem System« . . . . . . . . . . . . . .
19
Erster Absatz: Problemexposition: Was ist das System der Philosophie? . . . . . Erläuternder Exkurs: Zum Begriff von Philosophie (KrV, B 745-752, B 860 ff.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erster Absatz: Philosophie in Differenz zur »Kritik« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweiter bis dritter Absatz: Einteilung des Systems der Philosophie . . . . . . . Vierter Absatz: Das Problem der Zuordnung theoretischer und praktischer Sätze in der Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erster Abschnitt, »Anmerkung«, erster bis vierter Absatz: Der theoretische Status praktischer Sätze in den Wissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erster Abschnitt, »Anmerkung«, fünfter Absatz: Praktische Sätze im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erster Abschnitt, »Anmerkung«, sechster Absatz: Technische Sätze . . . . . . Erster Abschnitt, »Anmerkung«, sechster Absatz, Fußnote zur Korrektur der Imperative in der Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19
II. Abschnitt: »Von dem System der obern Erkenntnißvermögen, das der Philosophie zum Grunde liegt« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erster bis fünfter Absatz: Stellung und Funktion der Urteilskraft im System der Erkenntnisvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sechster Absatz und Fußnote: Natur und Erfahrung »als Systems nach empirischen Gesetzen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siebter Absatz: Zweckmäßigkeit als Prinzip für die Nachforschung der Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Achter und neunter Absatz: Die Technik der Natur. System und Aggregat
20 32 38 42 48 54 58 60
66
..
66
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73
.. ..
77 78
VI
Inhaltsverzeichnis
III. Abschnitt: »Von dem System aller Vermögen des menschlichen Gemüths« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erster und zweiter Absatz: Verhältnis der drei menschlichen Gemütsvermögen zueinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dritter und vierter Absatz: Die Urteilskraft als ›Bestimmungsgrund‹ des Gefühls der Lust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV: Abschnitt: »Von der Erfahrung als einem System für die Urtheilskraft« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erster bis dritter Absatz: Das Problem der Einheit von Natur und Erfahrung als Systems nach empirischen Gesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vierter und fünfter Absatz: Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft als Naturgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V. Abschnitt: »Von der reflektierenden Urteilskraft« . . . . . . . . . . . . . . . . . Erster bis dritter Absatz: Das Prinzip des Reflektierens der Urteilskraft über empirische Gegenstände der Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang: Die »Bedingung der Möglichkeit der Anwendung der Logik auf die Natur« ist kein logisches Prinzip (Fußnote zum dritten Absatz) . . . . . . Vierter bis siebter Absatz: Die reflektierende Urteilskraft verfährt »nicht schematisch, sondern technisch« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Welche Logik wird ›gebraucht‹, und was bedeutet »logische Einteilung«? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Achter bis zehnter Absatz: »Classification«, »Specification« und die Selbstspezifikation als »Technik der Natur« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang: Linnés Hoffnung auf ein »System der Natur« (Zusatz zum neunten Absatz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elfter und zwölfter Absatz: »Zweckmäßigkeit der Natur« als eigentümlicher Begriff der reflektierenden Urteilskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VI. Abschnitt: »Von der Zweckmäßigkeit der Naturformen als so viel besonderer Systeme« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erster Absatz: Logische und reale Zweckmäßigkeit der Natur . . . . . . . . . . . Zweiter Absatz: Absolute Zweckmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dritter und vierter Absatz: Zweckmäßigkeit als Grund besonderer Naturerfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
82 87
89
89 93
98
98 102 106 120 130 140 144
148 148 152 155
Inhaltsverzeichnis
VII
VII. Abschnitt: „Von der Technick der Urtheilskraft als dem Grunde der Idee einer Technick der Natur“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
161
Erster Absatz: Der Gegensatz von Mechanik und Technik der Natur . . . . . . . Zweiter bis vierter Absatz: »Wie läßt sich die Technick der Natur an ihren Producten wahrnehmen?« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fünfter und sechster Absatz: Ästhetisches und teleologisches Reflexionsurteil
161 165 169
VIII. Abschnitt: »Von der Aesthetick des Beurtheilungsvermögens« . . . .
174
Erster Absatz: Die Zweideutigkeit des Begriffs des Ästhetischen . . . . . . . . . . Zweiter Absatz: Die Bestimmung des ästhetischen Urteils . . . . . . . . . . . . . . Dritter Absatz: Ästhetisches Reflexionsurteil und ästhetisches »Sinnenurteil« – I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vierter Absatz: Empfindung als »Bestimmungsgrund« des ästhetischen Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fünfter Absatz: Ästhetisches Reflexionsurteil und ästhetisches »Sinnenurteil« – II: Autonomie und Heautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sechster Absatz: Einteilung der Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Anmerkung«. Erster bis vierter Absatz: Kritik der Erklärung der Lust durch »Vollkommenheit« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Anmerkung«. Fünfter und sechster Absatz: Sind ästhetische Reflexionsurteile allgemein und notwendig? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Anmerkung«. Siebter und achter Absatz: Das Gefühl der Lust und Unlust ist nicht aus Begriffen ableitbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang: Fußnote zum achten Absatz der »Anmerkung« . . . . . . . . . . . . . . .
174 177 181 184 186 189 194 208 210 218
IX. Abschnitt: »Von der teleologischen Beurtheilung« . . . . . . . . . . . . . . .
221
Erster und zweiter Absatz: Reale Zweckmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dritter bis fünfter Absatz: Das teleologische Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sechster bis achter Absatz: Zwecke und Absichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neunter bis elfter Absatz: Mechanismus und Zweckmäßigkeit als Leitideen der Naturforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . .
221 224 227
.
236
X. Abschnitt: »Von der Nachsuchung eines Princips der technischen Urtheilskraft« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
245
Erster und zweiter Absatz: Liefert die Psychologie wissenschaftliche Erklärungsgründe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
246
VIII
Inhaltsverzeichnis
Dritter bis fünfter Absatz: Das Problem der Begründung der Notwendigkeit des ästhetischen Reflexionsurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sechster bis achter Absatz: Das Problem der Begründung der Notwendigkeit des teleologischen Urteils – Sein und Sollen der Naturprodukte . . . . . . . . . Neunter Absatz: Schlussfolgerung: Begründung aller Reflexionsurteile durch das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
263
XI. Abschnitt: »Encyclopädische Introduction der Critik der Urtheilskraft in das System der Critik der reinen Vernunft« . . . . . . . .
268
Zur Überschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erster bis vierter Absatz: Was ist eine »encyclopädische« Einleitung? . . . . . . Fünfter bis siebter Absatz: »Introduction der Urtheilskraft in das System der reinen Erkenntnisvermögen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Achter bis dreizehnter Absatz: Die »Aussicht in ein vollständiges System aller Gemüthskräfte« (1) »Erkenntnißvermögen« – »Verstand« – »Gesetzmäßigkeit« (2) »Gefühl der Lust und Unlust« – »Urtheilskraft« – »Zweckmäßigkeit« (3) »Begehrungsvermögen« – »Vernunft« – »Zweckmäßigkeit, die zugleich Gesetz ist (Verbindlichkeit)«, bzw. »Endzweck« (4) »Natur« – »Kunst« – »Sitten« (»Freiheit«) (5) Theoretische, ästhetische und praktische Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . Vierzehnter Absatz: Das System der Gemütskräfte im Verhältnis zur Einteilung der Philosophie und die Übergangsfunktion der Urteilskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fünfzehnter Absatz: Begründung des Titels »Kritik der ästhetischen Urteilskraft« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
251 255
268 269 276
287
312 319
XII. Abschnitt: »Eintheilung der Critik der Urtheilskraft« . . . . . . . . . . . .
322
Erster Absatz: Mechanische und szientifische Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . Zweiter und dritter Absatz: Begründung der Einteilung der Kritik der Urteilskraft in eine Kritik der ästhetischen Urteilskraft und in eine Kritik der teleologischen Urteilskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vierter Absatz: Unterscheidung der subjektiven Zweckmäßigkeit in eine innere und eine relative – Schönheit und Erhabenheit (I) . . . . . . . . . . . . .
323
Erläuternder Exkurs: Das Erhabene als Gegenstand des ästhetischen Reflexionsurteils (KU, §§ 23-29) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vierter Absatz: Schönheit und Erhabenheit (II) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fünfter Absatz: Unterscheidung der objektiven Zweckmäßigkeit in eine innere und eine relative – Vollkommenheit und Nützlichkeit . . . . . . . . . . .
328 338
341 347 349
Inhaltsverzeichnis
Sechster Absatz: Weitere Einteilung der Kritik der ästhetischen Urteilskraft und der Kritik der teleologischen Urteilskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siebter Absatz: Technik der Natur und schöne Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . Achter bis zwölfter Absatz: Gliederung der Kritik der Urteilskraft . . . . . . . .
IX
351 353 357
ZW E I TE R T EI L
Kommentar zur Einleitung I. Abschnitt: »Von der Einteilung der Philosophie« . . . . . . . . . . . . . . . . .
363
Zur Überschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erster Absatz: Voraussetzung der gewöhnlichen Einteilung der Philosophie Zusatz: Erläuterung zur »Entgegensetzung« von Natur und Freiheit . . . . . . . Zweiter Absatz: Rechtfertigung der Einteilung in Natur- und Moralphilosophie. Problemexposition in Bezug auf das Praktische . . . . . . Dritter Absatz: Der »Wille« als Grund des Missverständnisses vom Praktischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vierter Absatz: Unterscheidung zwischen »technisch-praktischen« und »moralisch-praktischen« Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fünfter Absatz: Was sind »technisch-praktische Regeln«? . . . . . . . . . . . . . . . Sechster Absatz: Technisch-praktische Regeln konstituieren keine praktische Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siebter Absatz: Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
363 368 374
II. Abschnitt: »Vom Gebiete der Philosophie überhaupt« . . . . . . . . . . . .
397
376 385 388 389 392 396
Erster und zweiter Absatz: Die Reichweite der Erkenntnis und die Einteilung ihrer Gegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dritter Absatz: »Feld« – »Boden« – »Gebiet« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vierter bis sechster Absatz: Zwei Gebiete, zwei verschiedene Gesetzgebungen – ein und derselbe Boden der Erscheinungen? . . . . . . . . . . . . . Erläuternder Exkurs: »Aufdeckung des dialektischen Scheins« in der dritten Antinomie der Kritik der reinen Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siebter und achter Absatz: Das »Feld des Übersinnlichen« . . . . . . . . . . . . . . Neunter Absatz: Das Problem des »Übergangs« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
409 411 415
III. Abschnitt: »Von der Kritik der Urteilskraft als einem Verbindungsmittel der zwei Teile der Philosophie zu einem Ganzen.« . . . . .
420
Erster Absatz: Aufgabe der »Kritik der Erkenntnisvermögen« . . . . . . . . . . . .
421
398 400 404
X
Inhaltsverzeichnis
Zweiter Absatz: Gesetzgebung von Verstand und Vernunft . . . . . . . . . . . . . Dritter und vierter Absatz: Besondere Stellung der Urteilskraft innerhalb der »Familie« der Erkenntnisvermögen und ihre zweifache Begründung . Fünfter Absatz: Zweiteilung der Philosophie und Dreiteilung der »Kritik der reinen Vernunft«? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang: Die Definition des Begehrungsvermögens (Fußnote zu Abs. 4) . . .
.
423
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424
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427 429
IV. Abschnitt: »Von der Urteilskraft als einem a priori gesetzgebenden Vermögen.« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
434
Erster und zweiter Absatz: Der Begriff der Urteilskraft . . . . . . . . . . . . Exkurs: Erläuterungen zum Schematismus der reinen Vernunft . . . . . . Zweiter bis fünfter Absatz: Das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft Dritter bis fünfter Absatz: Zweck und Zweckmäßigkeit – Das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.... .... ....
434 442 445
....
451
V. Abschnitt: »Das Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit der Natur ist ein transzendentales Prinzip der Urteilskraft.« . . . . . . . . . . . . . . .
455
Zur Überschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erster Absatz: Transzendentale und metaphysische Prinzipien . . . . . . . . . . . Zweiter und dritter Absatz: Zweckmäßigkeit der Natur als transzendentales Prinzip der Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vierter Absatz: »Transzendentale Deduktion« des Begriffs der Zweckmäßigkeit der Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fünfter bis siebter Absatz: Die Ordnung der empirischen Natur nach dem Gesetz der Spezifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs zum fünften Absatz: Erläuterung: Der »Fortgang von der allgemeinen Analogie einer möglichen Erfahrung überhaupt zur besonderen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siebter Absatz: Die Entdeckung eines Prinzips a priori der reflektierenden Urteilskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs zum siebten Absatz: Erläuterung: Spezifikation und Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
455 457 461 468 472
476 485 493
VI. Abschnitt: »Von der Verbindung des Gefühls der Lust mit dem Begriffe der Zweckmäßigkeit der Natur.« . . . . . . . . . . . . . . . . . .
499
Erster Absatz: Zufällige Angemessenheit der besonderen Naturordnung mit den allgemeinen Naturgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweiter Absatz: Begriff und Funktion des Gefühls der »Lust« . . . . . . . . . . . .
500 504
Inhaltsverzeichnis
XI
Dritter Absatz: Entstehen und Vergehen der Lust bei der Entdeckung der Vereinbarkeit verschiedener empirischer Naturgesetze . . . . . . . . . . . . . . . Vierter Absatz: Heterogenität oder Homogenität des empirisch Mannigfaltigen der Natur – das Problem der Begrenzung der »idealische[n] Zweckmäßigkeit der Natur« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
509
VII. Abschnitt: »Von der ästhetischen Vorstellung der Zweckmäßigkeit der Natur.« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
512
506
Erster Absatz: Ästhetische Merkmale der Vorstellung von Dingen »außer uns« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweiter und dritter Absatz: »Ästhetische Vorstellung der Zweckmäßigkeit« Vierter und fünfter Absatz: Das „Geschmacksurteil“ und das »Gefühl der Lust« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sechster und siebter Absatz: Einteilung der Kritik der ästhetischen Urteilskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
528
VIII. Abschnitt: »Von der logischen Vorstellung der Zweckmäßigkeit der Natur.« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
534
512 514 521
Erster Absatz: »Naturzweck« und »reale Zweckmäßigkeit« . . . . . . . . . . . . . . Zweiter bis vierter Absatz: Einteilung der Kritik der Urteilskraft. Vorrangigkeit der ästhetischen Urteilskraft vor der teleologischen . . . . . . . .
540
IX. Abschnitt: »Von der Verknüpfung der Gesetzgebungen des Verstandes und der Vernunft durch die Urteilskraft.« . . . . . . . . . . . . .
549
Erster Absatz: Zweckmäßigkeit der Natur als Vermittlung zwischen Naturbegriffen und Freiheitsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweiter Absatz: Der »Übergang« vom Gebiet des Naturbegriffs zu dem des Freiheitsbegriffs. Bestimmung des »übersinnlichen Substrats« . . . . . . . . . Dritter Absatz, Fußnote und Tafel: Der systematische Zusammenhang der oberen »Seelenvermögen« und ihrer Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
534
552 559 562 569
XII
Inhaltsverzeichnis
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
571
Lateinische Ausdrücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
608
Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
609
Nachweis der Satzgrafiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
611
Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
613
Vorwort Lange Wege zum Ziel sind nicht immer die besten und sichersten. Nach einem alten metaphysischen Prinzip ist es sogar wider die Natur, von der man sagte, dass sie immer den kürzesten Weg nehme. Sie lasse sich aber auch keine Sprünge zuschulden kommen. Gegen beide Regeln hat die Arbeit an diesem Kommentar verstoßen, wenn auch nicht willkürlich. Denn es sind die konkreten Gesetze, die durch die Entwicklung der Natur der Dinge bestimmt werden, die den Verlauf geistiger Projekte beeinflussen. Der in diesem Buch vorgelegte Kommentar ist aus einer ursprünglichen Idee an der Philipps-Universität Marburg, Institut für Philosophie, hervorgegangen und hat verschiedene Entwicklungsstadien durchlaufen. Von 2003 bis 2006 wurde die Arbeit als Forschungsprojekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert, der ich hiermit meinen besonderen Dank aussprechen möchte. Im Förderungszeitraum war das Projekt in das Institut für Philosophie an der Universität Trier (unter Leitung von Prof. Bernd Dörflinger) integriert. Aus Gründen, die hier nicht genannt werden sollen, war eine direkte Publikation im Anschluss an das Projekt aus meiner Sicht nicht zu vertreten. Das Endprodukt ist weit über die ursprünglichen Zielvorstellungen und die Resultate des ehemaligen DFG-Projektes hinausgegangen. In diesem Zusammenhang gilt mein besonderer Dank dem Kollegium des Departamento de Filosofia an der Universidade Federal de Santa Catarina (UFSC) in Florianópolis, Brasilien, sowie dem Kreis meiner studentischen Zuhörer, deren Zuspruch und Interesse im gesamten Zeitraum meiner dortigen Gastprofessur mich zur Fertigstellung des Werkes ermuntert haben. Besonderen Dank schulde ich Prof. Dr. Alessandro Pinzani (UFSC) für sein Verständnis und seine vielseitige Unterstützung sowie Herrn Prof. Dr. Reinhard Brandt für seine kritischen Anmerkungen und seine Begutachtung des druckfertigen Manuskriptes. Schließlich möchte ich mich bei der Verwertungsgesellschaft Wort e.V. für die Bewilligung der Druckkosten bedanken. Dem Verlag Felix Meiner danke ich für die bereitwillige Aufnahme des Werkes in das Programm der »Kant-Forschungen«. Florianópolis, im Oktober 2018
Werner L. Euler
Einleitung Gliederung: I. II. III. IV.
Anspruch und Ziel dieses Kommentars Weshalb ein Kommentar zu den Einleitungen in die KU? Kriterien eines guten Text-Kommentars Technische Hinweise
I. Anspruch und Ziel dieses Kommentars Man kann den drei kritischen Hauptschriften der kantischen Philosophie (der KrV von 1781/87, der KpV von 1788 und der KU von 1790) übereinstimmend mit dem Fachurteil vieler Kant-Forscher sowohl sprachlich als auch inhaltlich einen hohen Schwierigkeitsgrad attestieren. Unter den genannten Schriften ist der »Kritik der Urteilskraft« (KU) aufgrund ihrer Relevanz für den systematischen Abschluss des von Kant so genannten »kritischen Geschäfts« sowie für das Verhältnis des kantischen Kritizismus zur nachfolgenden Philosophie des 19. Jahrhunderts besondere Beachtung zu schenken. Vielfältige, oft heterogene Ansichten über Teilaspekte dieses Werkes bzw. seiner Inanspruchnahme für verschiedene Anliegen und Interessen haben bisher den Werkzusammenhang des kantischen Originaltextes vielerorts in den Hintergrund gedrängt.1 Um Abhilfe zu schaffen, muss in der gespannten VielDiese Diagnose entspricht der von D. Schönecker beobachteten »Textvergessenheit in der Philosophiehistorie«. Schönecker plädiert aus plausiblen Gründen für textnahe ›kommentarische Interpretationen‹ philosophischer Werke (Schönecker, D. (2004), Textvergessenheit in der Philosophiehistorie, 159–181). Es kommt in der Tat darauf an, was man unter »kommentarisch« versteht und welches Ziel mit einer entsprechenden Interpretation gesetzt wird, um die gestellte Diagnose der »Textvergessenheit« zu kompensieren. Soll es mit Rücksicht auf eine scharfe Trennung von Philosophiegeschichte und (systematischer) Philosophie nur darum gehen, entweder nach der »Bedeutung« von Texten und deren Elementen oder nach der »Wahrheit« von Theorien, die sich in Texten verkörpern, zu fragen, so ist das eine für einen wirklichen Textkommentar nachteilige Abstraktion. Denn welchen Sinn macht die Frage nach der Bedeutung, wenn die Analyse und Exegese eines Textes nicht zum Ziel hat, nicht irgendeine (gemeinte), sondern die objektiv richtige und wahre Bedeutung sowie deren Bedingungen und Folgen zu ermitteln? Ein Text, dessen Bedeutung wahrheitsindifferent wäre, könnte zwar interessant sein, es würde sich dabei aber nicht um einen philosophischen Text handeln. Philosophische Texte verlangen ihrer Natur gemäß danach, die Bedeutungsanalyse als methodisches Mittel der Wahrheitssuche zu begreifen. 1
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falt der Auslegungen die Orientierung am Text wiederhergestellt werden. Diese Forderung als solche ist in der Kant-Forschung nicht neu und bisher an einigen Schriften Kants auch schon erprobt worden. Das beklagte Defizit muss auch und besonders von den Versuchen gelten, von einem wie auch immer begründeten Interesse (am Schönen, an der Biologie etc.) oder von einer Interpretation von Einzelfragen aus eine systematische Rekonstruktion der Hauptlinien der KU zu beginnen. Das bedeutet allerdings nicht, dass man kein allgemeines Thema angeben könnte, um das sich die vielfältigen Aspekte und Verständnisschwierigkeiten dieses Werkes ranken. Meiner Ansicht nach ist das Spannungsfeld zwischen dem Begriff der Natur und dem der Freiheit derjenige Schwerpunkt, um den sich die wesentlichen Fragestellungen des Textes drehen. Er wird uns insofern im nachfolgenden Kommentar als allgemeines Thema immer wieder begegnen. Um philosophische Texte so weit wie möglich in eine dem allgemeinen philosophischen Verständnis angemessene Form zu bringen, ist der Textkommentar, sofern er durch geeignete Methoden und Techniken der Texterschließung so abgesichert ist, dass er nicht nur der philosophischen Nachfrage, sondern tatsächlich auch den Anforderungen des Textes gerecht wird, ein allgemeines methodisches Mittel, das sich dort, wo es bisher eingesetzt wurde, meistens auch bewährt hat. Philosophische Kommentare zu bedeutenden Werken der Philosophiegeschichte gibt es seit der Spätantike und dem beginnenden Mittelalter (z. B. bei Thomas von Aquin).2 In den letzten Jahrzehnten hat die Kant-Forschung diese Interpretationsform für die Erschließung der Bedeutung und die Begründung der Inhalte der Schriften Kants wiederentdeckt und sich zu Nutze gemacht. Anregungen dazu gingen sowohl von deutschen Kant-Forschern (seit Ende des 19. Jahrhunderts: Hans Vaihinger)3 als auch von angelsächsischen Kommentatoren (Anfang des 20. Jahrhunderts: Paton)4 aus, z. B. von David Ross zu Kants Grundlegungsschrift (1954), an die bis heute eine ununterbrochene Serie von weiteren Kommentaren und Werkinterpretationen zu Kants »Grundlegung« anknüpft,5 oder auch von Lewis White Beck zu Kants KpV (1960).6 Zur Kommentartradition in der Philosophie vgl. Wolff, M. (1991): Philosophen kommentieren Philosophen, 26–32. 3 Vaihinger, H. (1881/1892): Commentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft, 2 Bde., Stuttgart, Berlin, Leipzig. 4 Paton, H. J. (1936): Kant’s Metaphysic of Experience, 2 Bde., London – New York. 5 Ross, D. (1954), Kant’s ethical theory; als jüngste Beispiele sind zu nennen: Horn / Schönecker (Hgg.) (2006), Groundwork; Horn / Mieth / Scarano (2007), Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Kommentar; Timmermann (2007), Kant’s Groundwork; Sedgwick (2008), Kant’s Groundwork; Richter (2013), Kants Grundlegung; Schönecker (Hg.) (2015), Kants Grundlegung III. Andere Beispiele sind: Beck, L.W. (1960/1974), A Commentary; Cassirer, H.W. (1938), A Commentary; Smith, N.K. (1919), A Commentary; Paton, H.J. (1936), Kant’s Metaphysic of Experience. 6 Beck, L. W. (1960/1974): A Commentary. Beck verbindet mit der Kommentar-Form im wesentlichen zwei Absichten: 1) eine »hermeneutische Studie« anzufertigen, die den systema2
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Man findet heute umfassende Kommentare zu einzelnen Werken Kants oder zu Teilen eines Werkes, etwa kooperative Kommentare (z. B. die von O. Höffe herausgegebene Kommentarreihe »Klassiker Auslegen«;7 Schönecker (Hg.) (2015)) oder solche in anderer Kooperationsform (Trampote / Sensen / Timmermann (2013); Horn / Mieth / Scarano (2007)) oder (seltener) solche in Form von Monographien (Timmermann (2007)). Dabei sind die Grenzen zwischen einem Kommentar im engeren Sinne und einer gewöhnlichen Monographie fließend. Von einem echten Kommentar erwartet man, dass er mit Strenge und möglichst ohne Umschweife dem Duktus des Textes folgt, den er kommentiert, ohne von anderen (an sich legitimen) Interessen geleitet oder abgelenkt zu werden und ohne schwerwiegende Lücken zu hinterlassen. Leser eines klassischen philosophischen Textes, die nach Kommentaren suchen, werden oftmals von unklaren Wortbedeutungen oder Gedankenzusammenhängen, auf die sie beim Studium stoßen, zu Nachfragen animiert, und zwar häufig genug zu solchen, die sich unmittelbar aus dem Wortlaut des Textes, den sie vor Augen haben, nicht oder nur mit viel Mühe beantworten lassen. Um angemessene Antworten zu finden oder zumindest die eigene Suche zu befördern, ist man gezwungen, weit auszuholen, zu eigenen Vorschlägen und Überlegungen zu greifen, sich auf benachbarte Schriften oder andere Autoren der Philosophiegeschichte zu beziehen. Solche Beziehungsfelder sollte ein Kommentar (primär innerhalb des kantischen Schriftengefüges) erschließen und dabei mit dem Text über den Text hinausgehen. Das Ziel der hier projektierten Monographie besteht in der Herstellung eines Gesamtkommentars zu den beiden Einleitungen der KU, der bis heute in methodisch abgesicherter und inhaltlich umfassender Form nicht realisiert worden ist. Die Interpretation in dieser Monographie ist auf die beiden Einleitungen der genannten Schrift beschränkt, hat sich jedoch bei der Beantwortung spezieller Fragen notwendig sowohl auf die KU als eines Ganzen als auch auf den Gesamtkontext aller drei kritischen Hauptwerke Kants (sowie auf andere Teile der kritischen Philosophie) zu beziehen. Denn zum einen besteht das Programm der KU, das in den Einleitungen dargestellt wird, im Wesentlichen darin, den Gegensatz, der in den Begriffen »Natur« und »Freiheit« liegt, die auch bereits Thema der beiden anderen Kritiken sind und sich darüber hinaus an vielen Stellen der kantischen Abhandlungen zur Metaphysik zeigen, zu überwinden; zum anderen wird in jenen Einleitungen eine Vielfalt von Themen ausgebreitet und im systematischen Zusammenhang diskutiert, die in anderen Schriften nur verstreut vorkommen, aber in Kants Philosophie insgesamt eine wichtige Rolle spielen. tischen Ort der KpV in der kantischen Philosophie und den historischen Ort in der Moralphilosophie des 18. Jahrhunderts ermittelt; 2) »den Inhalt dieses Werkes im Hinblick auf seine philosophische Bedeutung zu betrachten«. Die philosophische Bedeutung soll sich hierbei aus der Übereinkunft darüber ergeben, was Kant wie und warum gesagt und gemeint habe. Auf diesen Befund soll sich dann eine »wertende Stellungnahme« beziehen. 7 S. z. B.: Höffe, O. (Hg.) (1989), Grundlegung zur Metaphysik der Sitten.
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Nun haben Bearbeiter der KU (wie beispielsweise W. Bartuschat) längst und mit Recht darauf hingewiesen, dass man den Einleitungen zu viel abverlangt, wenn man erwartet, durch ihr Verstehen den Zentralschlüssel zur Lösung aller oder auch nur der meisten sachlichen Probleme der KU in der Hand zu haben. Diesen Anspruch erhebt der vorliegende Kommentar selbstverständlich nicht. Die Erwartung, die er aber erfüllen soll, besteht darin, allgemeine Grundfragen in Hinsicht auf die Doppelkonzeption (Ästhetik-Teleologie) und ihrer Untergliederungen zu lösen, die dann als Instrumente der Interpretation der gesamten KU dienen können. Die Beschränkung auf die Einleitungen scheint mir nicht nur sinnvoll, sondern aus methodischen Gründen auch ratsam, um einer Ausschweifung und damit auch Verflachung der Interpretation vorzubeugen. Kant hat die »Einleitung« in kurzer Zeitfolge zweimal verfasst. Bereits dieser einfache Umstand weist auf die systematische Bedeutung hin, die er ihr im Hinblick auf den Haupttext des Buches beigemessen haben muss. Nur die zweite Fassung aber wurde von ihm selbst veröffentlicht. Die ursprüngliche Fassung – in der Kant-Literatur üblicherweise als »Erste Einleitung« (EE) bezeichnet – wurde kurz vor der Drucklegung der gesamten Schrift zu einem völlig neuen Text umgearbeitet.8 Die »Erste Einleitung« blieb indessen in der Manuskriptfassung erhalten (als Abschrift mit Kants eigenhändigen Streichungen, Zusätzen und Korrekturen). Im Jahre 1794 veröffentlichte der Kant-Schüler Jakob Sigismund Beck mit Kants Einwilligung einen Auszug daraus.9 Da diese Veröffent-
Die genaue Chronologie der Bearbeitung der EE, die schließlich zu Kants Entscheidung für eine Neufassung der Einleitung führte, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit rekonstruieren. Auch die bekannten brieflichen Erklärungen Kants über die Gründe der Revision ändern bis heute nichts an dieser Feststellung. Eine Klärung des Verhältnisses der beiden Fassungen der Einleitung kann aber durch einen analytischen Kommentar zum Inhalt der beiden Texte erleichtert werden. Über die Gründe der zunächst noch beabsichtigten Kürzung erklärt sich Kant am 9.3.1790: es bereite ihm Mühe, »den kurzen Begriff vom Inhalt des Werks bündig« abzufassen. Da er im Resultat »zu weitläuftig ausgefallen« sei, müsse er noch »abgekürtzt« werden (AA 11:143). Anstatt die Kürzungsabsicht umzusetzen, entschloss sich Kant aber bald darauf, den Einleitungstext ganz neu zu schreiben. Daraus kann nun kein Argument für die von N. Hinske vertretene Behauptung gewonnen werden, die Abfassungszeit der zweiten Fassung der Einleitung liege zwischen Januar und März 1790 (Hinske, N. u. a. (Hg.) (1965), Faksimile, S. V). Der Wortlaut des 1964 erstmals veröffentlichten Briefes an Kiesewetter (27. (25.)3.1790), in welchem Kant um letzte Korrekturen des bereits zum Druck eingereichten Ms. der zweiten Fassung der Einleitung bittet, widerspricht dieser Erklärung. Es heißt dort nämlich, dass die ursprüngliche Fassung »ins Kurze gezogen« worden sei. Auch verrät der Text, dass Kant die Abänderungen unter großer Zeitnot durchgeführt haben muss (KantStudien 55, 2, 1964, 244–249). S. zu diesen Fragen auch die Einleitung von H.F. Klemme in die Ausgabe der KU (2006), S. XVII–XXXV, spez. S. XXX, Fn. 22. 9 Erläuternder Auszug aus den critischen Schriften des Herrn Prof. Kant auf Anrathen desselben von M. Jacob Sigismund Beck. Zweyter Band, welcher die Critik der Urtheilskraft und die metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft enthält. Riga 1794, 541–590. Titel: Ueber Philosophie überhaupt. Kant hielt auch nach dem Erscheinen der KU die EE immer noch 8
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lichung der »Ersten Einleitung« zu Kants Lebzeiten die einzige blieb, deren Rezeption für die weitere Entwicklung der Philosophie (insbesondere der Anfänge des Deutschen Idealismus) eine Rolle gespielt haben könnte, wird unser Kommentar auch auf die Textgrenzen, die in der Erstveröffentlichung bestehen, hinweisen. Der Kommentar, der als Arbeitsgrundlage und als ein Beitrag zur Kant-Forschung und des akademischen Unterrichts gestaltet sein soll, versteht sich als Anleitung zum Textverstehen für Autoren, Dozenten und Studenten. Er sichert Erkenntnisse, die einen Minimalkonsens ermöglichen, beleuchtet kompliziertere Probleme von verschiedenen Seiten, markiert offene Fragen und begründet ggf. auch, warum sie (vorläufig) unentschieden bleiben müssen. Mit Hilfe eines solchen Kommentars wird ein souveräner Umgang mit dem Originaltext ermöglicht. Selbstverständlich hat er auch die Hauptresultate der neuesten und älteren Forschungsliteratur in angemessener Form aufzunehmen und zu berücksichtigen. Auf eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur muss jedoch aus ökonomischen Gründen hier verzichtet werden. Das Hauptaugenmerk gilt definitiv dem kantischen Originaltext. Dieser wird nach erfolgter intensiver Lektüre und den daraus resultierenden Schwierigkeiten gezielt nach der Analyse und Lösung bestimmter Probleme befragt. Eine solche Textbefragung verfolgt das Ziel, dem Text auch dort noch Antworten abzuringen, wo durch die pure Wortwahl anscheinend keine Auskunft mehr zugelassen wird. Schließlich ist selbstkritisch anzumerken, dass der Kommentar den Haupttext, den er kommentiert, nicht paraphrasierend verdoppeln soll. Er bringt nur dann einen Nutzen für das Textverstehen, wenn der Originaltext parallel dazu mitgelesen wird.
II. Weshalb ein Kommentar zu den Einleitungen in die KU? Zur inhaltlichen Rechtfertigung und Beschränkung des Kommentars auf die Einleitungstexte sind sowohl der schon angesprochene äußere historisch-genetische Aspekt der Werkentstehung als auch die systematische Entstehungsgeschichte der dritten Kritik genauer zu beleuchten10 – wenngleich dieser Aspekt nicht als Prärogativ der Textinterpretation betrachtet werden darf. Die Motive Kants zur Abfassung dieser dritten Kritik – auch wenn sie durch zweifelsfrei authentische Äußerungen ihres Autors bezeugt sein sollten – dürfen prinzipiell nicht zu dem Versuch herge-
für bedeutend »zur vollständigeren Einsicht des Begrifs einer Zweckmaßigkeit der Natur« (vgl. Kant an Beck, 4.12.1792 (AA 11:396) und 18.8.1793 (AA 11:441)). 10 S. dazu insbesondere die Texteinführungen in den Editionen von Hinske, N. u. a. (Hg.) (1965), Faksimile; Klemme, H.F. (Hg.) (2006), I. Kant. Kritik der Urteilskraft, S. XVII–XXXV; Guyer, P. (2000), Editor’s introduction, in: Kant, Critique of the power of judgment. Ed. by P. Guyer, Cambridge.
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nommen werden, Idee, Aufbau und Komposition der einzelnen Teile dieses Werkes und deren konkrete Inhalte und Problemstellungen zu entschlüsseln. An den Spekulationen, die mit dem Versuch einer authentischen Rekonstruktion des Ablaufs der Entstehung der Schrift und der Drucklegung zwangsläufig verbunden sind, möchte ich mich hier nicht beteiligen. Das betrifft insbesondere die These, dass die Erste Einleitung noch »vor« Abschluss von Kants Arbeiten am Haupttext verfasst worden sei.11 Die unmittelbaren Textindizien verleiten allzu oft zu voreiligen oder irrigen Schlussfolgerungen. Doch scheint es mir wichtig, die folgenden Aspekte hier noch einmal stichwortartig aufzugreifen und zu erweitern, die Heiner F. Klemme in seiner Einleitung zur Edition zusammengestellt hat und die sich hauptsächlich auf Kants Briefwechsel stützen: 1) Obwohl Kant bereits kurz nach Erscheinen der Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen (1764) auf ein von ihm geplantes Projekt einer Geschmackskritik Bezug nimmt (AA 2:311) und eine solche Ankündigung mit geänderter Bedeutung bis in die 1780er Jahre erneuert, kann doch erst vom Jahr 1787 für den Durchbruch zu einer Theorie a priori des Geschmacksurteils ausgegangen werden (s. Brief an Reinhold, 28.12.1787, AA 10:414–415; vgl. Klemme, H.F. (Hg.), Einleitung, S. XVII–XXV; Giordanetti, P. (1999), Kants Entdeckung, 171–196). 2) Das genannte Briefdokument (an Reinhold, 28.12.1787) ist deshalb bemerkenswert, weil es die Bedeutung der Entdeckung des eigentümlichen Prinzips der reflektierenden Urteilskraft unterstreicht, die im Hinblick auf die Einteilung der Gemütsvermögen, wie sie in den Abschnitten XI der Ersten Einleitung und IX der Einleitung begründet wird, zu berücksichtigen ist. Darüber hinaus ist jene Entdeckung von hoher Bedeutung für die Gesamtkonzeption sowohl eines Systems der Kritik der reinen Vernunft als auch eines Systems der Metaphysik, wie sie in den ersten Abschnitten beider Einleitungen thematisiert werden, mit dem Unterschied, dass Kant in dem zitierten Brief noch von der Möglichkeit einer Dreiteilung der Philosophie überzeugt zu sein scheint, während in den Einleitungen die Begründung auf eine klare Zweiteilung hinausläuft.12 3) Der spätere Buchtitel »Critik der Urteilskraft«, zu der schließlich die Geschmackslehre ein integrierter Bestandteil sein soll, taucht erst relativ spät auf, in einem weiteren Brief an Reinhold vom 12.5.1789 (AA 11:39), so dass die Schlussfolgerung von Klemme sehr naheliegend ist, indem er schreibt: »Kant muß erst sehr spät gesehen haben, daß die teleologische Beurteilung Klemme, H. F., Vorwort, Einleitung, S. XXXIII zur Ausgabe der KU (2006). 12 Zwar ist Klemme zuzustimmen, der das Fehlen einer Ankündigung einer »Metaphysik des Geschmacks« in Kants Projektbeschreibung konstatiert (Klemme, H.F. (Hg.) (2006), S. XXII), aber an ihrer Stelle erscheint eine Disziplin namens »Teleologie« als Mittelteil zwischen theoretischer und praktischer Philosophie. 11
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der Natur Teil einer Kritik sein muß, die es sich zum Ziel gesetzt hat, das Vermögen der Urteilskraft in seiner ganzen Breite und Tiefe zu vermessen« (Klemme (2006), S. XXII–XXIII). Nichts jedoch deutet in den zur Rekonstruktion der Genese herangezogenen Briefdokumenten darauf hin, dass und warum das Lehrstück der Teleologie, das der teleologischen Urteilskraft zugeordnet wird, schließlich der Funktion der Ästhetik unterzuordnen ist. 4) Zufolge der aller Wahrscheinlichkeit nach hohen Fehlerquote, die nach dem Zeugnis Kiesewetters bei der ursprünglichen Drucklegung aufgetreten ist (Klemme, H.F. (Hg.) (2006), Einleitung, S. XXXI), hat man bei der Interpretation zweifelhafter Textstellen immer die Möglichkeit mit in Erwägung zu ziehen, dass ihnen ein Schreib- oder Druckfehler zugrunde liegen könnte. 5) Man kann sich der von Klemme ausgearbeiteten Rekonstruktion der Geschichte der Drucklegung in ihren verschiedenen Phasen anschließen (Klemme, H.F. (Hg.) (2006), XXVI–XXXV) und zugleich gegenüber den daraus gezogenen Schlussfolgerungen als Erklärungen von angeblichen »Ungereimtheiten zwischen der ›Ersten Einleitung‹ und dem zweiten Hauptteil (›Kritik der teleologischen Urteilskraft‹)« der KU Skepsis hegen. Dem Buchstaben nach scheint es solche Dissonanzen zu geben, wenn man sich etwa an die Erklärungen Kants in den Absätzen 8–12 von EE XII hält. Doch ist es für Kants kritische Unternehmungen durchaus nicht überraschend, wenn eine projektierte Einteilung von der tatsächlich im Werk dann realisierten Konstruktion abweicht. Das gibt es auch in anderen Schriften, die keiner solchen Editionsgeschichte unterlagen, wie etwa der MS und auch schon und noch auffälliger in der KpV. Es bedeutet nicht, dass Kant nacheinander zwei verschieden aufgebaute Konzeptionen zum selben Gegenstand im Sinn gehabt hätte. 6) Kants spärliche Hinweise über den Unterschied der Darstellung zwischen beiden Einleitungen reichen nicht aus, um die Frage nach möglichen konzeptionellen oder inhaltlichen Verschiebungen abschließend zu beantworten. Kant spielt die Bedeutung dieser Frage nach meiner Einschätzung jedoch herunter, wenn er die »Einleitung« hauptsächlich als eine Verkürzung und Verdeutlichung der ursprünglichen Fassung kennzeichnet.13 Der Text der »Einleitung« erweckt beim heutigen Leser einen anderen Eindruck: Durch die Textkomprimierung sind mehr Verständnisschwierigkeiten aufgetreten als in der längeren Fassung. Dies ist ein weiteres Argument für die Notwendigkeit eines Text-Kommentars, der auch inhaltliche Vergleiche zulässt. Der nach einigem Zögern gefasste Entschluss, den Kommentar der EE letzten Endes doch dem der E voranzustellen, rechtfertigt sich zunächst einfach dadurch, dass diese Ordnung dem tatsächlichen Entwicklungsgang der finalen Version seitens des Im Brief an Kiesewetter, 27. (25.) 3. 1790; s. das Zitat bei Klemme, H.F. (Hg.) (2006), Einleitung, S. XXX, Fn. 22. 13
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Autors Rechnung trägt. Wäre der Kommentar von dem Anspruch geleitet, herausfinden zu wollen, welche Gründe Kant dazu brachten, die ursprüngliche Version nicht für den Druck der Gesamtschrift zu verwenden, sondern stattdessen einen neuen Text zu produzieren, dann wäre es vielleicht sinnvoller gewesen, die publizierte Fassung zuerst zu kommentieren (um nämlich aus den dann noch übrigbleibenden Abweichungen der ersten Fassung die Gründe für Kants selbstkritische Haltung herauslesen zu können). Da dies aber nicht der Zweck dieses Kommentars ist, ist es naheliegender, ihm die authentische Abfolge der Texte zugrunde zu legen. Die KU als ein Ganzes betrachtet ist inhaltlich-systematisch in mehrfacher Hinsicht relevant: für den Gesichtspunkt der Komplettierung des Programms der Metaphysik-Kritik durch eine tiefgreifende Kritik des gesamten menschlichen Erkenntnisvermögens, für eine vollständige Grundlegung einer bereinigten Metaphysik in den beiden Teilen einer theoretischen und praktischen Philosophie, ohne dass sie – im Unterschied zu den beiden ersten Kritiken – direkt einen Bezug auf eine solche objektive Metaphysik als Wissenschaft hätte. Was insbesondere den praktischen Teil betrifft, so ist hier im Vorhinein anzumerken, dass die KU keine definitiven Aussagen zu dessen speziellen Aufgaben und Inhalten enthalten oder ermöglichen kann, da das Hauptwerk dafür – die Metaphysik der Sitten (MS) – noch nicht ausgearbeitet war und erst sieben Jahre nach Erscheinen der KU publiziert werden sollte. Es wäre z. B. eine interessante Frage, ob Kants RL in irgendeiner Weise Programm und Inhalt der KU beeinträchtigt hätte, bzw. ob sich das Problem des Übergangs vom Naturbegriff zum Freiheitsbegriff in modifizierter Form gestellt hätte gegenüber der tatsächlich in der KU behandelten Problemstellung. Eine weitere Notwendigkeit, diesen Kommentar auf die Einleitungstexte zu beziehen und zu beschränken, folgt aus der Natur dieser Texte selbst. Die besondere Schwierigkeit dieser Textkommentierung beruht nämlich gerade darauf, dass wir es bei den beiden Einleitungen mit zwei eigenständigen Abhandlungen zum selben Gegenstand zu tun haben, die in der Darstellung stärker voneinander abweichen als Kants eigene Erklärungen dazu vermuten lassen. Es ist deshalb wichtig zu klären, was wirklich nur ein Unterschied der Darstellung ist und wo inhaltliche Abweichungen vorliegen. Beide Abhandlungen machen außerdem einen Bezug zum Haupttext nötig, in den sie beide einleiten sollen. Sie müssen sich also auch auf denselben Text, auf dieselbe philosophische Konzeption beziehen lassen. Mittelbar ist nämlich jede der beiden Einleitungen erstens auch die Einheit der im Haupttext unterschiedenen Teilkritiken und zweitens Einheit der drei Kritiken und der beiden Teile der Philosophie, insofern die Idee der dritten Kritik insgesamt eben in ihrer einheitsstiftenden Funktion besteht, und zwar für die Einheit, von der sie selbst Teil ist. Die KU ist insofern dritte und vierte Kritik zugleich. Die vorliegende Form des Kommentars soll es gerade auch ermöglichen, jeden Abschnitt für sich zu rezipieren und kommentierend zu verfolgen, indem stets von der Möglichkeit des Querverweises zu allen anderen relevanten Stellen Gebrauch gemacht wird.
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III. Kriterien eines guten Text-Kommentars In diesem Abschnitt der Einleitung stelle ich Kriterien zusammen, die einerseits Allgemeingültigkeit für den »Kommentar« als Form der Vermittlung des Inhaltes philosophischer Werke beanspruchen, andererseits die Typik des für die speziellen Anforderungen der Texterschließung der Einleitungen in die KU benötigten Kommentars ausmachen. Jedes Kommentarunternehmen zu einem klassischen philosophischen Text sollte sich für den Leser nachvollziehbar am Anfang über seine Notwendigkeit und seine Funktion Rechenschaft geben.14 Das gelingt nicht immer. Beispielsweise nennt B. Recki ihre Arbeit eine »systematische Interpretation«, die »hermeneutisch« sei »in jenem schlichten, nicht auf eine Schuldogmatik festgelegten Sinne, der es möglich macht, die Einsichten und Befunde anderer Richtungen des Zugangs und Weisen des Zugriffs zu berücksichtigen, wenn an ihnen etwas ist, das zum Verständnis der Texte beiträgt«.15 Um aber sagen zu können, was das »etwas« ist und ob es relevant ist für das Textverständnis, muss man den Text ja bereits begriffen haben. Der hermeneutische Zugriff auf den Text setzt also stillschweigend bereits einen »Kommentar«, eine schon geleistete, und zwar objektive Interpretation voraus. Gegenüber einer »subjektiven Hermeneutik« muss eine objektive Interpretation philosophischer Werke notwendig kritisch verfahren und Begründungen nachweisen. Der Schwerpunkt des objektiv orientierten Interpretierens liegt »in der Analyse der Idee im Ganzen und der Begründung: In den Beweisen und Gründen, die ein Autor für seine Auffassungen anführt, hat das philosophische Werk sein eigenes Zentrum«16 Wir wollen nicht »Kant verstehen«, denn es ist sinnlos, der ursprünglichen Intention eines Autors als dem Inhalt dessen, was er gemeint hat oder gemeint haben könnte, nachzuspüren. Wir wollen vielmehr seine Texte und Schriften, Monumente seiner Gedanken, in ihrem Aufbau und objektiven Gehalt begreifen. Um diesem Ziel nahe zu kommen, soll der hier vorgelegte Kommentar einige wichtige Voraussetzungen enthalten. Der Kommentar hat im Wesentlichen die folgenden Aufgaben und Kriterien zu erfüllen: 1. Im Unterschied zu einem »hermeneutischen« Textumgang17 beansprucht er nicht, die Intention und die Motive des Autors herauszufinden, um sie durch eigene Motive zu ersetzen und in den Text hineinzulesen, sondern den Text selbst als die authentische Form der Vergegenständlichung des autorspezifischen philosophischen Reflektierens nach Bedeutungen zu befragen, dessen Struktur und ArVgl. Tetens, H. (2006), Kants ›Kritik der reinen Vernunft‹. Ein systematischer Kommentar, 11–14. 15 Recki, B. (2001), Ästhetik der Sitten, 1. 16 Brandt, R. (1974), Die Interpretation philosophischer Werke, 5. 17 Vgl. dazu die Kritik von Brandt, R. (1992), Von der Hermeneutik zur Interpretation, 251–267; außerdem: Brandt, R. (1990), »Das Wort sie sollen lassen stahn«, 351–374. 14
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gumentation offenzulegen und ohne wertende Meinung Sachverhalte in der vorgefundenen Form zu entschlüsseln und auf ihre Konsistenz hin zu überprüfen. Man sollte also nicht etwa der Forderung von D. Henrich Folge leisten, der Interpretation Kants Intention zugrunde zu legen;18 und auch nicht dem von K. Ameriks propagierten »hermeneutical approach« beitreten, der das erklärte Ziel hat, »to interpret Kant’s text in such a way as to try to put his arguments always into the context of the development of his system as a whole and with a view to its place in his own tradition«.19 2. Obwohl sich der Kommentar primär auf die beiden Einleitungen bezieht, erstreckt er sich mittelbar auf das gesamte Textkorpus der KU, d. h. die Ästhetik und die Teleologie (einschließlich der Methodenlehre). Er hat sich damit notwendigerweise auch auf die beiden ersten Kritiken, die KrV und die KpV, zurück zu beziehen. 3. Der Kommentar befragt den Text, auf den er sich bezieht, nach Begründungszusammenhängen. Denn Begründungen verlangen als Bestandteil der Interpretation dem Leser nicht nur Zustimmung oder Ablehnung ab, sondern sie erheben philosophische Behauptungen in den Stand objektiver und allgemeiner Erkenntnis.20 Dazu ist es notwendig, die Textgrenzen zu markieren, innerhalb deren ein einheitlicher Argumentationszusammenhang identifiziert werden kann, und das Problem zu benennen. In klassischen Texten verweisen Schwierigkeiten beim Textverständnis bzw. bei der Interpretation zumeist auf objektive Probleme der verhandelten Sachen selbst.21 Ist das Problem nicht direkt sichtbar, ist es vom Ausgang einer aus dem Text heraus schon bekannten Sache her zu erschließen. Die Betrachtung eines Argumentationszusammenhangs soll in der Regel von der Frage ausgehen: was ist das zu Begründende (das Ziel der argumentativen Erklärung) und wo findet sich der Grund? Auf die Zerlegung in argumentative Begründungsschritte (die durch Satzgrafiken unterstützt wird) soll eine Rekonstruktion (Synthese) eines Begründungszusammenhangs bzw. des Zusammenhangs von Argumentationsketten als Problemlösung folgen. 4. Unter »Kommentar« verstehe ich eine kontinuierliche (möglichst lückenlose) kritische Analyse des Textes mit dem Ziel einer objektiven, Erkenntnis beanspruchenden Interpretation. »Analyse« soll heißen: Vermittlung des Textverständnisses durch Erschließung der philosophischen Inhalte (Festlegung der Bedeutung von Begriffen und Sätzen in ihrem jeweiligen Zusammenhang, im Zusammenhang des Ganzen, schließlich im systematischen Kontext der drei Kritiken) und des logischen
Henrich, D.: Akten der Berliner Kant-Konferenz, 2001, Bd. 1: Systemform und Abschlussgedanke, 94–115. 19 Ameriks, K. (2006), Text and Context: Hermeneutical Prolegomena to Interpreting a Kant Text. In: ders., Kant and the Historical Turn (2006), 33–50, hier: 34. 20 Vgl. Brandt, R. (1974), Die Interpretation philosophischer Werke, 156. 21 Vgl. Brandt, R., ebd., 10. 18
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Aufbaus der Argumentation. Kritisch hat diese Analyse wenigstens in dreifacher Hinsicht zu verfahren: a) Aus dem Textzusammenhang heraus (nicht durch von außen, aus anderen Motiven oder Interessen an den Text herangetragene Kriterien) sind die Argumente in ihrer Abfolge zu identifizieren; danach ist zu prüfen, ob und wie die einzelnen Argumentationsschritte, die der Text enthält, begründet werden. Argumentationslücken und Gedankenbrüche, die der Autor hinterlassen hat, sind kenntlich zu machen. b) Gegebenenfalls sind mehrere (alternative) Verständnismöglichkeiten anzuzeigen, und zwar dann, wenn sie aus philologischen oder systematischen Gründen unausweichlich sind. Es ist auch darzulegen, aus welchen Gründen keine eindeutige Entscheidung zugunsten einer Möglichkeit getroffen werden konnte. c) Mit der Befolgung von Interpretationsstrategien zur Erreichung eines objektiven und optimalen Ergebnisses soll nicht ausschließungsweise ein einziger Weg vorgezeichnet werden, der dem Leser keinen Spielraum mehr für alternative Sichtweisen auf der Grundlage eigener Reflexion einräumen würde, insofern ihm dogmatisch nichts als bloße Nachahmung übrig bliebe. Die jeweils vorgeschlagene Interpretationsweise lässt vielfältige Wegabweichungen zu; sie ist jedoch auch bestrebt, sie unter Angabe von Gründen auf ein Minimum zu reduzieren. 5. Der Kommentar darf nicht auf eine bloße Textparaphrase hinauslaufen; vielmehr muss er durch einen stetigen Textbezug den begrifflichen Gehalt des Gedankengangs präzise und vollständig herausarbeiten und in einer verständlichen Sprache reproduzieren. Dazu gehört auch die Erläuterung der von Kant benutzten Fachtermini. Die Paraphrase ist aber insofern auch hilfreich, als sie dazu dient, Schlüsselbegriffe der kantischen Philosophie in ihrer sprachlichen Eigentümlichkeit und Authentizität zu erhalten und sie vor willkürlicher Verfremdung zu schützen. 6. Der Kommentar ist keine rein philologische Untersuchung. Er darf sich nicht darauf kaprizieren und beschränken, die mitunter verwirrende Syntax des kantischen Textes zu »entschlüsseln«, obwohl diese Aufgabe an vielen Stellen des kantischen Textes auch geleistet werden muss. Meine Kommentierung ist insofern auch philologisch, als sie bestimmte Formulierungen (Sätze, Wörter) aufgrund ihrer (nicht selten mehrdeutigen) Form auf Bedeutungsvarianten hin befragt, deren Auswahl und Festlegung inhaltlich-systematisch einzulösen ist. 7. Der Kommentar ist keine in einem weiteren oder engeren Sinne historische Betrachtung. Er geht nicht generell der Frage der Beziehung kantischer Termini und Gedanken auf ihre historischen Wurzeln nach. Ebensowenig benennt und referiert er alle wissenschaftshistorisch relevanten Aspekte und philosophischen Quellen, Entdeckungen und Vorgänge, auf die sich der Text beziehen lässt oder auf die Kant implizit anspielt. Ausdrückliche Bezugnahmen sind selbstverständlich zu dokumentieren, aber in aller vertretbaren Kürze. 8. Insbesondere ist der Kommentar nicht als historisch im Sinne einer historischgenetischen Interpretationsmethode zu verstehen. D. h. es wird nicht darum gehen, philosophische Begriffe aus dem Textzusammenhang herauszulösen, um sie
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in ihrer historischen Entwicklung zu betrachten und die beobachteten Phänomene miteinander zu vergleichen, um Bedeutungsverschiebungen zu protokollieren.22 Die von Giorgio Tonelli praktizierte und von Norbert Hinske nachgeahmte »genetisch orientierte historisch-philologische Interpretationsmethode« geht von bloß »scheinbaren« inneren Widersprüchen in der KU aus und will sie durch terminologische Veränderungen und Verschiebung der Problemperspektive genetisch erklären.23 Eine solche Methode schließt von vornherein die Möglichkeit von Widersprüchen, die nicht sprachlich bedingt sind, sondern aus sachlichen und methodisch bedingten Schwierigkeiten erwachsen, aus.24 Der Kommentar mutet dem Leser keine Scheinobjektivität dadurch zu, dass der Kommentator auf den Anspruch und das Recht einer Beurteilung des Argumentationsganges verzichtet. Es ist im Gegenteil auch Aufgabe des Kommentars, auf Stärken und Schwächen (ggf. Unstimmigkeiten, Lücken) der im Originaltext erkennbaren Argumentation hinzuweisen. Der historisch-philologische bzw. historisch-genetische Ansatz der Kommentierung philosophischer Texte aus dem Werk Kants hat mit wissenschaftlicher Akribie allerdings auch zu Ergebnissen geführt, die berücksichtigt werden müssen, jedoch nicht ungeprüft übernommen werden dürfen. Für sich allein besitzen sie keinen Aussagewert über die argumentationslogische Struktur des Textes. Vielmehr verleiten sie wegen ihrer isolierten Betrachtungsweise zu textentstellenden InterIn ähnlicher Ablehnung spricht Holm Tetens von einer Abweichungsstrategie des Philosophierens als einer »Flucht in die bloße Philosophiegeschichte« (Tetens, H. (2006), Kants Kritik der reinen Vernunft, 11). 23 Tonelli, G. (1954), La formazione del testo della Kritik der Urteilskraft, 423–448; Hinske, N. u. a. (Hg.) (1965), Immanuel Kant: Erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft, III–XII. 24 Die Langlebigkeit dieser, meiner Auffassung nach unzureichenden Methode der Textkommentierung dokumentiert sich auch in Kommentaren der neuester Zeit, wie etwa in dem Kommentar von Konstantin Pollok zu Kants »Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft« (Pollok, K. (2001), Kants »Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft«). Ein Kommentar, der nur formelle Kriterien der Textinterpretation zulässt – wie »Konsistenz und Kohärenz in Bezug auf die Textumgebung« (ebd., Einleitungskapitel 1.3: Formen und Aufgaben des Kommentars, S. 20 ff.) – und der dazu aufruft, eine solche Interpretation, »die sich in größeren Widerspruch zu anderen Aussagen innerhalb Kants Kritischer Philosophie begibt«, als Alternative von vornherein zu verwerfen, entscheidet über Interpretationshypothesen und Lösungsstrategien in Bezug auf Textschwierigkeiten nicht auf der Grundlage von Argumentationszusammenhängen, die aus dem Text erst einmal erschlossen werden müssen, sondern mit Hilfe äußerer, statistischer Befunde. Textstellen, die sich im Widerspruch zu anderen Stellen zeigen, sollen ausdrücklich »nicht argumentativ ausgewertet werden«, sondern dienen letztlich nur dem Zweck der Dokumentation von (vermeintlichen) Entwicklungen in Kants Denken. Diese Kommentarform steht in der Tradition des oben kritisierten historischphilologischen Kommentars. Objektive Widersprüche, die sich aus ungelösten Sachproblemen oder aus Begründungsmängeln ergeben, werden prinzipiell nicht in Erwägung gezogen, sondern mit methodischer Strenge ausgeblendet. Damit geht der Kommentar aber ein ganzes Stück am Textinhalt vorbei. 22
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pretationen. Es ist zwar nicht zu bestreiten, dass insbesondere im Verhältnis der EE zur E terminologische Unterschiede zu verzeichnen sind, die auf gedankliche Entwicklungen hindeuten, aber sie verweisen zugleich auf Probleme, die diesen Entwicklungen zugrunde liegen und die durch den Wechsel der Wortwahl nicht einfach eliminiert werden können. Die Probleme, die sich aus der philosophischen Argumentation ergeben, sind nicht reduzibel auf die Verschiedenheit von Entwicklungsphasen des Textes. Obwohl die beispielsweise von Tonelli aus seiner philologischen Analyse gezogenen Schlüsse in der Mehrzahl nicht zwingend sind, ist das von mir entwickelte Interpretationsverfahren gehalten, die Untersuchungen Tonellis – dort, wo sie hilfreich sein können – auch zu berücksichtigen (z. B. bei der Beantwortung der unter Umständen bedeutsamen Frage der zeitlichen Einordnung der EE und ihres Verhältnisses zur »Kritik der teleologischen Urteilskraft«, des Zweiten Teils der KU). 9. Der Kommentar ist vielmehr in der Substanz systematische Rekonstruktion. Diese folgt auf die Analyse.25 Er bezieht sich durchgängig (d. h. lückenlos) auf den kantischen Originaltext, dem er Satz für Satz, wenn nötig, auch Wort für Wort folgt. Sätze mit komplizierter Syntax werden in »Satzgrafiken« zergliedert und dargestellt, deren Bestandteile durchnummeriert werden. Die Erläuterung bezieht sich dann unmittelbar auf solche sezierten Teilsätze und rekonstruiert auf diese Weise den Gedankenaufbau des Hauptsatzes. Es wird also nicht eine bloße Auswahl von Schlüsselstellen zugrunde gelegt, auf die sich der Kommentar richtet. Ein Stellenkommentar, der sich ebenso wie unser Kommentar die Aufgabe gesetzt hat, die notwendigen Voraussetzungen für ein adäquates Textverständnis zu schaffen und sich dabei an wichtigen Schlagwörtern und Satzaussagen orientiert, um ausgehend davon das Ganze eines Textes zu interpretieren,26 kann zweifellos bedeutende Lesehilfen und Unterstützung beim Textstudium bereitstellen, reicht aber nicht aus für die Kommentierung im Sinne einer kontinuierlichen Textanamnese und Gedankenrekonstruktion. Die Notwendigkeit eines Satz-für-Satz-Kommentars ist durch den hohen Schwierigkeitsgrad des Originaltextes, auf den er sich bezieht, gerechtfertigt. Diese Sorgfalt Ungefähr so, wie für Kant selbst »Analytik« und »synthetische Wiederkehr« in einer philosophischen Kritik zusammengehören; vgl. KpV, Vorrede, 11. Abs. (5:10.13–22)) 26 Die Anwendung einer solchen Kommentarform kann natürlich auch redaktionelle Gründe haben. Sie hängt außerdem von der Natur des zu kommentierenden Gegenstandes ab. Vgl. z. B. Horn, Chr., Mieth, C. und Scarano, N. (2007/2013), Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Kommentar. Das Autorenteam beansprucht ausdrücklich nicht, einen umfassenden Kommentar zu erstellen, der eine systematische Rekonstruktion des Gedankenganges oder auch eine erschöpfende Diskussion der bisherigen Forschung enthielte. Der Anspruch dieses Kommentars, der sich als ein »philosophischer Wegweiser« durch die Schwierigkeiten des kommentierten Textes versteht, beschränkt sich vielmehr darauf, »wichtige historische, sprachliche und systematische Voraussetzungen« dem Leser als Instrumente für das angemessene Verstehen des Textes und damit zur Unterstützung des je eigenen Studiums an die Hand zu geben. (ebd., 114 f.). 25
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ist jedoch kein Selbstzweck und bedeutet also nicht, dass tatsächlich jeder einzelne Satz des Textes kommentiert werden soll. Vielmehr wird eine solche Detailbetrachtung nur in den Fällen angestrebt, in denen die Textbeschaffenheit keinen anderen Weg der Erschließung offen lässt. Ein solcher Versuch, Kants Kritik der Urteilskraft bzw. deren Einleitungen durch einen genauen Textkommentar zu erschließen, ist in der hier angestrebten Form noch nie in Angriff genommen worden. Bisher ist man mit diesem Text gewöhnlich so umgegangen, dass man einzelne Passagen als Textbelege zur Untermauerung bestimmter Interpretationshypothesen aus dem Zusammenhang herausgelöst und für sich betrachtet hat. Das wird dem Text als einem abgeschlossenen Ganzen nicht gerecht und verbaut zudem die Perspektive auf die Beantwortung spezieller Fragestellungen. Wie wichtig die Beachtung des Gesamtzusammenhanges des Werkes ist, ließe sich an vielen Interpretationsbeispielen illustrieren. Z. B. führt die Missachtung der kantischen Unterscheidung zwischen technisch-praktischen und moralisch-praktischen Sätzen zu einem unvollständigen Begriff des Praktischen bei Kant, der wiederum zahlreiche andere Missverständnisse hervorruft.27 Der Vorteil eines in der vorgeschlagenen Weise gestalteten »Kommentars« ist darin zu sehen, dass er den Text in eine verständlichere sprachliche Form überträgt ohne den Inhalt zu verfälschen. Die Erhöhung des Textverständnisses unserer beiden Einleitungen ermöglicht mittelbar auch einen einfacheren Zugang zum Haupttext der KU bzw. zu einzelnen seiner Kapitel. Darüber hinaus mag er im Hinblick auf das Verstehen der systematischen Einheit der drei Kritiken und ihres Verhältnisses zur kritischen Metaphysik eine Einhilfe anbieten, zumal der Zweck der Einleitungen, ihrer Gesamtanlage nach, auf die Philosophie Kants insgesamt hin ausgerichtet ist. Um den Kommentar durch die unvermeidliche Umfangssteigerung des Textes hinterrücks nicht wieder unnötig kompliziert zu machen, habe ich gelegentlich als Darstellungsmittel einzelne Exkurse oder auch Anhänge als Erläuterungen zu bestimmten Sachkomplexen in den textbegleitenden Kommentar zu den einzelnen Unterkapiteln eingebaut, z. B. im Anschluss an die Besprechung von Abs. 1, Abschnitt I der EE den Erläuternden Exkurs: »Zum Begriff von Philosophie (KrV, B 745–752, B 860 ff)«. Grundlage für die Textkommentierung ist die Ausgabe der Kritik der Urteilskraft von Heiner F. Klemme beim Felix Meiner Verlag, die als »Beilage« auch den Text der »Erste[n] Einleitung in die Kritik der Urteilskraft« in der von N. Hinske (1965) in der faksimilierten Ausgabe berichtigten Druckfassung enthält (Klemme (2006), 485–555). Dieser Ausgabe folgen auch die im Kommentar gebrauchten Zitate. Grundsätzlich sind auch die Bde. V (S. 165–198) und XX (S. 193–251) von I. Kants Gesammelten Schriften. Hrsg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, vergleichend heranzuziehen. Für die Behebung von Editionsmängeln in Bezug auf die Erste Einleitung ist die Faksimile-Ausgabe von N. Hinske nach wie 27
S. Morrisson, I. P., Kant and the Role of Pleasure in Moral Action. Ohio, UP, 2008.
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vor unverzichtbar.28 Das Faksimile soll außerdem auch konsultiert werden, um Kants Ergänzungen oder Streichungen im Ms. der EE zu überprüfen und ggf. im Kommentar besonders zu berücksichtigen. In den Zitaten wird auf die Seitenangaben in der Ausgabe Klemmes verzichtet. Die zitierten Stellen sind über die Paginierung der Akademie-Ausgabe, die Klemmes Ausgabe am Seitenrand wiedergibt, leicht aufzufinden. Darüber hinaus folgt der Kommentar dem Text Absatz für Absatz, so dass ich die Absätze eigens für diesen Zweck innerhalb jedes einzelnen Abschnittes durchnummeriert habe. Ich beziehe mich im Kommentar also jeweils auf bestimmte, im Originaltext nicht vorhandene Absatzziffern. Der Kommentar folgt dem Text, auf den er sich bezieht, in der Reihenfolge der kantischen Gliederung in Abschnitte, indem er deren Überschriften übernimmt. Die einzelnen Abschnitte werden dann in sich noch einmal von mir nach Sinneinheiten untergliedert und mit neuen Titeln versehen. Diese künstlich geschaffenen Einheiten umfassen jeweils eine bestimmte Stückzahl von Absätzen. Im Ersten Teil des »Kommentars« behandle ich den Text der »Ersten Einleitung«, im Zweiten Teil den der »Einleitung«. Der Aufbau des Kommentars folgt somit in den beiden Hauptteilen der chronologischen Ordnung der beiden separat publizierten Texte Kants. In den Hauptkapiteln orientiert er sich an der Gliederung nach den Überschriften der insgesamt 21 Abschnitte der beiden Einleitungen. Die in diesem dritten Einleitungsabschnitt von mir zusammengestellten Leitlinien der Interpretation sind als Regeln zu verstehen, die der Kommentar zu befolgen hat. Sie berühren sich mit den Regeln einer ihrem Gegenstand angemessenen Textinterpretation, die Reinhard Brandt mustergültig aufgestellt hat.29 Über die oben postulierten Kriterien hinaus schließe ich mich weitgehend seinen analytischen Betrachtungen an. Daraus sind besonders hervorzuheben: die im Gegensatz zu einer allgemeinen Hermeneutik der Texterschließung, die prinzipiell von einer Mehrdeutigkeit eines Werkes und einer dementsprechenden Abweichung verschiedener Meinungen ausgeht, zu fordernde Objektivität und Allgemeinheit der Interpretation. Die Objektivität muss sich aus einer wahren Erkenntnis ergeben, die von der Identität eines Textes ausgeht und der Idee des Ganzen folgend, Argumentationszusammenhänge danach überprüft, ob sie hinreichend begründet sind. In diesen Forderungen liegen natürlich Probleme. Meine Bedenken beziehen sich insbesondere im Hinblick auf den Gegenstand meines Kommentars auf den Status, den Inhalt und die Funktion der beiden Einleitungen. Ihr Status ist verschieden, weil die EE auf einer Manuskriptfassung beruht, die Korrekturen des Kopisten und des Autors enthält und schließlich als offizielle Fassung vom Autor (zumindest Immanuel Kant: Erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft. Faksimile und Transkription. Hrsg. von Norbert Hinske u. a. Stuttgart-Bad Cannstatt 1965. 29 Vgl. Brandt, R. (1992), Von der Hermeneutik zur Interpretation, 251–267, besonders 256–263; Brandt, R. (1990), Das Wort, 351–374, besonders 367–373; Brandt, R. (1974), Die Interpretation, 9 f., 156 f. 28
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zeitweilig) verworfen wurde. Die E dagegen ist nur in der autorisierten Druckfassung erhalten. Kann man also die Identität der Texte beider Einleitungen als »geschichtsinvariant« charakterisieren? Und ist die Idee des Ganzen, d. h. der innere (gedankliche) Zusammenhang des Werkes, insbesondere des Haupttextes der KU, aus der Perspektive beider Einleitungen tatsächlich noch dieselbe? In Bezug auf die letzte Frage kann ich (vorläufig) eine positive Antwort geben. Denn als Idee des Ganzen muss die Idee der Zweckmäßigkeit der reflektierenden Urteilskraft angesehen werden, die sowohl in beiden Einleitungen als auch in dem Haupttext, auf die sie sich beziehen, der dominierende und leitende Gesichtspunkt ist.
IV. Technische Hinweise Der Text, auf den sich der Kommentar bezieht, zeichnet sich durch einen besonderen Charakter aus. Es handelt sich um zwei heterogene Einleitungen zum selben Werk, die sich wie zwei selbständige, dem Hauptinhalt nach zwar gleiche und doch in vielen Aspekten und Nuancen sehr unterschiedliche Abhandlungen darbieten. Daraus entsteht ein Problem für die Darstellung des Kommentars, der sich auf diese Texte beziehen soll. Entweder verfasst man einen einheitlichen Kommentar, der die Themen parallel anordnet – aber dann fallen gerade die spezifischen Abweichungen und Sonderthemen, die jeweils nur einem der beiden Texte inhärieren, weg – oder man entschließt sich von Anfang an zu einem Doppelkommentar, wobei dann thematische Verdopplungen nicht auszuschließen sind. Ich habe in der Regel zu Beginn jedes Hauptabschnittes der E bzw. der EE durch ein Pfeilsymbol, gefolgt von der Abschnitts- und Absatzziffer, Parallelverweise angebracht, die die Stellen angeben, an denen jeweils im Paralleltext (oder auch im selben Text an anderem Ort) das gleiche Thema abgehandelt wird. Nach Möglichkeit sollten Verweisungen in einer synoptischen Gegenüberstellung der in Schlagworten wiedergegebenen Inhalte der einzelnen Abschnitte vor dem Beginn des Kommentar-Korpus sichtbar gemacht werden. Ich habe während der Ausführung dieses Planes wieder darauf verzichtet, da er nochmals eine Zunahme der Seitenzahl in nicht vertretbarem Umfang bedeutet hätte. Der Kommentar muss sich schließlich so auf den Originaltext, den er kommentiert, beziehen, dass er beim Studieren der Einleitungen ständig mitgelesen wird, dem Studium also zur Hand gehen soll. An manchen Stellen innerhalb des Kommentars benutze ich eine besondere Analyse-Technik, um sehr komplizierte und oft überdimensional lange Satzkonstruktionen (mit zum Teil zweifelhaften grammatischen Wortanbindungen) transparent zu machen. Ich nenne diese bereits erwähnte Form der Darstellung »Satzgrafik«. Satzgrafiken sind Zitate aus Kants Originaltext, die in Sinneinheiten zerlegt und durch Linien und Klammern künstlich verbunden werden. Dadurch sieht man auf einen Blick, wo ein Gedanke anfängt, wie er verläuft und wo er – an Nebenaspekten vor-
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bei – endet. Ich habe die so entstandenen Satzpartikel auch nummeriert. Das erleichtert den punktgenauen Textbezug an der im Kommentar vorgesehenen Stelle und zeigt außerdem die fortlaufende Unter- bzw. Nebenordnung von Gedankengängen an. Ein Verzeichnis aller im Kommentar verwendeten Satzgrafiken mit entsprechendem Stellennachweis befindet sich am Ende dieses Buches. Der Kommentar schließt nicht in gleicher Weise auch die Vorrede als zu kommentierende Quelle mit ein. Die Vorrede zur Kritik der Urteilskraft existiert nur in einer Form. Beide Einleitungen lassen sich also darauf beziehen. Ihre Funktion ist nicht wie die der Einleitungen eine Vorbereitung und ein Ausblick auf den Haupttext der Schrift, sondern eine Illustration der allgemeinen Absicht des Autors mit seinem Werk. Ihre Bedeutung für den Kommentar ist daher von geringerem Interesse. Darüber hinaus bedarf sie zum Verstehen auch keines »Kommentars«. Dort wo es im Laufe der Kommentierung der Einleitungen naheliegend und nützlich ist, werden wir uns auf einzelne Aspekte der Vorrede zurückbeziehen.
Hinweise zur Berücksichtigung von Quellen und Literatur: Auf Kants opus postumum werde ich mich nicht beziehen, obwohl man das bedauern könnte, da insbesondere festgestellte Problemlagen in der KU, wie etwa das Problem der Begründung eines Organismus, offenkundig dort von Kant aufgegriffen und weiterentwickelt wurden. Das neue, von M. Willaschek, J. Stolzenberg, G. Mohr und St. Bacin herausgegebene Kant-Lexikon wird ohne Einzelnachweis als Hilfsmittel eingesetzt. Sekundärliteratur wird nur in einer beschränkten Auswahl angezeigt oder kurz kommentiert, sofern es für den Kommentar und das Textverstehen förderlich ist. Auf philosophiehistorische Bezüge muss weitgehend verzichtet werden. Ihre sehr wahrscheinlich immense Fülle würde die natürlichen Grenzen eines »Kommentars« sprengen. Sie würden unseren Kommentar unüberschaubar ausweiten und unnötig komplizieren.30
Hinweise zur Zitierweise: Der Text der KU und der EE wird nach der Ausgabe im Felix Meiner Verlag, hg. von H. F. Klemme (2006), zitiert, mit den Band-, Seiten- und Zeilenziffern der AA; die KrV zitiere ich nach der Ausgabe von R. Schmidt (Hamburg 1976) unter Verwendung der üblichen Originalpaginierung »A« bzw. »B«; die übrigen Schriften Kants zitiere ich nach der AA. Bei Zitatnachweisen aus der AA notiere ich x: für Natürlich gibt es nichtsdestotrotz z. B. gerade in der vorkantischen Metaphysik und Ästhetik (Chr. Wolff, A. G. Baumgarten, Edmund Burke u. a.) eine große Zahl von Bezügen, an die Kant sicher bei seiner Konzeption auch gedacht hat (z. B. hinsichtlich der Unterscheidung zwischen oberem und unterem Begehrungsvermögen: Baumgarten, Metaphysik, §§ 499–517). 30
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den Band, xx. für die Seite und xx für die Zeilen. Die übrige Literatur wird in der Regel wie folgt zitiert: Verfassername, Vorname (abgekürzt): (Erscheinungsjahr), ggf. Kurztitel, Seitenangaben. Hervorhebungen im Originaltext werden kursiv, Hervorhebungen des Verfassers fett wiedergegeben.
Hinweise auf Abkürzungen, von denen der Kommentar Gebrauch macht: zu Aristoteles: PA: De Partibus animalium zu Descartes: AT: Oeuvres de Descartes, hg. von Ch. Adam und P. Tannery, 11 Bde., Paris 1982– 1991. zu Kant: AA: Akademie-Ausgabe (der Gesammelten Schriften I. Kants) D.a.s.: Ding an sich E (+ römisches Zahlzeichen): Einleitung in die KU (+ Abschnitt) EE (+ römisches Zahlzeichen): Erste Einleitung in die KU (+ Abschnitt) Fortschritte: Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnitzens und Wolf‘s Zeiten in Deutschland gemacht hat? (1791/1804) (AA 20.255– 311) Grundlegung: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785) (AA 4.385–464) KpV: Kritik der praktischen Vernunft (1788) (AA 5.1–164) KrV: Kritik der reinen Vernunft (1781=A / 1787=B) KU: Kritik der Urteilskraft (1790) MS: Die Metaphysik der Sitten (1797) (AA 6.203–494) Mutmaßlicher Anfang: Muthmaßlicher Anfang der Menschheitgeschichte (1786) (AA 8. 107–124) Prolegomena: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können (1783) (AA 4.253–384) RL: Rechtslehre (MS) TL: Tugendlehre (MS) WW: Kants Schriften, Ausgabe Wilhelm Weischedel (1977) zu Leibniz: GP: Die philosophischen Schriften von G. W. Leibniz, hg. von C.J. Gerhardt. AA: Gottfried Wilhelm Leibniz, Sämtliche Schriften und Briefe, hg. von der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften in Göttingen zu Spinoza: TIE: Tractatus de Intellectus Emendatione (1677) (Opera / Werke II, 1–83)
I. Abschnitt: Philosopie als System
ERSTER TEIL Kommentar zur »Ersten Einleitung« EE I Erster Abschnitt: »Von der Philosophie als einem System«
Gliederung: Erster Absatz: Problemexposition: Was ist das System der Philosophie? Erläuternder Exkurs: Zum Begriff von Philosophie (KrV, B 745–752, B 860 ff.) Erster Absatz: Philosophie in Differenz zur »Kritik« Zweiter bis dritter Absatz: Einteilung des Systems der Philosophie Vierter Absatz: Das Problem der Zuordnung theoretischer und praktischer Sätze in der Philosophie Erster Abschnitt, »Anmerkung«, erster bis vierter Absatz: Der theoretische Status praktischer Sätze in den Wissenschaften Erster Abschnitt, »Anmerkung«, fünfter Absatz: Praktische Sätze im engeren Sinn Erster Abschnitt, »Anmerkung«, sechster Absatz: Technische Sätze Erster Abschnitt, »Anmerkung«, sechster Absatz, Fußnote zur Korrektur der Imperative in der Grundlegung
Erster Absatz: Problemexposition: Was ist das System der Philosophie? Die Überschrift des ersten Abschnittes der EE gibt das Thema der nachfolgenden Untersuchung Kants nicht genau vor. Sie läßt nämlich weitgehend offen, ob von der Philosophie in einem engeren oder in einem weiteren Sinne die Rede sein soll. Im weiteren Sinn betrachtet Kant den Philosophiebegriff innerhalb des ersten Abschnittes der EE nur in den ersten beiden Absätzen. Dieser Begriff wird dann im dritten Absatz inhaltlich konkretisiert und enger gefaßt. Genaugenommen handelt der erste Abschnitt von dem, was Kant das »reale System der Philosophie« nennt (EE I, 3. Abs. [20:195.15]). In Bezug auf dieses System wird dann das Problem seiner Einteilung untersucht. Das ist das Leitthema des ersten Abschnittes, einschließlich der dazu gehörigen »Anmerkung«. Was unter dem Begriff der »Philosophie«, der hier verwendet wird, positiv zu verstehen ist, macht auch der erste Absatz noch nicht deutlich. Ein Verständnis von seiner Bedeutung läßt sich dem Text unmittelbar nur negativ durch die Ab-
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
grenzung von der »Kritik der reinen Vernunft« (EE I, 1. Abs. [20:195.5]) und mittels der groben Einteilungsskizze im zweiten Absatz entnehmen. Der Anfang des ersten Abschnittes geht indirekt von einer Begrenzung des Geltungsbereiches aus, die als gültig angenommen, aber nicht näher diskutiert wird. Demnach ist Philosophie »das System der Vernunfterkenntnis durch Begriffe«: »Wenn Philosophie das System der Vernunfterkenntniß durch Begriffe ist, so wird sie schon dadurch von einer Critik der reinen Vernunft hinreichend unterschieden […]« (EE I, 1. Abs. [20:195.4–6]). Diese Erklärung bleibt unverständlich, da Kant nicht erläutert, was er unter einem solchen System versteht. Sie hat an dieser Stelle allein die Funktion, den Unterschied zu »einer Kritik der reinen Vernunft« zu begründen. Der allgemeine Begriff von Philosophie, sofern sie sich als System konstituiert, soll die Begründung für diese Unterscheidung enthalten. Darauf weist das Wort »dadurch« (20:195.5) hin, das sich nicht auf den anschließenden Nebensatz beziehen läßt. Der Grund, der dafür hinreichen soll, wird also hier vorerst als gültig vorausgesetzt. Für dasjenige Lehrstück, das an dieser Stelle »Kritik der reinen Vernunft« genannt wird, folgt daraus zunächst nur, dass es zwar auch in gewissem Sinne philosophischer Natur – und d. h. begriffliche Vernunfterkenntnis – ist, jedoch nicht als systemimmanent betrachtet werden kann. Erst der zweite Abschnitt wird – wie dessen Überschrift anzeigt – der Frage nach der Grundlage der Philosophie und dem Verhältnis von Philosophie und Kritik nachgehen (20:201.12–13). Es läßt sich aber mit Hilfe von Textabschnitten außerhalb der KU (KrV, KpV, Grundlegung (Vorrede), Fortschritte der Metaphysik) rekonstruieren, welche Vorstellungen Kant von einem »System« der Philosophie entwickelt und was »Vernunfterkenntnis durch Begriffe« bedeutet.1 Ich werde diese Aufgaben in einem Zwischenschritt zu lösen versuchen und auf der Grundlage der erzielten Ergebnisse zur Interpretation des ersten Absatzes zurückkehren.
Erläuternder Exkurs: Zum Begriff von Philosophie (KrV, B 745–752, B 860 ff.)2 Die Vorrede zur Grundlegung beginnt mit einem ähnlichen Einteilungsprogramm in Bezug auf die Philosophie wie die Erste Einleitung in die KU. Zunächst rekurriert Kant auf die klassischen Wissenschaftsabteilungen der griechischen Antike, d. i.
C. La Rocca (2013), Methode und System in Kants Philosophieauffassung. In: Kant und die Philosophie in weltbürgerlicher Absicht. Akten des XI. Kant-Kongresses 2010, 277 ff. 2 Vgl. dazu meinen Beitrag zum 11. Internationalen Kant-Kongress in Pisa: Kants Philosophiebegriff in der »Architektonik der reinen Vernunft« (KrV, B 865–879 / A 837–851). In: Kant und die Philosophie in weltbürgerlicher Absicht. Akten des XI. Kant-Kongresses 2010. Im Auftrag von Kant-Gesellschaft e.V. herausgegeben von Bacin, Stefano / Ferrarin, Alfredo / La Rocca, Claudio / Ruffing, Margit. Berlin, New York 2013, 517–534. 1
I. Abschnitt: Philosopie als System
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Physik, Ethik und Logik.3 Dazu bemerkt er, diese Einteilung sei »der Natur der Sache vollkommen angemessen« und man habe nichts daran zu verbessern außer, dass man noch das Prinzip der Einteilung ergänzen müsse, »um sich auf solche Art theils ihrer Vollständigkeit zu versichern, theils die nothwendigen Unterabtheilungen richtig bestimmen zu können« (4:387.2–7). Von einem korrigierenden Eingriff in dieses Schema, insbesondere was das Verhältnis von theoretischer und praktischer Philosophie, resp. Physik (»Naturlehre«) und Ethik (»Sittenlehre«), betrifft, ist in der Grundlegung also noch kein Anzeichen vorhanden. Allein die Absonderung eines reinen Teils der Moralphilosophie von einem empirischen Teil praktischer Erkenntnis taucht bereits als eine Forderung auf, die an den praktischen Teil der Philosophie gestellt wird (4:389.24–29). Jedoch indirekt klärt Kant auch in der Grundlegung den Leser schon darüber auf, dass er nicht daran denkt, eine auf »einen reinen Willen« sich gründende »Metaphysik der Sitten« als einer reinen Moralphilosophie aus der »allgemeinen praktischen Weltweisheit« Christian Wolffs herzuleiten (4:300.19–23).4 Denn in dieser gebe es keinen reinen Willen; stattdessen werde dort »das Wollen überhaupt in Betrachtung gezogen mit allen Handlungen und Bedingungen, die ihm in dieser allgemeinen Bedeutung zukommen« (4:390.23–29). Die »Handlungen und Bedingungen des menschlichen Wollens überhaupt« würden, im Unterschied zum reinen Willen, größtenteils aus der Psychologie geschöpft (4:390.35–37). Die Verfasser der »allgemeinen praktischen Weltweisheit« werden von Kant dafür getadelt, dass sie es versäumten, »die Bestimmungsgründe, die als solche völlig a priori bloß durch Vernunft vorgestellt werden und eigentlich moralisch sind« von den empirischen Bewegungsgründen zu unterscheiden, »die der Verstand bloß durch Vergleichung der Erfahrungen zu allgemeinen Begriffen erhebt« (4:391.3–8).5 Kant fährt noch in derselben Vorrede der Grundlegung fort, die »Vernunfterkenntniß« in eine formale und eine materiale zu dividieren. Unter der »formale[n] Philosophie« versteht er die Logik, insofern sie sich »bloß mit der Form des Verstandes und der Vernunft selbst und den allgemeinen Regeln des Denkens überhaupt ohne Unterschied der Objecte« beschäftigt. Dagegen richtet sich die materiale Philosophie auf bestimmte Gegenstände und deren Gesetze, d. i. Naturgesetze und Gesetze der Freiheit (4:387.8–16).
Vgl. Horn, Chr., Mieth, C. und Scarano, N., (2007), Grundlegung, 154. S. Chr. Wolff, Philosophia practica universalis. Frankfurt/Leipzig 1738–1739; vgl. dazu Schröer, Chr. (1988), Naturbegriff und Moralbegründung, 178–212; Baum, M. (2013), Prior Concepts of the Metaphysics of Morals, 113–137. 5 Dies lässt sich z. B. auch an Meiers Vernunftlehre verifizieren. Für ihn heißt die »gelehrte Erkenntnis« »practisch« (im Gegensatz zu »speculativisch«), »so ferne sie uns auf eine merkliche Art bewegen kann, eine Handlung zu thun oder zu lassen«. Alle gelehrte Erkenntnis ist insofern entweder praktisch oder theoretisch (Meier, Georg F.: Auszug aus der Vernunftlehre. Halle 1752, [auch in: Kant, 16:1–872], S. 61 (§§ 216–217)). 3 4
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Eine weitere Einteilung, die in der Vorrede der Grundlegung vorgenommen wird, ist die in »empirische« und »reine« Philosophie. Während die empirische auf Erfahrungsgründen basiert, umfaßt die reine Philosophie Logik und Metaphysik, und diese Metaphysik ist wiederum zweifach unterteilt in »Metaphysik der Natur« und »Metaphysik der Sitten« (4:388.4–10). Der Systembegriff erscheint in allgemeiner und besonderer Bedeutung an vielen Stellen der kritischen Hauptschriften und deren Kontexten.6 In der dritten Kritik, insbesondere in der EE, finden wir eine Reihe von Überlegungen zum Systembegriff in der EE. So ist vom System der Philosophie,7 dem der »Kritik der reinen Vernunft«,8 dem der »obern Erkenntnisvermögen«, dem der Gemütsvermögen, dem der Erfahrung, dem der Natur und schließlich dem der Zwecke die Rede. Zweifellos faßt Kant den Begriff des Systems in allen zuvor genannten Kontexten, in denen er gebraucht wird, als Idee der Vernunft auf, so dass sich die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der inneren Struktur bzw. der Selbsterkenntnis der Vernunft,9 dem Produkt derselben und der Realisierung der Idee stellt. Systeme, die Begriffe des Verstandes zum Gegenstand haben, müssen also außerdem noch durch die regulative Tätigkeit der Vernunft geformt sein; denn es widerstreitet erklärtermaßen der Natur des menschlichen Verstandes, die Teile durch das Ganze zu bestimmen.10 Darüber hinaus verdankt sich Kants Systembegriff auch einschlägigen Quellen der Philosophiegeschichte, die er genau kannte und würdigte, insbesondere der Systemform der Wolffschen Metaphysik.11 Das Dritte Hauptstück der »transzendentalen Methodenlehre« der KrV (»Die Architektonik der reinen Vernunft«) (KrV, B 860 ff. / A 832 ff.) ist eine ausgezeichnete Quelle, auf die sich ein Kommentar beziehen kann, der beabsichtigt, den im
Nachfolgend gebe ich lediglich eine kurze Stellensammlung: KrV, B XXII–XXIII; B 25 / A 12; A 64 f. / B 89; A 67 / B 92; A 80 f. / B 106; B 187–294 / A 148–235; B 869 / A 841; Prolegomena, § 39, Anhang zur reinen Naturwissenschaft (4:322–326); KU, Vorrede VI (5:168.30 f.); MS, Vorrede (6:205); Einleitung zur Tugendlehre (6:379.9); MS, Einleitung zur Tugendlehre (6:379.11); MS, Einleitung zur Tugendlehre, XVII, Anmerkung (6:412.4–6). Für mehr Details s. meinen Beitrag: Die Tugendlehre im System der praktischen Philosophie Kants. In: W. Euler, B. Tuschling (Hg.) (2013), Kants »Metaphysik der Sitten« in der Diskussion, 221–299, hier: 222 ff. Zu den Schwierigkeiten einer sorgfältigen Ermittlung der Eindeutigkeit in Kants Systembegriff vgl. Höffe, O. (1998), Architektonik und Geschichte, 617–645; Garelli, G. (1999), La teleologia secondo Kant, 21–78. Baum, M. (2001), Systemform, 25–40; König, R. (2001), Selbsterkenntnis der Vernunft, 41–52; Zöller, G. (2001), Die Seele des Systems, 53–72; vgl. Goy, I. (2007), Architektonik oder die Kunst der Systeme. 7 Vgl. MS, Vorrede, 6:207. 8 Vgl. MS, Vorrede, 6:206. 9 S. dazu König, R. (2001), Selbsterkenntnis der Vernunft, 41 ff. 10 Vgl. KU, § 77, 8. und 9. Abs. (5:407.13–409.22). 11 S. u. a. KrV, B XXXVI, B 864 / A 836. Vgl. dazu Baum, M. (2001), Systemform, 25 ff.; Höffe, O., Architektonik und Geschichte (1998), 617 ff. Zur Tradition des Systembegriffs in der Philosophie Wolffs und seiner Nachfolger s. Zöller, G. (2001), Die Seele des Systems, 53 ff. 6
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ersten Satz des ersten Abschnittes der EE vorausgesetzten Begriff von Philosophie zu bestimmen. Ich habe an anderen Stellen versucht, die damit verbundenen Verständnisprobleme erläuternd aufzulösen.12 Ohne im einzelnen allen Aspekten, die Interesse verdienten, nachzugehen, möchte ich hier nur die wesentlichen Bestimmungen aufgreifen und zusammenfügen, die für die Interpretation des ersten Abschnittes der EE von Bedeutung sein können. In dem Zusammenhang ist an das in meiner Einleitung zum Kommentar diskutierte methodische Problem der Abfassung eines philosophischen Textkommentars zu erinnern. Die dort geäußerten Vorbehalte gegenüber einer historisch-genetischen Betrachtungsweise bleiben auch hier gültig. Ein solches Unterfangen löst nur sehr bedingt und in Einzelfällen (unter bestimmten Voraussetzungen) interpretatorische Schwierigkeiten. An solchen Textstellen, die keine oder zu allgemeine und ungenaue Auskünfte über die verwendeten Hauptbegriffe geben, ist es, will man den Text in seinem Zusammenhang verstehen, notwendig, auf andere (zeitlich nahestehende) Schriften auszuweichen. Das Interpretationsproblem verschiebt sich dadurch nur scheinbar. Denn im Unterschied zum ersten Absatz der EE bietet in unserem Fall der Text des ArchitektonikKapitels eine gedankliche Fülle, die es erlaubt, das angegebene Interpretationsproblem genauer zu analysieren. Auch wenn es Mühe bereitet, dieses Kapitel zu entschlüsseln, ist es nicht hilfreich, vor solchen Bemühungen erst den Gang durch die philosophische Begriffsgeschichte anzutreten.13 Zu einem vorläufigen Ansatz in dieser Richtung vgl. vom Vf.: Kants Philosophiebegriff in der »Architektonik der reinen Vernunft« (KrV, B 865–879 / A 837–851) (2013); außerdem Euler, W. (2013), Die Tugendlehre, 223–227. Vgl. dazu u. a. Tonelli, G. (1994), Kant’s Critique of pure reason, 225; Höffe, O. (1998), Architektonik und Geschichte, 617–645; Fulda, F. / Stolzenberg, J. (Hg.) (2001), Architektonik und System. Ein historischer und systematischer Anhaltspunkt ist Kants Anknüpfung und Auseinandersetzung mit Lambert (s. den Brief von Lambert an Kant, 13.11.1765, 10: 51–54; s. auch 18:21, Reflexion 4893). Spätestens 1775 geht Kant auf kritische Distanz zu Lamberts Systemidee (vgl. dazu V. L. Waibel, Natur als ›Aggregat‹ und ›System‹. Kants implizite Auseinandersetzung mit Wolff und Lambert in der ›Ersten Einleitung in die Kritik der Urteilskraft‹. In: Kant und die Berliner Aufklärung. Akten des IX. Internationalen Kant-Kongresses. Hg. im Auftrag der Kant-Gesellschaft e.V. von V. Gerhardt, R.-P. Horstmann und R. Schumacher. Berlin, New York. 2001. Bd. 4, 667–675, spez. 670– 672). Zu Kants Begriff der »Architektonik« im Verhältnis zu Wolff und Lambert s. auch Goy, I. (2007), Architektonik oder die Kunst der Systeme, 28–33; Garelli, G. (1999), La teleologia secondo Kant, 24 f., 44 f. Zur Frage der Übereinstimmung oder Differenz bezüglich der Metaphorik im Ausdruck »Architektonik« zwischen Lambert und Kant vgl. Manchester, P. (2008), Kant’s Conception of Architectonic, 133 f. Zu Wolffs Begriff einer »Scientia Architectonica« vgl. Lüthje, H. (1925), Christian Wolffs Philosophiebegriff, 62. Zu dieser und anderen Quellen vgl. Tonelli, G. (1994), Kant’s Critique of pure reason, 245, 250–255. 13 Tonelli sieht keine andere Möglichkeit, die Unklarheiten des Architektonik-Kapitels zu beseitigen, als sich auf Lehrstücke aus anderen Phasen von Kants Denken zu beziehen und diese in einen Entwicklungsprozeß einzubinden. Er führt die Entstehung der Probleme, die der Text aufwirft – z. B. dasjenige der Klassifikation der Teile der Philosophie – allein auf die begriffsgeschichtliche Entwicklung, und nicht etwa auf die Existenz von philosophischen 12
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Ich möchte an dieser Stelle nicht wiederholen, was ich bei anderer Gelegenheit bereits ausgeführt habe.14 Ich fasse nur die wichtigsten Ergebnisse zusammen. Die wesentliche Bestimmung des Philosophiebegriffs ergibt sich im Architektonik-Kapitel der KrV aus dem, was dort als »Vernunfterkenntnis« bezeichnet wird.15 Die letztere ist nämlich dann philosophische Erkenntnis, wenn sie »aus Begriffen« erfolgt, d. h. nicht wie die »mathematische« »aus der Konstruktion der Begriffe« (durch Darstellung in der Anschauung a priori).16 Sie bezieht sich auf das »Denken« in einem weiteren Sinne, d. h. unabhängig von der einschränkenden Bedingung, dass sich ein Gedanke auf Gegenstände der sinnlichen Anschauung beziehen lassen muss.17 Man kann jedoch daraus nicht den Umkehrschluß ziehen, dass die Erkenntnis von Gegenständen der Erfahrung aus der »Vernunfterkenntnis« der Philosophie ausgeschlossen sei. Kant scheint vielmehr zu intendieren, diskursive Erkenntnis durch Begriffe des reinen Verstandes in das »System der Vernunfterkenntnis durch Begriffe« zu integrieren. Für diesen Begriff von Philosophie genügt es, dass Begriffe überhaupt aus der reinen Vernunft stammen, dass sie sich auf Objekte überhaupt bestimmend (konstitutiv) beziehen und dass sie (im Falle wahrer Erkenntnis) mit den in dieser Beziehung gegebenen Objekten übereinstimmen.18 Sachfragen zurück; so dass er auch die Auffassung vertritt, Schwierigkeiten solcher Art ließen sich generell und allein durch die Rekonstruktion einer Begriffsentwicklung beheben. Sein Kommentar zur Architektonik der KrV dokumentiert jedoch den geringen Erklärungswert entwicklungsgeschichtlicher Begriffsphänomene. Die bloß historische Verortung der Entstehung eines philosophischen Begriffs kann allein keine Auskunft geben über die begriffslogische Bedeutung und Begründungsfunktion in einem bestimmten Problemzusammenhang. Deshalb kann sie inhaltlich bedingte Interpretationsschwierigkeiten in ihrem Wesen auch nicht erkennen oder gar auflösen (vgl. Tonelli, G. (1994), Kant’s Critique of pure reason, 225, 246 u. ö.). 14 Euler, W. (2013), Die Tugendlehre, 223–228. 15 KrV, B 865 / A 837; vgl. EE I, 2. Abs. (20:195.13–14). Zum Gebrauch der Formel »System der Vernunfterkenntniß aus Begriffen« als Kennzeichnung der Philosophie (bzw. Metaphysik) vgl. u. a. MS, Einleitung, II., 5. Abs. (6:216.28–29); MS, Tugendlehre, Vorrede (6:375.2–3); Logik Jäsche (9:23.30–31). 16 Zur Konstruktion der Begriffe in der Anschauung vgl.die folgenden Stellen: KrV, B XII, A 165 / B 206; A 220 f. / B 268; A 223 f. / B 271; A 712 ff. / B 740 ff. Vgl. Wolff-Metternich, B.-S. von (1995), Die Überwindung des mathematischen Erkenntnisideals, 43 ff., 140 ff. Vgl. Zimmermann, St. (2011), Kants Kategorien der Freiheit, 200. 17 Vgl. KrV, B 743–745 / A 715–717; B 747–752 / A 719–724; B 865 / A 837; vgl. auch die Begriffskonstruktion in Bezug auf den Begriff des Rechts in MS, 6:233; zum Ausdruck »Erkenntnis durch Begriffe« des Verstandes (»diskursive« Erkenntnis des »Denkens«) vgl. B 283 / A 230; B 94 / A 69; vgl. Wolff, M. (1995), Die Vollständigkeit, 206–207. Des Weiteren erlaubt es der in Frage stehende Begriff der Erkenntnis auch, auf die praktische Bestimmung des Verstandesbegriffs der Kausalität bezogen zu werden, insofern er nämlich von der sinnlichen Bedingung der Erkenntnis von Objekten absieht (vgl. KpV, 5:49.13–50.13). 18 Wenn Kants Gebrauch des Ausdrucks »Erkenntnis« unabhängig davon gilt, ob die Erkenntnis wahr oder falsch ist, dann könnte »Vernunfterkenntnis durch Begriffe« auch falsche Erkenntnisse einschließen, d. h. Erkenntnisse, die als Urteile einen Widerspruch (in Form
I. Abschnitt: Philosopie als System
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Die beiden »Arten« von Vernunfterkenntnis (die mathematische und die philosophische) behandelt Kant im ersten Hauptstück der »transzendentalen Methodenlehre« der KrV (Erster Abschnitt, B 741 ff. / A 713 ff.). Sie werden nicht mit Rücksicht auf ihren Gegenstand oder Inhalt unterschieden, sondern durch ihre »Form« oder Methode des Erkennens (wobei beiden ihr apriorischer Ursprung, die Synthetizität und die Allgemeinheit ihrer Sätze gemeinsam ist): die mathematische Erkenntnis konstruiert Begriffe a priori in der reinen Anschauung und bezieht durch diese Tätigkeit das Allgemeine des Begriffs auf das Besondere des Objekts, das auf diese Weise durch den Begriff bestimmt wird (»intuitiver« Vernunftgebrauch, B 747 f. / A 719 f.); die philosophische bezieht das Besondere auf das Allgemeine. Das Besondere wird aber hier nicht durch Anschauung vermittelt, sondern ist selbst ein Begriff wie das Allgemeine (B 742 f.; »diskursiver« Vernunftgebrauch, B 747 f.), und zwar ein reiner Verstandesbegriff. Die philosophische Vernunfterkenntnis ist als synthetisches Urteilen a priori zu verstehen; sie hat »transzendentale« Sätze zum Ergebnis (B 748 / A 720). Ein »transzendentaler« Satz ist »ein synthetisches Vernunfterkenntnis nach bloßen Begriffen« (B 750 / A 722). Im Unterschied zur mathematischen Vernunfterkenntnis kann die philosophische nicht aus dem Begriff a priori, über den sie synthetisch urteilt, zur Anschauung »hinausgehen« (B 749 f. / A 721 f.) und daher auch nichts bestimmen. Innerhalb des Begriffs bezieht sie sich aber auf das, was auf der Begriffsseite dem Wahrnehmungs- oder Anschauungsgegenstand korrespondiert, d. i. auf den Begriff des »Dinges überhaupt« (B 748 / A 720). Auf den Gegenstand als »Ding überhaupt« bezogen, gibt der transzendentale Satz zwar die Bedingung oder die Regel an, nach der die Synthesis der empirischen Anschauungen und folglich auch die synthetische Einheit von empirischer Erkenntnis möglich wird (B 750 / A 722), aber er bezieht sich nicht auf eine Anschauung. Die so bestimmte Bedeutung und Funktion »transzendentaler Sätze« macht also das spezifisch Philosophische der Vernunfterkenntnis aus, und die Philosophie, sofern sie als Vernunfterkenntnis aus Begriffen verstanden werden soll, hat transzendentale Sätze zum Inhalt. Diese Konsequenz scheint nun aber im Hinblick auf das Interpretationsproblem im ersten Absatz von EE I in die Irre zu führen. Denn mit den transzendentalen Sätzen, so wie sie in KrV, B 752, näher bestimmt werden, könnten ja z. B. auch die Grundsätze des reinen Verstandes gemeint sein, so dass der Begriff von Philosophie mit dem »System der Grundsätze« zusammenfiele. Damit wäre aber die Unterscheidbarkeit zwischen Philosophie und Kritik nicht mehr gewährleistet. Wir betrachten daher eine weitere Bestimmung aus dem Architektonik-Kapitel der KrV, die für die Auslegung des in EE I verwendeten Philosophiebegriffs hilfreich sein könnte. Er betrifft die Unterscheidung zwischen »historischer« und »rationaler« Erkenntnis, die nur die subjektive, von objektiven Inhalten noch abstrahierende Erder Nichtübereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstand) enthalten (vgl. KrV, B 83 / A 58–59).
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
kenntnis betreffen soll (KrV, B 863 f. / A 835 f.).19 Die historische Erkenntnis illustriert Kant am Beispiel des philosophischen Systems Christian Wolffs. Eine solche Erkenntnis adaptiert nur überlieferte Wissensinhalte, es geht dabei um Kenntnisse, die nicht eigens eine kritische Beurteilung voraussetzen. Rationale Erkenntnis »aus Vernunft« aber muß demgegenüber »erzeugend« sein und nicht bloße Nachahmung. Es kommt hier nicht so sehr darauf an zu beurteilen, ob Kants Charakterisierung der Wolffschen Philosophie zutreffend ist. Festzuhalten ist aber, dass das Moment des selbsttätigen (freien) Hervorbringens und Gestaltens von Erkenntnis beim Philosophieren im Kontrast zu Wolff für Kants Philosophieverständnis von zentraler Bedeutung ist und deshalb auch in seinen Begriff von Philosophie Eingang gefunden hat. Bekanntlich hat er diesen Aspekt auf die in philosophischen Symposien und Seminaren heute noch oft zu vernehmende, dabei nicht selten unreflektiert benutzte Formel gebracht, man könne »höchstens nur philosophieren lernen«, nicht aber Philosophie, d. h. das bereits fertige Produkt (B 865 / A 887). Doch dieses Diktum ist nicht in einem absoluten Sinne zu verstehen. Es gilt nämlich nur so weit, bis auf dem Wege des Philosophierens die wahre Philosophie (nämlich in diesem Falle die kritische) gefunden worden ist.20 Soll die Philosophie zum System von Erkenntnis gebildet werden, dann ist der subjektive Aspekt als der sie »erzeugende« Akt des Philosophierens notwendig darauf angewiesen, sie auch »objektiv« zu machen. Das geschieht durch ihre Funktion als »Urbild der Beurteilung aller Versuche zu philosophieren« (B 866 / A 838).21 Jede ernstzunehmende philosophische Beschäftigung soll sich an diesem Muster orientieren. Demzufolge kann die Philosophie noch gar keine fertige Gestalt angenommen haben; sie ist vielmehr »eine bloße Idee von einer möglichen Wissenschaft, die nirgend in concreto gegeben ist […]« (ebd.). »Philosophieren« bedeutet also, diese Idee auszuführen mit dem Ziel, das Resultat mit dem »Urbild« in Übereinstimmung zu bringen und der Idee dadurch Objektivität zu verleihen. Kurz gesagt: Kants Ausführungen zeigen, dass der von ihm gebrauchte Begriff von Philosophie notwendig den subjektiven und den objektiven Aspekt, das Erzeugen und Bilden ebenso wie das Voraussetzen einer vorgefaßten Idee, enthalten muss. In Hinsicht auf den im ersten Absatz von EE I verwendeten Begriff von Philosophie bedeutet dies, dass es notwendig ist, mit demselben in seiner abstrakten Unbestimmtheit anzufangen, weil alle konkreteren Bestimmungen erst aus denjenigen Inhalten ermittelt werden müssen, die das »reale System der Philosophie« noch zu
Vgl. Logik Jäsche, 9:22. 20 Vgl. hierzu vom Vf.: Kants Philosophiebegriff in der »Architektonik der reinen Vernunft« (KrV, B 865–879 / A 837–851) (2013). 21 In einer analogen Betrachtungsweise wird in der KpV (1. Teil, 1. Buch, 1. Hauptstück, I. Von der Deduction der Grundsätze der reinen praktischen Vernunft, 4. Abs. (5:43) die Idee einer übersinnlichen Natur als »urbildliche (natura archetypa)«, die sensible dagegen als deren mögliche Wirkung »die nachgebildete (natura ectypa)« genannt (5:43.26–30). 19
I. Abschnitt: Philosopie als System
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entwickeln hat. Aus diesem Grunde ist die Philosophie in dem Sinne, in dem im ersten Absatz von ihr die Rede ist, noch gar nicht einteilbar in theoretische und praktische. Es muss dieser vielmehr erst noch eine andere Einteilung vorausgehen. Das Architektonik-Kapitel der KrV enthält noch einen weiteren Aspekt, der für die Bestimmung des am Anfang der EE verwendeten Philosophiebegriffs relevant ist, und das ist der des Organismus im Hinblick auf Erkenntnis. Dieser Gedanke nimmt in dem im Architektonik-Kapitel gegebenen Systementwurf eine Sonderstellung ein, insofern er den Szientismus beschreibt. Wissenschaftliche Erkenntnis (Philosophie) ist demzufolge an folgende Bedingungen gebunden: Sie muß erstens eine »systematische Einheit« aufweisen, die sie von einer bloß katalogisierten Sammlung von Kenntnissen unterscheidet und solche Konglomerate erst in ein System versetzt (B 860 / A 832). In zweiter Hinsicht beruht die systematische Einheit auf einer Vernunftidee im objektiven Sinne (entsprechend der weiter oben erwähnten »Urbild«-Funktion), die die begriffliche »Form eines Ganzen« und den »Zweck« enthält: »Ich verstehe aber unter einem System die Einheit der mannigfaltigen Erkenntnisse unter einer Idee. […] Der szientifische Vernunftbegriff enthält also den Zweck und die Form des Ganzen, das mit demselben kongruiert.« (KrV, B 860 / A 832) Die »Form des Ganzen« ist es also, die die Beziehung der Teile untereinander regelt, indem jene Form in der Bestimmung als Zweck dieselben auf die Einheit eines Ganzen bezieht. Durch die Idee als Zweck wird auf diese Weise sowohl der »Umfang des Mannigfaltigen« (in den zweckmäßigen Grenzen des Systems) als auch »die Stelle der Teile untereinander« a priori bestimmt. So gehört jeder Teil nicht zufälligerweise, sondern mit Notwendigkeit zu dem Ganzen und ist durch seine definierte Stelle nicht einfach ein »Teil«, sondern »Glied« des Ganzen (B 861 / A 833). Kant gebraucht den Ausdruck des Organischen im Architektonik-Kapitel der KrV noch nicht. Aber die Systemstruktur des Wissens als eines in sich zweckmäßig gegliederten Ganzen weist auf die Bestimmung des »organisierten Wesens« in § 65 der KU voraus.22 Die Ordnung der Teile wird außerdem mit Hilfe von Termini illustriert, die der zeitgenössischen Evolutionstheorie (genauer, der Theorie der Präformation) entnommen zu sein scheinen.23 So wird z. B. die Idee auch als »Keim« in der Vernunft vorgestellt, in welchem die Teile zwar numerisch vollständig enthalten, jedoch in der bildlichen Darstellung perspektivisch verkleinert (»eingewickelt«) und dadurch verborgen seien. Aus diesem »ursprünglichen Keim« entwickelt sich, nach Kants Vorstellung, der wissenschaftliche Gliederbau, indem sich die Vernunft im Gegenzug (quantitativ) erweitert (»auswickelt«) (B 862 f. / A 834 f.).24 Vgl. die Analogie zwischen der Organisation der reinen Vernunft und dem »Gliederbau eines organisirten Körpers« im Vorwort zu Prolegomena (4:263.6–19). 23 Vgl. dazu Tonelli, G. (1994), Kant’s Critique of pure reason, 249; Dörflinger, B. (2000), Das Leben, 7–26. 24 Deutlicher wird der Organismus-Aspekt bei Kant in der Vorrede zur zweiten Auflage der KrV (B XXIII), wo er aber nicht direkt auf die Philosophie oder das »System der Metaphy22
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Der Gesichtspunkt des Organismus, der die Teile eines Ganzen der Erkenntnis zu dessen funktionierenden Gliedern umdeutet, wird dadurch einsichtig, dass die Idee als ein einziger, bestimmter, »innerer« und »oberster« Zweck (d. i. als »Hauptzweck« der Vernunft) aufgefaßt wird. Diese Art von Zweck wird von der Vernunft durch ihre Tätigkeit a priori als ursprüngliche Einheit gesetzt. Er ist deshalb kein beliebiger Zweck, der zufälligen Veränderungen unterliegt. Die Zweckgerichtetheit der Teile ist in der Folge aber umgekehrt auch wieder Voraussetzung der »Einteilung des Ganzen in Glieder«, die der Idee gemäß sein muß. Aus der so (doppelt) bestimmten systematischen Einheit kann, wie Kant glaubt, die Wissenschaft »entspringen« (B 861 f. / A 833 f.).25 Kant determiniert den Begriff der Philosophie als »bloße[r] Idee von einer möglichen Wissenschaft« in der KrV (ab B 866 / A 833) schrittweise durch die Konkretisierung des Zweckbegriffs: Das gesuchte System hat nach dem »Schulbegriff« von Philosophie die »systematische Einheit« des Wissens als solche, d. h. die »logische Vollkommenheit der Erkenntnis« zum Zweck.26 Die Probleme, die mit Kants differenzierter Bedeutung und Verwendung des Ausdrucks der logischen Vollkommenheit verbunden sind, sind vielschichtig. Sie können hier nicht hinreichend genau erörtert werden. Dass die Beziehung oder die Anwendung der logischen Vollkommenheit auf den Zweckbegriff zugleich als Hervorbringung eines Vielen durch die übergeordnete Einheit begriffen werden muß, wird im Kommentar zum ersten Teil der Anmerkung zu EE VIII gezeigt werden. Dort wird es auch darum gehen, zu erklären, warum logische Vollkommenheit keine konstitutive Bestimmung des Schönen sein kann, obwohl sie den schönen Wissenschaften in gewisser Weise zum Grunde liegen soll (vgl. 9:39.25–27). Nach Kants Ausführungen in der Logik Jäsche gründet sich die Verschiedenheit zwischen der ästhetischen und der logischen Vollkommenheit von Erkenntnis sik« bezogen wird. Vgl. KrV, B XXXVII f.: die reine Vernunft als organischer Gliederbau; vgl. Baum, M. (2001), Systemform, 32. 25 In der Vorrede der KpV charakterisiert Kant die Bestimmung von Seelenvermögen auf die Weise, die er »philosophisch und architektonisch« nennt, durch das Erfordernis, »die Idee des Ganzen richtig zu fassen und derselben alle jene Theile in ihrer wechselseitigen Beziehung auf einander vermittelst der Ableitung derselben von dem Begriffe jenes Ganzen in einem reinen Vernunftvermögen ins Auge zu fassen. Diese Prüfung und Gewährleistung ist nur durch die innigste Bekanntschaft mit dem System möglich […]« (KpV, 5:10.8–14). Auf diese Weise hat systematische Erkenntnis eine quasi kreisförmige Verlaufsform, deren Ende »eine synthetische Wiederkehr zu demjenigen ist, was vorher analytisch gegeben worden« (ebd., 5:10.17–18; vgl. Fortschritte, 20:300). Ist diese Bewegung des Erkennens am Ziel, kann von der Vollkommenheit von Erkenntnis gesprochen werden. Denn erst eine systematische Einheit, die vollständig entwickelt ist, ist der Idee des Ganzen konform und damit vollkommen. 26 Vollkommenheit im Sinne einer »vollständige[n] zweckmäßige[n] Einheit«: »Die größte systematische, folglich auch die zweckmäßige Einheit ist die Schule und selbst die Grundlage der Möglichkeit des größten Gebrauchs der Menschenvernunft« (KrV, B 722, A 694). Vgl. die vorhergehende Fn.
I. Abschnitt: Philosopie als System
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auf die grundlegende Differenz von Anschauung und Begriff bzw. von Sinnlichkeit und Verstand (9:36.17–25). Obwohl sich die ästhetische Vollkommenheit im Unterschied zur logischen nur auf die (formale) Übereinstimmung der Erkenntnis mit dem Subjekt gründet und insofern wesentlich »formale« ästhetische Vollkommenheit ist (9:38.6), muß ihr doch als Vollkommenheit auch Allgemeinheit zukommen, d. h. dasjenige, welches in der Anschauung gefällt (das Schöne), muß Gegenstand eines allgemeinen Wohlgefallens sein können (9:36.34–37.4). Besteht nun zwischen der logischen und der ästhetischen Vollkommenheit der Erkenntnis »immer eine Art von Widerstreit, der nicht völlig gehoben werden kann« (nämlich »Einsicht« und »Faßlichkeit« (9:37.23–27)), so ist es nicht nur eine Forderung der menschlichen Natur, beide Vollkommenheiten miteinander zu vereinigen (9:37.32– 34), sondern die ästhetische Vollkommenheit verträgt sich auch mit der logischen und ist vorzüglich geeignet, sich mit ihr zu verbinden (9:37.11–13). Dabei ist die logische Vollkommenheit besonders ausgezeichnet als »die Basis aller übrigen Vollkommenheiten« (9:38.3–4). Kant nennt sie an anderer Stelle auch »scholastische Vollkommenheit«, die als »Gründlichkeit« das Medium wissenschaftlicher Einsicht ist (vgl. 9:47–48). Sie spielt eine grundlegende Rolle in Kants Definitionslehre, soweit sie Sache der Logik ist.27 Die Verschiedenheit zwischen logischer und ästhetischer Vollkommenheit der Erkenntnis besteht jedoch nicht nur im Allgemeinen, sondern auf beiden Seiten auch in Hinsicht auf die besonderen Merkmale der vier Elementarkategorien der Quantität, der Qualität, der Relation und der Modalität; die Erkenntnis ist in der Konsequenz dann allgemein, deutlich, wahr und gewiß (9:38.15–39.14, 40 ff.). Es sind also die logischen Formen des Verstandes, die Übereinstimmung zwischen ästhetischer und logischer Vollkommenheit herstellen. Und alle Vollkommenheiten besitzen das allgemeine Merkmal der »Vollkommenheit überhaupt«, nämlich Mannigfaltigkeit und Einheit (im Begriff oder in der Anschauung) (9:39.15–18). Im Architektonik-Kapitel behauptet Kant nun aber ergänzend, dass der »Benennung« der Philosophie als eines Systems nicht bloß ein »Schulbegriff«, sondern auch ein »Weltbegriff« zugrunde liege (B 866 / A 838).28 Er betreffe dasjenige, was notwendig im Interesse jedes Menschen liege (B 867 / A 839, Fn.). Philosophie ist insofern »die Wissenschaft von der Beziehung aller Erkenntnis auf die wesentlichen Zwecke der menschlichen Vernunft (teleologia rationis humanae)« (B 867 / A 839). Die Vernunft ist in Hinsicht auf diese Zwecke gesetzgebend. In diesem Zweckverband muß es einen einzigen höchsten Zeck geben, der erst die systemati-
Vgl. Logik Jäsche, AA 9, § 105, Anm. 2, § 107 (S. 143–145); vgl. dagegen KrV, B 755–760 / A 727–732, wo der Ausdruck »logische Vollkommenheit« keine Erwähnung findet. 28 Vgl. dazu Hinske, N. (2013), Kants Verankerung der Kritik im Weltbegriff, 263–276. Vgl. auch Logik Jäsche: »Philosophie ist also das System der philosophischen Erkenntnisse oder der Vernunfterkenntnisse aus Begriffen. Das ist der Schulbegriff von dieser Wissenschaft. Nach dem Weltbegriffe ist sie die Wissenschaft von den letzten Zwecken der menschlichen Vernunft« (9:23.30–34). 27
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
sche Vernunfteinheit zur Vollkommenheit bringt und dem alle anderen Zwecke als dessen Mittel untergeordnet sind. Das ist der »Endzweck«. Dieser wird nun inhaltlich determiniert als »die ganze Bestimmung des Menschen«. Die Philosophie, die sich damit befasst, ist die »Moral«. Der höchste Zweck, so folgern wir, ist also ein moralischer Zweck; die Moral befindet über die systematische Vollständigkeit der Philosophie als Vernunftwissenschaft (B 868 / A 840).29 Wenn nun Philosophie als die »Gesetzgebung der menschlichen Vernunft« verstanden werden kann (B 868), so drückt sie sich hinsichtlich ihrer beiden Gegenstände – Natur und Freiheit – in Form des Naturgesetzes und des Sittengesetzes aus. Diese sollen dann in zwei besondere philosophische Systeme gehören und am Anfang der Ausführung der Idee des philosophischen Systems stehen, am Ende aber wieder »in einem einzigen philosophischen System« vereint werden.30 Eine solche Zielvorstellung von der Abgeschlossenheit eines Systems philosophischer Erkenntnis entspricht Kants Idee von einer Architektonik der reinen Vernunft, die die Erwartung nährt, »es dereinst bis zur Einsicht der Einheit des ganzen reinen Vernunftvermögens (des theoretischen sowohl als praktischen) bringen und alles aus einem Princip ableiten zu können« (KpV, 5:91.2–5). Dieses Bestreben entspringt einem »Bedürfnis der menschlichen Vernunft«, das erst dann befriedigt ist, wenn die Erkenntnis zu einer »vollständig systematischen Einheit« gelangt ist (5:91.5–7). Aus der dargestellten Gesamtskizze ergibt sich natürlich eine Reihe grundlegender Fragen und Probleme, die die Philosophie als System von Vernunfterkenntnis insgesamt betreffen, etwa die folgenden: In welchem Verhältnis stehen die beiden besonderen Systeme zueinander, bzw. wie lassen sich Natur und Freiheit aufeinander beziehen? Ist jedes der beiden Systeme der Idee des Ganzen als des moralischen Endzwecks angemessen? Und worin besteht eigentlich die Angemessenheit? Worin stimmt insbesondere das System der Naturerkenntnis mit der höchsten Idee zusammen? Diese und ähnliche berechtigte Fragen überschreiten die Möglichkeiten eines Kommentars zu beiden Einleitungen in die KU. Er kann zwar Hilfestellungen, aber keine Antworten zu finden hoffen, zumal endgültige Klärungen nicht zu erwarten wären und daher auch nicht angestrebt werden sollten.31 Denn es ist erst den Bemühungen der nachkantischen Philosophie, insbesondere in der Gestalt der Systementwürfe im Deutschen Idealismus (Fichte, Schelling, Hegel) zu verdanken, Diesen Aspekt hat R. Loock in seiner Monographie zu recht stark gemacht; aber er hat die Systemidee der KU streng darauf ausgerichtet und dabei verbogen. (Loock, R. (1998), Idee und Reflexion; vgl. meine Buchbesprechung in: Kant-Studien, 94. Jg. (2003), 362–368). 30 KrV, B 868 / A 840; vgl. MS, Vorrede, 6:205. 31 Der Kommentar verweigert insbesondere die Festschreibung einer Antwort auf die Frage nach dem Erfolg der Vereinheitlichung des philosophischen Systems beim kritischen Kant. U. Vogel hat die Frage nach der Einheit des philosophischen Systems bei Kant im Zusammenhang mit den drei Kritiken gestellt (vgl. Vogel, Hat er oder hat er nicht? (2004), 293– 317). Seine Untersuchung führt zu dem Ergebnis, Kant habe in Wahrheit »zwei Systeme und eine Brücke« (d. i. das System der Natur und das der Sitten, sowie die KU als Intermediator ohne eigenen Gebietsanspruch) geliefert. 29
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dass die Wiederaufnahme der zitierten bedeutenden Fragen mit dem Ziel einer teils Kant ergänzenden und reformierenden, teils überwindenden Beantwortung in den Mittelpunkt der Philosophie rückte.32 Ich fasse die wesentlichen Bestimmungen, die sich aus dem Architektonik-Kapitel der KrV für das »System« der »Vernunfterkenntnis« »aus Begriffen« ergeben und die den Inhalt des kritischen Begriffs der Philosophie ausmachen, zusammen, um dann danach zu fragen, ob und inwieweit sie zur Klärung der Bedeutung des im ersten Absatz der EE verwendeten Philosophiebegriffs beitragen können: Erstens ist die Vernunfterkenntnis »aus Begriffen« darin philosophisch, dass sie synthetische Urteile a priori produziert, ohne diese auf Anschauung zu beziehen. Was im Urteil aufeinander bezogen wird, ist der Begriff eines ›Dinges überhaupt‹ als des Besonderen des Subjektbegriffs auf das Allgemeine des Prädikats, dessen Allgemeinheit dadurch eingeschränkt ist, dass es keine mathematische Erkenntnis enthalten soll. Zweitens ist die Vernunfterkenntnis »aus Begriffen« dadurch philosophisch, dass sie selbstproduzierend ist. Die Philosophie bringt ihre Erkenntnis aus sich selbst hervor und bildet sich zum System. Die Tätigkeit ist eine Handlung der Vernunft. Drittens geht die Tätigkeit von einer höchsten Idee aus, die zugleich Form und Zweck des Ganzen ist, und zwar Form als systematische Einheit in der Verbindung der Teile, die zu ein und demselben Ganzen gehören; Zweck als besondere Art der (logischen) Beziehung der Teile auf das Ganze (Identität in der Differenz der Teile und damit auch Identität in der Differenz der Teile und des Ganzen). Viertens organisiert der Zweck die Vernunfterkenntnis zu einem Ganzen, in dem alle Teile als Glieder ihre notwendige (allgemeine und spezifische) Stelle haben. Fünftens ist der höchste Zweck, der das System der Vernunfterkenntnis aus Begriffen organisiert, zugleich moralisch gesetzgebend und bestimmt als vollständige Bestimmung des Menschen. Der zuletzt angeführte Systemanspruch in Bezug auf Kants Begriff von Philosophie ist in der »Methodenlehre« am Ende der KU als Grundriß eines Systems der Zwecke zu erkennen, an dessen Spitze der Mensch in seiner moralischen Qualität als »Endzweck« der Schöpfung steht (KU, §§ 82–84, 86). Ergänzend ist noch hervorzuheben, dass die Philosophie – historisch und systematisch betrachtet – nur eine einzige sein kann, weil es eben nach Kant auch nur Eine menschliche Vernunft gibt.33 Von den aus dem Architektonik-Kapitel der KrV gewonnenen Bestimmungen von Philosophie als dem System der Vernunfterkenntnis aus Begriffen ist keine mit zwingender Notwendigkeit auf den Philosophiebegriff im ersten Absatz der EE zu
S. dazu E. Förster (2011), Die 25 Jahre der Philosophie. Eine systematische Rekonstruktion. Frankfurt a.M.: Klostermann (Philosophische Abhandlungen Bd. 102). 33 Vgl. MS, Vorrede, 6:207. Der Aspekt der numerischen Einheit der Philosophie wird im Kommentar zu E I näher beleuchtet (vgl. Kommentar, S. 363 ff.). 32
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
übertragen; aber keine davon ist auch notwendig von ihm auszuschließen. Es ergeben sich daraus zwei Anhaltspunkte: 1) Dem System der Vernunfterkenntnis geht eine »Idee« desselben voraus, insofern es Aufgabe der »Kritik der reinen Vernunft« ist, diese zu entwerfen und zu prüfen. 2) Kant spricht in der »Anmerkung« innerhalb des ersten Abschnittes der EE von den »Glieder[n]« der Einteilung der Philosophie (20:197.14). Das deutet zumindest auf die zweckbestimmte Organisation des Systems hin. Die »Anmerkung« enthält selbst keine Anhaltspunkte dafür, wie der dort verwendete Begriff von Philosophie zu interpretieren ist. Die Methodenlehre der teleologischen Urteilskraft weist später aber darauf hin, dass die Ausführung der KU im Ganzen, d. h. ihre Systemerfüllung auf einen moralischen Zweck, der zugleich Endzweck der Schöpfung ist, gerichtet sein muß.34 Im ersten Abschnitt der Einleitung fehlen die von Kant in EE, Absatz 1 bis 2, angestellten Überlegungen. Kant beginnt dort direkt mit der Betrachtung der auf die philosophischen Inhalte bezogenen »Einteilung«. So kann man für die Lösung des bisher analysierten Interpretationsproblems von der publizierten Fassung der Einleitung auch notgedrungen keine erborgte Hilfe erwarten.
Erster Absatz: Philosophie in Differenz zur »Kritik« Den folgenden Ausführungen kann man zur leichteren Übersicht folgendes graphische Schema beifügen: Reine Philosophie (»System der reinen Philosophie«) Propädeutik der »Kritik der reinen Vernunft« / (Transzendentalphilosophie)
»System reiner philosophischer Erkenntnis« / (»System der reinen Vernunft«) / »System der Vernunfterkenntnis durch Begriffe« (Philosophie) Logik / Realphilosophie Theoretische / Praktische Philosophie (Phil. d. Natur) / (Phil. d. Sitten)
Die Hauptaussage des ersten Absatzes besteht in der Unterscheidung zwischen dem was von Kant als »Philosophie« bezeichnet wird, und »einer Critik der reinen Vernunft«. Dem Text ist unmittelbar nur zu entnehmen, dass die hier angeführte Kritik »nicht als Theil zu einem solchen System gehört« wie es von der »Philo34
Vgl. KU, § 84, 3.–5. Abs.; § 86, 2. bis 6. Abs. und Anm. (5:435–436, 443–447).
I. Abschnitt: Philosopie als System
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sophie« verkörpert wird (20:195.7–8). Die Begründung für diese Behauptung ist nicht sofort ersichtlich. Sie muss sich deshalb einerseits aus den Aufgaben und der Bedeutung dessen, was Kant eine »Critik der reinen Vernunft« nennt, ergeben, andererseits muss sie sich aus dem im vorhergehenden Exkurs beschriebenen »System der Vernunfterkenntniß durch Begriffe« (20:195.4–5) erschließen lassen. Es kann nicht einmal von vornherein ausgeschlossen werden, dass die gemeinte »Critik der reinen Vernunft« in anderer Weise als in der eingangs dieses Kapitels dargestellten architektonischen Form zu jenem »System« gerechnet werden kann. Es scheint bloß ausgeschlossen zu sein, sie dem im zweiten und dritten Absatz des ersten Abschnittes genannten zweigliedrigen System als einen dritten Teil anfügen zu dürfen. Welche Feststellungen lässt der erste Absatz von EE I in Bezug auf die »Critik der reinen Vernunft« (als System der drei Kritiken gedacht) zu? Kant bestimmt den Ausdruck Kritik der reinen Vernunft indem er bemerkt, diese »Critik« beinhalte »eine philosophische Untersuchung der Möglichkeit« einer »Vernunfterkenntniß durch Begriffe« (20:195.4–5). Ihre Aufgabe soll indessen eine zweifache sein: einerseits die zitierte »Untersuchung« durchzuführen, andererseits die »Idee« des Systems der Vernunfterkenntnis, d. h. der Philosophie, zu ›entwerfen‘ und zu ›prüfen‘, bevor dieses »System« selbst zur Ausführung gebracht werde. Einen ersten Ansatz dieses Entwurfs und der mit ihm unternommenen Prüfung der »Idee« hat der Leser hauptsächlich (aber nicht ausschließlich) im Architektonik-Kapitel der KrV zu suchen (vgl. KrV, B 866 / A 838). Denn dieses enthält ja, wie in der ersten Erläuterung oben dargelegt, den Versuch, genau diese Idee näher zu bestimmen. Aber liegt damit auch schon eine abgeschlossene Prüfung dieser Idee vor? Die verlangte Prüfung kann im Architektonik-Kapitel der KrV nur in der begrifflichen Analyse ihrer formalen (logischen) und inhaltlichen Gesichtspunkte und in der Ausscheidung dessen, was nicht zu dieser Idee gehören kann, bestehen. Damit werden die Grenzen abgesteckt, die an der angegebenen Stelle das Ergebnis der Prüfung sind (»philosophisch« bedeutet demzufolge: nicht mathematisch, nicht zusammengehäuft, nicht empirisch, nicht bloß subjektiv zu sein). Man muss sich aber bei der Aufgabenbestimmung der »Kritik der reinen Vernunft« eigentlich auf alle drei Kritiken beziehen, denn mit »einer« Kritik der reinen Vernunft ist hier genaugenommen nicht nur die KrV von 1781/87 gemeint, sondern das System der drei kritischen Hauptwerke insgesamt.35
Auf diesen Umstand hat P. Giordanetti wiederholt hingewiesen (vgl. P. Giordanetti (2013), Kants neue Kritik der reinen Vernunft. In: Kant und die Philosophie in weltbürgerlicher Absicht. Akten des XI. Kant-Kongresses 2010, 555–566). – R. Brandt glaubt in Kants Äußerungen am Anfang der KU den Gedanken einer vierten Kritik identifizieren zu können. Damit stützt er ungewollt den Verdacht von einer angeblich in Kants KU enthaltenen »vierten Kritik« (s. J. Freudiger (1996), Kants Schlußstein. Wie die Teleologie die Einheit der Vernunft stiftet. In: Kant-Studien 7 (1996), 423–435), den er ja eigentlich – und zwar zu recht – kritisiert (vgl. R. Brandt (2007), Die Bestimmung des Menschen, 503). Mit der dritten Kritik und ihren darin enthaltenen beiden Teilen der Kritik der ästhetischen und der Kritik der teleologischen Urteils35
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
kraft, die ebenso wenig voneinander ablösbar sind wie etwa die transzendentale Ästhetik und die transzendentale Logik in der Kritik der reinen Vernunft, ist jedoch das Unternehmen der »Kritik« faktisch abgeschlossen. Denn Kant hat damit alle intellektuellen Erkenntnisvermögen – Verstand, Vernunft, Urteilskraft – abgehandelt, indem er gezeigt hat, dass jedes dieser Vermögen auf seine je besondere Weise einen eigenen Geltungsbereich seines Prinzips beansprucht und zugleich notwendig darauf beschränkt bleiben muss. Eine »systematisch notwendige[] Position jenseits der vorhandenen drei Kritiken«, die Brandt behauptet, gibt es nicht. Brandt zitiert zur Absicherung seiner Behauptung unsere Stelle aus der Vorrede der KU und bezieht sie auf Einleitung 5:179.10–15 (Brandt, ebd., 497). Er behauptet nun dazu, durch den (neuen) Titel der »Kritik der reinen Vernunft«, der die drei Teile »der Kritik des reinen Verstandes, der reinen Urtheilskraft und der reinen Vernunft« (Kant , KU, E III, 5. Abs., 5:179.10–15) umfasse, werde die »ursprüngliche« Kritik der reinen Vernunft von 1781 bzw. 1787 »umbenannt« und »umfunktioniert« in eine »‘Kritik des reinen Verstandes‘« (Brandt, 497). Die neue Funktion besteht seiner Meinung nach in der Reduktion auf eine Kritik der konstitutiven Verstandesleistungen (Brandt, S. 501). So wie Kant die drei Kritiken zu einem System verbunden wissen will, so hat man auch die drei (oberen) Erkenntnisvermögen Verstand, Urteilskraft, Vernunft als System zu verstehen, die allesamt Konkretionen der einen Vernunft sind. Verstand und Urteilskraft heißt die Vernunft dann nur deswegen, weil sie im Hinblick auf eine je besondere, und zwar konstitutive Gesetzgebungsfunktion betrachtet wird. Diese Gesetzgebungsfunktion hat die Vernunft als Verstand auch in der KrV. Darüber hinaus ist sie aber noch der Selbstkontrolle der Vernunft ausgesetzt, um über ihre dialektischen Verstrickungen aufzuklären. Man kann mit Kant (auf der Grundlage des Textes der KpV) auch sagen: der Verstand steht in einem zweifachen (theoretischen und praktischen) Verhältnis zur Erkenntnis. In Beziehung auf den reinen Willen ist er als »der reine Verstand (der in solchem Falle Vernunft heißt)« praktisch (5:55.11–15). Der Gebrauch der Begriffe »Verstand« und »Vernunft« ist von Anfang an nicht feststehend. Der Titel »Kritik der reinen Vernunft« ist also keineswegs »ein falscher Titel« (Brandt, 498), sondern ganz berechtigt und plausibel, insofern er sich auf die reine Vernunft im konstitutiven (qua Verstand) und im regulativen Gebrauch (qua Vernunft) bezieht. Passender ausgedrückt könnte der Titel der ersten Kritik lauten: »Kritik der reinen Vernunft als Kritik der Vernunft als des Verstandes und der Vernunft«. Dass mit dem Titel »Kritik des reinen Erkenntnisvermögens überhaupt« (5:176.26) bzw. »Kritik der oberen reinen Erkenntnisvermögen« (20:243.17) keine der drei gelieferten Kritiken in specie gemeint sein kann, ist evident (vgl. demgegenüber KpV, Einleitung, 1. Abs., 5:15.3–8). Ebenso wenig meint das »System der Kritik der reinen Vernunft« den Titel des Buches von 1781/87. Aber es ist aus demselben Grunde auch keine »Vierte Kritik« gemeint (Brandt, 498), sondern mit dem »System« der drei Kritiken führt Kant nur einen Titel ein, der die Ordnung und den Zusammenhang der bereits verfaßten drei Kritiken bezeichnen soll. Dazu muss keine vierte Kritik (quasi als »Meta-Kritik«) konzipiert werden. Denn diese Ordnung ist dreigliedrig, wobei der KU als der dritten Kritik eben die spezielle Funktion beizumessen ist, die systematische Verbindung zwischen der Metaphysik der Natur und der Sitten zu begründen, mittelbar aber auch die Einheit und den Bezugspunkt der beiden ersten Kritiken herzustellen. Wollte man der dritten Kritik noch mehr zumuten, etwa die Begründung eines eigenen Wissenschaftsgebietes unter der Verwaltung der bestimmenden Urteilskraft, dann würde – so die von Kant selbst experimentierend und vorausschauend ausgesprochene Konsequenz – »dazu wiederum eine andere Urteilskraft erforderlich sein […], um unterscheiden zu können, ob es der Fall der Regel sei oder nicht« (Vorrede, 5. Abs.; 5:169.13–14). Die Funktion, die Kant der reflektierenden Urteilskraft in der KU zugedacht hat, schließt es also kategorisch aus, dass die Möglich-
I. Abschnitt: Philosopie als System
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Es wären also alle drei Kritiken nach der Art und dem Ergebnis der geforderten Prüfung zu befragen. Am ehesten wäre sie noch von der dritten Kritik zu erwarten, weil diese ja nicht nur das System der KrV komplettieren sondern auch die Vereinigung der beiden Teile der Metaphysik und ihren Übergang ineinander gewährleisten soll (d. h. innerhalb der KU wird die Grenze zwischen dem System der Kritik und dem System der Philosophie gesetzt und wieder aufgehoben). Eine Prüfung wie die geforderte ist jedoch eigentlich in keiner der drei kritischen Hauptschriften anzutreffen, es sei denn, man versteht unter dieser Aufgabe nur den Nachweis der Möglichkeit der Vernunfterkenntnis der Gegenstände der (realen) Philosophie »aus Begriffen« (2. Abs.) (also das, was als erste Aufgabe der KrV verstanden wurde). Aber zwischen beiden Aufgaben verläuft m. E. gerade die Grenzlinie, die zwischen dem System der Philosophie und dem System der Kritik unterscheiden soll. Eine echte Prüfung der Idee der Philosophie kann nach Kants eigenen Ansprüchen nur darin bestehen, die systematische Einheit der ausgeführten Teile der Metaphysik (der Natur und der Sitten) nachzuweisen. Nun hebt Kant in der Vorrede zur zweiten Auflage der KrV einerseits deutlich genug hervor, dass die »Kritik der reinen spekulativen Vernunft« nicht mehr als ein »Traktat von der Methode«, somit »nicht ein System der Wissenschaft selbst« sein könne (B XXII). Aber andererseits behauptet er zugleich, sie skizziere »den ganzen Umriß« jener Wissenschaft, und zwar »sowohl in Ansehung ihrer Grenzen, als auch den ganzen inneren Gliederbau derselben« (ebd.), und das heißt, sie gibt den Konstruktionsplan »zu einem System der Metaphysik« gemäß einer Idee zweckmäßiger Organisation nach dem Modell eines organischen Körpers. Nach diesem Prinzip organisiert sich die Kritik der Erkenntnisvermögen einerseits in sich selbst (als eine Einheit der Kritik), andererseits aber auch in der Auswahl und Bestimmung ihrer Objekte als Teile einer Wissenschaft (KrV, B XXIII). Im Architektonik-Kapitel der KrV wird die »Kritik« (die m. E. auch dort an der zitierten Stelle nicht zwingend auf die erste der drei kritischen Hauptschriften beschränkt werden muß) als »Propädeutik« vom »System der reinen Vernunft«, d. i. von der Metaphysik, unterschieden.36 Ihre Aufgabe soll es sein, »das Vermögen der Vernunft in Ansehung aller reinen Erkenntnis a priori« zu untersuchen. Aber sie ist dort im Unterschied zu unserem Text aus der EE ausdrücklich auch in den Umfang der »reinen Philosophie« einbezogen (»mit Inbegriff der Kritik«) (B 869 /
keit einer vierten Kritik überhaupt nur in Erwägung gezogen wird. Im Unterschied zu Kants Brief an Reinhold vom 18.12.1787, den Brandt zur Unterstützung seiner These von der vierten Kritik zitiert, hat Kant in der KU nirgendwo davon gesprochen, dass er »drey Theile der Philosophie erkenne« (10:514.24–36; Brandt, R., ebd., 501). 36 S. auch KU, Vorrede (5:168.23–37); KrV, Einleitung, B 25. Diese Abgrenzung widerspricht keineswegs Kants Dementi in der »Erklärung in Beziehung auf Fichtes Wissenschaftslehre«, er habe »bloß eine Propädevtik zur Transscendental=Philosophie, nicht das System dieser Philosophie selbst, liefern wollen« (vgl. 12:371.1–3). Vgl. O. Höffe (1998), Architektonik und Geschichte der reinen Vernunft, 625 f.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
A 841). Die »reine Philosophie« (die laut Kant ebenso als »Metaphysik« bezeichnet werden darf) hat »sowohl die Untersuchung alles dessen, was jemals a priori erkannt werden kann, als auch die Darstellung desjenigen, was ein System reiner philosophischer Erkenntnisse dieser Art ausmacht«, zum Gegenstand (B 869 / A 841). Die Einteilung in theoretische und praktische Philosophie, die anschließend an derselben Stelle beschrieben wird, ist dann auf die »Darstellung« des Systems philosophischer Erkenntnisse zu beziehen. Nach dieser Erläuterung scheint es zumindest so, als ob auch die im ersten Absatz der EE thematisierte »Critik der reinen Vernunft« ursprünglich zur Philosophie als dem »System der Vernunfterkenntnis durch Begriffe« gehören sollte. Denn die »Untersuchung«, die sie im Hinblick auf die »Möglichkeit« jener spezifischen (d. h. philosophischen) Erkenntnis durchzuführen hat, soll ja explizit eine solche sein, die das Prädikat »philosophisch« verdient. Diese »philosophische Untersuchung« ist, so behauptet Kant, in der »Critik der reinen Vernunft« enthalten. Das Unternehmen der letzteren bereitet also auf die noch auszuführende Philosophie vor und setzt sie als besondere Methode der Untersuchung voraus. Man kann sich natürlich fragen, was dasjenige eigentlich ist, was der kritischen Untersuchung durch das Attribut »philosophisch« beigefügt wird. Sofern man davon ausgehen kann, dass hier nicht einfach ein Begründungsfehler vorliegt dergestalt, dass wir es mit einem Doppelsinn des Ausdrucks »philosophisch« (bzw. »Philosophie«) zu tun haben, so läßt sich vielleicht sagen: Die kritische Untersuchung der Möglichkeit der Philosophie kann von ihrer Ausführung als Vernunfterkenntnis oder Metaphysik nicht in einem absoluten Sinne getrennt werden. Die philosophische Methode und die Philosophie als solche bilden vielmehr eine untrennbare Einheit. Der Titel »Kritik der reinen Vernunft« im umfassenderen Sinne (als System der drei Kritiken) scheint dem zu entsprechen, was Kant in der ersten Kritik »Transzendental-Philosophie« genannt hat. Er definiert diese als »die Idee einer Wissenschaft, wozu die Kritik der reinen Vernunft den ganzen Plan architektonisch, d. i. aus Prinzipien, entwerfen soll, mit völliger Gewährleistung der Vollständigkeit und Sicherheit aller Stücke, die dieses Gebäude ausmachen. Sie ist das System aller Prinzipien der reinen Vernunft« (KrV, B 27). Diese Transzendental-Philosophie ist insofern von der »Kritik« (d. i. dem Buch der ersten Kritik) unterschieden als die letztere mangels einer »ausführliche[n] Analysis der ganzen menschlichen Erkenntnis a priori« – einer Ausführung, die Kant teils als unnötig, teils als leicht zu ergänzen beurteilt – kein »vollständiges System« sein kann. Die KrV enthält insofern schon alles was die Transzendental-Philosophie betrifft; sie ist die »vollständige Idee« derselben (B 28 / A 14) und insofern die Idee der »Idee einer Wissenschaft« (vgl. B 27); aber sie ist nicht identisch mit der ausgeführten Idee der TranszendentalPhilosophie als Wissenschaft aufgrund der eben erwähnten Unabgeschlossenheit der Analysis (B 28 / A 14). Das Philosophische in der Untersuchung, die die »Kritik der reinen Vernunft« (als System der drei Kritiken) laut des ersten Absatzes von EE I zu leisten hat, ist also die Analysis der Erkenntnisvermögen im Hinblick auf die Synthesis a priori der Er-
I. Abschnitt: Philosopie als System
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kenntnis. Diese Untersuchung hat Kant – allerdings noch mit der Beschränkung auf die erste Kritik – so charakterisiert: »Diese Untersuchung, die wir eigentlich nicht Doktrin, sondern nur transzendentale Kritik nennen können, weil sie nicht die Erweiterung der Erkenntnisse selbst, sondern nur die Berichtigung derselben zur Absicht hat, und den Probierstein des Werts oder Unwerts aller Erkenntnisse a priori abgeben soll, ist das, womit wir uns jetzt beschäftigen. Eine solche Kritik ist demnach eine Vorbereitung, wo möglich, zu einem Organon, und wenn dieses nicht gelingen sollte, wenigstens zu einem Kanon derselben, nach welchem allenfalls dereinst das vollständige System der Philosophie der reinen Vernunft, es mag nun in Erweiterung oder bloßer Begrenzung ihrer Erkenntnis bestehen, sowohl analytisch als synthetisch dargestellt werden könnte« (KrV, B 26 / A 12). Auch die Vorrede zur KU kann zur Unterstützung der Vermutung, dass die »Critik der reinen Vernunft« selbst ein Lehrstück ist, das zur Philosophie gehört, zitiert werden. Zwar hebt Kant dort gleichfalls hervor, dass die Prinzipien der KU (wie die der »Critik der reinen Vernunft« insgesamt, von der sie einen besonderen Teil ausmachen) innerhalb des »System[s] der reinen Philosophie« nicht als besonderer Teil »zwischen der theoretischen und praktischen« angesiedelt werden dürfen; aber dann erscheint es ebenso als unausweichlich, jene Prinzipien »im Notfalle jedem von beiden gelegentlich« anzuschließen.37 Diese Deklaration kann nur so gedeutet werden, dass die »Critik der reinen Vernunft«, die den systematischen Gesamtrahmen bereitstellt, in den die Prinzipien der KU gehören, bei Bedarf (wahlweise, disjunktiv) sowohl auf den theoretischen als auch auf den praktischen Teil der Philosophie zu beziehen ist und insofern zur Metaphysik im weiteren Sinne gerechnet wird, sofern sie ihre kritische Funktion zur Überwachung der Grenzen und des Umfangs aller philosophischen Erkenntnis a priori38 und ihre Verbindungs- oder Brückenfunktion erfüllen können soll. Damit diese doppelte Relation möglich ist, muss vorausgesetzt werden können, dass die Prinzipien der KU selbst ihrer Natur nach zweiseitig determiniert sind, d. h. sowohl theoretisch als auch praktisch sind.
KU, Vorrede, VI (5:168.26–30). Vgl dazu Vorrede zur KpV: »Auf diese Weise wären denn nunmehr die Principien a priori zweier Vermögen des Gemüths, des Erkenntniß- und Begehrungsvermögens, ausgemittelt und nach den Bedingungen, dem Umfange und Grenzen ihres Gebrauchs bestimmt, hiedurch aber zu einer systematischen, theoretischen sowohl als praktischen Philosophie als Wissenschaft sicherer Grund gelegt.« (5:12.1–5) 37
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Zweiter bis dritter Absatz: Einteilung des Systems der Philosophie Der zweite und der dritte Absatz des ersten Abschnittes der EE nehmen in zwei aufeinander folgenden Schritten »die Eintheilung des Systems« vor. Unter »System« ist hier das System der Philosophie zu verstehen, das im ersten Absatz von der Kritik der reinen Vernunft unterschieden worden ist (der Philosophiebegriff im engeren Sinne).39 Der zweite Absatz bereitet das Thema des dritten vor, indem hier eine erste Einteilung vorgenommen wird, die sich im dritten Absatz fortsetzt. Ich werde die beiden benannten Schritte des Einteilens nun nacheinander kommentieren.40 1. Die erste Einteilung stellt zwei Teile des »Systems«, das die Philosophie ausmachen soll, einander gegenüber: einen formalen und einen materialen (realen).41 Gegenstand des formalen Teils, der in Parenthese auch als »die Logick« betitelt wird, ist »blos die Form des Denkens in einem System von Regeln« (EE I, 2. Abs. [20:195.11–12]).42 Damit ist die Logik als eine Wissenschaft gemeint, die Kant in der KrV, vor allem in der Vorrede zur zweiten Auflage, als eine solche beschreibt, die »nichts als die formalen Regeln alles Denkens« darlegt und beweist und insofern »von allen Objekten der Erkenntnis und ihrem Unterschiede« abstrahiert.43 An einer anderen maßgeblichen Stelle ist sie als »allgemeine« und »reine« Logik genauer bezeichnet und bestimmt.44 Der materiale oder »reale« Teil umfaßt die Gegenstände des Denkens, auf die sich das Denken, dessen »Form« Gegenstand der Logik ist, offenbar bezieht. Dafür kommen allerdings nicht beliebige Gegenstände
Auf analoge Weise unterscheidet Kant in der Vorrede zur MS die »Kritik der praktischen Vernunft« vom »System« in Gestalt der »Metaphysik der Sitten« (6:205.2–3). 40 Kant hielt die Methode der Einteilung, sofern sie systemrelevant sein soll, philosophisch für so bedeutsam, dass er für sie eine »Deduktion« verlangte (vgl. MS, Einleitung III, Fn., 6:218). Für den Aufbau eines Systems der Vernunft ist die Vollständigkeit der Einteilung eine notwendige Bedingung (MS, Vorrede, 6:205.15–16). 41 Der Ausdruck »(reale Theil)« findet sich im Manuskript als Randzusatz von Kants Hand (vgl. N. Hinske u. a., Faksimile (1965), 1). Stellenbezüge vor allem aus den Vorlesungen Kants zur Moralphilosophie, aus denen eine ähnliche Einteilung hervorgeht, sind der spanischen Edition der Ersten Einleitung von Nuria Sánchez Madrid (2011), »Notas a la edición española«, zu entnehmen (Madrid, N. Sánchez (2011), S. 251, nota 1). 42 Zum Gegensatzpaar »real«/»logisch« s. Zimmermann, St. (2011), Kants Kategorien der Freiheit, 91 (Fn. 190), 242 (Fn. 513); man kann zum Vergleich u. a. auf die folgenden Stellen in der KrV verweisen: A 240–244 / B 300–302; A 272 f. / B 329 f.; A 598–601 / B 626–629. 43 KrV, B IX; vgl. B XXIII, B 76–77 / A 52–53. Zum näheren Verständnis von Kants Einteilung der Logik s. M. Wolff, Die Vollständigkeit (1995), 204–225; sowie ders. (1995), Was ist formale Logik?, 19–26. 44 S. dazu Kommentar zu EE V, Erläuternder Exkurs, S. 120–130 Das Moment der Reinheit der Logik betrifft neben ihrem nicht-empirischen auch ihren normativen Charakter, demzufolge es untersagt sein soll, im Hinblick auf wahre Erkenntnis gegen die allgemeinen Regeln des Denkens zu verstoßen (vgl. Logik Jäsche, 9:14.9–12; vgl. Wolff, M. (1995), Die Vollständigkeit, 223). 39
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des Denkens in Betracht sondern nur solche, für die gelten kann, dass »Vernunfterkenntniß derselben aus Begriffen möglich ist«. Die Frage, wie sich die Form des Denkens auf die Gegenstände, über die gedacht wird, bezieht, wird nicht thematisiert. Deshalb folgt aus der ersten Einteilung der Philosophie unter dem Aspekt der Unterscheidung in Form und Materie nicht unmittelbar das Problem der Rechtfertigung dieser Einteilung. Die »allgemeine Logik« charakterisiert Kant auch so, dass sie von »aller Beziehung« der Erkenntnis auf das Objekt abstrahiert und »nur die logische Form im Verhältnisse der Erkenntnisse aufeinander, d. i. die Form des Denkens überhaupt« betrachtet (KrV, B 79 / A 55). Demgegenüber wird die »transzendentale Logik« als eine Wissenschaft eingeführt, »welche den Ursprung, den Umfang und die objektive Gültigkeit« von Erkenntnissen des reinen Verstandes und der Vernunft bestimmt (B 81 / A 57). Inhalt einer solchen transzendentalen Logik sind zwar die Gesetze des Verstandes und der Vernunft aber nur unter der eingeschränkten Bedingung, dass sie sich auf »Gegenstände a priori« beziehen (ebd.). Diese Logik ist demzufolge eine (inhaltliche) Logik, die besondere Regeln des Denkens enthalten muss, nämlich Regeln, durch die die Art der Beziehung reiner Begriffe auf Gegenstände der Anschauung (der Erfahrung) festgelegt wird. Sie setzt den Beweis der objektiven Gültigkeit (die Deduktion) der Kategorien voraus. Man könnte nun die Meinung vertreten, dass der im zweiten Absatz von EE I als »die Logick« bezeichnete formale Teil des »Systems« die transzendentale Logik mit einschließe, insofern ja auch diese wesentlich eine Form »des Denkens in einem System von Regeln« betrifft, indem sie von konkreten Anschauungsobjekten abstrahiert. Man könnte außerdem so argumentieren, dass »die Logick« nicht generell von allen Gegenständen überhaupt abstrahieren darf, sondern nur von solchen gedachten Objekten, für die gilt, dass »ein Vernunfterkenntniß derselben aus Begriffen möglich ist« (EE I, 2. Abs.). Aber in diesen beiden Fällen hätte man genauer zu untersuchen, von welcher Beschaffenheit die Gegenstände der Logik sein müßten, so dass sie nicht den Inhalt einer Erkenntnis sondern nur deren formales Regelsystem betreffen könnten. Eine solche Untersuchung ist aber bei Kant nicht in Sicht. Mit dem im zweiten Absatz von EE I charakterisierten Inhalt der »Logick« als »Form des Denkens in einem System von Regeln« spielt Kant offenbar an die »schlechthin notwendige[n] Regeln des Denkens« (wie die der Identität und des Widerspruchs) an, die er als Regeln der »formalen Logik«45 versteht. Die »Form des
Zur synonymen Verwendung des Ausdrucks »formale Logik« anstelle der allgemeinen reinen Logik vgl. KrV, B 170 / A 131. Für die Frage des Zusammenhangs zwischen dieser Form der Logik und der Vernunfterkenntnis ist die anschließende Bemerkung Kants interessant, dass »sie in ihrem analytischen Teile auch den Kanon für die Vernunft mitbefassen [kann], deren Form ihre sichere Vorschrift hat, die, ohne die besondere Natur der dabei gebrauchten Erkenntnis in Betracht zu ziehen, a priori, durch bloße Zergliederung der Vernunfthandlungen in ihre Momente, eingesehen werden kann« (KrV, B 170 / A 131). 45
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Denkens« kann an dieser Stelle (analog zu KrV, B 170) »diskursive[] Erkenntnis« bedeuten. Deren Regeln sind nun solche, die die besondere Bestimmung der Gegenstände als unterschiedener (z. B. empirische oder apriorische), auf die sich die Erkenntnis durch Vernunft bezieht, unberücksichtigt läßt. Es sind die allgemeinsten, notwendigen Regeln alles Denkens überhaupt. Kant nennt sie an einer Stelle in der KrV »allgemeine logische Regeln«.46 Demgegenüber wird von der »transzendentale[n] Logik« in der KrV gesagt, dass sie »auf einen bestimmten Inhalt, nämlich bloß der reinen Erkenntnisse a priori eingeschränkt ist« (B 170 / A 131). Deshalb kann ihre »Analytik« nicht wie die der allgemeinen Logik allgemeine Regeln des Denkens in unbeschränkter Allgemeinheit, so dass sie zugleich als »Kanon für die Vernunft« schlechthin dienen können, enthalten. Sie kann keine »Logik der Wahrheit« sein, weil es nach Kant ganz unmöglich ist, »ein hinreichendes und zugleich allgemeines Kennzeichen der Wahrheit« anzugeben (B 83 / A 59); sondern, was hier den »transzendentale[n] Gebrauch der Vernunft« angeht, so gehört dieser in die »Dialektik« als »Logik des Scheins« (B 170 / A 131). Jene allgemeine, reine (formale) Logik, die von der »transzendentalen Logik« (aber auch von jeder anderen besonderen Logik, d. h. von jeder Logik als einer Logik besonderer Gegenstände) unterschieden werden muss, wird nun allerdings an der hier behelfsweise herangezogenen Stelle aus der KrV zur Beurteilung wissenschaftlicher Erkenntnisse (jedoch nicht zu deren Etablierung) vorausgesetzt. Sie bildet in dieser Funktion die »Propädeutik« oder den »Vorhof der Wissenschaften« (KrV, B IX). Eine solche Funktion sollte nun aber, wie sich aus der kurzen Betrachtung des Architektonik-Kapitels der KrV ergab, auch die Kritik der reinen Vernunft selbst haben (B 869 / A 841). Wenn aber diese »Logik« mit der Kritik der reinen Vernunft funktional zusammenfiele, dann müßte das ja bedeuten, dass die letztere – im Widerspruch zu der eindeutigen Erklärung im ersten Absatz der EE – doch einen Teil des Systems der Vernunfterkenntnis (der Philosophie) ergäbe. Die scheinbare Schwierigkeit läßt sich dadurch auflösen, dass von einer unterschiedlichen Bedeutung der Propädeutik-Funktion der allgemeinen reinen Logik und der »Kritik« ausgegangen wird. Im Unterschied zu der schon angegebenen Aufgabe der »Kritik«, die sie als »Propädeutik« der philosophischen Wissenschaften auszeichnet,47 ist die Logik nur mittelbar als deren Propädeutik aufzufassen. Denn sie ist nur dafür da, die logischen Formen bereitzustellen, durch die es dem Verstand erst ermöglicht wird zu urteilen. Sie ist also im Grunde genommen eine Propädeutik der »Kritik« und, sofern diese selbst »Propädeutik« der philosophischen Wissenschaften ist, eine Propädeutik der Propädeutik.
Vgl. KrV, B 116; vgl. B IX, B 76 / A 52; s. dazu Wolff, M. (1995), Die Vollständigkeit, 205–206. 47 Vgl. KrV, B 869 / A 841; B 25. 46
I. Abschnitt: Philosopie als System
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2. Kant sieht nur eine einzige Möglichkeit, das »reale System der Philosophie« einzuteilen (EE I, 3. Abs. [20:195.15]).48 Die Kriterien dieses zweiten Schritts der Einteilung der Philosophie sind die wissenschaftlichen Gegenstände der Realphilosophie (d. h. die Gegenstände des Denkens (s. 2. Abs.) bzw. der wissenschaftlichen Bearbeitung) und die Prinzipien, die sich auf dieselben beziehen. Da die Einteilung ein Unterscheiden voraussetzt, behauptet Kant, dass sich die realphilosophischen Objekte »ursprünglich« unterscheiden, und dass entsprechend auch die Prinzipien der jeweiligen Wissenschaften, die sie enthalten, »wesentlich« voneinander verschieden sind (20:196.16–17). Die Ursprünglichkeit dieses Unterschiedes kann hier besagen, dass die Verschiedenheit nicht wieder von noch anderen Bedingungen abhängt, sondern schlechthin (unmittelbar) gesetzt ist. Sie kann aber auch den Gedanken nahe legen, dass es sich um die erste (unbedingte) Einteilung handeln soll, und die muss stets zweiteilig sein. Die passenden Objekte werden nicht ausdrücklich genannt. Dasselbe gilt für die diesbezüglichen Prinzipien. Aus dem Kontext dieses Absatzes, insbesondere aus den folgenden Absätzen ist jedoch zu schließen, dass es genau zwei solche Objekte gibt, nämlich »Natur« und »Sitten«.49 Sie bilden eine vollständige Disjunktion. Die Rechtfertigung dieser Einteilung kann einerseits aus der Natur der menschlichen Erkenntnis (speziell, der Gesetzgebungsfunktion der Vernunft), andererseits aus der Analyse dessen, was in der Philosophie praktisch sein soll, gezogen werden. Aus dieser Unterscheidung resultiert die Einteilung der Realphilosophie in theoretische und praktische Philosophie, die zur Abfassungszeit der KU für Kant schon eine gewisse Tradition hatte.50 Im Architektonik-Kapitel der KrV wird sie auch durch den bekannten, häufig zitierten Gegensatz von Sein und Sollen charakterisiert: »Die Gesetzgebung der menschlichen Vernunft (Philosophie) hat nun zwei Gegenstände, Natur und Freiheit, und enthält also sowohl das Naturgesetz, als auch das Sittengesetz, anfangs in zwei besonderen, zuletzt aber in einem einzigen philosophischen System. Die Philosophie der Natur geht auf alles, was da ist; die der Sitten, nur auf das, was da sein soll.« (KrV, B 868 / A 840). Die theoretische Philosophie handelt also von der Philosophie der Natur, die praktische von den Sitten. Aber diese Erklärung des Unterschiedes ist bloß nominell.
48 Vgl. dazu Mertens, H. (1975), Kommentar zur Ersten Einleitung in Kants Kritik der Urteilskraft, 48 ff. 49 Auf den Begriff der »Sitten« werden wir im Verlaufe des Kommentars mehrfach zurückkommen, insbesondere bei der Darstellung von EE XI. Er wird von Kant auch synonym für »Freiheit« gebraucht, bezeichnet aber genaugenommen das »Produkt der Freiheit« (vgl. EE XI, 13. und 14. Abs.). Vgl. MS, Einleitung II., 4. Abs. (6:216.7–27). 50 Zur Geschichte dieser Einteilung vgl. Höffe, O. (1998), 622 f. Zur näheren Erläuterung vgl. Kommentar zur Einleitung (E I), S. 363 ff.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Während nun zu der ersteren auch empirische Prinzipien gehören, kann die letztere nur »reine Principien a priori« enthalten.51 Als Begründung für diese letzte Einschränkung fügt Kant in Klammern bei: »da Freiheit schlechterdings kein Gegenstand der Erfahrung seyn kann« (20:195.21 f.). Diese eher beiläufige Bemerkung kann durch den Hinweis ergänzt werden, dass Kants positiver Freiheitsbegriff Autonomie und Selbstbestimmung des subjektiven Willens voraussetzt und insofern in moralisch-praktischer Hinsicht von vornherein ausschließt, dass Freiheit in irgendeiner Weise von Erfahrung, die stets sinnlich bedingt ist – und zwar allein schon dadurch, dass der Willensbestimmung überhaupt irgendein Objekt als Grund der Bestimmung vorhergeht (KpV, § 2, 5:21) – abhängen kann.52 Zu behaupten, Freiheit beruhe auf Erfahrung, wäre also unmittelbar ein Widerspruch in sich.53 Theoretische und praktische Philosophie gehören zum »System der Vernunfterkenntniß durch Begriffe« (1. Abs.) und grenzen sich insofern von der »Critik der reinen Vernunft« ab. Sie erschöpfen aber dieses System nicht, da ja auch »die« Logik zu ihm gehört. Von dieser Logik müssen sie sich also gleichfalls unterscheiden. Die Beantwortung der aus dieser Systemskizze resultierenden Fragen ist an dieser Stelle noch nicht abschließend möglich, sondern bedarf noch weiterer Betrachtung und Interpretation. Zu diesen Fragen gehören folgende: In welchem Verhältnis stehen eigentlich Natur und Freiheit bzw. diejenigen Wissenschaften zueinander, deren Gegenstand sie bilden? In welchem Verhältnis stehen die theoretischen und praktischen Prinzipien der beiden realen Teile der Philosophie zu deren jeweiligen Objekten? Warum und inwiefern enthält die Philosophie der Natur empirische Prinzipien, die der Sitten aber nicht?
Vierter Absatz: Das Problem der Zuordnung theoretischer und praktischer Sätze in der Philosophie Im letzten und ausführlichsten Absatz des Haupttextes des ersten Einleitungsabschnittes folgt eine Problemexposition. Das Problem besteht kurz gesagt darin, dass nicht alles Praktische überhaupt (alle Disziplinen, die praktische Sätze enthalten) unter dem Dach der praktischen Philosophie vereint werden kann, sondern nur diejenigen praktischen Sätze Zugang erhalten, die sich ihrem Inhalt nach von theoretischen unterscheiden. Als Satz muss jeder praktische Satz im allgemeinen, unabhängig von seiner inhaltlichen Differenzierung, sowie jeder theoretische Satz bloß die Minimalanforderung erfüllen, ein assertorisches Urteil zu sein. Das jedenfalls kann man Kants Erklärung des Unterschiedes zwischen »Urteil« und »Satz« in dem Aufsatz Über eine Entdeckung (8:193–194, Fn.) entnehmen. Mit Verweis auf die Unterscheidung 51 52 53
Vgl. KrV, Die Architektonik der reinen Vernunft, 14. Abs. (B 869 / A 841). Vgl. hierzu MS, Einleitung II., 2. Abs. (6:215.16–23). Vgl. dazu Kant, MS, 6:221.7–18.
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zwischen problematischen und assertorischen Urteilen in der KrV (B 100), legt er die Bedeutung eines Satzes (im Unterschied zum Urteil) so fest, dass bloß ein Urteil, das als Konsequenz aus einem vorausgehenden Urteil (als seinem Grund und seiner Wirklichkeitsbedingung) dargestellt werden kann, als Satz gelten kann. Ein Satz ist also die logische Folge aus einem Urteil gemäß des Prinzips des Grundes, und dies wiederum soll laut Kant aus dem Satz des Widerspruchs folgen.54 Im entsprechenden Abschnitt der später publizierten Fassung der Einleitung (E I) benutzt Kant diese Ausdrucksweise nicht mehr. Er redet dort von theoretischen und praktischen »Regeln«, »Vorschriften« etc. anstatt von »Sätzen«. Kant hält es für angebracht, ein Mißverständnis auszuräumen, das der üblichen, von ihm kritisierten Zuordnung von Fächern zur praktischen Philosophie zugrunde liegt und das die Abgrenzung der praktischen von der theoretischen Philosophie betrifft. Wie bedeutend diese Klärung aus seiner Sicht für die kritische Revision der Philosophie insgesamt gewesen ist, zeigt die Tatsache, dass er es in der MS noch für nützlich hält, daran zu erinnern.55 Der von Kant konstatierte »Misverstand« hat nicht bloß formal betrachtet negative Auswirkungen auf das Verständnis dessen, was praktische Philosophie heißt; sondern er hat auch Nachteile für die methodische Behandlung (»Behandlungsart«) der Wissenschaft. Der Umstand, dass bestimmte Disziplinen – Kant nennt stellvertretend für andere: Staatswirtschaft, Vorschriften zur Gesunderhaltung, Diätetik der Seele und des Körpers – gewisse praktische Sätze enthalten, ist noch kein hinreichender Grund dafür, sie – wie geschehen – der praktischen Philosophie zuzuordnen (EE I, 4. Abs. [20:195.27– 196.4]).56 Kant formuliert dagegen folgenden Einwand: »Allein practische Sätze sind zwar der Vorstellungsart, darum aber nicht dem Innhalte nach von den theoretischen, welche die Möglichkeit der Dinge und ihre Bestimmungen enthalten, unterschieden, sondern nur die allein, welche die Freyheit unter Gesetzen betrachten.« (20:196.4–7).
Es mag zutreffen, dass Kant diese Unterscheidung zwischen Urteil und Satz terminologisch nicht konsequent beibehält (so St. Zimmermann (2011), Kants Kategorien der Freiheit, 110–111, sowie Fn. 243); doch wir können seine Gültigkeit für die Abfassungszeit der KU unterstellen, da der Entdeckungs-Aufsatz in dasselbe Erscheinungsjahr fällt. Vgl. auch Patzig, G. (1965), Die logischen Formen praktischer Sätze in Kants Ethik, 237–252. 55 Vgl. MS, Einleitung II., 7. Abs., 6:217.28–218.8. 56 Man könnte die von Kant kritisierte historische Vorstellung vom Umfang des Praktischen in der Philosophie und der Zuordnung einzelner Fachgebiete in einschlägigen Quellen näher untersuchen, so z. B. bei Aristoteles in der Nikomachischen Ethik (I. Buch, 1. Kapitel, 1094a–194b); oder in der Tradition der Schulphilosophie bei Chr. Wolff, Philosophia practica universalis mathematica metodo consscripta Halle 1703, 21741; A. G. Baumgarten: Prolegomena Philosophiae practicae universalis, §§ 7, 9. Vgl dazu Madrid, N. Sánchez (2011), 252, nota 3. Für das Verständnis der kantischen Argumentation an der oben zitierten Stelle ist eine solche Nachforschung nicht unbedingt erforderlich. 54
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Kant meint hier natürlich nur die praktischen Sätze, aus denen die von ihm vorher aufgezählten Fächer bestehen. Solche Sätze seien bloß unter dem Aspekt der »Vorstellungsart«, nicht aber inhaltlich von theoretischen Sätzen unterschieden. Anstelle von »Vorstellungsart« sagt Kant weiter unten (im selben Absatz) auch: die »Vorstellung«, die unsere Willkür zur Ursache hat (20:196). Die Willkür ist aber für Kant – im Unterschied zum (freien) Willen – eine Naturursache.57 Das bedeutet, dass die diskutierten praktischen Sätze sich auf Inhalte beziehen, die der Naturlehre entnommen sind und deshalb in Wahrheit in die theoretische Philosophie einzuordnen sind. – Worin aber besteht der in dem Zitat angezeigte Unterschied in der »Vorstellungsart« der praktischen gegenüber der der theoretischen Sätze? Wenn mit der Art der Vorstellung der Modus gemeint ist, in dem eine Vorstellung auf das erkennende Subjekt einerseits und das Erkenntnisobjekt andererseits bezogen ist, dann muss der Unterschied, nach dem hier gefragt wird, in der Differenz der Funktionen des Verstandes und des Begehrungsvermögens überhaupt seinen Grund haben. Nach der praktischen Vorstellungsart erzeugt die Willkür die Möglichkeit des Verhältnisses als durch die »Vorstellung« von einem Verhältnis bestimmt. Es handelt sich um eine produktive Vorstellungsart in praktischen Sätzen, wobei die Vorstellung selbst der Bestimmungsgrund ist. Nach der theoretischen Vorstellungsart wird die Vorstellung durch die Synthesis-Handlung des Verstandes a priori mittels der Kategorien zu einem Objekt bestimmt. Aber beide Vermögen üben auf je spezifische Weise ihre Handlung im Hinblick auf die Bestimmung der Natur aus (und sind also insofern inhaltlich nicht unterschieden). In den beiden im Anschluss noch im selben Absatz betrachteten Beispielen aus der Mechanik der Physik und der empirischen Psychologie wird diese Naturbestimmtheit illustriert. Dagegen weisen sich die praktischen Sätze im eigentlichen Sinne, d. h. diejenigen, deren Zuordnung zur praktischen Philosophie berechtigt und notwendig ist, inhaltlich dadurch aus, dass sie »die Freyheit unter Gesetzen betrachten« (EE I, 4. Abs. [20:196.7]). Bei den letzteren handelt es sich also um solche Sätze, die in der philosophischen Wissenschaft vorkommen, die Kant in einem weiteren Sinne »Sittenlehre« nennt, also um Grundsätze aller Art der Moral und des Rechts (d. h. subjektive, objektive, synthetische, analytische, reine und empirische). Denn solche praktischen Sätze haben die Freiheit als Freiheit der Willkür und des Willens unter äußeren und inneren, subjektiven und objektiven Bedingungen der Pflicht und Verbindlichkeit zum Handeln zum Gegenstand. Solche Sätze bilden aber nur eine, wenn auch die bedeutendere Klasse praktischer Sätze. Daneben soll es dann noch solche geben, die zwar auch zu recht diesen Namen tragen, aber nicht ihres Inhaltes wegen sondern aufgrund ihrer Gebrauchsweise:
Im Unterschied zur »freien Willkür«; vgl. dazu Kants spätere Unterscheidung zwischen Wille und Willkür in der MS (6:213.14 ff., 6:226.4 ff.). Die Zuordnung der »willkührliche[n] Handlung« zu »den Naturursachen« stammt von einer eigenhändigen Korrektur Kants am Rand des Manuskripts (s. Hinske, N. u. a. (Hg.) (1965), Faksimile, S. 2). 57
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»Die übrigen insgesammt sind nichts weiter, als die Theorie von dem, was zur Natur der Dinge gehört, nur auf die Art, wie sie von uns nach einem Princip erzeugt werden können, angewandt, d. i. die Möglichkeit derselben durch eine willkührliche Handlung (die eben so wohl zu den Naturursachen gehört), vorgestellt.« (EEI, 4. Abs. [20:196.7–12]) »Die übrigen insgesammt« – das sind neben den theoretischen Sätzen und den praktischen Sätzen unter Freiheitsgesetzen zunächst alle diejenigen praktischen Sätze, die nicht die Freiheit zum Gegenstand haben, sondern sich auf Verhältnisse der Natur beziehen (die bloß theoretischen, spekulativen Sätze gehören also nicht dazu). Das ihnen anhaftende Praktische betrifft aber andererseits allein ihren besonderen Gebrauch. Sie werden nämlich gemäß der Weise »angewandt«, wie die »Natur der Dinge«, die Gegenstand der Theorie sind, von uns »nach einem Princip erzeugt werden können« (20:196.9–10). Ihre Möglichkeit beruht auf einer Willkürhandlung, aber nur insofern, als diese Willkür naturabhängig bzw. naturbestimmt ist (Naturgesetzen folgt), nicht insofern sie im strengen Sinne frei ist.58 Die naturbedingte Willkürlichkeit ist aber auch die Abhängigkeit des menschlichen Willens von Neigungen und Begierden, die den moralischen Bestrebungen des Menschen entgegenwirken. Später wird Kant solche Sätze zur deutlichen Unterscheidung »technisch-praktische« (oder kurz »technische«) Sätze nennen.59 Für sie muss gelten, dass sie keinen separaten Teil der Philosophie begründen. Kant erläutert diesen Sachverhalt an Hand von zwei Problemstellungen, die er zum einen der klassischen Mechanik, zum anderen der empirischen Psychologie (Medizin) entnimmt. Die mechanische Aufgabe, unter Vorgabe einer bestimmten Kraft und einer bestimmten Last, die sich im Gleichgewicht befinden sollen, das (quantitative) Verhältnis der Hebelarme zueinander zu finden, faßt er als »practiDamit ist das Vermögen angesprochen, das Kant auch als unteres Begehrungsvermögen bezeichnet (vgl. KpV, § 3, Folgerung und Anmerkung I. (5:22–23); zum Begriff des Begehrungsvermögens allgemein vgl. KpV, Vorrede (5:9 (Fn.)); KpV, §§ 1–3 (5:20–26); MS, 6:211, 213; vgl. Sala, G.B. (2004), Kants Kritik der praktischen Vernunft, 92 f.; s. auch Kommentar zu EE VIII, 8. Abs., Fn. und Kommentar zu E I, Erster Abschnitt, Dritter Absatz). Es begründet Handlungsmaximen, die sich weder zu moralischen Gesetzen qualifizieren noch zu tugendhaftem Verhalten führen können. 59 Vgl. Mertens, H. (1975), Kommentar, 49; zur Unterscheidung zwischen »technischpraktischen« und »moralisch-praktischen Gesetzen« vgl. auch Kant, Verkündigung des nahen Abschlusses eines Tractats zum ewigen Frieden in der Philosophie (1796), 8:417.14–18. Bereits in der KpV empfiehlt Kant, die praktischen Sätze in der Mathematik und Naturlehre »technisch« zu nennen. Denn in diesen Lehren gehe es nicht um die Willensbestimmung: »sie zeigen nur das Mannigfaltige der möglichen Handlung an, welches eine gewisse Wirkung hervorzubringen hinreichend ist, und sind also eben so theoretisch als alle Sätze, welche die Verknüpfung der Ursache mit einer Wirkung aussagen. Wem nun die letztere beliebt, der muß sich auch gefallen lassen, die erstere zu sein.« (5:26, Fn.). Zur Formbestimmung praktischer Sätze bei Kant vgl. auch Zimmermann, St. (2011), Kants Kategorien der Freiheit, 113–120. 58
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
sche Formel« auf. Trotzdem gehört sie für ihn nicht in die praktische Philosophie. Denn er interpretiert sie so, dass ihr Inhalt durch einen theoretischen Satz erschöpft wird, und zwar durch das Hebelgesetz: Die Länge der Hebelarme ist dem Verhältnis von Kraft und Last umgekehrt proportional. Kant bemerkt aber einschränkend: »nur ist dieses Verhältniß, seiner Entstehung nach, durch eine Ursache, deren Bestimmungsgrund die Vorstellung jenes Verhältnisses ist (unsere Willkühr), als möglich vorgestellt.« (EE I, 4. Abs. [20:196.17–20]) Behauptet wird damit der Sache nach, das im Hebelgesetz formulierte »Verhältnis« (als Verhältnis zweier Verhältnisse) sei auf die Weise verursacht, dass eine (noch unbestimmte) Vorstellung (als Zweckidee) Grund der Bestimmung dieser Ursache sei, kurz gesagt, das mechanische Verhältnis der Hebelwirkung beruhe auf einem (subjektiven) Prinzip der Zweckmäßigkeit. Das Auffinden des Hebelgesetzes macht es zu einem Erzeugnis unserer Willkür. Es entspringt also nicht unmittelbar der äußeren Natur. Die Zweckmäßigkeit ist überhaupt erst die Voraussetzung dafür, eine konkrete Aufgabe in der Hebelmechanik zu stellen und zu lösen. Entsprechendes gilt für Kants zweites Beispiel: »Vorschriften« zur Förderung der eigenen »Glückseeligkeit« sind nur der Form nach praktische Regeln, insofern sie Handlungsanweisungen an die Adresse der eigenen Person erteilen mit dem Ziel, den Zustand der Glückseligkeit durch die Vorstellung einer (psychischen, mentalen) Konditionierung zu ermöglichen (z. B. durch das Gleichgewicht der Neigungen). Dem Inhalt nach sind die Glückseligkeitsvorschriften theoretische Sätze.60 Denn sie folgen nach Kant unmittelbar »aus der Theorie des Objects in Beziehung auf die Theorie unserer eigenen Natur (uns selbst als Ursache) […]« (EE I, 4. Abs. [20:196.29–30]). Wir beziehen unser Wissen über die Möglichkeit der Erlangung der eigenen Glückseligkeit aus der empirischen Psychologie. Auch hier geht es wie in dem Beispiel der Hebel-Mechanik in der Physik um ein »Gleichgewicht«, nämlich um das psychische Gleichgewicht des Subjekts, das im Konflikt der inneren Regungen herzustellen ist. Es ist zugleich das Objekt, über das es eine Theorie gibt, und die Vorstellung von der »Erzeugungsart« dieses Gleichgewichts. Die »Erzeugungsart« ist die naturbestimmte Kausalität (Willkür) des Subjekts, seine inneren Kräfte durch eigenen Antrieb ins Gleichgewicht zu bringen. Das Subjekt, dessen Natur hier zu bestimmen ist, ist die Beschaffenheit der menschlichen Seele, die (als Willkür) den Gegenstand (das Gleichgewicht) selbst ursächlich hervorzubringen oder zu erzeugen vermag. Pflichten zur eigenen Glückseligkeit, die etwa in eine reine Ethik gehörten, kann es nach Kant nicht geben.61 Später, in der MS, wird sich Kant diese Klarstellung zunutze machen, wenn er in der Tugendlehre der MS dafür argumentiert, dass nur die »fremde« Glückseligkeit ein Zweck sein kann, der zugleich Pflicht ist.62 Vgl. dazu EE I, »Anmerkung«, 4. Abs. (20:199.1–14); vgl. E I, 6. Abs. (5:173.7–9); vgl. Kommentar, S. 53 f. und S. 392–396. 61 Vgl. KpV, § 3 und Anmerkung I. (5:22.6–26, 24.32–40). 62 MS, TL, Einleitung V (6:387–388). 60
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In den Absätzen 3 und 4 der nachfolgenden »Anmerkung« diskutiert Kant weitere Beispiele, die ich hier nicht ausführlich kommentiere: Obwohl die Geometrie praktische Sätze enthält, kann es keine spezielle Wissenschaft mit dem Titel »practische Geometrie« geben. Ebenso wenig können Versuchsanleitungen zur Entdeckung neuer Naturgesetze in der Physik dazu berechtigen, eine »practische Physik« zu etablieren. Auch eine »practische Psychologie« ist aus dem bereits angeführten Grund unmöglich. Die praktischen Vorschriften zur Erzeugung eines ausgeglichenen Gemütszustandes haben keine spezifischen Prinzipien. Vielmehr müssen »die Principien der Möglichkeit seines Zustandes vermittelst der Kunst […] von denen der Möglichkeit unserer Bestimmungen aus der Beschaffenheit unserer Natur entlehnt werden […]« (»Anmerkung«, 4. Abs. [20:199.8–11]). Die hier anzutreffenden praktischen Sätze sind nur »Scholien« (Anmerkungen) zur »empirischen Psychologie«. Kant legt in den beiden zuerst genannten Beispielen deshalb so großen Wert auf die spezifische »Erzeugungsart« der subjektiven Willkür, weil hier ausdrücklich solche praktischen Sätze betrachtet werden, »welche blos die Erzeugung der Gegenstände betreffen.« (EE I, 4. Abs. [20:196.21]). In der Produktion der Objekte (in der Vorstellung und durch diese bestimmt) durch die subjektive Willkür liegt überhaupt das Moment der Tätigkeit, das die praktischen Sätze, die theorieabhängig sind, als praktische auszeichnet. Sie leiten Naturbestimmungen »von der Willkühr als Ursache« ab.63 Von solchen Sätzen kann Kant dann allgemein behaupten, dass sie zur theoretischen Philosophie und damit zur Naturerkenntnis gehören. Dagegen sind die praktischen Sätze, »welche der Freyheit das Gesetz geben« (20:197.5), inhaltlich von den ersteren unterschieden.64 Die erste Art von Sätzen konstituiert den praktischen Teil der Philosophie der Natur, die zweite Art bildet die Grundlage der praktischen Philosophie. Physikalische Experimente, die praktische Sätze der Physik konstituieren, folgen Prinzipien, die der Naturtheorie entnommen sind.
Das bedeutet im Grunde dasselbe wie die Aussage, dass die Möglichkeit dieser Sätze auf »empirische[n] Bestimmungsgründe[n]« beruht. Kant hat an dieser Stelle korrigierend in die Abschrift eingegriffen und die im Anschluss an »alle practische Sätze, die« ursprünglich stehende Formulierung »auch durch empirische Bestimmungsgründe möglich sind (z. B. die der Glückseeligkeitslehre)« gestrichen und ersetzt durch »dasjenige, was die Natur enthalten kann, von der Willkühr als Ursache ableiten,« (s. N. Hinske u. a. (Hg.) (1965), Faksimile, S. 3; H. F. Klemme (2006), 487). 64 Analog zu der vorher gestrichenen Formulierung, die den Ausdruck »empirische Bestimmungsgründe« enthielt, ist an dieser Stelle von Kant in Bezug auf die praktischen Sätze, die der Freiheit das Gesetz geben, gestrichen worden: »und sind nur so fern Bestimmungsgründe als sie Gründe a priori sein« (s. N. Hinske u. a. (Hg.) (1965), Faksimile, S. 3; H. F. Klemme (2006), 487). 63
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Erster Abschnitt, »Anmerkung«, erster bis vierter Absatz: Der theoretische Status praktischer Sätze in den Wissenschaften Von den 6 Absätzen der »Anmerkung« zu Abschnitt I sind zwei (nämlich der dritte und der vierte) bereits zur Interpretation des Haupttextes als Kommentarhilfe benutzt worden. Hier ist das zu ergänzen, was über die Grundgedanken des voranstehenden Textes des Kommentars hinausgeht oder diese variiert. Des Weiteren sollen auch die relativ umfangreichen Textveränderungen, die Kant eigenhändig am Manuskript vorgenommen hat, näher geprüft werden. Insgesamt betrachtet enthält die »Anmerkung« Erläuterungen zu dem vorher bereits diskutierten Problem der Unterscheidung der beiden Arten praktischer Sätze voneinander und deren Zuordnung zur theoretischen bzw. praktischen Philosophie. Einige Überlegungen aus dem Haupttext werden rekapituliert, so dass beim Leser leicht der Eindruck entstehen könnte, die »Anmerkung« verdopple den Haupttext. Der kurze erste Absatz verdeutlicht noch einmal, weshalb Kant die Klärung der Bedeutung und des Status der praktischen Sätze zu einer so dringenden Aufgabe macht. Da ein Teil dieser Sätze »nur Folgerung oder Anwendung derselben [d. i. der Philosophie als Theorie der Natur] auf gegebene Fälle ist« (EE I, »Anmerkung«, 1. Abs. [20:197.12–13]), verleiten sie zu einer Verwechslung der philosophischen Prinzipien und damit zu einer irreführenden Einteilung der Philosophie. Sie dürfen deshalb ihrer bloßen Satzform nach kein Kriterium der Einteilung sein. Bloße Anwendungen der Theorie gehören somit nicht zu den Gliedern der Einteilung der Philosophie als eines Systems. Dass Kant solche Disziplinen wie Geometrie, Experimentalphysik, Mechanik, Diätetik usw. als Beispiele verwendet65 und dass er auf der anderen Seite die kritische Beleuchtung ihrer Sätze in Bezug auf die Frage der Einteilung der Philosophie für unerlässlich hält, zeigt, wie weit er den Philosophiebegriff hier fasst. Würden die aufgezählten Fächer nämlich nicht zum Kanon der Philosophie im weiteren Sinne gehören, könnten ihre Sätze bei der Einteilung keine Verwirrung stiften. Im zweiten Absatz präzisiert Kant die Unterscheidung praktischer von theoretischen Sätzen und die Typisierung der praktischen Sätze untereinander. Das bisherige Untersuchungsergebnis wird in dem Hinweis zusammengefasst, dass es zwei Kriterien zur Unterscheidung praktischer von theoretischen Sätzen gebe, nämlich erstens den Aspekt der Prinzipien; daraus folgt die Einteilung in theoretische und praktische Philosophie; zweitens den Aspekt der Folgerungen (wie gefolgert wird, bleibt dabei unklar)66 ; daraus ergibt sich die Unterscheidung praktischer Sätze, die, weil sie aus Prinzipien der Theorie der Natur ›gefolgert‘ werden, in die theoretische Vgl. dazu E I, 6. Abs. (5:172.37–173.11); vgl. Kommentar zu E I, S. 392–396. Auffällig erscheint es, dass Kant an einer Stelle im dritten Absatz der Anmerkung zu EE I den Ausdruck »Corollarien« in Verbindung mit praktischen Sätzen in Relation zur theoretischen Erkenntnis gestrichen und durch das Wort »Anwendungen« ersetzt hat (20:198.5; N. Hinske u. a. (Hg.) (1965), Faksimile, S. 4). 65
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Philosophie gehören, von theoretischen Sätzen, die direkt den Gesetzen der Natur unterstehen. Diese Feststellung bildet die erste Voraussetzung des folgenden Gedankenganges. Das argumentative Ziel des zweiten Absatzes wird erst mit dem ersten Satz des dritten Absatzes erreicht, indem auf den im Haupttext bereits mehrfach hervorgehobenen theoretischen Status praktischer Sätze geschlossen wird (»also« [20:198.3]). Der zweite Schritt des Gedankenganges (die zweite Prämisse) ist im Rest des zweiten Absatzes zu finden (»Nun ist« [20:197.20]): Es gibt einen Wesensunterschied zwischen der »Möglichkeit der Dinge nach Naturgesetzen« – d. h. zwischen der Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von Gegenständen der Erfahrung (KrV) und der Möglichkeit der Dinge »nach Gesetzen der Freyheit« (KpV). Dieser Unterschied beruht eben auf dem Unterschied der Prinzipien. Um dies zu verdeutlichen, argumentiert Kant gegen das Mißverständnis, der benannte Wesensunterschied bestehe darin, dass bei der Möglichkeit der Dinge nach Gesetzen der Freiheit der Wille am Werk sei, während im anderen Fall die Ursache außerhalb des Willens »in den Dingen selbst« liege. Das Argument für die Unzulässigkeit dieser Annahme steht in dem langen, mit »Denn« beginnenden Satz, der erst mit dem Schluss des Absatzes endet (20:197.24–198.2). Dieser Satz ist mit erhöhter Aufmerksamkeit zu studieren, denn das Argument ist nicht leicht zu finden. Er bildet innerhalb des gesamten Argumentationsganges dieses Absatzes einen ineinander geschobenen Begründungszusammenhang: »Denn, wenn doch der Wille keine andere Principien befolgt, als die, von welchen der Verstand einsieht, daß der Gegenstand nach ihnen, als bloßen Naturgesetzen, möglich sey, so mag immer der Satz, der die Möglichkeit des Gegenstandes durch Caussalität der Willkühr enthält, ein practischer Satz heißen, er ist doch, dem Princip nach, von den theoretischen Sätzen, die die Natur der Dinge betreffen, gar nicht unterschieden, vielmehr muß er das seine von dieser entlehnen, um die Vorstellung eines Objects in der Wirklichkeit darzustellen.« (EE I, »Anmerkung«, 2. Abs.; H. F. Klemme (2006), 488 [20:197.24–198.2]) Sofern dieser Satz überhaupt ein Argument enthält, das sich auf die behauptete Falschheit der Begründung der Ermöglichungsbedingungen von Dingen nach Natur- bzw. Freiheitsgesetzen beziehen läßt, so ist diese Beziehung nicht eindeutig. Denn der Wille in dem zuletzt zitierten Passus ist der naturabhängige Wille (die Willkür).67 Das ist aber nicht derselbe Begriff des Willens wie der, der bei der Feststellung der Nichthaltbarkeit der Begründung des Unterschiedes der Ermöglichungsbedingungen durch die Ursache des Willens einerseits und durch die dem Willen entzogene Ursache »in den Dingen selbst« andererseits eine Rolle spielt. Vgl. zur Interpretation der zitierten Textstelle auch St. Zimmermann (2011), Kants Kategorien der Freiheit, 117. Zimmermann mißversteht den Sinn der Stelle, indem er den Anfang des Zitats nicht vollständig wiedergibt. 67
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Dieser Wille (als Ursache) kann nur der freie Wille sein. Allein dieser liegt nämlich der Möglichkeit der Dinge nach Gesetzen der Freiheit zugrunde. Dennoch meine ich, dass es ein (verstecktes) Argument gibt. Es besteht in der transzendentalen Idealität der Gegenstände der Erfahrung, deren Prinzipien Kant in seiner ersten »Kritik« dargelegt hat. Weil nämlich der menschliche Verstand mit seinen Formen, Funktionen und Prinzipien es ist, der der Natur die Gesetze vorschreibt,68 kraft denen Gegenstände der Natur bestimmt werden, so werden die »Dinge an sich« als Bestimmungsträger solcher Gegenstände ausgeschlossen. Von der Zulässigkeit dieser Annahme geht aber der oben genannte falsche Unterscheidungsgrund aus. Dass der Wille (als Willkür) sich bei seiner Tätigkeit von der Einsicht eines solchen gesetzgebenden Verstandes leiten läßt, ist dann in dem zitierten »Denn«-Satz das Argument dafür, dass ein daraus resultierender praktischer Satz »dem Princip nach, von den theoretischen Sätzen, die die Natur der Dinge betreffen, gar nicht unterschieden« ist (20:197.29–30). Der im ersten Satz des dritten Absatzes gezogene Schluß (20:198.3–6) besagt: Diejenigen praktischen Sätze, von denen gilt, dass sie »blos die Möglichkeit eines vorgestellten Objects« – und zwar, was Kant nicht ausdrücklich sagt, aber hinzugesetzt werden muss: eines Objektes der Natur – beinhalten, auch wenn diese Möglichkeit auf einer Willenshandlung beruht, »sind nur Anwendungen69 einer vollständigen theoretischen Erkenntniß und können keinen besondern Theil einer Wissenschaft ausmachen.« (20:198.5–6) Sie können es eben deswegen nicht, weil es – wie im zweiten Absatz klargestellt wurde – einen Wesensunterschied zwischen der Möglichkeit der Dinge nach Naturgesetzen und der nach Freiheitsgesetzen gibt, und weil dieser Unterschied nicht darauf beruht, dass der Wille Bedingung der Möglichkeit der letzteren ist. Denn die Willkür ist ihrerseits an die spezifische Natur des menschlichen Verstandes, der zugleich eine allgemeine Theorie der Natur erst ermöglicht, gebunden (vgl. 2. Abs.). Als Beispiel dient Kant die Geometrie, von der sich keine praktische Disziplin in Gestalt einer eigenständigen Wissenschaft herleiten läßt, ohne einen Widerspruch zu erzeugen. Eine »practische Geometrie« ist ein »Unding« (EE I, »Anmerkung«, 3. Abs. [20:198.7]).70 Die Geometrie kann also keinen praktischen Teil für sich in AnKrV, A 126; B 159 f.; B 163; Prol. § 36 (4:319.11–18, 4:320.11–13). Das Wort »Anwendungen« ist eine eigenhändige Verbesserung Kants des gestrichenen Ausdrucks »Corollarien« (Hinske, N. u. a. (Hg.) (1965), Faksimile, S. 4). 70 Vgl. E I, 6. Abs. (5:172.37–173.3). Kant könnte sich implizit z. B. auf das GeometrieLehrstück des Mathematikers Abraham Gotthelf Kästner (1719–1800) beziehen, der in seinen Anfangsgründen der Arithmetik (1758), einem Standardlehrbuch der Mathematik in der zweiten Hälfte des 18. Jh., von der Existenz einer »praktischen Geometrie« ausgeht und diese auch darstellt (vgl. Kästner ebd., S. 363). Diese Schrift sowie ihr Autor waren Kant jedenfalls vertraut (vgl. Kant: Über Kästners Abhandlungen, 20:418 f.; s. auch Chr. Wolff, Anfangsgründe der Geometrie; zu Kästner vgl. M. Wolff (2001), Geometrie und Erfahrung, 224 f.; vgl. ders. (2009), Absolute Selbstähnlichkeit, 290. S. ferner Kants Bemerkungen zu C. A. Hausens »Elem. Geometriae«, MS-RL, 6:208.1–18 und Anm. 6:521; Chr. Wolff, Deutsche Metaphysik, 68 69
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spruch nehmen, obwohl sie praktische Sätze enthält. Die praktischen Sätze, die in ihr vorkommen mögen, seien im Grunde nichts anderes als Aufgabenstellungen, für die eine Lösung gesucht werde. Kant spielt damit auf die Postulate der (euklidischen) Geometrie an, die er bereits als Folgerungen aus anderen, elementaren geometrischen Begriffsbestimmungen interpretiert.71 Zum Beispiel sei die Schwierigkeit, »mit einer gegebenen Lienie und einem gegebenen rechten Winkel ein Quadrat zu construiren, […] ein practischer Satz« (ebd. [20:198.10–12]).72 Praktisch heißt in diesem Falle nur die Vorschrift darüber, welche Darstellungsmittel zu wählen sind. Die Lösung erfolgt aber nicht als Konsequenz einer Willensbetätigung (und ist daher nicht im echten Sinne praktisch), sondern aus dem Begriff des Quadrats, welches ein »Ding[] nach Naturgesetzen« (20:199.20) ist (insofern das Quadrat mathematische Qualitäten wie »rechter Winkel« und »gerade Linie« sowie allgemeine Verstandesprinzipien für ihre Zusammensetzung zur geometrischen Figur des Quadrats voraussetzt). Insofern ist der praktische Satz, der die geometrische Aufgabe der Quadratkonstruktion stellt, »reine Folgerung aus der Theorie« (20:198.12). In gleicher Weise, bemerkt Kant, gehöre auch die »Feldmeßkunst« nicht als praktischer Teil in die Geometrie, sondern sei ein Scholium (Randbemerkung) (d. h. also: kein Corollar! Sie steht nämlich dem praktischen Gebrauch näher als die Postulate der euklidischen Geometrie)73 derselben als einer theoretischen Wissenschaft. Ihre praktische Bedeutung besteht dann aber in ihrer kommerziellen Nutzung (im »Gebrauch dieser Wissenschaft zu Geschäften«) (EE I, »Anmerkung«, 3. Abs. [20:198.12–16]). Die Fußnote zum dritten Absatz (20:198.22–31), die Kant eigenhändig im Manuskript nachgetragen und anschließend nochmals korrigiert hat,74 dient der Ver-
§§ 45–46. Zu dieser Unterscheidung zwischen dem praktischen Teil theoretischer Disziplinen s. auch Kant, Moralphilosophie Collins, 27:243; der Ausdruck »technisch-praktische Imperative« taucht auch in den Vorarbeiten zur Schrift Zum ewigen Frieden auf (23:163 ff.) (vgl. Madrid, N. Sanchez (2011), Primera Introducción, S. 253, nota 5). 71 Entsprechend merkt Kant in der KpV (§ 7, Anm.) zur Unterscheidung praktischer Sätze von »kategorisch« praktischen Sätzen an: »Die reine Geometrie hat Postulate als praktische Sätze, die aber nichts weiter enthalten als die Voraussetzung, daß man etwas thun könne, wenn etwa gefordert würde, man solle es thun und diese sind die einzigen Sätze derselben, die ein Dasein betreffen. Es sind also praktische Regeln unter einer problematischen Bedingung des Willens.« (5:31.2–6). 72 Dies entspricht Aufgabe 14 im Ersten Buch der Elemente Euklids (Euklid: Die Elemente. Buch I–XIII. Nach Heibergs Text aus dem Griechischen übersetzt und herausgegeben von Clemens Thaer. Darmstadt 1980, 31). 73 Kants Aufzählung von negativen Beispielen von Pseudowissenschaften der praktischen Philosophie suggeriert eine Gleichstellung derselben, die bei genauerem Hinsehen nicht gegeben ist. Es handelt sich vielmehr um verschiedene Typen der der empirischen Praxis mehr oder weniger nahestehenden Disziplinen und entsprechend um praktische Sätze ersten, zweiten usw. Grades (Folgerungen von Folgerungen etc.). 74 S. Hinske u. a. (Hg.) (1965), Faksimile, S. 4.
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teidigung der reinen Geometrie oder »Elementargeometrie« als einer theoretischen Wissenschaft gegen die Anmaßung, ihr einen praktisch-operationalen Teil, der von realen Konstruktionen (an empirischen Objekten) Gebrauch macht, anzugliedern: »Diese reine und ebendarum erhabene Wissenschaft scheint sich etwas von ihrer Würde zu vergeben, wenn sie gesteht, daß sie, als Elementargeometrie, obzwar nur zwey, Werkzeuge zur Construction ihrer Begriffe brauche, nämlich den Zirkel und das Lineal, welche Construction sie allein geometrisch, die der höheren Geometrie dagegen mechanisch nennt […]« (EE I, »Anmerkung«, 3. Abs., Fn. [20:198.22–26]). Kant kritisiert hier implizit die Verwechslung von mathematischer Erkenntnis, d. h. nach seinem Verständnis von Konstruktion als Darstellung eines Begriffs in der reinen Anschauung a priori (d. h. »durch die (selbstthätige) Hervorbringung einer ihm correspondirenden Anschauung«)75 (s. o., Erläuternder Exkurs, S. 24), mit der technischen Ausführung einer geometrischen Konstruktion. Auf dieser Verwechslung beruht auch das seiner Einschätzung nach vorliegende Mißverständnis des Gebrauchs von Zirkel und Lineal als zweier Werkzeuge der Konstruktion, indem darunter in der Geometrie keine faktischen Zeichengeräte, sondern bloß »Darstellungsarten« der Einbildungskraft gemeint sein könnten (20:198.30) (nämlich die für die Konstruktion des Quadrats gebrauchte Linie und der rechte Winkel). Dass dabei von »Zirkel« und »Lineal« gesprochen wird, hat sozusagen nur symbolische Bedeutung als Umschreibung spezieller Synthesisleistungen der Einbildungskraft. Denn die ›wirklichen‹ Instrumente könnten »niemals mit mathematischer Präcision jene Gestalten geben […], sondern sie sollen nur die einfachste Darstellungsarten der Einbildungskraft a priori bedeuten, der kein Instrument es gleich thun kann.« (EE I, »Anmerkung«, 3. Abs., Fn. [20:198.29–31]).76 Kants nicht genannter Adressat ist an dieser Stelle vermutlich Johann August Eberhard (1738–1809). Den Hintergrund seiner Kritik bildet zum einen sein transzendental bestimmter Begriff von reiner Geometrie, der außer der Anschauung
So Kants Ausdrucksweise in der Streitschrift gegen Eberhard (Über eine Entdeckung (1790), 8:192.25–26). 76 Helga Mertens interpretiert Kants Ausdrücke »Zirkel« und »Lineal« »(circinus et regula)« an der betreffenden Stelle als (physikalische) »Instrumente zur Darstellung der Begriffe in der empirischen Anschauung« (H. Mertens, Kommentar (1975), 53). Unter Berufung auf Kants Beispiel der mathematischen Konstruktion eines Dreiecks in der KrV (B 741–42 / A 713–14) faßt sie die dort berücksichtigte empirische Konstruktion als integrativen Bestandteil der Elementargeometrie auf. Die Konstruktion des Dreiecks in der empirischen Anschauung dient jedoch laut Kant in der KrV bloß dazu, »den Begriff« durch eine einzelne empirische Figur auszudrücken, indem »bei dieser empirischen Anschauung immer nur auf die Handlung der Konstruktion des Begriffs« geachtet wird. An keiner dieser Stellen denkt Kant daran, die empirische Konstruktion als praktische Erweiterung der Elementargeometrie anzugliedern. 75
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eben auch das Moment des Verstandesbegriffs erfordert,77 und zum anderen seine Kontroverse mit Eberhard über das richtige Verständnis von geometrischer Konstruktion am Beispiel des seit der Antike bekannten Problems der Bestimmung krummer Linien, die aus Kegelschnitten resultieren.78 Es würde zu weit führen, diesen ebenso speziellen wie komplexen Sachverhalt an dieser Stelle näher thematisieren zu wollen. Der Gedanke Kants hierbei ist, dass Eberhard aufgrund seines Mißverständnisses der Begriffskonstruktion des Apollonius sein eigenes Vorhaben, die Möglichkeit der Erweiterung der Metaphysik auch ohne Nachweis der objektiven Realität ihrer Begriffe an mathematischen Beispielen demonstrieren zu können, widerlegt habe (8:190–192). Ich verweise (vorläufig) auf die weitere Darstellung dieses Problems in der Auseinandersetzung zwischen Kant und Eberhard bei Darius Koriako.79 Im vierten Absatz der »Anmerkung« zu EE I beleuchtet Kant in knapper Form den Gebrauch und die Legitimität praktischer Sätze innerhalb zweier Teildisziplinen der Naturphilosophie, d. i. der Physik und der empirischen Psychologie. Beide Wissenschaften beruhen auf empirischen Prinzipien. Die ›eigentliche‹ Physik muß zwar praktische Vorkehrungen treffen – denn ihre Aufgabe besteht darin, »verborgene Naturgesetze zu entdecken«, und sie wird deswegen »Experimentalphysik« genannt80 – aber das berechtige nicht zur Annahme einer »practischen Physik« als eines Teils der Naturphilosophie.81 Die Begründung ist die gleiche wie die allgemeine Begründung, die schon für die Widerlegung des Rechtfertigungsversuches
Vgl. dazu M. Wolff (2001), Geometrie und Erfahrung, 209–232, bes. 221–223, sowie ders. (2009), Absolute Selbstähnlichkeit, 286. 78 S. Kant, Über eine Entdeckung (1790), 8:190–192, 212. Inhaltlich kommt die Fußnote auf S. 191/192 dem Kontext der Fn. zu Abs. 3, EE I, »Anmerkung«, auffällig nahe (vgl. D. Koriako (1999), Kants Philosophie der Mathematik, 274, Fn. 60). 79 Darius Koriako kritisiert Kants Kritik, indem er in dessen Einwänden Verständnisprobleme und Fehldeutungen von Fragestellungen, die die geometrische Konstruktion betreffen, nachzuweisen versucht. Vgl. D. Koriako (1999), Kants Philosophie der Mathematik, 253–263 u. 274 (Fn. 60), spez. 258 f. M. Wolff weist Koriakos Kritik mit überzeugenden Argumenten zurück (vgl. M. Wolff (2001), Geometrie und Erfahrung, 209–232). 80 Zu den möglichen Bezügen dieses Ausdrucks bei Lambert und d’Alembert s. Madrid, N. Sanchez (2011), Primera Introducción, 254–255, nota 8. 81 Die Physik ist nach Kants Erklärungen in den MAN wie die Psychologie eine »besondere metaphysische Naturwissenschaft« (4:470.10) und beruht auf empirischen Prinzipien (4:477.15 f.) (zur unterschiedlichen Bedeutung und Verwendung des Begriffs der Physik bei Kant vgl. u. a. Grundlegung, Vorrede (4:387), MS, Einleitung II (6:215)). Der Titel »Experimentalphysik« wurde von Christian Wolff dem Teil der Physik verliehen, dessen Absicht dahin gehe, »künfftig durch Hülffe dieser Versuche zu genauer Erkäntnis der Natur Anleitung zu geben« (Chr. Wolff, Allerhand Nützliche Versuche, dadurch zu genauer Erkäntnis der Natur und Kunst der Weg gebähnet wird (Deutsche Experimentalphysik), Erster Teil, Halle 1727, Vorrede (GW I, Bd. 20.1). Den Ausdruck »praktische Physik« verwendet Wolff, soweit ich feststellen konnte, in diesem Zusammenhang nicht. Vgl. auch Kant, Vorlesung über Ethik, 13. 77
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
einer praktischen Geometrie im vorausgegangenen Absatz Verwendung fand: Eine praktische Physik ist ein »Unding«, insofern sie gar nicht auf praktischen Prinzipien beruht. Vielmehr sind die Prinzipien physikalischer Versuchsanleitungen allein aus der Theorie (aus der Naturerfahrung) herzuleiten. – Aus demselben Grund muss nach Kant der Versuch, eine praktische Psychologie zu etablieren und der »Philosophie über die menschliche Natur« (d. h. der empirischen Psychologie oder Anthropologie) als einen besonderen Teil anzugliedern, fehlschlagen. Praktische Regeln (»Vorschriften«), die dazu anleiten sollen, bestimmte Gemütszustände in uns willkürlich hervorzubringen (z. B. den Zustand der »Bewegung oder Bezähmung der Einbildungskraft, die Befriedigung oder Schwächung der Neigungen« – was an das Gleichgewicht der Neigungen als innerer Bedingung der Möglichkeit eigener Glückseligkeit im vierten Absatz des Haupttextes erinnert (20:196.21 ff; vgl. Kommentar, S. 54)) – begründen in praktischer Hinsicht kein wissenschaftliches Spezialgebiet. Denn die Prinzipien, die Bedingung einer möglichen Manipulation des eigenen Gemütszustandes durch die Anwendung bestimmter (Körper-) Techniken sind, sind nicht eigentümliche Prinzipien einer praktischen Psychologie, sondern anderen, und zwar theoretischen Prinzipien geschuldet (»entlehnt«), nämlich denen, die unsere »Bestimmungen« (d. h. die jeweilige besondere Gemütsstimmung) »aus der Beschaffenheit unserer Natur« ermöglichen.82 Als Menschen sind wir aber unserer Natur nach – so können wir erläuternd ergänzen – so beschaffen, dass wir a priori über bestimmte Gemütskräfte – sowohl sensitive als auch voluntative und kognitive – verfügen. Die praktischen Sätze, die in der empirischen Psychologie faktisch vorkommen, sind insofern nur »Scholien« der Naturtheorie des Menschen und ihrer Prinzipien.
Erster Abschnitt, »Anmerkung«, fünfter Absatz: Praktische Sätze im engeren Sinne Bloß aus sich heraus kann dieser Absatz (20:199.15–29) nicht hinreichend verständlich gemacht werden. Es bedarf einer Bezugnahme auf die Eigenheiten und das begriffliche Zentrum der kantischen praktischen Philosophie (etwa auf Lehrstücke von den Imperativen). Der erste Satz dieses Absatzes enthält noch keine neuen Überlegungen. Er bekräftigt die frühere Feststellung, dass alle praktischen Sätze – gleichgültig, ob es
Bei diesen Prinzipien handelt es sich um die in E I, 5. bis 6. Abs. bekannt gemachten technisch-praktischen Regeln der Kunst (5:172.23–25, 173.11–12; vgl. EE I, »Anmerkung«, 6. Abs. und Fn. (20:199.30–201.10)). Zu ihnen gehören die Vorschriften der Diätetik, von denen Kant im Streit der Fakultäten (7:100–114) Gebrauch macht (zur Erwähnung der Diätetik in der KU vgl. E I, 6. Abs. (5:173.7); EE I, 4. Abs. (20:196.1)). Die Zuordnung diätetischer Lebensregeln zur theoretischen Philosophie könnte in der Tugendlehre der MS zum Konflikt führen mit den Regeln zur Einübung asketischer Lebenshaltung. 82
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sich um empirische oder um Sätze a priori handelt –, die »unmittelbar« Aussagen über die Möglichkeit eines Objektes »durch unsere Willkühr« enthalten, sich also nicht auf Handlungen oder Handlungsmaximen beziehen, zum theoretischen Teil der Philosophie gehören. Kant wendet sich anschließend aber den inhaltlich von ihnen unterschiedenen praktischen Sätzen im engeren Sinne zu. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie »direct die Bestimmung einer Handlung, blos durch die Vorstellung ihrer Form (nach Gesetzen überhaupt), ohne Rücksicht auf die Mittel [Materie]83 des dadurch zu bewirkenden Objects, als nothwendig darstellen […].« (H. F. Klemme (2006), 490; 20:199.18–21) Solche Sätze haben also nur eine Form oder genauer: die »Vorstellung« einer Form, die zugleich Gesetz ist, (als Handlungsnorm) zum Inhalt (das »ihrer« in dem zitierten Satz kann sich sinnvoll nur auf die Handlung beziehen, nicht auf die praktischen Sätze).84 Auf diese Weise stellen sie die »Bestimmung einer Handlung« mit Notwendigkeit dar. Sie enthalten also nicht wie die theoretischen Sätze auch einen Gegenstand (analog zu den Gegenständen der Natur). Die »Mittel« des Objekts, das durch die entsprechende Handlung bewirkt wird, – gemeint sind wohl die konkreten Handlungen in Hinsicht auf ein zu bewirkendes Objekt – finden keine Berücksichtigung. Das Gesetz ist hier in seiner allgemeinen Bedeutung als Gesetz überhaupt zu verstehen, d. h. jedenfalls als praktisches Vernunftgesetz, unter Abstraktion vom Unterschied zwischen Rechtsgesetz und moralischem (ethischem) Gesetz. Nur insofern diese Bedingungen erfüllt sind, haben praktische Gesetze auch ein praktisches philosophisches Prinzip, das auf die »Idee der Freiheit« zurückführt.85 Die Idee der Freiheit ist allen moralisch-praktischen Gesetzen gemeinsam.86 Was Kant hier mit »Gesetz« meint, entspricht den moralischen Imperativen, die er in der KpV, der Grundlegung und in späterer Zeit in der MS vorstellt. Praktische Gesetze sind im Unterschied zu Maximen kategorische Imperative.87 Sie bestimmen den Willen durch »Nötigung« und gelten objektiv.88 Nur die gesetzgebende Form ist willensbestimmend,89 und nur der Wille, sofern er als von empirischen Bedin-
Es ist sinnreich, hier der Verbesserung Cassirers zu folgen (vgl. H. F. Klemme (2006), 490; ein Schreibfehler des Kopisten kann nicht vorliegen, denn der Passus »die Mittel des dadurch zu bewirkenden« ist ein eigenhändiger Randzusatz Kants (Hinske u. a. (Hg.) (1965), Faksimile, 5; 20:199.20–21). 84 Vgl. MS, Einleitung IV (6:222.15–20). 85 Zum Begriff und zur Idee der Freiheit vgl. u. a.: KpV, Vorrede (5:3–4), § 8 (5:33) u. ö.; MS, Einleitung IV (6:221 f., 225, 226); vgl. Kommentar zu EE I, S. 42. 86 Vgl. MS, Tugendlehre, Einleitung XIV (6:406.30 f.). 87 Vgl. KpV, § 1, Anmerkung (5:20); MS, Einleitung in die Metaphysik der Sitten IV. (6:221, 222, 227). 88 Vgl. KpV, § 1, Anmerkung (5:20.8–14; vgl. KpV, § 7, Anmerkung, 5:32.21–31); vgl. dazu MS, Einleitung in die Metaphysik der Sitten IV. (6:222). 89 Vgl. KpV, § 6 (5:29.20–22); KpV, § 8 (5:33.12–15). 83
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gungen unabhängig gedacht wird (der reine Wille), ist »durch die bloße Form des Gesetzes« bestimmbar.90 Inwiefern »können und müssen« praktische Sätze, die die formale Bestimmung von Handlungen nach Gesetzen unmittelbar zu ihrem Inhalt haben, ihre genuinen Prinzipien in der »Idee der Freyheit« (anstatt im Begriff der Natur) haben? (EE I, »Anmerkung«, 5. Abs. [20:199.21 f.]) Praktische Sätze können auf praktischen Prinzipien beruhen, insofern die vorausgesetzte Willensautonomie der Grund ihrer Möglichkeit ist und sie deswegen die an sie gestellten Anforderungen erfüllen.91 Da die Autonomie des Willens aber zugleich der Grund der Verbindlichkeit moralischer Gesetze ist, ist ihre Bestimmung auch eine notwendige und objektive. Sie müssen sich also auf praktische Prinzipien gründen, weil die Abhängigkeit praktischer Sätze von Objekten des Begehrens (als der Materie des Gesetzes) eine Abhängigkeit von empirischer Erfahrung und deshalb auch eine solche »vom Naturgesetz, irgendeinem Antriebe der Neigung zu folgen«, bedeuten würde.92 Eine solche Bedingtheit, die nichts anderes als »Heteronomie der Willkür«93 wäre, wird aber von der Selbstgesetzgebung der Vernunft ausgeschlossen. Die Vorstellung der Form einer Handlung bewirkt jedoch ein spezielles praktisches Objekt des Willens, das Kant hier »das höchste Gut« nennt. Dessen Begriff soll sich auf jene Prinzipien bzw. die Idee der Freiheit gründen (EE I, »Anmerkung«, 5. Abs. [20:199.23–24]). Das »höchste Gut« konzipiert Kant in seinen Schriften zur praktischen Philosophie als synthetische, begrifflich und praktisch notwendige Vereinigung von Tugend und Glückseligkeit.94 Diese notwendige Verknüpfung ist abhängig von der »Auflö-
Vgl. KpV, § 7, Anm. (5:31.10–13); vgl. 5:68.1–4. Vgl. KpV, § 8, Lehrsatz IV. (5:33.8–21). 92 KpV, § 8, Lehrsatz IV.(5:33.25 f.); vgl. 5:67.32–68.10. 93 KpV, ebd., 5:33.25. 94 Vgl. KpV, Zweites Buch, Zweites Hauptstück: Von der Dialektik der reinen Vernunft in Bestimmung des Begriffs vom höchsten Gut. (5:110–113). Der Ausdruck des höchsten Gutes kommt bereits in der KrV (zweites Hauptstück der »Transzendentalen Methodenlehre«, B 832–847 / A 804–819) als »Ideal des höchsten Guts« vor und erhält dort die heuristische Funktion einer (moralisch bestimmten) Leitidee der Naturforschung, die dann später in der dritten Kritik (KU) erst auf das Prinzip der Zweckmäßigkeit der teleologisch reflektierenden Urteilkraft übertragen wird (vgl. dazu W. Euler (2012): Einheit der Abstammung oder Gattungseinteilung? Kants Begriff der (Menschen-)Rasse als Idee einer Naturgeschichte. In: R. Godel / G. Stiening (Hg.), Klopffechtereien – Missverständnisse – Widersprüche? Methodische und methodologische Perspektiven auf die Kant-Forster-Kontroverse. München, 55–96, bes. 57–67). Die »Idee des höchsten Gutes« hat ferner die Funktion der Begründung der Übereinstimmung von Natur und Freiheit bzw. der systematischen Einheit der »Sinnenwelt« und der »moralischen Welt« (B 843–844 / A 815–816). In der KU (§ 86) wird schließlich der Begriff des höchsten Gutes, der die moralische Existenzweise des Menschen in der Welt bedeutet, für die Begründung einer moralischen Teleologie und einer ethischen Theologie gebraucht. 90 91
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sung« des damit verbundenen Antinomienproblems.95 Der Begriff des höchsten Gutes ist also bestimmt als der Begriff eines Ganzen, »worin die größte Glückseligkeit mit dem größten Maße sittlicher […] Vollkommenheit als in der genauesten Proportion verbunden vorgestellt wird.«96 Er führt in der Verlängerung auf den Begriff von Gott. Von wesentlicher Bedeutung ist die Frage nach der praktischen Möglichkeit des höchsten Gutes. Diese kann nicht auf empirischen Prinzipien beruhen. Vielmehr ist es »a priori (moralisch) nothwendig, das höchste Gut durch Freiheit des Willens hervorzubringen« (5:113.9–10). Kant beantwortet die Frage nach der Möglichkeit des höchsten Gutes positiv und stützt sich dabei auf die Auflösung der Antinomie der praktischen Vernunft. Daraus folgt, dass das höchste Gut »der nothwendige höchste Zweck eines moralisch bestimmten Willens« (d. h. eines durch das moralische Gesetz bestimmten Willens) ist und ein »wahres Object« der praktischen Vernunft97 und deren ganzer Zweck98. Dass es ein solches Objekt sein kann, setzt voraus, dass Glückseligkeit das der Sittlichkeit nachgeordnete und aus ihr notwendig folgende ›zweite Element‹ desselben ist.99 Bestimmungsgrund des Willens, »der zur Beförderung des höchsten Guts angewiesen wird«, ist das moralische Gesetz und nicht etwa die eigene Glückseligkeit.100 Denn: »Das moralische Gesetz gebietet, das höchste mögliche Gut in einer Welt mir zum letzten Gegenstande alles Verhaltens zu machen.«101 Zur praktischen Möglichkeit des höchsten Gutes gehören als Voraussetzungen die Seelenunsterblichkeit und das Dasein Gottes. Deshalb führt die Forderung nach Verwirklichung des höchsten Gutes notwendig zur Religion.102 Gott ist nämlich die angenommene »oberste Ursache der Natur«, »die eine der moralischen Gesinnung gemäße Causalität hat« und die Bedingung der Möglichkeit des höchsten Gutes in der Welt ist.103 Kant schränkt aber an unserer Textstelle in EE I, »Anmerkung«, fünfter Absatz, die Relevanz dieses praktischen Objekts für den Status der eigentlich praktischen
Vgl. KpV, Zweites Buch, Zweites Hauptstück, I.–II. (5:113–119). KpV, 5:129.34–37. 97 Vgl. KpV, 5:115.9–17. 98 KpV, 5:133.6–7. 99 Vgl. KpV, 5:119.7–14. Das Problem der Pflichterfüllung »fremder Glückseligkeit«, das in der Tugendlehre der MS virulent wird, deutet sich hier noch nicht an. Vgl. dazu W. Euler (2013), A felicidade alheia, os pobres e os mendigos na Doutrina da Virtude de Kant (Fremde Glückseligkeit, Arme und Bettler in Kants Tugendlehre). In: Studia Kantiana. Revista da Sociedade Kant Brasileira, no. 14 (junho de 2013), 160–179. 100 KpV, 5:129.34–130.5. 101 KpV, 5:129.30–32. 102 Vgl. KpV, 5:122 ff. 103 KpV, 5:125.14–16. Zum Status des Gebots der Beförderung des höchsten Guts s. 5:145.21–146.6. 95
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Sätze sogleich wieder ein. Es soll nur »als Folgerung«104, d. h. mittelbar zur sittlichen Vorschrift gehören. Sowohl aus den theoretischen als auch aus den praktischen Prinzipien leiten sich also Folgesätze ab, und die Art dieser Ableitung entscheidet darüber, in welchem Sinne ein solcher Satz praktisch genannt werden darf. Dass sich das höchste Gut nicht aus theoretischen Sätzen ableiten läßt, scheint für Kant (u. a.) dadurch begründet zu sein, dass die Möglichkeit eines solchen Objekts (anders als in der stoischen Ethik, wie etwa bei Seneca) durch Naturkenntnis nicht einsehbar ist. Damit gelangt Kant zu dem naheliegenden Schluß, allein die zuletzt in Erwägung gezogenen praktischen Sätze würden zur praktischen Philosophie als einem Teil des Systems der Vernunfterkenntnisse gehören.
Erster Abschnitt, »Anmerkung«, sechster Absatz: Technische Sätze Um Verwechslungen vorzubeugen, bezeichnet Kant ab dieser Stelle alle diejenigen praktischen Sätze, die zur theoretischen Philosophie bzw. der unter ihrem Dach vereinigten Wissenschaften gehören und nur deshalb »practische« genannt werden, weil ihre Funktion in der »Anwendung« oder »Ausübung« einer solchen Wissenschaft besteht, als »technische Sätze« (20:200.1).105 Als Grund dieser Benennung wird angegeben, dass sie zur »Kunst« gehörten, »das zu stande zu bringen, wovon man will, daß es seyn soll […].« (20:200.2) Zunächst ist zu bemerken, dass das Wollen auch in diesem Falle der Willkür entspringt. Aber das Sollen hat keine moralische Qualität, insofern es aus keinem praktischen Gesetz entspringt, das verpflichtet. Die »Kunst« wird in diesem Zusammenhang auch »Technik« genannt (vgl. E I, 5. Abs.). Was ist damit gemeint? Kant expliziert diesen Begriff hier nicht näher. Es gibt aber im Text dieses Absatzes drei Anhaltspunkte, die es erlauben, seine inhaltliche Bedeutung zu erschließen: Erstens ist die »Kunst« die praktische Umsetzung (die Verwirklichung) dessen, was die Willkür zur Absicht von Handlungen bestimmt. Sie setzt eine ›vollständige‹ Theorie über den Gegenstand des Wollens voraus. Zweitens umfasst sie »alle Vorschriften der Geschicklichkeit« (20:200.5), die Folgerungen aus der Naturtheorie sind.106
Die Worte »als Folgerung« hat Kant nachträglich am Seitenrand eingefügt (Hinske u. a. (Hg.) (1965), Faksimile, S. 5). 105 Zur Unterscheidung zwischen praktischen und technischen Sätzen in der Mathematik und Naturlehre vgl. KpV, 5:26.34–40 (Fn.); zur Unterscheidung zwischen technisch-praktischen und moralisch-praktischen vgl. 8:285, Fn.; MS, 6:218; KrV, B 828–829. 106 Zu den »Vorschriften« oder »Regeln der Geschicklichkeit« s. E I, 5. und 6. Abs. (5:172 f.); vgl. Kommentar zur Einleitung, Erster Abschnitt, fünfter Absatz und Erster Abschnitt, sechster Absatz (S.389–396); vgl. Madrid, N. Sanchez (2011), Primera Introducción, 255–257, nota 12. Die Diätetik z. B. umfaßt nach Kant nur technisch-praktische Regeln der 104
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Drittens grenzt Kant dieses Verständnis von Technik klar ab von dem Technikbegriff, den er an späteren Stellen der KU bei der (teleologischen) Betrachtung der Natur als solcher in Analogie zur Kunst verwendet.107 Dabei ist zunächst einmal nicht zwingend davon auszugehen, dass sich diese beiden Kunst- oder Technikbegriffe ihrer inhaltlichen Bedeutung nach voneinander unterscheiden. Kant bezieht sich vielmehr bloß auf deren unterschiedliche Verwendungsweisen. Der wichtigste Unterschied besteht darin, dass mit Hilfe des Analogon der Kunst Urteile über Gegenstände der Natur gefällt werden, die an dem Gegenstand, auf den sie sich beziehen, nichts bestimmen, und zwar weder die Objektbeschaffenheit, noch die Art der Erzeugung solcher Objekte. Sie ermöglichen nur, »die Natur selbst« (als ein Ganzes) »in subjectiver Beziehung auf unser Erkenntnißvermögen« zu beurteilen (20:201.3–4). Es handelt sich dabei der Sache nach um die Urteile, die an späterer Stelle »Reflexionsurteile« genannt werden.108 Ihre Funktion ist es, Gegenstände der Natur so zu beurteilen, »als ob ihre Möglichkeit sich auf Kunst gründe.« (20:200.9) Ich komme weiter unten ausführlicher noch auf diesen Aspekt zu sprechen. Weil sie nun an den Gegenständen nichts bestimmen, bilden solche Urteile eine eigene Klasse. Sie können weder zu den theoretischen, noch zu den praktischen Urteilen gehören (rückschließend müßten dann die theoretischen und praktischen Sätze, die wohl auch als Urteile aufgefasst werden können, bestimmend sein, zumindest was die Erzeugungsart der Gegenstände betrifft. Das sagt Kant aber nicht ausdrücklich). Kant bezieht das Attribut »technisch« ausdrücklich nicht auf diese Urteile, wohl aber auf die Urteilskraft, durch die sie gebildet werden, und auf deren Gesetze, sowie auf die Natur. Vermutlich wegen dieses Vorbehaltes gegenüber der
Geschicklichkeit; diese sind keine Gesetze sondern »Vorschriften« (Einleitung, Erster Abschnitt). Sie gehören jedoch – folgt man der Grundlegung – strenggenommen nicht zu den »Imperativen der Geschicklichkeit«, sondern sind Vorschriften der Klugheit, weil es nicht beliebige Zwecke oder Absichten sind (vgl. KrV, B 851), zu denen die Wahl der Mittel vorgeschrieben wird, sondern ein bestimmter Zweck (d. i., für sein eigenes größtes Wohlbefinden zu sorgen) (4:416, 1. Abs.). Bei den Imperativen der Geschicklichkeit kommt es nicht darauf an, »ob der Zweck vernünftig und gut sei […] sondern nur was man thun müsse, um ihn zu erreichen.« (4:415.14–15) Gleichwohl sind die Regeln der Geschicklichkeit auch hier technische, zur Kunst gehörige Imperative (4:416.29). 107 Vgl. die drei unterschiedlichen Bedeutungen von »Kunst« in KU, § 43: 1. Natur in Analogie zur Kunst, 2. Kunst als Geschicklichkeit, 3. Kunst als Handwerk. Es ist daher nicht zutreffend, wenn behauptet wird, »daß die Begriffe ›Technik‘ und ›Kunst‘ für Kant Synonyme sind« (H. Mertens (1975), Kommentar, 56). Vgl. auch die im Architektonik-Kapitel der KrV gebrauchte Unterscheidung zwischen technischer und architektonischer Einheit eines Ganzen der Erkenntnis. Die technische Einheit entspringt nicht aus einer Idee a priori eines Zwecks der reinen Vernunft, sondern wird empirisch »nach zufällig sich darbietenden Absichten« gebildet und beruht somit auf dem »zufälligen Gebrauch[] der Erkenntnis in concreto zu allerlei beliebigen äußeren Zwecken« (KrV, B 861 / A 833). 108 Vgl. u. a. § 25, 5. Abs.; § 36, 2.Abs.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Bezeichnung »technische Urteile« hat Kant einen längeren Zusatz, den er am Rand des Manuskripts nachträglich ergänzt hat, wieder gestrichen. Er lautete: »[…] Da solche Urtheile nun gar keine Erkenntnisurtheile sind, so läßt sich daraus einsehen, woher der Begriff von technischen Urtheilen gänzlich ausserhalb dem Felde der logischen Eintheilung (in theoretische und practische) liegen und lediglich in […] einer Critik des Ursprungs unserer Erkenntnis Platz finden könne«.109 Aus der Zuordnung des Attributs »technisch« zur Urteilskraft (und nicht zu Erkenntnisobjekten) folgt, dass diese Technik keinen eigenständigen Teil der »doktrinalen Philosophie«, d. h. eben des Systems der Vernunfterkenntnis bildet, sondern »nur der Kritik unserer Erkenntnisvermögen« angehören kann (20:201.9–10).
Erster Abschnitt, »Anmerkung«, sechster Absatz, Fußnote zur Korrektur der Imperative in der Grundlegung Nachzuholen ist noch die Kommentierung der innerhalb des sechsten Absatzes der »Anmerkung« gesetzten Fußnote, die eine Erläuterung zum Ausdruck »Vorschriften der Geschicklichkeit zur Technick« enthält. Die Fußnote, die in der späteren Einleitung nicht beibehalten wurde, bezieht sich auf den Satz im Haupttext, welcher lautet: »Auf solche Weise gehören alle Vorschriften der Geschicklichkeit zur Technick« (20:200.4–5). Der Text der Fußnote nimmt Bezug auf einen Passus in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785), der von den »Imperativen der Geschicklichkeit« handelt. Kant sieht hier eine passende Gelegenheit, die an der dortigen Stelle gebrauchte Terminologie zu korrigieren und diese Entscheidung auch zu begründen. Der von Kant eigenhändig mehrfach geänderte Fußnotentext bleibt jedoch als solcher in seiner Ausdrucksweise und sachlichen Problematik für sich genommen unverständlich. Es ist erforderlich, die Bezugsstelle, auf die er sich kommentierend bezieht (Grundlegung, 2. Abschnitt [04:414.12 bis 419.11]), mit heranzuziehen. Kants Selbstkorrektur in der Fußnote betrifft die Kennzeichnung einer Klasse von Imperativen (die der »Geschicklichkeit«) als »problematische« (4:414.32 bis 4:415.2)110. Sein Referat der betreffenden Stelle aus der Grundlegung folgt nicht genau dem Textaufbau des Originals. Denn der Grund der Benennung, den Kant N. Hinske u. a. (Hg.) (1965), Faksimile, S. 6. Mit der »Critik des Ursprungs unserer Erkentnis« ist auch hier keine »vierte« Kritik gemeint, sondern die Kritik des Erkenntnisvermögens im allgemeinen (d. h. das System der Kritik der reinen Vernunft) und die KU im besonderen. 110 Vgl. dazu den Kommentar von D. Schönecker / A. W. Wood (2007), Kants »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten«. Ein einführender Kommentar. 3. durchgesehene und bibliographisch aktualisierte Aufl. Paderborn, München, Wien, Zürich, 114–117; Ph. Richter (2013), 109
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nachträglich anführt – »daß sie nur bedingterweise und zwar unter der Bedingung bloß möglicher, d. i. problematischer, Zwecke geböten« – folgt erst auf die Unterscheidung zwischen problematischen, assertorischen und apodiktischen praktischen Prinzipien (4:414.32–515.5). Dem Wortlaut nach kommt der Ausdruck »problematischer Imperativ« in der näheren Umgebung des zitierten Textes der Grundlegung nicht vor. Kant führt die Imperative der Geschicklichkeit in der Grundlegung folgendermaßen ein: »Alle Wissenschaften haben irgend einen praktischen Theil, der aus Aufgaben besteht, daß irgend ein Zweck für uns möglich sei, und aus Imperativen, wie er erreicht werden könne. Diese können daher überhaupt Imperativen der Geschicklichkeit heißen. Ob der Zweck vernünftig und gut sei, davon ist hier gar nicht die Frage, sondern nur was man thun müsse, um ihn zu erreichen.« (4:415.10–15) Zunächst ist anzumerken, dass Kants Selbstkritik in der Konsequenz über die von ihm verwendete Terminologie hinausgeht. Denn die gesamte Argumentation in EE I (ebenso wie diejenige in E I), die die unangemessene Begründung einer Einteilung in theoretische und praktische Philosophie aufdecken soll, bringt eben auch jene authentische Beschreibung zu Fall, dass »alle Wissenschaften« »irgend einen praktischen Theil« etc. haben. Ein bloß möglicher Zweck abstrahiert davon, ob er auch ein guter Zweck ist. Es kommt nur darauf an, die geeigneten und notwendigen Mittel einzusetzen, um den jeweiligen Zweck auch zu verwirklichen. Das gilt von den apodiktischen Imperativen nicht. Da die zu bewirkende Absicht in solchen Fällen beliebig ist, sind auch die dafür verwendeten praktischen Vorschriften gleichwertig, wie z. B. die Anweisung für den Arzt, seinen Patienten zu heilen, und die des ›Giftmischers‘, eine Person zu töten (4:415.15–19). Dieser Betrachtung gehen im zweiten Abschnitt der Grundlegung einige Unterscheidungen voraus, die ich an dieser Stelle nur kurz skizziere: Die erste Unterscheidung betrifft die Einteilung in hypothetische und kategorische Imperative.111 Ihnen ist gemeinsam, dass sie die praktische Notwendigkeit einer Handlung vorstellen, die überhaupt auf einem Willen beruht. Aber dies geschieht auf unterschiedliche Weise: die Handlung, die Gegenstand eines hypothetischen Imperativs ist, ist bloß das Mittel, das sich auf einen anderen Zweck richtet und insofern gut ist; die Handlung des kategorischen dagegen ist Selbstzweck, weil sie »an sich gut« ist (4:414.12–25). Kants ›Grundlegung zur Metaphysik der Sitten‘. Ein systematischer Kommentar. Darmstadt, 73. 111 Vgl. zur Bedeutung dieser Klassifizierung auch St. Zimmermann (2011), Kants Kategorien der Freiheit, 206–207, 265. Schönecker, D. / Wood, A. (32007), Kants Grundlegung, 109–117.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Die hypothetischen Imperative sind jedoch nicht insgesamt Handlungsanweisungen, die beliebigen Zwecken dienen. Dies gilt nur von solchen, die problematisch sind, insofern sie Handlungen vorstellen, die mit Rücksicht auf eine mögliche Absicht gut sind. Diejenigen dagegen, die sich auf eine wirkliche Absicht richten, sind assertorisch. (Der kategorische Imperativ ist apodiktisch) (4:414.32 bis 415.5). Die Gliederung in apodiktisch / assertorisch / problematisch entspricht der Einteilung der Modalität der Urteile in der KrV (B 100–101 / A 74–76). Assertorische Imperative setzen einen bestimmten Zweck als wirklich gegeben voraus, den ein Vernunftwesen »nach einer Naturnothwendigkeit« hat (4:415.32). Dieser Zweck ist die weiter oben im Kontext des ersten Abschnittes der EE bereits kommentierte »Glückseligkeit«: »Der hypothetische Imperativ, der die praktische Nothwendigkeit der Handlung als Mittel zur Beförderung der Glückseligkeit vorstellt, ist assertorisch. Man darf ihn nicht bloß als nothwendig zu einer ungewissen, bloß möglichen Absicht vortragen, sondern zu einer Absicht, die man sicher und a priori bei jedem Menschen voraussetzen kann, weil sie zu seinem Wesen gehört« (4:415.33–416.1).112 Daher folgt der ›Giftmischer‘ nicht dem assertorischen Imperativ, denn es ist gegen die menschliche (praktische) Vernunft, einen anderen absichtlich zu töten. Aber er handelt nicht gegen alle Vernunft, weil er die seiner Absicht entsprechenden Mittel nach seinen Kenntnissen einsetzt (dazu genügt aber auch schon Erfahrung). Kant begründet seine Selbstkritik in der Fußnote am Ende der »Anmerkung« des ersten Abschnittes der EE damit, dass der von ihm in der Grundlegung (der Sache nach) verwendete Ausdruck problematischer Imperativ einen Widerspruch enthalte. Worin besteht dieser Widerspruch und lässt er sich durch die von ihm vorgeschlagene Strategie der Umbenennung wirklich ausräumen? Der Text der Fußnote gibt keine direkte Antwort auf diese Frage. Aber sie kann (vielleicht) aus Kants Verbesserungsvorschlägen erschlossen werden: »Ich hätte sie [d. i. die problematischen Imperative, WE] technisch, d. i. Imperativen der Kunst nennen sollen.« (20:200.16–17).113 Gegen dieses angebliche Versäumnis ist aber sogleich einzuwenden: Kant nennt doch bereits in der Grundlegung die Regeln der Geschicklichkeit, die er neben die Ratschläge der Klugheit und die Gebote der Sittlichkeit stellt, technische Imperative: »Man könnte die ersteren Imperative auch technisch (zur Kunst gehörig), die zweiten pragmatisch (zur Wohlfahrt), die dritten moralisch (zum freien Verhalten überhaupt, d. i. zu den Sitten gehörig) nennen.« (4:416.28 bis 417.2).114 Dem NaZum hypothetischen Imperativ s. auch KpV, 5:20.13–24. Zur Unterscheidung zwischen kategorischen und technischen Imperativen s. auch MS, Einleitung, IV., 2.Abs. (6:221.19–28) und 5. Abs. (6:222.15–26). 114 Helga Mertens schenkt der Selbstkorrektur in Kants Fußnote u. a. deswegen keine besondere Beachtung (H. Mertens (1975), Kommentar, 57). 112 113
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men nach sind die technischen Imperative also längst schon eingeführt worden. Es ist hier jedoch gar nicht die Frage, weshalb Kant seinen eigenen Vorschlag übergeht.115 Vielmehr ist zu fragen, was mit der Umbenennung eigentlich gewonnen ist. Der Unterschied zwischen den technischen und den pragmatischen Imperativen, auf den es Kant in der Fußnote anscheinend ankommt, soll den Vorteil zu verdeutlichen helfen: »Die pragmatische [erg.: Imperative, WE], oder Regeln der Klugheit, welche unter der Bedingung eines wirklichen und so gar subjectiv-nothwendigen Zweckes gebieten, stehen nun zwar auch unter den technischen (denn was ist Klugheit anders, als Geschicklichkeit, freie Menschen und unter diesen so gar [die]116 Naturanlagen und Neigungen in sich selbst,117 zu seinen Absichten brauchen zu können).« (20:200.17–22) Was besagt in dem Zitat der Ausdruck: »stehen … unter …«? Es gibt zwei Möglichkeiten: entweder sie gehören als besondere Teilklasse zu den technischen, dann aber würden diese insgesamt die hypothetischen Imperative ersetzen; oder sie sind bedingt durch die technischen, hängen von ihnen ab und bilden eine Konkretion (nähere Bestimmung) derselben. Ich favorisiere die zweite Option, d. h. die pragmatischen Imperative stehen zu den technischen im Verhältnis eines Besonderen zum Allgemeinen. Darauf läßt nicht nur die Begründung in Parenthese schließen (Klugheit ist eine besondere Form der Geschicklichkeit), sondern vor allem die Formulierungen am Ende der Fußnote (›besondere Benennung dieser technischen Imperative‹, ›allgemeine technische Imperative‹). Nach Kants Ausführungen in der Grundlegung ist der Imperativ die »Formel des Gebots«, d. h. der »Vorstellung eines objektiven Princips, sofern es für einen Willen nöthigend ist« (4:.413.9–11). Dabei wird der Wille seiner subjektiven Beschaffenheit nach nicht notwendig (nicht in jedem Fall) durch das objektive Vernunftgesetz bestimmt. Die Imperative sagen, »daß etwas zu thun oder zu unterlassen gut sein würde, allein sie sagen es einem Willen, der nicht immer darum etwas thut, weil ihm vorgestellt wird, daß es zu thun gut sei.« (4:413.15–18; vgl. 4:414.26–31). Die allgemeine Definition des Imperativs paßt aber eigentlich nicht auf alle drei Gattungen von Imperativen, die Kant anführt. Denn nur der Imperativ der Sittlichkeit
Man muss dazu nicht annehmen, dass ihn dabei seine Erinnerung verlassen habe; er wollte damit vielleicht nur andeuten, dass er jene Klasse von Imperativen eindeutig als technische hätte definieren sollen, um von dem Ausdruck technische Imperative auch konsequent Gebrauch zu machen. 116 In der AA (20:200.21): »der«. S. jedoch die Korrektur in: N. Hinske u. a. (Hg.) (1965), Faksimile, S. 6. 117 »und unter diesen so gar die Naturanlagen und Neigungen in sich selbst,« ist eine eigenhändige Ergänzung Kants am Blattrand des Manuskripts (N. Hinske u. a. (Hg.) (1965), Faksimile, S. 6). 115
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
ist im strengen Sinne gebietend oder gesetzgebend: »Denn nur das Gesetz führt den Begriff einer unbedingten und zwar objectiven und mithin allgemein gültigen Nothwendigkeit bei sich […]« (4:416.20–22). Die Imperative der Geschicklichkeit und die der Klugheit sind dagegen nur subjektiv notwendig und dabei zufällig bestimmt, d. h. von empirischen Bedingungen abhängig. Sie unterscheiden sich im Grad der Notwendigkeit und der Bestimmung. »Regeln der Geschicklichkeit« hängen von einem beliebig gewählten Zweck des Willens ab, zu dessen Verwirklichung ein unentbehrliches Mittel gebraucht wird (4:417.7–18). »Rathschläge der Klugheit« richten sich zwar nicht nach einem beliebigen Zweck, sondern nach der »Glückseligkeit«, die aber immer noch »ein so unbestimmter Begriff ist, daß obgleich jeder Mensch zu dieser zu gelangen wünscht, er doch niemals bestimmt und mit sich selbst einstimmig sagen kann, was er eigentlich wünsche und wolle.« (4:418.1–4; vgl. 4:418.21–23). Wenngleich zur »Idee der Glückseligkeit ein absolutes Ganze, ein Maximum des Wohlbefindens« notwendig ist (4:418.7–9), so werden die Inhalte dieses Begriffs aus der Erfahrung bezogen und die Ratschläge sind selbst empirisch (»z. B. der Diät, der Sparsamkeit, der Höflichkeit, der Zurückhaltung u.s.w.«, 4:418.26–27). Die m. E. entscheidende Veränderung, die Kant in der Fußnote am Ende des ersten Abschnittes der EE gegenüber der Grundlegung vornimmt, betrifft die Klugheitsregeln118, die hier als besondere technische (d. i. pragmatische) Imperative gefaßt werden, und zwar dadurch, dass der Zweck – die »eigene Glückseligkeit« – »nicht unter die blos119 beliebigen Zwecke gehöret« […] »weil die Aufgabe nicht blos, wie bey [lies: allgemeinen, WE] technischen, die Art der Ausführung eines Zwecks, sondern auch die Bestimmung dessen, was diesen Zweck selbst (die Glückseeligkeit) ausmacht, fodert, welches bey allgemeinen technischen Imperativen als bekannt vorausgesetzt werden muß« (20:200.23–28). Gehört aber nun die Zweckbestimmung mit zur Funktion der in der Grundlegung noch anders definierten pragmatischen Imperative (die nämlich dort von einer Zweckbestimmung absehen, weil die Bestimmung der je eigenen Glückseligkeit unmöglich sei: 4:418.9 ff.)120, dann ergibt sich daraus als Konsequenz, dass sie nicht mehr »hypothetisch« sind. Und wird die Zweckbestimmung bei den allgemeinen technischen Imperativen (d. i. denen der Geschicklichkeit) »als bekannt vorausgesetzt«, dann erfüllen sie zwar noch das Kriterium des Hypothetischen; sie sind aber nicht mehr »problematisch«. Als einzelne Zwecke haben sie bereits einen bestimmten Inhalt, der keiner Auslegung mehr bedarf. Als Schlüssel zur Auflösung des oben bezeichneten Widerspruchs erweist sich also das Wegfallen der Gliederung der Zwecke nach dem Gesichtspunkt der ModaZur »Klugheitsregel« im Unterschied zur Pflicht vgl. u a. MS, TL, 6:427.10. »blos« von Kant eigenhändig über der Zeile ergänzt (N. Hinske u. a. (Hg.) (1965), Faksimile, S. 6). 120 Vgl. den Kommentar von D. Schönecker und A. W. Wood (2007), 115; Ph. Richter (2013), Kants ›Grundlegung‘, 75–76. 118
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I. Abschnitt: Philosopie als System
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lität insgesamt (problematisch / assertorisch / apodiktisch), nicht bloß die schlichte Umbenennung der problematischen Imperative in technische. D. h. bei den technischen Imperativen haben wir es auch im Falle der Imperative der Geschicklichkeit mit wirklichen (nicht bloß möglichen), obgleich – im Hinblick auf deren potentielle Vielfalt – beliebig bestimmten Zwecken zu tun. Dies ist notwendig so, weil ein bloß möglicher Zweck zu unbestimmt (abstrakt allgemein) wäre, als dass ein Imperativ über die Mittel und Handlungsweise gebieten könnte. Die Beziehung zwischen dem Zweck und den notwendigen Mitteln muß eindeutig sein, wenn daraus das Moment der Notwendigkeit bzw. des Zwangscharakters (der Verbindlichkeit) resultieren soll, das das allgemeine Kriterium für das Vorliegen eines Imperatives ist. Ein bloß möglicher (problematischer) Zweck kann diese Eindeutigkeit nicht sicherstellen. Insofern liegt in dem Ausdruck problematischer Imperativ ein Widerspruch.
II. Abschnitt: System der oberen Erkenntnisvermögen
EE II Zweiter Abschnitt: »Von dem System der obern Erkenntnißvermögen, das der Philosophie zum Grunde liegt«121
Gliederung: Erster bis fünfter Absatz: Stellung und Funktion der Urteilskraft im System der Erkenntnisvermögen Sechster Absatz und Fußnote: Natur und Erfahrung »als System nach empirischen Gesetzen« Siebter Absatz: Zweckmäßigkeit als Prinzip für die Nachforschung der Natur Achter und neunter Absatz: Die Technik der Natur. System und Aggregat
Erster bis fünfter Absatz: Stellung und Funktion der Urteilskraft im System der Erkenntnisvermögen Schon aus der Überschrift geht die Beziehung des zweiten Abschnittes zum Anfang der Ersten Einleitung hervor. Deren erster Abschnitt untersuchte den Begriff der Philosophie, insofern er ein systematisch gegliedertes Ganzes darstellt. Es ergab sich daraus eine Einteilung in theoretische und praktische Philosophie, deren Grenzziehung gegenüber der traditionellen Metaphysik revidiert wurde. Diese Einteilung soll nun näher begründet werden, und der »Grund« soll insbesondere in dem »System der obern Erkenntnißvermögen«, wie die Überschrift sagt, zu suchen sein. Das Verhältnis zwischen dem zweiten und dem ersten Abschnitt ist also ein solches vom Grund zur Folge (bzw. des Rückgangs von der Folge zum Grund). Mittelbar wird somit auch im zweiten Abschnitt noch von der Einteilung der Philosophie gehandelt. Sein eigentlicher Gegenstand ist jedoch das »System der obern Erkenntnißvermögen«, und zwar insbesondere die Stellung der Urteilskraft innerhalb dieses Systems. Kants Skizze vermittelt nur wenige Anhaltspunkte für eine Rekonstruktion der angestrebten Systematik, die von ihm gebrauchten Fachtermini werden im Kontext dieses Abschnittes von ihm nicht näher erläutert. Der erste Absatz hebt deutlich hervor, dass es allein um die Einteilung des oberen Erkenntnisvermögens geht. Von der sinnlichen Anschauung (als dem unteren
Abschnitt II der EE wird in der Ausgabe von Beck nicht berücksichtigt. Vgl. J. S. Beck (1794), Erläuternder Auszug, 549. 121
II. Abschnitt: System der oberen Erkenntnisvermögen
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Vermögen), insofern sie als »reine« (nicht-empirische) Anschauung a priori, d. h. als formale Bedingung betrachtet wird,122 ist gänzlich zu abstrahieren. Der Unterschied zwischen oberen und unterem Erkenntnisvermögen ist hierarchisch zu verstehen. Das Vermögen der Sinnlichkeit ist nicht selbstbestimmend, sondern wird intellektuell bestimmt. Wir haben es also hier nur mit dem »Vermögen zu denken« bzw. dem der Begriffe a priori zu tun. Das »Erkenntnißvermögen a priori durch Begriffe« ist deshalb gleichzusetzen mit Denkvermögen (Kant: »Denkungsvermögen[]«). Dieses insgesamt, d. h. mit allen seinen Teilen, bezeichnet Kant, wie bereits im ersten Abschnitt der EE geschehen, als »Kritik der reinen Vernunft«, womit abermals nicht der Buchtitel von 1781/1787 gemeint sein kann. In systematischer Hinsicht, so behauptet Kant weiter, sei jenes Vermögen bzw. die Kritik dreigliedrig. Es besteht nämlich aus dem Verstand, der Urteilskraft und der Vernunft. Ihnen ist gemeinsam, dass sie einerseits Denkvermögen sind, andererseits je spezifische begriffliche Erkenntnisvermögen bezeichnen.123 Woraus die ›ausfallende‹ Dreigliedrigkeit der »systematische[n] Vorstellung des Denkungsvermögens« (EE II, 1. Abs. [20:201.18–19]) eigentlich folgt, erörtert Kant an dieser Stelle nicht. Man könnte jedoch versuchen, ausgehend vom Verstand als dem Vermögen der Regeln, die anderen Vermögen als notwendig damit verbunden, herzuleiten, also die Urteilskraft als das Vermögen, unter Regeln zu subsumieren, die Vernunft als das Vermögen der Prinzipien, das sowohl den Verstand als die Urteilskraft ihrer Einheit unterstellt (vgl. KrV, B 355–359 / A 298–202). Allen drei Erkenntnisvermögen a priori ist die Aufgabe gemeinsam, ein Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem herzustellen, obwohl die Verstandestätigkeit nicht explizit auf ein Besonderes Bezug nimmt. Die Bedeutung des Allgemeinen (bzw. des Besonderen) kann bei jedem der drei Vermögen differieren. Aber sie alle beruhen auf einer Operation des Denkens, das nicht gleichbedeutend ist mit »Form des Denkens« und demzufolge auch nicht mit diskursiver Erkenntnis.124 Mit Denken ist hier nicht nur eine Operation des Verstandes gemeint, dessen Formen dann allerdings »diskursive des Denkens, oder der Erkenntnis durch Begriffe« sind.125 Dennoch ist das angesprochene Denken Erkenntnis »durch Begriffe«, und zwar hier durch Begriffe, die als Prädikate möglicher Urteile fungieren. Denken bedeutet demnach auch soviel wie Urteilen.126 Verstand, Urteilskraft, Vernunft sind insofern insgesamt Denkvermögen, deren Funktion allgemein darin besteht, Erkenntnisurteile so zu begründen, dass daraus notwendig verschiedene Klassen von Urteilen a priori resultieren müssen (Erkenntnisurteile, Geschmacksurteile, moralisch-praktische Urteile). Vgl. KrV, B 65 / A 48, B 74 f. / A 50 f. EE II, 1. Abs. (20:201.14–24); vgl. dazu und zur Überordnung des Verstandes über die Sinnlichkeit Kant, Anthropologie, § 40 (7:196 f.). 124 Vgl. KrV, B 170 / A 131. 125 Vgl. KrV, B 283 / A 230. 126 Vgl. KrV, B 106 / A 80 f.; Prolegomena § 22 (4:304.31–32). 122 123
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Der Verstand, der als »Vermögen der Erkenntnis des Allgemeinen (der Regeln)« ausgewiesen wird,127 ist nach der ersten Kritik ein »Vermögen der Regeln«.128 Er allein liefert im Unterschied zu Urteilskraft und Vernunft Erkenntnis im engeren Sinne.129 Das Allgemeine als solches ist hier nicht Gegenstand und Ziel von Erkenntnis, sondern deren Mittel,130 es sei denn, das nicht genannte Besondere ist selbst als ein Allgemeines zu fassen. Es ist ja nicht primär oder gar erschöpfend die Aufgabe der KrV, die subjektiven Verstandesregeln als ein Allgemeines zu erkennen, sondern deren Funktion in Hinsicht auf objektive Erkenntnis der Natur und ihrer Gegenstände zu erklären. In diese Aufgabe ist aber die Beziehung des Erkenntnisvermögens auf ein Besonderes notwendig schon involviert. Andererseits kann das Besondere weder die Erscheinung noch ein empirisches Naturgesetz sein, denn zu dessen Erkenntnis wäre sinnliche Anschauung erforderlich, von der in der vorliegenden Betrachtung abstrahiert werden soll. Das Besondere muss also selbst ein Allgemeines sein, vielleicht in Form besonderer transzendentaler Naturgesetze; oder das Besondere der Verstandeserkenntnis ist der transzendentale Begriff eines »Dinges überhaupt« als Allgemeines, der a priori den empirischen Gehalt der Erscheinungen vorstellt und die Regel der Synthesis für die Wahrnehmungen enthält.131 »Das« Allgemeine als solches (die »Regeln«) muss dagegen von höherer Allgemeinheit sein. Es bezeichnet demnach die Einheit der Apperzeption und die reinen Verstandesbegriffe, welche zugleich die Funktion haben, das (logische) Denken bestimmten Regeln zu unterziehen. Die »Regeln« sind aber nicht »allgemeine logische Regeln« des Denkens überhaupt.132 Denn sie enthalten einerseits bestimmte Vorschriften zur Verknüpfung eines Anschauungsmannigfaltigen a priori133 als Bedingung der Möglichkeit von Naturerkenntnis in Form synthetischer Urteile a priori; andererseits sind sie gleichbedeutend mit den in EE II, zweiter Absatz, erinnerten »Gesetze[n] der Natur« (20:202.3), deren Gesetzgeber der reine Verstand ist. Als Regeln des Denkens sind sie logischer Natur; trotzdem sind sie keine Regeln, die Einlass in die allgemeine formale Logik finden können.134 Die Urteilskraft gilt, gleichfalls seit der ersten Kritik, als »Vermögen der Subsumtion des Besondern unter das Allgemeine«.135 Weil dabei offensichtlich noch EE II, 1. Abs. (20:201.19–20). Vor Kants Korrektur war im Ms. zu lesen: »das Vermögen der Begriffe Erkenntniß im Allgemeinen« (vgl. N. Hinske u. a. (Hg.) (1965), S. 7). 128 Vgl. KrV, A 126 f., B 171 / A 132, B 197 f. / A 158 f., B 283 / A 230. 129 Vgl. dazu die Übersicht in der Tafel in EE XI und E IX. 130 »Erkenntniß des Allgemeinen« ist also als genitivus subiectivus zu »Vermögen der Erkenntniß« zu lesen und nicht als genitivus obiectivus (EE II, 1. Abs. [20:201.20]). 131 Vgl. KrV, B 748 / A 720; vgl. Mertens, H. (1975), Kommentar, S. 78. Vgl. Kommentar zu EE I, Erläuternder Exkurs, S. 4. 132 Vgl. dazu KrV, B 116; vgl. M. Wolff (1995), Die Vollständigkeit, 206. 133 Vgl. KrV, A 113. 134 Zu den letzteren vgl. KrV, B 76 / A 52. 135 EE II, 1. Abs. (20:201.20–22); vgl. KrV, B 171 / A 132. 127
II. Abschnitt: System der oberen Erkenntnisvermögen
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kein Unterschied gemacht wird zwischen bestimmender und bloß reflektierender Urteilskraft – diese Differenzierung wird erst im fünften Abschnitt der Ersten Einleitung eingeführt –, und auch noch keine Abgrenzung von der praktischen Urteilskraft erfolgt,136 ist keine eindeutige Festlegung darüber möglich, was das Allgemeine in diesem Falle bedeuten soll. Es kann ein Empirisch-Allgemeines (Begriff oder Gesetz der Natur) sein oder ein reiner Verstandesbegriff oder das Prinzip einer Zweckmäßigkeit der Natur oder eben ein reines praktisches Gesetz.137 Diesem Allgemeinen soll ein Besonderes (ein besonderes Gesetz oder ein empirisch Mannigfaltiges) untergeordnet werden, und die dafür aufzubringende Tätigkeit entspricht jedenfalls einer Denkoperation. Am problematischsten ist die Kennzeichnung der Vernunft als Vermögen der »Bestimmung des Besondern durch das Allgemeine (der Ableitung von Prinzipien)« (EE II, 1. Abs. [20:201.22–24]). Denn obwohl nicht ausdrücklich zwischen theoretischer und praktischer Vernunft unterschieden wird, kommt doch für diese Operation strenggenommen allein die praktische Vernunft in Frage. Wenn das Allgemeine (die Prinzipien) das moralische Gesetz der bloßen Form nach138 und die Freiheitskategorien139 sind, und diesen eine bestimmende Funktion in Hinsicht auf einen gedachten Gegenstand zuerkannt wird, dann scheidet die theoretische Vernunft aus diesem Kontext aus, da ihr nach der ersten Kritik genau diese Funktion aufgrund der »Dialektik« der reinen Vernunft abgesprochen werden mußte.140 Kann aber die allgemeine Vernunftbestimmung in EE II, 1. Abs., nicht doch auch ihren hypothetischen Gebrauch einschließen, den Kant in KrV, B 674 f. / A 646 f., vom apodiktischen Gebrauch (der Vernunft als des erkennenden Verstandes) unterscheidet? Dann würde sich das Bestimmen nicht auf das Subsumieren eines Besonderen unter ein gegebenes Allgemeines (des Verstandes) beschränken und wäre mithin nicht bloß konstitutiv; es könnte vielmehr das Allgemeine (als Idee) problematisch genommen auch als »Allgemeinheit der Regel« aufgefasst werden, deren regulative Funktion darin besteht, systematische Einheit in die Verstandeserkenntnis zu bringen. Eine solche Vernunfteinheit wäre zwar nur ein »logisches Prinzip«, d. h. es abstrahierte von aller Erkenntnis des Gegenstandes und wäre deshalb auch nur subjektiv gültig;141 aber auch das logische Erkennen in einem Vernunftschluss kommt nach Kant der »Ableitung einer Erkenntnis aus einem Prinzip« gleich, insofern »das Besondere im allgemeinen durch Begriffe« erkannt wird.142 Dass aber andererseits die »Bestimmung des Besonderen durch das Allgemeine« nicht das
Vgl. KpV, Von der Typik der reinen praktischen Urtheilskraft (5:67 ff.). Vgl. KpV, (5:68). 138 Vgl. KpV (5:43–50). 139 Vgl. KpV (5:66). 140 Vgl. KrV, B 86 / A 61 f., B 88 / A 63 f., B 349–355 / A 293–298. 141 Vgl. KrV, B 676 / A 648; vgl. B 359 / A 302 (die Vernunft als »Vermögen der Einheit der Verstandesregeln unter Prinzipien«). 142 KrV, B 357 / A 300. 136 137
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
logische Bestimmen eines Vernunftschlusses sein kann, folgt erstens daraus, dass nach den systematischen Ergebnissen der KrV sämtliche Vernunftschlüsse, die auf der Idee des Unbedingten als dem obersten Prinzip der reinen Vernunft beruhen, in theoretischer Hinsicht transzendent und dialektisch sind.143 Sie vermitteln somit im strengen Sinne keine bestimmte Erkenntnis. Zweitens ist hier Kants unterschiedlicher Gebrauch des Terminus »Prinzipien« zu beachten. Strenggenommen liefert ein Vernunftschluß keine Erkenntnis aus Prinzipien, insofern Prinzipien »synthetische Erkenntnisse aus Begriffen« sind, die der Verstand nicht liefern kann.144 Die Obersätze in einem Vernunftschluß sind aber allgemeine Sätze des Verstandes.145 Der Vernunftakt des Bestimmens bzw. der »Ableitung« kann sich also allein über die Kausalität des Willens auf Handlungsmaximen, die sich nach dem Freiheitsbegriff richten müssen (als dem Besonderen), und erst zuletzt auf Handlungen in der Sinnenwelt beziehen.146 Die letzteren kommen aber für das Besondere nicht in Betracht, weil sie wiederum sinnliche Anschauung voraussetzen. Der Titel der Vernunft kommt in der Systematik des Denkvermögens zweimal vor, nämlich als Bezeichnung für das gesamte begriffliche Erkenntnisvermögen und als das gerade beleuchtete dritte Glied dieses Vermögens. Wie alle drei Vermögen genau ineinander greifen, so dass sie ein System der »Kritik der reinen Vernunft« konstituieren, bleibt zunächst ziemlich unklar. Im zweiten Absatz wird kurz an die Ergebnisse der beiden vorangegangenen Kritiken (KrV und KpV) erinnert, insofern die »Kritik der reinen theoretischen Vernunft«147 die (allgemeinen) Naturgesetze bereitstellte, die »Kritik der praktischen Vernunft« dagegen das »Gesetz der Freiheit« lieferte.148 Diese Gesetze sind zugleich Prinzipien a priori der Philosophie, von der im ersten Abschnitt gezeigt wurde, dass sie aus genau zwei Teilen, einem theoretischen und einem moralisch-praktischen, besteht. Deshalb kann am Ende des zweiten Absatzes des zweiten Abschnittes die Vermutung ausgesprochen werden, dass für die Grundlegung der Philosophie kein drittes Prinzip a priori bzw. keine dritte Kritik mehr nötig sei.149 Dieser Möglichkeit wird jedoch im folgenden Absatz sogleich widersprochen. Denn wenn die UrteilsVgl. u. a. KrV, Zweite Abteilung. Die transzendentale Dialektik, Einleitung, II. Von der reinen Vernunft, als dem Sitze des transzendentalen Scheins (B 355 / A 298 – B 366 / A 309), bes. B 365 f. / A 308 f.; Die Antinomie der reinen Vernunft, B 432–443 / A 405–415. 144 KrV, B 357–358 / A 301. 145 Vgl. zu diesem Problem KrV, B 356–359 / A 299–302. 146 Vgl. KpV, Von der Typik der reinen praktischen Urtheilskraft (5:67–71); vgl. Sala (2004), Kommentar, 154–160. Vgl. zu dieser Interpretation auch die entsprechende Auslegung von H. W. Cassirer (1938/1970), A Commentary, 107; Helga Mertens dagegen plädiert für die Vernunft als Vermögen des logischen Schließens (H. Mertens (1975), Kommentar, 60). 147 »theoretischen« von Kant nachträglich im Ms. ergänzt (vgl. N. Hinske u. a. (Hg.) (1965), Faksimile, S. 7). 148 EE II, 2. Abs. (20:202.1–4); vgl. KrV, B 163–165 (§ 26), B 198 / A 159 u. ö.; vgl. KpV, 5:33 (§ 8), 47, 65, 68, 124. 149 EE II, 2. Abs. (20:202.4–6). 143
II. Abschnitt: System der oberen Erkenntnisvermögen
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kraft als vermittelndes Glied den Zusammenhang zwischen Verstand und Vernunft bildet und insofern notwendig zum Systemganzen des »oberen« Erkenntnisvermögens gehört, dann könne »nach der Analogie« mit den beiden anderen Begriffsvermögen erwartet werden, dass auch ihr ein Prinzip a priori eigentümlich sei. Wenn das aber der Fall wäre, dann könnte begründet gehofft werden, dass sie auch den Grund für einen besonderen (dritten) Teil der Philosophie lege. Trotzdem aber sei die Philosophie aus systematischer Sicht nur zweiteilig.150 Kant hat mit seinen Gedankenschritten in den ersten drei Absätzen dieses Abschnittes eine scheinbare Aporie herbeigeführt: Das System der Philosophie (genauer gesagt, das am Anfang der EE bezeichnete »reale« System, ohne »die Logick« (EE I, 2. bis 3. Abs. [20:195.10–19])), kann »nur zweiteilig« sein, weil es genau zwei ursprünglich unterschiedene Objektklassen gibt, auf die sich die Vernunftprinzipien der Erkenntnis beziehen, nämlich Natur und Freiheit. Aus der Trichotomie des Systems der »obern« Erkenntnisvermögen, die den Grund für die Einteilung der Philosophie enthält, wäre es aber naheliegend zu folgern, dass die Philosophie gleichfalls drei Teile hat. Der Zweiteilung der Philosophie steht also die behauptete Dreiteilung der oberen Erkenntnisvermögen gegenüber; oder zufolge Kants Erläuterung in der letzten Fn. zu E IX: einer analytischen Einteilung steht eine synthetische gegenüber.151 Vor dem Hintergrund dieses Begründungsproblems ist die im vierten Absatz vorgenommene Charakterisierung der Urteilskraft zu erläutern. Kant hebt dort gleich am Anfang als Besonderheit der Urteilskraft (womit der Sache nach allerdings bloß ihre reflektierende Funktion gemeint sein kann) gegenüber Verstand und Vernunft hervor, dass es sich bei ihr nicht um ein autonomes Erkenntnisvermögen152 handle. Es gebe nämlich selbst weder Begriffe noch Ideen »von irgendeinem Gegenstande« (II, 4. Abs. [20:202.14–16]). Behauptet wird also nicht, die Urteilskraft verfüge über keinen eigenen Begriff bzw. kein Prinzip a priori. Behauptet wird lediglich, dass, sollte ihr ein eigener Begriff zukommen, dieser keine gegenständliche Entsprechung hätte. Und behauptet wird auch nicht, die Besonderheit der Urteilskraft bestehe darin, schlechthin kein »selbständiges Erkenntnisvermögen« zu sein, sondern das Besondere ist, dass sie kein Erkenntnisvermögen nach Art des Verstandes oder der Vernunft ist, d. h. kein Vermögen konstitutiver Gegenstandserkenntnis nach Begriffen a priori. Die Begründung dafür ergibt sich aus der Natur der Urteilskraft. Sie ist nämlich ein Vermögen, »blos unter anderweitig gegebene Begriffe zu subsumieren« (EE II, 4. Abs. [20:202.17–18]). Dass im Subsumieren die wesentliche Funktion der Urteilskraft bestehe, ist ja bereits im ersten Absatz klargestellt worden. Jetzt ist aber etwas EE II, 3. Abs. (20:202.8–13). »[…] und gleichwohl … zweytheilig seyn«: im Ms. von Kants Hand ergänzt (vgl. N. Hinske u. a. (Hg.) (1965), Faksimile, S. 7). 151 E IX, 3. Abs., Fn. (5:197.18–27); s. u. Kommentar zu E IX, S. 567. 152 Kant ergänzt im Ms. zu »Erkenntnißvermögen«: »gar nicht selbständiges« (vgl. N. Hinske u. a. (Hg.) (1965), Faksimile, S. 7). Der vierte Absatz wurde insgesamt von Kant stark überarbeitet. 150
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Näheres über die Begriffe, unter welche subsumiert wird, zu erfahren. Jedoch besagt das ›anderweitige‹ Gegebensein derselben noch nichts Spezifisches. Sie können von der Vernunft ›gegeben‹ sein oder durch empirische Anschauung in der Natur vorgefunden werden. Wie die weitere Textanalyse dieses vierten Absatzes noch zeigen wird, sind mit diesen ›anderweitig gegebenen‹ Begriffen, unter welche subsumiert werden muss, empirische Allgemeinbegriffe, die in der Natur erst noch aufgesucht werden sollen (und insofern nicht von vornherein gegeben sind), gemeint. Im fünften Absatz153 wird in irritierend vielfältigen Hinsichten von »Begriff« und »Begriffe[n]« gesprochen. So heißt es an der betreffenden Stelle nun weiter: »Sollte also ein Begriff oder Regel, die ursprünglich aus der Urteilskraft entsprängen, stattfinden, so müßte es ein Begriff von Dingen der Natur sein, sofern diese sich nach unserer Urteilskraft richtet und also [erg.: ein Begriff] von einer solchen Beschaffenheit der Natur, von welcher man sich sonst gar keinen Begriff machen kann, als nur daß sich ihre Einrichtung nach unserem Vermögen richte, die besondern gegebenen Gesetze unter allgemeinere, die doch nicht gegeben sind, zu subsumieren […].«154 (EE II, 4. Abs. [20:202.18–24]) Der Gebrauch des Konjunktivs in dem zitierten Gedankengang zeigt an, dass die Frage, ob die Urteilskraft tatsächlich über einen ureigenen Begriff a priori verfüge, (vorläufig) offen bleibt, wenngleich nach der Betrachtung des Zusammenhangs der oberen Erkenntnisvermögen in den Absätzen 1 bis 3 die Vermutung nahe liegt, die Behauptung treffe zu. Das Ziel der Argumentation besteht vielmehr darin, die Beschaffenheit des Naturbegriffs der Urteilskraft zu bestimmen, falls es sich erweisen sollte, dass ein solcher existieren muss. Diese Bestimmung folgt aus der Besonderheit der Urteilskraft, keine Gesetzgebungsfunktion in bezug auf Gegenstände der Natur zu besitzen. Der Begriff der Natur, der der Urteilskraft entstammt, enthält daher (das erste »also« [20:202.18]) die einzige allgemeine Bedingung der Erkenntnis, dass die Natur sich nach der Urteilskraft »richtet« (EE II, 4. Abs. [20:202.19–21]); d. h. die Natureinrichtung kann nur so begriffen werden, dass sie der Subsumtion besonderer gegebener Gesetze unter allgemeinere entspricht. »Gegeben« im strengen Wortsinn sind hier also bloß die besonderen Gesetze; die dazu passenden von höherem Allgemeinheitsgrad müssen erst noch aufgesucht werden. Die letzteren sind somit »nicht gegeben«, obwohl es zu Beginn des vierten
In der Lehmann-Ausgabe sowie in AA, 20:202.18, werden die hier im Kommentar auf der Grundlage der Ausgabe H. F. Klemme (2006) (nicht in Übereinstimmung mit N. Hinske u. a. (1965), Faksimile, S. 8) getrennten Absätze Nr. 4 und 5 in einen Absatz zusammengezogen. Dadurch verschiebt sich die Absatz-Zählung innerhalb von EE II gegenüber G. Lehmann (1990) und AA 20 um jeweils eine Stelle. Die Entscheidung von Klemme ist nicht zwingend, da das Ms. an der bezeichneten Stelle zwar einen Seitenumbruch, aber keinen eindeutigen Absatzwechsel anzeigt. 154 EE II, 4. Abs. (20:202.18–24). Der anschließende Text: »mit anderen Worten … subsumieren können« (20:202.24–203.2) wurde von Kant am Rand des Ms. ergänzt (vgl. N. Hinske u. a. (Hg.) (1965), Faksimile, S. 8). 153
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Absatzes heißt, die Urteilskraft subsumiere unter Begriffe, die »anderweitig« gegeben seien (20:202.17). Der scheinbare Widerspruch zwischen »doch nicht gegeben« sein (20:202.24) und »anderweitig« gegeben sein löst sich auf, wenn man die je spezifische Bedeutung des Gegebenseins von Begriffen berücksichtigt, die Kant diesen Überlegungen zugrunde legt. Ein Begriff des Verstandes resp. der Vernunft ist nämlich »gegeben«, insofern er nicht bloß auf einer reflektierenden und subsumierenden Beurteilung, sondern zugleich auf einer gesetzgebenden (bestimmenden) Tätigkeit beruht, die sich auf Gegenstände bezieht (20:202.14–18). Ein Begriff, von dem die Urteilskraft reflektierenden Gebrauch macht, ist dagegen in der Hinsicht (»anderweitig«) »gegeben«, dass er das (zufällige, a priori unbestimmte) Ergebnis eines Suchvorganges ist, der in der empirischen Natur notwendig unter einem bestimmten Prinzip vollzogen werden soll. Kant versucht, diese kompliziert anmutenden Überlegungen anders auszudrücken. Der in Rede stehende Begriff der Natur wird nun präziser gefasst als »Zweckmäßigkeit der Natur« (EE II, 5. Abs. [20:202.25]). Durch ihn soll die Urteilskraft die Natur (»sie«) erkennen, »so fern dazu erfordert wird, daß wir das Besondere als unter dem Allgemeinen enthalten beurtheilen und es unter den Begriff einer Natur subsumiren […]« (EE II, 4. Abs. [20:202.25–203.2]). Das bedeutet: Die »Zweckmäßigkeit der Natur« ist nur dann ein geeignetes Erkenntnismittel der Urteilskraft, wenn es erstens notwendig ist, ein Besonderes nur in seinem Verhältnis zu einem höheren Allgemeinen (und nicht bloß für sich) beurteilen und wenn es zweitens notwendig ist, dasselbe Besondere unter einen allgemeinen Begriff der Natur subsumieren zu müssen. Dieser Begriff ist in letzter Konsequenz nur einer, und es scheint der oberste Allgemeinbegriff zu sein (kein empirischer Begriff von relativem Allgemeinheitsgrad), unter den überhaupt subsumiert werden kann. Es handelt sich um den Begriff »einer Erfahrung als Systems nach empirischen Gesetzen«, der im folgenden sechsten (fünften) Absatz analysiert werden wird (EE II, 6. Abs. [20:203.3–4]).
Sechster155 Absatz und Fußnote: Natur und Erfahrung »als Systems nach empirischen Gesetzen« Wie kommt Kant auf den Begriff der Erfahrung als eines »Systems nach empirischen Gesetzen«, und welche Probleme wirft dieser Begriff auf?156 Kant konfrontiert ihn zunächst mit dem Erfahrungsbegriff, der in seiner prägnanten Form in der KrV entwickelt wurde. Das ist die Erfahrung nicht nach empirischen, sondern nach »transcendentalen Gesetzen«. Transzendentale Gesetze sind die allgemeinen Naturgesetze, die sich in den Verstandesbegriffen ausdrücken. Sie enthalten die
Nach Lehmann (1990) und AA 20 ist das der fünfte Absatz. Zur Interpretation dieses Absatzes und der dazugehörigen Fußnote vgl. auch H. Mertens (1975), Kommentar, 76–85. 155
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Bedingungen der Möglichkeit von »Erfahrung überhaupt«.157 Dass sie in ihrem Zusammenhang ein System ausmachen, scheint für Kant in EE II, 6. Abs., keine Schwierigkeiten mit sich zu bringen, die an dieser Stelle erörtert werden müßten. Diesem System der Einheit von Erfahrung steht aber nun, wie bereits mehrfach konstatiert, der schon in der KrV selbst erhobene Befund gegenüber, dass die Natur eine »unendliche Mannigfaltigkeit« ihrer empirischen Gesetze und eine »große Heterogeneität« ihrer Formen darbietet, die sich der Bestimmung durch die allgemeinen Verstandesbegriffe prinzipiell entziehen. Auch diese noch als System begreifen zu wollen, müsse dem Verstand »ganz fremd« erscheinen. Er könne weder die Möglichkeit noch die Notwendigkeit eines solchen empirischen Ganzen begreifen.158 Dennoch sei es nötig, auch in diese empirische Vielfalt und Verschiedenheit einen systematischen Zusammenhang zu bringen. Die besondere Erfahrung »bedarf« desselben, weil er die Ermöglichungsbedingung für die Urteilskraft ist, das Besondere unter ein immer höher ansteigendes, »bis zu den obersten empirischen Gesetzen und denen ihnen gemäßen Naturformen« reichendes empirisch Allgemeines zu subsumieren (EE II, 5. Abs. [20:203.12–18]). Der Zusammenhang zwischen der Subsumtionsfunktion der Urteilskraft und der Notwendigkeit einer systematischen Einheit des empirischen Naturganzen kann erst durch die Besprechung des vierten Abschnittes besser verdeutlicht werden. Vorläufig soll die Bemerkung genügen, dass ja das Nachforschen nach empirischen Allgemeinbegriffen in der Natur, die für die Subsumtion unbedingt benötigt werden, nur dann einen Sinn macht, wenn es nicht blind, sondern methodisch geregelt vorgehen kann. Das ist aber nur möglich, wenn es hinreichende Gründe für die Annahme gibt, dass die Natur, welche erforscht werden soll, sich trotz und entgegen aller Vereinzelung ihrer Formen und Gesetze für eine zusammenhängende systematische Ordnung besonderer Erfahrung eignet. Das empirisch Einzelne kann zwar auch zu einer Anhäufung von Daten, zu einem »Aggregat« zusammengesetzt werden, aber diese Ordnung genügt anscheinend nicht, um einen durchgängigen gesetzmäßigen Zusammenhang (»empirische Einheit«) der besonderen Erfahrung zu konstituieren. Dafür muss das »Aggregat« eben erst als »System« betrachtet werden (20:203.18–21). Die Fußnote erläutert näher und ausführlicher den durchgängigen gesetzmäßigen Zusammenhang (die empirische Einheit) besonderer Erfahrungen, der im sechsten Absatz den »systematischen Zusammenhang empirischer Gesetze« (20:203.14–15) zur Voraussetzung hat.159 Betrachtet wird der systematische Zusammenhang der Erfahrung überhaupt im Verhältnis zur systematischen Einheit der besonderen Erfahrung. Es ist hier von Bedeutung, auf die verschiedenen Aspekte zu achten, unter denen die Attribute »analytisch« und »synthetisch« verwendet werden. Vgl. KrV, B 165 (§ 26, Anm.), A 125, B 283 / A 230. EE II, 5. Abs. (20:203.6–12); vgl. KrV, B 165 (§ 26, Anm.). 159 Der komplette Text der Fußnote wurde von Kant erst bei der Durchsicht des Ms. hinzugefügt (vgl. N. Hinske u. a. (Hg.) (1965), Faksimile, S. 8). 157
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Die Erläuterung geht aus von einer Gleichsetzung zwischen »Erfahrung überhaupt« und »empirischer Erkenntnisse als synthetischer Urtheile« in Hinsicht darauf, dass die jeweiligen Ermöglichungsbedingungen dieselben sind: »Die Möglichkeit einer Erfahrung überhaupt ist die Möglichkeit empirischer Erkenntnisse als synthetischer Urtheile.« (EE II, 6. Abs., Fn. [20:203.22–23]) Was Kant zu dieser Gleichsetzung so verschiedenartiger Ausdrücke (»Erfahrung überhaupt«, und »empirische[] Erkenntnisse«) berechtigt – obwohl nach Absatz 6 nicht einmal die Möglichkeit (geschweige denn die Notwendigkeit) eines systematischen Ganzen empirischer Naturgesetze durch den Verstand begriffen werden kann – sind die transzendentalen Gesetze des Verstandes und die Einheit der Apperzeption als dessen oberste Regel.160 Dieser zufolge sind nämlich »alle empirischen Gesetze […] nur besondere Bestimmungen der reinen Gesetze des Verstandes«.161 Es wäre an der zuletzt zitierten Stelle (20:203.22–23) eigentlich zu erwarten gewesen, dass Kant präziser von synthetischen Urteilen a priori gesprochen hätte. Denn dass sie nicht als bloß empirische Urteile aufgefasst werden dürfen, scheint sich aus den anschließenden Bemerkungen zu ihrer Herleitung aus den Prinzipien des Verstandes notwendig ergeben zu müssen. Aus der Gleichsetzung von »Erfahrung überhaupt« und »empirischer Erkenntnisse als synthetischer Urteile« folgt, dass Erfahrung überhaupt »nicht analytisch aus bloßen verglichenen Wahrnehmungen gezogen werden« kann – »wie man gemeiniglich glaubt«.162 Entscheidend ist an dieser Stelle die synthetische Funktion des Verstandes, mit Hilfe der Kategorien und Grundsätze eine notwendige Verknüpfung von diskreten Wahrnehmungen hervorzubringen. Zwar wird von der Möglichkeit »empirischer« Erkenntnis gesprochen, aber das bedeutet nicht zugleich, dass die synthetischen Urteile auch bloß empirischen Status hätten. In der KrV war »ein empirisches Erkenntnis« (d. h. »Erfahrung«) ausgewiesen worden als »ein Erkenntnis, das durch Wahrnehmungen ein Objekt bestimmt. Sie ist also eine Synthesis der Wahrnehmungen, die selbst nicht in der Wahrnehmung enthalten ist, sondern die synthetische Einheit des Mannigfaltigen derselben in einem Bewußtsein enthält, welche das Wesentliche einer Erkenntnis der Objekte der Sinne, d. i. der Erfahrung (nicht bloß der Anschauung oder Empfindung der Sinne) ausmacht.« (B 218 f.). Bezogen auf die Interpretation der Fußnote zu EE II, 6. Abs., bedeutet dies: Weil die Grundsätze des reinen Verstandes und die gesetzmäßige Verknüpfung des Mannigfaltigen a priori in der Apperzeption nicht nur notwendige Bedingung von Naturerfahrung im allgemeinen, sondern auch Bedingung der Synthese verschiedener Wahrnehmungen zu einem empirischen Erkenntnisobjekt sind, sind »Erfahrung
Vgl. KrV, A 126–128. KrV, A 127–128. 162 Zur Bedeutung der Synthesis-Funktion des Verstandes für die Bildung von Erkenntnis im engeren Sinne vgl. KrV, B 108 / A 77–78. 160 161
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
überhaupt« und »empirische[] Erkenntnisse als synthetische[] Urtheile« der Möglichkeit nach identisch. Die Wahrnehmungen als solche, abstrahiert von den Verknüpfungsfunktionen des Denkens, können dagegen keine synthetische Einheit und damit auch keinen Begriff von einem Erkenntnisobjekt ergeben. Der bloße Vergleich von Wahrnehmungen ist insofern ein analytisches Verfahren, als dabei nur ihre Übereinstimmung (Gleichheit, Homogenität) Berücksichtigung findet. Er entspricht der logischen Vergleichung in EE V, die bloß zu Gemeinbegriffen führt.163 Im Unterschied dazu ist Erfahrung als empirische Erkenntnis nur durch eine Synthesis verschiedener Wahrnehmungen »nach Principien der synthetischen Einheit der Erscheinungen, d. i. nach Grundsatzen wodurch sie unter die Categorien gebracht werden«, möglich.164 Mit den »Grundsatzen« sind die aus der KrV bekannten »Grundsätze a priori« gemeint, welche die Verhältnisse der Kategorien zur sinnlichen Anschauung regeln.165 In dem darauf folgenden Satz (»Diese empirische Erkentnisse nun … verbindet.«) (20:203.29–30, 20:204.18–22) wird deutlich, dass der Ausdruck der ›empirischen Erkenntnis‘ zweierlei bedeuten soll, und insofern wird sich gleich zeigen, dass sich Kant am Anfang der Fn. ganz konsequent ausdrückt, wenn er von »synthetischen Urtheilen« und nicht von »synthetischen Urteilen a priori« redet. Empirische Erkenntnisse bilden insgesamt, obwohl sie auf einer Synthesis beruhen, eine »analytische Einheit aller Erfahrung«, insofern sie unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden, dass sie notwendig unter denselben allgemeinen Bedingungen (den transzendentalen Gesetzen der Natur) stehen. Diese sind das ihnen Gemeinsame. Der empirischen Erkenntnis als analytischer Einheit steht nun diejenige gegenüber, die eine »synthetische Einheit der Erfahrung als eines Systems« ausmacht. Die synthetische Einheit verbindet empirische Gesetze nicht unter dem Gesichtspunkt ihrer Gleichheit sondern ihrer Heterogenität. Sie steht deshalb nicht wie die besondere Erfahrung unter Kategorien, sondern unter dem Prinzip der Zweckmäßigkeit, welches sicherstellen soll, dass die Natur in ihrer Besonderheit (in ihren besonderen Gesetzen) der (reflektierenden) Urteilskraft und ihrer Verfahrensweise angemessen ist. Mit dieser Doppeldeutigkeit empirischer Erkenntnis tritt auch der Unterschied zwischen der mechanischen und der technischen Betrachtungsweise der Natur zutage: mechanisch ist sie unter den Verstandesgesetzen, durch die die synthetische Einheit der Erfahrung objektiv bestimmt wird; technisch ist sie unter dem nur subjektiv gültigen Prinzip der Zweckmäßigkeit, das daher auch nur als »Leitfaden«
Vgl. Kommentar zu EE V, S. 102, 111–113. EE II, 5. Abs., Fn. (XX, 203.23–29). Dass die analytische Einheit (des Bewusstseins, der Apperzeption) nur möglich ist unter der Voraussetzung einer synthetischen Einheit, hat Kant in der KrV (B 133 f. und Fn.) gezeigt. 165 Vgl. KrV, B 187 ff. / A 148 ff. 163
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(oder wie Kant im achten (siebten) Absatz auch sagt: als Maxime) für Entdeckungen in der Natur dienen kann. Wenn am Ende der Fn. behauptet wird, dass die Zweckmäßigkeit die empirischen Naturgesetze nicht objektiv bestimme, dann impliziert dies, dass sie der Urteilskraft auch nicht zu synthetischen Urteilen a priori verhelfen kann. Sie bleibt trotz des apriorischen Status ihres Prinzips innerhalb des Terrains des Empirischen. Kant hat somit aus plausiblem Grund am Anfang der Fn. zurückhaltend nur von synthetischen Urteilen gesprochen, d. h. ununterschieden, ob sie als empirisch oder a priori gedeutet werden.
Siebter166 Absatz: Zweckmäßigkeit als Prinzip für die Nachforschung der Natur Die letzten drei Absätze des zweiten Abschnittes sagen gegenüber den Textentsprechungen in der Einleitung kaum etwas Neues.167 Dennoch sind sie hier zu paraphrasieren, weil sie den mit dem vierten Absatz begonnenen Gedankengang vervollständigen und außerdem für spätere Kommentarstellen der EE gebraucht werden. Im vierten Absatz war die Frage aufgeworfen worden, ob die Urteilskraft nicht auch wie die beiden anderen Erkenntnisvermögen über einen genuinen Begriff verfüge und – falls ja – wie dieser beschaffen sein müsste. Die Antwort wird erst im achten (siebten) Absatz definitiv gegeben werden. Nun wird jedoch zuvor im siebten (sechsten) Absatz das bereits in der Fußnote zum sechsten (fünften) Absatz eingeführte Prinzip der Zweckmäßigkeit präzisiert. Die letztere heißt hier nämlich differenzierter: »formale Zweckmäßigkeit der Natur« (20:204.3–4). Die eigentliche Schwierigkeit, die beim Verständnis dieses Prinzips auftritt, besteht darin, dass sie eine Gesetzmäßigkeit sein soll, die »an sich« zufällig sei (20:204.1). Diese Ausdrucksweise soll besagen, dass Gesetzesnotwendigkeit dieses Prinzips nur dann vorliegt, wenn es sich auf die Tätigkeit der reflektierenden Urteilskraft selbst richtet. Auf die objektive Natur bezogen, die allein durch die Verstandesgesetze bestimmt werden kann, ist die Zufälligkeit der Zweckmäßigkeit nicht aufhebbar, insofern sie als Form vom Verstand nicht notwendig erfasst wird. Damit jedoch die Urteilskraft in ihrem Reflektieren über die besondere Natur und die empirische Vielfalt und Vereinzelung ihrer Formen und Gesetze so operieren kann, dass ein systematischer Zusammenhang daraus entsteht, muss notwendig angenommen und »an« der Natur selbst auch vorausgesetzt werden können, dass sie »an sich« nicht bloß zufällig gesetzmäßig sondern auch notwendig zweckmäßig sei.168 Da dies aber nur eine hypothetische Notwendigkeit sein kann (weil ja die 166 167 168
Nach der Ausgabe Lehmann (1990) und AA 20: sechster Absatz. Vgl. Kommentar zu E IV. Zur notwendigen Voraussetzung der Zweckmäßigkeit »an« der Natur vgl. die ver-
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Urteilskraft der Natur keine Gesetze gibt), so wird dadurch kein neues Erkenntnisgebiet erschlossen. Statt zu einer neuen Erkenntnisbegründung beizutragen, soll das Prinzip der Zweckmäßigkeit nur ein Instrument der Beurteilung und Erforschung der Natur sein. Die Naturforschung, die von der Zweckmäßigkeit angeleitet wird, hat die Aufgabe, »zu besondern Erfahrungen die allgemeine[n] Gesetze zu suchen« (20:204.7–8). Ihre Ergebnisse können eigentlich immer nur empirischen Inhaltes sein; gleichwohl wird verlangt, sie in systematischer Ordnung zu begreifen. Hierzu ist zu bemerken, dass einerseits besondere Naturerfahrung im Hinblick auf die empirischen Gesetze und Formen der Natur, die in bestimmter Weise verallgemeinerbar sind, als bekannt vorausgesetzt wird. Die Verallgemeinerung soll eine »systematische Verknüpfung« ergeben, die der formalen Zweck-Mittel-Beziehung entspricht. Nur unter dieser Voraussetzung ist der angestrebte Erfahrungszusammenhang denkbar. Andererseits ist erst der in der beschriebenen Weise hergestellte systematische Zusammenhang zwischen Besonderem (Einzelnem) und Allgemeinem dasjenige, welches nach Kant die Auszeichnung besonderer Naturerfahrung verdient.
Achter und neunter169 Absatz: Die Technik der Natur. System und Aggregat Absatz 8 (7) beantwortet die Frage, die im vierten Absatz gestellt wurde – ob es nämlich einen der Urteilskraft entstammenden Begriff gebe und welcher Art er sei –, eindeutig. Der gesuchte Begriff ist der der »Technick der Natur«. Er bezeichnet die »Natur als Kunst« und soll sich wohl aus Überlegungen des siebten Absatzes ergeben (»also«) (20:204.13). Diese Schlussfolgerung ist nicht ohne weiteres einleuchtend. Kant führt einfach für einen im siebten Absatz erklärten Sachverhalt einen neuen Namen ein, ohne diese Namensgebung zu explizieren. Es kann nur gemeint sein, dass die von der Urteilskraft an der Natur vorausgesetzte »formale Zweckmäßigkeit der Natur« in gewisser Hinsicht zugleich ein Prinzip der Kunst ist bzw. nur in der Kunst als gültig nachgewiesen werden kann.170 Das wurde aber in der EE bisher nicht erwiesen. Der Kommentar zur Einleitung, in welcher der Terminus gleichfalls vorgestellt wird, verdeutlicht, dass die Natur, insofern sie als Natur betrachtet werden kann, keine wirkliche Identität von Kunst und Natur beinhaltet, sondern dass die Natur nur so angesehen werde, »als ob« ihre Möglichkeit auf der Analogie mit der Kunst
wandte Formulierung in EE XII, 2. Abs. (20:228.21). Zum Ansichsein der Natur für die Urteilskraft vgl. H. Mertens (1975), Kommentar, 81–83. 169 Nach Lehmanns Zählung und AA 20: siebter und achter Absatz. 170 S. dazu genauer EE IX, 7. Abs.: Weil die Kunstproduktion einer Absicht unterliegt, ist in ihr Zweckmäßigkeit, die aber von der Natur nur subjektiv gelten kann (20:234.30–235.6); vgl. auch EE XII, 7. Abs. (20:251.5–20).
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beruhe.171 Genaugenommen sagt der Text jedoch, dass sie gar nicht mit der Kunstschaffung vergleichbar sei. Der Begriff der Kunst ist hier so weit zu fassen, dass er den antiken Begriff der techne mit einschließt und damit auch auf alles beziehbar ist, was ein handwerkliches Geschick zur planvollen Herstellung eines Produkts (im weiten Sinne genommen) erkennen lässt.172 Der Ausdruck der »Technick der Natur« kommt auch sonst an verschiedenen Stellen der KU vor, insbesondere in der EE, in der in mehreren Abschnitten inhaltliche Ergänzungen vorgenommen werden, auf die hier kurz hingewiesen werden soll. – In EE V, 9. Abs., wird die Bedeutung des Prinzips der Technik der Natur für das Verfahren der Klassifizierung der mannigfaltigen Naturformen zu einem empirischen Natursystem aufgezeigt. – Der siebte Abschnitt der EE stellt überhaupt erst einen Begründungszusammenhang zwischen der Technik der Natur und der Technik der Urteilskraft her. – EE IX, 5. bis 6. Abs., spezifiziert die Technik der Natur im Zusammenhang des teleologischen Urteils zur »organischen Technick« und markiert die Grenzen ihres Gebrauchs. – Abschnitt XII, 2.bis 3. Abs., bezieht die Technik der Natur sowohl auf die Teleologie als auch auf die Ästhetik der reflektierenden Urteilskraft. – Schließlich grenzt EE XII, 7. Abs., die Technik der Natur vom Kunstbegriff (in engerer Bedeutung) ab. Im achten (siebten) Absatz von EE II, in welchem der Kommentar vorhin stehen geblieben ist, bezieht sich die Technik der Natur bloß auf die besonderen Naturgesetze. Sie dient »nur zum Fortgange nach Erfahrungsgesetzen, dadurch die Nachforschung der Natur möglich wird […]« (20:204.17–205.1). Diese Funktion zum Fortgang ist im sechsten Absatz bereits beschrieben worden als der Prozeß der Naturforschung, der geordnet von der besonderen Erfahrung ausgeht und die dazu passenden allgemeinen Gesetze sucht. Man könnte dies für einen Vorgang naturwissenschaftlicher Theoriebildung halten, der sich auf Beobachtung und Experiment stützt. Aber Kant schränkt nun drastisch ein: Die Begründung einer »Theorie« könne durch den Begriff der Technik der Natur nicht geleistet werden. Er enthalte keine Erkenntnis von Objekten. Es werde auch »die Kenntniß der Natur mit keinem besondern objektiven Gesetze bereichert« (20:205.2–3). Die im Prozeß der Naturerforschung zu entdeckenden empirischen Gesetze sollen also nicht zur Philosophie der Natur, nicht zum theoretischen Teil der Metaphysik gehören. Daraus folgt, dass auch das anvisierte System der besonderen Naturerfahrung nicht in die Naturphilosophie aufgenommen wird. Für diese allein steht der kantische Begriff der »Theorie« (der Erkenntnis als Erfahrung) im strengen Sinne.173
S. Kommentar zu EE I, Kommentar, 6. Abs., S. 59. So wendet Kant beispielsweise den Kunstbegriff auch auf das zweckmäßige Praktizieren des Arztes an: »Der Arzt ist ein Künstler« (Streit der Fakultäten, 7:26.8). Aber Künstlerin ist die Natur auch im Ganzen und in ihrem historischen Verlauf (vgl. W. Euler (2008a), Der ›Wille der Natur‹, 293; Kant, Frieden, 8:360). Zur Verwendung des Technik-Begriffs bei Kant, speziell in der KU vgl. U. Santozki (2006), Die Bedeutung antiker Theorien, 361–385. Vgl. Aristoteles, Metaphysik, Buch A, 980a–981b. 173 Vgl. Kant, Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien, 8:159. 171
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Zu ihr gehören die synthetischen Urteile a priori, die durch die Gesetzgebung des Verstandes und die Subsumtion durch die Urteilskraft bestimmt werden. Die Einschränkung der Geltung und der Funktion der Technik der Natur verdeutlicht sich daran, dass sie für die Urteilskraft eine »Maxime« begründet, welche eine auch nur subjektiv gültige Regel für die Naturbeobachtung und für die Umklammerung der Naturformen, d. h. der Formen, die die Natur empirisch als ihre Gesetze und ihre Produkte der subjektiven Zweckmäßigkeitsbeurteilung darbietet, enthält (EE II, 8. Abs. [20:205.1–4]). Im neunten (achten) Absatz des zweiten Abschnittes erweist sich die Interpretation von EE II, 8. (7.) Abs., als zutreffend.174 Denn es ist ganz konsequent, dass Kant ausdrücklich bemerkt, durch die beschriebene »Nachforschung der Natur« werde die Philosophie »als doctrinales System der Erkenntniß der Natur sowohl als Freyheit« (d. h. als das Lehrgebäude der Metaphysik) um keinen Teil erweitert. Die Vorstellung der »Natur als Kunst« sei nämlich eine »bloße Idee« (EE II, 9. (8.) Abs. [20:205.5–7]). Als solche hat sie dann eine bloß regulative Funktion, und zwar die, den Vorgang der Naturforschung auf Seiten des Erkenntnissubjekts zu regulieren. Die gesuchten allgemeinen Naturgesetze müssen als Zwecke angesehen werden, zu denen die empirischen Gesetze die Mittel darstellen. Der allgemeine Zweck besteht dann darin, die Anhäufung empirischer Gesetze – ihr Nebeneinander als »Aggregat« – in eine aufwärts steigende zweckmäßige Ordnung zu bringen, die einen Zusammenhang »als in einem System« ausdrückt. Ein solches System der besonderen Natur entspringt aber nur einem subjektiven »Bedürfnis«. Anknüpfend an den Kontext von EE II, 6. (5.) Abs. (20:203.3–21), kann dieses wohl so erklärt werden, dass der Verstand nach der Analogie zur Systematik der transzendentalen Naturgesetze auch für das empirisch Einzelne eine entsprechende Einheit und Ordnung fordert, so dass insgesamt von nur einem Naturganzen und auch nur einer Erfahrung ausgegangen werden kann. Der Natur wird nun »eine Beziehung auf dieses unser Bedürfnis« ›beigelegt‹ (20:205.10–11), insofern ihr eine Affinität unterstellt wird, sich selbst in ihren empirischen Formen und Gesetzen zweckmäßig zu organisieren. Unter Berücksichtigung von EE XII, 3. Abs. (20:249.9–16), wäre diese objektive Seite der technischen Natur der Teleologie zuzuordnen, jene subjektive Seite dagegen der Ästhetik.
Dieser letzte Absatz des zweiten Abschnittes wurde von Kant im Ms. gestrichen und durch einen neuen Absatz ersetzt. Auf diesem Text beruht der Kommentar. Die Streichung wurde nicht vollständig ausgeführt. Die AA ignoriert die (versehentlich) nicht gestrichenen Zeilen (20:205, Fn. zu Z. 4). In der sachlichen Ausrichtung stimmen beide Textversionen miteinander überein. Das »doctrinale[] System der Erkenntniß der Natur sowohl als Freyheit« heißt in der ursprünglichen Fassung in Anlehnung an den Sprachgebrauch des ersten Abschnittes der EE »reales System der Naturerkenntniß a priori durch Begriffe«. Die Begründung dafür, dass die Betrachtung der Natur als Kunst nicht zu diesem System, wohl aber zur Kritik des Erkenntnisvermögens gehöre, ist jeweils eine andere (vgl. N. Hinske u. a. (Hg.) (1965), Faksimile, S. 9 f.). 174
II. Abschnitt: System der oberen Erkenntnisvermögen
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Da die »Technik der Natur« also kein erfahrungskonstitutives Prinzip ist, sondern ein regulatives oder »heuristisches« und insofern keinen neuen Philosophiepart begründet, bildet sie einen Teil innerhalb des »Systems der Critik der reinen Vernunft« (20:205.11–19). Darin ist erkenntniskritisch zu prüfen, was uns eigentlich dazu veranlasst und berechtigt, die Natur als Kunst vorzustellen, welchen Ursprung die Idee der »Technik der Natur« hat, bzw. ob dieser in einer »Quelle a priori« liegt; schließlich soll in dieser Kritik untersucht werden, »welches der Umfang und Grentze des Gebrauchs« dieser Idee sei (20:205.15–17). Mit dieser zuletzt gebrauchten Formel wird zugleich das gesamte Unternehmen der Erkenntniskritik, ausgehend von der KrV, in Erinnerung gerufen.175
Diese im Kern erkenntniskritische Funktion des Prinzips einer Technik der Natur als einer regulativen Idee bei Kant kann nicht oft genug wiederholt werden, um Missverständnisse in der Textauslegung und daraus folgende fehlerhafte Konsequenzen in philosophiegeschichtlicher Perspektive zu vermeiden. U. Santozki hat den Versuch unternommen, diese Wortpaarung bei Kant auf die stoische Naturposition, insbesondere bei Cicero, zurückzuführen (Santozki, U. (2006), Die Bedeutung antiker Theorien). Der Versuch verdient alle Aufmerksamkeit. Santozki scheint zu übersehen, dass Kants Gebrauch der Technik der Natur ambivalent und aporetisch ist. Kants Redeweise davon, dass der Natur selbst, und zwar sowohl in ästhetischer als auch in teleologischer Hinsicht, eine Technik der Natur zukomme, wird nämlich dadurch relativiert, dass eine solche Zuschreibung immer nur in Relation zu unserer (reflektierenden) Urteilskraft bzw. in unserer Vorstellung von Natur geschehe, niemals aber an sich (EE VII, letzter Abs. [20:221.10–23]; KU, § 77, 8.–9. Abs. [5:407.13–409.22]). 175
III. Abschnitt: System aller Vermögen des menschlichen Gemüts
EE III Dritter Abschnitt: »Von dem System aller Vermögen des menschlichen Gemüths«176
Gliederung: Erster und zweiter Absatz: Verhältnis der drei menschlichen Gemütsvermögen zueinander Dritter und vierter Absatz: Die Urteilskraft als »Bestimmungsgrund« des Gefühls der Lust
Erster und zweiter Absatz: Verhältnis der drei menschlichen Gemütsvermögen zueinander → E III (4), E IX, EE XI Im dritten Abschnitt der Ersten Einleitung verfolgt Kant zwei Ziele: erstens durch begriffliche Analyse den systematischen Zusammenhang der menschlichen Gemütsvermögen in kritischer Auseinandersetzung der Vermögenslehre der Schulphilosophie aufzuzeigen (Abs. 1 bis 2) – die dazu angestellten, umständlich anmutenden, teilweise auch problematischen Überlegungen (vor allem im zweiten Absatz) haben kein Pendant in der Einleitung –; zweitens die Begründungsfunktion der Urteilskraft für das mittlere dieser Vermögen – nämlich das Gefühl der Lust und Unlust – nachzuweisen.177 Dieses Lehrstück steht dem Abschnitt III der Einleitung, welcher von Die zahlreichen handschriftlichen Verbesserungen Kants im Ms sind meistens kurz und überwiegend stilistischer Natur. Sie präzisieren den Ausdruck. Für den Kommentar sind sie bis auf wenige Ausnahmen nicht relevant. Die letzten drei Zeilen am Ende des Abschnittes (»so daß, wenn …« [20:208.15–18]) wurden dem Text von Kants Hand nachträglich hinzugefügt (vgl. N. Hinske u. a. (Hg.) (1965), Faksimile, S. 13). 177 »Gemüth« bedeutet hier soviel wie (empirisches) Seelenvermögen überhaupt (animus), im Unterschied zur Seele als Substanz (anima) (vgl. 12:32.27–32). In E III, 4. Abs., sowie in E IX, 3. Abs., heißen die drei Vermögen einfach »Seelenvermögen«. Soweit ich sehe wird der Begriff des Gemüts von Kant nirgendwo streng definiert. Vgl. Anthropologie, § 24: das Gemüt ist das Vermögen zu empfinden und zu denken, die Seele als »Organ des inneren Sinnes« betrachtet (7:161). Zur Einteilung der drei Vermögen vgl. auch H. Klemme: Erkennen, Fühlen, Begehren – Selbstbesitz. Reflexionen über die Verbindung der Vermögen in Kants Lehre vom kategorischen Imperativ. In: Inga Römer (Hg.): Affektivität und Ethik bei Kant und in der Phänomenologie. Berlin / Bosten: Walter de Gruyter 2014, 79–99. Zur Interpretation des Dritten Abschnittes der EE, insbesondere zur Mittelstellung des Gefühls der Lust und Un176
III. Abschnitt: System aller Vermögen des menschlichen Gemüts
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der Einteilung der Philosophie als eines Systems handelt, sehr nahe und schließt eng an die Systematiken von EE I und EE II an, indem sich die Einteilung der Philosophie über das ihr zugrundeliegende »System der oberen Erkenntnisvermögen« zur vollständigen Einteilung aller Gemütsvermögen fortschreibt. Kant unterscheidet drei Grundvermögen des Gemüts und behauptet, dass auf sie alle Gemütsvermögen überhaupt zurückzuführen seien: Erkenntnisvermögen, Gefühl der Lust und Unlust, Begehrungsvermögen (20:205.23–206.1).178 Die Einteilung ist damit vollständig und wird später (EE XI) in das Systemgerüst der Kritik der reinen Vernunft integriert. Ihren realen und bestimmten Unterschied will Kant nun begründen, indem er sich zugleich von einer tradierten Lehrmeinung verabschiedet, nach welcher die nachzuweisende Unterscheidung nur scheinbar sei, weil sich alle diese Vermögen allein auf das Erkenntnisvermögen zurückführen ließen.179 Diese Ansicht hält Kant für überholt, obwohl er das darin zum Ausdruck kommende Anliegen, Einheit in die Mannigfaltigkeit der Seelenvermögen zu bringen, als einen »im ächten philosophischen Geiste unternommene[n], Versuch« würdigt. Es lasse sich »sehr leicht darthun«, dass dieser Versuch vergeblich sei, und die Einsicht darüber existiere auch schon »seit einiger Zeit« (EE III, 1. Abs. [20:206.5– 8]).180 Er begründet nun die Notwendigkeit der Dreigliedrigkeit der Gemütsvermögen, d. h. ihres jeweiligen Fürsichbestehens, mit der Unterscheidung der ihnen jeweils spezifischen immanenten Beziehung auf Vorstellungen. Demzufolge ist dem Erkenntnisvermögen eine Beziehung von Vorstellungen auf das »Object und die Einheit des Bewußtseyns« der Vorstellungen eigen. Diese Erklärung verweist auf ein zentrales Ergebnis der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe in der KrV: Ein Objekt konstituiert sich erst durch die spezifische Operation des Verstandes, heterogene Vorstellungen unter der »ursprünglichen synthetischen Einheit der Apperzeption« als Bedingung ihrer Erkenntnis zu vereinigen (KrV, B 137 f. (§ 17)). Der Begriff des Objekts, der durch lust, vgl. die klare Darstellung von Antonino Falduto (Falduto, A. (2014), The Faculties of the Human Mind, 171–178). 178 Vgl. E III, 4. Abs. und den Kommentar dazu S. 425–427. 179 Ein historisch eindeutiger Beleg für Kants Anspielung konnte nicht gefunden werden. S. jedoch H. Klemme, (2014) Erkennen, Fühlen, Begehren, 83, Fn. 13; vgl. Kant (mit Bezug auf Chr. Wolff), 28:261 f. H. Mertens geht von der Evidenz aus, dass Kants Auffassung von der Nichtreduzierbarkeit der drei Grundvermögen auf ein einziges eine Kritik darstellt, die auf Chr. Wolffs Psychologie gemünzt sei (H. Mertens (1975), Kommentar zur Ersten Einleitung, 63, 65). Kants Kritik läßt sich aber auch auf J. G. Sulzer beziehen, der sich erklärtermaßen der Wolffschen Psychologie anschloss (vgl. dazu meinen Aufsatz: Die Idee des Schönen in Sulzers allgemeiner Theorie des Vergnügens. In: F. Grunert, G. Stiening (Hg.), Johann Georg Sulzer (1720–1779). Aufklärung zwischen Christian Wolff und David Hume. Berlin: Akademie Verlag 2011, 110–118). 180 Wie Fn. 4. Mertens gibt unter Berufung auf andere Quellen Chr. A. Crusius als Adressaten Kants an (vgl. Mertens, H. (1975), Kommentar zur Ersten Einleitung, 65. Diesem Hinweis bin ich nicht nachgegangen.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
das Erkenntnisvermögen gebildet wird, bezeichnet einen Gegenstand der Natur, d. i. eine Erscheinung und kein Ding an sich. Im Unterschied zum Erkenntnisvermögen stellt das Begehrungsvermögen eine solche Beziehung der Vorstellung zum Objekt her, durch die die Vorstellung zugleich die Ursache der Wirklichkeit desselben ist.181 Nach Kants Ausführungen in der KpV bedeutet das, dass das Objekt der Begriff eines moralisch-praktischen Gegenstandes ist, der aus dem Willen entspringt und durch die entsprechende Handlung verwirklicht wird. Das Objekt des Begehrungsvermögens ist das Gute (5:57 f.).182 Die spezifische Qualität des Gefühls der Lust und Unlust als des dritten Gemütsvermögens besteht darin, dass es im Unterschied zu den gerade bestimmten Vermögen die Vorstellungen gar nicht auf ein Objekt bezieht, sondern »bloß aufs Subjekt« (20:206.13). Es ist also weder in theoretischer noch in praktischer Bedeutung Erkenntnis und trägt auch nicht dazu bei (obgleich es eine solche als Bestimmungsgrund voraussetzt). Vor allem durch diese Bestimmung erweist sich also das Gefühl der Lust als irreduzibel auf das Erkenntnisvermögen. Als Grund dafür, dass die Vorstellungen im Gemüt durch das Lustgefühl bloß auf das Subjekt bezogen werden, gibt Kant an, dass »sie für sich selbst Gründe sind, ihre eigene Existenz in demselben [d. i. in dem Subjekt] bloß zu erhalten« (20:206.14 f.). Was damit gemeint ist, wird an der betrachteten Stelle nicht expliziert. Von etwas, das den Grund in sich selbst hat (bzw. Ursache und Wirkung von sich selbst ist) gilt aber, dass es zweckmäßig organisiert ist183 (und zwar hier: subjektiv zweckmäßig). Die Vorstellungen des Gefühls der Lust sind also solche, die Selbstzweck sind. Sie müssen unabhängig von bestimmten Begriffen bzw. Objekten sein. Sie werden um ihrer selbst und ihres Daseins im Subjekt willen gefühlt. Das gilt aber im Grunde genommen nur von ästhetischen Vorstellungen. Nachdem im ersten Absatz des dritten Abschnittes die Bedeutungsunterschiede der drei elementaren Gemütsvermögen herausgestellt worden sind, wird im zweiten Absatz deren Verknüpfung gesucht und systematisch begründet. Diskutiert werden drei mögliche Verbindungsarten: erstens eine empirische, zweitens eine apriorische, aber systematisch unstimmige, drittens eine apriorische und systematisch stimmige. Dass irgendeine Gegenstandserkenntnis (im Sinne von Abs. 1 [(20:206.10]) mit einem Lustgefühl »an der Existenz« des Gegenstandes verbunden sein kann, ist empirisch einfach zu überprüfen, indem das durch ihn unmittelbar im Subjekt ausgelöste und mit dessen Existenz andauernde Lustempfinden wahrgenommen wird. Entsprechend ist die Verknüpfung der Erkenntnis mit der »Bestimmung des Begehrungsvermögens« – womit die Bestimmung des unteren Begehrungsvermögens durch die sinnliche Vorstellung des Gegenstandes, denselben zur Wirklichkeit zu Vgl. MS, 6:211.6–7. Zum Begriff des Begehrungsvermögens vgl. Kommentar zu E III, 4. Abs., besonders »Anhang« zur Fußnote, und Kommentar zu EE VIII, »Anmerkung«, Anhang zum 4. Abs. 183 Vgl. KU, § 64, 3. Abs. (5:370.33–37). 181
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III. Abschnitt: System aller Vermögen des menschlichen Gemüts
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bringen (vgl. Abs. 1), gemeint ist – empirisch zu erkennen. Die Konjunktion »oder« soll hier zum Ausdruck bringen, dass die »Bestimmung des Begehrungsvermögens« so mit der Erkenntnis verknüpft ist wie auch das Gefühl der Lust und Unlust. In beiden Fällen ist also ein Zusammenhang der Gemütsvermögen zu beobachten. Kant bemerkt aber nun, dieser mache kein System, sondern nur ein Aggregat (d. h. eine äußere Zusammensetzung) aus (E III, 2. Abs. [20:206.23]). Der Grund dafür liegt in der empirischen Grundlage der Verbindung. Es wäre aber notwendig, den Zusammenhang der Gemütsvermögen durch ein Prinzip a priori zu begründen. Bei der Analyse der zweiten Verbindungsart geht Kant vom Gelingen einer Verknüpfung a priori der drei Gemütsvermögen aus (»Nun gelingt es zwar, …« [20:206.23]). Konkret hängt der Erfolg dieser Verbindung davon ab, dass der Freiheitsbegriff (als »Erkenntnis a priori« verstanden)184 mit dem Begehrungsvermögen verbunden wird, und zwar so, dass dieses durch jenen Begriff bestimmt wird. Damit liegt – wie schon im ersten Absatz auseinandergesetzt – eine objektive Bestimmung des Willens (als des oberen Begehrungsvermögens) vor, die nun nach Kant so gedacht werden kann, dass in ihr zugleich ein subjektives Gefühl der Lust enthalten sei (20:206.27–207.2).185 Der Lustbegriff, der in diesem Zusammenhang thematisiert wird, entspricht nicht dem spezifisch ästhetischen, der dann Grundlage des ästhetischen Urteils sein wird, sondern demjenigen, der mit der moralisch-praktischen Vernunft verbunden ist. In der KpV erklärt Kant, dass das »Bewußtsein einer Bestimmung des Begehrungsvermögens« (nämlich des Willens durch das Vernunftgesetz) zwar der »Grund eines Wohlgefallens« einer dadurch hervorgebrachten Handlung sei; aber dieses »Wohlgefallen an sich selbst«, d. i. die Lust, sei nicht der Bestimmungsgrund der Handlung; vielmehr sei die unmittelbare Willensbestimmung »Grund des Gefühls der Lust«. Die Bestimmbarkeit des Willens (bzw. des Begehrungsvermögens) hängt also nicht von einer ästhetischen Lust ab, sondern ist rein praktisch (5:116.25–117.24). Das praktische Gefühl der Lust steht in Zusammenhang mit der Bestimmung des freien Willens durch das moralische Gesetz. Dadurch wird ein Verhältnis zwischen der Erkenntnis der praktischen Vernunft und dem Gefühl der Unlust (zunächst nur negativ) bestimmt (5:72.28–73.8). Das moralische Gesetz ist aber auch »Gegenstand der Achtung« und damit »Grund eines positiven Gefühls, das nicht empirischen Ursprungs ist«. Es ist das einzige Gefühl, »welches wir völlig a priori erkennen und dessen Nothwendigkeit wir einsehen können.« (5:73.32–37). Der apriorische Status der Verbindung des Lustgefühls mit den beiden anderen Gemütsvermögen reicht noch nicht hin, um diese Verknüpfung wirklich als ein System begreifen zu können. Denn die Lust müsste dem Begehrungsvermögen vorausgehen, um zwischen ihm und dem Erkenntnisvermögen die verbindende MittelVgl. dazu die Textabweichung gegenüber der ursprünglichen Fassung in: N. Hinske u. a. (Hg.) (1965), Faksimile, S. 11, Fn. 3. 185 Wie Fn. 184. 184
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
stellung einnehmen zu können. Auf die zuletzt gedachte Weise erscheint das Lustgefühl aber vielmehr als aus dem Begehrungsvermögen abgeleitet; oder es könnte sich sogar als mit der Empfindung der »Bestimmbarkeit des Willens« unmittelbar identisch zeigen. Jedenfalls ist das Gefühl der Lust und Unlust in einem solchen Gefüge der Gemütsvermögen nicht selbständig und autonom, keine »eigentümliche Empfänglichkeit«.186 Ihm würde daher auch keine eigene Abteilung der Vernunftkritik (Erkenntniskritik) zustehen können (EE III, 2. Abs. [20:207.2–9]). Die dritte Verbindungsart, die die Bedingungen für Systematizität schließlich erfüllt, ergibt sich aus der Analyse der Gemütsvermögen. Aus ihr resultiert als ein unbestreitbares Faktum (»unwidersprechlich gegeben«) das Vorhandensein eines eigenständigen Gefühls der Lust, das nicht nur unabhängig ist von der Bestimmung des Begehrungsvermögens, sondern selbst der Grund der Bestimmung des letzteren ist. Damit gilt die Mittelstellung des Lustgefühls zwischen den beiden anderen Vermögen des Gemüts als erwiesen (EE III, 2. Abs. [20:207.9–12]). Dem Leser mag dieser Befund überraschend erscheinen, denn er folgt nicht aus dem vorhergehenden Argumentationsgang, sondern ist schlichtweg eine Setzung. Die vorangegangenen Begründungsschritte wirken funktionslos und sind insofern eigentlich überflüssig. Aufgenommen wird lediglich die als Zwischenergebnis festgestellte Bedingung, dass die Gemütsvermögen insgesamt und das Gefühl der Lust in Besonderheit nicht auf empirischen Gründen, sondern auf Prinzipien a priori beruhen müssen. Aus der festgestellten Autonomie des Lustgefühls zieht Kant im letzten Gedankenschritt des zweiten Absatzes den Schluß, dass »zur Idee der Philosophie, als eines Systems, auch (wenn gleich nicht eine Doctrin, dennoch) eine Critik des Gefühls der Lust und Unlust« nötig werde (20:207.16–19). Das Wort »auch« weist darauf hin, dass die geforderte Kritik als drittes Stück den beiden bereits veröffentlichten Vernunftkritiken angegliedert werden soll.187 Die in Aussicht gestellte »Critik« fällt eigentlich in das in EE I betrachtete System der Kritik der reinen Vernunft (so wie dies auch bei der Idee der Technik der Natur in EE II, 7. bis 8. Abs., der Fall war). Mit diesem System ist die »Idee der Philosophie« als Propädeutik gemeint und nicht das »System der Philosophie« selbst (»wenn gleich nicht eine Doctrin«). Entsprechend war in EE I, 1. Abs., davon die Rede gewesen, dass die »Critik der reinen Vernunft« »allererst« die »Idee« zu einem »System der Vernunfterkenntniß durch Begriffe« entwerfe, also nicht selbst Teil dieses Systems sei. Die Begründung für die gefolgerte Forderung einer Kritik des Lustgefühls ist in dem betrachteten Passus nicht offenkundig. Sie scheint darin zu bestehen, dass, weil das Gefühl der Lust ein eigenständiges Gemütsvermögen ist, das zudem auf Prinzipien a priori beruht, wie generell bei allen Erkenntnisvermögen geprüft wer-
Vgl. zur Empfänglichkeit 20:207.24, 208.14. Diese Konsequenz entspricht Kants ursprünglichem Plan der Angliederung einer Geschmackskritik an die Vernunftkritik. 186
187
III. Abschnitt: System aller Vermögen des menschlichen Gemüts
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den muss, welcher Art diese Prinzipien sind und wie weit sich die unter ihnen als Bedingungen stehende Erkenntnis erstreckt.
Dritter und vierter Absatz: Die Urteilskraft als »Bestimmungsgrund« des Gefühls der Lust Der dritte Absatz geht wieder von der Dreigliedrigkeit der »Gemüthskräfte überhaupt« und der Mittelstellung des Gefühls der Lust und Unlust aus. Diesen werden dann spezielle Erkenntnisvermögen aus der Klasse der »obern Erkenntnißvermögen« zugeordnet. Die Zuordnung ist nicht in jedem Falle eindeutig. Um hier nun keine vermeidbare Verwirrung aufkommen zu lassen, können die Übersichtstafeln aus EE XI (bzw. E IX) zu Hilfe genommen werden. Darin zeigt sich der Titel »Erkenntnisvermögen« an zwei verschiedenen Stellen mit unterschiedlicher Bedeutung. In der umfassenderen Bedeutung als »obere Erkenntnisvermögen« ist es der Obertitel für die Vermögen, die Kant Verstand, Vernunft und Urteilskraft nennt. In eingeschränkter Bedeutung ist das Erkenntnisvermögen das erste Vermögen, das zum System der Gemütskräfte gehört. Aber hier ist die folgende Unschärfe oder Asymmetrie in der Darstellung auf der Grundlage von EE III zu beobachten: Dem Erkenntnisvermögen als dem ersten Gemütsvermögen, sofern es ein solches »nach Begriffen« ist, wird der reine Verstand – und nur dieser – als Vermögen zugeordnet, das die Prinzipien a priori für das Erkenntnisvermögen (in Gestalt der Naturbegriffe) enthält (EE III, 3. Abs.). Sofern aber von der »Eintheilung des Erkenntnißvermögens durch Begriffe« gehandelt wird, sind Verstand und Vernunft gemeint (EE III, 4. Abs.), weil beiden eine objektive Beziehung ihrer Vorstellungen auf Gegenstände gemeinsam ist und Erkenntnis a priori sowohl durch den Natur- als auch durch den Freiheitsbegriff möglich ist (vgl. auch 2. Abs.).188 Nach der Zuordnung der »obern Erkenntnißvermögen« zu den Gemütskräften überhaupt enthält ausschließlich die reine (praktische) Vernunft im Freiheitsbegriff die Prinzipien a priori für das Begehrungsvermögen (EE III, 3. Abs.). Nachdem zwei Begriffszuordnungspaare gebildet worden sind, stellt Kant auf schlichte Weise fest, dass auf jeder Seite noch ein mittleres Vermögen übrig bleibe, und zwar auf der Seite der Gemütskräfte die »Empfänglichkeit« des Lustgefühls sowie auf der Seite der oberen Erkenntnisvermögen die Urteilskraft. »Empfänglichkeit« von Lust oder Unlust ist dasselbe wie »Gefühl«.189 Deshalb liege die Vermutung nun nahe, dass die Urteilskraft analog zu Verstand und Vernunft Prinzipien
Zur Erkenntnisbildung durch die reine praktische Vernunft vgl. KpV, 5:20.2–6; 5:29.28– 30.3; 5:49.5–9, 5:34–37; 5:50.18–29. Im Unterschied zur theoretischen Vernunfterkenntnis ist das Objekt der praktischen nicht von der Sinnlichkeit abhängig, sondern wird vom Willen selbst erst geschaffen. 189 Vgl. MS, 4:211.11. 188
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
a priori für das Gefühl der Lust und Unlust enthalte (EE III, 3. Abs. [20:207.20– 208.2]).190 Die Bedingungen der Möglichkeit der Verknüpfung des Lustgefühls mit der Urteilskraft sollen in diesem Abschnitt noch nicht untersucht werden. Der abschließende vierte Absatz hat deshalb nur herauszufinden, worin es Übereinstimmung zwischen den beiden neu entdeckten Vermögen gibt, so dass die Urteilskraft den »Bestimmungsgrund« für das Gefühl der Lust und Unlust enthält bzw. jener Grund im Lustgefühl zu finden ist. Die Übereinstimmung (»Angemessenheit«) ergibt sich aus einer Besonderheit beider innerhalb des Verbandes der jeweiligen Vermögen. Da nämlich »in der Eintheilung des Erkenntnißvermögens durch Begriffe« gelte, dass die Vorstellungen des Verstandes und der Vernunft auf Objekte bezogen seien, um Begriffe von diesen zu erhalten, so müsse der Urteilskraft die Eigentümlichkeit zustehen, dass sie sich nicht auf Objekte, sondern nur auf das Subjekt beziehe und deshalb »für sich allein« auch keine Begriffe von Gegenständen hervorbringe (EE III, 4. Abs. [20:208.6–10]). Ein Argument für diese Behauptung ist zunächst nicht ausfindig zu machen. Es könnte aber darin bestehen, dass die Verknüpfungsfunktion des mittleren Vermögens eine objektive Gegenstandsbestimmung ausschließt, weil dadurch ja erneut eine Objektklasse kreiert wäre, die an die beiden übrigen (Natur und Freiheit) systematisch angebunden werden müsste. Das Gleiche gilt für das Gefühl der Lust und Unlust in seiner Mittelstellung innerhalb der »Eintheilung der Gemüthskräfte überhaupt«: Während das Erkenntnisvermögen (im engeren Sinne) (theoretisch und praktisch) und das Begehrungsvermögen Beziehungen von Vorstellungen auf Objekte enthalten, ist das Lustgefühl »nur die Empfänglichkeit einer Bestimmung des Subiects« (EE III, 4. Abs. [20:208.11–15]). Nicht nur die Subjektivität macht das Eigentümliche des Gefühls der Lust aus, sondern auch die Rezeptivität (Bestimmbarkeit). Daraus folgt (»so daß …«): Da die Bestimmungsfunktion der sich nur auf das Subjekt beziehenden Urteilskraft auf ihre Selbstbestimmung reduziert ist (»etwas für sich allein bestimmen soll« [20:208.15 f]), so steht sie dem Lustgefühl als dem einzigen noch unbestimmten und prinzipienlosen Gemütsvermögen gegenüber, und folglich müssen diese beiden Vermögen auch so zusammengehören, dass die Urteilskraft den »Bestimmungsgrund« für das Gefühl von Lust und Unlust im Subjekt abgibt und sie ihr Prinzip allein in der Urteilskraft haben kann. Mit dem Nachweis der Dazugehörigkeit des Lustgefühls und der mittleren Stellung desselben innerhalb der »Familie« der Gesamtvermögen sowie seiner Bestimmbarkeit durch die Urteilskraft ist das »System aller Vermögen des menschlichen Gemüths« vollständig und (vorläufig) abgeschlossen. Offen ist jedoch noch die Frage, was und wozu es eigentlich etwas beiträgt. Außer Kants eher formeller Anerkennung des Triplizitätsprinzips (vgl. Kommentar zu E IX, letzter Abs., Fn. S. 562–568) finde ich kein Argument, das den Schluss auf ein »mittleres Vermögen« rechtfertigen könnte. 190
IV. Abschnitt: Erfahrung als System für die Urteilskraft
EE IV Vierter Abschnitt: »Von der Erfahrung als einem System für die Urtheilskraft«191 → E V, EE V
Gliederung: Erster bis dritter Absatz: Das Problem der Einheit von Natur und Erfahrung als System nach empirischen Gesetzen Vierter und fünfter Absatz: Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft als Naturgesetz
Erster bis dritter Absatz: Das Problem der Einheit von Natur und Erfahrung als System nach empirischen Gesetzen Wie später in E V erhebt Kant auch zu Beginn des vierten Abschnittes der EE den Anspruch, in der KrV nachgewiesen zu haben, dass die Natur insgesamt – und zwar materialiter betrachtet, d. h. als »Inbegriff aller Gegenstände der Erfahrung« – »ein System nach transcendentalen Gesetzen« ausmache (EE IV, 1. Abs. [20:208.22–26]).192 Diese Gesetze sind nämlich identisch mit den allgemeinen Gesetzen (Begriffen und Grundsätzen), die der Verstand der Natur a priori vorschreibt, insofern sie nur aus Erfahrungsgegenständen (Erscheinungen) besteht. Sie sind als Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung zugleich Bedingung der Möglichkeit der Natur in dem oben verstandenen Sinne. Das ist eine der in der KrV mitgeteilten Kernaussagen des transzendentalen Idealismus kantischer Prägung. Kant benutzt den Naturbegriff aus der KrV als »ein System nach transcendentalen Gesetzen«, um mit Notwendigkeit darauf zu schließen, dass Erfahrung auch »ein System möglicher empirischer Erkenntnisse«, und zwar »in der Idee«, ausmachen müsse (EE IV, 1. Abs. [20:208.26–29]), sofern Natur überhaupt, »objectiv betrachtet« – d. h. unter der Voraussetzung der Gültigkeit der transzendentalen Deduktion –, möglich sei. Dass das nicht von vornherein selbstverständlich ist, dass m.a.W. das System nach transzendentalen Gesetzen noch nicht das empirische Erfahrungssystem vollständig einschließt, wird sich erst im zweiten Absatz zeigen. In dem Begriff der Erfahrung als systematischer Einheit der Natur, die alle
191 192
Der Text dieses Abschnittes wurde im Ms nur geringfügig von Kant korrigiert. Vgl. KrV, B 163–165 (§ 26, Anm.).
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Gegenstände der Erfahrung in sich vereinigt, liegt für Kant insoweit die Forderung (bzw. die Notwendigkeit), auch ein »System möglicher empirischer Erkenntnisse« zu begründen, als Naturerfahrung in transzendentaler Bedeutung eben darauf beruht, dass alles, was zu ihr gehört, durchgängig (lückenlos und ohne Ausnahme) und in letzter Instanz im Bewusstsein miteinander verknüpft ist (EE IV, 1. Abs. [20:208.29–209.1]): »Nun ist das, was das Mannigfaltige der sinnlichen Anschauung verknüpft, Einbildungskraft, die vom Verstande der Einheit ihrer intellektuellen Synthesis, und von der Sinnlichkeit der Mannigfaltigkeit der Apprehension nach abhängt. Da nun von der Synthesis der Apprehension alle mögliche Wahrnehmung, sie selbst aber, diese empirische Synthesis, von der transzendentalen, mithin den Kategorien abhängt, so müssen alle möglichen Wahrnehmungen, mithin auch alles, was zum empirischen Bewußtsein immer gelangen kann, d. i. alle Erscheinungen der Natur, ihrer Verbindung nach unter den Kategorien stehen, von welchen die Natur (bloß als Natur überhaupt betrachtet), als dem ursprünglichen Grunde ihrer notwendigen Gesetzmäßigkeit (als natura formaliter spectata), abhängt.« (KrV, B 164 f.). Erfahrung muß also sowohl nach allgemeinen als auch nach besonderen Naturgesetzen möglich sein, obwohl nach Kants Auskunft in der KrV (B 165) die besonderen Gesetze zwar ausnahmslos unter den Kategorien stehen, aber »nicht vollständig« von ihnen »abgeleitet« werden können (also nicht in ihnen enthalten sind).193 Erst unter der Bedingung, dass diese Forderung einlösbar ist – so scheint Kant in dem letzten Satz von Abs. 1 sagen zu wollen –, kann auch »Erfahrung überhaupt nach transcendentalen Gesetzen des Verstandes als System und nicht als bloßes Aggregat« angesehen werden (20:209.1–3). Das Postulat eines Systems möglicher Erfahrung scheint aber zunächst – mit Blick auf den Wortlaut zu Beginn des zweiten Absatzes – unerfüllbar zu sein. Denn dort schränkt Kant die möglichen Konsequenzen aus der Systematik der Erfahrung überhaupt ein, indem er bemerkt, es folge daraus nicht, »daß die Natur auch nach empirischen Gesetzen ein für das menschliche Erkenntnißvermögen faßliches System sey, und der durchgängige systematische Zusammenhang ihrer Erscheinungen in einer Erfahrung, mithin diese selber als System, den Menschen möglich sey.« (EE IV, 2. Abs. [20:209.4–8]) Die ›Faßlichkeit‹ der mannigfaltigen empirischen Naturformen wird in EE V als spezielles Problem der Naturerkenntnis, nämlich als Frage, ob und inwiefern die unendliche Heterogenität empirischer Naturformen durch das menschliche Erkenntnisvermögen überhaupt zu ordnen und zu vereinheitlichen ist, behandelt. Es dient als ein Argument für die notwendige Annahme eines transzendentalen Prinzips der Urteilskraft.194
Auch in diesem Fall haben wir es mit dem Gegensatz zwischen dem Enthaltensein in und dem Enthaltensein unter zu tun, der an späterer Stelle im Zusammenhang mit der Art-Gattungs-Einteilung von Naturbegriffen diskutiert werden soll (s. Kommentar zu EE V, S. 104 f.). 194 Vgl. Kommentar, S. 114. 193
IV. Abschnitt: Erfahrung als System für die Urteilskraft
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Die Übertragbarkeit der Systematik der Erfahrung überhaupt (bzw. der Natur überhaupt nach transzendentalen Verstandesgesetzen) auf die empirisch betrachtete Natur ist begrenzt durch das menschliche Erkenntnisvermögen (d. h. durch die Endlichkeit des Verstandes); dieses scheint wegen der (hier hypothetisch angenommenen) übermäßigen Größe der Mannigfaltigkeit und Heterogenität der empirischen Gesetze unvermögend, einen durchgängigen systematischen Zusammenhang der empirischen Erfahrung herzustellen. So kann es zwar immer teilweise gelingen, Wahrnehmungen nach besonderen Naturgesetzen miteinander zu einer Erfahrung zu vereinigen; es scheint aber prinzipiell ausgeschlossen zu sein, solche empirischen Gesetze »zur Einheit der Verwandtschaft unter einem gemeinschaftlichen Princip zu bringen« (20:209.12–13). Der Schein, der sich in Kants Konjunktivsätzen ausdrückt, besteht nur unter der Voraussetzung der transzendentalen Verstandesgesetze als alleiniger Prinzipien der Naturerfahrung. Die Pointe der Naturbegründung besteht aber gerade darin, dass die Enthüllung des transzendentalen Prinzips der Urteilskraft im vierten Absatz diesen Schein aufheben wird. Der Begriff der Verwandtschaft (bzw. der »Affinität«), den Kant an dieser Stelle nicht erläutert, bedeutet in diesem Kontext – wie später im Kommentar zu E V erneut zu bemerken ist – anscheinend nicht mehr als die Ordnung empirischer Naturwesen und Gesetze durch ihre Klassifizierung in Gattungen, Arten, Unterarten usw., das Zusammenfassen gleicher oder ähnlicher Exemplare in eine »Familie«, unter der Voraussetzung und Bedingung eines transzendentalen Prinzips der Urteilskraft. In seiner ursprünglichen Bedeutung, der der Begriff hier anscheinend entlehnt ist, bedeutet »Verwandtschaft« für Kant das Abstammungsverhältnis von allgemeinen und besonderen Klassen von Naturwesen von einer gemeinsamen Gattung als eines nicht im formalen Sinne logischen Verhältnisses des Enthaltenseins in einem Begriff.195 Dass also nach dem Muster einer solchen Einteilung schließlich alle Einzelexemplare und Klassen von unterschiedlichen Graden der Verallgemeinerung nach einem für alle gültigen Prinzip miteinander zusammenhängen (miteinander verwandt sind), so dass dadurch auch eine Einheit der empirischen Erfahrung zustande käme, wird von Kant hypothetisch ausgeschlossen, und zwar erneut mit dem Hinweis darauf, dass die Mannigfaltigkeit und Ungleichartigkeit der empirischen Naturformen und Gesetze unter der Perspektive der Verstandeserkenntnis so »unendlich groß« sein könnte (»wie es doch an sich möglich ist«), dass sich die Natur statt als System vielmehr als »ein rohes chaotisches Aggregat« präsentierte (EE IV, 2. Abs. [20:209.13–18]). Das Dilemma aber besteht darin, dass es nach transzendentalen Gesetzen aus den dargelegten Gründen allerdings zwingend ist, auch der empirischen Natur ein solches System vorauszusetzen. Das soll insbesondere die Analyse des dritten Absatzes zeigen. Aus dem Schluß des zweiten Absatzes folgt für die Gesamtbetrachtung der beiden ersten Absätze, dass das erkenntniskritische Resultat in Bezug auf die Systematizität der empirischen Natur – die skeptische 195
S. dazu den Kommentar zu EE V, S. 136 f.
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Vermutung, es »könnte« aufgrund der unendlichen Vielfalt der empirischen Naturformen keine systematische Einheit in das ›rohe chaotische Aggregat‹ gebracht werden – der Forderung der Natureinheit nach vollständiger Verknüpfung durch ein oberstes Prinzip der Erkenntnis widerstreitet. Im anschließenden dritten Absatz argumentiert Kant nun wieder in die entgegengesetzte Richtung und versucht damit, den vermeintlichen Widerstreit aufzulösen. Der den Gedankengang einleitende »Denn«-Satz soll die Begründung für den letzten Nebensatz des zweiten Absatzes enthalten, der die notwendige Voraussetzung eines Systems der empirischen Natur als Folge ihrer transzendentalen Gesetze festschrieb: »Denn Einheit der Natur in Zeit und Raume und Einheit der uns möglichen Erfahrung ist einerley, weil jene ein Innbegrif bloßer Erscheinungen (Vorstellungsarten) ist, welcher seine objective Realität lediglich in der Erfahrung haben kann, die, als System selbst nach empirischen Gesetzen, möglich seyn muß, wenn man sich jene (wie es denn geschehen muß) wie ein System denkt.« (20:209.20–25) Welche Argumente enthält aber der begründende Satz? Er trägt keinen völlig neuen Gesichtspunkt vor, sondern stützt sich im wesentlichen auf die Ausführungen im ersten Absatz. Im ersten Schritt wird die räumlich-zeitliche Natureinheit mit der »Einheit der uns möglichen Erfahrung« identifiziert; dies ist insofern gerechtfertigt, als die Natur hier der »Innbegrif bloßer Erscheinungen« ist und nach diesem Verständnis nur in der Erfahrung »objective Realität« erlangen kann. Im zweiten Schritt folgt aus der Notwendigkeit, die Natureinheit überhaupt als ein System zu denken – weil sie Einheit ist im wesentlichen unter den Bedingungen a priori der transzendentalen Gesetze des reinen Verstandes und der Einheit des Bewusstseins –, die Ermöglichung der Erfahrung »als System selbst nach empirischen Gesetzen.« Dieser letzte Begründungsschritt ist natürlich nur dann nachvollziehbar, wenn bedacht wird, dass die systematische Einheit der Natur die Vollständigkeit der Erscheinungen, deren »Innbegrif« sie ist, impliziert, und wenn weiter bedacht wird, dass die Gegenstände der Erfahrung (die Erscheinungen) immer und in jedem Einzelfall aufgrund ihres Gebundenseins an die Rezeptivität der sinnlichen Anschauung (Wahrnehmungen) auch empirisch zu verstehen sind. Der mit dem nachfolgenden »Also«-Satz ausgedrückte Schluß beschließt den Gedankengang der drei ersten Absätze von EE IV (20:209.25–30). In der Conclusio wird die im zweiten Absatz hypothetisch in den Raum gestellte Behauptung vom Aggregat-Charakter der empirischen Natur kategorisch negiert: die scheinbar unüberwindbare Ungleichartigkeit der empirischen Gesetze und Formen kommen der Natur in Wahrheit nicht zu, und das hat als eine »subjectiv-nothwendige transcendentale Voraussetzung« zu gelten, d. h. als Voraussetzung dafür, Natur überhaupt (bzw. Erfahrung) als systematische Einheit auch unter empirischen Bedingungen denken zu können. Dass diese Voraussetzung nur subjektiv notwendig sein soll, unterscheidet sie aber von der objektiven Realität der Natureinheit nach transzendentalen Gesetzen. Darauf ist bei der Besprechung der beiden folgenden Absätze zu
IV. Abschnitt: Erfahrung als System für die Urteilskraft
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achten. Die behauptete Subjektivität gründet sich nämlich auf den eigentümlichen Charakter der Urteilskraft. Auf die Negation des Aggregat-Charakters der empirischen Natur folgt abschließend als positive Bestimmung derselben Natur ihre Qualifikation zu einem »empirischen System« der Erfahrung. Diese Bestimmung beruht entscheidend darauf, dass die besonderen Gesetze der Natur unter den allgemeineren ein Verhältnis der Verwandtschaft (»Affinität«) bilden (EE IV, 3. Abs. [20:209.28–30]).
Vierter und fünfter Absatz: Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft als Naturgesetz Die Voraussetzung der systematischen Einheit der Natur, die nach dem dritten Absatz subjektiv, notwendig und transzendental sein und die Qualifikation der Erfahrung als eines empirischen Systems ermöglichen soll, wird zu Beginn des vierten Absatzes als »das transcendentale Princip der Urtheilskraft« ausgewiesen. Auch diese Einführung beruht auf einer Setzung, die in den Absätzen 1 bis 3 zwar argumentativ vorbereitet worden ist, aber noch nicht wirklich begründet wurde. Auch der nachfolgende »Denn«-Satz begründet die Entscheidung zugunsten dieses Prinzips zumindest nicht hinreichend. Es hat vielmehr den Anschein, als ob es einfach vorgefunden wird und glücklicherweise zu den im dritten Absatz verlangten Aufgaben hinsichtlich der Systematisierung der empirischen Natur passt. Der »Denn«-Satz erklärt jedoch zumindest, weshalb das gesuchte Prinzip in der Urteilskraft vorzufinden ist anstatt im Verstand. Es wird nämlich hier zwischen zwei Funktionen der Urteilskraft unterschieden. Da diese im Kommentar zu E V ausgiebig betrachtet werden sollen,196 brauchen sie hier nur kurz benannt zu werden. Die definitive Unterscheidung zwischen bestimmender und reflektierender Urteilskraft erfolgt erst im nächsten Abschnitt der EE. Die Urteilskraft ist nämlich zum einen das Vermögen, das Besondere unter einen allgemeinen Begriff (des Verstandes bzw. der Vernunft) zu subsumieren (welches insbesondere im Schematismus der KrV, aber in praktischer Hinsicht auch in der Typik der KpV näher gezeigt wird); zum anderen ist sie das Vermögen, zu einem Besonderen (der Natur) das Allgemeine zu »finden«. Damit erfüllt sie die im dritten Absatz gesuchte Funktion, Affinität zwischen den besonderen und allgemeinen Naturgesetzen herzustellen. Der Verstand kommt für diese Aufgabe nicht in Frage, da er »von aller Mannigfaltigkeit möglicher empirischer Gesetze« abstrahiert (EE IV, 4. Abs. (20:210.1–3]). Da die empirischen Gesetze nicht der Gegenstand seiner Verknüpfungsfunktion sind, kann er auch nicht das gesuchte Prinzip enthalten. Seine Gesetzgebung diktiert der Natur bloß die allgemeinen Bedingungen der Möglichkeit einer Erfahrung überhaupt. Da nun ausgemacht ist, dass es Aufgabe der Urteilskraft ist, die besonderen Naturgesetze, die gleichwohl auch unter den allgemeinen des Verstandes stehen und 196
Vgl. Kommentar zu E IV, S. 439.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
dennoch inhaltlich ganz verschieden voneinander sind, gerade hinsichtlich ihrer Heterogenität unter höheren empirischen Gesetzen zu vereinen, ist noch zu zeigen, weshalb dieser Prozedur überhaupt ein Prinzip a priori zugrunde liegen muss (20:210.6–10). Kant unterlässt es an dieser Stelle, das Prinzip genau zu benennen, obwohl er es in EE II, 6. Abs., bereits eingeführt hat. Es handelt sich eben um die »formale Zweckmäßigkeit der Natur«. Ausgiebig behandelt wird es aber erst in EE V, 11. Abs. In dem dem betrachteten vierten Abschnitt der EE partiell entsprechenden fünften Abschnitt der Einleitung ist die Darstellung des transzendentalen Prinzips der Urteilskraft kompakter und auch gründlicher. Dort wird, ausgehend von der Unterscheidung in transzendentales und metaphysisches Prinzip, das Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit der Natur als Prinzip der Urteilskraft nachgewiesen.197 Ohne ein Prinzip a priori wäre die Suche nach Gemeinsamkeiten in der empirischen Natur und nach höheren empirischen Gesetzen orientierungslos und von Zufallsfunden abhängig. Es wäre nur ein blindes »Herumtappen unter Naturformen« (EE IV, 4. Abs. [20:210.13–15]).198 Die Urteilskraft würde es als Zufall betrachten, wenn sie Übereinstimmung unter empirischen Gesetzen feststellte. Zufälliger noch wäre es sogar, »wenn sich besondere Wahrnehmungen einmal glücklicher Weise zu einem empirischen Gesetze qualificirten« (EE IV, 4. Abs. [20:210.13–15]). Aus diesen Zufällen heraus müsste es der Urteilskraft im höchsten Maße (»vielmehr aber«) zufällig vorkommen, wenn sich heterogene empirische Naturgesetze zur durchgängigen systematischen Einheit der Natur und der Naturerfahrung »in ihrem ganzen Zusammenhange« (d. h. nicht nur im Allgemeinen, sondern auch im Besonderen) zusammenfügen ließen, ohne dass ein Prinzip a priori gegeben wäre, das eine entsprechende Form systematischer Einheit an der Natur selbst voraussetzte. Ein Indiz dafür, dass die Urteilskraft über ein Prinzip a priori verfügt, erblickt Kant darin, dass von alters her unter Metaphysikern und Naturforschern Formeln in Gebrauch sind, die sich als Ausdrucksweisen oder Konkretionen des Prinzips der Urteilskraft interpretieren lassen. Kant behauptet, sie seien »nichts anders als eben dieselbe transcendentale Äußerung der Urtheilskraft, sich für die Erfahrung als System und daher zu ihrem eigenen Bedarf ein Princip festzusetzen« (EE IV, 5. Abs. [20:210.24–26]). Sie werden im fünften Absatz kurz benannt und entsprechen ungefähr der Auflistung in E V, 2. Abs. Für ihren Gebrauch lassen sich historische Belege finden. So kann z. B. die Regel, die Natur tue »nichts umsonst« bei Aristote-
Vgl. Kommentar zu E V, 1. bis 4. Abs., S. 457 ff. Diese Ausdrucksweise für ein Nachforschen ohne sicheres Suchprinzip, das in der Natur nur zu Zufallsfunden führen kann, verwendet Kant häufiger. Er hat sie vielleicht von Francis Bacon übernommen (s. dazu meinen Aufsatz: Einheit der Abstammung oder Gattungseinteilung? Kants Begriff der (Menschen-)Rasse als Idee einer Naturgeschichte. In: R. Godel / G. Stiening (Hg.), Klopffechtereien – Missverständnisse – Widersprüche? Methodische und methodologische Perspektiven auf die Kant-Forster-Kontroverse. München: Wilhelm Fink Verlag 2012 (Laboratorium Aufklärung Bd. 10). 55–96, spez. 68). 197
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les nachgewiesen werden;199 oder: die Natur nehme »den kürzesten Weg«, obwohl sie »keinen Sprung etc.« begehe (vgl. E V, 2. Abs. [5:182.19–22]) bei Leibniz.200 In den von Kant zitierten Formeln kommen die Merkmale zum Ausdruck, die durch das gesuchte Prinzip der Urteilskraft erfüllt sein müssen: durchgängiger (lückenloser) Zusammenhang aller Naturformen (Kontinuität), den Artenreichtum unter möglichst wenige Gattungen zu subsumieren. Die Formel ›Die Natur tut nichts umsonst‹ – d.h jedes Lebewesen ist seiner »innere[n] Form« nach durchgängig zweckmäßig organisiert – taucht in KU, § 66 (5:376.27 f.), wieder auf zur Erläuterung von Kants »Prinzip der Beurteilung der inneren Zweckmäßigkeit in organisierten Wesen« (ebd., Abs. 1–3 [5:376]), das vom Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit der Urteilskraft zu unterscheiden ist. Diese Formel ist nach § 66 der KU (2. Abs. und 3. Abs. [5:376.22]) und E V, 2. Abs. (5:182.11) eine Maxime, Organismen in Hinsicht auf ihre innere Zweckmäßigkeit bzw. zum besonderen Gebrauch für die Naturforschung nach einem bestimmten Verfahren zu beurteilen. In § 66 der KU, auf den wir an anderer Stelle noch genauer eingehen werden (vgl. Kommentar zu EE V, »Anhang« (Zusatz zum neunten Absatz), S. 140–143), behauptet Kant von den Biologen, sie würden ihrer Naturforschung die Maxime, dass in einem Lebewesen nichts »umsonst«, d. h. nichts zwecklos sei, als »teleologischen Grundsatz[]« notwendig voraussetzen, um dessen »innere Form« (»Struktur«) in Erfahrung zu bringen (KU, § 66, 3. Abs. [5:376.24–36]). Die Analyse organischer Strukturen an Dingen, die innerlich zweckmäßig sind, lässt sich jedoch auf die Untersuchung der »inneren Beschaffenheit« der anorganischen Materie nicht übertragen. Denn obwohl auch diese als ein Ganzes innerlich (oder doch bloß äußerlich?) zweckmäßig sein mag, kann sie doch keinesfalls als organisiert gedacht werden, in dem Sinne, dass »in« ihr nichts »umsonst« sei, d. h. dass alles, was ihr eigentümlich angehört oder in ihr vorgeht, auf einen bestimmten Zweck hin ausgerichtet ist (vgl. EE V, 9. Abs., Fußnote zu Linné [20:215.34, 216.27–31]).201 Die »innere Beschaffenheit« der anorganischen Materie lässt noch nicht auf ihre innere Zweckmäßigkeit schließen. Denn allein der organisierten Materie kommt notwendig der Begriff eines objektiven Naturzwecks zu; ihre »speVgl. Aristoteles, PA II.13; Politik I.2.; vgl. Chr. Wolff, Deutsche Metaphysik, § 1047; s. bei Kant: KU, § 66, 1. Abs.; KrV, B 425, B 651, B 678 (nicht bloß ökonomischer Grundsatz der Vernunft, sondern inneres Gesetz der Natur), B 680 (entia praeter etc.); Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte, 8:18–19. 200 In seinen Überlegungen zur Optik; vgl. Leibniz, Metaphysische Abhandlung, § 22, Philosophische Schriften I, S. 121 (s. dazu meinen Aufsatz: Mechanismus und Teleologie bei Leibniz und Wolff – mit einem Ausblick auf Kant. In: D. Hüning / K. Michel / A. Thomas (Hg.), Aufklärung durch Kritik. Festschrift für Manfred Baum zum 65. Geburtstag. Berlin: Duncker & Humblot 2004, 51–79, spez. 54–57); s. auch Chr. Wolff, Deutsche Metaphysik, § 686. Vgl. Kommentar zu E V, 2. Abs., S. 465. 201 S. dazu meinen Artikel zu Kants Theorie der Biologie: Kants Kritik der teleologischen Urteilskraft als Fachlogik der Biologie. In: Studi Kantiani XXVIII 2015. Pisa, Roma: Fabrizio Serra Editore 2016, pp. 19–64. 199
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
zifische Form« ist zugleich ein Naturprodukt (vgl. KU, § 67, 3. Abs. [5:378.35– 37]). Dennoch müssen anorganische Stoffe zu den Gegenständen der Natur gezählt werden, deren Untersuchung notwendig von »Maximen der Urtheilskraft« als Bedingungen der Erkenntnis der empirischen Natur abhängt und damit dem »Begriff einer Zweckmäßigkeit der Natur« (E V, 2. Abs. [5:182.10 f.]) untersteht. Kant bezeichnet jenes Prinzip der Urteilskraft auch als »Naturgesetz«.202 Es muß eine besondere Art von Naturgesetzmäßigkeit beinhalten, da es ausdrücklich weder im Verstand noch in der Vernunft ihren Grund hat. Somit kann das »Naturgesetz« der Urteilskraft kein transzendentales Gesetz sein, das der Natur ›vorgeschrieben‹ wird (denn diese Funktion fällt dem Verstand zu). Hinsichtlich der allgemeinen Gesetze, die der Verstand der Natur vorschreibt, hat sich diese nach dem Verstand zu richten. Im Vergleich dazu heißt es nun in bezug auf die mannigfaltigen, heterogenen besonderen Gesetze, dass die Natur »von allen Einschränkungen unseres gesetzgebenden Erkenntnißvermögens frey« sei (EE IV, 5. Abs. [20:210.31 f.]). Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft, das als »Naturgesetz« bezeichnet wird, ist also ein Gesetz, das auf die Natur keinen Zwang ausübt, das weder ihre empirischen Formen noch die besonderen Gesetze bestimmt. Die Natur ist frei darin, dass sie sich in der Produktion ihrer empirischen Formen und ihrer Zusammenhänge in empirischen Gesetzen selbst ihren eigenen Weg bahnt. Aber wie hängen denn dann die besonderen empirischen Gesetze mit dem Prinzip a priori der Urteilskraft überhaupt zusammen, und wie und worauf bezieht es sich als »Naturgesetz«? Eine vorläufige Antwort darauf kann unter Berufung auf EE II, 6. Abs. (20:204.1– 11) schon gegeben werden: Es wird von der Urteilskraft an der Natur eine »zufällige Gesetzmäßigkeit« vorausgesetzt, die mit dem Prinzip der Urteilskraft übereinstimmt. Die Urteilskraft schreibt sich selbst das Gesetz vor, nach welchem sich die Naturbeurteilung und Nachforschung richten muss (vgl. E IV, 2. Abs. [5:180.5–17]). Es hat insofern nur subjektive Gültigkeit. Entsprechend heißt es am Ende des vierten Abschnittes der EE, dass das Prinzip a priori der Urteilskraft ihre eigene Voraussetzung dafür sei, um vom EmpirischBesonderen zum Empirisch-Allgemeinen hinaufzusteigen mit dem Ziel, die empirischen Gesetze auf der Grundlage ihres Prinzip a priori zu vereinigen. Von Erfahrung ist dieses Prinzip ursprünglich ganz unabhängig. Es ist vielmehr selbst die Voraussetzung für die Möglichkeit von empirischer Erfahrung nach systematischer Methode. Dass die Annahme, die Urteilskraft ›entlehne‹ ihr Prinzip aus der Erfahrung, auf einen Begründungszirkel führen würde, wird im Kommentar zu E IV, 2. Abs., gezeigt und diskutiert werden. Es wurde in dem betrachteten vierten Abschnitt der EE dargelegt, in welchem Sinne besondere Erfahrung und Natureinheit nach besonderen Gesetzen der Natur ein »System« ausmachen. Um dieses System auf der materialen Grundlage heterogener empirischer Formen und Gesetze der Natur errichten zu können, ist ein 202
Zur Gesetzmäßigkeit der Urteilskraft vgl. EE II, 6. Abs. (20:204.1–11).
IV. Abschnitt: Erfahrung als System für die Urteilskraft
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Prinzip a priori notwendige Voraussetzung. Dieses Prinzip ist ein freies Gesetz der Natur, kann ausschließlich der Urteilskraft angehören und richtet sich auch nur auf deren Tätigkeit, d. h. nicht auf Objekte der Natur. Deshalb kündigt die Überschrift des Abschnittes nicht einfach eine Abhandlung über das System der Erfahrung an, sondern über dasselbe »für die Urtheilskraft«.
V. Abschnitt: Reflektierende Urteilskraft
EE V Fünfter Abschnitt: »Von der reflectirenden Urtheilskraft« Gliederung: Erster bis dritter Absatz: Das Prinzip des Reflektierens der Urteilskraft über empirische Gegenstände der Natur Anhang: Die »Bedingung der Möglichkeit der Anwendung der Logik auf die Natur« ist kein logisches Prinzip (Fußnote zum dritten Absatz) Vierter bis siebter Absatz: Die reflektierende Urteilskraft verfährt »nicht schematisch, sondern »technisch« Exkurs: Welche Logik wird ›gebraucht‹, und was bedeutet »logische Einteilung«? Achter bis zehnter Absatz: »Classification«, »Specification« und die Selbstspezifikation als »Technik der Natur« Anhang: Linnés Hoffnung auf ein »System der Natur« (Zusatz zum neunten Absatz) Elfter und zwölfter Absatz: »Zweckmäßigkeit der Natur« als eigentümlicher Begriff der reflektierenden Urteilskraft
Erster bis dritter Absatz: Das Prinzip des Reflektierens der Urteilskraft über empirische Gegenstände der Natur → E IV, E V Der nun folgende Abschnitt der EE, der von der reflektierenden Urteilskraft und ihren Funktionen – im Unterschied zur bestimmenden – handelt, berührt sich an einigen Stellen mit dem vierten und fünften Abschnitt der Einleitung. Um unnötige Wiederholungen möglichst zu vermeiden, wird an verwandten Stellen auf den Kommentar zur Einleitung verwiesen. Der erste Absatz beginnt mit der auch in E IV anzutreffenden und in EE IV, 4. Abs., ebenfalls schon verwendeten Unterscheidung der Urteilskraft in ein Vermögen des Bestimmens und ein solches des Reflektierens. Zur näheren Bestimmung dieser Unterscheidung kann der Kommentar zu E IV, 1.–2. Abs., zu Rate gezogen werden. Die dort von Kant gebrauchten Formulierungen weichen zwar im Wortlaut von denen in EE V, 1. Abs., ab, sind jedoch gleichbedeutend und haben den Vorzug, in den Ausführungen präziser und inhaltsreicher zu sein. Abweichend vom Text der Einleitung folgt in EE V, 1.–2. Abs., eine ausführliche Erläuterung des Reflektierens und der Reflexion.203 »Reflectiren« oder »ÜberleS. dazu näher im Exkurs zum Kommentar des vorliegenden Abschnittes. Vgl. M. Kugelstadt (1998), Synthetische Reflexion, spez. 24–27. 203
V. Abschnitt: Reflektierende Urteilskraft
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gen« bedeutet für Kant allgemein: »gegebene Vorstellungen entweder mit andern, oder mit seinem Erkenntnißvermögen, in Beziehung auf einen dadurch möglichen Begrif, zu vergleichen und zusammen zu halten. Die reflectirende Urteilskraft ist diejenige, welche man auch das Beurtheilungsvermögen (facultas diiudicandi) nennt.«204 Die einzelnen Momente des Reflektierens mit Bezug auf die Urteilskraft, von der an dieser Stelle allein die Rede sein kann, betreffen das Vergleichen entweder bloß gegebener Vorstellungen untereinander oder gegebener Vorstellungen mit dem subjektiven Erkenntnisvermögen. Der zweite Fall ist der interessantere, denn erst mit ihm wird der Bezug hergestellt zum menschlichen Erkenntnisvermögen, das nicht näher bezeichnet wird. Angesprochen ist aber nicht bloß der Verstand, sondern alle »oberen« Erkenntnisvermögen: Verstand, Urteilskraft und Vernunft, aber nur insofern, als sie in der reflektierenden Urteilskraft gebündelt zusammen tätig sind. Das wird sich im weiteren Kommentar zu den Absätzen 2 bis 3 verdeutlichen lassen. Dann ist der Vergleich der Vorstellungen mit diesen drei Vermögen die Grundkonstellation für die von der reflektierenden Urteilskraft zu bildenden ästhetischen bzw. teleologischen Urteile. Diese Annahme ihrer Urteilsfunktion wird durch den Hinweis im letzten Satz des ersten Absatzes (vorläufig) bestätigt, nämlich dass die reflektierende Urteilskraft auch das »Beurtheilungsvermögen (facultas diiudicandi)« genannt werde. Es gibt jedoch eine sachliche Schwierigkeit, die bei dieser Interpretation leicht übersehen werden kann: Der Vergleich gegebener Vorstellungen mit dem Erkenntnisvermögen soll zugleich ein solcher sein, der sich »auf einen dadurch möglichen Begriff« bezieht (ebd.). Wir werden aber durch die Analyse der Einleitung noch entdecken (was dann auch für die KU insgesamt gilt), dass das ästhetische Urteil keinen möglichen Begriff ›verschafft‹, so dass also strenggenommen nur das Reflektieren der teleologischen Urteilskraft gemeint sein kann. Dafür aber gibt es im betrachteten Textabschnitt keinen sichtbaren Beleg. Das ›Zusammenhalten‹, das neben dem Vergleichen zum Akt des Reflektierens gehören soll, kann sich wohl nur auf den zweiten Fall des Vergleichens ›gegebener Vorstellungen‹ beziehen, weil dafür Erkenntnisprinzipien a priori, Synthesisleistungen und Einheit des Bewusstseins erforderlich sind, die im bloßen Vergleich von Vorstellungen untereinander weitgehend entbehrt werden können. Die Fallunterscheidung des Vergleichens bereite – so könnte man zunächst vermuten – die Differenzierung zwischen tierischer und menschlicher Reflexion vor, die im zweiten Absatz eine untergeordnete Rolle spielt. Doch wird sich durch die
20:211.14–18; vgl. KrV, B 317; vgl. Kugelstadt, M. (1998), Synthetische Reflexion, 24 f. Historische Belege für das Vorkommen des lateinischen Ausdrucks für »Beurtheilungsvermögen« sind u. a. bei Baumgarten zu finden; vgl. Baumgarten, A. G., Metaphysica, Editio VIII. Halae Magdeburgicae 1779. Reprografischer Nachdruck Hildesheim 1963, S. 219–220 (§§ 606–607). 204
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Analyse der langen Fußnote zum dritten Absatz zeigen lassen, dass mit dem Vergleich der Vorstellungen untereinander eine »logische« Operation gemeint ist. Ich werde diesen ersten Fall des Reflektierens daher zunächst ausblenden und erst im nachfolgenden Anhang besprechen.205 Eine Analyse des »Amphibolie«-Kapitels der KrV (B 316 ff. / A 260 ff.) in Hinsicht auf die Bedeutung des Begriffs der Reflexion würde auf die Interpretationshypothese (die sich dann im Anschluß an die Bestimmung des ästhetischen und des teleologischen Urteils bestätigen lassen müsste) hinauslaufen: dass eine »transzendentale Überlegung« (KrV, B 317 / A 261) einschließlich der Gültigkeit der Reflexionsbegriffe aus der KrV als Formen des Vergleichs von Vorstellungen – insbesondere Einerleiheit und Verschiedenheit (B 317 / A 261, B 319–320 / A 263–264) – vor der Bildung von Erkenntnisbegriffen (B 325 / A 269) in der KU unterstellt und vorausgesetzt wird, insofern sie von der reflektierenden Urteilskraft (stillschweigend) beim Vergleich von Vorstellungen, die wechselnde »transzendentale Orte« (KrV, B 324 / A 268) (übertragen auf die KU nicht bloß Verstand und Sinnlichkeit, sondern: Einbildungskraft, Verstand, Vernunft) einnehmen, benutzt werden zur Konstitution des ästhetischen oder des reflektierenden Urteils.206 Jenes Reflektieren, das im ersten Absatz des hier betrachteten Abschnittes (EE V) als eine Handlung (der Urteilskraft) bestimmt worden ist, die gegebene Vorstellungen nicht nur untereinander, sondern zugleich mit dem Erkenntnisvermögen vergleicht und verbindet, um so einen Begriff (nämlich einen empirischen Allgemeinbegriff, der nicht als Erfahrungsbegriff im transzendentalen Sinne zu verstehen ist) zu ermöglichen, wird im zweiten Absatz weiter thematisiert. Ein bloßer Nebengedanke liegt in dem Hinweis, dass auch Tiere über die Fähigkeit zu reflektieren verfügen, »obzwar nur instinktmäßig«. Das soll bedeuten, dass sie nicht in der Lage sind, mit Bewußtsein einen Begriff durch Reflektieren zu bilden, sondern nur einer Neigung zu folgen. Der wichtigere Aspekt in diesem zweiten Absatz betrifft die Notwendigkeit eines Prinzips – und zwar selbstverständlich eines Prinzips a priori – für das menschliche Reflektieren. Ein solches Prinzip wird zunächst bloß deswegen verlangt, weil dem Bestimmen (wie aus der KrV bekannt) in Analogie zum Reflektieren ein Objektbegriff (des Verstandes) zugrunde liegt, der anstelle eines Prinzips207 der Urteilskraft S. dazu auch KrV, B 318–319 / A 262–263, B 325 / A 269, B 335 / A 279. Es wäre an dieser Stelle angebracht und gewinnbringend, einen Exkurs zum Begriff der Reflexion im »Amphibolie«-Kapitel der KrV (B 316 ff. / A 260 ff.) im Kommentar zwischenzuschalten. Von diesem Vorhaben musste jedoch aus Zeit- und Platzgründen wieder Abstand genommen werden. Über den Zusammenhang der »Amphibolie« der Reflexionsbegriffe in der KrV mit der reflektierenden Urteilskraft in der KU s. Kugelstadt, M. (1998), Synthetische Reflexion, 24–27. 206 Transzendentale Amphibolie nennt Kant eine Verwechslung von Objekten des reinen Verstandes mit Erscheinungen, die – wie beim bloß logischen Vergleichen – aus dem Verzicht auf transzendentale Überlegung resultiert und ungültige synthetische Grundsätze produziert (KrV, B 325–326 / A 269–270). 207 Weil sie nach EE V, Abs. 4, für das Schematisieren keines Prinzips bedarf. 205
V. Abschnitt: Reflektierende Urteilskraft
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»die Regel vorschreibt«; diese Regel ist keine andere als die, die die bestimmende Urteilskraft im »Schematismus« befolgt, indem sie besondere Fälle unter das Allgemeine eines Verstandesbegriffs subsumiert (vgl. Abs. 4). Im dritten Absatz wird das geforderte Prinzip der Reflexion über Gegenstände der Natur (d. h. eigentlich über Vorstellungen) eingeführt. Es besagt, »daß sich zu allen Naturdingen empirisch bestimmte Begriffe finden lassen.« Dies ist zunächst nichts anderes als die inhaltliche Bestimmung des »transzendentalen Prinzips der Urteilskraft« bzw. das »Prinzip der Affinität«, das bereits in EE IV, 4. Abs., gefordert worden ist. Das Prinzip hat nun nicht den Charakter einer Regel oder Vorschrift, wie sie der Verstand erlässt, sondern einer hypothetischen Voraussetzung. Das kommt in der alternativen Formulierung zum Ausdruck, die Kant als gleichbedeutend mit der bereits zitierten Formel noch nachschiebt: dass man nämlich »allemal« an den Produkten der Natur »eine Form voraussetzen« könne, »die nach allgemeinen, für uns erkennbaren Gesetzen möglich ist.« Die »Form« an den Gegenständen der Natur entspricht den empirisch bestimmten Begriffen (dem empirisch Allgemeinen), denen die reflektierende Urteilskraft aufgrund besonderer Vorstellungen, die sie hat, nachspüren soll. Desweiteren sucht sie aber – wie bereits festgestellt – zu gegebenen empirischen Gesetzen auch die allgemeinen Gesetze, denen jene subordiniert sind. Das sind die ›erkennbaren‹ allgemeinen Gesetze, die dann als Bedingung der Möglichkeit der empirischen Form oder des empirisch bestimmten Begriffs fungieren. In einer längeren Fußnote zur ersten Formulierung des Reflexionsprinzips möchte Kant einem möglichen Missverständnis vorbeugen, das darin besteht, dass das transzendentale Prinzip der Urteilskraft dem Inhalt nach für tautologisch und als bloß zur »Logik« gehörig angesehen werden könnte. Kants Argumentation zur Entkräftung dieses Verdachtes werde ich in dem nachfolgenden Anhang genauer analysieren. Zuvor soll noch die am Ende von Absatz 3 erfolgende Begründung für die Notwendigkeit, das zitierte Reflexionsprinzip seinem Inhalt nach an den Gegenständen der Natur voraussetzen zu müssen, kurz paraphrasiert werden. Kant gibt nur eine indirekte Begründung an. Er zeigt, was aus der gegenteiligen Annahme folgen würde, also daraus, dass ein solches Prinzip a priori der Urteilskraft nicht vorausgesetzt werden dürfte. Die Antwort beinhaltet das Argument, mit welchem aber im Grunde ein Gedanke aus EE IV, 4. Abs., bloß wiederholt wird: ohne ein solches Prinzip »würde alles Reflectiren bloß aufs Gerathewohl und blind, mithin ohne gegründete Erwartung ihrer Zusammenstimmung mit der Natur, angestellt werden.« (EE V, 3. Abs. [20:212.4–6]) Mit anderen Worten, der angestellte Vergleich zwischen empirischen Naturformen, der zum Reflektieren gehört, würde ohne Prinzip nur zufällig zu einer beschränkten Einheit durch Zusammenfassen Verschiedener finden, aber nicht zu einem durchgängigen systematischen Zusammenhang aller Formen bzw. empirischen Gesetze.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Anhang: Die »Bedingung der Möglichkeit der Anwendung der Logik auf die Natur« ist kein logisches Prinzip (Fußnote zum dritten Absatz) Wie kommt Kant in der Fußnote zur ersten Formel des Prinzips der Reflexion im dritten Absatz auf den Gedanken, der Leser könne den Inhalt des Satzes, der das Prinzip ausdrückt, für »tavtologisch« und deshalb der »bloßen Logik« für zugehörig halten? Kant begründet seine Befürchtung damit, dass nach der Begriffslehre in der (herkömmlichen) Logik ein Begriff nach der Regel gebildet werde, verschiedene Vorstellungen miteinander zu vergleichen, um das ihnen Gemeinsame daraus zu extrahieren. Dieses allgemeine Merkmal wäre dann der gesuchte Begriff.208 Kant kritisiert dieses logische Verfahren an der betrachteten Stelle nicht explizit, und er sagt auch nicht genau, was er diesbezüglich unter »tavtologisch« versteht. Eine Tautologie bildet das Verfahren in seinen Augen anscheinend deshalb, weil das Allgemeine in allen denjenigen verglichenen Vorstellungen bereits vorkommt, auf die es zur begrifflichen Bestimmung im nachhinein angewendet wird, ohne zu berücksichtigen, ob der Gegenstandsbereich, der einer solchen Formgleichheit genügt (durch Koordination der Begriffe), auch für eine Subordination erschöpfend ist.209 Die Logik kümmert sich also in Kants Worten nicht um die Frage, »ob die Natur zu jedem Objecte noch viele andere als Gegenstände der Vergleichung, die mit ihm in der Form manches gemein haben, aufzuzeigen habe« (EE V, Abs. 3, Fn. [20:211.33– 34, 20:212.17–18]). Im Hinblick auf die Funktion des Prinzips der Urteilskraft (wie es in EE V, Abs. 3 formuliert wird) würde die Anwendung (Übertragung) der bloß
Welche Gestalt einer Logik Kant hier vor Augen hat, lässt sich vorläufig nicht genau sagen. Als Autoren überlieferter Logik-Kompendien nennt er selbst u. a.: Aristoteles, Leibniz und Wolff (welche beide »die allgemeine Logik in Gang gebracht haben«, wobei Wolffs allgemeine Logik »die beste« sei, die man derzeit habe), des weiteren: Baumgarten, Meier, Lambert, Crusius (vgl. Logik Jäsche, Einleitung II [9:20 f., bes. 21.5 f., 10]), »Die Logiker aus der Wolffischen Schule« (vgl. Logik Jäsche, Einleitung VIII [9:63.17]). Zur logischen Herleitung von Begriffen s. besonders Chr. Wolff, Deutsche Logik, 1. Cap., §§ 4–57 (GW I, Bd. 1, S. 123–151); Logicae Pars I. Sive Theoretica. Sectio I. De Logicae Principiis, §§ 30–197 (GW II. Abt., Bd. 1.2. Philosophia Rationis sive Logica Pars II. Hrsg. und bearbeitet von Jean École. Hildesheim, Zürich, New York 1983, S. 125–215); Georg Friedrich Meiers Auszug aus der Vernunftlehre. Halle 1752: Der achte Abschnitt, von den gelehrten Begriffen, §§ 281–323 (S. 408– 482), insbes. §§ 292–294 (S. 426–430), §§ 318 ff. (S. 473 ff.). Kant hat in seinen eigenen LogikVorlesungen, wenn ich recht sehe, zwar an den überlieferten Regeln der logischen Begriffsbildung festgehalten (vgl. Logik Jäsche, § 5, Anm. 1 [9:94], §§ 6–16 [9:94–100]), andererseits hat er sie ergänzt, indem er beispielsweise die Abstraktion für ein unzureichendes Mittel logischer Begriffsentstehung hält (Logik Philippi (Mai 1772), 24.1:452 (mit Bezug auf Meiers Vernunftlehre, § 254)). Zum allgemeinen Verständnis von Kants Logik vgl. R. StuhlmannLaeisz (1976), Kants Logik; M. Wolff (1995) Die Vollständigkeit, 197 ff. 209 Für Kant ist es aber bereits »eine bloße Tautologie, von allgemeinen oder gemeinsamen Begriffen zu reden«. Diesen Fehler führt er auf eine »unrichtige Eintheilung« der Begriffe (als allgemeine, besondere, einzelne) zurück (Logik Jäsche, § 1, Anm. 2 [9:91.17–20]). 208
V. Abschnitt: Reflektierende Urteilskraft
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logischen Begriffsermittlung auf die Natur bedeuten, dass der gesuchte empirische Allgemeinbegriff an den »Naturdingen« oder an den gegebenen Vorstellungen, die Gegenstand des Vergleichs sind, bereits vorhanden wäre. Nun werden zwar die empirischen Formen, die entdeckt werden sollen, an den Produkten der Natur notwendig vorausgesetzt, aber diese Voraussetzung ist insofern nicht oder nicht im logischen Sinne tautologisch, als das Prinzip der Zweckmäßigkeit jene empirischen Formen zunächst begrifflich ganz unbestimmt lässt. Erst durch dieses Prinzip wird in den empirischen Vorstellungen der Natur ein notwendiger und systematischer Zusammenhang hergestellt. Der eigentliche Grund für die Sorge, die Kant in der Fußnote artikuliert, betrifft die Funktion logischer Sätze oder Prinzipien, bestimmte Allgemeinbegriffe über verschiedene Gegenstände der Natur zu ermitteln. Die Begriffslehre dessen, was Kant hier als »Logik« bezeichnet, hat den Mangel, nicht wirklich allgemein(gültig) zu sein. Sie gibt nämlich keine Auskunft über die Frage, ob es in der Natur zu jedem Objekt (das einem gemeinsamen Begriff subordiniert ist) nicht noch viele andere vergleichbare gebe, die in der Form mit diesem einen übereinstimmen (ohne demselben Begriff bereits subordiniert zu sein). D. h., prinzipiell ist es möglich, dass sich viele (unentdeckte) heterogene Dinge der Natur dem logischen, hierarchisch aufgebauten Ordnungssystem entziehen. Demgegenüber forderte das (transzendentale) Prinzip der Urteilskraft aber gerade, dass sich ausnahmslos »zu allen« Gegenständen der Natur empirische, und zwar »bestimmte« Allgemeinbegriffe ermitteln ließen. M.a.W., die Logik als solche reicht nicht hin, um die mannigfaltigen Erscheinungen in der Natur zu klassifizieren. Das logische Prinzip der Begriffsbestimmung, Übereinstimmung und Einheit aus verschiedenen Vorstellungen zu gewinnen, ist dem transzendentalen Prinzip der Urteilskraft, was den Geltungsbereich betrifft, damit unterlegen. Gleichwohl behält Kant in seinen eigenen Logik-Vorträgen die Vorstellung einer Begriffsgenese durch logische Operationen bei. Damit komme ich zu der oben angekündigten Erörterung des logischen Vergleichs gegebener Vorstellungen, die Kant in der Fn. zu EE V, 2. Abs., als unzulänglich kritisiert. Bekanntlich kennzeichnet Kant die Logik als eine Wissenschaft von der bloßen Form der Erkenntnis von Gegenständen. Als allgemeine Logik abstrahiert sie gerade von aller Materie des Denkens bzw. der Erkenntnis und erwägt den Begriff nur hinsichtlich seiner Form.210 Dem gemäß »beschäftigt sie sich bloß mit den Regeln des Denkens bei Begriffen, Urtheilen und Schlüssen […]«.211 Ihre Funktion besteht also nicht darin zu ergründen, wie Vorstellungen (ihrem Inhalt nach) entspringen, sondern festzustellen, »wie dieselben mit der logischen Form übereinstimmen«212,
Vgl. Logik Jäsche, 9:61, 94 (§ 5, Anm. 1), 101 (§ 19) u. ö. S. auch den nachfolgenden »Exkurs«, Kommentar, S. 120 ff. 211 Logik Jäsche, 9:33.33 f. 212 Ebd., 9:29–31. 210
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bzw. »wie gegebene Vorstellungen im Denken zu Begriffen werden«.213 Die Form der Begriffe ist die Allgemeinheit.214 Diese Entstehung von Begriffen nennt Kant ihren »logische[n] Ursprung«.215 Er ist »der Ursprung ihrer bloßen Form nach« und besteht in der »Reflexion«, durch welche »eine mehreren Objecten gemeine Vorstellung (conceptus communis) entsteht, als diejenige Form, die zur Urtheilskraft erfordert wird.«216 Diese logische Operation setzt sich aus drei Verstandeshandlungen zusammen, welche zugleich »die wesentlichen und allgemeinen Bedingungen zu Erzeugung eines jeden Begriffs überhaupt« sind:217 Erstens durch die »Comparation«, die verschiedene Vorstellungen im Hinblick auf das, was sie voneinander unterscheidet, miteinander vergleicht, und zwar »im Verhältnis zur Einheit des Bewußtseins«;218 zweitens durch die »Reflexion« (»Überlegung«) darauf, wie verschiedene Vorstellungen in der Einheit des Bewußtseins etwas gemeinsam haben können;219 drittens durch die »Abstraction« von allen Unterschieden der Vorstellungen in bezug auf das ihnen Gemeinsame.220 Das Resultat ist der Begriff als ein Allgemeines (ein gemeinsames Merkmal) der logischen Form nach.221 Als »Merkmal« sind verschiedene Dinge dann »unter« dem Begriff als ihrem gemeinsamen »Erkenntnißgrund« enthalten222 und machen den Umfang oder die »Sphäre« desselben aus. Den logischen Aufbau einer hierarchischen Ordnung von Begriffen höherer und niederer Allgemeinheit denkt Kant als einen kontinuierlichen Zusammenhang von Gattungen und Arten,223 die nichts anderes sind als die allgemeinen Merkmale der unter ihnen stehenden Dinge.224 Die logische Art-Gattungseinteilung, die Kant beibehält,225 ist jedoch nicht identisch mit der Einteilung in Gattungen und Arten, die die reflektierende Urteilskraft a priori an der Natur voraussetzt (EE V, 3. Abs., Fn. [20:212.25–29]). Kant stellt den Prinzipien der Logik wegen ihres oben angegebenen Mangels »ein Princip der Vorstellung der Natur, als eines Systems für unsere Urtheilskraft« Ebd., § 5, Anm. 1 (9:94.7 f.). Logik Jäsche, § 2 (9:91). 215 Ebd., § 5, Anm. 1 (9:94.10). 216 Ebd., § 5, Anm. 1 (9:94.11–13). 217 Ebd., § 6, Anm. 1 (9:94.30 f.). 218 Ebd., § 6 (9:94.22 f.). 219 Ebd., § 6 und Anm. 1 (9:94.24 f., 34 f.). 220 Ebd., § 6 und Anm. (9:94.26 f., 95.1–2); vgl. Warschauer Logik, Logik-Vorlesung II, KF 9, S. 609.564–611.601. 221 Vgl. das Beispiel ebd., § 6, Anm. 1 (9:94.31–95.2). 222 Logik Jäsche, § 7 (9:95.27–30), § 8 (9:96.3 f.), Einleitung VIII. (9:58 f.); vgl. Logik Philippi (24.1, 453 (zu Meiers Vernunftlehre, § 260)); vgl. Logik Blomberg, §§ 260 f. (24.1, 257–259). 223 Ebd., §§ 10–11 (9:96.30–97.4). 224 Ebd., § 63, Anm. (9:123.20–25). 225 S. z. B. Logik Blomberg, 24.1:252 (zu § 254 von Meiers Vernunftlehre); Logik Philippi, 24.1, 455. 213 214
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(20:212.19–20) gegenüber. Damit ist nichts anderes gemeint als das im dritten Absatz formulierte »Princip der Reflexion«. Die Natur als das ›System für die Urteilskraft‹ wird so gedacht, dass sie aufgrund der Gültigkeit dieses transzendentalen Prinzips eine Einteilung des Mannigfaltigen in Gattungen und Arten zuläßt und enthält. Dieses Mannigfaltige ist dann – insofern es in eine systematische Ordnung gebracht wird – eine Ermöglichungsbedingung dafür, dass prinzipiell »alle« Formen, die in der Natur vorkommen, durch »Komparation« in Begriffe von unterschiedlichen Graden der Allgemeinheit umgeformt werden. Um jedoch die Verschiedenheit der Form der Erkenntnis zu ermitteln, ist der Bezug auf das Bewusstsein, das die Vorstellungen »begleitet«, notwendig.226 Denn erst dadurch, dass Vorstellungen mit Bewusstsein auf ein Objekt bezogen sind, werden sie zu Erkenntnis.227 Im Verhältnis zu dem von Kant als unzulänglich kritisierten Verfahren der »Logik« bedeutet dies, dass sie nicht etwa abgewiesen oder als für die Klassifizierung der Naturwesen gänzlich ungeeignet erklärt wird, sondern dass sie unter der Voraussetzung der Gültigkeit des transzendentalen Prinzips der Urteilskraft und der hierdurch ermöglichten Ordnung der Natur berechtigt (oder sogar verbunden) ist, als Instrument dieser Einteilung der Naturformen benutzt zu werden. Ihr erfolgreicher Gebrauch ist damit jedoch von transzendentalen Bedingungen abhängig, die als solche keine Gesetze der sog. allgemeinen Logik sind (s. dazu besonders EE V, 7. Abs.). In diesem Sinne ist das Prinzip der Urteilskraft »Bedingung der Möglichkeit der Anwendung der Logik auf die Natur.« (EE V, 5. Abs., Fn. [20:212.18–19]). Wie im Exkurs zum Kommentar zu EE V, 4.–7. Abs., unter Bezugnahme auf Kants eigene Erklärungen, näher gezeigt werden wird, bedeutet der Ausdruck »Anwendung der Logik« hier nicht, dass von den universellen Regeln der sog. allgemeinen Logik unmittelbar und ohne Bedingung für die Beurteilung außerlogischer Gegenstände Gebrauch gemacht wird. Vielmehr erfolgt die Verwendung allgemein-logischer Prinzipien in Rücksicht auf die jeweiligen Bedingungen einer besonderen Wissenschaft.228 Es sind demnach zwei Bedingungen, die dazu beitragen, die empirisch vielfältige Natur in ein Systemganzes der besonderen Erscheinungen und Gesetze bzw. der empirischen Erfahrung zu verwandeln. Die oberste Bedingung ist das (subjektive) Prinzip der Urteilskraft, die ihr untergeordnete ist die Voraussetzung, dass die Natur durch sich selbst (von ihrer objektiven Seite betrachtet) so in Gattungen und Arten eingeteilt ist, dass sie logisch angemessen in Begriffe gefasst werden kann. Der noch zu besprechende Rest der Fußnote (»Nun lehrt zwar schon der reine Verstand, … durch ein transcendentales Princip.« [20:212.22–34]) handelt nochmals zusammenfassend von genau diesen gerade angesprochenen Bedingungen für ein System der Natur auch unter dem Aspekt der Heterogenität und Vereinzelung ihrer empirischen Gestalten. 226 227 228
Vgl. ebd., 9:33.23–26. Vgl. Logik Jäsche, § 1 (9:91.6 f.). S. unten, Kommentar zu EE V (»Exkurs«), S. 120 ff.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Die Besonderheit des Systems der Natur vermittelst der (reflektierenden) Urteilskraft erläutert Kant in dem angezeigten Reststück der Fußnote zunächst in Gegenüberstellung mit dem Natursystem nach Verstandesgesetzen. Während durch den reinen Verstand »alle Dinge der Natur als in einem transcendentalen System nach Begriffen a priori (den Categorien) enthalten« gedacht werden, genügt dies für die reflektierende Urteilskraft nicht. Sie muss noch Sonderleistungen erbringen, die dem Verstand nicht auferlegt werden können. Denn ihre Aufgabe ist es, nach Begriffen zu suchen, die »auch zu empirischen Vorstellungen, als solchen« (d. h. zu begrifflich unbestimmten Vorstellungen) passen. Deshalb muss sie »noch überdem« die Voraussetzung machen, »daß die Natur in ihrer grenzenlosen Mannigfaltigkeit eine solche Eintheilung derselben in Gattungen und Arten getroffen habe« (20:212.27–29). Denn dies ist für Kant Bedingung dafür, dass es der Urteilskraft überhaupt möglich ist, beim Vergleichen der Naturformen auf übereinstimmende Merkmale zu stoßen und durch schrittweise Verallgemeinerung einen Zusammenhang zwischen empirischen Begriffen herzustellen. Die Voraussetzung, die die Urteilskraft a priori macht, d. i. »ein System der Natur auch nach empirischen Gesetzen« (20:312.33), kann sie allerdings nur machen, weil sie über ein transzendentales Prinzip verfügt, das zugleich Voraussetzung der Vergleichbarkeit heterogener Naturformen ist (vgl. EE V, 5. Abs.!). Während der Verstand also eine solche Voraussetzung zur Bildung von Natur und Erfahrung nicht benötigt und außerhalb seiner eigenen Gesetze, die er der Natur a priori vorschreibt, bloß ein unbestimmtes Ansich der Natur annehmen muss, ist die Urteilskraft auf das Gegebensein empirischer Formen in der Natur (die »gegebenen empirischen Anschauungen« (EE V, 5. Abs. [20:213.1–2]) entsprechen) angewiesen. Das ist sie deshalb, weil sie einerseits die Gesamtheit der empirischen Erscheinungen und Gesetze der Natur in bestimmter Weise zu ordnen hat, andererseits dieser Gesamtnatur keine Gesetze vorschreiben und nichts dadurch bestimmen kann.
Vierter bis siebter Absatz: Die reflektierende Urteilskraft verfährt »nicht schematisch, sondern technisch« Die folgenden Absätze werden benötigt, um die Besonderheit des Verfahrens der (reflektierenden) Urteilskraft beim Systematisieren der empirischen Natur herauszuarbeiten. Dabei schließt Kant am Anfang (4.–5. Abs.) an das bisher in diesem Abschnitt bereits Gesagte an und hemmt den Fortgang wiederum in der Wiederholung gedanklicher Ausführungen. Im vierten Absatz wird an die schematisierende Funktion erinnert, die der Urteilskraft in der KrV zugewiesen wurde: »In Ansehung der allgemeinen Naturbegriffe, unter denen überhaupt ein Erfahrungsbegrif (ohne besondere empirische Bestimmung) allererst möglich ist, hat die Reflexion im Begriffe einer Natur überhaupt, d. i. im Verstande, schon ihre Anweisung […].« (20:212.7–10)
V. Abschnitt: Reflektierende Urteilskraft
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Die allgemeinen transzendentalen Bedingungen der Möglichkeit einer Natur überhaupt (bzw. von Erfahrung) sind bereits hinlänglich erläutert worden, so dass ich die Problemzusammenhänge als bekannt voraussetzen kann. Ich beschränke mich deshalb darauf, die einschlägigen Text- bzw. diesbezüglichen Kommentarstellen noch einmal zu nennen und auf sie zu verweisen. Weil die Urteilskraft in Hinsicht auf die Bestimmung der Natur überhaupt bereits durch den Verstand »ihre Anweisung« hat – insofern nämlich der Verstand selbst als Gesetzgeber der Natur betrachtet wird, der mittels der Funktion der Kategorien vorschreibt, die Synthesis des Mannigfaltigen in der Anschauung a priori nach konkreten Regeln zu vollziehen229 – und diese nur noch durch ihre Subsumtionsfunktion bzw. das Schematisieren umgesetzt werden muss, hat sie kein besonderes Prinzip mehr nötig. Denn wozu sollte es ihr noch dienen, wenn man doch mit dem Autor der KrV davon ausgehen kann, dass das System der Urteilsformen und damit auch die »Anweisung« des Verstandes zur bestimmten Erkenntnis aller Gegenstände der Natur vollständig ist? Auch auf den Schematismus des reinen Verstandes, der in der KrV an einer zentralen Stelle entfaltet wird, braucht hier nicht näher eingegangen zu werden. Seine Funktion steht im Zusammenhang mit der Funktion der Urteilskraft, heterogene Elemente der Erfahrung (den reinen Verstandesbegriff und die empirische Anschauung) in ein Verhältnis der Subordination untereinander zu setzen. Da die Unterordnung eines Gegenstandes unter einen Begriff Gleichartigkeit zwischen ihnen voraussetzt, muss diese im Fall der allgemeinen Erfahrung durch ein vermittelndes Zwischenglied hergestellt werden. Das geschieht durch die besondere Vorstellung des transzendentalen Schemas. In Bezug auf ein »Drittes«, nämlich auf ein solches Schema, das einerseits Ähnlichkeit mit der Anschauung andererseits mit dem Verstand hat, können dann Begriff und Gegenstand (Verstand und Anschauung) als »gleichartig« angesehen werden. Das Verfahren des Verstandes, mittels eines solchen Schemas Einheit der Erfahrung herzustellen, nennt Kant »Schematismus des reinen Verstandes«.230 Dessen Funktion besteht also darin, die sinnlichen Bedingungen der Anwendung der Kategorien in synthetischen Urteilen (die zugleich die Bedingungen dafür sind, die Begriffe mit Gegenständen in Übereinstimmung zu bringen) durch die Urteilskraft in Geltung zu setzen. Ich verweise dazu auf den Kommentar zu E IV, (Exkurs); S. 442 ff.231 Zusätzlich erläuterungsbedürftig scheint mir jedoch in Abs. 4 die Nebensatzaussage zu sein, dass die Urteilskraft die (von ihr) gebildeten Schemata »auf jede empirische Synthesis […], ohne welche gar kein Erfahrungsurteil möglich wäre«, Vgl. dazu KrV, A 126–128. KrV, A 140 / B 179. 231 S. ergänzend: Detel, W. (1978), Zur Funktion des Schematismuskapitels, 17–45; La Rocca, C. (1989), Schematismus, 217–246; Tetens, H. (2006), Kants »Kritik der reinen Vernunft«, 124–129; Goy, I. (2007), Architektonik oder die Kunst der Systeme, 44–48; Herrmann, F. W. von (2010), Kants transzendentaler Schematismus. 229
230
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
anwendet. Was heißt hier »anwenden«? Und welche »empirische Synthesis« ist eigentlich gemeint? Da die bestimmende Urteilskraft hier eingreift (wie der Folgesatz belegt), sind die Antworten wohl in der KrV zu suchen. Dazu stelle ich die Interpretationshypothese auf, dass »jede empirische Synthesis« soviel bedeutet wie »jede einzelne Wahrnehmung«. D. h. sie bedeutet umgekehrt nicht: jede »Erfahrung« im Sinne der Erkenntnis von Gegenständen als Erscheinungen der Natur. Wahrnehmung als bloß vereinzeltes, isoliertes Sinnesdatum gibt es nämlich innerhalb von Kants Erkenntnislehre eigentlich nicht. Was Kant »Wahrnehmung« nennt, ist vielmehr immer schon ein durch das erkennende Subjekt und dazu erforderlicher spezieller Vermögen zusammengesetztes Datenmaterial.232 Die empirische Synthesis ist aber auch nicht mehr als das, was Kant »Synthesis der Apprehension« nennt, und diese ist Bedingung der Möglichkeit von »Wahrnehmung« als dem empirischen Bewußtsein eines ebenso empirischen Anschauungsmannigfaltigen (KrV, B 160). Sie ist also noch keine vollständige Synthesis der Erfahrung aus Prinzipien a priori, welche über die Apprehension hinausgehen muss (KrV, B 160–162). Das Problem, das sich daraus scheinbar ergibt, besteht darin, dass, wenn »jede empirische Synthesis« als Anwendungsfall der Schematisierungs- und Bestimmungsfunktion der Urteilskraft unterläge, gar kein Raum mehr bliebe für die Aufgabe, die in EE V, Absatz 5, erneut Thema ist, nämlich zu gegebenen empirischen Anschauungen allgemeine Begriffe zu finden, um dadurch besondere Erfahrung zu ermöglichen. Denn Anschauungen dieser Art sind eben auch schon synthetisierte Sinneskomplexe (-einheiten), d. h. sie sind bis ins Einzelne hinab schematisiert und bestimmt. Woraus leitet sich dann also noch der Anspruch ab, Begriffe zu empirischen Anschauungen zu suchen? Die Antwort verbirgt sich in der Bedeutung der Anwendung der Schemata »auf jede empirische Synthesis«. Da die Schematisierung der Verstandesbegriffe und deren Anwendung eine Funktion der Urteilskraft ist, insofern sie zugleich bestimmend ist, entsteht der Eindruck, als handle es sich um eine bis in jede empirische Einzelheit der Naturerscheinungen erfolgende universelle Determination. Das wird aber, wie wir mehrfach Kants Erkenntniskritik entnommen haben, schon in der KrV ausgeschlossen, weil das Begriffsinventar des reinen Verstandes über entsprechende besondere Begriffe der Natur nicht verfügt.233 Der Verstand abstrahiert ja gerade – wie Kant mit Nachdruck erklärt – von allen besonderen Formen und empirischen Gesetzen der Natur und hält sich nur an deren allgemeine Bestimmungen. Diese aber sind – anders als die empirisch-allgemeinen Formen – aus Erfahrung nicht ableitbar, sondern gelten a priori. Dieser in der KrV (B 160–162) m. E. eindeutige Begriff von »Wahrnehmung« scheint sich nicht mit allen seinen in der KrV zu beobachtenden Bedeutungsvarianten zu decken. In A 374 ist er z. B. bedeutungsgleich mit »Empfindung«. Zum Begriff der Wahrnehmung bei Kant vgl. Kugelstadt, M. (1998), Synthetische Reflexion, 91 ff., 249 ff; Dörflinger, B. (2000), Leben, 186 ff. 233 Vgl. Kant, KrV, B 165; vgl. Kommentar zu E IV, Exkurs, S. 442 ff. 232
V. Abschnitt: Reflektierende Urteilskraft
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Die Kant zufolge von den Kategorien ableitbaren »Prädikabilien« (KrV, B 108 / A 82; Prol. § 39, AA 4:324.7–10) sind auch keine besonderen Begriffe, die sich zur Bestimmung des empirisch Einzelnen eignen. Die Schematisierung der Kategorie stellt zwar für die Synthesis des empirisch Mannigfaltigen in gewisser Hinsicht eine Konkretisierung dar, aber nicht durch besondere Begriffe. Es bleibt also das bestehen, was ich an früherer Stelle das »Restproblem« der Verstandeskritik in der KrV genannt habe: Der Verstand ist mittels seiner allgemeinen Naturbegriffe nicht in der Lage, das empirisch Besondere der Natur in seiner höchsten Differenzierung zu erfassen. Infolgedessen wird die Aufgabe, die der reflektierenden Urteilskraft zuteil wird – zu »gegebenen empirischen Anschauungen« (EE V, 5. Abs. [20:213.1 f.]) allgemeine Begriffe zu suchen – nicht obsolet. Das für den vierten Absatz oben formulierte Problem existiert bei genauem Hinsehen also gar nicht. Dass die Schemata auf »jede empirische Synthesis« angewendet234 und diese dadurch bestimmt wird, bedeutet ja nur, dass das empirisch Einzelne seiner Möglichkeit nach durch das Allgemeine bestimmt wird, indem es sich durch die Handlung des Bewußtseins, des Verstandes und der Einbildungskraft darauf bezieht (vgl. KrV, Fn. zu B 162). Es bedeutet aber nicht, dass der empirische Gegenstand als solcher dadurch (in allen seinen Einzelheiten) vollständig bestimmt wird, d. h. nicht notwendigerweise spezifisch (wie er für sich in seiner Einzelheit ist) bestimmt wird. Dafür ist vielmehr ein besonderer Bestimmungsvorgang erforderlich, der außerhalb des menschlichen Verstandes liegt. Dass aber die transzendentalen Begriffe des reinen Verstandes notwendigerweise zuletzt auf die einzelne empirische Anschauung bezogen sein müssen, wenn Erkenntnis von Gegenständen der Natur möglich sein soll, lehrte die KrV. »Erfahrung« ist demnach (KrV, B 147 (§ 22)) gerade dadurch determiniert, dass die Verstandesbegriffe mittels der reinen Anschauungsformen in letzter Konsequenz notwendig auf empirische Anschauung angewandt oder bezogen werden: »Folglich verschaffen die reinen Verstandesbegriffe, selbst wenn sie auf Anschauungen a priori (wie in der Mathematik) angewandt werden, nur sofern Erkenntnis, als diese, mithin auch die Verstandesbegriffe vermittelst ihrer, auf empirische Anschauungen angewandt werden können. Folglich liefern uns die Kategorien vermittelst der Anschauung auch keine Erkenntnis von Dingen, als nur durch ihre mögliche Anwendung auf empirische Anschauung, d. i. sie dienen nur zur Möglichkeit empirischer Erkenntnis. Diese aber heißt Erfahrung.« (KrV, B 147). Die im vierten Absatz geführte Auseinandersetzung bereitet den Boden vor für eine erneute Begründung der Notwendigkeit eines transzendentalen Prinzips der Urteilskraft. Denn nachdem geklärt ist, dass der »transzendentale Schematismus« keine hinreichende Bedingung der Möglichkeit besonderer Erfahrung sein kann, bleibt die Aufgabe bestehen, allgemeine Begriffe zu »gegebenen empirischen An-
Zur »Anwendung« vgl. u. a. KrV, B 161, bes. B 147; vgl. La Rocca, C. (1989), Schematismus, 129 ff. 234
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
schauungen«, die »ein besonderes Naturgesetz voraussetzen«, zu finden (EE V, 5. Abs. [20:213.1–3]). Empirische Anschauungen werden in dem Sinne »gegeben«, dass sie der Synthesis der Apprehension unterliegen. Die dazu nötigen Begriffe sind empirische Begriffe von unterschiedlichen Stufen der Allgemeinheit, die untereinander art- und gattungsspezifisch geordnet werden können. Sie werden – wie oben gezeigt – durch die reflektierende Tätigkeit der Urteilskraft (Vergleichen und Zusammenfassen) gefunden (vgl. EE V, 1. Abs.). Was aber ist das »besondere[] Naturgesetz«, das von den zu findenden Begriffen vorausgesetzt wird und das Ermöglichungsbedingung besonderer Erfahrung ist? Da das in Frage stehende Gesetz Voraussetzung dafür ist, dass empirische Allgemeinbegriffe überhaupt erst gesucht werden können, beinhaltet es eine Verfahrensregel oder »Anleitung« dafür, wie die Nachforschung anzustellen ist. Das Gesetz kann demnach – wie zunächst vermutet werden könnte – kein empirisches Gesetz der Natur sein. Denn empirische Gesetze gehen gleichfalls erst aus der Nachsuche hervor, nämlich aus dem Vergleichen gefundener empirischer Begriffe. Sie sind Folge und nicht Voraussetzung des Reflektierens. Da es sich auch um nur ein besonderes Naturgesetz handeln soll, kann es nur das geforderte transzendentale Prinzip der Urteilskraft selbst sein. Denn dieses ist die höchste (subjektive) Bedingung a priori der besonderen Naturerfahrung, d. h. die Voraussetzung dafür, dass Begriffe »zu gegebenen empirischen Anschauungen allererst sollen gefunden werden.« Dass Kant dieses Prinzip auch als »Naturgesetz« bezeichnet, haben wir ja bereits bei der Analyse von EE IV, 5. Abs., bemerkt und entsprechend kommentiert.235 Nach dieser Zwischenerläuterung konzentriere ich mich nun auf den fünften Absatz. Im Kontrast zur Erkenntnisfunktion des Schematisierens, von der der vierte Absatz handelte, geht es hier um die Nachforschung nach Begriffen, die »zu gegebenen empirischen Anschauungen« passen. Sie setzen, sagt der Text, »ein besonderes Naturgesetz« voraus als einziger Bedingung der Möglichkeit besonderer Erfahrung. Sind damit empirische Gesetze gemeint, die sich von den allgemeinen Verstandesgesetzen a priori ableiten sollen? Oder sind es solche empirischen Gesetze, die auch erst mit Hilfe von Suchkriterien gefunden werden müssen? Die Suchoperation nach solchen (empirischen) Begriffen erfordert insbesondere (und zwar noch über das »besondere Naturgesetz« hinaus) die Mitwirkung der Urteilskraft, die dafür ihrerseits ein eigenes transzendentales Prinzip der Reflexion benötigt. Dieser Bedarf ergibt sich aus zwei Gründen: Erstens kann die Urteilskraft zur Begründung der besonderen Erfahrung nicht immer wieder auf empirische Gesetze verwiesen werden, weil sonst die geforderte systematische Einheit der Erfahrung nicht erzielt werden könnte. Zweitens (das aus der Fn. zu Abs. 3 bereits bekannte Argument) ist ein bloßer (bloß logischer) Vergleich zwischen begrifflich bereits bestimmten empirischen Formen (bzw. »Wahrnehmungen«) unzureichend,
235
Vgl. Kommentar zu EE IV, 5. Abs., S. 96.
V. Abschnitt: Reflektierende Urteilskraft
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um allgemeine Merkmale (empirische Begriffe) zu finden, die allen möglichen verschiedenen empirischen Naturformen gemeinsam sind. Ein solches Vorgehen wäre ohne Aussicht auf Erfolg, weil unterstellt werden kann, dass die Ungleichartigkeit der Naturformen, die laut Kant auf der Verschiedenheit der empirischen Naturgesetze beruht, ein solches Ausmaß annimmt, dass die Vergleichung operational an kein Ende kommt und damit keine »Einhelligkeit und Stufenordnung von Arten und Gattungen« (20:213.14) erzielt werden könnte. Wie also kann man auf der Grundlage der angenommenen Unvergleichbarkeit der Naturformen erwarten (»hoffen«), durch einen Wahrnehmungsvergleich aus der grenzenlosen Vielfalt der Naturformen überhaupt gemeinsame Merkmale zu finden, die sich in empirische Begriffe einbinden lassen, und schließlich ein System empirischer Allgemeinbegriffe errichten zu können – eine Frage, die auch Linnäus zur Hoffnung hätte bewegen müssen.236 Der letzte in Abs. 5 noch zu besprechende Passus konkretisiert den Zusammenhang der »Vergleichung« mit ihrer allgemeinen Voraussetzung: »Alle Vergleichung empirischer Vorstellungen, um empirische Gesetze und diesen gemäße specifische, durch dieser ihre Vergleichung aber mit andern auch generisch-übereinstimmende Formen an Naturdingen zu erkennen, setzt doch voraus: daß die Natur auch in Ansehung ihrer empirischen Gesetze eine gewisse unserer Urtheilskraft angemessene Sparsamkeit und eine für uns fasliche Gleichformigkeit beobachtet habe, und diese Voraussetzung muß, als Princip der Urtheilskraft a priori, vor aller Vergleichung vorausgehen.« (20:213.15–22) Das Vergleichen umfasst anscheinend mehrere Schritte: Ausgegangen wird von der »Vergleichung empirischer Vorstellungen«. Das Ziel ist, dazu passende empirische Gesetze, also allgemeine und notwendige Abhängigkeiten (logische Relationen) zwischen ihnen, zu finden sowie »diesen gemäße specifische« (d. h. spezifisch verschiedene) Naturformen (»Formen an Naturdingen«, d. h. besondere empirische Begriffe, durch die Arten oder Unterarten bezeichnet werden können). Schließlich sollen (in einer Fortsetzung dieser Operation) durch Vergleichung jener neu entdeckten spezifischen Naturen mit anderen (schon bekannten) umgekehrt auch gattungsgleiche Formen an Naturdingen erkannt werden. Welches aber ist das zunächst liegende bzw. ein ferneres Ziel? Wie wird das jeweilige Ziel erreicht? Ist es ein und derselbe Akt des Vergleichens (empirischer Vorstellungen) oder sind es zwei oder mehr getrennte, aufeinander folgende Operationen? Wie hat man sich den Aufbau solcher empirischen Gesetze der Natur überhaupt vorzustellen, und wie hängen sie mit den spezifischen Formen zusammen? Betrachten wir dazu die lebendige Natur, ziehen wir einen Vergleich zwischen gewissen empirischen Vorstellungen aus der Botanik, etwa Gräsern. Aus ihrer wahllos und beliebig beschreibenden Beobachtung (äußere Erscheinung, innerer
Vgl. EE V, Fn. zu Abs. 9 (20:215.34, 20:215.27–31). S. dazu »Anhang« zum achten bis zehnten Absatz im Kommentar zu diesem Abschnitt, S. 140 ff. 236
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Aufbau, Vorkommen, klimatische und geologische Voraussetzungen des Wachstums etc.) lassen sich Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen feststellen und in bestimmte Gruppen (Klassen) zusammenfassen. Unter der Bedingung, dass empirische Gesetze formuliert werden können (z. B. über die zum Wachstum erforderliche Bodenbeschaffenheit), die es ermöglichen, mehrere Gruppen spezifisch voneinander zu unterscheiden, ist eine Spezifikation allgemeiner Formen (Begriffe) möglich. Die Unterscheidung spezifischer Formen hängt also vom Vergleich entsprechender empirischer Gesetze untereinander und derselben mit empirischen Vorstellungen ab, die die Verbreitung einer gewissen Art beschränken (z. B. werden Sumpfgräser in der Regel nicht auf Sandböden gedeihen). Die empirischen Gesetze gelten allgemein für alle einzelnen empirischen Vorstellungen (Merkmale), in Rücksicht auf ihre spezifische Form. Dabei können mehrere empirische Gesetze gleichzeitig von einer besonderen Art gelten. Die Ergebnisse werden nicht immer eindeutig sein, sondern auch Übergänge, Ausnahmen (Anomalien), zweifelhafte Fälle und dgl. enthalten. Auf dieser Grundlage werden dann drittens die spezifischen Formen, die aus den beiden aufeinander aufbauenden Vergleichungsvorgängen resultieren, miteinander verglichen – das jedenfalls scheint die naheliegende Lesart des eingeschobenen Nebensatzes (»durch dieser ihre Vergleichung aber mit andern […]«) zu sein. Eine direkte Verallgemeinerung zu Gattungsformen ist nicht sinnvoll, da von einer unendlichen Vielfalt einzelner zu vergleichender Vorstellungen ausgegangen wird, von denen nicht abzusehen ist, nach welchen Kriterien sie, außer dem bloß zufälligen Augenschein, zusammengefaßt werden können. Eine hinreichend gesicherte Klassifizierung setzt vielmehr die Kenntnis bereits spezifizierter Formen voraus. Diese »Vergleichung empirischer Vorstellungen« orientiert sich am ›Modell‹ der logischen Begriffsgenese durch die Verstandeshandlungen der Komparation, Reflexion und Abstraktion (Subordination), das im Kommentar zur Fn. zu EE V, 3. Abs., vorgestellt worden ist.237 Das heißt, man gelangt zuerst zu einer (beschränkten) empirischen Verallgemeinerung, die aber nicht gleichzusetzen ist mit den »generisch übereinstimmende[n] Formen« und übrigens auch nicht mit den spezifizierten zusammenfällt. Denn spezifische Formen lassen sich doch erst aus der Kenntnis allgemeiner Merkmale, deren Beziehung auf Naturwesen sich in empirischen Gesetzen ausdrückt, die eine Einschränkung des Allgemeinen ermöglichen, gewinnen. Um Unterarten festlegen zu können, muss also schon mehr über die Bestimmung einer Spezies bekannt sein als das, was sich aus ihrer Abgrenzung (Unterscheidung) von anderen Arten ergibt. Die beschriebene Verallgemeinerung ist nicht beliebig erweiterbar sondern stößt irgendwo an Grenzen. Die Begrenzung verhilft zur Formulierung empirischer GeVgl. die differenzierte Analyse der Unterscheidung zwischen logischer und empirischer Begriffsbildung in: Kugelstadt, M. (1998), Synthetische Reflexion, Kap. VI »Begriffsbildung«, 243 ff. 237
V. Abschnitt: Reflektierende Urteilskraft
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setze (z. B. über die Abhängigkeit des Pflanzenwachstums von bestimmten Nährböden). Diese ermöglichen es wiederum, mehrere Untergruppen zu bilden und spezifisch voneinander zu unterscheiden (z. B. Sumpfgräser, Seegräser, Sandgräser etc.). Das wären sozusagen die spezifischen Formen. Sie können erst begriffen (gefunden) werden, wenn verschiedene empirische Gesetze als Kriterien einer Einteilung bekannt sind und miteinander verglichen werden können. Es sind also in der Tat mehrere Schritte des Vergleichs notwendig, der vom Allgemeinen zum Besonderen und umgekehrt fortgeht. Die Spezifikation ist nicht der erste Schritt. Denn vor dem ersten ordnenden Schritt der Verallgemeinerung zeigt sich die Natur nicht in spezifischen Formen, sondern (wie Kant ja an vielen Stellen voraussetzt) als unübersehbares ›Chaos‹ heterogener, empirischer Einzelheiten. Wenn wir die Schwierigkeit, einen klaren Überblick davon zu gewinnen, was in Abs. 5 über den Vergleich als Reflexion der Urteilskraft gesagt wird, nicht auf Kants grobe Ausdrucksweise, die auf gedankliche Unschärfen hinweisen könnte, schieben wollen, so ist es nötig, uns eine deutliche Vorstellung davon zu erarbeiten. Eine klare Sichtweise ist auch erforderlich, um interpretatorisch im Hinblick auf den sechsten Absatz überhaupt einen Ertrag einfahren zu können. Aus den mühsam angestellten Betrachtungen scheint der Schluß naheliegend (wenngleich nicht zwingend), dass das im fünften Absatz erklärte Vergleichsverfahren der Urteilskraft ein wechselseitiges Bedingungsverhältnis von Generalisierung und Besonderung impliziert, das die in Abs. 8 gegenläufigen Operationen der Klassifikation und Spezifikation antizipiert bzw. vorbereitet. Auf welche Struktur der »Vergleichung« sich die Textinterpretation auch festlegt, so ist doch unzweifelhaft, dass »alle Vergleichung« (dieser Art) in dem »Princip der Urtheilskraft a priori« eine wesentliche Voraussetzung hat (s. oben den zuletzt zitierten längeren Passus vom Ende des fünften Absatzes). Diese Voraussetzung ist nicht sogleich verständlich. Denn verwundert muss sich der an Kants Naturbegriff aus der KrV orientierte Leser fragen: Inwiefern hat »die Natur« selbst »auch« hinsichtlich ihrer empirischen Gesetze (neben den allgemeinen transzendentalen Gesetzen?) die ihr als immanent gedachten Organisationsprinzipien (Sparsamkeit und Gleichförmigkeit) »beobachtet«, und das auch noch mit Rücksicht auf die Übereinstimmung mit »unserer Urtheilskraft«? (20:213.18–21) Frappierend daran ist erstens, dass die Natur, an der zitierten Stelle, quasi als Subjekt überhaupt eine erkennende Tätigkeit (nämlich Beobachtung) ausübt und zweitens, dass sie sich selbst beobachtet (also der Selbsterkenntnis fähig ist, wozu eigentlich Bewußtsein – oder eine dem Bewußtsein ähnliche sinnliche Selbstbeziehung – gehört), drittens, dass sie imstande ist, ihre Selbstbeobachtung mit der Leistungsfähigkeit menschlicher Erkenntnisvermögen zu vergleichen. Ich stelle mögliche Auflösungsversuche einer durchscheinenden Natursubjektivität einstweilen zurück und werde sie erst bei der Kommentierung von Abs. 8 im Zusammenhang mit der Selbstspezifikation der Natur diskutieren. Wenn sich allerdings herausstellen sollte, dass die Voraussetzung für die Vergleichung streng wörtlich zu nehmen ist, dann bedeutet dies, dass die damit genannten Bestimmungen (Sparsamkeit,
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Gleichförmigkeit) der Natur an sich als objektive Qualitäten zugeschrieben werden und nicht bloß unserer subjektiven Vorstellung davon, was Natur ist oder zu sein hat. Der Inhalt der Voraussetzung, die objektiv von der Natur gemacht wird, betrifft die Art und den Zusammenhang ihrer empirischen Gesetze. Das an ihr vorausgesetzte Ökonomieprinzip der »Sparsamkeit« an solchen Gesetzen, besagt, dass die Natur bestrebt sei, die Anzahl derselben auf möglichst wenige zu begrenzen. Dies entspricht der Formel für die subjektive Maxime der Urteilskraft (als einem Ausdruck ihres allgemeinen Prinzips) in der Nachforschung der Natur, die im fünften Absatz des vierten Abschnittes vorkam, dass die Natur »reich in Arten, aber dabei doch sparsam in Gattungen« sei (20:210.23–24).238 Es wird daran deutlich, dass die betreffende Voraussetzung an der Natur deshalb notwendig ist, weil das Erfassen der empirischen Gesetze natürlich Übereinstimmung zwischen subjektiven Prinzipien der Beurteilung und objektiven Gesetzen der Natur voraussetzt. Denn ohne diese Angemessenheit wäre gar keine Erfahrung möglich. Die »Gleichförmigkeit«, nach der empirische Gesetze so angeordnet werden, dass sie für uns ›faßlich‹ sind,239 bedeutet, dass sie ihrer Form nach partiell übereinstimmende Merkmale aufweisen, durch die sie aufeinander beziehbar werden und in einen systematischen Zusammenhang gebracht werden können. Die ›Faßlichkeit‹ der empirischen Gesetze der Natur war ja – wie wir in EE IV, 2. Abs., gesehen haben – gerade durch die kontrafaktische Annahme in Frage gestellt worden, dass die besondere Natur aufgrund ihrer Mannigfaltigkeit und Ungleichartigkeit kein System, sondern »ein rohes chaotisches Aggregat« darstelle (20:209.17).240 Jene Annahme wird nun in EE V, 5. Abs., durch die Gleichförmigkeit und Sparsamkeit ersetzt. Ohne diese Bedingung wäre besondere Erfahrung der Natur (als System) nicht möglich. Der folgende sechste Absatz besteht aus zwei »Also«-Sätzen. Es ist daher naheliegend zu vermuten, dass hier Schlüsse aus den unmittelbar davor angestellten Betrachtungen gezogen werden. Diese Zusammenhänge sind allerdings inhaltlich schwer zu durchschauen. Um den Text des langen ersten Satzes (20:213.23–214.8) leichter zugänglich zu machen, wird er zunächst in die Form einer Satzgrafik übertragen:
Bzw. nach der Formulierung der Einleitung (V, 2. Abs.): »ihre große Mannigfaltigkeit in empirischen Gesetzen ist gleichwohl Einheit unter wenigen Prinzipien (principia praeter necessitatem non sunt multiplicanda)«. (5:182.22–25) 239 Zur ›Faßlichkeit‹ vgl. auch E V, 6. Abs. 240 Vgl. auch E V, 6. Abs. 238
V. Abschnitt: Reflektierende Urteilskraft
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[1] Die reflectirende Urtheilskraft verfährt also mit gegebenen Erscheinungen, { [1a] um sie unter empirische Begriffe von bestimmten Naturdingen zu bringen, [1.1] nicht schematisch, sondern technisch, [1.2] nicht gleichsam blos mechanisch, 241
{ [1.2a] wie [ein] Instrument,
unter der Leitung des Verstandes und der Sinne,
[1.3] sondern künstlich, { [1.3a] nach dem allgemeinen, aber zugleich unbestimmten Princip einer zweckmäßigen Anordnung der Natur in einem System, { [1.3.1] gleichsam zu Gunsten unserer Urtheilskraft, [1.4] in der Angemessenheit ihrer besondern Gesetze (über die der Verstand nichts sagt) zu der Möglichkeit der Erfahrung als eines Systems, [1.4.1] ohne welche Voraussetzung wir nicht hoffen können, uns in einem Labyrinth der Mannigfaltigkeit möglicher besonderer Gesetze zu rechte zu finden. Satzgrafik Nr. 1
Die erste Schlussfolgerung ([1]) ist in der benutzten Ausdrucksweise unmittelbar nicht einleuchtend. Wo ist denn gezeigt worden, dass das Verfahren der reflektierenden Urteilskraft nicht schematisch sondern technisch sei? Die Vokabel »technisch« kam im bisherigen Text von Abschnitt V der EE nicht vor, und man muß weit zurückblättern, um an die Einführung des Ausdrucks »Technik der Natur« als des eigentümlichen Begriffs der Urteilskraft erinnert zu werden.242 Er bezeichnete dort ein »heuristisches Prinzip« bzw. eine »Maxime« für die Urteilskraft, wie die empirische Natur in ihrer besonderen Gesetzmäßigkeit zu beobachten sei, bzw. wie sie verallgemeinert und systematisch vereinheitlicht werden könne. Insbesondere verfährt die Urteilskraft technisch, indem sie dem nicht-kategorialen Prinzip der Zweckmäßigkeit oder der Adäquatheit der Natur folgt (EE II, 5. Abs., Fn. [20:204.22–28]).
»wie Instrument« von Kant eigenhändig im Ms. eingefügt (vgl. N. Hinske u. a. (Hg.) 1965, Faksimile, S. 18). 242 S. EE II, 5. Abs., Fn.; EE II, 7.–8. Abs. (20:204.22–28, 20:204.12–205.19). 241
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Dass die reflektierende Urteilskraft »also« »nicht schematisch« oder (was ungefähr dasselbe besagen soll) nicht bloß mechanisch verfahre,243 wurde bereits im zurückliegenden vierten Absatz gezeigt, indem die Urteilskraft, die schematisiert, durch die Subsumtion vielmehr bestimmend wirkt und damit konstitutiv für Erfahrungserkenntnis ist. Mechanisch wirkt sie hierbei insofern, als sie Werkzeug des Verstandes und der sinnlichen Anschauung ist, deren Formen sie nicht selbst erzeugt, die ihr vielmehr von jenen Vermögen zur Subordination vorgegeben werden. Im Zusammenhang damit wird aber im sechsten Absatz des fünften Abschnittes nochmals expliziert, was es heißt, die Vorgehensweise der reflektierenden Urteilskraft »technisch« zu nennen: Sie geht »künstlich« vor, indem sie einem Prinzip der Zweckmäßigkeit folgt und diesem gemäß die empirische Natur zu einem System ordnet. Dieses Vorgehen ist der Sache nach in den zurückliegenden Absätzen des fünften Abschnittes recht genau beschrieben worden, nämlich als ein mehrstufiges reflektierendes Vergleichen zwischen empirischen Vorstellungen, empirischen Gesetzen und Begriffen und ihrer stufenartigen Verbindung zu einer (logischen) Einheit. (Dass hier zu Beginn des sechsten Absatzes von gegebenen »Erscheinungen« statt von »empirischen Vorstellungen« (Fn zu Abs. 3 [20:212.26]), »gegebenen empirischen Anschauungen« (5. Abs. [20:213.1–2]) oder »Wahrnehmungen« [20:213.9] gesprochen wird, macht keinen Unterschied von Gewicht: gemeint ist in jedem Falle eine durch sinnliche Wahrnehmung vermittelte empirische Form eines Gegenstandes der Natur). Der den sechsten Absatz einleitende Satz muss demnach nicht als Schlusssatz gelesen werden, der uns eine neue Einsicht vermittelt. Er hat eher die Funktion, die vorher detailliert ausgearbeiteten (aber schwer zu durchschauenden) Gedankeninhalte anders zu benennen und in einen Fachausdruck (»technisch«) zusammenzuziehen. Für das technische (bzw. künstliche) Verfahren der reflektierenden Urteilskraft ist es offenbar nicht notwendig (oder sogar störend), das erforderliche Prinzip der Zweckmäßigkeit zu bestimmen. Es heißt ja ausdrücklich, dass dieses zwar allgemein, aber zugleich unbestimmt sei (Satzgrafik 1: [1.3a]). Allgemein ist es in der Hinsicht, dass die besondere Natur in all ihrer empirischen Vereinzelung und Differenzierung ohne Ausnahme unter diesem Prinzip steht. Unbestimmt ist es dagegen, weil es zwar durch die zweckmäßige Regulierung dieser Besonderheiten die Natur als System organisiert, dieser zweckmäßigen Ordnung aber keinen bestimmten Zweck vorgibt. »Gleichsam zu Gunsten unserer Urtheilskraft« ([1.3.1]) drückt es eine allegorisch gemeinte Eigenschaft der zweckmäßigen Ordnung der Natur aus: Die Natur ist durch Befolgung des Ordnungsprinzips quasi so eingerichtet, als ob der Zweck ihrer Einrichtung in der Unterstützung der menschlichen Urteilskraft bestehe (vgl. EE V, 10. Abs. [20:216.1–3]). Die Adäquatheit »ihrer« besonderen Gesetze (Satzgrafik 1: [1.4]) bezieht sich auf die besonderen Gesetze des Natursystems, die sich damit zugleich zur »Möglichkeit 243
Vgl. die Entgegensetzung von »mechanisch« und »technisch« in EE II, 5. Abs., Fn.
V. Abschnitt: Reflektierende Urteilskraft
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der Erfahrung als eines Systems« ([1.4]) qualifizieren. Der den Gedanken abschließende Nebensatz ([1.4.1]) macht die Bedeutung und Tragweite des für die systematische Ordnung der Natur geforderten Prinzips deutlich. Es ist nämlich überhaupt die Voraussetzung dafür, in dem scheinbaren Gewirr vielfältiger besonderer Gesetze der Natur auf Orientierung »hoffen« zu können. Der zweite »Also«-Satz (20:214.8–14) beschließt den sechsten Absatz. Inwiefern das Verfahren der Reflexion der Urteilskraft »technisch« und »nicht schematisch« ist, ist am Anfang des sechsten Absatzes gezeigt worden. In dem jetzt zu analysierenden Satz wird das Prinzip dieses Verfahrens – das »unbestimmte […] Princip einer zweckmäßigen Anordnung der Natur in einem System« [1.3a] – als »Technick der Natur« bezeichnet, und dieses Prinzip wird auf eine ursprüngliche, spontane Tätigkeit der reflektierenden Urteilskraft zurückgeführt: »Also macht sich die Urteilskraft selbst a priori die Technick der Natur zum Princip ihrer Reflexion […].« (20:214.8–10) Aber aus welchem Gedanken des ersten »Also«-Satzes folgt dieses selbsttätige Hervorbringen des apriorischen Prinzips? Es lassen sich keine direkten Bezüge zum Anfang des Absatzes herstellen. Nur mittelbar leuchtet Kants Schlussfolgerung ein, wenn nämlich zweierlei berücksichtigt wird: erstens, dass überhaupt ein solches Prinzip notwendig ist, um zu besonderer Erfahrung der Natur, damit aber insgesamt zu einem System der Natur und der Erfahrung zu gelangen; zweitens, dass der Verstand sich aus diesem Geschäft heraushält, indem er über die besonderen Gesetze der Natur und die Bedingungen ihrer Übereinstimmung mit der Möglichkeit eines Systems der Erfahrung ›nichts sagt‹ (und nichts weiss). Es bleibt dann nichts anderes mehr übrig, als der reflektierenden Urteilskraft diese ganze Kompetenz aufzubürden. Die Urteilskraft gibt sich somit selbst das Gesetz, nach dem sie zugleich handelt (reflektiert) – dies allerdings mit der wesentlichen Einschränkung, dass sie die »Technick der Natur« weder »erklären noch näher bestimmen« kann (20:214.10). D. h. ihr Prinzip ist ein bloß formales Prinzip ohne kategoriale Bestimmung. Diese Beschränkung ergibt sich daraus, dass die reflektierende Urteilskraft per se an den besonderen Naturobjekten, auf die sie sich bezieht, nichts bestimmt. Sie hat »dazu«244 (d. h. zur Bestimmung der Technik der Natur) keinen »objektiven Bestimmungsgrund der allgemeinen Naturbegriffe« (20:214.11),245 und zwar weil sie über die bestimmende Funktion des Schematismus nicht verfügt. Die »allgemeinen Naturbegriffe« können hier nicht die reinen Verstandesbegriffe sein (vgl. dagegen EE V, 4. Abs.) – es sei denn, es handele sich um den Bestimmungsgrund, insofern er den Kategorien anhaftet; vielmehr sind damit die von der Urteilskraft gesuchten allgemeinen empirischen Begriffe von Naturobjekten gemeint. Inwiefern aber wäre dieser »objective Bestimmungsgrund« aus einer »Erkenntnis der Dinge an Nachträglich von Kant im Ms verbessert aus: »davon« (vgl. Hinske, N. u. a. (Hg.) (1965), Faksimile, S. 19). 245 »der allgemeinen Naturbegriffe« ist natürlich als genetivus subjectivus zu lesen: die »allgemeinen Naturbegriffe« sind der »objektive Bestimmungsgrund«. 244
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
sich selbst« zu erwägen? Dinge an sich sind doch nach den Grundvoraussetzungen der KrV prinzipiell unerkennbar! Ich sehe hier keinen anderen Ausweg, als »Dinge an sich selbst«246 nicht in der engen Bedeutung als Dinge an sich zu lesen, sondern im Sinne von der Dinge selbst, und zwar als Gegenstände der Erfahrung, d. i. als Erscheinungen. Wenn sie keine objektiven Bestimmungsgründe kennt, dann ist das ihr eigene Gesetz, an das sie sich hält, subjektiv. Das soll soviel heißen wie: die Urteilskraft reflektiert »nach ihrem Bedürfnis«.247 Ihr »Bedürfnis« ergibt sich aus ihrer spezifischen Funktion, durch die Reflexion auf die systematische Einheit der besonderen Natur und der besonderen Erfahrung hinzuarbeiten. Diese Aufgabe hat nur Aussicht auf Erfolg, wenn die reflektierende Urteilskraft mangels eines objektiven Bestimmungsgrundes in Gestalt transzendentaler Naturgesetze über ein subjektives Prinzip (als Gesetz) verfügt, nach dessen Vorschrift sie vergleicht, verbindet und verallgemeinert. Es bleibt noch übrig, den letzten eingeschobenen Nebensatz am Ende von Abs. 6 zu erklären (20:214.13–14). Weshalb betont Kant hier die gleichzeitige ›Einstimmigkeit‹ (d. i. die Übereinstimmung) des subjektiven Gesetzes der reflektierenden Urteilskraft mit den »Naturgesetzen überhaupt« (d. i. den transzendentalen Gesetzen des reinen Verstandes) beim Reflektieren? (Das »dennoch« bezieht sich wegen des nachträglichen Einschubs von »nach ihrem Bedürfnis« auf die »eigenen subjectiven Gesetze«). Die schlichte, aber unzureichende Antwort würde lauten: weil ohne diese Voraussetzung (der Verträglichkeit des subjektiven Gesetzes mit den Naturgesetzen überhaupt) keine systematische Einheit der Natur bzw. der Erfahrung möglich wäre. Die Frage muss aber doch lauten: Was garantiert eigentlich die behauptete ›Einstimmigkeit‹? Zunächst könnte sie daraus folgen, dass die empirischen Gegenstände der Natur zwar durch die allgemeinen Naturgesetze bestimmt sind, durch das transzendentale Prinzip der reflektierenden Urteilskraft aber in ihrer Besonderheit bloß reflektiert oder beurteilt (nicht bestimmt) werden, indem die Urteilskraft sich bloß auf sich selbst richtet. Da sich ihr Prinzip also nicht objektiv auf die Gegenstände selbst bezieht, kann ein Konflikt zwischen ihm und den Naturgesetzen gar nicht erst auftreten. Beide Gesetzesarten gelten unter verschiedenen Bedingungen, obwohl zugleich und von denselben empirischen Gegenständen. Nun gibt es aber für die teleologische Urteilskraft die später zu diskutierende Schwierigkeit, dass nicht nur die Zweckmäßigkeit, sondern auch der Mechanismus zu einer Maxime für die Nachforschung in der Natur wird, so dass sie erst als miteinander verträglich gelten können, wenn ihre Antinomie aufgelöst ist. Ohne diese Auflösung kann die ›Einstimmigkeit‹ zwischen dem Prinzip der Technik der Natur und den »Naturgesetzen überhaupt« (dem Mechanismus) nicht schlechthin behauptet werden. Davon ist aber in EE V, 6. Abs., noch nicht die Rede. »Dinge« im Ms. von Kant eigenhändig ergänzt durch »an sich selbst« (vgl. N. Hinske u. a. (Hg.) (1965), Faksimile, S. 19). 247 Nachträgliche Einfügung Kants (s. N. Hinske u. a. (Hg.) (1965), Faksimile, S. 19). 246
V. Abschnitt: Reflektierende Urteilskraft
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Der siebte Absatz (20:214.16–20) besteht aus einem erläuternden Nachsatz zu Abs. 6. Er präzisiert das dort Gesagte, indem er eine zweifache Einschränkung vornimmt. Erstens sei das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft bloß »für den logischen Gebrauch der Urtheilskraft« bestimmt. Zweitens sei es zwar ursprünglich ein transzendentales Prinzip, »aber nur, um die Natur a priori als qualificirt zu einem logischen System ihrer Mannigfaltigkeit unter empirischen Gesetzen anzusehen« (20:214.18–20). Der »logische Gebrauch« unterscheidet es also von seinem ›Ursprung‹. Obwohl seine Verwendungsweise logischen Operationen gleicht, ist es selbst nicht von logischer, sondern von transzendentaler Natur. Es ist aber deshalb weder von transzendentalem Gebrauch, noch von empirischem; es dient nicht zur Erkenntnis von Gegenständen der Natur. Aber welcher Begriff von »Logik« liegt dieser Vorstellung zugrunde? Und wie sieht der »Gebrauch« dieser Logik konkret aus? Wir haben diese Frage bereits mehrfach gestellt und eine Antwort im zurückliegenden Kommentar zu EE V (»Anhang« zum 3. Abs.) ansatzweise gegeben.248 Der nachfolgende »Exkurs« soll einen genaueren Einblick in die »Logik« des systematisierenden Gebrauchs der reflektierenden Urteilskraft vermitteln. Da der Ursprung des Prinzips von seinem Gebrauch unterschieden wird, kann es sich nicht um die in der KrV wurzelnde »transzendentale Logik« handeln, sondern entspricht offenbar eher dem, was Kant im Unterschied zur transzendentalen die allgemeine Logik nennt, die er durchgehend so charakterisiert, dass sie von allem Inhalt (der Erkenntnis) abstrahiere;249 »reine Logik« kann sie aber strenggenommen auch nicht sein, da diese den Verstand isoliert von den anderen Gemütskräften betrachtet.250 Aber eine im traditionellen Sinne »angewandte« Logik ist sie ebenso wenig, weil Kant diese als Teil der allgemeinen Logik nicht mehr anerkennt (s.u.).251 Ist sie also eine besondere Logik als »Organon« einer bestimmten Wissenschaft (das wiederum soll die KU im Ganzen nicht sein!)? (Näheres dazu s. weiter unten). Mit Hilfe solcher Vorüberlegungen kann gesagt werden, dass der »logische Gebrauch der Urtheilskraft« wohl darin besteht, nach der Anweisung ihres transzendentalen Prinzips mit den methodischen Mitteln eines praktischen, d. h. »technischen« Teils der Logik252 erworbene empirische Kenntnisse von der Natur zu klassifizieren, zu spezifizieren und schließlich zu einem System auszubauen. Dabei folgt diese Einteilung der Natur einem besonderen Aspekt, nämlich dem der »zweckmäßigen Anordnung der Natur in einem System« (EE V, 6. Abs. [20:214.3 f.]), denn dies ist die »Anweisung«, die das transzendentale Prinzip der Urteilskraft (im Vgl. Kommentar, S. 102 ff. Vgl. KrV, B IX, XXIII u. ö.; KrV, B 78–79 / A 53–55; B 169–170 / A 130–131; B 625 / A 597; B 635 / A 607 u.ö; Logik Jäsche (9:17, 9:61, 9:94). 250 Vgl. dazu Logik Jäsche (9:18.16–17). 251 Vgl. Logik Jäsche (9:17–18). 252 Vgl. Logik Jäsche (9:18). 248 249
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Unterschied zu den Prinzipien des reinen Verstandes, vgl. KrV, B 171 / A 132) enthält. »Zweckmäßige Anordnung« bedeutet, dass empirische Begriffe von Dingen der Natur in ihrem Verhältnis zueinander unter dem Aspekt der Zweckmäßigkeit eingeordnet werden. M.a.W., es wird der logische Ort ihrer Einordnung gesucht. Trotzdem bleibt die Frage offen, wie sich der logische Gebrauch des transzendentalen Prinzips in der Forschungspraxis genau auswirkt; dass sich am Charakter der Logik als einer allgemeinen dabei maßgeblich etwas ändert, scheint Kant nicht anzunehmen, da sie für ihn in dem Sinne bloß formal bleibt, dass sie ›von allem Inhalt der Erkenntnis‹ bzw. ›von allem Unterschied der Gegenstände‹ abstrahiert und sich nur mit den formalen Regeln des Denkens beschäftigt.253 Aber es ist zu erwarten, dass die formalen logischen Regeln des Denkens, sofern sie unter den besonderen (transzendentalen) Bedingungen der Anwendung durch die reflektierende Urteilskraft stehen, ihren Status und ihre Funktion ändern. Damit wird der Gebrauch eingeschränkt. Die weiter oben erwähnte zweite Einschränkung betrifft die Transzendentalität des Urteilsprinzips auf seine Funktion hin, einsichtig zu machen, dass die Natur a priori die Qualifikation dafür mitbringe, in der Mannigfaltigkeit ihrer empirischen Gesetze eine logisch-systematische Struktur der Vereinheitlichung zu bilden. Es muss vorausgesetzt werden können, dass der gesuchte logische Ort in der Natur auch wirklich vorhanden ist. Dieses »logische System« der empirischen besonderen Natur kann nicht die allgemeine Logik als solche sein, weil diese nur die material unbestimmten Regeln des Denkens enthält. Es muss sich vielmehr um eine bereits interpretierte (besondere) Logik handeln, die sich auf spezielle Gegenstände, m.a.W. auf das Mannigfaltige der Natur »unter empirischen Gesetzen«, bezieht. Ihr Inhalt sind dann empirische Einzelvorstellungen, empirische Allgemeinbegriffe, Klassen von Gegenständen (natürliche Arten, Gattungen), empirische Naturgesetze usw., die nach logischen Regeln miteinander verbunden sind. Für die Annahme, dass sich die Natur selbst in ihren Bildungen einem solchen Regelsystem anpasst, soll offenbar hinreichen, dass das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft in den Akten des Reflektierens über empirische Gegenstände der Natur zu brauchbaren Ergebnissen führt und sich insofern erfolgreich bewährt. Exkurs: Welche Logik wird ›gebraucht‹, und was bedeutet »logische Einteilung«? Der folgende Exkurs umfaßt zwei Aufgaben: Er soll in der Hauptsache die im Kommentar zum siebten Absatz gestellte Frage nach der Bedeutung des Logischen für die reflektierende Urteilskraft beantworten, und er soll zudem die Besprechung der
Über den Begriff der formalen Logik bei Kant sowie seine philosophiehistorische Herkunft vgl. Wolff, M. (1995), Die Vollständigkeit, 205 ff; vgl. Wolff, M. (1995), Was ist formale Logik? 253
V. Abschnitt: Reflektierende Urteilskraft
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nächsten Absätze (7 bis 10) durch ergänzende Betrachtungen aus Kants »Logik« (Logikvorlesungen) vorbereiten.254 Kants »Logik« ist nur lückenhaft und nicht immer zuverlässig überliefert.255 Nach den Erklärungen in der KrV teilt er die Logik ein in eine »allgemeine« (Logik des »allgemeinen« Verstandesgebrauchs, »Elementarlogik«) und in eine besondere Logik (Logik »des besonderen Verstandesgebrauchs«).256 Die allgemeine Logik wird wiederum unterteilt in »reine« und »angewandte« Logik.257 Die besondere Logik ist die Logik einer bestimmten Wissenschaft (»Organon dieser oder jener Wissenschaft«)258, was die allgemeine Logik nicht sein kann, ohne dialektisch zu werden.259 Sie »enthält die Regeln, über eine gewisse Art von Gegenständen richtig zu denken.«260 Um auch als Propädeutik angesehen werden zu können, die einer Wissenschaft vorangeht (in sie einleitet), muss sie inhaltlich schon Resultat derselben Wissenschaft sein. Denn die Vernunft gelangt erst dann zu einer tauglichen Wissenschaftslogik, wenn die zu ihr gehörende Wissenschaft »schon lange fertig ist, und nur die letzte Hand zu ihrer Berichtigung und Vollkommenheit bedarf.«261 Da eine solche Logik die speziellen Regeln für den Aufbau und den Gebrauch einer Einzelwissenschaft enthalten soll, müssen vor ihrer Abfassung genaue Kenntnisse über die Art der Gegenstände dieser Wissenschaft bereits verfügbar sein.262 Für die allgemeine Logik ist charakteristisch, dass sie von allem Inhalt der Verstandeserkenntnis, d. h. von der Verschiedenheit in der Art ihrer Gegenstände, abstrahiert.263 Sie hat es daher nur mit »der bloßen Form des Denkens zu tun«,264 d. h. mit der »logischen Form im Verhältnisse der Erkenntnisse aufeinander.«265 Insofern bezeichnet Kant die allgemeine Logik synonym auch als »bloß formale Logik«.266
Einige der in diesem Exkurs erfolgenden Überlegungen habe ich bereits in meinem Artikel »Einheit der Abstammung oder Gattungseinteilung?«, in: Godel, R. / Stiening, G. (Hg.) (2012), Kopffechtereien, 55–96, verwendet. 255 Sie findet sich in der Logik Jäsche (9:1–150), einer von Kant autorisierten, von Gottlob Benjamin Jäsche 1800 herausgegebenen Zusammenstellung von eigenhändigen Zusätzen Kants in seinem Meierschen Handbuch für seine Vorlesungen, in verschiedenen Vorlesungsnachschriften (AA 24, KF Bd. 8 und 9), Nachlassreflexionen (AA 16). 256 Vgl. KrV, B 76 / A 52. 257 S. dazu die schematische Darstellung in: Wolff, M. (1995), Die Vollständigkeit, 204 (Fig. 9). 258 KrV, B 76 / A 52. 259 Vgl. KrV, B 86 / A 61–62. 260 KrV, B 76 / A 52. 261 KrV, B 76 / A 52. 262 Vgl. KrV, B 76–77 / A 52. S. dazu Wolff, M. (1995), Die Vollständigkeit, 208 f. 263 Vgl. KrV, B 76 / A 52; B 78 / A 54; B 79 / A 55. 264 KrV, B 78 / A 54; vgl. ebd., B VIII–IX, B XXIII; B 79 / A 55, u. ö. 265 KrV, B 79 / A 55. 266 KrV, B 170 / A 131. 254
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Die formale Logik ist dann allgemein in dem Sinne, dass sie zwar nicht alle Regeln des Denkens umfasst, wohl aber – und zwar ausschließlich – »die formalen Regeln alles Denkens […]«.267 D. h. sie umfasst diejenigen logischen Regeln, die indifferent sind in Hinsicht auf einen bestimmten Gebrauch, aber unentbehrlich für jede Denkoperation überhaupt.268 Da Kant außerdem wiederholt behauptet, dass die allgemeine, formale Logik seit Aristoteles keine wesentlichen Veränderungen (Fortschritte) durchlaufen habe,269 scheint er sein eigenes Vorlesungskonzept sowie einschlägige Logik-Kompendien seiner Zeit vor Augen zu haben, von denen das Meiersche die Grundlage seines eigenen Unterrichts bildete.270 Wenngleich Kants Einsichtnahmen in die Logik-Lehrbücher seiner Zeit auf den ersten Blick wenig differenziert und unkritisch erscheint, so geht man doch inzwischen in der Kant-Forschung davon aus, dass er bestimmten Lehrmeinungen der Schultradition nicht mehr folgt. So ist für ihn die besondere Logik keine praktische mehr.271 Als reine Logik abstrahiert die allgemeine Logik nicht nur von allem Inhalt der Verstandeserkenntnis, sondern darüber hinaus auch von allen empirischen Bedingungen der Verstandesausübung, d. h. insbesondere von ihrer Beziehung auf andere Erkenntnisvermögen.272 Demgegenüber steht die allgemeine Logik als angewandte Logik unter subjektiven empirischen Bedingungen der Psychologie und gehört deswegen im Grunde genommen für Kant nicht mehr in die Logik.273 Zwar abstrahiert sie als allgemeine Logik vom Unterschied der Gegenstände, aber sie steht »unter den zufälligen Bedingungen des Subjekts«, die den regelkonformen Gebrauch des Verstandes »hindern oder befördern«.274 Sie wird also nicht deswegen »angewandte« Logik genannt, weil sie die Anwendung der allgemeinen Logik auf besondere Wissenschaften und deren Gegenstände regelt, sondern weil sie psychoKrV, B IX, vgl. M. Wolff (1995), Die Vollständigkeit, 205–207. KrV, B 76 / A 52. 269 Vgl. u. a. 9:6, 9:8, 9:20.26–33; KrV, B VIII. 270 Vgl. Jäsches Vorrede zu Kants Logik, 9:1; vgl. Kants Vorlesungsprogramm für das WS 1765/66: »Nachricht von der Einrichtung seiner Vorlesungen in dem Winterhalbenjahre von 1765–1766, 2:310–311 (die darin erläuterte Gattungsunterscheidung in eine Logik zur Einführung ins Philosophiestudium und in eine solche, die als Organon zu den einzelnen Wissenschaften gebraucht wird, trifft auf die später sogenannte allgemeine Logik nicht mehr zu); vgl. Georg Friedrich Meier: Auszug aus der Vernunftlehre, Halle 1752. Dass Kant in seinen Vorlesungen den Paragraphen des Meierschen Kompendiums folgt, geht aus mehreren Vorlesungsnachschriften hervor (Logik Blomberg (24.1:7 ff.) u. a.; s. auch den textbegleitenden Abdruck der »Vernunftlehre« Meiers in AA 16, S. 3–5, 51 f., 72–74, 76 f., 79–81, 91–94, 99–111, 163, 167–179, 190 f., 194–198, 202–206 u. ö.). 271 Vgl. dazu Wolff, M. (1995), Die Vollständigkeit, 208 f. 272 KrV B 78–79 / A 54–55; Logik Jäsche, 9:18.16 f. Vgl. dazu M. Wolff (1995), Die Vollständigkeit, 223–225. 273 Vgl. Logik Jäsche, 9:18.17–29. 274 KrV, B 78 f. / A 54 f.; vgl. M. Wolff (1995), Die Vollständigkeit, 223–224. 267
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V. Abschnitt: Reflektierende Urteilskraft
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logische Bedingungen des allgemeinen Gebrauchs logischer Regeln des Denkens enthält. In dieser Bedeutung ist sie kein Organon besonderer Wissenschaften: »In der reinen Logik sondern wir den Verstand von den übrigen Gemüthskräften ab und betrachten, was er für sich allein thut. Die angewandte Logik betrachtet den Verstand, sofern er mit den andern Gemüthskräften vermischt ist, die auf seine Handlungen einfließen und ihm eine schiefe Richtung geben, so dass er nicht nach den Gesetzen verfährt, von denen er wohl einsieht, dass sie die richtigen sind. Die angewandte Logik sollte eigentlich nicht Logik heißen. Es ist eine Psychologie, in welcher wir betrachten, wie es bei unserm Denken zuzugehen pflegt, nicht, wie es zugehen soll.«275 Kant distanziert sich mit dieser Charakterisierung der angewandten Logik zugleich von der Schultradition, die von einer Einteilung der Logik in einen theoretischen und einen praktischen Teil ausgegangen war.276 Er hält diese Einteilung für unrichtig, insofern sie eine »contradictio in adjecto« enthalte, »weil eine praktische Logik die Kenntniß einer gewissen Art von Gegenständen, worauf sie angewandt wird, voraussetzt.«277 Deshalb kann die allgemeine Logik in diesem Sinne keinen praktischen Teil enthalten. Da andererseits jede Wissenschaft einer Form des Denkens bedarf, kann nach Kant gleichwohl jede Wissenschaft auch per se eine »praktische Logik« genannt werden.278 Jedoch die allgemeine Logik in praktischer Hinsicht wäre bloß eine »Technik der Gelehrsamkeit überhaupt«.279 Damit wäre der technische Teil einer allgemeinen Logik eine »Methodenlehre«, »eine logische Kunst in Ansehung der Anordnung und der logischen Kunstausdrücke und Unterschiede, um dem Verstande dadurch sein Handeln zu erleichtern.«280
Logik Jäsche, 9:18.16–24. Zum normativen Charakter der allgemeinen Logik s. auch 9:14.9–12; M. Wolff (1995), Die Vollständigkeit, 223. 276 Vgl. u. a. die Logik Chr. Wolffs, in der die praktische Logik die Methodenlehre bezeichnet, die aber schon für Wolff außerhalb der allgemeinen Logik steht. Vgl. Philosophia rationalis sive logica, Pars I–III (1740), GW II.1.1–1.3, Édition Critique avec Introduction, Notes et Index par Jean École. Hildesheim, Zürich, New York 1983, 2. Abt., Bd. 1.2, S. 125 ff., Logica Pars I sive Theoretica, Caput I, De tribus mentis operationibus in genere; ebd., S. 387 ff., Logica Pars II sive Practica; und Bd. 1.3, S. 537 ff. Vgl. Kant, Logik Pölitz, 24:505; Wiener Logik, 24:794. Vgl. M. Wolff (1995), Die Vollständigkeit, 208. 277 Logik Jäsche, 9:17.35–37. Vgl. Kants Kritik an der praktischen Logik in KrV, B 736 / A 708. Vgl. M. Wolff (1995), Die Vollständigkeit, 208. 278 Logik Jäsche, 9:17.37–18.2. 279 Ebd., 9:18.3 f. 280 Ebd., 9:18.7–10. Implizit enthält diese Bemerkung eine Absage an eine besondere Logik als »Erfindungskunst« (ars heuristica oder inveniendi) wie sie hauptsächlich von Chr. Wolff (in Orientierung an F. Bacon) zur Aufsuchung verborgener Wahrheiten vertreten wurde (vgl. Wolff, Chr., Von dem Nutzen eines Lehrbegriffs (GW I, 21.2); vgl. Wolff, Chr. (1996), Discursus praeliminaris, 26 f. (§ 25). Für Kant ist eine Logik als allgemeine Heuristik unmöglich (vgl. Logik Jäsche, 9:20.7–9; vgl. 16:48, Reflexion 1629). Zu Kants Kritik an der Erfindungskunst s. die exzellente Studie von Stefanie Buchenau: »[…] Kant not only criti275
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Folgt man Kants späteren Vorlesungen zur Logik, die in den verschiedenen Überlieferungen aus unterschiedlichen Zeiten kein einheitliches Bild ergeben, so kann unter der in EE V, 7. Abs., in Hinsicht auf die Urteilskraft verwendeten Redeweise vom »logischen Gebrauch« nicht der im herkömmlichen Sinne als allgemeine Methodenlehre, also auch nicht der von Kant nur unter strengen Auflagen zulässige, in seinen Aufgaben beschnittene, so genannte praktische (oder technische) Teil der Logik gemeint sein. Denn dieser ist nicht mehr als ein »Organon der Schulmethode«,281 d. h. kein »Organon der Erkenntnis«282. Sein Gegenstand sind die in den Wissenschaften allgemein gebräuchlichen termini technici.283 Er dient dazu, »Kenntnisse richtig zu ordnen und sie sich faßlich zu machen« bzw. die Erkenntnis »kunstmäßig (technisch heißt kunstmäßig)« zu behandeln.284 Obwohl Kant in seinem akademischen Vortrag die Einteilung der Logik in eine Elementarlehre und eine Methodenlehre als eine Art von Technik des richtigen Denkens (vielleicht bloß aus Gründen seiner Lehrverpflichtung) noch beibehalten hat,285 läuft doch seine Kritik an der praktischen Logik auf die Forderung hinaus, die Technik des Aufbaus einer Wissenschaft, weil sie inhaltlich begründet sein muß, nicht einer angewandten Logik zu übertragen, sondern sie der jeweiligen Fachwissenschaft selbst (bzw. einer ihr zugeordneten besonderen Logik) zu überlassen: »Zwar sagt man: die Technik, oder die Art und Weise, eine Wissenschaft zu bauen, solle in der angewandten Logik vorgetragen werden. Das ist aber vergeblich, ja sogar schädlich. Man fängt dann an zu bauen, ehe man Materialien hat und giebt wohl die Form, es fehlt aber am Inhalte. Die Technik muß bei jeder Wissenschaft vorgetragen werden.«286 Kants »Gebrauch« »der« Logik für die Einteilung empirischer Naturbegriffe setzt ein Verständnis von Logik voraus, wonach sie nicht nur die Regeln der allgemeinen Logik sowie einer allgemeinen Methodenlehre (als Propädeutik aller Wissenschaften) enthält, sondern darüber hinaus auch solche besonderen logischen Regeln, die nicht zur allgemeinen Logik gehören, insofern sie Regeln sind, die vorschreiben, wie man über bestimmte Gegenstände, nämlich solche der empirischen Natur (organische oder anorganische Wesen) richtig denkt, also Regeln einer besonderen Logik sind, wie beispielsweise das transzendentale Prinzip der Angemessenheit. cizes particular solutions, he also breaks with the ars inveniendi project itself« (Buchenau, St. (2013), The Founding of Aesthetics, 195; vgl. Buchenau, St. (2008), Erfindungskunst und Dichtkunst, 313–326). 281 Vgl. Logik Bauch, KF 8 (Logik-Vorlesung I), S. 15; vgl. Logik Jäsche, 9:18.2–4. 282 Logik Bauch, ebd. 283 Kant, Logik Bauch, KF 8 (Logik-Vorlesung I), S. 15. Vgl. Logik Hechsel, KF 9 (LogikVorlesung II), S. 488. Vgl. KrV, B 736 / A 708. 284 Ebd.; vgl. Logik Jäsche, 9:18.5–10. 285 Vgl. Logik Jäsche, 9:137–150. Vgl. Logik Hechsel, KF 9 (Logik-Vorlesung II), S. 487 ff.; Logik Dohna-Wundlacken, 24:701–783; vgl. Logik Busolt, 24:682–685. 286 Vgl. Logik Jäsche, 9:18.32–36.
V. Abschnitt: Reflektierende Urteilskraft
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Insgesamt würde diese Logik unter dem leitenden Prinzip der (subjektiven (und objektiven?)) Zweckmäßigkeit stehen, das zugleich das Suchprinzip für (neue) Gattungen und Arten wäre, die sich in das System der Natur einordnen ließen. Dem »logischen Gebrauch« liegt also eine praktische, besondere Logik zugrunde, die Elemente der allgemeinen Logik benutzt, aber in keinem Logik-Kompendium zu finden sind. Kant hat natürlich keine transzendentale Logik der besonderen Naturlehre ausgearbeitet, obwohl sie ihm vorgeschwebt haben mag. Rudimente einer solchen finden wir in der KU als eine Art heuristischer Logik, die man auch »Logik der Forschung« nennen könnte. Sie lässt sich nicht bequem in Kants Grundgerüst einer Wissenschaft der Logik einfügen. Von hier aus hätte dann nämlich gezeigt werden müssen, wie sie sich zur allgemeinen Logik des Verstandesgebrauchs verhält. Die besondere Logik der KU ist nicht mehr als eine allgemeine Forschungslogik oder Methode der Naturforschung. Sie ist nicht speziell genug, um Organon einer bestimmten Einzelwissenschaft zu sein (Mineralogie, Biologie etc.). Sie kann noch nicht fertig ausgearbeitet sein, weil diejenigen Wissenschaften, für die sie gültig sein soll, zu Kants wissenschaftlicher Wirkungszeit noch nicht bestehen. Solche speziellen Logiken sind also noch Programm. Die Einteilung der Logik in »Elementarlehre« und »Methodenlehre« ist die von Kant akzeptierte und abgewandelte Form der Einteilung in theoretische und praktische Logik, die er wie die übrigen vier klassischen Einteilungsweisen des Logischen verwirft.287 »Praktische Logik« ist demzufolge als Bezeichnung jeder Wissenschaft überhaupt gültig. In ihrer allgemeinen Form – »die allgemeine Logik, als praktisch betrachtet«288 – ist sie eine »Technik der Gelehrsamkeit überhaupt« und als solche in der »Allgemeine[n] Methodenlehre« als zweitem Teil der allgemeinen Logik enthalten. Aufgabe einer solchen »Methodenlehre« ist es, »das Mannigfaltige der Erkenntniß zu einer Wissenschaft zu verknüpfen«.289 Sie regelt, wie die »Form einer Wissenschaft überhaupt« zustande kommt und was der Wissenschaftler dafür tun muss.290 Ihre Notwendigkeit folgt aus dem Begriff von Wissenschaft selbst. Insofern diese nämlich als »ein Ganzes der Erkenntniß als System und nicht bloß als Aggregat« verstanden werden muss, erfordert sie auch »eine systematische, mithin nach überlegten Regeln abgefaßte Erkenntniß«.291 Zu solchen Regeln gehören u. a. die der »logischen Einteilung« von Begriffen.292 Der Begriff der ›logischen Einteilung‹ wird zwar explizit erst in den Absätzen 8 bis 9 und dann im sechsten Abschnitt, 1. Abs., thematisch (vgl. bes. 20:217.15), aber er ist im logischen System des Mannigfaltigen der Natur als einer Art-Gat287 288 289 290 291 292
Vgl. Logik Jäsche, 9:17.32–18.4. Ebd., 9:18.2 f. Logik Jäsche, § 96, 09:139.18. Ebd. Ebd., § 95, 09:139. Vgl. ebd., §§ 110–113, 09:146–148.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
tungsordnung (EE V, 5. bis 7. Abs.) bereits angedacht. Eine Einteilung, die logisch genannt wird, hat zunächst nichts mit einer Einteilungssystematik zu tun, die Kant für die Philosophie insgesamt293 oder für einzelne Teile der Metaphysik fordert.294 Innerhalb der kantischen Logikvorlesungen gehört die ›logische Einteilung‹ noch zum Abschnitt über die Begriffe innerhalb des Hauptteils der Logik. Wir folgen in unserer Darstellung den Ausführungen in den Vorlesungsnachschriften Bauch, Hechsel und Pölitz 295. Die wesentliche Unterscheidung, die Kant diesbezüglich trifft, ist die in der Logik-Tradition altbekannte zwischen der »Auflösung eines Begriffs in diejenigen Theilbegriffe, die unter ihm stehn« und dessen Einteilung »in diejenigen Merkmale, die in ihm liegen.«296 Der eingeteilte Begriff ist dann im Grunde nichts anderes als das allgemeine Merkmal, das aus der Abstraktion von den Unterschieden gewonnen wird. Der Zusammenhang zwischen dem Enthaltensein »unter« und dem – »in« besteht darin, dass der Allgemeinbegriff als das Gemeinsame der Begriffe von verschiedenen Dinge unter ihm zugleich als ein Teilbegriff in den Begriffen, von deren Verschiedenheit er abstrahiert, enthalten ist.297 Oder anders ausgedrückt, der »Conceptus communis« repräsentiert die vielen Dinge, die unter ihm enthalten sind und wird insofern als »Grund« zu ihrer Erkenntnis gebraucht. Die Redeweise von einem »unter« einem Begriff Enthaltensein verdankt sich also dem Verhältnis von Grund und Folge.298 Während nur die zuerst genannte Operation eine echte logische Einteilung ist, nennt Kant die zweite Art eine »analytische[n] Eintheilung«.299 Die ›logische Einteilung teilt eigentlich nicht den Begriff, sondern dessen »Sphäre« ein, d. h. den ganzen Umfang an Bestimmungen, die als Merkmale zu ihm gehören, ohne in ihm enthalten zu sein.300
293 294
Vgl. dazu den Kommentar zu EE I und zu E I, S. 19 ff., 363 ff. Vgl. Kant, MS, Einleitung, III. Von der Eintheilung einer Metaphysik der Sitten. 6:218–
221. Vgl. Logik Bauch, De divisione logica, Logik-Vorlesung I, KF 8, S. 167–171; Logik Hechsel, Von der logischen Eintheilung, Logik-Vorlesung II, KF 9, S. 417–422. In der Logik Jäsche gehört das entsprechende Kapitel in die Allgemeine Methodenlehre: »Beförderung der Vollkommenheit des Erkenntnisses durch logische Eintheilung der Begriffe.« (§§ 110–113, 09:146– 148). Vgl. Logik Pölitz (1789), 24.2:576–277: Von der logischen Einteilung; vgl. Logik Busolt (1790), 24.2:660–661. 296 Logik Bauch, Logik-Vorlesung I, S. 168; vgl. Logik Hechsel, Logik-Vorlesung II, KF 9, S. 417 f.; vgl. Logik Jäsche, §§ 7, 8, 13 (9:95 f., 98). 297 Vgl. Logik Pölitz, 24.2:568.26–34. 298 Vgl. Warschauer Logik, Logik-Vorlesung II, KF 9, S. 611.602–618. 299 Logik Bauch, Logik-Vorlesung I, KF 8, S. 168; vgl. Logik Hechsel, Logik-Vorlesung II, KF 9, S. 418. 300 Vgl. Logik Hechsel, Logik-Vorlesung II, KF 9, S. 418.602–604. 295
V. Abschnitt: Reflektierende Urteilskraft
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Die Glieder einer solchen Einteilung sind Klassen von Dingen: Gattungen, Arten und Unterarten. Der höhere Begriff (die Gattung) ist stets der Erkenntnisgrund derjenigen Dinge, die unter ihm stehen.301 Die analytische Einteilung ist Analyse und Teilung des Begriffs in seine inhaltlichen Bestandteile, die zur Verdeutlichung dient.302 Beide Arten des Einteilens stehen in einem reziproken Verhältnis zueinander: je größer die Begriffssphäre ist, d. h. je mehr Bestimmungen »unter« dem Begriff stehen, desto weniger Merkmale enthält er, desto weniger ist er also bestimmt, und umgekehrt.303 Die besonderen Begriffe, die als Glieder aufgrund eines gemeinsamen Merkmals unter einem Begriff stehen, stimmen nun nicht bloß in dieser Hinsicht überein, sondern sie unterscheiden sich voneinander in der Weise, dass ihre Merkmale einander entgegengesetzt sind. Genauer gesagt ist ihre Entgegensetzung eine Kontradiktion: »Die reinste Entgegensetzung ist die, welche contradictorisch ist, wo ein Widerspruch gefunden wird, z. B. die menschen sind entweder weiß oder nicht – hier wird bloß die Entgegensetzung gedacht.«304 Ist die Kontradiktion Bedingung der Merkmalsspezifik von Begriffen, die einer logischen Einteilung unterzogen werden, so ist die Einteilung eigentlich stets eine Dichotomie, aus der sich die weiteren Glieder der Begriffssphäre erst durch Fortsetzung der Teilung ergeben, denn: »Die contradictorische opposition ist der Grund von der Dichotomie, so die beste Art der Eintheilung ist, die nur aus zwey Gliedern besteht. Von dieser scheinen die übrigen ausgegangen zu seyn. Ich sage hier A ist A oder nicht A. Die partes kann ich hernach wieder eintheielen. Z. B. die Menschen sind entweder weiß oder nicht. Die nicht weißen sind entweder roth oder schwarz oder indianisch gelbe. D. h. einen Begriff […] [dekomponieren], nemlich die Subpartes wieder in ihre Theile eintheilen. Die opposition wird durch entweder […] oder exprimirt.«305 M.a.W., die wechselseitige Ausschließung, das »entweder … oder« (die kontradiktorische Verneinung nach dem Satz des Widerspruchs) ist notwendige Bedingung jeder logischen Einteilung: »Die Glieder der Eintheilung müsen durch contradictorische Entgegensetzung, nicht durch ein bloßes Widerspiel (contrarium) von einander getrennt sein.«306 Es scheint, dass Kant die zweigliedrige Einteilung der Vorstellung einer Polytomie vorzieht, obwohl sich jene Form logischer Einteilung in den systematischen Vgl. Logik Jäsche, § 13 (9:98.12). Zur Logik begrifflicher Klassifikation s. M. Wolff (2006), Einführung in die Logik, 113–116 (§ 83). 302 Vgl. Logik Bauch, Logik-Vorlesung I, KF 8, S. 168; vgl. Logik Jäsche, § 110 und Anm. (9:146). 303 Vgl. Logik Bauch, Logik-Vorlesung I, KF 8, S. 169; vgl. Logik Hechsel, Logik-Vorlesung II, KF 9, S. 418.604–606. 304 Logik Bauch, Logik-Vorlesung I, KF 8, S. 169 f. 305 Ebd., S. 170.622–629. 306 Logik Jäsche, § 111, Anm., 9:147.1–3. Eine ähnliche Vorstellung von der Einteilung von Lebewesen und anderen Gattungen finden wir bereits bei Aristoteles, Analytica posteriora, 2. Buch, Kap. 13 (96a20–97b38). 301
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Erwägungen zur Natureinteilung in der KU nicht sicher nachweisen lässt. Dafür spricht seine Erklärung, die Polytomie sei empirisch, die Dichotomie aber »die einzige Eintheilung aus Prinzipien a priori«.307 Wir können daraus folgern, dass die in KU, EE V, postulierte logische Einteilung des Begriffs der Natur überhaupt zwar auf eine Einteilung empirischer Begriffe hinausläuft, dennoch aber dichotomisch strukturiert ist, insofern sie insgesamt (d. h. ihrer ganzen Sphäre nach) unter der Bedingung des Prinzips der reflektierenden Urteilskraft steht, das erklärtermaßen ein transzendentales Prinzip ist. Andererseits bemerkt Kant, die Polytomie könne in der Logik nicht gelehrt werden. Denn er begreift die Logik ja so, dass sie von der Gegenstandserkenntnis, auf die es bei der Polytomie ankomme, abstrahiert. Sie bedürfe also der empirischen Anschauung »wie in der Naturbeschreibung«.308 Wir haben festgestellt, dass der ›logische Gebrauch‹ der Urteilskraft für die systematische Einteilung der (empirischen) Natur in Gattungen und Arten nicht auf der einfachen Adaptation an die Regeln der allgemeinen Logik beruht, sondern an die Bedingung des transzendentalen Prinzips der reflektierenden Urteilskraft gebunden ist. Zu diesem Verfahren der Naturbeurteilung gehört die Wahrnehmung der empirischen Naturformen. Es ist also eine »Naturbeschreibung«, die die in der Logik geforderten Voraussetzungen erfüllen muss. Damit wäre die logische Einteilung gemäß den Prinzipien der reflektierenden Urteilskraft in der KU nicht immer notwendig eine Dichotomie. In der Logik insistiert Kant allerdings auf dem Gegenteil. Auf die Frage, wie eigentlich »alle Eintheilung« fortgehe und ob sie immer eine Dichotomie sei,309 antwortet er eindeutig: »jede unmittelbare Eintheilung« sei eine Dichotomie.310 Sie werde durch einfache Verneinung zustande gebracht.311 Jede Polytomie sei dagegen eine Subdivision der Dichotomie.312 Mit dieser Erklärung lässt sich Kants Beispiel einer logischen Einteilung, das in derselben Logik gegeben wird, kaum in Einklang bringen: Alle Tiere werden unter dem Gesichtspunkt der Bewegung als ihrem allgemeinen Merkmal eingeteilt. Die Einteilung geschieht also »in einem respectu«,313 neben dem noch andere möglich sind (z. B. im Hinblick auf die Ernährungs- oder Fortpflanzungsweise), so dass es noch mehrere Codivisionen geben kann. Die Einteilung der Tiergattung gemäß der Bewegung ergibt Arten von solchen, »die sich entweder auf der Erde, oder in der Luft oder im Waßer bewegen könen.«314 Die Glieder dieser Einteilung sollen einander entgegengesetzt sein und
Logik Jäsche, § 113, Anm. 1 (9:147.21 f.); vgl. Logik Hechsel, Logik-Vorlesung II, KF 9, S. 421–422. 308 Logik Jäsche, § 113, Anm. 1 (9:147.25–30). 309 Logik Hechsel, Logik-Vorlesung II, KF 9, S. 421.691 ff. 310 Ebd., S. 422.694, 699 f. 311 Ebd., S. 422.700–703. 312 Ebd., S. 422.694–699. 313 Ebd., S. 421.669 f. 314 Ebd., S. 419.627–629. 307
V. Abschnitt: Reflektierende Urteilskraft
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nicht aus der Analyse des Begriffs resultieren.315 Aber aus dieser Vorgabe erwachsen Probleme, die Kant verschweigt. Zunächst ist die Einteilung eine Trichotomie, die sich ohne die inhaltliche Vorgabe des Begriffs der Bewegung so gar nicht ergeben würde. Dann ist vor allem nicht ersichtlich, wie diese Sphäre durch das bloße Widerspruchsprinzip ermittelt werden könnte. Das Beispiel unterliegt also mindestens einer Polytomie oder dem, was Kant an anderer Stelle »Codivision« nennt: »Eine Codivision ist; wenn ich einen Begriff sogleich in alle seine Begriffe, die unter ihm stehn und zusammen genommen seine Sphäre ausmachen, eintheile.«316 In diesem Falle wird die einfache Verneinung der Dichotomie quasi übersprungen und verdeckt. Das Resultat ist eine Polytomie als Klasse von Merkmalen, die immer noch »unter« dem höheren Begriff stehen, aber keine Kontradiktion im herkömmlichen Sinne mehr sind. Die analytische Einteilung hingegen beginnt zwar formal genauso wie die Codivision oder Polytomie, d. h. mit einer bipolaren Entgegensetzung, die keine Kontradiktion ist (entweder »weiß oder schwarz«), aber das Verhältnis zwischen Begriff und Merkmal ist ein anderes, nämlich das der Teilung des Begriffs in inhaltlich verschiedene Merkmale. Diese sind nicht bloß negativ gegeneinander bestimmt, sondern haben darüber hinaus noch eine positive Bestimmung (wie z. B. »schwarz« gegenüber »nicht-weiß«), die dem eingeteilten Begriff notwendig zukommt und ihn in seiner Bedeutung einschränkt (konkretisiert): »Die zweyte Art der Eintheilung ist diejenige, wo die membra dividentia sich nicht contradictorisch sondern nur contrair sind, wo nicht blos die Entgegensetzung, sondern was mehr gedacht wird. z. B. die Menschen sind entweder weiß oder schwarz. Dieß ist zwar ein oppositum, aber es wird mehr, als die bloße Entgegensetzung gedacht; nemlich, daß die andern nicht blos nicht weiß sind, sondern ich gedenke mir hierzu gleich die schwarze Farbe. In der Dichotomie findet das nicht statt; denn wenn ich sage: die Menschen sind entweder weiß oder nicht, so können die nicht weißen grau, schwarz pp seyn; denn was nicht weiß ist, kann vielerley Farben haben.«317 Konträr sind also Begriffsbestimmungen wie »weiß« und »schwarz« immer dann, wenn es neben zweien, die einfache Negationen voneinander sind (wie »weiß« und »nicht-weiß«) noch eine »dritte« gibt (wie etwa »schwarz«). Dies setzt aber insgeheim voraus, dass der Gegenstand, dem ein solcher Begriff als Bestimmung beigelegt werden soll, bereits eine Pluralität solcher Bestimmungen aufweist. Für eine kontradiktorische Begriffsbestimmung – entweder »weiß« oder »nicht-weiß« – gibt es hingegen kein Drittes, weil die Dichotomie als vollständige Einteilung gedacht wird.318 Sofern die Kontradiktion Kennzeichen der logischen Einteilung ist und die konträre Opposition Kennzeichen der analytischen Einteilung, scheint nach Kants Erklä315 316 317 318
Ebd., S. 418.614–419.620. Logik Bauch, Logik-Vorlesung I, KF 8, S. 170.642–644. Ebd., S. 170.630–639. Vgl. Aristoteles, Analytica posteriora, 1. Buch, Kap. 2 (72a12).
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
rung die logische Einteilung in die analytische überzugehen, so dass beide Einteilungsweisen einen notwendigen Zusammenhang bilden. Deshalb kann Kant sagen, »alle Eintheilungen« seien »zum System nöthig, damit eine gewisse Ordnung darin statt findet.«319 Weil die logischen Einteilungen umständlich sind und zu Verwirrungen führen, sei es besser, »wenn man erstlich über die Natur eines Dinges philosophirt und hernach bey Gelegenheit Eintheilungen macht.«320 Es ist klar, dass die Anregung eines solchen Philosophierens über die Beschaffenheit von Gegenständen, das der Einteilung von Begriffen, die auf Gegenstände bezogen werden, vorausgeht, keinen Platz in der im kantischen Verständnis formalen Logik beanspruchen kann. Hingegen kann sie sich als sinnvoll und nützlich erweisen für die nicht rein logische Analyse des Begriffs, insofern diese die Abhängigkeit von der Beschaffenheit des Gegenstandes berücksichtigt. Wenngleich die Frage nach der Bedeutung von Analytizität hier zu einem weiteren Problem wird, kann die Begriffsanalyse dann vielleicht Eingang finden in die logische Einteilung der Naturdinge in ein System der empirischen, besonderen Natur. Kants Überlegungen können sogar als Indiz dafür gedeutet werden, dass er selbst die Frage nach dem Unterschied zwischen konträren und kontradiktorischen Begriffen für kontextabhängig und daher auch nur für bedingt geeignet für die Begriffseinteilung hält.321 Auf jeden Fall wird von ihm der Ausdruck ›logische Einteilung‹ in der KU in Hinsicht auf das System der besonderen Natur in anderer Bedeutung verwendet als im Kontext der von ihm gelehrten Logik.
Achter bis zehnter Absatz: »Classification«, »Specification« und die Selbstspezifikation als »Technik der Natur« In den folgenden drei Absätzen des fünften Abschnittes wird das »logische System«, zu dem sich die Natur qualifiziere, beschrieben. Gezeigt werden soll, was das transzendentale Prinzip der Urteilskraft eigentlich besagt und was es vermag. Es ist als Ergebnis der Untersuchung im zehnten Absatz zusammengefasst.
Logik Bauch, Logik-Vorlesung I, KF 8, S. 170.646 f. Ebd., S. 171.651–653. 321 Zur Unterscheidung zwischen kontradiktorischen und konträren Begriffen bei Kant und Hegel vgl. M. Wolff, (1981), Der Begriff des Widerspruchs, 101–105: »Der Unterschied ›konträrer‹ und ›kontradiktorischer‹ Begriffe erweist sich überall als kontextabhängig und daher als wenig sinnvolles Einteilungsprinzip für Begriffe oder Prädikate. Die Kontextabhängigkeit dieses Unterschieds besteht, um es genauer zu sagen, darin: Dadurch, daß man zwei vorliegende Begriffe in Beziehung aufeinander als entweder konträr oder kontradiktorisch deutet, deutet man sie implizit bereits als Prädikat verschieden bestimmter Gegenstände. Die konträren und kontradiktorischen Begriffsverhältnisse beruhen insofern gar nicht allein auf den Inhalten der sog. konträren und kontradiktorischen Begriffe, sondern auf komplexeren Beziehungen.« (ebd., S. 103). 319
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V. Abschnitt: Reflektierende Urteilskraft
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Das »logische System« des Mannigfaltigen der Natur, das zuletzt Gegenstand unserer Fragestellung war, wird nun in Hinsicht auf die »logische Form« analysiert. Dabei gilt zunächst ganz allgemein (d. h. von einem beliebigen System), dass diese Form »blos in der Eintheilung gegebener allgemeiner Begriffe« bestehe (EE V, 8. Abs. [20:214.21 f.]). Erwartet man nun hier, dass es sich bei den Allgemeinbegriffen, die einer Einteilung unterzogen werden, um empirische Begriffe handle (weil ja das exponierte systematische Grundproblem in der Systembildung der empirischen Natur besteht), so bestätigt der Text diese Erwartungshaltung nicht. Denn der Allgemeinbegriff, um dessen Einteilung es konkret geht, ist »hier der einer Natur überhaupt«. Dieser Naturbegriff erstreckt sich also nicht nur auf die empirischen, sondern auch auf die transzendentalen Gesetze. In Abs. 9 wird sich diese Lesart später bestätigen. Das Einteilen soll so vor sich gehen, »daß man sich das Besondere (hier das Empirische) mit seiner Verschiedenheit als unter dem Allgemeinen enthalten, nach einem gewissen Prinzip denkt.« (ebd. [20:214.23–25]) Die Bedeutung der ›logischen Einteilung‹ und die Frage, ob es eine besondere Art von Einteilung sei, an die Kant hier vorzugsweise denkt, wurde im »Anhang« zum Kommentar zu EE V, 3. Abs., und zuletzt im »Exkurs« zu EE V, 4. bis 7. Abs., bereits untersucht. Daran schließt sich nun die Frage an: In welchem Sinne ist etwas Empirisch-Besonderes, das von anderem Besonderen in gewisser Hinsicht verschieden ist, »unter« einem Allgemeinen (d. i. einem allgemeinen Begriff) »enthalten«? Es geht offenbar um besondere Merkmale von Naturdingen, die sich in Bezug auf ein Allgemeines so voneinander unterscheiden, dass sie merkmalsspezifisch einander entgegengesetzt sind, aber zumindest in Hinsicht auf ein oder auch mehrere charakteristische Merkmale miteinander übereinstimmen und deshalb in Hinsicht darauf denselben Namen tragen, der ihre Zugehörigkeit zu ein und derselben Klasse von Naturdingen bezeichnet. Die verschiedenen Merkmale gehören nicht deshalb zu einem Allgemeinbegriff, weil sich in ihnen der allgemeine Inhalt desselben ausdrückt. »Unter« einem allgemeinen Begriff enthalten sind sie vielmehr insofern, als ein Allgemeines – als ein unveränderliches, bleibendes Substrat – wesentliche, formale Voraussetzung dafür ist, dass die Verschiedenheit von Merkmalen durch ihr Aneinanderhalten überhaupt festgestellt werden kann. Das Allgemeine muss deshalb dem Besonderen logisch vor- bzw. übergeordnet sein. Umgekehrt ist die Verschiedenheit als Kontradiktion von Bestimmungen Voraussetzung für das Enthaltensein unter dem Allgemeinen und damit auch für die begriffliche Bestimmung des Allgemeinen. Unter diesen wechselseitigen Voraussetzungen von Über- und Unterordnung, die im logischen Natursystem als Klassifikation und Spezifikation wiederkehrt, ist die ›logische Einteilung‹ eine Begriffsbestimmung, die den eingeteilten, höheren Begriff durch die vollständige Entgegensetzung aller seiner Glieder, die in dem übergeordneten Begriff abstrakt aufgehoben ist, bestimmt. So heißt es in der Logik Jäsche: »Ein jeder Begriff enthält ein Mannigfaltiges unter sich, in so fern es übereinstimmt, aber auch, in so fern es verschieden ist. Die Bestimmung eines Begriffs in Ansehung alles Möglichen, was unter ihm enthalten ist, sofern es einander entge-
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
gengesetzt ist, heißt die logische Eintheilung des Begriffs. Der höhere Begriff heißt der eingetheilte Begriff (divisum), und die niedrigern Begriffe die Glieder der Eintheilung (membra dividendia).« (9:146, (§ 110)).322 Die »Sphäre« eines Begriffs einzuteilen, bedeutet, ihn in »Glieder« zu zerlegen, die nicht nur dem Allgemeinen in bestimmter Hinsicht gleichen, sondern sich von diesem und allen anderen Gliedern in anderen Hinsichten unterscheiden (ihnen »entgegengesetzt« sind).323 Die Glieder haben gewissermaßen gegenüber dem allgemeinen Ganzen einen ›Überschuß‹ an Bestimmungen, der in diesem analytisch nicht enthalten ist, d. h. sie enthalten »mehr in sich als der eingetheilte Begriff«.324 Das ›gewisse Prinzip‹, von dem im letzten Zitat aus dem achten Absatz von EE V die Rede war (20:214.25), ist hier zunächst noch ganz unspezifisch zu nehmen. Zwar läuft die Gesamtargumentation auf die Formulierung des »eigenthümliche[n] Princip[s] der Urtheilskraft« im zehnten Absatz hinaus, doch der folgende Text des achten Absatzes legt es nahe, unter »Princip« den allgemeinsten Begriff (die höchste Gattung) einer beliebigen ›logischen Einteilung‹ zu verstehen. Die logische Über- bzw. Unterordnung von Allgemeinem und Besonderem ist Ausdruck oder Resultat von gegenläufigen Operationen der Urteilskraft, die beide Verfahrensweisen der ›logischen Einteilung‹ sind (»Hierzu gehört nun …« (EE V, 8. Abs. [20:214.25])), nämlich von »Classifikation« und »Specifikation«, die auch im Kommentar zur Einleitung nochmals thematisiert werden. Die Klassifikation ist ein empirisches Verfahren, in dem von einem empirischen Mannigfaltigen (als dem Besonderen) ausgegangen wird, um in aufsteigender Folge dazu das Allgemeine (den allgemeinen Begriff als »höhere Klasse«) zu suchen. Da hierbei »mehrere[] Classen, deren jede unter einem bestimmten Begriffe steht, untereinander« verglichen werden (ebd. [20:214.27 f.]), so bedeutet dies, dass das Besondere, von dem ausgegangen wird, keine voneinander isolierten Individuen sind, sondern bereits in klassifizierter Form vorliegt. Der Vergleich richtet sich nach einem »gemeinschaftlichen Merkmal« (ebd. [20:214.29]). Dieses gibt den Ausschlag für die Vollständigkeit der Klassen.325 Durch die Prüfung der Vollständigkeit erfolgt die »Subsumtion« aller Klassen »unter höhere Classen (Gattungen)«. Diese Prozedur kann bis zu einem Maximum fortgesetzt werden. Die »oberste Gattung« enthält zugleich »das Princip der ganzen Classification in sich« (ebd. [20:214.30–32]). Dieses Prinzip scheint
Ausführlicher in der Logik Bauch, Logik-Vorlesung I, KF 8, S. 168 f.; Logik Hechsel, Logik-Vorlesung II, KF 9, S. 417–422. 323 D. h. nach der Logik Jäsche: kontradiktorisch (ausschließend). Vgl. Logik Bauch, Logik-Vorlesung I, KF 8, S. 168.578, und S. 169.614–170.624! Vgl. zur logischen Einteilung bes. Logik Bauch, Logik-Vorlesung I, KF 8, S. 168–171. 324 Logik Jäsche, 9:146, Anm. 1 zu § 110; vgl. ebd., S. 98 (§ 13); Logik Bauch, Logik-Vorlesung I, KF 8, S. 168–170 (»Es ist ein großer Unterschied … seine Sphäre.«). 325 Dass die Menge der unter einem Begriff logisch eingeteilten Sphäre vollständig sein muss, ergab sich bereits aus der ›logischen Einteilung‹ in der Logik selbst (vgl. Logik Hechsel, Logik-Vorlesung II, KF 9, S. 419.621–623). 322
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der allgemeine Begriff einer »Natur überhaupt« zu sein, der zu Beginn des achten Absatzes die Grundlage oder den Anfang der Einteilung ausmachte. Nach den im vorstehenden Exkurs abgehandelten Prinzipien der ›logischen Einteilung‹ ist es zugleich der Begriff mit der geringsten Bestimmung und der größten Sphäre. Er fasst alles »unter« sich, was überhaupt zur Natur gehört. Das umgekehrte Verfahren zur Einteilung als Klassifikation ist die Spezifikation, die auch Gegenstand des Kommentars zu E V ist.326 Sie schreitet vom allgemeinen Begriff zu den besonderen (von den obersten Gattungen bis zu den Unterarten) fort durch logische Operation. Auch hier muss gelten, dass die Einteilung vollständig ist, ferner, dass die Einteilung mehrteilig und nicht bloß zweigliedrig ist. Wenn Kant nun als Spezifikation eine »Handlung« (der reflektierenden Urteilskraft) bezeichnet – und ich behaupte zunächst: sowohl der ästhetischen (vgl. EE XI, 5. Abs.) als auch der teleologischen –, die das Mannigfaltige »unter einem gegebenen Begriffe« spezifiziere (EE V, 8. Abs. [20:215.1–2]), so präzisiert er die Aussage gleich im Anschluß daran. Gewöhnlich (»im gemeinen Redegebrauch«) drücke man die Spezifikation mit der Formulierung aus, dass man das unter dem Allgemeinen stehende Besondere spezifiziere. Es sei aber zutreffender zu sagen, »man spezificire den allgemeinen Begrif, indem man das Mannigfaltige unter ihm anführt« (EE V, 8. Abs. [20:215.4–7]). Welchen Grund hat Kant für diese sprachliche Korrektur? Er begründet sie mit dem Hinweis darauf, dass die Gattung – »logisch betrachtet« (d. h. die Gattung als Gattungsbegriff) »gleichsam die Materie, oder das rohe Substrat« sei, »welches die Natur durch mehrere Bestimmung zu besondern Arten und Unterarten verarbeitet […].« (EE V, 8. Abs. [20:215.8–10]) Und weil dies so sei, sei man berechtigt zu sagen: »die Natur spezificire sich selbst nach einem gewissen Princip (oder der Idee eines Systems).« (ebd. [20:215.10–12]) Bei der Verwendung des Wortes »Materie«327 (bzw. »rohe[s] Substrat«) beruft sich Kant zum einen auf den analogen Gebrauch »bei den Rechtslehrern, wenn sie von der Specification gewisser rohen Materien reden«, zum anderen auf »die aristotelische Schule« (in der Fn.), die ebenfalls die Gattung »Materie« genannt habe, im Unterschied zur »Form«, die den »specifischen Unterschied« bezeichne.328
Vgl. Kommentar, S. 472–475. Von Kant eigenhändig im Ms. nachgetragen. 328 EE V, 8. Abs., Fn. (20:215.22–23; Verweiszeichen im Text fehlt in der AA). Dieser sehr allgemeine Hinweis wurde von Kant eigenhändig erst im nachhinein im Ms ergänzt (vgl. N. Hinske u. a. (Hg.) (1965), Faksimile, S. 20). In der Begriffslehre der Logik Jäsche gibt es keinen Hinweis auf eine Vergleichbarkeit des höchsten Gattungsbegriffs mit roher Materie (vgl. 9:96–100). Die Materie des Begriffs ist vielmehr das, was hier die Spezifik der Form genannt wird (vgl. Logik Jäsche, 9:91 (§ 2) und 9:93 f. (§ 5) und Anm. 1). Der »logische Ursprung der Begriffe« ist ein »Ursprung ihrer bloßen Form nach« (ebd., 9:94.10 f.). – Auf welche aristotelische Schule (im engeren oder weiteren Sinne) Kant hier anspielt, bzw. welcher Vertreter einer entsprechenden Schultradition in Frage kommt, wurde nicht ermittelt. Vgl. aber Aristoteles, PA I.3 (643b); vgl. W. Kullmann / S. Föllinger (Hg.) (1997), Aristotelische Biologie, 61. 326 327
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Nun ist allerdings zu beachten, dass die Gattung (der logische Gattungsbegriff, ›angewandt‹ auf die Natur) nicht schlechthin identisch ist mit Materie, Stoff oder rohem Substrat, wie sie in der materiellen Natur existieren mag, sondern ihr nur analogisch entspricht, indem sie »gleichsam« die Materie ist. Die Analogie ist wiederum nicht generell bloß ein stilistisches Mittel, dessen sich Kant zur leichteren Erläuterung oder Illustration von Sachverhalten bedient; sie hat auch Begründungscharakter, und zwar genau dort, wo eine eindeutige Bestimmung nicht vorgenommen werden kann (wie z. B. bei der Betrachtung der Natur als Kunst: »als ob«). Die Begründung der Spezifikation als Handlung der Urteilskraft durch das spezifizierende Vorgehen der Natur ist eine solche Analogie. Die Materie entspricht der höchsten Gattung in dem entworfenen logischen System, dem die Natur gemäß sein soll. Unter ihrem Begriff sind alle Klassen von Dingen der Natur vereinigt. Die Analogie des höchsten Gattungsbegriffs mit ›roher Materie‹ führt erneut auf die weiter oben bereits aufgeworfene Frage, deren Beantwortung dort noch aufgeschoben wurde: Inwiefern betrachtet Kant die Natur als tätiges Subjekt? Denn die Materie fasst er als den Stoff auf, den die Natur »verarbeitet«, indem sie das Allgemeine spezifiziert. Da das Allgemeine aber seit Beginn des achten Absatzes nichts anderes bedeutet als »Natur überhaupt«, ist es auch die Natur in dieser universellen Bedeutung, die »sich selbst« spezifiziert. Ist diese behauptete Selbstspezifikation der Natur und damit die Subjektnatur aber nicht bloß eine Analogie? Es wird von Kant in diesem Zusammenhang nicht ausdrücklich von einer Analogie gesprochen, außer in bezug auf den Gebrauch des Gattungsbegriffs bei den Juristen. Der Sache nach besteht aber eine Analogie zur Kunst, insofern die Spezifikation eine Variante, eine Ausführungsart der »Technik der Natur« ist. Sie ist das ›gewisse Prinzip‹, nach dem die Natur »sich selbst« spezifiziert (vgl. auch Abs. 9). Nach Kants Logik ist ein Analogieschluß eine Schlussweise der Urteilskraft und gehört wie der Induktionsschluß eigentlich nicht in die Logik. Bei dem Schluß der Analogie wird nach dem Prinzip der Spezifikation von der partikularen Ähnlichkeit mehrerer Dinge einer Gattung auf deren vollständige Übereinstimmung geschlossen, ohne dass damit die »Identität des Grundes« verlangt wird.329 Wie beim induktiven Verfahren, so liegt auch hier eine empirische Verallgemeinerung vor. Da ein solcher Schluß aber empirisch ist, ist seine Gewissheit nicht notwendig.330 Bei Kant von der Natur als einem Subjekt zu sprechen, kann also nicht nur bedeuten, dass sie sich als strukturell übereinstimmend mit dem subjektiven Prinzip der Urteilskraft und dessen logischen Gebrauch erweist. Die Analogie schließt vielmehr ein, dass sie nach einem bestimmten Wirkungsprinzip selbstproduktiv und – Zum Gebrauch und zur Bedeutung des Begriffs der »Analogie« in der Philosophie vgl. KrV, B 222–224 / A 179–181). Vgl. auch Kommentar, S. 211 f., 216, 256; 476 ff. 330 Vgl. Logik Jäsche, § 84 und Anm. 1 (9:132–133); vgl. Warschauer Logik, Logik-Vorlesung II, KF 9, S. 648.488–649.496; Logik Hechsel, Logik-Vorlesung II, KF 9, S. 476.22–24, 477.50–478.74. 329
V. Abschnitt: Reflektierende Urteilskraft
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reproduktiv, selbstregulativ und –regenerativ ist. Sie organisiert sich selbst.331 Denn die Handlung der reflektierenden Urteilskraft (Spezifikation und Klassifikation) setzt notwendig voraus, dass die Natur selbst auf gleiche Weise und aus eigenem Antrieb (nämlich zweckmäßig oder frei kausal) verfährt (vgl. 9. Abs.). In EE VI, 1. Abs. (20:217), wird sich später diese Interpretation noch einmal bestätigen (vgl. auch EE XI, 5. Abs. [20:242.33–243.17]). Ob aber die Natur wirklich so aufgebaut ist, dass sie strukturell mit dem Prinzip der Urteilskraft übereinstimmt, und ob sie sich selbst organisiert, kann objektiv nicht erkannt werden. Hier liegt demnach die Grenze der Analogie zwischen dem logischen Gebrauch der Urteilskraft und dem logischen Aufbau des Natursystems. D. h. die Natur als Gegenstand zweckmäßiger Beurteilung ist kein Erkenntnisobjekt, an dem sich die Spezifikation und Selbstorganisation wahrnehmen ließe, und sie ist deshalb auch kein reales Subjekt. Die höchste Gattung, die zugleich das Substrat der ganzen Natur ist, d. h. in allen ihren spezifischen Formen als allgemeine Bestimmung in Erscheinung tritt, enthält kein Erzeugungsprinzip. Kants Abstammungslehre, die sich in Bezug auf die Einteilung der Menschengattung in kleineren Abhandlungen vorfindet, in Bezug auf die ganze Natur andeutungsweise in der KU, im übertragenen Sinne aber auch in der Erkenntnislehre der KrV sowie gelegentlich in der Anthropologie, ist als ein Sonderfall von selbstspezifizierendem Naturgeschehen in Betracht zu ziehen. Hier vollzieht die Natur ihren Plan systematisch, und zwar – wie es scheint – in Abkehr von der Analogie logischer Einteilung von Begriffen nach Gattung und Arten. Dafür gibt es eine Reihe von Argumenten. Die Einteilung steht insbesondere unter dem nichtlogischen Aspekt der Erzeugung durch ein gleiches Elternpaar, und die Verwandtschaftsbeziehung ist die gleicher Abstammung. Das bedeutet allerdings nicht, dass die begrifflichen Beziehungen logischer Einteilung für das System gleicher Abstammung von Naturwesen obsolet werden. Kant überschreitet bewusst die Grenze der bloßen Naturbeurteilung, wenn er in § 80 der KU (4. bis 6. Abs., 5:418–420) über ein System der Naturwesen nach dem »Erzeugungsprinzip« spekuliert, das auf Evolution beruht. Trotz impliziter Kritik an Georg Forsters Natursystem332 geht er von einer Analogie der verschiedenen Naturformen aus, die »einem gemeinschaftlichen Urbilde gemäß erzeugt zu sein scheinen«, und sieht darin genügend Anlaß für die »Vermutung einer wirklichen Verwandtschaft derselben in der Erzeugung von einer gemeinschaftlichen Urmutter, durch die stufenartige Annäherung einer Tiergattung zur anderen, von derjenigen an, in welcher das Prinzip der Zwecke am meisten bewährt zu sein scheint, nämlich dem Menschen, bis zum Polyp, von diesem sogar bis zu Moosen und Flechten,
Vgl. Kommentar zu EE IX, S. 222. Vgl. dazu Kant, Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien, 8:157–184; G. Forster, Noch etwas über die Menschenraßen, 1786; vgl. P. Giordanetti, in: H. F. Klemme (Hg.) (2006), I. Kant. Kritik der Urteilskraft, 460–461 (Anm. zu 339, 25). 331
332
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
und endlich zu der niedrigsten uns merklichen Stufe der Natur, zur rohen Materie […]« (KU, § 80, 4. Abs. [5:418.33–419.4]). Ein solches Natursystem, das die Abstammung aller Lebewesen von einer »allgemeinen Mutter« (5:419.22–23) oder »gemeinschaftlichen Urmutter« (5:418.36– 37), der eine zweckmäßige Organisation beigelegt wird, propagiert, setzt nicht nur Zweckmäßigkeit der Beziehung, Einstämmigkeit und Arterhaltung durch Zeugung voraus, sondern eine ursprünglich zweckmäßige Anlage zur Arterhaltung, die sich später bei Gelegenheit entwickelt, so dass auch vermeintlich zufällige Veränderungen der »Charaktere« Resultat von Vererbung werden (KU, § 80, 6. Abs. [5:420]). Noch einen Schritt weiter geht Kant in seiner Theorie der Einteilung der Tierund Menschengattung in »Rassen«, wodurch das logische System der Einteilung der Natur scheinbar verlassen, tatsächlich aber durch neue inhaltliche Prinzipien eingeschränkt wird. Durch den Begriff der »Rasse« wird indiziert, dass in Bezug auf die Einteilung der Menschengattung die Möglichkeit einer logischen Einteilung in »Arten« ausscheidet. Die Theorie der Abstammung aller rassenspezifischen Merkmale von ein und derselben Gattung erscheint als ein Alternativmodell von höherem Erklärungswert gegenüber der abstrakt logischen Einteilung nach Gattungen und Arten. In systematischer Hinsicht besteht ein Zusammenhang zwischen der ›logischen Einteilung‹ und der ›Abstammung‹, insofern die Abstammungstheorie, deren Gegenstand eigentlich die reale Gattung sein soll, Beziehungen auf Begriffe involviert. Aus der Analyse von Kants Betrachtungen zum Verhältnis zwischen der Beziehung von Dingen und deren spezifischen Merkmalen »unter« einem Begriff und dem Enthaltensein spezifischer Bestimmungen »in« demselben ergab sich, dass beide Arten von Reflexion voneinander abhängen (s. »Exkurs«, Kommentar, S. 126 f.). Es ist daher naheliegend, die menschliche Abstammungsgeschichte als eine inhaltliche Interpretation und Variante logischer Klasseneinteilung aufzufassen und die vier (empirisch vorgefundenen) Rassemerkmale (die »Charaktere«) als Polytomie von Arten (Klassen) einer übergeordneten Gattung, die übrigens ihre Gegensätzlichkeit (Kontradiktion) untereinander trotz ihres Eingebundenseins als komplementäre Gegenstücke in einen zweckorientierten Verweisungszusammenhang als Rasse nicht verlieren, zu lesen. Die Natureinteilung in Hinsicht auf die Menschengattung nach dem Erzeugungsprinzip könnte dann als eine besondere Ausformung der Selbstspezifikation der Natur beurteilt werden. Diese Anregung kann jedoch an dieser Stelle argumentativ nicht weiter verfolgt werden. Im neunten Absatz wird noch deutlicher gezeigt, dass die Selbstspezifikation der Natur eine notwendige Voraussetzung für das Unternehmen der reflektierenden Urteilskraft ist, »die ganze Natur nach ihren empirischen Verschiedenheiten zu klassifizieren« (20:215.15–16). Die Bedingung dafür besteht nämlich in der Voraussetzung, »die Natur specificire selbst ihre transcendentale Gesetze nach irgend einem Princip« (20:215.16–17). Beim Lesen des letzten Nebensatzes taucht eine Schwierigkeit auf: Welche grammatische Stellung nimmt das »selbst« ein? Die Frage ist nicht unerheblich, weil aus der jeweiligen Antwort jeweils ein anderer Aspekt vorrangig wird. Sachlich kann
V. Abschnitt: Reflektierende Urteilskraft
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beides zutreffen. Lesen wir gemäß der ersten Möglichkeit, so wird die oben schon thematisierte Aussage bloß wiederholt, die Natur spezifiziere sich von selbst. Ziehen wir die zweite Lesart vor, so betont der Nebensatz, dass die Natur »sogar« »ihre transcendentalen Gesetze« (!) spezifiziere, und diese Aussage wäre zunächst unstreitig eine Überraschung. Denn bisher (8. Abs.) hatte es den Anschein, als ob sich Spezifikation und Klassifikation bloß nach der Richtung des Vorgehens (vom Allgemeinen zum Besonderen oder umgekehrt) voneinander unterschieden, das Besondere und das Allgemeine hingegen immer empirisch seien, so dass insbesondere die Spezifikation nur von empirischen Allgemeinbegriffen ausgehen könne. Eine Entscheidung zugunsten einer der beiden Optionen, die Satzstellung des »selbst« in dem oben zitierten Nebensatz betreffend, fällt schwer. Der kurze zehnte Absatz, der das eigentliche Begründungsziel formuliert, gibt auch keine klaren Aufschlüsse. Aber wenn Kant tatsächlich darauf Wert legt, dass es nicht empirische, sondern transzendentale Naturgesetze sind (in Abs. 10 wird nur von allgemeinen Gesetzen der Natur gesprochen), dann ist es wahrscheinlicher, dass durch das »selbst« dieser neue Gesichtspunkt – gemäß der ersten Lesart – verstärkt werden soll. Transzendentale Gesetze sind im Zuge der Systematisierung der besonderen Natur in Abschnitt V bisher nicht aufgetaucht, es sei denn, sie wären im Begriff »einer Natur überhaupt«, die eingangs des achten Absatzes Gegenstand der logischen Einteilung war, mit enthalten. Schließlich spricht jedoch für die zweite Lesart, dass die Selbstspezifikation der Natur ja bereits im achten Absatz hinreichend verdeutlicht worden ist, so dass, wenn es heißt: »die Natur specificire …«, es als einleuchtend unterstellt werden darf, dass sie diese Handlung aus sich »selbst« heraus und an sich »selbst« vollziehe. Jetzt ist noch die Frage, was durch die vorausgesetzte Spezifikation der transzendentalen Gesetze der Natur eigentlich begründet werden soll. Die Antwort wird in dem ersten Satz des neunten Absatzes gegeben: Ohne jene Voraussetzung ist die reflektierende Urteilskraft nicht vermögend, »die ganze Natur nach ihren empirischen Verschiedenheiten zu classificiren.« (20:215.15 f.) Die Betonung liegt hier auf dem Naturganzen. Die Natur muss vollständig und lückenlos klassifiziert werden können, um überhaupt zu einem »System« der empirischen Natur zu gelangen. Auf empirischem Wege allein ist dies aber gar nicht möglich, weil durch Induktion niemals eine höchste Klasse oder ein unbedingter, notwendiger Allgemeinbegriff erreicht werden kann. Deshalb wird vorausgesetzt, dass an höchster Stelle transzendentale Gesetze oder Begriffe der Natur bereits gegeben sind, die die Natur dann spezifiziert und die folglich in jedem Einzelwesen mit enthalten sind. Wenn die vorgeschlagene Interpretation zutrifft, dann eröffnet sich dadurch ein neues Problem: Klassifikation und Spezifikation haben keinen symmetrischen Verlauf; das durch Klassifikation errichtete System der empirischen Natur und das durch Spezifikation erreichte System können nicht deckungsgleich sein. Denn wie soll das Klassifizieren empirischer Begriffe ohne Sprung (d. h. durch kontinuierliches Übertragen des empirischen Charakters auf die höhere Gattung) jemals einen transzendentalen Begriff erreichen, der doch a priori und rein sein muss?
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Die (Selbst)spezifikation der Natur soll nach Auskunft des ersten Satzes von Abs. 9 nach einem Prinzip erfolgen. Und dieses Prinzip wird auch sogleich genannt. Es ist – kurz gesagt – das der »Angemessenheit zum Vermögen der Urtheilskraft«, anhand entdeckter »Verwandtschaft« in der empirischen Mannigfaltigkeit der Natur empirische Begriffe (Klassen) zu bilden, diese unter Gattungen bzw. »allgemeinere Gesetze« zu bringen und endlich ein empirisches System der Natur zu beschließen (EE V, 9. Abs. [20:215.18–24]). In ihrer unüberschaubaren Fülle soll zwischen den Dingen der Natur, insofern sie »möglichen empirischen Gesetzen« unterliegen, »genugsame Verwandtschaft« zu finden sein. Mit dieser »Verwandtschaft«, die wir im Kommentar zur Einleitung (»Exkurs« zu E V, 7. Abs.) unter Zuhilfenahme von Passagen aus der KrV (B 686, B 688, B 690) noch genauer kennen lernen werden, ist auch hier zunächst die logische Ähnlichkeit von Begriffen gemeint, nicht diejenige, die sich aus der Sichtweise einer gemeinsamen evolutionsgeschichtlichen Abstammung ergibt. Andererseits wird diese Ähnlichkeit der Naturformen in der Natur selbst als reale Verwandtschaft nach der Analogie logischer Verwandtschaftsbeziehungen vorausgesetzt. Gleichwohl kann die evolutionstheoretische Bedeutung des Verwandtschaftsbegriffs hilfreich sein, um dessen logische Funktion genauer zu ermitteln. Aus der Sprache der Chemie entlehnt und auf unseren Kontext übertragen bedeutet sie dann, wenn man Kants Erklärung in der Anthropologie folgt,333 dass spezifisch verschiedene Dinge der Natur (wie heterogene Stoffe) so miteinander vereint sind, dass daraus ein Drittes (ein Begriff als Klasse) entsteht, das mehr unter sich enthält als die Summe der gemeinsamen (gleichartigen) Bestimmungen ihrer vereinigten Glieder (nämlich auch deren heterogene Bestimmungen sowie diejenigen weiterer möglicher Dinge). Ein solches Verwandtschaftsverhältnis kann also, wie wir im »Exkurs« zu EE V gesehen haben, nicht auf einer Kontradiktion, sondern nur auf einer konträren Entgegensetzung beruhen. Zurück zu Abs. 9 in EE V: Das Prinzip der Angemessenheit ist ein Prinzip, das die Natur selbst beim Produzieren ihrer spezifischen Formen befolgt, und zwar als ob sie dadurch das Handeln der Urteilskraft sich selbst gemäß bestimmen wolle. Wir haben bereits gesehen, dass das klassifizierte und das spezifizierte System der empirischen Natur einander nicht genau entsprechen. So kann auch die »Angemessenheit« der Natur gegenüber der reflektierenden Urteilskraft nicht so weit gehen, dass diese etwa von empirischen Gesetzen zu den transzendentalen Naturgesetzen
»Ich verstehe unter der Verwandtschaft die Vereinigung aus der Abstammung des Mannigfaltigen von einem Grunde.« »Das Wort Verwandtschaft (affinitas) erinnert hier an eine aus der Chemie genommene, jener Verstandesverbindung analogische Wechselwirkung zweier spezifisch verschiedenen, körperlichen, innigst aufeinander wirkenden und zur Einheit strebenden Stoffe, wo diese Vereinigung etwas Drittes bewirkt, was Eigenschaften hat, die nur durch die Vereinigung zweier heterogenen Stoffe erzeugt werden können. […]« (Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, Edition R. Brandt (2000), 73, 74 (7:176, 177). 333
V. Abschnitt: Reflektierende Urteilskraft
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aufsteigen könnte, von denen die sich selbst spezifizierende Natur ausgeht. Sie bleibt beschränkt auf die Einteilung empirischer Begriffe und Gesetze. Analog zur »künstlichen« Erfahrung bei der Klassifikation wird die Natur, indem sie sich nach dem Prinzip der Angemessenheit spezifiziert, als »Kunst« angesehen. Daraus soll nun folgen (»also«), dass die Urteilskraft »nothwendig a priori ein Princip der Technick der Natur bey sich« führe (20:215.25–28). Die »Technick der Natur« wurde bereits im sechsten Absatz als Prinzip eingeführt, welches aus dem »Bedürfnis« der Urteilskraft heraus erwuchs, technisch bzw. künstlich über die Natur reflektieren zu können. Eine Begründung der Notwendigkeit dieses Prinzips war dort noch nicht ausdrücklich gegeben oder verlangt worden. Diese ist erst Gegenstand des achten Absatzes, und zwar scheint Kant eine objektive Begründung vorführen zu wollen. Denn nur die durch das Prinzip der Angemessenheit abgesicherte Übereinstimmung der Naturspezifikation mit dem Reflektieren der Urteilskraft trägt zur Einsicht bei, dass die »Technick der Natur« eine für das Reflektieren der Urteilskraft »nothwendige Voraussetzung« ist. Als eine solche Voraussetzung ist sie von der »Nomothetick« der Urteilskraft unterschieden, nach welcher sie transzendentale Verstandesgesetze zur Geltung bringt. In einer Zusatzbemerkung am Rand des neunten Absatzes stellt Kant (durch nachträgliche Einfügung in das Ms) einen kritischen Bezug zwischen der Betrachtung der Natur als Kunst und Linnés »System der Natur« her. Ich werde diesen Zusammenhang im nachfolgenden »Anhang« erläutern. Zuvor ist noch das Resultat der zurückliegenden Analyse (Abs. 8 bis 9) zusammenzufassen. Dazu zitiere ich den ganzen zehnten Absatz: »Das eigenthümliche Princip der Urtheilskraft ist also: die Natur specificirt ihre allgemeine Gesetze zu empirischen, gemäs der Form eines logischen Systems, zum Behuf der Urtheilskraft.« (20:216.1–3) Mit dieser Formulierung des Prinzips der Urteilskraft erfolgt eine Relativierung der (objektiven) Selbstspezifikation der Natur. Es ist nun wieder ein bloßes Vermögen des Subjekts, das sich die Spezifizierung der Natur, die kurz zuvor noch als deren Eigenvermögen erschienen war und als solche von der Urteilskraft objektiv vorausgesetzt wurde, selbst zum Zweck macht. Mit Blick auf den neunten Absatz bedeutet das dann: Die Natur verfährt nur insofern künstlich, als sie zufolge des Prinzips der Urteilskraft bloß so gedacht wird, dass sie sich selbst spezifiziert, und dies wiederum nur, um sich dem Verfahren der Urteilskraft angemessen zu machen (»zum Behuf«), und nur in einer Weise, die mit der »Form eines logischen Systems« (d. i. der ›logischen Einteilung‹ von Begriffen der Natur nach dem im letzten »Exkurs« erarbeiteten Muster) konform geht und ihm analog ist. Spezifiziert werden sollen die »allgemeinen Gesetze« der Natur (d. h. laut Abs. 9 ihre transzendentalen Gesetze) »zu empirischen«. Man fragt sich, wie das gehen soll. Auf welche Weise und unter welchen Bedingungen kann die Einteilung unter einen transzendentalen Begriff unvermittelt in empirische Begriffe ausarten? Die Beantwortung dieser Frage bleibt Kant allem Anschein nach dem Leser schuldig.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Anhang: Linnés Hoffnung auf ein »System der Natur« (Zusatz zum neunten Absatz) Mit dem von ihm eigenhändig nachgetragenen Randzusatz über Linnés »System der Natur«334 kommentiert Kant seine These im Haupttext des zugehörigen Absatzes 9, die Urteilskraft setze notwendig die »Technick der Natur« als Prinzip a priori voraus, um in der Mannigfaltigkeit der natürlichen Dinge hinreichende »Verwandtschaft« für die Bildung eines »empirischen Systems[s] der Natur« zu entdecken (20:215.18– 31). Die Hoffnung des gewürdigten Autors richtet sich darauf, »ein System der Natur zu entwerfen« (20:215.34). Sie wird, in Kants Augen, von den Resultaten des Naturforschers her betrachtet, dadurch belohnt, dass sich die Natur gemäß des in Abs. 10 formulierten eigentümlichen Prinzips der Urteilskraft selbst spezifiziert. Es ist also die Natur selbst, die nach Kant dafür garantiert, dass sich so mannigfaltige Erscheinungen wie hier die unterschiedlichen Mineralien in einen systematischen Zusammenhang bringen lassen, und zwar unabhängig davon, ob sich der jeweilige Naturforscher bei seinen Entdeckungen an das Prinzip der Zweckmäßigkeit hält oder nicht. Dessen subjektive Einstellung zur Kausalität des Naturgeschehens scheint in diesem Falle irrelevant zu sein. Linnés Hoffnung – so lässt sich Kants Aussage paraphrasieren – wäre sicher enttäuscht worden, wenn die Befürchtung begründet gewesen wäre, dass Gesteinsproben, die anschaulich äußerlich einander gleichen, aufgrund ihrer »inneren Beschaffenheit« (»Struktur«)335 stets unterschieden wären. Jeder Vergleich würde unter dieser Voraussetzung notwendig die vollständige Diskretheit der verglichenen Objekte zum Ergebnis haben, und dies würde die »logische Zweckmäßigkeit«, die Kant an der Form der Natur propagiert (EE V, 12. Abs. [20:216.20], EE VI, 1. Abs. [20:217.7 f.]), destruieren. Erst der Anfang des sechsten Abschnittes (1. Abs.) wird genaueren Aufschluß darüber geben, worin der Aspekt des Systematischen in der Ordnung der anorganischen Natur besteht. Es ist die Erwartung einer Verwandtschaft der »Erden, Steine, Mineralien u. d. g.« zufolge »den innern Charactern und Erkenntnißgründen ihrer Möglichkeit nach« (EE VI, 1. Abs. [20:217.20 f.]) – d. i. der »inneren Beschaffenheit« nach der Formulierung in der Randbemerkung zu Linné. Nicht die Zweckmäßigkeit ihrer (äußeren) Form ist dafür verantwortlich – der Form nach können sie durchaus mechanisch, d. h. als Aggregate angesehen werden –, ihre Ähnlichkeit beruht Es zeigen sich hier Abweichungen im Wortlaut zwischen verschiedenen Editionen. Sie sind jedoch inhaltlich unerheblich. Vgl. Hinske, N. u. a. (Hg.) (1965), Faksimile, S. 20; Klemme, H.F. (Hg.) (2006), I. Kant. Kritik der Urteilskraft, 508–509; Lehmann, G. (1990), I. Kant. Erste Einleitung, 22; AA 20:211.28–212.34. Hinskes Transkription ist philologisch nicht konsequent. Vgl. Linné, Systema Naturae, 1740; demzufolge gliedert sich das Regnum Lapideum in drei Klassen (Felsgestein, Mineralien, Fossilien) (S. 1), das Regnum Vegetabile secundum systema sexuale in 24 Charakter-Klassen (S.14 f.), das Regnum Animale in 6 Klassen (S. 33). 335 Vgl. mit Bezug auf die organische Natur KU, § 66, 3. Abs. (5:376.24–36). Diese Textpassage ist fast ein Referat aus Francis Hutcheson (31729), Inquiry, p. 22–24; Hutcheson benutzt in seiner Beschreibung der Einteilung der Naturwesen den Ausdruck »structure«. 334
V. Abschnitt: Reflektierende Urteilskraft
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vielmehr auf ihrem ›Charakter‹ als einem inneren, vielen Exemplaren gemeinsamen Merkmal. Dieses Merkmal als eine Beschaffenheit, die insofern eine »innere« genannt wird, als sie dem Gegenstand beharrlich immanent ist (mithin auch unter seinem Begriff enthalten ist), jedoch nicht wie in der organischen Natur auf Zeugung beruht und vererbt werden kann, scheint nun allerdings von der Gültigkeit des Prinzips der Zweckmäßigkeit abzuhängen. Gäbe es der »inneren Beschaffenheit« nach keine solche Verwandtschaft, sondern ausschließlich Verschiedenheit, so wäre auch kein Kriterium zur Hand für eine Klassifizierung der Exemplare und also auch keine (logische) Einteilung nach Gattungs- und Artbegriffen; jedes Gestein wäre eine singuläre Erscheinung, ein »für den Verstand gleichsam isolierte[s] Ding« (20:216.29–31). Kant kann also (zumindest an dieser Stelle) gegen Linné nicht den Einwand vorbringen, das Prinzip der Zweckmäßigkeit missachtet zu haben. Denn um ein System der anorganischen, empirischen Natur erfolgreich abzuschließen, genügte es, die observierten Objekte der Natur genau auf ihre Beschaffenheit hin zu examinieren und dabei nach Gemeinsamkeiten (und Unterschieden) zu suchen, um sie zu klassifizieren und in eine hierarchische Ordnung zu bringen. Das lässt sich auch auf der Grundlage des Prinzips des Mechanismus bewerkstelligen.336 Allerdings hat nun gerade Satzglied [1.4.1] in der letzten Satzgrafik zum 6. Absatz dieses Abschnittes (20:213.23–214.8) (s. Kommentar, S. 115) gezeigt, dass die reflektierende Urteilskraft, indem sie ganz allgemein bestimmte Naturdinge unter empirische Begriffe subordiniert, notwendig technisch nach dem »unbestimmten« Prinzip der Zweckmäßigkeit verfahren muss und dass nur unter dieser Voraussetzung eine Orientierung in der »Mannigfaltigkeit möglicher besonderer Gesetze« möglich ist. Entsprechend hatte Kant ja bereits im 5. Abs. des vorliegenden Abschnittes die Frage gestellt, »wie man hoffen könne, durch Vergleichung der Wahrnehmungen zu empirischen Begriffen desjenigen, was den verschiedenen Naturformen gemein ist, zu gelangen, wenn die Natur […] in diese […] eine so große Ungleichartigkeit gelegt hätte, daß alle […] Vergleichung vergeblich wäre, eine Einhelligkeit und Stufenordnung von Arten und Gattungen unter ihnen herauszubringen.«337 Ein logischer Vergleich beobachteter Naturphänomene, der in eine systematische Ordnung der Natur einmünden soll, setzt demnach notwendig die Aktivierung eines Prinzips der Zweckmäßigkeit der Natur als eines Prinzips reflektierender Urteilskraft voraus,338 und dieses muss konsequenterweise dann auch für die anorganische Natur gelten. Dieser Schluß scheint mir unter Berücksichtigung der Absätze 3 (einschließlich Fußnote), 10 und 11 (EE V [20:211.25–212.34, 216.1–15]), in denen das der Urteilskraft eigentümliche Reflexionsprinzip entfaltet wird, unausweichlich zu sein.339 Ohne dieses Prinzip wäre zwar, wie im Kommentar zu EE V, 3. Abs., 336 337 338 339
Vgl. KU, § 82, 5. Abs. (5:426–427). EE V, 5. Abs. (20:213.8–15). Ebd. (20:213); vgl. EE V, 3. Abs., Fn. (20:211.28–212.34). Er steht auch in Einklang mit Kants »Idee der gesamten Natur als eines Systems nach der
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Fn., dargelegt worden ist, ein logischer Vergleich bekannter Gegenstände der Natur anzustellen, aber dieser würde für sich genommen nicht zur Neuentdeckung ähnlicher Phänomene hinreichen.340 Eine qualitative Abstufung der Zweckmäßigkeit in der Verwandtschaft der Mineralien gegenüber der der Lebewesen wird von Kant in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt. Linné weist am Anfang seiner Abhandlung über Mineralien selbst darauf hin, dass Gesteine im Unterschied zu Pflanzen und Tieren »ohne alles Gefühl, ohne alle eigene bewegende Kräfte und Leben« sind.341 Ein Mineral kann aber wachsen und Verwandtschaften bilden, »indem es nach den Gesetzen der allgemeinen, oder der besondern chemischen Anziehungskraft gleichartige oder verwandte Theilchen an sich zieht, und durch die Anhäufung dieser Theilchen seinen Umfang erweitert und seine Masse vergrössert.«342 Nicht die äußere Gestalt ist es sondern die Herausbildung von Unterschieden in der inneren Beschaffenheit, welche sich erst durch Zertrümmerung finden lassen, die den Ausblick auf ein »vollkommenes System […], welches den ganzen Umfang seiner Bestimmung erfüllt« in Aussicht stellt.343 So ist es erst die »innere Natur der Mineralien«, die ein System begründet.344 Da aber auch diese innere Natur keinem Lebensprinzip folgt, kann sie nicht durch Kants Prinzip der inneren Zweckmäßigkeit organischer Naturen bestimmt werden. Sie kann höchstens der Regel der äußeren Zweckmäßigkeit genügen, d.h aber sie hat eigentlich einen mechanischen Ursprung. Kants Wertschätzung für den Autor des Systems der Natur zeigt sich besonders in der Auseinandersetzung mit ihm bezüglich der belebten Natur. In § 82 der KU (6. Abs. [5:427.4–13]) wird Linné die Annahme eines zweckorientierten Naturzusammenhangs zwischen Pflanzen, Tieren und Mensch unterstellt.345 Anders als im ›Reich‹ der Mineralien, an deren Bildungen sich der Mechanismus der Natur zeige, veranlasst die Flora die teleologische Frage: »Wozu« ist diese Pflanze da? (KU, § 82, 5. Abs. [5:426.22–427.3]). Darauf richtet sich nach Kants Lesart das wissenschaftliche Anliegen Linnés. Diese Auslegung läßt sich an Linnés Texten schwer nachweisen. Der Sache nach kann es sich dabei höchstens um den von Kant geprägten Begriff äußerer Zweckmäßigkeit handeln, denn die Frage nach dem Zweck der Natur zielt hier auf die Existenz eines Gegenstandes unter dem Aspekt des Nutzens für andere Regel der Zwecke«, welcher der Mechanismus der Natur unterzuordnen ist (vgl. KU, § 67, 3. Abs. [5:378.37–379.4]). 340 Vgl. Kommentar, S. 104–106 (»Anhang«). 341 Linné, Carl von (1777), Vollständiges Natursystem des Mineralreichs, Erster Theil, 1 f. 342 Linné, ebd., S. 2. 343 Linné, ebd., S. 40. »Sehr wichtig ist der Unterschied, den die Mineralien im Bruche oder im Gewebe, oder in der Gestalt ihrer innern Oberfläche zeigen« (ebd., S. 53). 344 Linné, ebd., S. 159. 345 Vgl. Caroli a Linné, Sistema naturae ed. XII Holmae (Stockholm) 1766 Bd. I, S. 17 (zitiert in 5:529 f., Anm. zu 427.4); P. Giordanetti, in: H. F. Klemme (Hg.) (2006), I. Kant. Kritik der Urteilskraft, 465 (Anm. zu 349,14).
V. Abschnitt: Reflektierende Urteilskraft
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Naturwesen, nicht auf dessen »innere Form« als »Naturzweck«.346 Von Zwecken ist in Linnés Schriften nicht die Rede. Aber der biologische Forscher benutzt häufig den Begriff des Charakters, z. B. bei der Einordnung von Pflanzen in das botanische »System«.347 Andererseits konstatiert Kant allgemein über die »Zergliederer der Gewächse und Tiere«, dass sie dem »teleologischen Grundsatz«, »daß nichts in einem Geschöpf umsonst sei« für die Beobachtung von Dingen als Naturzwecken, anhingen. Sie benötigen diese Maxime, um die »Struktur« von Pflanzen und Tieren »zu erforschen und die Gründe einsehen zu können, warum und zu welchem Ende solche Teile, warum eine solche Lage und Verbindung der Teile und gerade diese innere Form ihnen gegeben worden […]« (KU, § 66, 3. Abs. [55:376.24–36]). Solche Bemühungen, denen Kant seine Anerkennung nicht versagt, führen schließlich zu der Hypothese einer »Verwandtschaft« unter allen organischen Naturen, die eine »große Familie von Geschöpfen« bilden, nach dem Erzeugungsprinzip. Dass nichts von dem, das sich durch Zeugung auf die Nachkommen vererbt, in der inneren Form eines organisierten Wesens als Naturzwecks, als unzweckmäßig beurteilt werden kann, ist Inhalt des »Prinzip[s] der Teleologie« (KU, § 80, 5. bis 6. Abs. [5:419.9–420.21]). Dass Linné nach Kants Einschätzung ein der Zweckmäßigkeit nahe kommendes Prinzip der Leitung der Naturforschung gekannt und angewandt hat und deshalb seine Beobachtungen nicht blind anstellen musste, zeigt Kants Schrift Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie (1788) (8:157–184). Dort hebt er dessen Prinzip der »Beharrlichkeit des Charakters der Befruchtungstheile an Gewächsen« hervor, das die Ordnung und Erweiterung der »systematische[n] Naturbeschreibung des Pflanzenreichs« ermöglicht habe (8:161.9–28).348 Kant hebt Linnés Leistung sogar über das Niveau einer Naturbeschreibung hinaus, indem er dessen »Erdtheorie« in die Nähe der (geglückten) Versuche zu einer »Naturgeschichte« rückt.349
Vgl. KU, § 67, 2. Abs. (5:378.12–34). Vgl. Linné, Carl von (2003/1751), Linnaeus‘ Philosophia Botanica, chap. VI, »Character«, pp. 111 ff. Als allgemeinen Grund der Einordnung (»Dispositio«) von Pflanzen in das botanische »System« nennt Linné den Fruchtkörper: »The arrangement of plants from the foundation of the fruit-body is a thing invented by comparatively modern [botanists]« (ebd., 111). »The primary (152) arrangement (155) of the vegatables is to be taken from the fruitbody alone« (ebd., 126 (Nr. 164). Vom Fruchtkörper handelt das vierte Kapitel (ebd., 65–98). Linné teilt alle Dinge der Natur in drei »Reiche« ein: das mineralische, das pflanzliche und das tierische (ebd., Introduction, 9). 348 Es ist erstaunlich, dass Hegel sich später veranlasst sieht, diesen Einteilungsgrund der Pflanzenwelt ohne namentliche Nennung ihres Entdecker zu bestätigen (Hegel, Wissenschaft der Logik, Drittes Buch, Dritter Abschnit, Zweites Kapitel, A. b) 2. Die Einteilung, letzter Absatz (GW 12: 219 f.). 349 Vgl. 8:161.35–162.8. 346 347
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
In Linnés Schrifttum sucht man jedoch vergeblich nach Formulierungen oder theoretischen Überlegungen hinsichtlich eines Zweckmäßigkeitsprinzips. Die tabellarischen Ordnungen zeigen nur das Resultat einer praktischen Befolgung des Prinzips, das erst von Kant aufgestellt wurde.350 Wenn Kant also den Pionier der Gattungseinteilung für seine Leistungen würdigt, dann unterstellt er ihm schlicht die implizite Befolgung des in der Natur selbst wirksamen Zweckprinzips, dessen Entdeckung ihm selbst zugeschrieben werden muss. Die Wahrheit dieser Entdeckung sieht er jedoch durch Linnés Forschungen empirisch bestätigt, dessen Klassifikationsmodell als Anfang einer besonderen Logik der Biologie gelesen werden könnte.351 Kants Blick auf Linné ist im übrigen ein Rückblick. Sein eigener Beitrag zur Entwicklung der Theorie der Biologie weist bereits deutlich über Linné hinaus.
Elfter und zwölfter Absatz: »Zweckmäßigkeit der Natur« als eigentümlicher Begriff der reflektierenden Urteilskraft Das Schlussstück des fünften Abschnittes führt, in direkter Anknüpfung an das in Abs. 10 formulierte Resultat, den Begriff »einer Zweckmäßigkeit der Natur« ein und scheint eine Begründung für diesen Schritt zu enthalten, die mit dem »Also«-Satz am Ende des elften Absatzes (20:216.13–15) abgeschlossen ist. Der zwölfte Absatz
Genaue Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen dem Zweckprinzip und dem Linné’schen Klassifikationsmodell fehlen bis heute. Verwunderlich ist auch die Vernachlässigung des Verhältnisses zwischen Linné und Kant in der neueren Forschung zu Kants Theorie der Biologie. Eine Ausnahme bildet der Beitrag von Vesa Oitinnen (Oitinnen (2009), Linné zwischen Wolff und Kant. In der älteren Kant-Literatur findet das Thema Berücksichtigung bei Ernst Cassirer (Cassirer, E., »Das Problem der Klassifikation und die Systematik der Naturformen«, in: Cassirer, E. (1991), Das Erkenntnisproblem, Vierter Band, 127–144. Auch unser Kommentar kann den Zusammenhang zwischen Kants heuristischen Überlegungen und den historischen Quellen, auf die sie sich beziehen lassen, nicht ausführlich erörtern. 351 In der Philosophia Botanica finden wir zu den Tabellen zahlreiche (durchnummerierte) Aphorismen und Definitionen. Häufig wird der Begriff des Systems für die Einteilungen benutzt (im Unterschied zu dem der Synopse), der aber nicht erklärt wird: »The arrangement of vegatables (152) is effected either synoptically or systematically, and is commonly called method« (Linné, C. von (2003/1751), Philosophia Botanica, 111 (Nr. 153). Die Methode, die Linné propagiert, ist die mathematische (ebd., 112). »A SYSTEM (153) seperates the classes by 5 apropriate divisions: classes, orders, genera, species, and varieties« (ebd., 112 (Nr. 155). »Species (157) and genera (159) are always the work of NATURE; variety (158) is quite often the work of CULTIVATION; class (160) and order (161) are the work of NATURE and ART« (ebd., 112 (Nr. 162). Die künstliche Klassifizierung wird (hypothetisch, anstelle der natürlichen) aus heuristischen Gründen im Zuge der empirischen Naturforschung gebraucht: »Artificial classes are substitutes for natural ones, until the discovery is made of all the natural classes which more genera, that have not yet been discovered, will reveal, and then the most difficult distinctions between classes may become apparent« (ebd., 115 (Nr. 160). 350
V. Abschnitt: Reflektierende Urteilskraft
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bringt zusätzlich eine Erläuterung zur Geltung und Beschaffenheit des eingeführten Begriffs. Der direkte Bezug der Begriffseinführung zum vorangegangenen zehnten Absatz wird durch die Eingangsformulierung des elften Absatzes offensichtlich: »Hier entspringt nun der Begrif einer Zweckmäßigkeit der Natur […].« (20:216.4) Das »Hier« lokalisiert als epistemologischen Ursprungsort den Inhalt des eigentümlichen Prinzips der Urteilskraft in Abs. 10, nämlich die Angemessenheit zwischen der objektiven Selbstspezifikation der Natur und der Form des logischen Systems, auf das sich die Urteilskraft bezieht. Dass dieser Begriff der reflektierenden Urteilskraft und nicht der Vernunft angehören soll, ist bereits mehrfach festgestellt worden und wird also an der betrachteten Stelle bloß erinnert. Begründet wird diese Feststellung hier damit, dass der »Zweck« nicht ins Objekt, sondern in das subjektive Reflexionsvermögen »gesetzt« werde. »Zweck« bedeutet hier also keine objektive Naturbestimmung, keine Eigenschaft von Naturdingen, sondern gemäß E IV, 4. Abs., ein Begriff. Der Begriff »einer Zweckmäßigkeit der Natur« setzt also die Gültigkeit des »eigenthümliche[n] Princip[s] der Urteilskraft« (20:216.1) voraus. Seine Quelle muss somit in dem zu finden sein, was dieses Prinzip aussagt (beinhaltet), nämlich in der Selbstspezifikation der Natur in Übereinstimmung mit der logischen Systemform. Von dieser war gesagt worden, dass sie »zum Behuf der Urtheilskraft« geschehe (EE V, 10. Abs. [20:216.3]). Diese Förderung besteht nun eben darin, dass die Urteilskraft den Begriff »einer Zweckmäßigkeit der Natur« hervorbringt. Denn würde sie nicht über diesen Begriff verfügen, könnte sie die Natur auch nicht in der Form der Spezifikation denken. Weswegen benutzt Kant im elften Absatz in Verbindung mit der Zweckmäßigkeit der Natur den unbestimmten Artikel? Die naheliegende Antwort darauf, die sich in dem folgenden Abschnitt zu bestätigen scheint, ist die, dass Kant offenbar mehrere Bedeutungsvarianten dieses Begriffs kennt und verwendet. Kant lässt im elften Absatz noch offen, um welche Variante es sich hier handelt, aber im darauf folgenden Absatz wird er sich auf »diese logische Zweckmäßigkeit« beziehen (20:216.19–20). Das Mittelstück des elften Absatzes (zwischen dem Gedankenstrich und der Schlussfolgerung »Also denkt …«) enthält die Begründung (»Denn …«) (20:216.8– 13) für die Einführung des Begriffs einer Naturzweckmäßigkeit. Sie beginnt mit der Erklärung dessen, was »zweckmäßig« heißen soll. Demnach wird ein »Ding« der Natur dann »zweckmäßig« genannt, wenn sein »Daseyn eine Vorstellung desselben Dinges vorauszusetzen scheint […].« (20:216.8–9) Anstelle von »Daseyn« kann man hier auch sagen »Wirklichkeit« oder – wie Kant das an mehreren Stellen in Kombination mit »Existenz« tut – »Form«. Dann ist also die Form eines in der Natur empirisch vorfindbaren Dinges abhängig davon, welche Vorstellung wir uns als erkennende Subjekte darüber machen. Der Schein dieser Voraussetzung rührt daher, dass die Zweckmäßigkeit nicht objektiv bestimmt oder bewiesen werden kann, weil sie eben nur ein subjektiver Begriff der reflektierenden Urteilskraft ist. Dies drückt sich auch im »als ob« des folgenden Satzteiles aus:
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
»Naturgesetze aber, die so beschaffen und auf einander bezogen sind, als ob sie die Urtheilskraft zu ihrem eigenen Bedarf entworfen hätte, haben Aehnlichkeit mit der Möglichkeit der Dinge, die eine Vorstellung dieser Dinge, als Grund derselben voraussetzt.« (EE V, 11. Abs. [20:216.9–13]) Das Zitat enthält den entscheidenden Gedankenschritt für die Schlussfolgerung. Die Naturgesetze, deren Beschaffenheit und Beziehung aufeinander scheinbar (»als ob … hätte«) von der Urteilskraft für ihre eigenen Zwecke ausgedacht (ersonnen) wurden (und insofern zweckmäßig sind), sind – wie sich zeigen wird – empirische Gesetze (vgl. den »Also«-Satz, 20:216.13–15). Diese nun sollen, weil sie zugleich zweckmäßig zu sein scheinen, »Aehnlichkeit« mit der Existenzbedingung zweckmäßiger Dinge haben, denn Dinge, deren Existenz oder Form »eine Vorstellung dieser Dinge« voraussetzen, wurden vorhin »zweckmäßig« genannt. Dass eine solche Vorstellung aber nur »Grund« der »Möglichkeit« solcher Dinge sein soll, lässt sich wiederum daraus erklären, dass die Begriffe »Daseyn« oder »Existenz« nicht im objektiven Sinne von physischer Gegenwart gebraucht werden, sondern in bloß subjektiver Bedeutung als »Form«. Es folgt der Schlusssatz des Absatzes: »Also denkt sich die Urtheilskraft durch ihr Princip eine Zweckmäßigkeit der Natur, in der Specification ihrer Formen durch empirische Gesetze.« (20:216.13–15) Dass sich die Urteilskraft »eine Zweckmäßigkeit der Natur« bloß »denkt« – und nicht etwa als Naturbestimmtheit objektiv erkennt –, hat wiederum seinen Grund darin, dass sie auf diesen Gedanken erst durch das in Abs. 10 formulierte Prinzip als des Ursprungs des Begriffs von Naturzweckmäßigkeit kommt. Dass die Naturzweckmäßigkeit »in der Specification« der Naturformen gedacht wird, kommt daher, dass die Selbstspezifikation zum Inhalt des subjektiven Prinzips der Urteilskraft gehört (Abs. 10), das zugleich erst den Begriff der Naturzweckmäßigkeit hervorbringt. Was aber hat es mit den »empirische[n] Gesetze[n]« auf sich? Welche Funktion haben sie im Zusammenhang mit der gedachten Zweckmäßigkeit der Natur? Sie können sich schlecht dafür eignen, neben dem Prinzip der Urteilskraft eine weitere Grundlage des Denkens (bzw. Reflektierens) der Urteilskraft zu sein, oder – grammatikalisch gesprochen – die Präposition »durch« kann sich nicht zweimal auf dasselbe Satzsubjekt (die Urteilskraft) beziehen. Aber auch auf das Objekt – die gedachte »Zweckmäßigkeit der Natur« – kann sie sich in Verbindung mit »empirische Gesetze« nicht beziehen, denn dieser Begriff hängt ab vom subjektiven Prinzip der Urteilskraft, d. h. er kann in keinerlei Weise empirischen Ursprungs sein. Der Ausdruck »durch empirische Gesetze« muss sich also auf das Wort »Specification« beziehen, also: Die Natur spezifiziert ihre »Formen« »durch empirische Gesetze.« Da die Spezifikation aber zugleich nach Maßgabe des Begriffs »einer Zweckmäßigkeit der Natur« erfolgen soll (»in der Specification«), muss dies auch auf die in Frage stehenden empirischen Gesetze Auswirkungen haben, und zwar so, dass es um eine spezielle Art solcher Gesetze geht, nämlich um solche, die als Zweckkausalität definiert, aber deswegen auch nur subjektiv gültig sind.
V. Abschnitt: Reflektierende Urteilskraft
147
Im letzten Absatz des fünften Abschnittes nimmt Kant einige zusätzliche Erläuterungen bzw. Einschränkungen zum Resultat in Abs. 11 vor. Sie betreffen den Begriff »einer Zweckmäßigkeit der Natur« als Bedingung der Möglichkeit zweckmäßiger Dinge in der Natur: Nicht die spezifizierten Formen der Natur selbst, sondern lediglich ihr Verhältnis zueinander (ihre logische Beziehung) und damit auch ihre Eignung zu einem »logischen System« werden zweckmäßig gedacht. Das bedeutet, dass diese sich an den Naturformen zeigende Zweckmäßigkeit objektiv unbestimmt ist. Sie ist insofern bloß »logische Zweckmäßigkeit« (20:216.20), als die logische Beziehung der Komparation der Naturformen untereinander nicht bloß logisch im allgemeinen Sinne ist, sondern, wie der »Exkurs« zeigen sollte, logisch unter der transzendentalen Bedingung der Zweckmäßigkeit. Mit dieser logischen Zweckmäßigkeit scheint allerdings noch nicht viel gewonnen zu sein. Zwar gibt sie nach Kant Anlaß zur Bewunderung der Natur, insofern jene Zweckmäßigkeit nicht in den allgemeinen Naturgesetzen (des Verstandes) gegründet sein kann; zu einer solchen Bewunderung wäre ohnehin nur ein »Transscendental-Philosoph« imstande, und sogar dieser wäre in seiner Einsicht beschränkt. Er könnte die Zweckmäßigkeit nur »im Allgemeinen« denken, konkret (an einem »bestimmten Fall«) könnte er sie nicht beweisen.
VI. Abschnitt: Zweckmäßigkeit der Naturformen
EE VI Sechster Abschnitt: »Von der Zweckmäßigkeit der Naturformen als so viel besonderer Systeme«
Gliederung: Erster Absatz: Logische und reale Zweckmäßigkeit der Natur Zweiter Absatz: Absolute Zweckmäßigkeit Dritter und vierter Absatz: Zweckmäßigkeit als Grund besonderer Naturerfahrung
Erster Absatz: Logische und reale Zweckmäßigkeit der Natur Die Überschrift zum sechsten Abschnitt kündigt als Themenstellung einen Zusammenhang zwischen »der Zweckmäßigkeit der Naturformen« und einer unbestimmten Vielheit »besonderer Systeme« an. Im gesamten Text dieses Abschnittes werden aber solche Systeme nicht genau benannt. Der Leser muss im Fortgang der Interpretation erst erschließen, was damit gemeint sein kann. Da es um die »Naturformen« (deren Sinn wir im fünften Abschnitt hinsichtlich Spezifikation und Klassifikation erfasst haben)352 »als« solchen Systemen geht, ist anzunehmen, dass jede einzelne Naturform als System ausgelegt werden kann, und dass es folglich »so viel« besondere Systeme gibt wie an Naturformen gefunden werden können (d. h. im Prinzip unendlich viele). Es ist zu erwarten, dass es sich bei der Zweckmäßigkeit der Naturformen als solchen wohl nicht mehr um eine bloß logische Zweckmäßigkeit handelt, denn von dieser wurde in EE V, 12. Abs., ausdrücklich gesagt, dass durch sie »diese Formen selbst nicht als zweckmäßig gedacht« würden (20:216.16–17). Der erste Satz im ersten Absatz des sechsten Abschnittes wirkt am Anfang syntaktisch etwas verdreht. Er schließt an die Thematik des letzten Absatzes des vorhergehenden Abschnittes unmittelbar an. Bereinigt von der umständlichen Formulierung, besagt er Folgendes: Eine bestimmte »Form der Natur« – nämlich die, die sich aus ihrer Selbstspezifikation ergibt – »enthält eine logische Zweckmäßigkeit« (ist logisch zweckmäßig), und diese besteht in der »Übereinstimmung« besagter Form mit den »subjectiven Bedingungen der Urtheilskraft« als Konstitutionsbedingung eines systematischen Zusammenhangs empirischer Begriffe im »Ganzen einer Erfahrung« (20:217.5–10). Ein solches Erfahrungsganzes ist ein »System empirischer
352
Vgl. Kommentar zu EE V, S. 146 f.
VI. Abschnitt: Zweckmäßigkeit der Naturformen
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Erkenntniß«, zu dem die Selbstspezifikation der Natur notwendige Voraussetzung ist. Dazu heißt es am Satzanfang, die Natur spezifiziere »sich selbst« »in ihren empirischen Gesetzen«. In Abs. 8, V. Abschnitt (20:214.32–215.7), war dagegen von der Spezifikation von Begriffen die Rede gewesen. Zunächst ist klar, dass beide Aussagen einander nicht unbedingt widersprechen müssen: Empirische Gesetze sind, wie es scheint, nicht Gegenstand der Spezifikation, sondern das Medium, in welchem die Spezifikation der Natur insgesamt vonstatten geht. Unter Rückbezug auf die Schlussfolgerung im elften Absatz des fünften Abschnittes (»Specification ihrer Formen durch empirische Gesetze«) (20:216.14–15) kann das »in« am Anfang des ersten Satzes von EE VI, erster Absatz, so gelesen werden, dass die Natur insgesamt (einschließlich der Naturformen) spezifiziert wird mittels empirischer, und zwar zweckmäßiger Gesetze als ihrem jeweiligen Allgemeinen, »in« dem sich bestimmte Formen aufeinander beziehen und Klassen bilden. Allerdings ist daran zu erinnern, dass das »eigentümliche Prinzip der Urteilskraft« in EE V, 10. Abs., (20:216.1–3) die Spezifikation »allgemeine[r] Gesetze zu empirischen« vorsieht (vgl. EE VI, 3. Abs.). Die Spezifikation der Natur (von Naturformen) »in« empirischen Gesetzen scheint also doch die Spezifikation dieser Gesetze selbst einzuschließen. Es ist hilfreich, sich erneut an Kants Unterscheidung zwischen materialer und formaler Natur in der KrV zu erinnern. Wenn schon für die ganze Natur, dann hat auch die Spezifikation derselben für beide Aspekte zu gelten. So gesehen, bedeutet die schwierige Textstelle am Anfang von EE VI, 1. Abs., dass die Natur, indem sie ihre allgemeinen Gesetze zu empirischen Gesetzen spezifiziert (EE V, 10. Abs.) (20:216.1– 3), zugleich sich selbst (formal und material) in bestimmter Weise spezifiziert. Welches sind die »subjektiven Bedingungen der Urteilskraft«, mit denen die logische Zweckmäßigkeit übereinstimmen soll? Sie ergeben sich aus ihrer Funktion, den Zusammenhang empirischer Begriffe im Erfahrungsganzen begründen zu sollen. Dazu gehört das subjektive Prinzip der Urteilskraft selbst, sowie die beiden Erfordernisse, die das Prinzip aussagt: die Spezifikation der allgemeinen Naturgesetze und die »Form eines logischen Systems« (EE V, 10. Abs.), dessen sich die Urteilskraft bedient, d. h. der oben (im Exkurs) näher bestimmten besonderen Logik zur Einteilung empirischer Naturbegriffe. Der zweite Satz des ersten Absatzes (»Nun giebt dieses aber keine Folgerung …«) schränkt den Geltungsbereich des Prinzips der logischen Zweckmäßigkeit ein auf die im ersten Satz erläuterte »Form der Natur«. Denn die Gültigkeit des Prinzips erlaube es nicht, daraus zu folgern, dass sich die Natur auch zu einer »realen Zweckmäßigkeit« qualifiziere. Diese würde nämlich besagen, dass die Natur auch ihre einzelnen Produkte als solche »in der Form von Systemen« hervorbrächte. Zur Begründung behauptet Kant, dass die logische Zweckmäßigkeit den Einzeldingen der Natur erlaube, als »bloße Aggregate« angeschaut zu werden, und das, obwohl sie ihrer Möglichkeit nach von empirischen Gesetzen im Rahmen eines Systems »logischer Eintheilung« abhängen. Denn diese Ermöglichungsbedingung genügt, um einzelne Dinge (Naturprodukte) in die »Form der Natur« systematisch einzubinden. M.a.W. die für die logische Einteilung der Naturformen vorausgesetzte
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Zweckmäßigkeit abstrahiert gerade von den realen Unterschieden (der inhaltlichen Bestimmung) dieser empirischen Formen; auf diese kommt es also, solange nur die logische Form der Zweckmäßigkeit empirischer Naturdinge betrachtet wird, nicht an (vgl. unten, Kommentar zu Abs. 3). Deshalb kann durchaus die reale (›besondere‹) Möglichkeit der einzelnen Dinge auch ohne die Bedingung des Begriffs der Zweckmäßigkeit gedacht werden. Im Anklang an die Auseinandersetzung mit Linnés System der Natur wählt Kant als Beleg für seine These, dass die logische Zweckmäßigkeit im systematischen Zusammenhang empirischer Naturdinge nicht auf die reale Zweckmäßigkeit in den Dingen selbst angewiesen sei, das Beispiel der Mineralogie: »Auf solche Weise sehen wir Erden, Steine, Mineralien u. d. g. ohne alle zweckmäßige Form, als bloße Aggregate, dennoch den innern Charactern und Erkenntnißgründen ihrer Möglichkeit nach so verwandt, daß sie unter empirischen Gesetzen zur Classification der Dinge in einem System der Natur tauglich sind, ohne doch eine Form des Systems an ihnen selbst zu zeigen.« (20:217.18–24) Die Klassifizierbarkeit jeglicher Art von Dingen der Natur (gleichgültig ob sie organisch oder anorganisch, belebt oder unbelebt sind) hängt – wie wir bereits im fünften Abschnitt (Abs. 9) bemerkt haben – von ihrer »Verwandtschaft« mit gewissen anderen Dingen und darüber hinaus vom Prinzip der »Angemessenheit zum Vermögen der Urteilskraft« ab (vgl. EE V, 9. Abs.) (20:215.18–24). Dabei kommt es – wie hier auf Gesteine und Mineralien bezogen – auf die »zweckmäßige Form« der Dinge selbst (die es wohl geben mag) nicht an. Auch unter der Voraussetzung, dass sie »als bloße Aggregate« betrachtet werden, lässt sich, so scheint Kant zu behaupten, eine Affinität unter ihnen feststellen, und zwar aufgrund ihres »innern Character[s]« und des Erkenntnisgrundes ihrer »Möglichkeit« (20:217.20–21). Was bedeutet dieses? Da es auf die aus ihnen selbst heraus geschaffene zweckmäßig-systematische Form der Dinge selbst nicht ankommen soll, muss ihr ›innerer Charakter‹ auf etwas anderem beruhen, und das kann nur eine Baukonstruktion sein, die geeignet ist, mit dem subjektiven Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur verbunden zu werden, d. h. die (notwendige) Angemessenheit des inneren Baus (der Konstruktion) mit dem Prinzip der Zweckmäßigkeit, durch das die Urteilskraft die empirische Natur einteilt und ordnet, und das zugleich Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung »als einem System empirischer Erkenntniß« (EE VI, 1. Abs.) ist. In der KrV hat Kant den Begriff des »Character[s]« mit dem Gesetz der Kausalität in Zusammenhang gebracht (B 567 / A 539). An jeder äußeren Erscheinung tritt eine Wirkung hervor, die auf eine Ursache verweist, die selbst nicht Erscheinung, sondern intelligibel ist. Das, was diese Ursache ausmacht, was sie zur Ursache bestimmt, d. i. das Gesetz der Kausalität, ist ihr »Charakter«. Dieser kann wiederum unterschieden werden in »empirischen« und »intelligiblen Charakter«. Der empirische Charakter besteht aus der äußeren kausalen Verknüpfung zwischen den Wirkungen von Erscheinungen (so dass also auch die Ursache empirischen Charakter annimmt, KrV, B 577), die dadurch zu Gliedern »einer einzigen Reihe der Naturordnung« werden. Der intelligible Charakter hingegen bezeichnet nur die intelligible
VI. Abschnitt: Zweckmäßigkeit der Naturformen
151
Ursache, deren Wirkung in die Erscheinung tritt. Sie ist unabhängig von Bedingungen der Sinnlichkeit, insbesondere der Zeit, also auch von den Wirkungen der übrigen Erscheinungen, mit denen sie kausal verbunden ist. Weil jedoch der intelligible Charakter der Ursache selbst nicht Erscheinung sein soll, kann er streng genommen nicht gewußt, nicht erkannt werden, aber es ist notwendig, ihn als Grund der Wirkung in der Erscheinung zu denken (KrV, B 568 / A 540). Der Begriff des intelligiblen Charakters einer Erscheinung oder eines Naturwesens, wird von Kant so bestimmt, dass daraus folgt, dass in ein und denselben Handlungen solcher Wesen, »Freiheit und Natur, jedes in seiner vollständigen Bedeutung« »zugleich und ohne allen Widerstreit angetroffen werden« (B 569 / A 541). Dies wird dadurch möglich, dass man von einem solchen Wesen sagen kann, »daß es seine Wirkungen in der Sinnenwelt von selbst anfange, ohne daß die Handlung in ihm selbst anfängt« (ebd.; vgl. B 579–581). Dies ist übrigens der sachliche Grund dafür, dass Kant in der KU öfters darauf hinweist, dass bestimmte Kräfte in der Natur, die als Ursache von Entstehung und Vergehen von Lebewesen angenommen werden, unerfahrbar, unergründbar sind und nicht gewußt werden können. Dass das nicht möglich ist, liegt nicht etwa daran, dass die konkreten Bestimmungen einzelner solcher Kräften empirisch nicht verifizierbar wären, sondern daran, dass das, was Kant ihren intelligiblen Charakter nennt (das Ursachenprinzip), prinzipiell der sinnlichen Erfahrung entzogen ist. (Nicht die Bildungskraft als Bildungskraft z. B. ist unergründbar, sondern die Bildungskraft als Ursache, d. h. ihr intelligibler Charakter).353 Legen wir dieses Ergebnis unserer Interpretation des ersten Absatzes von EE VI der KU zugrunde, so kann der »innere Charakter« nicht bloß empirisch sein. Denn daraus allein würde sich keine Eignung der Dinge der Natur zur Klassifikation »in einem System der Natur« ergeben können. Natur und Freiheit müssen m.a.W. an ein und demselben Ding zugleich gedacht werden können, damit es in ein System der Natur eingeordnet werden kann. Nun muss man allerdings berücksichtigen, dass der Systembegriff (und damit auch der der Wissenschaft) selbst zufolge der Architektonik der reinen Vernunft in der KrV Verwandtschaft und die Ableitung der Glieder eines Ganzen von »einem einzigen obersten und inneren Zweck« voraussetzt (B 861 / A 834), obzwar nur als regulative Idee, nicht als konstitutive Bedingung von Erkenntnis im prägnanten Sinne.
353 KrV, B 574 scheint diesen intelligiblen Charakter von der tierisch-belebten Natur auszuschließen. Aber man muss auch hier den Text nur genau lesen, um die Irritation aufzulösen: der »leblosen, oder bloß tierisch-belebten Natur« wird an der bezeichneten Stelle der KrV nur der »Grund« abgesprochen, ihr ein nicht sinnlich bedingtes, dem menschlichen ähnliches »Vermögen« (Verstand oder Vernunft) beizulegen. Ein intelligibler Charakter dagegen muss jedem Ding der Natur überhaupt zugesprochen werden können, das überhaupt auf irgendeine Weise eine Wirkung entfaltet. Denn das ist die allgemeine Bedingung jeder Wirkung in der Erscheinung. S. auch KrV, B 577–585!
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Man sollte daher den »innern Character[]« und die Verwandtschaft »bloße[r] Aggregate«, von denen Ende des ersten Absatzes von EE VI gesagt wird, sie würden »ohne alle zweckmäßige Form« wahrgenommen, nicht so interpretieren, dass dabei der Gesichtspunkt eines Zwecks gar keine Rolle spiele. Das Gegenteil ist der Fall: Verwandtschaft unter Naturdingen jeglicher Art und damit auch ihre Fähigkeit in ein »System der Natur« eingeordnet werden zu können, kann nur angenommen werden unter der Bedingung ihrer Beziehung auf ein Zweckprinzip.
Zweiter Absatz: Absolute Zweckmäßigkeit Die Interpretation des zweiten Absatzes wirft direkt am Anfang die Frage nach dem argumentationslogischen Zusammenhang mit der Schlussbetrachtung des vorangegangenen Absatzes auf: »Ich verstehe daher unter einer absoluten Zweckmäßigkeit der Naturformen diejenige äußere Gestalt, oder auch den innern Bau derselben, die so beschaffen sind, daß ihrer Möglichkeit eine Idee von denselben in unserer Urtheilskraft zum Grunde gelegt werden muß.« (20:217.24–27) Der argumentationslogische Zusammenhang wird durch das Wort »daher« angezeigt und drängt zur Klärung der Bedeutung und Funktion der »absoluten Zweckmäßigkeit«. Wenn diese von der logischen Zweckmäßigkeit unterschieden werden muss und wenn sie nun doch die »äußere Gestalt«, ja den inneren Gliederbau der Naturformen charakterisieren soll, dann stellen sich vor allem zwei Fragen: Erstens, woraus folgt diese Behauptung eigentlich? Und zweitens, wie ist sie in Einklang zu bringen mit der Behauptung des ersten Absatzes, dass Naturdinge wie Gesteine »als bloße Aggregate« (als zufällige Ansammlung), »ohne alle zweckmäßige Form« dennoch in ihrem Verhältnis zueinander als miteinander ›verwandte‹ Dinge erkannt werden? Der erste Absatz scheint eine klare Absage an eine reale Zweckmäßigkeit in den Naturprodukten, soweit sie aus der logischen gefolgert werden könnte, zu enthalten: es »dürfte« zur »besondern Möglichkeit« kein »eigentlich darauf angestellter Begriff, als Bedingung« dieser Möglichkeit, d. h. keine derselben »zum Grunde liegende Zweckmäßigkeit der Natur, angenommen werden« (!). Dem scheint in Abs. 2 Kants ausdrückliche Erklärung zu widersprechen, dass der Möglichkeit der »äußere[n] Gestalt« bzw. dem »innern Bau« der Naturformen notwendigerweise eine Idee davon (welche doch ein Begriff in der Urteilskraft ist) zum Grunde liegt. Das ist es, was Kant hier (und nach meiner Kenntnis an keiner anderen Stelle in der KU) »absolute Zweckmäßigkeit« nennt. Die Einführung und Erklärung dieses Begriffs von Zweckmäßigkeit hat ihren Grund darin (und das erklärt das »daher«), dass den Dingen selbst keine zweckmäßige Form anzusehen ist (sie kann nicht empirisch angeschaut werden).354 Für
354
Andererseits muss sie es doch (s. u. Kommentar zum dritten und vierten Absatz).
VI. Abschnitt: Zweckmäßigkeit der Naturformen
153
die Anschauung zeigen sie sich nur als Aggregate. Trotzdem ist nach Kant von den »innern Charactern« solcher Naturdinge auf ihre Tauglichkeit zu einem »System der Natur« zu schließen, so dass eine solche »absolute Zweckmäßigkeit« angenommen werden kann und muss. Da diese aber eben nur für die reflektierende Urteilskraft (und nicht an sich) gelten kann, liegt darin dann noch kein Widerspruch, wenn zugleich ihre Unerkennbarkeit an den Dingen behauptet wird. Im Fortgang des Textes des zweiten Absatzes wird sich sogar zeigen, dass Kants Erklärung geradezu darauf abzielt, auf der Verträglichkeit beider Betrachtungsweisen der Natur zu insistieren. Welchen Erklärungswert hat aber der »Denn«-Satz in bezug auf die absolute Zweckmäßigkeit? Inwiefern stützt sie Kant darauf, dass die Zweckmäßigkeit »eine Gesetzmäßigkeit des Zufälligen als eines solchen« sei? »Zufällig« können nur die empirischen Einzeldinge genannt werden, insofern sie nicht durch die allgemeinen Gesetze des Verstandes determiniert sind. Um jedoch in das System der besonderen Natur integriert werden zu können, müssen sie irgendeiner Gesetzmäßigkeit unterliegen. Da diese aber nicht objektiv bestimmend sein kann, muss es eine subjektive, regulierende sein, und das ist das Prinzip der Zweckmäßigkeit der reflektierenden Urteilskraft. Diese Gesetzmäßigkeit lässt die Zufälligkeit empirischer Naturformen bestehen. Das bedeutet, dass die Natur wahlweise die Möglichkeit erhält, sich zu ihren Produkten in zweifacher Weise zu verhalten und dementsprechend ihren eigenen Charakter zu verändern. Sie kann nämlich, sofern sie als »bloße Natur« (d. i. Natur überhaupt) betrachtet wird, so dass ihre Erzeugnisse als Aggregate erscheinen, mechanisch verfahren. Sofern sie aber »zugleich als Kunst« angesehen wird, ist ihre Produktionsweise technisch. Für ihre Erzeugnisse bedeutet dies dann, dass sie nicht als Aggregate, sondern als Systeme gelten. Als Beispiele dafür werden genannt: »Cristallbildungen, allerley Gestalt der Blumen, oder dem innern Bau der Gewächse und Thiere« (20:217.31–32). Die Unterscheidung zwischen technischer und mechanischer Wirkungsweise, zwischen System und Aggregat ist an mehreren Stellen des Kommentars bereits erläutert worden. An der gegenwärtig betrachteten Stelle (EE VI, 2. Abs.) ist deshalb der Gesichtspunkt zu beachten, dass der skizzierte Unterschied nur in einem eingeschränkten Sinne Gültigkeit besitzt: »Der Unterschied dieser beyderley Arten die Naturwesen zu beurtheilen, wird blos durch die reflectirende Urtheilskraft gemacht, die es ganz wohl kann und vielleicht auch muß geschehen laßen, was die bestimmende (unter Principien der Vernunft) ihr, in Ansehung der Möglichkeit der Objecte selbst, nicht einräumte und vielleicht alles auf mechanische Erklärungsart zurückgeführt wissen möchte […].« (20:217.32–218.6) Nicht von der Natur »an sich«, aber auch nicht von der objektiv bestimmten Natur als Erscheinung gilt der Unterschied, sondern für sie nur aus der subjektiven Sichtweise der reflektierenden Urteilskraft betrachtet. Er gilt nur hinsichtlich der Beurteilung der Naturprodukte. Der spezifische Akt des Reflektierens der Urteilskraft, mit dem kein Anspruch auf die Bestimmung eines Objekts verbunden ist,
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
ermöglicht es ihr, der Natur die Wahl ihrer Mittel (Technik oder Mechanik) selbst zu überlassen. Während die bestimmende Urteilskraft aufgrund ihrer Funktion die Naturerklärung determiniert, verfährt die reflektierende frei, insofern sie der Natur (i.e.: »ihr«) alternative Möglichkeiten »einräumt«. Zu dieser Freizügigkeit ist die reflektierende Urteilskraft einerseits vermögend, andererseits verbunden (sie »kann« und »muß« es »geschehen lassen«). (Das Können bezieht sich in dem zuletzt zitierten Satz auf das »geschehen lassen«, nicht auf das Unterscheiden, da der auf die reflektierende Urteilskraft bezogene Relativsatz einerlei Objekt hat, nämlich »es«, d. i. das Einräumen einer Wahlfreiheit). Dass die Urteilskraft aber sogar aus Notwendigkeit die Beurteilungsweise der Natur offen lässt, folgt aus der Natur ihrer eigenen Tätigkeit, die nicht dafür vorgesehen ist, an den Objekten der Natur etwas begrifflich zu bestimmen. Der letzte Nebensatz des zweiten Absatzes beginnt mit einem begründenden »denn«. Die Begründung sagt aus, dass die mechanische »Erklärung« einer Naturerscheinung durch die Vernunft »nach objectiven Principien« und die technische »Beurtheilung« »nach subjectiven Principien der Reflexion« ein und desselben Gegenstandes miteinander verträglich sind (20:218.6–10). Ihr Nebeneinanderbestehen soll darauf beruhen, dass das Erklären genaugenommen (wenn man Kants üblicherweise in der KU benutzten Unterscheidung zwischen Erklären und Beurteilen folgt)355 von objektiven Verstandesbestimmungen abhängt, die (wie bereits mehrfach dargelegt), ein Objekt nur hinsichtlich seiner allgemeinen Form bestimmt, von den zufälligen empirischen Eigenschaften (den spezifischen Merkmalen) aber gerade abstrahiert. Im Unterschied dazu erfolgt die Beurteilung durch die reflektierende Urteilskraft nach dem subjektiven Prinzip der Zweckmäßigkeit in Hinsicht auf das Besondere eines Gegenstandes, dessen Bestimmung sie aber offen lässt. Der Unterschied in der Art der Prinzipien (subjektiv bzw. objektiv) ist es also, der die Erklärung und die Beurteilung desselben Gegenstandes, und zwar zum einen unter dem Aspekt seiner Allgemeinheit, zum anderen unter dem Aspekt seiner Besonderheit ohne Widerspruch nebeneinander bestehen lässt. Was aber wird eigentlich mit dem »Denn«-Nebensatz begründet? Die Begründung richtet sich offenbar auf die Unterscheidung der beiden Beurteilungsweisen natürlicher Gegenstände durch die reflektierende Urteilskraft. Aber ist die Begründung auch stichhaltig? Was macht die Urteilskraft eigentlich, wenn sie die Natur auf mechanische Weise als Aggregat beurteilt, das doch zugleich durch objektive Prinzipien mechanisch bestimmt (erklärt) wird?356 Kant beschreibt
Oder »Erklären« heißt hier etwas anderes, nämlich Reflektieren auf der Grundlage einer »Idee«, die die Vernunft als objektives Prinzip liefert, aber von der Urteilskraft benutzt wird. 356 Es wird im Kontext der KU – soweit ich sehe – nicht klar, was »mechanisch« im Hinblick auf die reflektierende Urteilskraft im Unterschied zur entsprechenden Verstandesbestimmung der Kausalität genau heißen soll (Naturkausalität ohne Freiheit setzt stets die Kategorie 355
VI. Abschnitt: Zweckmäßigkeit der Naturformen
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das Reflektieren der Urteilskraft über Naturdinge in der Regel nur als systematisches Ordnen nach subjektiven Prinzipien. Es bleibt ihr im Grunde nur übrig, das empirisch Zufällige an einem Gegenstand, von dem der Verstand abstrahiert, unter dem Aspekt eines bloß mechanischen (d. h. nicht systematischen) Zusammenhangs zu reflektieren. Das aber widerspricht sich selbst. Denn die Aufgabe der reflektierenden Urteilskraft besteht wesentlich darin, das vom Verstand unbestimmt gelassene empirisch Zufällige allgemein unter eine systematische Einheit nach Prinzipien der Zeckmäßigkeit zu bringen. Die mechanische Beurteilung kann sich dann eigentlich nur darauf beziehen, dass sich die Urteilskraft ihrer Funktion des Reflektierens schlechthin enthält und es bei der rein subjektiven Verstandesbestimmung mittels der Kausalitätskategorie belässt. Unter diesem Gesichtspunkt macht dann die Aussage des begründenden »denn«-Nebensatzes auch Sinn: Die Unterscheidung zwischen mechanischer Erklärung und technischer Beurteilung ermöglicht aufgrund ihres widerspruchsfreien Nebeneinanderbestehens die Wahlfreiheit der Urteilskraft zwischen zwei »Arten, die Naturwesen zu beurteilen«, nämlich der mechanischen und der technischen, – dies aber mit der sachlichen, obgleich vielleicht unerwünschten Konsequenz, dass das mechanische Beurteilen einer Urteilsenthaltung vonseiten der reflektierenden Urteilskraft gleichkommt.
Dritter und vierter Absatz: Zweckmäßigkeit als Grund besonderer Naturerfahrung In den letzten beiden Absätzen des sechsten Abschnittes wird versucht, die Zweckmäßigkeit besonderer Naturerfahrung und die Zweckmäßigkeit besonderer Naturgesetze auf einen einheitlichen »Grund« (der nicht konkret benannt wird) zurückzuführen. Der dritte Absatz (20:218.11–21), der aus einem einzigen, in sich verdrehten Satz besteht, bedarf einer Zergliederung mit Hilfe einer Satzgrafik. Diese reicht jedoch allein nicht aus, um eine klare Satzgliederung aufzuzeigen. Die Pronomen und andere Bezugswörter lassen sich nicht in jedem Einzelfalle eindeutig zuordnen. Liest man den Satz in der hier vorgeschlagenen Reihenfolge der von [1] bis [6] durchnummerierten Satzglieder (ohne die Nebensätze), so erschließt sich der Gedankengang des Hauptsatzes nicht ohne Zuhilfenahme der vor der geschweiften Klammer stehenden Nebensätze.
der Kausalität voraus). Es könnte bedeuten, dass besondere Abkömmlinge der allgemeinen Kausalität in Form empirischer Gesetze der Natur von der Urteilskraft benutzt werden, und zwar nach der Maxime des Mechanismus (der Wirkkausalität).
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
[1] Ob nun zwar das Princip der Urtheilskraft von der Zweckmäßigkeit der Natur in der Specifikation ihrer allgemeinen Gesetze keineswegs sich so weit erstreckt, [2] um daraus auf die Erzeugung an sich zweckmäßiger Naturformen zu schließen, [2.1] (weil auch ohne sie das System der Natur nach empirischen Gesetzen,
}
[2.1a] welches allein die Urtheilskraft zu postuliren Grund hatte, / [2.1.1] möglich ist), / [2.2] und diese lediglich durch Erfahrung gegeben werden müssen: [3] so bleibt es doch, [3.1] weil wir einmal der Natur in ihren besondren Gesetzen ein Princip der Zweckmäßigkeit unterzulegen Grund haben, [4] immer möglich und erlaubt, [4.1] wenn uns die Erfahrung zweckmäßige Formen an ihren Producten zeigt, [5] dieselbe eben demselben Grunde, [5.1] als worauf die erste beruhen mag, } [6] zuzuschreiben.
}
}
Satzgrafik Nr. 2
Mehrfach ist in dem grafisch dargestellten Satz von einem »Grund« die Rede, und zwar in den Gliedern [2.1a], [3.1], [5] und (implizit) [5.1]. Deshalb ist an den betreffenden Stellen auch zu überlegen, ob diese Bezeichnung überhaupt in einheitlicher Bedeutung verwendet wird. In den ersten beiden Satzgliedern ([1], [2]) wird dasjenige Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur wieder aufgenommen, das im fünften Abschnitt (10. Abs.) (20:216.1–3) als der Urteilskraft »eigenthümlich[]« formuliert worden ist, und nun erneut (wie bereits in EE V, 12. Abs.) (20:216.16–19) in ihrem Geltungsbereich eingeschränkt wird. Die Beschränkung betrifft die Reichweite der Spezifikation allgemeiner Naturgesetze; sie darf sich nicht auf die Hervorbringung von Naturformen, insofern sie »an sich« zweckmäßig sind, erstrecken. Die Betonung muss hier auf dem Ansich liegen. Denn dass Naturformen als zweckmäßig erzeugt durch die Urteilskraft gedacht werden können müssen, gehört nun eben gerade zu den Grün-
VI. Abschnitt: Zweckmäßigkeit der Naturformen
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den, die für Kant ausschlaggebend sind, um das Konzept einer Kritik der Urteilskraft auszuführen. Der nachgestellte Nebensatz in Klammern ([2.1], [2.1.1]) enthält, sichtbar gemacht durch das einleitende »weil«, eine Begründung für die angegebene Beschränkung: »auch ohne sie«, d. h. ohne die »an sich« zweckmäßigen Naturformen (aber nicht gänzlich ohne sie) sei dasjenige »System der Natur« möglich, das sich auf empirische Gesetze stützt. Und dass »ohne sie« das System der empirischen Natur Bestand haben kann, liegt zugleich daran, dass die Urteilskraft mit »Grund« ein solches System postuliert ([2.1 a]). Was bedeutet das? Welcher Grund wird der Urteilskraft hier zugeschrieben? Die Antwort muss an früherer Stelle im Text zu finden sein. Sie ist im fünften Abschnitt (6.bis 9. Abs.) (20:213.23–215.31) auch gegeben worden. Der »Grund«, den die reflektierende Urteilskraft dafür angeben kann, sich ein »System der Natur nach empirischen Gesetzen« zu denken, ist zunächst kein objektiver Grund zur Bestimmung von Naturgesetzen (vgl. EE V, 6. Abs.). Er liegt vielmehr in ihrer eigenen Natur, d. h. in ihrem eigenen subjektiven Gesetz (das ihr zugleich »Bedürfnis« ist), über die Natur in Übereinstimmung mit ihrem Prinzip der Zweckmäßigkeit zu reflektieren (vgl. EE V, 6. Abs.). Um dieser Aufgabe nämlich gerecht werden zu können, muss sie voraussetzen, dass die Natur selbst in ihren empirischen Gesetzen systemkonform organisiert ist (ebd., 9. Abs.) (20:215.14 ff.). Zugleich ist an der betreffenden Stelle (EE V, 6. Abs.) eben auch gezeigt worden, dass dieses System der Natur gerade wegen des subjektiven Charakters des Zweckmäßigkeitsprinzips auch ohne eine gedachte »Erzeugung an sich zweckmäßiger Naturformen« möglich ist ([2], [2.1]). Wenngleich es weder notwendig noch möglich ist, vom Prinzip der Urteilskraft auf an sich existierende zweckmäßige Formen der Natur zu schließen, so ist es doch notwendig, darauf zu schließen, dass solche Formen »durch Erfahrung gegeben werden.« Das soll heißen, dass sich die Natur selbst (als objektive, material gedachte Natur) in unserer Erfahrung zweckmäßig präsentiert ([2.2], [4.1]). Welchen »Grund« haben wir, der besonderen Natur »ein Princip der Zweckmäßigkeit unterzulegen ([3.1])? Und was ermöglicht und »erlaubt« dieser Grund ([4])? Es scheint mehr als nur eine Antwort denkbar zu sein. Aber der Hauptgrund besteht doch wohl darin, dass wir der Natur ein Prinzip der Zweckmäßigkeit zugrunde legen, weil ihre besonderen (empirischen) Gesetze von den allgemeinen Verstandesgesetzen nicht ableitbar sind, und weil sie dennoch zum System der Naturerkenntnis gehören sollen. Um die Frage nach der Ermöglichung und Erlaubnis beantworten zu können, ist es notwendig, die Bezugswörter in den letzten Satzpartikeln ([5], [5.1]) zu klären. Wenn die Satzkonstruktion grammatisch nicht zu beanstanden ist, dann kann das Bezugswort von »dieselbe« ([5]) eigentlich nur »die Erfahrung« sein, und diese ist Erfahrung »zweckmäßige[r] Formen«. Ansonsten wäre es sachlich auch möglich, hinter »dieselbe« die Zweckmäßigkeit zu vermuten, die ja die Leitidee des ganzen Absatzes ist. Welcher Grund aber ist hier (in [5]) gemeint, dem die Erfahrung zweckmäßiger Formen zugeschrieben werden können soll? Er soll jedenfalls mit
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
demjenigen Grund identisch sein, auf dem »die erste beruhen mag« ([5.1]). Was aber ist »die erste«? Eine Unbekannte verweist auf eine andere Unbekannte. Das Bezugswort zu »die erste« muss dem Bezugswort zu »dieselbe« – also der »Erfahrung zweckmäßige[r] Formen« – im Satz voranstehen. Der dem Satzende am zweitnächsten stehende Ausdruck, der mit dem Wort »Grund« verbunden ist, steht in dem mit »weil« beginnenden kausalen Nebensatz ([3.1]) und ist die »Natur in ihren besondren Gesetzen«. Nach Maßgabe dieses Lesevorschlages, der am wahrscheinlichsten ist (es sei denn, dass man bereit ist, Eingriffe in den Text zu erlauben und etwa das »dieselbe« in [5] in den Plural umzuwandeln), können wir das Ende des Satzes so lesen, dass es besagt: Die Erfahrung zweckmäßiger Formen an den Produkten der Natur ist genau demjenigen Grund »zuzuschreiben«, auf dem auch die »Natur in ihren besondren Gesetzen« ([3.1]) »beruhen mag«. Was der »Grund« aber genau ist, erfahren wir nicht, bis auf den vagen (und dennoch für das Folgende wichtigen) Hinweis am Anfang des vierten Absatzes, dass er »im Übersinnlichen« liege.357 Den »Grund« in [3.1] haben wir weiter oben so ausgelegt, dass er ein Argument dafür enthält, der besonderen Natur ein Prinzip der Zweckmäßigkeit zugrunde zu legen. Und das Argument bestand darin, dass ohne dieses Prinzip die geforderte systematische Einheit von Natur bzw. Erfahrung nicht möglich sei. Dasselbe Argument kann nun aber auch dafür verwendet werden, die Erfahrung, die uns »zweckmäßige Formen« an den Naturprodukten »zeigt«, zu begründen. Denn eine solche Erfahrung bliebe immer singulär und zufällig, wenn es nicht ein allgemeines, alle solche Einzelerfahrungen verbindendes Prinzip a priori gäbe, das hinreichende Grundlage ihrer systematischen Einheit ist, d. h. wenn es kein Prinzip a priori der Zweckmäßigkeit der Natur gäbe. Nachdem wir nun eine wenigstens naheliegende Interpretation dessen ausgearbeitet haben, was »immer möglich und erlaubt« ist ([4]), bleibt noch zu fragen, was diese Ermöglichung bzw. Erlaubnis eigentlich bedeutet. Im Kontrast zur bestimmenden Urteilskraft lässt die reflektierende es zu, dass die technische neben der mechanischen Beurteilung der Naturwesen bestehen kann, und diese Möglichkeit beruht auf dem Unterschied zwischen mechanischer Erklärung und technischer Beurteilung. Das war in EE VI (2. Abs.) behauptet worden. Die technische Beurteilung eines Naturwesens ist also insofern frei, als dessen mechanische Bestimmung sie gar nicht berührt. Diese Einsicht können wir uns bei der Lösung des Interpretationsproblems am Ende des dritten Absatzes zunutze machen. Unter der Bedingung, dass »uns die Erfahrung zweckmäßige Formen« an einem Produkt der Natur »zeigt«, soll es immer – d. h. auch dann, wenn dieses Produkt bereits mechanisch bestimmt ist – für die erkannte Zweckmäßigkeit einen Grund geben.
357
Vgl. dazu E I, 7. Abs. (5:173.26–36); vgl. insbesondere E II, 9. Abs. (5:175.36–176.15).
VI. Abschnitt: Zweckmäßigkeit der Naturformen
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Im vierten Absatz wird versucht, den Vorteil oder Nutzen des zuletzt in Erwägung gezogenen ›Grundes‹ zu verdeutlichen, wobei zunächst seine Bedeutung relativiert wird. Der ›Grund‹ ist nämlich in der Natur selbst gar nicht zu finden; denn er liegt jenseits aller Erfahrung, »im Übersinnlichen«. Das macht ihn auch nicht näher bestimmbar; er ist und bleibt ein unbestimmter Grund schlechthin. Für das Übersinnliche gibt es bei Kant mehrere Deutungsmöglichkeiten, die an dieser Stelle Verwendung finden könnten, z. B. die der Freiheit.358 Sie können aber hier nicht näher erläutert und diskutiert werden. Mit Blick darauf, dass das Übersinnliche in EE VI (4. Abs.) (20:218.22–32) als allgemeiner Grund der Ermöglichung einer zweckmäßigen Beurteilung von Naturprodukten neben ihrer mechanischen Erklärung fungiert, scheint mir der Hinweis auf § 78 der KU naheliegend zu sein, da es darin nämlich um die Frage der Vereinigung des »Prinzips des allgemeinen Mechanismus der Materie« mit dem teleologischen Prinzip in der Technik der Natur geht, und wo das Übersinnliche als das gemeinschaftliche Prinzip (der gemeinsame Grund) beider Maximen auftritt, von dem zugleich in aller Deutlichkeit gesagt wird, dass wir uns von ihm »nicht den mindesten bejahend bestimmten Begriff machen« können (KU, § 78, 3. Abs.) (5:412.36–37). D. h. das Übersinnliche ist bloß ein ganz unbestimmter Grund der Einheit verschiedener Beurteilung der Natur. Und weil es das Unbestimmte ist, kann Kant darüber auch nicht viel mehr sagen. Trotz der Unbestimmtheit und Übersinnlichkeit des Grundes der Erfahrung zweckmäßiger Formen an den Naturprodukten kann im vierten Absatz ein positives Fazit aus den Betrachtungen im sechsten Abschnitt gezogen werden. Der Gewinn, den Kant sieht, besteht darin, »daß wir für die sich in der Erfahrung vorfindende Zweckmäßigkeit der Naturformen ein transcendentales Princip der Zweckmäßigkeit der Natur in der Urtheilskraft in Bereitschaft haben […].« (20:218.24–27) Man könnte wegen dieser Ausdrucksweise fast sagen, dass hier glücklicherweise zwei verschiedene Umstände aufeinandertreffen, die zusammen passen sollen: von der Erfahrung für eine Beurteilung dargebotene zweckmäßige Naturformen (die möglicherweise entdeckt werden) und ein in der Urteilskraft lauerndes Prinzip, das auf die Gelegenheit wartet, sich an der Beurteilung solcher Naturformen versuchen zu können, um ihre Zweckmäßigkeit zu bestätigen. Eine Verständnisschwierigkeit, die hier auftritt, betrifft den Gebrauch des Begriffs der Erfahrung, in der sich die Zweckmäßigkeit vorfinde (oder gemäß des vorigen Absatzes zeige). Dieser Begriff kann erst im Zuge der Kommentierung des siebten Abschnittes genauer geklärt werden, denn dort soll explizit die Frage beantwortet werden, wie die Technik der Natur – entsprechend Kants Lehre – an den Naturprodukten wahrgenommen werden könne (vgl. EE VII, 2. Abs.) (20:219.29– 30). Im Vorgriff darauf lässt sich aber bezüglich des im vierten Absatz von EE VI verwendeten Erfahrungsbegriffs doch sagen, dass er nicht dieselbe Bedeutung haben kann wie der in der KrV konstituierte Begriff konstitutiver Erfahrung der Natur. Erfahrung ist in der KU keine objektive Erkenntnis von Gegenständen der Natur. 358
Vgl. E IX, 1. bis 2. Abs. (5:195–196).
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Denn die Zweckmäßigkeit, die sie zu erkennen gibt, wird nicht durch Begriffe a priori erklärt oder bestimmt, sondern bloß beurteilt; sie ist kein objektives, sondern bloß ein subjektives Prinzip (vgl. EE VI, 2. Abs.). Das gilt in letzter Konsequenz auch und vor allem für Dinge, sofern sie Naturzwecke sind (vgl. EE IX). Wenn also unter Erfahrung hier nicht eine solche im vollwertigen Sinne zu verstehen ist, dann ist damit offenbar eine empirische Wahrnehmung gemeint, zu der dann noch eine spezifische Leistung der Urteilskraft (das Reflektieren) hinzuträte. Das transzendentale Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur, welches die Urteilskraft bereitstellt, ist in seiner Reichweite beschränkt. Es kann die Möglichkeit zweckmäßiger Naturformen nicht erklären; aber aus dem am Ende des dritten Absatzes bezeichneten Grunde »erlaubt« es, den Begriff der Zweckmäßigkeit »auf Natur und ihre Gesetzmäßigkeit anzuwenden« (20:218.28–30). Anwenden bedeutet hier aber nicht zugleich ›Bestimmen‹. Denn der Begriff der Zweckmäßigkeit kann erklärtermaßen »kein objektiver Naturbegriff« (keine Kategorie) sein. Aus dem gleichen Grunde wird die »Gesetzmäßigkeit« der Natur nicht ihre allgemeinen Naturgesetze betreffen können, sondern nur empirische. Was bedeutet es aber, wenn es am Schluß des sechsten Abschnittes von eben diesem Begriff heißt, er sei »blos vom subjectiven Verhältnisse« der Natur zu einem »Vermögen des Gemüths hergenommen« (20:218.31–32)? Das nicht näher bezeichnete Gemütsvermögen kann strenggenommen nur das der Urteilskraft korrespondierende Gefühl der Lust und Unlust sein.359 Wie sich darauf aber Natur beziehen können soll, so dass Zweckmäßigkeit der Natur als deren subjektives Verhältnis zueinander resultiert, ist hier nicht einmal so weit angedeutet, dass darüber spekulative Überlegungen angestellt werden könnten. Der sechste Abschnitt hatte – wie am Anfang des folgenden Abschnittes rückblickend noch einmal erinnert wird – die Aufgabe zu zeigen, dass und wie die Urteilskraft es ermöglicht, an der Natur neben der mechanischen Kausalität bzw. eines Aggregates auch eine Zweckmäßigkeit bzw. eine Technik zu denken. Diese Aufgabe ist insgesamt gesehen zwar gelöst worden, aber doch nur so, dass der Anteil der übriggebliebenen ungeklärten oder nicht eindeutig beantworteten Fragen, relativ hoch ist.
Nach der Satzstruktur beurteilt, ist dies nicht zwingend. Das Gemütsvermögen kann auch ganz allgemein die reflektierende Urteilskraft bezeichnen. Laut den in EE XI, 9. Abs. (20:245.7–11), und am Ende von E IX (5:198) aufgestellten ›Tafeln‹ bildet das Gefühl der Lust und Unlust das mittlere aller Vermögen des Gemüts. Die Urteilskraft hingegen gehört dem oberen Erkenntnisvermögen an. 359
VII. Abschnitt: Technik der Urteilskraft
EE VII Siebter Abschnitt: »Von der Technick der Urtheilskraft als dem Grunde der Idee einer Technick der Natur«360 → EE IX
Gliederung: Erster Absatz: Der Gegensatz von Mechanik und Technik der Natur Zweiter bis vierter Absatz: »Wie läßt sich die Technick der Natur an ihren Producten wahrnehmen?« Fünfter und sechster Absatz: Ästhetisches und teleologisches Reflexionsurteil
Erster Absatz: Der Gegensatz von Mechanik und Technik der Natur Der siebte Abschnitt handelt laut seiner Überschrift auch wieder von einem »Grund«, und zwar hier dem der »Technick der Urtheilskraft« in Bezug auf die »Idee einer Technick der Natur«. Wir werden also untersuchen müssen, was »Technick« in dem jeweiligen Kontext besagt und was »Grund« im Verhältnis beider Techniken zueinander bedeutet. Der erste Absatz rekapituliert, wie bereits erwähnt, die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchungen in dem vorangegangenen Absatz des sechsten Abschnittes. Es wird daran erinnert, dass ohne die Voraussetzung der Zweckmäßigkeit der Natur keine »systematische Einheit in der durchgängigen Classification besonderer Formen nach empirischen Gesetzen« möglich wäre (20:219.4–8). Dabei ist die Urteilskraft das Vermögen, das die Zweckmäßigkeit nicht nur nicht ermöglicht, sondern sogar den Grund ihrer Notwendigkeit enthält. Auf diesen Befund lassen sich die Resultate der Überlegungen aus EE VI, 3. Abs. (20:218.11 ff.), in Verbindung mit EE V, 9. Abs. (20:215.14 ff.), beziehen. Zunächst aber sei gezeigt worden, dass das Prinzip der Zweckmäßigkeit als »subjectives Princip der Eintheilung und Specification der Natur« zu keiner objektiven Bestimmung der Naturformen führe.361 Würden wir uns aber nun mit diesem negativen Ergebnis begnügen, so bliebe »diese Zweckmäßigkeit bloß in Begriffen«
Die wenigen Texteingriffe im Ms, die von Kants Hand stammen, rechtfertigen es nicht, im Kommentar näher darauf Bezug zu nehmen (vgl. N. Hinske u. a. (1965), Faksimile, S. 24– 27). 361 20:219.8–10; vgl. EE V, 11. bis 12. Abs. (20:216.4 ff.). 360
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
(20:219.11–12); d. h. sie wäre als in jeder Hinsicht bloß subjektiv bestimmt ohne Bedeutung für die – im weiteren Sinne verstandene – Erkenntnis der Natur. Ihre Funktion bliebe darauf beschränkt, für den logischen Gebrauch der Urteilskraft in der empirischen Erfahrung der Natur eine (subjektive) Maxime der Einheit der empirischen Gesetze der Natur zugrunde zu legen. Dass sie dies »zum Behuf des Verstandesgebrauchs über ihre [d. i. der Natur] Objecte« täte (20:219.14–15), kann nur bedeuten (wie dem Folgenden mit Zurückhaltung entnommen wird): Die Urteilskraft fördert durch ihr Zweckmäßigkeitsprinzip das Bestreben der Vernunft, durch eine Zweckvorstellung systematische Einheit der empirischen Natur herzustellen. Durch ein bloß subjektiv bedingtes Prinzip kann sie aber nicht bewirken, dass uns auch Gegenstände in der Natur (Naturprodukte) »gegeben« würden, die hinsichtlich ihrer Form der systematischen Einheit »nach der Vorstellung eines Zwecks« entsprächen (20:219.16–17). Der interessantere Teil dieses Absatzes beginnt hinter dem Gedankenstrich. Er dreht sich um den Begriff der »Technick der Natur«, der definiert wird als Kausalität der Natur »in Ansehung der Form ihrer Producte als Zwecke« (20:219.18–20). Eben diese der Natur zuzuschreibende Zweckkausalität kann von ihren Produkten mit Hilfe des einseitig subjektiven Begriffs der Zweckmäßigkeit nicht ausgesagt werden. Der Begriff der Technik der Natur war zwar in den zurückliegenden Abschnitten der Ersten Einleitung noch nicht streng definiert worden, aber er fand bereits Verwendung als »heuristisches Prinzip«362 bzw. als Prinzip der Urteilskraft (EE V, 9. Abs.) (20:217–218), und er war zuletzt als technische Verfahrensweise der Natur einem mechanischen Vorgehen gegenübergestellt worden (EE VI, 2. Abs.) (20:217– 218). Jetzt wird sie der Mechanik »entgegengesetzt«. Für das Verständnis erheben sich hauptsächlich zwei (in der Sache schwer zu beantwortende) Fragen: Erstens, mit welchem Begriff von »Mechanik« haben wir es hier zu tun? Zweitens, in welchem Sinne ist die »Technick der Natur« der »Mechanick derselben« »entgegengesetzt«? Unterschieden sind Mechanik und Technik hier offensichtlich dadurch, dass sie zwei verschiedene Arten der Kausalität der Natur bezeichnen.363 Es wird aber aus dem Text heraus nicht hinreichend klar, worin die kausale Verknüpfung von Naturdingen, die als mechanische ausgewiesen ist, überhaupt besteht. Kant bemerkt dazu, dass die Mechanik »in ihrer Causalität durch die Verbindung des Mannigfaltigen ohne einen der Art ihrer Vereinigung zum Grunde liegenden Begrif besteht […].« (20:219.20–23) Anders als die Technik der Natur, die durch den ihr zugrunde liegenden Begriff der Zweckmäßigkeit einen Kausalzusammenhang darstellt, soll der nämliche als »Verbindung des Mannigfaltigen« ohne einen entsprechenden Begriff auskommen. Worin aber besteht die »Art« der Vereinigung der mechanischen Kausalität? EE II, 7.–8. Abs. (20:204–205); vgl. auch KU, § 78, 2. Abs. (5:411). Zur Vorgeschichte des Gegensatzes von teleologischer und mechanischer Naturkausalität bei Leibniz und Chr. Wolff vgl. W. Euler (2004), in: Aufklärung durch Kritik, 51–79. 362 363
VII. Abschnitt: Technik der Urteilskraft
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Es scheint sich auf den ersten Blick um die uns aus der KrV bekannte Synthesis des Mannigfaltigen der sinnlichen Anschauung nach der Art der Kategorie der Kausalität zu handeln.364 Aber würde dann nicht auch diese Kausalität der Natur durch einen Begriff begründet, nämlich durch einen Verstandesbegriff, der zugleich das bestimmende Prinzip derselben wäre? Von den allgemeinen Begriffen des Verstandes ist jedoch bereits gezeigt worden, dass sie nach Kant gerade wegen ihrer abstrakten Allgemeinheit nicht geeignet sind, die besonderen (empirischen) Erscheinungen und Gesetze der Natur zu bestimmen. Kommt also hier wirklich die Kategorie der Kausalität dafür in Betracht, die Art des Zusammenhangs in der Mechanik zu bezeichnen? Auf der einen Seite scheint der Begriff von Mechanik etwas mit der kategorialen Begriffsbezeichnung zu tun zu haben; auf der anderen Seite kann er nicht dadurch determiniert oder begründet sein. Damit bezieht sich die mechanische Kausalität weder auf die Zweckform der Naturprodukte (wie die Technik der Natur), noch verbindet sie das Mannigfaltige gesetzmäßig im Sinne transzendentaler Naturgesetze. Trotzdem kann eine mechanische Vorstellung (logisch betrachtet) zur Sphäre des Verstandesbegriffs von Ursache und Wirkung gehören und insofern unter ihm stehen, ohne zugleich durch ihn bestimmt zu sein.365 Sie ist dann als ein Fall von mechanischer Kausalität zu betrachten. Mechanische Naturgebilde sind einfach solche, die so zusammengesetzt (kausal miteinander verknüpft) sind, dass sie – wie früher bemerkt – ein Aggregat und kein System darstellen.366 Die Beispiele aus der Mechanik, die in EE VII, am Ende des ersten Absatzes angeführt werden (20:219.23–28), machen aber deutlich, dass Kant eigentlich an Zweckbegriffe als Vernunftideen denkt, wenn er die Begriffslosigkeit der Grundlagen der Mechanik behauptet. Obwohl die Beispiele nicht genau dem entsprechen sollen, was mechanische Kausalität bedeutet, weil sie den Hauptgedanken durch ein »ungefähr so« bloß illustrieren können, ist doch die Bezugnahme auf Zweckbegriffe eindeutig. Die Rede ist von »gewisse[n] Hebezeuge[n], die ihren zu einem Zwecke abgezielten Effect, auch ohne eine ihm zum Grunde gelegte Idee haben können […].« (20:219.23–25) Kant verwendet den Begriff (»der«) »Hebezeug« bereits 1766 in den Träumen eines Geistersehers (2:325.1, 2:330.28) und bezeichnet damit die mechanische Vorstellung von vitalen Körperfunktionen, d. i. die Vorstellung von Organismen als Maschinen. »Hebezeuge« haben eine (mechanische) Wirkung, die insofern mit einem Zweck verbunden sein können, als ein handelndes Subjekt in bestimmter Absicht davon Gebrauch macht. Es ist allerdings – und das ist hier von Bedeutung – nicht notwendig, dass der Wirkung eine Idee von einem solchen Zweck zugrunde liegt. Kant nennt Vgl. KrV, Zweite Analogie der Erfahrung (B 232–234). Ein Begriff enthält eine Menge verschiedener möglicher Vorstellungen (Begriffe) unter sich, insofern er als gemeinschaftliches Merkmal in jeder dieser Vorstellungen enthalten ist (s. KrV, B 40). 366 Vgl. Kommentar zu EE II & III, S. 74, 80, 85. 364 365
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
zwei Beispiele für die angesprochene Mechanik der »Hebezeuge« (die sich wissenschaftsgeschichtlich an der Entdeckung und experimentellen Demonstration der Hebel-Gesetze der klassischen Mechanik aufzeigen lassen): »einen Hebebaum« (einseitiger Hebel) und »eine schiefe Fläche« (schiefe Ebene) (20:219.25).367 Aufschlussreich ist die daran angehängte Erklärung, dass solche mechanischen Vorkehrungen (die sich unter »Hebezeuge« subsumieren lassen müssten) in ihrer Wirkungsweise nicht davon abhängen, dass sie sich notwendig auf Zwecke beziehen müssen.368 Der Zweck, auf den die Wirkung von Kräften bei solchen mechanischen Instrumenten ›abzielt‹, ist nicht ihre Ermöglichungsbedingung, sondern ihr Gebrauch (z. B. der praktische Nutzen der Hebelwirkung eines Hebebaums oder einer schiefen Ebene zum Bewegen von Lasten). Das ›Mannigfaltige‹ (die verschiedenen, an einem Hebel wirkenden Kräfte) werden demzufolge mechanisch ›vereinigt‹, indem die Produkte der Kräfte berechnet werden. Was die Frage nach der Art der Entgegensetzung betrifft, durch die das Verhältnis zwischen wirkender und finaler Kausalität der Natur gekennzeichnet ist, so kann davon ausgegangen werden, dass es sich um eine Entgegensetzung ohne Widerspruch bzw. um einen scheinbaren Widerstreit369 handelt. Denn beide Formen der kausalen Verknüpfung können gleichzeitig von demselben Naturwesen gelten. So können z. B. bestimmte Bewegungsabläufe im Gliederbau eines Tieres einerseits mechanisch als kausale Aufeinanderfolge anschaulich erfassbarer Körperzustände, andererseits technisch als durch einen Zweck bestimmte Organisationsform interpretiert werden. Der erste Kausalzusammenhang entspricht der Zusammensetzung nach Art einer »Maschine«, der zweite einer solchen nach der Art eines »Kunstwerke[s]«. Das widerspruchslose Nebeneinanderbestehen der beiden Prinzipien der mechanischen Kausalität und der Zweckkausalität der Natur setzt voraus, dass sie nicht als konstitutive, sondern als bloß regulative Prinzipien der Urteilskraft ausgelegt werden und als solche nicht der Erklärung, sondern der Beurteilung der Natur dienen. Dabei ist das mechanische Kausalprinzip den Zwecken von Naturprodukten in letzter Konsequenz als Mittel »untergeordnet«.370 Dass sie sich unter dieser Voraussetzung nicht widersprechen und gegenseitig aufheben, ist das Resultat der Antinomie der teleologischen Urteilskraft, durch die sie in einem unbestimmten, übersinnlichen Grund vereinigt sind.371 Nimmt man sie dagegen als konstitutive Prinzipien, dann ergeben sich daraus Erklärungsarten, die sich gegenseitig ausschließen.372
Vgl. dazu E. Gehler, Physikalisches Wörterbuch, Bd. 2, Neudruck der Erstausgabe Leipzig 1787–1796 mit einer Einleitung von Wolfgang Bonsiepen, S. 565–576 (Artikel »Hebel«); A. G. Kästner (1759), Anfangsgründe, Zweiter Teil, S. 1–26, spez. S. 7–8 (§ 25). 368 Diese Erklärung (20:219.26–28) hat Kant eigenhändig im Ms. ergänzt (s. N. Hinske u. a. (Hg.) (1965), Faksimile, S. 25). 369 Vgl. KU, § 78, 3. Abs. (5:411–413). 370 Vgl. KU, § 78, 3. bis 4. Abs. (5:411–413). 371 Zur Vereinigung beider Prinzipien vgl. W. Bartuschat (1972), Zum systematischen Ort, 219 ff. 372 S. KU, § 78, 3. bis 4. Abs. (5:411–413). 367
VII. Abschnitt: Technik der Urteilskraft
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Zweiter bis vierter Absatz: »Wie läßt sich die Technick der Natur an ihren Producten wahrnehmen?« → E VII Nachdem im ersten Absatz des siebten Abschnittes der Begriff der Technik der Natur eingeführt und von dem des Mechanismus streng unterschieden worden ist, wird nun explizit die Frage aufgeworfen, auf welche Weise (»wie«) diese Technik an den Produkten der Natur selbst wahrzunehmen sei.373 Diese Frage impliziert – wie wir noch sehen werden – eine zweifache Bedeutung und erfordert auch zwei unterschiedliche Antworten, nämlich zum einen in Hinsicht auf das ästhetische Urteil, zum anderen bezüglich des teleologischen Urteils. Mit der Beantwortung der Frage beschäftigt sich m. E. der ganze noch zu kommentierende Text dieses Abschnittes. In Abs. 4 scheint es bloß eine vorläufige Antwort zu geben, denn die beiden letzten Absätze konzipieren zwei unterschiedliche Versionen der Beantwortung der im zweiten Absatz formulierten Frage. Mit einer Feststellung, die im Grunde genommen nur eine Erinnerung ist, beginnt die Vorbereitung zur Beantwortung der zitierten Frage, nämlich: Der Begriff der Zweckmäßigkeit sei nicht konstitutiv für Erfahrung, d. h. erstens sei er »keine Bestimmung einer Erscheinung«, und zweitens gehöre er zu keinem »empirischen Begriffe vom Objecte« (20:219.30–220.2). Als Begründung für diese Behauptungen führt Kant an, dass der in der Diskussion stehende Begriff der Zweckmäßigkeit »keine Categorie« sei. Einem empirischen Begriff kann die Zweckmäßigkeit insbesondere deshalb nicht angehören, weil dazu – wie Kant im dritten Absatz hervorhebt – die Tätigkeit der bestimmenden Urteilskraft erforderlich wäre; die letztere ist jedoch erfahrungskonstitutiv und verarbeitet reine Verstandesbegriffe; die Zweckmäßigkeit ist aber – wie soeben bemerkt – gerade »keine Categorie«. Unter dieser Voraussetzung wird bereits eine Teilantwort auf die im zweiten Absatz gestellte Hauptfrage gegeben. Dass wir nämlich die Zweckmäßigkeit wahrnehmen, bedeutet, dass diese Wahrnehmung »[i]n unserer Urtheilskraft« stattfindet. Eine solche subjektive Verinnerlichung der »Technik der Natur« schränkt diese zugleich darauf ein, dass ja die Urteilskraft »über ein gegebenes Objekt bloß reflektiert«, also eben gerade nicht konstitutiv ist und nichts bestimmt (20:220.2–7). Das Reflektieren der Urteilskraft kann zwei Ausrichtungen haben. Einmal wird »über die empirische Anschauung« des gegebenen Objekts, d. h. über dessen Wahrnehmung reflektiert; das Ziel besteht hier darin, diese Anschauung »auf irgendeinen Begriff (unbestimmt welchen) zu bringen.« Zum anderen richtet sich das Reflektieren auf »den Erfahrungsbegriff selbst«; das ist nun nicht so zu verstehen, dass über den Begriff von Erfahrung reflektiert wird, sondern über irgendeinen Begriff aus der Erfahrung, insofern er als bereits gegeben vorausgesetzt wird. Hier besteht der Zweck des Reflektierens nun darin, dass die in ihm enthaltenen Gesetze auf Vgl. dazu H. Mertens (1975), Kommentar, 118–124. Zu Kants Begriff der Wahrnehmung s. insbesondere KrV, A 120. 373
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
»gemeinschaftliche Principien« gebracht werden (20:220.6–7). Solche Gesetze können nur empirischer Natur sein. Die ihnen übergeordneten Prinzipien werden dann auf dem Wege der Verallgemeinerung ermittelt. Der Sache nach sind mit diesen beiden unterschiedlichen Ausrichtungen des Reflektierens der Urteilskraft die beiden Urteilstypen anvisiert, die im 5. und 6. Abs. als ästhetisches und teleologisches Reflexionsurteil eingeführt werden. Aus den vorstehenden Überlegungen wird sodann der Schluß gezogen: »Also ist die Urtheilskraft eigentlich technisch« (20:220.7). Sie ist dies deswegen, weil der Ort ihrer Wahrnehmung der Technik der Natur sie selbst ist. Ihre Selbstwahrnehmung tritt an die Stelle der Natur. Es ist also zunächst einmal gar nicht die Natur selbst, an der die Technik wahrgenommen wird. Und die eingangs des zweiten Absatzes gestellte Frage müsste negativ oder ausweichend beantwortet werden durch eine subjektive Beschaffenheit der Urteilskraft, nämlich durch ihre eigene Technik. Sie verfährt technisch, indem sie, ihrem eigenen Prinzip folgend, in den beiden angegebenen Hinsichten reflektierend tätig wird und ihr eigenes Tun dabei beobachtet. Dass die Urteilskraft »eigentlich« technisch ist, soll nicht etwa besagen, dass dies das für sie typische Merkmal sei, sondern – ganz im Sinne der skizzierten (ausweichenden) Antwort auf die diskutierte Fragestellung – dass es eigentlich nicht die objektiv begriffene Natur ist, an der die Technik wahrgenommen wird, sondern bloß die verinnerlichte Vorstellung derselben in der Urteilskraft: »die Natur wird nur als technisch vorgestellt« (20:220.7–8). Dies gilt nun allerdings nicht voraussetzungslos. Die Technik der Urteilskraft ist nämlich bedingt dadurch, dass die Natur zu dem oben beschriebenen »Verfahren« der Urteilskraft (d. i. der Wahrnehmung der Zweckmäßigkeit in der Urteilskraft durch die Urteilskraft) nicht nur »zusammenstimmt«, sondern aufgrund dieser Übereinstimmung dasselbe Verfahren sogar »nothwendig macht« (20:220.8–9). Die geforderte Übereinstimmung des Naturgeschehens mit dem Verfahren der Urteilskraft setzt aber wiederum notwendig die Wahrnehmbarkeit der Technik der Natur voraus. Die Beantwortung der Frage bedarf also eines erneuten Anlaufes. Tatsächlich kündigt der Schlusssatz des zweiten Absatzes einen Lösungsweg an, indem »sogleich« gezeigt werden soll, »wie der Begrif der reflectirenden Urtheilskraft, der die innere Wahrnehmung einer Zweckmäßigkeit der Vorstellungen möglich macht, auch zur Vorstellung des Objects, als unter ihm enthalten, angewandt werden könne« (20:220.9–13).374 Der folgende dritte Absatz nimmt Bezug auf diese Aufgabenstellung, was schon äußerlich durch das Wort »nämlich« angedeutet wird.
Der von Kants Hand stammende Zusatz am Seitenrand – »Wir legen, sagt man, Endursachen in die Dinge hinein und heben sie nicht gleichsam aus ihrer Wahrnehmung heraus.« – ist als vom Text abgetrennte Fußnote in seiner Funktion unverständlich. Wie im Ms. zu ersehen, bezieht er sich auf die Aussage, dass die Natur »nur als technisch vorgestellt« wird (20:220.33–34). Denn das soll eben bedeuten, dass Zwecke (»Endursachen«) in die Natur ›hineingelegt‹ und nicht – wie in der vorkantischen Metaphysik – aus ihr herausgelesen werden (vgl. N. Hinske u. a. (1965), Faksimile, S. 25). Kant geht jedoch zu dieser Vorstellung 374
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Die Bezugnahme ist jedoch bloß von der Form her gegeben; inhaltlich ist sie nicht überzeugend. Zur Auflösung der zitierten Aufgabe wird auf »drey Handlungen des selbstthätigen Erkenntnißvermögens« rekurriert, die »zu jedem empirischen Begriffe« gehören sollen. D. h. um überhaupt einen empirischen Begriff (von einem Gegenstand) bilden zu können, müssen diese Vermögen einen Zusammenhang bilden, und zwar einen solchen, der die Selbsttätigkeit (Autonomie) aller drei voraussetzt. Die im Text genannten drei Vermögen sind: 1) die »Auffassung […] des Mannigfaltigen der Anschauung« durch die Urteilskraft, 2) »die Zusammenfassung […] dieses Mannigfaltigen in dem Begriffe eines Objects« durch den Verstand, 3) »die Darstellung […] des diesem Begrif correspondirenden Gegenstandes in der Anschauung« durch die Urteilskraft (20:220.14–20).375 Die zuletzt genannte Erkenntnisleistung ist es nun gerade, die die erläuternde Funktion des dritten Absatzes in Frage stellt. Es wird nämlich darauf hingewiesen, dass, da es bei dieser Betrachtung um einen empirischen Begriff gehe, die Urteilskraft bestimmend sein würde. Die Aufgabenstellung am Ende des zweiten Absatzes drehte sich jedoch um die reflektierende Urteilskraft. Zu ihren Handlungen dürfte also die Darstellung eines Gegenstandes in der Anschauung nicht gehören. Wie passt das zusammen? Es scheint sich hier um eine Analogie zu handeln. Die dreifache Tätigkeit des spontanen Erkenntnisvermögens führt zu bestimmten empirischen Begriffen. Dies lehrte bereits die KrV.376 Auch beim bloßen Reflektieren der Urteilskraft kommen die drei genannten Handlungen, nämlich Auffassen, Zusammenfassen und Darstellen, ins Spiel, allerdings mit einigen bedeutenden Modifikationen. Dies zeigt vor allem der vierte Absatz, der ergänzt werden kann durch entsprechende Betrachtungen in der Einleitung.377 Bevor wir uns im Detail auf diesen schwer zu erschließenden Absatz einlassen, versuchen wir seine Lesbarkeit durch die Darstellung in einer Satzgrafik zu erhöhen (20:220.23–30): [1] Weil es aber in der bloßen Reflexion über eine Wahrnehmung nicht um einen bestimmten Begrif, [1.1] sondern überhaupt nur um die Regel [1.1a] über eine Wahrnehmung zum Behuf des Verstandes, als eines Vermögens der Begriffe, zu reflectiren / [2] zu thun ist:
}
auf Distanz (»sagt man«). An anderer Stelle bezeichnet er den Versuch, den Zweckbegriff in die Dinge ›hineinzuspielen‹, als »Vernünftelei« (KU, § 61, 2. Abs.) (5:359.26–360.5). 375 Vgl. H. Mertens (1975), Kommentar, 119–121. 376 Vgl. KrV, A 119–123. 377 E VII, 3. Abs. (5:189.32–190.32). Vgl. Kommentar zu E VII, S. 516-521.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
[3] so sieht man wohl, daß in einem blos reflectirenden Urtheile Einbildungskraft und Verstand in dem Verhältnisse, [3.1] in welchem sie in der Urtheilskraft überhaupt gegen einander stehen müssen, / [3.1a] mit dem Verhältnisse, in welchem sie bey einer gegebenen Wahrnehmung wirklich stehen, verglichen, / [4] betrachtet werden.
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Satzgrafik Nr. 3
Demzufolge geht es in der »bloßen Reflexion« der Urteilskraft nicht – wie bei der bestimmenden – um einen »bestimmten Begrif« (also auch nicht um konstitutive Erkenntnisleistungen), sondern bloß um eine »Regel« für das Reflektieren ([1.1], [1.1a]), über deren Inhalt der Text zunächst keine Auskunft gibt. Gegenstand der Reflexion ist auch hier eine Wahrnehmung. Das bedeutet, dass das Auffassen eines empirisch Mannigfaltigen Teil dieser Reflexion sein soll, und dass das Auffassen einer Wahrnehmung Sache der Einbildungskraft ist. Dieser Akt erfolgt aber zugleich »zum Behuf des Verstandes, als eines Vermögens der Begriffe« ([1.1a]). Der Verstand erhält also von der Einbildungskraft ein vorgefertigtes Anschauungsprodukt zu dem Zweck, dafür einen unbestimmten Begriff bereitzustellen (oder zu suchen). Auf diese Weise soll ein (ästhetisches) Reflexionsurteil gebildet werden. Ein solches Urteil ist dadurch ausgezeichnet, dass in ihm das Verhältnis zwischen Einbildungskraft und Verstand betrachtet wird. Fragt man danach, wie dieses Verhältnis eigentlich beschaffen ist, so gibt der unmittelbare Textbezug zweierlei Antworten: erstens soll es dasjenige sein, »in welchem sie in der Urtheilskraft überhaupt gegen einander stehen müssen« ([3.1]); und zweitens soll dieses Verhältnis noch mit demjenigen verglichen werden, »in welchem sie bey einer gegebenen Wahrnehmung wirklich stehen« ([3.1a]). In der ersten Bedeutung kann ihr Verhältnis nach dem, was bisher darüber zu erfahren war, nur das der Auffassung zur Zusammenfassung in einem Objektbegriff sein. Das Verhältnis, insofern es in der Urteilskraft überhaupt betrachtet wird, betrifft nur das Verhältnis der Vermögen als solcher gegeneinander; es enthält keinen Bezug auf die Empfindung eines Gegenstandes (vgl. E VII, 3. Abs.) (5:190.22–25), demnach auch keine Wahrnehmung; und es enthält insbesondere keinen Bezug auf einen Begriff von einer Absicht (vgl. ebd.). Das Verhältnis in der zweiten Bedeutung ist die Darstellung durch die Urteilskraft, und diese ist selbst ein Verhältnis des Begriffs von einem Gegenstand zur Anschauung desselben.
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Fünfter und sechster Absatz: Ästhetisches und teleologisches Reflexionsurteil → E VIII, 1. Abs. Ausgehend von der im vierten Absatz gegebenen allgemeinen Bestimmung des Reflexionsurteils als eines Verhältnisses zwischen Einbildungskraft und Verstand kann nun in den beiden noch verbleibenden Absätzen dieses Abschnittes das ästhetische und das teleologische Reflexionsurteil bestimmt werden. Was genau nach kantischen Begriffen ein ästhetisches Reflexionsurteil ist, das im Haupttext der KU auch »Geschmacksurtheil« heißt, lässt sich auch dann, wenn alle erdenklichen Äußerungen darüber aus der KU zusammengetragen werden, nur mit Mühe sagen.378 An der hier betrachteten Textstelle sind die Informationen derart dünn, dass wir nur eine vorläufige Erklärung geben können. Insbesondere fehlt jede Bezugnahme auf das Lustgefühl. Reichhaltiger sind die Mitteilungen, die der achte Abschnitt enthält, so dass wir erst dort die Theorie des ästhetischen Reflexionsurteils vervollständigen werden. An analoger Stelle in der Einleitung (achter Abschnitt, erster Absatz) wird dieser Sachverhalt nochmals erläutert werden, so dass wir diesen Textabschnitt und den sich darauf beziehenden Kommentar zur Erläuterung mit berücksichtigen können. Ein »ästhetisches Reflexions-Urtheil« besteht – ganz allgemein gesagt – aus einem Verhältnis der Übereinstimmung zwischen Verstand und Einbildungskraft »in der bloßen Reflexion« (20:221.2–4). Gegenstand einer solchen Reflexion ist, wie bereits im Kommentar zum vierten Absatz bemerkt, eine Wahrnehmung.379 Der Ausdruck ›bloße Reflexion‹ deutet darauf hin, dass ein Gegenstand in einer bestimmten Weise wahrgenommen wird, ohne dass sie eine objektive Bestimmung dieses Gegenstandes selbst erzeugt (vgl. E VIII, 1. Abs.) (5:192.16–31). Sie gilt »bloß für die Urtheilskraft«, d. h. erstens nur subjektiv und zweitens nicht für die bestimmende Urteilskraft. Das Verhältnis der Übereinstimmung zwischen Verstand und Einbildungskraft setzt ein wechselseitiges Bedingen der Tätigkeiten jener Vermögen, und zwar der Auffassung des empirisch Mannigfaltigen eines Objekts (Einbildungskraft) und der Darstellung eines unbestimmten Verstandesbegriffs voraus (vgl. EE VII, 5. Abs.) (»Wenn denn …, so …«) (20:220.31–221.4). Das Zusammenwirken von Auffassung und Darstellung macht »die Form eines gegebenen Objects in der empirischen Anschauung« aus. An der (anschaulichen) Form eines empirischen Gegenstandes sollen sich also Merkmale ablesen lassen, die die Übereinstimmung der Tätigkeiten der beiden Vermögen bezeugen. Dabei soll es sich in der »bloßen Reflexion« nicht um einen bestimmten Begriff handeln, sondern – wie im vierten Absatz bemerkt – um die Regel, Jedenfalls zeigen die bisherigen Forschungsbemühungen, dass die Diskussion über die Bedeutung des Geschmacksurteils bei Kant nicht als abgeschlossen betrachtet werden kann. 379 Vgl. Kommentar zu EE VII, 4. Abs., S. 168. 378
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
»über eine Wahrnehmung […] zu reflectiren« (20:220.24–26). Diese Regel kann nur eine vom Verstand vorgegebene Regel der Synthesis des empirisch Mannigfaltigen in der Apprehension sein, für die es deshalb keinen bestimmten Begriff geben muß, weil sie von allen empirischen Erscheinungen gilt. Wie aber soll sich ein Einklang zwischen beiden Vermögen aufzeigen lassen, wenn der erforderliche Begriff unbestimmt bleibt? Und wie soll sich aus demselben Grund ein solcher Verstandesbegriff überhaupt darstellen lassen, indem ihm eine Anschauung zugeordnet wird? Wir müssen auch diese Fragen vorläufig offen lassen. Damit bleibt aber auch die Frage, die Kant im zweiten Absatz seiner Untersuchung voranstellte, »Wie läßt sich die Technick der Natur an ihren Producten wahrnehmen?«, noch unbeantwortet. Wir können diesen schwierigen Sachverhalt aber auch beschreiben, indem wir uns behelfsweise auf die analoge Darstellung der ästhetischen Beurteilung im ersten Absatz des achten Abschnittes der Einleitung vorausbeziehen. Dort wird die Vorstellung einer Zweckmäßigkeit an einem empirischen Gegenstand damit begründet, dass die Form dieses Gegenstandes, d. h. die Apprehension ohne Begriff, mit den Erkenntnisvermögen übereinstimmt.380 Dadurch wird aber ein empirischer Begriff vom Gegenstand erzeugt, den die Urteilskraft zur Darstellung bringt. Erst infolge dieses zweiten Aktes wird die Zweckmäßigkeit an dem betreffenden Gegenstand der Reflexion vorgestellt. Ästhetische Zweckmäßigkeit ist demnach eine Gegenstandsbestimmung, die durch rein subjektive Vermögensleistungen zustande kommt und mit der objektiven Natur bloß durch eine anfängliche Wahrnehmung verbunden ist. Am Gegenstand wahrgenommen wird sie nur in der Weise, dass dessen Form in der inneren Wahrnehmung von Vorstellungen des Subjekts bewusst gemacht und zugleich auf den empirischen Gegenstand projiziert wird. Die Folge des wechselseitigen ›Zusammenstimmens‹ von Verstand und Einbildungskraft soll sein, dass »der Gegenstand« »als zweckmäßig« wahrgenommen wird, und zwar »bloß für die Urtheilskraft« (20:221.4–5). Die letzte Einschränkung ist gleichbedeutend damit, dass die Zweckmäßigkeit bloß als subjektiv gültig zu betrachten ist; d. h. es wird damit keine Aussage über den Gegenstand als Erkenntnisobjekt getroffen. Der zweckmäßig wahrgenommene Gegenstand ist m.a.W. nur eine subjektive Vorstellung, die sich für die Urteilskraft als Verhältnis von Einbildungskraft und Verstand ausdrückt. Denn die Betrachtung dieser (subjektiven) Zweckmäßigkeit »erfordert« keinen bestimmten Begriff von einem Objekt, noch »erzeugt« sie dadurch einen solchen Begriff; kurz gesagt: das ästhetische Reflexionsurteil ist »kein Erkenntnisurtheil« (vgl. EE VII, 5. Abs.) (20:221.6–8). Ein solches aber ist – jedenfalls in einem eingeschränkten Sinne – ein teleologisches Urteil, das im sechsten Absatz des siebten Abschnittes vorgestellt wird. Weshalb ist ein bestimmter Begriff für die ästhetische Beurteilung nicht nur störend, sondern auch überflüssig? 380
Vgl. Kommentar zu E VIII, S. 534 f.
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Kants Theorie des teleologischen Urteils geht von einer anderen Voraussetzung aus als die des ästhetischen Urteils: »gegeben« ist nicht ein Objekt der Wahrnehmung, das die oben beschriebene Formbeschaffenheit aufweist, sondern »gegeben« sind bereits fertig vorliegende »empirische Begriffe und eben solche Gesetze«. Diese sind aber zugleich gegeben »gemäß dem Mechanism der Natur« (20:221.10–11). Der Naturmechanismus ist aber – wie wir uns erinnern – der Naturteleologie und dem Prinzip der Zweckmäßigkeit entgegengesetzt und untergeordnet. Er beruht auf dem Kausalgesetz des Verstandes, dem zufolge singuläre Ereignisse als Ursachen und Wirkungen in einer nicht umkehrbaren Zeitreihe aufeinander folgen.381 Mit einem solchen »Verstandesbegriff« ist daher ein empirischer Begriff (von irgendeinem Allgemeinheitsgrad) gemeint, der in sich die Vorstellung von einem kausalmechanischen Zusammenhang enthält. Diesen soll die Urteilskraft »mit der Vernunft und ihrem Princip der Möglichkeit eines Systems« vergleichen (20:221.11–13). Welches ist dieses Prinzip der Vernunft, das ein »System« ermöglichen soll?382 Das System kann hier in diesem Zusammenhang kein anderes sein als das der Natur, und zwar der besonderen, empirischen Natur. Denn für die Natur überhaupt gibt der Verstand die Prinzipien a priori. Die empirische Natur aber kann allein – wie wir schon mehrfach erfahren haben – durch ein Prinzip der Zweckmäßigkeit systematisiert werden, und dieses muss in objektiver Hinsicht von der Vernunft bereitgestellt werden. Es wird also von der Urteilskraft der Naturmechanismus, ausgedrückt in einem (empirischen) Begriff des Verstandes, mit der (objektiven) Zweckmäßigkeit der Natur (als Prinzip der Vernunft) verglichen. Aus diesem Vergleich resultiert erstens eine objektive Beurteilung der Zweckmäßigkeit unter der Bedingung, dass »diese Form« – nämlich das Systemprinzip der Vernunft, d. i. die Zweckmäßigkeit – »an dem Gegenstande angetroffen wird«;383 und zweitens, dass »das Ding« – nämlich der der Zweckmäßigkeit konforme Gegenstand – dann »ein Naturzweck« heiße (20:221.13–15).384 Demgegenüber seien »vorher« (d. h. bei der ästhetischen Beurteilung) Dinge nur als »unbestimmt-zweckmäßige Naturformen beurteilt« worden (20:221.15–16). Diese Unterscheidung bezieht sich auf das ästhetische Urteil über die zweckmäßige Form eines gegebenen Objekts, zu dem »kein bestimmter Begriff« (wohl aber ein unbestimmter) erfordert wurde (vgl. EE VII, 5. Abs.) (20:221.6–7). Das Urteil über einen solchen »Naturzweck« – d. h. einen materialen (empirischen) Naturgegenstand, auf den hin als Erkenntnisobjekt zweckmäßig geurteilt wird – ist das teleologische Urteil. Es ist zugleich ein Urteil »über die objective Zweckmäßigkeit der Natur« (20:221.16–17). Das ergibt sich daraus, dass die Beurteilung der Zweckmäßigkeit dann »objectiv« heißt, wenn der beurteilte Gegenstand 381 382 383 384
Vgl. KrV, Zweite Analogie, B 234, B 237 ff. / A 192 ff; vgl. Kommentar zu EE VII, S. 161–164. Vgl. KrV, B 696: Grundsatz der Affinität. Zum Begriff des Antreffens (in der Erfahrung) vgl. KrV, B 267 / A 220). Zum Begriff des Naturzwecks vgl. Kommentar zu EE VIII & IX, S. 204, 206, 222.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
ein Naturzweck ist. Das soll für uns zunächst bloß bedeuten, dass es sich auf empirische Gegenstände der Natur (und nicht auf eine durch unsere Erkenntnisvermögen ausgelöste subjektive Befindlichkeit) bezieht, und zwar durch Zweckbegriffe, aber nicht auf eine erkenntniskonstitutive Weise. »Angetroffen« werden kann die Zweckmäßigkeit am Naturding aber doch wieder nur durch Wahrnehmung. Sinnlichkeit und Einbildungskraft scheinen beim Zustandekommen eines teleologischen Urteils nicht mitzuspielen, und die Handlung der Auffassung wird – im Unterschied zum ästhetischen Urteil – hier anscheinend nicht benötigt. Denn dieser Akt ist in die Bildung der vorausgesetzten empirischen Begriffe bereits eingegangen. Woher aber kommt so unerwartet der Gegenstand? Es ist an die Prinzipien zu erinnern, die in der KrV zur Grundlegung des transzendentalen Idealismus gehörten: dass nämlich die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung (wie die allgemeinen Verstandesbegriffe) zugleich die Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände von Erfahrung sind, weil diese Gegenstände nicht anders erfahren werden können als unter den subjektiven, a priori gegebenen Erkenntnisformen des Verstandes und der sinnlichen Anschauung.385 Wenn Kant das teleologische Urteil – anders als das ästhetische – unter die Erkenntnisurteile fasst, dann sicherlich deswegen, weil bei dessen Zustandekommen von bereits verfügbaren (empirischen) Begriffen ausgegangen wird. Zugleich aber ist diese Art von Erkenntnisurteilen, d. i. die teleologischen Urteile, darauf beschränkt, zur reflektierenden Urteilskraft zu gehören. Diese ist aber nicht vermögend, Erkenntnisurteile im strengen Sinne (nach Art der synthetischen Verstandesurteile a priori) zu konstituieren. Das liegt u. a. daran, dass sie nicht wie die bestimmende Urteilskraft eine dafür erforderliche Subsumtion einer Anschauung unter einen Verstandesbegriff bewerkstelligen kann. Kant begründet allerdings die Beschränkung des Erkenntnisurteils auf die reflektierende Urteilskraft an dieser Stelle mit der spezifischen Beschaffenheit der »Technik der Natur« überhaupt. Das betrifft also sowohl die formale als auch die reale Technik. Das Charakteristische ist nämlich, dass diese Technik »nur ein Verhältnis der Dinge zu unserer Urtheilskraft« ist (20:221.20–21). Wir können hier statt »Technick« auch einfach »Zweckmäßigkeit« sagen. Denn ausschließlich in der Urteilskraft – so wird behauptet – könne »die Idee einer Zweckmäßigkeit der Natur anzutreffen seyn«. Sie werde der Natur nur »beigelegt« in Hinsicht darauf, dass sie eben eine Beziehung auf die Urteilskraft ausdrücke (20:221.21–23). Diese Konkretisierungen scheinen die anders lautende Behauptung in der ersten Hälfte des sechsten Absatzes, den wir gerade untersuchen, zu relativieren, nach welcher es eine Bedingung objektiver Beurteilung der Naturzweckmäßigkeit ist, dass die Zweckform »an dem Gegenstande angetroffen wird«. Für die scheinbare Misshelligkeit lässt sich folgende Erklärung anführen: Die Zweckmäßigkeit heißt nicht deshalb objektiv, weil sie nach der Art der Erkenntnis durch den Verstand 385
Vgl. KrV, u. a. A 111, B 197 / A 158.
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in objektiv gültige Urteile eingeht; in dieser Hinsicht ist auch sie (ebenso wie die subjektive Zweckmäßigkeit) von subjektiver Natur, d. h. nur in bezug auf das Reflexionsvermögen der Urteilskraft gültig. Sie ist jedoch »objectiv« in dem Sinne, dass ihre Gültigkeit von empirischen Begriffen und der in sie eingeschlossenen Gesetzmäßigkeit der (besonderen) Natur abhängt. Was die Unterscheidung zwischen formaler und realer Technik der Natur betrifft, so ist darauf hinzuweisen, dass sie ausführlich im neunten Abschnitt der EE thematisiert wird, so dass auch ein damit sich näher befassender Textkommentar an entsprechender Stelle zur Ausführung kommt. Doch kann jetzt schon darauf hingewiesen werden, dass die »formale Technick der Natur« soviel wie Zweckmäßigkeit in der Anschauung, reale aber soviel wie Zweckmäßigkeit »nach Begriffen« bedeuten soll (vgl. EE IX, 1. Abs.) (20:232.9–11). Daraus folgt, dass die erstere zur ästhetischen Reflexion der Urteilskraft gehört, die letztere aber zur teleologischen. Eine Technik der Natur ist also Gegenstand sowohl der ästhetischen als auch der teleologischen Urteilskraft.
Achter Abschnitt: Ästhetik des Beurteilungsvermögens
EE VIII Achter Abschnitt: »Von der Aesthetick des Beurtheilungsvermögens«
Gliederung: Erster Absatz: Die Zweideutigkeit des Begriffs des Ästhetischen Zweiter Absatz: Die Bestimmung des ästhetischen Urteils Dritter Absatz: Ästhetisches Reflexionsurteil und ästhetisches »Sinnenurteil« – I Vierter Absatz: Empfindung als »Bestimmungsgrund« des ästhetischen Urteils Fünfter Absatz: Ästhetisches Reflexionsurteil und ästhetisches »Sinnenurteil« – II: Autonomie und Heautonomie Sechster Absatz: Einteilung der Urteile Anmerkung: Erster bis vierter Absatz: Kritik der Erklärung der Lust durch »Vollkommenheit« Anmerkung: Fünfter und sechster Absatz: Sind ästhetische Reflexionsurteile allgemein und notwendig? Anmerkung: Siebter und achter Absatz: Das Gefühl der Lust und Unlust ist nicht aus Begriffen ableitbar Anhang: Fußnote zum achten Absatz der »Anmerkung«
Erster Absatz: Die Zweideutigkeit des Begriffs des Ästhetischen → E VII, Abs. 1–3; EE XI, letzter Abs. Im achten Abschnitt wird – ähnlich wie auch in E VII (Abs. 1–3) – zunächst der Ausdruck des Ästhetischen analysiert (1. Abs.), um daraufhin die Theorie des ästhetischen Urteils, von der wir erste Ansätze bereits im siebten Abschnitt der Ersten Einleitung antrafen, weiter auszubauen. Der erste Gedankenschritt des ersten Absatzes präsentiert den Ausdruck des Ästhetischen in einer Weise, die ihn einer möglichen Missdeutung noch ganz unverdächtig macht. Wird nämlich die ästhetische »Vorstellungsart« nach Gesichtspunkten der »transzendentalen Ästhetik« in der KrV ausgelegt, d. h. allein auf die Möglichkeit der Erkenntnis von Gegenständen als Erscheinungen hin ausgerichtet, dann ist ihre Bedeutung und ihre Verwendung eindeutig. Ihre Bedeutung besteht dann nämlich darin, dass einer subjektiven Vorstellung, sofern sie sich auf einen Gegenstand als Erscheinung bezieht, »die Form der Sinnlichkeit (wie das Subject afficirt wird) notwendig anhänge und diese daher unvermeidlich auf das Object (aber nur
Achter Abschnitt: Ästhetik des Beurteilungsvermögens
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als Phänomen) übertragen werde.« (EE VIII, 1. Abs.) (20:221.30–33) Unter dieser Voraussetzung kann die »transcendentale Aesthetik« (in der KrV) Anspruch darauf erheben, als Wissenschaft zu gelten, die zur Kritik der Erkenntnisvermögen gehört. Sie wird dementsprechend in der KrV selbst eine »Wissenschaft von allen Prinzipien der Sinnlichkeit a priori« genannt (KrV, B 35 / A 21). Die Form der Sinnlichkeit bzw. die Art und Weise, wie Außendinge (Dinge an sich) das Subjekt affizieren – die »reine Anschauung« (KrV, B 34 f. / A 20) – wird gebildet durch die in der KrV abgehandelten subjektiven Formen der sinnlichen Anschauung a priori, d. i. Raum und Zeit. Diese Form, die das Mannigfaltige der Erscheinungen in eine Ordnung bringt (vgl. KrV, B 34 / A 20), haftet der Vorstellung mit Notwendigkeit an, weil die Sinnlichkeit das einzige rezeptive Erkenntnisvermögen ist, durch das uns Gegenstände in der empirischen Anschauung gegeben werden können (vgl. KrV, B 33 / A 19), und weil sie bloße Form a priori ist, d. h. nicht von empirischen Bedingungen (wie der Empfindung) abhängt.386 Sinnlichkeit ist nämlich die »Fähigkeit (Rezeptivität), Vorstellungen durch die Art, wie wir von Gegenständen affiziert werden, zu bekommen.« (KrV, B 33 / A 24) Eine Zweideutigkeit im Ausdruck der »ästhetischen Vorstellungsart« (und damit des Ästhetischen) entsteht erst dadurch, dass er auch noch eine andere Art der Beziehung einer Vorstellung bezeichnen kann, nämlich derjenigen auf das Gefühl der Lust und Unlust. Diese Bedeutung ist laut Kant »[s]eit geraumer Zeit […] Gewohnheit geworden.« Philosophiegeschichtlich enthält dieser Hinweis eine Anspielung auf Baumgartens Einführung einer Ästhetik als Wissenschaft.387 In einer Fußnote am Anfang der »transzendentalen Ästhetik« in der KrV (B 35 f. / A 21) nimmt Kant explizit Stellung zu dieser Neuerung durch den »vortreffliche[n] Analyste[n] Baumgarten«: »Die Deutschen sind die einzigen, welche sich jetzt des Worts Ästhetik bedienen, um dadurch das zu bezeichnen, was andere Kritik des Geschmacks heißen.« Aber Kant ist an dieser Stelle skeptisch eingestellt gegenüber dem Projekt einer solchen Ästhetik. Es sei eine vergebliche Bemühung, »die kritische Beurteilung des Schönen unter Vernunftprinzipien zu bringen, und die Regeln derselben zur Wissenschaft zu erheben.« (KrV, B 35 / A 21). Als Begründung führt er den empirischen Charakter solcher Regeln an, die sich »niemals zu bestimmten Gesetzen a priori« eignen würden (ebd.). Allerdings ist in Bezug auf die zitierte Fußnote in der KrV auch darauf zu achten, dass der Text der B-Auflage Modifikationen und Ergänzungen gegenüber der A-Auflage enthält.388 So wird am Ende der
Vgl. KrV, B 36; in Bezug auf den Raum: B 38 f. / A 24; in bezug auf die Zeit: B 46 f. / A 30–32. 387 Vgl. A. G. Baumgarten, Aesthetica 1750/58, Prolegomena; vgl. I. Kant (2006), Einleitung von H. F. Klemme, S. XIX f. (Fn. 4). 388 Vgl. dazu G. Stiening, Einleitung in: Immanuel Kant, Werke. Zweisprachige deutschrussische Ausgabe, hrsg. von Nelly Motroschilova und Burkhard Tuschling, Bd. IV: Kritik der Urteilskraft. Erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft. Moskau 2001, 6, 8. 386
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
selbigen Fußnote zu dem in der ersten Auflage noch angeratenen Verzicht auf die neue Benennung einer Ästhetik eine Verbesserung vorgeschlagen, die darauf hinausläuft, die Benennung in eine zweifache Bedeutung – eine transzendentale und eine psychologische – zu teilen. Kant behält in der KU die kritische Zurückweisung des Anspruchs dieser Ästhetik auf Wissenschaftlichkeit bei. Aber die Begründung dafür lautet nun anders. Denn das Gefühl der Lust und Unlust sowie die damit verbundenen Regeln beruhen nun nicht mehr auf empirischen Empfindungen, und folglich kann der Ausdruck des Ästhetischen nicht mehr psychologisch gedeutet werden. Der Grund der Aberkennung des Wissenschaftlichkeitsstatus in Bezug auf die Ästhetik liegt vielmehr darin, dass das Lustgefühl keine Erkenntnis von Gegenständen ermöglicht. Zwar könne das Gefühl der Lust und Unlust als »Sinn« bezeichnet werden, aber er sei kein »objektiver Sinn« wie etwa die sinnliche Anschauung in der transzendentalen Ästhetik; denn »etwas mit Lust anschauen oder sonst erkennen« bedeute nicht, eine Vorstellung auf ein Objekt zu beziehen, sondern bloß »eine Empfänglichkeit des Subjekts«. Es leiste somit keinen Beitrag zur Gegenstandserkenntnis. Aus der bloß subjektiven Bedeutung des Lustgefühls schließt Kant im Vergleich mit der »Aesthetik des Erkenntnißvermögens« auf die Unmöglichkeit einer »Aesthetik des Gefühls als Wissenschaft« (EE VIII, 1. Abs.) (20:222.1–12). Dieser negative Befund scheint der Grund für Kants Fazit am Ende des ersten Absatzes zu sein, es bleibe »also immer eine unvermeidliche Zweydeutigkeit in dem Ausdrucke einer aesthetischen Vorstellungsart.« (20:222.15 f.) Die Zweideutigkeit besteht darin, dass mit dem Ausdruck »aesthetische Vorstellungsart« sowohl eine Beziehung der Vorstellung auf das Gefühl der Lust und Unlust als auch eine solche auf das Erkenntnisvermögen (als sinnlicher Anschauung) gemeint sein kann. Die Bedeutung dieses Ausdrucks ist also abhängig vom Kontext, in welchem er gebraucht wird. Inwiefern aber ist die Zweideutigkeit »unvermeidlich«? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Voraussetzung für die Zweideutigkeit ist die von der Sache her gegebene Möglichkeit, beide Vorstellungsarten – sowohl die der sinnlichen Anschauung als auch die des Gefühls der Lust – »ästhetisch« zu nennen und damit ihre Verwechselbarkeit herbeizuführen. Die Zweideutigkeit kann aber nur dann unvermeidlich sein, wenn beliebig (unkritisch) von dem Attribut »ästhetisch« Gebrauch gemacht wird. Dass die Zweideutigkeit »immer« unvermeidlich »bleibt«, heißt: sie bleibt es immer dann, wenn die beiden Vorstellungsarten nicht genau voneinander unterschieden werden. Sie würde damit nicht unter allen Umständen wirklich eintreten, sondern könnte durch inhaltliche Differenzierung und sprachliche Präzisierung ausgeschlossen werden. Genau diesen Weg der Auflösung scheint Kant vor Augen zu haben, wie die folgende Analyse des zweiten Absatzes ergeben wird.
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Zweiter Absatz: Die Bestimmung des ästhetischen Urteils → EE VII, Abs. 3–5 Das Thema des zweiten Absatzes, das sich auch durch die übrigen Absätze bis zur »Anmerkung« hinzieht, ist das ästhetische Urteil und dessen besondere Bestimmung im Unterschied zum objektiven, logischen Urteil. Es wird dabei deutlich, dass die kritische Analyse des Ausdrucks der »aesthetischen Vorstellungsart« im ersten Absatz der Vorbereitung der Behandlung des ästhetischen Urteils diente. Denn gleich zu Beginn dieses zweiten Absatzes bezieht sich Kant auf dessen scheinbar immer »unvermeidliche Zweideutigkeit« zurück, indem er nun behauptet, sie könne »gehoben« werden. Aufgedeckt wird sie durch die Angabe des Grundes, der sie hervorbringt; ausgeräumt (»gehoben«) durch die Folge dieses Grundes, d. i. die Erfüllung der Bedingung, dass der Ausdruck »ästhetisch« »weder von der Anschauung, noch weniger aber von Vorstellungen des Verstandes, sondern allein von den Handlungen der Urtheilskraft« gebraucht wird. (20:222.21–24) D. h. Kant löst das Problem der Verwechselbarkeit einfach durch die Festlegung einer Regelung für den Gebrauch des Attributs »ästhetisch«. Es soll ausschließlich für die Handlungen der Urteilskraft Verwendung finden. Was das im Einzelnen für die Bestimmung des ästhetischen Urteils bedeutet, wird sich im folgenden zeigen. Kant behauptet, ein »aesthetisch Urtheil« könne nicht objektiv gültig sein, mithin keine Gegenstandserkenntnis ermöglichen; denn dies »würde so auffallend widersprechend seyn, daß man bei diesem Ausdruck wider Misdeutung genug gesichert ist.« (20:222.24–27) Der behauptete Widerspruch, der vor »Misdeutung« schützen soll, fällt beim Gebrauch des ästhetischen Urteils nicht unmittelbar auf. Er bedarf vielmehr einer Erklärung, die dem Leser anschließend auch angeboten wird. Welches ist also der Grund des vermeintlichen Widerspruchs? Kants Begründung ist in ihrem ersten Teil nicht ohne weiteres verständlich: »Denn Anschauungen können zwar sinnlich seyn, aber Urtheilen gehört schlechterdings nur dem Verstande (in weiterer Bedeutung genommen) zu […].« (20:222.27–29) Dass Anschauungen sinnlich sein können, wo sie doch als Bedingung menschlicher Erkenntnis immer nur sinnlich sind, hat einerseits die Ausschließung der immerhin denkmöglichen intellektuellen Anschauung zur Absicht, andererseits erklärt es sich aus dem Pendant dessen, was sie nicht können, nämlich urteilen. Der Verstand »in weiterer Bedeutung« meint nicht nur dessen transzendentale Bedeutung als Erkenntnisvermögen, sondern auch seine logische Bedeutung als Urteilsvermögen überhaupt. Das zweite Argument in der Begründung für das offensichtliche Vorliegen eines Widerspruchs in der Behauptung der Objektivität eines ästhetischen Urteils, bzw. (mit Kants Worten) in der Behauptung, »ästhetisch oder sinnlich urtheilen« liefere »Erkenntniß eines Gegenstandes«, verschärft den Widerspruch noch. Denn sogar dann, »wenn Sinnlichkeit sich in das Geschäft des Verstandes einmengt und (durch
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ein vitium subreptionis) dem Verstande eine falsche Richtung giebt«, liegt jener Widerspruch vor (20:222.29–33). Das »vitium subreptionis« oder der »Fehler der Erschleichung« (wörtlich: Fehler des heimlichen Wegnehmens)389 in der Vermischung von Sinnlichkeit und Verstand beim ästhetischen Urteilen erinnert an die Fehlerhaftigkeit (die einer optischen Täuschung gleichkommt), die den Grund der Antinomie der praktischen Vernunft ausmachte, indem der unmittelbar durch das moralische Gesetz bestimmte Wille mit dem Gefühl der Lust verwechselt wird, das durch die Ausübung dieses Willens erst empfunden wird.390 Des weiteren erinnert es an die Schlussweisen der transzendentalen Dialektik in der KrV (»Paralogismus«, »Sophisma«).391 Das »selbst alsdann ein Widerspruch, wenn …« in EE VIII, 2. Abs. (20:222.30– 33) soll vor diesem Hintergrund besagen: Selbst dann, wenn die Sinnlichkeit dem Verstand vortäuscht, seine Kompetenz zu urteilen hänge von sinnlichen Bedingungen ab, und ihn dadurch zur Selbsttäuschung verleitet (die »falsche Richtung« gibt), er könne ästhetisch und zugleich objektiv urteilen, liegt ein echter Widerspruch in Form einer Kontradiktion (und kein Schein eines Widerspruchs) vor. Sofern aber der Verstand allein objektive Urteile (Erkenntnisurteile) fällen kann, können diese nicht ästhetisch genannt werden (20:222.33 f.). Daraus folgt zugleich, dass das ästhetische Urteil auch nicht mit sinnlicher Anschauung im Kontext der transzendentalen Ästhetik in Verbindung gebracht werden darf (weil sinnliche Anschauung für sich genommen nicht urteilen kann). Es erstaunt aber zunächst, welche Begründung Kant für die letzte Folgerung anführt: Die Urteile der transzendentalen Ästhetik seien »insgesamt logisch« (20:223.4 f.). Denn dieses Lehrstück habe es nur mit objektiven Erkenntnisurteilen zu tun. Es kann hier natürlich nicht gemeint sein, dass die sinnliche Anschauung selbst (für sich genommen) logische Urteile fällt (denn diese Funktion gehört allein in die Domäne des Verstandes); sondern gemeint ist, dass sie an der Bildung von Erkenntnisurteilen (synthetischen Urteilen a priori) wesentlich beteiligt ist, indem einem gegebenen Begriff im Urteil etwas aus der reinen Anschauung a priori hinzugefügt wird (vgl. KrV, B 73, B 70, Fn.). Aus den vorstehenden Überlegungen glaubt Kant nun folgern zu können, dass der Ausdruck eines »ästhetischen Urtheils über ein Object« unmittelbar erkennen lässt, dass 1) in dem Urteil eine Vorstellung auf ein Objekt bezogen werde, 2) dadurch nicht das Objekt, sondern das Subjekt und sein Gefühl bestimmt werde (20:223.5–8).392 Auch für diese Behauptung wird eine Begründung nachgeliefert, die aber (wenn ich richtig sehe) bisher noch nicht vorgestellt und entwickelt wurde. Die Urteilskraft nämlich, die im Unterschied zum Verstand das Vermögen ist, das zu ästhetiVgl. dazu Kant, u. a. KpV, 5:116; MS, 6:297. KpV; 5:116 f. 391 Vgl. Kommentar zu EE XI, S. 281 f. 392 Mit der Benennung eines »ästhetischen Urteils« verschiebt sich also die Kritik des Erkenntnisvermögens vom Verstand auf die reflektierende Urteilskraft. 389 390
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schen Urteilen gelangt, betrachtet Verstand und Einbildungskraft in ihrem Verhältnis gegeneinander. Dieses Verhältnis kann wiederum zweifacher Natur sein: Erstens kann es ein objektives Verhältnis sein; es gehört insofern zur Erkenntnis als Erfahrung. Dieses Verhältnis drückt sich in der KrV – worauf Kant hinweist – im »transcendentalen Schematism der Urtheilskraft« aus (20:223.10–12). Denn mit dem »Schematismus des reinen Verstandes« bezeichnet Kant das Verfahren des Verstandes, mit Hilfe der von der Einbildungskraft hervorgebrachten Schemata (als Zeitbestimmungen a priori, KrV, B 184 / A 144–145), die Kategorie mit der ihr korrespondierenden Erscheinung in Übereinstimmung zu bringen (B 176–181 / A 137– 142, B 184–186 / A 144–147). Dieses Verhältnis der »Subsumtion« (B 176 / A 137), das durch die Urteilskraft hergestellt wird, ist in der Hinsicht eine Gegensätzlichkeit von Einbildungskraft und Verstand, als das transzendentale Schema (die Zeitbestimmung) die Kategorie nicht nur realisiert, sondern auch »restringiert«, d. h. auf Bedingungen der sinnlichen Anschauung einschränkt (B 185–186 / A 145–147).393 Zweitens kann das Verhältnis von Einbildungskraft und Verstand in der Urteilskraft auch subjektiv betrachtet werden, und auf dieses Verhältnis kommt es bei der Erklärung des ästhetischen Urteils an. »Subjektiv« soll hier besagen, dass die beiden Vermögen in der wechselseitigen Wirkung ihrer beiden Tätigkeiten erwogen werden, ohne dass ein Erkenntnisbezug auf Objekte entsteht. Auch dieses subjektiv betrachtete Verhältnis von Einbildungskraft und Verstand hat die Form einer Entgegensetzung, indem »eins das andere in eben derselben Vorstellung befördert oder hindert.« (20:223.12–15) Wie eine solche reale Entgegensetzung konkret vorgestellt werden kann, wird an dieser Stelle nicht ausgeführt. Auch sonst bleiben Kants Beschreibungen, die auf den Ausdruck des ästhetischen Urteils hinführen sollen, sehr vage und allgemein. Das Verhältnis der Entgegensetzung lässt sich allerdings zurückbeziehen auf die wechselseitige Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand, die im fünften Absatz des siebten Abschnittes als »Beförderung ihres Geschäfts« vorgestellt wurde.394 Vermutlich steht hinter der zitierten Entgegensetzung von Verstand und Einbildungskraft die Vorstellung von einem »Spiel« der Erkenntniskräfte, das relevant ist für die Bestimmung des ästhetischen Urteils (vgl. EE VIII, 4. Abs.) (20:224.18 ff.). Wir werden auf diesen Sachverhalt zurückkommen, wenn wir ausreichende Materialien für die Theorie des ästhetischen Urteils zusammengestellt haben. Doch lässt sich bereits soviel sagen: 1) Das Verhältnis wechselseitiger Beeinflussung (Beförderung oder Hinderung) ist nur denkbar unter der Voraussetzung, dass beide Vermögen sich auf ein und dieselbe Vorstellung beziehen (und nicht auf verschiedene nacheinander). 2) Das Verhältnis kann vom Subjekt empfunden werden. Denn es »afficirt« durch jene Entgegensetzung »den Gemüthszustand«, und dies ist – wie der Klammerzusatz verdeutlicht – eine Besonderheit, die ausschließlich der Urteilskraft, die das 393 394
Vgl. den Kommentar zu E IV, S. 435–440. Vgl. Kommentar zu EE VII, S. 169.
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Verhältnis dieser beiden Vermögen gegeneinander reflektiert, eigen ist (EE VIII, 2. Abs.) (20:22312–17).395 Das, was in diesem Zusammenhang »Empfindung« heißt, wird sogleich näher expliziert. Demzufolge handelt es sich nicht um ein Empfinden, das mit der sinnlichen Vorstellung eines Objekts verbunden ist oder von ihr ausgelöst wird. Vielmehr ist es eine »sinnliche Vorstellung des Zustandes des Subjects«, d. i. desjenigen »Gemüthszustandes«, welcher durch das Beziehen von Einbildungskraft und Verstand aufeinander (in welchem sich die Tätigkeit der Urteilskraft äußert) »afficirt« wird (20:223.18–22). Die Art der Empfindung, um die es dabei geht – ob es sich dabei vielleicht um das im ersten Absatz ja schon eingeführte Lustgefühl handelt – wird zunächst noch nicht angesprochen. Trotzdem soll diese Empfindung der Sinnlichkeit zugeordnet werden. Der Grund dafür ist, dass »sie subjectiv mit der Versinnlichung der Verstandesbegriffe durch die Urtheilskraft verbunden ist« (20:223.19–21). Wie aber hat man sich die »Versinnlichung« eines Verstandesbegriffs, die offenbar aus dem wechselseitigen Verhältnis zwischen Einbildungskraft und Verstand heraus entsteht, vorzustellen, wenn sie nicht (wie beim Schematismus des reinen Verstandes in der KrV) auf einem objektiven Verhältnis von Verstand und Einbildungskraft beruhen kann? Auch auf diese Frage lässt sich vorläufig keine befriedigende Antwort geben. Wir kommen aber der Sache ein wenig näher auf den Grund, wenn wir Teilergebnisse der Interpretation des siebten Abschnittes hier verwerten. Dort hatten wir festgestellt, dass das Zusammenwirken dreier Tätigkeiten der Erkenntnisvermögen – Auffassen durch die Einbildungskraft, Zusammenfassung durch den Verstand in einem unbestimmten Begriff und Darstellung dieses Begriffs in der Anschauung durch die Urteilskraft zur Bestimmung des ästhetischen Reflexionsurteils hinführt (EE VII, 3.– 5. Abs.).396 Dieser Überlegung zufolge entspricht die »Versinnlichung der Verstandesbegriffe durch die Urtheilskraft« der dritten der genannten Operationen, d. h. der Darstellung eines (unbestimmten) Verstandesbegriffs in einem anschaulichen Gegenstand. Diese von der Urteilskraft vollzogene Handlung muss es zugleich sein, die Einbildungskraft und Verstand in das Verhältnis paritätischer Wechselwirkung bringt, das die Empfindung im Gemüt des Subjekts erregt. Der Grund dafür, die Empfindung der Sinnlichkeit beizumessen, ist zugleich der Grund dafür, dass ein Urteil ästhetisch bzw. sinnlich genannt werden kann, ohne davon Abstand nehmen zu müssen, dass das Urteilen im allgemeinen, d. h. sofern dadurch eine objektive Bestimmung ausgedrückt wird, eine Verstandeshandlung ist und nicht der Sinnlichkeit obliegt. Hierbei ist nur zu beachten, dass die Bezugnahme des ästhetischen Urteils auf die Sinnlichkeit nicht bedeuten soll und nicht bedeuten kann, dass es sie zum »Bestimmungsgrund« habe, sondern nur, dass sie
395 396
Vgl. EE VIII, 3. Abs. Vgl. Kommentar zu EE VII, S. 167–170.
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als »subjective Wirkung« – nämlich der Handlung der Urteilskraft – angenommen wird.397
Dritter Absatz: Ästhetisches Reflexionsurteil und ästhetisches »Sinnenurteil« – I Im dritten Absatz sowie in den sich daran anschließenden Absätzen wird die Theorie des ästhetischen Urteils weiter differenziert und konkretisiert. Zunächst wird das ästhetische Reflexionsurteil von einem bestimmenden Urteil unterschieden: »Ein jedes bestimmende Urtheil ist logisch, weil das Prädicat desselben ein gegebener objectiver Begrif ist. Ein blos reflectirendes Urtheil aber über einen gegebenen einzelnen Gegenstand kann ästhetisch seyn […].« (EE VIII, 3. Abs.) (20:223.27–30) Diese Unterscheidung gilt unabhängig von der besonderen Klassifizierung in verschiedene logische Urteilsformen. Die zuerst genannte Art von Urteilen umfasst – abgesehen von praktischen Urteilen – alle Urteile, für die gilt, dass ihr Prädikat »ein gegebener objectiver Begrif ist«, d. h. ein Begriff, der sich auf einen Gegenstand im weitesten Sinne bezieht; das kann ein Verstandesbegriff a priori sein oder auch ein Erfahrungsbegriff. In beiden Fällen wird durch diese Beziehung das Urteilssubjekt bestimmt. Das resultierende Urteil kann ein synthetisches Urteil a priori oder ein empirisches Urteil sein.398 Insofern diese Bedingung des begrifflichen Bestimmens erfüllt wird, soll das Urteil ein logisches Urteil sein. Wir haben im zweiten Absatz erfahren, dass solche Urteile auch »objective Urtheil[e]« oder Erkenntnisurteile genannt werden können und dass das Vermögen, das sie zustande bringt, der Verstand ist. Das logische Urteilen fällt also in die Zuständigkeit des Verstandes. Das Logische an solchen Urteilen ist nicht im strengen Wortsinn der von Kant so genannten allgemeinen reinen (formalen) Logik zu lesen, sondern im Sinne einer transzendentalen Logik. Demgegenüber wird ein »blos reflectirendes Urtheil« keinen Anspruch auf Objektivität und Logizität erheben können, insofern es nichts enthält, was durch einen gegebenen Begriff bestimmt wird. Es ist ein Urteil, das durch die Urteilskraft gefällt wird, die (anders als der Verstand) »keinen Begrif für die gegebene Anschauung bereit hat« (ebd.) (20:223.30 f.). »Gegeben« ist in einem solchen Urteil nicht ein Begriff, sondern ein einzelner Gegenstand, über den geurteilt wird. Bei reflektierenden Urteilen scheint es sich in dieser Hinsicht immer um Einzelurteile zu handeln. Kant hält sich aber an der betrachteten Stelle im dritten Absatz nicht lange bei der Charakterisierung des Reflexionsurteils auf, sondern bezieht sie sogleich auf einen bestimmten Typus desselben. Dass das reflektierende Urteil »ästhetisch« sein kann, lässt darauf schließen, dass ästhetische Urteile die Klasse der ReflexionsVgl. dagegen EE IX, 4. Abs. Vgl. die Unterscheidung zwischen Erfahrungsurteil und Wahrnehmungsurteil in der Logik Jäsche (9:113 (§ 40)). 397
398
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urteile nicht erschöpfen. In der Tat gibt es – wie die weitere Analyse noch ergeben wird – noch eine andere Urteilsart, die zu dieser Klasse gehört, nämlich das teleologische Urteil. Die Bedingung dafür, dass ein Reflexionsurteil ein ästhetisches Urteil ist, ist, dass die Urteilskraft noch vor dem Vergleich des einzelnen Gegenstandes, über den geurteilt wird, mit anderen Einzelgegenständen, »die Einbildungskraft (blos in der Auffassung desselben) mit dem Verstande (in Darstellung eines Begrifs überhaupt) zusammenhält und ein Verhältniß beider Erkenntnißvermögen wahrnimmt […].« (20:223.30–34) Das Verhältnis der beiden Vermögen und ihrer spezifischen Operationen, das in dieser Funktionsbeschreibung der Urteilskraft vorkommt, ist uns nach dem bisher Gesagten schon geläufig. Wir wissen aber jetzt außerdem noch, dass das Verhältnis zwischen Einbildungskraft und Verstand, das die Grundlage des ästhetischen Urteils ist, immer nur auf einen einzelnen, isolierten (d. i. empirischen) Gegenstand gerichtet ist. Wegen dieser Singularität fehlt in dieser Beschreibung auch die Operation, die im dritten Absatz des siebten Abschnittes (der sich allerdings auf die »bestimmende Urtheilskraft« bezog) »Zusammenfassung« hieß und als Handlung des Verstandes ausgewiesen worden war.399 Es macht nur dann einen Sinn von Zusammenfassung zu reden, wenn von einer Pluralität von Einzelobjekten ausgegangen wird, die miteinander verglichen werden können. Stattdessen fällt nun im dritten Absatz von EE VIII dem Verstand in Hinsicht auf das ästhetische Reflexionsurteil die Aufgabe der »Darstellung eines Begrifs überhaupt« zu. Welches Verhältnis zwischen Einbildungskraft und Verstand nimmt aber die Urteilskraft wahr, und was ist hier unter Wahrnehmung eigentlich zu verstehen? Der zweite Teil der Frage ist relativ einfach zu beantworten. Da der Gegenstand der Wahrnehmung nämlich das Verhältnis der beiden Erkenntnisvermögen gegeneinander ist, von dem oben gesagt wurde, dass es den »Gemüthszustand« erregt, der für das Subjekt empfindbar ist, so besteht die Art der Wahrnehmung desselben in der Empfindung. Die Beantwortung des ersten Teils der Frage birgt hingegen Schwierigkeiten in sich, die an dieser Stelle noch nicht gelöst werden können. Denn trotz aller bereits gegebenen Beschreibungen des Verhältnisses zwischen Einbildungskraft und Verstand, das die Urteilskraft »wahrnimmt«, und den dazu bisher unternommenen Erklärungsversuchen, bleibt doch nach wie vor unklar, wie die Operationen der Auffassung und der Darstellung so aufeinander wirken, dass dadurch ein Gemütsempfinden ausgelöst werden kann. Nun ist die Urteilskraft nicht bloß das Vermögen, das Einbildungskraft und Verstand in ihren aufeinander abgestimmten Tätigkeiten »zusammenhält« – d. h. ihre organische Einheit ermöglicht –, sondern auch dasjenige, welches das angesprochene Verhältnis »wahrnimmt«, d. h. empfindet. Und dieses wahrgenommene Verhältnis soll »die subjective, blos empfindbare Bedingung des objectiven Gebrauchs
399
Vgl. Kommentar zu EE VII, S. 167.
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der Urtheilskraft (nämlich die Zusammenstimmung jener beyden Vermögen unter einander) überhaupt« ausmachen (EE VIII, 3. Abs.) (20:223.32–224.2). Welches ist aber hier der objektive Gebrauch der Urteilskraft? Er ist jedenfalls nicht das, was innerhalb der Klammer steht: nicht »die Zusammenstimmung jener beiden Vermögen untereinander«, denn das ist eben dessen subjektive Bedingung. Die »Zusammenstimmung« beider Vermögen bestimmt ihr Verhältnis zueinander genauer: es handelt sich um ein solches der Identität. »Objectiver Gebrauch« der Urteilskraft muss doch – worauf die letzten Zeilen des Absatzes hinweisen – zumindest bedeuten, dass das Prädikat des durch die Urteilskraft ermöglichten ästhetischen Urteils einem Begriff von einem Objekt (der Erkenntnis) gleichkommt. Aber das kann wiederum insoweit nicht zutreffen, als das ästhetische Urteil kein bestimmendes ist, kein Urteil, das von einer begrifflichen Bestimmung abhängt. Das, was hier als »objektiver Gebrauch« bezeichnet wird, muss also Objektivität in einem schwächeren Sinne bedeuten, d. h. nicht im Sinne objektiv bestimmter Erkenntnis, sondern von Erkenntnis überhaupt, zu der ja auch das ästhetische Urteil – wie dem folgenden vierten Absatz zu entnehmen ist – beitragen können soll. Von dem noch nicht ausführlich beschriebenen ästhetischen Urteil wird am Ende des dritten Absatzes noch ein anderes ästhetisches Urteil abgehoben: »Es ist aber auch ein ästhetisches Sinnenurtheil möglich, wenn nämlich das Prädicat des Urtheils gar kein Begrif von einem Object seyn kann, indem es gar nicht zum Erkenntnißvermögen gehört […].« (20:224.2–5) Die Möglichkeit des ästhetischen Sinnenurteils beruht auf der Art des Prädikats in einem solchen Urteil. Handelt es sich nämlich um ein Prädikat, das unter Umgehung des Erkenntnisvermögens – und das heißt hier im Besonderen der Urteilskraft (vgl. EE VIII, 5. Abs.) (20:225.8–12) – eine Vorstellung direkt auf das Gefühl der Lust bezieht, dann ist es von vornherein ausgeschlossen, dass dieses Prädikat ein Begriff von einem Objekt »seyn kann«. Um dies nämlich sein zu können, müsste es erstens wie das ästhetische Reflexionsurteil ein Verhältnis von Erkenntnisvermögen ausdrücken und zweitens allgemeingültig sein. Das Standardbeispiel, das Kant für ein solches Urteil anführt, lautet: »der Wein ist angenehm«. Ohne dass damit gesagt sein soll, dass das Angenehme das einzige Prädikat sei, das ein ästhetisches Sinnenurteil auszeichnet, ist es doch – so weit ich sehe – das einzige, das Kant diskutiert. Diese knappen Erläuterungen zur Unterscheidung des ästhetischen Reflexionsurteils vom ästhetischen Sinnenurteil können ergänzt werden durch die Ausführungen zum Schönen und Angenehmen in § 7 der KU: Ein Urteil über etwas Angenehmes gründet sich wie das ästhetische Reflexionsurteil über das Schöne auf ein Gefühl, das aber ein nicht verallgemeinerbares »Privatgefühl« ist (KU, § 7, 1. Abs.) (5:212.16–23). Die Gültigkeit eines Urteils wie »der Kanariensekt ist angenehm« ist damit beschränkt auf die Person des urteilenden Subjekts, insofern der Geschmack bloß auf seiner eigenen sinnlichen Empfindung beruht. Hinsichtlich der Richtigkeit dieses Geschmacks lässt sich kein logisches Urteil fällen; es gilt vielmehr der Grundsatz: »ein jeder hat seinen eigenen Geschmack (der Sinne).« (ebd.; vgl. § 56).
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Die Beistimmung anderer zu einem solchen Urteil ist nicht erforderlich. Sofern es aber (zufällig) eine Übereinstimmung mit anderen Subjekten hinsichtlich eines bestimmten Geschmacks gibt, drückt diese nur eine komparative Allgemeinheit aus (ebd., § 7, 3. Abs.) (5:213.15 f.). Die Urteilskraft erhebt hier keinen Anspruch auf Allgemeinheit a priori, und folglich kann ein solches Geschmacksurteil nicht in einen dialektischen Widerstreit mit anderen geraten (vgl. KU, §§ 55–56). Es ist festzuhalten, dass weder das ästhetische Reflexionsurteil noch das ästhetische Sinnenurteil Erkenntnisurteile sind, d. h. dass die Prädikate in solchen Urteilen keine Objektbegriffe sind. Dennoch steht das ästhetische Reflexionsurteil der Erkenntnis insofern nahe, als es subjektive Bedingungen zur Erkenntnis überhaupt enthält, und zwar dadurch, dass es durch die Urteilskraft als eines oberen Erkenntnisvermögens gefällt wird und das Verhältnis von Einbildungskraft und Verstand reflektiert.
Vierter Absatz: Empfindung als »Bestimmungsgrund« des ästhetischen Urteils Mit der Feststellung des zuletzt entwickelten Sachverhaltes beginnt der vierte Absatz, in welchem zunächst die Merkmale eines ästhetischen Urteils »im allgemeinen«, welche also sowohl für das ästhetische Reflexionsurteil als auch für das ästhetische Sinnenurteil Gültigkeit haben, angeführt werden. Sodann erfolgt auf dieser Grundlage eine erneute Analyse der Differenz zwischen diesen beiden Urteilstypen. In Hinsicht auf deren Gemeinsamkeit ist es von Bedeutung, dass ihr »Bestimmungsgrund« eine Empfindung ist; und da von beiden Urteilen gelten soll, dass ihr Prädikat »niemals Erkenntniß (Begrif von einem Objecte) seyn kann«, so ist jene Empfindung »das Gefühl der Lust und Unlust« (20:224.8–14). Denn Kant behauptet ohne weitere Begründung, dieses sei die »einzige so genannte Empfindung, die niemals Begrif von einem Objecte werden« könne und deshalb nur subjektiv sei (20:224.12–16). Alle andere Empfindung hingegen sei brauchbar für objektive Erkenntnis – und dabei denkt Kant sicherlich an den Begriff von Empfindung als Rezeptivität der Sinne, die in der KrV als notwendig angesehen wird, um den Erkenntnisvermögen den Stoff (das Materiale) der sinnlichen Erkenntnis zu liefern.400 Empfindung in dieser anderen Bedeutung ist die Wirkung einer Affektion des Vorstellungsvermögens durch einen empirischen Gegenstand (KrV, B 34 / A 19–20), das »Reale« in der Erscheinung (ebd., B 207 ff.). Wenn aber nun gesagt wird, dass ein ästhetisches Urteil (im allgemeinen Sinne) ein solches sei, das auf einer Empfindung beruhe, die »unmittelbar« mit dem Lustbegriff verbunden sei, so ist diese Formulierung eigentlich nicht akzeptabel. Denn es war ja ein Grundmerkmal zur Unterscheidung der beiden hier zur Diskussion stehenden Urteilsarten – und wird sich auch in der nachfolgenden Textanalyse be400
Vgl. KrV, B 60, B 270.
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stätigen lassen –, dass das ästhetische Reflexionsurteil nur vermittelst seiner Beziehung auf das Erkenntnisvermögen – also gerade nicht unmittelbar – mit dem Gefühl der Lust und Unlust verbunden sei. Diese unmittelbare Beziehung einer Vorstellung auf die Empfindung als Lustgefühl war Ausdruck des Prädikats in einem ästhetischen Sinnenurteil (vgl. EE VIII, 3. Abs.) (20:224.2–7). Dies bestätigt sich noch einmal in den folgenden Textzeilen: Die Empfindung, die dem ästhetischen Sinnenurteil zugrunde liegt, wird »unmittelbar« hervorgebracht, und zwar »von der empirischen Anschauung des Gegenstandes« (20:224.18–20). Hingegen handelt es sich beim ästhetischen Reflexionsurteil um eine Empfindung, »welche das harmonische Spiel der beyden Erkenntnißvermögen der Urtheilskraft, Einbildungskraft und Verstand im Subjecte bewirkt, indem in der gegebenen Vorstellung das Auffassungsvermögen der einen und das Darstellungsvermögen der andern einander wechselseitig beförderlich sind, welches Verhältniß in solchem Falle durch diese bloße Form eine Empfindung bewirkt, welche der Bestimmungsgrund eines Urtheils ist, das darum ästhetisch heißt und als subjective Zweckmäßigkeit (ohne Begrif) mit dem Gefühle der Lust verbunden ist.« (EE VIII, 3. Abs.) (20:224.20–28) Es muss zuerst bezüglich der Syntax konstatiert werden, dass das Relativpronomen »welche«, mit dem das Zitat anfängt, im Akkusativ gelesen werden muss. Denn es kann ja nicht zutreffen, dass das »harmonische Spiel« Effekt der Empfindung wäre. Das widerspräche nicht nur der darauf folgenden Erklärung, dass das Verhältnis der Erkenntnisvermögen in selbigem »Spiel« »eine Empfindung bewirkt«, sondern vor allem dem »Schlüssel«-Paragraphen 9 der KU, nach welchem das Gefühl der Lust erst auf die Harmonie im »freien Spiel« der Erkenntniskräfte folgt. Das »harmonische Spiel« zwischen Einbildungskraft und Verstand in der ästhetischen Urteilskraft kann verständlich gemacht werden, indem wir § 9 der KU mit in den Blick nehmen.401 Die Harmonie bezeichnet eine Übereinstimmung oder Zusammenstimmung beider Vermögen in ihren jeweiligen Handlungen in Bezug auf dieselbe Vorstellung. Die Tätigkeit der Einbildungskraft besteht in dem, was weiter oben »Auffassung« genannt wurde, d. h. im Synthetisieren des Mannigfaltigen der Anschauung.402 Dieser Tätigkeit steht die »Darstellung« durch den Verstand gegenüber. Die Verstandesbetätigung geht nicht von bestimmten Begriffen aus, um Vorstellungen darunter zu subsumieren. Er wirkt also nicht beschränkend auf die Einbildungskraft. Insofern befindet er sich mit ihr in einem »freien Spiel« (vgl. KU, § 9, 4. Abs.) (20:217.21–34). Aber er vermittelt doch erst die Einheit und Allgemeinheit der Vorstellung (vgl. § 9, 4. und 8. Abs.) (20:218.26–31) (und zwar durch einen unbestimmten Begriff). Beide Vermögen sind in ihrem Spiel gegeneinander gerichtet (»wechselseitig beförderlich«); sie regen einander zu ihrer jeweiligen Tätigkeit (bzw. wechselseitigen Be-
Vgl. dazu A. Wachter (2006), Das Spiel in der Ästhetik, 15 ff., 93 ff. Chr. H. Wenzel (2000), Subjektive Allgemeingültigkeit, 169–178. 402 S. Kommentar zu EE VII, 3. und 5. Abs., S. 167–170. 401
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lebung, vgl. § 9, 8. Abs.) an oder hemmen sich.403 Die Einbildungskraft z. B. macht sich eine konkrete Vorstellung und fordert den Verstand auf, die dazu passende Begriffseinheit bereitzustellen (das Prädikat des Schönen) sowie diesem eine Anschauung zuzuordnen (»Darstellung«). Insofern ist erst der Verstand die ausschlaggebende Instanz für die Bildung eines ästhetischen Urteils. Die »blose Form«, die sich im spielerischen Verhältnis der beiden Erkenntniskräfte dokumentiert (so dass es auf das besondere Aussehen von Gegenständen oder die besondere Bestimmung von Vorstellungen gar nicht ankommt) »bewirkt« nach Kant die Empfindung der Lust, und diese soll der »Bestimmungsgrund« des ästhetischen Urteils sein. Nicht durch einen Begriff, sondern allein durch das Gefühl soll also das ästhetische Urteil seine genuine Bestimmung erlangen. Diese Form der Beziehung im ästhetischen Urteil, in dem der Verstand das Prädikat gibt und die Einbildungskraft die Vorstellung, nennt Kant »subjektive Zweckmäßigkeit«, und diese sei mit dem Gefühl der Lust verbunden.
Fünfter Absatz: Ästhetisches Reflexionsurteil und ästhetisches »Sinnenurteil« – II: Autonomie und Heautonomie Der folgende Absatz setzt die Aufgabe der Differenzierung zwischen ästhetischem Sinnenurteil und ästhetischem Reflexionsurteil fort. Das erste Kriterium ist die Zweckmäßigkeit: »Das ästhetische Sinnesurtheil enthält materiale, das ästhetische Reflexionsurtheil aber formale Zweckmäßigkeit.« (EE VIII, 5. Abs.) (20:224.29 f.) Im einen Fall heißt die Zweckmäßigkeit insofern »material«, als sich das ästhetische Urteil direkt (unter Auslassung des Erkenntnisvermögens) über »den Sinn« auf das Gefühl der Lust bezieht. Das ästhetische Sinnenurteil muss aber gar keine »Vergleichung der Vorstellung mit den Erkenntnißvermögen, die in der Urtheilskraft vereinigt wirken«, voraussetzen (s. weiter unten in Abs. 5) (20:225.8–10). Das »Materiale« besteht dann aus den empirischen Empfindungen, die von wirklichen Objekten erregt werden. Unter »dem Sinn« sind nicht unmittelbare Sinneseindrücke gemeint, sondern – wie der sechste Absatz verrät – der »innere Sinn«. Dagegen ist die formale Zweckmäßigkeit – mit den Ergebnissen am Ende des vierten Absatzes gesprochen – diejenige, die zustande kommt, wenn die »blose Form« des wechselseitigen Verhältnisses der Erkenntniskräfte die Empfindung bewirkt und damit subjektive, begriffslose Zweckmäßigkeit wird. Kant behauptet nun, wegen der Unterscheidung zwischen materialer und formaler Zweckmäßigkeit gründe sich allein das ästhetische Reflexionsurteil auf Prinzipien, die der Urteilskraft eigentümlich seien. Ausschlaggebend dafür ist die Erkenntnis, dass die Reflexion (über eine Vorstellung) dem Lustgefühl »vorhergeht«; das bedeutet, dass die subjektive Zweckmäßigkeit, welche das Prinzip der ästhetischen Urteilskraft ist, zuerst »gedacht« und dann erst »empfunden« wird. (Zur nähe403
S. oben, Kommentar zu EE VIII, 2. Abs., S.179.
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ren Begründung für diese Reihenfolge kann an dieser Stelle erneut auf die Analyse in § 9 der KU verwiesen werden). Gedacht wird es nämlich beim reflektierenden Vergleichen mit den Erkenntnisvermögen, empfunden wird es in dem dadurch ausgelösten Gefühl der Lust. Obwohl sich aber das ästhetische Reflexionsurteil auf Prinzipien der Urteilskraft gründet, soll das Gefühl der Lust und Unlust der »Bestimmungsgrund« des ästhetischen Urteils sein. Der vorausgehende Grund und dessen Folge (die Empfindung) fallen nicht beide zusammen und werden doch beide als Grund bezeichnet. Seinen Prinzipien nach wird das ästhetische Urteil der Urteilskraft und damit auch dem oberen Erkenntnisvermögen zugerechnet. Die reflektierende Urteilskraft »subsumiert« die Vorstellung eines Gegenstandes unter ihre subjektiven Bedingungen, die dennoch allgemein sein sollen. Zur Subsumtionsleistung der reflektierenden Urteilskraft ist natürlich daran zu erinnern, dass das reflektierende Unterordnen von Fällen unter allgemeine Bedingungen kein begriffliches Bestimmen von Gegenständen bedeuten kann, sondern nur eine (vergleichende) Zuordnung. Weil aber das ästhetische Reflexionsurteil nur subjektiv bedingt ist, erlaubt es nicht, dass sein Bestimmungsgrund einen bestimmten Begriff beinhaltet; folglich könne er »nur im Gefühle der Lust gegeben werden.« (20:225.6 f.) Was aber ist dann dasjenige, das das Gefühl der Lust dem ästhetischen Urteil an Bestimmung beifügt? Eigentlich kann die Empfindung am ästhetischen Urteil nichts bestimmen, weil zum Bestimmen Begriffe gehören. Sie kann aber doch Grund der Bestimmbarkeit desselben sein, indem sie als Bedingung der Gültigkeit eines solchen Urteils die Harmonie der Erkenntniskräfte und damit die Einheit der aufgefassten Vorstellung und des dargestellten Begriffs im »freien Spiel« ausdrückt. Dafür müssen dann allerdings weitere Voraussetzungen erfüllt sein, nämlich die Allgemeinheit und Notwendigkeit, die das Gefühl der Lust in sich selbst tragen müsste, um sie auf das ästhetische Urteil übertragen zu können. Inwieweit das zutrifft, kann nur durch eingehende Analyse des ersten Teils der KU entschieden werden, die im Rahmen dieses Kommentars nicht erbracht werden kann. Das ästhetische Sinnenurteil bezieht wie das ästhetische Reflexionsurteil eine gegebene Vorstellung auf das Gefühl der Lust, aber dennoch nicht auf die gleiche Weise. Denn es hat nicht das Prinzip der Urteilskraft zur Voraussetzung. Das genaue Unterscheidungskriterium besteht darin, dass das ästhetische Reflexionsurteil »allgemeine Gültigkeit und Nothwendigkeit« beansprucht (20:225.12–15). Was das nun wieder konkret bedeutet, bedarf einer umfangreichen Darlegung. Der Leser wird deshalb auf »die Abhandlung selbst« verwiesen. Dort werden nämlich im ersten Teil der KU die einzelnen Momente, die die Allgemeinheit und Notwendigkeit des ästhetischen Urteils konstituieren, der Reihe nach vorgestellt und begründet.404 Die allgemeine Gültigkeit und Notwendigkeit des ästhetischen Urteils macht es erforderlich, seinen »Bestimmungsgrund« zu spezifizieren, der uns weiter oben bereits als erklärungsbedürftig erschien. Nunmehr heißt es nämlich, er liege »nicht 404
S. Kommentar zu E VII, S. 521–528.
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blos im Gefühle der Lust und Unlust für sich allein, sondern zugleich in einer Regel der oberen Erkenntnißvermögen« (20:225.17–19), d. h. hier: der Urteilskraft. Also fungiert die Empfindung nur insofern als Bestimmungsgrund des ästhetischen Urteils, als sie durch das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft bedingt ist. Beide Gründe zusammen bilden erst den hinreichenden Bestimmungsgrund. Für die Urteilskraft, die die Bedingungen der Reflexion stellt, bedeutet dies, dass sie »a priori gesetzgebend« (autonom) ist. Das verbindet sie mit den anderen »oberen« Erkenntnisvermögen. Ihre Autonomie unterscheidet sich aber zugleich deutlich von der des Verstandes und der Vernunft. Während die der letzteren nämlich objektiv gültig ist, insofern sie sich auf Gegenstände richtet, gilt die Autonomie der Urteilskraft »blos subjectiv«. Die objektive Gültigkeit der Autonomie des Verstandes beruht darauf, dass dieser durch seine Begriffe, die zugleich Begriffe der Natur sind, allgemeine Gesetze gibt und diese der Natur vorschreibt. Aus der Subsumtion der Urteilskraft resultieren dann »Begriffe von Dingen«, die die objektive Gültigkeit der auf Autonomie beruhenden Verstandesgesetze belegen. Der objektiven Gültigkeit der Autonomie der (praktischen) Vernunft liegt zugrunde, dass sie aus sich selbst heraus Freiheitsgesetze gebietet, unter die die Urteilskraft Fälle subsumiert. Die daraus resultierenden Begriffe von »möglichen Handlungen« liefern dann den Nachweis der objektiven Gültigkeit der Freiheitsgesetze und damit auch der Autonomie der Vernunft.405 Dass im Unterschied dazu die Autonomie der reflektierenden Urteilskraft nur subjektiv gültig sein kann, bedeutet, dass sich ihre Gültigkeit auf »das Urtheil aus Gefühl« beschränkt, sich also weder auf Urteile von Gegenständen noch auf solche von Handlungen bezieht. Allerdings muss auch das ästhetische Urteil (als Gefühlsurteil) Allgemeingültigkeit beanspruchen können, denn nur dadurch kann es seinen »auf Principien a priori gegründeten Ursprung« beweisen (20:225.25–27). Die eingeschränkte Gültigkeit der Autonomie der reflektierenden Urteilskraft, die dadurch bedingt ist, dass dieses Vermögen weder Begriffe von Gegenständen noch von Handlungen konstituieren kann, wird gewissermaßen ausgeglichen durch einen Vorteil, den die Gesetzgebungsfunktion der Urteilskraft gegenüber den anderen Erkenntnisvermögen hat: weil sich ihre Gesetzgebung eben weder auf die Natur noch auf die Freiheit richtet, gibt sie sich selbst das Gesetz. Deshalb müsste mit Bezug auf diese Gesetzgebung nach Kant statt von Autonomie eigentlich von »Heavtonomie« gesprochen werden.406 Die heautonome Tätigkeit der reflektierenden Urteilskraft besteht dann darin, Objektbegriffe, »die ihr anderweitig gegeben sind« mit »vorkommende[n] Fällen« (d. h. mit in der Natur angestellten Beobachtungen) zu vergleichen »und die subjective Bedingungen der Möglichkeit dieser Verbindung a priori anzugeben.« (20:225.27–32) »[A]nderweitig gegeben« kann Wir werden im weiteren Gang des Kommentars noch öfter auf den Autonomie-Gedanken zurückkommen, so auch bezogen auf den letzten Abschnitt der Einleitung (E IX, 3. Abs.). 406 Vgl. dazu E V, 7. Abs. 405
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bedeuten, dass sie Begriffe benutzt, die sie aus den anderen Erkenntnisvermögen (Verstand, Vernunft) oder aus der empirischen Natur bezieht. Die Vergleichung schließt offenbar eine Synthesis (»Verbindung«) zwischen einem Begriff und vielen Fällen ein, und zu deren Möglichkeit soll die reflektierende Urteilskraft Bedingungen a priori angeben.
Sechster Absatz: Einteilung der Urteile → EE XI; E IX Kant möchte im letzten Absatz vor der »Anmerkung« zu diesem Abschnitt verständlich machen, warum die reflektierende Urteilskraft (und zwar hier: die ästhetische Urteilskraft) »die Reflexion unmittelbar nur auf Empfindung […] bezieht«. (EE VIII, 6. Abs.) (20:226.1 f.) Die Lösung ist in dem angeschlossenen »weil«-Nebensatz zu finden. Sie stützt sich auf den im fünften Absatz herausgearbeiteten Gedanken der »Heavtonomie« der ästhetisch reflektierenden Urteilskraft (»Eben daraus läßt sich auch verstehen, warum …«) (20:225.33). Das weitere Ziel dieses Absatzes ist eine Begründung für die Namengebung des Urteils als eines »ästhetischen« und dessen Einordnung in die Gesamtheit unserer Urteile »nach der Ordnung der obern Erkenntnißvermögen« (20:226.8). An den Text dieses Absatzes ist eine Reihe von Fragen zu adressieren, ohne deren Beantwortung nicht verständlich werden kann, was Kant uns zu »verstehen« geben möchte. Die erste Frage betrifft die genauere Bedeutung der oben zitierten »Warum«-Frage. Denn es ist notwendig, die genauen Bedingungen für die behauptete Unmittelbarkeit der Beziehung der Reflexion auf die Empfindung anzuzeigen, bevor eine Antwort gegeben werden kann. Was ist es also genau, das sich »verstehen« lassen soll? Dem Text sind folgende zusätzliche Informationen zu entnehmen: Die »Warum«Frage bezieht sich erstens auf diejenige »Handlung« der reflektierenden Urteilskraft, die sie – ohne Rekurs auf einen Objektbegriff (d. h. also: unmittelbar) – »für sich selbst […] ausübt« (20:225.33–35). Die reflektierende Urteilskraft ist demnach Urheber und Zweck (Anfang und Ende, Ursprung und Ziel) ihrer eigenen Tätigkeit (m.a.W. Selbstzweck). Das ist die Umschreibung des Gedankens der »Heavtonomie« der reflektierenden Urteilskraft, der am Ende des fünften Absatzes entwickelt worden ist. Zweitens wird das Ziel dieser heautonomen Tätigkeit präzisiert. Die Frage richtet sich auf den Gegenstand bzw. das Ziel der Selbstreflexion der Urteilskraft. Die Reflexion bezieht sich »unmittelbar nur auf Empfindung« anstatt darauf, eine gegebene Vorstellung »auf ihre eigene Regel mit Bewußtseyn derselben« zu beziehen (20:225.35–226.2). Welche »Beziehung« wird der reflektierenden Urteilskraft hier eigentlich aberkannt? Dass es sich um eine Beziehung auf eine gegebene Vorstellung handelt, ist unzweideutig. Aber welche eigene »Regel« der reflektierenden Urteilskraft ist hier gemeint?
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Nichts anderes kann diese Regel sein als die technische Regel der Beurteilung der Naturgegenstände nach dem Prinzip der (subjektiven) Zweckmäßigkeit (vgl. EE VI, 2. Abs.) (20:218.6–10), und diese Regel ist – wie im fünften Absatz zu lesen war – »a priori gesetzgebend«, und zwar nicht in Hinsicht auf die Naturobjekte, sondern in Hinsicht auf die subjektiven Bedingungen der Reflexion. Worauf bezieht sich der Appendix »mit Bewußtseyn derselben«? Wenn unter »Bewußtseyn« etwa die Apperzeption, das »Ich denke«, das alle unsere Vorstellungen »begleiten« soll (KrV, B 131 f., § 16) zu verstehen ist, dann betrifft die Aberkennung der Gegenstandsbeziehung der reflektierenden Urteilskraft auch das begleitende Bewußtsein. Weder die Beziehung von Vorstellungen auf die gesetzgebende Regel der subjektiven Zweckmäßigkeit, noch das Bewußtsein als Träger einer solchen Beziehung soll die Reflexion auszeichnen können. Der nicht ausdrücklich genannte, aber doch naheliegende Grund dieser Zurückweisung wäre die in diesem Falle eintretende Umwandlung der reflektierenden in die bestimmende Urteilskraft; denn das Prinzip der subjektiven Zweckmäßigkeit würde unter der Regie des Bewußtseins und seiner Beziehung auf Vorstellungen verobjektiviert. Statt einer Beziehung wie die beschriebene, soll die Urteilskraft ihre Reflexion also »unmittelbar nur auf Empfindung« beziehen und damit auf gar nichts anderes; darin liegt hier die Bedeutung von Unmittelbarkeit. Von der Empfindung, auf die sich die Reflexion unmittelbar bezieht, wird ausgesagt, sie sei »wie alle Empfindungen, jederzeit mit Lust oder Unlust begleitet«. Auf diese Wendung richtet sich der dritte Fragenkomplex (20:226.1 f.). Die »Empfindung«, von der hier gesprochen wird, ist offensichtlich nicht identisch mit dem Gefühl von Lust und Unlust; denn sie ist »mit« diesem Gefühl »begleitet«, und zwar durchgängig (»jederzeit«). Die Begleitfunktion gilt zugleich von allen Empfindungen schlechthin, so dass jede Empfindung zugleich ein Empfinden von Lust und Unlust ist. Die Formulierung erinnert übrigens an das die Vorstellungen begleitende Bewußtsein, an dessen Stelle sozusagen das Lustgefühl tritt. Die starke Behauptung, dass jede (d. i. jede einzelne) Empfindung immer mit dem Gefühl von Lust und Unlust verbunden (»begleitet«) sei, wird von Kant durch nichts belegt oder gar bewiesen. Dieses Gefühl hat gleichwohl keine SynthesisFunktion, die dem »Ich denke« gleichkäme, und dennoch soll es »Bestimmungsgrund« des ästhetischen Urteils sein. Die unmittelbare Beziehung der Reflexion auf die Empfindung macht die Eigentümlichkeit der Urteilskraft aus, da sie »von keinem andern obern Erkenntnißvermögen« gelten kann (20:226.2–3). Die Begründung für diese exklusive Beziehung und den Sonderstatus des mittleren Erkenntnisvermögens erfolgt im anschließenden »weil«-Nebensatz (20:226.3–7). Die Reflexion bezieht sich aus dem Grunde auf die Empfindung, dass »die Regel selbst nur subjectiv ist«. Sie ist nämlich diejenige Regel, die durch das Prinzip der subjektiven Zweckmäßigkeit bestimmt ist. Deshalb könne nun die »Übereinstimmung« (einer gegebenen Vorstellung) mit der Regel – die das ästhetische Urteil kennzeichnet – nur an etwas »erkannt« werden, das auch nur eine »Beziehung aufs Subject« ausdrücke. Das sei eben die Empfindung. Die
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Übereinstimmung kann demzufolge nur »erkannt« werden, indem sie unmittelbar empfunden wird, und zwar als gefühlte Lust. Das Bewußtsein aber bezieht sich – wie wir aus der KrV wissen – a priori auf ein Objekt; insofern ist es nicht bloß ein subjektiver Bestimmungsgrund. Und da hier Empfindung zum Merkmal und »Bestimmungsgrund« des Urteils erhoben wird, ist dies auch der Grund dafür, dass das Urteil »ästhetisch« heißt. Aufgrund der referierten Überlegungen gelangt Kant zu einer triadischen Einteilung aller Urteile »nach der Ordnung der obern Erkenntnisvermögen«: theoretische (des Verstandes), ästhetische (der Urteilskraft) und praktische (der Vernunft) (20:226.7–9). Diesen Sachverhalt wird er später in EE XI auch wieder zur Sprache bringen. Es kann sich dabei nicht um logische Urteilsformen handeln, deren Klassifizierung in der transzendentalen Analytik der KrV (B 95 / A 70) vorgenommen wird, da das logische Urteil für die Einteilung nicht in Betracht kommt.407 Vielmehr muss von Urteilstypen gesprochen werden, deren Einteilung sich nach der Ordnung der Erkenntnisvermögen richtet. Die drei Urteilsarten können deshalb im weiteren Sinne als Erkenntnisurteile gelten. Aus der Klasse der ästhetischen Urteile werden die Sinnenurteile ausgeschlossen, und zwar weil diese nur eine unmittelbare Beziehung der Vorstellungen auf den inneren Sinn, »sofern derselbe Gefühl ist«, ausdrücken (20:226.12–14). Dagegen betrifft das ästhetische Reflexionsurteil auch und zuerst das Erkenntnisvermögen und sein subjektives Prinzip (vgl. Abs. 5). Was ist das für ein Begriff vom »inneren Sinn«, von dem Kant an dieser Stelle Gebrauch macht? Der »innere Sinn« ist seiner Grundbedeutung nach in Kants erster Kritik ein Erkenntnisvermögen, das zur Rezeptivität der sinnlichen Anschauung gehört. Es unterscheidet sich vom »äußeren Sinn« dadurch, dass es nicht von äußeren Gegenständen affiziert wird, sondern von Gemütsempfindungen,408 und dass seine Form und sein Prinzip die Zeit ist (im Unterschied zum Raum). Er ist nicht gleichbedeutend mit dem (empirischen) Bewußtsein seiner selbst (vgl. KrV, A 107), obwohl er seiner Form nach die Art ausdrückt, auf die das Gemüt durch seine eigene Tätigkeit des Setzens von Vorstellungen affiziert wird, also Selbstaffektion und Selbstanschauung ist.409 Durch den inneren Sinn wird das Subjekt als Erscheinung vorgestellt.410 Er ist dem äußeren Sinn aber nicht bloß nebengeordnet, sondern auch übergeordnet, insofern die Zeit »die formale Bedingung a priori aller Erscheinungen überhaupt«, d. h. mittelbar auch der äußeren Erscheinungen ist (KrV, B 50 f. / A 34). Als subjektive Form und Prinzip von Erkenntnis überhaupt hat der innere Sinn dann aber nur ideelle Bedeutung (vgl. KrV, B 66–69). Der Verstand bestimmt den In EE XI (14. Abs.) (20:24636–247.1) wird allerdings zwischen ästhetischen und logischen Urteilen unterschieden (s. den Kommentar zu EE XI, S. 315). Zur Einteilung der Urteilsformen vgl. Logik Jäsche (9:101 ff.). 408 Vgl. Anthropologie § 15 (7:153). 409 Vgl. KrV, B 37 / A 22, B 49 / A 33, B 68, B 152–157. 410 Vgl. KrV, B 68; Anthropologie § 7 (7:142). 407
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inneren Sinn, indem er das Mannigfaltige der Anschauung durch die synthetische Einheit seiner Handlung sukzessive verbindet (vgl. KrV, B 153). Über die Rolle des inneren Sinnes in Hinsicht auf die Funktion des Schematismus wird im Kommentar zu E IV, erster und zweiter Absatz, hinreichende Auskunft gegeben.411 Schließlich unterscheidet Kant den inneren Sinn als Wahrnehmungsvermögen (sensus internus) vom Gefühl der Lust und Unlust, für das er die Bezeichnung inwendiger Sinn (sensus interior) vorschlägt.412 Der innere Sinn in dieser letzteren Bedeutung scheint dem zu entsprechen, was am Ende von EE VIII der innere Sinn, »sofern derselbe Gefühl ist«, genannt wird. Nicht auf den inneren Sinn der Form nach, sondern auf das Gefühl von Lust und Unlust gründet sich also das ästhetische Urteil, und das ästhetische Sinnenurteil wiederum nur, indem es Vorstellungen unmittelbar (d. h. nicht vermittelst eines Erkenntnisvermögens) darauf bezieht. Es ist an dieser Stelle nicht möglich (aber auch nicht ratsam), Kants Urteilstheorie in ihrer ganzen Vielfalt und Vielseitigkeit zu skizzieren. Die Einteilung, die am Ende des Haupttextes von EE VIII gegeben wird (und die sich in EE XI, Abs. 13 (20:246.23–25) wiederholt), gründet sich auf die spezifischen Synthesisleistungen der drei »oberen« Erkenntnisvermögen. Sie sind insofern insgesamt Erkenntnisurteile. In engerer Bedeutung von »Erkenntnis« trifft dies aber nur auf die theoretischen Urteile zu. Sie sind charakterisiert und unterteilt gemäß den in der KrV hergeleiteten Urteilsformen.413 Mit seiner allgemeinen Bestimmung eines Urteils, die in der KrV gegeben wird, grenzt sich Kant bewußt ab von der ihm geläufigen Standarderklärung des Urteils in den Lehrbüchern der Logik seiner Zeit, nach der es »die Vorstellung eines Verhältnisses zwischen zwei Begriffen« sei. Für Kant hingegen ist ein Urteil »die Art gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen.«414 Diese Definition eines Urteils entspricht nicht einem Erkenntnisurteil im Sinne theoretischer Erkenntnis, sondern der logischen Form eines Urteils überhaupt. In Kants Logik-Vorlesungen geht der Unterscheidung zwischen der Materie und der Form eines Urteils die folgende »Erklärung eines Urtheils überhaupt« voraus: »Ein Urtheil ist die Vorstellung der Einheit des Bewußtseins verschiedener Vorstellungen oder die Vorstellung des Verhältnisses derselben, sofern sie einen Begriff ausmachen.«415 In dieser Erklärung ist die in der KrV gerügte Formel aus den Logik-Lehrbüchern als zweite Variante noch mit enthalten.416 Die Materie eines Urteils besteht in »gegebenen, zur Einheit des Bewußtseins im Urtheile verbundenen Erkenntnissen«;
Vgl. Kommentar zu E IV und Exkurs zu E IV, S. 436–439; 442 ff. 412 Vgl. Anthropologie, § 15 (7:153). 413 Vgl. KrV, B 95 / A 70 – B 105 / A 79; Logik Bauch, Logik-Vorlesungen I, S. 171–177; Logik Jaesche §§ 20–29 (9:102–107). 414 KrV, B 140 f.; vgl. Logik Jäsche §§ 17–18 (9:101). 415 Kant, Logik Jäsche, §§ 17 (9:101). 416 Vgl. dazu R. Stuhlmann-Laeizs (1976), Kants Logik (Abschnitt über die Urteile: im 411
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seine Form dagegen »in der Bestimmung der Art und Weise, wie die verschiedenen Vorstellungen, als solche, zu Einem Bewußtsein gehören«.417 Insofern »die Logik von allem realen oder objectiven Unterschiede des Erkenntnisses abstrahirt« und deshalb nur die verschiedenen Urteilsformen berücksichtigt,418 reduziert sich ein logisches Urteil auf die erklärte bloße Form eines Urteils. Diese Form passt nicht auf das praktische und noch viel weniger auf das ästhetische Urteil. In den Nachschriften zu Kants Logik-Vorlesungen finden wir (wie in EE XI) eine Entgegensetzung von logischen und ästhetischen Urteilen (bzw. Urteilen, die Ästhetisches enthalten). Das ästhetische Urteil im Kontext von Kants Logik hat allerdings kaum Ähnlichkeit mit dem komplizierten Gebilde eines ästhetischen Urteils, wie es sich in der KU konstituiert. Der Hauptunterschied betrifft die Stellung zur Sinnlichkeit, von der das logische Urteil, das ausschließlich eine Angelegenheit des Verstandes ist, absieht, während das ästhetische von der sinnlichen Empfindung ausgeht.419 Das Ästhetische in einem Urteil wird dabei nicht nur als Ausdruck einer Bewunderung, sondern als etwas durchaus Negatives angesehen, insofern es »oft blind in Ansehung des logischen« macht.420 Theoretische und praktische Urteile (bzw. Sätze) sind grob unterschieden voneinander, insofern die ersteren ein Sein oder Nichtsein enthalten,421 die letzteren aber ein »Sollen, die Nothwendigkeit, warum etwas geschieht.«422 Präziser sind entsprechende Formulierungen in der Logik Jäsche: Theoretische Sätze sind solche, die »sich auf den Gegenstand beziehen und bestimmen, was demselben zukomme oder nicht zukomme«. »Praktisch« heißen diejenigen Sätze, die »die Handlung aussagen, wodurch, als nothwendige Bedingung desselben [d. i. des Gegenstandes], ein Object möglich wird.«423 Das mögliche Objekt ist als Objekt des Willens zu verstehen, der durch ein praktisches Gesetz bestimmt wird. Praktische Sätze bzw. Urteile beschränken sich damit auf die praktischen Grundsätze, die objektive Gültigkeit und kategorische (allgemein-gesetzgebende) Form haben, insbesondere auf den kategorischen Imperativ. Denn nur als solche haben sie Gesetzescharakter.424 Sie umfassen also weder subjektive Maximen, noch technisch-praktische Sätze, da sie ohne alles subjektive
Rahmen der formalen Logik ist diese Definition nicht eliminierbar. Dort wird auch Kants Quelle genannt). 417 Logik Jäsche § 18 (9:101). 418 Vgl. Logik Jäsche § 19 (9:101). 419 Logik Bauch, Logik-Vorlesungen I, S. 177; vgl. Logik Hechsel, Logik-Vorlesungen II, S. 433. 420 Logik Hechsel, Logik-Vorlesungen II, S. 433. 421 »Ich sage, ob sie in einer gewißen Absicht sind oder nicht sind.« (Logik Hechsel, LogikVorlesungen II, S. 434). 422 Ebd. 423 Logik Jäsche § 32 (9:110). 424 Vgl. KpV, § 1 und § 7 (5:19–21, 31).
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Interesse gelten.425 Wie weit die praktischen Sätze bzw. Urteile aber wirklich reichen, kann nicht genau bestimmt werden. Sicher werden es keine empirischen, sondern Sätze a priori sein. Sind es aber auch synthetische Sätze a priori, deren mögliches Objekt ein Zweck ist?426 Nun sollen die praktischen Sätze in der Logik nur ihrer Form nach auch behandelt werden, und insofern sind sie den theoretischen entgegengesetzt. Dem Inhalt nach sind die praktischen von den theoretischen, die Kant mit den logischen zu identifizieren scheint,427 bloß verschieden. Sie haben ihren Platz in Disziplinen außerhalb der Logik (z. B. in der Moral).428
»Anmerkung«: Erster bis vierter Absatz: Kritik der Erklärung der Lust durch »Vollkommenheit« Kant hält es für nötig, dem Haupttext des achten Abschnittes eine längere »Anmerkung« hinzuzufügen, in der eine kritische Sichtung begrifflicher Explikationen aus den überlieferten Theorien der Ästhetik (Meier, Baumgarten) vorgenommen wird. Im Fokus der Betrachtung steht die Auseinandersetzung um den Begriff der »Vollkommenheit«. Er wurde in den Ästhetik-Kompendien des achtzehnten Jahrhunderts dafür verwendet, den Begriff der Lust (bzw. des Vergnügens) zu erklären. Wir können in unserer Betrachtung Kants Referat folgen, ohne ausführlich auf die Quellen, auf die sich seine Kritik bezieht, eingehen zu müssen. Hinweise auf die entsprechenden Textstellen und kurze Zitate können als Belege für Kants Bezugnahmen genügen, da unser Kommentar nicht beansprucht, authentische Gedankenrekonstruktionen aus der Philosophiegeschichte zu präsentieren. Zufolge der Theorie, auf die sich Kant mit seiner Kritik an der Erklärung des Lustbegriffes beruft, wäre Lust die sinnliche Vorstellung »der Vollkommenheit eines Gegenstandes«. Damit aber würde ein ästhetisches Urteil in ein »Erkenntnißurtheil vom Objecte« verwandelt, weil die Bestimmung der Vollkommenheit einen Gegenstandsbegriff voraussetzt. Ein solches Urteil, in welchem das Prädikat der Vollkommenheit auf einen Gegenstand bezogen ist, wäre den logischen Urteilen zuzuordnen. Vorgeblich würde eine dem Begriff der Vollkommenheit anhaftende »Verworrenheit«429 ein Unterscheidungsmerkmal ästhetischer Urteile sein. Nach Kant führt dieses Kriterium zu beliebigen Einteilungen, indem die Verworrenheit
Grundlegung (4:431). 426 Vgl. Kant, Religion (6:6–8). 427 Vgl. KU, § 14, 1. Abs. 428 Vgl. Logik Jäsche, Anm. zu § 32 (9:110). 429 S. zu diesem Begriff auch KU, § 15, 2. Abs. »Verworrenheit« ist der in der klassischen rationalen Metaphysik als Gegenbegriff von »Deutlichkeit« verwendete Terminus begrifflicher Wahrheitsfindung; s. weiter unten im Kommentar zu EE VIII, »Anmerkung«, S.195. 425
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»keinen specifischen Unterschied der Urtheile ausmachen kann.« Würde in einem Urteil nämlich ein Objekt durch einen verworrenen Begriff bestimmt, so müsste eine »unendliche Menge« von Verstandes- und Vernunfturteilen konsequenterweise auch »ästhetisch« genannt werden. Als Beispiel für verworrene Urteile führt Kant »die Urtheile über Recht und Unrecht« an (EE VIII, »Anmerkung«, 1. Abs.) (20:226.19–299). In einer Fußnote zu diesem ersten Absatz wird näher erläutert, weshalb der Unterschied zwischen Deutlichkeit und Verworrenheit unzureichend ist, eine spezifische Verschiedenheit von Urteilen zu begründen. Er beruht nämlich auf dem bloß graduellen Unterschied »des Bewußtseins der Merkmale« (der sich wiederum nach dem Grad der »Aufmerksamkeit« richtet). Weil nun Dinge, deren Bestimmung durch gradweise Vermehrung oder Verminderung in jede andere Qualität übergehen kann, nicht für »specifisch-verschieden« zu halten sind, so ist eine durch Deutlichkeit bzw. Undeutlichkeit charakterisierte Vorstellungsart von einer anderen nicht spezifisch verschieden.430 Ganz anders verhält es sich aber mit der Verschiedenheit von »Anschauung« und »Begriff«. Sie können nicht durch bloß graduelle Veränderung ineinander übergehen, sondern sie sind »specifisch verschieden«. Obwohl die begriffliche Vorstellungsart eine maximale Undeutlichkeit erlangen kann, behält sie ihre spezifische Differenz im Hinblick auf ihren Ursprung im Verstand bei. Umgekehrt kann »die größte Deutlichkeit der Anschauung« nicht dazu führen, dass sie in den Begriff überginge. Vielmehr bleibt sie spezifisch von ihm unterschieden, insofern sie zur Sinnlichkeit gehört (20:227.25–32). Kant sieht die logische und die ästhetische Deutlichkeit als »himmelweit unterschieden« an, und zwar insofern, als von seinem transzendentalen Standpunkt aus gesehen die ästhetische Deutlichkeit allein die sinnliche Anschauung betrifft und daher vollkommen indifferent ist gegenüber jeder begrifflichen Differenz überhaupt.431 Die soeben betrachtete Fußnote zum ersten Absatz (20:226.32–227.36) hat die Funktion zu klären, ob der Unterschied zwischen Deutlichkeit und Undeutlichkeit (Verworrenheit) von Begriffen einen Erklärungswert besitzt für das Prädikat der
20:226.32–36, 20:227.24 f.; vgl. KrV, B 207 ff., B 253 ff. / A 207 ff. 20:227.32–36. Die Erkenntniskriterien der Klarheit (resp. Dunkelheit) und Deutlichkeit (resp. Verworrenheit) waren ein Gemeinplatz der rationalen Metaphysik. Vgl. Descartes, R., Discours, 2. Teil, 1. Methodenregel (AT VI, 18) (Descartes (1960), 30/31); Principia I, §§ 45–46 (Descartes (1955), 15 f.); vgl. Perler, D. (1998), Descartes, 157–163, 173–179; vgl. Röd, W., Geschichte der Philosophie VII, S. 53–74. Vgl. Spinoza, B., TIE, Opera-Werke II, 36/37, 48/49, 50/51, 60/61, 68/69, 78–81; Spinoza, B., Descartes’ Prinzipien, 1. Teil, Grundsatz 9 und 10 (SW 4 (1987), 28 f.); vgl. Bartuschat, W. (2006), Baruch de Spinoza, 87, 93; vgl. Röd, W., Geschichte der Philosophie VII, 187 f. Leibniz, Meditationes (GP I, S. 422 f.; AA VI, 585–588); vgl. Liske (2000), 158 ff. Vgl. Wolff, Chr., Deutsche Metaphysik, §§ 198–202, 224, 277–278, 336, 416, 731–732 (GW I.2, 110–112, 125 f., 153 f., 192, 254 f., 457). Zu Kants Auseinandersetzung mit der schulmetaphysischen Lehre von der Klarheit und Deutlichkeit der Erkenntnis s. u. a. Kant, Logik Jäsche, 9:58–65. 430 431
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Vollkommenheit in einem vermeintlichen ästhetischen Urteil. Nun wird etwa in der Mitte des ersten Absatzes das Ergebnis der Betrachtungen in der anspruchsvollen Behauptung zusammengefasst: »Sinnliche Vorstellung der Vollkommenheit ist ein ausdrücklicher Widerspruch […].« (20:226.31–227.1). Ausdrücklich heißt der Widerspruch hier wohl deswegen, weil allein schon durch die sprachliche Form angezeigt wird, dass der Ausdruck im echten Sinne widersprüchlich ist. Der Widerspruch (hier zu verstehen als contradictio in adjecto) muss dann darauf beruhen, dass dem Begriff der Vollkommenheit eine Bestimmung beigelegt wird, die die Negation dessen beinhaltet, was in seinem Begriff enthalten ist. Die Bestimmung, die der Vollkommenheit beigelegt wird, ist die, »sinnliche Vorstellung« zu sein. Das entspricht jedoch nicht dem wahren Inhalt des Begriffs. Denn im nachfolgenden Text erfahren wir, dass »Vollkommenheit« die Bezeichnung dafür sein soll, dass ein Mannigfaltiges »zu Einem« zusammenstimmt (20:227.1–2). Unter der Voraussetzung, dass diese Namengebung allgemein gültig ist, ist es notwendig, die Vollkommenheit durch einen »Begriff« vorzustellen. Zu ihrer Bestimmung gehört also wesentlich, begriffliche Bestimmung zu sein. Das ist aber das gerade Gegenteil zur behaupteten sinnlichen Vorstellung, weil Sinnlichkeit (sinnliche Anschauung) und Begriff nach Kants erkenntniskritischer Theorie strikt voneinander zu trennen sind. In der zweiten Hälfte des ersten Absatzes der »Anmerkung« (»Will man, daß Lust und Unlust …«) (20:227.4 ff.) werden in einem gedanklichen Experiment die Konsequenzen aus der Forderung entwickelt, Lust und Unlust seien »nichts als bloße Erkenntnisse der Dinge durch den Verstand (der sich nur nicht seiner Begriffe bewußt sey)« (20:227.4–6). Die erste Konsequenz betrifft die Benennung der Beurteilung der Dinge durch Lust und Unlust (»durch dieselbe«); sie kann nicht ästhetisch, sondern muss »intellectuell« heißen. Für das Erkenntnisvermögen würde das bedeuten, dass die Sinne mit dem (ohne Bewußtsein) urteilenden Verstand identisch wären. Schließlich würde die spezifische Differenz zwischen der ästhetischen und der logischen »Vorstellungsart« wegfallen, so dass überhaupt auch der Unterschied in der Namengebung ohne Sinn und Nutzen wäre. Nur beiläufig (in Parenthese) bezieht Kant die in Grundzügen geübte Kritik an älteren Theorien der Ästhetik auf eine ebenso kritikwürdige Metaphysik, indem von einer »mystischen Vorstellungsart der Dinge der Welt« die Rede ist (20:227.14–17). Mystifiziert wird sie dadurch, dass sie keine von Begriffen unabhängige sinnliche Anschauung zulässt und im Grunde einen anschauenden Verstand postuliert. Der zweite und der dritte Absatz gehören eng zusammen. Im zweiten Absatz wird mit einer gewissen Zurückhaltung (»Noch könnte man fragen …«)432 eine Frage – genauer gesagt, eine Doppelfrage – gestellt, die der dritte Absatz beantwortet. Die Satzfrage wird indirekt gestellt und ist von hypothetischer Art. Sie simuliert einen möglichen Einwand gegen Kants Begriff der Naturzweckmäßigkeit: »Bedeutet 432
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unser Begrif einer Zweckmäßigkeit der Natur nicht eben dasselbe, was der Begrif der Vollkommenheit sagt […]?«433 Der Verdacht einer Bedeutungsgleichheit zwischen Naturzweckmäßigkeit und Vollkommenheit lässt sich anscheinend nur mit Mühe auf den zweiten Teil der Frage beziehen; dieser hat folgenden Wortlaut: »ist also das empirische Bewußtseyn der subjectiven Zweckmäßigkeit, oder das Gefühl der Lust an gewissen Gegenständen nicht die sinnliche Anschauung einer Vollkommenheit […]?« (20:227.20–22) Das Wort »also« verbindet die beiden Teilfragen in der Weise, dass die letztere als Folge oder präzisere Auslegung der ersteren erscheint. Gleichwohl bedarf die zweite Version der Fragestellung einiger Erläuterungen. Es ist klar, dass die Frage nicht bloß auf die Zweckmäßigkeit der Natur im allgemeinen gerichtet ist, sondern auch auf die subjektive (formale) Zweckmäßigkeit im besonderen, die für das ästhetische Urteil maßgeblich ist. Im besonderen betrifft die Frage jedoch nicht diesen Begriff der subjektiven Zweckmäßigkeit selbst, sondern das »empirische Bewußtseyn« desselben. Dieses Bewußtsein ist an einer früheren Stelle als Gefühl der Lust ausgelegt worden.434 Das Gefühl der Lust ist nach den Erklärungen Kants – soweit wir in diesem Abschnitt damit konfrontiert worden sind – ein rein subjektives Empfinden und eine bloß subjektive Bedingung des ästhetischen Urteils.435 Es wird nicht von Gegenständen affiziert und verhilft auch nicht zu Begriffen von Objekten.436 Dass die Lust hier nichtsdestotrotz »an gewissen Gegenständen« gefühlt wird, kann nur bedeuten, dass sie sich ganz unbestimmt auf Vorstellungen von Gegenständen bezieht, über die im ästhetischen Urteil etwas ausgesagt wird. Dem »Begrif der Vollkommenheit« in der ersten Teilfrage korrespondiert »die sinnliche Anschauung einer Vollkommenheit« in der zweiten, und es wird sogleich angezeigt, dass damit eine bestimmte tradierte Position ins Visier genommen wird (»wie einige die Lust überhaupt erklärt wissen wollen«) (20:227.22–23). Es soll an späterer Stelle im Zusammenhang mit der Beantwortung der Frage belegt werden, dass die Adressaten dieser Kritik im Spektrum der Kant durch seine Vorlesungen vertrauten Lehrbuchtradition zu finden sind (Meier, Baumgarten).437 Die beiden zuletzt einander gegenübergestellten Ausdrücke legen es aufgrund ihrer sprachlichen Verschiedenheit nahe, von zwei dem Inhalt nach verschiedenen Fragen (statt von bloßen Formulierungsvarianten ein und derselben Frage) auszugehen. In der Analyse der Antwort(en) soll diese These bestätigt werden. Man kann hier allerdings auch den Standpunkt vertreten, dass sich die ganze Frage und die Auseinandersetzung über ihre Beantwortung erübrigt, da bereits im ersten Absatz der »Anmerkung« erklärt worden ist, dass die Vollkommenheit als sinnliche Vorstel433 434 435 436 437
20:227.18–20; s. dazu auch KU, § 15. Vgl. Kommentar zu EE VII, S. 160. Vgl. EE VIII, 5. Abs. (20:224.19 ff.). Vgl. EE VIII, 1. und 4. Abs. (20:222.1 ff; 20:224.8 ff.). Vgl. Kommentar zu EE VIII, S. 175.
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lung ein »ausdrücklicher Widerspruch« sei und dass sie allein begrifflich vorgestellt werden könne. Welche Antwort(en) gibt Kant im dritten Absatz auf die gestellte(n) Frage(n), und wie lautet die Begründung? Es sei vorweg bemerkt, dass die gestellten Fragen von Kant nicht direkt beantwortet werden; die Antworten lassen sich erst nach einer gezielten Textinterpretation in klare Worte fassen. Auf die erste Frage (Zweckmäßigkeit der Natur / Vollkommenheit) finden wir im Text des dritten Absatzes aufgrund einer differenzierten Analyse des Vollkommenheitsbegriffs eine bejahende Antwort, sofern bestimmte Voraussetzungen gelten. Die Antwort auf die zweite Frage (empirisches Bewußtsein der subjektiven Zweckmäßigkeit / sinnliche Anschauung einer Vollkommenheit) ergibt sich dergestalt aus der Analyse des Vollkommenheitsbegriffs, dass sich die Frage als sinnlos erweist bzw. als in der Sache falsch gestellt von selbst auflöst. Kant leitet seine Beantwortung mit der Definition des Begriffs von »Vollkommenheit« »als bloße Vollständigkeit des Vielen, so fern es zusammen Eines ausmacht«, ein (EE VIII, »Anmerkung«, 3. Abs.) (20:228.1–2). Diese Definition entspricht der Namenerklärung im ersten Absatz der »Anmerkung« zu EE VIII (20:227.1–2), nach der Vollkommenheit »die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen zu Einem« sei. Den Begriff der Vollkommenheit in der angegebenen Bedeutung nennt Kant einen »ontologische[n] Begrif« (20:228.2). Ontologische Begriffe sind solche, die ohne Einbeziehung von sinnlicher Anschauung einem Ding überhaupt (das selbst ein ontologischer Begriff ist)438 Eigenschaften (ontologische Prädikate) beilegen, wie z. B. der Begriff der Substanz,439 oder auch andere transzendentale Begriffe.440 So werden nach Kant im sog. ontologischen Gottesbeweis »ontologische Prädikate« verwandt, die aus dem bloßen Begriff eines »Urwesens« gezogen werden, um auf den ontologischen Begriff des Daseins Gottes mit Notwendigkeit schließen zu können.441 Kant kritisiert im allgemeinen die Verwendung solcher Begriffe in der Philosophie, weil sich aus ihnen kein bestimmter Begriff und somit keine Erkenntnis gewinnen lasse.442 Von dem gegebenen ontologischen Begriff von Vollkommenheit werden sogleich zwei wichtige Aussagen gemacht. Die erste kann uns zur Erläuterung der Definition dienen. Der besagte Begriff sei identisch (»einerley«) »mit dem der Totalität (Allheit) eines Zusammengesetzten (durch Coordination des Mannigfaltigen in einem Aggregat, oder zugleich der Subordination derselben als Gründe und Folgen in einer Reihe) […].« (EE VIII, »Anmerkung«, 3. Abs.) (20:228.3–5) Erläutert wird durch diese Aussage an der Definition, was es heißt, »bloße Vollständigkeit des Vielen, sofern es zusammen Eins ausmacht« zu sein. Kant verwendet dafür den dritten Vgl. KU, § 85, 7. Abs. (5:440); vgl. KU, § 91, 9. Abs. (5:473). Vgl. KU, § 80, 8. Abs. (5:421). 440 Vgl. E V, 1. Abs. (5:181). 441 Vgl. KU, § 91, Allgemeine Anmerkung zur Teleologie, 3. Abs. (5:475); vgl. KU, § 91, 9. Abs. (5:473). 442 Vgl. KU, § 91, 9. Abs. (5:473). 438 439
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Untertitel der Kategorie der Quantität. Vollständigkeit wird also unter dem Aspekt von Größenverhältnissen betrachtet und definiert.443 In der zweiten Auflage der KrV wird »die Allheit (Totalität)« erläutert »als die Vielheit als Einheit betrachtet« (B 111), weil in jeder Klasse die dritte Kategorie aus der Verbindung der zweiten mit der ersten resultiere (B 110). In diesem Sinne gilt von der Definition, dass das Viele erst dann als vollständig gelten kann und damit der Vollkommenheit gleichkommt, wenn es insgesamt durch eine Einheit (Allheit) bestimmt ist und insofern einen durchgängigen Zusammenhang ausmacht. Nun ist aber entscheidend zu berücksichtigen, dass Kant die Definition von Vollkommenheit offenbar in der Sprache der traditionellen Schulmetaphysik formuliert. Das ergibt sich daraus, dass das Definiendum als ontologischer Begriff ausgewiesen ist, auf den die Kategorien gar nicht angewendet werden dürften. Unter Berufung auf einen scholastischen Lehrsatz zeigt Kant in § 12 der zweiten Auflage der KrV (B 113–116), dass die Kategorien der Quantität auch in einer formal-logischen Bedeutung Verwendung finden können, indem sie bestimmten Kriterien, die als zur Erkenntnis überhaupt (»aller Erkenntnis der Dinge überhaupt«) für notwendig erachtet werden, zugrunde liegen. Diese Kriterien sind: 1) »Einheit des Begriffes« (»qualitative Einheit«, unter der die »Einheit der Zusammenfassung des Mannigfaltigen der Erkenntnisse« zu verstehen ist); 2) »Wahrheit in Ansehung der Folgen« (»qualitative Vielheit der Merkmale, die zu einem Begriffe als einem gemeinschaftlichen Grunde gehören«); 3) »Vollkommenheit« (»qualitative Vollständigkeit« (Totalität)). Dieser Begriff von Vollkommenheit besteht darin, dass »diese Vielheit zusammen auf die Einheit des Begriffes zurückführt, und zu diesem und keinem anderen völlig zusammenstimmt […].« (KrV, B 114) Mit den drei von Kant diskutierten Begriffen der Einheit, Wahrheit und Vollständigkeit soll nun nicht die Tafel der Kategorien ergänzt werden (was unmöglich ist), sondern sie geben ein Verfahren an, wie Kategorien »unter allgemeine logische Regeln der Übereinstimmung der Erkenntnis mit sich selbst gebracht« werden können (B 116). Insbesondere sind es Kriterien, die für das Verfahren der Begriffsdefinition erforderlich sind (vgl. B 115).444 Insofern wird das Kriterium der Vollkommenheit in der von uns analysierten Definition im dritten Absatz der »Anmerkung« zu EE VIII auf sich selbst angewendet, um zu zeigen, dass der definierte Begriff mit sich (mit seinen Bestimmungen) übereinstimmt. Der qualitativ ausgelegte Größenbegriff der »Totalität (Allheit)«, der mit dem der Vollkommenheit »einerley« sei, bezieht sich auf ein Zusammengesetztes, d. h. nicht auf ein Vieles, das diskret wäre (dessen Teile disparat wären). Zwei denkbare ArDas bedeutet allerdings nicht, dass die angeführte Definition von »Vollständigkeit« unter dem Quantitätsgesichtspunkt die einzig mögliche wäre. Vielmehr zeigen Kants Überlegungen an anderen Stellen, dass »Vollständigkeit« auch noch unter anderen Aspekten betrachtet werden kann (Logik Jäsche, 9:58 ff.). 444 Zu Kants Erörterung der »Definition« und ihrer verschiedenen Spielarten vgl. KrV, B 755–760 / A 727–732. 443
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ten der Zusammensetzung (Verknüpfung) werden in Klammern genannt: die »Koordination des Mannigfaltigen in einem Aggregat« und (»oder« im nicht ausschließenden Sinne) zugleich die »Subordination« der koordinierten Zusammensetzung (»derselben« bezieht sich grammatisch sinnvollerweise auf »Totalität«) »als Gründe und Folgen in einer Reihe« (20:228.3–5). Die Zusammensetzung eines Vielen zu einer Einheit durch »Coordination« wird von Kant so gedacht wie ein Ganzes als Einheit seiner Teile, die einander nicht untergeordnet, sondern nur nebengeordnet sein können, und zwar indem sie in einem wechselseitigen Verhältnis der Negation zueinander stehen. (KrV, B 112). Die Wechselseitigkeit macht den Aggregat-Charakter aus, nach welchem »wenn ein Glied der Einteilung gesetzt wird, alle übrigen ausgeschlossen werden, und so umgekehrt« (KrV, B 112). Diese Form der Verknüpfung schließt offenkundig die Subordination aus, weil diese eine bloß einseitige (nicht umkehrbare) Verknüpfung von Grund und Folge »wie in einer Reihe« sein müsste (ebd.). Wir haben also in der Zusammensetzung durch Koordination die logische Verwendung der Relationskategorie der »Gemeinschaft« oder Wechselwirkung vor Augen, die wiederum den (qualitativ gedachten) Begriff der Totalität bestimmt. Die Subordination dagegen drückt ein logisches Verhältnis der Aufeinanderfolge nach Art der Kausalitätskategorie aus (wie sie in der KrV etwa in der zweiten Analogie der Erfahrung als Zeitreihe festzustellen ist).445 In dieser Form der Verknüpfung des Mannigfaltigen wird jeweils ein Glied als Folge dem vorausgehenden Grund untergeordnet. Kann aber nun die Totalität als ein Zusammenhang gedacht werden, der die beiden logischen Ordnungen der Koordination und der Subordination gleichzeitig (»zugleich«) aufweist? Das ist offenbar nicht möglich, weil das Zugleichsein446 in der Wechselwirkung und die Aufeinanderfolge von Ursache und Wirkung einander ausschließen und nicht wiederum zugleich sein können. Der ontologische Begriff der Vollkommenheit ist nach den angestellten Überlegungen mit dem Begriff der Totalität eines Zusammengesetzten insofern »einerley«,447 als die dritte Kategorie der Quantität als qualitative Vollständigkeit der Einheit und Vielheit eines durch Koordination resp. Subordination zusammengesetzten Mannigfaltigen ausgelegt wird. Und diese Vollständigkeit eines Zusammengesetzten heißt »Vollkommenheit«. Von dem definierten Begriff der Vollkommenheit behauptet Kant nicht nur die Identität mit der Totalität eines Zusammengesetzten, sondern insbesondere auch, dass er »mit dem Gefühle der Lust und Unlust nicht das Mindeste zu thun hat« (EE VIII, KrV, B 232–256 / A 189–211; zur Begriffspaarung von Koordination und Subordination, Klarheit und Deutlichkeit vgl. u. a. Logik Jäsche, 9:58–64, 9:96–99 (§§ 10–14); Metaphysik Pölitz (1788/1821/1972), in: Kant, Vorlesungen über die Metaphysik, S. 31, S. 35 (20.2,1: 548–550), »Vom Grunde«. 446 Zum »Zugleichsein« vgl. KrV, B 257 (Beweis der dritten Analogie). 447 Zum Begriff der »Einerleiheit« vgl. KrV, B 317 / A 262. 445
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»Anmerkung«, 3. Abs.) (20:228.6–7) Diese Behauptung wird zunächst nicht begründet. Sie ist allerdings im Rahmen von Kants ästhetischer Theorie von zentraler Bedeutung. In § 15 der KU untersucht Kant erneut den Begriff der Vollkommenheit und stellt die Frage nach dessen Verhältnis zur Schönheit: »Es ist von der größten Wichtigkeit, in einer Kritik des Geschmacks zu entscheiden, ob sich auch die Schönheit wirklich in den Begriff der Vollkommenheit auflösen lasse.«448 Wir werden im Anschluß an die Interpretation des dritten Absatzes der »Anmerkung« noch Gelegenheit haben, die zitierte Schlüsselfrage etwas näher zu beleuchten. Der Fortgang im Text des dritten Absatzes zeigt, dass Kant eigentlich auf die Betrachtung eines anderen Vollkommenheitsbegriffs im Verhältnis zum Ästhetischen hinaus will. Es heißt dort nämlich: »Die Vollkommenheit eines Dinges in Beziehung seines Mannigfaltigen auf einen Begrif desselben ist nur formal.« (20:228.7–8) Hier ist von »Vollkommenheit« in der Bedeutung die Rede, in der sie definiert worden ist, d. h. als ontologischer Begriff, und dieser ist eben »nur formal«, insofern er nicht mit sinnlicher Anschauung verbunden ist. Das scheint auch der Grund dafür zu sein, dass dieser Begriff von Vollkommenheit keinerlei Zusammenhang mit dem Gefühl der Lust und Unlust aufweist. Kant stellt diesem ontologischen Begriff aber einen anderen Begriff von Vollkommenheit gegenüber, der für ihn der gehaltvollere ist: »Wenn ich aber von einer Vollkommenheit (deren es viele an einem Dinge unter demselben Begriffe desselben geben kann) rede, so liegt immer der Begrif von Etwas, als einem Zwecke, zum Grunde, auf welchen jener ontologische, der Zusammenstimmung des Mannigfaltigen zu Einem, angewandt wird.«449 Wenn also von »einer« Vollkommenheit gesprochen wird, dann ist das eine von vielen, die gemeinsam unter dem Begriff eines Dinges stehen (oder zu seiner Sphäre gehören). Ein gedanklicher Zusammenhang mit der Einteilung der Natur in Arten und Gattungen besteht hier nicht. Das, was als vollkommen gedacht wird, sind allem Anschein nach Eigenschaften (spezifische Merkmale), die voneinander unterschieden sind, die empirisch und zufällig sein können. Jede solche Vollkommenheit muss aber auch als zusammengesetzt gedacht werden, und zwar nach der Art einer Totalität von Zusammengesetztem. Es kommt aber noch hinzu, dass, um von »einer Vollkommenheit« sprechen zu können, eine allgemeine Bedingung erfüllt sein muss, nämlich, dass »der Begriff von Etwas, als einem Zwecke, zum Grunde« liegt. Der Begriff des Zwecks wird innerhalb der EE erst im IX. Abschnitt bestimmt (obwohl er an einschlägigen Stellen bereits gebraucht worden ist, wie z. B. in EE V, 11. Abs.). KU, § 15, 2. Abs. (5:227.6–9). EE VIII, »Anmerkung«, 3. Abs. (20:228.8–13). In der MS, Tugendlehre (6:386) wird zwischen quantitativer (materialer) und qualitativer (formaler) Vollkommenheit unterschieden. Die letztere bedeutet »die Zusammenstimmung der Beschaffenheiten eines Dinges zu einem Zwecke« und gehört in die Teleologie. 448 449
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Diese Definition entspricht auch derjenigen, welche im Kommentar zu E IV (4. Abs.) erläutert wird.450 Der Zweck bezeichnet einen Begriff oder eine Vorstellung (also etwas Subjektives), die in gewisser Weise als Ursache oder Bedingung der Hervorbringung des Gegenstandes fungiert, den er bezeichnet. Dieser Zweckbegriff soll also hier allgemeine Grundlage (Bedingung) von Vollkommenheitsmerkmalen sein. Auf diesen Begriff soll wiederum ein anderer »angewandt« werden, und zwar der am Anfang des dritten Absatzes definierte ontologische Begriff der Vollkommenheit. Die Vollkommenheit und die vielen (inhaltlich) verschiedenen Vollkommenheiten der Merkmale können also nicht ganz heterogen sein. Die vielen vollkommenen Merkmale weisen in ihrer Zusammensetzung vielmehr eine gemeinsame Grundstruktur auf, die der des Vollkommenheitsbegriffs als eines solchen (der Übereinstimmung des Vielen in Einem) entspricht. Auf den Zweckbegriff angewandt bedeutet dies, dass die vielen Eigenschaften eines Dinges deshalb als vollkommen gelten, weil sie als von dem übergeordneten Begriff (als Einheit des Zwecks) hervorgebracht (bewirkt) gedacht werden. Und dieser Zweck hat dann folglich auch die Form der Zusammensetzung des Vielen zu bestimmen. Sie dürfte deshalb genaugenommen kein Aggregat mehr ergeben. Was diesen Rekurs auf den Zweckbegriff betrifft, so knüpft Kant eine weitere Bedingung an dessen Verwendung: er dürfe »nicht immer ein practischer Zweck seyn« (EE VIII, »Anmerkung«, 3. Abs.) (20:228.13–14). Ein Grund dieses Verbots wird nicht mitgeteilt. Wenn man aber das folgende »sondern« in ein »denn« oder »weil« umwandelt, dann scheint der Sachverhalt klar zu werden: Das Verbot richtet sich nicht schlechthin gegen die Auslegung des Zwecks als eines praktischen, sondern gegen dessen ausschließliche Verwendung zur Begründung von Merkmalen, die vollkommen sind, d. h. dagegen, dass der Zweck immer ein praktischer ist. Sodann geht es nicht um einen praktischen Zweck überhaupt und ganz unspezifisch, sondern um einen solchen, der das (untere) Begehrungsvermögen motiviert, indem es sich um einen praktischen Zweck handeln soll, »der eine Lust an der Existenz des Objects voraussetzt, oder einschließt« (20:228.14–15). Moralische Zwecke, die Gegenstand des freien Willens wären, sind ausgeschlossen, denn dieser orientiert sich nicht an existierenden Gegenständen, die Lust erwecken können. Der Grund, weshalb »nicht immer« ein praktischer Zweck vorliegen kann, scheint hier der zu sein, dass der Zweckbegriff »auch zur Technick gehören« könne und damit »blos die Möglichkeit der Dinge« betreffe (20:228.15–16). Ein solcher Zweck wäre also nur dem Anschein nach ein praktischer, in Wahrheit wäre er ein theoretischer Zweck. Schrittweise bereitet Kant mit dieser Abgrenzung die Einführung wichtiger Schlüsselbegriffe einer teleologischen Beurteilung der Natur vor. Und diese Begriffe werden schließlich auch ausschlaggebend sein für die Beantwortung der im zweiten Absatz der »Anmerkung« formulierten Doppelfrage hinsichtlich des VollkomVgl. Kommentar zu E IV, S. 452 f.; vgl. auch die Definition des »Zwecks« in Kants MS, Tugendlehre, Einleitung I (6:381.4–6). 450
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menheitsbegriffs. So wird sich aus der Überlegung, dass der Zweck »nicht immer« (d. h. manchmal aber doch) ein in gewissem Sinne praktischer Zweck sein dürfe, der Begriff des Naturzwecks ergeben. Den Ausdruck der Technik der Natur haben wir im Zuge der Interpretation der EE bereits mehrfach benutzt und erläutert.451 Sie besteht – mit Hilfe der Erklärung in EE VII (1. Abs.) ausgedrückt – darin, dass die Natur ihre Produkte so hervorbringt (bewirkt) und spezifiziert, dass deren Formen das Aussehen von Zwecken erhalten. D. h. die Verbindung des Mannigfaltigen, die durch die Produktion der Natur bewirkt wird, legt einen Begriff vom Zweck zugrunde, der die Art dieser Verbindung als eine zweckmäßige bestimmt. Dass in dem Begriff der »Technick« die Vorstellung von einer Zweckmäßigkeit der Natur enthalten ist, wurde weiter oben bereits festgestellt und kommentiert.452 Der Zweckbegriff wird hier nun bestimmt als »die Gesetzmäßigkeit einer an sich zufälligen Verbindung des Mannigfaltigen« in einem Gegenstand. Worauf beruht die Notwendigkeit und Vereinbarkeit von Gesetzmäßigkeit und Zufälligkeit, die durch die Zweckmäßigkeit der Natur ausgedrückt sein soll? Diese Form von Zweckmäßigkeit, die Zufall und Notwendigkeit in sich vereint, erläutert Kant an dem der Geometrie entnommenen Beispiel eines regelmäßigen Sechsecks. Die Zufälligkeit drückt sich dabei in dem Gedanken aus, »daß sechs gleiche Linien auf einer Ebene gerade in lauter gleichen Winkeln zusammenstoßen« (20:228.18 ff.). Zur Begründung des Zufalls können wir wieder auf die Unzulänglichkeit des menschlichen Verstandes verweisen, das Konstruktionsgesetz dieser Figur, das den Zusammenhang von Linien und Winkeln im Sechseck bestimmt, mit Hilfe seiner Begriffe einsehen zu können. Dieser Befund kann sich allerdings nur dann ergeben, wenn die wahrgenommene Regelmäßigkeit als Ausdruck (Zeichen) einer unterstellten mechanischen Kausalität (einer begriffslosen Zusammensetzung) und damit als eines Aggregats angenommen wird. Wird hingegen von einer zweckmäßigen Anordnung der sechs geraden Linien ausgegangen (wobei der Zweck darin liegt, sich gleichwinklig zusammenzusetzen), dann ergibt sich eine Gesetzmäßigkeit in ihrer Verbindung, die daraus resultiert, dass ein Zweck begriffliche Bedingung der Möglichkeit des Entstehens (Prinzip der Konstruktion) einer entsprechenden geometrischen Figur ist.453 Die Erläuterung in § 64 der KU beginnt mit einer fiktiven Naturbeschreibung: »Wenn jemand in einem ihm unbewohnt scheinenden Lande eine geometrische Figur, allenfalls ein reguläres Sechseck im Sande gezeichnet wahrnähme, so würde
U. a. EE I, »Anmerkung«, 6. Abs. (20:250); EE II, 7. und 8. Abs. (20:204–205); EE V, 9. Abs. (20:215); EE VII, 1. und 2. Abs. (20:219–220). Vgl. Kommentar zu EE I, S. 58–60. 452 Vgl. Kommentar zu EE VII, 1. Abs., S. 162. 453 Das anschauliche Beispiel des Sechsecks ist übrigens in § 64 der KU abermals anzutreffen. In diesem Paragraphen wird bezeichnenderweise der Begriff des Naturzwecks erklärt, der im vorliegenden Absatz (EE VIII, »Anmerkung«) nur wenig später gleichfalls eine zentrale Rolle zugewiesen bekommt. 451
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seine Reflexion, indem sie an einem Begriffe derselben arbeitet, der Einheit des Prinzips der Erzeugung desselben, wenngleich dunkel, vermittelst der Vernunft inne werden und so dieser gemäß den Sand, das benachbarte Meer, die Winde, oder auch Tiere mit ihren Fußtritten, die er kennt, oder jede andere vernunftlose Ursache nicht als einen Grund der Möglichkeit einer solchen Gestalt beurteilen […].« (KU, § 64, 2. Abs.) (5:370.16–23) Es liegt hier dieselbe Ausgangsüberlegung vor wie in der sachlichen Beschreibung des Sechsecks in der »Anmerkung« zu EE VIII: Eine Einheit des Erzeugungsprinzips der Figur wird gesucht, die anstelle einer »vernunftlose[n]«, mechanischen Ursache, als Grund ihrer Ermöglichung gelten kann, weil die mechanische Kausalität das reale Gegebensein einer solchen Figur nicht erklären kann, so dass ihr Vorkommen als zufällig erscheint. Der einzige Unterschied besteht darin, dass das, was in EE VIII aus der Betrachtung des Begriffs eines Zwecks der Natur folgt, in § 64 ausdrücklich nicht der Fall ist; denn da ist die Sandzeichnung ein Kunstprodukt. Zurück zu unserem dritten Absatz in der »Anmerkung« zu EE VIII: Für Kant setzt die als Zufall wirkende Entdeckung einer Gesetzmäßigkeit in der Verbindung der sechs Linien einen Begriff voraus, der das Erzeugungsprinzip des regulären Sechsecks enthält. Dieser Begriff ist offenbar der der »objektive[n] Zweckmäßigkeit«. Es wird unterstellt, dass er an Dingen der Natur »beobachtet« werden könne. Und als Beleg mag uns der Hinweis dienen, dass dies »vornehmlich an organisirten Wesen« geschehe (20:228.24).454 Die Zweckmäßigkeit, die einem Ding (wie dem illustrierten Sechseck) zugrunde liegt, insofern seine Eigenschaften als vollkommen gelten, und die keine praktische ist, bezeichnet Kant als »objektive Zweckmäßigkeit«.455 Sie kann an den Dingen der Natur »betrachtet« werden. D. h. sie wird wahrgenommen oder – wie es an anderer Stelle hieß – an einem Gegenstand »angetroffen« (EE VII, 6. Abs.) (20:221.14).456 Die Urteilskraft macht sie also nicht selbst durch eigene Tätigkeit. Objektiv heißt sie – im Unterschied zur subjektiven Zweckmäßigkeit – weil sie sich nicht bloß auf das Erkenntnisvermögen des Subjekts (die reflektierende Urteilskraft) bezieht, sondern auf einen empirischen Gegenstand der Natur. Typische Objekte, an denen objektive Zweckmäßigkeit vorkommt (nachzuweisen ist), sind die Organismen oder – mit Kants Fachausdruck – »organisierte Wesen«. »Organisierte Wesen« werden in § 65 der KU durch Naturzwecke erklärt. »Naturzweck« ist die Bezeichnung für die Existenzweise eines Naturdinges, die dann gegeben ist, »wenn es von sich selbst (obgleich in zwiefachem Sinne) Ursache und
Zum Begriff eines organisierten Wesens vgl. den Kommentar zu E VIII, S. 549 und die jetzt folgenden Seiten. 455 Vgl. auch KU, § 62, 5. Abs. (5:365.37–366.23); mit Bezug auf geometrische Figuren nennt Kant sie dort auch »intellektuelle Zweckmäßigkeit«. Die Vollkommenheit als objektive Zweckmäßigkeit bezieht Kant allein auf das teleologische Urteil (vgl. KU, § 30, 2. Abs. (5:279.25 ff.). 456 Vgl. Kommentar zu EE VII, S. 171. 454
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Wirkung ist […].« (KU, § 64, 3. Abs.) (5:370.36–37), d. h. wenn die einfache Kausalverbindung auch umkehrbar ist, so dass sich ein Naturwesen zu sich selbst wechselseitig als Ursache und Wirkung verhält (vgl. KU, § 65, 1. Abs.) (5:372.14–18). Darüber hinaus ist ein »organisiertes Wesen« ein Produkt der Natur, ein Erzeugnis, »in welchem alles Zweck und wechselseitig auch Mittel ist« (KU, § 66, 1. Abs.) (5:376.11–13). Es wird damit zum Zweck seiner selbst, ist durchgängig in allen seinen Gliedern zweckmäßig bestimmt. Diese Zweckkausalität, die in der Vernunft gegründet ist, macht die innere Organisation organisierter Wesen aus (innere Zweckmäßigkeit). Kants Theorie diesbezüglich kann hier nicht ausführlich erschlossen und dargelegt werden.457 Es soll genügen, die Hauptmomente, die ein organisiertes Wesen auszeichnen, anzuführen. Ein solches »Ding« – oder besser gesagt: ein solches Produkt – konstituiert sich durch ein Beziehungsgefüge zwischen einem Ganzen, welches Zweck ist, und seinen Teilen, die sich wechselweise gegeneinander als Mittel zur Realisierung des Zwecks verhalten. Die Beziehungen sind teils begründungstheoretischer, teils kausaler Natur. Von den Teilen gilt erstens, dass sie »nur durch ihre Beziehung auf das Ganze möglich sind.« (§ 65, 3. Abs.) (5:373.4–6). D. h. ihre Existenz hängt davon ab, dass sie alle gemeinsam auf ein und denselben Zweck hin ausgerichtet sind und ihrer Form und Verbindung nach durch ihn (als Idee des Ganzen) bestimmt werden. Zweitens muss von den Teilen gelten, »daß sie voneinander wechselseitig Ursache und Wirkung ihrer Form sind.« (KU, § 65, 4. Abs.) (5:373.17–19). Dadurch verbinden sie sich zu einer systematischen Einheit und bringen ein Ganzes hervor. Von jedem Teil eines solchen in der beschriebenen Weise kreierten Ganzen kann daher zweierlei gesagt werden: erstens ist es nicht bloß aus sich selbst heraus da, sondern »nur durch alle übrigen«; zweitens existiert es nicht bloß für sich selbst, sondern »um der anderen und des Ganzen willen«. Auf diese Weise wird es als ein »Organ« gedacht. Alle Organe sind wechselseitig sowohl durcheinander produziert – und das Ganze ist folglich organisiert – als auch hervorbringend – und das Ganze ist dementsprechend ein »sich selbst organisierendes Wesen«. Organisierte Wesen können auch als Systeme verstanden werden, zu denen die Vernunft mit ihrem Zweckprinzip die Ermöglichungsbedingung schafft.458 Die an organisierten Wesen zu beobachtende objektive Zweckmäßigkeit wird nun auch als »material« gedacht.459 Im Unterschied zur subjektiven Zweckmäßigkeit, welche bloß »formal« ist, weil sie keinen Begriff von einem Zweck voraussetzt, ist die objektive Zweckmäßigkeit deshalb »material«, weil ihr die Zweckbestim-
Vgl. Kulenkampff, J. (1994), Kants Logik des ästhetischen Urteils, 50 ff., der in diesem Bestreben, einzelne Objekte zu erfassen, die in sich organisch strukturiert sind und ein reales (kein logisches) System bilden, eine von anderen Typen der reflektierenden Urteilskraft deutlich unterschiedene Funktion sieht. Vgl. Goy, I. (2008), Die Teleologie der organischen Natur (§§ 64–68); Goy, I. (2017), Kants Theorie der Biologie, 70–83. 458 KU, § 65, 6. Abs. (5:373.35–374.8). 459 EE VIII, »Anmerkung«, Ende 3. Abs. (20:228.24). 457
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mung wesentlich angehört. Dass der »Begriff eines Zwecks der Natur« konstitutiv ist für das Vorliegen einer objektiven Zweckmäßigkeit, ergab die Betrachtung des organisierten Wesens nach § 65 (und § 66). Inwiefern aber kann dieser Begriff wirklich oder der Natur nur angedichtet sein? (20:228.25–26) Diese Frage lässt sich kaum mit Gewißheit beantworten. Ein realer Zweck scheint jedenfalls dann vorzuliegen, wenn ein Naturprodukt – wie im Falle eines organisierten Wesens – seine Zweckmäßigkeit zu erkennen gibt, d. h. wenn der Zweckbegriff eindeutig bestimmt ist. Hingegen dichten wir der Natur Zwecke an, wenn wir den Zweck nicht genau bestimmen können, d. h. wenn mehr als bloß eine Zweckbeziehung möglich ist. Das Letztere ist bei der äußeren oder relativen Zweckmäßigkeit der Fall, insofern diese nur in ihrem »zufälligen Gebrauche« gegründet ist (vgl. EE XII, 4. Abs.) (20:249.25–26). Der Unterschied zwischen einem wirklichen und einem angedichteten Zweck der Natur scheint auf die Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Zweckmäßigkeit zurückgeführt werden zu können. Der Begriff des Naturzwecks soll nun offensichtlich der Grund dafür sein, den objektiven zweckmäßigen Naturdingen (wie den organisierten Wesen) »Vollkommenheit« beizulegen (20:228.22–27). Hier wird es sich wohl um den auf den Naturzweck angewandten ontologischen Begriff der Vollkommenheit handeln, und dieser ist insofern nun nicht mehr »nur formal«, weil er von der objektiven und materialen Zweckmäßigkeit abhängt. Es ist immer ein bestimmter Begriff (als Naturzweck), auf den die mannigfaltigen Teile eines Ganzen bezogen sind, so dass sie darin als »zu Einem« zusammenstimmen. Insofern nun einem Ding der Natur, welches Naturzweck ist, das Prädikat der Vollkommenheit zugeordnet wird, geschieht dies mit Hilfe eines Urteils, das Kant ein teleologisches Urteil nennt. Dieses wird sich deutlich von einem ästhetischen Urteil unterscheiden; denn Kant behauptet, dass es »gar kein Gefühl der Lust« bei sich führe. Und darüber hinaus dürfe »in dem Urtheile über die bloße CausalVerbindung«460 gar nicht nach dem Lustgefühl gesucht werden (EE VIII, »Anmerkung«, Ende 3. Abs.) (20:228.27–29). Der vierte Absatz des achten Abschnittes der EE erläutert genauer das Verhältnis zwischen dem Gefühl der Lust und dem Begriff der Vollkommenheit. Beide hätten überhaupt »gar nichts« miteinander zu tun. Zu der Beurteilung der Vollkommenheit gehöre »nothwendig ein Begrif vom Object« (20:228.30–33). Diese Notwendigkeit folgt daraus, dass die objektive Zweckmäßigkeit – wie am Ende des dritten Absatzes ausgeführt – »nothwendig den Begrif eines Zwecks der Natur« bei sich führe, aber auch diese Notwendigkeitsbehauptung wird in Abschnitt VIII der EE nicht wirklich begründet. Allenfalls mit Hilfe von § 65 der KU ist eine solche Begründung annähernd nachvollziehbar. Von dem Objektbegriff, der als zur Beurteilung der Vollkommenheit notwendig befunden worden ist, wird zugleich behauptet, er sei zur Beurteilung durch die D. h. in einem Urteil, in welchem etwas als Grund auf etwas anderes als Folge bezogen wird, also in einem hypothetischen Urteil. 460
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Lust »gar nicht nöthig«. Seine Überflüssigkeit ergibt sich daraus, dass bereits »bloße empirische Anschauung« die Beurteilung (»sie«) durch Lust »verschaffen« könne (20:228.33–34). Hierbei ist aber zu bedenken, dass diese Gegenüberstellung der beiden Beurteilungsarten (mit bzw. ohne Begriff) unpräzise bzw. unvollständig ist. Denn das ästhetische Reflexionsurteil bedarf doch – wie weiter oben im Haupttext des achten Abschnittes deutlich geworden sein sollte – mehr als der bloßen Wahrnehmung, nämlich auch der Beziehung auf das Erkenntnisvermögen, sonst könnte es nur ein Sinnenurteil, d. h. eigentlich gar kein Urteil sein.461 Das Gegenstück zur Vollkommenheit »als objectiver Zweckmäßigkeit« ist »die Vorstellung einer subjectiven Zweckmäßigkeit eines Objekts«. Diese Art von Zweckbeziehung ist nicht nur nicht unvereinbar mit dem Gefühl der Lust, sondern sogar mit ihm identisch (»einerley«) (EE VIII, »Anmerkung«, 4. Abs.) (20:228.34–36). Am Gefühl und am Begriff scheiden sich die Geister in Bezug auf die Zweckmäßigkeit. Subjektive und objektive Zweckmäßigkeit scheinen in einer kontradiktorischen Entgegensetzung zueinander zu stehen. Kant drückt dies mit einer uns schon geläufigen Metapher aus: »zwischen dieser und jener« – d. i. zwischen objektiver und subjektiver Zweckmäßigkeit – »ist eine sehr große Kluft« (20:229.1). Doch Kant nimmt diese Einschätzung mit einer gewissen Reserviertheit vor, insofern das »sehr große« noch nicht als unüberbrückbar gelten muss. Die Begründung für das Auseinanderklaffen von objektiver und subjektiver Zweckmäßigkeit lautet nämlich: »Denn ob, was subjectiv zweckmäßig ist, es auch objectiv sey, dazu wird eine mehrentheils weitläufige Untersuchung nicht allein der practischen Philosophie, sondern auch der Technick, es sey der Natur oder der Kunst, erfordert […].« (20:229. 1–4) Kant hat – soweit ich sehe – eine solche »weitläufige Untersuchung« nirgendwo in seinem Werk durchgeführt.462 Wie hätte sie aussehen müssen? Was wären ihre Gegenstände? Sie hätte die Frage nach der Objektivität subjektiver Zweckmäßigkeit in der praktischen Philosophie zu untersuchen und sodann auch innerhalb dessen, was hier unter »Technick« gemeint ist, die sich wiederum in eine Technik »der Natur« und eine solche »der Kunst« aufgliedert. Die Technik der Natur war weiter oben463 als Zweckkausalität erklärt worden. Kant unterscheidet von ihr auch eine Technik, die der ästhetischen Beurteilung eigen ist und die er an einer anderen Stelle »technica speciosa« nennt.464 Diese Differenzierung wird aber in der KU nicht konsequent beibehalten. Dennoch kann dank dieser Anhaltspunkte die These aufgestellt werVgl. EE VIII, 5. Abs. (20:224.29 ff.); vgl. Kommentar zu EE VIII, S. 192. Es sei denn, dass die Kritik der teleologischen Urteilskraft sowie die MS (6:389.12–15) darauf jeweils eine wenigstens einesteils befriedigende Antwort erteilen. Vgl. EE XI, 11. Abs. (20:245.24–28) und den Kommentar dazu, S. 294 ff. 463 EE VII, 1.–2. Abs. (20:219–220); vgl. Kommentar zu EE VII, S. 162–165. 464 EE IX, 4. Abs. (20:224.1–2); vgl. dagegen E VIII, 1. Abs. (5:192.31 ff.). 461
462
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den, dass der Ort, an dem die »weitläufige Untersuchung« bezüglich der Technik geführt wird, vermutlich die KU selbst ist und der Ort, an dem dieselbige für die praktische Philosophie erfolgen sollte, die MS sein könnte (vgl. 6:389.12–15 u. ö.). Ein Fingerzeig auf die Richtigkeit dieser Vermutung ergibt sich aus dem Anfang des sechsten Absatzes, wo rückbezüglich (»wie oben schon erwähnt«) die Beantwortung einer Sachfrage zur subjektiven Zweckmäßigkeit »in der Abhandlung allererst« (d. h. im Haupttext der KU) gegeben werden könne (20:229.14–16). Mehr Gewicht hat der Hinweis, der die Aufgliederung der Fragestellung bezüglich der subjektiven Zweckmäßigkeit der Technik der Natur bzw. der Kunst am Ende des vierten Absatzes selbst enthält. Es ergeben sich daraus nämlich drei Untersuchungsfelder, die im Haupttext der KU (»in der Abhandlung«) ihren Platz haben: erstens, die Vollkommenheit »an einem Dinge« erfordert Vernunft (und ist Gegenstand der teleologischen Urteilskraft); zweitens, die Annehmlichkeit, zu der »bloßer Sinn« genügt; und drittens, die Schönheit an einem Ding, die für »die bloße Reflexion, (ohne allen Begrif) über eine gegebene Vorstellung« zuständig ist (20:229.4–7). Die Untersuchungen zu zweitens und zu drittens finden sich innerhalb der »Kritik der ästhetischen Urteilskraft«.
»Anmerkung«: Fünfter und sechster Absatz: Sind ästhetische Reflexionsurteile allgemein und notwendig? → E VII Was mit den Überlegungen in den ersten vier Absätzen der »Anmerkung« gezeigt werden sollte, fasst der fünfte Absatz als Fazit zusammen: »Das ästhetische Reflexionsvermögen urtheilt also nur über subjective Zweckmäßigkeit (nicht über Vollkommenheit) des Gegenstandes […].« (20:229.8 f.) Gezeigt wurde dies eben durch die Analyse des Begriffs der Vollkommenheit, die eine Unvereinbarkeit mit dem Gefühl der Lust ergab. Dieses wiederum wurde mit der Vorstellung einer subjektiven Zweckmäßigkeit identifiziert, so dass sich für das ästhetische Reflexionsurteil die zitierte Schlussfolgerung ziehen lässt. Dabei ist die weiter oben gestellte Frage, ob und inwiefern das Subjektiv-Zweckmäßige auch objektiv zweckmäßig sei, nach wie vor offen. An das obige Fazit wird zuvor eine neue Frage geknüpft, die wohl in engem Zusammenhang steht mit der allgemeinen Aufgabe, zu prüfen, ob das SubjektivZweckmäßige auch objektiv zweckmäßig sei. Doch lässt sich der genaue sachliche Kontext hier noch nicht herstellen. Die Frage betrifft die Art, über die subjektive Zweckmäßigkeit zu urteilen, nämlich: »ob nur vermittelst der dabey empfundenen Lust oder Unlust, oder sogar über dieselbe […].« (20:229.9–11) Im ersten Fall ist das Gefühl von Lust und Unlust nur ein Instrument, das (unmittelbar) dazu beiträgt, ein ästhetisches Reflexionsurteil zu bilden. Im zweiten Fall ist es selbst als Gegenstand der Beurteilung in das ästhetische Urteil involviert. Trifft es zu, dass das ästhetische Reflexionsurteil ein Urteil »über« Lust und Unlust einschließt, dann folgt daraus, dass das Urteil eine notwendige Verbindung zwi-
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schen der Vorstellung des Gegenstandes und dem Gefühl von Lust und Unlust festlegt (»bestimme«). Wir vermuten, dass dann die subjektive Zweckmäßigkeit auch objektiv gelten würde, während in dem Falle, dass Lust und Unlust nur Mittel zur Entstehung eines ästhetischen Reflexionsurteils wären (»vermittelst«), es beim bloß subjektiven Charakter der Zweckmäßigkeit bliebe. Gleich zu Beginn des sechsten Absatzes wird allerdings erneut eingeräumt, dass die Frage an dieser Stelle »noch nicht hinreichend« entschieden werden könne. Aus der »Exposition« des ästhetischen Reflexionsurteils »in der Abhandlung« werde sich nämlich erst zeigen lassen, ob das ästhetische Urteil die Kriterien der Allgemeinheit und Notwendigkeit erfülle. Diese Kriterien sind für Kant deshalb von so hoher Bedeutung, weil sich das ästhetische Urteil dadurch erst »zur Ableitung von einem Bestimmungsgrund a priori qualificire« (20:229.14–18). Mit dem Bestimmungsgrund ist hier – wie wir bereits wissen – nichts anderes gemeint als das Gefühl von Lust und Unlust. Es wird in diesem sechsten Absatz lediglich projektiert, auf welche Ergebnisse die Fragestellung führen könnte und welche Konsequenzen aus dem einen oder anderen Fall zu ziehen wären. Für den Fall, dass die Allgemeinheit und Notwendigkeit des ästhetischen Urteils nachgewiesen wird, wird das Urteil nicht nur »vermittelst« des Gefühls der Lust »etwas bestimmen«, sondern es bestimmt zugleich auch etwas a priori »über die Allgemeinheit der Regel«, die das Gefühl mit der Vorstellung des Gegenstandes verbindet, und das tut sie durch die reflektierende Urteilskraft (als ein Erkenntnisvermögen). Dasjenige »etwas«, das das Bestimmbare in Bezug auf die »Allgemeinheit der Regel« hier vertritt (20:229.18–22), aber nicht beim Namen genannt wird, dürfte die Allgemeinheit selbst sein, womöglich nach der Art der allgemeinen Mitteilungsfähigkeit (vgl. KU, § 9). Das Bestimmen ist hierbei ein solches, das nicht über die transzendentalen Verstandesbegriffe und die Subsumtion der bestimmenden Urteilskraft erfolgt, sondern im Reflektieren durch unbestimmte Begriffe, die nichts weiter ausdrücken, als dass gegebene Vorstellungen sich überhaupt dazu qualifizieren, begriffen werden zu können. Für den Fall hingegen, dass das ästhetische Urteil nach dem Muster des ästhetischen Sinnenurteils nur das direkte Verhältnis der Vorstellung zum Gefühl ausdrückt, unter Absehung von einer vermittelnden Beziehung zu Erkenntnisvermögen, wären die Konsequenzen fatal: alle ästhetischen Urteile gehörten dann in die Empirie, m.a.W., sie gehörten in keine Wissenschaft oder ›Kritik‹, die sich auf transzendentale Prinzipien a priori gründete (20:229.22–26). Um die gestellte(n) Frage(n), die Kant in den beiden Einleitungen in die KU nicht entscheiden kann, weil er zu Recht »eine mehrenteils weitläufige Untersuchung« dafür reklamiert (EE VIII, 4. Abs.) (20:229.1–4), auch nur in antizipierender Weise und in komprimierter Form zu beantworten, hätten auch wir einen aufwendigen und dabei notwendigerweise auch kritischen Gang durch die »Exposition« der ästhetischen reflektierenden Urteile, d. h. (mindestens) durch beide Bücher der »Analytik der ästhetischen Urteilskraft« (KU, §§ 1–29) (denn mit der ›Allgemeinen Anmerkung‹ endet die »Exposition«) anzutreten. Das aber kann von einem Kommen-
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
tar, der sich auf die beiden Einleitungen beschränken soll, nicht erwartet werden. Die Frage nach der schlüssigen Begründung der Allgemeinheit und Notwendigkeit des ästhetischen Urteils hat in der Kant-Forschung zu engagierten Kontroversen geführt, die sich insbesondere um die ›Schlüssel‹-Frage in § 9 drehen.465
»Anmerkung«: Siebter und achter Absatz: Das Gefühl der Lust und Unlust ist nicht aus Begriffen ableitbar In den letzten beiden Absätzen der »Anmerkung« wird erneut das Thema gewechselt. Der Begriff der Vollkommenheit ist nicht mehr Gegenstand der Erörterung. Die Überlegungen, die den Status der Vorläufigkeit einer Anmerkung haben (»vorläufig kann noch angemerkt werden«), laufen auf einen Erklärungsversuch des Gefühls der Lust und Unlust hinaus. Das, was anzumerken ist, ist – wie die anschließende Satzgrafik zeigt – in zwei Teile untergliedert ([1], [2]), wobei der zweite Teil eine inhaltliche Konsequenz des ersten ist (20:229.27–230.1): Vorläufig kann noch angemerkt werden: [1] daß vom Erkenntniß zum Gefühl der Lust und Unlust kein Übergang durch Begriffe von Gegenständen {[1a] (sofern diese auf jenes in Beziehung stehen sollen) [1.1] statt finde, / [2] und daß man also nicht erwarten dürfe, den Einfluß, den eine gegebene Vorstellung auf das Gemüth thut, a priori zu bestimmen, [2.1] so wie wir ehedem in der Crit. d. pract. V., [2.1a] daß die Vorstellung einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit des Wollens zugleich Willen bestimmend dadurch auch das Gefühl der Achtung erweckend seyn müsse, [2.1.1] als ein in unsern moralischen Urtheilen, und zwar a priori enthaltenes, Gesetz bemerkten,
}
[2.1.2] aber dieses Gefühl nichts desto weniger aus Begriffen doch nicht ableiten konnten. Satzgrafik Nr. 4
Vgl. u. a. J. Kulenkampff (2000), Der Schlüssel zur Kritik des Geschmacks, in: U. Franke (Hg.): Kants Schlüssel zur Kritik des Geschmacks, Hamburg 2000, S. 29–43. 465
Achter Abschnitt: Ästhetik des Beurteilungsvermögens
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Zunächst geht es darum, die Unableitbarkeit des Gefühls der Lust und Unlust aus Begriffen plausibel zu machen. Kants Ausdrucksweise ist in dieser Hinsicht ziemlich unverständlich. Denn was soll es heißen, »daß vom Erkenntniß zum Gefühl der Lust und Unlust kein Übergang durch Begriffe […] stattfinde« ([1])? In Parenthese wird die Einschränkung oder Bedingung hinzugefügt: »sofern diese [d. i. die Begriffe von Gegenständen] auf jenes [d. i. das Gefühl von Lust und Unlust] in Beziehung stehen sollen« ([1a]). Vermutlich drückt sich in diesem Zusatz eine Anspielung auf eine philosophische Schultradition aus, die mit dieser ›vorläufigen‹ Anmerkung kritisiert bzw. sachlich widerlegt werden soll. »Kein Übergang« bedeutet nicht, dass es gar keine Beziehung zwischen Begriffen von Gegenständen und dem Lustgefühl gebe. Es soll vielmehr besagen, dass das Gefühl von Lust und Unlust nicht aus solchen Begriffen ableitbar (und d. h. zugleich: erklärbar) sei. Dies jedenfalls ist aus den weiteren Überlegungen des siebten Absatzes zu schließen. Wegen der Nichtableitbarkeit sei auch der »Einfluß« einer gegebenen Vorstellung auf das Gemüt nicht bestimmbar. Das folgt aus der vorhergehenden Behauptung insofern, als zum Bestimmen aus Gründen a priori (transzendentale) Begriffe gebraucht werden. Die »gegebene Vorstellung«, die das Gemüt beeinflusst, kann dann auch nur eine anschauliche Vorstellung sein. Um diese beiden Behauptungen zu erläutern, erinnert Kant an eine analoge Konstellation in der KpV (»so wie wir ehedem in der Crit. d. pract. V. […]« [2.1]). Der Sachverhalt, den er dabei referiert, findet sich dort im dritten Hauptstück des ersten Buches der »Elementarlehre der reinen praktischen Vernunft« (5:71–89). Zunächst ist der Versuch zu unternehmen, die Gedankenzuordnung im siebten Absatz zu erfassen und dabei insbesondere die Analogie zwischen KU und KpV zu verstehen. Die Gedankenparallele kann mit Hilfe der angegebenen Textabschnitte aus der KpV zusätzlich erläutert werden. Inhaltlich bedeutet die Analogie, dass ein sachlicher Zusammenhang hergestellt wird zwischen der Behauptung, der Einfluß einer gegebenen Vorstellung auf das Gemüt sei a priori nicht bestimmbar ([2]), und der Aussage des praktischen Gesetzes (das a priori in unseren moralischen Urteilen enthalten sei), »daß die Vorstellung einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit des Wollens zugleich Willen bestimmend und dadurch auch das Gefühl der Achtung erweckend seyn müsse […]« ([2.1a]). Grammatisch wird die Verbindung durch die Worte »so wie« hergestellt. Nun wird über den Inhalt des »daß«-Nebensatzes ([2.1a]) noch die Auskunft gegeben, das darin Ausgedrückte sei »als ein in unsern moralischen Urtheilen, und zwar a priori enthaltenes Gesetz« bemerkt worden, aber trotzdem habe »dieses Gefühl« »aus Begriffen« nicht abgeleitet werden können. Diese Verlängerung von [2.1a] hat kein Pendant in der vorhergehenden Beschreibung des Sachverhaltes in der KU, wohl aber in der nachfolgenden, die sich inhaltlich wiederum an die Aussage über die KU, dass sich der Einfluß einer gegebenen Vorstellung auf das Gemüt a priori nicht bestimmen lasse, anbinden lässt. Diese zweifache (oder unterbrochene) Analogie ist sprachlich kompliziert und lässt sich inhaltlich, wenn überhaupt, dann nur mit Mühe verständlich machen.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Wir gehen nun die inhaltlichen Bestimmungen, die eine Art Symmetrie zwischen der KU und der KpV zum Ausdruck bringen, im einzelnen durch. Kants Kurzreferat über den Sachverhalt in der KpV (in der konstruierten Satzgrafik die Satzteile [2.1] bis [2.1.2]) soll dabei den Anfang machen, weil es in der Erläuterung, die Kant anbietet, eine Schlüsselfunktion hat. Nach der KpV ist die Vorstellung des moralischen Gesetzes unmittelbar der (formale) Bestimmungsgrund des Willens, der, insofern er positiv ist (d. h. nicht bloß dem »Eigendünkel« und den Neigungen Abbruch tut) ein Gefühl der »Achtung« für das Gesetz.466 Die Achtung hat aber nichts mit dem Gefühl der Lust zu tun.467 Denn sie gründet sich nicht auf den inneren Sinn.468 Sie ist vielmehr »ein seiner intellectuellen Ursache nach positives Gefühl, das a priori erkannt wird«.469 Dieses Erkennen kann wiederum nicht ein solches durch Begriffe a priori sein. Verglichen mit dem moralischen Urteil und dem Gefühl der Achtung wird im siebten Absatz der »Anmerkung« die Analyse des ästhetischen Reflexionsurteils in der Weise antizipiert, dass sie den Begriff der formalen, »subjectiven Zweckmäßigkeit der Objecte« ergebe. Dieser Begriff sei »im Grunde« mit dem Gefühl der Lust einerlei (20:230.3 f.). Dies folgt wohl daraus, dass die Vorstellung eines Gegenstandes, der zweckmäßig genannt wird, unmittelbar mit dem Gefühl der Lust in Verbindung steht (vgl. E VII, 2. Abs.) (5:189.16–31). In Analogie zum praktischen Gefühl der Achtung soll vom Gefühl der Lust gelten, dass es nicht aus Begriffen abgeleitet werden könne. »Begriffe« sind hier als Begriffe von Gegenständen zu verstehen. Von solchen Begriffen heißt es am Ende des siebten Absatzes, dass »auf deren Möglichkeit überhaupt« – vorausgesetzt, das Pronomen »deren« bezieht sich auf die Begriffe – »gleichwohl die Vorstellungskraft Beziehung nimmt, wenn sie das Gemüth, in der Reflexion über einen Gegenstand afficirt« (20:230.5–7). Dann würde die Möglichkeit von Objektbegriffen deren Bestimmbarkeit bedeuten, d. h. ihre Qualifizierung dazu, überhaupt verstanden werden zu können. Die Vorstellungskraft, die darauf Bezug nimmt, ist die reflektierende Urteilskraft. Denn sie allein kann über einen Gegenstand reflektieren und dadurch das Gemüt affizieren. Das vollbringt sie nämlich durch ihre vergleichende Tätigkeit, indem die Erkenntniskräfte dabei in Übereinstimmung versetzt werden (und dadurch Lust erwecken). Das Gemüt wird zuerst in Form von Erkenntnis affiziert, und die Erkenntnis kann keine solche sein, die etwas an Gegenständen begrifflich bestimmt. Denn sonst würde sich das darauf folgende Gefühl der Lust – entgegen Kants Erklärung – aus Gegenstandsbegriffen ableiten. Im letzten Absatz der »Anmerkung« (20:230.8–232.5) will Kant eine »Erklärung« des Begriffs des Gefühls geben, das in dem vorhergehenden Absatz analysiert wor(5:73.27–37, 5:74.24–30, 5:75.8–19, u. ö.). S. weiter unten: das Gefühl der Achtung und die Achtung sind nochmals voneinander zu unterscheiden. 467 S. KpV, 5:77.19–20. 468 S. KpV, 5:80.8–11. 469 KpV, 5:79.7–8. 466
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den ist. Sie soll sich auf das Gefühl »im allgemeinen betrachtet« richten, d. h. von dem differenten Aspekt einer bestimmten Begleitfunktion absehen. Die angestrebte Erklärung werde nämlich nicht berücksichtigen, ob das Gefühl auf die »Sinnesempfindung«, die »Reflexion« oder auf die »Willensbestimmung« Bezug nimmt. Wegen dieser allgemeinen Bedeutung des Gefühls muß nach Kant seine Erklärung »transcendental« sein. Dem Anfang der an dieser Textstelle eingefügten Fußnote sind einige zusätzliche Erläuterungen zur Forderung nach einer solchen Art von Erklärung zu entnehmen. Sie kommen auch an entsprechender Stelle in E III (Fn.) bei größtenteils wörtlicher Textübereinstimmung vor. Kant sieht es als nützlich an, »zu Begriffen, welche man als empirische Prinzipien braucht, eine transscendentale Definition zu versuchen […].« (20:230.14–15) Von Nutzen ist ein solches Unterfangen vor allem dann, wenn die begründete Annahme besteht, dass die zu definierenden Begriffe mit dem »reinen Erkenntnißvermögen a priori« in Verbindung stehen (20:230.15–17). In der Fußnote in E III ist darüber hinaus zu erfahren, dass sich Kant das Definieren »durch reine Kategorien« denkt, die für sich bereits begriffliche Unterschiede verdeutlichen (5:174.24). Das Hauptanliegen der Erläuterung in der Fußnote ist eine Bezugnahme auf eine bestimmte Erklärung, die Kant in der KpV über das Begehrungsvermögen gegeben hat, hinsichtlich der er die Einwände eines nicht namentlich genannten Kritikers zurückweist. Diese Thematik, die sich ganz ähnlich in der erwähnten Fußnote zu E III vorfindet, wird im Kommentar zu der betreffenden Stelle unter Berücksichtigung der verwandten Stelle in EE VIII (Abs. 8) am passenden Ort noch besprochen. Sie wird auch im »Anhang« zu diesem achten Absatz im Zuge von Kants Erwiderung noch eine knappe Ergänzung erhalten. Hier ist noch von Relevanz, dass die transzendentale Definition mit einem verallgemeinerten Lösungsverfahren in der Mathematik verglichen wird, demzufolge die empirischen Inhalte einer Aufgabe vernachlässigt werden, um deren bloßes Verhältnis (»Synthesis«) arithmetisch auszudrücken. In der KrV hatte sich Kant über den erfolgreichen Gebrauch von Definitionen in der Philosophie noch deutlich zurückhaltender gezeigt (vgl. KrV, B 754–760). Die Philosophie könne die Mathematik nicht im Definieren nachahmen. Empirische und a priori gegebene Begriffe seien gar nicht zuverlässig zu definieren; dies könne allein von »willkürlich gedachten« gelten (ebd., B 757). Deshalb würden in der Philosophie eigentlich keine Definitionen, sondern Expositionen gegeben werden können (ebd., B 757–758 / A 729–730). Allein die Mathematik verfüge also über Definitionen (ebd.). Die Philosophie hat nach Kant »gegebene« Begriffe zum Gegenstand ihrer Untersuchung.470 Nun redet Kant in der Fn. zu EE VIII, »Anmerkung«, auch von dem Versuch einer transzendentalen Definition. Das schließt die Möglichkeit ein, dass Definitionen S. zu diesem Sachproblem M. Wolff (2009), Warum das Faktum der Vernunft ein Faktum ist, 514–520. 470
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
misslingen können, so wie in der KrV (B 759, Fn.) auch festgestellt wird, dass die Philosophie von »fehlerhaften Definitionen« wimmele. Aber der Vergleich mit dem Verfahren der Mathematik in EE VIII belegt doch, dass hier dessen Nachahmung seitens der Philosophie eher empfohlen als beargwöhnt wird. Die Definition, die Kant für das Gefühl der Lust schließlich anbietet, hat den folgenden Inhalt: »Lust ist ein Zustand des Gemüths, in welchem eine Vorstellung mit sich selbst zusammenstimmt, als Grund, entweder diesen blos selbst zu erhalten (denn der Zustand einander wechselseitig befördernder Gemüthskräfte in einer Vorstellung erhält sich selbst), oder ihr Object hervorzubringen.« (EE VIII, »Anmerkung«, 8. Abs.) (20:230.11–231.2) Diese transzendentale Definition (»Erklärung«) hat wenig Ähnlichkeit mit dem in der Fn. angegebenen arithmetischen Verfahren, und sie ist schon deshalb seltsam, weil Kant wenig später (am Ende des Absatzes) seine Erklärung dahingehend kommentiert, dass dieses Gefühl »für sich selbst« gar nicht erklärt werden könne, weil Lust und Unlust »keine Erkenntnisarten« seien. Sie taugten dafür, gefühlt, nicht aber eingesehen zu werden (20:232.1–3). Sofern daher eine »Erklärung« versucht wird, kann dies nur indirekt geschehen, nämlich »durch den Einfluß, den eine Vorstellung vermittelst dieses Gefühls auf die Thätigkeit der Gemüthskräfte hat« (20:230.3–5). Damit ist das Gefühl der Lust aber nur »dürftig« erklärt. Die Dürftigkeit (Mangelhaftigkeit) ergibt sich daraus, dass das Wort, welches erklärt werden soll (das Gefühl der Lust) selbst ein Element der Erklärung ist. Es scheint der zitierten Definition auch die zu Beginn des achten Absatzes der »Anmerkung« vorausgesetzte Allgemeinheit der Betrachtungsweise zu fehlen. Denn unter den Lustbegriff, der in moralisch-praktischer Hinsicht »pathologisch« ist, ist das im siebten Absatz der »Anmerkung« angesprochene »Gefühl der Achtung« als dasjenige, welches die »Willensbestimmung« begleitet, nicht subsumierbar (vgl. KpV, 5:80.8–11). Untersuchen wir nun den Inhalt der Erklärung des Gefühls der Lust genauer, so stellen wir zuerst fest, dass der Lustbegriff einen Gemütszustand bezeichnet, und zwar nicht einen beliebigen, sondern den, der sich einstellt, sobald im Gemüt »eine Vorstellung mit sich selbst zusammenstimmt« (20:230.12). Dass eine Vorstellung ins Gemüt gelangt, insofern sie von der Anschauung oder vom Denken erzeugt wird, bereitet keine Verständnisprobleme. Aber was bedeutet ihr Zusammenstimmen »mit sich selbst«? Es gibt keine Anhaltspunkte für eine einfache und direkte Antwort. Vermutlich aber setzt ein solches Verhältnis der Sichselbstgleichheit (oder auch Identität) eine Unterschiedenheit voraus, und das könnte etwa die Unterscheidung in Inhalt und Form einer Vorstellung sein. Diese – das Gegenständliche und das Formgebende – müssten in Einklang miteinander stehen, um sagen zu können: die Vorstellung stimmt mit sich zusammen. Wäre dies nicht der Fall, so müsste die Vorstellung als unklar oder verworren eingestuft und der Gemütszustand entsprechend negativ belegt werden.
Achter Abschnitt: Ästhetik des Beurteilungsvermögens
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Die Erklärung des Lustbegriffs in der zitierten »Erklärung« differenziert sich in noch konkretere Bestimmungen. Es soll nämlich die mit sich selbst zusammenstimmende Vorstellung in zweifacher Weise einen »Grund« für etwas abgeben, und zwar entweder dafür, den betreffenden Gemütszustand selbst zu erhalten, oder dafür, ein derselben Vorstellung angemessenes Objekt »hervorzubringen« (20:230.13–231.2). Der erste Fall – die Selbsterhaltung des Gemütszustandes »Lust« – wird in Parenthese näher begründet, und diese Begründung ist uns aus anderen Partien der beiden Einleitungen bereits vertraut. Es ist nämlich zugleich der Zustand der wechselseitigen Beeinflussung der Gemüts- oder Erkenntniskräfte (was an anderer Stelle »Spiel« genannt worden ist) in einer Vorstellung, der sich dann erhält, wenn die wechselseitige Beeinflussung beiden Kräften förderlich ist (d. h. wenn sie einander in ihren Tätigkeiten nicht beschränken, sondern darin produktiv und spontan zusammenwirken und übereinstimmen). Dieses Verhältnis der Erkenntniskräfte (Einbildungskraft und Verstand) war weiter oben mit dem ästhetischen Urteil und der Beständigkeit des Lustempfindens in Zusammengang gebracht worden. Und auch hier wird das Urteil über die Vorstellung als »ästhetisches Reflexionsurteil« ausgewiesen. Der zweite Fall, nach welchem die Sichselbstgleichheit der Vorstellung im Gemüt als Grund fungiert, ist der der Erzeugung eines adäquaten Objekts der Vorstellung. Dies soll nun wiederum auf zwei Weisen gedacht werden können, denn wir erfahren an der kommentierten Stelle nur noch, dass unter solchen Umständen entweder ein »ästhetisch-pathologisches« oder ein »ästhetisch-practisches« Urteil entsteht. Die negative Qualität des Pathologischen471 in Verbindung mit »ästhetisch« weist auf eine empirische Beeinflussung des Urteils durch sinnliche Eindrücke hin. Ein solches Urteils wurde weiter oben (EE VIII, 3. bis 6. Abs.) (20:223.27–226.14) als »ästhetisches Sinnenurtheil« bestimmt, das sich darin vom ästhetischen Reflexionsurteil unterschied, dass es eine gegebene Vorstellung unmittelbar auf das Gefühl der Lust bezieht, ohne zuvor die Vorstellung mit den in der Urteilskraft wirkenden Erkenntnisvermögen zu vergleichen. Es ist daher auch nur ein Urteil über das Angenehme und nicht über das Schöne (vgl. EE VIII, 3. Abs.) (20:224.2–7).472 Das Objekt, das durch eine Vorstellung, über die das ästhetisch-pathologische Urteil reflektiert, hervorgebracht wird, ist jederzeit ein solches durch sinnlichen Antrieb, d. i. ein Objekt der Begierde, Neigung etc. Das ästhetisch-praktische Urteil bedarf einer aufwendigeren Erläuterung. Die Verknüpfung der praktischen Vernunft mit Ästhetik (Sinnlichkeit) hat ihren systematischen Ort in der KpV. In deren Einleitung wird die Einteilung des Werkes skizziert. Daraus ergibt sich, dass in der »Analytik« in umgekehrter Ordnung vorgegangen werden müsse als in dem gleichnamigen Lehrstück der »Kritik der reinen specula-
471 472
Zu dieser Terminologie vgl. u. a.: KrV, B 830; KpV, AA V, 75; u. ö. Vgl. Kommentar zu EE VIII, S. 183.
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tiven Vernunft«, um nämlich ausgehend von den Grundsätzen zu den Begriffen und zuletzt »wo möglich« zur Sinnlichkeit zu gelangen (5:16.20–26).473 In der »Kritische[n] Beleuchtung der Analytik der reinen praktischen Vernunft« (KpV, 5:89 ff.) wird die skizzierte Einteilung der Analytik im Vergleich zur Analytik der KrV noch einmal im Rückblick untersucht und gerechtfertigt.474 Weil die Analytik in der Kritik der theoretischen Vernunft mit der Erkenntnis von Gegenständen befasst war, musste sie von der sinnlichen Anschauung den Anfang nehmen.475 Die praktische Vernunft hat es dagegen nicht mit dem Erkennen von Gegenständen zu tun, sondern damit, durch den Willen Begriffe wirklich zu machen, wofür sie ein Gesetz angeben muss. Sie hat deshalb mit Grundsätzen a priori zu beginnen (KpV, 5:89.20–90.1), und sie schließt mit dem »Verhältnisse der reinen praktischen Vernunft zur Sinnlichkeit und ihrem nothwendigen, a priori zu erkennenden Einflusse auf dieselbe« (d. i. das moralische Gefühl) (ebd., 5:90.6–8). Demgemäß wurde die Analytik der praktischen Vernunft in eine »Logik« und eine »Ästhetik« eingeteilt – welche Benennungen Kant hier in unüblicher Weise »blos der Analogie wegen« gewählt hat (ebd., 5:90.12–16). Die Ästhetik bildet das Dritte Hauptstück der Analytik (»Von den Triebfedern der reinen praktischen Vernunft«). Ihr liegt erklärtermaßen ein Begriff von Sinnlichkeit zugrunde, dessen Bedeutung von dem gleichnamigen Begriff in der transzendentalen Ästhetik der KrV abweicht. Sie ist nicht als »Anschauungsfähigkeit« aufzufassen, »sondern blos als Gefühl (das ein subjectiver Grund des Begehrens sein kann)«. Aus diesem Grunde ist ihr auch eine weitere Unterteilung (entsprechend derjenigen in der KrV) unangemessen (ebd., 5:90. 18–23). Das Gefühl als Ausdruck der »Ästhetik« der KpV ist Gegenstand der Analyse im Dritten Hauptstück der Analytik. Es enthält einen negativen und einen positiven Aspekt. Zunächst soll es ja bei der Bewertung einer sittlichen Handlung darauf ankommen, »daß das moralische Gesetz unmittelbar den Willen bestimme.« (5:71.28– 30). Wenn sich aber in diese Willensbestimmung das Gefühl als Voraussetzung und Vermittlung einschaltet – »welcher Art es auch sei« –, dann wird der Wille »nicht um des Gesetzes willen« bestimmt (ebd., 5:71.30–34) (das moralische Gesetz ist m.a.W. nicht Selbstzweck). Die entsprechende Handlung enthält dann aber nach Kant keine Moralität, sondern nur Legalität (sie ist dem Gesetz gemäß). Nun ist es aber dem Menschen seiner Natur nach auch gar nicht möglich zu ergründen, wie
S. dazu L. W. Beck (1963), A Commentary, 55–56; H. F. Klemme (2010), The origin and aim of Kant’s Critique of Practical Reason, 11–30. 474 Vgl. dazu G. B. Sala (2004), Kants »Kritik der praktischen Vernunft«, 194–199. 475 Vgl. KpV, 5:42.20–25. Nach der in der KrV befolgten Gliederung gehört die transzendentale Ästhetik freilich nicht in die »Analytik«, zumindest nicht in die der transzendentalen Logik. Dem Inhalt und der Sache nach verfährt Kant aber dieser Analytik gemäß. Vgl. zu der Divergenz: G. B. Sala (2004), Kants »Kritik der praktischen Vernunft«, 195 f.; H. Vaihinger, Kommentar zu Kants KrV I, 492; R. Brandt (2002), »Kritische Beleuchtung«, in: O. Höffe (Hg.): Kant. Kritik der praktischen Vernunft. Berlin 2002, 153–172). 473
Achter Abschnitt: Ästhetik des Beurteilungsvermögens
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das moralische Gesetz »für sich und unmittelbar Bestimmungsgrund des Willens sein könne« (ebd., 5:72.21–24). Die Untersuchung muß sich darauf richten, a priori zu zeigen, was das moralische Gesetz als »Triebfeder« (vorausgesetzt es enthält eine solche) im Gemüt in Hinsicht auf die Willensbestimmung bewirkt (ebd., 5:72.17–21, 24–27). Die Wirkung ist jenes Umschlagen einer negativen Erzeugung des Gefühls von Lust und Unlust (welche pathologisch genannt wird, ebd., 5:75) durch Abbruch der Neigungen, die dem Gesetz zuwider sind, in ein positives Gefühl der Achtung für das moralische Gesetz, welches weiter oben bereits dargelegt worden ist.476 Diese »Achtung fürs Gesetz« ist nach Kant »ein Gefühl, welches durch einen intellectuellen Grund gewirkt wird, und dieses Gefühl ist das einzige, welches wir völlig a priori erkennen, und dessen Nothwendigkeit wir einsehen können.« (KpV, 5:73.34–37). Der intellektuelle Grund ist das moralische Gesetz selbst, welches dadurch zur Triebfeder der Willensbestimmung wird, dass es die Sinnlichkeit des Subjekts beeinflusst, indem es das Gefühl der Achtung bewirkt. Da nun dieses Gefühl in der praktischen Vernunft seinen Ursprung hat, kann es nicht »pathologisch« sein, »sondern muß praktisch gewirkt heißen«. (KpV, 5:75.30–34). Kehren wir nun zu dem Schlussabsatz der »Anmerkung« zum achten Abschnitt der EE und zur Bestimmung des ästhetisch-praktischen Urteils zurück, so erkennen wir, dass unter diesem eigentlich nur das praktische Urteil der Vernunft gemeint sein kann, das über eine Vorstellung reflektiert, die vom Gefühl der Achtung für das moralische Gesetz begleitet wird.477 Allerdings macht Kant im Text der EE keinerlei nähere Angaben zum ästhetisch-praktischen Urteil, so dass nicht ganz ausgeschlossen werden kann, dass auch ein pathologisches praktisches Urteil, das auf sinnlichem Antrieb beruht, dazu gehört. Trifft meine Behauptung aber zu, dann passt dieses Gefühl nicht unter den Begriff der Lust, der im achten Absatz der »Anmerkung« zu EE VIII bestimmt wird. Die Objekte der Vorstellung, über die das ästhetisch-praktische Urteil reflektiert, müssen nach den Prinzipien der praktischen Vernunft übersinnliche Gegenstände (Ideen) sein, und da ist die Freiheit an erster Stelle zu nennen, daneben Gott und Unsterblichkeit (KpV, Vorrede, 5:4–6). Die Folgerung auf die Unterscheidung der drei Urteilsarten (EE VIII, »Anmerkung«, letzter Abs.) (20:231.2–232.1) ist in der Differenzierung der transzendentalen Definition bereits angelegt. Sie steht aber der Voraussetzung entgegen, dass die Definition den Unterschied der Begleitfunktion der »Sinnesempfindung«, der »Reflexion« oder der »Willensbestimmung« nicht beachte. Denn z. B. kann auf das ästhetische Reflexionsurteil nicht geschlossen werden ohne Bezugnahme auf die Reflexion.
Vgl. 5:72.28–73.8, 5:73.27–37; vgl. Kommentar zu EE III, S. 85. Zum Urteil der Vernunft aus Achtung für das Gesetz, für das »gar kein Gefühl stattfindet«, vgl. KpV, 5:75.12–17. 476
477
218
Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Anhang: Fußnote zum achten Absatz der »Anmerkung« Der zuletzt in die Interpretation des achten Absatzes der »Anmerkung« teilweise bereits einbezogene Text der Fußnote soll nicht ausführlich und im Detail kommentiert werden, da er verschiedene Aspekte enthält und Fragen aufwirft, die zu weit von den inhaltlichen Schwerpunkten des achten Abschnittes wegführen. Ich beschränke mich daher auf eine knappe inhaltliche Skizze. Der Text kann in fünf Sinnbereiche untergliedert werden. Der erste Sektor (»Es ist von Nutzen … der reinen Arithmetik bringt.«) (20:230.14–20) steht in direktem Zusammenhang mit dem Haupttext, indem er die bereits kommentierte Erläuterung zur Methode der »transcendentale[n] Definition« enthält. Er stimmt mit dem Anfang der Fußnote in E III überein. Die sich daran anschließenden Zeilen (»Man hat mir aber … nicht hervorbringen können.«) (20:230.20–26) betreffen Kants Erklärung des Begehrungsvermögens in der KpV (5:9, Fn.) und referieren den Einwand gegen die Zulässigkeit dieser Erklärung. Dazu nimmt der Kommentar zur entsprechenden Fußnote in E III Stellung.478 Die dann folgende Etappe des Fußnotentextes enthält Kants Argument zur Widerlegung des kritischen Einwandes, das flankiert wird durch Folgerungen für die Moral und die Anthropologie. Das Gegenargument (»Dieses beweiset aber nichts weiter … uns lästigen Zeit zu begehren, usw.«) (20:230.26–231.7), mit dem Kant von der Fußnotenversion der Einleitung abweicht, zielt darauf ab, den Einwand zu entkräften, die Definition gelte nicht allgemein, weil Wünsche auch Begehrungen seien, die aber nicht immer ihre Objekte hervorbrächten. Dieser Einwand tangiert Kant zufolge die gegebene Definition gar nicht. Er beweise nur, dass zum Begehrungsvermögen auch Bestimmungen gehörten, durch die es mit sich selbst »im Widerspruch« stehe. Das sei zwar für die empirische Psychologie ein »merkwürdiges Phänomen«, gehe aber in die Definition »objectiv betrachtet, was es nämlich an sich sey, ehe es irgend wodurch von seiner Bestimmung abgelenkt wird« (20:230.31–32), nicht notwendig ein. Kant ist also der Auffassung, dass das Begehrungsvermögen als solches von konkreten Bestimmungen, durch die es im Widerspruch zu sich selbst geraten könnte, abstrahiert. Eben deswegen scheint die gegebene Definition diesen Widerspruch nicht zu enthalten. In der Definition wird ja bloß erklärt, dass eine Vorstellung dem Vermögen nach Ursache der Wirklichkeit sein kann. Es ist damit aber nicht die Behauptung verbunden, dass das, was sein kann, immer auch der Fall ist. Deshalb kann Kant, ohne gegen die von ihm vorgeschlagene Definition zu verstoßen, auch sagen: In der Wirklichkeit komme es vor, dass der Mensch »etwas aufs lebhafteste und anhaltend« begehre und doch wisse, dass die Einlösung eines solchen Begehrens für ihn unmöglich sei. In dem folgenden vierten Passus (»Es ist auch für die Moral … seines Unvermögens zurük sinken lassen.«) (20:231.7–16) werden Folgerungen aus dem Gegenargument für die Moral gezogen. Zunächst erscheinen »solche leere phantastische 478
Vgl. Kommentar zu E III, S. 431.
Achter Abschnitt: Ästhetik des Beurteilungsvermögens
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Begehrungen« (für die »Romanen« und »diesen ähnliche mystische Vorstellungen übermenschlicher Vollkommenheiten und fanatischer Seeligkeit« ein günstiger Nährboden seien) in ihren negativen Auswirkungen, so dass vor ihnen »nachdrücklich« gewarnt werden müsse. Die negativen Auswirkungen »leere[r] Begierden« und Sehnsüchte auf das Gemüt äußern sich darin, dass sie »das Herz ausdehnen und welk machen« und die Kräfte des Gemüts auszehren. Zugleich kommt durch einen solchen negativen Effekt auch eine Art Wechselspiel in Gang. Die Kehrseite ist nämlich, dass durch die stete Wiederholung der Vorstellung die Gemütskräfte »angespannt werden, um ihr Obiect wirklich zu machen.« Und das heißt: Durch die Anspannung werden sie und das Herz begrenzt, aber auch gestärkt. Kant verdeutlicht hier nicht den Ausgang einer solchen Unruhe des Gemüts, das sich in einem ständigen Wechsel zwischen Erstarken des Gemüts durch den wiederholten Versuch und dem Zurücksinken in eine Art Ohnmacht, d. i. »in das Bewustsein seines Unvermögens«, äußert. Der letzte Teil der Fußnote (»Für die Anthropologie … wird es niemals nur verlangen, ihn auszurotten.«) (20:231.17–31) bezieht die Bedeutung der leeren Begehrungen auf »die Anthropologie« und teilt ihr die Aufgabe zu, zu untersuchen, »warum wohl die Natur in uns zu solchem fruchtlosen Kraftaufwande, als leere Wünsche und Sehnsuchten sind (welche gewiß eine große Rolle im menschlichen Leben spielen), die Anlage gemacht habe« (20:231.18–20). Kant begnügt sich also nicht mit der Diagnose des Auftretens und der psychischen Auswirkung leerer Wünsche und Begierden, sondern fragt als Philosoph nach ihren natürlichen Gründen, d. h. nach den »Anlagen« dafür in der Natur. Er bleibt nicht bei moralischen Bedenken stehen, sondern geht dazu über, eine wissenschaftliche Erklärung zu finden. Seine Antwort läuft darauf hinaus, dass die Natur – »wie in allen anderen Stüken« – es zweckmäßig für den Menschen (»weislich«) so eingerichtet hat, dass er notwendig über eine solche Kraft des Vorstellens verfügt, damit er zur Kenntnis des Begehrungsvermögens überhaupt erst gelangt. Die zunächst moralisch bloß negativ bewerteten niederen Begehrungen werden also in das teleologische Gesamtkonzept letztenendes konstruktiv eingebunden. Ähnliche Ansichten vertritt Kant im Hinblick auf andere natürliche Einrichtungen, von denen es auf den ersten Blick so scheint, als ob sie für den Menschen nutzlos oder nachteilig seien. Sie gehören insgesamt in das Spektrum seiner teleologischen Naturauffassung. Um dazu noch ein anderes Beispiel anzuführen: Der Krieg äußert sich als natürliche Zwietracht unter den Menschen. Er ist von der Natur gewollt mit der Absicht, dem Ideal des ewigen Friedens näher zu kommen. Kants Argument für die weisliche Natureinrichtung besteht darin, die Annahme des Gegenteils ad absurdum zu führen. Angenommen nämlich, wir hätten zuerst die Wirksamkeit unseres Begehrungsvermögens genau kennen zu lernen, bevor wir seine Kraft zur Vorstellung eines Objekts nutzten, so würde dieselbe überwiegend ungenutzt bleiben. M.a.W., die Kraft des Begehrens erschiene als eine zwecklose Einrichtung der Natur. Dem ist aber nun nicht so. Im allgemeinen hat die Natur die Gemütskräfte des Menschen dahin bestimmt, dass sie durch Versuche erst kennen
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
gelernt werden müssen. Die Kenntnis des Vermögens folgt erst aus dem Bestreben der Kraftanwendung, und dazu sind die anfänglich leeren Wünsche und Begierden unverzichtbar. Es gehört aber ebenso dazu, dass durch »Weisheit« der natürliche »Instinct« des Begehrens beschränkt wird. Denn sonst wäre und bliebe das Begehren ewig leer. Und auch dann erschiene uns das Begehrungsvermögen als eine zwecklose Einrichtung der Natur. In der hier nur oberflächlich besprochenen Fußnote geht es Kant – wie gesehen – nicht bloß darum, seine Definition des Begehrungsvermögens gegen den »Einwurf« eines Kritikers zu verteidigen, sondern insbesondere darum, sein Argument in allgemeineren (moralischen und anthropologischen) Gesichtspunkten seiner eigenen Philosophie zu verankern. Dass diese Gesichtspunkte in der entsprechenden Fußnote der später verfassten Einleitung weggelassen wurden, besagt nicht, dass Kant seine Einschätzung korrigiert oder gar zurückgenommen hätte. Es deutet vielmehr alles darauf hin, dass sie ein Opfer der Kürzung wegen der Weitläufigkeit der EE insgesamt geworden sind.
IX. Abschnitt: Teleologische Beurteilung
EE IX Neunter Abschnitt: »Von der teleologischen Beurtheilung«479
Gliederung: Erster und zweiter Absatz: Reale Zweckmäßigkeit Dritter bis fünfter Absatz: Das teleologische Urteil Sechster bis achter Absatz: Zwecke und Absichten Neunter bis elfter Absatz: Mechanismus und Zweckmäßigkeit als Leitideen der Naturforschung
Erster und zweiter Absatz: Reale Zweckmäßigkeit Gegenüber Abschnitt VIII wird nun das zweite große Hauptthema der KU – die teleologische Urteilskraft – eröffnet. In der Überschrift steht jedoch nicht »Beurtheilungsvermögen« wie im Falle des Ästhetischen (Überschrift EE VIII), sondern »Beurtheilung«. Das mag aber vielleicht ein marginales Unterscheidungsmerkmal sein. Die Erörterung beginnt mit der Darlegung des Begriffs einer realen »Technick der Natur«, die von der formalen, an die Kant sogleich erinnert, zu unterscheiden ist. Was »Technick der Natur« bedeuten soll, wurde in den ersten beiden Absätzen von EE VII erklärt. Der Ausdruck bezeichnet einen Kausalnexus, für den gilt, dass die Natur so betrachtet werden muss, als ob sie die Form ihrer Produkte als Zwecke verursachte (vgl. EE VII, 1. Abs.). In Hinsicht auf die ästhetische Beurteilung ist die Zweckmäßigkeit bloß subjektiv und formal (vgl. EE VII, 5. Abs.) (20:220.31–221.9). Wie wir bereits festgestellt haben gilt jedoch auch von der objektiven Zweckmäßigkeit, dass sie in gewissem Sinne bloß subjektiv ist, insofern nämlich sowohl die formale als auch die reale Technik der Natur »nur ein Verhältnis der Dinge zu unserer Urteilskraft« ist, d. h. nicht zur Natur wie sie an sich ist (EE VII, 6. Abs.) (20:221.19–33). Die formale Technik der Natur – so erinnert Kant in EE IX (1. Abs.) – war die Zweckmäßigkeit »in der Anschauung«. Sie liefert der Urteilskraft »zweckmäßige Gestalten«. Gestalt bedeutet hier die Form einer anschaulichen Vorstellung als Grundlage für das Spiel von Einbildungskraft und Verstand, in welchem sie »wechselDer neunte Abschnitt der Ersten Einleitung enthält in der Manuskriptfassung keine nennenswerten Verbesserungen von Kants Hand (vgl. Hinske, N. u. a. (Hg.) (1965), Immanuel Kant. Erste Einleitung, 38–44). 479
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
seitig miteinander zur Möglichkeit eines Begrifs von selbst zusammenstimmen.« (20:232.9–14) Begriffe entstehen hier also erst durch die Wechseltätigkeit der Erkenntnisvermögen, und zwar durch eigenen Antrieb (spontan). Mit der realen Technik der Natur verhält es sich anders. Sie begreift die Dinge »als Naturzwecke«. Dieser Begriff von einem Ding der Natur soll bedeuten, dass seine »innere Möglichkeit einen Zweck voraussetzt«. Unter »Zweck« versteht Kant an dieser Stelle einen Begriff, der der »Caussalität« der »Erzeugung« der Dinge »als Bedingung, zum Grunde liegt« (20:232.14–17). Die letzte Bestimmung – dass der Begriff eines Zwecks Grundlage der Zweckmäßigkeit ist – durfte von der ästhetischen Beurteilung der Zweckmäßigkeit der Natur gerade nicht gelten, weil sie sich auf Naturformen bezog, die begrifflich unbestimmt sind (EE VII, 5.–6. Abs.) (20:220.31–221.23). In EE VII (6. Abs.) (20:221.10 ff.) konnte man erfahren, dass ein Ding dann Naturzweck heiße, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: Erstens müssen empirische Begriffe und Gesetze durch den Verstand gegeben sein; zweitens muss die reflektierende Urteilskraft diese Begriffe mit dem Systemprinzip der Vernunft vergleichen; drittens muss die durch den Vergleich erzielte Form am Gegenstand »angetroffen« werden. Damit wäre zugleich die Zweckmäßigkeit objektiv beurteilt. Die »innere Möglichkeit« eines Dinges der Natur erschließt sich, wenn man auf die an früheren Stellen dieses Kommentars gegebenen Erklärungen bezüglich des Naturzwecks zurückblickt.480 Diese stützten sich u. a. auf die §§ 64 und 65 der KU. Nach den dort nachzuschlagenden Bestimmungen hängt die Existenzweise eines Dinges als Naturzwecks u. a. davon ab, ob von ihm gesagt werden kann, dass es Ursache und Wirkung »von sich selbst« sei (§ 64, 3. Abs.) (5:370.36–37). Denn dann und nur dann erzeugt und erhält es sich selbst gemäß eines eigenen Prinzips, ohne von äußeren Ursachen und Bedingungen maßgeblich abzuhängen. Die Bedingungen seiner Existenz werden von einem solchen Naturwesen selbst gesetzt (aus seinem eigenen Inneren heraus). Ursache und Wirkung »von sich selbst« sein zu können, setzt eine Ursache als Zweck voraus, und zwar als einen Zweck, der nicht anders bestimmt sein kann, als dass er Selbstzweck ist. In Hinsicht auf § 65 der KU, ist noch kurz daran zu erinnern, dass zu den Bedingungen der inneren Möglichkeit der natürlichen Dinge, insofern sie als Naturzwecke auszulegen sind, diejenigen gehören, die solche Dinge zu »organisierten Wesen« qualifizieren, d. i. die Bedingungen systematischer Organisation bzw. Selbstorganisation eines natürlichen Ganzen (vgl. auch EE VIII, »Anmerkung«, 3. Abs.) (20:228.22–29). Dazu gehört der Zweck als Organisationsprinzip des inneren Gliederbaus eines Ganzen, d. h. der wechselseitigen kausalen Beziehungen der Teile untereinander und ihrer Beziehung zur Wesenseinheit. Eine solche innere Organisation, die zur Lebensexistenz gehört, kann an der äußeren Gestalt nicht wahrgenommen werden.
480
Vgl. Kommentar zu EE VIII, S. 204–206.
IX. Abschnitt: Teleologische Beurteilung
223
Der zweite Absatz macht deutlich, dass die Urteilskraft nicht vermögend ist, Zweckbegriffe selbst hervorzubringen. Das gilt aber nicht in gleicher Weise für »zweckmäßige Formen der Anschauung«. Denn diese kann sie erfinden, so dass sie in der Auffassung zur »Darstellung eines Begriffs« passen. Wie diese »Darstellung« genau auszusehen hat, läßt der Text an dieser Stelle offen. Die Übereinstimmung der zweckmäßigen Form der Anschauung mit dem Begriff ist eine ›Konstruktion‘ durch die Urteilskraft. Zwecke werden hier – wie an zahlreichen anderen Stellen – allgemein bestimmt als »Vorstellungen«, die die Bedingung der von ihnen verursachten Gegenstände enthalten. Sie müssen – weil die Urteilskraft sie nicht produziert (oder »erfindet«) – »irgendwoher gegeben werden.«481 Das ist die Voraussetzung dafür, dass die Urteilskraft sich so damit beschäftigen kann, dass sie Übereinstimmung zwischen dem empirischen Mannigfaltigen und Zweckbegriffen herstellt (EE IX, 2. Abs.) (20:232.21–24). Die Klasse der Zwecke, die »Naturzwecke« genannt werden, bezieht sich auf »gewisse Naturdinge« – nämlich auf organisierte Wesen (Organismen). Es sind jedoch nicht diese Dinge selbst, die dem Subjekt den Begriff von einem Naturzweck vermitteln oder gar zu erkennen geben. Die Dinge als Naturzwecke werden vielmehr so betrachtet, »als ob sie Producte einer Ursache seyn, deren Caussalität nur durch eine Vorstellung des Objects bestimmt werden könnte.« (EE IX, 2. Abs.) (20:232. 25–28) Es wird also zum Schein (zum Zweck der Naturbetrachtung) ein subjektives Kausalitätsverhältnis zwischen einer bestimmten Vorstellung als Ursache und dem Objekt als Wirkung auf Naturerzeugnisse übertragen und damit verobjektiviert, m.a.W., Naturprodukte werden so betrachtet, als ob sie eine geistige (intelligente) Ursache hätten. Das ist die erste Voraussetzung dafür, dass solche Dinge, die Produkte der Natur sind, als Naturzwecke angesehen werden können. Die letzte Bemerkung im zweiten Absatz betrifft den Erkenntnisstatus der Naturprodukte als Naturzwecke. Mit der Formulierung des »als ob« deutet sich schon an, dass die spezielle Kausalität der Natur, die hier in den Blick genommen wird, nicht objektiv bestimmt werden kann. Es gibt zwar ein apriorisches Prinzip, das der Beurteilung der Dinge als Naturzwecke zugrunde gelegt werden muss, aber die Naturzwecke selbst sind empirische Begriffe und die Dinge empirische Erscheinungen mannigfaltiger Art, so dass Kant mit Recht behaupten kann, »wie und auf wie mancherlei Art Dinge durch ihre Ursachen möglich sind«, lasse sich a priori nicht bestimmen. Es seien dazu »Erfahrungsgesetze« nötig (20:232.25–30).
Die Zwecke und selbst die Naturzwecke werden von der Vernunft gegeben. Allein der Begriff von Dingen als Naturzwecken gehört der reflektierenden Urteilskraft an. 481
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Dritter bis fünfter Absatz: Das teleologische Urteil Die Absätze 3–5 des neunten Abschnittes der EE enthalten die Grundzüge einer Theorie des teleologischen Urteils, das wiederum mit dem Begriff der Technik der Natur in Zusammenhang gebracht wird. Das teleologische Urteil ist zwar das erkenntniskritische Gegenstück zum ästhetischen Reflexionsurteil, wird aber von Kant nicht ausführlich abgehandelt. Das gilt übrigens auch für den zweiten Hauptteil der KU. Es erweist sich daher als notwendig, andere im Haupttext der KU verstreute Bemerkungen über das teleologische bzw. das absolute teleologische Urteil (§ 63, 5. Abs.) (5:369.2) aufzugreifen und mit zu berücksichtigen. Trotz dieses Bemühens wird sich am Ende keine klar umrissene Theorie des teleologischen Urteils konstruieren lassen.482 Was das Verhältnis des ästhetischen zum teleologischen Urteil angeht, so werden wir über eine Problemexposition (auf der Grundlage des § 48 der KU) nicht hinauskommen. Der dritte Absatz beginnt mit einer Definition des teleologischen Urteils: »Das Urtheil über die Zweckmäßigkeit an Dingen der Natur, die als ein Grund der Möglichkeit derselben (als Naturzwecke) betrachtet wird, heißt ein teleologisches Urtheil.« (20:232.31–33) Diese Erklärung fasst nur das zusammen, was in den ersten beiden Absätzen über die »innere Möglichkeit« der Dinge als Naturzwecke gesagt worden ist. Sie macht uns also keineswegs klar, wie ein teleologisches Urteil überhaupt aufgebaut ist und wie es verstanden werden kann. Irritierend ist vor allem der folgende Satz, der auf die Bedingungen a priori der Möglichkeit ästhetischer Reflexionsurteile Bezug nimmt: »Nun sind, wenn gleich die ästhetischen Urtheile selbst a priori nicht möglich sind, dennoch Principien a priori in der nothwendigen Idee einer Erfahrung, als Systems, gegeben, welche den Begriff einer formalen Zweckmäßigkeit der Natur für unsere Urtheilskraft enthalten, und woraus a priori die Möglichkeit ästhetischer Reflexionsurtheile, als solcher, die auf Principien a priori gegründet sind, erhellet.« (20:232.33–233.3) Es ist hier zu unterscheiden zwischen (mittelbaren) Bedingungen der Möglichkeit a priori ästhetischer Urteile (in Form des Begriffs einer formalen Zweckmäßigkeit) und (unmittelbaren begrifflichen) Bedingungen a priori der Möglichkeit derselben (die eigentlich unmöglich sind). Anders als Erkenntnisurteile (im engeren Sinne) sind ästhetische Urteile nicht a priori möglich; sie gelten nur subjektiv allgemein und notwendig, und sie sind insgesamt einzelne, empirische Urteile. Nach der »nothwendigen Idee einer Erfahrung, als Systems« – d. h. nach der Idee der systematischen Einheit der Naturerfahrung, die sich (wie mehrfach schon bemerkt) aus dem Bedürfnis des Verstandes nach der systematischen Bestimmung des Ganzen
S. jedoch meine genauere Untersuchung in: W. Euler (2016), Kants Kritik der teleologischen Urteilskraft, 49–58. 482
IX. Abschnitt: Teleologische Beurteilung
225
der Natur (des Allgemeinen und des Besonderen) ergibt und die den Begriff ausmacht, der der reflektierenden Urteilskraft eigentümlich zukommt483 – sind auch Prinzipien a priori »gegeben«, die den Begriff der formalen Zweckmäßigkeit der Natur enthalten. Denn im weiteren Sinne ist das ästhetische Urteil ein solches, das zur Naturerfahrung gehört. Das Prinzip formaler Zweckmäßigkeit ist ausschlaggebend für die ästhetische Beurteilung. Die Möglichkeit ästhetischer Reflexionsurteile beruht auf solchen Prinzipien a priori. Denn dies ist die Minimalanforderung dafür, dass von einer Urteilsbeziehung überhaupt gesprochen werden kann (so wie das Sinnenurteil kein Urteil in eigentlicher Bedeutung sein kann). Um die Dimension der Schwierigkeiten bei der teleologischen Beurteilung der Natur (die gleichfalls zur Erfahrung im weiteren Sinne gehört) zu dokumentieren, stellt Kant ihr zwei andere Arten von Naturauffassung gegenüber: erstens diejenige, nach der die transzendentalen Naturgesetze in Übereinstimmung mit dem menschlichen Verstand sind (insofern der Verstand Urheber dieser Gesetze ist); zweitens diejenige, in welcher die empirischen Gesetze der Natur mit der reflektierenden Urteilskraft zusammenstimmen (indem die empirische Auffassung der Formen der Natur mit der Darstellung der empirischen Gesetze in Einklang gebracht werden). In beiden Fällen geht es um die Ermöglichung von Erfahrung. Der erste Fall ist der der bestimmenden Naturerkenntnis nach den in der KrV dargelegten Prinzipien a priori. Der zweite Fall ist der der vorhin im Kommentar zu Abs. 1 und Abs. 2 dargelegten Konstruktion der zweckmäßigen Formen der Anschauung durch die Urteilskraft. Nun behauptet Kant, die formale Zweckmäßigkeit der Natur lasse sich im Hinblick auf ihre Übereinstimmung mit der Urteilskraft »als nothwendig noch darthun« (20:233.8–10). Diese Notwendigkeit war dadurch erwiesen worden, dass ohne dieselbe keine systematische Einheit der Natur in ihren empirischen Gesetzen gedacht werden könnte.484 Vor diesem Hintergrund wird nun gefordert, dass die Natur, insofern sie Objekt einer teleologischen Beurteilung sein soll, so gedacht wird, dass sie in ihrer Kausalität mit der Vernunft in ihrem Zweckbegriff übereinstimmt. Allerdings sieht Kant auch sogleich einen Anlaß zu der Feststellung, die Urteilskraft sei allein mit dieser Aufgabe überfordert und bedürfe deswegen einer Hilfe (»das ist mehr, als der Urtheilskraft allein zugemutet werden kann«). Denn anders als bei der Form der Anschauung verfüge sie nicht über eigene Prinzipien a priori »für die Begriffe der Erzeugung der Dinge.« (20:233.14–16) D. h. sie enthält für sich nicht den Begriff eines »realen Naturzwecks«, mit dem sie objektiv zweckmäßig urteilen soll. Während die Urteilskraft bei der Wahrnehmung subjektiver Zweckmäßigkeit von Gegenständen der Natur Einbildungskraft und Verstand »vor allem Begriffe« in ein Verhältnis zueinander setzte, so hat sie bei der Vorstellung teleologischer
483 484
Vgl. EE II, 5. Abs.; EE IV; EE VI, 2. Abs. Vgl. Kommentar zu EE VII, S. 182.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Zweckmäßigkeit der Dinge als Naturzwecke (die keine anschauliche, sondern eine begriffliche Vorstellung ist) Verstand und Vernunft aufeinander zu beziehen. Dieser Unterschied zwischen der begriffslosen ästhetischen Beurteilung der Naturformen und der teleologischen Beurteilung von Dingen der Natur, die einen Objektbegriff voraussetzt, wird in den Absätzen 4 bis 5 noch einmal wiederholt bzw. in präziseren Formulierungen dargelegt. So konnte die ästhetische Beurteilung, »ohne einen Begrif vom Gegenstande zum Grunde zu legen«, also bloß in der empirischen Auffassung Gegenstände der Natur subjektiv zweckmäßig finden (EE IX, 4. Abs.) (20:233.28–31). Dafür durfte sie die beurteilten Gegenstände aber nicht nach Art eines objektiven Urteils als Naturzwecke auffassen. Kant bezeichnet hier diese Zweckmäßigkeit, die Dingen der Natur bloß mit Rücksicht auf die subjektiven Bedingungen der Urteilskraft beigelegt wird, als »figürliche« und die entsprechende (weiter oben »formal« genannte) Technik der Natur als »technica speciosa« (schöne (wohlgestaltete) Kunst) (20:233.36–234.2). Im Unterschied zum ästhetischen Reflexionsurteil setzt das teleologische Urteil einen Objektbegriff voraus (der allerdings auch nicht im selben Sinne objektiv und a priori bestimmend sein kann wie ein reiner Verstandesbegriff). Es urteilt über die Möglichkeit eines Objekts »nach einem Gesetze der Verknüpfung der Ursachen und Wirkungen.« (EE IX, 5. Abs.) (20:234.3–5) Von den Gegenständen, die teleologisch beurteilt werden, haben wir weiter oben gesagt, dass sie eine Klasse von Dingen der Natur ausmachen, die nur als Naturzwecke möglich sind und die deshalb als organisierte Wesen aufzufassen sind. Zur Existenzweise solcher Dinge gehörte, dass sie von sich selbst Ursache und Wirkung sind, sich selbst hervorbringen und erhalten. Das Gesetz der kausalen Verknüpfung, nach welchem ein Gegenstand teleologisch beurteilt werden kann, ist ein Erzeugungsprinzip, ein Prinzip nach welchem Naturdinge so zu betrachten sind, »als ob« sie Erzeugnisse einer Ursache seien, die durch die Vorstellung des Objekts bestimmt würden (vgl. EE IX, 2. Abs.). Eigentlich setzt eine solche Wesensbetrachtung Kants Begriff der inneren Zweckmäßigkeit voraus, der aber an der hier kommentierten Textstelle keine Verwendung findet (in KU, § 63, 5. Abs., wird einschränkend gesagt, dass die »relative« oder »äußere« Zweckmäßigkeit »zu keinem absoluten teleologischen Urteile berechtige« (5:368.37–369.2)). Aus welchem Grund und in welchem Sinne man auf Kants Vorschlag hin die teleologische Zweckmäßigkeit plastische Technik der Natur nennen könnte, verrät der Text nicht. Das Attribut »plastisch« wird in solchem Zusammenhang von Kant – soweit ich sehe – sonst nicht verwendet (mit Ausnahme von EE XII, 7. Abs. (20:251.11))485. Es kann davon ausgegangen werden, dass mit plastischer Technik nichts anderes bezeichnet werden soll als das, was die weiter oben verwendete
485
Vgl. Kommentar zu EE XII, S. 355.
IX. Abschnitt: Teleologische Beurteilung
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»reale« Technik ausdrücken sollte, nämlich die Zweckmäßigkeit der Natur, die einen Begriff von Dingen als Naturzwecken voraussetzt.486 Kant wählt aber schließlich doch nicht den Ausdruck »plastisch« für die Technik der Natur, sondern zieht den einer »organische[n] Technick« vor (EE IX, 5. Abs.) (20:234.3–11). Begründet wird dies damit, dass das Wort »plastisch« »schon in allgemeinerer Bedeutung, nämlich für Naturschönheit so wohl als Naturabsichten, in Schwang gebracht« worden sei. Es könnte daher die Gefahr einer Begriffsverwirrung oder –verwechslung entstehen (ebd.). Der Ausdruck der »organische[n] Technick« der Natur bezeichnet nach Kant die Zweckmäßigkeit, sofern sie »nicht blos« zur »Vorstellungsart« gehört (das tut sie aber auch, und zwar zur begrifflichen Vorstellung), sondern zur »Möglichkeit der Dinge selbst« (ebd.). Damit wird deutlich, dass die Organisationsform, die Dingen der Natur aufgrund dessen, dass sie so betrachtet werden müssen, als seien sie von selbst Zweckursache und Wirkung, objektiv anhaftet, diejenige Bestimmung ist, die als »organische Technick« bezeichnet wird. Diese inhaltliche Bedeutung muss es dann wohl auch sein, die mit der Bezeichnung der plastischen Technik gemeint war, wenn es möglich ist, »plastisch« durch »organisch« zu ersetzen. Die Technik der Natur, die dem teleologischen Urteile zugrunde liegt – werde sie nun im Wortsinn des Plastischen oder des Organischen gebraucht – kann kein Naturbegriff werden, dem wie den Kategorien des reinen Verstandes objektive Realität zukäme. Dinge als Naturzwecke sind objektiv nicht bestimmbar. In letzter Konsequenz ist deshalb auch die objektive und reale Zweckmäßigkeit, die Dingen der Natur als organisierten Wesen zuerkannt wird, relativiert durch die subjektive Betrachtungsweise (vgl. dazu KU, § 74), d. h. sie dient nur zur Reflexion über ein Objekt, nicht zu dessen Bestimmung (vgl. EE IX, 10. Abs.) (20:236.12–17). Für das teleologische Urteil hat entsprechend zu gelten, dass es kein objektiv gültiges Erkenntnisurteil, kein bestimmendes, sondern ein reflektierendes ist, weil bloß nach subjektiven Prinzipien (der Vernunft), wenngleich unter empirischen Bedingungen, geurteilt wird.
Sechster bis achter Absatz: Zwecke und Absichten Die folgenden drei Absätze haben den Begriff der »Endursachen« und den einer absichtlichen Naturzweckmäßigkeit zum Gegenstand. Absatz 6, der hier in einer Satzgrafik wiedergegeben wird (20:234.12–24), führt den Begriff der »Endursachen« in der Natur ein, ohne ihn zu definieren. Zugleich kündigt er einen »Beweis« darüber an, dass dieser Begriff »blos der Urtheilskraft, und nicht dem Verstande oder der Vernunft« angehörig sei.
486
Vgl. EE IX, 1. Abs. (20:232.10–12, 14–17); vgl. EE VII, 6. Abs. (20:221.10–23).
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
[1] Das Wesentlichste und Wichtigste für diese Numer ist aber wohl der Beweis: daß der Begrif der Endursachen in der Natur, [1.1] welcher der teleologischen Beurtheilung derselben von der nach allgemeinen, mechanischen, Gesetzen absondert, [1.2] ein blos der Urtheilskraft, und nicht dem Verstande oder der Vernunft, angehöriger Begrif sey, / [2] d. i. daß,
}
[2a] da man den Begrif der Naturzwecke auch in objectiver Bedeutung, als Naturabsicht brauchen könnte, [3] ein solcher Gebrauch, als schon vernünftelnd, schlechterdings nicht in der Erfahrung gegründet sey, [3.1] die zwar Zwecke darlegen, aber, daß diese zugleich Absichten sind, durch nichts beweisen kann, / [4] mithin, was in dieser zur Teleologie gehöriges angetroffen wird, [5] lediglich die Beziehung ihrer Gegenstände auf die Urtheilskraft [5a] und zwar einen Grundsatz derselben, dadurch sie für sich selbst (nicht für die Natur) gesetzgebend ist, nämlich als reflectirende Urtheilskraft [6] enthalte.
}
Satzgrafik Nr. 5
Die wesentliche Funktion des Begriffs der Endursachen soll sein, dass er die teleologische Beurteilung, für die er gebraucht wird, von der Beurteilung der Natur durch allgemeine mechanische Gesetze trennt. In letzterer wird demnach nicht von Endursachen, sondern von der gewöhnlichen Naturkausalität Gebrauch gemacht. Kant scheint auf eine Erklärung des Begriffs verzichten zu können, und wir dürfen unterstellen, dass mit »Endursache« dasselbe gemeint ist wie mit dem Begriff des Naturzwecks. Das lässt sich durch den Gebrauch jenes Terminus an einigen Stellen der KU nachweisen. Die Kausalverknüpfung, die Kant den Endursachen oder auch »idealen Ursachen« beilegt und die er auch »nexus finalis« nennt, wird am klarsten in § 65 (2. Abs.) der KU (5:372.24–373.3) ausgesprochen.487 Sie ist eine Kausalität, die »nach einem Vernunftbegriffe (von Zwecken)« gedacht wird. Damit grenzt sie sich ab von der Kausalverbindung der »wirkenden« oder »realen« Ursachen, die durch den Verstand zu erfassen ist (nexus effectivus). Während diese sich als eine Reihe darstellt, die von Wirkungen zu Ursachen »abwärts« geht, wobei die Richtung nicht umkehrbar ist, präsentiert sich der nexus finalis als eine »sowohl abwärts als aufwärts« 487
S. auch KU, § 71, 1. Abs. (5:389.6–10); § 82, 3. Abs. (10:426.1–9); § 86, 4. Abs. (5:444.1–8).
IX. Abschnitt: Teleologische Beurteilung
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fortschreitende Reihe. Die Zweckkausalität (Kausalität der Endursachen) begreift ein Ding als Wirkung, insofern es zugleich »abwärts« die Ursache desselben Dinges ist, »wovon es die Wirkung ist.« Kant illustriert diesen Nexus an dem Beispiel der Kunst der Errichtung eines Hauses: Dieses kann als Ursache von Mieteinnahmen, die dessen Wirkung sind, aufgefasst werden; aber genauso kann umgekehrt die Vorstellung der Geldvermehrung Ursache des Hausbaus sein. Das Haus als Ding kann insofern als Ursache und Wirkung in Einem betrachtet werden.488 Legt man der Interpretation von EE IX, 6. Abs., dieses Verständnis von Endursache zugrunde, dann scheint sich die Behauptung, allein die Urteilskraft verfüge über den Begriff der »Endursachen«, nicht zu vertragen mit den Erklärungen in EE IX, Abs. 3, wonach die Urteilskraft keine eigenen Prinzipien a priori für Begriffe der Erzeugung der Dinge enthalte und der Begriff »eines realen Naturzwecks« über ihren eigenen Horizont hinausgehe (20:233.13–17). Die aufgetretene Ungereimtheit lässt sich scheinbar nur durch den Hinweis ausräumen, dass im Kontext von Abs. 3 zwar die teleologische Beurteilung und deren Voraussetzungen untersucht werden, aber in ständiger Relation zum ästhetischen Urteilsvermögen als Ausgangspunkt. Von einem teleologischen Urteilsvermögen wird explizit nicht gesprochen. Die Rede ist stets von »der Urteilskraft« oder von »der Urteilskraft allein«. Es kann sich also dort um die Urteilskraft in ihrer bloßen Funktion der ästhetischen Beurteilung handeln, und dieser kann selbstverständlich nicht noch ein Begriff (wie der eines Naturzwecks) ursprünglich beigelegt werden, um dadurch zu einer auch teleologischen Beurteilung zu gelangen. Der Beweis dafür, dass der Begriff der Endursachen allein der Urteilskraft angehöre, muss zugleich ein Beweis für das sein, was im zweiten »daß«-Nebensatz ([2] bis [3]) gesagt sein soll. Dieser Inhalt aber ist schwer zu erschließen. Die Kernaussage betrifft einen bestimmten Gebrauch des Begriffs der Naturzwecke, der nicht in der Erfahrung, sondern bloß in der reflektierenden Urteilskraft gegründet sein soll. Der bestimmte Gebrauch des genannten Begriffs ist die ihm beigelegte objektive Bedeutung. Damit ist gemeint, dass Naturzwecke als Naturabsichten betrachtet werden. Dies unterstellt, dass es in der Natur oder über sie hinaus eine von menschlichem Zutun unabhängige (das macht die ›objektive Bedeutung‹ aus), verständig wirkende Ursache gebe, die alles, was in der Natur nach Zwecken zu geschehen hat, mit planender Vernunft (absichtlich) herbeiführe. Zugleich ist hiermit eine Positionsbeschreibung gegeben, die in der vorkantischen Metaphysik verwurzelt ist.489 Kant geht aber zu dieser Vorstellung auf Distanz. Das zeigt sich an der konjunktivischen Ausdrucksweise (»brauchen könnte«), und auch daran, dass eine solche Verwendung als »vernünftelnd« eingestuft wird.
Zur Beurteilung von organisierten Körpern als Wirkung von Endursachen vgl. KU, § 65, 5. Abs. (5:373.26–34). 489 Vgl. dazu besonders Christian Wolffs Deutsche Teleologie (GW I.7, Hildesheim, New York 1980). 488
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
»Vernünftelnd« nennt Kant in der KrV die Versuche, die reine Vernunft zu theoretischer Erkenntnis zu bewegen, ohne deren erkenntniskritische Grenzen zu beachten. So gerät der Verstand z. B. in »leere Vernünfteleien«, wenn er sich anmaßt, seine reinen Begriffe über die Grenzen der Erfahrung hinaus auf Gegenstände überhaupt zu beziehen (KrV, B 87–88 / A 63). Aber auch die Ideen sind vernünftelnde Begriffe, insofern in theoretischer Hinsicht ein konstitutiver Gebrauch von ihnen gemacht wird, der die Vernunft in Antinomien verwickelt (KrV, B 672 / A 644). Statt »Vernünfteln« könnte Kant (wie in EE IX, Abs. 8 und 10) auch sagen: »transcendenten Gebrauch« machen oder »sich ins Überschwengliche« versteigen (20:235.15–18, 20:236.25–29). In unserem Falle würde dies bedeuten, dass es ein Fehler wäre, Begriffe, die der reflektierenden Urteilskraft angehören, der bestimmenden zuzuweisen. Ist der Gebrauch des Begriffs der Naturzwecke im Sinne einer Naturabsicht »vernünftelnd«, dann versteht es sich dadurch schon von selbst, dass er »nicht in der Erfahrung gegründet« sein kann (EE IX, 6. Abs.) (20:234.18 f.). Denn mit dem Vernünfteln geht die Vernunft über das, was ihr die Erfahrung bietet, hinaus und wird transzendent. Kant bezieht sein Argument für die Nichtbegründbarkeit des objektiven Gebrauchs des Begriffs der Naturzwecke durch Erfahrung aus einem Mangel des Erfahrungsbegriffs selbst. Erfahrung könne zwar Zwecke »darlegen«, aber sie könne nicht beweisen, »daß diese zugleich Absichten sind« ([3.1]) (20:234.19–21). »Darlegen« bedeutet hier – wie der nachfolgende Text belegt – soviel wie zeigen oder mitteilen.490 Erfahrung zeigt uns zweckhafte Formen an natürlichen Dingen, die insofern von uns an ihr »angetroffen« werden ([4]) (20:234.21). Aber um Absichten darin beweisen zu wollen, müsste sie auch das planvolle Produzieren jener Zwecke, ihr Entstehen durch die Handlung eines intelligenten Urhebers aufzeigen können (wie dies in der Kunstproduktion geschieht). Aber das ist wegen der Beschränkung der Erfahrung auf sinnliche Anschauung nicht möglich. Aus diesen Überlegungen folgt (»mithin«) ([4]), dass das, was an »Teleologie« in der Erfahrung »angetroffen« wird – das sind die Naturzwecke – nur die Beziehung der Gegenstände der Erfahrung auf die Urteilskraft betrifft, und zwar gerade weil das vorgefundene Teleologische nicht selbst auf Erfahrung beruht. Es ist aber nicht bloß Beziehung überhaupt auf die Urteilskraft ([5]) (denn diese kann auch ästhetisch sein), sondern Beziehung auf »einen Grundsatz derselben« ([5a]) (20:234.22–23). Dass hier ein »auf« mitgelesen werden muss, das im Text nicht steht, ergibt sich aus der Überlegung, dass der »Grundsatz« offenkundig nicht »die Beziehung ihrer Gegenstände« ist, die damit Inhalt dessen wäre, was in der Erfahrung als »zur Teleologie gehöriges angetroffen wird« ([4]). Der ganze Rest des Satzes, der auf das »und zwar« folgt ([5a]), bezieht sich als nähere Erläuterung auf »die Urtheilskraft« ([5]) (20:234.22–24). Vom Grundsatz der Urteilskraft ist in der Erläuterung zu erfahren, dass er sie gewissermaßen autorisiert, »für ihr [lies: sich] selbst […] gesetzgebend zu sein« 490
Vgl. dazu den Kommentar zu EE VI, 3. Abs., S. 158.
IX. Abschnitt: Teleologische Beurteilung
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([5a]) (20:234.22–24). Und da sie dies nur als autonome »reflectirende« Urteilskraft vermag, die – wie vielfach betont – nichts an den Gegenständen der Natur bestimmt, schließt die Selbstgesetzgebung aus, dass die Urteilskraft zugleich gesetzgebend für die Natur sein könnte. Es steht zu vermuten, dass der Grundsatz der Urteilskraft in dem ihr eigenen Begriff der Endursachen oder der Naturzwecke enthalten ist, die als Selbstzwecke verstanden werden müssen. Dieser Grundsatz würde dann mit der genuinen Handlungsweise der reflektierenden Urteilskraft, sich selbst Gesetze vorzuschreiben, übereinstimmen. Die Gesetze aber, die sich die Urteilskraft gibt, haben wir bereits kennen gelernt.491 Es sind die Gesetze, die die logischen Operationen des Spezifizierens und Klassifizierens regulieren. Die dargelegte Interpretation zeigt – sofern sie zutreffend ist –, dass es für den angekündigten Beweis kein einheitliches Ziel gibt. Gezeigt werden sollte erstens, dass der Begriff der Endursachen ausschließlich der Urteilskraft »und nicht dem Verstande oder der Vernunft« angehört. Gezeigt werden sollte deshalb zweitens, dass sich der objektive Gebrauch des Begriffs der Naturzwecke nicht auf Erfahrung gründe. Die beiden Beweisziele divergieren. Sofern man geneigt ist, in den Satzteilen [2] bis [3] eine Argumentation zu lesen, die einem Beweisanspruch nahe kommt, so folgt die Beziehung der Gegenstände der Erfahrung auf den Grundsatz der reflektierenden Urteilkraft ([5], [5a]) nicht zwingend aus der Erkenntnis, dass Naturzwecke nicht auf Erfahrung beruhen ([3]). Es folgt aber erst recht nicht, dass der Begriff der Endursachen »nicht dem Verstande oder der Vernunft« angehört ([1], [1.2]). Der siebte Absatz konfrontiert uns mit einigen wichtigen Erläuterungen, die das Verständnis des sechsten Absatzes erhöhen. Es stellt sich ja z. B. die Frage, welchen Beitrag die Vernunft in der teleologischen Beurteilung noch leisten kann, wenn ausgeschlossen ist, dass ihr der Begriff der Endursache bzw. des Naturzwecks angehört. Der Anfang des siebten Absatzes bringt dazu eine Klarstellung und beantwortet zugleich die gestellte Frage: Der Zweckbegriff und der Begriff der Zweckmäßigkeit sind Begriffe der Vernunft, aber nur, »in so fern man ihr den Grund der Möglichkeit eines Objects beylegt.« (20:234.25–27). Eine solche Funktion hat die Vernunft besonders als praktische Vernunft, aber dann auch – wie sich gleich zeigen wird – als technische und damit mittelbar in Bezug auf die Natur, indem sie die Urteilskraft für die teleologische Beurteilung mit Zwecken als Ideen versorgt. Mit der Ausschließung des Begriffs der Endursache (Finalursache) oder der Naturzwecke aus der Begriffsschöpfung der Vernunft ist also nicht die Behauptung verbunden, dass sie über gar keine Zweckideen verfüge. Das Verhältnis der Vernunft zu den Naturzwecken ist ein mittelbares: »Allein Zweckmäßigkeit der Natur, oder auch der Begrif von Dingen als Naturzwecken, setzt die Vernunft als Ursache mit solchen Dingen in Verhältniß, darin wir sie durch keine Erfahrung als Grund ihrer Möglichkeit kennen.« (EE IX, 7. Abs.) (20:234.27–30). 491
Vgl. Kommentar zu E V, S. 489, 493 und zu EE V, S. 146 f.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
»Ursache« ist die Vernunft hier insofern, als sie eben den »Grund der Möglichkeit eines Objects« enthält, und in dieser Funktion ist sie autonom. Aber sie wird erst in ein Verhältnis zu den Dingen, für die sie Ursache ist, gesetzt, insofern sie unter der Bedingung des Begriffs von Dingen als Naturzwecken steht; und da diese der Urteilskraft allein eigen sein sollen, steht sie damit unter der Bedingung des Grundsatzes der Urteilskraft. Das Verhältnis der Vernunft (als Ursache) zu »solchen Dingen« – gemeint sind wohl Dinge als Naturzwecke – soll ein solches sein, in welchem »sie« (d. i. die Vernunft) als Grund der Möglichkeit der Dinge (»ihrer Möglichkeit«) mittels (»durch«) Erfahrung nicht zu erkennen (»kennen«) ist. Den Grund dafür, dass die Urteilskraft und nicht die Vernunft Inhaberin des Prinzips der Zweckkausalität in Bezug auf die Natur ist, erfahren wir in dem mit »Denn« eingeleiteten Folge-Satz (20:234.30–34). Anders nämlich als bei Naturprodukten, die als Naturzwecke aufzufassen sind, sind wir bei Kunstwerken, so behauptet Kant, befähigt, uns die Tatsache ins Bewußtsein zu rufen, dass die Vernunft Ursache von Objekten, nämlich den »Producten der Kunst«, ist (Kunst hier als Technik verstanden). Deshalb würden solche Objekte »zweckmäßig oder Zwecke heißen«, und die Vernunft könnte »technisch« genannt werden. Dies sei »der Erfahrung von der Caussalität unseres eigenen Vermögens angemessen.« Hier ist die planende Vernunft angesprochen, die Zwecke aus sich heraus setzt, absichtlich handelt und ihre Absichten in Objekten verwirklicht. Von den Dingen selbst als Naturzwecken kann dies nicht behauptet werden, da diese nicht unseren Absichten unterliegen und weil keine intellektuelle Urheberschaft in der Natur erfahrbar ist. Die »Kunst« bezeichnet nicht nur die schöne, frei schaffende Kunst, sondern jeden anderen schaffenden Vorgang, wie z. B. den Bau eines Hauses, der mit einer bestimmten Absicht verbunden ist. In § 43 der KU (»Von der Kunst überhaupt«, 2. Abs.) (5:303.11–13) empfiehlt Kant: »Von Rechts wegen sollte man nur die Hervorbringung durch Freiheit, d. i. durch eine Willkür, die ihren Handlungen Vernunft zum Grunde legt, Kunst nennen.« Ein Kunstwerk ist deswegen zuerst dadurch ausgezeichnet, dass es »ein Werk des Menschen« ist (KU, § 43, 3. Abs.) (5:303.26–28). Kunst ist aber für Kant jederzeit mit dem Moment der Freiheit verbunden. Darin ist sie vom Handwerk (im engeren Sinne – d. h. auf unser Beispiel bezogen: die Handgriffe eines Maurers beim Hausbau) – unterschieden, das nur unter dem Druck einer gewerblichen, lohnabhängigen Beschäftigung Produkte erzeugt (»Lohnkunst«), während die »freie« Kunst – »als ob sie nur als Spiel, d. i. Beschäftigung, die für sich selbst angenehm ist«, Werke hervorbringt (ebd., 5. Abs.) (5:304.4–7). Dennoch scheint der Kunstbegriff, der in dem betrachteten siebten Absatz (EE IX) der Kausalität an Kunstprodukten zugrunde liegt, auf die »mechanische Kunst« beschränkt zu sein und damit die »ästhetische«, insbesondere die »schöne Kunst« auszuschließen, weil sie nicht in der »bloßen Beurteilung« gefällt und vom Gefühl der Lust begleitet wird, sondern weil das mit Absicht hervorgebrachte Objekt durch Begriffe gefallen soll.492 492
Vgl. KU, §§ 44–45, spez. § 45, 2. Abs. (5:306.24–34).
IX. Abschnitt: Teleologische Beurteilung
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Von dem kausalen Zusammenhang zwischen der Vernunft (als Ursache) und dem hervorgebrachten Objekt erfahren wir, indem wir uns an den Herstellungsvorgang erinnern und uns damit den Kausalzusammenhang zu Bewußtsein bringen. Was für die Kunst und die Vernunft gelten kann, gilt aber nun nicht entsprechend auch für die Natur: Sie kann nicht wie die Vernunft (»Allein die Natur, gleich einer Vernunft ….«) (EE IX, 7. Abs.) (20:234.34–235.6) in der Weise technisch vorgestellt werden, dass sich in ihren Produkten die Kausalität der Vernunft niederschlägt. Denn die Natur technisch vorzustellen, bedeutet, ihr Zwecke und Zweckmäßigkeit beizulegen. Dieser besondere Begriff (die Natur technisch vorzustellen) sei in der Erfahrung nicht anzutreffen. Nur die Urteilskraft lege ihn in ihre Reflexion über Gegenstände hinein. Sie benötige nämlich den Begriff der Zweckmäßigkeit (oder Technik) der Natur, weil sie dessen »Anweisung« brauche, um ihren Zweck zu erfüllen. Der Zweck besteht aber darin, »Erfahrung nach besonderen Gesetzen […] anzustellen.« Diese Erfahrung – weil sie nicht mit der Erfahrung nach allgemeinen Naturgesetzen, die mit Hilfe des Verstandes und der sinnlichen Anschauung objektiv wirklich ist, identisch ist – benötigt eben besondere Einsichten subjektiver Vermögen, so dass auch sie zur systematischen Einheit eines Ganzen gebracht werden kann. Diese letzten Gedanken enthalten gegenüber den bisherigen Kommentarergebnissen eigentlich nichts Neues. Sie heben noch einmal die exquisite Funktion der reflektierenden Urteilskraft für die Bildung eines Systems der Erfahrung der besonderen Natur hervor. Die »Anweisung«, die die Urteilskraft dabei gibt, lässt sich so interpretieren, dass damit der in Abs. 6 (EE IX) (20:234.23) angesprochene Grundsatz gemeint ist, durch den sich die Urteilskraft selbst eine Regel oder ein Gesetz vorschreibt. Somit gehört das Ergebnis dieses siebten Absatzes in den Kontext der Aufgabenstellung des sechsten Absatzes, d. h. noch zu dem dort angekündigten »Beweis«. Er verdeutlicht umso mehr, dass die Zweckmäßigkeit der Natur ein Prinzip der Urteilskraft sein muss und nicht ein solches der Vernunft sein kann, weil eine Urheberschaft der Vernunft in Bezug auf Dinge als Naturzwecke in der Erfahrung selbst nicht nachzuweisen ist. Der erste Satz des achten Absatzes weist durch die Formulierung (»nämlich«) auf einen direkten Zusammenhang mit dem vorherigen Absatz hin. Es wird darin dasjenige analytisch getrennt, was die Grundlage des Argumentationsganges im siebten Absatz war: »Man kann nämlich alle Zweckmäßigkeit der Natur entweder als natürlich (Forma finalis naturae spontanea), oder als absichtlich (intentionalis) betrachten.« (20:235.7–9). Was hier als natürliche Zweckmäßigkeit der Natur bezeichnet wird, kann, bezogen auf die vorhergehenden Erklärungen, nur der ›besondere‹ Begriff der Urteilskraft von einer technischen Natur sein (vgl. Abs. 7). Diese Zweckmäßigkeit der Natur übersetzt Kant in den lateinischen Ausdruck einer »Forma finalis naturae spontanea«. Dieser Begriff ist konkreter als das deutsche bloße Attribut eines ›Natür-
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
lichen‹. Zum einen besagt er, dass Naturzwecke (bzw. Naturzweckmäßigkeit) nur eine Form betreffen, und zwar – so ist nach den bisherigen Ergebnissen zu schließen – die Naturzwecke als Formen der Natur, die nichts anderes sind als die Form der Beziehung von Gegenständen der Natur zur Urteilskraft. Zum anderen teilt der lateinische Ausdruck mit, dass diese Form der Natur, die zweckmäßig ist, zugleich »spontanea« sei. Und das bedeutet – nach allem, was wir bisher wissen –, dass die Form der Natur durch einen ursprünglichen spontanen Akt der reflektierenden Urteilskraft, nämlich den der Selbstgesetzgebung (vgl. EE IX, Abs. 6) (20:234.23 f.) hervorgebracht wird. Die zweite Seite in der Differenz der Zweckmäßigkeit der Natur ist die der Absichtlichkeit, die (bestimmend) in sie hineingelegt wird – in Erweiterung des lateinischen Zusatzes von Kant: Forma finalis naturae »intentionalis« (und nicht etwa: Forma »intentionalis« spontanea). Entsprechend verschieden fällt das Verhältnis beider »Vorstellungsarten« (der Zweckmäßigkeit der Natur) zur Erfahrung aus. Die »bloße Erfahrung« berechtige nur zur Forma finalis naturae spontanea (20:235.9 f.). Die Berechtigung zu dieser »Vorstellungsart« durch die Erfahrung ist aus dem früheren Gedanken heraus einsichtig, dass die »Zweckmäßigkeit der Naturformen« in der Erfahrung vorgefunden werde (EE VI, 4. Abs.).493 Der Begriff von Dingen als Naturzwecken gehöre ursprünglich der logisch reflektierenden – und nicht der ästhetisch reflektierenden Urteilskraft an. Als logisch reflektierend war die Urteilskraft weiter oben bezeichnet worden, insofern sie nach dem Prinzip der Zweckmäßigkeit eine Naturordnung als logische Beziehung von Klassen (Gattungen und Arten) anstrebt.494 Indem nun gesagt wird, es seien die Dinge als Naturzwecke, die einer solchen Logik unterzogen werden sollen, wird erneut gezeigt, dass »logisch« und »teleologisch« zumindest in dieser Hinsicht bedeutungsgleich sind. Das Verhältnis der zweiten Vorstellungsart, die einer Intention unterliegt, zur Erfahrung ist so aufzufassen, dass diese ihr keine Berechtigung erteilt. Deshalb ist die Zweckmäßigkeit der Natur als intentionale Form nur »eine hypothetische Erklärungsart, die über jenen Begrif der Dinge als Naturzwecke hinzukömmt.« (EE IX, 8. Abs.) (20:235.10 f.) Das Gegenstück zur hypothetischen Erklärungsart wäre die logisch (bzw. teleologisch) reflektierende Beurteilung. Diese letztere hält sich in den Grenzen der Kritik der teleologischen Urteilskraft. Die zweite Erklärungsart aber ist deshalb nur »hypothetisch« – und das heißt ungewiß, zufällig und untauglich für die Etablierung eines Systemganzen der besonderen Erfahrung –, weil sie den Begriff von Dingen als Naturzwecken dadurch zu erweitern sucht, dass sie seine Realisierung jenseits der Erfahrung anstrebt. Während der erste Begriff von Dingen als Naturzwecken der reflektierenden Urteilskraft zugewiesen worden ist, soll der zweite der »bestimmenden« zugeordnet werden (20:235.11–14). 493 494
Vgl. Kommentar zu EE VI, S. 159. Vgl. Kommentar zu E V, S. 132.
IX. Abschnitt: Teleologische Beurteilung
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Das verwundert zunächst; denn bisher war die bestimmende Urteilskraft im Zusammenhang mit Überlegungen zur Zweckmäßigkeit der Natur stets verneint und allein dem Erfahrungsbegriff nach Begriffen a priori des reinen Verstandes in der KrV zugewiesen worden. Man mag sich aber auch daran erinnern, dass im sechsten Absatz von der »Naturabsicht« in »objectiver Bedeutung« des Gebrauchs des Begriffs der Naturzwecke die Rede war. Und das ist auch der Kontext, in dem sich die Verwirrung auflöst. Im letzten Satz des achten Absatzes schließt sich nämlich der argumentative Zirkel zur Lösung des Ausgangsproblems: der Frage, ob und inwieweit die Vernunft dazu berechtigt sei, Naturzwecke als Absichten zu gebrauchen. Es wird in diesem letzten Satz (20:235.14–18) zunächst gesagt, dass zum ersten Begriff der Dinge als Naturzwecke »zwar auch Vernunft« erforderlich sei, aber mit der Einschränkung, dass diese an den Zweck gebunden sei, Erfahrung »nach Principien« (nämlich solchen der reflektierenden Urteilskraft) zu versuchen (»anzustellen«). Sie bleibe daher in ihrem Gebrauch der Erfahrung immanent, »(also in ihrem [= Erfahrung] immanenten Gebrauche).« Mit dieser Erklärung wird im Grunde die Stellung der Vernunft im Verhältnis zu Dingen als Naturzwecken aus dem siebten Absatz (EE IX) wieder aufgenommen, von welchem Verhältnis dort gesagt worden war, in den Dingen sei die Vernunft »durch keine Erfahrung als Grund« ihrer Möglichkeit zu erkennen (20:234.28–30). Darin liegt übrigens kein Widerspruch zu der am Ende des achten Absatzes behaupteten Erfahrungsimmanenz. Denn es ist ein Unterschied, ob behauptet wird, die Vernunft werde zu einer empirischen Erfahrung gebraucht, oder ob behauptet wird, ihr Gebrauch selbst sei Gegenstand von Erfahrung. Dass der zweite Begriff von Dingen als Naturzwecken (in intentionaler Bedeutung) eine Vernunft erfordert, die – wie es am Ende des achten Absatzes heißt – »sich ins Überschwengliche« versteigt (20:235.17–18) und damit transzendent wird, führt hier die »bestimmende Urtheilskraft« ad absurdum. Denn die Urteilskraft kann nichts mit Sicherheit bestimmen, wenn der Begriff, der ihr angehört nur eine »hypothetische Erklärungsart« beinhaltet, und wenn die zu diesem Begriff notwendige Vernunft in ihrem Gebrauch über alle Erfahrung hinausgeht. In den kommentierten Absätzen 6–8 wurde im Grunde nur gezeigt, dass der Gebrauch des Begriffs der Dinge als Naturzwecke durch die Vernunft, insofern sie als »Grund der Möglichkeit eines Objects« verstanden wird, problematisch ist, indem zugleich der Begriff des Naturzwecks eine objektive (konstitutive) Bedeutung erhält und in den Begriff der Naturabsicht verwandelt wird. Damit wird die Vernunft aber zugleich transzendent. Daraus kann gefolgert werden, dass jener Begriff der Vernunft in Hinsicht auf die Zweckmäßigkeit der Natur nicht zugewiesen werden kann. Abgesehen davon, dass für diesen Nachweis der Ausdruck »Beweis« zu stark wäre, ist damit noch nicht bewiesen, dass der Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur ausschließlich und notwendig der Urteilskraft angehört. Der Verstand nämlich wurde in der gesamten Argumentation des Textabschnittes nicht berücksichtigt, obwohl die Vernunft im teleologischen Urteil gerade zu ihm ins Verhältnis tritt.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Dass – wie gezeigt – die Vernunft, indem sie der bestimmenden Urteilskraft angehören soll und vom Begriff des Naturzwecks als Naturabsicht Gebrauch macht, transzendent wird, bedeutet wiederum nicht, dass der Begriff einer Absicht der Natur in Kants Teleologie schlechthin sinnlos würde. Ich möchte abschließend noch auf die Funktionen hinweisen, die Kant der Naturabsicht im Haupttext der KU in einem positiven Sinne zuweist. An erster Stelle sei auf den 11. Abs. (EE IX) (20:236.30–237.6) kurz vorausgeblickt, zu dem der Kommentar in Kürze fortschreiten wird. Dort macht Kant unmissverständlich klar, dass durch die teleologische Erklärung der inneren Möglichkeit zweckmäßiger Naturformen »unbestimmt gelassen« werde, ob die Zweckmäßigkeit »absichtlich oder unabsichtlich sei«. Und ein jedes Urteil, das das eine oder andere behaupte, wäre bestimmend und machte die Vernunft transzendent. Diese Äußerung macht die aus der Analyse der Absätze 6 bis 9 desselben Abschnittes gewonnenen Erkenntnisse sehr problematisch, und es gilt, dieses Problem nicht aus den Augen zu verlieren.
Neunter bis elfter Absatz: Mechanismus und Zweckmäßigkeit als Leitideen der Naturforschung Die letzten drei Absätze des neunten Abschnittes behandeln ein Hauptthema der Kritik der teleologischen Urteilskraft, nämlich das Verhältnis von Mechanismus und Zweckmäßigkeit als zwei Weisen der Naturerfahrung.495 Mechanismus ist dabei die Bezeichnung dafür, dass die sog. Wirkkausalität das alleinige und notwendige Prinzip von Naturgesetzmäßigkeit ist. Zweckmäßigkeit dagegen bezeichnet ein Prinzip, das unter der Voraussetzung der Gültigkeit des mechanischen Prinzips in Kraft tritt, sofern die Wirkkausalität zur Erklärung natürlicher Vorgänge nicht hinreicht und nach einem Erklärungsgrund verlangt, der an einen Zweck gebunden ist. Die Vereinbarkeit beider Erklärungsweisen hängt ab von der Auflösung der Antinomie der teleologischen Urteilskraft, der zufolge es möglich ist, zwischen Mechanismus und Zweckmäßigkeit als Leitlinien der Naturforschung wahlweise zu entscheiden (s. KU, § 70, § 78). Allerdings hat die Erklärung nach mechanischen Gesetzen von vornherein Vorrang vor der Zweckmäßigkeit. So heißt es auch am Anfang des neunten Absatzes (EE IX), dass wir – soweit es unser Erkenntnisvermögen erlaubt – die Natur »in ihrer Caussalverbindung nach blos mechanischen Gesetzen derselben in der Erfahrung zu erforschen bemühet seyn« können und sollen (20:235.19–21). Dass wir die Natur »nach blos mechanischen Gesetzen« erforschen können, setzt voraus, dass in der Natur Dinge vorfindbar sind, zu deren Erklärung kein Zweckprinzip benötigt wird. Der Pluralgebrauch der mechanischen Gesetze deutet darauf hin, dass hier nicht das allgemeine Kausalgesetz der Natur (gemäß des Grundsatzes der Kausalität) gemeint ist, sondern alle Gesetze, die empirische Spezifizierungen 495
Vgl. dazu Euler, W. (1995), Zur Problematik des Verhältnisses.
IX. Abschnitt: Teleologische Beurteilung
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(spezielle Ausformungen) jenes Prinzips sind. Und diese empirischen Gesetze sind nicht schon als Resultate gegeben, sondern sie sind Gegenstand der naturwissenschaftlichen Forschung. Das »Sollen« ist eine Vorschrift, die der ersten der beiden »Maximen« der reflektierenden Urteilskraft in der Antinomie der teleologischen Urteilskraft entspricht und die dort lautet: »Alle Erzeugung materieller Dinge und ihrer Formen muß als nach bloß mechanischen Gesetzen möglich beurteilt werden.« (KU, § 70, 2. Abs.; 5:387.3–5) Diese Maxime verlangt, dass ich »jederzeit« über Formen oder Produkte der Natur nach dem bloß mechanischen Prinzip reflektieren und dem Mechanismus, »soweit ich kann, nachforschen« solle (KU, § 70, 8. Abs.; 5:387.31–33). Der Grund für dieses Gebot besteht darin, dass der Mechanismus die allgemeine Grundlage und Voraussetzung von Naturerkenntnis überhaupt ist (ebd., 8. Abs.; 5:387.33–35) bzw. darin, dass in den mechanischen Gesetzen »die wahren physischen Erklärungsgründe« liegen (EE IX, 9. Abs.; 20:235.21–22). Die Forderung, die Reflexion nach der ersten Maxime »so weit man kann, zu verfolgen« (KU, § 70, 8. Abs.; 5:387.31–35), wird durch die zweite Maxime nicht außer Kraft gesetzt. M.a.W., beide Sätze stehen in einem Oppositionsverhältnis gegeneinander, das keinen Widerspruch enthält. Die zweite Maxime (der »Gegensatz«) lautet: »Einige Produkte der materiellen Natur können nicht als nach bloß mechanischen Gesetzen möglich beurteilt werden (ihre Beurteilung erfordert ein ganz anderes Gesetz der Kausalität, nämlich das der Endursachen).« (KU, § 70, 3. Abs.; 5:387.6–9) Von jenen mechanischen (physischen) Erklärungsgründen heißt es dann, dass ihr Zusammenhang »die wissenschaftliche Naturkenntniß durch die Vernunft ausmacht.« (EE IX, 9. Abs.; 20:235.21–23). Zunächst ist zu fragen: Was sind denn überhaupt jene »wahren physischen« Erklärungsgründe, die »in« den mechanischen Gesetzen »liegen«? Es ist zu vermuten, dass andere Gesetzesarten, und zwar eben solche, die nicht nach dem Prinzip der mechanischen Kausalität, sondern nach dem der Endursachen gefordert werden, nicht zu den »wahren« Erklärungsgründen gehören, sondern eher Einschränkungen der Regel (Ausnahmen) darstellen. Implizit steckt dahinter eine Kritik an der Naturauffassung Christian Wolffs, für den die Teleologie einen Teil der Physik ausmachte.496
Vgl. dazu Euler, W. (2008), Die Teleologie als Probierstein der Wahrheit im Verhältnis zur Metaphysik und Physik Christian Wolffs. In: Wolffiana II.4, S. 83–100. Doch auch Kant ist in seinen Erklärungen hinsichtlich des Verhältnisses von Teleologie und Physik keineswegs immer eindeutig (vgl. z. B. I. Kant, Über den Gebrauch teleologischer Principien, (1788), 8:159–160; s. dazu auch Euler, W. (2012), Einheit der Abstammung oder Gattungseinteilung, 57–58. 496
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Wir können davon ausgehen, dass empirische mechanische Gesetze spezielle Bedingungen formulieren, unter denen bestimmte beobachtbare Naturereignisse eintreten, sofern dieses Eintreten nicht einmalig und damit zufällig ist. Die Bedingung als konkreter Kausalzusammenhang kann dann als Grund dafür angesehen werden, dass sich z. B. bestimmte Körper unter bestimmten Voraussetzungen in bestimmter Weise bewegen. Wenn das gelingt, dann ist der Grund zugleich ein Grund der Erklärung einer solchen konkreten Bewegungsart. Der »Zusammenhang« aller solcher Erklärungsgründe macht schließlich dasjenige aus, welches Kant »die wissenschaftliche Naturkenntnis durch die Vernunft« nennt. Was ist das für ein Begriff von Vernunft? Die Frage ist beantwortbar, wenn klar wird, welcher Zusammenhang sich aus allen verschiedenen Erklärungsgründen herstellt. Das kann nämlich nur die oft schon thematisierte systematische Einheit der besonderen Naturerfahrung sein, und diese wird – wie bereits dargelegt – durch die technische Natur geschaffen.497 Es gibt aber nun einen Befund der Nachforschung, der gegen die alleinige Gültigkeit des mechanischen Erklärungsprinzips spricht, nämlich die Feststellung, dass es unter den Naturerzeugnissen »besondere und sehr ausgebreitete Gattungen« gibt, die – wie alle natürlichen Wesen überhaupt – je für sich zwar einen wirkkausalen Zusammenhang bilden, der aber zudem einen Begriff vom Zweck zur notwendigen Grundlage hat. Ohne die Voraussetzung eines Zweckbegriffs wäre ein solcher mechanischer Zusammenhang also gar nicht möglich, und es wäre ebenso unmöglich, »Erfahrung« über solche Naturprodukte zu erzielen. Denn »Erfahrung« soll hier bedeuten: »Beobachtung« solcher Produkte »nach einem ihrer inneren Möglichkeit angemessenen Princip« (EE IX, 9. Abs.; 20:235.23–28). Wir haben weiter oben die »innere Möglichkeit« als die wechselseitige Kausalität zwischen den Teilen und dem ihnen übergeordneten Ganzen eines organischen Wesens, das ein Ding als Naturzweck ist und insofern durch das Prinzip der Zweckmäßigkeit gedacht wird, der Form nach bestimmt. Nun ist allerdings die Frage, ob der Gegenstandsbereich der Natur, der hier angesprochen ist – die »besondere und sehr ausgebreitete[n] Gattungen« – auf die organischen Wesen, d. i. auf die organische Natur, beschränkt ist oder ob er die anorganische Natur mit umfasst. Denn die Fußnote in EE V, die sich mit dem Linné’schen System beschäftigte, nahm die Mineralien zum Anlaß, ein nach dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit geordnetes Natursystem zu postulieren. Die Frage läuft im Grunde darauf hinaus, ob Kant die materiellen Körper als solche, insofern etwa ihre chemische Beschaffenheit betrachtet wird, für organisiert oder gar animiert hält oder nicht. Vorläufig kann die oben gestellte Frage so beantwortet werden, dass die angesprochenen Gattungen sich nur auf Organismen, d. h. Lebewesen erstrecken.498 Anorganische Naturdinge (wie Gesteine) können zwar auch einer logischen GatVgl. Kommentar zu EE VI, S. 155 f. Zum Problem der Gleichsetzung von »Organismus« und »Lebewesen« s. o., Kommentar zu EE V, S. 142. 497
498
IX. Abschnitt: Teleologische Beurteilung
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tungseinteilung unterliegen, insofern sie sich ihrer »inneren Beschaffenheit« nach unterscheiden lassen (wie in der Fußnote zu Linné)499 ; aber damit ist keine »innere Möglichkeit« oder »Anlage« gemeint in dem Sinne, dass ihnen Prozesse der Selbsterzeugung und Selbstorganisation als Befolgung eines Zweckprinzips anhafteten. Und schließlich wäre die einschränkende Redeweise von besonderen, sehr ausgebreiteten Gattungen nicht gerade sinnvoll gewählt, wenn sie alle Naturdinge überhaupt betreffen sollte. Die Notwendigkeit, mit der die Erfahrung bestimmter Gattungen von Naturprodukten einen Zweckbegriff voraussetzt, lässt sich indirekt – wie die Analyse des nachfolgenden Satzes in unserem Absatz ergeben wird – durch die Annahme des Gegenteils begründen: »Wollten wir ihre Form und die Möglichkeit derselben blos nach mechanischen Gesetzen, bey welchen die Idee der Wirkung nicht zum Grunde der Möglichkeit ihrer Ursache, sondern umgekehrt genommen werden muß, beurtheilen, so wäre es unmöglich, von der specifischen Form dieser Naturdinge auch nur einen Erfahrungsbegrif zu bekommen, der uns in den Stand setzte, aus der innern Anlage derselben als Ursache auf die Wirkung zu kommen, weil die Theile dieser Maschinen, nicht so fern ein jeder für sich einen abgesonderten, sondern nur alle zusammen einen gemeinschaftlichen Grund ihrer Möglichkeit haben, Ursache von der an ihnen sichtbaren Wirkung sind.« (EE IX, 9. Abs.; 20:235.29–236.1) Die gegenteilige Annahme, von der die Argumentation ausgeht, besagt also: Die »Form« (und damit auch die Ermöglichung der Form) soll nach mechanischen Gesetzen allein – d. h. in der Weise, dass die Ursache Grund der Möglichkeit der Wirkung ist (d. i. nach Art des allgemeinen Kausalprinzips) – beurteilt werden. Wenn dies nun so wäre, dann würde daraus notwendig folgen, dass die in der Natur anzutreffenden besonderen Gattungen von Naturdingen, die sich durch spezifische Formen ausweisen und zu ebensolcher Gattungszugehörigkeit qualifizieren, unerfahrbar wären. Es gelänge nämlich nicht, einen besonderen Erfahrungsbegriff von spezifischen Naturformen zu gewinnen, dessen Besonderheit eben genau darin bestünde, es zu ermöglichen, von einer Ursache, die als »innere Anlage« auszulegen ist, auf eine entsprechende Wirkung zu schließen.500 Aber weshalb wäre ein
EE V, 9. Abs. (20:215–216). Vgl. den Kommentar dazu, S. 149 ff. Den Begriff der Anlage benutzt Kant besonders in seinen anthropologisch-biologischen Betrachtungen zur Entstehung und Entwicklung des Menschen. In seiner ersten Rassenschrift von 1775, in welcher er, noch nicht von Blumenbachs Epigenesis-Theorie inspiriert (vgl. dazu KU, § 81), am leibnizianischen Evolutionsgedanken festhält, bezeichnet er die einem organischen Körper immanenten Gründe zur »Auswickelung« von Teilen, soweit sie deren Größenverhältnis betreffen, als »natürliche Anlagen« (2:434.5–9). In seinen späteren Beiträgen zur Anthropologie-Debatte um die Abstammung des Menschen bilden die Naturanlagen den biogenetischen Kern der menschlichen Zeugungs- und Vererbungslehre (vgl. Bestimmung des Begriffs einer Menschenrace, 8:98, 101, u. ö.) Sie bedeutet »Zweckmäßigkeit der Organisation« (8:102–105); er unterscheidet »erste« oder »ursprüngliche« Anlagen, die im Menschenstamm 499
500
240
Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Erfahrungsbegriff von spezifischen Naturformen unter rein mechanischer Gesetzmäßigkeit unmöglich? Von einem solchen Erfahrungsbegriff müsste konkret verlangt werden können, dass er die Organisation eines Gebildes, das Kant hier »Maschine« nennt, so erklärt, dass dessen Teile nur insofern als Ursachen »der an ihnen sichtbaren Wirkung« (z. B. dem Wachstum) zu betrachten sind, als sie alle zusammen genommen durch einen gemeinsamen Grund möglich sind. Nicht die vom Ganzen isoliert betrachteten Teile für sich, sondern das Ganze selbst erscheint hier als Ursache. Der »gemeinschaftliche Grund« ist nichts anderes als der Begriff eines Naturzwecks, und das Ganze heißt wohl – in Anbindung an einen tradierten, bis auf Descartes zurück zu verfolgenden Sprachgebrauch (u. a. bei Leibniz)501 – nur deshalb »Maschine«, weil die Organisation von lebendigen Naturprodukten in gewissem Sinne mit technischen Abläufen vergleichbar sind. Aber sie sind natürlich nicht mit ihnen identisch, denn die »Maschinen«, die hier gemeint sind, funktionieren eben gerade nicht primär und nicht ausschließlich nach mechanischen Prinzipien.502 Das, was von einem Erfahrungsbegriff bezüglich organisierter Wesen verlangt wird, ist insofern, wie es weiter im Text heißt, »ganz wider die Natur physisch-mechanischer Ursachen.« Denn solche Ursachen gehen umgekehrt von den Teilen aus, die vor dem Ganzen »gegeben« sein müssen, um dadurch die »Möglichkeit eines Ganzen« begreifen zu können. Das mechanische Ganze ist also ein aus Einzelteilen Zusammengesetztes, das Kant sonst auch ein Aggregat nennt, im Unterschied zu einem systematischen Ganzen, dem eine Vernunftidee als Organisationsprinzip vorausgeht und zugrunde liegt. Der Schlusssatz dieses neunten Absatzes (20:236.1–11), der sich auf zwei Prämissen stützt (»Da es nun …«; »da ferner …«), und der von weiteren Randbedingungen (in Form von ineinander geschachtelten »Wenn«-Nebensätzen) abhängt, ist wie folgt zu lesen: Es ist unmöglich, erstens der Beschaffenheit – und d. h. wohl: der inneren Möglichkeit – von Naturprodukten, und zweitens den Ursachen solcher Merkmale durch Erfahrung »nachzuforschen, (geschweige sie durch die Vernunft zu erklären)«. Die Begründung für diese Schlussfolgerung besteht aus einer Kette von konditionalen Nebensätzen und ist an erster Stelle in dem mit »Da« eingeleiteten Satz enthalten, der – verkürzt gesprochen – die Naturwidrigkeit »physisch-mechanischer Ursachen« feststellt, sofern das Ganze Ursache der Teile sein soll (20:236.1–4). Der zweite »da« – Nebensatz (die zweite Prämisse: »da ferner die besondere Vorstellung
verankert sind, von speziellen Anlagen (8:101) (vgl. Über den Gebrauch teleologischer Principien, 8:172, 173, 175, 176, 177, 179) sowie innere von äußeren (8:174). 501 Leibniz fasst Lebewesen als »Maschinen der Natur« auf; Natur und Gnade, § 3 (Philosophische Schriften I, 417), GP IV, 481 f. (Euler, W. (2001), Substanz, Organismus, Leben, 376); GP IV, S. 340–343. 502 Vgl. zu dieser Fragestellung Sutter, A. (1988), Göttliche Maschinen, spez. 98 ff. (Leibniz), 194 ff. (Kant).
IX. Abschnitt: Teleologische Beurteilung
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eines Ganzen …«) (20:236.4–7) besteht in der Behauptung, die Vorstellung dieses natürlichen Ganzen sei »eine bloße Idee«. M.a.W., die Vorstellung eines Ganzen ist – ganz im Sinne von Kants Systemidee – ein Begriff von Einheit aus der Vernunft, aus dem sich dann die Möglichkeiten von Teilen als Gliedern des Ganzen ergeben. Die erste Randbedingung betrifft dann die Art dieser notwendigen Vernunftidee, die nämlich keine beliebige sein kann, sondern eine solche ist, die etwas bewirken kann, und das kann nur eine Zweckidee sein. Die zweite Randbedingung (»so ist klar, daß wenn …«) (20:236.7–8) macht es zur Voraussetzung, dass es solche Naturprodukte tatsächlich auch gibt, von denen die in den beiden Prämissen ausgedrückten Bestimmungen gelten müssen, nämlich erstens: das Ganze ist Ursache der Möglichkeit der Teile; zweitens: die Vorstellung des Ganzen ist eine Vernunftidee, und zwar (gemäß der ersten Randbedingung) eine Zweckidee. Eine weitere, nun negativ ausgedrückte Bedingung für die angegebene, dann aber positiv zu formulierende Schlussfolgerung steht in dem nachgestellten (adverbialen) Nebensatz (»… ohne sie sich, ihre Form und Caussalität etc. …«) (20:236.10–11). Sie ist m. E. auf die Bestimmung zu beziehen, die ich die »zweite Randbedingung« genannt habe, und dann ergibt sich folgende Argumentation: Wenn es tatsächlich solche Naturprodukte gibt, von denen die angegebenen Bestimmungen gelten, dann müssen sie auch so vorgestellt werden, dass »ihre Form und Caussalität« nach einem Zweckprinzip bestimmt ist, und nur dann ist es möglich, solche Naturprodukte hinsichtlich ihrer »Beschaffenheit und deren Ursache« auf dem Erfahrungswege zu erforschen und vernünftig zu erklären. Wenngleich am Ende des neunten Absatzes der Begriff des Bestimmens hinsichtlich der Zweckform von Naturprodukten gefallen ist, so macht doch der folgende zehnte Absatz (20:236.10–29) unmissverständlich klar, dass dieses Bestimmen nur in einem eingeschränkten Sinne zu verstehen ist. Die gedachte Zweckmäßigkeit an der Form und Kausalität von Naturobjekten darf nicht als objektiv missverstanden werden. Sie ist objektiv vielmehr bloß in dem Sinne, dass sie dazu dient, über ein Naturobjekt zu reflektieren. Bestimmen würde strenggenommen bedeuten, dass ein durch sinnliche Anschauung wahrgenommenes Mannigfaltiges durch die bestimmende Urteilskraft unter einen reinen Verstandesbegriff subsumiert würde, so dass dem Gegenstand mit Notwendigkeit eine aus diesem Erkenntnisvorgang resultierende Bestimmung beigelegt wird. Das aber kann bei einem Zweckbegriff nicht der Fall sein, der eben deswegen auch nicht der »Bestimmung des Objects« dienen kann. Entsprechend gilt für das teleologische Urteil, das über die »innere Möglichkeit eines Naturprodukts« gefällt wird, dass es ein rein reflektierendes und kein bestimmendes Urteil sein kann. Kant illustriert die dargelegte Klarstellung anhand eines Beispiels aus der Optik und greift damit – ohne sich vielleicht darüber im klaren zu sein – ein naturwissenschaftliches Untersuchungsfeld auf, das u. a. Leibniz bevorzugt unter dem Gesichtspunkt der finalen Kausalität erörterte.503 Wenn man sagt, die Kristalllinse im Auge 503
Vgl. dazu Euler, W. (2004), Mechanismus und Teleologie bei Leibniz und Wolff, 55–57.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
habe einen bestimmten Zweck bei der Brechung und Bündelung von Lichtstrahlen (auf die sachlichen Details, die Kant wiedergibt, kommt es hierbei nicht an), dann sagt man im Grunde nur, dass die ursächliche Erzeugung eines Auges durch die Vorstellung eines Zwecks gedacht wird, damit die Zweckidee die Erforschung des Auges leitet und damit »Mittel« erfunden werden können, die die Leistung der Augenlinse unter Umständen verbessern (zu solchen »Mitteln« gehören vielleicht künstlich geschliffene Gläser, die zur Verbesserung des Sehvermögens vor die natürliche Augenlinse gesetzt werden können)504. Eine solche Auslegung der Naturzweckmäßigkeit trägt eben – wie am Anfang des zehnten Absatzes gesagt worden ist – nichts zur Bestimmung eines Objekts (im Beispiel: der Augenlinse) durch einen etwaigen Zweckbegriff bei, sondern ist eingeschränkt auf eine subjektiv relativierte Bedeutung. Hätte sie nämlich objektive Gültigkeit im Sinne des im sechsten Absatz (EE IX) bereits monierten objektiven Gebrauchs, dann müsste der Begriff des Naturzwecks die Bedeutung einer Absicht annehmen. Vor einem solchen Missverständnis möchte Kant offenbar im letzten Satz des zehnten Absatzes (20:236.25–29) noch einmal eindringlich warnen. Sonst würde er nicht abermals hervorheben, dass durch die Vorstellung eines Zwecks an einem Naturprodukt zur Anleitung der Naturforschung der Natur keine »absichtlich wirkende Ursache beygelegt« werde. Eine solche Kausalität läge nämlich »über die Naturgrenzen hinaus« und müsste in einem bestimmenden teleologischen Urteil ausgedrückt werden, welches, wie schon im sechsten und achten Absatz zu lesen war, ›überschwenglich‹ und transzendent wäre. Der elfte (letzte) Absatz dieses neunten Abschnittes zieht einen wichtigen Schluß aus der vorangegangenen Analyse. Er bringt aber auch ein Verständnisproblem zum Vorschein, das auf eine Überziehung des Schlusses hindeuten könnte. Der Schluß drückt sich im ersten Satz des Absatzes aus (20:236.30–32). Übereinstimmend mit den Absätzen 9–10 wird der »Begriff der Naturzwecke« nun so determiniert, dass er »also lediglich ein Begrif der reflectirenden Urtheilskraft« sei, die ihn zu ihrem Zweck der Erforschung der (spezifischen) Kausalität der Erfahrungsgegenstände gebrauche. Das ist an dieser späten Stelle der EE für uns sicher keine neue Feststellung mehr. Denn die ausgiebige Begründung dafür haben wir bereits im Kommentar analysiert.505 Sie beruht darauf, dass die gegenteilige Behauptung, Naturzwecke seien objektive kausale Bestimmungen an Gegenständen der Natur, eben diesem Begriff eine Naturabsicht unterstellt und ihn damit transzendent, d. h. erfahrungsuntauglich macht. Eben diese Begründung aber wird wieder in Frage gestellt dadurch, dass Kant in den abschließenden Erklärungen des neunten Abschnittes seine Schlussfolgerung, wie es scheinen mag, überzieht, indem er sagt: Sofern unter »jene Wirkung« nicht »die Nachforschung des Auges« zu verstehen ist, denn dann könnten die Mittel in allen möglichen zweckhaften Experimentierinstrumenten bestehen. 505 Vgl. Kommentar zu EE IX, S. 229. 504
IX. Abschnitt: Teleologische Beurteilung
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»Durch ein teleologisches Princip der Erklärung der innern Möglichkeit gewisser Naturformen wird unbestimmt gelassen, ob die Zweckmäßigkeit derselben absichtlich, oder unabsichtlich sey. Dasjenige Urtheil, welches eines von beyden behauptete, würde nicht mehr blos reflectirend, sondern bestimmend seyn, und der Begrif eines Naturzwecks würde auch nicht mehr ein bloßer Begrif der Urtheilskraft, zum immanenten (Erfahrungs-) Gebrauche, sondern mit einem Begriffe der Vernunft von einer über die Natur gesetzten absichtlich wirkenden Ursache, verbunden seyn, dessen Gebrauch transcendent ist, man mag in diesem Falle bejahend, oder auch verneinend urtheilen wollen.« (20:236.32–237.6) Dieses Zitat fordert vor dem Hintergrund der oben festgestellten eingeschränkten Bestimmung des Begriffs des Naturzwecks als eines bloß heuristischen Prinzips der Urteilskraft (vgl. EE IX, 10. Abs.) zu einer kritischen Kommentierung heraus. Denn bereits die einfache Aussage, die Zweckmäßigkeit eines Naturproduktes (bei der es sich um die innere Zweckmäßigkeit handelt) sei »unabsichtlich«, ist für Kant im Hinblick auf ein Urteil der reflektierenden Urteilskraft offenbar eine zu weit gehende Bestimmung. Denn es würde (wie Kant anscheinend meint) darauf hinauslaufen, ein objektives Erfahrungsurteil begründen zu wollen. Im Gegensatz zu dieser Erklärung, aber im Einklang mit Äußerungen Kants an anderen Stellen ist aber zu fragen: darf es denn sein, dass Naturprodukte, die die Form der Naturzweckmäßigkeit aufweisen (»gewisser Naturformen«) in der Hinsicht »unbestimmt gelassen« werden, ob sie »absichtlich oder unabsichtlich« zweckmäßig beurteilt werden?506 Muss nicht die Absichtlichkeit als Prädikat negiert werden, weil der Naturzweckbegriff selbst, in der kritischen Bedeutung Kants, dies von vornherein schon ausschließt? Denn die Deklaration des Begriffs der »Naturzwecke« zu einem Prinzip der reflektierenden und nicht der bestimmenden Urteilskraft beruhte doch gerade auf dem Argument, dass im Falle der Entscheidung zugunsten der bestimmenden Urteilskraft die Zweckkausalität intentional bestimmt, vernunftabhängig und damit auch von der Erfahrung abgelöst, d. h. transzendent würde (EE IX, 10. Abs., letzter Satz). Daraus folgt, dass Naturzwecke für die reflektierende Urteilskraft nicht in der Bestimmung von Absichten Gebrauch finden dürfen.507 Es scheint also, dass sie als unabsichtlich (und nicht als absichtlich) bestimmt sein müssen. Nunmehr aber soll durch dieses (im übrigen ja auch nicht vollkommen bestimmungslose, sondern in gewisser Hinsicht bestimmte) teleologische Urteil die Notwendigkeit einer Urteilsenthaltung hinsichtlich der Frage begründet werden, ob überhaupt zwischen einer absichtlichen und einer unabsichtlichen Zweckmäßigkeit der Natur entschieden werden könne. Denn bereits die Entscheidung dieser Frage würde nach Kants Ansicht die Urteilskraft vom erfahrungsimmanenten Gebrauch weg zu einem transzendenten Missbrauch des Naturzweckbegriffs durch die Vernunft verleiten. Wenn es nämlich offen und unbestimmt bleibt, ob Naturzwecke absichtlich oder unabsichtlich auszulegen sind, dann scheint auch die Grenzziehung zwischen bestimmender 506 507
Vgl. aber die ganz ähnliche Ausdrucksweise Kants in KU, § 68, 6. Abs. (5:382.35–383.1). Vgl. EE IX, 10. Abs.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
und reflektierender Urteilskraft selbst gegenstandslos, unwirksam zu sein, und das wiederum würde bedeuten, dass das gesamte Konzept einer Kritik, zumindest der teleologischen Urteilskraft, wenn nicht gar der KU insgesamt, ins Wanken geriete. Ich plädiere dennoch für eine andere Lesart. Es ist nicht zwingend, die Zweckmäßigkeit der Natur als unabsichtliche festzulegen, ohne dass dies in die befürchteten Konsequenzen führen müßte. Das teleologische Urteil muss sogar als gleichgültig gegenüber der Entscheidung betrachtet werden, ob zweckmäßig = absichtlich, oder zweckmäßig = nicht-absichtlich bedeutet; denn in beiden Fällen liegt nach Kant eine Beziehung auf eine Absicht zugrunde, und zwar im einen Fall eine bejahende (positive), im anderen eine verneinende (negative). Andererseits ist das teleologische Urteil als solches (seiner Natur oder Qualität nach) bereits absichtslos, insofern der Begriff des Naturzwecks, der ihm (als Subjekt) zugrunde liegt, nicht (bzw. nur der Analogie nach) intentional bestimmt ist. Es bezieht sich nur auf Gegenstände der Natur, insofern sie keiner Absicht unterliegen. Dass ein Ding der Natur (seiner »inneren Möglichkeit« nach) als Naturzweck auszulegen ist, bedeutet ja eine terminologische Festlegung im Sinne von »unabsichtlich« vor einer Urteilsbildung. Das Prädikat der Absichtlichkeit kann an ihm daher weder verneint noch bejaht werden (»man mag in diesem Falle bejahend, oder auch verneinend urtheilen wollen«).508 Und das ist es, was Kant mit seinem Unbestimmtheitspostulat in Bezug auf das teleologische Erklärungsprinzip eigentlich sagen will.
Dass das teleologische Urteil weder absichtlich noch unabsichtlich auf ein Prädikat festgelegt ist, resultiert daraus, dass andernfalls beide Prinzipien in einem kontradiktorischen Gegensatzverhältnis zueinander stünden und als objektive Prinzipien von dogmatischem Gebrauch wären (unabsichtlich würde dann heißen: mechanisch; absichtlich: objektiv zweckmäßig); Kant lässt aber nur ihre subjektive Bedeutung als Prinzipien zu (s. besonders KU, § 72, bes. Abs. 4) 508
X. Abschnitt: Prinzip der technischen Urteilskraft
EE X Zehnter Abschnitt: »Von der Nachsuchung eines Princips der technischen Urtheilskraft«
Gliederung: Erster und zweiter Absatz: Liefert die Psychologie wissenschaftliche Erklärungsgründe? Dritter bis fünfter Absatz: Das Problem der Begründung der Notwendigkeit des ästhetischen Reflexionsurteils Sechster bis achter Absatz: Das Problem der Begründung der Notwendigkeit des teleologischen Urteils – Sein und Sollen der Naturprodukte Neunter Absatz: Schlussfolgerung: Begründung aller Reflexionsurteile durch das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur
Der Überschrift zum zehnten Abschnitt ist die Aufgabenstellung zu entnehmen, nach einem gewissen Prinzip der Urteilskraft, soweit sie »technisch« genannt wird, zu suchen. Das Prinzip muss – wie sich bald herausstellen wird – ein Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft sein. Dass diese auch »technisch« heißt, erinnert uns an die Technik der Natur, die weiter oben einerseits als subjektiv-formales, andererseits als objektiv-reales Prinzip der Urteilskraft selbst zugeschrieben worden ist.509 Der Abschnitt lässt sich in vier Teile gliedern: Die ersten beiden Absätze bereiten die Begründung dafür vor, dass es notwendigerweise Prinzipien a priori der reflektierenden Urteilskraft gibt. Diese Notwendigkeit wird separat zuerst vom ästhetischen Reflexionsurteil (3. bis 5. Abs.) und anschließend vom teleologischen (6. bis 8. Abs.) nachgewiesen. Die beiden Untersuchungen sind durch das Absatzzeichen »***« auch formal voneinander abgehoben. Das Zeichen verstärkt hier die Absatzmarkierung, bedeutet also nicht, dass danach tatsächlich eine Art Anmerkung folge. Der neunte und letzte Absatz bildet das argumentative Ziel des gesamten Abschnittes. Er fasst die beiden getrennten Untersuchungsergebnisse verallgemeinernd zusammen.
509
Vgl. EE IX, 1. Abs. (20:232); vgl. auch EE XII, 3. Abs. (20:248.27–249.22).
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Erster und zweiter Absatz: Liefert die Psychologie wissenschaftliche Erklärungsgründe? Der erste Absatz geht der Frage nach, was es heißt, zu beliebigem Geschehen in der Natur einen »Erklärungsgrund« zu finden. Ist dieser ein »Princip«, so gibt es nach Kants Auffassung drei Möglichkeiten der Begründung: entweder durch ein empirisches Prinzip oder ein Prinzip a priori oder durch beide zusammengenommen. Dass die dritte Möglichkeit durchaus besteht, lässt sich nach Kant an den »physisch-mechanischen Erklärungen der Eräugnisse in der körperlichen Welt« ablesen, insofern deren Prinzipien einerseits allgemeine Naturgesetze, andererseits »empirische Bewegungsgesetze« sind. Dass diese beiden Typen von Gesetzesprinzipien zusammengenommen einen Erklärungsgrund abgeben, kann nicht bedeuten, dass die empirischen Gesetze aus den allgemeinen ableitbar wären. Denn es bleibt nach wie vor die Erklärung gültig, auf der Kant seit dem Erscheinen der KrV immer wieder insistierte: dass die allgemeinen Gesetze des Verstandes über die besonderen Formen und Gesetze der Natur nichts bestimmen. Also sind die empirischen Naturgesetze (die Bewegungsgesetze der Mechanik) solche, die mittels der Leitfunktion der Urteilskraft erst noch gesucht werden müssen. Analog zur »physisch-mechanischen« Erklärung in der Physik verläuft nach Kant das Vorgehen bei der Suche nach psychologischen Erklärungsgründen für die Vorgänge im Gemüt. Zwar ist zu konstatieren, dass im Unterschied zur Erklärung der Ereignisse in der Körperwelt alle psychologischen Prinzipien – bis auf eines – empirisch sind, weil nämlich nur auf dem Wege der Erfahrung des Bewußtseins Kenntnisse über seelische Vorgänge erworben werden können und der Erkenntnisanspruch der rationalen Psychologie von Kant in der KrV verworfen wurde; aber es gibt ein einziges, das nicht empirisch ist und mit den empirischen Prinzipien »zusammengesetzt« werden kann. Dieses Prinzip nennt Kant »das der Stetigkeit aller Veränderungen«. (EE X, 1. Abs.) (20:237.20) Es muss deshalb notwendig a priori allen (inneren) Wahrnehmungen zugrunde liegen, weil die psychischen Vorgänge, die Gegenstand einer psychologischen Erklärung sind, ohne »innere Anschauung« nicht stattfinden, und weil die Zeit »formale Bedingung« derselben ist (ebd.). Als eine solche Bedingung ist die Zeit zufolge der KrV aber auch Bedingung des in der inneren Anschauung gegebenen Mannigfaltigen und dessen sukzessiver Verknüpfung (vgl. KrV, B 175 / A 139). Diese Funktion wiederum kann sie nur erfüllen, wenn sie selbst in sich ein kontinuierlich in einer Zeitreihe verbundenes Mannigfaltiges enthält. Als Größe betrachtet sind Raum und Zeit stetig, nämlich »quanta continua« (vgl. KrV, B 211 / A 169). Dass Kant der empirischen Psychologie und ihrem wissenschaftlichen Erklärungswert wenig Bedeutung beimißt, belegt auch eine ähnliche Textstelle in den MAN (4:471.11 ff.). Sie wird dort so eingeschätzt, dass sie »noch weiter« als die Chemie vom Rang einer Naturwissenschaft entfernt sei. Sie ist, laut Kant, keine »Seelenwissenschaft«, sondern eine »Naturbeschreibung« der Seele. Dies wird u. a.
X. Abschnitt: Prinzip der technischen Urteilskraft
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damit begründet, dass Mathematik auf die Erscheinungen des inneren Sinnes und deren Gesetze nicht anwendbar sei, mit Ausnahme des Gesetzes der Stetigkeit in der Abfolge der Veränderungen des inneren Sinnes. Aber selbst dann wäre der Erkenntnisgewinn bedeutend geringer als derjenige, den die Mathematik zur Erkenntnis der Körper beiträgt, denn die Zeit hat »nur eine Dimension« (4:471.21). Ganz im Sinne dieser Erklärung von 1786 schließt auch der erste Absatz des zehnten Abschnittes der EE mit der Feststellung der Geringfügigkeit des Erklärungswertes des Prinzips der Stetigkeit. Man könne aus ihm »so gut wie gar nichts zum Behuf der Erklärung machen […], weil allgemeine Zeitlehre, nicht so wie die reine Raumlehre (Geometrie) genugsamen Stof zu einer ganzen Wissenschaft hergiebt.« (20:237.20–26) Nachdem im ersten Absatz eine allgemeine Charakterisierung der psychologischen Erklärungsweise gegeben worden ist, werden im zweiten Absatz nun Beispiele von Aufgabenstellungen diskutiert, denen sich die (empirische) Psychologie anzunehmen hat. Sie brauchen hier in Einzelheiten nicht kommentiert zu werden. Der Aufwand dafür wäre auch unverhältnismäßig hoch. Weitaus wichtiger ist das allen diesen Beispielen zugrundeliegende Sachproblem und dessen Beurteilung. Das erste Beispiel betrifft die Frage nach der Herkunft und den empirischen Umständen der Entstehung des Geschmacks. Hier ist im Kontrast zu dem dann im dritten bis fünften Absatz erneut thematisierten ästhetischen Reflexionsurteil (»Geschmacksurteil«) der »Geschmack« gemeint, sofern er nicht auf einem bloß subjektiven Gefühl beruht, sondern darauf, dass »Gegenstände« ihn abwechselnd geprägt »und das Urtheil über Schönheit unter diesen oder jenen Umständen des Orts und der Gesellschaft in Gang gebracht haben […].« (EE X, 2. Abs.) (20:237.27–31).510 Ist also ein so verstandener »Geschmack« Gegenstand der Erklärung, so würden deren Prinzipien hauptsächlich in der (empirischen) Psychologie zu suchen sein (20:237.27–35). Die weiteren Beispiele betreffen die Interessen eines Personenkreises, den Kant »die Sittenlehrer« nennt (EE X, 2. Abs.) (20:237.35). »Sittenlehrer« sind nicht Lehrer von philosophischer Profession, die sich etwa mit einer Metaphysik der Sitten beschäftigen würden, denn sie erteilen Menschen »Vorschriften«, indem sie diese nach »psychologischen Erklärungen« (die überdies »sehr kümmerlich« seien) ausrichten. Dies geschieht »nicht der sittlichen Gesetze selbst, sondern der Wegräumung der Hindernisse [wegen], die sich dem Einflusse derselben entgegensetzen« (ebd.) (20:238.6–7).511 Solche Hindernisse sind Affekte und Leidenschaften. Sie sollen dadurch ausgeräumt werden, dass sie empirisch erforscht, die Resultate entsprechend in »Vorschriften« umgesetzt werden und bei Befolgung solcher Anweisungen verschwinden. Zwei von solchen sittenwidrigen Vgl. Burke, E. (1989), 76 f. (erster Teil, Art. 10), 193–198 (vierter Teil, Art. 20–22). Ohne die Einfügung eines »wegen« ist der Genitiv-Anschluß, der zudem kein Prädikat hat, unverständlich. Im Ms. gibt es dazu keine eigenhändige Korrektur Kants (vgl. N. Hinske u. a. (1965), Faksimile, S. 46). 510 511
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Gemütserscheinungen werden genannt, die die »Sittenlehrer« in gewisser Weise zu therapieren versuchen: der »Geitz« (dessen Erklärung ich an dieser Stelle außer Acht lasse)512 und »die Ehrbegierde«513: »So verlangen die Sittenlehrer von den Psychologen, ihnen das seltsame Phänomen des Geitzes, der im bloßen Besitze der Mittel zum Wohlleben (oder jeder andern Absicht) doch mit dem Vorsatze nie einen Gebrauch davon zu machen, einen absoluthen Werth setzt, oder die Ehrbegierde, die diese im bloßen Rufe, ohne weitere Absicht zu finden glaubt, zu erklären […]« (EE X, 2. Abs.) (20:237.35–238.5). Syntaktisch stellt der Relativsatz im Anschluß an »Ehrbegierde« (20:238.4–5) ein Problem dar. Das einzige grammatisch passende Bezugswort zu »diese« wäre die »Absicht«.514 Sachlich zutreffend scheint mir aber zu sein, dass der bloße Ruf als psychologische Erklärung gefunden wird, und dann ist das Demonstrativpronomen, das im Ms. eindeutig als »dieser« und nicht als »diese« zu buchstabieren ist,515 auf den Psychologen bezogen. Dann erklärt der Psychologe also die »Ehrbegierde« im Unterschied zum »Geitz« als absichtsloses Phänomen, d. h. als den (guten oder schlechten) Ruf, den ein Mensch durch sein bestimmtes Verhalten erworben hat. Abgesehen von den unzureichenden psychologischen Erklärungsversuchen in den angegebenen konkreten Fällen meint Kant aber generell, »daß es mit psychologischen Erklärungen, im Vergleichung mit den physischen, sehr kümmerlich bestellt sey.« (EE X, 2. Abs.) (20:238.8 f.) Sie sind für Kant von einer gewissen Beliebigkeit (Zufälligkeit), weil die Erklärungsgründe beliebig vermehrt werden können, indem sie nämlich »ohne Ende hypothetisch sind« (ebd.) (20:238.9 f.). Von dieser Art von ›vorgeblichen‹ Psychologen gibt es nach Kants Einschätzung nun »eine Menge«. Sie wüssten »von jeder Gemütsaffection oder Bewegung« (d. i. einer Gemütsbewegung, die auf Affektion beruht) die Ursachen anzugeben – sei der Affekt nun von künstlerischen Darbietungen (wie »Schauspielen«) oder von »Gegenständen der Natur« ausgelöst. Kant nennt diese Fertigkeit der Psychologen, die sie selbst als Philosophie ausgeben, »diesen ihren Witz« (ebd.) (20:238.12–16). Trotz dieser zweifelhaften Fertigkeit seien sie unfähig auch nur »die gewöhnlichste Naturbegebenheit in der körperlichen Welt wissenschaftlich zu erklären.« (ebd.) (20:238.16–17)
Vgl. u. a. MS, § 10, Vom Geize (6:432–434); 6:404; Anthropologie (7:268.5). Zum Begriff der »Ehrbegierde« vgl. u. a. MS (6:420.28–29); Anthropologie (7:266). 514 Das Demonstrativpronomen auf die »Ehrbegierde« zu beziehen, ergibt keinen Sinn (vgl. die alternativen Lesarten in: Hinske, N. u. a. (1965), 46, Fn. 1). 515 Vgl. die Varianten in Hinske, N. u. a. (1965), 46. Hinske u. a. schlagen vor, »diesen« (d. i. den »absoluten Werth«) zu lesen. Vom Sinnzusammenhang her ist das auszuschließen. Nicht die »Ehrbegierde« kann Subjekt des Nebensatzes sein und etwas »zu finden« glauben. Es geht vielmehr um das Zusammenspiel des (oder der) Psychologen, die etwas herausfinden, um es den Sittenlehrern (»damit sie ihre Vorschrift darnach richten können«) zur Abfassung ihrer Vorschrift zu überlassen. 512 513
X. Abschnitt: Prinzip der technischen Urteilskraft
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Dieser Begriff des Witzes ist geringer einzuschätzen als der Witz in der allgemeinen und positiven Bedeutung, die Kant ihm als einem produktiven Vermögen verleiht, heterogene Vorstellungen bzw. Gegenstände vergleichend unter Gattungen zu bringen. Dessen Funktion ist es, mehr spielerisch – als Gegenstück zur Einsicht schaffenden Urteilskraft – Ähnlichkeit in ungleichartigen Dingen zu entdecken.516 Für die allgemeine Kritik an der psychologischen Erklärungsweise, die sich darauf beschränkt, empirische Beobachtungen über den Gemütszustand anzustellen und so keine Notwendigkeit in sie hineinbringen kann, verweist Kant auf Burke als Repräsentanten: »Psychologisch beobachten (wie Burke in seiner Schrift vom Schönen und Erhabenen)517, mithin Stof zu künftigen systematisch zu verbindenden Erfahrungsregeln sammeln, ohne sie doch begreifen zu wollen, ist wohl die einzige wahre Obliegenheit der empirischen Psychologie, welche schwerlich jemals auf den Rang einer philosophischen Wissenschaft wird Anspruch machen können.« (ebd.) (20:238.18–23). Kant gibt eine allgemeine Charakteristik dessen, was psychologisches Beobachten in Burke’s ästhetischer Theorie genannt werden kann. Obwohl diese nicht unmittelbar durch eine methodische Erklärung Burkes zu verifizieren ist, ist sie sachlich doch zutreffend. Denn an einigen Stellen seiner Schrift lässt sich zeigen, dass ästhetische Grundkategorien, wie die des Geschmacks, der Schönheit, der Lust usw. auf Gemütsaffekte zurückgeführt werden, also auf Erfahrung (Beobachtung) beruhen, insofern diese durch Körperreaktionen (physiologische Vorgänge wie Gefäßerweiterungen, Säftewallungen usw.) aufgrund der Affektion durch äußere Gegenstände, sichtbar werden. Das ist mit der Stoffsammlung gemeint, die in dem letzten KantZitat ausgesprochen wird, und aus dieser kann man wohl »Erfahrungsregeln« gewinnen, die hypothetische Erklärungen in der Art ermöglichen, wie sie bei Burke vorkommen; aber es lassen sich keine Begriffe daraus ableiten, die a priori gültig wären und Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit in Bezug auf ästhetische Urteile begründen könnten. Insofern Kant der empirischen Psychologie nun bescheinigt, dass solche Erfahrungen ihre »einzige wahre Obliegenheit« (d. h. ihre selbst gewählte, beschränkte Aufgabe) sei (20:238.21–22), so kann er auch ihren Anspruch, zu den philosophischen Wissenschaften zu gehören, mit Recht bestreiten.
Vgl. Kant, Anthropologie, §§ 54–55 (7:220–221); vgl. ebd., § 44 (7:201). Kant übernimmt damit Kernstücke einer Theorie des Witzes, wie sie von Burke unter Berufung auf Locke vertreten wurden (vgl. Burke, E. (1989), 49 f.; Locke, J. (1975), An essay concerning human understanding, pp 156 f. (Book II, Chapter 11, § 2 (The difference of Wit and Judgment). 517 Edmund Burke (1729–1797): A Philosophical Enquiry Into The Origin of our Ideas Of The Sublime And Beautiful. With an introductory Discourse concerning Taste, and several other Additions. 2. Aufl. 1759 (1. Aufl. 1757, anonym). Kant benutzte die erste deutsche Übersetzung von Garve: Philosophische Untersuchungen über den Ursprung unsrer Begriffe vom Erhabenen und Schönen. Nach der 5. englischen Ausgabe übersetzt von Christian Garve, Riga 1773. Vgl. I. Kant (2006), 449 f. (Sachanmerkung zu B 151,3). 516
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Dass es im Text sogar heißt, die empirische Psychologie sei des Begreifens nicht nur unfähig, sondern es sei sogar nicht einmal gewollt, d. h. beabsichtigt, lässt sich nur schwer nachvollziehen, denn die Aussage ist so bei Burke nicht eindeutig zu belegen. Sie kann allerdings aus dessen Erklärung zur Einhaltung der wissenschaftlichen Methode der Induktion und der Absicherung einer Theorie durch unzweifelhafte Tatsachen, die keinen Raum für Absichten lassen, geschlossen werden.518 Im Haupttext der KU519 äußert sich Kant ausführlicher und konkreter zu Burke’s Untersuchungen. Burke erscheint dort stellvertretend für »viele scharfsinnige Männer« als Repräsentant (als »der vornehmste Verfasser«) einer übrigens »physiologische[n]«520 und damit auch »empirische[n] Exposition« ästhetischer Urteile. Aus Burke’s Schrift zitierend, hebt Kant das Moment der physiologischen Bestimmung des Gefühls des Schönen und Erhabenen hervor.521 So wird etwa das Erhabenheitsgefühl auf den Selbsterhaltungstrieb und die Furcht zurückgeführt,522 die angenehme Empfindungen (»eine Art von wohlgefälligem Schauer«) hervorruft, indem sie eine Reinigung der Gefäße bewirkt usw.523 Ähnliches gilt für das Gefühl des Schönen. Diese »Erklärungsart« bestätige Burke durch Sinnesempfindungen, die in uns das Gefühl des Schönen und Erhabenen erregen könnten. Kant bewertet aber Burke’s Resultate nicht insgesamt bloß negativ. Die psychologischen und physiologischen Komponenten als solche seien durchaus verdienstvoll: »Als psychologische Bemerkungen sind diese Zergliederungen der Phänomene unseres Gemüts überaus schön und geben reichen Stoff zu den beliebtesten Nachforschungen der empirischen Anthropologie.«524 Und ebenso seien Vergnügen und Schmerz in Verbindung mit dem Körper wichtig für die Anregung des Lebensgefühls. Indem Burke aber das »Wohlgefallen am Gegenstande« ganz in Reiz und Rührung setze, finde im ästhetischen Urteil keine Beistimmung durch andere statt. Es ist hiermit nur ein Privaturteil: »Alsdann aber hört auch alle Zensur des Geschmacks gänzlich auf«.525
Vgl. Burke, E. (1989), Vorrede, 36–37. In der Allgemeinen Anmerkung zur Exposition der ästhetisch reflektierenden Urteilskraft (B 128–129) (5: 277). 520 Das Attribut »physiologische« ersetzt ab der 2. Aufl. der KU das »psychologische« der Erstauflage. 521 Die vollständige Wiedergabe der Zitate erfolgt in den Sachanmerkungen von P. Giordanetti in: Klemme, H. F. (Hg.) (2006), I. Kant. Kritik der Urteilskraft, 449–450. 522 Zum Begriff des Erhabenen in Kants KU und zum Bezug auf Burke s. u., Kommentar zu EE XII, S. 341–347. 523 KU, (B 128–129) (5:277); vgl. Burke, E. (1989), 176. 524 Kant, KU, Allgemeine Anmerkung zur Exposition der ästhetischen reflektierenden Urteile (B 129) (5:277.22–24. 525 Kant, ebd. (B 130) (5:278.11–12). 518
519
X. Abschnitt: Prinzip der technischen Urteilskraft
251
Dritter bis fünfter Absatz: Das Problem der Begründung der Notwendigkeit des ästhetischen Reflexionsurteils In den folgenden drei Absätzen bis zum Absatzzeichen »***« (20:238.24–239.26) skizziert Kant das notorisch schwierige Problem der Begründung der Notwendigkeit (der notwendigen Gültigkeit) des ästhetischen Reflexionsurteils. Dieses Problem kann in seiner Vielschichtigkeit in unserem Kommentar allerdings bei weitem nicht erschöpfend bearbeitet werden. Der dritte Absatz hat zunächst das Urteil im allgemeinen zum Gegenstand, und zwar insofern es »sich selbst für allgemeingültig ausgiebt« (20:238.24). Allgemeingültig kann ein Urteil sein, wenn es prinzipiell für jedes urteilende Subjekt gültig ist (subjektive Allgemeingültigkeit), oder wenn es für alle Gegenstände gilt, die unter einem Begriff, der die Subjektstelle des Urteils ausfüllt, enthalten sind (logische Form der Quantität des Urteils) (vgl. KU, § 8, 3. bis 4. Abs.) (5:214.30–215.13). »Sich selbst« gibt ein Urteil dann durch seine bloße Form als allgemeingültig aus. Insofern sich ein Urteil als allgemeingültig auszeichnet, beansprucht es zugleich Notwendigkeit für das, was es behauptet, d. h. für die Verknüpfung von Subjekt und Prädikat. Es gilt dann als allgemein in dem Sinne, dass es im Bereich der Subjekte bzw. der durch einen Begriff erfassten Objekte keine Ausnahme gibt. In dieser Hinsicht ist es dann auch streng notwendig. Die Notwendigkeit kann auf zweierlei Gründen beruhen: entweder »auf Begriffen vom Objecte a priori, oder auf subjectiven Bedingungen zu Begriffen, die a priori zum Grunde liegen« (EE X, 3. Abs.) (20:238.26–28). Im ersten Fall kann das Urteil ein Erkenntnisurteil oder auch ein logisches Urteil sein, im zweiten Fall ist es ein ästhetisches Reflexionsurteil. Der Anspruch eines Urteils auf Allgemeingültigkeit und der Versuch einer psychologischen Erklärung derselben schließen einander aus. Denn: Erstens ist es »ungereimt«, die Allgemeingültigkeit auf einen psychologischen Ursprung zurückführen zu wollen, weil durch empirisch-psychologische Kenntnisse ein Allgemeines nicht erklärt werden kann,526 so dass die mit einer solchen Erklärung verbundene »Absicht« unerreichbar wäre (ebd.) (20:238.28–30). Zweitens würde in dem Falle, dass die psychologische Erklärung gelänge, folgen, »daß das Urtheil auf Nothwendigkeit schlechterdings keinen Anspruch machen kann, eben darum, weil man ihm seinen empirischen Ursprung nachweisen kann.« (ebd.) (20:238.32–34) Denn ist der empirische Ursprung eines Urteils erst einmal nachgewiesen, kann es keine strenge Notwendigkeit mehr für sich in Anspruch nehmen. Der vierte Absatz offenbart unmissverständlich den Zweck der vorangegangenen Kritik an der psychologischen Erklärung der Notwendigkeit in allgemeingültigen Urteilen. Kant will nämlich auf die ästhetischen Reflexionsurteile zu sprechen kommen und hier insbesondere auf einen bestimmten Typus derselben, den
526
Vgl. den Kommentar zum ersten und zweiten Absatz dieses Abschnittes, S. 246–250.
252
Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
er »künftig unter dem Namen der Geschmacksurtheile« zu analysieren verspricht (20:238.35–36). Der Begriff des »Geschmacksurtheils« fällt an dieser Stelle innerhalb der EE zum ersten Mal. Wir werden im Kommentar zur Einleitung (VII, Abs. 4 und 5) noch auf einige Probleme und Hintergründe bezüglich der Bestimmung dieses Urteils und des Begriffs des »Geschmacks«, insbesondere im Zusammenhang mit dem Gefühl der Lust, eingehen.527 Jene Analyse kann hier ergänzend und vertiefend schon vorweggenommen werden. Die Geschmacksurteile klassifiziert Kant sogleich als diejenige »Art« von Urteilen, die von sich aus Anspruch auf Notwendigkeit erheben. Damit aber – und das ist der entscheidende Gesichtspunkt – solle nicht gesagt sein, »daß jedermann so urtheile« (20:239.1–2). Denn mit dieser Aussage würde das Urteil Gegenstand der Erklärung für die empirische Psychologie, die sich allein auf empirische Befunde stützt. Wenn also die Notwendigkeit des Geschmacksurteils nicht damit begründet werden kann, dass allgemein geurteilt wird, worin liegt dann die Begründung? Der Text teilt dazu mit, das Geschmacksurteil besage, »daß man so urtheilen solle« (20:239.4). Das bedeutet, dass dem Geschmacksurteil ein Prinzip a priori eigen ist. Es wird vorläufig nichts darüber gesagt, wie das Prinzip lautet. Das Sollen drückt also einen Imperativ aus oder etwas einem Imperativ Entsprechendes (wie ein Postulat). Weil es sich aber auf die schönen Formen der Natur bezieht, kann es sich doch wohl nicht um einen moralischen Imperativ handeln. Andererseits verweist es auf einen praktischen Zusammenhang. Wo sich ein Sollen ausdrückt, wird eine Handlungsfolge erwartet. Es liegt also ein Imperativ vor, der technisch-praktischer Natur ist, und das Prinzip muss entsprechend das einer Technik der Natur sein. Um zu zeigen, dass ein Prinzip a priori für die Begründung der Notwendigkeit des Geschmacksurteils angenommen werden muss, wird in der zweiten Hälfte des vierten Absatzes nachgewiesen, dass die Annahme des Gegenteils eine Ungereimtheit zur Konsequenz hat. Wenn also ein Geschmacksurteil Anspruch auf Notwendigkeit erhebt und zugleich unterstellt wird, dass es keine Beziehung auf ein Prinzip a priori enthalte, dann wäre die Behauptung unausweichlich, »es solle allgemein gelten; weil es wirklich, wie die Beobachtung beweiset, allgemein gilt« (20:239.8–9). Die Forderung nach Allgemeingültigkeit würde sich also auf das durch empirische Befunde abgesicherte Faktum der allgemeinen Geltung stützen. Die Konsequenz aus der unterstellten Behauptung, das Geschmacksurteil enthalte keine Beziehung auf ein Prinzip a priori, kann schließlich auch so ausgedrückt werden, »daß daraus, daß jedermann auf gewisse Weise urtheilt, folge, er solle auch so urtheilen, welches eine offenbare Ungereimtheit ist.« (20:239.10–11) Kant behauptet also, es sei »ungereimt« – d. h. in sich widersprüchlich –, das Sollensgebot hinsichtlich des ästhetischen Urteilens als Folge des faktischen Urteilens von jedermann zu betrachten. Die Ungereimtheit besteht darin, dass es keinen Sinn 527
Vgl. Kommentar zu E VII, S. 521–528.
X. Abschnitt: Prinzip der technischen Urteilskraft
253
macht, überhaupt noch von einem »Sollen« zu sprechen, wenn das, was gefordert wird, bereits als verwirklicht gilt. Das Sollen muss vielmehr dem Sein vorhergehen. Der Sache nach hat Kant das eben dargelegte Problem der Notwendigkeitsbegründung des ästhetischen Urteils im Vierten Moment des Geschmacksurteils im Haupttext der KU (§§ 18–22) entfaltet.528 Es soll daher ergänzend hier kurz skizziert werden, welche Bedingungen zur notwendigen Gültigkeit desselben, laut Kant, gehören. Das Vierte Moment des Geschmacksurteils betrifft die Modalität am Wohlgefallen.529 Daraus kann zunächst ergänzt werden, dass die in EE X, vierter Absatz, nicht näher spezifizierte Notwendigkeit erklärtermaßen »von besonderer Art« sei. Sie unterscheidet sich nämlich sowohl von der theoretischen und objektiven Notwendigkeit, d. i. der der Natur, die sich aus der Modalkategorie der Notwendigkeit ableitet, als auch von der praktischen Notwendigkeit, die aus dem moralischen Gesetz folgt (vgl. KU, § 18) (5:366–367). Die ästhetische Notwendigkeit, die vom Geschmacksurteil zu gelten hat, soll vielmehr »eine Notwendigkeit der Beistimmung aller zu einem Urteil« sein (ebd.) (5:237.8–9). Damit ist das Ansinnen (d. i. die Zumutbarkeit) der Beistimmung von jedermann, die auf einer allgemeinen Mitteilbarkeit des Gemütszustandes im freien Spiel zum Zweck einer Erkenntnis überhaupt beruht (vgl. KU, § 9, 3. bis 5. Abs.) (5:217.8–218.7), gemeint, d. i. die hinter dem eigenen Urteil über einen schönen Gegenstand stehende notwendige Erwartung, dass sich jedermann diesem Urteil anschließe. Der Wille, dass jedermann diese Erwartung erfüllen solle, ist also zugleich mit dem Urteil ausgesprochen. Das ist der Inhalt der Sollens-Vorschrift, die das ästhetische Urteil impliziert. Dass nun – wie Kant behauptet – das mit dem ästhetischen Urteil ausgesprochene Sollen bedingt sei, bedeutet, dass es einen Grund für die Erwartungshaltung zur Beistimmung aller gibt: »Man wirbt um jedes anderen Beistimmung, weil man dazu einen Grund hat, der allen gemein ist«. (KU, § 19) (5:237.22–30). Der hier angesprochene gemeinsame Grund der allgemeinen Beistimmung zu einem je eigenen (exemplarischen) Geschmacksurteil wird – im Unterschied zu § 9, wo er in der Fähigkeit zur Erkenntnis überhaupt besteht – »Gemeinsinn« genannt.530 Er ist als subjektives Prinzip, das durch ein gemeinschaftliches Gefühl und nicht durch bestimmte Begriffe bestimmt, was gefällt oder missfällt, die Bedin-
Obwohl die §§ 6 bis 9 der KU diese Problemstellung vorbereiten, kann doch nicht davon die Rede sein, »daß Kant, wo er im Vierten Moment von der Notwendigkeit des Geschmacksurteils spricht, in Wahrheit keine neue, sondern dieselbe Eigenschaft behandelt, die er in den §§ 6–9 behandelte.« (Kulenkampff, J. (21994), Kants Logik des ästhetischen Urteils, 106). Denn der nicht-normative, technische Charakter (das Sollen) des ästhetischen Reflexionsurteils, der Bedingung der Möglichkeit der allgemeinen Beistimmung und damit auch der Notwendigkeit eines empirischen Urteils ist, wird dort noch nicht ausführlich behandelt (bis auf § 7, 2. Abs.) (5:212.24–213.7). 529 Vgl. zu diesem Kapitel Rosales, J. R. de (2008), Relation des Schönen, 93–97. 530 S. dazu Felten, G. (2004), Die Funktion des sensus communis. 528
254
Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
gung für die Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit des Geschmacksurteils (KU, § 20) (5:237 f.). Der Gemeinsinn muß »mit Grund« angenommen werden, weil die »allgemeine Mitteilbarkeit« des Gefühls, das die Stimmung im Verhältnis von Einbildungskraft und Verstand bestimmt, dies verlangt (KU, § 21) (5:238.19–239.10). Eine solche Annahme eines Grundes als der notwendigen Bedingung der allgemeinen Mitteilbarkeit macht es zugleich entbehrlich, einen Grund in der psychologischen Beobachtung zu suchen (ebd.) (5:239.2–10). Durch dieses gemeinschaftliche Gefühl als Grund wird das bloß subjektive Prinzip des Geschmacksurteils als zugleich allgemein angenommen. Der Gemeinsinn kann sich aber auch nicht auf Erfahrung gründen, weil er selbst solchen Urteilen zugrunde liegt, die ein Sollen enthalten. Deswegen bezeichnet ihn Kant auch als »eine bloße idealische Norm«.531 »Idealisch« wird sie genannt, obwohl sie im zweiten Absatz des Paragraphen 22 als zwar unbestimmt, aber doch real ausgezeichnet wird, insofern sie »von uns wirklich vorausgesetzt« werde (5:239.34–35). Sie ist die Voraussetzung dafür, dass man das Urteil, sofern es mit der Norm »zusammenstimmte«, »für jedermann mit Recht zur Regel machen könnte« (KU, § 22, 1. Abs.) (5:239.26–29). Als allgemeine Regel aber wäre das Prinzip des Geschmacksurteils nicht mehr bloß subjektiv, sondern könnte »gleich einem objektiven allgemeine Beistimmung fordern«, »wenn man nur sicher wäre, darunter richtig subsumiert zu haben.«532 Subsumiert wird hier das je eigene, besondere Geschmacksurteil über ein und denselben einzelnen Gegenstand, der als schön empfunden wird, unter die Norm oder Regel des Geschmacksurteils.533 Für die Richtigkeit der Subsumtion scheint es keine Garantie geben zu können. Denn die allgemeine Regel ist nicht objektiv gesetzgebend, sondern beruht auf einem subjektiven Prinzip, das Allgemeinheit als Beistimmung von jedermann zu jedermanns besonderem Urteil bloß postuliert.534 Im fünften Absatz des zehnten Abschnittes der EE wird auf eine »Schwierigkeit« aufmerksam gemacht, die mit der Bestimmung des ästhetischen Reflexionsurteils verbunden ist. Wie wir später auch der Einleitung entnehmen und in unserem Kommentar darlegen werden,535 kann sich ein solches Urteil nicht auf Begriffe gründen. Ebensowenig kann es von einem bestimmten Prinzip »abgeleitet« werden. Es würde sonst kein ästhetisches, sondern ein logisches Urteil sein. D. h. es wird hier eine bloß subjektive Vorstellung von Zweckmäßigkeit verlangt bzw. eine Zweckmäßigkeit ohne einen Begriff von einem Zweck.
Vgl. KU, § 22, 1. Abs. (5:239.26); s. auch Mertens, H. (1975), Kommentar, 181. KU, § 22, 1. Abs. (5:239.29–33); vgl. KU, § 19. 533 Vgl. KU, § 8, letzter Abs.; anders Kulenkampff, J. (21994), Kants Logik des ästhetischen Urteils, 107 (1. Abs.). 534 Vgl. dazu Kulenkampff, J. (21994), Kants Logik des ästhetischen Urteils, 107. 535 Vgl. Kommentar zu E VII, S. 521 ff. 531
532
X. Abschnitt: Prinzip der technischen Urteilskraft
255
Die Begriffe, die Kant an dieser Stelle besonders vor Augen haben dürfte, sind nicht etwa die reinen Verstandesbegriffe, die ein Erkenntnisurteil konstituieren, sondern Zweckideen der Vernunft. Liegt dem Urteil über Gegenstände der Natur nämlich ein bestimmter Zweckbegriff zugrunde, dann handelt es sich um ein teleologisches Urteil, das Kant auch »logisch« nennt. Nun kann das ästhetische Reflexionsurteil andererseits auch nicht ganz auf ein Prinzip a priori verzichten. Denn ohne dieses könnte es keine Notwendigkeit beanspruchen. Irgendeine Art von »Beziehung« auf ein solches unbestimmtes Prinzip muss es also geben, wenn dieses dem ästhetischen Urteil zugrunde liegen können soll. Es ist dann Aufgabe der »Vernunftcritick« – d. h. in diesem Falle einer Kritik der Urteilskraft –, nach einem solchen Prinzip zu suchen und es dem ästhetischen Reflexionsurteil »subjectiv und a priori« zum Grunde zu legen, ohne dadurch einen bestimmten Begriff von einem Objekt der Natur zu kreieren. Ein Urteil aber von einem Prinzip a priori abzuleiten, würde bedeuten, bestimmte Zweckbegriffe auf Objekte der Natur in einem solchen Urteil zu beziehen. Dann wäre es jedoch kein ästhetisches Urteil mehr. Die zulässige Art von Beziehung des Urteils auf ein Prinzip der Zweckmäßigkeit würde dagegen besagen, dass im ästhetischen Reflexionsurteil die bloße Form der Zweckmäßigkeit auf die anschauliche Vorstellung schöner Formen der Natur zu beziehen ist, ohne etwas daran begrifflich zu bestimmen.
Sechster bis achter Absatz: Das Problem der Begründung der Notwendigkeit des teleologischen Urteils – Sein und Sollen der Naturprodukte Hinter der Absatzmarke setzt Kant die Erörterung einer Möglichkeit der Begründung der Notwendigkeit eines Reflexionsurteils fort. Er wendet sich nun von der Besprechung des ästhetischen Urteils der Analyse des zweiten Typs der Klasse der Reflexionsurteile zu, d. i. dem bereits in EE VII (letzter Absatz) und EE IX eingeführten teleologischen Urteil. Was das teleologische mit dem ästhetischen Urteil verbindet, ist, dass es sich ebenso wie dieses auf ein Prinzip a priori gründet (6. Abs.). Gleichwohl soll der in ihm vorkommende Begriff von einem Naturzweck durch Erfahrung aufgefunden werden. Denn ohne die Erfahrung – so behauptet Kant – wäre nicht erkennbar, dass Dinge als Naturzwecke möglich sind. Durch diese starke Behauptung wird eine deutliche Abgrenzung vom ästhetischen Urteil vorgenommen, indem dieses unter keinen Umständen eine Beziehung von bestimmten Begriffen auf Erfahrung (als empirischen Gegenständen der Natur) zulässt. Um genauer sagen zu können, auf welche Weise ein Naturzweck durch Erfahrung aufgefunden werden kann, wenden wir den Blick noch einmal zurück auf den siebten Abschnitt (letzter Absatz) und den dazu verfassten Kommentar.536 Dort stellte sich der Kontext wie folgt dar: Empirische Begriffe und Gesetze des Verstan536
Vgl. Kommentar zu EE VII, S. 171–173.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
des werden aus der Perspektive mechanischer Kausalität als »gegeben« vorausgesetzt und von der Urteilskraft mit dem systembildenden Prinzip der Vernunft (d. h. mit dem Begriff des Naturzwecks) verglichen.537 Ergibt der Vergleich eine Angemessenheit, indem am mechanischen Erfahrungsgegenstand die Form der Zweckmäßigkeit »angetroffen« bzw. empirisch aufgefunden wird, dann handelt es sich bei dem Ding um einen »Naturzweck« und die Zweckmäßigkeit gilt als objektiv beurteilt. Die Feststellbarkeit solcher zweckmäßigen Formen an Naturdingen steht für Kant außer Zweifel und wird durchgängig in der mechanischen Natur unterstellt.538 Der beschriebene Vorgang füllt das inhaltlich aus, was in EE X (6. Abs.) (20:239.29–30) das Auffinden des Naturzwecks durch Erfahrung meint. Entsprechend heißt es hier auch, dass das teleologische Urteil »einen bestimmten Begrif von einem Zwecke, den es der Möglichkeit gewisser Naturprodukte zum Grunde legt, mit der Vorstellung des Objects verbindet« (EE X, 6. Abs.) (20:239.31–34). Der Begriff auf der einen Seite ist ein bestimmter Zweckbegriff der Vernunft. Er wird mit einer anschaulichen, empirischen – und zwar mechanischen Objektvorstellung auf der anderen Seite verbunden (indem die Urteilskraft beide miteinander vergleicht). Eine solche Vorstellung ist – wie EE VII (6. Abs.) gezeigt hat – ein empirischer Verstandesbegriff, der dem Naturmechanismus gemäß als »gegeben« vorausgesetzt wird.539 Als zweite Gemeinsamkeit des teleologischen mit dem ästhetischen Urteil hält Kant fest, dass beide Reflexionsurteile sind. Das bedeutet für das teleologische Urteil, dass trotz des Bezuges auf ein empirisches Naturobjekt in der objektiven Zweckmäßigkeit nicht die Behauptung liegt, »die Natur (oder ein anderes Wesen durch sie)« verfahre tatsächlich nach einer Absicht (20:240.1–3). Das ist im Grunde bloß eine Erinnerung an die ausführliche Diskussion in EE IX über die Verwechslung von Naturzweck und Absicht. Ein der Natur als absichtlich unterstelltes Verfahren liefe auf die Behauptung hinaus, dass ihre Kausalität durch den Gedanken eines Zwecks objektiv bestimmt werde. Das also kann mit der Heranziehung des Begriffs des Naturzwecks nicht intendiert sein. Was in Wahrheit gemeint ist, ist folgendes: Der Gebrauch der mechanischen Gesetze der Natur – d. h. der besonderen, empirischen Gesetze derselben – wird nach der »Analogie« einer solchen Kausalität, die durch den Gedanken eines Zwecks bestimmt wird, mit einer Absicht oder einem bestimmten Zweck verbunden. Dieser Zweck besteht darin, die Möglichkeit solcher Objekte zu »erkennen« und zu begreifen (»einen Begrif von ihnen zu bekommen«), für deren Erkennen die bloß mechanischen, empirischen Naturgesetze nicht hinreichen. Das Begreifen mit Hilfe einer Zweckidee würde es ermöglichen, solche Objekte in den Zusammenhang »einer systematisch anzustellenden Erfahrung« einzubinden. Da dies die entscheidende Ermöglichungsbedingung von Naturobjekten ist, die als 537 538 539
S. auch EE X, 7. Abs. Vgl. dazu auch EE IX, 9. Abs. Vgl. Kommentar zu EE VII, S. 171f.
X. Abschnitt: Prinzip der technischen Urteilskraft
257
zweckmäßig (organisiert) gedacht werden müssen, und da zugleich die gedachte Zweckkausalität keine der Natur immanente Absicht enthalten darf, ist es notwendig, die mechanischen Naturgesetze in einer Bedeutungserweiterung nach der Analogie einer Zweckkausalität zu verwenden. Wie wir gleich sehen werden, wird im siebten Absatz durch ein Beispiel aus der Anatomie illustriert, welche notwendige Rolle Zweckbegriffe bei der Erklärung von natürlichen Zusammenhängen über die Kausalität der mechanischen Gesetze hinaus spielen. Das »Erkennen«, das durch ein solches Verfahren der Naturbeurteilung intendiert ist, kann nicht bedeuten, dass etwa ein organisches Naturprodukt als solches in einem teleologischen Urteil erkannt werde; erkannt wird vielmehr nur seine Möglichkeit, d. h. der Gedanke, dass es qua seiner Zugehörigkeit zu einem System der Erfahrung eine Eignung mit sich bringt, überhaupt Gegenstand begrifflicher Einsicht sein zu können. Bei diesem Versuch, die Bedeutung des Zweckbegriffs, der in einem teleologischen Reflexionsurteil als eine Seite der Verbindung vorkommt, zu klären, darf nicht die andere Seite vergessen werden. Denn – wie am Anfang des sechsten Absatzes noch einmal klargestellt worden ist – der »Zweck der Natur« (oder die »Vorstellung des Objects«, mit dem der Zweckbegriff zu verbinden ist), kann allein durch Erfahrung gefunden werden. Die Erfahrung ist also gleichfalls – obwohl dem Begriff als deren Grundlage untergeordnet – eine notwendige Bedingung der Möglichkeit von Objekten als Naturzwecken. Der zuletzt erwähnte Gesichtspunkt schlägt sich nieder in der formelhaften Erklärung des siebten Absatzes: »Ein teleologisches Urtheil vergleicht den Begrif eines Naturprodukts nach dem, was es ist, mit dem was es seyn soll.« (20:240.9–10) Dass es bei der Beurteilung der objektiven Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes durch ein teleologisches Reflexionsurteil um ein Vergleichen (zwischen einem empirischen Begriff und einer Vernunftidee) geht, braucht an dieser Stelle nicht mehr erläutert zu werden.540 Das Sein und das Sollen sind als zwei verschiedene Aspekte ein und derselben Sache zu verstehen. Sie sind als zwei verschiedene Seiten eines Verhältnisses zu betrachten, die im »Begrif eines Naturprodukts« vereint sind. Diese beiden Seiten sind der Erfahrungsbegriff von einem Naturprodukt und der Zweckbegriff desselben. Kant schließt auch hier die (nicht mehr überraschende) Bemerkung an, dass der Beurteilung der Möglichkeit eines Naturprodukts ein Zweckbegriff zum Grunde gelegt werde und dass dieser der Beurteilung a priori vorhergehe. Auch den Hinweis darauf, dass eine solche Möglichkeit an Kunstprodukten (im Unterschied zu Naturerzeugnissen) mühelos vorgestellt werden könne, haben wir an anderer Stelle hinreichend erläutert.541 Wichtiger sind die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, »von einem Produkte der Natur zu denken, daß es etwas hat 540 541
Vgl. dazu u. a. EE VII, 6. Abs. Vgl. Kommentar zu EE VII, S. 171–173. Vgl. Kommentar zu EE II, S. 78 f.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
seyn sollen, und es darnach zu beurtheilen, ob es auch wirklich so sey« (20:240. 13–15). Kant spricht die eigentlich damit verbundenen Schwierigkeiten nicht deutlich genug aus. Aber nach dem bisher Gesagten und dem Vergleich mit den Produkten der Kunst kann geschlossen werden, dass es um das Verhältnis von Sollen und Sein geht. Das Problem kann so formuliert werden: Wie ist es denkbar (miteinander vereinbar), dass ein Naturprodukt einerseits durch einen Vernunftbegriff in seiner Bedeutung postuliert (quasi normiert) wird, obwohl dieser keine Absicht enthält; und dass dasselbe Produkt andererseits von sich aus so beschaffen ist, dass seine wirkliche Bestimmung mit der gewollten Bedeutung in der Beurteilung zur Übereinstimmung gebracht werden kann? Diese vielleicht etwas umständliche Erklärung der Problemlage kann auch kürzer ausgedrückt werden und verweist auf ein seit der KrV entdecktes grundlegendes Erkenntnisproblem: Wie können Begriffe der theoretischen Vernunft auf Erfahrung bezogen werden, so dass sie empirischen Gegenständen der Natur Bedeutung verleihen?542 Nach den Resultaten der KrV scheint dies unmöglich zu sein, sollte sich die Vernunft in ihren Schlüssen nicht in Antinomien verwickeln. Die Lösung des Problems, die Kant in diesem siebten Absatz wiederum bloß andeutet, liegt in der »Voraussetzung eines Prinzips«, das in dem Gedanken eines Naturproduktes, »daß etwas hat seyn sollen« (20:240.14), bereits enthalten ist. Das Prinzip, auf das sich Kant an dieser Stelle beruft, ist kein anderes als das der objektiven Zweckmäßigkeit der Natur bzw. der Begriff des Naturzwecks oder der (realen) Technik der Natur. Dieses Prinzip muss nun das Sollens-Postulat im Hinblick auf Naturobjekte, insofern sie als Produkte vorgestellt werden, legitimieren können. Das wird möglich dadurch, dass es ein Prinzip a priori ist, also »aus der Erfahrung, (die da nur lehrt, was die Dinge sind) nicht hat gezogen werden können.« (20:240.16–17) Denn dadurch gibt es die Anweisung zu dem, was dem Naturprodukt abzuverlangen ist. Wäre es ein empirisches Prinzip, so bliebe die Übereinstimmung zwischen Sein und Sollen dem bloßen Zufall überlassen; in das teleologische Urteil ließe sich keine Notwendigkeit hineinbringen. Das Prinzip, das hier als Voraussetzung der teleologischen Beurteilung von Naturprodukten wiederentdeckt wird, ist aber nicht das früher diskutierte Suchprinzip der Urteilskraft im Hinblick auf empirische Gegenstände und Gesetze der Natur, die in ein logisches Art-Gattungs-System integriert werden müssen; denn im teleologischen Urteil werden solche Gegenstände als bereits gegeben vorausgesetzt. Das Prinzip hat vielmehr die Funktion, die empirische Überprüfbarkeit im Hinblick auf die Gültigkeit derjenigen Bestimmung, die sein soll, an einem gegebenen (vorhandenen) Naturprodukt sicher zu stellen (zu garantieren).
Empirisch, d. h. durch sinnliche Wahrnehmung vergegenständlicht, sind die Naturprodukte, insofern sie durch Erfahrung auffindbar sein müssen (vgl. EE X, 6. Abs.). 542
X. Abschnitt: Prinzip der technischen Urteilskraft
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Wie bereits erwähnt, versucht Kant im achten Absatz den Unterschied zwischen dem Sein und dem Sollen in Hinsicht auf ein Naturprodukt zu erläutern. Der Gegenstand der Untersuchung ist das menschliche Auge in seiner (lebendigen) Funktion und in seinem inneren und äußeren Bau (Kant: »Struktur«). Dieses Beispiel lässt sich thematisch anschließen an die Betrachtung der Augenlinse in EE IX (10. Abs.), in der gezeigt worden ist, dass die Zweckidee zwar als Leitprinzip zur weiteren Erforschung des Auges dienen könne, dass deshalb aber der Erzeugung des Auges keine absichtliche Naturursache beigelegt werden dürfe.543 Die ersten beiden Sätze des nun zu analysierenden achten Absatzes sind nicht leicht zu durchschauen. Im ersten Satz heißt es: »Daß wir durch das Auge sehen können, erfahren wir unmittelbar, imgleichen die äußere und inwendige Struktur desselben, die die Bedingungen dieses seines möglichen Gebrauchs enthalten, und also die Causalität nach mechanischen Gesetzen.« (20:240.18–21) Worum geht es hier eigentlich in der Sache? Das Sehen als die Funktion des Auges im menschlichen Organismus sei von uns »unmittelbar« erfahrbar, lautet die erste, nicht näher spezifizierte Behauptung. »Unmittelbar« kann hier bedeuten: direkt im Sehvorgang selbst überprüfbar. Das trifft aber für den äußeren und inneren Bau so nicht zu, denn dafür werden aufwendige anatomische Studien benötig. Unmittelbar erfahren wird deshalb bloß so viel heißen wie sinnlich erfahren. Der Bau oder die »Struktur« des Auges soll die Bedingungen dafür enthalten, dass das Auge seine Funktion erfüllen kann, und diese Bedingungen scheinen der mechanischen Kausalität zu unterliegen. Hier ist also zunächst gar nicht von einem Zweckverhältnis die Rede, obwohl der Zusammenhang des Auges (einschließlich seiner Mechanik) mit dem Sehen als ein solches Verhältnis gedeutet werden kann. Worum es genauer geht, verdeutlicht der nachfolgende Satz, der durch das Wort »aber« am Anfang eine Diskrepanz andeutet: »Ich kann mich aber auch eines Steins bedienen, um etwas darauf zu zerschlagen, oder darauf zu bauen u.s.w. und diese Wirkungen können auch als Zwecke auf ihre Ursachen bezogen werden, aber ich kan darum nicht sagen daß er zum Bauen hat dienen sollen.« (20:240.21–25) Was ist das Spezifische dieser Form von Kausalität im Unterschied zum Gebrauch des Sehorgans? Einen Stein zu dem einen oder anderen Zweck in Dienst zu nehmen, setzt ein handelndes Subjekt voraus, das mit dem Werkzeug, das es verwendet, nicht wie in einem natürlichen Organismus innerlich verwachsen ist. Es ist relativ gleichgültig und zufällig, wie der Stein äußerlich geformt und innerlich strukturiert ist, wenn er nur den beabsichtigten Nutzen bringen kann. Für diesen Nutzen ist es nicht einmal notwendig, dass er ganz bestimmte natürliche (z. B. stofflich-physikalische) Voraussetzungen mitbringt. 543
Vgl. Kommentar zu EE IX, S. 241 f.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Es hat den Anschein, als wolle Kant mit diesem Beispiel die im siebten Absatz kurz erwähnten Artefakte als Kontrast zur Organisation von Naturprodukten einsetzen. Indem er aber erklärt, dass die handwerkliche Verwendung des Steins, die in ihrer Wirkung (z. B. einem Bauwerk) als Zweck ausgelegt und auf seine Ursache (z. B. einer Grundsteinlegung) bezogen werden kann, nicht zu der Aussage berechtige, dass durch diese Verwendung dem Stein ein Sollen beigelegt werden könne, kann diese Behauptung nicht von einem Kunstprodukt gelten. Denn in Bezug auf dieses ist ja im siebten Absatz behauptet worden, dass die Beurteilung der Möglichkeit eines solchen Produkts durch einen Zweckbegriff »keine Schwierigkeit« mache. Es besteht also in Bezug auf die Beispiele des Sehorgans und des Steins Übereinstimmung darin, dass beide in eine Zweckbeziehung gebracht werden können. Der entscheidende Unterschied liegt aber darin, dass das Auge, insofern es als organisiert gedacht werden kann, das enthält, was Kant an den im zurückliegenden Kommentar oft zitierten Stellen »innere Zweckmäßigkeit« genannt hat, während der für einen beliebigen Zweck benutzte Stein nur äußere oder relative Zweckmäßigkeit – die Nützlichkeit –, die eigentlich auf mechanischer Kausalität beruht, für sich in Anspruch nehmen kann. Innere Zweckmäßigkeit oder Naturzweck drückt aber das Sein-Sollen und die Übereinstimmung von Sein und Sollen aus. Deshalb kann – auf Kants Beispiel bezogen – nicht vom zweckhaften Gebrauch des Steines, sondern nur vom Auge so geurteilt werden, »daß es zum Sehen hat tauglich seyn sollen«. (20:240.25–26) Das bedeutet, dass dieses Organ nach der Analogie so gedacht werden muss, dass der Begriff eines bestimmten Zwecks (d. i. des Sehens) seinem inneren und äußeren Aufbau zugrunde liegt und ihm – wie es in Abs. 7 hieß – »a priori vorhergeht«, und dass der Zweck diese bestimmte Organisation gewissermaßen vorschreibt. Das wiederum bedeutet nicht, dass die Erklärung durch mechanische Kausalität aus der Beurteilung eines Organismus durch den Begriff eines Naturzwecks schlechthin ausgeschlossen wäre; ganz im Gegenteil: »in der Form und in dem Bau« des Auges wird eine Notwendigkeit gedacht, »auf eine gewisse Weise gebildet zu seyn«.544 Diese Notwendigkeit steht allerdings im Gegensatz dazu, dass »die Figur, die Beschaffenheit aller Theile desselben und ihre Zusammensetzung, nach blos mechanischen Naturgesetzen beurtheilt, für meine Urtheilskraft ganz zufällig ist« (EE X, 8. Abs.) (20:240.26–28). Gemeint ist die Zufälligkeit der äußeren Form und des inneren Baus, der einem Aggregat gleichkommt. Die mechanischen Naturgesetze, nach denen geurteilt wird, müssen besondere, empirische Gesetze sein (nicht die Gesetze des reinen Verstandes). Die Zufälligkeit im bloß mechanisch zu beurteilenden äußeren und inneren Bau des Sehorgans erklärt sich daraus, dass die reflektierende Urteilskraft selbst über kein eigenes mechanisches Prinzip a priori verfügt, welches die Notwendigkeit eines mechanischen Zusammenhangs begründen könnte.
544
EE X, 8. Abs. (20:240.28–30); vgl. KU, § 81, 1. Abs. (5:421–422).
X. Abschnitt: Prinzip der technischen Urteilskraft
261
Dass nun aber trotzdem in Form und Bau des Auges eine Notwendigkeit gedacht werden kann, beruht eben darauf, dass es nicht bloß mechanisch beurteilt wird, sondern zugleich nach einem Begriff bzw. einem Prinzip a priori, welches die mechanischen Naturgesetze bedingt und die Möglichkeit von Naturprodukten nach diesen Gesetzen erst begreifbar macht. Dieses Prinzip gilt aber nicht von allen Naturdingen, sondern bloß von Organismen (nicht also von dem zuvor diskutierten Stein). Die in Bezug auf Form und Bau des Sehorgans gedachte Notwendigkeit drückt sich darin aus, dass sie nach einem Begriff »gebildet« sind, und zwar nach einem solchen, »der vor den bildenden Ursachen dieses Organs vorhergeht« (20:240.28–30). Ein Begriff, der einer Ursache vorhergeht und diese bedingt, kann kein anderer sein als der eines Zwecks, und die Kausalbeziehung, die sich daraus ergibt, ist die Zweckmäßigkeit. Kant verbindet mit dieser Vorstellung von Kausalität den im späten achtzehnten Jahrhundert unter Naturgelehrten verbreiteten Begriff der Bildung. Nach einem Begriff (als Idee) »gebildet« zu sein, bedeutet etwas anderes als eine bildende Ursache zu haben. Die letztere bezeichnet eine bloß mechanisch wirkende Kausalität, während die begriffliche Bildung sich auf ein organisches Ganzes bezieht und dieses unter dem Gesichtspunkt seiner Funktion oder seines Zwecks beurteilt. Der Zweckbegriff ist dabei zugleich fordernd, d. h. er drückt das »Sollen« aus, das die geforderte Notwendigkeit in die teleologische Beurteilung eines organischen Objekts hineinbringt. Im Haupttext der KU hat Kant an mehreren Stellen vom Begriff der Bildung und der »Bildungskraft« Gebrauch gemacht. Im Zusammenhang mit dem aufschlussreichen Beispiel der individuellen Selbsterzeugung eines Baumes während seines Wachstums wird ein Organisationsprinzip aktiv, das Kant »Bildungsvermögen« nennt (KU; § 64, 5. Abs.) (5:371.25). »Bildung« kann aber durchaus auch mit dem Naturmechanismus verbunden werden (vgl. KU, § 78, 3. Abs.) (5:412.8 ff.). Eine »Bildungskraft« legt Kant der Betrachtung der Evolution der Erdlebewesen aus einem gemeinschaftlichen Erzeugungsprinzip zugrunde, das auf eine durchgängige »Verwandtschaft« aller Arten schließen lässt (vgl. KU, § 80, 5. Abs.) (5:419.9–420.3). Aber die »Bildungskraft« wirkt eigentlich bloß mechanisch (vgl. KU, § 81, 6. Abs.) (5:424.19–34). Ausführlicher und bedeutender sind Kants Bezugnahmen auf eine Bildungstheorie in § 81 der KU. Dort fällt auch der Name desjenigen Naturforschers, der im achtzehnten Jahrhundert mit dem Begriff des »Bildungstriebes« ein »System der Epigenesis« in Anregung brachte und große Beachtung fand: Johann Friedrich Blumenbach (1752–1848).545 Kant lobt diesen Autor gleich für mehrfach erbrachte wissenschaftliche Leistungen. In seiner »Theorie der Epigenesis« habe er alle Bildungen von »organisierter Materie« anfangen lassen und den Gedanken, dass sich »rohe J. F. Blumenbach: Über den Bildungstrieb, 1781, 2. Aufl. 1789. Vgl. P. McLaughlin, Blumenbach und der Bildungstrieb. Zum Verhältnis von epigenetischer Embryologie und typologischem Artbegriff. In: Medizinhistorisches Journal 17 (1982), 357–372. 545
262
Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Materie« »ursprünglich selbst gebildet« und aus ihr Leben und Zweckmäßigkeit auf mechanische Weise entsprungen sei, »mit Recht« als »vernunftwidrig« verworfen. Zugleich lasse Blumenbach dem Naturmechanismus unter dem »Prinzip einer ursprünglichen Organisation« einen »unverkennbaren Anteil«, der das Vermögen enthalte, das von ihm »Bildungstrieb« genannt werde (KU, § 81, 6. Abs.) (5:424.19–34). Der »Bildungstrieb« ist demnach von der »bloß mechanischem Bildungskraft« dadurch unterschieden, dass er zwar auch mechanisch wirksam ist, aber nur insofern, als das Mechanische »unter der höheren Leitung und Anweisung« eines Prinzips der Organisation steht (KU, § 81, 6. Abs.) (5:424.33). Es gibt mehrere Berührungspunkte zwischen Kants Verständnis von natürlicher Organisation und Blumenbachs Bildungstheorie. Für uns ist im Hinblick auf EE X (8. Abs.) wichtig, dass der Zweckbegriff, der ein Sollen beinhaltet, der mechanischen Wirkung der »bildenden Ursachen« eines Organs (hier: des Auges) als deren Bedingung systematisch vor- und übergeordnet ist. Den mechanischen Naturgesetzen, die an der Bildung und Organisation des Auges mitwirken, wird durch das Gebot der Zweckmäßigkeit erst Notwendigkeit verliehen. Diese Notwendigkeit unterscheidet sich – wie Kant hervorhebt – deutlich von der »physisch-mechanischen« Notwendigkeit, »nach welcher ein Ding nach bloßen Gesetzen der (ohne eine vorhergehende Idee desselben) wirkenden Ursachen möglich ist […].« (EE X, 8. Abs.) (20:240.33–241.1) Wie wenige Zeilen weiter ersichtlich wird, sind unter den mechanischen Gesetzen auch hier nicht die allgemeinen Gesetze des reinen Verstandes gemeint, sondern besondere, empirische Naturgesetze. Worin nun der Unterschied in der Notwendigkeit beider Gesetzmäßigkeiten besteht, führt Kant in dem hier betrachteten Absatz nicht aus. Aber wir können uns an die entsprechende Unterscheidung in der Bedeutung der Notwendigkeitsbegriffe halten, die im Zuge der Analyse des ästhetischen Urteils (EE X, 1. bis 5. Abs.) getroffen worden ist.546 Dann liegt es auf der Hand, dass die »physisch-mechanischen« Gesetze, weil sie empirisch sind, nur von einem begrenzten Umfang natürlicher Objekte gelten können. Da ihnen, mangels eines ihnen übergeordneten Prinzips a priori, die Allgemeingültigkeit fehlt, reicht ihre Notwendigkeit nicht an die des Sollens der Zweckidee heran. Für das teleologische Urteil folgt daraus, dass die Notwendigkeit, die sich in ihm ausdrücken soll, nicht »durch blos physische (empirische) Gesetze« bestimmt werden kann. Entsprechend war vom ästhetischen Urteil gezeigt worden, dass dessen Notwendigkeit nicht auf psychologischen Gesetzen beruhen kann (20:241.2). Es folgt nun weiter, dass das teleologische Urteil, wenn es Notwendigkeit beansprucht, ein Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft erfordert, dem das teleologische Urteil subordiniert (subsumiert) ist. Abschließend wird behauptet, aus einem solchen Prinzip (das nicht angegeben wird) müsse das teleologische Urteil »auch seiner Gültigkeit und Einschränkung nach […] bestimmt werden«. (20:241.6–7) 546
Vgl. Kommentar zu EE X, S. 246 ff.
X. Abschnitt: Prinzip der technischen Urteilskraft
263
D. h. also, dass das gesuchte Prinzip der teleologischen Urteilskraft die wichtige kritische Aufgabe zu erfüllen hat, die Bedingungen der Gültigkeit des teleologischen Urteils zu bestimmen und damit deren Grenzen festzulegen.
Neunter Absatz: Schlußfolgerung: Begründung aller Reflexionsurteile durch das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur Der letzte Absatz führt die Argumentationsgänge der beiden Teile des zehnten Abschnittes (vor bzw. nach der Absatzmarke) zusammen, um daraus einen allgemeinen Schluß zu ziehen. Deshalb wird dieser Absatz hier gesondert besprochen. Der Schlusssatz leitet den Text des Absatzes ein und hat folgenden Wortlaut: »Also stehen alle Urtheile über die Zweckmäßigkeit der Natur, sie mögen nun ästhetisch oder teleologisch seyn, unter Principien a priori und zwar solchen, die der Urtheilskraft eigenthümlich und ausschließlich angehören, weil sie blos reflectirende, nicht bestimmende Urtheile sind.« (EE X, 9. Abs.) (20:241.8–11) Die Klasse der Urteile, von der die zitierte Aussage gelten soll, ist die der Reflexionsurteile, die sich wiederum in zwei Teilklassen untergliedert, in die ästhetischen und die teleologischen Urteile. Beide sind auf unterschiedliche Weise zugleich »Urtheile über die Zweckmäßigkeit der Natur«. Aus den vorangegangenen Analysen der Bedingungen der Möglichkeit notwendiger ästhetischer Urteile bzw. Geschmacksurteile (Abs. 1–5) und entsprechend der notwendigen teleologischen Urteile (Abs. 6–8) muss sich jeweils die in dem »Also«-Satz ausgedrückte allgemeine Aussage herleiten lassen, dass alle diese Urteile unter Prinzipien a priori der reflektierenden Urteilskraft stehen. Für das Geschmacksurteil folgt der oben zitierte Schluß aus der Überlegung, dass es als Urteil Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit beansprucht. Dies schließt eine empirisch-psychologische Fundierung aus. Des weiteren schließt es aus, dass die Notwendigkeit auf dem Faktum beruhen könnte, »daß jedermann so urtheile« (EE X, 4. Abs.) (20:239.2). Stattdessen drückt das Urteil ein Sollen aus. Dies kann nur daraus erfolgen, dass es sich auf ein unbestimmtes Prinzip a priori beziehen lassen muss (ebd.), ohne von einem bestimmten Prinzip abgeleitet werden zu können (ebd., 5. Abs.). Im ersten Teil des zehnten Abschnittes (Abs. 1–5) findet sich hingegen kein direkter Beleg dafür, dass das gesuchte Prinzip a priori ein solches ist, das der Urteilskraft »eigenthümlich und ausschließlich« angehöre. Diese Zugehörigkeit lässt sich aber leicht erklären, indem berücksichtigt wird, dass das Prinzip ein unbestimmtes sein muss und dass das darauf gegründete Urteil deshalb zugleich ein Reflexionsurteil ist. Darauf wird ja in dem oben zitierten ersten Satz des neunten Absatzes ausdrücklich hingewiesen. Allein die reflektierende Urteilskraft aber besitzt das Vermögen, solche Urteile zu bilden. Ihr ist daher auch das subjektive Prinzip a priori allein zuzuweisen. Dass auch das teleologische Urteil unter einem der Urteilskraft eigentümlichen Prinzip a priori steht, ergibt sich daraus, dass es wie das ästhetische Urteil allge-
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
meingültig und notwendig sein muss. Deshalb kann es sich nicht auf physischempirische Gesetze gründen (8. Abs.), obwohl es auch von Erfahrung abhängt (6. Abs.). Auch dieses Urteil, das den Begriff eines Naturzwecks voraussetzt, enthält ein Sollen, in welchem sich seine Notwendigkeit ausdrückt, und es setzt deshalb ein Prinzip a priori voraus (7. Abs.). Es vergleicht aber überdies noch diesen Aspekt des Naturprodukts mit dessen wirklicher Beschaffenheit (7. Abs.). Hier ist die Zweckmäßigkeit durch einen Zweckbegriff bestimmt. Das Prinzip a priori, das das Sollen und dessen Notwendigkeit dann begründet, ist also inhaltlich bestimmt. Nun ist zwar am Ende des achten Absatzes zu lesen, dieses Prinzip sei »in der Urtheilskraft, sofern sie reflectirend ist«, angesiedelt (20:241.4–5); aber es erfolgt hier keine explizite Begründung dieser Behauptung. Die Begründung ist aber implizit einfach darin zu sehen, dass das Prinzip zwar nicht unbestimmt ist, aber dennoch nicht bestimmt im Sinne von objektiver Erkenntnis. Das teleologische Urteil ist deshalb – dem ästhetischen entsprechend – ein Reflexionsurteil. Dass das teleologische Urteil ebenso wie das ästhetische ein bloß reflektierendes und kein bestimmendes Urteil ist, ist eine Voraussetzung dafür, dass jedes Reflexionsurteil notwendig unter den Prinzipien a priori der reflektierenden Urteilskraft steht. Das Prinzip a priori, das ein teleologisches Urteil begründet, muss demnach allein der reflektierenden Urteilskraft zugewiesen werden. Da nun von der Zweckmäßigkeit in beiden Arten von Reflexionsurteilen gilt, dass sie Zweckmäßigkeit der Natur ist (wenngleich auf zwei verschiedene Weisen)547, so stehen »alle Urtheile über die Zweckmäßigkeit der Natur« (20:241.8) unter Prinzipien a priori der reflektierenden Urteilskraft. Die zweite wichtige Aussage des neunten Absatzes, die sich argumentativ auf die Behauptung stützt, ästhetische und teleologische Urteile stünden insgesamt unter eigentümlichen Prinzipien a priori der Urteilskraft, betrifft die Zugehörigkeit aller »Urtheile über die Zweckmäßigkeit der Natur« zur »Critik der reinen Vernunft« (20:241.12). Die Anweisung, diesen Titel »in der allgemeinsten Bedeutung« zu verstehen, zeigt an, dass damit das an anderer Stelle bezeichnete »System« der drei Kritiken gemeint ist.548 Insbesondere aber gehören die betreffenden Urteile in die KU als ein Glied der umfassenden Erkenntniskritik. Mit ihr hat sie nämlich gemeinsam, wie zu aller Erkenntnis (als Erkenntnis überhaupt), so auch zur Erkenntnis durch die reflektierende Urteilskraft den Bedingungen a priori nachzuspüren und zugleich die Grenzen ihres Gebrauchs aufzuzeigen.
Die subjektive, formale Zweckmäßigkeit der ästhetischen Urteile ist insofern naturbezogen, als die schönen Formen, auf die sich die Urteile beziehen, in der Natur gegeben sind. Die objektive Zweckmäßigkeit der teleologischen Urteile ist hingegen naturzweckmäßig dadurch, dass ihr der Begriff von einem Naturzweck vorgegeben wird. 548 Vgl. Kommentar zu EE I, S. 32 ff. 547
X. Abschnitt: Prinzip der technischen Urteilskraft
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Das Argument dafür, dass die »Urtheile über die Zweckmäßigkeit der Natur« zur »Critik« »in der allgemeinsten Bedeutung« gehören, kann nur darin bestehen, dass sie unter besonderen »Principien a priori« stehen, nämlich solchen, die allein der Urteilskraft angehören. Das beruht wiederum darauf, dass die Urteile, von denen im ersten Satz die Rede ist, reflektierende Urteile sind. Obwohl der Unterschied zwischen reflektierenden und bestimmenden Urteilen an sich nicht relevant ist für eine solche allgemeine Erkenntniskritik, ist er doch relevant dafür, dass die reflektierenden Urteile nicht zur Erkenntniskritik im engeren Sinne gehören können (d. h. zur KrV von 1781/1787). Nun heißt es im zweiten Satz mit Bezug auf die »Critik der reinen Vernunft«, »die letztern« bedürfen ihrer »mehr als die erstern«, und zwar insofern, als sie »sich selbst überlassen, die Vernunft zu Schlüssen einladen, die sich ins Überschwengliche verliehren können […].« (20:241.12–15) Theoretisch gibt es zwei Möglichkeiten, »die erstern« und »die letztern« auf Urteilsklassifizierungen im ersten Satz zu beziehen. Entweder sind die ästhetischen bzw. die teleologischen Urteile gemeint oder die reflektierenden bzw. bestimmenden. Bezieht man »die erstern« und »die letztern« auf die ihnen von der Satzstellung her am nächsten stehenden reflektierenden und bestimmenden Urteile, so lässt sich auf der Grundlage der KrV angeben, dass bestimmende Urteile solche sind, in denen die Urteilskraft ein Anschauungsmannigfaltiges mittels des Schematismus unter Verstandesbegriffe subsumiert. Aber solche Urteile sind nicht geeignet, die Vernunft zu »Schlüssen« ›einzuladen‹, »die sich ins Überschwengliche verliehren können«. Denn »transzendent« kann in der KrV nur eine Erkenntnis »aus Prinzipien« heißen, die keine Verstandeserkenntnis ist (vgl. KrV, B 357–358 / A 301–302). Von Prinzipien aber gehen die »dialektischen Schlüsse« aus, die dazu anleiten, zu einem Gegebenen die ganze Reihe der Bedingungen zu suchen. Sie werden »transzendent«, indem ein solches höchstes Allgemeines auf empirische Gegenstände bezogen werden soll (vgl. u. a. B 670–671 / 642–643). Hinsichtlich der »ersteren« Urteile heißt es im Text, sie bedürften einer »mühsame[n] Nachforschung«, »um nur zu verhüten, daß sie sich nicht, selbst ihrem Princip nach lediglich aufs Empirische einschränken und dadurch ihre Ansprüche auf nothwendige Gültigkeit für jedermann vernichten.« (20:241.16–19) Diese Aussage scheint sich zunächst nicht bloß auf die ästhetischen Urteile zu beziehen, insofern sie von allen Reflexionsurteilen gelten kann. Denn es war ja – wie gezeigt – gerade die Hauptaufgabe des zehnten Abschnittes darzulegen, dass und warum sowohl ästhetische als auch teleologische Urteile, insofern sie Anspruch auf Notwendigkeit erheben, keinesfalls auf empirischen Prinzipien (seien es psychologische oder physische) beruhen können. Da es sich bereits erwiesen hat, dass »die letztern« Urteile wohl kaum »bestimmende Urtheile« bezeichnen können, so kommen nur noch die am Anfang des Absatzes an zweiter Stelle genannten teleologischen Urteile dafür in Betracht. Diese Interpretation kann sich auch auf die Verhütung des transzendenten Gebrauchs der
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
teleologischen Urteile berufen, die in EE IX, Abs. 8, 10, 11, Gegenstand der Untersuchung war.549 Ein solcher Gebrauch ergibt sich dann, wenn der Vernunftbegriff des Naturzwecks in bestimmender und absichtlicher Weise verwendet wird, wodurch sich die Vernunft »ins Überschwengliche« begeben müsste (EE IX, 8. Abs.) (20:235.17). Das findet aber nur statt, wenn solche (teleologischen) Urteile »sich selbst überlassen« werden (20:241.14), d. h. wenn die Bedingungen ihrer Gültigkeit keiner kritischen Nachprüfung unterzogen werden. Eben zu dem Zweck der Verhinderung ihres transzendenten Gebrauchs »bedürfen« diese Urteile »mehr als die erstern« einer »Critik der reinen Vernunft«. Die »erstern« – damit sind die ästhetischen Urteile gemeint – bedürfen zwar auch einer Kritik, aber offenbar mit einer anderen Akzentuierung. Denn diese können schon deswegen nicht zu Schlüssen führen, die sich »ins Überschwengliche verlieren«, weil in ihnen – wie im freien Spiel der Erkenntniskräfte – keine Beziehung auf Vernunftbegriffe stattfindet (EE X, 9. Abs.) (20:241.15). Die ästhetischen Urteile bedürfen einer Erkenntniskritik im weiteren Sinne, um ihre Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit zu sichern. Das hat dadurch zu erfolgen, dass die »Critik« nachweist, dass ihr Prinzip nicht auf empirischen – genauer: psychologischen – Gründen, sondern auf Gründen a priori beruht (wie in EE X, 1.–4. Abs. programmatisch entwickelt). Die »mühsame Nachforschung«, die dafür erfordert wird, erstreckt sich in der KU eigentlich auf den gesamten Ersten Abschnitt des Ersten Teils, d. i. auf die »Analytik der ästhetischen Urteilskraft«. Es stellen sich allerdings gehörige Schwierigkeiten ein, diesem Interpretationsvorschlag zu folgen, wenn man Kants Erklärungen zur »Auflösung« der Antinomie des Geschmacks« (KU, § 57) und hier insbesondere die »Anmerkung II« aufmerksam liest. Denn selbstverständlich setzt die Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils (die Notwendigkeit desselben »für jedermann«) »irgendeinen Begriff« voraus, und zwar einen solchen, der unbestimmt und unbestimmbar ist, und das ist der »transzendentale« bzw. »bloße reine Vernunftbegriff von dem Übersinnlichen«, das als der Anschauung zugrundeliegend angenommen werden muss, ohne dass dadurch irgendetwas erkannt werden kann (§ 57, 2.–4. Abs.) (5:339.14–340.12). Insofern wird das Argument relativiert, ästhetische Urteile hätten »keine Beziehung auf Vernunftbegriffe«. Entsprechend der begrifflichen Unterscheidung der drei Erkenntnisvermögen führt Kant auch drei Arten von Antinomien auf: 1) die Antinomie der Vernunft im Hinblick auf den theoretischen Gebrauch des Verstandes als des Erkenntnisvermögens; 2) dieselbige im Hinblick auf den ästhetisch reflektierenden Gebrauch der Urteilskraft zugunsten des Gefühls von Lust und Unlust; und 3) die Antinomie der Vernunft im Hinblick auf den praktischen Gebrauch der gesetzgebenden Vernunft als des Begehrungsvermögens (KU, § 57, »Anmerkung II«, 2. Abs.) (5:345.3–21). Das bedeutet, dass demnach auch von den ästhetischen Urteilen und sogar allein von diesen (das teleologische Urteil wird hier ohne ersichtlichen Grund 549
Vgl. Kommentar zu EE IX, S. 235, 241–243.
X. Abschnitt: Prinzip der technischen Urteilskraft
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vernachlässigt)550 gelten kann, dass sie »die Vernunft zu Schlüssen einladen, die sich ins Überschwengliche verlieren können« (EE X, 9. Abs.) (20:241.14–15). Die Antinomie des Geschmacksurteils hat mit den beiden anderen Antinomien gemeinsam, dass sie nur durch die Beziehung derselben auf einen Vernunftbegriff vom Übersinnlichen, und zwar hier des »Prinzips der subjektiven Zweckmäßigkeit der Natur« (KU, § 57, Anm. II, 4. Abs.) (5:346.17–18) auflösbar ist. Es bleibt nach dieser Klarstellung in Bezug auf den letzten Absatz von EE X nichts weiter übrig als die Feststellung, dass die von Kant dort aufgemachte Differenz zwischen ästhetischen (»die erstern«) und teleologischen Urteilen (»die letztern«) – was den Grad der Notwendigkeit, mit der sie jeweils einer »Critik der reinen Vernunft« zu unterziehen sind, betrifft – unzureichend oder zumindest nicht eindeutig begründet ist.
Es sei denn, dass zur Bildung einer Antinomie die Bedingung erfüllt sein muss, dass das jeweilige Erkenntnisvermögen unbedingt ist, d. h. über ein spezifisches Prinzip a priori verfügt (§ 57, »Anmerkung II«, 2. Abs.) (5:345.18–21). Das trifft, wie an anderer Stelle gezeigt, für die teleologische Urteilskraft nicht zu. Aber weshalb gibt es in Kants Dritter Kritik dann überhaupt eine »Dialektik der teleologischen Urteilskraft«? 550
XI. Abschnitt: Enzyklopädische Introduktion
EE XI Elfter Abschnitt: »Encyclopädische Introduction der Critik der Urtheilskraft in das System der Critik der reinen Vernunft«551
Gliederung: Zur Überschrift Erster bis vierter Absatz: Was ist eine ›enzyklopädische‹ Einleitung? Fünfter bis siebter Absatz: »Introduction der Urtheilskraft in das System der reinen Erkenntnisvermögen« Achter bis dreizehnter Absatz: Die »Aussicht in ein vollständiges System aller Gemüthskräfte« (1) »Erkenntnißvermögen« – »Verstand« – »Gesetzmäßigkeit« (2) »Gefühl der Lust und Unlust« – »Urteilskraft« – »Zweckmäßigkeit« (3) »Begehrungsvermögen« – »Vernunft« – »Zweckmäßigkeit, die zugleich Gesetz ist (Verbindlichkeit)«, bzw. »Endzweck« (4) »Natur« – »Kunst« – »Sitten« (»Freiheit«) (5) Theoretische, ästhetische und praktische Urteile Vierzehnter Absatz: Das System der Gemütskräfte im Verhältnis zur Einteilung der Philosophie und die Übergangsfunktion der Urteilskraft Fünfzehnter Absatz: Begründung des Titels »Kritik der ästhetischen Urteilskraft«
Zur Überschrift Die Überschrift zum elften Abschnitt verspricht eine »enzyklopädische« Einführung der KU in das »System der Kritik der reinen Vernunft«. Diese Ankündigung wirft die Frage auf, inwiefern die Dritte Kritik eine solche Einleitungsfunktion erfüllen kann. Zu ihrer Beantwortung wird zunächst (Abs. 1–3) der Begriff einer »enzyklopädischen« im Unterschied zu einer »propädeutischen« Introduktion erklärt werden müssen. Im vierten Absatz werden die beiden Einleitungsbegriffe für die Formulierung der allgemeinen Aufgabe dieses Abschnittes verwendet, nämlich dafür, eine
In der Abschrift Kiesewetters ist offensichtlich keine nachträgliche Korrektur von Kants Hand enthalten (vgl. N. Hinske u. a. (Hg.) (1965), Faksimile, S. 53–62). Becks Wiedergabe endet mit dem 14. Abs. (vgl. J. S. Beck (1794), 590). 551
XI. Abschnitt: Enzyklopädische Introduktion
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enzyklopädische Introduktion der Urteilskraft in die Kritik der Gemütsvermögen vorzunehmen. Die anschließenden drei Absätze (5–7) bearbeiten das in der Überschrift angekündigte zentrale Thema dieses Abschnittes. Sie skizzieren die beabsichtigte Einführung und das damit verbundene Kernproblem des Verhältnisses von ästhetischer und teleologischer Urteilskraft. Die übrigen Absätze befassen sich mit Gegenständen, die in einem nicht unmittelbar zu erkennenden Zusammenhang mit der Einleitungsfrage stehen: mit dem System der Gemütskräfte und seiner Vollständigkeit (8.–13. Abs.), der Einteilung der Philosophie und der Übergangsfunktion der reflektierenden Urteilskraft (14. Abs.) und schließlich mit dem Titel der Kritik der ästhetischen Urteilskraft (15. Abs.). Obwohl der Begriff einer enzyklopädischen Introduktion in der Einleitung nicht vorkommt, hat der elfte Abschnitt der EE in E IX ein sachliches Pendant. Insbesondere das System der Gemütsvermögen (EE XI, 8.–13. Abs.) wird dort im dritten Absatz in eine verkürzte Übersicht gebracht. Auf die Vergleichbarkeit der beiden Darstellungen werde ich an der betreffenden Stelle (Kommentar zu EE XI, 8.–13. Abs.) näher eingehen und später (im Kommentar zu E IX) nochmals darauf zurückkommen.
Erster bis vierter Absatz: Was ist eine »encyclopädische« Einleitung? Der Abschnitt beginnt mit einer Unterscheidung zwischen zwei Grundtypen philosophischer Einführungen. Die eine Art ist eine Einleitung »in eine vorhabende Lehre« und geht derselben voraus; deshalb heißt sie auch »propädevtische« Einleitung.552 Der Begriff der »Lehre« meint hier nicht bloß die philosophische Lehre im engeren Sinne, d. h. das von Kant sonst so bezeichnete Doktrinale, sondern kann – wie sich schon allein aus der Überschrift ergibt – auch auf das »System der Critik der reinen Vernunft« bezogen werden. Die zweite Art von Einleitung ist die »der Lehre selbst in ein System, wohin sie als ein Theil gehört.« Diese »encyklopädische Introduction« »sollte billig nur den Schluß« der Lehre ausmachen, »um ihr ihre Stelle in dem Innbegriffe der Lehren, mit welchen sie durch gemeinschaftliche Principien zusammenhängt, nach Grundsätzen anzuweisen.« (1. Abs.) (20:241.26–29).553 In diesem Falle fungiert also die Lehre (oder ein Teil derselben) als Einleitung in ein System. Handelt es sich z. B. um das System der Kritik der reinen Vernunft, so könnte die KU als dessen enzyklopädische Einleitung ausgelegt werden. Da eine Vgl. hierzu und zum Folgenden: W. Bartuschat (1972), Der systematische Ort,13 f.; H. Mertens (1975), Kommentar, 188. Vgl. Fußnote 564 in diesem Kommentarabschnitt. 553 Zur Bedeutung und Stellung einer »enzyklopädischen« Einleitung s. auch Falduto, A. (2014), The Faculties of the Human Mind, 178–182. 552
270
Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
solche Einleitung aber nur das Endstück oder den Schluß der Lehre bilden dürfte, würde sie womöglich in der »Methodenlehre« zu suchen sein. Die Funktion des »Anhangs« zur KU wäre es dann, zu untersuchen, welche Stelle die Dritte Kritik im Verhältnis zu den beiden übrigen einnähme. Dabei müsste ihre Mittelposition herauskommen. Eine solche Untersuchung ist aber am Text des »Anhangs« nicht nachzuweisen. Gleichwohl ist kaum zu bestreiten, dass es sich bei den beiden »Lehren«, mit denen die KU »durch gemeinschaftliche Principien« zusammenhinge – nämlich durch Prinzipien der Möglichkeit von Erkenntnis a priori – um die KrV und die KpV handelt. Der Grundsatz aber, der ausschlaggebend dafür ist, einer Lehre ihre ganz bestimmte Stelle in einem Verbund von Lehren zuzuweisen, wäre im Falle der KU das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur (vgl. EE XI, 5. Abs.) (20:242.33–243.6). In den beiden folgenden Absätzen werden die zwei Einleitungsarten je für sich noch etwas genauer betrachtet, und zwar die propädeutische Einleitung im zweiten Absatz, die enzyklopädische im dritten Absatz. Die »propädevtischen Einleitungen« sind für Kant »die gewöhnlichen«. Wie ihr Name sagt, dienen sie der Vorbereitung auf eine Lehre, die erst noch verfaßt werden soll. Dazu greifen sie auf die »nöthige Vorerkenntniß aus andern schon vorhandenen Lehren oder Wissenschaften« zurück (2. Abs.) (20:241.31–34). Um welche Art von »Vorerkenntniß« es sich dabei zu handeln hat, kann vorab und generell nicht bestimmt werden. Sie lässt sich erst in Relation zu der jeweils noch vorzutragenden Lehre angeben. Solche ›Vorerkenntnisse‘ können vielfältiger Art sein. Sie können aus eigenen, schon angefertigten Büchern stammen oder in historisch-systematischer Ordnung aus traditionellen metaphysischen Lehrmeinungen extrahiert werden554 oder auch Wissenschaften entlehnt sein, zu denen, weil sie eine lange Geschichte haben (wie Logik, Mathematik, Medizin), eine Abgrenzung der Philosophie notwendig erscheint. So beschreibt Kant im Architektonik-Kapitel der KrV die Genese einer Wissenschaft als eines Systems bzw. einer »Architektonik alles menschlichen Wissens« als die Errichtung eines Gebäudes, dessen »Bauzeug« »aus Ruinen eingefallener alter Gebäude genommen werden kann« (KrV, B 862 f. / A 834 f.). Eine propädeutische Einleitung könnte in diesem Sinne eine Materialsammlung von Erkenntnissen
Zu der historischen Entwicklung der Metaphysik in drei Stadien bis zur Kritik der reinen Vernunft vgl. Kant, Fortschritte, 20:261–264, 20:281–296, 20:300 f.; KrV, B 860 ff. / A 832 ff; vgl. auch Kommentar zu E I (Systembegriff), S. 367–372. Mit der Vollendung der KrV ergibt sich ein Ausblick auf die noch auszuführende Metaphysik als eines Systems: »Die Metaphysik ist hiebey selbst nur die Idee einer Wissenschaft, als Systems, welches nach Vollendung der Kritik der reinen Vernunft aufgebaut werden kann und soll, wozu nunmehr der Bauzeug, zusammt der Verzeichnung vorhanden ist […]« (20:310; vgl. KrV, B 862 f. / A 834 f.). An der Vollendung eines solchen Bauwerkes wirken verschiedene »Künstler« mit, indem sie ihre jeweiligen Versuche und Urteile einbringen (ebd.). 554
XI. Abschnitt: Enzyklopädische Introduktion
271
enthalten, die die Ausführung der Idee einer Wissenschaft als Systems vorbereiten und begünstigen. Das Verhältnis einer solchen neuen Lehre, in die eingeleitet werden soll, zu den bereits vorhandenen ist jedoch nicht klar bestimmt. Auf der einen Seite scheint zwischen ihnen kein systematischer Zusammenhang bestehen zu können, weil die propädeutische Einleitung im Unterschied zur enzyklopädischen nicht »die Idee eines Systems« voraussetzt (vgl. 3. Abs.). Auf der anderen Seite besteht zwischen der neuen Lehre und den »schon vorhandenen« eine gewisse Verwandtschaft (vgl. 3. Abs.), die wohl inhaltlicher Natur sein muß.555 Die nötige »Vorerkenntniß«, die von einer propädeutischen Einleitung erwartet wird, soll »den Übergang« ermöglichen (2. Abs.) (20:241.34). Vom Übergehen kann in diesem Kontext sinnvoll nur die Rede sein in Bezug auf den »Übergang« der »Vorerkenntniß« bzw. einer bereits etablierten zu einer neuen Wissenschaft. Der zweite Satz des zweiten Absatzes (»Wenn man sie darauf richtet … zu hoffen ist.«) (20:241.34–242.6) formuliert präziser die Funktionsbestimmung propädeutischer Einleitungen und die daraus erwachsenden Folgen. Man kann einer propädeutischen Einleitung den Zweck beilegen, die eigentümlichen Prinzipien derjenigen Lehre, in die sie einleitet, von den Prinzipien einer anderen Lehre zu unterscheiden. Auf diese Weise kann eine »Grenzbestimmung der Wissenschaften« vorgenommen werden, die für die »Gründlichkeit« in der (philosophischen) Erkenntnis unentbehrlich sei.556 Propädeutische Einleitungen haben also hauptsächlich die Funktion, ein wissenschaftliches Methodenproblem auszuräumen, indem sie verhindern sollen, dass fremde Prinzipien Zugang zu einer besonderen Wissenschaft erlangen und darin zu falschen oder unsicheren Resultaten führen.557 Eine »Grenzbestimmung« wird aber nicht nur darin bestehen, dass verschiedene Wissenschaften in bestimmter Hinsicht voneinander geschieden werden müssen, sondern auch darin, dass es in einer anderen bestimmten Hinsicht eine zweckgebundene Übereinkunft geben kann. So hat Kant beispielsweise aus verschiedenen Anlässen eine arbeitsteilige Koalition zwischen Medizin und Philosophie in Anregung gebracht oder umgekehrt Angebote solcher Art entgegengenommen.558 Vgl. KrV, B 861 f. / A 833 f. S. beispielsweise Kants Abgrenzung der Philosophie von der Logik, KrV, Vorrede, B VIII–IX. Vgl. auch KrV, B 870! 557 Zur Bedeutung der Unterscheidung von Prinzipien als Kriterium für Wissenschaftlichkeit vgl. MAN, 4:472–473 (vgl. Mertens, H. (1975), Kommentar, 187). 558 S. Kants Brief an Samuel Thomas Soemmerring (1755–1830) vom 10.8.1795 (12:30–35 (Nr. 671)); vgl. Euler, W. (2002), Die Suche nach dem »Seelenorgan«, 457–460, 464–467; s. Brief von Christoph Wilhelm Hufeland (1762–1836) an Kant vom 12.12.1796 (12:137 (Nr. 728)); s. Brief von Kant an Hufeland, nach 15.3.1797 (12:148 (Nr. 740)); s. Brief von Kant an Hufeland, 19.4.1797 (12:157 f. (Nr. 746)); s. Brief von Kant an Hufeland, 6.2.1798 (12:232 (Nr. 796)); s. Kant, De Medicina Corporis, quae Philosophorum est (15.2: 939–953); vgl. Brandt, R. (1999), Über die Heilung des Körpers, 354–366. 555
556
272
Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Im Unterschied zu einer propädeutischen Einleitung setzt eine enzyklopädische »die Idee eines Systems« voraus, das sie mit ihrer Lehre erst vervollständigen soll (3. Abs.). Sie muss insofern den abschließenden Teil eines Systems bilden. Das würde aber bedeuten, dass nur bestimmte ausgewiesene Teile einer enzyklopädischen Introduktion fähig sind.559 Den an die zuletzt vorgetragene Bestimmung einer enzyklopädischen Introduktion anschließenden Rest des dritten Absatzes (20:242.10–17) möchte ich der Vereinfachung wegen wieder in Form einer Satzgrafik zitieren: [1] Da nun ein solches [System] [1.1] nicht durch Aufraffen und Zusammenlesen des Mannigfaltigen, [1.1a] welches man auf dem Wege der Nachforschung gefunden hat, / [1.2] sondern nur [1.2a] alsdann, wenn man die subjectiven oder objectiven Quellen einer gewissen Art von Erkenntnissen vollständig anzugeben im Stande ist, [1.3] durch den formalen Begrif eines Ganzen,
}
[1.3a] der zugleich das Princip einer vollständigen Eintheilung a priori in sich enthält, / [1.4] möglich ist, [2] so kann man leicht begreifen, [2.1] woher encyklopädische Einleitungen, [2.1a] so nützlich sie auch wären,} [2.2] doch so wenig gewöhnlich sind. Satzgrafik Nr. 6
Ein solches System von Erkenntnissen kann nicht »durch Aufraffen und Zusammenlesen des Mannigfaltigen, welches man auf dem Wege der Nachforschung gefunden hat« ([1.1]– [1.1a]), geschaffen werden. Denn dies wäre ja – wie an früherer Stelle gezeigt worden ist – die mechanische Vorgehensweise, die der Zusammensetzung empirisch vorgefundener Einzelstücke zu dem Zufallsprodukt eines Aggregats entspräche.560 Was ein System von Erkenntnissen vielmehr voraussetzt, ist zum einen die vollständige Kenntnis der »subjectiven oder objectiven Quellen« derselben 559 560
Vgl. H. Mertens (1975), Kommentar, 187–190. S. auch den Kommentar zu EE XII, 1. Abs., S. 323.
XI. Abschnitt: Enzyklopädische Introduktion
273
([1.2a]); zum anderen der formale Begriff »eines Ganzen, der zugleich das Princip einer vollständigen Eintheilung a priori in sich enthält« ([1.3]–[1.3a]). Die »Art von Erkenntnissen«, die zu einem System geformt werden sollen, kann ganz unterschiedlich sein. Es kann sich z. B. um empirische Naturerkenntnisse handeln, von denen wir gesehen haben, dass sie durch die KU auf eine systematische Einheit gebracht werden sollen; oder auch um Verstandes- oder Vernunfterkenntnisse. Die »subjectiven oder objectiven Quellen«, die man dazu kennen muß, sind auf der einen Seite die am Zustandekommen von Erkenntnis beteiligten Gemütsvermögen und deren Begriffe bzw. Anschauungsformen (im Falle des Schönen und des Erhabenen) und – so müßte entgegen Kants eigenem Wortlaut im 5. Abs. präzisiert werden – deren jeweilige Funktionen, auf der anderen Seite die empirische Beschaffenheit von Gegenständen, sofern sich die einzelnen Vermögen in unterschiedlicher Weise darauf beziehen. Durch die Verschiedenartigkeit der Beziehung der Erkenntnisvermögen auf sinnliche Vorstellungen gibt es – wie insbesondere zwischen der ästhetischen und der teleologischen Beurteilung – Abstufungen (Relativierungen) im Hinblick auf die Subjektivität bzw. Objektivität der Erkenntnisquellen. Wenn wir nun nach der Bedeutung des »formalen Begriff[s] eines Ganzen« ([1.3]) fragen, der zugleich das Einteilungsprinzip enthalten soll, so kann die Antwort nicht so leicht gegeben werden. Wir erinnern uns daran, dass der Kommentar zum Systemaspekt im ersten Abschnitt der EE (bzw. der E) auf den architektonischen Systembegriff im Methoden-Kapitel der KrV zurückverwies. Dort war es die Idee von der Einheit eines unbestimmten, mit der Ausführung des Systems erst konkret werdenden Zwecks, der das Prinzip der Organisation und Einteilung eines Ganzen ausmachte.561 Im Sinne einer solchen Unbestimmtheit ist auch hier im dritten Absatz des elften Abschnittes der EE der Begriff eines Ganzen bloß ein formaler, dessen inhaltliche Ausdeutung sich nach konkreten Systemerfordernissen richten muss, deren Notwendigkeit sich aber erst bei der Ausführung eines Systems ergibt. So wird sich im fünften Absatz noch zeigen, dass in Bezug auf die Einführung der Urteilskraft in das »System der reinen Erkenntnisvermögen durch Begriffe« der Begriff des zu organisierenden Ganzen der einer »Zweckmäßigkeit der Natur« ist. Inwiefern kann aber ein solcher Begriff eines Ganzen, der aufgrund seiner formalen Beschaffenheit weitgehend indifferent und nicht konkret ist, »zugleich das Princip einer vollständigen Eintheilung a priori in sich« enthalten ([1.3a])? Ausschlaggebend für das Verstehen dieser Wendung ist die Feststellung, dass der gebrauchte Begriff eines Ganzen ein Vernunftbegriff ist, und zwar ein solcher, der einen Zweck beinhaltet.562 Die Idee dient hierbei nicht bloß der Regulierung des Zusammenhangs von Teilen, sondern bringt quasi die Teile (das Mannigfaltige), deren Formeinheit sie ist, in ihrer spezifischen Verschiedenheit hervor,563 so dass ein jedes Glied, indem es auf den übergeordneten Zweck ausgerichtet ist, notwendig seine 561 562 563
Vgl. KrV, B 860 ff. / A 832 ff; vgl. Kommentar, S. 27 f. Vgl. KrV, B 860 / A 832. Vgl. KrV, B 864 / A 836.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
bestimmte Stelle im Verhältnis zum Ganzen und im Verhältnis zu den übrigen Gliedern erhält. Die Vollständigkeit einer solchen Einteilung ist dadurch gewährleistet, dass die einzelnen Teile nicht einfach empirisch aufgesammelt und anschließend erst zu einem Ganzen verwoben werden, sondern dass die Zweckeinheit, als das zu bildende Ganze a priori, noch vor der empirischen Suche vorausgesetzt wird, aus der die einzelnen Glieder der Einteilung dann gefolgert werden können. Eine solche Systemidee wird also von einer enzyklopädischen Einleitung vorausgesetzt. Aus diesem Grunde aber – so schließt der dritte Absatz – könne man leicht begreifen, »woher encyklopädische Einleitungen, so nützlich sie auch wären, doch so wenig gewöhnlich sind.« ([2.1], [2.1a], 2.2]) Es ist nämlich sehr viel schwieriger, von der abstrakten, unbestimmten »Idee eines Systems« den Anfang zu nehmen und dadurch eine neue Wissenschaft zu kreieren und zu begründen, als – wie »gewöhnlich« – von bereits vorhandenem Wissen auszugehen, um auf eine neue Lehre vorzubereiten. Die allgemeinen Bemerkungen zur Unterscheidung zwischen propädeutischer und enzyklopädischer Einleitung haben das vorbereitet, was in den folgenden drei Absätzen (4 bis 6) im Besonderen unternommen werden soll: die enzyklopädische Introduktion der (reflektierenden) Urteilskraft in das System der »Critik aller a priori bestimmbaren Vermögen des Gemüths« (20:242.29 f.). Diese Aufgabe wird im vierten Absatz angekündigt und erläutert. Die anvisierte Einführung erstreckt sich aber eigentlich auf den gesamten elften Abschnitt.564 Wo liegen für Kant die Gründe, sich an dieser Stelle für eine solche Einleitung zu entschließen? Der erste Grund betrifft die Besonderheit des Urteilsvermögens, die es zur Aufgabe macht, ein ihr eigentümliches Prinzip aufzusuchen und zu erörtern. Die Besonderheit liegt – wie wiederholt in diesem Kommentar hervorgehoben worden ist – darin, dass sie keine bestimmte Erkenntnis hervorbringen und somit auch keinen Platz in der »Transcendentalphilosophie« finden kann. Der Begriff der »Transcendentalphilosophie« wird von Kant nicht immer in einem einheitlichen Sinne verwendet. In der KrV (B 27) bezeichnet die Transzendentalphilosophie »die Idee einer Wissenschaft, wozu die Kritik der reinen Vernunft den ganzen Plan architektonisch, d. i. aus Prinzipien, entwerfen soll […]. Sie ist das System aller Prinzipien der reinen Vernunft.« Sie fällt also nicht mit der ersten W. Bartuschat bezieht Kants Merkmalsbestimmung einer »encyclopädischen Introduction« auf die beiden Einleitungen in die KU insgesamt und meint damit ein schlüssiges Argument für seine These gefunden zu haben, »daß die Einleitungen zur K.d.U., obschon gerade in ihnen auf einen systematischen Zusammenhang reflektiert wird, den Sinn des systematischen Ortes der dritten Kritik nicht hinreichend klären können […]« (Bartuschat, W. (1972), Der systematische Ort, 13). Dagegen spricht aber nicht nur die Tatsache, dass die Begrifflichkeit in der Einleitung nicht mehr vorkommt, sondern vor allem Kants Ankündigung in EE XI, 4. Abs., »eine kurze encyclopädische Introduction« der Prinzipien der Urteilskraft »bloß in die Critik aller a priori bestimmbaren Vermögen des Gemüths […] voranzuschicken […]« (EE XI, 4. Abs.) (20:242.27–30). Vgl. dazu auch die Stellungnahme von Mertens, H. (1975), Kommentar, 188, Fn. 2. 564
XI. Abschnitt: Enzyklopädische Introduktion
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»Kritik« zusammen, sondern behält sich »eine ausführliche Analyse der ganzen menschlichen Erkenntnis a priori« noch vor (B 27). Obwohl nun die Urteilskraft selbst über ein eigenes Prinzip a priori verfügt, bringt sie keinen Eigenanteil an der Transzendentalphilosophie aus sich hervor, die nach der Lesart im vierten Absatz von EE XI als »objective[] Lehre« zu verstehen wäre. Dieser Gedanke begegnet uns in den beiden Einleitungen nicht zum ersten Mal. Es ist nichts anderes hier gemeint als die spezifische Vermittlungsposition der Urteilskraft zwischen theoretischer und praktischer Philosophie als dem Gebiet des Natur- und dem des Freiheitsbegriffs aus der Einleitung.565 Die reflektierende Urteilskraft hat – in der Terminologie der von Kant veröffentlichten Version – kein »Gebiet«. In sachlicher Entsprechung heißt es hier im vierten Absatz des elften Abschnittes, sie sei »keiner Doctrin, sondern blos einer Critik fähig«. Ihre eigentliche Funktion sei es, das Bindeglied zwischen den beiden anderen oberen Erkenntnisvermögen – dem Verstand und der Vernunft – zu sein. Diese Gründe zusammengenommen rechtfertigen es nach Kant, bei der Bestimmung der Prinzipien a priori der Urteilskraft »von der sonst überall nothwendigen Ordnung abzugehen« (20:242.26 f.) und damit den unbekannten Weg einer enzyklopädischen Einleitung einzuschlagen. Die ›notwendige Ordnung‹ kann nur die gewöhnliche Propädeutik sein, die dann zur Anwendung kommt, wenn in eine »Doctrin« ein- oder übergeleitet wird. Die »kurze encyclopädische Introduction«, die nun unmittelbar angekündigt wird, will aber nicht in »das System der Wissenschaften der reinen Vernunft« – also nicht in die Metaphysik – einführen, sondern bloß in die »Critik«, und zwar »aller a priori bestimmbaren Vermögen des Gemüths«. Es ist also die Frage, wie die reflektierende Urteilskraft durch ihr eigentümliches Prinzip eine Architektonik derjenigen »a priori bestimmbaren« Gemütsvermögen begründen kann, die geeignet sind, sich in ein System bringen zu lassen. Damit wird sich die enzyklopädische »Introduction der Urtheilskraft in das System der reinen Erkenntnisvermögen durch Begriffe« (5. Abs.) (20:242.33 f.) befassen. Da eine solche Einleitung hier in der EE gegeben werden soll, geht sie der eigentlichen Abhandlung, die die ganze »Lehre« enthält, vorher. Und das berechtigt Kant dazu, »auf solche Art die propädevtische Einleitung mit der encyclopädischen zu vereinigen« (Ende 4. Abs.) (20:242.31–32). Daraus erhellt, dass die kurze Einleitung innerhalb der EE (nämlich in Abschnitt XI) zweierlei Funktionen erfüllen muss: Einerseits soll sie den Schlusspunkt im System der Erkenntnisvermögen setzen und diese nach dem Prinzip der reflektierenden Urteilskraft, nämlich dem der Zweckmäßigkeit der Natur in seiner Besonderheit als Gesetz der Spezifikation, welches in der enzyklopädischen Introduktion bereitgestellt wird, einteilen. Andererseits soll sie auf die KU inhaltlich vorbereiten und nicht – wie sie als enzyklopädische Introduktion eigentlich sollte – »den Schluß« der Lehre ausmachen (vgl. 1. Abs. und 9. Abs.).
565
Vgl. E III, 3.–5. Abs.; s. Kommentar, S. 424 ff.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Fünfter bis siebter Absatz: »Introduction der Urtheilskraft in das System der reinen Erkenntnisvermögen« Der notwendige und zugleich hinreichende Grund für die Introduktion der Urteilskraft ist die Entdeckung und Erklärung des ihr eigentümlichen Prinzips a priori. Dessen inhaltliche Bestimmung gibt Kant mit den Worten an, »daß die Natur in der Specification der transcendentalen Verstandesgesetze (Principien ihrer Möglichkeit als Natur überhaupt), d. i. in der Mannigfaltigkeit ihrer empirischen Gesetze, nach der Idee eines Systems der Eintheilung derselben zum Behuf der Möglichkeit der Erfahrung als empirischen Systems verfahre« (5. Abs.) (20:242.35–243.3). Wir kennen das Prinzip der Spezifikation aus der Kommentierung der Einleitungsabschnitte EE V (8. bis 10. Abs.) und E V (7. Abs.).566 Es besagt, dass die Natur, indem sie die »transcendentalen Verstandesgesetze« (d. h. die Grundsätze des reinen Verstandes und nicht etwa verallgemeinerte empirische Naturgesetze) zu empirischen Gesetzen spezifiziert, nach derselben Idee verfährt, die eine systematische Einteilung der mannigfaltigen empirischen Gesetze und damit Erfahrung, als eines »empirischen Systems«, ermöglicht (EE XI, 5. Abs.). Dass nun – wie Kant behauptet – genau dieses Prinzip den Grund für die Introduktion der Urteilskraft in das »System der reinen Erkenntnisvermögen« enthält, lässt sich daraus erklären, dass die Funktion der Urteilskraft ja gerade darin besteht, die beiden anderen »oberen« Erkenntnisvermögen kraft ihres Prinzips zusammenzuschließen. Jenes System kommt also wesentlich durch die Vermittlung des eigentümlichen Prinzips der Urteilskraft zustande. Dabei wird zunächst offen gelassen, ob es sich um ein Prinzip der ästhetischen oder der teleologischen Urteilskraft oder sogar beider handeln muss. Es wird sich aber sogleich zeigen, dass hier eigentlich nur das erstere gemeint sein soll. Dabei wird allerdings nicht verständlich, wie die Spezifikation zu einem (logischen) Ordnungssystem von der ästhetischen Urteilskraft überhaupt geleistet werden könnte, da ihr doch weder vom Verstand noch von der Vernunft objektiv bestimmte Begriffe oder Regeln vorgegeben werden dürfen, weil dieses nämlich gerade ihre wesentliche Funktion zerstören würde. Kant behauptet nun, das Spezifikationsprinzip (»Dieses«) stelle »zuerst« und »a priori« den Begriff einer, und zwar – wie gleich ersichtlich wird – subjektiven »Zweckmäßigkeit der Natur«, welche eine objektiv zufällige, subjektiv aber notwendige Gesetzmäßigkeit sei. Dieser Zusammenhang wird nur verständlich, wenn wir uns daran erinnern, dass das Prinzip der Spezifikation (bzw. auch der mentale Akt des Spezifizierens allgemeiner Naturgesetze) von vornherein und notwendig mit dem Gesichtspunkt der Naturzweckmäßigkeit verbunden ist.567 Objektiv zufällig ist die Gesetzmäßigkeit, insofern die Urteilskraft als reflektierende an den Naturformen, die sie Begriffen (des Verstandes) subordiniert, nichts bestimmt; subjektiv notwendig, weil sie überhaupt Gesetzescharakter hat und aus der Gesetzgebung der 566 567
S. Kommentar, S. 130–144 und S. 485–498. Vgl. Kommentar, S. 146.
XI. Abschnitt: Enzyklopädische Introduktion
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Urteilskraft (als eines subjektiven Erkenntnisvermögens) resultiert (vgl. auch E IV, 2. Abs.) (5:179.31–180.17). Wenn an den »besondern Naturformen« durch das Prinzip der Naturzweckmäßigkeit nichts bestimmt wird, dann heißt das, dass deren Zweckmäßigkeit »jederzeit empirisch gegeben werden muß« (20:243.8–9). Dafür wäre die Anschauung bzw. die Wahrnehmung zuständig.568 Gleichwohl soll »das Urtheil über diese Formen einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit und Nothwendigkeit« erwerben (20:243.9 f.). Dieser Anspruch entsteht aufgrund der »Beziehung der subjectiven Zweckmäßigkeit der gegebenen Vorstellung für die Urtheilskraft auf jenes Princip der Urtheilskraft a priori von der Zweckmäßigkeit der Natur in ihrer empirischen Gesetzmäßigkeit überhaupt« (5. Abs.) (20:243.11–14). Was genau wird hier eigentlich aufeinander bezogen? Da eine Seite der Bezogenen die »subjective Zweckmäßigkeit« enthält, liegt es nahe, die Aussage auf das Verhältnis in einem ästhetischen Urteil zu beziehen. Die eine Seite in der ästhetischen Urteilsbeziehung ist die der in der objektiven Natur wahrnehmbaren besonderen Formen (resp. »der gegebenen Vorstellung«), die deshalb subjektiv zweckmäßig sind, weil sie es bloß »für die Urtheilskraft« – d. h. »blos in Beziehung auf die subjectiven Bedingungen der Urtheilskraft« (EE XI, 4. Abs.) (20:233.31 f.) – sind und damit auch ohne Gegenstandsbegriff auskommen. Darin ist der Gedanke aus der Einleitung enthalten, dass die Natur ihre allgemeinen Gesetze nach dem Prinzip der Zweckmäßigkeit spezifiziere, um unserem Erkenntnisvermögen angemessen zu sein.569 Die andere Seite (»jenes Princip der Urtheilskraft a priori usw.«) ist eben der aus dem Spezifikationsprinzip unmittelbar folgende Begriff einer Zweckmäßigkeit der Natur als einer subjektiv notwendigen Gesetzmäßigkeit (EE IX, 5. Abs.). Auch die Zweckmäßigkeit, die dieses Prinzip enthält, ist subjektiv, jedoch in gesteigerter Form, insofern sie von der reflektierenden Urteilskraft in ihrer Selbstgesetzgebung abstammt. Sie bezieht sich aber auf die Natur »in ihrer empirischen Gesetzmäßigkeit überhaupt«. Es liegt also eigentlich an den Implikationen dieses eigentümlichen Prinzips der Urteilskraft, dass das auf subjektiver Zweckmäßigkeit beruhende (ästhetische) Urteil über besondere (zweckmäßige) Formen der Natur Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit beansprucht. Das letzte Satzglied dieses Absatzes (»und so wird ein ästhetisches reflectirendes Urtheil auf einem Princip a priori beruhend angesehen werden können …«) (20:243.14–17) spricht ein erstes Zwischenergebnis des Unterfangens einer »Introduction« der Urteilskraft in das System der »oberen« Erkenntnisvermögen aus. Nun erweist es sich auch, dass im ganzen fünften Absatz, wie vermutet, nur das ästhetische Urteil in den Blick genommen wird und dass auch die »Introduction« allein dieses zum Gegenstand haben kann. Weil nämlich das ästhetische Reflexionsurteil auf einem Prinzip a priori beruht, das der Urteilskraft eigen ist, kann diese überhaupt nur berechtigten 568 569
Vgl. E V, 7. Abs., bzw. EE VII, 2.–5. Abs. Vgl. E V, 7. Abs.; s. EE V, 9. Abs.
278
Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Anspruch erheben, als ein Glied in das System der Kritik der »oberen« reinen Erkenntnisvermögen aufgenommen zu werden. Denn »rein« ist ein solches Vermögen eben deshalb, weil es nach einem eigenen Prinzip gesetzgebend ist. Dass das ästhetische Urteil auf einem Prinzip a priori beruht, ist im vorhergehenden zehnten Abschnitt der EE nachgewiesen worden.570 Nur die dort gezogene Schlussfolgerung, dass alle Reflexionsurteile (ästhetische ebenso wie teleologische) unter eigentümlichen Prinzipien a priori der Urteilskraft stehen, wird zu relativieren bzw. zu präzisieren sein. Eine Satzgrafik zu dem extensiv verzweigten Satz am Anfang (20:243.18–35) kann helfen, das Verständnis des sechsten Absatzes zu erleichtern(siehe Satzgrafik 7): Der Hauptgedanke liegt in der nochmaligen Verstärkung der ohnehin überwiegenden konzeptionellen Bedeutung des ästhetischen gegenüber dem teleologischen Reflexionsurteil in der KU. Das ästhetische Urteil soll nämlich als einziges (»ganz allein«) »seinen Bestimmungsgrund« in der Urteilskraft haben ([4.2.1]). M.a.W. für das teleologische Urteil wird eine solche Verankerung ausgeschlossen, denn es gibt nur diese »zwei Arten des Gebrauchs der reflektirenden Urtheilskraft« ([4.1]). Diese Priorität der ästhetischen Urteilskraft aufgrund ihres Prinzips der formalen Zweckmäßigkeit macht sie in E VIII, 3. Abs., zum wesentlichen Teil der KU.571 In EE XI, 6. Abs., ist der Grund für jene privilegierte Stellung des ästhetischen Urteils darin zu sehen, dass es »vor allem Begriffe vom Objecte vorhergeht« ([4.2]) und dass deswegen nicht noch ein anderes Erkenntnisvermögen neben der Urteilskraft gleichrangig an der Begründung des ästhetischen Urteils beteiligt werden muss. Dass das ästhetische Urteil vor jedem Objektbegriff »vorhergeht«, ist für uns keine neue Erkenntnis. Es wird im Zusammenhang der Theorie des ästhetischen Urteils aus dem Einleitungsabschnitt VII (4.–5. Abs.) noch ausführlich kommentiert werden.572 Dass es aber als einziges seinen Bestimmungsgrund bloß in der Urteilskraft habe, soll »zu ersehen« sein aus dem, was in dem einleitenden kausalen Nebensatz vom »Begrif einer Zweckmäßigkeit der Natur« alles gesagt wird ([1] bis [3]). Zunächst wird dieser Begriff näher bezeichnet als »technische Zweckmäßigkeit« ([1a]). Diese ist nichts anderes als die in den zurückliegenden Kommentarteilen ausführlich erläuterte »Technik der Natur«,573 d. h. die der Natur in Analogie zur Kunst von der Urteilskraft beigelegte Zweckmäßigkeit. Sie wird an der betreffenden Stelle von der praktischen Zweckmäßigkeit abgegrenzt ([1a]), die – wie wir sahen – auf der Gesetzgebung der moralisch-praktischen Vernunft beruht. Während diese letztere in die praktische Philosophie gehört und dort zu bestimmten Begriffen führt, ist die technische Zweckmäßigkeit an die theoretische Philosophie gebunden, in der sie aber zu keiner bestimmten (objektiven) Erkenntnis gelangen kann. Das ist der ›wesentliche‹ Unterschied zwischen den beiden zitierten Begriffen von »Zweckmäßigkeit«. 570 571 572 573
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
Kommentar, S. 252–255. Kommentar zu E VIII, S. 541. Kommentar zu E VII, S. 521–528. Kommentar, S. 78 ff., 161 ff.
XI. Abschnitt: Enzyklopädische Introduktion
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[1] Da aber der Begrif einer Zweckmäßigkeit der Natur [1a] (als einer technischen Zweckmäßigkeit, die von der practischen wesentlich unterschieden ist), / {[1b] wenn er nicht bloße Erschleichung dessen, {[1b1] was wir aus ihr machen, {[1b2] für das, was sie ist, [1c] sein soll, / [2] ein von aller dogmatischen Philosophie {[2a] (der theoretischen so wohl, als der practischen) [3] abgesonderter Begrif ist, [3.1] der sich lediglich auf jenem Princip der Urtheilskraft gründet [3.1a] das vor den empirischen Gesetzen vorhergeht und ihre Zusammenstimmung zur Einheit eines Systems derselben allererst möglich macht, / [4] so ist daraus zu ersehen, [4.1] daß von den zwei Arten des Gebrauchs der reflektirenden Urtheilskraft (der ästhetischen und teleologischen) [4.2] dasjenige Urtheil, welches vor allem Begriffe vom Objecte vorhergeht, {[4.2a] mithin das ästhetische reflectirende Urtheil, [4.2.1] ganz allein seinen Bestimmungsgrund in der Urtheilskraft, {[4.2.1a] unvermengt mit einem andern Erkenntnißvermögen [4.2.2] habe, / dagegen} [4.3] das teleologische Urtheil über den Begrif eines Naturzwecks, [4.3a] ob er gleich in dem Urtheile selbst nur als Princip der reflectirenden, nicht der bestimmenden Urtheilskraft, gebraucht wird, [4.4] doch nicht anders als durch Verbindung der Vernunft mit empirischen Begriffen gefället werden kann.
}
Satzgrafik Nr. 7
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Von dem Begriff der (technischen) Zweckmäßigkeit wird sodann gesagt, dass er von der »dogmatischen« Philosophie ›abgesondert‹ sei ([2] bis [3]); d. h. – wie gerade beschrieben – dieser Begriff wird zwar in der theoretischen Philosophie angewendet, aber er dient weder in dieser noch in der praktischen Philosophie, in welche er auch gar nicht gehört, zur Gewinnung objektiver Erkenntnis. Wenn an dieser Stelle von »aller dogmatischen Philosophie« die Rede ist ([2]), so ist das in einem positiven Sinne gemeint. Dogmatische Philosophie ist ein anderer Titel für das, was in EE I (3. Abs.) das »reale System der Philosophie« oder sonst auch kurz das ›Doktrinale‹, die »Doktrin« genannt wurde574 und von dem gezeigt worden ist, dass es durch die beiden Teile der theoretischen und der praktischen Philosophie vollständig ist. Im negativen Sinne bezeichnet das Wort »Dogmatismus« für Kant ein Verfahren, das sich anmaßt, »mit einer reinen Erkenntnis aus Begriffen (der philosophischen)« nach Vernunftprinzipien »ohne Erkundigung der Art und des Rechts, womit sie dazu gelangt ist«, d. h. »ohne vorangehende Kritik ihres eigenen Vermögens« Fortschritte zu machen.575 Im Gegensatz dazu ist die dogmatische Philosophie im positiven Sinne diejenige »Metaphysik als Wissenschaft«, welche, da sie auf eine ihr vorangehende Vernunftkritik aufbaut, »notwendig dogmatisch und nach der strengsten Forderung systematisch« ist.576 Eine solche philosophische Wissenschaft, die »jederzeit dogmatisch« sein muß, ist dadurch ausgewiesen, dass sie »aus sicheren Prinzipien a priori strenge beweisend« ist.577 In einer so begründeten Philosophie soll der Begriff der technischen Zweckmäßigkeit also keine erkenntniskonstitutive Funktion haben. Dennoch hat dieser Begriff ein Fundament, denn er »gründet« sich auf dasjenige Prinzip der Urteilskraft, von dem bereits erwiesen worden ist, dass es »vor den empirischen Gesetzen vorhergeht und ihre Zusammenstimmung zur Einheit eines Systems derselben allererst möglich macht« ([3.1a]). Damit ist nun das im fünften Absatz in Erinnerung gebrachte und im Kommentar dazu nochmals erläuterte Prinzip der Spezifikation gemeint, das der Urteilskraft eigentümlich ist und auf dem ihre »Introduction« in das »System der reinen Erkenntnisvermögen« beruhen soll. Von eben diesem Prinzip war ja im fünften Absatz gesagt worden, dass es den Begriff einer Zweckmäßigkeit der Natur »an die Hand« gebe, dass es in die »Mannigfaltigkeit« der empirischen Gesetze der Natur »nach der Idee eines Systems der Eintheilung« Ordnung und Zusammenhang bringe, und
574 Vgl. KU, Vorrede, 8. Abs. (5:170.20 ff.); vgl EE XI, 4. und 14. Abs. (20:242.24 ff. und 20:246.26 ff.). 575 KrV, Vorrede, B XXXV. Da diese Form von dogmatischer Philosophie nicht von der Notwendigkeit einer vorauszuschickenden Kritik ausgeht und insofern auch nicht nach dem »Rechtsgrund« ihrer Sätze fragt, scheint sie methodologisch keiner Deduktion bedürftig zu sein (zum Begriff der Deduktion vgl. Kommentar zu EE XII, S. 359). 576 KrV, Vorrede, B XXXVI. 577 KrV, Vorrede, B XXXV.
XI. Abschnitt: Enzyklopädische Introduktion
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dass es damit schließlich ein empirisches System der Erfahrung ermögliche (vgl. 5. Abs.) (20:243.1–6). Insofern also dieses Prinzip eine Bedingung a priori für ein System der Erfahrung als empirischer Erkenntnis ist, kann Kant auch im sechsten Absatz sagen, dass es den empirischen Gesetzen vorhergehe. Die technische Zweckmäßigkeit, die keine erkenntniskonstitutive Funktion hat, sich aber auf das Spezifikationsprinzip der reflektierenden Urteilskraft gründet, das wiederum Ermöglichungsbedingung der systematischen Einheit der empirischen Gesetze der Natur ist (vgl. EE XI, 6. Abs.), begründet die Priorität des ästhetischen Urteils gegenüber dem teleologischen insofern, als sie das einzige Prinzip a priori der Urteilskraft ist, das »vor allem Begriffe vom Objecte vorhergeht« (EE XI, 6. Abs.) (20:243.28). Dazu tragen aber noch weitere Bedingungen bei: erstens, dass sich die Zweckmäßigkeit der Natur wesentlich von der praktischen unterscheidet; zweitens, dass sie nicht ›erschlichen‹ ist; drittens dass sie von der »dogmatischen Philosophie« abgetrennt ist (EE XI, 6. Abs.). Im bisherigen Kommentar zum ersten Satz des sechsten Absatzes wurden die Satzglieder [1b] bis [1c] übersprungen, weil sie nur einen Nebenaspekt zum Ausdruck bringen, der für die Begründung der ausgezeichneten Stellung (Vorrangigkeit) des ästhetischen Urteils keine wichtige Rolle spielten. In diesem Nebensatz wird eine Bedingung formuliert dafür, dass vom Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur behauptet werden kann, er sondere sich von der »dogmatischen Philosophie« ab. Der »Begrif einer Zweckmäßigkeit der Natur« könnte ja eine »Erschleichung« dessen bedeuten, »was wir aus ihr machen, für das, was sie ist«. »Sie« – d. i. die Natur; das, »was wir aus ihr machen« [(1.b.1)], ist »erschlichen« am »Begrif einer Zweckmäßigkeit der Natur« insofern, als an die Stelle der gemachten Natur (»für das«) dasjenige gesetzt wird, »was sie ist« [(1.b.2)]; oder anders ausgedrückt: Die Bedeutung des Begriffs »einer Zweckmäßigkeit der Natur« wird dadurch »erschlichen«, dass ihre bloß subjektive Gültigkeit für die Urteilskraft als objektiv gültig in der Natur selbst angesehen wird. Der »Erschleichung« liegt keine Absicht zugrunde, sondern eine unbeabsichtigte Verwechslung eines Sachverhaltes infolge eines Begründungs- oder Auslegungsfehlers (»vitium subreptionis«).578 Ein solcher Fehler liegt für Kant beispielsweise vor, wenn die Juristen ein Prinzip der Rechtsprechung, an das die Amtsführung eines Gerichtes gebunden ist, »auch objectiv für das, was an sich selbst recht ist«, halten.579 Der Erschleichungsfehler kommt aber vor allem in der KrV dort vor, wo von Vernunftschlüssen in apagogischen Beweisen Gebrauch gemacht wird, die auf einem »dialektischen Schein« beruhen, ebenso in der Antinomie der praktischen
Von (lat.) surreptio, onis (f): heimliche Wegnahme. Vgl. u. a. MS, Rechtslehre, § 36 (6:297.21). 579 Vgl. MS, Rechtslehre, § 36 (6:297.21–29); vgl. dazu auch Kants Kritik an der Naturrechtstradition in: Zum ewigen Frieden, Fn. zum sechsten Präliminarartikel (8:347 f.). 578
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Vernunft580 und schließlich auch in der Antinomie der teleologischen Urteilskraft (ohne apagogische Beweise) innerhalb der KU, indem die reflektierende Urteilskraft als bestimmende genommen wird.581 Dagegen ist für Kant die Mathematik von Subreptionen frei, und auch die Naturwissenschaft kann sich durch vergleichende Beobachtung davor schützen.582 Der Begriff der Zweckmäßigkeit für die Naturbetrachtung darf nicht so ausgelegt werden, dass er eine objektive Bestimmung der Natur bedeutet. M.a.W. aus dem, was sein soll, darf nicht etwas werden, das ist. Vielmehr hat jener Begriff eine Bedeutung nur im Verhältnis auf das Subjekt der Erkenntnis. Unter dieser notwendigen Voraussetzung ist der Begriff einer »Zweckmäßigkeit der Natur« »von aller dogmatischen Philosophie« abgesondert; d. h. er kann gar keinen Platz in der Metaphysik beanspruchen, weder in einer tradiert dogmatischen, noch in einer kritisch reformierten. Inwiefern wird aber aus ihm ersichtlich, dass ausschließlich das ästhetische Reflexionsurteil und nicht auch das teleologische Urteil »seinen Bestimmungsgrund« in der Urteilskraft hat? Alle aufgeführten Bedingungen des Begriffs einer Zweckmäßigkeit der Natur scheinen doch – nach allem, was wir bisher wissen – in gleicher Weise von der teleologischen Urteilskraft zu gelten. Nur ein einziges Kriterium kann es sein, das Kants Behauptung zu stützen vermag, und das besteht darin, dass sich der Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur bloß auf das subjektive Prinzip a priori der Spezifikation (und nicht noch auf einen anderweitigen Begriff) gründet, welches eben »vor den empirischen Gesetzen vorhergeht und ihre Zusammenstimmung zur Einheit eines Systems derselben allererst möglich macht« ([3.1a]). Auch dem teleologischen Urteil liegt der Begriff einer technischen Zweckmäßigkeit zugrunde. Und auch hier gilt, dass dieser Begriff von der theoretischen und der praktischen Philosophie als Erkenntnisgebieten ausgeschlossen bleibt, allerdings – wie im Kommentar zu E I, 6. Abs., noch dargelegt wird583 – mit der Einschränkung, dass der Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur im teleologischen Gebrauch der Urteilskraft in die Philosophie der Natur als deren Folge gehören soll. Anders aber als das ästhetische Urteil (»dagegen«) geht das teleologische nicht »vor allem Begriffe vom Objecte« vorher, im Gegenteil: In ihm werden gerade empirische Begriffe, die – wie weiter oben gezeigt584 – vom Verstand bereitgestellt werden, mit dem Vernunftbegriff eines »Naturzwecks« verbunden (s. [4.3] bis [4.4]). Zwar
Vgl. KpV, AA V, S. 116 f. Vgl. W. Euler (2002), Der Zweck ist der Begriff, 217, Fn. 84; vgl. KU, §§ 69, 70, 71 (2. Abs.), 74 (1.–2. Abs.). Auch der »Paralogismus« der reinen Vernunft stellt für Kant eine Variante der Subreption dar, vgl. KrV, A 339 ff., B 397–B 413, bes. B 411. Vgl. Aristoteles (1997), Organon I: Sophistische Widerlegungen (Topik, neuntes Buch), S. 433, 435, 457–463, 481–487. 582 Vgl. KrV, B 819 / A 791 bis B 821 / A 793. 583 Vgl. Kommentar zu E I, S. 394–396. 584 Vgl. Kommentar zu EE IX, S. 225–227. 580 581
XI. Abschnitt: Enzyklopädische Introduktion
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wird dadurch der Standpunkt der bloß reflektierenden Urteilskraft nicht verlassen – auch teleologische Urteile sind somit nicht erkenntniskonstitutiv –, aber solche Reflexionsurteile haben wegen ihrer Abhängigkeit von Begriffen der Vernunft ihren »Bestimmungsgrund« nicht bloß in der Urteilskraft, sondern vermengen sich »mit einem anderen Erkenntnisvermögen« (vgl. [4.2.1a]), eben mit dem der Vernunft. Aus diesen Überlegungen folgert Kant: »Die Möglichkeit eines teleologischen Urteils« lasse sich »daher leicht zeigen«, und zu dessen Darlegung dürfe ihm kein »besonderes Princip der Urtheilskraft« zugrunde gelegt werden (6. Abs.) (20:243.35– 244.1). Das bedeutet zunächst einmal nicht – um dies noch einmal deutlich zu sagen –, dass nicht auch das teleologische Urteil auf dem (allgemeinen) formalen, subjektiven Prinzip der Urteilskraft basiert. Wie wir sogleich sehen werden, wird deshalb in Absatz 7 auch klar festgestellt, dass beide Urteilsvermögen auf demselben Prinzip beruhen.585 Was dem teleologischen Urteil hingegen abgesprochen wird, ist seine Begründung durch ein »besonderes«, dem teleologischen Urteilsvermögen eigentümliches, d. h. sowohl von demjenigen der ästhetischen Urteilskraft als auch von den besonderen Prinzipien aller anderen oberen Erkenntnisvermögen unterschiedenes Prinzip. Der anschließende Nebensatz, der die Begründung für die Besonderheit des teleologischen Urteils enthält (»denn diese folgt blos dem Princip der Vernunft«) (20:244.1–2), bedarf einer Erläuterung: Mit »diese« kann hier nur die Urteilskraft gemeint sein. Dann aber erzeugt der »denn«-Nebensatz einen schiefen Eindruck. Es kann ja sinnvollerweise nicht gemeint sein, dass die reflektierende Urteilskraft bei ihrem besonderen Gebrauch als teleologische nicht auch ihr subjektives Prinzip a priori zur Grundlage habe, indem sie in diesem Sinne »blos dem Princip der Vernunft« (nämlich dem der objektiven Zweckmäßigkeit als Naturzweck) folge. Denn dann müsste sie ja bestimmend sein. Heißt »folgt blos«: Das Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit ist dem Prinzip der Vernunft unterzuordnen? Die teleologische Urteilskraft schreibt sich nicht selbst ihr Prinzip als Gesetz vor, d. h. sie ist nicht heautonom (vgl. aber Ende des 6. Abs.). Aus der Wendung »folgt blos dem Princip der Vernunft« kann unmittelbar darauf geschlossen werden, dass die Urteilskraft bei der teleologischen Urteilsbildung nicht bloß ihrem eigenen Prinzip a priori »folgt« (obwohl auch das teleologische
Es ist kritisch anzumerken, dass ästhetische und teleologische Urteilskraft einerseits als verschiedene Gebrauchsweisen derselben reflektierenden Urteilskraft betrachtet werden – wie schon die bestimmende im Verhältnis zur reflektierenden –, andererseits wie selbständige, voneinander unabhängige Vermögen. Denn nur unter dieser Voraussetzung kann das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur in der ästhetischen Urteilskraft als ihr eigentümlich und ursprünglich in ihr ansässig behauptet werden. 585
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Urteil darauf beruht). Folgen heißt hier sinngemäß, dass die formale Zweckmäßigkeit der Natur inhaltlich durch das Zweckprinzip der Vernunft angereichert wird, so dass wir es mit einer materialen Zweckmäßigkeit der Natur als Gegenstück zur formalen zu tun haben. Diese gewagte Interpretation kommt offensichtlich über den Status einer Hypothese nicht hinaus. »Leicht« zu zeigen ist die »Möglichkeit eines teleologischen Urteils der Natur« insofern, als es nicht nötig ist, nach einem besonderen Prinzip der teleologischen Urteilskraft extra noch zu suchen und dessen Allgemeingültigkeit zu beweisen, eben weil die Vernunft das entsprechende Prinzip schon bereithält und die Urteilskraft nun nichts weiter zu tun hat, als dasselbe mit empirischen Verstandesbegriffen – dem Prinzip der Urteilskraft gemäß – zu verbinden ([4.4]). Der Gebrauch des Begriffs eines Naturzwecks durch die Urteilskraft macht sozusagen aus dem ursprünglichen Vernunftprinzip ein Prinzip der reflektierenden Urteilskraft. Von der Leichtigkeit der Begründung der Möglichkeit eines teleologischen Urteils wendet sich Kant dem Gegenpol der teleologischen Beurteilung, nämlich den besonderen Erschwernissen eines entsprechenden Vorhabens für die ästhetischen Urteile zu. Der wesentliche Unterschied in den Anforderungen für eine Begründung, der sich aus diesem Vergleich ergibt, ist darin zu sehen, dass die Möglichkeit eines »Geschmacksurtheils« »einer Critik der Urtheilskraft als eines Vermögens eigenthümlicher transcendentaler Principien […] durchaus bedarf« (20:244.5–7). Dieses Bedürfnis erwächst eben daraus, dass die Urteilskraft in ihrer Funktion ästhetischer Beurteilung Gebrauch macht von einem Prinzip a priori »der bloßen Reflexion«, d. h. dem einzigen und darum eigentümlichen Prinzip der Urteilskraft, das sie in dieser Hinsicht in die Klasse der oberen Erkenntnisse einordnet. Das Bedürfnis nach einer umfassenden »Critik der Urtheilskraft« im Hinblick auf die Ergründung der Möglichkeitsbedingungen eines ästhetischen Urteils steht allerdings unter einer entscheidenden Bedingung: Es muss »bewiesen« werden, dass das Geschmacksurteil »wirklich zum Anspruch auf Allgemeingültigkeit berechtigt sei« (6. Abs.) (20:244.5). Dass dies der Fall ist, ist im selben Abschnitt, Abs. 5, begründet, wenn auch nicht ausführlich und streng »bewiesen« worden. Der Grund besteht darin, dass die subjektive Zweckmäßigkeit der empirisch gegebenen Naturformen im ästhetischen Urteil auf das Prinzip der Urteilskraft a priori der Zweckmäßigkeit der Natur bezogen ist.586 Der eigentliche Beweis ist letztlich nur durch eine aufwendige Rekonstruktion und Beurteilung der Stimmigkeit oder Unstimmigkeit der Analytik der ästhetischen Urteilskraft zu finden. Denn er muss zeigen können, dass das Geschmacksurteil auf Bedingungen beruht, die auch die Erfüllung des Anspruchs auf Allgemeingültigkeit garantieren. Diese Aufgabe ist aber für den vorliegenden Kommentar zu groß. Ich gehe deshalb bei der weiteren Besprechung wohlwollend davon aus, dass Kant seinen Beweis als hinreichend erachtet hat.
586
Vgl. Kommentar zu EE XI, S. 277.
XI. Abschnitt: Enzyklopädische Introduktion
285
Das Geschmacksurteil bedarf einer »Critik« nicht als der einer Urteilskraft überhaupt, denn die Dritte Kritik enthält ja neben der »Kritik der ästhetischen Urteilskraft« im Zweiten Teil auch eine »Kritik der teleologischen Urteilskraft«. Vielmehr wird eine solche Kritik erst unerlässlich, insofern die Urteilskraft als ein Vermögen »eigenthümlicher transcendentaler Principien« begriffen werden kann. Das trifft aber nur auf die ästhetische Beurteilung zu. Es folgt daraus, dass sich die Urteilskraft »dadurch allein qualificirt, in das System der reinen Erkenntnißvermögen aufgenommen zu werden«. Der Grund dafür sei, »daß das ästhetische Urtheil, ohne einen Begrif von seinem Gegenstande vorauszusetzen, dennoch ihm Zweckmäßigkeit, und zwar allgemeingültig beilegt, wozu also das Princip in der Urtheilskraft selbst liegen muß […]« (6. Abs.) (20:244.8–12). Die Alleinqualifizierung des Geschmacksurteils – besser gesagt: der Urteilskraft »als eines Vermögens eigenthümlicher transcendentaler Principien« – für die Aufnahme »in das System der reinen Erkenntnißvermögen« ist also in erster Linie darin begründet, dass in diesem Urteil einem Gegenstand Zweckmäßigkeit »ohne einen Begrif« von ihm beigelegt wird. Deshalb muss das Prinzip dafür auch »in der Urtheilskraft selbst liegen«. Insofern bezieht sich das Wort »allein« auf das Prinzip der Urteilskraft »ohne« Gegenstandsbegriff (vgl. Anfang 7. Abs.). In zweiter Hinsicht kann die Alleinqualifizierung aber aus demselben Grunde auch so ausgelegt werden, dass nur das Geschmacksurteil und nicht auch das teleologische Urteil »in das System der reinen Erkenntnißvermögen aufgenommen« werden kann. Denn das teleologische Urteil setzt einen Objektbegriff voraus, »den die Vernunft unter das Princip der Zweckverbindung bringt« (20:244.13–14). Das »Princip der Zweckverbindung« ist einerlei mit dem Prinzip der Zweckmäßigkeit der reflektierenden Urteilskraft, denn durch diese wird ja ein teleologisches Urteil überhaupt erst gebildet. Aufgabe der Vernunft ist es dann, den »Begrif eines Naturzwecks« als des erforderlichen Objektbegriffs in die zweckmäßige Urteilsbeziehung einzubinden. Ein Naturzweck war bestimmt worden als ein Prinzip der Selbstverursachung, Selbsterzeugung und Selbstorganisation, das durch eine Idee gegeben ist und das organisierten Wesen immanent ist.587 Jene Aufgabe der Vernunft ist aber an die Bedingung geknüpft, an die Kant immer wieder erinnert, dass nämlich die Urteilskraft von diesem Objektbegriff nur reflektierenden Gebrauch machen dürfe. Gegenstände der Naturerfahrung dürfen somit nicht wirklich als Naturzwecke bestimmt werden, d. h. sie sind als solche nicht zu erkennen.588 Das ist deshalb nicht möglich, weil Ideen in erkenntniskonstitutiver Absicht nicht auf einzelne Gegenstände der sinnlichen Anschauung bezogen werden dürfen.
Vgl. KU, § 63 (1. Abs.), § 64, § 65 (1.–6. Abs.), § 74 (2.–3. Abs.), § 77 (1.–2. Abs.). S. Kommentar zu EE VIII, S. 204 f. 588 Vgl. KU, § 74 (1.–2. Abs.), § 77 (1.–2. Abs.) u. ö. 587
286
Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Die Subsumtion eines Begriffs vom Naturzweck unter das Prinzip a priori der Zweckmäßigkeit in der Urteilskraft hat also zum Ergebnis, dass das teleologische Urteil Dinge der Natur (Naturprodukte) als durchgängig zweckmäßig organisierte Wesen beurteilt, und zwar sowohl als Individuen als auch als Gattungswesen. Das Ergebnis der Untersuchung des fünften und des sechsten Absatzes, das sich gegen Ende des letzteren bereits andeutete, drückt sich in der Schlussfolgerung des ersten Satzes von Abs. 7 aus: »Es ist also eigentlich nur der Geschmack und zwar in Ansehung der Gegenstände der Natur, in welchem allein sich die Urtheilskraft als ein Vermögen offenbart, welches sein eigenthümliches Princip hat und dadurch auf eine Stelle in der allgemeinen Critik der obern Erkenntnißvermögen gegründeten Anspruch macht […].« (7. Abs.) (20:244.17–21) Der »Geschmack« ist das Vermögen der ästhetischen Urteilskraft zur Bildung ästhetischer Reflexionsurteile über Gegenstände der Natur. Hier wird ihm das Privileg gegenüber der teleologischen Urteilskraft zugesprochen, dass sich in ihm »allein« die Urteilskraft als ein selbständiges Vermögen, d. h. als ein solches, das über ein ureigenes Prinzip verfügt, offenbare. Die teleologische Urteilskraft hat also kein ihr eigentümliches Prinzip. Aus diesem Grunde kann auch nur die ästhetische Urteilskraft berechtigten Anspruch auf eine Stelle in der Kritik der oberen Erkenntnisvermögen erheben. Es bestätigt sich damit die Lesart, die weiter oben, Ende des sechsten Absatzes, in Hinsicht auf die Alleinqualifizierung des Geschmacksurteils für »das System der reinen Erkenntnißvermögen« gewählt worden ist.589 Wenn in diesem Zusammenhang von einer Offenbarung der Besonderheit des Urteilsvermögens im Geschmack gesprochen wird, dann soll das heißen, dass der Urteilskraft als solcher die besondere Art ihres Prinzips, d. i. der Zweckmäßigkeit der Natur, und ihrer Selbstgesetzgebung nicht direkt anzusehen ist. Erst die Analyse und der Vergleich ihres ästhetischen mit ihrem teleologischen Vermögen bzw. des Geschmacksurteils mit dem teleologischen Urteil erweist die Vermutung als zutreffend, dass sie ein eigenes Prinzip besitzt, das sie sich selbst vorschreibt, und dass sie mit diesem Vorzug zum System der Kritik gehört. Nun folgt aus eben dieser Zugehörigkeit auch, dass ihre Kritik notwendig vollständig zu sein hat, d. h. dass der ganze »Umfang« (der Gültigkeit) des Prinzips der Urteilskraft bestimmt werden muss (7. Abs.). Das bedeutet, »daß ihr ästhetisches Vermögen, mit dem teleologischen zusammen, als in einem Vermögen enthalten und auf demselben Princip beruhend, erkannt« werden muss (7. Abs.) (20:244. 24–26). Aus dem Privileg der ästhetischen Urteilskraft, aus sich allein ein eigentümliches Prinzip für die Urteilskraft insgesamt zu schöpfen und zu begründen, folgt also nicht, dass das teleologische Urteilsvermögen dadurch einer entsprechenden Kritik enthoben wäre. Der Textbefund der Abhandlung zeigt ja auch unmittelbar, dass auf die »Kritik der ästhetischen Urteilskraft« (»Erster Teil«) eine »Kritik der te589
Vgl. Kommentar zu EE XI, S.279.
XI. Abschnitt: Enzyklopädische Introduktion
287
leologischen Urteilskraft« (»Zweiter Teil«) folgt. Gleichwohl hat weiterhin das zu gelten, was in E VIII (3. Abs.) deutlich genug ausgesprochen wird: dass die ästhetische Urteilskraft den wesentlichen Teil einer »Kritik der Urteilskraft« ausmache. Die Begründung dafür ist in E VIII (3. Abs.) und in EE XI (6.–7. Abs.) die gleiche: Es ist allein die ästhetische Urteilskraft, die ein eigenes Prinzip a priori hervorbringt und deren Kritik daher höheren Ansprüchen genügen muss als die Kritik der teleologischen Urteilskraft – höheren Ansprüchen nämlich insofern, als wegen des Fehlens eines Objektbegriffs die Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit eines auf bloß subjektiven Prinzipien gegründeten ästhetischen Urteils nur mit erheblichem Mehraufwand nachzuweisen ist. Die Begründung dafür, dass auch das teleologische Urteilsvermögen in die Kritik der Urteilskraft einzubeziehen sei, lautet dem siebten Absatz zufolge ganz einfach: Es wird schlichtweg vorausgesetzt, dass »auch das teleologische Urtheil über Dinge der Natur« zur reflektierenden Urteilskraft gehöre. Diese Voraussetzung folgt allerdings aus dem Desiderat der Erkenntnislehre der KrV, dass die allgemeinen Verstandesprinzipien für die Erfahrung der besonderen Natur nicht hinreichen. Wenn die Voraussetzung aber gilt, dass das teleologische Urteil mit zur reflektierenden Urteilskraft gehört, dann muss auch die teleologische Urteilskraft »auf demselben Princip« beruhen wie die ästhetische Urteilskraft, obwohl sie an dessen Erzeugung keinen Anteil hat. Denn das Prinzip a priori der Zweckmäßigkeit der Natur ist der Urteilskraft insgesamt »eigenthümlich[]« (vgl. Anfang des 5. Abs.). Wir haben durch genaue Analyse des sechsten Absatzes festgestellt, dass die Aussage, die Möglichkeit eines teleologischen Urteils folge »bloß dem Princip der Vernunft«, nicht beinhalten könne, dass es nicht auch unter dem Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft stehe. Denn ohne dies wäre es kein Reflexionsurteil. Wenn deshalb in dem zuletzt betrachteten siebten Absatz zu lesen ist, dass beide Vermögen »auf demselben Princip« beruhen (d. h. darin ihren Grund haben), dann heißt »beruhen« jeweils etwas anderes. Für das ästhetische Urteilsvermögen ist das Prinzip a priori der Urteilskraft der alleinige Bestimmungsgrund; für das teleologische Urteil ist dieser Grund eingeschränkt durch die Vernunftidee von einem Naturzweck.
Achter bis dreizehnter Absatz: Das »vollständige System aller Gemüthskräfte« → E IX, 3. Abs. Die Untersuchungen in den folgenden Absätzen gehören noch zur »encyklopädischen Introduction« der KU in das »System der Critik der reinen Vernunft«. Dies ergibt sich aus Kants Bemerkungen am Ende des achten Absatzes. Insbesondere wird nun aber der Versuch unternommen, von der »Geschmackscritik« aus eine »viel verheißende Aussicht in ein vollständiges System aller Gemüthskräfte« zu eröffnen (8. Abs.) (20:244.33 f.) und dieses System nach Titeln geordnet in einer tabellarischen Übersicht zu präsentieren.
288
Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Einen ähnlichen Versuch hat Kant in abgekürzter Form in E IX unternommen. Wir werden uns also auch auf den Kommentar dazu beziehen. Es wird nicht möglich sein, die vielfach nur angedeuteten historischen und systematischen Verbindungen und Bezüge ausführlich und hinreichend klar zu kommentieren. Der Aufwand dafür wäre unverhältnismäßig hoch. Wir begnügen uns damit, den Text so weit wie möglich zu erläutern und entsprechende Hinweise für eine Weiterführung der Interpretation zu geben. Zu Beginn des achten Absatzes stellt Kant erneut klar, dass unter »Geschmackscritik« nicht das zu verstehen sei, was »sonst nur zur Verbesserung oder Befestigung des Geschmacks selbst gebraucht« werde, sondern eine Kritik, die den Geschmack »in transcendentaler Absicht behandelt« (8. Abs.) (20:244.29–30). Mit dem sonstigen Gebrauch der »Geschmackscritik« spielt Kant auf einen Grundtypus von Geschmackslehre an, der auf die »Bildung und Kultur des Geschmacks« abzielt.590 Eine solche Vorstellung von Geschmack ist in der ästhetischen Theoriebildung etwa ab der Mitte des 18. Jahrhunderts anzutreffen.591 Darin werden bestimmte, auf empirischen Prinzipien beruhende Geschmackskomponenten untersucht. In EE X, 2. Abs., wurden entsprechende Fragestellungen benannt; zugleich wurde festgestellt, dass die Erklärung des Geschmacks unter solchen Vorgaben auf Prinzipien der empirischen Psychologie gründen würden, die das ästhetische Urteil auf ganz unsichere Grundlagen stellen. Kant berief sich dort explizit auf Burke.592 Edmund Burke (1729–1797) fordert feste und allgemeingültige Prinzipien des Geschmacks,593 den er als Fähigkeit des Gemüts definiert, »von den Werken der Einbildungskraft und von den schönen Künsten affiziert« zu werden.594 Obwohl er bemüht ist, solche Prinzipien nachzuweisen,595 bleibt er doch dabei stehen, in den empirischen Übereinstimmungen der Menschen im Gemüt, z. B. hinsichtlich ihres Vgl. KU, Vorrede, 7. Abs. (AA 5:170). Vgl. u. a. Burke, E. (1989), Vom Erhabenen und Schönen, 61; Baumgarten, A. G. (2007), Aesthetica, (1750–1758); Meier, G. F. (1748): Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften, 1748; Hutcheson, F. (1729), An Inquiry; Hume, D.: Of the Standard of Taste und Of the Delicacy of Taste and Passion, in: Hume, D., Essays Moral, Political and Literary, 3–7 (6–7); s. Sulzer, J. G. (1792): Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Artikel »Geschmak«, S. 378 f.; Herz, M. (1790): Versuch über den Geschmack. Zweite vermehrte und verbesserte Auflage. Berlin (1. Aufl. Mietau 1776). Herder, J. G. (1775): Ursachen des gesunkenen Geschmacks (Preisschrift auf eine 1773 von der Berliner Akademie der Wissenschaft ausgeschriebenen Preisfrage). Vgl. Buchenau, St. (2013), The Founding of Aesthetics. 592 Vgl. KU, Allgemeine Anmerkung zur Exposition der ästhetisch reflektierenden Urteile (B 128 f.) (5:277); vgl. Kant, KU (2006), 449 f. (Sachanmerkung von P. Giordanetti zu 151,3); vgl. Kommentar, S. 247–250. 593 Vgl. Burke, E. (1989), Vom Erhabenen und Schönen, 41 f., 54. 594 Burke, E. ebd., 43. Die Einbildungskraft ist bei Burke das Gemütsvermögen, das Sinneseindrücke (Bilder) zusammenfassen und neu ordnen kann (ebd., 49). Außerdem ist es der Sitz der Leidenschaften (ebd.). 595 Burke, E. ebd., 44. 590 591
XI. Abschnitt: Enzyklopädische Introduktion
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Geschmackssinnes oder überhaupt der sinnlichen Wahrnehmung und des Gefühls, die sich mitteilen ließen,596 die Grundlage des Geschmacks zu behaupten.597 Hierfür werden viele Beispiele angehäuft. Neben der Übereinstimmung wird aber auch eine graduelle Verschiedenheit festgestellt.598 Resultiert der Geschmack »im weitesten Sinne« aus der Wahrnehmung, so gründet sich derjenige »im engeren Sinne« auf die Sitten und Gebräuche nach Verschiedenheit des Ortes und der Zeit.599 So kommt es, dass Burke den Geschmack durch Kenntniserweiterung für verbesserungsfähig hält.600 Als ein weiterer Beleg für die im achtzehnten Jahrhundert verbreitete Geschmackskritik, die auf Kants Ablehnung stößt, ist der Geschmacksbegriff Johann Georg Sulzers (1720–1779) zu nennen.601 Nach Sulzer ist der Geschmack ein in der Seele vorhandenes Vermögen, »das Schöne anschauend zu erkennen«.602 Es ist der »innere Sinn«, etwas als angenehm zu empfinden und dadurch »Vergnügen« hervorzurufen.603 Im weitesten Sinne ist ihm auch das geschmackvoll und schön, was sinnliche Vollkommenheit, Wahrheit und Richtigkeit hat, oder auch das Gute.604 »Der Geschmack ist im Grunde nichts, als das innere Gefühl, wodurch man die Reizung des Wahren und Guten empfindet.«605 Zum Geschmack gehört auch als physiologische Grundlage »ein feines Gefühl in allen Nerven«.606 Der Geschmack bildet sich schließlich auch auf verschiedene Weise als Geschmack eines Volkes aus.607 Im Gegensatz zu einer solchen Positionierung liegt die transzendentale Bedeutung der »Geschmackscritik« für Kant darin, alle empirischen Grundlagen des Geschmacks aufzugeben und nach dem Prinzip a priori zu suchen, nach welchem das Geschmacksvermögen tätig wird. Geschmack in diesem Sinne ist nur das »Beurtheilungsvermögen« hinsichtlich des Schönen in der Form der Naturerscheinungen (vgl. EE XII, 3. Abs.). In der MS wird »Geschmack« definiert als das Gefühl einer »contemplative[n] Lust« oder als »unthätiges Wohlgefallen«.608
Burke, E. ebd., 46, 57. Vgl. Burke, E. ebd., 45 598 Vgl. Burke, E. ebd., 54 f. 599 Burke, E. ebd., 56 f. 600 Burke, E. ebd., 61. 601 Sulzer, J. G. (1792), Allgemeine Theorie, Artikel »Geschmak«, 371–385. Sulzer dokumentiert und referiert im Anhang die umfangreiche französische, englische und deutsche Literatur zu diesem Thema (S. 377–385, S. 382: Kants Kritik der Urteilskraft). 602 Sulzer, J. G. (1792), Allgemeine Theorie, 371, Sp. 2. 603 Sulzer, J. G. ebd. 604 Sulzer, J. G. ebd., 373, Sp. 1. 605 Sulzer, J. G. ebd., 375, Sp. 1. 606 Sulzer, J. G. ebd., 373, Sp. 2. 607 Sulzer, J. G. ebd., 375, Sp. 1. 608 AA 6:212. 596 597
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Diese Art von Geschmackskritik soll es sein, die »eine Lücke im System unserer Erkenntnißvermögen« schließt und somit jene »Aussicht« auf »ein vollständiges System aller Gemüthskräfte« eröffnet (EE XI, 8. Abs.) (20:244.29–34).609 Welche »Lücke« ist hier gemeint, und inwiefern kann sie durch eine Geschmackskritik geschlossen werden? Mit der »Lücke« wird eine offene Stelle im System der Kritik der oberen Erkenntnisvermögen bezeichnet. Die gestellte Frage kann zunächst in einer mehr allgemeinen Bedeutung beantwortet werden. Sie leitet sich ab aus dem im Kommentar zu E IV analysierten Erkenntnisproblem, auch für die besonderen Formen und Gesetze der Natur, für deren Erkenntnis die Verstandesbegriffe nicht hinreichen, ein Vermögen bzw. ein Prinzip a priori ausfindig zu machen, das die Bedingungen der Möglichkeit dafür enthält, jene besondere Natur in ein System der Erfahrung bzw. der Natur zu integrieren. Daraus ergibt sich als besondere Antwort: Wenn es ein solches Vermögen gibt (nämlich die reflektierende Urteilskraft) und wenn dieses über ein eigenes Prinzip, das Gesetzesnotwendigkeit aufweist, verfügt, dann muss es für dieses Vermögen auch eine Kritik geben, die das System der Kritik der reinen Vernunft vervollständigt. Da es aber »nur der Geschmack« ist (EE XI, 7. Abs.) (20:244.17–21), an dem sich das eigentümliche Prinzip der Urteilskraft dokumentiert, so muss es auch eine »Geschmackscritik« sein, die das System der Kritik der oberen Erkenntnisvermögen zum Abschluß bringt. Davon unabhängig kann die mehr allgemeine Beantwortung der oben formulierten Frage auch vom Übergangsproblem in E II ihren Ausgang nehmen: Wenn es zwei Gebiete der philosophischen Erkenntnis gibt, in denen der Verstand einerseits und die Vernunft andererseits gesetzgebend sind und sich in ihrer jeweiligen Gesetzgebungsfunktion gegenseitig ausschließen – Natur und Freiheit –, dann erwächst aus der besonderen Aufgabe der praktischen Philosophie, darzulegen, wie in der Natur die Freiheit verwirklicht werden kann, das Problem, zeigen zu müssen, dass und wie ein Übergang von einem in das andere »Gebiet« möglich ist, d. h. wie die Natur als diesem Anspruch der praktischen Vernunft angemessen gedacht werden kann. Die Suche nach einem Dritten zwischen Verstand und Vernunft, das die »Kluft« zwischen Natur und Freiheit überbrückt, führt auf die Urteilskraft, und diese bedarf schließlich – das wäre auch hier die besondere Antwort – einer besonderen Kritik, die notwendig in das System der Kritik der reinen Vernunft gehört. Die Schließung der oben bezeichneten »Lücke« und die erforderlichen Mittel dazu verweisen auf eine andere, noch nicht auszufüllende leere Stelle im System, indem nämlich dadurch erst eine »viel verheißende Aussicht in ein vollständiges System aller Gemüthskräfte« »eröffnet« werde (20:244.33–34).610 Vgl. KpV, Vorrede, 8. Abs. (5:7). Kant bestreitet dort das Vorhandensein von »Lücken des kritischen Systems der speculativen Vernunft«, denn dieses sei »in seiner Absicht vollständig«. 610 Zum Begriff der »Aussicht« s. KpV, 5:43. 609
XI. Abschnitt: Enzyklopädische Introduktion
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Diese Aussicht besteht aber – laut der Textauskunft im achten Absatz – nur dann, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, nämlich: erstens, dass sich die Gemütsvermögen ihrer jeweiligen Bestimmung nach »nicht allein aufs Sinnliche, sondern auch aufs Übersinnliche« beziehen; zweitens, dass durch diese Beziehung auf das »Übersinnliche« die »Grenzsteine«, die die Kritik dazu gesetzt hat, nicht missachtet werden. Von allen drei Gemütsvermögen gilt allgemein, dass ihre Antinomien dazu nötigen, »über das Sinnliche hinaus zu sehen und im Übersinnlichen den Vereinigungspunkt aller unserer Vermögen a priori zu suchen; weil kein anderer Ausweg übrigbleibt, die Vernunft mit sich selbst einstimmig zu machen.« (KU, § 57, Ende des 9. Abs.) [5:341.25–33]. Wie ist das im Einzelnen zu verstehen? (1) Das Erkenntnisvermögen ist auf das Sinnliche ausgerichtet, indem der Verstand objektive Naturbegriffe auf das Mannigfaltige der empirischen Anschauung bezieht. Auf das »Übersinnliche« bezieht er sich entweder als auf ein bloßes, intelligibles Substrat der Natur als des Inbegriffs der Dinge an sich, der als Idee der Möglichkeit aller Gegenstände der Erfahrung zugrunde gelegt werden muss;611 oder er bezieht sich auf das »Übersinnliche« insofern, als er gewisser Vernunftideen als des unbedingten Regulativs zur Vervollständigung der Bedingungen in der Reihe der Erscheinungen bedarf, die ihren Gegenstand im Intelligiblen haben.612 Zugleich können die regulativen Ideen als das Unbedingte nicht mehr an Hand von Erfahrung überprüft und daher auch nicht erkannt werden. (2) Das Gefühl der Lust und Unlust bezieht sich mittelbar auf das Sinnliche, indem die ästhetische reflektierende Urteilskraft mittels der Einbildungskraft die zweckmäßigen Formen empirischer Naturerscheinungen anschaut (apprehendiert). Das »Übersinnliche« ist hier das subjektive Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur als Grund der Beurteilung der schönen Formen der Natur, der gleichwohl zu keiner objektiven Naturerkenntnis berechtigt.613 Die Grenze, die hier zu beachten ist, ergibt sich aus der besonderen Kritik, die die ästhetische Urteilskraft viel eher nötig habe als die teleologische. Sie betrifft den Umfang und die Grenzen des Gebrauchs ihres Prinzips. Weil dieses Prinzip ein subjektives der Zweckmäßigkeit ist, kann es zwar Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit für sich in Anspruch nehmen, aber ohne jede begriffliche Objektivität. (3) Das Begehrungsvermögen steht in Verbindung zum Sinnlichen, insofern die Vernunft vorschreibt, dass – in der bekannten Formel der Einleitung ausgedrückt – »der Freiheitsbegriff [..] den durch seine Gesetze aufgegebenen Zweck in der
611
Vgl. KU, § 57, 4. Abs.; E II, 7.–8. Abs., E IX, 1. Abs., Fn.; § 71, 1. Abs.; KpV (Vorrede),
5:6. KrV, B 593–595 / A565–567, B 435 f. / A 408–410, B 443–446 / A 416–418, B 588–595 / A 560–567, u. ö.; KpV, 5:103–105. 613 Vgl. EE VI, 3.–4. Abs. (20:218.11 ff.); KU, § 29, Allgemeine Anmerkung zur Exposition der ästhetisch reflektierenden Urteilskraft, 7.–8. Abs. (B 115–116) (5:268); KU, § 57, 4.–6. Abs. (5:339.32–340.30). 612
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Sinnenwelt wirklich machen« soll.614 Das Begehrungsvermögen ist hier allein das »obere«, d. i. der freie Wille, der durch das moralische Gesetz als eines bloß formalen Gesetzes der Vernunft unmittelbar bestimmt wird.615 Das moralische Gesetz übt aber auch Einfluß aus auf die Sinnlichkeit des Subjekts, indem die Vernunft in ihm ein »moralisches Gefühl« bewirkt. Die Sinnlichkeit ist somit zwar Bedingung der »Achtung« für das Gesetz, aber nicht Bestimmungsgrund desselben.616 Das Sinnliche kann durch das »Übersinnliche« im Subjekt, durch die Kausalität der Freiheit, bestimmt werden (E IX, 1. Abs.). Es ist diesem sogar »unterworfen«. Als zur intelligiblen Welt gehörig, steht der Mensch allein unter dem Einfluß der Freiheit und des moralischen Gesetzes.617 Die »Sinnenwelt«, auf die sich die praktische Vernunft notwendig beziehen muss, steht zugleich für die Glückseligkeit, die »die moralisch bedingte, aber doch notwendige Folge« der Sittlichkeit ist. In ihr müssen sich die Handlungen, die darauf abzielen, das Objekt der praktischen Vernunft (das »höchste Gut«) zu verwirklichen, konstituieren. Dieses Verhältnis des Bedingten zu seiner Bedingung ist es, das zum Übersinnlichen gehört, weil es »nach Gesetzen der Sinnenwelt« nicht eingesehen werden kann.618 Die Nichterkennbarkeit dieser Verbindung festzustellen und damit zugleich auszuschließen, dass moralisch-praktische Grundsätze und dadurch auch der Wille als oberes Begehrungsvermögen durch empirische Gegebenheiten der Sinnenwelt (der »Glückseligkeit«) bestimmt werden, ist die Idee und das Resultat der Grenzziehung der praktischen Vernunft.619 Sie soll verhindern, dass das, was bloß Folge einer Handlung nach Gesetzen der praktischen Vernunft ist (das »Wohlgefallen« des Lustgefühls) als Motivation (»Bestimmungsgrund«) derselben betrachtet wird.620 Nach dieser Erörterung der »Gemütskräfte«, von denen die »Aussicht« besteht, in ein »vollständiges System« gefasst zu werden (EE XI, 8. Abs.) (20:244.33), soll die Interpretation von EE XI fortgesetzt werden. Kant wendet sich nun an den Leser, indem er ankündigt, zur leichteren Übersicht über den Zusammenhang der noch folgenden Untersuchungen »einen Abris dieser systematischen Verbindung« zu entwerfen. Dazu wird angemerkt, dass der »Abris« ebenso wie der gesamte elfte Abschnitt »seine Stelle eigentlich beim Schlusse der Abhandlung haben sollte« (EE XI, 8. Abs.) (20:245.4–6). Diese Anmerkung verweist darauf, dass sich der Leser noch im Rahmen der »encyclopädischen Introduction« befindet, deren Plazierung am
614 615 616 617 618 619 620
E II, 9. Abs. (5:176.5 f.); vgl. E IX, 1. Abs.; KpV, 5:89–90, 105. KpV, 5:71 f. ( vgl. Sala, G. B. (2004), Kants ›Kritik der praktischen Vernunft‹, 92). KpV, 5:75 f.; vgl. E IX, 1. Abs. (B LV). KpV, 5:86 f., 105 f. KpV, 5:119. KpV, 5:15 f., 114 ff., 119. Vgl. KpV, 5:116 f.
XI. Abschnitt: Enzyklopädische Introduktion
293
Ende der KU in EE XI (1.–4. Abs.) begründet und im Kommentar dazu hinreichend analysiert worden ist.621 Der am Ende des achten Absatzes angekündigte Entwurf enthält nicht mehr als eine Skizze, die schrittweise zu der vollständigen Tabelle in Abs. 12 hinführt. Wir werden diese Schritte – wie bereits bemerkt – im Folgenden vorstellen und nur kurz kommentieren. In Abs. 9 (20:245.7–11) werden die drei Grundvermögen des Gemüts untereinander aufgelistet, und zwar in der Reihenfolge: »Erkenntnißvermögen«, »Gefühl der Lust und Unlust«, »Begehrungsvermögen«. Wir haben diese Vermögen vorhin noch einmal in Bezug auf ihr jeweiliges Verhältnis zum Sinnlichen einerseits, zum Übersinnlichen andererseits und zu der dazu erforderlichen kritischen Grenzziehung bestimmt. Welche »Vermögen des Gemüths« es sonst noch geben mag, da die genannten drei diejenigen sein sollen, auf die sie sich »insgesammt« »zurückführen« lassen, bleibt offen. Das vertikale Notieren der drei Vermögen deutet auf eine Rangfolge hin. Sie ergibt sich aber nicht aus dem Gesichtspunkt philosophischer Erkenntnis, denn dann müsste das »Gefühl der Lust und Unlust« die letzte Stelle einnehmen oder vielmehr gar nicht zu diesem Kanon gehören. Vielmehr ist der Hintergrund der der »Critik«, wie ja auch dieser ganze »Abris« durch die Frage initiiert worden ist, wie eine »Geschmackscritik« in das »System unserer Erkenntnißvermögen« eingeordnet werden könne. Das mittlere Gemütsvermögen, das »Gefühl der Lust und Unlust«, erwirbt seine Stellung in der Mitte zwischen »Erkenntnißvermögen« und »Begehrungsvermögen« – wie sich gleich zeigen wird – durch die Vermittlungsfunktion der Urteilskraft zwischen den beiden Erkenntnisvermögen des Verstandes und der Vernunft. In Abs. 10 (20:245.12–20) wird nämlich »das Erkenntnißvermögen« – d. i. hier als Oberbegriff zu den in der zweiten Spalte der Tabelle in Abs. 12 stehenden Vermögen (»Verstand«, »Urtheilskraft«, »Vernunft«), also nicht der auf den Verstand beschränkte Begriff eines Erkenntnisvermögens – als Grund für die »Ausübung aller«, d. i. der drei genannten Gemütsvermögen, erklärt. Die Einschränkung, die dabei vorgenommen wird, besteht darin, dass diesen Vermögen des Gemüts deswegen noch »nicht immer Erkenntniß« »zum Grunde« liege. Die Begründung der Gemütsvermögen durch die (oberen) Erkenntnisvermögen legt es nahe, dieses Verhältnis als ein solches von Grund und Folge zu verstehen, das zugleich bestimmend ist. Der Verstand bestimmt also das Erkenntnisvermögen, die Urteilskraft das Gefühl der Lust und Unlust, die Vernunft das Begehrungsvermögen. Umgekehrt lässt sich zeigen, dass die jeweiligen drei Bestimmungen unter den Obertiteln »Prinzipien a priori«, »Produkte« auf die Tätigkeit der oberen Erkenntnisvermögen zurückzuführen sind, so dass diese das Begründungszentrum des gesamten Systems ausmachen. Nachzutragen ist die Erklärung dafür, weshalb den Tätigkeiten der Gemütsvermögen zwar Erkenntnisvermögen, aber »nicht immer Erkenntniß« zum Grunde 621
Vgl. Kommentar zu EE XI, S. 269–275.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
liege. Die Antwort darauf muss sich innerhalb der Parenthese finden lassen: »denn eine zum Erkenntnißvermögen gehörige Vorstellung kann auch Anschauung, reine oder empirische, ohne Begriffe sein« (EE XI, Abs. 10) (20:245.12–15). Eine solche Vorstellung kann nur eine ästhetische sein. Denn allein die Urteilskraft, insofern sie ästhetisch reflektiert, enthält Anschauung »ohne Begriffe«. Deshalb gehört sie zwar zum Erkenntnisvermögen (zu den »oberen Erkenntnißvermögen«), bildet aber keine Erkenntnis. Empirisch ist diese Anschauung dann, wenn sie nach der Seite der Form des empirischen Objekts, das sich der »Auffassung« darbietet, betrachtet wird. Rein ist sie dagegen aus der Sicht des Subjekts und seines Vermögens der Einbildungskraft, das die Vorstellungen auffasst und zusammenfasst.622 Aus der Feststellung, dass den Gemütsvermögen das Erkenntnisvermögen (im weiteren Sinne) zugrunde liegt, folgt offenbar der Schluß im letzten Satz des Absatzes: »Also kommen, sofern vom Erkenntnisvermögen nach Principien die Rede ist, folgende obere neben den Gemüthskräften überhaupt zu stehen […]« (20:245.15–17). Wie auch in E IX (3. Abs. und Tabelle) (5:196–198) wird dem Erkenntnisvermögen der Verstand, dem Gefühl der Lust und Unlust die Urteilskraft und dem Begehrungsvermögen die Vernunft zugeordnet. Verstand, Urteilskraft, Vernunft sind Erkenntnisvermögen »nach Principien«, insofern alle drei eigene Prinzipien hervorbringen. Diese werden im nächsten (11.) Absatz sowie in der dritten Spalte der Tabelle (Abs. 12) (20:246.1–15) benannt, erklärt und den Erkenntnisvermögen zugeordnet. Die Anschauung steht nicht unter diesem Erkenntnisvermögen, denn sie ist zwar ein Erkenntnisvermögen überhaupt, gehört aber nicht zu den »oberen«, weil sie kein eigenes Prinzip der Gesetzgebung hat. Die Zuordnung der Erkenntnisvermögen zu den Gemütsvermögen wird im Einzelnen nicht begründet. Es ist hier nicht nötig, den Versuch zu unternehmen, eine solche Begründung aus den zurückliegenden Abschnitten der EE zu rekonstruieren. Ein solcher Versuch wird im Kommentar zu E IX unternommen werden.623 Der elfte Absatz beginnt mit einem überraschenden Ergebnis, für das die argumentative Herleitung fehlt: »Es findet sich, daß Verstand eigenthümliche Principien a priori für das Erkenntnißvermögen, Urtheilskraft nur für das Gefühl der Lust und Unlust, Vernunft aber blos fürs Begehrungsvermögen enthalte.« (20:245.21–23) Als ob sich dieser Befund gewissermaßen von selbst verstehe, werden diese Prinzipien dann einzeln, in wechselseitiger Ausschließung den oberen Erkenntnisvermögen zugeordnet.624 Dabei wissen wir aber bereits, dass das Aufsuchen und Vgl. Kommentar zu EE VII, S. 167. Vgl. Kommentar zu E IX, S. 562 ff. 624 Zur Interpretation der Wendung »Es findet sich, daß …« vgl. Mertens, H. (1975), Kommentar, 194. Ihrem Vorschlag, die Seele als Substanz aufzufassen, zu der sich die einzelnen Vermögen wie Akzidentien verhalten, und mit einer solchen Konstruktion die Faktizität der 622 623
XI. Abschnitt: Enzyklopädische Introduktion
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Begründen dieser den Erkenntnisvermögen eigentümlichen Prinzipien – insbesondere für die Urteilskraft – für Kant mit schwierigen Unternehmungen verbunden ist. Diesen Weg der Herleitung der Prinzipien können wir an dieser Stelle nicht rekonstruieren. Aber einige Erläuterungen sind dem Text, ausgehend von Abs. 11, doch beizufügen. Zunächst wird behauptet, alle drei Prinzipien seien »formale«. Die Gründe für diesen Formalismus mögen bei den einzelnen Erkenntniskräften je spezifische sein. Aber ihr gemeinsames Merkmal muss sein, dass sie in bestimmten Hinsichten nicht material gelten, d. h. sie beziehen sich nicht auf empirisch vorgegebene Inhalte (die formalen Verstandesgesetze nicht auf besondere empirische Erscheinungen, die Zweckmäßigkeit nicht auf Empfindungen und Begriffe, die moralischen Gesetze nicht auf die Materie des Willens). Um »formale Principien« sein zu können, die eine »Nothwendigkeit« begründen, müssen sie Prinzipien a priori sein, und zwar solche, die autonom sind. Die Notwendigkeit betrifft den Status der jeweiligen Erkenntnis bzw. die Gültigkeit der jeweiligen Urteile. Von dieser Notwendigkeit heißt es nun, sie sei »theils objectiv, theils subjectiv, theils aber auch dadurch, daß sie subjectiv ist, zugleich von objectiver Gültigkeit« (20:245.24–26). Es ist anzunehmen, dass sich der erste Fall von Notwendigkeit auf den Verstand, der zweite Fall auf die Urteilskraft und der dritte auf die Vernunft bezieht. Das wird im Einzelnen bei der folgenden Besprechung der drei Prinzipien noch zu belegen sein. Der durch die formalen Prinzipien begründeten Notwendigkeit soll vorausgehen (»nachdem sie durch …«), dass jene Prinzipien »durch die neben ihnen stehende obern Vermögen, die diesen correspondirende Gemüthskräfte bestimmen« (11. Abs.) (20:245.26–28). Auch dies, was hier jeweils Bestimmen heißen kann, muss im Zuge der Einzelanalyse der drei Prinzipien geklärt werden, zu der wir nun übergehen. In die nachfolgenden Betrachtungen sollen Kants Ausführungen in E IX, 3. Abs., sowie die angehängte, dort nicht vollständig erläuterte »Tafel« (E IX, 4. Abs.) (5:198), insbesondere die Klärung der von der Version in EE XI abweichenden Titel, einbezogen werden.
(1) »Erkenntnißvermögen« – »Verstand« – »Gesetzmäßigkeit«625 Nach den bisher erkundeten Bestimmungen ist die »Gesetzmäßigkeit« das formale Prinzip a priori, durch das der Verstand das »Erkenntnißvermögen« bestimmt und die Notwendigkeit von Erkenntnisurteilen begründet, indem er ihnen objektive Gültigkeit verschafft. Dazu zwei Vorbemerkungen. Erstens: Wie jedes der drei Prinzipien gilt die »Gesetzmäßigkeit« des Verstandes ausschließungsweise, d. h. allein vorgefundenen »Trias« von Gemütsvermögen zu erklären, kann nicht zugestimmt werden. Sie ist nicht vereinbar mit Kants Psychologie-Kritik im Paralogismus-Kapitel der KrV (ebd.). 625 Vgl. Kommentar zu E IX, S. 564.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
der Verstand kann die dementsprechenden Gesetze in objektive Gültigkeit setzen, indem er von ihnen konstitutiven Gebrauch macht. Darin ist er autonom. Zweitens: Gesetzeskraft besitzen alle drei Prinzipien, nicht nur das des Verstandes, insofern sie autonom sind. Es muss also jeweils angegeben werden, um welche Art von Gesetzmäßigkeit es sich handelt und worauf sie sich bezieht. Der Kontext der Gesetzmäßigkeit des Verstandes ist die KrV und darin insbesondere die transzendentale Analytik. Dass der Verstand das Gesetz gibt bzw. der Natur das Gesetz vorschreibt, ist eine der Grundthesen des transzendentalen Idealismus, d. h. derjenigen Lehre, nach der Erkenntnis von Gegenständen der Natur nur als solche von Erscheinungen, nicht von Dingen an sich möglich ist.626 Die Gesetzmäßigkeit des Verstandes drückt sich in den »Grundsätzen« aus, die zugleich allgemeine, transzendentale Gesetze der Natur insofern sind,627 als sie Natur, formal betrachtet, erst konstituieren. Weil diese Gesetze, die dem subjektiven Erkenntnisvermögen entstammen und also keine aus der Erfahrung geschöpften empirischen Gesetze sind, zugleich Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung (B 294) und der Gegenstände derselben sind, und Natur der Inbegriff dieser Gegenstände ist, determinieren sie auch die Gesetzmäßigkeit der Natur.628 Solche »reinen und völlig a priori bestehenden Gesetze der Natur« sind z. B. der »Grundsatz der Beharrlichkeit« (der Substanz) (B 227 / A 184) oder der Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetz der Kausalität.629 Dabei sind es eigentlich die Kategorien, die der Natur die Gesetze a priori vorschreiben (B 163), denn deren Begriffe enthalten die verschiedenen Regeln der Verknüpfung des Anschauungsmannigfaltigen. Die Naturgesetze gelten somit von den Erscheinungen nur relativ, auf das erkennende Subjekt bezogen (nicht an sich). Außerhalb des Verstandes existieren sie nicht. Formal sind sie nun insofern, als der Verstand – analog zur Anschauung – überhaupt nur die »Form a priori« (in Gestalt der Kategorien) zur Naturerkenntnis beisteuert. Und diese Form bedeutet hier das »Vermögen« des Verstandes, »das Mannigfaltige überhaupt zu verbinden« (B 164 f.). Wie alle Prinzipien a priori sollen die Verstandesgesetze eine Notwendigkeit begründen, und zwar eine solche, die vermutlich von objektiver Gültigkeit ist. Da sie zugleich durch den Verstand die Gemütskraft des Erkenntnisvermögens (im engeren Sinne der bloß oberen), zu dem also hier nicht die reine Anschauung gehört, bestimmt (EE XI, 11. Abs.) (20:245.21–28), so muss sich die zu begründende Notwendigkeit auf die Naturerkenntnis, d. h. zuletzt auf die Erkenntnisurteile beziehen. Im engeren Sinne ist die Notwendigkeit der Erkenntnis als Naturnotwendigkeit vom Grundsatz der Kausalität als ihrem Kriterium abhängig und auf die Natur als Zusammenhang von Erscheinungen eingeschränkt.630 Sie ist aber auch selbst 626 627 628 629 630
Vgl. KrV, B 159 f., B 165. Vgl. KrV, B 198 / A 159; B 570 / A 542. Vgl. KrV, B 163–165, B 263, B 280. Vgl. KrV, B 570 / A 542. Vgl. KrV, B XXVII, B 4 f., B 279–281.
XI. Abschnitt: Enzyklopädische Introduktion
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ein Grundsatz, insofern sie als Prinzip der Modalität zu den »Postulaten des empirischen Denkens überhaupt« gezählt werden muss und sich dabei als materiale Notwendigkeit auf die Existenz der Gegenstände bezieht (B 279–282). Inwiefern begründet aber das Prinzip der Gesetzmäßigkeit des Verstandes oder inwiefern begründen dessen Gesetze die Notwendigkeit von Naturerkenntnis bzw. von Erkenntnisurteilen? Notwendigkeit und objektive Gültigkeit stehen hier offensichtlich in einem engen Begründungszusammenhang. Die objektive Gültigkeit der Kategorien wurde in der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe nachgewiesen. Sie gründete sich zuletzt auf die Einheit der Apperzeption (KrV, § 19, B 141 f.; B 169). Die objektive Gültigkeit wird aber den Kategorien wie den Erkenntnisurteilen erst dadurch verliehen, dass sich die Begriffe a priori durch die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption notwendig auf ein Mannigfaltiges der Anschauung in den Formen von Raum und Zeit beziehen und dieses in einem synthetischen Urteil a priori erst zu einem Objekt der Erkenntnis machen (KrV, § 19, B 141 f.). Die Quelle der Notwendigkeit ist die Gesetzgebung des Verstandes, dessen autonome Tätigkeit auf der einen Seite unabhängig von Erfahrung ist und sich auf der anderen Seite auf die Natur richtet. Sie gehört den Verstandesbegriffen von vornherein und wesentlich an und ist zugleich objektiv und allgemein (B 168, vgl. B 3–5). Bloß subjektiv wäre die Notwendigkeit, wenn sie etwa als angeboren und zufällig vorhanden angenommen würde (B 168, B 5). Die objektive Gültigkeit der Kategorien beruht darauf, »daß durch sie allein Erfahrung (der Form des Denkens nach) möglich sei«. Und demzufolge beziehen sie sich notwendig a priori auch auf Gegenstände der Erfahrung (B 126 / A 93). »Begriffe, die den objektiven Grund der Möglichkeit der Erfahrung abgeben, sind eben darum notwendig.« (B 126 / A 93)
(2) »Gefühl der Lust und Unlust« – »Urtheilskraft« – »Zweckmäßigkeit«631 Das zweite Zuordnungsverhältnis, das in EE XI, 11. Abs., E IX, 3. Abs. und »Tafel«, notiert ist, besteht darin, dass die Urteilskraft das ihr eigentümliche Prinzip der Zweckmäßigkeit auf das Gefühl der Lust und Unlust Einfluss nehmen lässt. Um dafür eine Erläuterung zu geben, können wir auf frühere Kommentarstellen zurückgreifen und uns auch dementsprechend kurz fassen. Eigentlich kann es sich hier nur um die auf den ästhetischen Gebrauch eingeschränkte Urteilskraft handeln, denn nur diese tritt in Beziehung zum Lust / Unlust-Gefühl. Ihr Prinzip ist nicht das einer inhaltlich auslegbaren Zweckmäßigkeit, sondern das der subjektiven Zweckmäßigkeit, das sie sich selbst (also weder der Natur noch dem Handeln) als Gesetz vorschreibt. Subjektiv ist dieses Prinzip also insofern, als es sich gar nicht vermittelst von Begriffen (des Verstandes oder der Vernunft) auf Anschauungsobjekte der Natur bezieht, sondern bloß den Verstand 631
Vgl. Kommentar zu E IX, S. 564.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
durch die Regel der Zweckmäßigkeit dazu anleitet, für die in der Natur vorgefundenen und durch die Einbildungskraft in Vorstellungen umgewandelten schönen Naturformen angemessene Begriffe zu erfinden (denn es heißt ja auch, dass der Verstand keine Begriffe dafür »verschafft«).632 Das Prinzip der (subjektiven) Zweckmäßigkeit ist formal in der Hinsicht, dass es von allen nur denkbaren inhaltlichen Zweckvorgaben absieht und sich damit auf eine Zweckmäßigkeit »ohne Zweck« reduziert. Es wird zu einem Selbstzweck, zu einer Zweckmäßigkeit, die ganz formal einen völlig unbestimmten Zweck überhaupt mit seiner Wirkung im Subjekt verbindet. Die Notwendigkeit, die das subjektive und formale Prinzip der Zweckmäßigkeit begründet, ist gleichfalls nur von subjektiver Gültigkeit, allerdings von einer solchen, die – wie Kant nachgewiesen zu haben beansprucht – allgemeingültig ist. Nur deswegen kann das Geschmacksurteil beanspruchen, überhaupt ein Urteil zu sein. Die einzelnen Kriterien der subjektiven Allgemeingültigkeit wurden weiter oben im Textkommentar angeführt. Durch das formale Prinzip der subjektiven Zweckmäßigkeit soll die (ästhetische) Urteilskraft das Gefühl der Lust und Unlust – analog zu den anderen oberen Erkenntnisvermögen und den diesen zugeordneten Gemütsvermögen »bestimmen«. Das Bestimmen kann hier weder den Status einer objektiven Erkenntnis durch den Verstand noch denjenigen einer praktischen durch die Vernunft haben. Denn dazu fehlt es an Begriffen a priori. Aber irgendeine Form des Bestimmens muss hier vorliegen. Nun resultiert das Gefühl von Lust und Unlust – wie wir gesehen haben – aus einem »freien Spiel« der Erkenntniskräfte, in welchem Einbildungskraft und Verstand gleichberechtigt und zwanglos ästhetische Vorstellungsformen (Anschauungen) und unbestimmte Begriffsformen gemäß des formalen Prinzips der Zweckmäßigkeit a priori miteinander vergleichen und zur Übereinstimmung bringen.633 Das Bestimmen kann also hier auch nur ein ganz formales Bestimmen sein. Und da es ohne einen bestimmten Begriff bestimmt wird, kann es überhaupt nur als das Gefühl ausgedrückt werden, dass irgend etwas in der Natur, das als schön wahrgenommen wird, auch zweckmäßig ist und insofern als schön erkannt wird. Im ästhetischen Urteil kann einem beliebigen Gegenstand das Prädikat des Schönen nur deswegen beigelegt werden, weil in der Reflexion die Feststellung der Zweckmäßigkeit vorausgeht und das Lustgefühl als ein Selbst- und Lebensgefühl (KU, § 1) diesen Befund manifestiert. Das Gefühl der Lust und Unlust wird also durch die Urteilskraft nur insofern »bestimmt«, als ein Bewusstsein zur Unterscheidung darüber vorhanden ist, ob entweder Lust oder Unlust gefühlt wird (vgl. KU, § 1).
632 633
Vgl. Kommentar zu E IX, S. 564. S. Kommentar, S. 168–184; vgl. A. Wachter (2006), Das Spiel in der Ästhetik, 88 ff.
XI. Abschnitt: Enzyklopädische Introduktion
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(3)»Begehrungsvermögen« – »Vernunft« – »Zweckmäßigkeit, die zugleich Gesetz ist (Verbindlichkeit)«, bzw. »Endzweck«.634 Das dritte Zuordnungsverhältnis, dessen begründungstheoretisches Zentrum die »Vernunft« ist, verläuft über ein Prinzip, das Kant »Zweckmäßigkeit, die zugleich Gesetz ist« und in einem Zusatz »Verbindlichkeit« nennt. In Abweichung davon wird es in der »Tafel« der Einleitung an der maßgeblichen Stelle (E IX, 4. Abs.) (5:198) »Endzweck« genannt. Wir suchen eine Erklärung für die Hauptfrage, wie die Vernunft durch das ihr eigentümliche Prinzip das Begehrungsvermögen bestimmt. Dazu ist zunächst zu klären, inwiefern das zugehörige Prinzip formal (s. KpV, 5:31–34) und subjektiv und zugleich »von objectiver Gültigkeit« ist (EE XI, 11. Abs.) und worin die Abweichung der Prinzipienbenennung zwischen EE und E begründet ist. Der Begriff der Vernunft, mit dem wir es hier zu tun haben, bedarf einer kurzen Erläuterung, die vielleicht am besten der Vorrede und der Einleitung zur KpV zu entnehmen ist. Denn dort stellt Kant unmissverständlich klar, dass sich die Kritik innerhalb der KpV nicht auf die reine praktische Vernunft richtet, sondern auf den praktischen Gebrauch derselben, insofern sie empirisch-bedingter Bestimmungsgrund des Willens ist (KpV, Einleitung, 5:15). Das soll zugleich den Titel der »Kritik der praktischen Vernunft« erklären und rechtfertigen (ebd., vgl. KpV, Vorrede, 5:3). Es ist nach Kant nämlich allein die reine Vernunft, die unbedingt praktisch ist. Und diese Vernunft bedarf gar keiner Kritik mehr, weil sie selbst »die Richtschnur zur Kritik alles ihres Gebrauchs enthält«.635 Die zentrale Aufgabe einer Kritik der praktischen Vernunft ist es somit, den Anspruch der empirisch-bedingten praktischen Vernunft, den alleinigen Bestimmungsgrund des Willens abzugeben, in Schranken zu verweisen. Insofern ist der praktische Gebrauch der reinen Vernunft »immanent«, der empirisch bedingte Gebrauch aber »transcendent« (5:16).636 Es ist hier ferner anzumerken, dass die Vernunft, die unter dem Namen der reinen praktischen auftritt, immer noch dieselbe »reine« Vernunft sein soll, die in der KrV hinsichtlich ihres »speculativen« (und damit bloß negativen) Gebrauchs der Kritik unterzogen wurde, und deren Erkenntnis in der KpV »dem praktischen Gebrauch zum Grunde« liegen soll.637 Die nun so bestimmte Vernunft (als reine praktische) ist wie der Verstand und die Urteilskraft als oberes Erkenntnisvermögen darin autonom, dass sie gesetz-
Vgl. Kommentar zu E IX, S. 565. KpV, Einleitung, 5:16; vgl. Vorrede, 5:3. 636 Die KrV beginnt mit der Ästhetik. Der transzendente und überschwengliche Gebrauch der Verstandesprinzipien besteht darin, die Sinnlichkeit zu verlassen. Die KpV verfährt umgekehrt. Sie endet mit der Ästhetik, die die Kritik auf sich zieht, die Gesetzmäßigkeit des Willens durch Bedingungen der Sinnlichkeit einzuschränken und damit in seiner Autonomie aufzuheben (s. KpV, Vorrede und Einleitung). 637 Vgl. KpV, Einleitung, 5:16. 634 635
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
gebend und damit zugleich bestimmend ist, insbesondere aber darin, dass sie auf dem freien Willen beruht und gleichbedeutend ist mit »Freiheit im positiven Verstand«.638 Und wie Kant in der dritten Spalte der Tabelle in EE XI, 12. Abs. (20:246.1–15), anzeigt, beruhen die Gesetze der Vernunft auf einem Prinzip a priori von gesetzlicher Zweckmäßigkeit, die sich in das Stichwort »Verbindlichkeit« fassen lässt, und zwar beruhen sie darauf – wie sich zeigen wird – unbedingt und unmittelbar (vgl. 5:31.7–8). Die Formel einer »Zweckmäßigkeit, die zugleich Gesetz ist« und der die Bedeutung von »Verbindlichkeit« zukommt, ist in Kants kritischen Haupt- und Nebenschriften zur praktischen Philosophie (insbesondere in der KpV, der Grundlegung und in der MS) wortgetreu nicht nachzuweisen. Es muss sich jedenfalls um eine praktische Notwendigkeit handeln, und da sie zugleich formal sein muss, wird sie von jedem konkreten Zweck (des Begehrens) abstrahieren.639 Allerdings kann sie nicht von jedem begrifflichen Inhalt überhaupt absehen, sofern sie zu etwas verbindlich machen soll.640 Dieses Etwas ist nämlich der höchste Zweck (Endzweck), den sich der Mensch als moralisches Wesen zum Vorsatz machen kann, d. i. »das höchste Gut in der Welt«.641 Die »Verbindlichkeit« richtet sich darauf, das »höchste Gut« oder die Sittlichkeit wirklich zu machen.642 Der Grund der Verbindlichkeit ist aber die Autonomie der Vernunft,643 die durch das moralische Gesetz, und zwar bloß durch dessen Form644, den freien Willen (als Begehrungsvermögen) bestimmt, so dass dieser in seiner freien Kausalität zugleich mit Notwendigkeit (nach der Vorstellung des höchsten Gutes als eines ihm a priori gegebenen Objekts (KpV, 5:4)), handelt. Denn das moralische Gesetz gebietet, nach der Vorstellung des höchsten praktischen Zwecks zu handeln. Was Verbindlichkeit und damit moralische Pflicht sei, sagt laut Kant der kategorische Imperativ aus.645 Die Materie der Maximen geht auf einen Zweck, der zugleich Vgl. KpV, § 8, 5:33. Das moralische Gesetz ist Ausdruck der Autonomie der reinen praktischen Vernunft, d. h. der Freiheit (ebd.). 639 Vgl. KpV, § 8 (5:33). 640 Vgl. aber MS, 6:222. 641 KU, § 84, 4. bis 5. Abs. (5:435 f.); KU, § 87, 3. Abs. (5:448.29–450.3). Vgl. MS (6:395); Grundlegung (4:439); problematisch: Religion (6:7). 642 KpV, (5:124–126, vgl. 5:4). 643 KpV (5:33, 5:125 f.). 644 Vgl. KpV, § 7 (5:31). 645 S. 6:225. Zur rechtlichen Variante der »Verbindlichkeit«, auf die ich hier nicht näher eingehen kann, vgl. u. a.: MS, 6:227, 6:255. Zum systematischen Zusammenhang zwischen moralischer und rechtlicher Verbindlichkeit s. die aufschlussreiche Untersuchung von Manfred Baum (2005), Freiheit und Verbindlichkeit in Kants Moralphilosophie, 31–43, spez. 41–43; sowie Thomas, A. (2004), Das Problem der rechtlichen Verbindlichkeit bei Kant, 361–378, spez. 371–378. Zur Verbindlichkeit in Bezug auf die Gegenstandsbeziehung in der Erfahrung vgl. Dörflinger, B. (2000), Das Leben, 240 ff. 638
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Pflicht ist (MS, 6:394 f.), und Maximen müssen »jederzeit einen Zweck enthalten«. Deshalb benutzt Kant gelegentlich auch eine Formel des kategorischen Imperativs, die vom Zweckbegriff Gebrauch macht: »handle nach einer Maxime der Zwecke, die zu haben für jedermann ein allgemeines Gesetz sein kann.«646 Die Notwendigkeit, die das moralische Gesetz konstituiert, ist nun auf der einen Seite eine subjektive, insofern sie sich auf die Maximen (subjektiven Grundsätze) eines subjektiven Willens bezieht;647 auf der anderen Seite ist sie objektiv gültig dadurch, dass das moralische Gesetz, zu dem sich die subjektiven Grundsätze qualifizieren sollen, notwendig allgemein ist und objektiv gebietet.648 Unter dem moralisch-praktischen Gesetz wird die Handlung zur Pflicht und die ihr anhaftende objektiv praktische Notwendigkeit zur Verbindlichkeit (6:224). Diejenige moralische Notwendigkeit, die zugleich eine Verbindlichkeit enthält, wird definiert als »die Nothwendigkeit einer freien Handlung unter einem kategorischen Imperativ der Vernunft«.649 Der Grund (die Form) der Verbindlichkeit ist das moralische Gesetz.650 Die »Materie der Verbindlichkeit« ist die Pflicht.651 Zur Verbindlichkeit gehört aber nicht nur die Notwendigkeit eines moralisch-praktischen Gesetzes, sondern auch (moralische) »Nöthigung«.652 Diese richtet sich auf eine Handlung als Pflicht und resultiert aus dem objektiven Gesetz der reinen praktischen Vernunft.653 Pflicht und Verbindlichkeit drücken die »objective praktische Nothwendigkeit gewisser Handlungen« aus.654 Mit Hilfe der vorangegangenen Betrachtungen von einschlägigen Textabschnitten in der Grundlegung, der KpV und der MS ist es gelungen, das Prinzip der Vernunft (d. i. die Zweckmäßigkeit, insofern sie Gesetz ist, die Verbindlichkeit stiftet) zu analysieren, kraft dessen die Vernunft das Begehrungsvermögen bestimmt. Somit kann nun die oben (S. 299) gestellte Teilfrage, wie die Vernunft das Begehrungsvermögen bestimmt, beantwortet werden: Die Gesetze der reinen, d. h. unbedingt praktischen Vernunft erhalten ihre Gesetzeskraft unmittelbar von einem subjektiven formalen Prinzip der Zweckmäßigkeit, weil dieses zugleich Gesetz ist. Dass es formal ist, sichert seine Unabhängigkeit von konkreten Zwecken des Begehrens. MS, 6:395; vgl. 6:389; Grundlegung, 4:437–439; vgl. 4:429.10–13; Mutmaßlicher Anfang, 8:114. 647 Vgl. KpV, § 7, 5:30 f.; MS, 6:225. 648 Vgl. KpV, § 7, 5:30 f.; vgl. ebd., 5:34, 81; vgl. MS, 6:225; vgl. Grundlegung, 4:428.34– 429.13, 4:449.7–11, 4:412.26–413.8. 649 MS, 6:222, vgl. ebd., 6:221. 650 Grundlegung, 4:389. 651 MS, 6:222. 652 MS, 6:223, 6:394, 6:405 u. ö.; KpV, 5:32, 5:81; Grundlegung, 4:439; vgl. Schönecker, D. (1999), Kant. Grundlegung III, 83–84. Ich berücksichtige hier nicht den Unterschied in der Bedeutung der Verbindlichkeit hinsichtlich des ethischen und des rechtlichen Zwangs (s. dazu 6:231–232, 6:394). 653 KpV, § 7, Anm. (5:32). 654 MS, 6:224; vgl. Grundlegung, 4:439. 646
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Durch die Form des Gesetzes wird aber der Wille als Begehrungsvermögen dazu bestimmt, den Endzweck (die Wirklichkeit des moralischen Gesetzes als höchsten Gutes in der Welt) zu wollen, und zwar nicht nur subjektiv nach den Maximen des Subjekts, sondern auch objektiv, insofern das Gesetz notwendig allgemeingültig ist.655 Erst dadurch schafft das moralische Gesetz (der kategorische Imperativ) eine Verbindlichkeit, die eine Handlung zur Pflicht macht. Es ist aber noch zu klären, weshalb Kant die Formel von einer »Zweckmäßigkeit, die zugleich Gesetz ist (Verbindlichkeit)«, an der untersten Stelle der Spalte der »Prinzipien a priori« in der Einleitung nicht beibehalten, sondern durch den Begriff des »Endzwecks« ersetzt hat. Kant selbst rechtfertigt diese Abweichung nicht. Innerhalb der KU wird der Begriff des »Endzwecks« zum Thema vornehmlich in den §§ 84, 86, 87. Hier finden wir auch gleich am Anfang eine Definition: »Endzweck ist derjenige Zweck, der keines anderen als Bedingung seiner Möglichkeit bedarf.« (KU, § 84, 1. Abs.) (5:434.7–8) Wenn, wie wir an früherer Stelle bemerkt haben, dass der Begriff des Zwecks Ausdruck einer Kausalität aus Begriffen (der Vernunft) oder aus subjektiven Vorstellungen ist, dessen Verwirklichung von weiteren Bedingungen (bestimmten Mitteln) abhängt, dann bezeichnet der »Endzweck« einen solchen Zweck, der auch ohne solche Bedingungen zumindest möglich ist. Er ist deshalb in Kants Vorstellung von einem System oder »Reich« der Zwecke656 der erste und höchste Zweck. Und da er absolut unbedingt sein muss, kann er nicht mehr als Mittel für irgendeinen anderen Zweck dienen. D. h. er ist im Grunde Zweck für sich selbst (Selbstzweck). Damit kann er aber auch nicht bloß ein Zweck der Natur sein. Denn diese kann das geforderte Kriterium der Unbedingtheit nicht erfüllen: »[…] es ist nichts in der Natur (als einem Sinnenwesen), wozu der in ihr selbst befindliche Bestimmungsgrund nicht immer wiederum bedingt wäre […].« (KU, § 84, 3. Abs.) (5:435.6–8) Der objektive Grund der Möglichkeit einer Zweckmäßigkeit der Natur wird in einem übernatürlichen, produktiven Verstand gedacht, der nicht der menschliche sein kann; und in diesem hat auch die Idee des Endzwecks ihren Ursprung.657 Etwas, das »als Endzweck einer verständigen Ursache existieren soll, muß [deshalb, WE] von der Art sein, daß es in der Ordnung der Zwecke von keiner anderweitigen Bedingung als bloß seiner Idee abhängig ist.« (KU, § 84, 3. Abs.) (5:435.11–14). Das trifft aber ausschließlich auf den Menschen in seiner intelligiblen Natur als Freiheitswesen zu. Denn seine Kausalität ist darauf gerichtet, sich selbst Zwecke zu setzen und nach einem Gesetz (d. i. dem moralischen Gesetz) zu bestimmen, dessen Urheber er selbst ist und dessen Geltung ganz unabhängig von Naturursachen sein
Dies ist zufolge Religion (6:7) problematisch, weil der Endzweck nicht im moralischen Gesetz enthalten sein soll und also nicht analytisch aus ihm folgen kann. 656 Vgl. KU, § 86, 4. bis 5. Abs. (5:444). 657 KU, § 84, 2. Abs.; vgl. ebd., § 86, 3. (5:443.29 ff.) und 5. Abs. (5:444.12–32). 655
XI. Abschnitt: Enzyklopädische Introduktion
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muß.658 Das Objekt als der höchste Zweck, den sich der Mensch zum obersten, erreichbaren Ziel seiner Wirkungen machen kann, ist nichts anderes als »das höchste Gut in der Welt«.659 Auf das »höchste Gut« als den objektiven Zweck und die Materie der praktischen Zweckmäßigkeit waren wir auch vorhin in der Kommentierung des dritten Prinzips unter dem Stichwort der »Verbindlichkeit« gestoßen. Damit wird der Mensch selbst zum letzten und einzigen unbedingten Endzweck der Welt und der Schöpfung (vgl. KU, § 86). Der Endzweck ist – wie Kant bereits in der KrV selbstsicher notiert – »kein anderer, als die ganze Bestimmung des Menschen«. Die Philosophie aber, die sich damit zu befassen hat, »heißt Moral« (KrV, B 868 / A 840). Die Existenz des Menschen kann deshalb nicht wieder einer »Wozu«Frage ausgesetzt werden. Denn: »Sein Dasein hat den höchsten Zweck selbst in sich […].« (KU, § 84, 5. Abs.) (5:435.27 f.) Dieser Zweck ist Selbstzweck (Zweck in sich selbst), insofern er den Menschen als Instanz und Autor vernünftiger Zwecksetzung überhaupt zum Gegenstand der Zwecksetzung hat.660 Und dieser Zweck kann, wenn er ein unbedingter sein soll, nur ein moralischer sein, so wie der Mensch nur als moralisches Wesen Endzweck der Schöpfung ist: »[…] nur im Menschen, aber auch in diesem nur als Subjekte der Moralität, ist die unbedingte Gesetzgebung in Ansehung der Zwecke anzutreffen, welche ihn also allein fähig macht, ein Endzweck zu sein, dem die ganze Natur teleologisch untergeordnet ist.«661 In letzter Konsequenz ist es dann der freie Wille als das obere Begehrungsvermögen, auf den der Endzweck der Welt bezogen sein muß.662 Jedoch ist der einzige unbedingte Endzweck der Schöpfung und der Welt das höchste Gut, d. i. das Dasein des Menschen in der Welt »unter« moralischen Gesetzen.663 Dieser Begriff ist aber zugleich auch »ein Prinzip a priori, wonach sich der Mensch notwendig beurteilen muß«.664 Es macht die besondere Qualität des moralischen Gesetzes aus, dass es auf der einen Seite »als formale Vernunftbedingung des Gebrauchs unserer Freiheit«665 eine Verbindlichkeit begründet, die von keinem anderen Zweck »als materialer Bedingung« abhängt;666 und auf der anderen Seite der Vernunft einen Zweck vorschreibt, der insofern unbedingt ist, als er von der Vernunft selbst gesetzt wird, und das ist eben der Begriff des Endzwecks, d. i. die Verbindlichkeit, »das höchste durch Freiheit mögliche Gut in der Welt« wirklich zu machen. In einer solchen Zweckbeziehung,
KU, § 84, 4. Abs. (5:435.15–24); vgl. KrV, B 425 f. KU, § 84, 4. Abs.; vgl. ebd., § 86, 5. Abs. (5:444.12 ff.). 660 Vgl. Baum, M. (2005), Freiheit und Verbindlichkeit in Kants Moralphilosophie, 42. 661 KU, § 84, 5. Abs. (5:435.34–436.2); vgl. ebd., § 86, 2. (5:443.14 ff.) und 6. Abs. (5:444. 33–445.22); vgl. KrV, B 425–426. 662 Vgl. KU, § 86, 1. Abs. (5:443.4–13). 663 Vgl. KU, § 86, 5.–6. Abs. (5:444.12–445.22); § 87, 3. Abs. und Fn. (5:448.29–450.3). 664 KU, § 86, 6. Abs. (5:445.5 f.). 665 KU, § 87, 4. Abs. (5:450.4–5). 666 Ebd. (5:450.6). 658 659
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
in der die Vernunft selbst sich als Endzweck bestimmt, ist sie sich selbst zugleich auch »das oberste Gesetz«.667 Aus diesem Zusammenhang heraus ist erkennbar, dass es in der Sache keinen wesentlichen Unterschied macht, wenn Kant das Prinzip a priori der Vernunft in der »Tafel« der EE »Zweckmäßigkeit, die zugleich Gesetz ist (Verbindlichkeit)« und in der der Einleitung »Endzweck« nennt.668 Er mag die zweite Formel einfach deshalb bevorzugt haben, weil sie kürzer und griffiger ist; die erste hingegen könnte er gewählt haben, weil sie zugleich als drittes Glied der drei Erkenntnisprinzipien die Einheit von »Gesetzmäßigkeit« und »Zweckmäßigkeit« besser zum Ausdruck bringt.
(4) »Natur« – »Kunst« – »Sitten« (»Freiheit«) Um seine »Tafel« zu komplettieren, ordnet Kant den Prinzipien noch drei Titel zu, die er hier in EE XI »Produkte« nennt: »Endlich gesellen sich zu den angeführten Gründen a priori der Möglichkeit der Formen auch diese, als Produkte derselben.« (EE XI, 12. Abs.) (20:246.1–2) Die »angeführten Gründe a priori« sind die formalen Prinzipien, über die im elften Absatz dieses Abschnittes zu erfahren war, dass sie eine Notwendigkeit begründen. Aber was hat man unter den »Formen« zu verstehen, deren Möglichkeit durch die Prinzipien a priori begründet werden? Sie müssen sich aus den Prinzipien selbst herleiten lassen, und dann handelt es sich – wie weiter oben bereits gesehen – im Falle der »Gesetzmäßigkeit« des Verstandes um dessen Grundsätze als den allgemeinen Naturgesetzen, im Falle der »Zweckmäßigkeit« der Urteilskraft um die schönen Formen der Natur und schließlich drittens um die moralischen Gesetze. Die drei »Produkte«, die in die Übersicht in EE XI an letzter Stelle neben die Prinzipien a priori eingeordnet werden, sind: »Natur«, »Kunst«, »Sitten«. Anstelle der »Sitten« ist in E IX zu lesen: »Freiheit« (5:198). »Produkte« werden sie vermutlich deswegen genannt, weil die ihnen korrespondierenden »oberen« Erkenntnisvermögen sie durch ihre autonome Tätigkeit hervorgebracht haben. In der Einleitung lautet der Obertitel nicht »Produkte«, sondern »Anwendung auf« (5:198). Das, was jeweils angewendet wird, sind demnach die Prinzipien a priori, so dass also z. B. der Verstand seine Gesetzmäßigkeit auf die Natur bezieht (bzw. anwendet). Aber die Natur ist zugleich das, was der Verstand durch seine Gesetzgebung erst konstituiert, d. i. die Natur bloß als Erscheinung. »Produkt« ist die Natur nach der subjektiven Seite ihres Hervorgebrachtwerdens. Auf sie wendet der Verstand seine Gesetze an, indem er sie auf Objekte bezieht, KU; § 87, 3.–4. Abs. (5:450.8–9, 449.14). Die Wahl des Terminus »Endzweck« in E IX erscheint mir deshalb als wenig vorteilhaft, weil die Erklärungen darüber, die sich in Kants kritischen Schriften finden nicht homogen, gelegentlich sogar irritierend sind. 667
668
XI. Abschnitt: Enzyklopädische Introduktion
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für deren Form (zu der auch die sinnliche Anschauung gehört) er zugleich die Bestimmungsmomente in sich enthält. Und entsprechend verhält es sich auch mit der »Kunst«669 und den »Sitten«. Es betrifft also auch hier lediglich einen Unterschied in der Betrachtungsweise, nicht in der Sache, wenn in der Einleitung mit »Anwendung auf« ein anderer Obertitel gewählt wird. Im dreizehnten Absatz von EE XI erläutert Kant ganz kurz die drei Produkte im Gesamtzusammenhang aller in der »Tafel« geordneten Titel. Dabei ist das bisher bei den Zuordnungen befolgte Begründungsverhältnis umzukehren. Während im elften Absatz die Prinzipien a priori aus den Erkenntnisvermögen abgeleitet wurden, sagt Kant nun am Anfang von Abs. 13: »Die Natur also gründet ihre Gesetzmäßigkeit auf Principien a priori des Verstandes als eines Erkenntnißvermögens […].« (20:246.16 f.) Nun ist aber anzumerken, dass die »Principien a priori« des Verstandes nichts anderes sind als dessen »Gesetzmäßigkeit«. Indem aber vorhin bereits festgestellt worden ist, dass der Naturbegriff unter dem doppelten Aspekt eines Erzeugnisses des Verstandes und eines Anwendungsgegenstandes betrachtet werden kann, so wird auch von der Gesetzmäßigkeit der Natur (als Gegenstandes der Erfahrung) gelten dürfen, dass sie zugleich die allgemeine Gesetzmäßigkeit des Verstandes ist. Das zweite »Produkt« – die »Kunst« – »richtet sich in ihrer Zweckmäßigkeit a priori nach der Urtheilskraft, in Beziehung aufs Gefühl der Lust und Unlust […].« (20:246.17–19) Ihr Prinzip ist die subjektive, formale Zweckmäßigkeit ohne einen Zweckbegriff, und dieses Prinzip hat seinen Ursprung in der ästhetisch reflektierenden Urteilskraft, die durch ihre Beurteilung ein Gefühl der Lust und Unlust des Gemüts hervorruft. Aber wie weit ist hier der Begriff der »Kunst« zu fassen? Diese Frage lässt sich mit Hilfe der §§ 43–50 der KU ziemlich eindeutig beantworten. In unserem bisherigen Kommentar haben wir uns auf den Begriff der »Kunst« als einer »Technik der Natur« gestützt.670 Insofern steht zu vermuten, dass auch hier in EE XI dieses Verständnis zugrunde liegt. Zunächst scheint es aber nicht ausgeschlossen zu sein, dass der diskutierte Kunstbegriff auch die »schöne Kunst« betrifft oder einschließt, insofern ein Urteil über die Kunstschönheit ein reines Geschmacksurteil sein könnte (KU, § 44). Denn die »schöne Kunst« ist ohne einen Zweckbegriff »für sich selbst zweckmäßig« (KU, § 44, 4. Abs.) (5:306.3 f.).671 Das Geschmacksurteil beruhte wiederum auf der Lust, die ein Gefühl im Spiel der Erkenntniskräfte ist.672 So wie aber Naturprodukte insofern »schön« genannt wurden,
669 Auf die mit dem Titel der »Kunst« möglicherweise verbundene Problematik hinsichtlich der Frage nach seiner Berechtigung innerhalb der Einteilungstafel gehe ich im Kommentar zu E IX näher ein. Diese Problematik führt über das hinaus, was im Kommentar zu EE XI zum Kunst-Begriff noch zu sagen ist. 670 Vgl. Kommentar zu E VIII, S. 537 f. 671 Vgl. dagegen KU, § 47, 3. Abs.: »Denn etwas muß dabei als Zweck gedacht werden, sonst kann man ihr Produkt gar keiner Kunst zuschreiben […]« (5:310.11–12). 672 Vgl. KU, § 45, 1. Abs.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
als sie ein Analogon der Kunst waren, so kann die Kunst nur »schön« heißen, insofern sie als Natur erscheint, denn nur dadurch kann sie nach Kant frei sein »von allem Zwange willkürlicher Regeln«.673 Schön kann die Kunst in ihren Produkten weiterhin nur sein, wenn sie den Anschein von Unabsichtlichkeit hat, d. h. wenn sie »in der bloßen Beurteilung« gefällt.674 Am stärksten spricht für die Einbeziehung der Beurteilung des Kunstschönen in die Systematik der Geschmackslehre und auch in die Tafel der Gemütsvermögen der zweite Absatz von § 45. Denn dort heißt es: »[…] [W]ir können allgemein sagen, es mag die Natur- oder die Kunstschönheit betreffen: schön ist das, was in der bloßen Beurteilung (nicht in der Sinnenempfindung, noch durch einen Begriff) gefällt.« (5:306.24–26) Trotzdem konstatiert Kant, dass mit der schaffenden Kunst und dadurch mittelbar auch der Kunstbeurteilung »jederzeit eine bestimmte Absicht etwas hervorzubringen« verbunden sei (5:306.27). Da die Absicht aber weder Empfindung noch ein bestimmter Objektbegriff sein kann (KU, § 45, 2. Abs.), so folgert Kant, dass »die Zweckmäßigkeit im Produkte der schönen Kunst, ob sie zwar absichtlich ist«, doch nichtabsichtlich scheine (Kant: »nicht absichtlich scheinen« (KU, § 45, 3. Abs.) (5:306.35–307.1). Das ist gleichbedeutend damit, dass Kunst »als Natur anzusehen sein« muss, bzw. dass ein Kunstwerk als Natur erscheint (ebd.). Kunst als Scheinen der Natur wäre somit die adäquate Formel für Kants Begriff der schönen Kunst, bzw. das Schöne der Kunst wäre die Negation der Negation der Schönheit der Natur (vgl. KU, § 45, 1. und 3. Abs.). Abgesehen davon, dass in Kants Text oftmals unklar bleibt, ob in Bezug auf den Begriff der Kunst vom Kunstschaffen oder vom Betrachten eines Kunstwerkes die Rede ist, so ergibt sich aus der Unterscheidung zwischen dem Kunstschönen und dem Naturschönen in KU, § 48, dass die »schöne Kunst« nicht nur in der Bedeutung des Kunstschaffens, sondern auch und vor allem in der der Beurteilung eines Kunstwerkes nicht unter den Begriff von »Kunst« gefasst werden kann, der in EE XI in der Rubrik der »Produkte« enthalten ist. Denn erstens müsste dazu auch »Genie« oder Naturtalent berücksichtigt werden, und zwar selbst in der Beurteilung, weil diese auf das Genie als Urheber künstlerischer Betätigung Rücksicht nehmen muss.675 Das Genievermögen, welches naturbedingt ist (KU, § 46, 1. und 3. Abs.), kommt aber in der Ordnung der Vermögen in EE XI gar nicht vor. Zweitens würde die Beurteilung eines Kunstwerkes sowohl einen Zweckbegriff als auch Vollkommenheit des Gegenstandes voraussetzen (KU, § 48, 4. Abs.) (5:311.20–29). Dies lässt aber § 15 in Bezug auf ein Geschmacksurteil nicht zu. Um einen Gegenstand als Kunstprodukt für schön zu erklären, muss der Begriff vom Zweck eines solchen Dinges (ein Begriff von dem, »was das Ding sein soll«) zugrunde gelegt werden (KU, § 48, 4. Abs.) (5:311.20–29), »weil Kunst immer einen 673 674 675
KU, § 45, 1. Abs. (5:306.16); vgl. ebd., 3. Abs. KU, § 45, 2. Abs. (5:306.25–26). Vgl. KU, § 48, 2. Abs. (5:311.6–13).
XI. Abschnitt: Enzyklopädische Introduktion
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Zweck in der Ursache (und deren Kausalität) voraussetzt« (ebd.) (5:311.22 f.). Ebenso setzt die Kunstschönheit die Vollkommenheit des Kunstobjekts voraus, weil dieses vollkommen in der Hinsicht ist, dass sein Mannigfaltiges mit seiner inneren Bestimmung als Zweck zusammenstimmt (KU, § 48, 4. Abs.) (5:311.24–28). Nun bedarf der Künstler zwar auch des Geschmacks;676 aber »Geschmack« ist für Kant kein »produktives Vermögen«, sondern bloß ein Vermögen der Beurteilung (obwohl ja, wie wir festgestellt haben, das Urteilsvermögen in Gestalt der Einbildungskraft in gewissem Sinne auch produktiv ist)677. Deshalb kann dasjenige, welches dem Geschmack angemessen ist, kein Kunstprodukt (»nicht ein Werk der schönen Kunst«) sein.678 Obwohl kaum bestritten werden kann, dass Kant in den Genie-Paragraphen eine ambivalente Charakterisierung des Künstlers und vor allem der kunstschaffenden Freiheit vornimmt, ist es doch naheliegend, die These zu unterstützen, dass sich das Kunstwerk in der Beurteilung der Möglichkeit entzieht, Gegenstand eines reinen Geschmacksurteils zu sein. Damit ist aber auch die Kunst im Sinne der schönen und als solche sowohl schaffenden als auch beurteilenden Kunst nicht ein »Produkt«, das in der systematischen Übersicht, die in EE XI gegeben wird, dem Lustgefühl (bzw. dem Geschmack) zugeordnet werden könnte. Sie ist es insbesondere nicht in der Beurteilung der Kunst, weil Kant der Auffassung ist, dass die Bedingungen, von denen das Kunstschaffen abhängt, in der Beurteilung berücksichtigt werden müssen, wenn sie auch im Produkt nicht sichtbar sind. Vielmehr kann es sich dabei nur um ein Naturprodukt handeln, das in der geschmackvollen Beurteilung auch deshalb »schön« genannt wird, weil es so betrachtet wird, »als ob« es ein Produkt der Kunst wäre und insofern auch zweckmäßig ist. Die »Kunst« als »Produkt« der reflektierenden Urteilskraft und als Gegenstand der Beurteilung ist in EE XI deshalb nur das Naturschöne, d. i. Kunst als (formale) »Technik der Natur« bzw. der Natur »wie sie als Kunst erscheint«.679 Entsprechend muss für die Variante der »Tafel« in E IX gesagt werden, dass das Prinzip der Zweckmäßigkeit (ohne Zweck) zumindest im strengen Sinne keine »Anwendung auf« Kunst, als Ausdruck eines geniehaft kreierten Kunstwerkes, finden kann. Das dritte »Produkt«, das in der vollständigen Übersicht von EE XI erscheint, sind die »Sitten«. Im dreizehnten Absatz werden sie zugleich »als Product der Freiheit« angesehen – ein Indiz dafür, dass Kant an der entsprechenden Stelle in E IX den Begriff der »Sitten« vielleicht aus gutem Grund gegen den der »Freiheit« austauscht. Denn die »Sitten« stehen zwar mit der Freiheitsidee der praktischen Vernunft in Zusammenhang; sie sind dieser jedoch nachgeordnet. KU, § 48, 6. Abs. (5:312.28–313.2); vgl. dazu § 50, 2. Abs. (5:319.18–320.5). Vgl. hierzu Kommentar, S. 298. 678 KU, § 48, 6. Abs. (5:312.28–313.2). 679 KU, § 48, 4. Abs. (5:311.16 ff.); s. vor allem auch EE XII, 7. Abs. (20:251.5 ff.).; vgl. auch MS, 6:217 f. 676
677
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Der Begriff der »Sitten« steht in engem Zusammenhang mit Kants Projekt einer »Metaphysik der Sitten«. Deren Aufgabe beschreibt der Autor der späteren gleichnamigen Schrift (aus der Perspektive der Grundlegung) so, dass sie »die Idee und die Principien eines reinen Willens untersuchen [soll] und nicht die Handlungen und Bedingungen des menschlichen Wollens überhaupt, welche größtenteils aus der Psychologie geschöpft werden.«680 Von diesem Lehrstück hat vor allem zu gelten, dass es frei sein muss von aller empirischen Begründung, insbesondere von Gründen, die in der menschlichen Natur liegen (Gefühle, Neigungen), und nur auf Prinzipien a priori der reinen Vernunft beruht, gleich wie sich das moralische Gesetz nicht auf empirische Gründe stützen kann.681 Denn die Sitten selbst bedürfen nach Kant, insofern sie »rein« und nicht aus empirisch zufälligen Beweggründen moralisch gut sein sollen, einer solchen Metaphysik, die die Prinzipien a priori dafür entdeckt, dass das moralisch Gute nicht nur dem Sittengesetz gemäß ist, sondern darüber hinaus, dass es um dieses Gesetzes willen geschieht.682 Weil die Sitten auf dem moralischen Gesetz beruhen, dessen Urheber die reine Vernunft (als freie, zwecksetzende Ursache) ist, liegt ihnen Freiheit zugrunde, und sie stellen insofern freie, moralisch gesetzmäßige Handlungen dar.683 Weiterhin heißt es in EE XI (Abs. 13) von den »Sitten«: Sie »stehen unter der Idee einer solchen Form der Zweckmäßigkeit, die sich zum allgemeinen Gesetze qualificirt, als einem Bestimmungsgrunde der Vernunft in Ansehung des Begehrungsvermögens.« (20:246.20–23) Die Form der Zweckmäßigkeit, um die es hier geht, ist das weiter oben bereits ausführlich erläuterte Prinzip a priori der praktischen Vernunft, das in E IX den Namen »Endzweck« trägt. Es beinhaltet einen ersten, unbedingten moralischen Zweck, der, weil er allgemein und notwendig, d. h. a priori und unabhängig von aller Erfahrung geboten wird, Gesetzeskraft erwirkt und damit eine moralische Verbindlichkeit begründet.684 Diese Zweckmäßigkeit »qualificirt« sich also »zum allgemeinen Gesetze« dadurch, dass sie der praktischen Vernunft entstammt, die das Vermögen ist, moralisch-praktische Gesetze, die zugleich allgemein verbindlich sind, jedermann vorzuschreiben und dadurch das obere Begehrungsvermögen der bloßen Form nach (ohne Rücksicht auf materiale Zwecke) zu bestimmen.685
Grundlegung, 4:390.34–37. In der Grundlegung wird die Aufgabe einer »Metaphysik der Sitten« in kritischer Auseinandersetzung mit der »allgemeinen praktischen Weltweisheit« Christian Wolffs geführt. Diesen philosophie-historischen Rekurs kann ich an dieser Stellt nicht verfolgen (vgl. 4:390.19–391.15). S. dazu Baum, M. (2013), Prior Concepts of the Metaphysics of Morals, 113–137. 681 Grundlegung, 4:388 f.; vgl. ebd., 4:410–412, 4:426, 4:442. 682 Grundlegung, 4:390; vgl. ebd., 4:426. 683 Vgl. Grundlegung, 4:417.1–2 (Sitten sind ›freies Verhalten überhaupt‹). 684 Vgl. Kommentar zu EE XI, S. 302. 685 Vgl. MS, AA VI, S. 216 f.; vgl. ebd., S. 222 f: Durch die ausgesagte Verbindlichkeit, 680
XI. Abschnitt: Enzyklopädische Introduktion
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Die Zweckmäßigkeit als moralisches Gesetz ist der »Bestimmungsgrund« aus und durch Vernunft. Das Bestimmen des Begehrungsvermögens beruht also auf der Qualität des Prinzips als eines allgemein verbindlichen Gesetzes, wodurch dieses Prinzip nicht bloß eine subjektive Notwendigkeit begründet, sondern zugleich objektiv gültig ist.686 Dieses Gesetz (der kategorische Imperativ) gebietet eine allgemeine, zugleich aber auch ganz formale Handlungsweise, der der freie Wille bei der Wahl seiner Maximen zu folgen hat, insofern er ihr folgen will. Dass die »Sitten« nur »unter« jener Idee der Zweckmäßigkeit stehen, bedeutet – wie weiter oben bereits erläutert –, dass es keine Erkenntnisgewissheit darüber geben kann, ob die sittlichen Handlungen auch immer derselben entsprechen werden.687 Der letzte Satz des dreizehnten Absatzes bedarf noch einer kurzen Erklärung. Er lautet: »Die Urtheile, die auf diese Art aus Principien a priori entspringen, welche jedem Grundvermögen des Gemüths eigenthümlich sind, sind theoretische, ästhetische und practische Urtheile.«688
(5) Theoretische, ästhetische und praktische Urteile Die aufgezählten Urteile kommen dem Namen nach in der voranstehenden Übersicht nicht vor. Da sie aber aus den drei Prinzipien a priori resultieren (»entspringen«) sollen, und zwar auf eine bestimmte »Art«, müssen sie zu den »Produkten« gehören. Oder man erweitere die Tafel um eine an die »Produkte« anschließende neue Rubrik, die man »synthetische Urteile a priori« betiteln könnte. Denn die drei Urteilsklassen verbindet ihre Apriorität, insofern sie notwendig und ausschließlich auf Prinzipien a priori der drei oberen Erkenntnisvermögen beruhen, sowie ihre Synthetizität, insofern sie Erkenntnisurteile im weiteren Sinne sein sollen. Die Unterschiede zwischen theoretischen, ästhetischen und praktischen Urteilen, denen auf je spezifische Weise Notwendigkeit zukommt,689 sind ebenfalls im Kommentar bereits erklärt worden.690 Die »Art« ihrer Entstehung (»auf diese Art«) betrifft den jeweiligen, oben besprochenen Bedingungszusammenhang zwischen
die einen Zwang enthält, macht sich der kategorische Imperativ zum moralisch-praktischen Gesetz. 686 Vgl. EE XI, Abs. 11; s. dazu insbesondere Grundlegung, 4:428.24–429.13 sowie 4:412.26–413.8. 687 Vgl. KU, § 87, 3. Abs. (5:48–50); vgl. Kommentar zu EE XI, S. 34. Vgl. dazu u. a.: MS, 4:217.28–218.8. 688 EE XI, 13. Abs. (20:246.23–25). 689 Vgl. den Kommentar zu EE XI, 11. Abs., S. 294 ff. 690 S. Kommentar zu E VIII, S. 189 ff.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
den Erkenntnisvermögen, deren Prinzipien und Produkten.691 Wir gehen diese Bedingungszusammenhänge mit Rücksicht auf die spezifische Differenz der drei Urteilstypen im einzelnen noch einmal durch: 1) Die theoretischen – oder Erkenntnisurteile im engeren Sinne (synthetische Urteile a priori von objektiv notwendiger Gültigkeit) entstehen allein aus der »Art«, wie der Verstand als Erkenntnisvermögen im engeren Sinne durch seine Prinzipien a priori die Gesetzmäßigkeit der (allgemeinen) Natur begründet und bestimmt. Diese Urteile sind objektiv notwendig, insofern sich die reinen Verstandesbegriffe notwendig und bestimmend auf ein Mannigfaltiges der reinen Anschauung a priori beziehen. Weil die Prinzipien a priori des Verstandes dem Erkenntnisvermögen »eigentümlich« sind – und das sind sie insofern, als der Verstand das einzige Erkenntnisvermögen mit bestimmender Funktion in theoretischer Hinsicht ist –, »entspringen« daraus die theoretischen Urteile. Wir beziehen hier das Wort »welche« in dem oben zuletzt zitierten Satz nicht auf die »Urteile«, sondern auf »Prinzipien a priori«. Aber das ist eigentlich unerheblich. Denn aus demselben Grunde ließen sich die Urteile als Eigentümlichkeit der Gemütsvermögen behaupten, da es erst die oberen Erkenntnisvermögen als spezielle Gemütsvermögen sind, die die entsprechenden Urteile konstituieren. 2) Die ästhetischen Urteile (Geschmacksurteile, Erhabenheitsurteile), von denen wir ja wissen, dass sie nicht erkenntniskonstitutive Reflexionsurteile sind (und nichtsdestotrotz Erkenntnisurteile sein sollen), bilden sich daraus, dass die (ästhetisch reflektierende) Urteilskraft durch das ihr eigentümliche Prinzip der subjektiven formalen Zweckmäßigkeit die Zweckmäßigkeit der Natur als »Kunst« (Technik der Natur) begründet. Das Prinzip der Zweckmäßigkeit ist dem »Gefühl der Lust und Unlust« als dem zweiten »Grundvermögen des Gemüts« eigentümlich, insofern sich die ästhetisch reflektierende Urteilskraft, die jenes Prinzip eigentlich hervorbringt, sich so auf Lust und Unlust bezieht, dass durch das freie Spiel von Einbildungskraft und Verstand unter dem regulativen Prinzip der Zweckmäßigkeit das Lustgefühl (als Selbstgefühl des reflektierenden Subjekts) entsteht. Da dieses nun zugleich der Bestimmungsgrund eines ästhetischen Urteils ist, kann das letztere auch als Eigentümlichkeit des Gefühls der Lust und Unlust aufgefasst werden. Die ästhetischen Urteile sind bloß subjektiv gültig, indem das ihnen zugrunde liegende Prinzip von keinem bestimmenden Begriff abhängt und auch keinen bestimmten Begriff hervorbringt, sondern sich allein, und zwar gesetzmäßig, auf das autonome, spontane Tun der Urteilskraft selbst richtet. Das ästhetische Urteil bestimmt keinen Gegenstand und ist insofern kein Erkenntnisurteil im strengen Sinne. Ästhetische Urteile sind aber dennoch notwendig, insofern sie nach allgemeinen Kriterien (allgemeine Mitteilbarkeit) für jedermann gelten, also allgemeingültig sind.
691
Vgl. Kommentar zu EE XI, S. 295 ff.
XI. Abschnitt: Enzyklopädische Introduktion
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3) Schließlich sind die praktischen (moralischen) Urteile, als Gegenstück der ästhetischen, nach § 42 der KU (6. Abs.) (5:300) solche Urteile, die sich zwar auf kein Interesse gründen, aber ein solches hervorbringen, indem sie ein »Wohlgefallen a priori« als allgemeines Gesetz und damit auch als Form praktischer Maximen bestimmen. Dieses Wohlgefallen ist die Lust oder Unlust des moralischen Gefühls (ebd.). Bloß logisch betrachtet unterscheiden sich praktische Urteile von theoretischen darin, dass die ersteren ein »Sollen« enthalten, die letzteren ein »Seyn«.692 Der Sache nach geht es aber hier nicht bloß um praktische Urteile schlechthin, sondern um moralische Urteile. Praktische Urteile können nämlich z. B. auch arithmetische Postulate sein.693 Die praktischen Urteile sind ein Produkt der praktischen Vernunft. Sie werden auf die »Art« aus dem Prinzip der Zweckmäßigkeit hervorgebracht, dass diese sich zu einem allgemeingültigen moralischen Gesetz qualifiziert. Das moralische Gesetz (in Gestalt des kategorischen Imperativs) ist dem Begehrungsvermögen insofern »eigentümlich«, als jeder subjektive Wille darin frei sein soll, das moralische Gesetz bzw. den Endzweck zu wollen und deshalb auch zu wollen, dass subjektive Maximen seines Handelns zum allgemeinen Gesetz werden. Durch das praktische Urteil wird beurteilt, ob eine bestimmte Handlungsweise (als Maxime) (nicht eine konkrete Handlung) dem moralischen Gesetz konform ist oder nicht. Ist dies der Fall, dann ist das Urteil unbedingt notwendig (und zugleich bestimmend), d. h. es erlegt indirekt auch allen anderen praktisch Urteilenden eine Verbindlichkeit auf, genauso zu urteilen. Die moralischen Urteile enthalten den Objektbegriff des Guten (und insofern auch den Endzweck). Sie können Allgemeingültigkeit beanspruchen, indem der Gegenstand durch ein allgemeines Wohlgefallen, das sich auf kein Interesse gründet, aber ein solches hervorbringt,694 bestimmt und somit auch erkannt wird.695 Die praktische Vernunft bestimmt durch das moralische Gesetz im praktischen Urteil objektiv die freie Willensbildung des Begehrungsvermögens (vgl. KpV, 5:78) und sofern auch die Sitten, allerdings nicht auf deterministische Weise (wie der Verstand die Natur), sondern so, dass dieses Bestimmen zugleich ein Selbstbestimmen ist: »im moralischen Urteile wird die Freiheit des Willens als Zusammenstimmung des letzteren mit sich selbst nach allgemeinen Vernunftgesetzen gedacht.« (KU, § 59, 6. Abs.) (5:354.7–9) Das moralische Urteil ist nicht bloß konstitutiver Prinzipien fähig, sondern die Bedingung seiner Möglichkeit besteht allein darin, dass die Maximen in ihm sich auf solche Prinzipien und deren Allgemeingültigkeit gründen (ebd.) (5:354.14–16). S. dazu Logik Hechsel, Logik-Vorlesungen II, 434. Vgl. Kants Brief an J. Schultz, 25.11.1788, 10:555.34–556.19 (Nr. 340). 694 Vgl. KU, § 2, 2. Abs., Fn. (5:205). 695 KU, § 7, letzter Abs. (B 21) (5:213), § 8, 5. Abs. (B 25) (5:215); vgl. KU, § 42, 8. Abs. (B 170) (5:301); vgl. KpV, 5:57 f. 692 693
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Im Unterschied zum ästhetischen Urteil konstituiert das Urteil über das Gute eine objektive und logische Allgemeinheit. Moralische Urteile gelten nämlich insofern für jedermann, als sie wie theoretische Erkenntnisurteile Urteile von einem Objekt sind.696 Denn im Unterschied zur bloß logischen Betrachtung des praktischen Urteils hat das inhaltlich bestimmte moralische Urteil ein Objekt der Handlung. Vielleicht wird man in Kants Übersicht die Klasse der teleologischen Urteile vermissen. Er hat sie nicht etwa vergessen. Sie gehören einfach nicht an diese Stelle. Das liegt daran, dass die teleologische Urteilskraft über kein eigenes Prinzip a priori verfügt, also nicht in demselben Sinne autonom ist wie die ästhetische Urteilskraft.697 Die teleologischen Urteile gehören zu denen, die unter dem Attribut »logische« zusammengefaßt werden (s. dazu 14. Abs.), obwohl das Kant nicht ausdrücklich sagt. Denn sie verwenden zur Urteilsbildung Begriffe der Natur. Die Perspektive eines ›vollständigen Systems aller Gemütskräfte‹, das durch die Geschmackskritik erst ermöglicht wird, eröffnet sich im elften Abschnitt der EE unter dem Titel einer »encyclopädische[n] Introduction« (8.–13. Abs.) (20:244.29– 246.25). Aus unserer Untersuchung ergab sich ein kompliziertes System aus den oberen Erkenntnisvermögen, aus deren Prinzipien a priori und aus den Resultaten der Vermögen (»Produkte« und »Urteile«). Dieses System ist das System der Gemütskräfte, weil es insgesamt deren Bedingungen und Bestimmungsgründe enthält. Es ist vollständig, insofern es nach Kants Konzeption eben nur drei obere Erkenntnisvermögen geben kann (Verstand, Urteilskraft, Vernunft), die allerdings in eingeschränkter Bedeutung aufzunehmen sind, nämlich als der durch sinnliche Anschauung restringierte Verstand, als ästhetische Urteilskraft und als reine praktische Vernunft. Das Ergebnis der enzyklopädischen Introduktion formuliert Kant erst im vierzehnten Absatz. Es betrifft das Verhältnis zwischen dem dargelegten »System der Gemütskräfte« und den speziellen »Produkten« dieses Systems, d. i. »Natur« und »Freiheit«, und das damit verbundene Problem des ›Übergangs‹.
Vierzehnter Absatz: Das System der Gemütskräfte im Verhältnis zur Einteilung der Philosophie und die Übergangsfunktion der Urteilskraft Die Bedeutung des Absatzes liegt darin, dass er sowohl ein Fazit aus der Gesamtuntersuchung des elften Abschnittes enthält als auch ein solches aus der gesamten Einleitung. Denn es geht darin um nicht mehr und nicht weniger als um die Begründung eines Systems der Philosophie, die von Anfang an Thema der beiden Vgl. KU, § 8, 5. Abs. (5:215). Zur Unterscheidung zwischen theoretischen und praktischen Urteilen (bzw. »Sätzen«) vgl. auch die abweichenden Erklärungen in: Logik Jaesche (9:110, § 32); Logik Bauch, in: Logik-Vorlesungen I, 177.820–824 (d. i. der bloß logische Aspekt). 697 Zum Verhältnis von ästhetischer und teleologischer Urteilskraft s. den Kommentar zu E VIII, S. 540 ff. 696
XI. Abschnitt: Enzyklopädische Introduktion
313
Einleitungen ist und die die Abfassung der Dritten Kritik maßgeblich motiviert hat. Das Wie der Entdeckung eines Systems der Gemütskräfte, das in der kommentierten tabellarischen Übersicht ausgedrückt wird, ist im Text nicht erklärt. Der vierzehnte Absatz wird seiner inhaltlichen Bedeutung und sprachlichen Komplexität wegen in einer Satzgrafik dargestellt. Er besteht aus einem einzigen Satz (20:246.26–247.5): [1] So entdeckt sich ein System der Gemüthskräfte, [1.1] in ihrem Verhältnisse zur Natur und der Freiheit [1.1a] deren jede ihre eigenthümliche, bestimmende Principien a priori haben und um deswillen die zwei Theile der Philosophie (die theoretische und practische) als eines doctrinalen Systems ausmachen, / [2] und zugleich ein Übergang vermittelst der Urtheilskraft [2a] die durch ein eigenthümliches Princip beide Theile verknüpft, / [2.1] nämlich von dem sinnlichen Substrat der ersteren zum intelligibelen der zweiten Philosophie, durch die Critik eines Vermögens (der Urtheilskraft), [2.1.1] welches nur zum Verknüpfen dient und daher für sich zwar kein Erkenntniß verschaffen oder zur Doctrin irgend einen Beitrag liefern kann, / [2.1.2] dessen Urtheile aber unter dem Namen der ästhetischen [2.1.2a] (deren Principien blos subjectiv sind), / { [2.1.2b] indem sie sich von allen, [2.1.2aa] deren Grundsätze objectiv sein müssen (sie mögen nun theoretisch oder practisch sein), unter dem Namen der logischen [2.1.2c] unterscheiden, / [2.1.3] von so besonderer Art sind, daß sie sinnliche Anschauungen auf eine Idee der Natur beziehen,
}
[2.1.3.1] deren Gesetzmäßigkeit, ohne ein Verhältniß derselben zu einem übersinnlichen Substrat nicht verstanden werden kann; [2.1.4] wovon in der Abhandlung selbst, der Beweis geführt werden wird. / Textgrafik Nr. 8
314
Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Wie kann die reflexive Ausdrucksweise (»So entdeckt sich …«) ([1]) verständlich gemacht werden? Die Sich-Entdeckung könnte auf den organologischen Systembegriff anspielen, der am Anfang des Kommentars erläutert wurde. Dieser ging von der Idee eines Systems aus, die sich aus sich selbst heraus nach einem Zweck zu einem System entwickelt. Die vor EE XI, Abs. 14, stehenden Textabschnitte enthalten jedoch keine konkreten Hinweise auf eine entsprechende Interpretationsmöglichkeit. Das System, um das es dabei geht, ist das der Gemütskräfte in Beziehung auf Natur und Freiheit. Diese sind – wie gezeigt – die Produkte derjenigen Prinzipien, durch die das Erkenntnisvermögen und das Begehrungsvermögen bestimmt werden. Es sind also nur diese beiden Vermögen, die ein doktrinales System, d. h. ein System der Metaphysik (im Unterschied zu einem System der Kritik) ausmachen. Das Gefühl der Lust und Unlust fällt aus diesem System heraus. Der Grund dafür liegt darin, dass die jeweiligen Prinzipien a priori, nämlich die »Gesetzmäßigkeit« und die »Verbindlichkeit« bestimmend sind. Sie bestimmen notwendig ein Objekt durch die gesetzgebende Tätigkeit des Verstandes bzw. der Vernunft. Das auf diese Weise konstituierte System der Philosophie gliedert sich in die beiden uns bekannten Teile des Theoretischen und des Praktischen.698 Zugleich »entdeckt sich« aber aus den von Abs. 9 bis Abs. 13 entwickelten Zusammenhängen zwischen Vermögen, Prinzipien und Produkten »ein Übergang«, durch den die beiden Teile der Philosophie miteinander verknüpft werden sollen. Dieses ›Entdecken‘ sollte man eher im Sinne von ›Sich zeigen‘, ›Sich offenbaren‘ verstehen. Es entwickelt sich im Lauf der Erörterung und hat sicher einen systematischen Anstrich. Aber es bedeutet nicht, dass sich hier ein Resultat auftut, das durch eine autonome Begriffsentwicklung der Vernunft (›spekulativ‘) zustande kommt. Wir haben an früherer Stelle gesehen, dass das systematische Hauptproblem, das mit der Dritten Kritik gelöst werden sollte, darin bestand zu zeigen, wie die beiden heterogenen, einander ausschließenden Teile der Philosophie unter den Titeln »Natur« und »Freiheit« ohne Widerspruch vereint werden könnten, so dass die »Kluft« zwischen ihnen überwunden werden kann. Der Schlüssel zur Auflösung dieses Problems sollte die Funktion der reflektierenden Urteilskraft sein. Dies soll nun infolge der hergeleiteten Systematik der Gemütskräfte als erwiesen gelten. Es ist natürlich klar, dass der ausführliche Nachweis erst im Durchgang durch die ganze Schrift der KU erbracht und beurteilt werden könnte. Die (reflektierende) Urteilskraft vermag die beiden Teile durch das ihr eigentümliche Prinzip der (subjektiven, formalen) Zweckmäßigkeit zu verbinden. Das ist jedenfalls Kants Behauptung. Die Vereinigung – so können wir ergänzen – findet im freien Spiel der Erkenntniskräfte (Einbildungskraft, Verstand) unter der Regie und dem Prinzip der ästhetisch reflektierenden Urteilskraft statt und dokumentiert Trotzdem schließt Satzglied [1.1a] an »Natur und Freiheit« an und nicht an »Gemütskräfte«. Die letzteren haben im Unterschied zu den Erkenntnisvermögen keine Prinzipien, sondern werden durch diese in unterschiedlicher Weise bestimmt. 698
XI. Abschnitt: Enzyklopädische Introduktion
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sich im ästhetischen Urteil als dessen Resultat. Das Verhältnis der Erkenntniskräfte in jenem Spiel ist nämlich zugleich eine Tätigkeit, innerhalb welcher Freiheit (als spontane, begriffslose Auffassung, Zusammenfassung und Darstellung empirischer Formen in der Vorstellung des Schönen durch die Einbildungskraft) und gesetzmäßige (subjektive) Notwendigkeit (ein unbestimmter und unbestimmbarer Verstandesbegriff (KU, § 23, 1. Abs., vgl. KU, § 57, 2. und 3. Abs.) als vorgestellte Einheit des Zusammengefassten unter der Leitung der formalen Zweckmäßigkeit als des subjektiven Gesetzes der ästhetischen Urteilskraft) so vermittelt werden, dass sie zusammenstimmen und eine untrennbare Einheit bilden.699 Dem mittleren Glied des Systems der Kritik wird also die Aufgabe zugewiesen, die Verknüpfung der beiden Teile der Philosophie herzustellen und diese damit überhaupt erst zu einem geschlossenen System zu bilden. Das ist die einzige Funktion, die der ästhetisch reflektierenden Urteilskraft in ordnender Hinsicht zukommt. Sie verschafft daher auch keine Erkenntnis im prägnanten Sinne und liefert qualitativ und inhaltlich keinen Beitrag zum doktrinalen System. Der »Übergang«, den die reflektierende Urteilskraft ermöglichen soll, vollzieht sich – wie Kant schreibt – vom »sinnlichen Substrat« der theoretischen Philosophie zum »intelligibelen« Substrat der praktischen Philosophie. Was ist damit gemeint? Das erste Substrat, d. h. die erste Grundlage von Erkenntnis, muss die Natur als Erscheinung sein, weil diese ihren Grund nicht nur in den allgemeinen Gesetzen des Verstandes, sondern auch in den Formen der sinnlichen Anschauung hat. Entsprechend muss es sich beim »intelligibelen« Substrat um die Freiheit handeln, deren letzter Grund im Übersinnlichen zu suchen ist. Der Vollzug des Übergangs ist auf mehr als eine Weise denkbar: zum einen als Übergang vom Reich der besonderen Natur als eines Systems von Naturzwecken zum Reich moralisch-praktischer Zwecke in einer Ethikotheologie; zum anderen als Übergang in umgekehrter Richtung, indem die an die Freiheit gebundenen moralisch-praktischen Zwecke in der Natur verwirklicht werden sollen. Beides kann aber an der hier zu kommentierenden Stelle nicht gemeint sein. Denn es wird sich sogleich zeigen, dass das Zentrum der Begründung der Möglichkeit eines Übergangs vom sinnlichen zum übersinnlichen Substrat die ästhetischen Urteile des Beurteilsvermögens (der Reflexion) sind. Die ästhetischen Urteile haben zunächst die Besonderheit, die Kant bereits öfters mitgeteilt hat, dass ihre Prinzipien bloß subjektiv – dennoch aber allgemein und notwendig – gültig sind und sich darin von den theoretischen und praktischen Urteilen, welche auf objektiven Grundsätzen beruhen und unter dem Namen logischer Urteile geführt werden, unterscheiden.700 Darüber hinaus besteht aber ihre ›besondere Art‹ noch darin, dass sie eine Beziehung herstellen zwischen einer sinnlichen Anschauung (Wahrnehmung) (bzw. einer einzelnen Vorstellung von einem S. dazu insbesondere KU, § 35. Zur Unterscheidung zwischen ästhetischen und logischen Urteilen vgl. u. a. Logik Hechsel, Logik-Vorlesungen II, 433; ebd. I, 177; KU, § 1, § 33, 5. Abs. (5:203 f., 285.11 ff.). 699
700
316
Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Gegenstand) und einer besonderen »Idee der Natur«, nämlich einer solchen Natur, die nur dadurch verstanden werden kann, dass ihre Gesetzmäßigkeit in einem Verhältnis »zu einem übersinnlichen Substrat« steht.701 Unter den Voraussetzungen theoretischer Vernunft ist die Beziehung einer Vernunftidee auf sinnliche Anschauung jederzeit dialektisch und bedarf eben deswegen einer Beziehung auf das Übersinnliche. Gleiches gilt nun auch von der ästhetischen Idee. Die Antinomie des Geschmacks erzwingt wie jede Antinomie die Idee eines intelligibelen Substrats.702 Weil es nun am Ende von EE XI, 14. Abs. (20:247.13–20), um die spezifische Bestimmung des ästhetischen Urteils geht, so wird mit der »Idee der Natur« ([2.1.3]) die ästhetische Idee der schönen Natur gemeint sein und näherhin die Idee einer subjektiven Zweckmäßigkeit der Natur als einer Idee des Übersinnlichen.703 Eine »ästhetische Idee« ist eine auf eine sinnliche Anschauung bezogene Idee bzw. selbst eine Anschauung der Einbildungskraft, »der niemals ein Begriff adäquat gefunden werden kann.«704 Deshalb verhilft sie zu keiner Erkenntnis. Die angesprochene Gesetzmäßigkeit der Natur meint wohl auch (zunächst) die empirischen Gesetze der besonderen Natur, und es muss sich um eine solche Gesetzmäßigkeit handeln, die unter dem Prinzip der subjektiven, formalen Zweckmäßigkeit der Urteilskraft steht. Folglich muss das übersinnliche Substrat der unbestimmte Grund der Einheit aller dieser Gesetze sein.705. Dieses Substrat ist also nicht dasselbe wie das vorhin genannte intelligibele Substrat, obwohl auch das in einem gewissen Sinne übersinnlich ist.
Diese Bestimmung des ästhetischen Urteils findet sich in den beiden Eigentümlichkeiten des Geschmacksurteils, die in den §§ 32–33 der KU thematisiert werden, nicht wieder. Wenn ich es richtig sehe, besteht dort die erste Eigentümlichkeit des reinen Geschmacksurteils (§ 32) darin, dass es allgemein (und notwendig) gilt und dadurch anscheinend objektiv ist. Die zweite Eigentümlichkeit beruht darauf, dass es unbeweisbar ist und damit dem Anschein nach bloß subjektiv (vgl. auch KU, § 57, 1. Abs.) (5:340.13 ff.). Diese letztere Bestimmung könnte problematisch werden im Hinblick darauf, dass der in EE XI, Ende 14. Abs., angekündigte »Beweis« die Deduktion bzw. die Antinomie (vgl. § 57, 3. Abs.) (5:339.24–31) des Geschmacksurteils betrifft. Man kann das Geschmacksurteil nämlich nicht auf Beweise gründen, sofern sie von objektiven Begriffen Gebrauch machen (vgl. KU, § 35, 1. Abs.) (5:286 f.). Im 4. Abs. des § 57 der KU spricht Kant von der Notwendigkeit, dem Geschmacksurteil, sofern es »für jedermann« notwendig gültig sein soll, den »bloße[n] reine[n] Vernunftbegriff von dem Übersinnlichen« »zum Grunde« zu legen. In dem Zusammenhang macht er auch indirekt (negativ) vom Begriff des Beweises Gebrauch (5:339.32–340.12), um deutlich zu machen, dass sich ein »Beweis« im strengen Sinne gar nicht »führen läßt« (5:340.3). 702 S. KU, § 57, 2. Abs., 5. bis 7. Abs., 9. Abs. (5:339–341); § 57, Anmerkung II, 1. und 2. Abs. (5:344 f.). 703 S. u. Kommentar zu EE XI, S. 291. 704 KU, § 57, Anmerkung I, 1. bis 2. Abs. (5:339). 705 Vgl. Kommentar zu EE XI, S. 317. 701
XI. Abschnitt: Enzyklopädische Introduktion
317
Notwendig ist der Bezug der Gesetzmäßigkeit der besonderen Natur auf das übersinnliche Substrat, weil die »Idee der Natur«, auf die die sinnliche Anschauung im ästhetischen Urteil bezogen wird, die Idee einer systematischen Einheit der empirischen Naturgesetze ist, und weil ein solcher Einheitsgrund weder in der empirischen Natur noch in der allgemeinen Natur zu finden ist. Unverständlich wird die Gesetzmäßigkeit der besonderen Natur ohne Beziehung auf das ›übersinnliche Substrat‹ insofern, als ihr damit der Grund der Notwendigkeit als eines wesentlichen Kriteriums jedweder Art von Gesetzmäßigkeit entzogen würde. Zuletzt kündigt Kant an, »in der Abhandlung selbst« einen Beweis im Zusammenhang mit ästhetischen Urteilen führen zu wollen. Was aber ist das Beweisziel? Soll bewiesen werden, dass die (besondere) Gesetzmäßigkeit der Natur ohne deren Verhältnis »zu einem übersinnlichen Substrat« nicht verstanden werden könne (s. Satzgrafik Nr. 8, Satzglied [2.1.3.1])? Oder meint Kant sogar den Beweis dafür, dass ästhetische Urteile in ihrer spezifischen Art »sinnliche Anschauungen auf eine Idee der Natur beziehen« usw. (ebd., [2.1.3])? Und was heißt hier eigentlich »Beweis« (ebd., [2.1.4])? Es scheint mir kaum möglich zu sein, den Ort des »Beweises« in der KU zielgenau zu ermitteln. In der oben stehenden Fußnote (Nr. 701) sind darüber bereits einige Möglichkeiten erwogen worden. Zuerst wäre zu vermuten, dass der angezeigte »Beweis« innerhalb des Abschnittes geführt wird, der die »Deduktion der reinen ästhetischen Urteile« enthält (beginnend mit § 30). Obwohl sich diese (laut Überschrift) bis § 54 hinzuziehen scheint, weil eine klare Grenzmarkierung fehlt, ist sie doch mit § 38, »Anmerkung«, offenbar abgeschlossen.706 Damit würde sich also der angekündigte »Beweis« nicht bloß auf die Besonderheit einer »Idee der Natur« beziehen, sondern auf das besondere Merkmal des ästhetischen Urteils – genauer gesagt, des Geschmacksurteils –, sinnliche Anschauungen auf die nämliche Idee der Natur zu beziehen (einschließlich der Besonderheit der Idee, d. i. der Beziehung ihrer Gesetzmäßigkeit, nämlich der subjektiven Zweckmäßigkeit, auf ein übersinnliches Substrat). Die Deduktion des Geschmacksurteils (bzw. eines Prinzips des ästhetischen Urteils (§ 36, 2. und 3. Abs.) (5:288) soll den »Rechtsgrund« der Geschmacksurteile »ausfindig« machen (§ 35, 2. Abs.) (5:287).707 Die Deduktion ist erforderlich, um zu begreifen, weshalb ein ästhetisches Urteil Anspruch auf Notwendigkeit erheben kann. Die zu beantwortende Frage lautet deshalb: »Wie sind Geschmacksurteile möglich?« (§ 36, 2. Abs.) (5:288.21 f.). Die Deduktion erbringt schließlich den Nachweis, dass die subjektive Zweckmäßigkeit der Vorstellung in der Beurteilung »mit Recht« jedermann »angesonnen« wird (§ 38) (5:290.14). Da das Geschmacksurteil aber bloß subjektiv allgemein und notwendig ist (§ 35), so kann auch dessen Deduktion, im Unterschied zu derjenigen der reinen Verstandesbegriffe in der KrV, Vgl. hierzu Brandt, R. (1990), Das Wort sie sollen lassen stahn, 359. Zur Aufgabe dieser Deduktion vgl. auch KU, § 30, 1. und 3. Abs. (5:279 f.); § 31, 1. bis 4. Abs. (5:280 f.); § 36, 2. Abs. (5:288). 706 707
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
keine objektive sein, und sofern dadurch die besondere Natur des ästhetischen Urteils bewiesen sein sollte, könnte der »Beweis« nicht objektiv durch Begriffe geführt werden.708 Nun enthält der gesamte Deduktionsabschnitt der Ästhetik keine explizite Bezugnahme auf eine entsprechende »Idee der Natur«, deren Gesetzmäßigkeit ohne ein übersinnliches Substrat unverständlich bliebe. Er kann also zumindest nicht allein und nicht vollständig für den gesuchten Beweis hinreichen. Der passendere Ort für den von Kant angestrebten »Beweis« der besonderen Art des Geschmacksurteils ist die »Dialektik der ästhetischen Urteilskraft«, insbesondere die §§ 56–57. In der Antinomie des Geschmacksurteils stehen zwei Behauptungen einander gegenüber: »Das Geschmacksurteil gründet sich nicht auf Begriffen« (Thesis) und ist deshalb durch bestimmte Begriffe auch nicht zu beweisen; und: »Das Geschmacksurteil gründet sich auf Begriffen« (Antithesis) (KU, § 56) (5:338.33, 35). Diese beiden Sätze sollen übrigens nichts anderes sein als die oben vorgestellten zwei Eigentümlichkeiten des Geschmacksurteils aus der »Analytik«. Die Entgegensetzung der beiden zitierten Sätze ist nur dann widerspruchsfrei, wenn die Bedeutung des Ausdrucks »Begriffen« in beiden Sätzen verschieden ist.709 Die Thesis enthält eine wahre Aussage, insofern sie objektiv bestimmte Begriffe (analog zu den Verstandesbegriffen) meint. Die Antithesis ist wahr, insofern sich das Geschmacksurteil auf einen unbestimmten und unbestimmbaren Begriff gründet. Ein solcher ist der »transzendentale Vernunftbegriff von einem Übersinnlichen«.710 Er ermöglicht es, dass beide Sätze nebeneinander bestehen können,711 indem sie beide als in einem gemeinsamen Grunde – dem Übersinnlichen – vereinigt gedacht werden können. Dass sich nämlich das Geschmacksurteil überhaupt auf irgendeinen Begriff beziehen muss, liegt daran, dass es ohne einen solchen nur ein »Privaturteil« wäre und keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben könnte.712 Für das Problem der Verortung des in EE XI (14. Abs.) angekündigten ›Beweises‘ und der Beschreibung der Beweisziele in der »Abhandlung selbst« ist der fünfte Absatz des § 57 (5:340.13–22) aufschlußreich. Denn hier ist es der Begriff »eines Grundes überhaupt von der subjektiven Zweckmäßigkeit der Natur für die Urteilskraft«, der »an sich unbestimmbar und zum Erkenntnis untauglich« ist, auf den sich aber das Geschmacksurteil dennoch »gründet«. Eben deswegen falle aber der Widerspruch zwischen den beiden antinomischen Sätzen weg.713 Die Allgemeingültigkeit (»Gültigkeit für jedermann«) des Geschmacksurteils ist dadurch gerettet, dass der Bestimmungsgrund desselben »vielleicht« im »übersinnliche[n] Substrat der Menschheit« liegt (§ 57, 5. Abs.) (5:340.20 f.). 708 709 710 711 712 713
Vgl. KU, § 57, 8. Abs. (5:341); vgl. Kommentar zu EE XII, 8.–12. Abs., S. 357 ff. Vgl. KU, § 57, 1. Abs. (5:339–341). KU, § 57, 2. Abs., vgl. ebd., 9. Abs. (5:339, 341). Vgl. KU, § 57, 6. Abs., 8. Abs. (5:340 f.). Vgl. KU, § 57, 2. bis 4. Abs. (5:339 f.). KU, § 57, 5. Abs., vgl. 8. Abs. (5:340 f.).
XI. Abschnitt: Enzyklopädische Introduktion
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Hier haben wir also (zumindest annähernd) die gesuchte Konstellation für den angezeigten »Beweis«: die besondere Natur des Geschmacksurteils im Unterschied zu Erkenntnisurteilen (im engeren Sinne), d. i. die Unbestimmtheit seines Grundes, der dennoch die – wenngleich subjektive – Allgemeingültigkeit sichert und eben deswegen noch ein Erkenntnisurteil im weiteren Sinne ist. Dieses Übersinnliche ist zugleich der Grund der subjektiven Zweckmäßigkeit der Natur, d. i. desjenigen, welches in der Beweisankündigung die »Gesetzmäßigkeit« in ihrer Beziehung auf das Übersinnliche genannt wurde. Ja, diese Idee ist – als die mittlere der von Kant angeführten Ideen des Übersinnlichen (in Bezug auf die drei Erkenntnisvermögen) – das Prinzip der subjektiven Zweckmäßigkeit der Natur selber.714 Die »Idee der Natur« (EE XI, 14. Abs.) (20:247.2) ist dieses Verhältnis derselben auf das übersinnliche Substrat. Die sinnlichen Anschauungen, die sich im ästhetischen Urteil auf die »Idee der Natur« beziehen sollen (ebd.), sind nichts anderes, als die (verallgemeinerbaren) subjektiven Einzelvorstellungen, die im ästhetischen Urteil die Stelle des Subjekts einnehmen. Weshalb aber kann die besondere Gesetzmäßigkeit der Natur nicht ohne Bezug auf ein übersinnliches Substrat verstanden werden? Wenn der Begriff eines übersinnlichen Substrats der letzte »Bestimmungsgrund« des Geschmacksurteils ist, durch den es sich als gültig »für jedermann« qualifiziert (§ 57, 5. Abs.) (5:340.18), dann hängt auch die notwendige Allgemeingültigkeit des Prinzips der subjektiven Zweckmäßigkeit der Natur (jener »Gesetzmäßigkeit«) von diesem unbestimmten und unbedingten Grund ab. Wird dagegen der Anspruch des Zweckmäßigkeitsprinzips auf Allgemeinheit und Notwendigkeit fallen gelassen, so ist auch der Rekurs auf einen übersinnlichen Grund hinfällig. Allerdings hat dies zur Konsequenz, dass der Zweckmäßigkeit der Natur kein Gesetzescharakter mehr zusteht, d. h. sie kann als »Gesetzmäßigkeit« nicht mehr verstanden werden. Das ist die Einsicht, die Kant in EE XI, 14. Abs., dem Leser vermitteln will.
Fünfzehnter Absatz: Begründung des Titels »Kritik der ästhetischen Urteilskraft« Im letzten Absatz des elften Abschnittes geht es noch einmal um die Benennung der »Kritik der ästhetischen Urteilskraft« in Abgrenzung von dem allgemeinen Titel einer »Ästhetik« überhaupt. Den Unterschied zwischen den beiden Bedeutungen des Ästhetischen hat Kant bereits in EE VIII, 1. Abs. (20:221 f.), erklärt, und der Kommentar zu dieser Stelle hat die nötigen Erläuterungen vorgetragen.715 Hier ist nun darauf zu achten, dass die »Kritik« als Kritik der Urteilskraft in Bezug auf ästhetische Urteile nicht mit dem Begriff »Ästhetik« schlechthin verwechselt wird. Denn dieser Ausdruck ist zu allgemein gefasst (»von zu weitläufiger Bedeutung«). Er 714 715
KU, § 57, Anmerkung II, letzter Absatz (5:346.17 f.). Vgl. Kommentar, S. 174–176.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
schließt nämlich auch die uns aus der KrV bekannte transzendentale Ästhetik ein, die die Formen sinnlicher Anschauung analysiert (insofern wäre Ästhetik »gleichsam Sinnenlehre« (EE XI, 15. Abs.) (20:247.7). Die Anschauung aber ist in der Hinsicht konstitutiv für theoretische Erkenntnis, als sie »zu logischen (objektiven) Urteilen den Stoff hergibt« (ebd.) (20:247.10 f.). Aber nicht nur das. Wir können ergänzen, dass sie auch die reinen Formen von Raum und Zeit bereitstellt, die eine Bedingung der Möglichkeit dafür sind, dass der sinnliche »Stoff« durch die Verstandesbegriffe bestimmt werden kann. Wenngleich also die Anschauung (als bloße Wahrnehmung) auch im ästhetischen Urteil das Stoffliche (nämlich die empirischen Formen der Natur) der Einbildungskraft darbietet, so wird dies weder in den Formen von Raum und Zeit, noch in Beziehung auf objektive Begriffe geschehen. Ästhetische Urteile sind – wie Kant im vierzehnten Absatz noch einmal betont hat – in Hinsicht auf den Erkenntnisgewinn von logischen Urteilen eben streng zu unterscheiden. Indem Kant also den »Ausdruck der Ästhetik« in der KrV für den Zweck transzendentaler Begründung von Erfahrungserkenntnis bereits vergeben hat, so soll er auch ausschließlich für die Prädikation in »Erkenntnisurteilen« (d. i. in synthetischen Urteilen a priori der Naturerfahrung) Verwendung finden. Kant erklärt dazu wörtlich und eindeutig, der »Ausdruck der Aesthetik« sei »ausschließungsweise für das Prädicat, was in Erkenntnißurtheilen zur Anschauung gehört, bestimmt« worden (EE XI, 15. Abs.) (20:247.12–13). Dass das Prädikat in logischen Urteilen, d. h. hier: in Erkenntnisurteilen, auf die Erkenntnisseite der Anschauung (und nicht des Verstandes) gehört, kann nicht bedeuten, dass die rohen Sinnesdaten als solche (das empirisch Mannigfaltige der sinnlichen Anschauung) Bestandteil des Urteils werden. Kant gibt selbst mit dem letzten Satz des Abschnittes XI die Begründung dafür: »denn für die logische Urtheilskraft müssen Anschauungen, ob sie gleich sinnlich (ästhetisch) sind, dennoch zuvor zu Begriffen erhoben werden, um zum Erkenntnisse des Objects zu dienen, welches bei der ästhetischen Urtheilskraft nicht der Fall ist.« (20:247.17–20). Die logische Urteilskraft ist hier schlichtweg die bestimmende, denn von der bloß reflektierenden könnte nicht im strengen Sinne behauptet werden, dass sie in Hinsicht auf die Erfahrung der Natur zur Objekterkenntnis beiträgt. Der entscheidende Gesichtspunkt im letzten Zitat (20:247.17–20) ist der, dass sinnliche Anschauungen nicht für sich erkenntniskonstitutiv sind (und deshalb eben auch nicht als solche das Prädikat des Urteils stellen), sondern dass sie, bevor sie diese Funktion einnehmen, in Begriffe umgewandelt werden müssen (»zu Begriffen erhoben werden«). Also nur in ihrer Beziehung auf die Synthesisleistung des Verstandes mittels der Kategorien und der ursprünglich synthetischen Einheit des Bewusstseins qualifizieren sich sinnliche Anschauungen zu Urteilsprädikaten.716 Und nur unter dieser Voraussetzung ist die Urteilskraft in der Lage, die für die Objekterkenntnis notVgl. Fortschritte, 20:276. S. dazu die allgemeine Bestimmung des Erkenntnisurteils in der KrV, B 141 f. (§ 19). 716
XI. Abschnitt: Enzyklopädische Introduktion
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wendige Subsumtion der Anschauung unter den Begriff zu vollbringen. Die ästhetische Urteilskraft hingegen muss – wie wir gesehen haben – notwendig von der Zuordnung begrifflicher Bestimmungen absehen und sich lediglich an das der Einbildungskraft gegebene Mannigfaltige in zufälliger Übereinstimmung mit dem Verstand und an das daraus erwachsende Gefühl der Lust halten. Eben deshalb ist es für Kant gar nicht verfänglich, die Urteilskraft »ästhetisch« zu nennen, obwohl die Kritik derselben nicht mit dem Titel »Ästhetik« wird auftreten können. Sie wird nämlich darum »ästhetisch« genannt, »weil sie die Vorstellung eines Objects nicht auf Begriffe und das Urtheil also nicht aufs Erkenntniß bezieht, (gar nicht bestimmend, sondern nur reflectirend ist), das läßt keine Misdeutung besorgen« (EE XI, 15. Abs.) (20:247.14–17). Kant kehrt am Ende des kommentierten Absatzes nicht noch einmal zu der Ausgangsfrage nach einer enzyklopädischen Introduktion in das System der Kritik der reinen Vernunft zurück und diskutiert hier auch nicht mehr den systematischen Zusammenhang der Glieder eines solchen Systems. Der zuletzt besprochene Absatz dient insofern lediglich anhangsweise einer terminologischen Klarstellung des Begriffs der Ästhetik und des ästhetischen Urteils, die allerdings auf sachlichen Gründen beruht.
XII. Abschnitt: Einteilung der Kritik der Urteilskraft
EE XII Zwölfter Abschnitt: »Eintheilung der Critik der Urtheilskraft«
Gliederung: Erster Absatz: Mechanische und szientifische Einteilung Zweiter und dritter Absatz: Begründung der Einteilung der Kritik der Urteilskraft in eine Kritik der ästhetischen Urteilskraft und eine Kritik der teleologischen Urteilskraft Vierter Absatz: Unterscheidung der subjektiven Zweckmäßigkeit in eine innere und eine relative – Schönheit und Erhabenheit (I) Erläuternder Exkurs: Das Erhabene als Gegenstand des ästhetischen Reflexionsurteils (KU, §§ 23–29) Vierter Absatz: Schönheit und Erhabenheit (II) Fünfter Absatz: Unterscheidung der objektiven Zweckmäßigkeit in eine innere und eine relative – Vollkommenheit und Nützlichkeit Sechster Absatz: Weitere Einteilung der Kritik der ästhetischen Urteilskraft und der Kritik der teleologischen Urteilskraft Siebter Absatz: Technik der Natur und schöne Kunst Achter bis zwölfter Absatz: Gliederung der Kritik der Urteilskraft
Der zwölfte Abschnitt, der die EE beschließt, knüpft in gewisser Weise an die in EE I sowie E I und E II thematisierte Problematik und Bedeutung einer Einteilung der Philosophie und des Systems der Kritik der reinen Vernunft an. Hier geht es aber nun speziell um die Frage der Einteilung des dritten (bzw. mittleren) Teils des Systems der Kritik. Im ersten Absatz werden ganz allgemein (ohne Rücksicht auf die Besonderheit der KU) Formen der Einteilung des Umfangs von Erkenntnissen vorgestellt und problematisiert. Die Absätze 2 bis 3 offerieren dann die Voraussetzungen der besonderen Einteilung der KU in Ästhetik und Teleologie und entwickeln dafür eine dezidierte Begründung. Der komplizierte und entsprechend schwer zu interpretierende vierte Absatz führt die Einteilung der KU in ihrem ästhetischen Teil weiter und gelangt über die Unterscheidung zwischen »innerer« und »relativer« subjektiver Zweckmäßigkeit zur Differenzierung des ästhetischen Reflexionsurteils in ein solches über das Schöne und ein anderes über das Erhabene. Diese Differenzierung macht eine Erklärung
XII. Abschnitt: Einteilung der Kritik der Urteilskraft
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mit Hilfe einschlägiger Stellen im Hauptteil der KU erforderlich. Als Gegenstück wird im darauf folgenden Absatz die Einteilung der objektiven Zweckmäßigkeit der Natur vorangebracht, die derjenigen der subjektiven Zweckmäßigkeit in eine innere und eine äußere entspricht und damit zur Differenzierung des teleologischen Urteils in ein solches über die »Vollkommenheit« eines Gegenstandes und ein anderes über die »Nützlichkeit« desselben gelangt. Die im vierten und fünften Absatz vorgenommene Untergliederung der beiden Hauptteile der KU zusammenführend, stellt sich im sechsten Absatz die Frage nach einer weiteren Einteilung der Kritik der ästhetischen Urteilskraft. Der siebte Absatz ist von der Gliederungsfrage ausgenommen. Er präzisiert als Anmerkung abermals den zuletzt im dritten und vierten Absatz gebrauchten Begriff einer »Technik der Natur«. Die restlichen kurzen Absätze (8 bis 12) werden für die Kommentierung in einen Komplex zusammengefasst. Sie enthalten erstens ein Fazit der zurückliegenden Betrachtungen des zwölften Abschnittes und zweitens eine Fortsetzung des Einteilungsschemas, das programmatisch skizziert wird. Die darin quasi idealtypisch vorgezeichnete symmetrische Struktur der KU könnte sich als Problem erweisen, insofern der Plan in diesem Werk offensichtlich nicht ausgeführt worden ist.
Erster Absatz: Mechanische und szientifische Einteilung Um die Schwierigkeit zu dokumentieren, die damit verbunden ist, den Umfang irgendwelcher Erkenntnis so einzuteilen, dass sich das Ganze als ein System erweist, stellt Kant zwei unterschiedliche Verfahrensweisen – die mechanische und die szientifische Einteilung – einander gegenüber. Die mechanische Einteilung kann sich nicht zu einem System bilden. Denn sie setzt voraus, dass die Teile, die zu einem Ganzen formiert werden sollen, »schon als vollständig gegeben« angenommen werden (20:247.26–28). Die Ansammlung der Teile, die zu einem Ganzen zusammengefasst werden, bilden eine Ordnung, die Kant im Unterschied zu einem System ein »Aggregat« nennt. Wir werden den Unterschied zwischen System und Aggregat am Anfang des Kommentars mit Blick auf E I noch ausführlich erläutern.717 In dem jetzt beleuchteten Absatz werden die Teile »zufolge einer bloßen Vergleichung« zu einem Ganzen geordnet. Die Teile werden dabei anscheinend nur paarweise miteinander verglichen, und zwar hinsichtlich ihrer Größe. Ihre Qualität wird als gegeben vorausgesetzt. Es existiert kein allen Teilen gemeinsam zukommendes (inhaltliches, objektives) Prinzip, kraft dessen die systematische Stellung jedes Einzelnen im Verhältnis zu allen übrigen und zu dem übergeordneten Ganzen bestimmt werden könnte. Kant illustriert einen solchen mehr oder weniger zufälligen Zusammenhang mit Hilfe eines 717
Vgl. Kommentar, S. 366 ff.
324
Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Beispiels, indem er beiläufig hinzufügt: »ungefähr so wie die Städte werden, wenn, ohne Rücksicht auf Policei, ein Boden, unter sich meldende Anbauer, nach jedes seinen Absichten, eingetheilt wird« (EE XII, 1. Abs.) (20:247.29–31). So wie der Boden frei nach der bloß subjektiven, einseitigen Willkür und dem privaten Interesse jedes einzelnen Besitzergreifenden (Siedlers) zwar in Absprache mit Nachbarn (»unter sich meldende Anbauer«), aber ohne hinreichende Rechtsgrundlage angeeignet wird, ohne das regulierende Eingreifen einer Staatsgewalt zu beachten,718 so dass unterschiedlich große Parzellen ungesichert aneinander grenzen, so entsteht hier (nach der Analogie) ein Ganzes, dessen Teile prinzipienlos (das Prinzip kann für die Polizei stehen) und damit ohne eine regelmäßige Proportion und Notwendigkeit, also zufällig aneinandergefügt werden. Die szientifische Einteilung verfährt umgekehrt zur mechanischen. Sie setzt »die Idee von einem Ganzen nach einem gewissen Princip« voraus (20:247.32–34). Werden die Teile nun auf solche Weise bestimmt, so wird das Ganze zu einem System. Einen solchen Begriff von einem systematischen Ganzen, das sich aus einer Idee entwickelt, haben wir bereits im Architektonik-Kapitel der KrV entdeckt und weiter oben erläutert.719 Die »Idee« des Ganzen war dort näher als die »Einheit des Zwecks« bezeichnet worden, »worauf sich alle Teile und in der Idee desselben auch untereinander beziehen […]«.720 Und so können wir auch hier mutmaßen, dass das ›gewisse Prinzip‹, das der Einteilung vorausgeht und die Teile bestimmt, kein anderes ist als das der inneren Zweckmäßigkeit der Natur. Es verknüpft und bestimmt die Teile, indem sie (nach der Art eines Organismus, vgl. KU, § 65) wechselseitig als Zwecke und Mittel aufeinander bezogen werden und dadurch insgesamt das Ganze als Zweck konstituieren, durch das sie als Teile sich aufeinander beziehen. Die Forderung nach einer szientifischen Einteilung stellt sich nach Kant immer dann, wenn nach dem Umfang einer Erkenntnis a priori gefragt wird. Dabei handelt es sich um Erkenntnis, die sich auf eine besondere Gesetzgebung eines bestimmten Erkenntnisvermögens gründet, dessen »eigenthümliche Beschaffenheit« den Umfang des Gebrauchs der Gesetze a priori bestimmt. Zugleich wird dadurch auch die Anzahl der Teile sowie deren Verhältnis »zu einem Ganzen der Erkenntnis« bestimmt (EE XII, 1. Abs.) (20:247.35–248.6). Die spezifisch verschiedenen Erkenntnisvermögen und deren jeweilige Prinzipien der Gesetzgebung wurden im Kommentar zum vorangegangenen Abschnitt ausgiebig besprochen.721 Die drei Vermögen sind: Verstand, Urteilskraft, Vernunft, und die Orte, die die Grenze des Gebrauchs ihrer Gesetze festlegen und somit auch Vgl. zu dieser Sachproblematik die Darlegung in der MS, Rechtslehre, 6:250.18–251.36; 6:263 (§ 14), 6:265–266 u. ö. 719 »Architektonik« als »Kunst der Systeme« wurde dort auch die »Lehre des Scientifischen in unserer Erkenntnis überhaupt« genannt (KrV, B 860 / A 832); vgl. Kommentar, S. 22 f. 720 KrV, B 860 / A 832. 721 Vgl. Kommentar, S. 287 ff. 718
XII. Abschnitt: Einteilung der Kritik der Urteilskraft
325
den Umfang der durch sie möglichen Erkenntnis bestimmen, sind die drei ›Kritiken‹. Es handelt sich also um transzendentale Erkenntnis, nicht um philosophische Erkenntnis schlechthin.722 Demnach müsste sich auch die Zahl der Glieder und deren Verhältnis zum Ganzen der Erkenntnis der Urteilskraft aus der besonderen Beschaffenheit des Vermögens der (reflektierenden) Urteilskraft erklären lassen. Es fehlt uns noch ein charakteristisches Merkmal der Erkenntnisvermögen, das zu einer szientifischen Einteilung erfordert wird. Es wird im letzten Satz des ersten Absatzes (20:248.6–12), den wir zum besseren Verständnis satzgrafisch mitteilen wollen, ausgeführt: [1] Man kann aber keine gegründete Eintheilung machen, ohne zugleich das Ganze selbst zu machen und in allen seinen Theilen, / {[1a] obzwar nur nach der Regel der Critik, [1.1] vorher vollständig darzustellen, [1.2] welches nachher [1.2.1] in die systematische Form einer Doctrin [1.2.1a] (wofern es in Ansehung der Natur dieses Erkenntnißvermögens dergleichen überhaupt geben kann) [1.2.2] zu bringen / [1.3] nichts als Ausführlichkeit der Anwendung auf das Besondere und die Eleganz der Präcision damit zu verknüpfen, erfordert.
}
Satzgrafik Nr. 9
Um die Einteilung des Umfangs einer Erkenntnis nicht nur vorzunehmen, sondern auch zu begründen, ist es also notwendig, zugleich das Ganze zu »machen«.723 Mit dem Einteilen ist demzufolge eine produktive Tätigkeit des philosophierenden Subjekts verbunden, welche das Ganze erzeugt (vgl. KrV, B 864 / A 836). Sie kann aber nicht darin bestehen, ein Ganzes aus bereits vorhandenen Teilen durch Vergleichung nach Ähnlichkeitsgesichtspunkten zusammenzufügen. Denn daraus würde nur ein Aggregat resultieren. Die Ausführung des Ganzen einer Erkenntnis muss vielmehr einer Idee (einem Zweck) folgen, denn ohne eine solche lässt sich nicht begreifen, wie »vorher« (d. h. vor der Ausführung des Ganzen) das Ganze »in allen seinen Theilen« vollständig dargestellt werden kann.724 Was kann es bedeuten, Vgl. dagegen KrV, B 869 / A 841. Rückbezug auf die enzyklopädische Einleitung (vgl. Bartuschat, W., (1972), Zum systematischen Ort, 13). 724 Zum Begriff der »Darstellung« vgl. KU, E VIII, 1. Abs. Demzufolge ist die »Darstellung 722 723
326
Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
dass die Darstellung der Teile »nur nach der Regel der Critik«725 ([1a]) erfolgen soll? Welche »Regel« ist hier gemeint?726 Es gibt innerhalb von Kants drei ›Kritiken‹ viele Arten von »Regeln«, die in Frage kommen könnten: Z. B. erfolgt die Sukzession der Wahrnehmungen eines Mannigfaltigen in einer Ordnung nach einer Regel der Zeitfolge, d. i. nach dem Kausalgesetz (KrV, B 238–247 / A 193–202); oder die Regeln des Denkens der allgemeinen Logik und der besonderen Logiken (KrV, B 76–77 / A 52–53); oder die Regel als regulatives Prinzip der Vernunft, nach dem durch regressive Synthesis in der Reihe der Bedingungen zum Unbedingten fortgeschritten werden muss (KrV, B 536–538 / A 508–510); oder auch die im Kommentar zu E I (6. Abs.) vorgestellten technischpraktischen »Regeln der Geschicklichkeit«.727 Eine Entscheidung scheint schwer zu fallen. Die gesuchte »Regel« ist jedenfalls nur eine einzige, und da sie undifferenziert »der Critik« angehört, muss sie wohl als eine allgemeine Regel (eine Grundregel) von allen drei Kritiken gleichermaßen gelten. Keine der oben genannten Regeln kommt aber für eine solche Interpretation in Betracht, denn sie sind Regeln für den besonderen Gebrauch von Erkenntnisvermögen. Von der KrV, Einleitung (B 27–30 / A 13–16), wo die »Einteilung der Transzendental-Philosophie« Thema ist, lässt sich der Gesichtspunkt, dass die KrV in systematischer Absicht »den ganzen Plan architektonisch, d. i. aus Prinzipien, entwerfen soll, mit völliger Gewährleistung der Vollständigkeit und Sicherheit aller Stücke, die dieses Gebäude ausmachen« (B 27 / A 13) auf unsere Textstelle (EE XII, 1. Abs.) übertragen, obwohl dort nicht von einer »Regel der Critik« die Rede ist. Die gesuchte Regel für die Darstellung aller Teile des Ganzen vor seiner Einteilung muss gewährleisten können, dass die Darstellung vollständig ist. Man könnte hinter der »Regel der Critik« das Prinzip der Spezifikation vermuten, weil dieses für das Problem einer Einteilung maßgeblich ist (vgl. EE V, 8.–10. Abs.) (20:214.21–216.3). Aber das würde bedeuten, dass die reflektierende Urteilskraft in ihrer Funktion für alle drei Kritiken einschlägig sein müsste, was aber wiederum nicht der Fall ist. (exhibitio)« von der subjektiven Seite aus betrachtet eine Operation der reflektierenden Urteilskraft (genauer: der Einbildungskraft), einem gegebenen Begriff eine korrespondierende Anschauung zuzuweisen; von der objektiven Seite her gesehen ist es die Technik der Natur, d. h. die Beurteilung organischer Naturprodukte durch Zwecke. Das betrifft somit sowohl die Schönheit der Natur als auch die Naturzwecke. Vgl. auch EE VII, 5. Abs. (20:220.31–221.9); EE IX, 2.–5. Abs. (20:232.18–233.27) und den Kommentar zu beiden Stellen, S. 168–173 und 223–227. 725 Zum Begriff der »Kritik« im Unterschied zu dem der »Metaphysik« vgl. KrV, B 869 / A 841. 726 In der ersten Auflage der KrV versteht Kant unter einer »Regel«: »die Vorstellung einer allgemeinen Bedingung, nach welcher ein gewisses Mannigfaltiges, (mithin auf einerlei Art) gesetzt werden kann […]«. Geschieht die Setzung des Mannigfaltigen mit Notwendigkeit, so heißt die Regel »Gesetz« (KrV, A 113). 727 Vgl. Kommentar, S. 392–396.
XII. Abschnitt: Einteilung der Kritik der Urteilskraft
327
Dennoch ist dieser Ausweg nicht weit von einem plausiblen Lösungsvorschlag entfernt. Wenn nämlich die Einteilung (aller drei Kritiken) szientifisch sein soll, um so zu einem Systemganzen zu gelangen, dann sollte sie dem Prinzip der Zweckmäßigkeit Folge leisten. Das kann die allgemeine Regel sein, nach der in den drei Kritiken alle Teile »vollständig« dargestellt werden. Dies genügt jedoch nicht, um auch die Anzahl und das »Verhältnis der Teile zu einem Ganzen der Erkenntnis« a priori zu bestimmen. Denn dafür wird die Erkenntnis der spezifischen Beschaffenheit des jeweiligen Erkenntnisvermögens benötigt, aus der wiederum der Umfang des Gebrauchs der demselben eigentümlichen Gesetze folgen soll. Sofern die vollständige Darstellung der Teile in dem oben stehenden Zitat aus dem ersten Absatz von EE XII ([1.1]) der Einteilung des Ganzen vorhergehen soll, so ist das hergestellte Ganze »nachher« »in die systematische Form einer Doctrin […] zu bringen«. Die »Doctrin« oder auch das (an anderer Stelle verwendete) »Doktrinale« ist für Kant die zweiteilige Philosophie oder Metaphysik, die sich gleichfalls zu einem System konstituieren soll.728 Die eingeklammerte Zusatzbemerkung [(1.2.1a)] spielt auf das an, was bereits in der Vorrede gesagt wurde (ebd., 4. Abs.) (5:168.26–30) und im folgenden Absatz des zwölften Abschnittes explizit mitgeteilt wird, dass nämlich die KU nicht als Grundlage für eine eigene Doktrin, die zwischen theoretischer und praktischer Philosophie einzuschieben wäre, dienen kann (20:248.13–15). Zwei Aufgaben sind nach Auskunft des zuletzt zitierten Satzes mit dem Vorhaben systematischer Doktrin verbunden: »Ausführlichkeit der Anwendung auf das Besondere« und »Eleganz der Präcision« ([1.3]). Die erste Aufgabe wird wohl darin bestehen, das systematische Ganze, das mit der szientifischen Einteilung einer Kritik (d. h. sowohl der KrV als auch der KpV) einhergeht, auf das »Besondere«, d. h. auf die Natur einerseits und auf die Freiheit andererseits als die Gegenstände der aufzubauenden Metaphysik zu beziehen (anzuwenden) und hierbei kein Stück auszulassen (»Ausführlichkeit«). Auf diese Weise würde eine Metaphysik der Natur und eine Metaphysik der Sitten entstehen, an die auch wiederum die Forderung nach einer systematischen Form der Darstellung ihrer Teile ergehen müsste. Die »Eleganz der Präcision« in die systematische Form einer Lehre zu bringen, hat hier keinen beiläufigen oder gar bloß umgangsprachlich zu verstehenden Sinn. Die Wortkombination gehört vielmehr zu der von Kant gebrauchten Fachterminologie. In § 62 der KU (5. Abs.) (5:365.37–366.23) diskutiert Kant die Frage, ob geometrische Figuren oder Zahlengebilde aufgrund ihrer intellektuellen Zweckmäßigkeit »schön« genannt werden könnten. Er kommt zu dem Schluß, dass der Name einer »intellektuellen Schönheit« nicht erlaubt sei. Dagegen hält er es für denkbar, die »Demonstration« etwa von Eigenschaften eines Kreises »schön« zu nennen. Das führt Kant auf das Zusammenwirken von Verstand, Einbildungskraft und Vernunft zurück, das ein subjektives Wohlgefallen hervorrufe. Der Verstand als Begriffsvermögen und die Einbildungskraft als Vermögen der Darstellung der Begriffe werden 728
Vgl. KU, Vorrede, 4. und 8. Abs.
328
Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
kombiniert mit der »Präzision«, die die Vernunft zur Demonstration beiträgt. Wegen der Mitwirkung der Vernunft werde dies »die Eleganz derselben« (d. i. der Demonstration) genannt (KU, § 62, 5. Abs.) (5:365.37–366.23). Eleganz und Präzision dürften auf analoge Weise den Systembau der Metaphysik befördern.729 Entsprechend wird im ersten Absatz von EE XII die »Eleganz« auf die »systematische Form einer Doktrin« bezogen, indem die Vernunft es sein soll, die der Darstellung des Ganzen und seiner Teile die notwendige »Präcision« verleiht. Präzision bedeutet hier mehr oder sogar etwas ganz anderes als Klarheit,730 und zwar eine genaue Anordnung der Teile, die der Regel nach einem Zweckbegriff Folge leistet.
Zweiter und dritter Absatz: Begründung der Einteilung der Kritik der Urteilskraft in eine Kritik der ästhetischen Urteilskraft und eine Kritik der teleologischen Urteilskraft Die am Anfang des zwölften Abschnittes entwickelten allgemeinen Kriterien einer systematischen (›szientifischen‹) Einteilung eines Ganzen von Erkenntnissen a priori bilden die Grundlage für die im zweiten Absatz beginnende Begründung der Einteilung der Kritik der Urteilskraft. Dazu werden vorläufig einige Besonderheiten angeführt, die bei der Einteilung zu beachten sind und das Verfahren mit bestimmen. Ich halte es auch hier für vorteilhaft, den aus einem einzigen Satz bestehenden Absatz (20:248.13–26) in einer Satzgrafik zu zitieren. Die darin vorläufig angezeigten Zuordnungen müssen sich durch die folgenden Ausführungen allerdings noch bewähren (siehe Satzgrafik 10). Zuerst bestätigt sich das, was im vorhergehenden Absatz schon angedeutet worden ist.731 Die Urteilskraft kann »niemals den Stoff zu einer Doctrin abgeben« (EE XII, 2. Abs.) (20:248.14–15). Diese Abweichung von den Funktionen der übrigen »oberen« Erkenntnisvermögen ist bereits an mehreren Stellen in unserem Kommentar erklärt und begründet worden.732 Aus ihr folgt unmittelbar, dass die Aufgabe entfällt, das eingeteilte Ganze »nachher in die systematische Form einer Doctrin […] zu bringen«.733 Der Grund dafür, dass der KU keine besondere metaphysische Lehre angeschlossen werden kann, liegt in der Eigentümlichkeit dieses Vermögens, nur als bloß reflektierende Urteilskraft über eigene Prinzipien a priori zu verfügen. Auch darauf wird im zweiten Absatz von EE XII noch einmal hingewiesen, indem nämlich gesagt wird, die Unterscheidung zwischen bestimmender und reflektierender Urteilskraft bilde die Grundlage für eine Einteilung der KU ([3] bis [3.1]). 729 730 731 732 733
Vgl. Fortschritte, 20:310.29–35. Vgl. Fortschritte, 20:310.30. S. Satzgrafik Nr. 9, zu EE XII, 1. Abs. [1.2.1a], S. 325. Vgl. Kommentar zu EE XI, S. 312–315. S. Satzgrafik Nr. 9, zu EE XII, 1. Abs., [1.2.1], [1.2.2], S. 325.
XII. Abschnitt: Einteilung der Kritik der Urteilskraft
329
[1] Um nun eine Critik der Urtheilskraft [1.1] (welches Vermögen gerade ein solches ist, das obzwar auf Principien a priori gegründet, doch niemals den Stof zu einer Doctrin abgeben kann) / [2] einzutheilen, [3] ist die Unterscheidung zum Grunde zu legen, [3.1] daß nicht die bestimmende, sondern blos die reflectirende Urtheilskraft, eigene Principien a priori habe; [3.2] daß die erstere nur schematisch, { [3.2.1] unter Gesetzen eines andern Vermögens (des Verstandes), [3.3] die zweite aber allein technisch { [3.3.1] (nach eigenen Gesetzen) [3.4] verfahre [3.5] und daß dem letztern Verfahren ein Princip der Technik der Natur, [3.5.1] mithin der Begriff einer Zweckmäßigkeit,
}
[3.5.1a] die man an ihr a priori voraussetzen muß, / [3.6] zum Grunde liege, / [3.5.2] welche zwar nach dem Princip der reflectirenden Urtheilskraft nur als subjectiv, d. i. beziehungsweise auf dieses Vermögen selbst nothwendig von ihm vorausgesetzt wird, [3.5.3] aber doch auch den Begrif einer möglichen objectiven Zweckmäßigkeit, d. i. der Gesetzmäßigkeit der Dinge der Natur als Naturzwecke, bei sich führt. / Satzgrafik Nr. 10
Vor dem Hintergrund des im ersten Absatz von Kant benannten Kriteriums für eine szientifische Einteilung eines Ganzen von Erkenntnissen a priori, d. i. der Voraussetzung einer »Idee von einem Ganzen nach einem gewissen Princip vor der Bestimmung der Theile« (EE XII, 1. Abs.) (20:247.32–33), ist es jedoch unerlässlich, dass auch die Urteilskraft über ein solches ausschließlich ihr angehöriges Prinzip verfügt. Weil aber die bestimmende Urteilskraft – wie uns aus ihrer Funktion innerhalb der KrV geläufig ist – ein solches nicht zur Anwendung bringen kann,
330
Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
muss zwischen einem bestimmenden und einem bloß reflektierenden Gebrauch unterschieden werden. Negativ wirkt sich diese Differenzierung in der Hinsicht aus, dass die reflektierende Urteilskraft gerade darin beschränkt ist, ihr gesetzgebendes Prinzip nicht konstitutiv gebrauchen zu können und damit keiner bestimmten Erkenntnis von Objekten und eben deswegen auch keiner ›doktrinalen‹ Begründung von Erkenntnis fähig zu sein. Zur Grundlage einer Einteilung der KU gehört weiterhin, dass gemäß der Unterscheidung von bestimmender und reflektierender Urteilskraft zwischen ihren jeweiligen Verfahrensweisen, zwischen dem schematischen Vorgehen der ersteren und dem technischen der letzteren zu unterscheiden ist. Die bestimmende Urteilskraft handelt schematisch, insofern sie unter den Gesetzen des Verstandes steht, unter deren Schema sie einzelne empirische Anschauungen subsumiert und dadurch auch bestimmt ([3.1] bis [3.3]).734 Demgegenüber verfährt die reflektierende Urteilskraft technisch, und zwar »nach eigenen Gesetzen« (EE XII, 2. Abs.) ([3.3.1]). Dieser Ausdruck resultiert daraus, dass ihr (der reflektierenden Urteilskraft) »ein Princip der Technick der Natur […] zum Grunde liege« (ebd.) (20:248.19–22) ([3.5]). Die Technik der Natur haben wir hinreichend kommentiert.735 Hier erfahren wir nun noch einmal, dass mit ihr »mithin der Begrif einer Zweckmäßigkeit« verbunden sei, »die man an ihr a priori voraussetzen muß« (EE XII, 2. Abs.) (20:248.20–21) ([3.5] bis [3.5.1a]). Bezieht sich aber im Text das Relativpronomen »die« nun auf die »Technick der Natur« oder auf die »Zweckmäßigkeit«? Im ersten Fall würde man nämlich das »an ihr« auf die reflektierende Urteilskraft beziehen müssen; im zweiten Fall ließe es sich auch auf die Natur beziehen. Die in den darauf folgenden Satzpartikeln ausgedrückten Gedanken legen es allerdings nahe, sich zugunsten der ersten Option zu entscheiden. Das Relativpronomen »die« bezieht sich auf die »Zweckmäßigkeit« und damit das »an ihr« (entsprechend einer Formulierung in EE II, 6. Abs.) (20:204.1–4) auf die Natur, weil es auch im Anschluß daran eindeutig um die Zweckmäßigkeit geht. Denn im nachfolgenden Nebensatz (»welche … bei sich führt«, Satzglieder [3.5.2], [3.5.3]) wird die Bedeutung des hier verwendeten Begriffs der Zweckmäßigkeit näher erläutert, und zwar in folgenden Hinsichten: Erstens ist die Zweckmäßigkeit – wie wir bereits wissen – »nach dem Princip der reflectirenden Urtheilskraft nur als subjectiv […] vorausgesetzt […]« ([3.5.2]). Das Prinzip ist die »Technick der Natur«. Es besagt, dass die Formen, Geschehnisse und Gesetze der Natur so zu betrachten und zu beurteilen sind, als ob ein kunstschaffendes intelligentes Wesen sie mit Absicht erzeugt hätte. Dass es »nur als subjectiv« notwendig von der Urteilskraft »vorausgesetzt« wird, wurde bereits erklärt, und wir dürfen deshalb hier auch hinzufügen, dass die an der Natur vorausgesetzte Zweckmäßigkeit zugleich nur formal ist (s. EE II, 6. Abs.) (20:204.1–3). Hier soll die Sub734 735
Vgl. Kommentar zu EE IX, S. 241. KrV, B 176–181 / A 137–142. S. u. a. den Kommentar zu EE II, 6. Abs., S. 73 ff.
XII. Abschnitt: Einteilung der Kritik der Urteilskraft
331
jektivität der Zweckmäßigkeit darin bestehen, dass die reflektierende Urteilskraft selbst dieses Prinzip erst hervorbringt und dass es zudem nur in Rücksicht auf das Beurteilungsvermögen notwendige Gültigkeit besitzt. Kant thematisiert allerdings die »blos subjectiv beurtheilte Zweckmäßigkeit« (EE XII, 3. Abs.) (20:248.27 ff.) ausführlich im dritten Absatz dieses Abschnittes. Wir werden also auf diese Frage noch einmal zurückkommen. Nun soll aber zweitens der Begriff der Zweckmäßigkeit, weil er auch an der Natur a priori vorausgesetzt werden muss, »den Begrif einer möglichen objectiven Zweckmäßigkeit« bei sich führen ([3.5.3]). Objektive Zweckmäßigkeit bedeutet hier, dass den Dingen der Natur (wenigstens in der Vorstellung) Zwecke, und zwar als Begriffe, beigelegt werden, die eine (logische) Gesetzmäßigkeit ausdrücken. Dies gilt unter der Voraussetzung, dass die Dinge als »Naturzwecke« oder – wie wir an früherer Stelle gezeigt haben736 – als organisierte Wesen ausgelegt werden können. Die objektive Zweckmäßigkeit gilt insofern zunächst nur von Organismen. Es ist hier noch der wichtige Gedanke hinzuzufügen, dass auch die Gültigkeit der Zweckmäßigkeit nach der objektiven Seite hin beschränkt ist auf das subjektive Vermögen der reflektierenden Urteilskraft. Das bedeutet: Den Dingen der Natur wird nicht auch an sich oder in der Erscheinung Zweckmäßigkeit zugeschrieben. So sind sie auch nicht im erkenntnistheoretischen Sinne objektiv als Zwecke bestimmt, sondern sie werden nur so betrachtet, als ob sie in ihrem Entstehen und Vergehen nach Zwecken handelten. Das erklärt zugleich, dass der Begriff der objektiven Zweckmäßigkeit nur der Möglichkeit nach gegeben werden soll ([3.5.3]). Nachdem wir den Gedankengang des zweiten Absatzes rekonstruiert haben, können wir uns auch erlauben, die Frage zu stellen, inwiefern die Einteilung der KU von der »eigenthümliche[n] Beschaffenheit« des Vermögens der Urteilskraft abhängt und szientifisch ist (vgl. 1. Abs.). Die Eigentümlichkeit der Urteilskraft umfasst ihre Heautonomie, die subjektive Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit (damit Objektivität) ihrer Urteile sowie ihre technisch verfahrende Reflexion. Dies bestimmt die Art und den Umfang des Gebrauchs ihrer Gesetze (vgl. 1. Abs.). Daraus ergibt sich aber unmittelbar nur die negative Konsequenz, dass objektive Begriffe und Grundsätze von Gegenständen der Natur (wie auch Formen der reinen sinnlichen Anschauung a priori) nicht zu ihren Einteilungsgliedern gehören können. Szientifisch ist die Einteilung der KU dann bloß insofern, als sich die Anordnung der Teile nach der Idee des Ganzen der KU richtet, und das ist der Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur. Im dritten Absatz wird eine genauere Erläuterung der subjektiven Zweckmäßigkeit gegeben, um dadurch die weitere Einteilung der KU zu begründen. Eine Zweckmäßigkeit, die bloß subjektiv beurteilt wird, kann sich auf keinen Begriff gründen, der ihr einen bestimmten Inhalt verschaffte. Wir denken dabei an einen objektiven Zweckbegriff oder an einen Verstandesbegriff. Allerdings sind wir an anderer Stelle auch dem Missverständnis entgegengetreten, dass damit gemeint sein könne und 736
Vgl. Kommentar zu EE VIII, S. 204.
332
Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
solle, bei der Beurteilung der subjektiven Zweckmäßigkeit komme überhaupt kein Begriff ins Spiel.737 In Hinsicht auf ihre begriffliche Unbestimmtheit ist die »blos subjectiv beurtheilte Zweckmäßigkeit« gleichbedeutend mit der »Beziehung aufs Gefühl der Lust und Unlust«.738 Dasjenige Etwas, das auf das Lustgefühl bezogen wird, ist ein einzelner Gegenstand in der Vorstellung.739 Dementsprechend ist die Form dieser Beziehung, also die subjektive Beurteilung der Zweckmäßigkeit, ein ästhetisches Urteil bzw. das ästhetische Urteil schlechthin.740 Der nachfolgende, aufwendig strukturierte Satz (20:248.31–249.8) soll klarstellen, was unter der ästhetischen Urteilskraft als einem besonderen Vermögen zu verstehen ist. Um die zum Teil verwirrende Syntax leichter zu durchschauen und dem Begründungsgang sicher folgen zu können, helfen wir uns mit der nachfolgenden satzgrafischen Darstellung (siehe Satzgrafik 11): Für den Schluß auf die besondere Bedeutung der ästhetischen Urteilskraft liegen zwei Hauptgründe vor, die in den beiden kausalen Nebensätzen (»weil aber …« [1], »weil ferner …« [2]) zum Ausdruck kommen. Beide Gründe hängen von Bedingungen ab, die in den beiden zwischengeschobenen konditionalen Nebensätzen formuliert sind (»wenn dieses Gefühl …« [1.a], »wenn diese als bestimmend …« [2.a]). Die erste Begründung lautet wie folgt: Das ästhetische Urteil ist kein Urteil a priori, sondern verwandelt sich in ein empirisches Urteil, sobald das Lustgefühl nur in Begleitung der Objektempfindung auftritt. Wir haben gesehen, dass das ästhetische Urteil nur dann Anspruch auf ein reines Geschmacksurteil erheben kann, wenn es ein Gefühl der Lust und Unlust zum Bestimmungsgrund hat, das aus der Reflexion der Urteilskraft erst hervorgeht und insofern von empirischen Empfindungen (sinnlichen Vorstellungen) unabhängig ist.741 Andernfalls wäre es ein ästhetisches Urteil, das Kant sonst auch »Sinnenurteil« nennt und strenggenommen als legitimes Urteil nicht gelten lässt.742 Dieser Sachverhalt ist hier gemeint.743
Vgl. Kommentar zu EE VIII, S. 186. Vgl. Kommentar zu EE VIII, S. 305. 739 Vgl. Kommentar zu EE VIII, S. 181. 740 Vgl. Kommentar zu EE VIII, S. 177 ff. 741 Vgl. Kommentar zu EE XI, S. 319. 742 Vgl. Kommentar zu EE VIII, S. 192. 743 Es ist hier noch einmal zu erinnern an EE VIII, 3. Abs.: das Sinnenurteil ist kein ästhetisches Reflexionsurteil; EE VIII, 4. Abs. und Anfang 5. Abs.: die besondere Art der Empfänglichkeit ist die unmittelbare Empfindung. 737
738
XII. Abschnitt: Einteilung der Kritik der Urteilskraft
333
[1] Weil aber, {[1.a] wenn dieses Gefühl blos die Sinnenvorstellung des Objects {1.aa] d. i. die Empfindung desselben, [1.b] begleitet, / [1.1] das ästhetische Urtheil empirisch ist [1.1.1] und zwar eine besondere Receptivität, aber keine besondere Urtheilskraft erfordert, / [2] weil ferner, {[2.a] wenn diese als bestimmend angenommen würde, [2.1] ein Begrif vom Zwecke zum Grunde liegen mußte, [2.1.1] die Zweckmäßigkeit also als objectiv nicht ästhetisch, sondern logisch beurtheilt werden mußte; / [3] so wird unter der ästhetischen Urtheilskraft, {[3.a] als einem besondern Vermögen, [3.1] nothwendig keine andere, als die reflectirende Urtheilskraft, das Gefühl der Lust [3.1.1] (welches mit der Vorstellung der subjectiven Zweckmäßigkeit einerlei ist) / [3.2] nicht als der Empfindung in einer empirischen Vorstellung des Objects, [3.3] auch nicht als dem Begriffe desselben, [3.4] folglich nur als der Reflexion und deren Form, [3.4a] (die eigenthümliche Handlung der Urtheilskraft) [3.4.1] wodurch sie von empirischen Anschauungen zu Begriffen überhaupt strebt, / [3.5] anhängend
}
[3.6] und mit ihr nach einem Princip a priori verknüpft, [3.7] angesehen werden müssen. Satzgrafik Nr. 11
Die »besondere Receptivität«, die ein solches empirisches Urteil erfordert ([1.1.1]), wird das empirische Gefühl von Lust und Unlust an einem Gegenstand (»die Sinnenvorstellung des Objects«) bzw. die Empfindung sein. Dagegen wird vom empiri-
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
schen ästhetischen Urteil (»Sinnenurteil«) »keine besondere Urtheilskraft« (nämlich keine reflektierende) verlangt. D. h. für ein solches Urteil genügt die gewöhnliche, in der Subsumtion auch bestimmende Urteilskraft ohne ein Prinzip subjektiver Zweckmäßigkeit. Dasjenige besondere Vermögen, das für die Bildung eines (echten) ästhetischen Urteils gebraucht wird, ist die ästhetisch reflektierende Urteilskraft. Sollte diese nun aber für ein ästhetisches Urteil, das empirisch ist, entbehrlich sein, so hätten wir es schlichtweg nicht mehr mit einem ästhetischen Urteil zu tun. Denn allein die ästhetisch reflektierende Urteilskraft stellt die Beziehung zum Gefühl der Lust und Unlust als Grundlage des ästhetischen Urteils im vollgültigen Sinne her, und dies ist – laut Kant – »zugleich die einzige mögliche Art, ästhetisch zu urtheilen« (EE XII, 3. Abs.) (20:248.30–31). Ein ästhetisches Urteil, das zugleich empirisch wäre, kann es also im Grunde genommen gar nicht geben. Es ist unter den genannten Bedingungen als ein empirisches ästhetisches Urteil ein bloßes Erfahrungs- oder Wahrnehmungsurteil. Das ist die Quintessenz der ersten Begründung. Eine weitere Begründung für die besondere Bedeutung der ästhetischen Urteilskraft ergibt sich aus der Abgrenzung gegen eine in bestimmter Hinsicht bestimmende Urteilskraft (»weil ferner, wenn … werden mußte«, Satzglieder [2] bis [2.1.1]). Als »bestimmend« wird jedoch die Urteilskraft hier nicht deshalb angenommen, weil sie mit Hilfe eines Schemas (der Zeitbestimmung) ein Objekt der Erkenntnis bestimmte, sondern weil dem Urteil ein Zweckbegriff zugrunde liegen müßte ([2.1]), wodurch die Zweckmäßigkeit eine objektive wäre und »nicht ästhetisch, sondern logisch beurtheilt werden mußte« ([2.1.1]). Aber auch die objektive Zweckmäßigkeit der Natur ist immer noch ein Prinzip der reflektierenden und nicht der bestimmenden Urteilskraft. Das muß hier noch einmal bestätigt werden, um ein mögliches Mißverständnis zu vermeiden. Mit der logischen Beurteilung wird – wie wir im Kommentar zu EE V herausgefunden haben – unterstellt, dass es eine besondere Fachlogik (eine Logik der Reflexion der Urteilskraft) gibt, die, indem sie über den Begriff des Naturzwecks verfügt, die Regeln und Bedingungen zur Bildung teleologischer Urteile enthalten muss. Aus der Zurückweisung der vorgestellten Begründungen für die Besonderheit der ästhetischen Urteilskraft folgt nun eine Serie von Bestimmungen, deren Zuordnung in dem komplizierten, schwer zu durchschauenden Satzgefüge (»so wird unter …«, ab Satzglied [3]) einer genauen Abwägung bedarf. Und dennoch läßt sich am Ende kein glatter Text rekonstruieren. Die ästhetische Urteilskraft wird in eine notwendige Beziehung zur reflektierenden Urteilskraft gesetzt. Man fragt sich zu recht, wo eigentlich das Satzprädikat steht, das zum Anfang des mit »so« beginnenden ([3]) und von Satzglied [3.1] (»das Gefühl der Lust …«) unterbrochenen Schlusssatzes gehört (Satzglieder [3.1.] bis [3.7]). Entweder man unterstellt, das Prädikat sei einfach vergessen worden, und dann müsste man den Satzanfang sinngemäß ergänzen, etwa durch: »zu verstehen sein«; oder man bezieht den Schluß des Satzes (»angesehen werden müssen«, Satzglied
XII. Abschnitt: Einteilung der Kritik der Urteilskraft
335
[3.7]) auf die ästhetische Urteilskraft ([3]). [3.7] scheint sich aber zugleich auch auf »das Gefühl der Lust« (Satzglied [3.1]) zu beziehen. Mit diesem ist aber die Partizipialkonstruktion am Satzende zu verbinden (»anhängend und mit ihr …«, [3.5 bis 3.6]). Dann wird der Satztorso (abgesehen von den eingeschobenen Nebensätzen) etwa folgendes aussagen: Die ästhetische Urteilskraft kann nur unter dem Aspekt reflektierender Urteilskraft so angesehen werden, dass das Gefühl der Lust der Reflexion ›anhängt‹ und mit derselben »nach einem Princip a priori verknüpft« ist ([3.5], [3.6], [3.7]). Diese Auslegung ist einigermaßen plausibel, wenngleich die syntaktische Schwierigkeit nicht restlos ausgeräumt werden kann. Die Nebenaspekte, die Kant – eigentlich unnötigerweise – in den mit [3] beginnenden Satzteil hineinbringt, sind uns überwiegend bereits bekannt. Die ästhetische Urteilskraft ist deswegen ein besonderes Vermögen ([3.a]), weil es neben Verstand und Vernunft eine eigentümliche Form der Gesetzgebung hat und außerdem mit dem Gefühl der Lust verbunden ist. Das setzt aber voraus, dass sie selbst reflektierend ist ([3.1]). An mehreren Stellen haben wir auch schon darauf hingewiesen, dass Kant das Gefühl der Lust in gewisser Hinsicht identisch setzt mit der Vorstellung subjektiver (formaler) Zweckmäßigkeit ([3.1.1]), insofern nämlich, diese Zweckmäßigkeit bloß formal (ohne Zweck) und bestimmungslos ist.744 Das Gefühl der Lust wird (von der ästhetischen Urteilskraft) als notwendig verbunden mit (»anhängend« [3.5]) der »Reflexion und deren Form« ([3.4]) betrachtet. Die beiden anderen denkbaren Verbindungen werden verworfen. Es kann nicht mit einer empirischen Vorstellung eines Objekts verbunden sein ([3.2]), weil das Urteil, das es begründen soll, nur auf empirischer Empfindung beruhte. Und es kann keinem Objektbegriff beitreten ([3.3]), weil das Urteil sonst bestimmend wäre. Das Gefühl der Lust hängt also nur der »Reflexion und deren Form« an ([3.4]). Die Reflexion der Urteilskraft ist deren »eigenthümliche Handlung« ([3.4a]). Diese Handlung setzt sich genau genommen – wie an früheren Stellen gezeigt worden ist – aus drei Operationsschritten zusammen, die trotzdem zu keinem bestimmten Begriff gelangen können.745 Sie kann aber auch als das technische Verfahren angenommen werden, an das im zweiten Absatz von EE XII noch einmal erinnert worden ist (20:248.19–22). Die erwähnte »Form«, die zur Handlung der Reflexion gehört, ist nichts anderes als das Prinzip der Technik der Natur oder die subjektive Zweckmäßigkeit. Durch ihre spezifische Handlung und deren Form »strebt« die Reflexion »von empirischen Anschauungen zu Begriffen überhaupt« ([3.4.1]). Dieses Streben verstehen wir als eine Art von Trieb zur Belebung des Gemüts, der sich im »freien Spiel« der Erkenntniskräfte entfaltet. Einbildungskraft und Verstand wirken – wie im Kommentar zu EE VII, 3. Abs., gezeigt – so zusammen, 744 745
Vgl. Kommentar zu EE VIII, S. 186. Vgl. Kommentar zu E VII, EE VII, S. 167, 518.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
dass die erstere in der Apprehension eine sinnliche Anschauung gibt, während der Verstand einen ganz unbestimmten Begriff von einem Objekt (d. h. die bloß empfundene Einheit des Bewußtseins eines Mannigfaltigen) beisteuert,746 unter dem sich ein Anschauungsmannigfaltiges zusammenfassen lässt. Die Urteilskraft bringt schließlich den diesem Begriff korrespondierenden Gegenstand zur Darstellung in der Anschauung.747 Das Streben scheint somit der Trieb der Einbildungskraft zu sein, der darauf ausgerichtet ist, die diskreten empirischen Anschauungen zu einer (begrifflichen) Einheit zusammenzufassen. Zum letzten Satzglied ([3.5]) ist noch zu bemerken, dass das Gefühl der Lust der Reflexion nicht bloß beiläufig ›anhängt‹. Die Verbundenheit beider ist vielmehr insofern notwendig, als die Reflexion dem Lustgefühl vorangehen muss. Dies wird ja in § 9 der KU dann auch gezeigt. Damit kann nun auch erklärt werden, dass beide zugleich als »nach einem Princip a priori« miteinander verknüpft betrachtet werden müssen. Denn das Prinzip, das hier nicht benannt wird, aber angesprochen ist, ist die »subjektive allgemeine Mitteilbarkeit« des Lustgefühls am harmonischen Zusammenstimmen der Erkenntniskräfte. Sie ist die Bedingung der Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit des Geschmacksurteils748 und damit auch der Grund der notwendigen Zusammengehörigkeit des Gefühls der Lust und Unlust und der ästhetischen Reflexion. In dem noch verbleibenden Textstück des zwölften Abschnittes werden die ersten Einteilungsschritte konkret vollzogen. Die Zweiteilung der KU in eine »Ästhetik der reflektierenden Urteilskraft« und in eine »Logik« derselben, die »unter dem Namen der Teleologie« auftritt,749 folgt aus der vorangegangenen Begründung der Besonderheit der subjektiven Zweckmäßigkeit und ihrer Abgrenzung von der objektiven. Über Umfang und Grenzen der Erkenntnisse in den beiden Teilen wird an dieser Stelle nichts gesagt. Stattdessen erfahren wir von einer Gemeinsamkeit: Sowohl in der Ästhetik als auch in der Teleologie werde die Natur »als technisch« betrachtet. Das bedeutet, dass die Naturprodukte als zweckmäßig anzusehen sind, d. h. so, als ob sie durch Kunst geschaffen worden wären. Dennoch ist zwischen der ästhetischen Technik und der teleologischen in einer Hinsicht zu unterscheiden. Die erstere ist nämlich bloß subjektiv zweckmäßig, die zweite dagegen objektiv zweckmäßig. Diese Unterscheidung haben wir im zurückliegenden Kommentar bereits ausführlich besprochen (vgl. S. 208, 226, 277). Die hier von Kant nochmals dargebotenen kurzen Erläuterungen mögen daher genügen, um den Unterschied des Subjektiven und Objektiven zu bestimmen. Subjektiv wird die Zweckmäßigkeit in der Ästhetik genannt »in Absicht auf die bloße Vorstellungsart des Subjects« (EE XII, 3. Abs.) (20:249.13–14). Es wird also durch die subjektive Zweckmäßigkeit nichts an einem Objekt der Natur durch Begriffe 746 747 748 749
Vgl. KU, § 9, 9. Abs. (5:219.3–16); KU, § 9, 4. Abs. (5:217.21–34). Vgl. EE VII, 3. Abs. (20:220.14–22) und dazu den Kommentar, S. 165–168. Vgl. KU, § 9, bes. 3. bis 5. Abs. (5:217.8–218.7). Vgl. zu dieser Titulierung auch die Ausdrucksweise in EE XII, 5. Abs. (20:250.19–22).
XII. Abschnitt: Einteilung der Kritik der Urteilskraft
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bestimmt. Vielmehr bestimmt die reflektierende Urteilskraft ihre eigene Beurteilung der Natur als zweckmäßig. Wenn daher davon gesprochen wird, dass die (schönen) Formen der Natur zweckmäßig seien, dann bedeutet dies, dass die Betrachtungsweise des Subjekts der Erkenntnis so angelegt ist, dass der Betrachter sie als schön empfinden muss. Was in Beziehung auf die subjektive Zweckmäßigkeit nicht gelten darf, das ist aber in Hinsicht auf die objektive notwendig. Sie ist nämlich »zweckmäßig in Beziehung auf die Möglichkeit des Gegenstandes selbst« (EE XII, 3. Abs.) (20:249.15–16). In diesem Falle betrifft die Zweckmäßigkeit also nicht bloß das subjektive Erkenntnisvermögen, sondern auch das Objekt der Erkenntnis. Wir haben zur objektiven Zweckmäßigkeit im Kommentar zum zweiten Absatz Stellung genommen und dort deren »Möglichkeit« so gedeutet, dass sie den Gegenstand nicht an sich gesetzmäßig bestimmt. Das Gleiche wird auch hier gegen Ende des dritten Absatzes zutreffen. Dass die Zweckmäßigkeit nur in Beziehung auf die Möglichkeit des Gegenstandes objektiv ist, soll bedeuten, dass demselben als Naturzweck zwar eine Gesetzmäßigkeit nach Begriffen beigelegt werden muss (vgl. Abs. 5), aber gleichfalls nur von der reflektierenden und nicht von der bestimmenden Urteilskraft, so dass keine objektive Gegenstandsbestimmung dabei herauskommt. Da ja auch hier die »Technick der Natur« eingreift, die das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft ist, ist auch die objektive Zweckmäßigkeit ihrem Ursprung nach subjektiv; objektiv ist sie eben nur, insofern sie sich (begrifflich) reflektierend auf Objekte der Natur bezieht. Im fünften Absatz dieses Abschnittes wird später der Begriff der objektiven Zweckmäßigkeit einer differenzierteren Betrachtung unterzogen werden. Hier im dritten Absatz gibt Kant zum Schluß einen kurzen Ausblick auf das, was an weiterer Einteilung noch zu erwarten ist. Es soll sich nämlich noch zeigen, »daß die Zweckmäßigkeit der Form in der Erscheinung, die Schönheit, und das Beurtheilungsvermögen derselben der Geschmack sei.« (20:249.16–18) Dieser Nachweis wird in den verbleibenden Absätzen der EE nicht mehr erbracht werden können. Er findet sich erst in der »Analytik« der Kritik der ästhetischen Urteilskraft. Und daraus – so Kant – »würde nun zu folgen scheinen, daß die Eintheilung der Critik der Urtheilskraft in die ästhetische und teleologische, blos die Geschmackslehre und physische Zwekslehre (der Beurtheilung der Dinge der Welt als Naturzwecke) in sich fassen müßte« (EE XII, 3. Abs.) (20:249.18–22). Die zurückhaltende und fast schon irreale Folgerung in Hinsicht auf die Einteilung der KU hat ihren realen Grund wohl darin, dass mit den Begriffen »Schönheit« und »Geschmack« keine hinreichenden Kriterien zur weiteren Einteilung gegeben sind. Beide Teile der KU – die ästhetische und die teleologische – umfassen mehr als bloß die »Geschmackslehre« und das, was Kant hier »physische Zwecklehre« nennt. Das wird sich in den nachfolgenden Absätzen bestätigen, wenngleich nicht ohne sachliche Schwierigkeiten. Der Ausdruck einer physischen Zwecklehre, der in der KU m.W. sonst nicht auftaucht, wird als »Beurtheilung der Dinge der Welt als Naturzwecke« erläutert (20:249.21).
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Die »physische Zwecklehre« kann nichts anderes sein als die in der Kritik der Urteilskraft enthaltene Teleologie. Diese lehrt, wie Naturprodukte durch den Vernunftbegriff von einem Naturzweck beurteilt werden. Nun erschöpft sich zwar der zweite Teil der Kritik nicht in der Teleologie, sondern differenziert sich (wie die Kritik der ästhetischen Urteilskraft auch) in die Vermögen innerer und äußerer Zweckmäßigkeit; aber dafür braucht sie – wie der sechste Absatz zeigen soll – keine besonderen Namen. In der Ästhetik hingegen muss die Geschmackskritik noch durch eine »Kritik des Geistesgefühls« ergänzt werden (vgl. 6. Abs.) (20:250.31–34).
Vierter Absatz: Unterscheidung der subjektiven Zweckmäßigkeit in eine innere und eine relative – Schönheit und Erhabenheit (I) Der vierte Absatz hat die ästhetische Zweckmäßigkeit hinsichtlich ihrer Differenzierung in eine »innere« und eine »relative« zum Gegenstand. Darauf gründet sich dann die Klassifizierung der ästhetischen Urteile in solche über die Schönheit und solche über die Erhabenheit von Gegenständen der Natur. Reinen Geschmacksurteilen müsste demzufolge innere Zweckmäßigkeit, dem Erhabenheitsurteil dagegen relative (äußere) subjektive Zweckmäßigkeit zugrunde liegen. In der EE wurde bis zu dieser Stelle das Erhabene noch nicht thematisiert. Wir werden uns, um Kants Theorie des Erhabenen grob zu skizzieren, auch auf den Hauptteil der Schrift beziehen müssen. Der vierte Absatz beginnt mit der Feststellung, »alle Zweckmäßigkeit« – d. h. sowohl die subjektive (ästhetische) als auch die objektive (teleologische) – lasse sich in innere und relative einteilen. (20:249.23–24) Von dieser Einteilung macht Kant aber in der Kritik der ästhetischen Urteilskraft nicht ausdrücklich Gebrauch. Will man den Unterschied zwischen innerer und relativer (oder auch äußerer) Zweckmäßigkeit erklären, so wird man einschlägige Stellen in der Kritik der teleologischen Urteilskraft befragen müssen (u. a. die §§ 15, 16, 63 und 66).750 Doch ist zu bedenken, ob sich die bestimmte Unterscheidung zwischen innerer und relativer Zweckmäßigkeit ohne weiteres von der teleologischen auf die ästhetische übertragen lässt. In dem jetzt betrachteten Absatz wird die innere Zweckmäßigkeit allgemein so charakterisiert, dass sie »in der Vorstellung des Gegenstandes an sich« gegründet sei; die relative zeichnet sich dadurch aus, dass sie »blos im zufälligen Gebrauche derselben« (d. i. der »Vorstellung des Gegenstandes«) ihren Grund habe. (20:249.24–26) Die zitierten Bestimmungen beziehen sich noch auf »alle Zweckmäßigkeit«, also auf die subjektive und die objektive. Und mehr erfahren wir hier nicht darüber. Die nachfolgenden Passagen (ab: »Diesem gemäß kann die Form …« (20:249.26 ff.)) enthalten die Konsequenzen, die sich aus den allgemeinen Bestimmungen allein für die subjektive Zweckmäßigkeit ergeben. 750
Vgl. Kommentar zu EE VIII, S. 205.
XII. Abschnitt: Einteilung der Kritik der Urteilskraft
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Die »Vorstellung des Gegenstandes an sich« (20:249.25) als Grund innerer Zweckmäßigkeit rückt den Gegenstand selbst (das Objekt) ins Zentrum der Beurteilung. Ohne davon reden zu müssen, dass hierbei ein Zweckbegriff ins Spiel kommt – womit die allgemeine Bestimmung der inneren Zweckmäßigkeit bloß von der objektiven gelten könnte –, drückt doch die innere Zweckmäßigkeit ein kausales Selbstverhältnis (einen Selbstzweck oder ein organisiertes Ganzes) des Objekts aus, das es gegenüber anderen Dingen der Natur autonom macht. Obwohl diese Zweckmäßigkeit an dem Gegenstand »an sich« bemerkt wird, geschieht dies nur in der »Vorstellung« desselben, und damit in Rücksicht auf das subjektive Erkenntnisvermögen (Einbildungskraft und Verstand). Kant hat aber nirgendwo hinreichend gezeigt, expliziert oder überzeugend nachgewiesen, dass und wie die subjektive Zweckmäßigkeit der ästhetisch reflektierenden Urteilskraft zugleich als eine innere Zweckmäßigkeit an der Form des Gegenstandes selbst möglich sei. Im Gegenteil läßt seine Argumentation (z. B. in § 15 der KU) vermuten, dass ihm eine solche Annahme ganz unakzeptabel erschien. Die damit verbundenen Schwierigkeiten beruhen eben darauf, dass die subjektive Zweckmäßigkeit erklärtermaßen von allem Begriff eines Zwecks (insbesondere von dem Begriff der Vollkommenheit) abstrahieren muss.751 Innere Zweckmäßigkeit aber kann als solche, d. h. ihrem Begriffe nach, nicht ohne Begriff erfasst werden. Was bedeutet es nun demgegenüber in einem allgemeinen Sinne, dass die relative Zweckmäßigkeit bloß auf dem »zufälligen Gebrauche« der »Vorstellung des Gegenstandes an sich« beruht? (20:249.25–26) Zunächst bedeutet es die Zurückversetzung der Zweckmäßigkeit vom Objekt der Beurteilung in das beurteilende Subjekt. Es ist das Subjekt, das mit seinen in der reflektierenden Urteilskraft vereinten Erkenntniskräften von der Objektvorstellung einen bestimmten Gebrauch macht, der »zufällig« genannt wird. Weil der Gebrauch sich nicht nach der Erkenntnis des Objekts richtet, sondern danach, was dem Subjekt in Hinsicht auf sich selbst als zweckmäßig vorschwebt (d. h. ihm zum Nutzen dienen kann), ist er »zufällig«. Die Relativität dieser Zweckmäßigkeit gründet sich also darauf, dass das, was als zweckmäßig beurteilt wird (ein Gegenstand der Natur) zugleich so beurteilt wird, dass es zweckmäßig nicht in sich selbst, sondern nur in Relation auf ein Anderes zweckmäßig ist bzw. den Grund seiner Zweckmäßigkeit außer sich hat. Für beide Arten subjektiver Zweckmäßigkeit (der inneren und der relativen) gilt zunächst, dass die reflektierende Urteilskraft nicht von bestimmten Begriffen (des Verstandes oder der Vernunft) Gebrauch macht und dass sie sich bloß auf die Form eines Gegenstandes bezieht. Die innere Zweckmäßigkeit ist dann gegeben, wenn Hegel hat später die bei Kant ungelöste Frage nach der inneren Zweckmäßigkeit an schönen Gegenständen der Natur (bzw. dem ›Fürsichsein‹ der schönen Naturform) im Zuge seiner Kritik an Kants Ästhetik analysiert und darin Widersprüche aufgedeckt; vgl. dazu W. Euler (2007), Die Idee des Schönen, 93–100. 751
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
die Form eines Gegenstandes »schon für sich, d. i. in der bloßen Anschauung ohne Begriffe […] als zweckmäßige wargenommen werden« kann (4. Abs.) (20:249.26– 29). Und das bedeutet, dass die Zweckmäßigkeit »dem Dinge und der Natur selbst beigelegt« wird (20:249.29–30). Es ist gewissermaßen die objektive Seite an der subjektiven Zweckmäßigkeit, der eine subjektive gegenübersteht. Für diese letztere muss dann gelten, dass das Objekt der Wahrnehmung (die Form des Gegenstandes) nichts Zweckmäßiges erkennen lässt (es hat »nicht das mindeste Zweckmäßige zu Bestimmung seiner Form an sich« (20:249.31–32). Subjektiv zweckmäßig ist die Form eines Gegenstandes dann – wie es scheint – nicht »für sich«, sondern allein in der Hinsicht, dass die bloße Vorstellung der Objektform »auf eine a priori im Subjecte liegende Zweckmäßigkeit« »angewandt« wird (EE XII, 4. Abs.) (20:249.32–250.2). Diese – sozusagen subjektiv subjektive – Zweckmäßigkeit kann nur die Zweckmäßigkeit in der Organisation der Erkenntniskräfte selbst sein, nach welcher die Vorstellung einer zweckmäßigen Gegenstandsform der Natur, die der Zweckmäßigkeit der reflektierenden Urteilskraft angemessen ist, im Subjekt erzeugt wird. Diese wird (als »im Subject liegende«) a priori von jedem Erkenntnissubjekt als allgemein gegeben vorausgesetzt. Den Zweck einer solchen Anwendung sieht Kant darin, ein Gefühl der Zweckmäßigkeit – in Parenthese hinzugefügt: »etwa der übersinnlichen Bestimmung der Gemüthskräfte des Subjects« (20:250.1–2) – zu erregen. Das angesprochene »Gefühl« der Zweckmäßigkeit, das durch die Vorstellung einer zweckmäßigen Objektform erregt werden können soll, ist sicher nicht identisch mit dem Gefühl der Lust und Unlust, das das ästhetische Reflexionsurteil über die Schönheit von Naturgegenständen begründet (vgl. § 23, 2. Abs.) (5:244.22 ff.). Zwar ist dieses Gefühl – wie es wenig später in EE XII, 4. Abs. (20:250.2–7) heißt – auch die Grundlage eines ästhetischen Urteils, aber eines solchen über das Erhabene in der Vorstellung von Gegenständen der Natur, und das kann nur das in Abs. 6 und 9 bestimmte »Geistesgefühl« sein, von dem weiter unten noch genauer die Rede sein wird.752 Aber was hat jene gefühlte Zweckmäßigkeit mit der zitierten »übersinnlichen Bestimmung der Gemüthskräfte des Subjects« (20:250.1–2) zu tun? Um auf diese Frage eine plausible Antwort geben zu können, ist es unerlässlich, einen genaueren Blick auf die Theorie des Erhabenen und des Erhabenheitsurteils im Haupttext der KU zu werfen.
Vgl. KU, § 54, 9. Abs. (5:335.2). Insoweit Lust für die Beurteilung des Erhabenen bestimmend ist, ist sie, wie Kant später sagen wird (KU, § 23, 2. Abs.) (5:245.8–11), »negative Lust«, d. i. Lust durch Negation von Unlust (s. dazu den folgenden Erläuternden Exkurs). 752
XII. Abschnitt: Einteilung der Kritik der Urteilskraft
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Erläuternder Exkurs: Das Erhabene als Gegenstand des ästhetischen Reflexionsurteils (KU, §§ 23–29) Der Exkurs zu Kants »Analytik des Erhabenen« (KU, §§ 23–29) soll hier bloß dazu dienen, die ziemlich undurchsichtigen Bemerkungen über die Einteilung der Ästhetik im vierten Absatz von EE XII verständlicher zu machen. Es ist dabei nicht erforderlich, die Theorie des Erhabenen in Einzelheiten vorzustellen oder gar ihre systematischen Probleme zu erörtern.753 Kant nähert sich der Bestimmung des Begriffs des Erhabenen, indem er zunächst sowohl Gemeinsamkeiten als auch markante Unterschiede zwischen dem Schönen und dem Erhabenen feststellt. Gemeinsam ist ihnen, »daß beides für sich selbst gefällt« (§ 23, 1. Abs.) (d. h. Wohlgefallen ohne Interesse dokumentiert); dass beide ein Reflexionsurteil voraussetzen; dass das Wohlgefallen so mit der Darstellung der Einheit verbunden ist, dass sie mit dem Vermögen der Begriffe des Verstandes und der Vernunft übereinstimmt; dass die jeweiligen Urteilsarten Einzelurteile sind, und dass sie, obwohl sie bloß die Erzeugung eines Lustgefühls beanspruchen und nicht auf Erkenntnis ausgerichtet sind, Allgemeingültigkeit anstreben (ebd.) (5:244.18–22). Wichtiger als die Gemeinsamkeiten sind für unseren Zweck die spezifischen Unterschiede. Während das Schöne die (begrenzte) Form des Gegenstandes der Natur betrifft, bezieht sich das Erhabene gerade auf dessen formlose Unbegrenztheit (§ 23, 2. Abs.) (5:244.24–27). Das Schöne resultiert aus der Darstellung eines unbestimmten Verstandesbegriffs, das Erhabene aus der Darstellung einer unbestimmten Idee. Demzufolge ist das Wohlgefallen dort mit dem Moment der Qualität und hier mit dem der Quantität verbunden (§ 23, 2. Abs.) (5:244.29–31). Im Unterschied zum Wohlgefallen des Schönen, das im Spiel der Einbildungskraft ein Gefühl der Belebung bewirkt, ist das Gefühl des Erhabenen eine nur indirekt entstehende Lust, die durch den abrupten Wechsel zwischen Hemmung und Beförderung der Lebenskräfte hervorgebracht wird. D. h. das Gemüt wird abwechselnd von einem Naturgegenstand angezogen und abgestoßen. Entsprechend enthält das Wohlgefallen des Erhabenen nach Kant ein Gefühl, das er »negative Lust« nennt. Es ist ein Gefühl der »Bewunderung« oder »Achtung« (ebd.).754
Zur weiteren Analyse vgl. u. a. die Untersuchungen von Lyotard, J.-F. (1991/1994), Die Analytik des Erhabenen; Brandt, R. (1995), Beobachtungen zum Erhabenen, 215–228; Dörflinger, B. (2005), Lyotards Kant-Lektionen zum Erhabenen, 331–343; Bertinetto, A. (2007), Negative Darstellung, 124–151; Foessel, M. (2008), Analytik des Erhabenen. 754 Vgl. KU, § 27, 1. und 3. Abs. (5:257.9–26, 258.10–32); KU, § 54, 9. Abs. (5:334.36– 335.5). Im ersten Absatz von § 12 der KU bezeichnet Kant im Rückblick auf die KpV »das Gefühl der Achtung« als »eine besondere und eigentümliche Modifikation« des Gefühls der Lust und Unlust (5:222.2–4). Zum Gefühl der Achtung in Kants Morallehre s. Guyer, P. (2012): Kant über moralische Gefühle, in: W. Euler / B. Tuschling (Hg.), Kants Metaphysik der Sitten in der Diskussion. Berlin, 177–209; Recki, B. (2012): Kants »Ästhetik der Sitten«, 121–135; 753
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Unter den bereits genannten Unterschieden zwischen dem Erhabenen und dem Schönen hebt Kant einen als besonders bedeutungsvoll hervor: Die Naturschönheit impliziert eine Zweckmäßigkeit der Form der Natur, »wodurch der Gegenstand für unsere Urteilskraft gleichsam vorherbestimmt zu sein scheint« (§ 23, 3. Abs.) (5:245.17–18). Sie macht insofern »an sich« einen Gegenstand des Wohlgefallens aus. Derjenige Gegenstand der Natur, der in uns das Gefühl des Erhabenen erregt, erscheint uns dagegen nicht nur als formlos, sondern auch als zweckwidrig, unangemessen »und gleichsam gewalttätig für die Einbildungskraft« (ebd.) 5:245.19–24). Dies ist nicht als ein Mangel auszulegen, denn trotz oder gerade wegen der Zweckwidrigkeit seiner Form urteilen wir – so besagt Kants These – umso erhabener über den Gegenstand (ebd.). Weil aber der Gegenstand »an sich« als zweckwidrig aufgefasst wird, so ist es genau genommen nicht dieser selbst, der »erhaben« genannt wird, sondern das Erhabenheitsgefühl hat seine Quelle und seinen Bestimmungsgrund in unserem Gemüt: »[D]as eigentliche Erhabene kann in keiner sinnlichen Form enthalten sein, sondern trifft nur Ideen der Vernunft […]«.755 Solche Vernunftideen sollen in keine Darstellung gebracht werden können, die ihnen angemessen ist; d. h. in der Anschauung kann die Einbildungskraft keine sinnlichen Gegenstände fixieren, die einer solchen Idee genau entsprechen. Aber gerade wegen dieser Unangemessenheit werden wir uns dieser Idee überhaupt erst bewusst (wir ›rufen‹ sie in unser Gemüt) (ebd.). Auf diese Weise wird das Gemüt stimuliert, »die Sinnlichkeit zu verlassen und sich mit Ideen, die höhere Zweckmäßigkeit enthalten, zu beschäftigen« (ebd.) (5:246.2–4). Die Beurteilung des Erhabenen ist damit nicht wie das Schöne an eine »Technik der Natur« geknüpft, sondern hängt von Ideen ab, die von dem »Chaos« der Natur, d. i. von der Natur »in ihrer wildesten, regellosesten Unordnung und Verwüstung« vehement erregt werden (KU, § 23, 5. Abs.) (5:246.17–18). Kant zieht daraus den Schluß, »daß der Begriff des Erhabenen der Natur bei weitem nicht so wichtig und an Folgerungen reichhaltig sei, als der des Schönen in derselben« (ebd.) (5:246.20– 22). Und nur im »möglichen Gebrauche« der Anschauungen der Natur – d. h. nicht wie beim Schönen »in der Natur selbst« – habe der Begriff des Erhabenen etwas Zweckmäßiges. Dadurch kann eine »von der Natur ganz unabhängige Zweckmäßigkeit in uns« gefühlt werden. Diese Zweckmäßigkeit ist der Grund »in uns«, der uns in das Gefühl des Erhabenen der Natur einstimmt. Demgegenüber ist der Grund für
sowie Falduto, A. (2012), Das Gefühl als Empfänglichkeit und die Bedeutung einer Ästhetik der Sitten, 137–151. 755 KU, § 23, 4. Abs. (5:245.31–33). Mit dieser Ansicht positioniert sich Kant gegen die ästhetische Theorie Burkes (und anderer Philosophen des 18. Jahrhunderts), nach welcher das Erhabene seine Quelle in schreckenerregenden Objekten hat (vgl. Burke, E. (1989), 72 f. (1. Teil, § 7); 91 (2. Teil, § 1); 173 f. (4. Teil, § 5) u. ö.); und wohl auch unausgesprochen gegen seine eigene, ältere Betrachtung des Erhabenen, mangels einer kritischen Ästhetik, aus dem Beobachtungsstandpunkt des sinnlichen Gefühls heraus in den Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen (1764) (2:205–256).
XII. Abschnitt: Einteilung der Kritik der Urteilskraft
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das Naturschöne außer uns, in der Natur selbst oder im schönen Naturgegenstand »an sich« zu suchen. Daraus folgt, dass die Idee des Erhabenen von der Idee der Zweckmäßigkeit der Natur vollständig zu trennen ist. Die Theorie des Erhabenen wird damit, laut Kant, zu einem »bloßen Anhang zur ästhetischen Beurteilung der Zweckmäßigkeit der Natur«. Sie hat nicht eine besondere Form der Natur zum Gegenstand, sondern bloß den ›zweckmäßigen Gebrauch‹ der Vorstellung der Natur durch die Einbildungskraft (ebd.). Dieser zweckmäßige Gebrauch entspricht dem ›zufälligen Gebrauch‹, von dem in EE XII (4. Abs.) im Zusammenhang mit der Explikation des Erhabenen die Rede ist. Die Restriktion der Erhabenheitslehre auf ihre Funktion als eines »bloßen Anhang[s]« macht es jetzt auch verständlicher, dass Kant das Erhabene nicht in die Einteilungstafel am Ende der Einleitung bzw. in EE XI aufgenommen hat, obwohl auch das Erhabenheitsurteil in der Einteilung seiner Momente erklärtermaßen nach demselben Prinzip erfolgt wie die Einteilung der Momente des Geschmacksurteils (vgl. KU, § 24, 1. Abs.) (5:247.4–7). Allerdings gibt es hinsichtlich der Einteilung der Beurteilung des Erhabenen eine markante Unterscheidung gegenüber der Einteilung des Geschmacksurteils: die Untergliederung in ein mathematisch-Erhabenes und ein dynamisch-Erhabenes. Die Differenzierung wird durch den Charakter des Gefühls des Erhabenen begründet, dass es in der Beurteilung eines Gegenstandes eine »Bewegung des Gemüts« voraussetzt.756 Aber die Begründung ist undurchsichtig. Da nämlich eigentlich die Bewegung der Gegenstand subjektiv zweckmäßiger Beurteilung ist, »so wird sie durch die Einbildungskraft entweder auf das Erkenntnis- oder auf das Begehrungsvermögen bezogen« (KU, § 24, 3. Abs.) (5:247.27–29). Dennoch soll es die Zweckmäßigkeit einer »gegebenen Vorstellung« sein, auf die die Beurteilung übertragen wird, und zwar in Hinsicht auf beide Vermögen. Die Zweckmäßigkeit in Hinsicht auf das Erkenntnisvermögen legt dem Objekt eine mathematische »Stimmung« der Einbildungskraft bei, diejenige im Hinblick auf das Begehrungsvermögen eine dynamische. Das Objekt wird damit auf zweifache Weise als erhaben vorgestellt (KU, § 24, 3. Abs.) (5:247.33–34). Die beiden Arten des Erhabenen können an dieser Stelle nicht analysiert werden. Ihre Grundmerkmale sollen jedoch zusammengefasst werden. Das mathematisch Erhabene ist »schlechthin groß« (KU, § 25, 1. Abs.). Größe bedeutet hier nicht eine Zahlgröße, sondern eine absolute, über jede Vergleichung hinausgehende, unbestimmte, zugleich aber allgemein anerkannte Größe. Es ist die Größe als solche, die ein Wohlgefallen an einem formlosen Gegenstand erweckt, das »allgemein mitteilbar« ist. Das Wohlgefallen richtet sich aber eigentlich gar nicht auf das Objekt, sondern auf die »Erweiterung der Einbildungskraft an sich selbst« (KU, § 25, 4. Abs.) (5:249.26 f.). Das Erhabene als das »schlechthin« oder »absolut« Große, das inkommensurabel ist, ist deshalb – wie Kant wiederholt betont – auch nicht in den Dingen der Natur, »sondern allein in unseren Ideen zu suchen« (ebd., 6. Abs.) (5:250.9). KU, § 24, 3. Abs. (5:247.23–34); vgl. § 27, 3. Abs. (5:258.10 ff.). Vgl. demgegenüber die dreiteilige Gliederung des Erhabenheitsgefühls in den Beobachtungen (1764) (5:209). 756
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Damit kann es auch nicht Gegenstand der Sinne sein. Aufgrund des Spannungsverhältnisses zwischen dem Bestreben der Einbildungskraft, ins Unendliche anschaulich fortzuschreiten und die Einheit in der Darstellung stetig zu vergrößern, und der Vernunft, die »absolute Totalität« oder eine »reelle Idee« beansprucht, bzw. aufgrund der Unangemessenheit zwischen der Größenschätzung des Sinnlichen und der Idee der Vernunft, wird ein Gefühl vom Übersinnlichen in uns erweckt (§ 25, 7. Abs.) (5:250.22–27). Die Urteilskraft gebraucht Gegenstände der Natur zwecks dieser Erweckung, und dieser Gebrauch, nicht aber die Gegenstände selbst, wird »schlechthin groß« genannt (5:250.27–30). Die »Geistesstimmung«, die sich auf das Übersinnliche bezieht, kann nichts anderes bedeuten als ein Ausdruck des in EE XII weiter unten eingeführten »Geistesgefühls« als eines Vermögens, »an Gegenständen eine Erhabenheit vorzustellen« (EE XII, 6. Abs.) (20:250.31–34). Kant führt dann in § 26 aus, dass eine nicht-mathematische, »ästhetische Größenschätzung«, nach der es ein Maximum als »absolutes Maß« gibt, mit der Idee des Erhabenen verbunden ist (§ 26, 2. Abs.) (5:251.20–31). Jenes Maximum (als schlechthin Großes), das aus der Totalitätsforderung der Vernunft folgt, ist die Idee des Unendlichen (§ 26, Anmerkung, 4. Abs.) (5:254.28– 29). Dieses Unendliche ist zugleich übersinnlich, insofern es durch anschauliche Tätigkeit nicht erreichbar ist. Es ist die Unangemessenheit der Zusammenfassung der Einbildungskraft in der ästhetischen Größenschätzung eines Gegenstandes gegenüber der Idee der Unendlichkeit, die die Natur erhaben macht (§ 26, Anmerkung, 5. Abs.) (5:255.14 f.). Weil aber die Einbildungskraft die absolute Totalität der Natur als Erscheinung nicht erreichen kann, so muss die zusammengefasste Größe eines Gegenstandes der Natur den Naturbegriff auf ein »übersinnliches Substrat« führen, »welches über allen Maßstab der Sinne groß ist« (ebd.) (5:255.37). Zugleich wird damit, laut Kant, nicht der Gegenstand, sondern die in der Größenschätzung gefühlte Gemütsstimmung als erhaben beurteilt (ebd.). Die »wahre Erhabenheit« liegt somit nicht im Naturobjekt, sondern im Gemüt (§ 26, 7. Abs.) (5:256.12–14). Das Moment der Qualität des Gefühls des Erhabenen bzw. des ästhetischen Erhabenheitsurteils (KU, § 27) besteht einerseits in dem Gefühl der Unlust, das aus der Unangemessenheit der Zusammenfassung eines angeschauten Gegenstandes zu einem Ganzen durch die Einbildungskraft im Vergleich mit der Vernunftidee eines absoluten Ganzen entsteht; andererseits verkehrt sich das Gefühl der Unlust in Lust, indem das Urteil über die Unangemessenheit als subjektiv zweckmäßig vorgestellt wird, weil dadurch das Vernunftvermögen in seiner Gesetzmäßigkeit entdeckt und die Übereinstimmung mit dem Vernunftgesetz gefühlt wird.757 Das Gesetz, das zur menschlichen Bestimmung gehört (§ 27, 1.–2. Abs.), schreibt vor, »alles, was die Natur als Gegenstand der Sinne für uns Großes enthält, in Vergleichung mit Ideen der Vernunft für klein zu schätzen […]« (§ 27, 2. Abs.) (5:257.33–35). Gerade im Bewußtsein der Unangemessenheit von Einbildungskraft und Vernunft liegt also für Kant der Grund für die Übereinstimmung mit dem Vernunftgesetz (ebd.). Denn 757
KU, § 27, 2, bis 3. Abs., 5. Abs. (5:257.27–258.32, 5:259.13–18).
XII. Abschnitt: Einteilung der Kritik der Urteilskraft
345
die Unangemessenheit der sinnlichen Zusammenfassung durch die Einbildungskraft und zugleich das Streben nach einem absolut Großen in der Darstellung ist selbst Gegenstand des Gesetzes der Vernunft (§ 27, 1.–2. Abs., vgl. 3. Abs.). Das damit verbundene Gefühl des Erhabenen ist die »Achtung für unsere eigene Bestimmung« (§ 27, 1. Abs.) (5:257.21). Dieses »subjektive Spiel« zwischen Einbildungskraft und Vernunft, in welchem sich ihr Kontrast zeigt, ist damit letztlich doch »harmonisch« und wird so auch vom ästhetischen Erhabenheitsurteil vorgestellt. Ihr »Widerstreit« treibt die subjektive Zweckmäßigkeit der Gemütskräfte hervor, d. h. die Größenschätzung der Vernunft ist absolut, und nur durch die »Unzulänglichkeit« der Einbildungskraft in ihrer Darstellung kann sie veranschaulicht werden (§ 27, 3. Abs.) (5:258.10–32). Die Darstellung der Vernunftidee eines Ganzen durch die Einbildungskraft wird damit gewissermaßen zur negativen Bestimmung des Erhabenen.758 Indem die Unzweckmäßigkeit der Einbildungskraft im Hinblick auf Vernunftideen als zweckmäßig vorgestellt wird, wird das ästhetische Erhabenheitsurteil selbst subjektiv-zweckmäßig (KU, § 27, 6. Abs.) (5:260.3–7). In diesem Urteil wird der Gegenstand »als erhaben mit einer Lust aufgenommen, die nur vermittelst einer Unlust möglich ist« (ebd.). Das Dynamisch-Erhabene ist nun die Natur im ästhetischen Urteil, insofern sie Macht hat, ohne Gewalt über uns zu haben (KU, § 28, 1. Abs.) (5:260.12–16). Die dynamische Beurteilung des Erhabenen setzt voraus, dass sie als furchterregend vorgestellt wird (ebd., 2. Abs.). Auf die näheren Bestimmungen der dynamischen Erhabenheit kann für unseren Zweck nur begrenzt eingegangen werden. Entsprechend dem Erhabenen in der Größenschätzung ist auch das DynamischErhabene in Wahrheit nicht eine Macht der Natur, sondern eine Macht unseres Gemüts. Denn im Erkennen unserer physischen Ohnmacht gegenüber dem Furchterregenden der Natur entdecken wir in uns das Vermögen, »uns als von ihr unabhängig zu beurteilen« und gewinnen damit eine »Überlegenheit über die Natur« (§ 28, 6. Abs.) (5:261.31–262.2). Wir sind aufgrund unserer Gemütsverfassung vermögend, Furcht und Gefahr, die von der Natur ausgehen, zu widerstehen.759 Die Erhabenheit ist also auch dann, wenn sie dynamisch als Macht betrachtet wird, nicht in einem Ding der Natur, sondern als Idee in unserem Gemüt enthalten, insofern wir uns unserer Überlegenheit über die mächtige Natur in und außer uns bewusst werden. Und es ist auch hier die Selbstbesinnung auf die Bestimmung des Menschen, sich über die Natur als erhaben zu denken, obwohl ihr Grund nun darin zu
Vgl. KU, Allgemeine Anmerkung zur Exposition, 11. Abs. (B 117) (5:269.5 ff.). S. dazu Bertinetto, A. (2007), Negative Darstellung, S. 130–139. 759 Diese »Macht des Gemüts« macht sich Kant an anderer Stelle zunutze, um Regeln für eine diätetische Gesundheitspflege aufzustellen (vgl. »Von der Macht des Gemüths durch den bloßen Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister zu sein«, in: Der Streit der Facultäten (1798), 9:97–116). S. dazu Euler, W. (2012), The art of keeping healthy. Some remarks on Kant’s Philosophy of Medicine. Florianópolis. 758
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
sehen ist, die Natur »ohne Furcht zu beurteilen« (KU, § 28, 10. Abs.) (5:264.13–24). Dennoch ist es in dieser Hinsicht (ebenso wie bei dem mathematisch Erhabenen) die Natur, die im ästhetischen Urteil »(obzwar uneigentlich)« »erhaben« genannt wird, weil sie es ist, die das Gefühl und die Idee des Erhabenen erst in uns erweckt (ebd.). Das vierte und letzte Moment des ästhetischen Erhabenheitsurteils ist das der Modalität (§ 29). Hierbei geht es wie anlässlich des Geschmacksurteils darum, das ästhetische Urteil, obwohl es auf einer nur subjektiv empfundenen Zweckmäßigkeit beruht, als allgemeingültig und notwendig zu begründen. Die Argumentation läuft wieder darauf hinaus nachzuweisen, dass es berechtigt ist, die Einstimmigkeit des subjektiven individuellen ästhetischen Urteils jedermann »anzusinnen«. (§ 29, 1. Abs.) (5:264.28–35). Nur ist es für Kant schwieriger, den Erwerb allgemeiner Zustimmung dafür zu begründen als für ein Geschmacksurteil, weil dies »eine bei weitem größere Kultur nicht bloß der ästhetischen Urteilskraft, sondern auch der Erkenntnisvermögen, die ihr zum Grunde liegen«, erfordert (ebd.). Die Forderung einer erweiterten Kultur muss aber in der Entwicklung »sittlicher Ideen« bestehen. Denn was dem unkultivierten (»dem rohen«) Menschen abschreckend erscheine, das nenne der kultivierte Mensch »erhaben« (§ 29, 2. Abs.) (5:265.9–15). Nun ist zwar das Erhabenheitsurteil der Kultur durchaus bedürftig, aber seinen Ursprung hat es in der Natur des Menschen, genauer gesagt: im moralischen Gefühl (»in der Anlage zum Gefühl für (praktische) Ideen«). Deshalb kann es auch von jedermann gefordert werden (§ 29, 3. Abs.) (5:265.24–30). Das ist also nach Kant der Grund der Notwendigkeit der Beistimmung aller anderen Subjekte, soweit sie die Bedingung der Kulturentwicklung erfüllen, zu unserem Urteil über das Erhabene. Derjenige, der seine Zustimmung nicht erteilt, gilt als gefühllos. Das Gefühl wird ebenso wie der Geschmack von jedem (kultivierten) Menschen vorausgesetzt. Die Notwendigkeit des ästhetischen Erhabenheitsurteils gründet sich mithin auf die Beziehung zwischen Einbildungskraft und (praktischer) Vernunft, die unter der subjektiven Bedingung des moralischen Gefühls steht. Weil dieses aber eine allgemein menschliche Naturanlage ist, ist die Allgemeingültigkeit auch in diesem Falle gewahrt (§ 29, 4. Abs.) (5:265.31–266.8). Für Kant ist die modale Notwendigkeit des ästhetischen Urteils, d. h. sowohl des Geschmacks als auch des Gefühls, »ein Hauptmoment für die Kritik der Urteilskraft« – und das, obwohl doch der Analytik des Erhabenen erklärtermaßen nur der Status eines ›Anhangs‹ zur Geschmacksästhetik zukommen soll. Weil nämlich die Modalität an den ästhetischen Urteilen ein Prinzip a priori anzeigt (d. i. das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur), löst sie diese Urteilsklasse von der empirischen Psychologie und stellt sie in den Kontext der Transzendentalphilosophie (§ 29, 5. Abs.) (5:266.9–17). Wir haben nun also zu guter letzt eine Antwort auf die eingangs gestellte Frage nach der Begründung der Notwendigkeit der subjektiven Zweckmäßigkeit des Erhabenheitsurteils gefunden. Aber ist sie wirklich überzeugend? Es ist weniger der Rekurs auf die Annahme einer allgemeinen Naturanlage des Menschen als vielmehr die nicht weiter untersuchte Frage nach der menschlichen
XII. Abschnitt: Einteilung der Kritik der Urteilskraft
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Kultur als Voraussetzung der Allgemeingültigkeit eines ästhetischen Urteils über das Erhabene, die daran zweifeln lässt.760 Vor allem aber wirft die propagierte Voraussetzung eines moralischen Gefühls sittlicher Ideen systematische Probleme auf, die das Projekt einer KU, ja eines Systems der Kritik der reinen Vernunft insgesamt, in Frage stellen könnten. Dieses Problem hat sich zu einem Schwerpunkt in der jüngeren philosophischen Forschung über Kants KU herausgebildet.761 Es besteht darin, dass der Übergang von der theoretischen zur praktischen Philosophie bzw. vom Gebiet der Natur zum Gebiet der Freiheit, den zu stiften gerade die wesentliche Aufgabe der Dritten Kritik sein sollte,762 notwendig daran scheitert, dass moralisch-praktische Zwecke, die das erklärte Ziel der systematischen Entfaltung der Zweckmäßigkeit der Natur sind, zugleich vorausgesetzt werden müssen, um die schöne und erhabene Ästhetik überhaupt einer Beurteilung unterziehen zu können. Insbesondere stellt sich doch die Frage: Ist das Wohlgefallen am Erhabenen – als Bedingung des ästhetischen Urteils – denn wirklich noch interesselos, wenn es von moralisch-praktischen Ideen abhängt? Und ist das Erhabenheitsurteil überhaupt noch ein ästhetisches Urteil, da es nicht allein und nicht einmal primär vom Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur abhängig ist?
Vierter Absatz: Schönheit und Erhabenheit II Mit Hilfe der im letzten Exkurs herausgearbeiteten Momente in Kants »Analytik des Erhabenen« lässt sich nun die weiter oben, im Zuge der Interpretation des vierten Absatzes von EE XII aufgeworfene Frage nach dem Zusammenhang zwischen dem Gefühl der Zweckmäßigkeit und der »übersinnlichen Bestimmung der Gemüthskräfte des Subjects«763 beantworten. Wir wissen jetzt, dass der zufällige Gebrauch der Vorstellung eines Gegenstandes von der Zweckwidrigkeit der Form desselben ausgeht, und zwar sowohl des mathematisch – als auch des dynamisch Erhabenen. Die »a priori im Subjecte liegende Zweckmäßigkeit«, auf die die Vorstellung des Gegenstandes »angewandt« wird, ist die Zweckmäßigkeit im Spiel der Gemütskräfte (Einbildungskraft und Vernunft), und zwar in der Weise, dass die Vernunft einerseits durch die Idee eines absoluten Ganzen oder eines Unendlichen, andererseits durch die Überlegenheit der menschlichen Vernunft über die Natur auf der Grundlage der moralisch-praktischen Ideen spielbestimmend ist. Der zufällige Gebrauch der ästhetischen Vorstellung eines Gegenstandes in der Form der relativen Zweckmäßigkeit ist eben dadurch zugleich ein zweckmäßiger Gebrauch, dass diese Vorstellung auf Ideen der Vernunft bezogen wird. Diese sind mit dem Vgl. KU, § 17. Vgl. dazu Recki, B. (2001), Ästhetik der Sitten, S. 187–219 und die dort in Fn. 39 zitierte Literatur. 762 Vgl. E II und den Kommentar dazu, S. 415. 763 EE XII, 4. Abs. (20:249.30–250.7); s. S. 340 dieses Kapitels. 760 761
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Übersinnlichen gemeint, das die Gemütskräfte des Subjekts als zweckmäßig bestimmt, wobei die Zweckmäßigkeit eine gefühlte sein soll. Gefühlt wird sie an der und durch die Unangemessenheit zwischen dem Anschaulichen der Einbildungskraft und den Begriffen der Vernunft. Dennoch stellt sich die Frage, ob nicht gegen eine Grundvoraussetzung der Gültigkeit jedes ästhetischen Reflexionsurteils – nur durch unbestimmte Begriffe (sei es des Verstandes, sei es der Vernunft) bestimmt zu sein – verstoßen wird.764 Das ästhetische Erhabenheitsurteil gründet sich, laut Kant, auf die Anwendung der Vorstellung eines Objekts auf die ursprünglich a priori im Subjekt liegende Zweckmäßigkeit der Gemütskräfte. Dasjenige ästhetische Urteil, das sich auf das subjektive Prinzip a priori einer Zweckmäßigkeit der Natur gründet, legt Gegenständen der Natur Schönheit bei; dasjenige hingegen, das von einem zufälligen Gebrauch einer Objektvorstellung ausgeht, weist ihnen Erhabenheit zu. Nun gilt nach Kant für das zweite wie für das erste, dass sie ästhetisch reflektierende Urteile sind, also ohne Objektbegriff auskommen, und dass sie »blos in Rücksicht auf subjective Zweckmäßigkeit« gültig sind. Aber – so Kants Fazit aus der Betrachtung im vierten Absatz – für das Erhabenheitsurteil sei »keine besondere Technik der Natur vorauszusetzen« (EE XII, 4. Abs.) (20:250.10 f.). Als Begründung für diese Entbehrlichkeit wird angeführt, es komme bei diesem Urteil nur auf den zufälligen Gebrauch der Objektvorstellung an, und diese unterliege auch nicht dem Zweck, ein Objekt zu erkennen, sondern »der innern Zweckmäßigkeit in der Anlage der Gemüthskräfte« (ebd.) (20:250.12–15). Sowohl Kants Schlussfolgerung als auch deren besonderer Grund sind ohne zusätzliche Erläuterungen kaum nachvollziehbar. Für das ästhetische Reflexionsurteil über schöne Gegenstände der Natur war die Technik der Natur insofern Grundlage und Voraussetzung seiner Gültigkeit, als der Natur selbst, die Gegenstand des ästhetischen Urteils ist, eine zweckmäßige Gestaltung ihrer Formen in Analogie zur Kunst unterstellt werden muss, damit sie mit der subjektiven Zweckmäßigkeit der Gemütsvermögen zusammenstimmen kann.765 Einer solchen Voraussetzung bedarf das Urteil über das Erhabene insofern nicht, als es nicht den Gegenstand der Natur, der in seiner formlosen Unordnung Anstoß der Reflexion und der gewissermaßen der Stoff der anschauenden Tätigkeit der Einbildungskraft ist, beurteilt, sondern ein Gefühl des reflektierenden Subjekts, das durch seine Beziehung auf übersinnliche Ideen bestimmt wird.766 Der zufällige Gebrauch der Vorstellung eines Naturobjekts, auf den es im Erhabenheitsurteil nach Kant ankommt, hat das Gefühl der »innern Zweckmäßigkeit in der Anlage der Gemüthskräfte« zum Zweck. Was aber bedeutet hier ›innere Zweckmäßigkeit‹? Gemäß der im ersten Satz des vierten Absatzes vorgenommenen Einteilung der Zweckmäßigkeit gründet sich die subjektive innere Zweckmäßigkeit auf die »Vorstellung des Gegenstandes an sich«. Da das Erhabene aber bloß auf dem zufälli764 765 766
Vgl. S. 341 dieses Kapitels. Vgl. Kommentar, S. 310. Vgl. oben S. 341 f. dieses Kapitels; vgl. KU, § 23, 5. Abs. (5:246.20–33).
XII. Abschnitt: Einteilung der Kritik der Urteilskraft
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gen Gebrauch dieser Vorstellung beruht, kann ihm eigentlich nur relative (äußere) Zweckmäßigkeit zugeschrieben werden. Man sollte daher meinen, dass die innere Zweckmäßigkeit »in der Anlage der Gemüthskräfte« hier nur bedeutet, dass sie als dem Subjekt immanent und angehörig gefühlt werde. Gemeint ist somit nicht die innere Zweckmäßigkeit im prägnanten (sei es subjektiven oder objektiven) Sinne einer Zweckmäßigkeit für sich selbst. Obwohl nun das Erhabenheitsurteil dem Geschmacksurteil nach- oder untergeordnet ist – was sich ja bereits in EE XI, 7. Abs., andeutete, indem die reflektierende Urteilskraft allein im Geschmack über ein ihr eigentümliches Prinzip verfügte (s. ebd.) (20:244.17–21)767 –, insistiert Kant darauf, dass das erstere auch in die »Eintheilung der Aesthetik der reflectirenden Urtheilskraft« gehöre. Der Grund dafür ist, dass es wie das Urteil über das Schöne subjektive Zweckmäßigkeit zum Ausdruck bringt und damit nicht von einem Objektbegriff abhängt; m.a.W., weil es aufgrund seiner Konstitutionsbedingungen überhaupt ein ästhetisches Urteil ist, bildet das Urteil über das Erhabene auch ein Glied der Einteilung der Ästhetik.
Fünfter Absatz: Unterscheidung der objektiven Zweckmäßigkeit in eine innere und eine relative – Vollkommenheit und Nützlichkeit Der fünfte Absatz setzt die Erklärung der eingangs des vierten Absatzes skizzierten Einteilung der Zweckmäßigkeit fort, indem nun das Pendant zur subjektiven Zweckmäßigkeit – die objektive Zweckmäßigkeit – hinsichtlich der Unterscheidung in innere und relative in den Blick genommen wird. Von der Gliederung des Textkorpus der KU her gesehen, ist damit der Kontext des zweiten Teils, die Kritik der teleologischen Urteilskraft, angesprochen. Objektive Zweckmäßigkeit der Natur bezeichnet die »Möglichkeit der Dinge als Naturzwecke« (EE XII, 5. Abs.) (20:250.19–20). Der Modus der Möglichkeit bezieht sich hier darauf, dass es unter bestimmten Bedingungen möglich ist, Naturprodukte als zweckmäßig zu denken oder zu beurteilen, ohne sie gemäß den transzendentalen, konstitutiven Prinzipien der KrV erkennen zu können. Dass es dabei um »Dinge als Naturzwecke« geht und dass dies bedeutet: um Naturgegenstände, die von sich selbst Ursache und Wirkung ihrer Form sind, haben wir hinlänglich erörtert.768 Auch ist uns bekannt, dass das Urteil über solche (organisierten) Naturdinge nach Begriffen der Vernunft von Naturzwecken gefällt wird.769 Damit unterscheidet sich das Urteil über Dinge als Naturzwecke, die Kant in KU, § 65, »organisierte Wesen« nennt, grundlegend von einem ästhetischen Urteil, insofern dieses sich eben gerade nicht auf (bestimmte) Begriffe von einem Gegenstand gründet, son-
767 768 769
Vgl. Kommentar, S. 285. Vgl. dazu Kommentar zu EE XI, S. 285 und die einschlägigen §§ in der KU. Vgl. dazu Kommentar zu EE XI, S. 285 und KU, §§ 61–68.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
dern vom Gefühl der Lust und Unlust abhängt (vgl. EE XII, 5. Abs.). Ein solches Urteil ist vielmehr ein logisches. Ich vertrete dazu die Ansicht, dass die Attribute »logisch« und »teleologisch« im Kontext objektiver Reflexionsurteile nicht die Bedeutung haben können, zur allgemeinen Logik im kantischen Sinne zu gehören und einen Teil derselben abzudecken; sie hängen auch nicht mit derselben so zusammen, dass sie eine bloße Anwendung im Sinne einer einfachen Übertragung abstrakt-allgemeiner logischer Formen auf besondere Gegenstände zum Ausdruck bringen. Das Urteil über Dinge als Naturzwecke heißt vielmehr »logisch« (bzw. »teleologisch«), insofern es zu einer besonderen Fachlogik gehört, die Begriffe nach dem Prinzip der Zweckmäßigkeit einteilt und Naturdinge danach beurteilt und die eben aufgrund dieser Funktion »Teleologie« heißt.770 Bestätigt wird die synonyme Verwendung der Ausdrücke »logisch« und »teleologisch« durch die auf den ersten Blick unscheinbare Bemerkung Kants in EE XII, 5. Abs., dass das logisch gefällte Urteil »teleologisch heißt« (20:250.22). »Teleologisch« ist demnach nur eine andere Bezeichnung für »logisch«.771 In Bezug auf die Einteilung der objektiven Zweckmäßigkeit in eine innere und eine relative heißt es im fünften Absatz, sie liege »entweder der inneren Möglichkeit der Objekte oder der relativen Möglichkeit seiner äußeren Folgen zum Grunde« (20:250.23–25). Wir haben oben die »Möglichkeit der Dinge als Naturzwecke« als Möglichkeit, Naturprodukte als zweckmäßig zu beurteilen, interpretiert.772 Dies entspricht im Grunde genommen dem Prinzip der objektiven inneren Zweckmäßigkeit als der »inneren Möglichkeit des Objekts«, das nur auf organisierte Wesen zutreffen kann. Nun sagt Kant, hinsichtlich der »inneren Möglichkeit des Objects« betrachte das teleologische Urteil »die Vollkommenheit eines Dinges nach einem Zwecke, der in ihm selbst liegt (da das Mannigfaltige in ihm zu einander sich wechselseitig als Zweck und Mittel verhält)« (EE XII, 5. Abs.) (20:250.25–28). »[I]n ihm selbst« (d. i. im Ding) liegt der Zweck insofern, als es – wie wir früher festgestellt haben773 – der Begriff des Naturzwecks (als eines Selbstzwecks) ist, der die Organisationsform eines Naturproduktes derart bestimmt, dass es von sich selbst Ursache und Wirkung ist. Zugleich bestimmen sich gemäß dieser Form auch die Teile des Naturobjekts, indem sie wechselseitig voneinander Zweck und Mittel sind. Ein solches »Ding« nennt Kant ein »organisiertes Wesen«.774 Es ist in dem Sinne vollkommen, dass es sich selbst hervorbringt und reproduziert und zu seiner Erhaltung wesentlich keines anderen Dinges bedarf. Der Zustand eines solchen orDiese These habe ich weiterentwickelt in einem Beitrag zu Kants Theorie der Biologie in den Studi kantiani 2015 (Euler, W. (2016), Kants Kritik der teleologischen Urteilskraft als Fachlogik der Biologie, 19–64). 771 Vgl. EE XI, Abs. 15 (20:247.17–20). 772 Vgl. Kommentar, S. 287. 773 Vgl. Kommentar, S. 285. 774 Vgl. KU, § 65; vgl. auch KU, § 64, § 66. 770
XII. Abschnitt: Einteilung der Kritik der Urteilskraft
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ganisierten Wesens ist die Vollkommenheit.775 Wie sich weiter oben erwiesen hat, kann Vollkommenheit nur einem teleologischen, nicht aber einem ästhetischen Urteil zugeschrieben werden.776 Im Gegensatz zur »inneren Möglichkeit« richtet sich das teleologische Urteil, sofern es die »relative[] Möglichkeit« des Objekts ausdrückt, auf die »Nützlichkeit« des Naturobjekts. Die relative Möglichkeit betrifft nicht das Objekt selbst, sondern dessen »äußere[] Folgen«. Damit ist das gemeint, wozu ein solches Ding nützlich ist bzw. gebraucht werden kann. »Nützlichkeit« soll hier bedeuten, dass das Objekt im teleologischen Urteil mit einem Zweck übereinstimmt, »der in anderen Dingen liegt« (EE XII, 5. Abs.) (20:250.28–30).777 Ein solches Objekt kann nicht von sich selbst zugleich Mittel und Zweck sein. Es ist vielmehr Mittel zum zweckmäßigen Gebrauch durch andere Dinge. Eine solche relative Zweckmäßigkeit nennt Kant in § 63 der KU auch »Nutzbarkeit (für Menschen)« oder »Zuträglichkeit (für jedes andere Geschöpf)« (5:367.7–10). Die bloß relative Möglichkeit relativiert somit auch die Zweckmäßigkeit. Insofern ein Ding als Mittel für Zwecke gebraucht wird, die nicht in ihm selbst angesiedelt sind, wird es auch nicht als Selbstzweck angesehen. Der Zweck liegt außerhalb desselben. Das ist es, was Kant »äußere Zweckmäßigkeit« nennt.778 Aber äußere Zweckmäßigkeit unter dem Aspekt der Nützlichkeit ist eigentlich keine Bestimmung, die einem ästhetischen Urteil beigelegt werden kann, weil sowohl das Gefühl des Schönen als auch das des Erhabenen frei von äußeren Bedingungen und damit von Interessen sein soll, indem jedes nur »für sich selbst gefällt«.779
Sechster Absatz: Weitere Einteilung der Kritik der ästhetischen Urteilskraft und der Kritik der teleologischen Urteilskraft Aufbauend auf den vierten und fünften Absatz (»Diesem gemäß …«) (20:249.26 ff.) gibt Kant im sechsten Absatz eine grobe Skizze der Einteilung der KU. Hinsichtlich ihres ersten Teils, der Kritik der ästhetischen Urteilskraft, erfolgt die weitere Einteilung in eine »Kritik des Geschmacks« und in eine »Kritik des Geistesgefühls«. Der Geschmack, über den in diesem Kommentar ausführlich gesprochen worden ist,780 ist für Kant das Vermögen der Beurteilung des Schönen und damit die Grundlage für die Analyse und Bestimmung des Geschmacksurteils. »Geistesgefühl« nennt er
Vgl. KU, § 15, 1.–3. Abs. (5:226.24–228.5). Vgl. Kommentar zu EE VIII, S. 206. 777 Zur Herkunft des Nützlichkeitsaspekts als einer Variante finaler Kausalität in Baumgartens »Metaphysik« (1783) (§§ 239 ff.) vgl. Euler, W. (2004), Mechanismus und Teleologie, 75 f., Fn. 91. 778 Vgl. KU, § 63, 6. Abs. (5:368.32). 779 Vgl. Kommentar zu EE XII, S. 341; vgl. KU, § 23, 1. Abs. 780 Vgl. insbesondere S. 247, 286. 775 776
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
dagegen das Vermögen, »an Gegenständen eine Erhabenheit vorzustellen« (EE XII, 6. Abs.) (20:250.34). Die Benennung sei nur eine ›vorläufige‹. In der Tat ist daraus kein Terminus geworden, der zum festen Vokabular der KU gehört.781 Wir haben weiter oben, im Kommentar zum vierten Absatz dieses Abschnittes782 anlässlich eines kurzen Exposés der Theorie des Erhabenen aus der KU (§ 25) bereits auf das Geistesgefühl Bezug genommen, indem wir dieses Gefühl mit der Gemütsstimmung in Zusammenhang gebracht haben, die nach Kant entsteht, sobald wir uns der Vernunftidee eines Übersinnlichen in uns bewusst werden. Dieses Gefühl, so haben wir festgestellt, beruht auf dem Gefühl der Selbstachtung des Menschen und damit zuletzt auf einem moralischen Gefühl. Das moralische Gefühl, auf das die Rezeptivität des Gemüts vorbereitet werden soll, beruht umgekehrt auf der Vermittlung des Gegensatzes von Natur und Freiheit.783 Das Geistesgefühl ist also ein Gefühl, das, wenn es empfunden wird, auf moralische Ideen hin- und zurückführt. Es bezeichnet kein Denkvermögen. Obwohl es zur Reflexion gehört, ist es keineswegs etwa mit der Vernunft einerlei. Es ist – neben dem Geschmack – ein besonderes Lustgefühl. Deshalb kann es als eine Untergliederung der Einbildungskraft genommen werden, und dann ist es in letzter Konsequenz – analog zum Geschmack – das Vermögen der Darstellung von Ideen der (praktischen) Vernunft. Dem siebten Absatz des siebten Abschnittes der Einleitung ist zu entnehmen, dass aus dem »Geistesgefühl« das ästhetische Urteil entspringt, welches sich auf das Erhabene bezieht. Der Grund dafür ist die Zweckmäßigkeit des Subjekts in Hinsicht auf die »Unform« der Gegenstände der Natur. Kant bezeichnet den Begriff des Geistes, insofern er für die Ästhetik relevant ist, als »das belebende Prinzip im Gemüte«.784 Es ist »das Vermögen der Darstellung ästhetischer Ideen«.785 Ästhetische Ideen sind Vorstellungen der Einbildungskraft, also Anschauungen und somit keine Begriffe. Sie sind vielmehr das Gegenteil von Vernunftideen, deren Darstellung sie allerdings nahe kommen.786 Das Belebende ist darin zu sehen, dass die Einbildungskraft in ihrem Streben die Vernunft in Bewegung bringt.787 (KU, § 49, 6. Abs.) (5:314.37–315.8) Eine Namensunterscheidung wie diejenige zwischen Geschmack und Geistesgefühl soll es in Bezug auf die teleologische Urteilskraft nicht geben. Kant führt als Grund an, dass die teleologische Urteilskraft die Vorstellung der Zweckmäßigkeit
Vgl. aber EE XII, 9. Abs. (20:251.24–27); E VII, 7. Abs. (5:192.10); KU, § 49 (5:313–317). Vgl. Kommentar zu EE XII, S. 340. 783 Vgl. Kommentar z EE XII, S. 341; vgl. Kommentar zu E IX, 3. Abs., S. 562 ff. 784 KU, § 49, 2. Abs.; vgl. 10. Abs. (5:313.30–31; 5:317.11–19). 785 KU, § 49, 3. Abs. (5:313.35–314.1). 786 KU, § 49, 3.–5. Abs. (5:313.35–314.36). Das gilt noch mehr vom »Ideal der Schönheit« (KU, § 17), von dem aus ein Weg zum Übersinnlichen der praktischen Vernunft und der Idee der Sittlichkeit zu führen scheint. Es wäre der Mühe wert, diesen Zusammenhang in einer besonderen Studie zu erforschen (s. KU, § 17, 1.–3. und 6. Abs.). 787 KU, § 49, 6. Abs. (5:314.37–315.8). 781
782
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durch Begriffe auf den Gegenstand beziehe. Für die in ihr enthaltenen Vermögen, die sich aus der Differenzierung der objektiven Zweckmäßigkeit in eine innere und eine relative ergeben, seien keine besonderen Namen erforderlich. Denn die Reflexion beziehe sich hier durchgängig auf die Vernunft statt auf das Gefühl. Diese anmerkungsweise Erklärung ist wohl zur Kenntnis zu nehmen. Besondere Bedeutung besitzt sie jedoch nicht, und auch die Begründung ist nicht überzeugend. Denn warum sollen Gefühle differenziertere Benennungen der Vermögen erfordern als Vernunftbegriffe?
Siebter Absatz: Technik der Natur und schöne Kunst Auch der siebte Absatz präsentiert sich wie eine Anmerkung zu den Absätzen 4 und 5. Präzisiert werden soll die Bedeutung der »Technik der Natur«. Dieses Thema ist uns bereits vertraut. An mehreren Stellen des Kommentars ist es unter verschiedenen Aspekten in Betracht gezogen worden.788 Hier soll die »Technik der Natur« vom Begriff der »Kunst« eindeutig abgegrenzt werden. Der erste Satz (20:251.5–13) soll zwecks eines besseren Überblicks in eine grafische Darstellungsform gebracht werden: [1] Noch ist anzumerken: daß es die Technik in der Natur { [1.1] und nicht die der Caussalität der Vorstellungskräfte des Menschen, [1.1a] welche man Kunst (in der eigentlichen Bedeutung des Worts) nennt, / [2] sei, [3] in Ansehung deren hier die Zweckmäßigkeit als ein regulativer Begrif der Urtheilskraft nachgeforscht wird [3.1] und nicht das Princip der Kunstschönheit oder einer Kunsvollkommenheit nachgesucht werde, [4] ob man gleich die Natur, [4.1] wenn man sie als technisch (oder plastisch) betrachtet, } [4.2] wegen einer Analogie, nach welcher ihre Caussalität mit der Kunst vorgestellt werden muß, [5] in ihrem Verfahren technisch d. i. gleichsam künstlich nennen darf. /
}
}
Satzgrafik Nr. 12 788
Vgl. Kommentar zu EE IX, S. 221–227.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Die Hauptaussage betrifft den Gegenstand der ganzen Untersuchung, d. i. »die Zweckmäßigkeit als ein regulativer Begriff der Urtheilskraft«. Sie wird nur erforscht im Hinblick auf die »Technik der Natur«, und das heißt: nicht im Hinblick auf die Kunst. »[I]n der eigentlichen Bedeutung« beruht die Kunst nämlich auf der »Caussalität der Vorstellungskräfte des Menschen« (EE XII, 7. Abs.) (20:251.5–13).789 Dieser Begriff der »Kunst« war auch in der Tafel der Gemütsvermögen unter den »Produkten« in EE XI und der dort im 13. Abs. (20:246.16–25) gegebenen Erläuterung nicht gemeint. Denn dazu müsste auch der Geniebegriff in der Ordnung der Vermögen enthalten sein.790 Auch dort ging es nämlich nur um die Technik der Natur. Im eigentlichen Sinne ist die Kunst schöne Kunst, die Kunst des Genies.791 Wir werden im Kommentar zu E VIII, 1. Abs., den Kunstbegriff nochmals streifen und auf den Bedeutungsunterschied zur Technik der Natur aufmerksam machen.792 Die Erklärung dieser Differenz kann hier noch verstärkt werden. Dazu verweise ich zuvor auf die längeren Ausführungen im Kommentar zu EE XI, 9.–13. Abs.793 Kant unterscheidet in § 43 der KU (5:303–304) zwischen drei Bedeutungen von »Kunst«. Im Kontrast zum Begriff der Kunst überhaupt, deren »Werk« vom Naturwirken zu unterscheiden ist –, im Kontrast zur Kunst als »Geschicklichkeit« (Technik), die eine praktische Folgerung aus der wissenschaftlichen Theorie ist –, und schließlich, im Kontrast zur freien Kunst im klassischen Sinne, gehört zur Kunst in der eigentlichen Bedeutung das Hervorbringen eines Kunstwerkes durch Freiheit. Nach der allgemeinen Bedeutung gründet sich die Kunsthandlung auf Vernunft. Insofern die Ursache des Kunstwerkes ein gewollter Zweck ist, können Zwecke der Natur aber nicht als Kunst im engeren Sinne, sondern nur in Analogie zur Kunst aufgefasst werden. Die Kunst im engeren Sinne ist »ästhetische Kunst«, insofern sie das Gefühl der Lust zur »unmittelbaren Absicht« hat; und sie ist insofern »schöne« (nicht »angenehme«) ästhetische Kunst, als sie den Zweck verfolgt, »daß die Lust die Vorstellungen […] als Erkenntnisarten« begleitet (KU, § 44, 2. Abs.) (5:305.19–23). Die schöne ästhetische Kunst soll die reflektierende Urteilskraft (»nicht die Sinnesempfindung«) »zum Richtmaße« haben. Dieses Letztere lässt sich nur schwer in Einklang bringen mit dem zweiten Satz des siebten Absatzes von EE XII (20:251.13– 20), insofern dort der Anschein erweckt wird, als ob menschliche Kunstwerke (im Unterschied zur Natur) per se das Prinzip der bestimmenden Urteilskraft voraussetzten.794 Man kann diese Ungereimtheit dadurch auflösen, dass man annimmt,
789 Zur Problematik der Integration der schönen Kunst in das Gesamtkonzept der Kritik der ästhetischen Urteilskraft vgl. Mertens, H. (1972), Kommentar, 224–228. 790 Vgl. Kommentar zu EE XI, S. 306. 791 Nach KU, § 46, 2. Abs. (5:307.16–21), ist die schöne Kunst »notwendig« Kunst des Genies. 792 Vgl. Kommentar zu EE VIII, S. 534 ff. 793 Vgl. Kommentar zu EE XI, S. 292 ff. 794 So auch die Interpretation von H. Mertens (1975), Kommentar, 225 und A. Bertinetto
XII. Abschnitt: Einteilung der Kritik der Urteilskraft
355
der eingeklammerte Nebensatz, »dergleichen allen menschlichen Kunstwerken zum Grunde liegt«, beziehe sich syntaktisch zurück auf den Ausdruck »bloß reflektierenden« (Urteilskraft) (s. dazu unten S. 356); oder man fasst die »menschlichen Kunstwerke« in dem allgemeinen Sinne auf, wie er im ersten Absatz von § 43 im Unterschied zur Naturwirkung bestimmt wird, d. h. als Kunst nicht im Sinne von schöner Kunst. Gemäß KU, § 45 bestimmt nicht das Kunstschaffen, sondern die Beurteilung des Kunstwerkes das Schöne der Kunst: »[…] [W]ir können allgemein sagen, es mag die Natur- oder die Kunstschönheit betreffen: schön ist das, was in der bloßen Beurteilung (nicht in der Sinnenempfindung, noch durch einen Begriff) gefällt« (KU, § 45, 2. Abs.) (5:306.24–26). Und das kann man nach Kant sagen, obwohl es im Begriff der Kunst liegt, eine Absicht (einen Zweck, eine Idee, etwas Gedachtes) in einem Gegenstand hervorzubringen. Durch Begriffe jedoch kann nichts gefallen (vgl. ebd.). Wir haben an früherer Stelle (Kommentar zu EE XI, S. 304 ff.) gesehen, dass sich das Kunstschöne der Möglichkeit des Geschmacksurteils insofern widersetzt, als die Beurteilung des Kunstwerkes Bedingungen berücksichtigen soll, von denen das Kunstschaffen abhängt, d. i. vom natürlichen Talent (Genie) und von der Zweckidee als Absicht. Mit Hilfe dieser Vorerinnerung ist zu verstehen, weshalb Kant in EE XII, Abs. 7 (20:251.5 ff.), »anzumerken« hat, dass nicht die Kunst, sondern die Technik der Natur den Rahmen bildet für die Untersuchung der Zweckmäßigkeit als eines regulativen Begriffs der Urteilskraft. Die Zweckmäßigkeit gibt der reflektierenden Urteilskraft die Regel für die (freie) Beurteilung des schönen und des erhabenen Gegenstandes der Natur. Die Beurteilung des (von Menschenhand geschaffenen) Kunstwerkes hingegen wird nicht durch die bestimmende Urteilskraft, sondern durch Zwecke und Absichten, die dem Kunstschaffen zugrunde liegen, beschränkt. Erforscht wird also nicht das »Princip der Kunstschönheit«, welches in der Vollkommenheit des Kunstwerkes besteht. Die Vollkommenheit wurde weiter oben als Übereinstimmung des Mannigfaltigen eines Dinges mit dem ihm immanenten Zweck erklärt.795 Das heißt aber zugleich, dass die als technisch betrachtete Natur »gleichsam künstlich« genannt werden darf, insofern Naturkausalität notwendig als Analogie zur Kausalität der Kunst vorgestellt werden muss (EE XII, 7. Abs.) (20:251.10–13). »Technisch« wird hier gleichgesetzt mit »plastisch«. Plastisch ist die Natur dann insofern, als ihre Formen und Vorgänge so betrachtet werden, als ob sie nach einem Prinzip der Zweckmäßigkeit hervorgebracht bzw. initiiert worden wären.796 (2007), Negative Darstellung, 139. S. dagegen KU, § 46, 3. Abs. (5:307.22–32). Vgl. unten, S. 355. 795 Vgl. KU, § 48, 4. Abs. (5:311, 20–29); s. Kommentar zu EE XI, S. 307. 796 Der Ausdruck der plastischen Natur war bereits bei Leibniz, der sich wiederum auf Ralph Cudworth (1617–1688) berufen konnte, in philosophischem Gebrauch. Er bezeichnet damit das lebendige Wirken der Natur in substantiellen Formen. Vgl. Leibniz, G. W. (1705), Betrachtungen
356
Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Der »Denn«-Satz im siebten Absatz (»Denn es ist um das Princip … nur der Natur zukommen kann.«) enthält die Begründung dafür, dass nach der Zweckmäßigkeit der Natur als einem regulativen Prinzip der Urteilskraft (und nicht nach dem Prinzip der Kunstschönheit) geforscht wird. Der Grund für das Ziel der Nachforschung liegt dann eben darin, dass es sich »um das Princip der blos reflectirenden, nicht der bestimmenden Urtheilskraft (dergleichen allen menschlichen Kunstwerken zum Grunde liegt) []« handelt (KU, EE XII, 7. Abs.) (20:251.13–15). Hinter das Klammerzeichen nach dem Wort »Kunstschönheit« darf hier kein Komma eingefügt werden werden. Ein solches befindet sich weder im Ms.797 noch in 20:251, noch in der neuesten von mir benutzten Ausgabe.798 Wenn man dagegen verstößt, entsteht der irrige Eindruck, den menschlichen Kunstwerken läge bestimmende Urteilskraft zugrunde.799 Das Gegenteil ist aber der Fall. Wenn Kant innerhalb seiner Theorie der Zweckmäßigkeit von ›Bestimmen‹ redet – sei es in Bezug auf teleologische Urteile, sei es in Bezug auf ästhetische Urteile –, dann bezieht er sich stets auf die reflektierende Urteilskraft. Die bestimmende Urteilskraft würde ein Reflexionsurteil in ein theoretisches Urteil verwandeln, welches Kant dem ästhetischen Urteil entgegensetzt. Aus der Vorziehung des Prinzips der reflektierenden gegenüber der bestimmenden Urteilskraft folgt für Kant die Unabsichtlichkeit der Zweckmäßigkeit.800 Dem Prinzip der Kunstschönheit könnte die Absicht an sich nicht abgesprochen werden.801 Weil nun die reflektierende Urteilskraft unabsichtlich operiert, kommt sie nach Kant ausschließlich der Natur zugute und nicht der Kunst. Die Beurteilung der Kunstschönheit müsse vielmehr »als bloße Folgerung« aus den Prinzipien, die die Grundlage des ästhetischen Urteils bilden, betrachtet werden. Mit diesen Prinzipien können nur diejenigen der subjektiven, inneren und äußeren Zweckmäßigkeit der Natur gemeint sein. Die »Folgerung« besteht dann darin, diese Prinzipien auf die Kunstbeurteilung zu übertragen und Kunstobjekte so zu betrachten, als ob sie schöne Gegenstände der Natur wären, als ob sie also auch einer »Technik der Natur« unterlägen, obwohl sie in Wahrheit keiner besonderen Technik der Natur bedürfen und obwohl ihnen in Wahrheit ein Zweckbegriff als Absicht und Vollkommenheit zugrunde liegt.802 über die Lebensprinzipien; vgl. Euler, W. (2002), Das Neue in Leibniz‘ Neuem System, 376 f.; Tonelli, G. (1966), Die Voraussetzungen zur Kantischen Urteilskraft, 245 (zum Begriff der »Plastik«). 797 Vgl. Hinske, N. u. a. (Hg.) (1965), Faksimile, 68. 798 Klemme, H. F. (Hg.) (2006), I. Kant. Kritik der Urteilskraft, 554.22. S. dagegen: G. Lehmann in der Ausgabe Hamburg 1990. 799 Vgl. Bertinetto, A. (2007), Negative Darstellung, 139. 800 Hier reproduziert sich also nochmals das Problem der Zuordnung der Absicht oder Unabsichtlichkeit zur Zweckmäßigkeit, das im Zuge der Besprechung von EE IX bereits analysiert worden ist. 801 Vgl. KU, § 45, 2. Abs. (5:306). 802 Vgl. dazu den Kommentar zu EE XI (S. 306); vgl. KU, § 45, 3. Abs. (5:306 f.); § 47, 3. Abs. (5:310); § 48, 4. Abs. (5:311).
XII. Abschnitt: Einteilung der Kritik der Urteilskraft
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Achter bis zwölfter Absatz: Gliederung der Kritik der Urteilskraft → E VIII (2.–4. Abs.); E V (4. Abs.) Die Einteilung der Kritik der Urteilskraft ist das Generalthema des Schlussabschnittes. Insbesondere ist im zweiten und dritten Absatz die Einteilung in eine Kritik der ästhetischen und in eine Kritik der teleologischen Urteilskraft begründet worden, und im sechsten Absatz ist dann die weitere Untergliederung der beiden Teil-Kritiken erläutert worden. Die restlichen fünf kurzen Absätze dieses zwölften Abschnittes, die zugleich die EE abschließen, haben die Funktion, auf der Grundlage der bereits erzielten Teilergebnisse der Untersuchung einen Ausblick auf die Gliederung der Dritten Kritik insgesamt zu geben. Das Problem, vor das die Interpretation gestellt wird, lässt sich auf die Frage zuspitzen, ob die angekündigte Symmetrie der Teile in der Ausführung des Ganzen wiederzuerkennen ist. Es wurde bereits erwähnt, dass berechtigte Zweifel an der Ausführung jener Einteilung bestehen. Weiterhin ist zu beachten, dass die im Kommentar dargelegten Kriterien einer szientifischen Einteilung, kraft deren sich das Ganze zu einem System entwickelt, der Untergliederung der KU vorauszusetzen sind. Der erste Schritt der Einteilung der KU hat ihre beiden Hauptteile zum Resultat: die Kritik des ästhetischen und die Kritik des teleologischen Beurteilungsvermögens. Mehr als diese beiden »Teile« umfasst die KU nicht (sieht man von »Vorwort«, »Einleitung« und »Anhang« einmal ab). Die Einteilung, die Kant vornimmt, ist stets zweigliedrig, d. h. dichotomisch. Dieser erste Einteilungsschritt ist in den Absätzen 2 bis 3 des Schlussabschnittes mit der Eigentümlichkeit der reflektierenden Urteilskraft und ihres Prinzips subjektiver Zweckmäßigkeit begründet worden.803 Dass die Kritik der reflektierenden Urteilskraft »also« in eine kritische Ästhetik und in eine ebensolche der Teleologie eingeteilt werden muss, bringt hier eigentlich keine neue Erkenntnis zum Vorschein. Denn ein solcher Schluß ist bereits im dritten Absatz auf der Grundlage der reflektierenden Urteilskraft und des Prinzips der Technik der Natur im zweiten Absatz gezogen worden. Der achte Absatz fasst (ebenso wie der neunte) einfach nur das Ergebnis der vorangegangenen Untersuchung in einen Satz zusammen. Der neunte Absatz ist auf den sechsten zurückzubeziehen. Er benennt die beiden »Bücher« des ersten Teils der KU: »die Critik des Geschmacks oder der Beurtheilung des Schönen« (Erstes Buch) und »die Critik des Geistesgefühls […] oder der Beurteilung des Erhabenen« (20:251.24–27). Diese beiden Bücher sind unter den Titeln: »Erstes Buch. Analytik des Schönen« und »Zweites Buch. Analytik des Erhabenen« im Ersten Teil der KU auch tatsächlich ausgeführt. Diese Einteilung ist bereits im sechsten Absatz vorgenommen worden. Sie folgt aus der Differenzierung des ästhetischen Urteils in ein Urteil über die Schönheit und ein solches über die Erhabenheit der Gegenstände der Natur (4. Abs.). 803
S. Kommentar zu EE XII, S. 328 ff.
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
Im sechsten Absatz wurde zudem – wenn auch nicht gänzlich überzeugend – klargestellt, dass es zur Differenzierung der teleologischen Urteilskraft und der objektiven Zweckmäßigkeit in eine innere und eine relative »keiner besondern Benennungen« bedürfe. Vor diesem Hintergrund ist eine Separierung des Zweiten Teils der KU in zwei Bücher mit speziellen Titeln nicht zu erwarten. Weshalb verspricht Kant dann aber dem Leser im 10. Abs. für den zweiten Teil »eben so wohl zwei Bücher, davon das erste die Beurtheilung der Dinge als Naturzwecke in Ansehung ihrer innern Möglichkeit, das andere aber das Urtheil über ihre relative Zweckmäßigkeit unter Principien bringen wird« (20:251.28–31)? Die angekündigten Bücher der Kritik der teleologischen Urteilskraft sind formal (nach der Gliederung der Überschriften) nicht vorhanden. Der Sache nach wird zwar die teleologische Beurteilung nach dem Prinzip der inneren Zweckmäßigkeit in den §§ 63 bis 66 und nach dem der relativen Zweckmäßigkeit oder »Nutzbarkeit« für den Menschen in § 63 abgehandelt, aber eine getrennte und ausführliche Bearbeitung beider Gegenstände hat Kant nicht vorgenommen. Wir haben diese beiden Arten objektiver Zweckmäßigkeit bzw. der teleologischen Beurteilung in unserem Kommentar zu EE IX näher dargestellt. Die »Principien«, »unter« die Urteile hier gebracht werden sollen, dürften die der Spezifikation und Klassifikation der reflektierenden Urteilskraft sein, die im Kommentar zu EEV (8.-10. Abs.) analysiert worden sind. Der Grund für das von Kant nicht eingelöste Versprechen lässt sich aufklären. Es ist nicht zwingend, dem Autor der KU mit seinem Plan am Ende der EE Widersprüchlichkeit, Inkonsequenz oder mangelnde Sorgfalt vorzuwerfen – im Gegenteil: Kant folgt in seinem Gliederungsentwurf konsequent dem Leitgedanken einer szientifischen Einteilung, den er am Anfang des zwölften Abschnittes eingeführt hat. Demzufolge bestimmt die Idee eines Ganzen Art, Zahl und Zusammengehörigkeit der Teile. Im Falle der KU besteht diese Idee im Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur in Bezug auf die reflektierende Urteilskraft. Aus ihr hat sich die Gliederung der KU also herzuleiten, mit der Besonderheit, dass sie nicht den Zweck verfolgt, eigens einer besonderen »Doktrin« den Weg zu bereiten (vgl. EE XII, 1.–2. Abs.) (20:247–248). Es ist also der Systemaspekt, der Kant zu einer streng symmetrischen Gliederung der KU leitet.804 Da es für Kant zur szientifischen Einteilung gehört, »zugleich das Ganze selbst zu machen« (EE XII, 1. Abs.) (20:247.32–248.8), um dessen Einteilung es konkret geht, so erhält die Ausführung der KU dadurch den Status einer Vorläufigkeit. Das System der Dritten Kritik ist in der Ausführung also offensichtlich unvollständig. Dieser Befund bestätigt sich in den beiden letzten Absätzen des zwölften Abschnittes, die wir nachfolgend betrachten. Nach Absatz 11 soll »[j]edes dieser Bücher« zwei Abschnitte enthalten, nämlich eine »Analytik« und eine »Dialektik« (20:251.32–33). Nach der bisherigen GliedeDass die Ausführung von der in EE XII vorgegebenen Systematik abweicht, hat natürlich auch äußere Gründe, die mit der Geschichte der Drucklegung der Schrift zu tun haben (vgl. dazu Klemme, H. F., Einleitung zu I. Kant (2006), S. XXX f.). 804
XII. Abschnitt: Einteilung der Kritik der Urteilskraft
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rung muss man davon ausgehen, dass insgesamt vier Bücher darin angelegt sind. Es müsste also auch vier Abschnitte einer »Analytik« und vier Abschnitte einer »Dialektik« geben. Tatsächlich aber gliedert sich die Kritik der ästhetischen Urteilskraft in zwei Abschnitte, und zwar in eine »Analytik« und in eine »Dialektik der ästhetischen Urteilskraft« Während sich der erste Abschnitt in zwei Bücher untergliedert (»Analytik des Schönen«, »Analytik der Erhabenen«), enthält die »Dialektik« nur die Antinomie des Geschmacks. Eine Dialektik des Erhabenen existiert nicht. Demgegenüber enthält die Kritik der teleologischen Urteilskraft zwei Abteilungen: eine »Analytik der teleologischen Urteilskraft« und eine »Dialektik der teleologischen Urteilskraft«. Im zwölften Absatz (20:251.34–36) wird der letzte Gliederungsschritt angegeben: die Teilung der Analytik in eine »Exposition« und in eine »Deduktion des Begriffs einer Zweckmäßigkeit der Natur«. Aber was ist hier mit der »Analytik« gemeint? Zufolge der Logik einer szientifischen Einteilung müsste es vier Analytiken geben, und wenn in jeder versucht werden würde, »in eben so vielen Hauptstücken« zuerst die Exposition und dann die Deduktion durchzuführen, hätten wir es dann mit vier oder mit acht »Hauptstücken« zu tun? Heißt »eben so viele« so viel wie gleich viele (also je zwei, nämlich Exposition und Deduktion als je ein Hauptstück)? Wir müssen es annehmen. Zugleich ist auch hier festzustellen, dass es in der KU keine ausgewiesenen »Hauptstücke« gibt. Von einer »Exposition« in Bezug auf die ästhetisch reflektierenden Urteile erfährt man erst im Anschluss an die Exposition, d. i. in der »Allgemeine[n] Anmerkung« dazu.805 Sie umfasst sowohl die Analytik des Schönen als auch die des Erhabenen. Aber in der Analyse des Erhabenheitsurteils wird nicht ausdrücklich von einer Exposition gesprochen, obwohl sie vorausgesetzt wird (vgl. KU, § 30, 3. Abs.) (5:280.1–19). In der »Analytik der teleologischen Urteilskraft« gibt es explizit weder eine Exposition noch eine Deduktion. Was also ist eine Exposition? Nach Kant ist sie bloß eine »Erörterung«, keine »Erklärung« eines Begriffs, als der unbestimmte Grund der Vereinigung zweier entgegengesetzter Prinzipien (hier: des mechanischen und des teleologischen Kausalitätsprinzips) (vgl. KU, § 78, 3. Abs.) (5:412.13–22). Kant beansprucht jedenfalls, eine »transzendentale[] Exposition« sowohl der ästhetischen Urteile als auch der Erhabenheitsurteile durchgeführt zu haben, um sich damit sogleich von Burke’s empiristischer bzw. physiologischer »Exposition« zu distanzieren.806 Die Exposition der ästhetischen Urteile hat den Nachweis ihrer Allgemeinheit und Notwendigkeit zu erbringen.807 Das bedeutet in Analogie zur Exposition der Grundsätze der praktischen Vernunft: erstens seinen Inhalt zu zergliedern, zweitens seinen apriorischen Status und seine Unabhängigkeit von empirischen Prinzipien Vgl. auch KU, § 57, Anmerkung II, 3. Abs. (5:346.10–12). Vgl. KU, Allgemeine Anmerkung zur Exposition der ästhetischen reflektierenden Urteile (B 128) (5:277.1 ff.). 807 Vgl. Kommentar zu EE VIII, S. 208 ff. 805
806
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
nachzuweisen und drittens das ästhetische Urteil von anderen Urteilsarten zu unterscheiden.808 Nach der KrV ist die Exposition gegebener Begriffe ein analytisches Verfahren der Begriffsbestimmung, die, wenn sie vollständig ist, in die philosophische Definition übergeht.809 In Kants »Logik« dient die Exposition zur Verdeutlichung von Begriffen durch Analyse ihres Inhaltes.810 Auch in der praktischen Philosophie benutzt Kant die Unterscheidung zwischen Exposition und Deduktion als methodisches Mittel der Begriffserklärung.811 Der Begriff der Deduktion hat in Kants Schriften stärkeres Gewicht als der der Exposition.812 Denn bei der ersteren geht es darum, einen Anspruch, der sich mit einem bestimmten Begriff – wie dem des ästhetischen Urteils – verbindet, zu rechtfertigen.813 Das Gemeinsame aller Deduktionen theoretischer, praktischer und ästhetischer Urteile liegt darin, dass sie die Allgemeinheit und Notwendigkeit aller dieser Urteile als synthetischer Urteile a priori zu rechtfertigen (nicht zu begründen) haben. In der KrV definiert Kant die transzendentale Deduktion als »die Erklärung der Art, wie sich Begriffe a priori auf Gegenstände beziehen können«.814 Desgleichen gibt es aber auch eine transzendentale Deduktion der Begriffe von Raum und Zeit.815 Rechtfertigung der objektiven und allgemeinen Gültigkeit eines synthetischen Satzes a priori ist die Bedeutung von »Deduktion« für die theoretische und die praktische Vernunft.816 »Rechtfertigung des Anspruchs« der ästhetischen Urteile »auf allgemein-notwendige Gültigkeit« ist die mit der Deduktion dieser Sätze der reflektierenden Urteilskraft verbundene Aufgabe. Die Deduktion des Geschmacksurteils, die Kant im Haupttext der KU (§§ 30–38) vornimmt und die den »Rechtsgrund« dieser Art von Urteilen ermitteln soll (§ 35, 2. Abs.) (5:287.29–32), kann nun aber gegenüber der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe keine objektive durch Begriffe sein (vgl. KU, § 36, 1.–2. Abs.) (5:287.35– 288.26), denn sie betrifft nicht die Beziehung von Begriffen auf Gegenstände. Dieser Sachverhalt wurde etwas ausführlicher im Kommentar zu EE XI (S. 317 f.) dargelegt. Die Aufgabe der Deduktion besteht also auch dann, wenn nach der Rechtmäßigkeit des Anspruchs auf Notwendigkeit von Urteilen gefragt wird, von denen nur subjekVgl. KpV, 5:46.15 ff. Vgl. KrV, B 757 f. Vgl. Kommentar zu EE VIII, S. 209, 213 f. 810 Vgl. Logik Jaesche, § 96 (9:140), §105 und Anm. (9:142–143). 811 S. z. B.: MS, RL, §§ 16–17 (6:267–268); ebd., §§ 5–6 (6:248–249); KpV, 5:46. Vgl. auch meine Erläuterungen zur Exposition der Tugendpflichten in der Metaphysik der Sitten: Euler, W. (2013), Die Tugendlehre in Kants System der praktischen Philosophie, 257 f. 812 Vgl. KrV, B 116–121; KU, § 30, 1. Abs.; KU, § 78, 3. Abs.: Deduktion bedeutet: »Erklärung«; Exposition (Ableitung von einem Prinzip): »Erörterung« (5:411–412). 813 Vgl. KU, § 30, 1. Abs. (5:279.7–13). 814 KrV, B 117; vgl. auch KrV, B 159, B 168 f. 815 Vgl. KrV, B 119 f. 816 Vgl. KrV, B 116; vgl. KpV, 5:46 f. 808
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XII. Abschnitt: Einteilung der Kritik der Urteilskraft
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tive Allgemeinheit gefordert wird.817 Aber eine solche Deduktion unterscheidet sich von derjenigen der Verstandesprinzipien.818 Der Kommentar zu E V, 4. Abs., analysiert die transzendentale Deduktion des Prinzips subjektiver Zweckmäßigkeit als einen notwendigen Beweisgang.819 Die Notwendigkeit einer solchen Deduktion ergibt sich daraus, dass jenes Prinzip der Grund ästhetischer Reflexionsurteile ist.820 Die Funktion der transzendentalen Deduktion des subjektiven Prinzips der Zweckmäßigkeit der Natur ist der Nachweis seiner Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit. Die Deduktion des ästhetischen Urteils zeigt damit auch, dass die Zweckmäßigkeit in der Gestalt (d. i. in der aufgefassten Form) des Naturobjekts ihren Grund hat (vgl. KU, § 30, 1. Abs.) (5:279.7–27). Dies gilt aber nicht vom Erhabenheitsurteil. Denn dieses bezieht sich nur auf die »Denkungsart« über das Erhabene der Natur und deren Vermögensbeschaffenheit. Man soll sich dieser Denkweise bewusst werden, und zwar veranlasst durch die Auffassung eines formlosen Gegenstandes der Natur. Dieser Gegenstand (»als ein solcher für sich«, § 30, 3. Abs.) wird also nicht seiner Form wegen beurteilt. Was beurteilt wird, ist vielmehr die Zweckmäßigkeit im Verhältnis der Erkenntnisvermögen, die bei der Analyse der Erhabenheitsurteile zutage treten. In der Exposition der Reflexion über das Erhabene zeigte sich nämlich ein zweckmäßiges Verhältnis der Erkenntnisvermögen. Da dieses nun »selbst a priori zweckmäßig« ist, so enthalte es auch »sofort die Deduktion, d. i. die Rechtfertigung des Anspruchs eines dergleichen Urteils auf allgemein-notwendige Gültigkeit« (KU, § 30, 3. Abs.) (5:280.13–15). Und dieses Verhältnis, so behauptet Kant in einer nicht unmittelbar nachvollziehbaren Weise, müsse dem Willen a priori zum Grunde gelegt werden. Wir können dafür auch sagen: der Vernunft. Denn es ist die Vernunft, die an der Bildung des ästhetischen Urteils des Erhabenen mitwirkt. Bei der Analyse des Erhabenheitsurteils zeigt sich unmittelbar, dass das an sich schon »zweckmäßige[] Verhältnis der Erkenntnisvermögen« »selbst a priori zweckmäßig ist«; und zwar zeigt es sich dadurch, dass der Wille selbst »das Vermögen der Zwecke« ist (§ 30, 3. Abs.). In ihm bestätigt sich die Zweckmäßigkeit. Da der Wille allgemein von jedem Subjekt gilt, ist damit auch der Anspruch des Erhabenheitsurteils auf »allgemein-notwendige Gültigkeit« gerechtfertigt. Das ist der Grund dafür, dass, laut Kant, die Exposition der Erhabenheitsurteile deren Deduktion bereits mit einschließt, so dass sich eine besondere Deduktion dieser Urteile erübrigt und die Deduktion der Geschmacksurteile mit der Deduktion der ästhetischen Reflexionsurteile zusammenfällt. Die allgemeine Frage, die eine transzendentale Deduktion in Hinsicht darauf, dass Erkenntnisurteilen (im weiteren Sinne) ein Prinzip a priori zugrunde liegt, KU, § 31, 1. Abs.; s. dazu auch den Kommentar zu EE XI, S. 317 f. So wie sich die Kategoriendeduktion wiederum von der Deduktion der Ideen unterscheidet (vgl. KrV, B 697 ff. / A 669 ff.). 819 Vgl. Kommentar zu E V, S. 468–472. 820 Vgl. Kommentar zu E V, S. 469. 817
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Erster Teil: Kommentar zur Ersten Einleitung
beantworten soll – wie sind synthetische Urteile a priori möglich? – lautet in Bezug auf das ästhetische Urteil: »wie sind Geschmacksurteile möglich?« (KU, § 36, 2. Abs.) (5:288.21 f.). Die Deduktion ist erforderlich, um zu begreifen »wie ein ästhetisches Urteil auf Notwendigkeit Anspruch machen könne« (ebd.) (5:288.19 f.). Damit gehört die Deduktion des Geschmacksurteils in den Rahmen der Lösung des »allgemeine[n] Problem[s] der Transzendentalphilosophie: wie sind synthetische Urteile a priori möglich?« (KU, § 36, 4. Abs.) (5:289.2–5). Nach dieser Erörterung wird der Unterschied zwischen einer Exposition und einer Deduktion von Begriffen bzw. Urteilen deutlich geworden sein. Es hat sich gezeigt, dass es in der ganzen KU nur eine Analytik gibt, in welcher diese Differenzierung auch durchgeführt worden ist, und das ist die Analytik des Schönen. Die Analytik des Erhabenen hat keine separate Deduktion und kann – folgt man Kants Begründung – auch keine solche enthalten. In der Analytik der teleologischen Urteilskraft fehlt bereits die formale Aufteilung in zwei Analytiken. Ihr innerer Aufbau lässt eine weitere Unterscheidung in Exposition und Deduktion nicht erkennen.821 Dass Kant trotzdem einen solchen Plan am Ende der EE vorlegt, kann bei wohlwollender Interpretation nur so erklärt werden, dass die szientifische Einteilung eine Abweichung des Ganzen, wie es gemacht wird, von der Systemidee zulässt.
821
Vgl. dagegen Tanaka, M. (2001), Die Deduktion, 633 ff.
I. Abschnitt: Einteilung der Philosophie
ZWEITER TEIL Kommentar zur »Einleitung« EI Erster Abschnitt: »Von der Einteilung der Philosophie«
Gliederung: Zur Überschrift Erster Absatz: Voraussetzung der gewöhnlichen Einteilung der Philosophie Zusatz: Erläuterung zur »Entgegensetzung« von Natur und Freiheit Zweiter Absatz: Rechtfertigung der Einteilung in Natur- und Moralphilosophie. Problemexposition in Bezug auf das Praktische Dritter Absatz: Der Wille als Grund des Missverständnisses vom Praktischen Vierter Absatz: Unterscheidung zwischen »technisch-praktischen« und »moralischpraktischen« Prinzipien Fünfter Absatz: Was sind »technisch-praktische Regeln«? Sechster Absatz: Technisch-praktische Regeln konstituieren keine praktische Wissenschaft Siebter Absatz: Fazit
Zur Überschrift Der Inhalt des ersten Abschnittes der Einleitung (E) entspricht im Wesentlichen dem des ersten Abschnittes der EE. Das Leitthema lautet in beiden Fassungen: Wie viele und welche Glieder hat die Philosophie und wie ist deren Einteilung zu begründen. Bereits die Akzentverschiebung in der Überschrift zum ersten Abschnitt – »Von der Einteilung der Philosophie« – deutet aber auch eine Verlagerung bzw. Verkürzung der Betrachtungsperspektive gegenüber der EE an. Das Textvolumen beträgt auch nur etwas mehr als die Hälfte desjenigen der EE. Kant betrachtet das Einteilungsproblem nicht mehr primär unter dem Aspekt des Systemanspruchs der Philosophie und der Frage nach dem Unterschied zum System der Kritik der reinen Vernunft, sondern beginnt direkt mit der Darstellung des Einteilungsproblems, das am ›gewöhnlichen‹ Verständnis von Philosophen entwickelt wird, um dann im dritten und vierten Absatz zur Analyse des Praktischen, zur Lösung des Problems seiner
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
Bestimmung und Zuordnung, das ja auch in EE I im Zentrum steht, überzugehen. Dabei spricht er nicht mehr (wie in EE I) allgemein von »Sätzen«, sondern konkreter von »Begriffen«, »Prinzipien« und »Regeln«. Wenn man sich den Titel des ersten Abschnittes der Einleitung ansieht, in dem von der Einteilung »der« Philosophie die Rede ist, so kann man unmittelbar danach fragen, wie der Genitiv hier zu verstehen ist. Dieses Interpretationsproblem führt prinzipiell zu Fragen bezüglich des Subjekts und des Objekts dieses Titels, und zwar wiederum differenziert nach Form und Inhalt und deren Verhältnis zueinander: Wer oder was teilt hier ein? Ist »die« Philosophie selbst als eine besondere, begrifflich verfaßte Wissenschaft die Instanz, die durch ihre eigenen Prinzipien und Begriffe eine Gliederung in Teildisziplinen verlangt und begründet, um sie unter einem gemeinsamen Dach zusammenzuführen? Oder ist sie auf ein außer ihr existierendes Erkenntnissubjekt (den Autor eines philosophischen Werkes oder den Philosophen, der sich auf eine bestimmte Tradition beruft oder sich kritisch über sie äußert) zu beziehen, der diese Einteilung – aus welchen Gründen auch immer – unternimmt oder einfach vorfindet und auf die Philosophie appliziert? Es scheint nur diese beiden alternativen Möglichkeiten zu geben, da einer der beiden Begriffe (»Einteilung«, »Philosophie«) dem anderen untergeordnet ist, und zwar syntaktisch als genetivus subiectivus oder genetivus obiectivus. Da eine alternative Lesart hier zulässig ist, stellt dies an den philosophischen Kommentar die Anforderung zu klären, welche der beiden Alternativen die einzig angemessene ist bzw. ob nicht doch nach einer (aus Gründen zu erschließenden) dritten Möglichkeit gesucht werden muß. Wenn die Philosophie tatsächlich als notwendige Voraussetzung ihrer eigenen Einteilung zu verstehen wäre, müßten sich Gründe unmittelbar aus ihr selbst herbeischaffen lassen, die eine bestimmte Gliederung innerhalb ihrer selbst als notwendig erwiesen. D. h. die Form der Einteilung müßte durch philosophische Inhalte bewiesen werden. Umgekehrt hätte sich ein Autor darüber zu rechtfertigen, dass er genau diese und keine andere Einteilung für zweckmäßig hielte. Solche Gründe müssen nicht unbedingt aus der Philosophie geschöpft werden; sie können insbesondere formaler Natur sein und auf Rücksichten beruhen, die mit dem Inhalt dieser Wissenschaft nicht notwendig in direktem Zusammenhang stehen (die Gründe könnten z. B. sein: Übersicht und Ordnung der zu vermittelnden Lehrstücke, um sie aus didaktischer Rücksicht faßlicher darzustellen; Arbeitsteilung aus ökonomischen Gründen). Diese Antwort würde dann allerdings die Frage aufwerfen, inwiefern eine solche Einteilung noch objektiv und allgemeingültig sein könnte bzw. noch den Anspruch erheben dürfte, Einteilung »der« Philosophie zu sein. Denn, wenn deren Inhalte sich nach einem äußeren, vorgegebenen Muster zu richten hätten und damit gerade dasjenige außer Kraft gesetzt würde, das wesentlich zu ihrem Begriff zu gehören scheint – dass sie ein Ganzes ist, in Bezug auf das von Einteilung sinnvoll überhaupt erst gesprochen werden kann – dann würde die Aufgabe einer Einteilung mehr oder weniger dem willkürlichen Spiel von Einfällen überlassen bleiben. Ein beliebiges Nebeneinander einer Pluralität von Klassifizierungen
I. Abschnitt: Einteilung der Philosophie
365
könnte die Folge sein. Alles schiene begründbar, die Philosophie als solche in ein Meer von Sichtweisen geworfen und ohne Anker zwischen den Meinungsfluten hin und hertreibend. Es hat den Anschein, dass es nur dann sinnvoll und gerechtfertigt ist, von einer »Einteilung« der Philosophie überhaupt zu sprechen, wenn vorausgesetzt wird, dass die Philosophie als ein Ganzes zu verstehen ist, das selbst die Gründe für ihre eigene Einteilung erst entwickelt und enthält. »Die Philosophie« wäre insofern hier als unmittelbares Vernunftprodukt und damit stellvertretend für die Vernunft als allgemeines (tätiges) Subjekt aufzufassen, das eine Einteilung zur Konsequenz hat. Zur Unterstützung dieser Auslegung kann in diesem Zusammenhang auf Kants Ausblick auf die Vollendung einer »Kritik der praktischen Vernunft« in der Vorrede der Grundlegung (4:391.24–31) hingewiesen werden. Dort wird nämlich zur Bedingung der auszuführenden KpV erhoben, dass »ihre Einheit mit der speculativen in einem gemeinschaftlichen Princip« dargestellt werden müsse. Und zur Begründung wird angeführt: dass es doch »nur eine und dieselbe Vernunft« sein könne, die bloß in Hinsicht auf ihre Anwendung – d. h. bezüglich der Gegenstände, auf die sie sich in ihrem Gebrauch richtet – unterschiedlich aufgefasst werden müsse. Kant fügt hinzu, dass er zum gegenwärtigen Zeitpunkt (d. i. im Jahre 1785) diese notwendige Vervollständigung noch nicht leisten könne. Aus der späteren Sichtweise der abgefassten KpV erschließt sich für ihn dann entsprechend die notwendige Kritik an der überlieferten Philosophie erst dadurch, dass von einem Ganzen der Vernunft ausgegangen werden muss: »Man wird auch durch den ganzen Lauf der Kritik (der theoretischen sowohl als praktischen Vernunft) bemerken, daß sich in demselben mannigfaltige Veranlassung vorfinde, manche Mängel im alten dogmatischen Gange der Philosophie zu ergänzen und Fehler abzuändern, die nicht eher bemerkt werden, als wenn man von Begriffen einen Gebrauch der Vernunft macht, der aufs Ganze derselben geht.« (5:9.37–41) Wie aber ist es unter dieser Perspektive mit dem bestellt, was an der bezeichneten Stelle des ersten Abschnittes der Einleitung in die KU »Einteilung« genannt wird, mit dem, was als Objekt dieses Verhältnisses erscheint? Wie ist diese »Einteilung« beschaffen? Ist sie in der Bedeutung der Gliederung eines vorausgesetzten Ganzen oder als eine Menge von Teilen zu verstehen, aus denen ein Ganzes sukzessive erst gebildet werden muss? Und was folgt daraus wiederum für den Begriff der Philosophie? Wenn die Philosophie als ein geschlossenes Ganzes aufgefaßt wird, das aus sich heraus die Prinzipien der Einteilung bereitstellt, dann kann ihre Gliederung in Teildisziplinen keine festgefügte, fertige und unverrückbare Ordnung darstellen, die keiner Rechtfertigung mehr bedürfte. Ist sie einmal geteilt, ohne dass Gründe vorliegen, die auf ihren Gesamtinhalt bezogen sind, so stehen die Teile beziehungslos nebeneinander. Es wäre nicht mehr eine, sondern ein konkurrierendes Bestehen
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
von Philosophien ohne inneren Zusammenhalt. Jeder der verselbständigten Teile könnte dafür in Anspruch genommen werden, »die« Philosophie zu verkörpern. Die Einteilung kann also, wenn sie eindeutig sein soll, anscheinend nur Resultat einer klärenden philosophischen Reflexion sein, die ihre Gründe aus den Bestimmungen (dem Begriffsinventar) der Philosophie selbst schöpft. Ist das Eingeteilte, d. h. die Gesamtheit der Teile, wiederum philosophisch bestimmt (insofern es aus einer philosophischen Begründung resultiert), stehen m.a.W. die Teile der Philosophie in einer als notwendig begründeten Beziehung zueinander und zum Ganzen, so dass das eine Ganze als ihr notwendiger Grund und Voraussetzung im Resultat des Einteilens sichtbar wird und erhalten bleibt, dann ist dasjenige, was als das Eingeteilte zu begreifen ist, identisch mit demjenigen, welches als ein Ganzes zu teilen ist. Es ist ein und dieselbe Philosophie, die sich in sich gliedert und trennt, ein einheitliches Ganzes ausmacht und sich zugleich als ein Vieles von Teilen darstellt. Mit anderen Worten, die Doppelnatur der oben thematisierten grammatischen Form des Genitivs hat dann eine inhaltlich relevante, objektiv notwendige Funktion. Sie bringt zum Ausdruck, dass die Philosophie Subjekt und Objekt der Teilung ist. Dem Anspruch nach soll also bei Kant objektiv die Einteilung vom Ganzen her begründet werden. Denn nur dadurch scheint die Vollständigkeit der Einteilung, die eine systemkonstituierende Bedingung ist,1 gewährleistet werden zu können Es muss jedoch erst noch geprüft werden, ob der Verlauf der Argumentation innerhalb des zu kommentierenden Textes des ersten Abschnittes der Einleitung diesem Anspruch auch gerecht werden kann. Diese Einsicht, die voraussetzt, dass der von Kant verwendete Begriff »der Philosophie« auf den Prinzipien seiner kritischen Philosophie beruht, ist allerdings dem Einwand ausgesetzt, dass sie die Bestimmung dessen, was Philosophie ist (oder sein soll), zunächst offen läßt. Damit wird die These, dass sich die Philosophie als ein Ganzes begreifen lassen muss, zumindest für den Moment wieder fragwürdig. Denn es ließe sich ja ohne weiteres behaupten, dass es unter dem Blickwinkel unterschiedlicher Betrachtungsweisen verschiedene Philosophien gebe, die aus jeweils besonderen Gründen einer Einteilung fähig wären. Dass es aber genau eine Philosophie geben soll, könnte in diesem Falle auch bedeuten, dass die geforderte Einheitlichkeit durch Konvention zustandekommt. Eine solche Einheit aber, die auf dem Zufall bloß formaler Geltung beruht, kann nicht für sich in Anspruch nehmen, objektiv notwendige (gesetzmäßige) Verbindung von Teilen zu sein. Um also begründen zu können, dass es die Philosophie überhaupt gibt, deren Einteilung bei Kant Anspruch auf Begründung erhebt, bzw. dass sie sich nicht bloß auf die spezifische kantische beschränkt, neben der es auch noch andere geben kann, muss der von Kant verwendete Begriff von »Philosophie« genau bestimmt werden. Im »Architektonik«-Kapitel der KrV hat Kant – wie im Kommentar zum ersten Abschnitt der EE bereits dargelegt – die Idee der systematischen Einheit aller Vernunfterkenntnis dem Begriff von Philosophie als Wissenschaft zugrunde gelegt. Die 1
vgl. Vorrede zur MS, 6:205.15–16.
I. Abschnitt: Einteilung der Philosophie
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»Idee« als »Vernunftbegriff von der Form eines Ganzen«, der zugleich den obersten, inneren Zweck der Vernunft enthält, ist es, die die Erkenntnisse zur Einheit und damit zum »System« formt. In der (formalen) »Idee« beziehen sich alle Teile aufeinander. Und zwar wird dadurch der Umfang und die Stellung der Teile untereinander a priori bestimmt (KrV, B 860 / A 832). In dieser Ordnung ist jeder Teil notwendig, insofern er an den einzigen, obersten und inneren »Zweck« der Vernunft gebunden ist, der das Ganze erst möglich macht (KrV, B 861 / A 833). Die Einteilung ist folglich nicht als eine äußere Ansammlung von Teilen aufzufassen, sondern als innere Gliederung eines zweckmäßig geeinten und geordneten Ganzen. Die Bestimmung dieser »Idee« ist auf dem Stand der KrV letztenendes nur eine formale. Die objektive Bestimmung der »Idee« wird zwar gefordert, aber bloß als Aufgabe der Philosophie formuliert, die erst aus der Sammlung und Zusammensetzung von Einzelwissen zwar nicht ihr Dasein, aber doch ihre Erkenntnis bezieht. Denn sie ist zunächst nur der unserem Wissen in der Vernunft verborgene »Keim«, aus dem sich die Teile zu entfalten haben (KrV, B 862 f. / A 834 f.). Dass Kant sich an dieser Stelle eines Ausdrucks bedient, den er sonst nur im Zusammenhang mit der Betrachtung der Evolution des Lebendigen, speziell des Menschen, gebraucht, zeigt, dass er unter der »Einteilung« eines Begriffs die quasi organologische Entwicklung eines Ganzen versteht.2 »Philosophie« bedeutet dann demzufolge: die Gesamtheit der philosophischen Erkenntnisse, insofern sie der »Idee« eines Ganzen gemäß zu einem System vereinigt werden (KrV, B 866 / A 838). Weil die »Idee« der Philosophie aber noch unbestimmt und unausgeführt ist, ist auch die Philosophie selbst erst »eine bloße Idee von einer möglichen Wissenschaft, die nirgend in concreto gegeben ist, welcher man sich aber auf mancherlei Wegen zu nähern sucht […]« (KrV, B 866 / A 838). Die Philosophie als »Idee« im kantischen Sinne ist also die ganz abstrakte logische Einheit alles Mannigfaltigen der Erkenntnis. Sie ist der Begriff »von einem System der Erkenntnis, die nur als Wissenschaft gesucht wird, ohne etwas mehr als die systematische Einheit dieses Wissens, mithin die logische Vollkommenheit der Erkenntnis zum Zwecke zu haben« (KrV, B 866 / A 838). Allerdings liegt diesem Begriffe von Philosophie eine Bestimmung schon zum Grunde: die »Beziehung aller Erkenntnis auf die wesentlichen Zwecke der menschlichen Vernunft«, die auf eine Teleologie der Vernunft (»teleologia rationis humanae«) verweist (KrV, B 867 / A 839) und zuletzt einem einzigen obersten Zweck subordiniert ist. Dieser »Endzweck« aller Vernunft soll »die ganze Bestimmung des Menschen« zum Inhalt haben, welche Gegenstand der Moralphilosophie sei (KrV, B 868). Die Moralphilosophie wird also in der KrV sowie auch in der KpV (5:121.18– 31) – anders als dann in der KU – von Kant noch dafür in Anspruch genommen, durch Erkenntnis- bzw. Objektbildung in praktischer Hinsicht den alleinigen Grund und Zweck der systematischen Einheit der Philosophie insgesamt zu bestimmen. Vgl. Kants Vergleich des Systems der Metaphysik mit einem »organisierten Körper« in der Vorrede zur zweiten Auflage der KrV, B XXIII. S. dazu Dörflinger, B. (2000), Das Leben. 2
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
An dem Problem der Begründung der Philosophie durch einen obersten Grund der systematischen Einheit arbeitet Kant erneut in der KU, ja die gesamte Dritte Kritik hat die Lösung dieser Aufgabe durch die konkrete Bestimmung des Zweckbegriffs zu einem wesentlichen Anliegen. Dieses Bedürfnis rechtfertigt seine Notwendigkeit durch die Konzeption der Dritten Kritik selbst, insbesondere aber durch deren Einleitungen.
Erster Absatz: Voraussetzung der gewöhnlichen Einteilung der Philosophie Der erste Satz des Ersten Abschnittes (5:171.4–7) hat satzgrafisch folgendes Aussehen: [1] Wenn man /die/ Philosophie,/ [1.1] sofern sie Prinzipien der Vernunfterkenntnis der Dinge [1.1a] (nicht bloß, wie die Logik, Prinzipien der Form des Denkens überhaupt ohne Unterschied der Objekte) [1.2] durch Begriffe enthält, [2] wie gewöhnlich, in die theoretische und praktische einteilt,
}
[3] so verfährt man ganz recht. Satzgrafik Nr. 13
In der Tat versucht Kant, durch eine Einschränkung des Philosophiebegriffs dessen nähere Bestimmung vorzunehmen. Dasjenige Lehrstück, welches hier ([1.1a]) »die Logik« genannt wird, gehört nicht zu dem Begriff von Philosophie ([1]), dessen Einteilung im folgenden problematisiert wird. D. h. Gegenstand der folgenden Betrachtung ist nicht die Philosophie in ihrem ganzen Umfang (als einer akademischen Disziplin), zu der nämlich auch die Logik gehören müßte, sondern die Philosophie, die sich mit der inhaltlichen Auslegung und Bestimmung der Formen des Denkens befasst. Entsprechend Kants Unterscheidung in formale und reale Philosophie im ersten Abschnitt der EE, zweiter Absatz, bedeutet »Philosophie« hier also soviel wie reale Philosophie oder Metaphysik.3 Das »ganze System der Metaphysik« aber ließ Kant im Architektonik-Kapitel der KrV aus vier Hauptteilen bestehen, von denen keiner die Logik enthielt (KrV, B 874 / A 846). In der Grundlegungsschrift skizziert Kant diesbezüglich ein dreiteiliges Schema der Philosophie, das ihre Einteilung erst vollständig wiedergibt. Zu ihr gehören seit der Antike: Physik (als Wissenschaft von den Gesetzen der Natur), Ethik (als Wissenschaft von den Gesetzen der Freiheit) und Logik (als »formaler Philosophie«). Kant unterstreicht die Angemessenheit dieser Einteilung und bemerkt dazu an der betreffenden Stelle, es gebe daran nichts zu verbessern, außer dass das Prinzip vgl. Kommentar zu EE I, S.19 f. Vgl. auch Einleitung in die MS, II., 5. Abs. (6:216.28–29). Zu Kants Begriff der Metaphysik vgl. Förster, E. (1988), Kants Metaphysikbegriff, 123–136. 3
I. Abschnitt: Einteilung der Philosophie
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derselben aufzusuchen sei (4:387.2–5). Dieser Aufgabe, die Voraussetzung der von ihm vorgefundenen und anerkannten Einteilung zu finden und damit die klassische Einteilung als der Sache angemessen aus dem Vernunftbegriff der Philosophie selbst zu rechtfertigen, stellt sich Kant im ersten Absatz der Einleitung. Was aber heißt hier »Logik« ([1.1a], 5:171.4–7), und in welchem Verhältnis steht sie zur Philosophie? Sie bezeichnet, wie im Kommentar zu EE I dargelegt, eine Disziplin, deren Begriff durch Abstraktion sowohl von der Philosophie und ihren Gegenständen als auch von den transzendentalen Prinzipien der »Kritik« gewonnen wird, deren Aufbau und Inhalt jedoch als schon vorhanden vorausgesetzt wird. Sie enthält dementsprechend bloß Prinzipien der »Form des Denkens überhaupt« (und ist insofern allerdings auch wissenschaftlich), d. h. sie abstrahiert von allen Inhalten oder Gegenständen des Erkennens und gilt insofern notwendig von allem, was Gegenstand des Denkens überhaupt nur sein kann. Damit ist genau der Begriff von Logik lokalisiert, den Kant bereits in der KrV an zentraler systematischer Stelle als Terminus zur Unterscheidung von der »transzendentalen Logik« verwendet hat. Dieser Titel hat hier in der Einleitung der KU zwar nur eine Hilfsfunktion, dennoch ist die Bestimmung des ihm zugrunde liegenden Begriffs des Logischen für das Verständnis des kantischen Philosophiebegriffs und seiner einteilenden Systematik von erheblicher Bedeutung. Eine im prägnanten, modernen Sinne charakterisierte formale Logik, die ganz konsequent ohne Rücksicht auf begriffliche Inhalte logische Regeln des Denkens (d. h. der rein formalen Beziehung von Satzpartikeln und der Analyse von Syntaxfunktionen) untersucht, ist faktisch in der Philosophie vor Kant, d. h. insbesondere in Lehrbüchern der Logik, nicht zu finden.4 In der KrV unterscheidet Kant von der transzendentalen Logik, die eine Wissenschaft sein soll, die sich u. a. dadurch auszeichnet, dass sie sich mittels ihrer Begriffe und Gesetze auf eine bestimmte, von empirischen Inhalten unterschiedene Klasse von Gegenständen, nämlich »Gegenstände a priori« bezieht (KrV, B 81–82 / A 57), die »reine« Logik, die nur Prinzipien a priori enthält, d. i. solche, die frei von Kant scheint dennoch – dies belegt insbesondere die in der ersten Fassung noch gewählte Formulierung »wie die Logik tut« – davon überzeugt zu sein, dass eine Logik in dieser Form gelehrt werde und existiere. Dies ist jedoch eine Behauptung, die nur schwer zu verifizieren sein wird. Allenfalls ließe sich nachweisen, dass in bestimmten Lehrbüchern eben auf den Unterschied von empirischen und apriorischen Objekten kein Bezug genommen wird. Nur wenn man sich den Standpunkt zu eigen machte, der diese Unterscheidung von Gegenständen philosophisch für die einzig relevante oder gar entscheidende hielt, ließe sich die Behauptung nachvollziehen, die Logik abstrahiere von allem Inhalt der Erkenntnis. Die klassische Logik jedoch war nicht nur indifferent gegen die Kantische Unterscheidung von Gegenständen, sondern überhaupt gegen das ganze theoretische Problem, das Kant damit in den Blick nimmt. Selbst in den an Leibniz’ Logikkalkül anknüpfenden symbolischen Logiken wie bei G. Ploucquet wird nicht explizit auf ein Kriterium der Inhaltsabstraktion rekurriert. Vgl. zu dieser Frage: Wolff, M. (1995), Was ist formale Logik?, 19–31; sowie Wolff, M. (1995), Die Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel. Drittes Kapitel: Kants Begriff der formalen Logik, 197–242. 4
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
allen empirischen Bedingungen, insbesondere aber auch frei von aller Beziehung auf den Ursprung unserer Erkenntnis (KrV, B 80 / A 56) sind, »der Inhalt mag sein, welcher er wolle« (KrV, B 77 / A 53).5 Gerade weil sie »von allem Inhalt der Verstandeserkenntnis und der Verschiedenheit ihrer Gegenstände«, d. h. »von aller Beziehung« der Erkenntnis »auf das Objekt« (KrV, B 79 / A 55; vgl. B 78 / A 54; vgl. Grundlegung, 4:387.8–12) abstrahiert, ist die reine Logik zugleich allgemein. Ihr einziger Inhalt ist die »logische Form« der Beziehung von Erkenntnisinhalten untereinander oder eben die Form des »Denkens überhaupt« im Gebrauch von Verstand und Vernunft (KrV, B 79 / A 55; B 77 / A 53). Kant hat die genuinen Probleme, die sich aus einer solchen Bestimmung von formaler (kantisch gesprochen: reiner allgemeiner) Logik ergeben könnten, nicht eigens analysiert. Insbesondere die Frage des Verhältnisses von Logik und Philosophie (Metaphysik) wird nur beiläufig, nicht jedoch speziell und ausführlich erörtert. Soll sich die Logik jedoch als Teilgebiet der Philosophie (im weiteren Sinne) erweisen, dann ist auch zu klären, worin ihr wahrer Begriff, ihre Funktion und ihre systematische Stellung und Bedeutung im Zusammenhang mit den Teilen des Ganzen der Philosophie bestehen. Kann eine so verstandene Logik überhaupt eine philosophisch relevante Funktion erfüllen und – wenn ja – welche? Mit Hilfe der Vorrede und der Einleitung der Logik Jäsche lässt sich zumindest feststellen, dass Kant nicht dem Faden des Meierschen Lehrbuches, das er seinen Logik-Vorlesungen zugrunde legte,6 darin folgt, der eigentlichen Logik erst noch eine Abhandlung über Erkenntnis überhaupt als »Propädeutik der Logik« (9:4.29– 30) vorangehen zu lassen. Was er in der Einleitung in die Logik Jäsche über die Funktion der Logik als Organon bzw. Propädeutik des Verstandesgebrauchs und aller anderen Wissenschaften sagt, ist ziemlich klar: als »allgemeine Propädeutik alles Verstandes- und Vernunftgebrauchs überhaupt« darf die Logik »nicht in die Wissenschaften gehen und deren Materie anticipiren«. Sie ist vielmehr »nur eine allgemeine Vernunftkunst […], Erkenntnisse überhaupt der Form des Verstandes gemäß zu machen, und also nur in so fern ein Organon zu nennen, das aber freilich nicht zur Erweiterung, sondern bloß zur Beurtheilung und Berichtigung unsers Erkenntnisses dient« (9:13.19–26).7 Deshalb kann auch insbesondere die Logik der teleologisch reflektierenden Urteilskraft keine Logik in allgemeiner, reiner Bedeutung sein.8 Zwar ist die Naturbeurteilung, insofern sie nicht bestimmend ist, ein Grundmerkmal der reflektierenden Urteilskraft, aber die teleologische Urteilskraft ist in
5 Zur Charakterisierung der formalen Logik bei Kant als »reine Logik« vgl. Wolff, M. (1995), Die Vollständigkeit, 223–225. 6 Georg Friedrich Meiers Auszug aus der Vernunftlehre. Halle bei Gebauer 1752. Zu Kants Vorlesungen über Logik vgl. die Materialien und die Anmerkungen bei Pinder, T. (1998 ff.) (Kant-Forschungen 8–9). Vgl. außerdem die Logik-Nachschriften in AA 24.2. 7 Zur Logik als Propädeutik und als Organon vgl. auch KrV B IX, B 76–77 / A 52–53; B 86 / A 61. 8 Vgl. dazu Euler, W. (2016), Kants Kritik der teleologischen Urteilskraft.
I. Abschnitt: Einteilung der Philosophie
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der Ausübung dieser reflektierenden Tätigkeit zugleich erweiternd: sie führt zur Neuentdeckung empirischer Gesetze und Formen von Naturwesen, schließt von Bekanntem auf Unbekanntes mittels der Relation der Zweckmäßigkeit, wenngleich sie in dieser Funktion nicht bestimmend ist. Demgegenüber prüft die allgemeine Logik nur die formale Verträglichkeit (Richtigkeit) bereits bestehender Erkenntnisurteile. Doch die Logik hat nach Kant auch noch eine Kanon-Funktion für Verstand und Vernunft, »aber nur in Ansehung des Formalen ihres Gebrauchs« (KrV, B 77 / A 53; vgl. B 85 / A 61; B 170 / A 131), und darin ist sie »mehr als bloße Kritik« (9:15.28). Insofern sie nämlich auch »eine Wissenschaft der nothwendigen Gesetze des Denkens« ist, enthält sie die Bedingungen, »unter denen der Verstand einzig mit sich selbst zusammen stimmen kann und soll« (9:13.27–30). In der Abgrenzung der Logik von der Metaphysik zeigt sich, dass die Logik, Kant zufolge, auch eine »Vernunftwissenschaft« mit spezifischer »Materie«, d. h. »nicht der bloßen Form nach« ist (9:14.22–23). Ihr Objekt ist die Vernunft. Sie lässt sich insofern definieren als »eine Selbsterkenntniß des Verstandes und der Vernunft«, aber dies bloß »der Form nach« (9:14.24–27). Gehört nun die Logik auch zur »Vernunfterkenntnis aus Begriffen«, die nicht Erkenntnis von äußeren Objekten ist sondern von sich selbst ihrer Form nach (die Form ihrer Selbsterkenntnis ist ihre Materie), dann ist sie im »Schulbegriff« der Philosophie allerdings mit enthalten (9:23.30–32). In der hier in der Einleitung der KU zu analysierenden Textstelle wird die »Logik« (im Sinne Kants) jedoch nicht bloß von der »transzendentalen Logik« abgerückt, sondern als Glied der Philosophie in einem weiter gefaßten Sinne (nämlich als formale und reale Teile umfassende Wissenschaft) vom Begriff der Philosophie im engeren Sinne unterschieden: von der Philosophie, deren Inhalt aus den »Prinzipien der Vernunfterkenntnis der Dinge durch Begriffe« ([1.1], [1.2]) besteht. Damit ist dasselbe gesagt, was in der Grundlegung (5:387.8) »materiale« Vernunfterkenntnis bzw. in EE I, dritter Absatz, das »reale System der Philosophie« (20:195.15) genannt wurde. Keineswegs reduzieren sich in der oben zitierten Bemerkung die »Dinge« auf die aus der KrV vertrauten Gegenstände der Erfahrung (Erscheinungen). Denn dann wäre der Begriff der Philosophie, der übrigens (zumindest auf der Grundlage der KrV) auch nicht bedeutungsgleich ist mit dem der »Transzendentalphilosophie«, die die praktische Philosophie (ursprünglich) gar nicht enthalten soll (s. KrV, B 20), zu eng gefaßt, um daraus auch das Praktische der Vernunft als Teil eines Ganzen ableiten zu können. Vielmehr nimmt Kant hier – wie in der KpV (5:134–140) – eine Erweiterung des Ding-Begriffes vor. Seine Extension erstreckt sich auch auf die transzendentalen Gegenstände, die in der transzendentalen Dialektik der KrV einer kritischen Prüfung unterzogen werden (Seele (Unsterblichkeit), Freiheit, Welt, Gott usw.). Entsprechendes gilt für die »Begriffe«, unter die nicht nur die Kategorien des Verstandes, sondern auch die Vernunftideen zu subsumieren sind. Ausgehend also von dem so umschriebenen Philosophiebegriff, ist nach Kant eine Einteilung der Philosophie in einen theoretischen und einen praktischen Teil möglich und notwendig, und zwar – wie Kant betont – zu recht, und d. h. eben auf eine hinreichend geprüfte und begründete Weise. Aus welchen Gründen diese Ein-
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
teilung rechtmäßig und zugleich richtig sei, wird zunächst nicht ausgeführt. Die Vermutung liegt nahe, dass in der bisherigen Philosophie eine solche Begründung nicht oder nicht hinreichend geliefert worden sei; so daß also Kants Kritik an der Begründung der Einteilung in der traditionellen Metaphysik ein (wenn auch vielleicht eher äußerlicher) Anlaß für ihn war, die »Einteilung der Philosophie« am Anfang seiner Dritten Kritik zu thematisieren. Dass Kant hier an die überlieferte Philosophie anspielt, verraten die Worte »wie gewöhnlich«. Aber was war so gewöhnlich an dem Einteilungsschema der Philosophie vor Kant? Wird hier nicht ein zu abstraktes (einseitiges) Bild gezeichnet? Mindestens seit Aristoteles war die Teilung der Philosophie in theoretische und praktische bekannt. Doch unterschieden sich die einzelnen Epochen der Philosophie z. T. erheblich in der Auffassung darüber, was Inhalt der theoretischen bzw. praktischen Philosophie sei, wo die Grenze zwischen ihnen verlaufe und wie diese Einteilung zu begründen sei. Mit dem Zusatz »wie gewöhnlich« beruft sich Kant anscheinend auf die seiner Zeit übliche, im Anschluss an die Metaphysik Christian Wolffs gebrauchte Manier des Einteilens.9 Wenngleich Kant die überlieferte Einteilung der Philosophie in theoretische und praktische im Prinzip nicht beanstandet, so findet er sie in der bisher dargelegten Form doch nicht hinreichend begründet. Deshalb formuliert er als Folgerung die folgende Voraussetzung: »Aber alsdann müssen auch die Begriffe, welche den Prinzipien dieser Vernunfterkenntnis ihr Objekt anweisen, spezifisch verschieden sein, weil sie sonst zu keiner Einteilung berechtigen würden […]« (5:171.8–10). Entscheidend ist für Kant nicht das Faktum der konstatierten Zweiteilung der Philosophie, sondern die Frage ihrer Rechtmäßigkeit, die Frage also, was zu derselben eigentlich berechtige, oder m.a.W., worin diese begründet sei. Kants Antwort lautet: Es muß »spezifisch verschiedene« – d. h. je für sich bestimmte und voneinander eindeutig abgegrenzte – »Begriffe« geben, die den Vernunftprinzipien »ihr Objekt anweisen«10. Und zwar kann es sich genau auch nur um zwei Begriffe handeln, weil es auch nur zwei Teilgebiete der Philosophie gibt, denen jeweils einer der beiden Begriffe unter Ausschließung des anderen zugeordnet ist. Dass Kant überhaupt diese Frage nach der Berechtigung der Zweiteilung der Philosophie wieder aufwirft, legt die Vermutung nahe, dass die traditionelle Beantwortung aus seiner Sicht ungenügend ist und deshalb einer Überprüfung bedarf. Eine genaue Begriffsklärung könnte somit unter Umständen zu dem Ergebnis kommen, dass die
9 Vgl. Alexander Gottlieb Baumgarten, A. G. (1760), Initia philosophiae practicae primae acroamaticae, § 6, S. 3 (vgl. Kant, I., AA 19:10); vgl. Giordanetti, P.: Sachanmerkungen. In: Immanuel Kant. Kritik der Urteilskraft, hg. von H. F. Klemme (2006), 431 (Anm. zu 9,2). 10 Diese Formulierung lässt sich nicht wohl in Übereinstimmung bringen mit dem Verfahren der KpV, das Kant dort in der Einleitung erläutert. Diesem gemäß setzen nämlich die Begriffe der praktischen Vernunft die Grundsätze voraus. Es sind mithin eigentlich die Vernunftprinzipien, die in praktischer Hinsicht den Begriffen das Objekt ihrer Anwendung verschaffen (s. 5:16.20–26) (vgl. Euler, W. (2016), Verstand und Wille).
I. Abschnitt: Einteilung der Philosophie
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Grenze zwischen theoretischer und praktischer Philosophie neu gezogen werden müsste. Das »Objekt«, von dem Kant übrigens in diesem Zusammenhang (in dem oben stehenden Zitat, 5:171.9) spricht, ist hier der spezifische Erkenntnisgegenstand, mit dem es jede »Vernunfterkenntnis der Dinge« und damit jedes der beiden Teilgebiete der Philosophie zu tun hat. Die Anweisung besteht darin, dass Begriffe, Prinzipien und Objekte der Vernunfterkenntnis in ihrem Verhältnis zueinander zweifach bedingt sind: Die spezifische Verschiedenheit der Begriffe bedingt die Differenz der Prinzipien, und diese ist die Ermöglichungsbedingung für die Dualität von Gegenständen oder Gegenstandsklassen. Dies ergibt sich aus dem ersten Halbsatz des zweiten Absatzes im ersten Abschnitt der Einleitung. Die Anweisung, die die Begriffe geben sollen, bedeutet außerdem, dass es hier nur um die Frage der Zuordnung und Begründung, nicht zugleich schon um die Bestimmung von Objekten im Verhältnis zu verschiedenen Vernunftprinzipien geht. Das Bestimmtsein der Objekte wird vielmehr vorausgesetzt. Dies könnte für das Problem der »Einteilung der Philosophie« bedeuten, dass diese von Voraussetzungen Gebrauch macht, die nicht weiter begründet werden bzw. nicht weiter begründbar sind. Die begriffliche Differenz ist hier das entscheidende Kriterium für die Einteilung. Dabei kann es sich nicht um eine bloße (beziehungslose) Verschiedenheit handeln, sondern es ist eine bestimmte, begriffliche Unterscheidung vorauszusetzen. Dieser Bestimmtheit von Natur und Freiheit ist später noch genauer nachzugehen. Am Ende des ersten Absatzes der Einleitung wird eine nähere Bestimmung der Beschaffenheit der »Einteilung« vorgenommen, insofern sie »jederzeit eine Entgegensetzung der Prinzipien der zu den verschiedenen Teilen einer Wissenschaft gehörigen Vernunfterkenntnis voraussetzt.« (5:171.10–12) Generell soll die Einteilung ein Verhältnis von Teilen voraussetzen, das als »Entgegensetzung« aufzufassen ist. Diese Bezeichnung wird von Kant in EE I nicht verwendet. Der Gegensatz soll zwischen denjenigen Prinzipien bestehen, die einer je besonderen »Vernunfterkenntnis«, die sich auf unterschiedliche Objekte bezieht (die »Logik« also ausgenommen) und die je verschiedenen Teilen einer Wissenschaft einverleibt sind, vorangestellt werden. Mithin erstreckt sich die Zweiteilung bislang auf die Begriffe, die Prinzipien, die Objekte und Erkenntnisweisen der Philosophie. »Entgegengesetzt« kann nun bedeuten, dass sich die Glieder des Gegensatzes kontradiktorisch zueinander verhalten, d. h. einander widersprechen; demzufolge schließen die Vernunftprinzipien einander aus (so KpV, 5:94). Diese Auslegung ist durch den Gebrauch des Attributs »negativ« in Verbindung mit »Prinzip« im zweiten Absatz auch naheliegend. Das würde aber bedeuten, dass sie ohne Beziehung aufeinander wären. Es stellt sich dann aber die Frage, inwiefern sie dann überhaupt noch das Ganze ausmachen können, das Gegenstand der Einteilung sein soll? Ein drittes Prinzip, das etwa den Zusammenhang der einander ausschließenden Vernunftprinzipien begründen könnte, wird weder eingeführt noch angedeutet. Das
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
Ganze und seine Teile bleiben somit voneinander getrennt. Das Problem der Einteilung aber bleibt ungelöst. Die Frage, wie es möglich sein soll, die Philosophie als Eine zu begreifen, die sich in zwei verschiedene Teile gliedert, bleibt dann unbeantwortet, wenn die Einteilung bei der bloßen Dichotomie stehen bleibt und sich darin erschöpft. Die Philosophie, die eingeteilt werden soll und die als ein Ganzes vorausgesetzt wird, kann nicht als ein Ganzes begriffen werden, sondern zerfällt von vornherein in zwei heterogene, für sich bestehende Disziplinen. Das wäre aber dann nicht der Fall, wenn die Disjunktion bedingt ist, z. B. dadurch, dass es eine Teilsynthese von Momenten der Glieder des Gegensatzes gäbe. Denn wenn deutlich gemacht wird, dass es Kant nur auf das Differenzkriterium ankommt, dann sind sie nur verschieden, und die Frage ihrer Einheit (bzw. ihrer identischen Beziehung) wird zum Problem (s. dazu Ende des 2. Abs.). Zusatz: Erläuterung zur »Entgegensetzung« von Natur und Freiheit »Natur« und »Freiheit« scheinen bei Kant zunächst Begriffe mit heterogenen Inhalten zu sein, wenn man sich vor Augen führt, dass der erstere im Kontext der Kritik der reinen Vernunft die Klasse der reinen Verstandesbegriff oder Kategorien bezeichnet, die in der »Kategorientafel« in geordneter Form aufgestellt werden. Ihre Aufgabe ist es, im Sinne der transzendentalen Logik reine Verstandeserkenntnis bzw. die Möglichkeit von Erfahrung in synthetischen Urteilen a priori zu begründen und zu bestimmen.11 Die reinen Verstandesbegriffe sind insofern Titel für besondere Aspekte der Erkenntnis der Natur und verschiedene Modifikationen bzw. Ausformungen (Bestimmungen) ein und derselben Natur. Deswegen kann Kant in der KU von »Naturbegriffen« (im Plural) sprechen. In der transzendentalen Dialektik der KrV wird jedoch gezeigt, dass die reinen Verstandesbegriffe als Begriffe der kausal verfassten Natur notwendig auf den Begriff transzendentaler Freiheit (als einer anderen Kausalitätsform der Natur) führt, so dass insofern also Natur und Freiheit zwar heteronom sind aber einander nicht absolut ausschließen. Als regulative Idee hat die transzendentale Freiheit allerdings keine konstitutive Funktion im Rahmen der Naturerfahrung. Demgegenüber ist der Freiheitsbegriff in seiner positiven Bedeutung ursprünglich ganz unabhängig von den »Naturbegriffen«, denn er ist kein reiner Verstandesbegriff, deshalb ebensowenig konstitutiv für Erfahrung wie in negativer Bedeutung. »Freiheit« ist ein Begriff der reinen (praktischen) Vernunft, der von dieser erzeugt, die Maximen menschlichen Handelns bestimmen soll und nur insofern konstitutiv sein kann. Da jedoch der Tätigkeitsbereich menschlichen Handelns kein anderer sein kann als der Gesamtkontext der Natur (in materialer und formaler Bedeutung), ist auch der Freiheitsbegriff, sofern er das menschliche Handeln bestimmt, notwendig auf die Naturbegriffe bezogen, allerdings nicht in dem Sinne, dass deren Bedeutungen 11
KrV, B 87 / A 62; Prolegomena, § 21; vgl. Wolff, M. (1995), Die Vollständigkeit, 29–31.
I. Abschnitt: Einteilung der Philosophie
375
seine Bestimmung einschränken und relativieren. Vielmehr ist es umgekehrt: der Freiheitsbegriff schafft sich gewissermaßen eine zweite Natur, die (objektiv betrachtet) keine andere Natur sein kann als die der Verstandeswelt, die aber mittels des Prinzips der Kausalität aus Freiheit, anderen Gesetzen unterworfen wird.12 Insbesondere ist dieser Begriff von Natur nicht an die Einschränkung von Raum und Zeit gebunden. Diese »übersinnliche« Natur bleibt in der Hinsicht notwendig an die sinnliche Natur gebunden als der Freiheitsbegriff nur mittels der reinen Verstandesbegriffe verwirklicht werden kann, die letzteren aber nichts anderes sind als »Begriffe von Anschauungen überhaupt«13. Insofern kann man die Natur im weitesten Sinne, als Natur überhaupt, als einzigen legitimen Gegenstand der Philosophie betrachten. In dieser abstrakten Bestimmung von »Natur« findet auch der Begriff der »Freiheit« Platz, ohne den Naturbegriff als Konsequenz einer Kontradiktion zu zerstören. Er nimmt als Vernunftidee die Form einer »Kategorie«, d. h. speziell der Kausalitätskategorie, an, so dass sich seine weiteren Unterscheidungsmomente unter den Obertiteln von Quantität, Qualität, Relation und Modalität als »Kategorien der Freiheit« klassifizieren.14 Der Gegenstand der Philosophie kann somit nicht jeder beliebige Gegenstand sein, sondern nur ein Gegenstand des Erkennens. Dieser ist ein Gegenstand überhaupt als Gegenstand von Erkenntnis schlechthin. Durch eine einfache Analyse erhält man die vollständige Disjunktion in Natur als äußeren Gegenstand und Freiheit als inneren Gegenstand oder Gegenstand der Selbsterkenntnis.15 Diese Gegenstandsbestimmungen schließen einander aus, sofern sie bloß auf theoretische Erkenntnis bezogen und beschränkt sind. Als metaphysische Gegenstände der Realphilosophie setzen sie die Auflösung der Vernunftautonomie zwischen Naturgesetzlichkeit und Kausalität aus Freiheit in der KrV voraus.16 Ihre Beziehung ist insofern nicht eine rein logische Entgegensetzung, sondern (auch) eine dialektische Opposition. Die weiteren Reflexionen in der KU zum Verhältnis von Natur und Freiheit sind wesentlich komplizierter als die vorausgehende einfache Dichotomie derselben als Gegenstände und als Begriffe. Zum Beispiel zeigt sich das Verhältnis von Natur und Freiheit in der Fussnote zu E IX nicht als logische Entgegensetzung, sondern als reale Opposition. Wie tritt das Verhältnis von Natur und Freiheit in der KU in Erscheinung? Es wird gezeigt, dass sowohl die ästhetische als auch die teleologische reflektierende Urteilskraft, d. h. sowohl die, die von der Anschauungsform ausgeht als auch die, die die Form der Vernunftidee zur Grundlage hat, mit Notwendigkeit zur moralischpraktischen Freiheit führt, ohne jeweils diesen Begriff zu bestimmen.
12 13 14 15 16
Vgl. KpV, Von der Typik der reinen praktischen Vernunft, 5:67 ff. Prol. § 21 (4:303.8–9). KpV, 5:66. Zum Begriffspaar »Natur und Freiheit« in der KU vgl. 5:479.19. S. dazu Wolff, M. (2013), Freiheit und Determinismus.
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
Zweiter Absatz: Rechtfertigung der Einteilung in Natur- und Moralphilosophie. Problemexposition in Bezug auf das Praktische Erst der zweite Absatz schließt die Argumentation zugunsten der richtigen Einteilung der Philosophie (»ganz recht«, »mit Recht eingeteilt«) ab. Die Art der Entgegensetzung enthält das bisher vermisste Argument. »Es sind aber nur zweierlei Begriffe, welche ebenso viel verschiedene Prinzipien der Möglichkeit ihrer Gegenstände zulassen: nämlich die Naturbegriffe und der Freiheitsbegriff.« (K 8; 5:171.13–15) Nachdem im ersten Absatz die »Begriffe« die Funktion als Grund der Einteilung erhalten haben, werden diese nun quantitativ und qualitativ determiniert. Es sind genau zwei Klassen von Begriffen, und diese werden ihrem Inhalt nach auch benannt: Natur und Freiheit. In Bezug auf die Natur spricht Kant von einer Pluralität von Begriffen, während die Freiheit nur eine ist. Wie kommt er zu dieser Festlegung? Weder wird diese Einteilung aus einem gemeinsamen Dritten entwickelt, noch folgt der eine aus dem anderen. Nebeneinandergestellt erscheinen sie als gegeben bzw. aus nicht näher genannten Kontexten aufgenommen. Für Kant folgt diese Annahme jedoch – wie die Analyse des ersten Absatzes nahelegt – zwingend aus der Einteilung in theoretische und praktische Philosophie. Die Zweiteilung der Begriffe wird nun aber im zweiten Absatz umgekehrt dafür geltend gemacht, dass eine Zweiteilung der Prinzipien (und im weiteren Verlauf auch der Erkenntnisart), die die Gegenstände ermöglichen, die jeweils den beiden Klassen von Begriffen zugeordnet sind, möglich (zulässig) ist. Ein solcher Ableitungsversuch entgeht allem Anschein nach nicht dem Verdacht, zirkulär (tautologisch) zu sein. Der Zirkel in der Begründung ist aber zu vermeiden. Dazu muss man sich nur vor Augen führen, was in Abs. 1 eigentlich genau aus der Einteilung in theoretische und praktische Philosophie folgt. Es folgt nämlich nur die Forderung, dass diejenigen Begriffe, mit deren Hilfe sich eine solche Einteilung rechtfertigen lässt, »spezifisch verschieden« sein müssen. Aber es folgt daraus noch nicht, wie viele und welche Begriffe das sein müssen. Außerdem braucht man sich bloß daran zu erinnern, dass Kant, wie gezeigt, in der KrV den Grund der Einteilung der Philosophie in den Zweck der ganzen Bestimmung des Menschen gesetzt hat; wenn nun die ganze Bestimmung sich darin erschöpft, dass das Wesen des Menschen zweigeteilt ist in eine naturabhängige und eine naturunabhängige (übernatürliche) Tätigkeit,17 so kann es im wesentlichen auch bloß zwei Begriffe geben, die sein Wesen bestimmen, nämlich Natur Die Doppelnatur des Menschen als natürliches oder körperliches und als freiheitliches oder geistiges Wesen, die Kant an vielen Stellen seiner kritischen Schriften hervorhebt, bedeutet nicht, dass das menschliche Wesen in zwei selbständige Hälften auseinanderfällt. Der Mensch ist nicht eine aus zwei Substanzen zusammengesetzte Einheit, sondern ursprünglich ein in sich differentes Ganzes. Diese Erkenntnis beruht einerseits auf dem von Kant in den Paralogismen der KrV erbrachten Nachweis, dass die Seele nicht Substanz sein kann; anderer17
I. Abschnitt: Einteilung der Philosophie
377
und Freiheit. Natur und Freiheit ist das Begriffspaar, auf dessen Unterscheidung die Einteilung der Philosophie beruht. Aber deswegen sind die näheren Bestimmungen der beiden Teile der Philosophie nicht aus jenen Begriffen deduzierbar. Dass nun, wie es im zweiten Absatz von E I weiter heißt, »Prinzipien« (als Prinzipien a priori) Gegenstände nur möglich machen, soll heißen: vorausgesetzt, es gibt solche Gegenstände, dann sind sie (a priori) nur erkennbar, wenn die Erkenntnis zumindest formal nach Maßgabe solcher Prinzipien gesetzmäßig strukturiert ist. Bezüglich der Zulässigkeit der Prinzipien aber ergibt sich aus dem Vorhandensein der beiden Gattungsbegriffe (Natur und Freiheit), daß es genau (nicht mehr und nicht weniger als) zwei Grundsätze geben kann, nämlich »eben so viel verschiedene« wie »nur zweierlei Begriffe« (5:171.13–15). Die Möglichkeit, dass es weniger (oder mehr) sein könnten, besteht aufgrund der Argumentation im ersten Absatz nicht. Denn die »Entgegensetzung«, die das Verhältnis der Prinzipien der Vernunfterkenntnis auszeichnet, setzt Verschiedenheit als Dualität voraus. Das schließt wiederum nicht aus, dass die beiden angesprochenen Prinzipien auf ein einziges, gemeinsames Prinzip zurückgeführt werden könnten. Kant verläßt sogleich wieder den im ersten Absatz bereiteten Boden der Selbsteinteilung der Philosophie als eines (systematischen) Ganzen, wie die Satzgrafik auf der folgenden Seite veranschaulicht (5:171.15–24):
Der Rechtsgrund der Einteilung der Philosophie in theoretische und praktische, die im ersten Absatz als fertig vorgefundenes Ergebnis gebilligt wurde, liegt nicht allein in der Unterscheidung der Begriffe der Natur von dem der Freiheit, sondern hat auch noch die Differenz der Aspekte des Freiheitsbegriffs selbst in einen negativen und einen positiven zu berücksichtigen. Infolgedessen werden die Begriffe von Natur einerseits und von Freiheit andererseits negatorisch so einander entgegengesetzt, dass sie nur jeweils für sich und innerhalb ihres jeweiligen Geltungsbereiches positiv bestimmt werden können. In ihrem unmittelbaren, bloß theoretischen Verhältnis zueinander schließen sie sich sowohl ihrer inhaltlichen Bedeutung nach als auch hinsichtlich ihrer Begründungsfunktion gegenseitig aus, indem beide zugleich auf die theoretische (bzw. auch auf die praktische) Erkenntnis bezogen werden. Die Naturbegriffe (das sind die Kategorien des Verstandes) sind objektive Bestimmungen der Natur überhaupt und zugleich notwendige Bedingungen der theoretischen Erkenntnis (bzw. nach dem Sprachgebrauch der KrV: Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung und der Gegenstände der Erfahrung sowie Ermöglichungsbedingung synthetischer Urteile a priori). Die Kategorien sind Begriffe der Natur insofern, als sie der Natur »als dem Inbegriffe aller Erscheinungen« »Gesetze a priori vorschreiben«. Sie entstammen also nicht der Natur an sich, sondern dem erkennenden Subjekt (Anm. zu § 26 der Transzendentalen Deduktion, B 163). Prinseits auf der grundlegenden Einsicht, dass natürliche Dinge (physikalische Körper, Materie) keine Gegenstände an sich sind, sondern bloß Erscheinungen.
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
zipien sind die in den Begriffen enthaltenen Gesetzesvorschriften in Bezug auf Erscheinungen. Deshalb gibt es ebenso viele Prinzipien wie Begriffe (vgl. KrV, B 200 / A 161). Die Prinzipien a priori, »nach« denen theoretische Erkenntnis möglich ist ([1]), sind im Wesentlichen die im System »aller Grundsätze des reinen Verstandes« im zweiten Buch der transzendentalen Analytik enthaltenen Sätze (KrV, B 187 / A 148–B 287 / A 235, B 288–294). [1] Da nun die ersteren ein theoretisches Erkenntnis nach Prinzipien a priori möglich machen, [2] der zweite aber [2.1] in Ansehung derselben nur ein negatives Prinzip
}
}
[2.1a] (der bloßen Entgegensetzung) [2.1b] schon in seinem Begriffe [2.1.1] bei sich führt, [2.2] dagegen für die Willensbestimmung erweiternde Grundsätze, [2.2a] welche darum praktisch heißen, [2.2.1] errichtet: [3] so wird die Philosophie in zwei den Prinzipien nach ganz verschiedene Teile, [3.1] in die theoretische als Naturphilosophie [3.2] und die praktische als Moralphilosophie [3.2a] (denn so wird die praktische Gesetzgebung der Vernunft nach dem Freiheitsbegriffe genannt),
} [4] mit Recht eingeteilt.
Satzgrafik Nr. 14
Der Freiheitsbegriff ist prima vista keine solche Bedingung wie sie die Kategorien des Verstandes mit sich bringen und kann es auch nicht sein. Denn er gehört auf der Grundlage der KrV nicht zum System der Begriffe, die Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung und damit konstitutiv für die Bestimmung von Objekten der Natur sind, d. h. die sich dazu eignen, auf ein Mannigfaltiges der sinnlichen Anschauung a priori bezogen zu werden, deshalb objektiv gültig und schematisierbar sind. Die Idee der Freiheit hat als Begriff transzendentaler Freiheit in der Bedeutung als »absolute Spontaneität der Ursachen, eine Reihe von Erscheinungen,
I. Abschnitt: Einteilung der Philosophie
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die nach Naturgesetzen läuft, von selbst anzufangen« (KrV, B 474 / A 446)) – wie alle übrigen Ideen – im Hinblick auf Erfahrung keine konstitutive, sondern nur eine regulative Funktion.18 Ihr korrespondiert kein Gegenstand, der durch sinnliche Anschauung gegeben werden könnte. Sein inhaltliches Korrelat ist übersinnlich. Deshalb gibt der Freiheitsbegriff, bezogen auf theoretische Erkenntnis (»in Ansehung derselben« ([2.1]), ein Prinzip, das die Möglichkeit von Erfahrung bzw. Gegenständen der Erfahrung (Erscheinungen) verneint und der theoretischen Erkenntnis damit abstrakt gegenübersteht. Bloße Entgegensetzung bedeutet dann nur, dass die Freiheitsidee Prinzipien liefert, die keine theoretische Erkenntnis möglich machen. Dass nun der Freiheitsbegriff in Hinsicht auf theoretische Erkenntnis »nur ein negatives Prinzip« ([2.1]) »schon in seinem Begriffe« ([2.1b]) enthält, bedeutet, dass Freiheit diesem Verständnis nach keine Bestimmung der Natur abgibt und abgeben kann, sofern unter »Natur« der Inbegriff der Erscheinungen als bestimmt durch das Gesetz kausaler Notwendigkeit verstanden wird, Freiheit aber Naturdeterminismus ausschließt.19 Hier ist allerdings bereits auf ein inhaltliches Problem hinzuweisen, welches im Kommentar an späterer Stelle noch relevant wird und einer besonderen Untersuchung bedarf. Ich meine das Problem der impliziten Annahme einer zweiten Art von Kausalität, d. i. einer Kausalität aus Freiheit, in den »Analogien der Erfahrung«, aufgrund deren in der KU ein »Fortgang« von der allgemeinen zu einer besonderen Analogie der Erfahrung verlangt wird (E V, 5. Abs.). Für die Naturbegriffe muss aber aus dem Blickwinkel des Gebietes des Praktischen entsprechend das Gleiche gelten, obwohl dies Kant an der hier in E I kommentierten Stelle nicht ausdrücklich sagt. M.a.W., durch Naturbegriffe lässt sich keine praktische Erkenntnis und Verbindlichkeit begründen; dies vermag allein die allgemeine gesetzgebende Form des freien Willens. In diesem Sinne bezeichnet Kant in der KpV die Unabhängigkeit des Willens von jedem Objekt der Begierde (als der »Materie des Gesetzes«) als Freiheit »im negativen«, die Selbstgesetzgebung der praktischen Vernunft dagegen als Freiheit »im positiven Verstande« (KpV, § 8, 5:33; vgl. KrV, B. 561f. / A 533f.). Dieser in der KpV angezeigte negative Aspekt der Freiheit ist jedoch nicht gemeint, wenn es oben in dem Zitat aus E I, zweiter Absatz, heißt, der Freiheitsbegriff enthalte diese negative Bestimmung »schon in seinem Begriffe« ([2.1b]). Was ist aber dann der Inhalt des Freiheitsbegriffs, der zu dieser Behauptung berechtigt? Diese Frage kann auf der Grundlage der oben analysierten Freiheitsantinomie in der KrV (bzw. KU) beantwortet werden. In der dritten »Antinomie der reinen Vernunft« der KrV führte der Beweis zur Antithesis (KrV, B 473 ff. / A 445 ff.) zu dem Ergebnis, dass »die transzendentale Freiheit« (als eine »Art« von Kausalität, nach vgl. KrV, B XXVII–XXIX, B XXXIIf., B 447 / A 419; B 473–479 / A 445–451; B 560–586 / A 532–558; MS, Einleitung IV, 1. Abs., (6:221.7–13). 19 Vgl. dazu auch MS, Einleitung IV., 1. Abs. (6:221.7–18). Vgl. Wolff, M. (2013), Freiheit und Determinismus. 18
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
der eine Reihe von Begebenheiten in der Welt spontan (durch ein selbsttätiges Vermögen) angefangen wird, »dem Kausalgesetze entgegen« steht. Strenggenommen ist nämlich die Spontanursache als Zustand, dem kein Kausalzusammenhang als Bedingung vorausgeht und der andererseits eine Kausalreihe überhaupt erst initiiert, keine Kausalität nach dem Verständnis von kausaler Naturnotwendigkeit. Sie gehört insofern nicht in den Kontext der Erfahrung (KrV, B 474 f. / A 446 f.). Ist sie somit auf der einen Seite unabhängig von der Natur, so ist sie auf der anderen Seite aber auch in dieser Hinsicht regellos. Natur und transzendentale Freiheit sind so einander entgegengesetzt, dass sie sich »wie Gesetzmäßigkeit und Gesetzlosigkeit« voneinander unterscheiden (KrV, B 475 / A 447). Trotzdem wird der Begriff der Freiheit im Zusammenhang mit Kausalität als möglich (wenngleich problematisch) und notwendig vorgestellt, dessen »objektive Realität« durch theoretische Erkenntnis nicht erwiesen werden kann (vgl. KpV, 5:42.32–43.3). Diese Realität durch ein Gesetz der praktischen Vernunft zu »beweisen«, war die Aufgabe der KpV.20 Die positive Funktion des Freiheitsbegriffs liegt aber darin, praktische Grundsätze aufzustellen, die die Bestimmung des Willens erweitern ([2.2]).21 (vgl. MS, Einleitung IV, 6:221). Er muss also praktische Sätze, die synthetische Urteile a priori sein müssen, um den Willen (d. h. eigentlich die freie Willkür)22 hinreichend bestimmen zu können, auch a priori begründen können. Der Ausdruck »für die Willensbestimmung« ([2.2]) – und nicht für die Verstandesbestimmung! – bedeutet: die Grundsätze (insbesondere das Gesetz der Kausalität) sind bestimmend nur in Bezug auf Gegenstände, sofern sie Objekte des Willens (von ihm hervorgebracht) sind.23 Bei den praktischen Grundsätzen handelt es sich nämlich erklärtermaßen (nach KpV, § 1, 5:19; s. auch 5:105) um Sätze, die eine »allgemeine Bestimmung des Willens« bereits enthalten (»Maximen« oder »praktische Gesetze«). Sie machen die »praktische[] Erkenntniß« als eine Erkenntnis, die es »bloß mit Bestimmungsgründen des Willens zu thun hat«, aus (KpV, 5:20). Und solche Bestimmungsgründe bestehen in der Form von Gesetzen der Vernunft, die naturunabhängig, insbesondere unabhängig vom Kausalgesetz der Natur sind (KpV, § 5; 5:28.34–29.1) und die bereits in den Maximen enthalten sind (KpV, 5:29.7–9, 20–22). (Aber der Wille ist inVgl. KpV, Vorrede, 2. bis 3. Abs. (5:3). Vgl. insbesondere MS, Einleitung IV, 1. Abs. (6:221.13–18), wo Kant denselben Beweis behauptet. 21 Diese Redeweise deutet auf einen komplexen Problemzusammenhang in der KpV hin, in dem zu ergründen ist, unter welchen Bedingungen praktische Erkenntnis nach Kategorien der Freiheit möglich ist. Das kann an dieser Stelle nicht ausführlich aufgearbeitet werden. Vgl. KpV, I. Teil, 1. Buch, 1. Hauptstück, II. (5:50.18–31; 5:54.3–57.12); vgl. die einschlägigen Kommentare von Zimmermann, St. (2011), Kants Kategorien der Freiheit; Puls, H. (2013), Funktionen der Freiheit; vgl. Ameriks, K. (2002), Pure Reason of Itself Alone Suffices to Determine the Will, 110–113. 22 Vgl. dazu MS, Einleitung IV., 6:226.4–11. 23 Zur Erkenntniserweiterung über den Gegenstandsbegriff hinaus zur Bildung synthetischer Urteile sowie über beide Arten der Erkenntniserweiterung (durch den reinen Verstand und die reine Vernunft) vgl. KrV, B 792–794 / A 764–766. 20
I. Abschnitt: Einteilung der Philosophie
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sofern »freier Wille«, als er genau dieser Wille in diesem transzendentalen Verstand ist: 5:29.3–9, d. h. wir haben es hier noch mit der transzendentalen Freiheit zu tun, die Voraussetzung der Willensbestimmung ist). Es ist einzig die gesetzgebende Form der praktischen Grundsätze, nicht die empirisch bedingte Materie des Gesetzes, die Bestimmungsgrund des Willens sein kann (KpV, § 6, 5:29.14–22). Nicht von der Freiheit, sondern vom moralischen Gesetz (Sittengesetz) geht die Erkenntnis des »unbedingt Praktischen« aus, indem wir uns jenes Gesetzes im Entwurf unserer Willensmaximen »unmittelbar bewußt werden« (5:29.28–35), und dieses Bewußtsein führt mittelbar auf den Begriff der Freiheit (5:29.35–30.3). Im Begriff des moralischen Gesetzes liegt insofern die Möglichkeit einer Erkenntniserweiterung über die Naturerfahrung hinaus. Wir können jedoch an dieser Stelle Kants Begründung in der Anmerkung zu § 6 der KpV nicht genauer verfolgen (5:29.25–30.3). Eine solcher Art intendierte Erweiterung der Erkenntnis wird sich in drei verschiedene Richtungen erstrecken, die im Folgenden kurz angedeutet werden sollen: Erstens: Der Wille wird »durch die bloße Form des praktischen Gesetzes als bestimmt gedacht«, das als »Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft« ausgewiesen ist (KpV, § 7) und das ein »synthetischer Satz a priori« ist (5:31.27).24 Dieser Bestimmungsgrund ist nun in der »objective[n] Form eines Gesetzes überhaupt« zugleich – und zwar unmittelbar (5:31.8,10) – der Bestimmungsgrund der subjektiven Form der Grundsätze als Maximen des freien Willens (KpV, § 7, Anm., 5:31.17–23).25 Das moralische Gesetz als »Grundgesetz einer übersinnlichen Natur und einer reinen Verstandeswelt« (5:43.24 f.) folgt schließlich aus der »Deduktion der Grundsätze der reinen praktischen Vernunft« (5:42–50), die mit einer Bewußtseinserweiterung verbunden ist. Indem nämlich die reine Vernunft den Willen durch das »Factum« der Autonomie im Grundsatz der Sittlichkeit, welches erwiesenermaßen mit dem »Bewußtsein der Freiheit des Willens« gleichbedeutend ist, bestimmt, so wird sich das Vernunftwesen dabei zugleich bewusst, dass es im Praktischen »als Wesen an sich selbst« ein »in einer intelligibelen Ordnung der Dinge bestimmbare[s] Dasein[]« hat (5:42.4–15). Damit ist nun die Eröffnung einer zweiten Natur verbunden, nämlich einer »übersinnlichen Natur« (5:43.12) oder »Verstandeswelt«, in der die praktischen Grundsätze der Freiheit (des freien Willens) objektbestimmend sind. Diese »übersinnliche Natur« ist »nichts anderes als eine Natur unter der Autonomie der reinen praktischen Vernunft« (5:43.21–22). Sie ersetzt aber nicht einfach die sinnliche Natur, sondern ist deren Überformung, nämlich die sinnliche Natur, der durch das moralische Gesetz »die Form einer Verstandeswelt« verliehen wird (5:43.10–13). Das moralische Gesetz wirkt damit als »Grundgesetz Dass dieses universale Gesetz der praktischen Vernunft nicht identisch ist und nicht verwechselt werden darf mit dem kategorischen Imperativ (obwohl seine Formulierung auf eine solche Entsprechung hindeutet), hat M. Wolff mit überzeugenden Gründen nachgewiesen (vgl. Wolff, M. (2009), Warum das Faktum der Vernunft ein Faktum ist. S. dazu insbesondere die »Anmerkung« zur »Folgerung« in § 7 der KpV (5:32). 25 Weiter kann ich diesen Sachverhalt hier nicht verfolgen. S. dazu KpV, § 8, 5:33–39. 24
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
einer übersinnlichen Natur und einer reinen Verstandeswelt« (5:43.23–25). Als Gesetz der Kausalität durch Freiheit ist es Bedingung der Möglichkeit einer übersinnlichen Natur (5:47). Hierin besteht also die Erweiterung der Naturerfahrung durch die praktische Vernunft und den Freiheitsbegriff. Dass dieses Gesetz und damit auch die durch es gewonnene Erkenntnis objektive Realität hat, wird in der KpV in dem Abschnitt über die »Deduktion« gezeigt (5:47). Dort wird nun aber zugleich erklärt, dass die objektive Realität des moralischen Gesetzes, insofern dieses »gleichsam als ein Factum der reinen Vernunft, dessen wir uns a priori bewußt sind und welches apodiktisch gewiß ist« (5:47.12–13), durch keine Deduktion der theoretischen Vernunft bewiesen werden könne und auch »keiner rechtfertigenden Gründe« bedürfe (5:47.28).26 Paradoxerweise wird sogar das moralische Gesetz umgekehrt zum Prinzip der Deduktion des Freiheitsvermögens erhoben, insofern es als »Gesetz der Kausalität durch Freiheit« gelesen werden muss (5:47.30–31). In der Bedeutung als Kausalgesetz wird das moralische Gesetz somit zum Grund der Möglichkeit der Erweiterung der Natur zum Übersinnlichen (s. weiter unten: »Drittens«). Zweitens: Das moralische Gesetz ist mit dem Kausalgesetz in der Weise verbunden, dass es den Bestimmungsgrund dieser Kausalität jenseits der Bedingungen der Sinnlichkeit ausmacht, so dass die Kausalität des Willens nicht bloß »gedacht« wird, sondern durch das Gesetz »bestimmt« wird, wobei die menschliche Erkenntnis über die Grenzen der Sinnlichkeit hinaus »erweitert« wird. Es ist nun die Frage, wie der praktische Gebrauch der reinen Vernunft mit dem theoretischen vereint werden kann (5:50.18–31). Dabei spielt es eine Rolle, wie sich die Kategorie der Freiheit auf Dinge jenseits der Erfahrung anwenden lässt und ob dabei entgegen oder im Einklang mit der Deduktion in der KrV objektive Realität herauskommt. Sofern die Bedingung der Anschauung in diesem Falle fehlt, ist die theoretische Erkenntnis eines (noumenalen) Gegenstandes unmöglich. Da aber die Kausalitätskategorie im reinen Verstand ihren »Sitz« hat, kann sie auf »Objecte überhaupt« bezogen werden. Sie muss jedoch insofern notwendig auf »Dinge an sich selbst« (Noumena) bezogen werden, als dies von einer praktischen Aufgabe erwartet wird (5:54.3). Die Erkenntniserweiterung mittels der Kausalitätskategorie wird dadurch möglich, dass der Verstand nicht nur eine Beziehung zu Gegenständen der theoretischen Erkenntnis unterhält, sondern auch eine solche zum Willen als Teil des Begehrungsvermögens. Der Wille ist insofern »rein«, als der »reine Verstand«, »der in solchem Falle Vernunft heißt«, »durch die bloße Vorstellung eines Gesetzes praktisch ist« (5:55.14 f.). Die »objective Realität« des reinen Willens (d. h. der reinen praktischen Vernunft) ist, so behauptet Kant, im moralischen Gesetze a priori gleichsam durch ein Factum gegeben« (5:55.16–17). Das Faktum besteht hier darin, dass der Wille »unvermeidlich« durch das moralische Gesetz bestimmt wird. So hat »der Begriff einer Causalität mit Freiheit«, der im Begriff des reinen Willens »schon enthalten« ist, im »reinen praktischen Gesetz a priori seine objective Realität« (5:55.19–26). Das praktische Gesetz vertritt damit die reine Anschauung, die 26
Vgl. dazu Wolff, M. (2009), Das Faktum der Vernunft.
I. Abschnitt: Einteilung der Philosophie
383
im Falle der theoretischen Vernunft die Bedingung der objektiven Realität der Kategorien in ihrer Anwendung ist. Nun wird weiterhin behauptet, der Begriff einer »causa noumenon« (als ein mit freiem Willen begabtes Wesen) sei dadurch frei von Selbstwiderspruch, dass der vom reinen Verstand ausgehende Begriff einer Ursache in Hinsicht auf »Gegenstände überhaupt« in seiner »objective[n] Realität« »durch die Deduction« gesichert sei (5:55.26–31). Er sei folglich »für sich auf Phänomene nicht eingeschränkt« und könne »auf Dinge als reine Verstandeswesen allerdings angewandt werden« (5:55.32–35).27 Doch Kant bemerkt ausdrücklich auch, dass es ihm dabei nicht um die theoretische Erkenntnis eines Wesens mit freiem Willen gehe, sondern lediglich darum, »den Begriff der Causalität mit dem der Freiheit« und mit dessen Bestimmungsgrund, dem moralischen Gesetz, zu verbinden (5:56.1–6). Dieser Begriff der Kausalität sei zwar theoretisch »leer«, aber dennoch möglich und beziehe sich auf ein unbestimmtes Objekt. Durch das moralische Gesetz werde diesem Begriff in praktischer Hinsicht Bedeutung gegeben. Er hat damit »wirkliche Anwendung, die sich in concreto in Gesinnungen oder Maximen darstellen läßt« (5:56.18–26). Darin liegt seine »praktische Realität«. Wegen dieser »objective[n] Realität eines reinen Verstandesbegriffs im Felde des Übersinnlichen«, d. h. der Freiheitskausalität, haben auch alle anderen Kategorien, so behauptet Kant, unter der Bedingung, dass sie in notwendiger Verbindung mit dem moralischen Gesetz als dem Bestimmungsgrund des reinen Willen stehen, objektive Realität (5:56.28–35). Die auf solche Weise bestimmten Kategorien beziehen sich immer auf Wesen »als Intelligenzen«, und zwar auf sie in Hinsicht auf das Verhältnis der Vernunft zum Willen (5:56.35–57.1). Die Erweiterung der Erkenntnis, um die es dabei geht, betrifft also immer nur das Praktische. Die Erkenntniserweiterung bezieht sich auf einen übersinnlichen Gegenstand (Freiheit des Willens) und kann daher nur praktisch sein.28 Drittens: Insbesondere geht es bei der in der oben zitierten Passage behaupteten Erweiterung durch praktische Grundsätze ([2.2]), die durch den Freiheitsbegriff gegeben werden, um die Erweiterung der Kausalitätskategorie von Naturkausalität zu Kausalität aus Freiheit – das ist nämlich genau der Grund aller praktischen Erweiterung, der mit Hilfe der Kategorien des Verstandes vollzogen wird.29 Auf dieser neuen Grundlage hat man dann die Kategorien neu zu lesen. Voraussetzung dafür
Die Beziehung der Kategorien in der »Deduktion« auf Gegenstände überhaupt wird durch die §§ 22 und 23 der sog. B-Deduktion der KrV nicht gedeckt (man beachte vor allem auch die zurückhaltenden Bemerkungen in der Fn. zu § 27, B 166), die der Behauptung Kants an den oben referierten Stellen in KpV sogar widersprechen. Anders jedoch in der A-Deduktion. Dort werden die Kategorien ausdrücklich als Grundbegriffe bezeichnet, »Objekte überhaupt zu den Erscheinungen zu denken«, wodurch sie dann »a priori objektive Gültigkeit« haben (A 111). 28 Zur Beziehung der Kategorien auf übersinnliche Gegenstände s. auch die »Tafel der Kategorien der Freiheit«, 5:66. 29 S. 5:103.21 ff., 104; s. dazu auch 5:47.15–37. 27
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
ist jedoch die Auflösung der Freiheitsantinomie in der KrV (s. KpV, 5:104: es kam nur darauf an, »daß dieses Können in ein Sein verwandelt würde«). Die Willensbestimmung im weitesten Sinne genommen, erstreckt sich die veranschlagte »Erweiterung« auf praktische Grundsätze, die sich bis in die späteren Rechtsgrundsätze und die Grundsätze der Tugendlehre erstrecken. Im Begriff des Willens ist aber nun laut Kant »der Begriff der Causalität schon enthalten, mithin in dem eines reinen Willens der Begriff einer Causalität mit Freiheit […]« (KpV, 5:55). Praktisch müssen die Grundsätze nach Kant hier deshalb heißen ([2.2a]), weil sie mit der Bestimmung des Willens verbunden werden (im dritten Absatz von E I erläutert Kant, dass alles, was unter der Bedingung eines Willens als möglich oder notwendig vorgestellt wird, praktisch möglich bzw. notwendig heißt (5:172.6–7)).30 Die Verschiedenheit der Teile der Philosophie wird nun ([3] bis [4]) zurückgeführt auf die beiden genannten, entgegengesetzten philosophischen Grundbegriffe, die es schon gibt. Es wird jedoch von Kant nicht dargelegt und anscheinend auch nicht vorausgesetzt, dass und wie diese Begriffe aufeinander bezogen sind, so dass sie »die« Philosophie als ein Ganzes vollständig determinieren (s. o.). Die Philosophie erscheint somit bereits vor der geforderten und durch sie vermeintlich vollzogenen Einteilung als eingeteilt, und es ist aus der kantischen Argumentation nicht herauszulesen, wie die Teile aus dem Ganzen so deduziert werden könnten, dass sie trotz ihrer Entgegensetzung beide auch positiv bestimmt und notwendig gültig sind. Dass die Einteilung der Philosophie der gegebenen Verschiedenheit ihrer Begriffe entspricht, ist der ganze Grund dafür, Naturphilosophie und Moralphilosophie als zwei »ganz verschiedene Teile« derselben zu betrachten ([3.1], [3.2]). Es ist somit hier nicht die Philosophie selbst (wie die Interpretation der Überschrift des ersten Abschnittes der Einleitung nahelegte), die sich einteilt, sondern die Einteilung wird im ersten Absatz aus der traditionellen Philosophie aufgenommen, so wie sie der eine oder andere Denker entworfen hat, und dann im zweiten Absatz für rechtmäßig31 befunden. Das bedeutet aber: die Einteilung wird eigentlich (zumindest hier im ersten Absatz von E I) gar nicht begründet, sondern nur noch als bereits vorhandene durch Kants eigene Prinzipien der Vernunft gerechtfertigt. Dass die Philosophie ein Ganzes ist, kann unter dieser Voraussetzung offenbar nur dadurch erwiesen werden, dass sich ihre beiden voneinander getrennten Teile zu einer Einheit zusammenfügen lassen, indem sie einander ergänzen. An anderer Stelle (im Kommentar zu EE I) habe ich jedoch gezeigt, dass die Disjunk-
Es müsste noch dasjenige ergänzt werden, das Kant hier selbst nicht ausdrücklich sagt: dass nämlich auch die Naturbegriffe in Hinsicht auf den Begriff des Willens vollkommen inadäquat sind und eben in Rücksicht auf das Praktische auch bloß negative Prinzipien abgeben und also in Ansehung der Moralphilosophie eine negative Funktion haben. 31 Dies ist allerdings nach Kant in der KU hinreichend, um von »Deduktion« sprechen zu können (s. B 133; vgl. R. Brandt u. a. zum Deduktionsproblem in der KU: Brandt, R. (1989), The Deductions ). 30
I. Abschnitt: Einteilung der Philosophie
385
tion auf der Grundlage der Idee der Philosophie aus der Architektonik der reinen Vernunft im Methodenkapitel der KrV eine notwendige ist. Analog zur Moralphilosophie, die nach Kant alles umfasst, was unter der praktischen Gesetzgebung der Vernunft gemäß dem Freiheitsbegriff steht, ist Naturphilosophie der Teil der Philosophie, in dem die Vernunft der Natur in Form der Begriffe des reinen Verstandes die Gesetze vorschreibt. Der Rest des Absatzes (»Es hat aber … war« [5:171.24–172.3]) nimmt das Thema des vierten Absatzes aus EE I auf: die Aufdeckung des Missverständnisses bisheriger Deutungen des Praktischen und des daraus entspringenden Einteilungsfehlers bezüglich der theoretischen und der praktischen Philosophie. Da dieses Problem im Kommentar zu EE I bereits ausführlich behandelt worden ist und die E dazu keine modifizierten oder ergänzenden Überlegungen enthält, kann ich mich hier kurz fassen. Direkt bezugnehmend auf traditionelle Einteilungsversuche setzt Kant seine Begriffsdetermination dafür ein, Missverständnisse aufzudecken und auszuräumen. Der Fehler, den Kant an älteren Begriffssystematisierungen moniert, war nicht eigentlich auf eine Unkenntnis philosophischer Grundbegriffe zurückzuführen (obwohl darin Abweichungen vom aristotelischen Kategorienschema zu registrieren waren), sondern in ihrer falschen Zuordnung im Gebrauch: die Begriffe von Natur und Freiheit wurden unterschiedslos auf alles Praktische bezogen, so dass eine genuine Abgrenzung von der theoretischen Philosophie nicht möglich war. Eine Einteilung aber – so Kant – die auf ein- und denselben Prinzipien beruht, ist keine Einteilung. Kant legt also an dieser Stelle das ganze Gewicht seiner Überlegungen auf die prinzipielle Trennung der Begriffe der Natur von dem der Freiheit, weil er sich im klaren darüber war, dass die bloße Teilung ohne ein zugrundeliegendes einheitliches Prinzip eben keine Ein-Teilung, d. h. keine Teilung aus einem Ganzen heraus, sein könne. Aus dieser Schwierigkeit heraus erwächst die problematische Suche nach einem übersinnlichen Prinzip als Einheitsgrund von Natur und Freiheit, die als Thema vor allem das Methodenkapitel der KU beherrscht, die allerdings auch bereits mit dem Erscheinen der ersten Auflage der KrV ein den Autor bedrängendes Problem darstellte. Kant unterstellt auch hier, dass es neben dem Praktischen, das unter dem Freiheitsbegriff steht, noch ein solches nach Naturbegriffen gebe. Letzteres ist das erst in Abs. 4 vorgestellte Technisch-Praktische. Auch diese Einteilung behält Kant also als gültig bei. Was er kritisiert, ist allein das Identifizieren beider miteinander.
Dritter Absatz: Der Wille als Grund des Missverständnisses vom Praktischen Fast nahtlos schließt der erste Satz des dritten Absatzes an die Argumentation des vorhergehenden Absatzes an:
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
»Der Wille, als Begehrungsvermögen, ist nämlich eine von den mancherlei Naturursachen in der Welt, nämlich diejenige, welche nach Begriffen wirkt; […].« (5:172.4–6) Allgemeine Aufgabe des dritten Absatzes ist es, die zuvor gelieferte Begründung zu vertiefen und zu untermauern, indem auf den Begriff des Willens Bezug genommen wird. Philologisch betrachtet weist das Wort »nämlich« auf den zwischen den beiden aufeinanderfolgenden Absätzen bestehenden Begründungszusammenhang hin. Mit dem Rekurs auf den Willen wird zunächst der Umfang des praktisch Möglichen bzw. Notwendigen bestimmt, um dann davon den Bereich des Physischen abgrenzen zu können. Ausgangspunkt ist noch derselbe unspezifische und inadäquate Begriff des Praktischen, der im zweiten Absatz als Grund des Fehlschlagens der Einteilung der Philosophie herangezogen worden ist. Worin unterscheidet sich die Möglichkeit des Praktischen von dessen Notwendigkeit? Warum werden wir mit diesem Doppelaspekt des Praktischen konfrontiert? Als möglich erscheint uns das Technisch-Praktische, als notwendig das MoralischPraktische. Der Wille wird hier aufgrund seiner Abhängigkeit von Naturbegriffen als »Begehrungsvermögen« bezeichnet.32 Mit diesem Begriff operiert Kant auch schon in der KrV (z. B. B 830 / A 802), sodann in der KpV, um die »Triebfeder« (d. i. den subjektiven Bestimmungsgrund als Antrieb) des reinen (moralischen) Willens – die Achtung für das moralische Gesetz – von allen Neigungen, die natürlichen Ursprungs sind, frei zu halten.33 (KpV, 5:72–76, 5:57.17 bis 5:58.5). Das Begehrungsvermögen ist in der KpV die »Causalität des Subjects«, die den Begriff des Guten hervorbringt.34 Wir werden auf den Begriff des Begehrungsvermögens ausführlicher zu sprechen kommen bei der Gelegenheit der erneuten Interpretation der selbstkritischen Fußnote zu Absatz 4 in E III, die in groben Zügen eine Wiederholung der Fußnote zu Absatz 8 in EE VIII darstellt. Gegenstand dieses Absatzes ist also nicht der reine Wille, wie er in der Sittenlehre gebraucht wird – so scheint es zumindest. Er soll vielmehr eine von vielen »Naturursachen« sein, die aber die besondere Bestimmung enthält, »nach Begriffen« zu wirken. Im darauf folgenden Absatz wird er auch als »Naturvermögen« aufgefasst. Dieser Bemerkung liegt ein teleologisches Kausalitätsverständnis zugrunde. Die Beziehung zwischen einer Ursache als Begriff und der daraus entstehenden Wirkung ist nämlich in der KU als Zweckmäßigkeit definiert.35
Vgl. Wolff, M. (2009), Faktum der Vernunft, 519 (mit Bezug auf Baumgarten), 530; KU, § 86, 1. Abs.; MS, 6:211. 33 S. KpV, 5:72–76, 5:57.17 bis 5:58.5. 34 5:58.10–14; vgl. 5:9, 5:22 f. (oberes und unteres), 5:34; KrV, B 562, 828 ff. vgl. Klemme, H. F. (2014), Erkennen, Fühlen, Begehren, 79–99. 35 Vgl. Euler, W. (1995), Zur Problematik. 32
I. Abschnitt: Einteilung der Philosophie
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Mit diesem Kausalnexus kontrastiert die physische Wirkung oder die Naturkausalität, deren Ursache in Bezug auf die ›leblose Materie‹ durch den »Mechanism« und in Bezug auf Tiere durch »Instinkt« bestimmt werde (E I, 3. Abs.).36 Das Wirken nach Begriffen als die dem Willen als Ursache zukommende Bestimmung ist das entscheidende Moment für die Bestimmung des Praktischen, das zuvor mit dem Begriff der Freiheit in engen Zusammenhang gebracht worden ist. Der Begriff der Freiheit wird aber hier an dieser Stelle weder in Verbindung mit dem Praktischen noch im Kontext des Willens gebraucht. Es könnte also scheinen, dass er nicht zu den »Begriffen« gehört, nach denen der Wille naturwirksam wird. Die Begriffe, um die es sich hier handelt, sind, wie aus der Unterscheidung vom »Mechanism« hervorgeht, subjektive Zwecke (und zwar als Naturbegriffe!), die sich ein handelndes Subjekt zum Vorsatz seines Handelns machen kann. Doch ist in diesem Absatz nicht durchgängig vom Willen in seiner spezifischen Bedeutung die Rede. Denn sofern der Wille in der Bedeutung als Naturursache angenommen wird, ist es bestimmt (festgelegt), dass ein Naturbegriff »die Regel gibt«. Bereits der zweite Halbsatz verwendet den Begriff aber eher in einem unspezifischen Sinne, d. h. als Wille überhaupt: »[…] und alles, was als durch einen Willen möglich (oder notwendig) vorgestellt wird, heißt praktisch-möglich (oder -notwendig) […]«. (5:172.6–7) Dieser Begriff des Willens ist nicht reduzibel auf den des (unteren) Begehrungsvermögens. Er umfasst stillschweigend auch den des freien Willens. Denn gerade, weil von diesem Unterschied abstrahiert wird bzw. weil unter »Willen« sowohl der naturabhängige als auch der freie Wille verstanden werden kann, wird auch von der Differenz zwischen Naturbegriffen und Freiheitsbegriff abgesehen, so dass das für Kant entscheidende Kriterium für die Einteilung in theoretische und praktische Philosophie fehlt. Diesen Zusammenhang aufzuzeigen, ist das Ziel dieses Absatzes, das sich auch in dem letzten Satz ausdrückt, der bei einer anderen Lesart in den Rahmen des ganzen Absatzes nicht passen würde: »Hier wird nun in Ansehung des Praktischen unbestimmt gelassen: ob der Begriff, der der Kausalität des Willens die Regel gibt, ein Naturbegriff, oder ein Freiheitsbegriff sei.« (5:172.11–13) Inwiefern kennzeichnet Kant den Willen »als Begehrungsvermögen«, dem Kausalität nach der Art von »Naturursachen in der Welt« zukommt? Es ist klar, dass ›Naturursache‹ nicht in der Bedeutung des Naturmechanismus sondern im Sinne einer teleologischen Naturauslegung gedacht werden muss. Naturursächlichkeit scheint dem Willen dann aber nur als unteres Begehrungsvermögen zugeschrieben werden zu können, nicht dem reinen Willen, der ja der Kausalität durch Freiheit in der Bestimmung durch das moralische Gesetz sein muss. Dieser Wille ist die Willkür als abhängig von der Zweckbestimmung durch Neigungen. So spricht ja auch der fünfte Absatz von E I vom Willen als Begehrungs- bzw. Naturvermögen, »so-
36
Vgl. KpV, 5:68.33–35; 5:97.7–11.
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
fern er durch Triebfedern der Natur […] bestimmt werden kann«.37 Auch im Text von EE I kommen einige Stellen vor, an denen von der Kausalität des Willens als Naturursache, d. i. als Willkür, gesprochen wird. In der Fußnote zu E IX wird die Kausalität aus Freiheit dagegen als Naturursache ausgewiesen, insofern diese Kausalität als Erscheinung gedacht wird. An einer ähnlich lautenden Stelle in der KrV (B 831 / A 803) bezeichnet Kant die »praktische Freiheit«, insofern wir sie »durch Erfahrung« »erkennen«, als »eine von den Naturursachen, nämlich eine Kausalität der Vernunft in Bestimmung des Willens«. Diese Bestimmung soll besagen, dass Freiheit deshalb zu den Naturursachen gezählt wird, weil sie nur in ihrer Wirkung als Handlung in der Erscheinung erkannt werden kann. Diese Wirkung steht aber in der Kausal-Reihe der Natur. Das trifft auch dann zu, wenn für den Willen die Forderung der transzendentalen Freiheit38 nach »Unabhängigkeit dieser Vernunft selbst (in Ansehung ihrer Kausalität, eine Reihe von Erscheinungen anzufangen,) von allen bestimmenden Ursachen der Sinnenwelt« (B 831 / A 803) erfüllt ist.39
Vierter Absatz: Unterscheidung zwischen »technisch-praktischen« und »moralisch-praktischen« Prinzipien »Der letztere Unterschied aber ist wesentlich.« (5:172.14) Der Unterschied zwischen den Naturbegriffen und dem Freiheitsbegriff, der in der Kritik der beiden voranstehenden Absätze eingefordert worden ist, ist für Kant essentiell und unentbehrlich, um alle praktischen Prinzipien sicher bestimmen und eindeutig zuordnen zu können und um die Philosophie in richtiger (adäquater) Weise einteilen zu können. Der nachfolgende, mit »Denn« eingeleitete Satz enthält die Begründung für die Unverzichtbarkeit dieses Unterschiedes. Der Grund wird durch die aus ihm erwachsende Folge bestimmt. Er ermöglicht nämlich die Unterscheidung zwischen zweierlei praktischen Prinzipien, die erst in der E als »technisch-praktisch« und »moralischpraktisch« betitelt werden und voneinander abgegrenzt werden.40 Der Sache nach
Dies erklärt übrignes auch Kants Redeweise vom »Willen der Natur« im Anhang zur RL; s. dazu meinen Artikel Der Wille der Natur (2005), 291–310. 38 Zum Begriff der transzendentalen Freiheit s. KrV, B 474 / A 446; B 478 / A 450; B 561f. / A 533f.. 39 Zur Frage des Verhältnisses und der Zugehörigkeit einer intelligiblen Kausalität zur Naturkausalität s. ergänzend: KrV, B 572–573 / A 544–545; B 562 / A 534; vgl. Wolff, M. (2013), Freiheit und Determinismus, S. 6; zum Praktischen überhaupt im Verhältnis zu Freiheit und Willkür s. KrV, B 828 / A 800; B 830 / A 802. 40 Dieselbe begriffliche Differenzierung verwendet Kant in einer Vorarbeit zum Streit der Fakultäten (Bayerer, W. G. (1992), Eine Vorarbeit, S. 35). 37
I. Abschnitt: Einteilung der Philosophie
389
ist dieser Unterschied, wie dargelegt, auch in der EE vorhanden. Dort (EE I, vierter Absatz) werden aber die beiden inhaltlich heterogenen Klassen praktischer Prinzipien nicht spezifisch gekennzeichnet, sondern nur als »praktische« und »technische« »Sätze« auseinander gehalten (EE I, Anmerkung, 5. bis 6. Abs.). Die Begründung besagt, dass technisch-praktische Prinzipien genau dann vorliegen, wenn die Kausalität (gemeint ist die des Willens, gemäß des dritten Absatzes) durch einen Naturbegriff bestimmt ist (m.a.W., wenn der Wille als Ursache eine Naturursache im engeren Sinne ist) – um moralisch-praktische handelt es sich nur dann, wenn dieselbe Kausalität aus Freiheit erfolgt. Die technisch-praktischen Prinzipien werden der theoretischen Philosophie, respektive die moralisch-praktischen dem praktischen Teil (d. i. der Sittenlehre) deshalb zugeordnet, weil die Einteilung der Philosophie sich nach der epistemologisch begründeten Verschiedenheit ihrer Gegenstände richtet. Epistemologisch begründet, soll heißen, dass die Gegenstände unter dem Gesichtspunkt verschieden sind, dass zu ihrer Erkenntnis verschiedene Prinzipien nötig sind.
Fünfter Absatz: Was sind »technisch-praktische Regeln«? Der Absatz, der nun in Betracht gezogen wird, entspricht in etwa den Ausführungen im sechsten Absatz des ersten Abschnittes (»Anmerkung«) der EE. Das Thema der EE-Version sind die technischen Sätze. Ihnen entsprechen in E »alle technischpraktischen Regeln«. Kant spricht hier nicht mehr von »Sätzen«. Auch fallen die genannten Regeln nicht mit den technisch-praktischen »Prinzipien« zusammen. Diese Regeln sollen »die der Kunst und Geschicklichkeit überhaupt, oder auch der Klugheit« umfassen, wobei die Klugheit als die »Geschicklichkeit« erklärt wird, »auf Menschen und ihren Willen Einfluß zu haben«. Die Klugheitsregeln werden also hier nicht mehr – wie in der Grundlegung – streng von denen der Geschicklichkeit abgegrenzt, sondern richten sich nur auf eine besondere Art von Gegenständen: auf die Beziehung auf andere Menschen. Damit setzt Kant seine in der Fußnote zum sechsten Absatz der »Anmerkung« im ersten Abschnitt der EE vorgenommene Selbstkritik um, in der unter Bezugnahme auf die Grundlegung die »Klugheit« in dieser Bedeutung eingeführt wurde (s. den Kommentar zu EE I, Anmerkung, 6. Abs.). Was die besagten Regeln nun sind bzw. nicht sind, erfährt der Leser erst in der zweiten Hälfte des Absatzes. Zunächst geht es um deren Zuordnung innerhalb der Philosophie. Die Behauptung lautet: Sie gehören mit Notwendigkeit zur theoretischen Philosophie, und zwar »nur als Korollarien«, d. h. als Folgerungen aus ihr. Das Problem der Interpretation der »Folgerungen« wurde bereits im Kommentar zur EE, erster Abschnitt, analysiert und braucht an dieser Stelle nicht wiederholt zu werden. Kant nimmt mit dem eingeschobenen Nebensatz – »sofern ihre Prinzipien auf Begriffen beruhen« – allerdings eine Einschränkung vor, die übrigens deutlich macht, dass die technisch-praktischen Regeln nicht mit den im Nebensatz ge-
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
meinten Prinzipien identisch sein können. Was sind das aber für Prinzipien, und existieren auch technisch-praktische Regeln, die nicht unter dieser Voraussetzung stehen? Der nachfolgende Satz enthält die Begründung für die Zugehörigkeit der technisch-praktischen Regeln zur theoretischen Philosophie: »Denn sie betreffen nur die Möglichkeit der Dinge nach Naturbegriffen […].« Zu dieser Dingsphäre gehören »die Mittel, die in der Natur dazu [d. i. zur Hervorbringung der »Dinge nach Naturbegriffen«, WE] anzutreffen sind« und der Wille als Begehrungsvermögen. Ausgeschlossen sind demnach diejenigen Dinge, die durch den Freiheitsbegriff möglich sind. »Möglichkeit der Dinge nach Naturbegriffen« bedeutet hier, dass die technisch-praktischen Regeln Bedingung der praktischen Handlung (nicht des theoretischen Erkennens oder Bestimmens) sind, die einen Zweck verfolgt und sich dazu geeignete Gegenstände, die unter Naturbegriffen stehen (d. h. durch sie bestimmt sind) als Mittel auswählt. Der Wille gehört nur bedingt zu diesen Gegenständen, nämlich »sofern er durch Triebfedern der Natur jenen Regeln gemäß bestimmt werden kann.« (5:172.30–31) Von »Triebfedern« spricht Kant häufiger in seinen kritischen Schriften, um damit eine »Bewegungsursache«, die bestimmend auf den Willen wirkt, (einen Beweggrund oder – modern gesprochen – eine Motivation) als Antrieb zum praktischen Tun anzuzeigen. Die Kausalität hat hier praktische Bedeutung, weil sie auf eine Willenshandlung abzielt. In der KrV unterscheidet Kant zwischen sinnlichen41 und moralischen Triebfedern. Die empirischen Bedingungen einer moralischen Handlung können zwar der Vernunft entgegenstehen, sie bilden aber kein Kriterium der moralischen Beurteilung über Tun und Lassen (B 582–583 / A 554–555). Die moralische Triebfeder ist die Anwendung (Umsetzung, Wirkung) einer in der Idee der Vernunft erkannten Verbindlichkeit »auf uns selbst« und damit deren Verwirklichungsbedingung (vgl. KpV, 5:89.25–29). Sie setzt die Kausalität eines Höchsten Wesens voraus (KrV, B 617 / A 589) (dies führt zum Thema des Methodenkapitels in der KU). Dagegen kann die Willkür, die durch natürliche Neigungen bestimmt ist und nicht durch die autonome, bloß formale Gesetzgebung des Willens als dessen allein hinreichender Bestimmungsgrund, keine Verbindlichkeit begründen (KpV, § 8, 5:33). Denn sie erfüllt nicht die Kriterien objektiver praktischer Gesetzmäßigkeit a priori: unbeschränkte (universelle, 5:36.14) Allgemeingültigkeit (für jedermann, der Vernunft und Willen hat, 5:36.23 f.) und unbedingte Notwendigkeit (s. KpV, § 8, Anmerkung I, 5:34 f.). Der zwischen dem Prinzip der Sittlichkeit (dem freien Willen) und dem der eigenen Glückseligkeit (dem Willen als Begehrungsvermögen) herrschende »Widerstreit« sei »nicht bloß logisch«, »sondern praktisch« (ebd., Anmerkung II, 5:35). In der KpV handelt das gesamte Dritte Hauptstück des ersten Buches, ausweislich seiner Überschrift, von den Triebfedern der reinen praktischen Vernunft (5:71–89). Der sinnlichen Triebfeder (bzw. in E I, 4. Abs., der Triebfeder »der Natur«) entspricht im Jargon der KpV die »äußere« (5:35.3). 41
I. Abschnitt: Einteilung der Philosophie
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Die letzte Bemerkung innerhalb des fünften Absatzes betrifft die allgemeine Nomenklatur der technisch-praktischen Regeln: »Doch heißen dergleichen praktische Regeln nicht Gesetze (etwa so wie physische), sondern nur Vorschriften«. Es ist dies aber nicht bloß eine Frage der äußeren Benennung, sondern eine solche der inhaltlichen Bestimmung. Gesetze im strengen Sinne (ob Naturgesetze oder Sittengesetze) sind naturgemäß etwas anderes als Vorschriften. In der Parenthese wird flüchtig auf physische Gesetze verwiesen, um anzuzeigen, was »Gesetz« hier (ungefähr) bedeuten soll. Kant spart an dieser Stelle eine genaue Erklärung der Differenz von »Gesetz« und »Vorschrift« aus. Befragt man die KrV danach, was ein Naturgesetz ist und welche Kriterien es erfüllen muss, so ergibt sich, dass es sich um Gesetze handelt, die als allgemeine Gesetze a priori von der Natur überhaupt gelten, insofern die reinen Verstandesbegriffe (Kategorien) sie der Natur vorschreiben. Sie sind nicht der Natur entnommen sondern existieren nur im Verhältnis auf das Subjekt (KrV, B 163–165).42 Statt der Erklärung des begrifflichen Unterschiedes, auf den es am Ende des fünften Absatzes ankommt, folgt eine Begründung dafür, warum die technischpraktischen Regeln »nur« Vorschriften genannt zu werden verdienen. Das Argument für diese Festlegung besteht in der prinzipiell (immer und zugleich) vorliegenden zweifachen Abhängigkeit und Bestimmungsmöglichkeit des Willens, nämlich zum einen in Bezug auf den Freiheitsbegriff, zum anderen im Verhältnis zum Naturbegriff (und zwar zu dem der Kausalität, vgl. 6. Abs.). Der Akzent sitzt hier auf dem Freiheitsbegriff, insofern von diesem gesagt wird, dass unter diesem Aspekt die Prinzipien des Willens »Gesetze« genannt werden. Weil also der Gesetzesbegriff (als moralisches Gesetz) allein für den nach dem Freiheitsbegriff bestimmten Willen reserviert ist, technisch-praktische Regeln aber, wie gezeigt, zum Willen als Begehrungsvermögen gehören und somit naturbedingt sind, kann in Bezug auf die letzteren nicht von »Gesetzen« gesprochen werden. Sie stellen für den Willen keine unbedingte Verbindlichkeit dar, sondern sind abhängig von vielfältigen empirischen Gegebenheiten. Würde dieselbe Bezeichnung (die des Gesetzes) auch für technisch-praktische Regeln verwendet, so wäre gerade deren Verwechslung mit »echten« praktischen Regeln, die Kant mit einer scharfen begrifflichen Analyse ausräumen wollte, wieder Vorschub geleistet. Des weiteren wäre die genaue Einteilung in theoretische und praktische Philosophie nicht mehr gewährleistet, da jene Gesetze »mit ihren Folgerungen« ausschließlich den praktischen Teil der Philosophie ausmachen.
42
Zur Unterscheidung praktischer Gesetze und praktischer Vorschriften vgl. KpV, 5:34.
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
Sechster Absatz: Technisch-praktische Regeln konstituieren keine praktische Wissenschaft Der sechste Absatz greift Gedanken auf, die in EE I (vierter Absatz sowie »Anmerkung«, 4. bis 5. Abs.) exponiert worden sind. Der Kommentar kann sich deshalb hier darauf beschränken, Lesehilfen zu geben und Ergänzungen gegenüber der ersten Fassung vorzunehmen bzw. Besonderheiten zu besprechen. Inhaltlich schließt der sechste Absatz an die beiden vorhergehenden an, indem er den Status der technisch-praktischen Regeln (im Unterschied zu den moralischpraktischen) an Hand von Beispielen erläutert. Das »also« (als drittes Wort des ersten Satzes) deutet auf eine Folgerung aus dem am Schluß des fünften Absatzes Gesagten hin. Dort ist erklärt worden, dass sich der praktische Teil der Philosophie allein durch moralische Gesetze konstituiert. Daraus folgt dann offenbar die Ausschließung bestimmter Disziplinen aus der praktischen Philosophie. Der »weil«Nebensatz ([7]–[8]) (Satzgrafik Nr. 15) gibt aber erst den Grund dafür an, der darin zu sehen ist, dass die genannten Fächer nach Kant »insgesamt nur Regeln der Geschicklichkeit« enthalten. Unter »Regeln der Geschicklichkeit« sind – wie im Kommentar zu EE I erläutert – hypothetische Imperative zu verstehen, die nicht die strenge Notwendigkeit von moralisch-praktischen Gesetzen besitzen. Der gesamte Absatz besteht aus bloß zwei Sätzen. Da die Konstruktion des überlangen ersten Satzes nicht zuletzt auf Grund grammatischer (syntaktischer) Fehler schwer zu überblicken ist, ist es angebracht, den Satzbau zuerst zu skizzieren und dabei Wort- bzw. Satzpartikel nötigenfalls zu ergänzen oder zu ersetzen. Erster Satz (5:172.37–173.17): Die Satzteile ([1]) bis ([6]) enthalten eine Aufzählung von Disziplinen, von denen Kant behauptet, sie würden weder einen besonderen praktischen Teil einer jeweiligen Wissenschaft ausmachen, noch damit zur praktischen Philosophie gehören, noch gar den Inhalt derselben erschöpfen. Die genannten Fächer lassen sich klassifizieren in 1) praktische Aspekte der Geometrie oder praktisch ausgerichtete Disziplinen, die sich auf die Geometrie stützen (»Feldmeßkunst«) ([1] bis [3]); 2) mechanische und chemische Experimente in der Physik ([4]); 3) »Haus-, Land-, Staatswirtschaft«, »die Kunst des Umganges«, »die Vorschrift der Diätetik«43 ([5]), »die allgemeine Glückseligkeitslehre« ([5a]). So wie die Lösung von Aufgaben in einzelnen Wissenschaften, wie der »reinen Geometrie«44 oder der experimentellen Physik (vgl. oben, Kommentar zu EE I), keinen praktischen Teil der entsprechenden Wissenschaften begründet, so gehören verwandte Fächer auch nicht zur praktischen Philosophie oder erschöpfen gar diesen Teil der Philosophie.
D. i. »sustine et abstine«. Vgl. Streit der Fakultäten (7:100); MS, TL (6:419). Näheres dazu bei: Klemme, H.F. (1998), Die Axiome der Anschauung, 247–266; Koriako, D. (1999), Kants Philosophie der Mathematik; Wolff, M. (2001), Geometrie und Erfahrung, 209–232; Wolff, M. (2009), Absolute Selbstähnlichkeit, 285–308. 43
44
I. Abschnitt: Einteilung der Philosophie
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[1] So wenig also die Auflösung der Probleme der reinen Geometrie zu einem besonderen Teile derselben gehört, [2] oder die Feldmeßkunst den Namen einer praktischen Geometrie, {[2a] zum Unterschiede von der reinen {[2b] als ein zweiter Teil der Geometrie überhaupt [3] verdient: [4] so und noch weniger darf die mechanische oder chemische Kunst der Experimente oder der Beobachtungen für einen praktischen Teil der Naturlehre gehalten [werden], [5] endlich [dürfen] die Haus-, Land-, Staatswirtschaft, die Kunst des Umganges, die Vorschrift der Diätetik, [5a] selbst nicht die allgemeine Glückseligkeitslehre, [5b] sogar nicht einmal die Bezähmung der Neigungen und Bändigung der Affekten zum Behuf der letzteren, [d. i. der Glückseligkeit] [6] zur praktischen Philosophie gezählt werden, [6a] oder die letzteren [d. i. die Bezähmung der Neigungen und Bändigung der Affekte] wohl gar den zweiten Teil der Philosophie überhaupt ausmachen;
}
}
[7] weil sie insgesamt nur Regeln der Geschicklichkeit, {[7a] die mithin nur technisch-praktisch sind, [8] enthalten, [8.1] um eine Wirkung hervorzubringen, [8.1.1] die nach Naturbegriffen der Ursachen und Wirkungen möglich ist, [9]
welche,45
{[9a] da sie46 zur theoretischen Philosophie gehören, [10] jenen Vorschriften [d. i. den Regeln der Geschicklichkeit] {[10a] als bloßen Korollarien aus derselben (der Naturwissenschaft) [11] unterworfen sind [12] und also keine Stelle in einer besonderen Philosophie, {[12a] die praktische genannt, [13] verlangen können. Satzgrafik Nr. 15 45 Das Wort »welche« bezieht sich auf die Wissenschaften und Künste, die in den Satzteilen [1], [2], [4], [5] und deren untergeordneten Satzteilen aufgezählt und dann in [7] mit dem Pronomen »sie« zusammengefaßt werden. Es bezieht sich damit nicht auf die in [8.1.1] genannten »Naturbegriffe«. Die englische bzw. die portugiesische Übersetzung sind entsprechend zu korrigieren (Pluhar (1987); Guyer und Matthews (2000); Rohden und Marques (22010). 46 Das Pronomen »sie« kann sich sowohl auf die Wissenschaften und Künste, also direkt auf das voranstehende Wort »welche« ([9]) beziehen, als auch auf die ›Naturbegriffe‹ »der Ursachen und Wirkungen« ([8.1.1]).
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
Die »allgemeine Glückseligkeitslehre«, deren Inhalt etwas ausführlicher in EE I, 4. Abs. von Kant referiert wird, ohne dass dort der Titel »allgemeine Glückseligkeitslehre« Verwendung findet (20:196.21–197.2), ist bereits im Kommentar zu EE I erläutert worden (S. 46) und braucht deshalb an dieser Stelle nicht noch einmal aufgeworfen zu werden. Satzteil ([7]) liefert den ersten Teil der Begründung für die Behauptungen von ([1] bis [6]): Alle diese Fächer enthalten nur Regeln der Geschicklichkeit, und diese sind als technisch-praktische Regeln auszulegen, die den alleinigen Inhalt solcher Disziplinen ausmachen. Technisch-praktische Regeln aber begründen überhaupt keinen praktischen Teil irgendeiner Wissenschaft. Sie begründen insbesondere keine praktische Philosophie. Denn – so lautet der zweite Teil der Begründung ([8.1], [8.1.1]) – technisch-praktische Regeln dienen dem Zweck, eine Wirkung hervorzubringen, die nach dem Kausalgesetz der Natur möglich ist. Dieses schließt die Bedingung durch freie Kausalität aus. Da nun die Naturkausalität ein Begriff ist, der in die theoretische Philosophie gehört ([9a]), und weil die Wirkung, auf die sich der Zweck der Geschicklichkeitsregel bezieht, naturkausal determiniert ist, so sind die aufgezählten Wissenschaften und Künste diesen Regeln unterworfen ([10]–[11]). Die Regeln selbst aber sind bloß »Korollarien« aus der Naturwissenschaft ([10a]) bzw. aus der theoretischen Philosophie (vgl. E I, 5. Abs.), d. h. sie werden praktisch aus der Theorie der Natur in dem nicht formal-logischen Sinne gefolgert, dass sie Konklusionen in gültigen Schlüssen sind, deren Prämisse(n) inhaltlich determiniert sind, so dass auch die Gültigkeit des Folgesatzes auf vorgegebenen Inhalten, nämlich Naturbegriffen, beruht. Was Kant jedoch genau mit dem Ausdruck »Corollar« oder »Folgerung« im Sinn hat, wird von ihm nicht expliziert.47 Die »Regeln der Geschicklichkeit«, die, wie dem fünften Absatz zu entnehmen war, von den Regeln der »Kunst« zu unterscheiden sind und eben deshalb strenggenommen nur Inhalt der zuletzt genannten Disziplinen sind (also eigentlich nicht der Physik oder der Geometrie), sind deshalb »nur technisch-praktisch«, weil sie nach der Bestimmung in Abs. 4 auf die durch Naturbegriffe bestimmte Kausalität (des Willens) gerichtet sind und deshalb eine Wirkung erzeugen können sollen, »die nach Naturbegriffen der Ursachen und Wirkungen möglich ist« (6. Abs.). Auf die Frage, worauf sich das Relativpronomen »welche« ([9]) innerhalb des dem ersten Satz angegliederten »weil«-Nebensatzes ([7]–[8]) bezieht, scheint es direkt nur eine Antwort zu geben, nämlich: auf die Naturbegriffe der Kausalität im unmittelbar vorhergehenden Satzteil ([8.1.1]). Dann wäre der Nebensatz folgendermaßen zu lesen: Da die Naturbegriffe zur theoretischen Philosophie gehören, sind sie »jenen Vorschriften als bloßen Korollarien aus derselben (der Naturwissenschaft) unterworfen«.48 Damit läge jedoch ein Begründungsfehler vor. Denn die Zum Gebrauch des Ausdrucks »Folgern« bzw. »Schließen« aus moderner logischer Sicht vgl. Wolff, M. (2006), Einführung in die Logik, Erstes Kapitel, S. 23–30. 48 Hinweis: »unterworfen sind und also« ist als Ergänzung in der zweiten Auflage der KU hinzugefügt worden. 47
I. Abschnitt: Einteilung der Philosophie
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Unterscheidung zwischen bloßen »Vorschriften« und praktischen »Gesetzen« beruht nach E I, Abs. 5, gerade darauf, dass es unterschiedliche Begriffe gibt, die den Willen bedingen (nämlich Naturbegriffe und Freiheitsbegriffe). Man muss also (wie bereits in Fn. 45 angemerkt), das Pronomen »welche« auf die Wissenschaften und Künste beziehen, die in den vorhergehenden Satzteilen genannt werden. Dann aber muss man akzeptieren, dass die Pronomen »welche« ([9]) und »sie« ([9a]) nicht dieselbe Sache bezeichnen. In welchem Sinne können die verschiedenen Wissenschaften aber den »Vorschriften« (den Regeln der Geschicklichkeit) »unterworfen« sein? Weil diese Regeln Sollens-Vorschriften (nach dem Sprachgebrauch aus der Grundlegung »Imperative«) sind, die sich gebietend auf solche Dinge (andere Menschen) beziehen, die durch Naturbegriffe möglich bzw. bestimmt sind, sind die zitierten Disziplinen selbst Mittel zur Verwirklichung einer bestimmten Handlungsabsicht. Sie sind aber eben deshalb nicht den Vorschriften »unterworfen« im Sinne einer moralischen (oder auch naturwissenschaftlichen) Gesetzgebung. Aus diesem Grunde können sie »also keine Stelle« in der praktischen Philosophie einfordern. Von diesem negativen Resultat werden im zweiten Satz des sechsten Absatzes (5:173.17–25) die »moralisch-praktischen Vorschriften« (die gemäß der Festlegung in E I, Abs. 5, eigentlich »Gesetze« heißen) positiv abgehoben. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich »gänzlich auf dem Freiheitsbegriffe, mit völliger Ausschließung der Bestimmungsgründe des Willens aus der Natur, gründen«. Der naturbedingte Wille ist die weiter oben bereits diskutierte Willkür oder das Begehrungsvermögen, das durch Naturbegriffe bestimmt wird. Aber welche inhaltliche Bedeutung hat hier der Begriff der Freiheit, und was bedeutet »sich gründen«? Die moralisch-praktischen Vorschriften werden mit den »Regeln, welchen die Natur gehorcht«, verglichen. Sie entsprechen einander, insofern beide Gesetzescharakter haben. Dass der Verstand der Natur »das Gesetz« oder »die Gesetze a priori« vorschreibt, war eine der Formeln in der KrV, mit denen Kant ein wesentliches Merkmal des transzendentalen Idealismus zum Ausdruck brachte (KrV, § 26, B 159, B 163; Prolegomena § 36, 4:320.11–13): dass alle Erkenntnis der Natur und alle Gegenstände der Natur bedingt sind durch die subjektiven Formen des reinen Verstandes (und der reinen Anschauung). Im Unterschied zu den Naturgesetzen, die ihrerseits durch die sinnlichen Bedingungen von Raum und Zeit beschränkt sind, beruhen die moralischen Gesetze »auf einem übersinnlichen Prinzip«. Dieses Prinzip ist eben der Freiheitsbegriff, der, bar aller sinnlich-natürlichen Bedingungen (insofern »übersinnlich«), der freie Wille überhaupt ist, der Wille jedes vernünftigen Subjekts, sich selbst unbeschränkt und autonom Zwecke zu setzen, ohne dabei von vornherein in seiner Tätigkeit auf bestimmte Zwecke oder Objekte ausgerichtet zu sein (s. o. sowie den Kommentar zum nächsten Absatz). So wie die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption (oder das reine Selbstbewusstsein) der »höchste Punkt« des Verstandesgebrauchs ist, von dem alle Verstandesfunktionen ausgehen (KrV, B 134), so soll analog der freie Wille (oder die Freiheit) Ursprung und Bestimmungsgrund der moralischen Gesetze sein. Das ist der Grund, weshalb
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
die moralisch-praktischen Regeln für sich einen eigenständigen, nämlich praktischen Teil der Philosophie reklamieren.
Siebter Absatz: Fazit Der letzte Absatz des ersten Abschnittes enthält keine neuen Überlegungen. Er fast lediglich die Ergebnisse der bisherigen Untersuchung zusammen. Sie entsprechen im Wesentlichen denen des Eingangskapitels der Ersten Einleitung. Gezeigt werden sollte in einem ersten Schritt, dass praktische Vorschriften nicht aus dem Grunde den praktischen Teil der Philosophie ausmachen, dass sie praktisch sind. Praktisch, und zwar technisch-praktisch, können sie nämlich auch dann heißen, wenn sie aus der Theorie der Natur gefolgerte Handlungsanweisungen darstellen. In einem zweiten Schritt sollte die richtige Begründung dargelegt werden: Praktische Vorschriften gehören unter der Bedingung in die praktische Philosophie, dass ihr Prinzip nicht vom Naturbegriff abgeleitet ist, sondern auf dem »Übersinnlichen« beruht, welches durch »formale Gesetze« ausgedrückt wird, die der Freiheitsbegriff einschließt. Allein diese Bedingung macht praktische Regeln zu moralisch-praktischen und erhebt sie in den Status von Gesetzen, die nicht von Zwecken und Absichten abhängen.
II. Abschnitt: Vom Gebiet der Philosophie überhaupt
E II Zweiter Abschnitt: »Vom Gebiete der Philosophie überhaupt« Gliederung: Erster und zweiter Absatz: Die Reichweite der Erkenntnis und die Einteilung ihrer Gegenstände Dritter Absatz: »Feld«, »Boden«, »Gebiet« Vierter bis sechster Absatz: Zwei Gebiete, zwei verschiedene Gesetzgebungen – ein und derselbe Boden der Erscheinungen? Erläuternder Exkurs: »Aufdeckung des dialektischen Scheins« in der dritten Antinomie der Kritik der reinen Vernunft Siebter bis achter Absatz: »Das Feld des Übersinnlichen« Neunter Absatz: Das Problem des »Übergangs«
In diesem Abschnitt geht es wie bereits im ersten Abschnitt der Einleitung um die Einteilung der Philosophie. Sie wird jedoch von anderer Perspektive aus betrachtet und begründet, d. h. nicht von den Begriffen aus, sondern von deren Gegenständen bzw. der Beziehung der Begriffe auf ihre Gegenstände. Die Untersuchung wird mit Hilfe von neu definierten begrifflichen Mitteln durchgeführt. Höhepunkt und thematisches Zentrum des Abschnittes ist dann im neunten Absatz die Problematisierung des Verhältnisses der beiden philosophischen Gegenstandsbereiche von Natur und Freiheit gegeneinander und zueinander. Am Schluss des Abschnittes wird die Absicht erkennbar, aus den erzielten Resultaten die Funktion und Bedeutung der dritten Kritik herzuleiten. Die Überschrift macht nicht ohne weiteres einsichtig, was eigentlich genau der Gegenstand der Untersuchung in diesem Abschnitt ist. Denn ist das Attribut »überhaupt« auf den Ausdruck »Gebiet der Philosophie« oder bloß auf »Philosophie« zu beziehen? Beide Interpretationsmöglichkeiten ergeben einen unterschiedlichen Sinn. Der Ausdruck »Philosophie überhaupt« würde sich auf die ganze Philosophie im weiteren Sinne beziehen (einschließlich der »Kritik« und der »Logik«), der Begriff »Philosophie« aber bloß auf die Metaphysik in ihrem theoretischen und praktischen Teil. Die Frage lässt sich aber wohl erst dann sicher beantworten, wenn wir wissen, was ein »Gebiet« ist und welche und wieviele Gebiete es gibt.
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
Erster und zweiter Absatz: Die Reichweite der Erkenntnis und die Einteilung ihrer Gegenstände Die aus nur jeweils einem kurzen Satz bestehenden ersten beiden Absätze bereiten die mit dem dritten Absatz beginnende eigentliche Untersuchung dieses Abschnittes durch zwei allgemeine Erklärungen vor. Der erste Satz hat folgenden Wortlaut: »So weit Begriffe a priori ihre Anwendung haben, so weit reicht der Gebrauch unseres Erkenntnisvermögens nach Prinzipien und mit ihm die Philosophie.« (5:174.3–5) Behauptet wird hier erstens die Bestimmung des Umfangs und der Grenzen des ›Gebrauchs‹ »unseres Erkenntnisvermögens nach Prinzipien« nach Maßgabe der »Anwendung« der »Begriffe a priori«; und zweitens die Bestimmung des Umfangs und der Grenzen der Philosophie nach demselben Maßstab. Die »Anwendung« von »Begriffen a priori«, der »Gebrauch unseres Erkenntnisvermögens nach Prinzipien« und die Philosophie haben somit dieselbe Extension. Wie kann diese Behauptung erklärt werden? Wie weit reicht die »Anwendung« der Begriffe a priori? (diese Frage muss sich beantworten lassen, wenn es überhaupt eine Grenzbestimmung geben können soll). Oder anders gefragt: Sind überhaupt Begriffe a priori denkbar, die nicht angewendet werden können? Wenn ihre Anwendung darin besteht, dass wir sie anwenden, indem wir unser Erkenntnisvermögen nach Prinzipien dafür gebrauchen, Begriffe auf Gegenstände zu beziehen, dann ist es sehr wohl denkbar, dass es Begriffe a priori gibt, die im angegebenen Sinne nicht anwendbar sind (falls nämlich die Gegenstände, auf die sie sich beziehen sollen, die Bedingungen nicht erfüllen, die mit der Anwendbarkeit der Begriffe gestellt sind)49 und also auch zur Grenzbestimmung der Philosophie nichts beitragen können (was, wie sich noch zeigen wird, vom Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur in Bezug auf die reflektierende Urteilskraft gelten muss). Was »Begriffe a priori« (im Unterschied zu »Erfahrungsbegriffen«) sind, ist an früherer Stelle des Kommentars hinreichend erläutert worden. Es handelt sich eben um Begriffe (des Verstandes bzw. der Vernunft), die nicht durch empirische Erfahrung bedingt, also keine empirischen Begriffe sind und die im menschlichen Subjekt ihren Ursprung haben. Weil aber solche Begriffe nach den Bestimmungen der KrV nicht ursprünglich auch schon konkrete Bestimmungen beinhalten oder bestimmte Gegenstände mit sich führen, d. h. ohne konkreten Inhalt und folglich nicht als solche schon Erkenntnis sind, bedarf es spezifischer Leistungen des Subjekts, um daraus Erkenntnis zu konstituieren. Unter diesen Voraussetzungen kann Kant hier von der »Anwendung« der Begriffe a priori sprechen. Die Anwendung, die ein tätiges Beziehen von Begriffen a priori auf Gegenstände durch unterschiedliche, miteinander kombinierte Erkenntnisvermögen ist, richtet So hebt Kant in der KrV hervor, dass die reinen Verstandesbegriffe nur von empirischem, nicht von transzendentalem Gebrauch seien (vgl. KrV, § 22, B 146–148, B 178 f / A 139– 140; B 185 / A 146; B 266 / A 219). 49
II. Abschnitt: Vom Gebiet der Philosophie überhaupt
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sich nach den Zielen und Grenzen von Verstand und Vernunft (die Urteilskraft hat zunächst keine eigenen Begriffe), nämlich erstens auf ein Mannigfaltiges der empirischen Anschauung, zweitens auf die Verstandestätigkeit (theoretische Vernunft), drittens auf übersinnliche Gegenstände (praktische Vernunft).50 Die Anwendung kann sich nach den Grundlehren des transzendentalen Idealismus ja nur durch den »Gebrauch unseres Erkenntnisvermögens« vollziehen. Von den Erkenntnisvermögen kann es je nach ihrer besonderen Beschaffenheit auch entsprechend verschiedene Gebrauchsweisen geben. Daher fällt die Reichweite der Anwendung mit der des menschlichen Erkenntnisvermögens zusammen. Weil aber der »Gebrauch unseres Erkenntnisvermögens« ein solcher »nach Prinzipien« ist, die Philosophie aber auf Prinzipien beruht, so ist damit zugleich die Grenze derselben markiert. Kant will also Umfang und Grenzen (den Geltungsbereich) der Philosophie mit Hilfe geographischer Nomenklatur ausmessen. Welcher Begriff von Philosophie liegt hier nun vor? Die Tätigkeit dieses Vermögens, das in verschiedene Arten unterteilt ist (daher auch der Pluralgebrauch im zweiten Absatz), besteht darin, jene im Subjekt vorliegenden Begriffe auf davon unabhängig gegebene Gegenstände zu beziehen (s. 2. Abs.). Das Ergebnis dieser Handlung heißt »womöglich ein Erkenntnis« (2. Abs.). D. h. nicht jede denkbare Beziehung eines Begriffs auf einen Gegenstand ergibt notwendig auch Erkenntnis, und für die zuerst anzustellende Betrachtung wird gerade – wie der dritte Absatz zeigen wird – davon abstrahiert, ob die Beziehung von Begriffen auf Gegenstände auch zur Gegenstandserkenntnis gelangt. In Abs. 8 wird dies näher ausgeführt werden (s.u.). So ist beispielsweise gerade die Beziehung der (reflektierenden) Urteilskraft auf Gegenstände keine Erkenntnis im theoretischen Wortsinne. Ob sich eine solche Beziehung zur Erkenntnis qualifiziert oder nicht, soll von der Tauglichkeit (der Art und Beschränkung) des dafür jeweils in Anspruch genommenen Vermögens abhängen. Kant geht davon aus, dass die einzelnen Vermögen zu unterschiedlichen Erkenntnisleistungen befähigt sind. Diese Differenz nimmt er als Kriterium, um die Gesamtheit, den »Inbegriff aller Gegenstände […], worauf jene Begriffe bezogen werden«, einzuteilen (5:174.6–9). Dies ist die allgemeine Aufgabenstellung des zweiten Abschnittes, aus deren Lösung systematische Probleme erwachsen. Die auf drei Abstraktionsebenen, die sukzessive auseinander hergeleitet werden, verteilten Gegenstandsbereiche werden im folgenden Absatz bestimmt und mit den Begriffen »Feld«, »Boden«, »Gebiet« gekennzeichnet.51 Das
50 Es können und müssen sogar reine Verstandesbegriffe wie der der Kausalität zwecks praktischer Erkenntnis auf übersinnliche Gegenstände angewendet werden (vgl. KpV, 5:54– 57). Folglich gibt es von diesen Begriffen a priori verschiedene Anwendungsweisen, nämlich eine theoretische und eine praktische. 51 Diese Titel werden teilweise auch schon in den ersten beiden Kritiken als Metaphern verwendet, dort aber nicht in systematischer Absicht definiert; vgl. u. a. KpV, 5:56; KrV, B 343 / A 287: Feld der Gegenstände; Feld der Erfahrung: B 561 / A 533, B 638 / A 610, B 664 / A 636, B 670 / A 642, B 714 / A 686, B 790 / A 762 u. ö.).
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
nähere Ziel der Untersuchung ist die Einteilung der Gegenstände im Hinblick darauf (»zu dieser Absicht«), ob und inwiefern die Begriffe, die sich auf sie beziehen, Erkenntnis der Gegenstände ermöglichen.
Dritter Absatz: »Feld«, »Boden«, »Gebiet«. Nachdem im zweiten Absatz die »Zulänglichkeit« der Erkenntnisvermögen zur Objekterkenntnis als Bedingung für die Festlegung der Gegenstandsklasse, auf die sich Begriffe a priori beziehen, genannt worden ist, kann nun im dritten Absatz der Gegenstandsbereich in zwei Schritten eingegrenzt und konkreter bestimmt werden. Die Ausgangslage wird im ersten Satz ausgedrückt: »Begriffe, sofern sie auf Gegenstände bezogen werden, unangesehen ob ein Erkenntnis derselben möglich sei oder nicht, haben ihr Feld, welches bloß nach dem Verhältnisse, das ihr Objekt zu unserem Erkenntnisvermögen überhaupt hat, bestimmt wird. –« (5:174.10–13) Zunächst eine Vorbemerkung zur bildhaften Unterscheidung zwischen Feld-Boden-Gebiet. Der Sinn dieser Sprachbilder ergibt sich überhaupt aus der Hauptaufgabe des kritischen Unternehmens der KrV: Umfang und Grenzen der Philosophie zu bestimmen. Aus den vorgenommenen Beschränkungen ergeben sich nähere Bestimmungen und zugleich Grenzen von Zuständigkeiten, die durch räumliche Bezirke symbolisiert werden. Konkret ist nun zu bemerken: Zum Ersten wird hier nicht mehr wie am Anfang des Abschnittes nur von Begriffen a priori gesprochen, sondern von Begriffen in einem allgemeineren Sinne, so dass – wie dem Absatz weiter unten zu entnehmen ist – auch »Erfahrungsbegriffe« einbezogen sein können. Zum Zweiten erfasst das »Feld« alle Gegenstände, sofern sie »überhaupt« in irgendeinem Verhältnis zum Erkenntnisvermögen stehen, also nicht bloß die Objekte möglicher Erfahrung (nicht bloß sinnliche Gegenstände), sondern auch solche, die sich der Erfahrung oder einer anderen Bestimmungsweise prinzipiell entziehen. Das »sofern« in dem oben zitierten Satz schränkt die Begriffe, von deren »Feld« im folgenden die Rede ist, nicht bloß durch die Bedingung ihrer Beziehbarkeit auf Gegenstände ein, sondern durch einen abstrakten Gegenstandsbezug, für den die Frage der Ermöglichung von Erkenntnis keine Rolle spielt. Hierzu können eine ganze Reihe von Begriffen gezählt werden, die Kant in der KrV beleuchtet hat: die Noumena »im negativen Verstande« oder bloße »Gedankendinge« (KrV, B 307) (Etwas überhaupt, »X«, KrV, A 250) etc. Dass andererseits aber eine solche Relation notwendig angenommen werden muss, hat Kant in der KrV mehrfach betont, etwa in der berühmten Formel, dass uns die Dinge an sich »affizieren« müssen. Das Feld der Begriffe umschließt aufgrund der Abstraktion von der Frage, ob von ihren Gegenständen eine bestimmte Erkenntnis möglich sei oder nicht, auch alle Gegenstände des »Bodens« und des »Gebietes«. Denn auch von den Gegenständen des letzteren, die durch Begriffe a priori bzw. deren Vermögen gesetzgebend bestimmt
II. Abschnitt: Vom Gebiet der Philosophie überhaupt
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sind, gilt, dass sie überhaupt ein Verhältnis zu einem Erkenntnisvermögen haben. Das »Feld« ist also das Totum der Gegenstände von Begriffen überhaupt als ein Ganzes, das in sich differenziert und entsprechend aufgeteilt werden kann, wobei die Gegenstände im weitesten und abstraktesten Sinne gemeint sind. Das Feld als Extension der Begriffe ist aber nicht grenzenlos. Es soll »bestimmt« werden »bloß nach dem Verhältnisse, das ihr Objekt zu unserem Erkenntnisvermögen überhaupt hat«. Was ist damit gemeint, und inwiefern ist das Feld dann bestimmt? Wenn hier von der Frage abzusehen ist, ob Begriffe in einer solchen Relation auf Gegenstände stehen, durch die und in der Erkenntnis möglich ist, dann gehören offenbar auch Dinge an sich dazu. Denn diese müssen doch wenigstens gedacht werden können als Gegenstände, von denen eben keine Erkenntnis möglich ist. Insofern sind auch sie dem Erkenntnisvermögen des Subjekts unterworfen. Es sind die begriffsorientierten Vermögen des erkennenden Subjekts schlechthin, die den Umfang dessen, was Gegenstand von Begriffen sein kann, festlegen, weil Begriffe von Gegenständen ihrer Natur nach so aufzufassen sind, dass sie durch die Tätigkeit des Subjekts erst gebildet (auf Gegenstände »bezogen«) werden. Sinn (Funktion) dieser Abstraktion ist es, einen Ausgangspunkt und Grund für das Unterscheiden (›Teilen‹) bzw. Einschränken des Gegenstandsfeldes in einen Sektor, in dem Erkenntnis der Gegenstände nicht möglich ist – und dazu gehören ausschließlich die Dinge an sich, (jedoch mittelbar anscheinend auch die Gegenstände der Natur, auf die sich der Begriff eines Naturzwecks bezieht) – und in einen anderen Teil, in welchem »für uns Erkenntnis möglich ist«. (vgl. insbes. KrV, B 346 / A 290). Mit »Erkenntnis« ist hier nicht Erkenntnis im prägnanten Sinne gemeint, d. i. nicht bloß die theoretische Erkenntnis (die unter den Bedingungen von Sinnlichkeit und Verstand erzeugte menschliche Erkenntnis »für uns«) der Gegenstände der Natur (Erscheinungen). Es muss vielmehr auch die praktische Erkenntnis, also die über die theoretische hinaus erweiterte Erkenntnis in Bezug auf übersinnliche Gegenstände dazu gehören (weil es ja zwei Gebiete geben soll). Den Teil, in dem Erkenntnis möglich ist (und zwar in theoretischer und in praktischer Hinsicht) bezeichnet Kant als den »Boden (territorium)« eines Begriffs. Er enthält aber nur Gegenstände möglicher Erfahrung, also Erscheinungen (vgl. 4. Abs.). Es muss aber noch ein Rest des Feldes übrig bleiben, der nicht am Boden haftet. Das Feld teilt sich somit in zwei (nicht gleichgroße) Hälften nach Maßgabe des Unterschiedes zwischen Ding an sich und Erscheinung (Noumena und Phaenomena). Diese Grenzziehung war eines der Resultate der KrV. Die Extension der Begriffe, von denen hierbei die Rede ist, ist aber nun nicht mehr dieselbe wie die im ersten Satz des Absatzes; sie ist eingeschränkt auf diejenigen, die sich auf Gegenstände der Erscheinungswelt beziehen müssen (»Erfahrungsbegriffe«, Kategorien, Ideen). Begriffe, deren Relate allein aus Dingen an sich bestehen, sind ausgeschieden. Kants Ausdrucksweise verdeckt diesen Unterschied, da er in dem gesamten Absatz von »diesen« Begriffen spricht. Der Boden der Begriffe soll zugleich der Boden für »das dazu« – nämlich zur möglichen Erkenntnis – »erforderliche Erkenntnisvermö-
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
gen« sein. Das »dazu« bedeutet: für die erkenntnisermöglichende Herstellung der Verbindung zwischen Begriff und Gegenstand. Da es dreierlei solcher Verbindungen oder Beziehungen gibt (wie die folgende Betrachtung des Bodens zeigen wird), sind anscheinend auch drei Erkenntnisvermögen beteiligt, nämlich Verstand, Urteilskraft und Vernunft.52 Es ist aber darauf zu achten, dass Erkenntnismöglichkeit noch nicht so viel heißen kann wie objektiv notwendige (wirkliche) Erkenntnis von Erscheinungen der Natur, sondern Erkenntnis im weitesten Sinne; denn sonst wäre ja zumindest die Vernunft in positiver Bedeutung (vielleicht auch die Urteilskraft) von der Besiedelung des Bodens ausgeschlossen. Die Vernunft bezieht sich zwar gesetzgebend auf die Erscheinungswelt, aber sie erkennt sie theoretisch nur negativ als Notwendigkeit, die Bedingung ihres »Gebrauchs« ins Übersinnliche zu verlegen. Ob die Urteilskraft ihr Gelände bloß auf dem bodenlosen Feld findet oder gar auf dem Boden möglicher Erkenntnis, muss noch geprüft werden. Im nächsten Gedankenschritt wird analog zur Feldaufteilung der Boden halbiert: »Der Teil des Bodens, worauf diese [d. i. die Begriffe, WE] gesetzgebend sind, ist das Gebiet (ditio) dieser Begriffe und der ihnen zustehenden Erkenntnisvermögen.« (5:174.15–17) Man muss daraus schließen, dass nicht alle Gegenstände möglicher Erfahrung (nicht alle Erscheinungen der Natur) notwendigerweise dieser Gesetzgebung unterliegen. Es gibt nur zwei Arten von Begriffen, die nach Kant »gesetzgebend« sind, d. i. die Kategorien und die (praktischen) Ideen. Sie sind dies aber nur insofern, als sie mit dem richtigen (für sie zuständigen) Erkenntnisvermögen verbunden werden, d. h. in diesem Falle mit dem Verstand bzw. der (praktischen) Vernunft. Die Gegenstände des Gebietes sind auf der einen Seite noch dieselben wie die des Bodens, nämlich Erscheinungen als Gegenstände der theoretischen Erkenntnis (s. dazu 4. Abs.); auf der anderen Seite werden sie nach der Art der Beziehung der Begriffe bzw. Erkenntnisvermögen auf sie, unterschieden und bestimmt. Die Beziehung, die gesetzgebend aus dem Verstandesvermögen heraus ist, verleiht den Gegenständen der Natur Notwendigkeit, die gesetzgebende Beziehung der Vernunft jedoch nicht. Das Einteilungskriterium scheint sich dabei allerdings verschoben zu haben. Im ersten Einteilungsschritt bildete die Unterscheidung in Gegenstandsarten die Grundlage, im zweiten Schritt dagegen die Art des Beziehens von Begriffen auf Gegenstände.53
Folgendes Sachproblem muss noch erläutert werden: Einerseits liegt der Boden insgesamt auf dem Feld und ist als ein Teil desselben (als Feld des Sinnlichen) ausgewiesen; dann liegt ein anderer Teil des Feldes (des Übersinnlichen) also außerhalb des Bodens. Aber der Boden müsste streng nach seiner Definition genommen ganz außerhalb des Feldes liegen; denn seine Bestimmung ist an Möglichkeitsbedingungen von Erkenntnis gebunden, von denen das Feld gerade abstrahieren soll. Das Modell ist in sich nicht konsistent. 53 Die Konsequenz aus dieser Überlegung wäre aber, dass der Boden mehr umfassen müsste als Gegenstände möglicher Erfahrung; oder es müsste gezeigt werden, dass und wie 52
II. Abschnitt: Vom Gebiet der Philosophie überhaupt
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Aus dem Gebiet ausgeschlossen sind mithin die Gegenstände von Begriffen, die Kant hier »Erfahrungsbegriffe« nennt. Sie sind, wie sich gleich zeigen lässt, nicht gleichbedeutend mit empirischen Begriffen: »Erfahrungsbegriffe haben also zwar ihren Boden in der Natur, als dem Inbegriff aller Gegenstände der Sinne, aber kein Gebiet (sondern nur ihren Aufenthalt, dominium)«. (5:174.17–20) Erfahrungsbegriffe beziehen sich nämlich, insofern sie nicht auf bloß empirischem Wege gewonnen werden, mit Notwendigkeit auf (empirische) Gegenstände der Natur – und deshalb können sie vom Boden nicht ausgeschlossen werden; aber sie besitzen eben keine gesetzgebende Funktion. Das wäre jedoch die Bedingung für eine Gebietszuteilung. Sie können nicht gesetzgebend sein, weil sie weder hinreichend allgemeingültig sind noch a priori gelten. Ihre Geltung hängt vielmehr davon ab, dass sie ihnen von anderen Begriffen a priori gesetzlich verliehen wird. Auf der anderen Seite sollen sie nämlich »gesetzlich erzeugt werden«. Was man sich unter einer solchen Erzeugung zu denken hat, bleibt ebenso offen wie die Frage, wodurch bzw. durch welches Vermögen sie erzeugt werden. Wir können vermuten, dass die (teleologisch reflektierende) Urteilskraft die Erzeugerin ist und sich dabei gewisser Gesetze (die wir noch nicht kennen) bedient.54 Wahrscheinlicher ist es jedoch, dass die hier angesprochenen Erfahrungsbegriffe solche Begriffe sind, die aus der Beziehung eines Naturerkenntnis ermöglichenden Verstandesbegriffes a priori in Verbindung mit und unter Bedingung von sinnlichen Anschauungsformen auf spezifische Wahrnehmungsinhalte (das Mannigfaltige in der Erscheinung) resultieren.55 Die Erfahrungsbegriffe sind m.a.W. Begriffe von Gegenständen der Erfahrung (von Erscheinungen). Gibt es ein Argument, das dagegen spricht, dass sowohl die Erfahrungsbegriffe als Erzeugnisse des Verstandes als auch die mit der teleologisch reflektierenden Urteilskraft in Verbindung gebrachten Naturbegriffe zur Klasse der »Erfahrungsbegriffe« gehören, die neben den gesetzgebenden Begriffen zum »Boden« gehören? Es gibt einen Grund, der die teleologisch ermittelten Naturbegriffe ausschließt. Zwar will Kant das Prinzip der teleologischen Urteilskraft (die innere Zweckmäßigkeit) ausdrücklich als »Erzeugungsprinzip« verstanden wissen; aber die Naturprodukte, die auf diese Weise erzeugt werden, sind nicht Produkte einer Gesetzgebung der reflektierenden Urteilskraft; sie sind eigentlich im echten Sinne gar keine »Erzeugnisse«. Als solche betrachten wir sie nur in Analogie zur Selbstgesetzgebung dieses Vermögens, das den Schein erweckt, als bezöge sich sein gesetzgebendes Prinzip auf die Objekte der Natur selbst, für die es passende Begriffe suchen soll. Die Begriffe aber, die mit Hilfe des Prinzips der reflektierenden Urteilskraft in der äußeren Natur gefunden werden, sind empirische Begriffe. Für empirische Begriffe existiert kein Sektor auf dem »Boden« der Erkenntsich auch die praktische Vernunft mittels der Ideen gesetzgebend auf sie bezieht Vgl. KpV, 5:56. 54 Z. B. die Affinität (vgl. KrV, B 696 / A 668). 55 Vgl. u. a. KrV, B 357 / A 301.
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
nis, weil im strengen Sinne nur Begriffe a priori darauf einen Gegenstandsbezug haben und Erfahrungsbegriffe nur in einem eingeschränkten Sinne. Neben diesen drei Begriffsklassen gibt es also keine weiteren Arten von Begriffe, die auf dem »Boden« einen Platz für sich beanspruchen könnten. Dass die Erfahrungsbegriffe nicht selbst gesetzgebend sein können, hängt offenbar auch mit der Konsequenz zusammen, dass die Regeln, die sich auf sie gründen, »empirisch, mithin zufällig sind«. Ebenso zufällig muss dann aber auch die Zuordnung von Gegenständen des Bodens zu den Erfahrungsbegriffen sein. Dass Erfahrungsbegriffe nur einen eingeschränkten »Aufenthalt« auf dem Boden haben, bedeutet, dass ihr Betätigungsfeld, ihre Funktionsweise beschränkt ist. Da sie nicht gesetzgebend sein können, können sie auch kein Gebiet für sich reklamieren, auf dem sie ansässig werden und ein Bleiberecht erwerben könnten.56 Auf die Gegenstände des Gebietes beziehen sich also keine Erfahrungsbegriffe, sondern ausschließlich Begriffe, die a priori gesetzgebend sind. (Im Gebiet haben nur noch Begriffe a priori die Herrschaft (vgl. 4. Abs.)). Das Gebiet umfasst daher auch nur solche Gegenstände aus dem Bereich der Erscheinungen, von denen sich zu recht sagen lässt, dass ihre Kausalität (und nur diese!) oder ihre Entstehungsweise notwendig durch jene Begriffe determiniert ist, z. B. ein Dreieck überhaupt, im Unterschied zu diesem oder jenem in der Natur in Erscheinung tretenden Dreieck. Die Gegenstände des Bodens und die des Gebiets unterscheiden sich also wiederum durch eine Abstraktion, nämlich von zufälligen Naturbestimmungen, wie eben das Dreieck überhaupt von beliebigen Erscheinungsformen desselben. Können solche Gegenstände aber auch Objekte des Freiheitsgebietes sein, da doch die praktische Vernunft sich nicht unmittelbar gesetzgebend auf die einzelne Erscheinung bezieht? Um welche Gegenstände handelt es sich also im zweiten Gebiet? Wir vermuten z. B. das höchste Gut, im Unterschied zu bestimmten Glücksgütern. Aber passen solche übersinnlichen Gegenstände auf den »Boden« gemäß der oben gegebenen Bestimmung als Totum sinnlicher Gegenstände (Erscheinungswelt, materiale Natur)? In den folgenden beiden Absätzen muss eine Antwort auf diese Fragen gefunden werden.
Vierter bis sechster Absatz: Zwei Gebiete, zwei verschiedene Gesetzgebungen – ein und derselbe Boden der Erscheinungen? Im vierten Absatz wird deutlich, welchen Zweck eigentlich die Aufteilung der Gegenstände, auf die sich Begriffe beziehen, in Felder, Boden und Gebiete hat. Kant will, wie bereits im ersten Abschnitt der Einleitung, die Einteilung der Philosophie in theoretische und praktische rechtfertigen, aber nunmehr auf dem umgekehrten Diese Ausdrucksweise benutzt Kant wohl in Analogie zur Sprache der Rechtslehre, nach welcher ein Bürger in einem fremden Land zwar Aufenthaltsrecht, aber kein Staatsbürgerrecht genießt (vgl. MS, RL, § 62 (6:353); vgl. Zum ewigen Frieden (8:357–358)). 56
II. Abschnitt: Vom Gebiet der Philosophie überhaupt
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Wege, nicht von den Begriffen, sondern von den diesbezüglichen Gegenständen ausgehend. Um dieses Ziel zu erreichen, stellt er fest, dass »unser gesamtes Erkenntnisvermögen« genau »zwei Gebiete, das der Naturbegriffe und das des Freiheitsbegriffs« habe. Dass es nur diese Gebiete gibt, wird aber damit begründet, dass es genau diese beiden Begriffsklassen gibt, durch die das Erkenntnisvermögen a priori gesetzgebend ist. Damit ist klar, dass sich die Gebiete auf die theoretische und praktische Erkenntnis im engeren Sinne erstrecken. Zunächst ist anzumerken, dass mit der Gesamtheit unseres Erkenntnisvermögens hier nur die sog. »oberen« Erkenntnisvermögen gemeint sein können, also Verstand und Vernunft, nicht aber die sinnliche Anschauung. Denn nur diese beiden haben Gesetzgebungsfunktion. Das wird im fünften und sechsten Absatz deutlicher, die von Verstand und Vernunft handeln. Die beiden Gesetzgebungsarten unterscheiden sich in der Weise, dass die des Verstandes vorschreibt, wie etwas bestimmt ist, die der Vernunft im Praktischen aber, wie etwas sein soll. Sodann ist auch hier die Frage zu beantworten, weshalb auf dem Freiheitsgebiet nur ein Begriff, auf dem Naturgebiet aber mehrere gesetzgebend sind. Hier ist nun die Freiheit in positiver Bedeutung relevant. Die praktische Vernunft gibt aber über den Begriff der Freiheit nur ein einziges Gesetz, nämlich das »moralische Gesetz«. Die Unterscheidung der Freiheit nach dem Kategorienmuster in verschiedene Aspekte zieht nicht ebenso viele Gesetze nach sich; die »Kategorien der Freiheit« folgen vielmehr aus dem einzigen Gesetz der Kausalität,57 so dass aus dieser Perspektive der Singulargebrauch gerechtfertigt ist, im Unterschied zu den Verstandesbegriffen und der Gesetzgebung des Verstandes. Das erste Argumentationsziel ist im vierten Absatz erreicht mit der Einteilung der Philosophie, die aus den im zweiten Abschnitt vorangegangenen Überlegungen folgen soll: »Die Philosophie teilt sich nun auch diesem gemäß in die theoretische und die praktische.« (5:174.25–26) »Auch diesem gemäß« – das heißt eben: wie im ersten Abschnitt die entsprechende Einteilung mit der Unterscheidung zwischen Naturbegriffen und Freiheitsbegriff begründet worden ist, so hier durch die Trennung der Gegenstandsbereiche in zwei Gebiete. Damit ist aber keineswegs schon hinreichend erklärt, worin die Differenz zwischen den beiden Gebieten besteht. Die Betrachtungen in den nachfolgenden Absätzen haben vielmehr erst die Aufgabe, das Verhältnis der beiden Gebiete zueinander vor dem Hintergrund aller Gegenstandsbereiche (Feld-BodenGebiet) und deren Relation zueinander zu klären. Dass die beiden Gebiete sich voneinander unterscheiden, ist nicht nur davon abhängig, dass die Begriffe (bzw. die mit ihnen verbundenen Erkenntnisvermögen), die sich auf sie beziehen, gleichermaßen »a priori gesetzgebend« sind, sondern setzt auch voraus, dass sie ein und denselben Boden haben, nämlich als »Inbegriff der Gegenstände aller möglichen Erfahrung, sofern sie für nichts als bloße Erscheinungen genommen werden«. Die Gesetzgebung durch die Begriffe a priori wäre 57
Vgl. Euler, W. (2016), Verstand und Wille, 175–217.
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
ohne Sinn und Bedeutung (nämlich ohne Inhalt), wenn sie nicht auf Erfahrungsgegenstände angewendet, d. h. bezogen wäre; ihre Bestimmung ist abhängig vom Gegebensein solcher Gegenstände: »denn ohne das würde keine Gesetzgebung des Verstandes in Ansehung derselben gedacht werden können.« (5:174.29–31) Man kann hier sinngemäß ergänzen: und auch keine Gesetzgebung der praktischen Vernunft. Diese muss sich beim Gebrauch des moralischen Gesetzes notwendig auf die Erscheinungswelt beziehen, in der allein sie erkannt und verwirklicht werden kann (vgl. auch 7. Abs.); denn der Mensch, dessen Handeln die Vernunft dem Freiheitsgesetz unterstellt, gehört zu den Sinnenwesen. Und als ein solches ist er der Adressat des moralischen Gesetzes in Form des kategorischen Imperativs. Der fünfte Absatz macht dann allerdings deutlich, dass sich die Gesetzgebungsfunktion der Vernunft auf die praktische Philosophie beschränkt (»Nur allein im Praktischen … gesetzgebend sein.«). In Hinsicht auf Naturerkenntnis dagegen »kann sie nur (als gesetzkundig vermittelst des Verstandes) aus gegebenen Gesetzen durch Schlüsse Folgerungen ziehen, die doch immer nur bei der Natur stehen bleiben.« (5:174.36–175.2) Für die Gesetzgebung auf diesem Gebiet ist nämlich der Verstand zuständig. Die »gegebenen« Gesetze, die »vermittelst des Verstandes« zustande kommen, sind wohl nicht die allgemeinen Verstandesbegriffe (denn aus ihnen lassen sich unmittelbar keine praktischen Regeln folgern), sondern eher besondere (empirische) Gesetze der Natur. Die »Folgerungen«, die aus den gegebenen Gesetzen zu ziehen sind, können praktische Sätze sein (die weiter oben benannten Korollarien, d. h. technisch-praktische Regeln); wie z. B. die Regeln der Geschicklichkeit (vgl. E I, 5. Abs.). Deshalb schließt diese Grenzziehung die umgekehrte Behauptung ein: nicht in jedem Fall kann vom Vorliegen praktischer Regeln auf die Gesetzgebung der Vernunft geschlossen werden. Denn – wie im ersten Abschnitt dargelegt – praktische Sätze gehören nicht schon deshalb zur praktischen Philosophie, weil sie praktisch sind (Handlungsanweisungen enthalten); sie müssen vielmehr unter dem Freiheitsbegriff stehen und Gesetzescharakter aufweisen. Dies gilt aber nicht von den sog. »technisch-praktischen« Regeln, auf die hier am Ende des fünften Absatzes ausdrücklich verwiesen wird. An welche Art von »Schlüssen« und »Folgerungen« in dem zitierten Satz zu denken ist, vermitteln die Einleitungspassagen der transzendentale Dialektik der KrV.58 Es kann Kant hier nicht um die dialektischen Vernunftschlüsse gehen, sondern um Schlüsse, deren Obersätze Verstandesprinzipien sind, also um Vernunfterkenntnis aus Begriffen des Verstandes.59 Diese wird von Kant ausdrücklich von der VerstanÜber den Begriff der Folgerung als eines Satzes oder Urteils des logischen Schließens s. KrV, B 359 ff. / A 303 ff; Logik Hechsel (Pindar II, S. 438 ff.). Solche »Corollarien« sind die direkten Konklusionen in einem zweigliedrigen unmittelbaren – oder Verstandesschluß; oder sie sind die Folgerungen aus einem Obersatz in einem dreigliedrigen Vernunftschluß, auf die die Konsequenz noch folgt. 59 Zum logischen Gebrauch der Vernunft vgl. KrV, B 355 / A 299. 58
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deserkenntnis (die sich nämlich auf Anschauung beziehen muss) unterschieden. Allein die Vernunft ist imstande, synthetische Erkenntnis aus Begriffen zu erzeugen (KrV, B 357–358 / A 301–302). Vernunfterkenntnis folgt aus einem »Prinzip« mittels logischer Schlüsse, die zwei- oder dreigliedrig sein können. Die Vernunft ist »das Vermögen der Einheit der Verstandesregeln unter Prinzipien« (B 359 / A 202; vgl. B 356 / A 299 f.). So wie der Verstand durch seine Regeln die Erscheinungen unter eine Einheit bringt, so verfährt die Vernunft mit den Verstandesregeln durch Begriffe und nach Prinzipien (B 359 / A 302). Es ist also der Verstand, der der Vernunft die Grundsätze (oder Gesetze) liefert, die diese im Schlussverfahren als Prinzipien (im Obersatz) benutzt (ihrer Herkunft nach im Verstand sind sie nach Kant im eigentlichen Sinne noch nicht als Prinzipien aufzufassen, vgl. KrV, B 356–359 / A 299–302). Deshalb ist aber die Vernunft, sofern sie das Vermögen theoretischer Erkenntnis ist, eben nicht gesetzgebend, sondern – um zum Text von E II, 5. Abs. zurückzukehren – nur »gesetzkundig«. D. h. sie weiß von den Verstandesgesetzen und macht sie sich in ihren Erkenntnisakten zu eigen. Diejenigen Schlüsse dagegen, in denen die Vernunft von ihren ureigenen Grundsätzen und Begriffen ausgeht, um daraus theoretische Erkenntnis zu gewinnen, sind »dialektisch«. Sie kommen daher für die Interpretation der ins Auge gefassten Stelle in E II nicht in Betracht. Wie ein »Vernunftschluß« allgemein aufgebaut ist, wird in der Einleitung der transzendentalen Dialektik der KrV (Abschnitt II, B–C) grob skizziert: »In jedem Vernunftschlusse denke ich zuerst eine Regel (major) durch den Verstand. Zweitens subsumiere ich ein Erkenntnis unter die Bedingung der Regel (minor) vermittelst der Urteilskraft. Endlich bestimme ich mein Erkenntnis durch das Prädikat der Regel (conclusio), mithin a priori durch die Vernunft.«60 »Folgerung« heißt in dem Zusammenhang sowohl das aus einem Grundsatz (Prinzip) abgeleitete Urteil (die Subsumtion als zweites Schlussglied, die eine Handlung der Urteilskraft sein soll) (vgl. KrV, B 360 / A 303) als auch die Conclusio (KrV, B 361 / A 303–304). Eine Folgerung ist überhaupt ein logischer Gedankenschritt (innerhalb eines Schlusses) von der Bedingung zum Bedingten (s. KrV, B 388–389 / A 331–332). Aber auch Schlüsse können wiederum Folgerungen aus anderen Schlüssen sein (in den sog. Episyllogismen, s. KrV, B 388 / A 331).61 Ideen werden insofern von der Vernunft erzeugt, als sie Resultat ihres Schließens sind (s. KrV, B 397). Im sechsten Absatz wird das Ergebnis der in den beiden vorangegangenen Absätzen vorgenommenen Analyse in der Folgerung zusammengefasst:
KrV, B 360–361 / A 304; vgl. auch B 363 f. / A 306 f. und insbesondere das Beispiel in B 378 f. / A 322; B 386–388 / A 330 f. 61 Da Korollarien – wie die technisch-praktischen Sätze – ausdrücklich von der Vernunft (logisch) hergeleitet werden, sind es Konklusionen. Sie implizieren also vollständige Schlüsse und sind damit durch die Vernunft bestimmte Regeln 60
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
»Verstand und Vernunft haben also zwei verschiedene Gesetzgebungen auf einem und demselben Boden der Erfahrung, ohne dass eine der anderen Eintrag tun darf.« (5:175.5–7) Die Pointe dieses Ergebnisses besteht nicht in der Verschiedenheit der Gesetzgebungsfunktion – diese war ja bereits im ersten Abschnitt festgestellt worden; sondern darin, dass trotz dieser Verschiedenheit in bestimmter Hinsicht auch deren Übereinstimmung behauptet wird. In dieser Konstruktion steckt eine logische Schwierigkeit. Bedeutet nämlich die festgestellte Verschiedenheit, dass Verstand und Vernunft in Hinsicht auf ihre je eigene Gesetzgebungsfunktion einander ausschließen, dann ist nicht ohne weiteres zu verstehen, wie sie sich auf ein gemeinsames Drittes – den Empfänger (Rezipienten) der beiden unterschiedlichen Gesetzgebungen – beziehen können sollen, ohne dass daraus ein logischer Widerspruch entspringt. Dass Verstand und Vernunft bei ihrer Gesetzgebung einander keinen »Eintrag« tun dürfen, bedeutet, wie der sich anschließende Satz desselben Absatzes zeigt, dass sie sich in der Ausübung ihrer jeweiligen Operation wechselseitig nicht beeinflussen oder stören dürfen. Sie sind in ihrer jeweiligen Gesetzgebung autonom. Insofern schließen sie also einander aus. Zugleich richtet sich die Gesetzgebung beider Vermögen auf ein und denselben »Boden der Erfahrung«, und zwar mit Notwendigkeit (vgl. E I, 4. Abs.), weil sie sonst ohne Inhalt (nicht objektiv gültig) wären. Das ist die Gebrauchmachung von den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft, die als separate Handlung auf die eigentliche Gesetzgebung, welche im Falle der praktischen Vernunft nur auf Gegenstände im Übersinnlichen bezogen sein kann, folgt. Sie betrifft die »Wirkungen in der Sinnenwelt«, von der in Abs. 7 die Rede sein wird. Der Bezug der Gesetzgebung auf die Sinnenwelt (und damit auf den Boden) ist jedoch im Falle des Freiheitsbegriffs ein anderer als im Fall der Naturbegriffe. Während der letztere von der sinnlichen Bedingung der Anschauung abhängt, beruht der erstere ganz auf einem übersinnlichen Prinzip (vgl. E I, 6. Abs.). Die Handlungen, die unter dem Gesetz der Freiheit stehen, sind zugleich »Begebenheiten in der Sinnenwelt« und gehören insofern zu den Erscheinungen (KpV, 5:65.15–26). Gemäß den Kategorien werden die Bestimmungen der praktischen Vernunft auf diese Erscheinungen bezogen, aber nur zu dem Zweck, »das Mannigfaltige der Begehrungen der Einheit des Bewußtseins einer im moralischen Gesetze gebietenden praktischen Vernunft oder eines reinen Willens a priori zu unterwerfen« (ebd., 5:65.23–26). Kant weist zumindest indirekt in der zweiten Hälfte des sechsten Absatzes von E II (nach dem Gedankenstrich) auf dieses Problem einer möglichen heteronomen Konkreszenz hin, indem er zu dessen Auflösung auf ein Beweisresultat in der KrV verweist. Dass nämlich das Freiheitsgesetz der Vernunft und die Naturgesetze des Verstandes »wenigstens ohne Widerspruch« in ein und demselben Erkenntnissubjekt gedacht werden können, habe die KrV bewiesen, und zwar, »indem sie die Einwürfe dawider durch Aufdeckung des dialektischen Scheins in denselben vernichtete.«
II. Abschnitt: Vom Gebiet der Philosophie überhaupt
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Damit rekurriert Kant offensichtlich auf das Ergebnis der Untersuchung der dritten Antinomie, die die Aufgabe enthält, das Verhältnis von Naturkausalität und Freiheit zu prüfen.62
Erläuternder Exkurs: »Aufdeckung des dialektischen Scheins« in der dritten Antinomie der Kritik der reinen Vernunft Die transzendentale Dialektik in der KrV soll im Wesentlichen die Aufgabe erfüllen, »den Schein transzendenter Urteile aufzudecken und zugleich zu verhüten, dass er nicht betrüge;« (KrV, B 354 / A 297). Man kann diesen »transzendentalen Schein« aber durch keine kritische Analyse zum Verschwinden bringen. Denn er besteht in einer »natürlichen und unvermeidlichen Illusion«, »die selbst auf subjektiven Grundsätzen beruht, und sie als objektive unterschiebt […]« (ebd.). Die Ursache dieser »Illusion« ist, dass in der Vernunft selbst »Grundregeln und Maximen ihres Gebrauchs liegen, welche gänzlich das Ansehen objektiver Grundsätze haben […]« (B 353 / A 297). Dadurch wird die eigentlich bloß subjektive Notwendigkeit in der Verknüpfung von Verstandesbegriffen »für eine objektive Notwendigkeit, der Bestimmung der Dinge an sich selbst gehalten […]« (ebd.). Der Schein haftet also Grundsätzen an und macht diese insofern »transzendent«, als er nicht nur die Grenze der Erfahrung überschreitet, sondern die Kategorien ins Unbestimmte erweitert. Damit wird dem Erkenntnissubjekt zugemutet, »alle jene Grenzpfähle niederzureißen und sich einen ganz neuen Boden, der überall keine Demarkation erkennt, anzumaßen.« (B 352 / A 296). Die oben in Absatz 6, E II, genannten »Einwürfe« gegen das Zusammenbestehen (Nebeneinander) der Gesetzgebungen von Verstand und Vernunft sind nichts anderes als die beiden antithetischen (einander ausschließenden) Sätze der dritten Antinomie. Thesis und Antithesis bilden einen kontradiktorischen Gegensatz (Widerstreit) (von Kant auch als »analytische Opposition« bezeichnet, B 532 / A 504), insofern die Wahrheit jeder dieser Sätze durch die Widerlegung des Gegenteils für sich bewiesen werden kann. Sie sind Resultat einer gemeinsamen Schlussfigur, aber unter falschen Voraussetzungen. Durch eine Analyse des beiden gemeinsam zugrundeliegenden Schlusses, durch den jeder dieser beiden Sätze als wahr bewiesen werden soll, wird der Fehler im Schlussverfahren entdeckt (B 535 / A 507). Thesis und Antithesis gingen von ein und derselben Voraussetzung in ihren jeweiligen Beweisen aus; aus der Gleichsetzung von Erscheinungen mit Dingen an sich entsprang die Antinomie (vgl. B 563 / A 535); werden sie nun aber korrekt auf verschiedene Voraussetzungen (einerseits D.a.s., andererseits Erscheinungen) bezogen, so verschwindet die Antinomie oder der Widerspruch, und beide sind für sich wahr. Die Kontradiktion verwandelt sich so in einen (scheinbaren) Widerstreit (»dialektische« Opposition, B 532–534 / A 504–506; vgl. B 449–450 / A 421–422). 62
Vgl. dazu Wolff, M. (2013), Freiheit und Determinismus.
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
Der dialektische Schluss unterscheidet sich von den Vernunftschlüssen im eigentlichen Sinne durch folgende Merkmale: • Dialektische Vernunftschlüsse enthalten keine »empirischen Prämissen«; • Sie schließen von etwas Bekanntem auf etwas, »wovon wir doch keinen Begriff haben, und dem wir gleichwohl, durch einen unvermeidlichen Schein, objektive Realität geben.« (B 397 / A 339) • Sie entstehen nicht zufällig, sondern mit Notwendigkeit, insofern sie aus der Natur der Vernunft selbst entspringen (ebd.; B 433–434 / A 406–407; B 449– 450 / A 421–422). • Im Ergebnis schließen sie auf die Ideen, deren korrespondierendes Objekt unbekannt ist. (ebd.) • Es gibt drei Arten von dialektischen Schlüssen, von denen eine Art die Antinomien sind. (B 397 f. / A 339 f., B 432–435) Der dialektische Schluss deckt die Antinomie als Schein eines Widerspruchs auf und lässt beide als unentscheidbar nebeneinander stehen (s. z. B. B 472–479 / A 444–451). Der »Betrug« in der dritten Antinomie besteht darin, im Untersatz Erscheinungen als D.a.s. genommen zu haben, weil im Obersatz notwendig von der Anschauung (insbesondere von Zeitbedingungen) abstrahiert wird (Prinzipien der Vernunft haben keinen Bezug auf die Sinnlichkeit, daher sind die Gegenstände im Obersatz D.a.s.): »So wird demnach die Antinomie der reinen Vernunft bei ihren kosmologischen Ideen gehoben, dadurch, dass gezeigt wird, sie sei bloß dialektisch und ein Widerstreit eines Scheins, der daher entspringt, dass man die Idee der absoluten Totalität, welche nur als eine Bedingung der Dinge an sich selbst gilt, auf Erscheinungen angewandt hat, die nur in der Vorstellung, und, wenn sie eine Reihe ausmachen, im sukzessiven Regressus, sonst aber gar nicht existieren.« (B 534 / A 506). Die »Aufdeckung des dialektischen Scheins« (KU, E II, Abs. 6) vollzieht sich also durch die Fehleranalyse des beiden Sätzen zugrunde liegenden Schlusses. Damit sind die verwendeten Beweise zur Widerlegung der jeweiligen Gegenbehauptung aber entkräftet. Durch die Auflösung der Antinomie (das Verschwinden ihres Widerspruches) werden die »Einwürfe« gegen das Zusammenbestehen ›vernichtet‹ (5:175.12 f.). Wodurch nötigt aber die Vernunft aus ihrer Natur heraus zu dieser Täuschung? Antwort: Weil sie zur unbedingten Einheit und Vollständigkeit der Verstandesgesetze der Dinge treibt und dadurch die Kategorie »bis zum Unbedingten« erweitert (B 435–438 / A 409–411). Die besondere transzendentale Idee, auf die sich die dritte Antinomie bezieht, ist die der Freiheit als des Vermögens, »einen Zustand von selbst anzufangen« (B 561 / A 533). Da im »Feld der Erfahrung« jede Ursache in der Zeitreihe wieder eine Ursache haben muss und dadurch »keine absolute Totalität der Bedingungen im Kausalverhältnisse« gebildet werden kann, »so schafft sich die Vernunft die Idee
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von einer Spontaneität, die von selbst anheben könne zu handeln, ohne daß eine andere Ursache vorangeschickt werden dürfe« (B 561 / A 533). Naturkausalität und Freiheit schließen auf diese Weise einander aus. Es gibt nur zwei Arten von Kausalität: Natur und Freiheit (B 560–565 / A 532–537). 63 In der »Erläuterung der kosmologischen Idee einer Freiheit in Verbindung mit der allgemeinen Naturnotwendigkeit« (KrV, B 570 ff / A 542 ff.) kommt Kant am Ende zu dem Schluß, die Aufgabe, »ob Freiheit der Naturnotwendigkeit in einer und derselben Handlung wiederstreite«, dadurch aufgelöst zu haben, dass er zeigte, »daß, da bei jener eine Beziehung auf eine ganz andere Art von Bedingungen möglich ist, als bei dieser, das Gesetz der letzteren die erstere nicht affiziere, mithin beide voneinander unabhängig und durcheinander ungestört stattfinden können« (B 585 / A 557). Ist der Freiheitsbegriff »im kosmologischen Verstande«, der laut KU, E II, neben der Naturgesetzgebung der Kausalität bestehen kann (dessen Möglichkeit des Zusammenbestehens mit derselben sich ohne Widerspruch denken lässt), überhaupt derselbe, der das Gebiet der praktischen Philosophie besetzt? Offenbar nicht. Denn das muss doch wohl die moralisch-praktische Freiheit sein. Das Problem des kosmologischen Freiheitsbegriffs (der Spontaneität) und dessen Auflösung scheint aber die Gesetzgebung der moralischen Freiheit direkt zu beeinflussen.64 (s. dazu besonders Ende B 561f.) Gesetzgebung ist nicht dasselbe wie Kausalität.
Siebter bis achter Absatz: Das »Feld des Übersinnlichen« Im siebten Absatz wird die Trennung bzw. Dualität der beiden Gebiete des Verstandes resp. der Vernunft begründet. Daraus wird dann im achten Absatz auf die notwendige Existenz eines Feldes des »Übersinnlichen« geschlossen und dessen Funktion angegeben.65 Zum Problem des Widerspruchs und der möglichen Vereinigung beider Arten von Kausalität s. KrV, B 571 / A 543. Weitergehende Vereinigung von Natur und Freiheit im D.a.s. als selbsttätigem Subjekt und Autor der Wirkungen in der Erscheinungswelt (B 566–569 / A 538– 541). Übereinstimmung von Natur- oder Verstandesgesetz und Freiheitsgesetz (B 570–575 / A 542–547). Das Grundproblem der Vereinigung von Natur und Freiheit (B 571 / A 543): Die angenommene Kausalkette von Ursachen in den Erscheinungen der Natur erlaubt neben ihr insofern eine Wirkung aus Freiheit (eine intelligible Kausalität), als der Mensch durch reine Vernunft zur Selbsterkenntnis fähig ist und die unbedingte Vernunftkausalität durch praktische Imperative (»Sollen«) bewiesen wird (B 575–585 / A 547–557). 64 s. dazu besonders Ende B 561–562 / A 533–534: »Es ist überaus merkwürdig, daß auf diese transzendentale Idee der Freiheit sich der praktische Begriff derselben gründe, und jene in dieser das eigentliche Moment der Schwierigkeiten ausmache, welche die Frage über ihre Möglichkeit von jeher umgeben haben«. 65 Zur Verwendung des Ausdrucks »Feld des Übersinnlichen« s. auch die Einleitung der B-Auflage der KrV (B XXI). 63
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
Von den beiden Gebieten wird (Abs. 7) zweierlei behauptet: erstens, dass sie »sich zwar nicht in ihrer Gesetzgebung, aber doch in ihren Wirkungen in der Sinnenwelt unaufhörlich einschränken«; zweitens, dass sie »nicht eines ausmachen«. (5:175.14–16) Dass keine wechselseitige Beeinträchtigung der beiden Vermögen hinsichtlich ihrer Gesetzgebung stattfinden kann, ist bereits im sechsten Absatz mit Bezugnahme auf die Auflösung der Freiheitsantinomie in der KrV gezeigt worden. Die Einschränkung »in ihren Wirkungen« betrifft die Anwendung ihrer Gesetze auf Erscheinungen, die notwendig ist, damit die Gesetze überhaupt Gültigkeit beanspruchen können. Die wechselseitige Einschränkung ist also nur auf dem beiden gemeinsamen Boden, auf den sie sich nicht bloß gegenseitig ausschließend beziehen, möglich. Sie ist eine Folge der Wirkung des Verstandes und der Vernunft, und sie geschieht »unaufhörlich«, weil die gesetzgebende Tätigkeit zur Natur beider Vermögen gehört. Die beiden Gebiete stehen in einem Verhältnis der Entgegensetzung, die daraus resultiert, dass sie sich gegenseitig sozusagen ihrer Folgen berauben, also einander real und nicht logisch entgegengesetzt sind.66 Auf diese Weise kann ein und dieselbe kausale Wirkung in der Natur entweder als eine Folge naturgesetzlicher oder freiheitlicher Ursache bzw. entweder als Folge der Verstandes- oder der Vernunfttätigkeit angesehen werden. Viel schwieriger ist die Begründung für die Nichtidentität (Uneinheitlichkeit) beider Gebiete zu durchschauen. Denn dafür wird ja anscheinend wieder ein gemeinsames Merkmal beider Gebiete als Argument benutzt, wenngleich es in einer negativen Bestimmung ausgedrückt wird: Weder der Naturbegriff noch der Freiheitsbegriff kann »ein theoretisches Erkenntnis von seinem Objekte (und selbst dem denkenden Subjekte) als Dinge an sich verschaffen«. Die jeweiligen Gründe dafür sind allerdings unterschiedlich: Der Naturbegriff stellt seine Gegenstände anschaulich vor, d. h. eben nicht als Dinge an sich; der Freiheitsbegriff dagegen ohne Anschauung, aber als Dinge an sich. Weil der Naturbegriff sich auf Erscheinungen bezieht, so ist durch ihn zwar theoretische Erkenntnis möglich, aber eben nicht von Gegenständen als Dingen an sich; und weil der Freiheitsbegriff sich aus Mangel an Anschauung nur auf Dinge an sich als den ihm korrespondierenden Gegenständen beziehen kann, so ermöglicht er zwar Erkenntnis von Dingen an sich, aber eben keine theoretische. Für beide Begriffe zusammengenommen gilt aber dann: dass keiner von beiden »ein theoretisches Erkenntnis von seinem Objekte […] als Dinge an sich« (5:175.20–22) zu konstituieren imstande ist. D.a.s. sind insofern für beide theoretisch unerkennbare Gegenstände, die in das »Feld des Übersinnlichen« als des Reichs des Unerkennbaren und des Unbedingten verbannt werden. Übrigens ist die zweite der oben wiedergegebenen Behauptungen – dass die beiden verschiedenen Gebiete »nicht eines ausmachen« – mit der Einschränkung zu versehen, dass sie insofern ›ein‹ Gebiet sind, als sie beide durch die Bestimmung der Gesetzgebung überhaupt erst ein Gebiet darstellen. Es kommt also immer auf 66
S. dazu Wolff, M. (1981), Der Begriff des Widerspruchs, 69–77.
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den besonderen Aspekt an, unter dem das Verhältnis der Gebiete zueinander betrachtet wird. Was den Bezug auf das »denkende Subjekt« in der Klammer betrifft, das hier als ein besonderes Erkenntnisobjekt hervorgehoben wird, so ist nur kurz zu erwähnen, dass im Paralogismus der reinen Vernunft in der transzendentalen Dialektik der KrV gezeigt worden ist, dass das Selbstbewußtsein als D.a.s. genommen keiner bestimmten Erkenntnis von sich als Objekt fähig ist.67 Das bis hierher reflektierte (doppelte) Verhältnis von Naturbegriff und Freiheitsbegriff ist folgendermaßen zusammenzufassen: Sie fallen aufgrund ihrer unterschiedlichen Gesetzgebung in zwei heterogene Gebiete auseinander. Nur so kann eine Gesetzgebung autonom, ohne Beeinflussung durch die andere, funktionieren. Das ist eine wichtige Voraussetzung für die später in Absatz 9 entwickelte Problematik. Gemeinsam ist ihnen die negative Bestimmung, dass keiner von beiden zu einer theoretischen Erkenntnis von Dingen an sich gelangt. Insofern sich aber beide Gesetzgebungsarten auf ein und denselben Boden der Erscheinungen notwendig beziehen müssen, um eben dieser Gesetzgebung auch objektive Realität verschaffen zu können, müssen sie in dieser Hinsicht auch eine Einheit bilden, d. h. der Möglichkeit nach widerspruchsfrei zusammen bestehen können. Das Objekt als Ding an sich, das von der theoretischen Erkenntnis sowohl hinsichtlich des Naturbegriffs als auch des Freiheitsbegriffs ausgenommen ist, bezeichnet Kant am Ende des siebten Absatzes als »das Übersinnliche«. Von der Idee eines solchen Objekts heißt es dann einerseits konsequent, dass man »sie selbst […] niemals zu einem Erkenntnisse erheben und erweitern« könne. Mit »Erkenntnisse« kann hier nur die theoretische Erkenntnis gemeint sein, denn in praktischer Hinsicht muss die Vernunft den Gegenstand seiner Idee gemäß bestimmen. Aber es heißt auch, dass man die Idee des Übersinnlichen »der Möglichkeit aller jener Gegenstände der Erfahrung unterlegen« müsse. Trotz der Unerkennbarkeit der Dinge an sich, sind sie also der Idee nach eine unentbehrliche Bedingung für die Möglichkeit von Erfahrung und Gegenständen der Erfahrung (Erscheinungen). Dass es also – um Kants Terminologie wieder aufzugreifen – überhaupt einen Boden der Erfahrung geben kann, setzt voraus, dass es vor und außerhalb dieses Bodens einen Bereich des Übersinnlichen gibt. Dies wird zu Beginn des achten Absatzes dann tatsächlich auch gefolgert. Dass die Idee von Dingen an sich allen Gegenständen der Erfahrung notwendig zugrunde gelegt werden müsse, geht zurück auf Kants Lehre in der KrV (transzendentale Dialektik, zweites Buch, zweites Hauptstück, neunter Abschnitt, III., »Möglichkeit der Kausalität durch Freiheit, in Vereinigung mit dem allgemeinen Gesetze der Naturnotwendigkeit«), nach der die Erscheinungen als Wirkungen einen »transzendentalen Gegenstand« zur Ursache haben müssen, der, obzwar er nicht erkannt werde, doch gedacht werden müsse (KrV, B 568 / A 540). Die besondere S. KrV, B 399–413; vgl. Sturma, D. (1998), Die Paralogismen der reinen Vernunft, 391– 411; Klemme, H.F. (1996): Kants Philosophie des Subjekts. 67
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
Problematik dieses Lehrstückes lasse ich an dieser Stelle noch außer Acht. Sie besteht darin, dass Kant dort die Dinge an sich als »intelligiblen Charakter« der Erscheinungen selbst auslegt und seine Vorstellung darüber so pointiert, dass er die Idee eines »handelnden Subjekts« bzw. eines »tätigen Wesens« entwirft, das nicht nur bleibend und unveränderlich wirkt, sondern dass auch von aller Naturnotwendigkeit frei ist und »seine Wirkungen in der Sinnenwelt von selbst« anfängt (s. dazu B 566–569 / A 538–541; B 575–580 / A 547–552). Der achte Absatz beginnt mit der Folgerung aus der Argumentation in Abs. 7: »Es gibt also ein unbegrenztes, aber auch unzugängliches Feld des Übersinnlichen, worin wir keinen Boden für uns finden, also auf demselben weder für die Verstandes- noch Vernunftbegriffe ein Gebiet zum theoretischen Erkenntnis haben können;« (5:175.26–30). Dieses »Feld des Übersinnlichen« liegt nicht außerhalb desjenigen Feldes von dem bisher die Rede war. Denn jenes hat die größtmögliche Ausdehnung. Vielmehr ist es der eine Teil des gesamten »Feldes«, das in Abs. 3 durch die Gegenstände einer Erkenntnis überhaupt charakterisiert worden ist, das die größtmögliche Ausdehnung hat und aufgrund seiner abstrakten Allgemeinheit und Unbestimmtheit selbst unbegrenzt ist. Begrenzt wird jenes allgemeine Feld nur durch den Boden und das Gebiet. Auf die andere Hälfte des Gesamtfeldes entfällt der »Boden«, der von den Gegenständen möglicher Erfahrung besetzt ist. Deshalb ist es ganz konsequent, wenn Kant an der zitierten Stelle bemerkt, im Feld des Übersinnlichen würden wir »für uns« (als Erkenntnissubjekte) keinen Boden finden. Die Grenzen möglicher Erfahrung (bzw. theoretischer Erkenntnis) zu überschreiten, heißt nämlich genauso viel wie den Boden in Richtung auf das Übersinnliche zu verlassen. Auch die zweite Folgerung ist konsequent: wenn kein Boden da ist zur theoretischen Erkenntnis des Übersinnlichen, dann kann auch kein Gebiet darauf abgesteckt werden, in dem der Verstand bzw. die Vernunft gesetzgebend sein könnte. Das brach liegende Feld (als ein Teil des Gesamtfeldes) ist »unbegrenzt«, insofern es für die Besiedlung durch Gegenstände nicht alle notwendigen Bedingungen von Erfahrung enthält (nämlich nicht die sinnliche Anschauung). Es ist »unzugänglich« »für unser gesamtes Erkenntnisvermögen«, nur insofern, als aus demselben Grund weder der Verstand noch die Vernunft darauf Gegenstände finden, die zur theoretischen Erkenntnis hinreichen würden.68 Dennoch ist dieser Teil des Feldes nicht nutzlos. Er ist notwendig, um »zum Behuf des theoretischen sowohl als praktischen Gebrauchs der Vernunft« ihn »mit Ideen besetzen« zu können. Die Ideen, die die Vernunft zu verwirklichen hat, benötigen einen Inhalt, ein materiales Substrat. Dieselben Ideen können aber »in Beziehung auf die Gesetze aus dem Freiheitsbegriffe keine andere als praktische Realität« erhalten. Die Vernunft hat also einen Gegenstandsbezug auf dieses Feld, ohne damit zu theoretischer Erkenntnis zu gelangen. Worin aber besteht diese Beziehung, und in welchem Verhältnis steht sie zu der Zum »Feld« der »Ideen des Übersinnlichen«, das der theoretischen Erkenntnis verschlossen bleibt, vgl. auch MS, 6:225.28–31. 68
II. Abschnitt: Vom Gebiet der Philosophie überhaupt
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Beziehung der gesetzgebenden Vernunft auf die Gegenstände des Freiheitsgebietes? Die Beantwortung dieser Fragen ist schwierig. Soll das Gebiet des Freiheitsbegriffs, auf das sich die Vernunft gesetzgebend bezieht, nicht zusammenfallen mit dem Feld des Übersinnlichen (was allerdings der Anfang des letzten Absatzes des zweiten Abschnittes nahe legt), so muss es für den Freiheitsbegriff einen zweifachen Gegenstandsbezug geben. Das Feld des Übersinnlichen enthält gewissermaßen das Depot der intelligiblen Objekte (Dinge an sich, s. 7. Abs.), dessen sich die Vernunft bei ihrer Gesetzgebung, aber auch andere Erkenntnisvermögen, wie beispielsweise die Urteilskraft (s.u., Dritter Abschnitt) sowie überhaupt die »Kritik der Erkenntnisvermögen« (s. Dritter Abschnitt, 1. Abs.) zur Ausübung ihrer Funktionen bedienen müssen. Aber dieses Feld ist für sich nicht dafür geeignet, den Ideen auch schon »praktische Realität« zu verleihen. Dazu ist vielmehr eine Beziehung des Freiheitsbegriffs auf diejenigen Gegenstände notwendig, auf die er sich innerhalb seines eigenen Gebietes gesetzgebend bezieht, und zwar bloß in praktischer Hinsicht. Eine gesetzgebende Beziehung der Vernunft auf alle Gegenstände der Ideen (also auf das ganze Feld des Übersinnlichen) wäre sinnlos und ist nach der Definition des Gebietes im dritten Absatz auch ausgeschlossen. Die »praktische Realität« ist der gesetzmäßige Gebrauch der Ideen für subjektive Handlungen in der Sinnenwelt. Eine Bedingung dieses (sowie des theoretischen) Gebrauchs ist das Vorhandensein eines Objektfeldes, das den Ideen (als Vernunftbegriffen) entspricht (»zum Behuf des theoretischen sowohl als praktischen Gebrauchs der Vernunft«). Dass die übersinnlichen Gegenstände der Ideen aber auch dem theoretischen Gebrauch der Vernunft dienen, kann nur das bedeuten, was weiter oben bei der Auslegung des sechsten Absatzes angesprochen worden ist: Die auf die Verstandesbegriffe gerichtete regulative Funktion der Vernunft, durch die sie sich ihrer eigenen Natur gemäß in dialektische Schlüsse verwickelt. In dieser Hinsicht ist sie aber nicht gesetzgebend (»Nur allein im Praktischen kann die Vernunft gesetzgebend sein«, 5. Abs.). Folglich gehören die Verstandesbegriffe, auf die sich der theoretische Gebrauch richtet, nicht zu den Objekten ihres Gebietes.
Neunter Absatz: Das Problem des »Übergangs« Der letzte Absatz verdient innerhalb dieses Abschnittes für die Bestimmung des Verhältnisses der beiden Gebiete der Philosophie und darüber hinaus für das Verständnis der Funktion und Bedeutung der Dritten Kritik insgesamt besondere Beachtung. Zugleich ist es vom Textverständnis und von der Sachproblematik her das schwierigste Stück dieses Abschnittes. Bereits der erste Satz, der hier seiner inhaltlichen Gewichtung entsprechend vollständig zitiert wird, gibt einige Rätsel auf: »Ob nun zwar eine unübersehbare Kluft zwischen dem Gebiete des Naturbegriffs, als dem Sinnlichen, und dem Gebiete des Freiheitsbegriffs, als dem Übersinnlichen, befestigt ist, so dass von dem ersteren zum anderen (also vermittelst
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
des theoretischen Gebrauchs der Vernunft) kein Übergang möglich ist, gleich als ob es soviel verschiedene Welten wären, deren erste auf die zweite keinen Einfluß haben: so soll doch diese auf jene einen Einfluß haben;« (5:175.36–176.5) Die schon im siebten Absatz behauptete strikte Dualität des Gebietes der Natur und der Freiheit, die dort mit der Heterogenität ihrer jeweiligen Erkenntnisgegenstände begründet worden ist (s. o. Kommentar zum siebten Absatz), wird in dem zitierten Satz noch verschärft, indem von einer »Kluft« zwischen beiden gesprochen wird. Damit wird ein ausschließender Gegensatz angezeigt, der anscheinend nicht durch ein gemeinsames Drittes vermittelt werden kann. Denn zufolge Absatz 7 sind es zwei (miteinander verwandte) Argumente, die die Ungleichartigkeit der beiden Gebiete begründen: erstens ihre jeweilige Autonomie in Bezug auf ihre Gesetzgebung, zweitens ihre Ungleichheit und Uneinheitlichkeit in Bezug auf ihre Erkenntnisgegenstände trotz der zugleich behaupteten wechselseitigen Einschränkung ihrer Wirkungen in der Sinnenwelt. »Unübersehbar« kann die Kluft deshalb heißen, weil sie so deutlich sichtbar ist, dass sie nicht ignoriert werden kann; aber auch deshalb, weil sie so tief und weit ist, dass kein Auge von einem zum anderen Ende, d. h. von einem zum anderen Gebiet reichen kann. Es sind beide Bedeutungen denkbar. Jedenfalls hat die Unübersehbarkeit ihr Pendant darin, dass über diese Kluft »kein Übergang möglich ist«. Dieser Sachverhalt lässt sich auf das zurückführen, was in Absatz 7 festgestellt worden ist: die Unmöglichkeit einer wechselseitigen Beeinflussung der Gesetzgebung des Naturbegriffs und des Freiheitsbegriffs. Es kann also keinen Einfluss der »Welt« der Natur auf die der Freiheit geben. Aber umgekehrt beeinflusst das Freiheitsgesetz die Natur durch ihr Postulat des Sollens. Die Bedeutung dieses Sollens wird durch den Nebensatz, der dem oben zitierten Abschnitt angehängt ist, präzisiert: »nämlich der Freiheitsbegriff soll [Zusatz der 2. Aufl.] den durch seine Gesetze aufgegebenen Zweck in der Sinnenwelt wirklich machen […].« (5:176.5–6) Unter den Gesetzen des Freiheitsbegriffs verstehen wir das moralische Gesetz (Autonomie) sowie den kategorischen Imperativ und seine verschiedenen Varianten. Als Zweck geben sie die Verwirklichung des höchsten Gutes auf, die durch die Befolgung des moralischen Gesetzes bzw. die Beherrschung der Triebe und Neigungen der Willkür in der Sinnenwelt erreicht wird. Die zitierte Forderung der Verwirklichung des Freiheitsbegriffs und der praktischen Vernunftgesetze in der sinnlichen Natur und der Naturerfahrung, die eine eindimensionale Angelegenheit ist und eine reziproke Beeinflussung nicht zulässt, lässt sich gut erklären mit Hilfe des in der Dialektik der KpV begründeten Primats »der reinen praktischen Vernunft in ihrer Verbindung mit der speculativen« (5:119). Demzufolge erfordert die Natur der theoretischen Vernunft aus ihrer eigenen Unzulänglichkeit heraus zwar notwendig eine Erweiterung in der praktischen als einem ihr fremden »Boden«, und beide bezeichnen überhaupt nur ein und dieselbe Vernunft, aber sie können eben deswegen nicht gleichrangig nebeneinander stehen, da sonst ihre Verbindung einen Widerstreit der theoretischen mit der praktischen Vernunft auslöste:
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»In der Verbindung also der reinen speculativen mit der reinen praktischen Vernunft zu einem Erkenntnisse führt die letztere das Primat, vorausgesetzt nämlich, daß diese Verbindung nicht etwa zufällig und beliebig, sondern a priori auf der Vernunft selbst gegründet, mithin nothwendig sei. Denn es würde ohne diese Unterordnung ein Widerstreit der Vernunft mit ihr selbst entstehen: weil, wenn sie einander blos beigeordnet (coordinirt) wären, die erstere für sich ihre Grenze enge verschließen und nichts von der letzteren in ihr Gebiet aufnehmen, diese aber ihre Grenzen dennoch über alles ausdehnen und, wo es ihr Bedürfniß erheischt, jene innerhalb der ihrigen mit zu befassen suchen würde. Der speculativen Vernunft aber untergeordnet zu sein und also die Ordnung umzukehren, kann man der reinen praktischen gar nicht zumuthen, weil alles Interesse zuletzt praktisch ist, und selbst das der speculativen Vernunft nur bedingt und im praktischen Gebrauche allein vollständig ist.« (5:121.18–31). Gleichwohl setzt die Möglichkeit der Überordnung der Gesetzgebung der Freiheit durch die praktische Vernunft gegenüber derjenigen der Natur durch den Verstand die Auflösung des Antinomienproblems voraus (KrV B 562–564 / A 534–536): »Man sieht leicht, daß wenn alle Kausalität in der Sinnenwelt bloß Natur wäre, so würde jede Begebenheit durch eine andere in der Zeit nach notwendigen Gesetzen bestimmt sein, und mithin, da die Erscheinungen, sofern sie die Willkür bestimmen, jede Handlung als ihren natürlichen Erfolg notwendig machen müßten, so würde die Aufhebung der transzendentalen Freiheit zugleich alle praktische Freiheit vertilgen. Denn diese setzt voraus, daß, obgleich etwas nicht geschehen ist, es doch habe geschehen sollen, und seine Ursache in der Erscheinung also nicht so bestimmend war, daß nicht in unserer Willkür eine Kausalität liege, unabhängig von jenen Naturursachen und selbst wider ihre Gewalt und Einfluß etwas hervorzubringen, was in der Zeitordnung nach empirischen Gesetzen bestimmt ist, mithin eine Reihe von Begebenheiten ganz von selbst anzufangen«. Der ausschließende Gegensatz zwischen dem Gebiet der Natur und der Freiheit muss also relativiert werden: eine Kontradiktion liegt nur unter der Voraussetzung vor, dass Erscheinungen Dinge an sich sind. Unter der Voraussetzung des unterschiedlichen Gegenstandsbezugs liegt aber nur eine dialektische Opposition (ein Scheinwiderspruch) vor. Die Beziehbarkeit der entgegengesetzten Relate beruht demnach darauf, dass sie sich beide auf ein drittes negativ (ausschließend) beziehen: auf die theoretische Erkenntnis von Dingen an sich. Daraus dass der Freiheitsbegriff diesen Zweck in der Natur realisieren soll, folgt nach Kants Überlegung notwendig, dass es möglich sein muss, die Natur selbst so zu denken, »daß die Gesetzmäßigkeit ihrer Form wenigstens zur Möglichkeit der in ihr zu bewirkenden Zwecke nach Freiheitsgesetzen zusammenstimme.« (5:176.7–9) Welches ist der genaue Inhalt dieser Folgerung. Und welches ist der Grund oder das Argument für deren Notwendigkeit? Das Denken (bzw. Beurteilen), d. i. nicht das Erkennen, der Natur muss in einer Weise erfolgen, dass ihre Kausalität (d. i. »die Gesetzmäßigkeit ihrer Form«) die Zweckverwirklichung in ihr nicht von vornherein unmöglich macht oder aus-
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
schließt. Weil es nur Eine Natur gibt, deren Form in ihrem gesetzmäßigen Wirken besteht und weil die Verwirklichung des (praktischen) Zwecks einerseits in derselben Natur stattfindet, andererseits unter Freiheitsgesetzen steht, muss auch die Naturgesetzmäßigkeit so strukturiert (beschaffen) sein, dass sie den Freiheitsgesetzen nicht widerspricht. D. h. sie muss selbst Freiheitsgesetzen unterliegen können. Wäre sie nämlich bloß nach kausaler Notwendigkeit strukturiert, wie die reinen Verstandesbegriffe dies vorschreiben, so wäre sie auch durch die praktische Vernunft nicht manipulierbar. Sie unterläge einem strengen Determinismus, der jede Veränderung durch frei und zweckmäßig denkende und handelnde Wesen ausschlösse. Das hätte zur Folge, dass Freiheit auf der Grundlage von Kants praktischer Philosophie überhaupt keinen Bezug zur realen Welt hätte. Sie hätte keinen »Boden« und wäre damit null und nichtig. Mit der letzten Schlussfolgerung dieses Absatzes wird nicht nur die Argumentationskette innerhalb desselben abgeschlossen, sondern zugleich das Ziel des Nachweises des Zweiten Abschnittes insgesamt – das Gebiet der »Philosophie überhaupt« abzustecken – erreicht: »Also muß es doch einen Grund der Einheit des Übersinnlichen, welches der Natur zum Grunde liegt, mit dem, was der Freiheitsbegriff praktisch enthält, geben, wovon der Begriff, wenn er gleich weder theoretisch noch praktisch zu einem Erkenntnisse desselben gelangt, mithin kein eigentümliches Gebiet hat, dennoch den Übergang von der Denkungsart nach den Prinzipien der einen zu der nach Prinzipien der anderen möglich macht.« (5:176.9–15) In Bezug auf den Argumentationsgang des neunten Absatzes besagt die zitierte Folgerung: Unter der Voraussetzung, dass von Naturbegriffen aus kein erkenntnisbildender Einfluss auf die Freiheit ausgeübt werden kann; und unter der weiteren Voraussetzung, dass es zugleich in der umgekehrten Richtung einen Einfluss der Freiheit auf die Natur geben soll, durch den der an den Freiheitsbegriff gebundene Zweck überhaupt verwirklicht werden kann, folgt zunächst, dass die Natur selbst als diesem Zweck angemessen wenigstens gedacht werden können muss. D. h. die Natur muss selbst als zweckmäßig angesehen werden können, weil sie selbst Bedingungen der Realisation praktischer Zwecke nach Freiheitsgesetzen enthält. Das bedeutet aber, dass der Natur etwas zugrunde gelegt wird, was ihre sinnliche Beschaffenheit transzendiert und damit unerfahrbar ist (sinnlich nicht wahrnehmbar ist). Das der Natur zum Grunde liegende Übersinnliche sind zunächst (in objektiver Bedeutung) die D.a.s. (vgl. 7. Abs.). Der übersinnliche Grund der Natur und der praktische Inhalt des Freiheitsbegriffs stimmen nur dann überein, wenn es einen beiden Sphären übergeordneten Grund als höchster Bedingung ihrer Verträglichkeit und Einheitlichkeit gibt. Dessen Notwendigkeit ergibt sich also aus dem Argumentationsgang des letzten Absatzes. Der Schluss auf diesen höchsten Grund ist zugleich das Ziel der Untersuchung des ganzen zweiten Abschnittes. Zu dem postulierten Einheitsgrund gibt es einen »Begriff«, der »den Übergang von der Denkungsart nach den Prinzipien der einen [d. i. der Natur] zu der nach Prinzipien der
II. Abschnitt: Vom Gebiet der Philosophie überhaupt
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anderen [d. i. der Freiheit] möglich macht.« Die Ermöglichung eines solchen »Übergangs« ist insofern mit der in demselben Absatz zugleich behaupteten Unmöglichkeit des Übergangs von einem in das andere »Gebiet« vereinbar, als der geforderte »Begriff« ausdrücklich »kein eigentümliches Gebiet« besitzt und folglich auch zu keiner (weder theoretischen noch praktischen) Erkenntnis des Grundes verhilft. Deshalb vermittelt der Begriff, der dem Einheitsgrund korrespondiert, auch nicht zwischen Erkenntnisarten, sondern nur zwischen »Denkarten« (Auslegungen, Beurteilungen). Der »Grund der Einheit des Übersinnlichen«, der im letzten Absatz dieses Abschnittes der Einleitung postuliert wird, kann nichts anderes sein als das »Feld des Übersinnlichen« des achten Absatzes. Dass es dieses Feld geben muss, folgte im 7. und 8. Abs. notwendig daraus, dass die verschiedenen Gebiete der Gesetzgebung nur mit Bezug auf die theoretische Unerkennbarkeit der D.a.s. »nicht eines ausmachen«. Das Übersinnliche begründet die Trennung von Natur und Freiheit in zwei selbständige Hoheitsgebiete. Damit weist das geographische Einteilungsmodell der Vernunfterkenntnis bei Kant zwei Extreme auf: den sinnlichen Boden und den übersinnlichen Grund (als »Feld«). Zwischen diesen Extremen verlaufen die Einflußzonen der Gesetzgebung der theoretischen und der praktischen Vernunft, die einerseits einander ausschließen, andererseits hierarchisch einander zugeordnet sind und Übergänge erfordern. Die Handlungen der praktischen Vernunft stehen einerseits unter dem Gesetz der Freiheit und gehören zum Verhalten intelligibler Wesen, andererseits sind sie Begebenheiten in der Sinnenwelt und gehören zu den Erscheinungen (KpV, 5:65). D. h. die Objekte, auf die sich die praktische Vernunft gesetzgebend bezieht, sind direkt keine Erscheinungen; das Gebiet der Freiheit (als der Gegenstandsbereich, auf den sich ihre Gesetzgebung bezieht) kann insofern also nicht auf dem Boden der gemeinsamen Natur liegen, sondern muß sich innerhalb des Feldes des Übersinnlichen (der Ideen und Zwecke) abstecken lassen – obwohl die praktische Vernunft auch in der sinnlichen Natur ihren Boden haben muss (aber eben nicht als Gebiet), weil dort ja die Zonen der sinnlichen Affektionen der Willkür zu suchen sind, die der moralischen Gesetzgebung unterworfen werden sollen. Hier liegt bei Kant also anscheinend ein Konzeptionsfehler vor: Von der Freiheit kann nicht wie von der Natur zugleich gelten, dass der Teil des Bodens, auf den sie sich a priori gesetzgebend bezieht, ihr Gebiet als Naturgebiet sei. Oder man müßte die Konzeption dahingehend variieren und erweitern, dass man der übersinnlichen Natur in der KpV als dem Ort der »Typik«-Lehre (5:67–71) ein zweites Gebiet des Freiheitsbegriffs (besetzt mit den Objekten des sittlich Guten und Bösen) einräumt.
III. Abschnitt: Verbindung der zwei Teile der Philosophie zu einem Ganzen
E III Dritter Abschnitt: »Von der Kritik der Urteilskraft als einem Verbindungsmittel der zwei Teile der Philosophie zu einem Ganzen.« Gliederung: Erster Absatz: Aufgabe der »Kritik der Erkenntnisvermögen« Zweiter Absatz: Gesetzgebung von Verstand und Vernunft Dritter und vierter Absatz: Besondere Stellung der Urteilskraft innerhalb der »Familie« der Erkenntnisvermögen und ihre zweifache Begründung Fünfter Absatz: Zweiteilung der Philosophie und Dreiteilung der »Kritik der reinen Vernunft«? Anhang: Die Definition des Begehrungsvermögens (Fußnote zu Abs. 4)
Anknüpfend an das Ergebnis der Untersuchung im zweiten Einleitungsabschnitt, nämlich der Begründung der Zweiteilung der Philosophie mit Hilfe der Bestimmung von Feld, Boden und Gebiet eines Begriffs, wird im folgenden Abschnitt die bereits formulierte Aufgabe – einen »Übergang« vom Gebiet des Freiheitsbegriffs zu dem des Naturbegriffs zu finden – einer Lösung zugeführt. Die besondere Funktion und Stellung der KU zu den beiden Hauptteilen der Philosophie ist deshalb das Thema dieses dritten Abschnittes. Problemexposition: Die Autonomie und Verschiedenartigkeit jedes der beiden Teile der Philosophie und ihre damit implizit behauptete inhaltliche Beziehungslosigkeit, die in Kants Beschreibung durch die »Kluft« zwischen den beiden Gebieten ausgedrückt wird (und die auch dann bestehen bleibt, wenn das Konzept eines gemeinsamen Bodens konsistent ist), ist das Ausgangsproblem, das überhaupt die Aufstellung eines »Verbindungsmittels« erfordert. Die bloße Zusammenfügung (Aggregation) ihrer beiden Teile ergibt keinen vollständigen und einheitlichen Begriff von Philosophie, weil sich Natur und Freiheit auf ihr jeweiliges Gegenstück auf bestimmte Weise (nicht jedoch in ihrer bloßen Wirkungsweise) beziehen müssen. Ein Ganzes wird die Philosophie vielmehr erst dadurch, so lautet meine Interpretationshypothese, dass sie sich, ausgehend von ihren Teilen und der Idee eines Ganzen, – wie die Vernunft in ihrer Architektonik es eigentlich auch fordert – zu einem System organisiert.
III. Abschnitt: Verbindung der zwei Teile der Philosophie zu einem Ganzen
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Erster Absatz: Aufgabe der »Kritik der Erkenntnisvermögen« In den ersten beiden Absätzen des dritten Abschnittes grenzt Kant – wie in EE I, erster Absatz – die »Kritik der Erkenntnisvermögen« von der Frage der Einteilung der Philosophie ab. Denn diese Kritik wird (wie im letzten Absatz des dritten Abschnittes verdeutlicht werden soll) unter dem Titel der »Kritik der reinen Vernunft« zusammengefasst, und das ist exakt dieselbe Bezeichnung, die am Anfang der EE verwendet wird, um den Unterschied zur Philosophie als »System der Vernunfterkenntnis durch Begriffe« zu markieren. Mit den Erkenntnisvermögen sind offenbar Verstand, Vernunft und Urteilskraft gemeint, von denen in der Folge gesagt wird, dass sie eine »Familie« bilden. Der Ausdruck »Familie« deutet auf eine Beziehung unter den Vermögen hin, die Kant an anderen Stellen »Verwandtschaft« nennt. Damit ist eine organische (zweckmäßige) Verbindung gemeint, der zufolge die Vermögen gemeinschaftlich dem Gesetz der Kontinuität unterliegen (KrV, B 688–691 / A 660–663).69 Die Aufgabe einer solchen »Kritik« besteht darin, aus der Analyse der Natur dieser Vermögen, ihre Reichweite zu ergründen, d. h. zu prüfen, »ob und wie […] eine Doktrin durch sie möglich sei.« Unter einer »Doktrin« versteht Kant hier offenbar dasselbe was am Ende der Vorrede das Doktrinale genannt wurde und das er dort bereits als zu erledigende Aufgabe ankündigte, nämlich die philosophischen Lehrstücke der Metaphysik der Natur und der der Sitten, an der die Urteilskraft keinen Anteil haben könne, auszuarbeiten (vgl. 5:170.20–27). Weil die Kritik selbst aber keine Doktrin sein kann, hat sie auch »eigentlich kein Gebiet.« Sie beschränkt sich auf das, was die Erkenntnisvermögen »a priori leisten können« (1. Abs.), d. h. inwieweit sie gesetzgebend und bestimmend sind (vgl. 5. Abs.) in Hinsicht auf mögliche Erkenntnis, nicht in Hinsicht auf den tatsächlichen Gebrauch dieser Vermögen in konkreten Erkenntnisvorgängen. Um die Voraussetzung auch dafür zu erfüllen, ein Gebiet zu haben, müsste die Kritik sich nämlich gesetzgebend und bestimmend auf Objekte (der Erfahrung) beziehen. Diese Leistung wird den Erkenntnisvermögen aber insgesamt – wie es an dieser Stelle den Anschein hat – abgesprochen. Hat die Kritik aber strenggenommen schon kein Gebiet, so hat sie doch ein »Feld«, und dieses »erstreckt sich auf alle Anmaßungen derselben [unserer Vermögen, WE] um sie in die Grenzen ihrer Rechtmäßigkeit zu setzen.« Welches sind demnach die Gegenstände gemäß dieser Feldbeschreibung? Das Feld (eines Begriffs) wurde im vorherigen Abschnitt bestimmt durch das bloße Verhältnis des Objekts zu unserem Erkenntnisvermögen überhaupt, ohne Rücksicht auf die Frage, ob daraus Erkenntnis entsteht (E II, 2. Abs.). Dieser Definition ist jedoch das Feld der »Kritik« nicht angemessen. Denn wenn ihr Gegenstandsbereich die »Anmaßungen« der Erkenntnisvermögen sind, dann besteht ihre wesentVgl. zur »Verwandtschaft« auch Kant, Anthropologie, 7:176 f.; vgl. B. Dörflinger (2000), Das Leben. 69
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
liche Aufgabe gerade darin, zu prüfen, ob und inwiefern Erkenntnis durch dieselben möglich ist. D. h. sie hat ihr Feld in einen Sektor zu teilen, in welchem Erkenntnis möglich ist, und in einen anderen, in dem diese nicht möglich ist. Zu dem letzteren könnte aber sicher nicht das »Feld des Übersinnlichen« (E II, 8. Abs.) gehören, das mit Ideen für den praktischen Gebrauch besetzt ist, deren theoretische Erkenntnis aber unmöglich ist und somit ›anmaßend‹ wäre, wenn nicht die praktische Vernunft für ihre Erkenntnis hierauf einen Territorialanspruch hätte. Die Grenze der »Rechtmäßigkeit« ist hiermit die Bedingung bzw. hinreichende Begründung ihres konstitutiven Gebrauchs, nämlich die notwendige Beziehung des Verstandes auf die sinnliche Anschauung einerseits und der Vernunft auf den Verstand andererseits. Zu den »Anmaßungen«, die zu verwerfen sind, gehört daher auch das Bestreben, Erkenntnis von Dingen an sich gewinnen zu wollen (vgl. E II, 7. Abs.). Die Prüfung der »Anmaßungen« findet in den jeweiligen Dialektik-Kapiteln der drei Kritiken statt. Aus E II, Absatz 4, ergab sich, dass »unser gesamtes Erkenntnisvermögen« genau zwei Gebiete hat und dass daraus die Einteilung der Philosophie in theoretische und praktische folgt. Das bedeutet für den Inhalt von E III, erster Absatz, dass die »Kritik der Erkenntnisvermögen« deshalb nicht zur »Einteilung der Philosophie« gezählt werden kann, weil sie eben kein Gebiet besitzt. Dessen ungeachtet kann sie aber »als ein Hauptteil« »in die Kritik des reinen Erkenntnisvermögens überhaupt« aufgenommen werden, unter der Bedingung (»wenn es nämlich …«), dass sie Prinzipien enthält, »die für sich weder zum theoretischen noch praktischen Gebrauche tauglich sind.« Was bedeutet das, und welche »Prinzipien« sind hier gemeint? Zunächst dürfte klar sein, dass das »reine[] Erkenntnisvermögen[] überhaupt«, dessen »Kritik« der philosophische Ort ist, der dieses oder jenes (einzelne) Erkenntnisvermögen, als einen »Hauptteil« in sich aufnehmen soll, die Bezeichnung für das Totum der drei oberen Erkenntnisvermögen ist und nicht etwa der Titel des speziellen Erkenntnisvermögens, das schon in der Vorrede (3. Abs.) (und dann späterhin im 4. Abs. von E III) vom »Gefühl der Lust und Unlust« sowie vom »Begehrungsvermögen« unterschieden wird. Es ist aber auch nicht bloß von der Urteilskraft die Rede, deren Prinzip, d. i. die Zweckmäßigkeit überhaupt, wie wir bereits wissen, kein Gebiet beanspruchen kann und somit keinen eigenständigen Teil der Philosophie begründet, und das deshalb eben nur eine Platzreservierung in der »Kritik des reinen Erkenntnisvermögens überhaupt« hat; sondern die Bedingung gilt für alle drei Erkenntnisvermögen, insoweit sie »für sich« zum theoretischen und praktischen Gebrauch untauglich sind. Für den reinen Verstand gilt das nämlich insofern, als er nur unter der Bedingung reiner Anschauung erkenntnistauglich ist bzw. seine Prinzipien nur von empirischem Gebrauch sind; für die praktische Vernunft gilt es insofern, als sie für den Gebrauch der Ideen der Mithilfe des Verstandes bedarf. Abstrahiert man also von der jeweiligen Bedingung ihres Gebrauchs, so sind auch die Prinzipien des Verstandes und der Vernunft Gegenstand der Kritik des reinen Erkenntnisvermögens, denn diese Kritik hat überhaupt erst die Bedingungen ihres Gebrauchs festzustellen.
III. Abschnitt: Verbindung der zwei Teile der Philosophie zu einem Ganzen
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Zweiter Absatz: Gesetzgebung von Verstand und Vernunft Obwohl im ersten Absatz dieses Abschnittes gesagt wird, dass die »Kritik der Erkenntnisvermögen« kein Gebiet habe (d. h. sich nicht gesetzgebend auf Objekte bezieht), wird im zweiten Absatz nun gerade an die Gesetzgebungsfunktion der in der Kritik analysierten Vermögen erinnert, um darauf die dichotome Einteilung der Philosophie zurückzuführen. Der Gedankengang ist folgender: Die ersten beiden Sätze rekapitulieren als Ergebnis der ersten beiden Kritiken, dass die Grundbegriffe von Verstand und Vernunft auf der jeweiligen Gesetzgebung dieser beiden Vermögen beruhen. D. h., so wie die »Naturbegriffe« (die, wie im 4. Abs. bemerkt wird, »eigentlich reine Verstandesbegriffe sind«) Mittel der Verstandesgesetzgebung und Grund der theoretischen Erkenntnis a priori sind, so ist der Freiheitsbegriff das Mittel, durch das die Vernunft »allen sinnlich-unbedingten Vorschriften a priori« Gesetze vorschreibt. Aus diesem Befund wird gefolgert: »Beide Vermögen also haben außer dem, dass sie der logischen Form nach auf Prinzipien, welchen Ursprungs sie auch sein mögen, angewandt werden können, überdem noch jedes seine eigene Gesetzgebung dem Inhalt nach, über die es keine andere (a priori) gibt, und die daher die Einteilung der Philosophie in die theoretische und praktische rechtfertigt.« (5:176.33–177.3) An dieses Zitat richtet sich zuerst die Frage: woraus folgt das »also« und worauf wird eigentlich geschlossen? Um mit der Beantwortung der zweiten Frage zu beginnen, so zielt der Schluss auf die Einsicht, dass Verstand und Vernunft über eine je spezifische höchste »Gesetzgebung dem Inhalt nach« verfügen. Inwiefern hat die Gesetzgebung einen Inhalt? Die Antwort muss lauten: insofern sie sich mittels determinierter, heterogener Begriffe (nämlich Natur und Freiheit) auf unterschiedliche Sachverhalte bezieht; die spezifische Verschiedenheit der grundlegenden Begriffe verleiht der Gesetzgebung einen Inhalt und eine besondere Ausrichtung (vgl. E I, 1. Abs.). Darin liegt zugleich die Antwort auf meine erste Frage: es ist die Verschiedenheit der Naturbegriffe und des Freiheitsbegriffs, die den Grund für die Schlussfolgerung (das »also« im obigen Zitat) enthält. So gebraucht der Verstand in seiner Gesetzgebung die »Naturbegriffe« zur Begründung theoretischer Erkenntnis a priori; hingegen die Vernunft in der ihrigen den »Freiheitsbegriff« zur Begründung aller »sinnlich-unbedingten Vorschriften« (d. h. der moralisch-praktischen Gesetze). Demgegenüber ist die »logische Form« in der Anwendung der beiden Vermögen auf Prinzipien die ganz abstrakte und formale Verknüpfung von Begriffen in der Urteilsbildung des Verstandes bzw. von Sätzen in den Schlussformen der Vernunft. Für diesen logischen Gebrauch der Formen des Verstandes und der Vernunft spielt die Herkunft der Prinzipien keine Rolle. Denn die Formen der allgemeinen reinen Logik richten sich auf das Denken überhaupt. D. h. es können beliebige Arten von Sätzen und Grundsätzen miteinander verknüpft werden. »Prinzip« bedeutet
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
in diesem Zusammenhang nicht notwendig, dass es sich um ein solches a priori handeln muss; auch empirische Prinzipien eigenen sich z. B. als Obersätze in Vernunftschlüssen.70 Der Schluss auf die inhaltliche Gesetzgebung von Verstand und Vernunft ist am Ende des zweiten Absatzes zugleich das Argument (»daher«), das die Einteilung der Philosophie in theoretische und praktische rechtfertigen soll. In dem »daher« liegt somit kein neues Argument versteckt für die Einteilung der Philosophie; vielmehr wird die Begründung von Abschnitt I wiederholt. Das eigentliche Ziel der Argumentation ist nämlich die Vorbereitung der Einführung und der Begründung der Besonderheit der Urteilskraft im folgenden Absatz.
Dritter und vierter Absatz: Besondere Stellung der Urteilskraft innerhalb der »Familie« der Erkenntnisvermögen und ihre zweifache Begründung Die Differenz und Übereinstimmung der Urteilskraft im Verhältnis zu Verstand und Vernunft, die in den folgenden beiden Absätzen skizziert werden, besteht darin, dass die Urteilskraft zwar keine eigene Gesetzgebung (»dem Inhalt nach«) ausübt, aber doch wie die beiden übrigen ein eigenes Prinzip des Suchens nach Gesetzen hat (und – was nirgends geschrieben steht – »der logischen Form nach« auf Prinzipien angewandt werden kann). Die Urteilskraft wird hier als »Mittelglied« innerhalb der »Familie der oberen Erkenntnisvermögen« eingeführt und steht also mit dem Verstand auf der einen Seite und mit der Vernunft auf der anderen in Verbindung, und zwar in einer Beziehung, die man als Verwandtschaft bezeichnen könnte. Dieser Befund ist zunächst eine bloße Feststellung, nicht das Ergebnis einer logischen Herleitung (es gibt »doch noch« usw.). Der Sache nach wird in diesem Zusammenhang von der Urteilskraft gehandelt, insofern sie reflektierend ist (obwohl die begriffliche Unterscheidung zwischen bestimmender und reflektierender Urteilskraft erst im folgenden Abschnitt der Einleitung eingeführt wird). In diesem dritten Absatz des Dritten Abschnittes tastet sich der Autor noch vorsichtig an seinen Gegenstand heran, indem er auch im Konjunktiv redet (»dürfte«, »zustände«, »möchte«). Seine Beschaffenheit wird noch nicht begrifflich und mit analytischer Strenge determiniert, sondern »nach der Analogie« mit den anderen Erkenntnisvermögen ›vermutet‹ (vgl. auch 4. Abs.). Im Unterschied zu diesen gebe die Urteilskraft zwar keine eigenen Gesetze, aber sie verfüge (möglicherweise) ebenso wie diese über ein eigenes Prinzip, und sei dies auch »ein bloß subjektives« Prinzip a priori, das es ermögliche, »nach Gesetzen zu suchen.« Die Begründung dieser Behauptung und
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Vgl. zur Bedeutung des Ausdrucks »Prinzip« bei Kant, KrV, B 356–358 / A 300–301.
III. Abschnitt: Verbindung der zwei Teile der Philosophie zu einem Ganzen
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die Erklärung des spezifischen Charakters dieses Prinzips werden uns erst später beschäftigen. Der Absatz endet, indem die Reihe der Mutmaßungen fortgesetzt wird: Dem Prinzip der Urteilskraft (und zwar der reflektierenden) stehe (möglicherweise) »kein Feld der Gegenstände als sein Gebiet« zu. Dass ihm aber überhaupt ein Feld zuzuordnen ist, ergibt sich erstens notwendig daraus, dass die Urteilskraft überhaupt zu den (oberen) Erkenntnisvermögen gehört und damit über Begriffe auf Gegenstände bezogen sein muss; und zweitens daraus, dass sie als eines der drei oberen Erkenntnisvermögen auch der »Kritik« unterzogen werden muss und insofern – laut Absatz 1 – ein »Feld« haben muss, das die Anmaßungen und Grenzen der Rechtmäßigkeit markiert. Das Spezifische der Urteilskraft besteht vielmehr darin, dass ihrem Prinzip kein Feld als sein Gebiet zukommt. Denn da sie (nach der Hypothese) nicht gesetzgebend ist, kann diesem kein Gebiet innerhalb eines Feldes zugewiesen werden. Damit ist jedoch nicht zugleich ausgeschlossen, dass das Prinzip der Urteilskraft »doch irgendeinen Boden haben kann und eine gewisse Beschaffenheit desselben, wofür gerade nur dieses Prinzip geltend sein möchte.« Was aber ist dieser Boden, wie ist er beschaffen? Ist er noch derselbe wie der des Verstandes und der Vernunft? Der Boden war als der Teil des Feldes, auf dem »für uns« Erkenntnis möglich ist (E II, 3. Abs.), bzw. als »Inbegriff der Gegenstände aller möglichen Erfahrung, sofern sie für nichts mehr als bloße Erscheinungen genommen werden« (E II, 4. Abs.), bestimmt worden. Man sollte meinen, dass dies für jedes Erkenntnisvermögen gelten muss; also bezieht sich auch die Urteilskraft a priori auf Erscheinungen als Gegenstände möglicher Erfahrung. Aber dies kann nicht bedeuten (was noch zu zeigen ist), dass die Urteilskraft ebenso wie der Verstand zur Erkenntnis im strengen Sinne (d. h. bestimmend) fähig wäre. Außerdem ist daran zu erinnern, dass wir bei der Interpretation von E II, 3. Abs., ausgeschlossen haben, dass die »Erfahrungsbegriffe«, die in der Natur einen Boden haben, ›gesetzliche‹ Erzeugnisse der Urteilskraft sind. Kants Ausdrucksweise lässt hier offen, wie der Boden des Prinzips der Urteilskraft, sofern es einen solchen gibt, beschaffen ist. Jedenfalls ist er nach der Eigentümlichkeit des Prinzips zu bestimmen, das sich auf diesen Boden bezieht. Es könnte also sein, dass der besondere Boden des Prinzips der Urteilskraft aus den empirischen Begriffen und Gesetzen besteht, die Ergebnis der durch es geleiteten Suchoperationen sind. Im vierten Absatz wird die Besonderheit der Urteilskraft durch eine zusätzliche Begründung verstärkt. Ein »neuer Grund« soll angegeben werden dafür, »die Urteilskraft mit einer anderen Ordnung unserer Vorstellungskräfte in Verknüpfung zu bringen […].« Bisher war die Urteilskraft in Bezug auf ihre Stellung innerhalb der »Familie« der Erkenntnisvermögen beleuchtet worden. Diese gehören zu ›unseren Vorstellungskräften‹, erschöpfen sie aber noch nicht. Die ›andere Ordnung‹, um die es jetzt geht, besteht in der Nebenordnung der drei elementaren Vermögen, auf die »alle Seelenvermögen oder Fähigkeiten« vollständig zurückgeführt werden können,
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
nämlich das Erkenntnisvermögen, das Gefühl der Lust und Unlust, das Begehrungsvermögen. Von diesen drei Vermögen und dem Verhältnis der Urteilskraft zu ihnen handelt der betrachtete Absatz.71 Das Erkenntnisvermögen sollte hier eigentlich dasselbe sein wie der Familienverband der Erkenntnisvermögen, von dem im dritten Absatz die Rede war und in den die Urteilskraft als eines ihrer Glieder aufgenommen worden ist. Es wird jedoch nun als eines der Gemütsvermögen betrachtet (vgl. das doppelte Vorkommen des Erkenntnisvermögens in der Tafel am Ende von Abschnitt IX). Nun wird klargestellt, dass für das Erkenntnisvermögen »allein der Verstand gesetzgebend« sein könne. D. h. für Erkenntnis im strengen Sinne ist der Verstand aufgrund der Ausschließlichkeit seiner Gesetzgebungskompetenz den beiden anderen Vermögen (Vernunft, Urteilskraft) systematisch übergeordnet. In dieser Hinsicht geht es nicht um Erkenntnis überhaupt, sondern im engeren Sinne um theoretische Erkenntnis oder Naturerkenntnis. Zu dieser Erkenntnis gehören die strengen Bedingungen, die in der KrV entwickelt wurden: dass der Verstand nur vermittelst der Kategorien (»Naturbegriffe a priori, welche eigentlich reine Verstandesbegriffe sind«) gesetzgebend ist, und dass dies nur gelten kann im Hinblick auf Objekte der Natur, sofern sie Erscheinungen sind und somit auch den Bedingungen der sinnlichen Anschauung unterliegen. Das Begehrungsvermögen als das zweite der genannten drei Seelenvermögen unterliegt nicht der Gesetzgebung des Verstandes. Dafür ist vielmehr ausschließlich die Vernunft mittels des Freiheitsbegriffs a priori gesetzgebend. Auf diesen Zusammenhang kann im Anhang näher eingegangen werden bei der zentralen Kommentierung der ausführlichen Fußnote zu Absatz 4, die auf die Definition des Begehrungsvermögens in der KpV Bezug nimmt. Das Gefühl der Lust ist analog zur mittleren Stellung der Urteilskraft in der Familie der Erkenntnisvermögen – zwischen Erkenntnis- und Begehrungsvermögen – angesiedelt. Aus diesem Befund zieht Kant (weiterhin mit Zurückhaltung) folgende Vermutungen über die Bestimmung und Funktion der Urteilskraft: 1) Wegen der analogen Mittelstellung des Gefühls der Lust und der Urteilskraft kann der letzteren ein ihr eigentümliches Prinzip a priori zugeschrieben werden. 2) Sie ermöglicht nicht nur »im logischen Gebrauche den Übergang vom Verstand zur Vernunft«, sondern bewirkt auch »einen Übergang vom reinen Erkenntnisvermögen, d. i. vom Gebiete der Naturbegriffe, zum Gebiete des Freiheitsbegriffs«. Das Gebiet des Freiheitsbegriffs ist aber das (obere) Begehrungsvermögen (d. i. der Wille).
Vgl. dazu Kants Brief an Reinhold, 28/31.12.1787, über die Entdeckung eines neuen Prinzips des Gefühls der Lust und Unlust (10:514–515). 71
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Diese Behauptung wird mit dem Zusammenhang zwischen dem Gefühl der Lust und dem Begehrungsvermögen begründet. Über diesen Zusammenhang gibt die Beifügung in Klammern nähere Auskunft; er kann nämlich ein zweifacher sein: »es sei, daß sie, wie beim unteren, vor dem Prinzip desselben vorhergehe, oder wie beim oberen, nur aus der Bestimmung desselben durch das moralische Gesetz folge.« (5:178.14–179.2) M.a.W., die Doppelnatur des Begehrungsvermögens, als oberes durch das moralische Gesetz allein bestimmt zu sein, und als unteres von der Naturbestimmung abzuhängen, ermöglicht wegen der darin enthaltenen Zweiseitigkeit der Bestimmung erst den »Übergang« von den Naturbegriffen zum Freiheitsbegriff, obwohl das eigentliche Prinzip der Vermittlung ein dem Gefühl der Lust und Unlust entsprechendes Prinzip a priori der Urteilskraft sein soll. Dieser »Übergang« ist wiederum ein zweifacher, der eine analogische Betrachtungsweise gestattet: der Übergang vom reinen Erkenntnisvermögen zum Begehrungsvermögen (wie wir hier, 5:179.2–3, sinngemäß den Text ergänzen dürfen) und der Übergang »im logischen Gebrauche« vom Verstand zur Vernunft. Der »logische« Übergang ist hier nicht im wörtlichen Sinne von »logisch« zu verstehen, sondern als Übergang auf dem Gebiet der transzendentalen Logik, also innerhalb der logischen Beziehung der oberen »Erkenntnisvermögen«.72 Der Ausdruck »im logischen Gebrauche« bezieht sich zurück auf die frühere Stelle innerhalb des vierten Absatzes, wo Kant auf den Vergleich der Beziehung zwischen Erkenntnis- und Begehrungsvermögen mit dem zwischen Verstand und Vernunft zu sprechen kommt (5:178.9–11). Gibt es demnach die Unterscheidung zwischen einem oberen und einem unteren Begehrungsvermögen? Und wie ist das Verhältnis zu Lust und Unlust jeweils zu deuten?
Fünfter Absatz: Zweiteilung der Philosophie und Dreiteilung der »Kritik der reinen Vernunft«? Im letzten Absatz des dritten Abschnittes wird eine Schlussfolgerung aus der Betrachtung des ganzen Abschnittes, insbesondere des vorhergegangenen Absatzes gezogen. Dies zeigt die Formulierung zum Auftakt des ersten Satzes an (»Wenn also …«). Die Argumentation des dritten Abschnittes erreicht insofern im letzten Absatz ihr Ziel. Gezeigt werden sollte – so kann das Fazit ausgedrückt werden –, dass das, was als Inhalt zu dem Obertitel »Kritik der reinen Vernunft«, womit nicht bloß die erste Kritik (1781/1787) gemeint ist, sondern das System der drei KritiDenn zwar sagt Kant, die »allgemeine Logik« sei »über einem Grundrisse erbaut, der ganz genau mit der Einteilung der oberen Erkenntnisvermögen zusammentrifft« (KrV, B 169 / A 130), aber zugleich weist er darauf hin, dass die Logik eigentlich keine Anweisung für die Subsumtionsfunktion der Urteilskraft enthalte und enthalten könne, »da sie von allem Inhalte der Erkenntnis abstrahiert« (B 171 / A 132; B 174 / A 135). 72
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
ken (s. Kommentar zu EE I), gehört, drei Teile ausmacht. Dass sich dieser Befund nicht von selbst versteht (nicht unmittelbar überzeugt), sondern einer Begründung bedarf, hängt offenbar damit zusammen, dass Kant in der Einleitung von Anfang an für die Zweiteilung der Philosophie argumentierte.73 Deshalb würde der Leser wohl erwarten, dass es auch nur zwei kritische Hauptuntersuchungen gäbe, die dem System der Philosophie als Bedingung seiner Möglichkeit vorausgingen. Aber trotz dieser Dichotomie und sogar unter der hypothetischen Annahme, dass »alles, was wir von den eigenen Prinzipien der Urteilskraft zu sagen haben möchten, in ihr zum theoretischen Teile, d. i. dem Vernunfterkenntnis nach Naturbegriffen gezählt werden müsste […]«, ist in Bezug auf das System der »Kritik der reinen Vernunft« von einer Trichotomie auszugehen. Es ist nun aber gerade die besondere Stellung und Funktion der Kritik der Urteilskraft als Vermittlungsinstanz und Bindeglied sowohl im System der »Kritik der reinen Vernunft« als auch für das System der Philosophie, die auf der einen Seite eine Dreigliedrigkeit, auf der anderen eine Zweiteilung notwendig bedingt. Diese besondere Funktion stützt sich wiederum auf die eigentümliche Bestimmung und Leistung dieses kritischen Vermögens im Vergleich mit Verstand und Vernunft. Im Unterschied zu diesen hat sie (wie weiter oben dargelegt) kein eigenes Gebiet; es schließt sich kein besonderer Teil der Philosophie, den sie zu begründen hätte, an sie an. Nur auf diese Weise vermag sie aber auch die beiden strikt einander ausschließenden Teilgebiete der Philosophie zu verbinden, bzw. die »Kluft« zwischen Natur und Freiheit zu überbrücken. Würde auch die Urteilskraft ein ihr eigenes Gebiet begründen, d. h. sich gesetzgebend auf eine spezielle Klasse von Objekten beziehen, dann würde sie damit nur das Ausschlussverhältnis der beiden anderen Gebiete reproduzieren. Es müsste nach einer neuen Vermittlungsinstanz gesucht werden. Diese letzte Begründung wird am Ende von Abschnitt III. von Kant nicht noch einmal explizit erwähnt. Er kann das Argument hier als bekannt unterstellen, weil er es in der Vorrede (5. Abs.) bereits vorgetragen hat. Dort hat er deutlich gemacht, dass die Urteilskraft, sofern sie ein eigenständiges Erkenntnisvermögen sein soll, das einen Platz in der Kritik der reinen Vernunft beanspruchen kann, über einen eigenen Begriff verfügen muss, der gleichwohl nicht zur Objekterkenntnis, sondern nur zur eigenen Regel dienen kann. Diese Regel kann keine objektive sein, »weil dazu wiederum eine andere Urteilskraft erforderlich sein würde, um unterscheiden zu können, ob es der Fall der Regel sei oder nicht« (5:169.13–14). M.a.W., eine objektiv-bestimmende, selbständige Funktion der Urteilskraft würde ihrer Funktion als Subsumtions- und Vermittlungsinstanz zuwider laufen. Die drei Teile der »Kritik der reinen Vernunft«, von denen hier die Rede ist, betitelt Kant als »Kritik des reinen Verstandes, der reinen Urteilskraft und der reinen Vernunft.« Diese Kritiken werden in den drei kritischen Hauptschriften – der KrV, KpV und der KU – ausgeführt. Dabei sind die hier verwendeten Bezeichnungen dem Noch Ende 1787 – in dem bereits zitierten Brief an Reinhold – geht Kant explizit und ganz selbstverständlich von einer Dreiteilung der Philosophie aus (10:514). 73
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Wortlaut nach zwar nicht mit den entsprechenden Werktiteln, auf die sie sich beziehen, identisch; aber der Sache nach geben sie genau das an, was jeweils Ziel der Untersuchung ist. Verständlich wird dies erst, wenn man darauf achtet, was Kant unter dem Attribut »rein« verstanden wissen will. Diese Vermögen werden nämlich »darum rein genannt«, »weil sie a priori gesetzgebend sind.« Die Gesetzgebungsfunktion ist das gemeinsame Merkmal, das die drei Vermögen verwandtschaftlich zusammenhält, und es begründet daher auch die notwendige Dreigliedrigkeit der Kritik der reinen Vernunft. Dass Verstand und Vernunft dergestalt gesetzgebend sind, dass sie ein eigenes Gebiet der Philosophie begründen, hat Kant in den ersten Abschnitten der Einleitung hinlänglich zu zeigen versucht. Die »Kritik des reinen Verstandes« beinhaltet demnach eine kritische Untersuchung der Bedingungen, der Leistung und der Grenzen der Verstandesgesetze, sowie die Kritik der reinen Vernunft eine entsprechende Untersuchung der Gesetzgebung der praktischen Vernunft (denn die theoretische hat nur eine regulative Funktion) zum Gegenstand hat. Was aber die »Kritik der reinen Urteilskraft« betrifft, so ist die damit ausgesprochene Behauptung, auch sie sei »a priori gesetzgebend«, zunächst insofern überraschend, als die Urteilskraft ja – nach Auskunft des dritten Absatzes desselben Abschnittes – kein eigenes Gebiet haben und sich also gerade nicht gesetzgebend auf Erkenntnisobjekte beziehen sollte, sondern nur ein eigenes subjektives Prinzip a priori für sich in Anspruch nehmen durfte als Voraussetzung dafür, »nach Gesetzen zu suchen.« Der vermeintliche Widerspruch zwischen diesen Bestimmungen der Urteilskraft, wie sie in den Absätzen 3 und 5 vorgenommen werden, löst sich aber auf, wenn die Spezifik der Gesetzgebung der Urteilskraft berücksichtigt wird, nämlich dass sie, wie im fünften Absatz der Vorrede bereits verdeutlicht, nur einen Begriff angeben kann, durch den nichts erkannt wird, »sondern der nur ihr selbst zur Regel dient« (5:169.11–12). Damit ist zwar noch nicht gezeigt, dass die Urteilskraft überhaupt gesetzgebend ist, aber es kann ausgeschlossen werden, dass – sollte sie dieses Vermögen haben – diese Funktion nur subjektive Gültigkeit beanspruchen kann.
Anhang: Die Definition des Begehrungsvermögens (Fußnote zu Abs. 4) → EE VIII, Anm., Fn. zu Abs. 8) Der Text der Fn. der sich auf das Stichwort »Begehrungsvermögen« im vierten Absatz bezieht, entspricht weitgehend demjenigen der Fn. in Abs. 8 der Anmerkung von EE VIII. Auch diese Version der von Kant erst in der zweiten Auflage der KU publizierten Fassung (in der ersten Auflage von 1790 war sie vollständig getilgt worden) soll hier nicht im Detail untersucht werden.74 Man kann den Gedankengang auch in dieser zweiten Fassung in 5 aufeinanderfolgende Betrachtungen gliedern. S. zum Hintergrund der Problemstellung und zu den Schwierigkeiten der Interpretation der Fußnotentexte Wolff, M. (2009), Warum das Faktum der Vernunft ein Faktum ist, 518–521. 74
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
Ich möchte hier lediglich auf ein paar Besonderheiten der zweiten Fassung aufmerksam machen, die sich aus Textabweichungen ergeben, und tue dies, indem ich die beiden Fassungen unter Berücksichtigung der schon erwähnten 5 Einteilungsgesichtspunkte, die ich nacheinander besprechen werde, miteinander vergleiche. Die verglichenen Textpassagen stelle ich zu Beginn meines Kommentars jeweils in abgekürzten Zitaten einander gegenüber.
I. Über Sinn und Bedeutung einer transzendentalen Definition »Es ist von Nutzen … und sich dadurch die Auflösung derselben verallgemeinert«. (E, 5:177.21–29) »Es ist von Nutzen … der reinen Arithmetik bringt«. (EE, 20: 230.14–20) 1. Satz: Der erste Satz der E-Version bringt neben einer eher unbedeutenden Umstellung von Satzgliedern eine Einfügung (»dieser Beziehung wegen«) die den behaupteten Nutzen der vorgeschlagenen transzendentalen Definition deutlicher zur Geltung bringt: eben wegen ihrer vermuteten verwandtschaftlichen Beziehung zum »reinen Erkenntnisvermögen a priori«, tut man gut daran, Begriffe, »welche man als empirische Prinzipien braucht« durch eine transzendentale Definition zu bestimmen. 2. Satz: Der zweite Satz, der ebenfalls einige terminologische Präzisierungen in der EVersion enthält, die hier vernachlässigt werden können, vergleicht den Versuch einer transzendentalen Definition eines Begriffs in der Philosophie mit dem Lösungsverfahren von Aufgaben die in der Mathematik Anwendung finden. Was Kant dabei beschreibt, sind mathematische Begriffskonstruktionen, die er sich an verschiedenen Stellen seiner Begriffsdeklarationen zu Nutze gemacht hat.75 Dieser Vergleich ist auf der Textgrundlage der EE nur sehr mühsam nachzuvollziehen. Die E-Version fügt jedoch eine Ergänzung in den Text ein, die verständlicher macht, worauf die transzendentale Definition eigentlich hinausläuft: »nämlich durch reine Kategorien, sofern diese allein schon den Unterschied des vorliegenden Begriffs von anderen hinreichend angeben« (5:177.24–26). Diese Vorgehensweise ist es, die Kant veranlasst, an das »Beispiel« des Mathematikers zu erinnern. Denn wie der Mathematiker sich nicht um die empirischen Einzelheiten seiner Aufgabe kümmert sondern nur deren Beziehungen arithmetischen Begriffen subordiniert, so soll der Philosoph den Versuch unternehmen, von den empirischen Prinzipien (z. B. der Lust) abzusehen und stattdessen eine kategoriale Bestimmung des Unterschiedes verwandter Begriffe (insbesondere hier der Kausalitätskategorie) vorzunehmen. Wie der Mathematiker, der »sich dadurch die Auflösung« seiner Aufgabe
KpV, 5:31; MS-RL, Einleitung, § E, 6:233; vgl. Wolff, M. (2009), Warum das Faktum der Vernunft ein Faktum ist. 75
III. Abschnitt: Verbindung der zwei Teile der Philosophie zu einem Ganzen
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»verallgemeinert« (5:177.29), so erreicht der Philosoph durch das transzendentale Definitionsverfahren eine Verallgemeinerung begrifflicher Bestimmung.
II. Der Einwand gegen die Zulässigkeit der Erklärung des Begehrungsvermögens in der KpV (5:9, Fn.) »Man hat mir aus … ihr Objekt nicht hervorbringen könne«. (E, 5:177.29–35) »Man hat mir aber … daß sie ihre Obiecte nicht hervorbringen können«. (EE, 20:230.20–26) Die sprachlichen Abweichungen beider Versionen sind geringfügig und unbedeutend. Gegen die in der Vorrede der KpV vorgetragene Definition des Begehrungsvermögens als des Vermögens, »durch seine Vorstellungen Ursache von der Wirklichkeit der Gegenstände dieser Vorstellungen zu sein« (5:9.20–22)76, referiert Kant das Argument, die Erklärung sei unzureichend (nicht allgemein) und daher falsch, weil Wünsche als Begehrungen nicht notwendig ihre Objekte hervorbringen müssen.
III. Die Widerlegung des Arguments »Dieses aber beweiset nichts weiter … bis zum herbeigewünschten Augenblick vernichten zu können«. (E, 5:177.35–178.19) »Dieses beweiset aber nichts weiter … sehnsüchtig den schnelleren Ablauf einer uns lästigen Zeit zu begehren, usw.« (EE, 20:230.26–231.7) Textübereinstimmung besteht nur in der Anfangspassage, die den oben vorgetragenen Einwand mit dem Argument entkräftet, dass er das unbestrittene Phänomen der Existenz von Begehrungen im Menschen enthalte, die ihn mit sich selbst in »Widerspruch« bringen. Die E-Version nimmt nicht wie in EE im Anschluss daran auf die empirische Psychologie Bezug sondern erläutert diesen »Widerspruch« genauer. Er besteht darin, dass der Mensch »durch seine Vorstellung allein zur Hervorbringung des Objekts hinwirkt«, doch dabei gar keinen Erfolg erwartet noch erwarten kann, weil er sich der Unzulänglichkeit seiner Kräfte bzw. der Unerreichbarkeit des vorgestellten Objekts bewusst ist.
V. Verstärkung des Gegenarguments »Ob wir uns gleich in solchen phantastischen Begehrungen … nicht abgehalten werden kann«. (E, 5:178.19–32) »Es ist auch für die Moral ein wichtiger Artikel … aber eben so oft das Gemüth in das Bewustsein seines Unvermögens zurük sinken lassen«. (EE, 20:231.7–16) 76
Vgl. die Formulierung in MS, Einleitung I (6:211.6–7).
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
Der folgende Abschnitt der Fußnote setzt die Betrachtung solcher Sehnsüchte (»phantastischen Begehrungen«) fort, hinsichtlich der wir uns bewußt sind, dass unsere Vorstellungen nicht Ursache von Objekten sein können. Trotz dieses Bewußtseins sei doch die Vorstellung einer solchen Kausalität in jedem Wunsch enthalten und werde besonders als Affekt sichtbar. Das Bewußtsein dieser Kausalität kann nicht verhindern, dass solche Affekte das Gemüt strapazieren und schwächen. Deshalb ist auch bei dem zugegebenen Nichterreichen eines Wunschzieles die Kausalität desselben als Wirkung des Begehrens jederzeit sichtbar und beweist dadurch seine Realität. Der Text beider Versionen zu diesem vierten Gesichtspunkt weicht – abgesehen vom gemeinsamen Gebrauch einiger Ausdrücke (wie »phantastische Begehrungen«) – stark voneinander ab. Die EE-Version benutzt das Beispiel der Schwächung des Gemüts durch die Lektüre von Romanen. Die Argumentation stimmt jedoch in EE mit der in E überein: selbst die Schwächung des Gemüts »beweist« noch die besondere Kausalität, die von Begehrungen ausgeht.
VI. Anthropologische Rechtfertigung leerer Wünsche »Warum aber in unsere Natur … die Folge von einer wohltätigen Anordnung in unserer Natur«. (E, 5:178.32–39) »Für die Anthropologie ist es … sie wird es niemals nur verlangen, ihn auszurotten«. (EE, 20:231.17–31) Im letzten Gedankenschritt der beiden Fußnotentexte versucht Kant inhaltlich übereinstimmend die Existenz »leerer Begehrungen« (bzw. leerer Wünsche und Sehnsüchte), die er in der Argumentation gegen den Einwand des Kritikers benutzte, durch die Teleologie der Natur zu rechtfertigen. Das Argument in beiden Text-Versionen besagt: die Natur hat es zweckmäßig (und ökonomisch vernünftig) so eingerichtet, dass wir gerade aus der experimentellen Anwendung unserer Kräfte (wie den leeren Begehrungen) unsere Kenntnisse der natürliche Kräfte erwerben. Würden wir sie hingegen nur dann einsetzen, wenn wir uns des Erfolgs sicher wären, blieben sie »größtenteils unbenutzt« (diese Konsequenz würde gegen das in der Natur waltende Sparsamkeitsprinzip verstoßen). Also folgert Kant: »Diese Täuschung in leeren Wünschen ist also nur die Folge von einer wohltätigen Anordnung in unserer Natur«. Die beiden Texte weichen trotz inhaltlicher Übereinstimmung im Wortlaut zum Teil stark voneinander ab. Der Text von EE besteht aus 6 Sätzen, derjenige der E aus nur drei. Nur Satz 2 (E) und Satz 4 (EE) stimmen auch im Wortlaut nahezu überein. Der Text der EE formuliert im letzten Satz eine Überlegung, die in die E-Version nicht wieder aufgenommen worden ist: dass jene dort als »Instinkt« bezeichnete Vorsehung der Natur durch »Weisheit« zwar zu beschränken sei aber niemals gänzlich beseitigt werden könne (20:231.29–31). Die Bedeutung der hier nochmals präsentierten Fußnote zum Begehrungsvermögen ergibt sich aus der Stellung, die ihm im vierten Absatz des dritten Einleitungs-
III. Abschnitt: Verbindung der zwei Teile der Philosophie zu einem Ganzen
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abschnittes als eines der drei elementaren (nicht aus einem gemeinsamen Prinzip herleitbaren und auch nicht aufeinander zurückführbaren) Gemütsvermögens zukommt. Diese besondere Bedeutung resultiert daraus, dass dieses Vermögen einerseits unter dem Freiheitsbegriff steht und andererseits auf doppelte Weise mit dem Gefühl der Lust und Unlust verbunden ist, so dass es indirekt dazu beiträgt, dass das Prinzip a priori der Urteilskraft den Übergang vom Gebiet der Naturbegriffe zu dem des Freiheitsbegriffs zu vermitteln vermag.
IV. Abschnitt: Urteilskraft als ein a priori gesetzgebendes Vermögen
E IV Vierter Abschnitt: »Von der Urteilskraft als einem a priori gesetzgebenden Vermögen.« Gliederung: Erster und zweiter Absatz: Der Begriff der Urteilskraft Exkurs: Erläuterungen zum Schematismus der reinen Vernunft Zweiter bis fünfter Absatz: Das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft Dritter bis fünfter Absatz: Zweck und Zweckmäßigkeit – das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft
In Abschnitt IV der Einleitung wird in Anknüpfung an die zuletzt in Abschnitt III schon dargelegte Annahme gezeigt, dass und inwiefern auch die Urteilskraft ein Vermögen ist, das a priori Gesetze geben kann. Damit entfällt die noch in E III, Absatz 3 auferlegte Zurückhaltung bei der Einführung der Urteilskraft – die Vermutung, dass sie zwar ein eigenes Prinzip, »wenngleich keine eigene Gesetzgebung« enthalte. Der Weg zu diesem Ziel führt über eine Analyse des Begriffs der Urteilskraft, ausgehend von der »Urteilskraft überhaupt«. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Bestimmung des Zweckbegriffs und der Zweckmäßigkeit.
Erster und zweiter Absatz: Der Begriff der Urteilskraft Das Vermögen der »Urteilskraft überhaupt«, d. i. der Urteilskraft unter Abstraktion von dem Unterschied zwischen bestimmender und reflektierender oder auch zwischen theoretischer und praktischer –, besteht darin, »das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken.« Es drückt m.a.W. das Verhältnis eines Allgemeinen zu einem Besonderen aus, derart, dass das Allgemeine dem letzteren übergeordnet ist. D. h. die Urteilskraft ist zunächst überhaupt das Vermögen des Über- bzw. Unterordnens (des Subsumierens) von Allgemeinem und Besonderem sowohl in aufsteigender als in absteigender Folge, gleichgültig wie dieses Verhältnis sonst geregelt ist. Das kann sie in ihrer bloß logischen Funktion anscheinend nicht leisten.77 Allerdings steht ihre Funktion des Subsumierens im Folgenden unter Zum logischen und transzendentalen Gebrauch der Urteilskraft als »Vermögen unter Regeln zu subsumieren, d. i. zu unterscheiden, ob etwas unter einer gegebenen Regel (casus datae legis) stehe, oder nicht«, vgl. KrV, B 171–175 / A 132–136). 77
IV. Abschnitt: Urteilskraft als ein a priori gesetzgebendes Vermögen
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zweierlei Bedingungen oder Voraussetzungen. Die Betrachtungen zum fünften Abschnitt werden dazu noch konkretere Ergebnisse herbeibringen.78 Wofür aber steht hier das Allgemeine, und was ist das ihm unterzuordnende Besondere? Handelt es sich bei dem Allgemeinen um einen Begriff oder ein Prinzip a priori, bei dem Besonderen um empirische Daten, oder um allgemeine und besondere Naturgesetze, oder ist ein bloß logisches Verhältnis von Begriffen gemeint? Das Allgemeine ist im Text des ersten Absatzes ungefähr markiert mit den Schlagworten »die Regel, das Prinzip, das Gesetz«. Demgegenüber könnte das Besondere ein empirisches Naturgesetz oder ein empirischer Begriff oder Prinzip oder einfach ein empirischer Gegenstand der Natur sein. Die weitere Frage lautet: Welches (logische) Verhältnis drückt das ›Enthalten sein unter …‹ genau aus? Einen Hinweis drauf gibt der Einstieg in das Schematismus-Kapitel der KrV. Zu sagen, »ein Gegenstand sei unter einem Begriffe enthalten«, hat die Bedeutung, dass in dem Subsumtionsverhältnis eine Gleichartigkeit von Bestimmungen (Vorstellungen) zwischen dem Begriff und dem Gegenstand gegeben ist, und zwar derart, dass der Begriffsinhalt der Gegenstandsbestimmung, die durch einen empirischen Begriff repräsentiert wird, entspricht (KrV, B 176 / A 137). Da nun der reine Verstandesbegriff im Verhältnis zu einem Gegenstand der empirischen Anschauung ganz ungleichartig ist, wird eine vermittelndes Drittes gefordert, um die für die Subsumtion geforderte Gleichartigkeit herzustellen, und dieses ist eben die Funktion des transzendentalen Schemas (B 177 / A 138). Dieses ist die Bedingung der Subsumtion, die die Urteilskraft in ihrer transzendentalen Funktion erfüllen muss. Diesbezüglich nennt Kant sie auch in Klammern »transcendentale Urtheilskraft« (5:179.22–23).79 Es ist hilfreich, sich außerdem auf EE V, achter Absatz, zu beziehen, wo Kant vom Begriff der »Natur überhaupt« erklärt, was das Enthaltensein eines Besonderen »unter« einem Allgemeinen bedeutet. Er verweist dort übrigens auf einen analogen Wortvergleich in den Lehrbüchern der Juristen. Demzufolge werden Begriffe je nach ihrem Grad abstrakter Verallgemeinerung einander über- und untergeordnet, so dass eine Art Begriffspyramide entsteht. Der höchste Begriff ist der allgemeinste und zugleich das Prinzip für die Ordnung aller Exemplare zu einer Klasse. Diese Ordnung ist das Resultat einer Operation des logischen Denkens, die Kant beim S. dazu auch EE V, 8.–9. Abs. und den entsprechenden Kommentar dazu. Dieser Ausdruck kommt als Titel auch in der KrV vor (B 187 / A 148). Er lässt sich dort von der »empirischen Urteilskraft« unterscheiden (B 266 / A 219), deren Funktion in der Beziehung der Modalkategorien und der Grundsätze der Modalität auf empirische Gegenstände besteht (B 266–267 / A 219–220). Unter einer transzendentalen Urteilskraft haben wir uns die Urteilskraft in ihrer Funktion innerhalb der »transzendentale[n] Doktrin der Urteilskraft« vorzustellen, zu der der Schematismus und die Grundsätze des reinen Verstandes gehören (B 175 / A 136). Demgemäß hat die Urteilskraft die allgemeinen Bedingungen (Regeln) anzuführen, die die richtige Anwendung der Kategorien auf Erscheinungen, d. h. der Übereinstimmung der reinen Verstandesbegriffe a priori mit ihren Gegenständen ermöglichen und garantieren (B 176–177 / A 137–138). 78
79
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
Fortschreiten vom Besonderen zum Allgemeinen (einem empirischen Verfahren) »Classification«, in umgekehrter Richtung »Specification« nennt (EE V, 8. Abs.). Das »Enthaltensein unter« abstrahiert davon, durch welches Verfahren ein Ergebnis zustande kommt. Es liegt in jedem Fall eine »Subsumtion« durch die reflektierende Urteilskraft vor. Da aber vom Begriff der »Urteilskraft überhaupt« gehandelt wird, ist die Subsumtion der bestimmenden Urteilskraft in die Überlegung mit einbezogen. Bei dem beschriebenen Verfahren (der Klassifikation bzw. Spezifikation) kommt es Kant nicht so sehr darauf an, wie genau eine bestimmte Ordnung (der Natur) erzielt wird. Jedenfalls macht er – abgesehen vom Vergleichen der Merkmale von Einzelexemplaren und Klassen – keine genauen Angaben darüber. So scheint er zu übersehen, dass auch das logische Über- und Unterordnen bereits inhaltlich relevante, d. h. nicht-(formal)logische Bestimmungen und Überlegungen voraussetzt.80 Das Allgemeine bzw. Besondere, das zueinander in ein Verhältnis der Klassifikation bzw. Spezifikation gesetzt wird, ist immer nur ein relatives Allgemeines bzw. Besonderes. Ich komme ausführlich im Kommentar zu E V auf das Problem der Spezifikation und Klassifikation als Ordnungsvorgängen zurück. Das in E IV, 1. Abs., thematisierte Subsumtionsverhältnis von Besonderem und Allgemeinem kann zweifacher Art sein. Entweder ist das Allgemeine (als Regel oder Prinzip oder Gesetz) »gegeben«; unter dieser Voraussetzung hat die Urteilskraft die Funktion, das Besondere unter das gegebene Allgemeine zu »subsumieren«. Insofern sie dies tut, ist sie »bestimmend«,81 und zwar auch und gerade dann, wenn sie als »transzendentale Urteilskraft« a priori die Subsumtionsbedingung (wie z. B. das transzendentale Schema) bereitstellt – oder das Besondere ist »gegeben«; dann hat die Urteilskraft umgekehrt die Aufgabe, das dazu passende Allgemeine zu suchen und zu ermitteln; in diesem Falle ist die Urteilskraft »bloß reflektierend«. Das ist, kurz gesagt, der Sachverhalt des ersten Absatzes.82 Diesen Gesichtspunkt macht Kant im Kapitel »Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe« in der KrV geltend. Er unterbreitet dort die Forderung, vor dem Vergleich von Begriffen in »objektiven Urteilen« eine »transzendentale Reflexion« über die Frage anzustellen, zu welchem Erkenntnisvermögen die Begriffe gehören, deren Inhalte (Gegenstände) miteinander verglichen werden (KrV, B 318 ff. / A 262 ff.). 81 Oder aber (gemäß EE V, 8. Abs., und E V) sie ist bloß reflektierend, und zwar spezifizierend (es ist also kein Zufall, dass Kant in EE V, 9. Abs., von der Spezifikation der transzendentalen Gesetze (!) redet, denn Subsumieren kann eigentlich nur die bestimmende Urteilskraft). 82 In der KrV (B 674 f. / A 646 f.) wird dieses zweifache Verhältnis zwischen Allgemeinem und Besonderem im ersten Fall als apodiktischer Gebrauch der Vernunft ausgewiesen (das Allgemeine ist von der Vernunft als gewiss gegeben und das Besondere durch die Subsumtion der Urteilskraft bestimmt) und im zweiten Fall als deren hypothetischer Gebrauch (das Allgemeine wird nur problematisch angenommen). Im letzteren Fall sind »mehrere besondere Fälle« gewiss und werden »an der Regel versucht, ob sie daraus fließen, und in diesem Falle, wenn es den Anschein hat, daß alle anzugebenden besonderen Fälle daraus abfolgen, wird auf die Allgemeinheit der Regel, aus dieser aber nachher auf alle Fälle, die auch an sich nicht gegeben sind, geschlossen.« 80
IV. Abschnitt: Urteilskraft als ein a priori gesetzgebendes Vermögen
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Daran lassen sich sogleich einige Fragen knüpfen, die zu beantworten sind, um den Sachverhalt genauer zu verstehen: 1) Was bedeutet das Gegebensein in Hinsicht auf das Allgemeine und das Besondere? 2) Was ist das Allgemeine bzw. das Besondere in jedem der beiden Fälle? 3) Wie ist das Subsumtionsverhältnis beschaffen, und inwiefern folgt daraus ein Bestimmen? 4) Was bedeutet das bloße Reflektieren der Urteilskraft, und welches Verhältnis des Besonderen zum Allgemeinen entsteht daraus? Die Fragen lassen sich an dieser Stelle nur vorläufig beantworten. Eine genauere Analyse erfolgt erst zu E V. Zur ersten Frage: »Gegeben« sein heißt hier nicht einfach die Behauptung eines Faktums oder eine bloße Voraussetzung. Das Allgemeine ist in dem Sinne »gegeben«, als es nicht von der Urteilskraft ursprünglich erzeugt ist; es wird ihr vielmehr von einem anderen Vermögen, das es produziert, geliefert und insofern vorgegeben und auch bestimmt, und zwar durch den Verstand, dessen Kategoriensystem Gesetze repräsentiert (womöglich aber auch durch regulative Ideen der Vernunft). Das Gegebensein des Besonderen unterscheidet sich davon. Es ist das unter Beteiligung der (rezeptiven) Sinne in der Natur (zufällig) Vorfindbare, d. h. es umfasst empirische Phänomene oder Gesetze, die wiederum auch Ergebnis einer besonderen Operation der Erkenntniskräfte sind. Das wird sich in den folgenden Absätzen noch deutlicher zeigen und bestätigen. Mit dieser Annahme ist ein Grundproblem der kantischen Lehre von den Bedingungen theoretischer Erkenntnis verbunden: die Beibehaltung eines metaphysischen Restes von Sensualismus angelsächsischer Provenienz (Locke, Hume). Ich werde auf dieses Problem an späterer Stelle im Rahmen der Interpretation dieses Abschnittes noch ausführlicher zu sprechen kommen. Zur zweiten Frage: Sowohl das Allgemeine als auch das Besondere haben in Hinsicht auf die oben genannte Fallunterscheidung bezüglich des Verhältnisses von Allgemeinem und Besonderem jeweils eine andere Bedeutung. Im Hinblick auf die bestimmende Funktion der Urteilskraft ist mit dem Allgemeinen ein Apriori gemeint, und zwar als »die Regel, das Prinzip, das Gesetz« eben ein Verstandesbegriff. Die allgemeinen transzendentalen Gesetze (s. EE V, 9. Abs.) (oder »allgemeinen Naturgesetze«, s. dritter Absatz), unter die die Urteilskraft subsumiert, »gibt« der menschliche Verstand, in welchem sie »ihren Grund« haben (3. Abs.; 5:180.19). Sie sind ihr »a priori vorgezeichnet« und somit nicht von ihr selbst erzeugt (2. Abs.; 5:179.29). – Im Hinblick auf die reflektierende Urteilskraft bezeichnet das Allgemeine aber ein Aposteriori, nämlich ein stets empirisches Allgemeines, d. h. ein empirisches Naturgesetz. Auch das wird erst aus den nachfolgenden Textabschnitten sowie aus verwandten Absätzen in EE
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
V und an späteren Stellen der EE ersichtlich. Entsprechend verhält es sich mit dem Besonderen. Das Besondere der bestimmenden Urteilskraft ist das »Schema«, ein a priori mittels der reinen Anschauung bestimmtes Besonderes, oder ein dem Schema untergeordnetes Datum (eine empirische Synthesis) der sinnlichen Anschauung.83 Bestimmen bedeutet für die Funktion der Urteilskraft im Erkenntnisvorgang dasselbe wie der Schematismus, d. h. die Bildung eines Schemas und die Subsumtion einer Synthesis der empirischen Anschauung unter das Schema.84. Im Unterschied zum Bestimmen besteht das Reflektieren der Urteilskraft darin, »von dem Besonderen in der Natur zum Allgemeinen aufzusteigen« (2. Abs.), d. h. vom empirisch Besonderen ausgehend, in logischen Schritten der abstrakten Verallgemeinerung das Allgemeine zu suchen, aus dem dann umgekehrt das Besondere wieder abgeleitet werden kann. Das Besondere, das sind für die reflektierende Urteilskraft empirisch vorfindbare, einzelne (noch unverbundene und ungeordnete) Naturphänomene – »mannigfaltige Formen der Natur« (2. Abs.). Sie sind zunächst aus dem betrachteten Textabschnitt heraus nur negativ bestimmt. Indem sie sich der Bestimmung durch die allgemeinen Verstandesgesetze entziehen, sind sie nämlich in dieser Hinsicht als Gegenstände der Natur ganz unbestimmt und d. h. nicht notwendig sondern »zufällig«. Von dieser Setzung eines empirisch Zufälligen in der Natur, die ja doch dieselbe sein muss als diejenige, deren transzendentale Möglichkeitsbedingungen in der KrV entwickelt worden sind, geht das Problem der Vereinbarkeit dieser Hypothese mit eben jenen transzendentalen Voraussetzungen in der ersten Kritik aus. Dieses werde ich weiter unten behandeln. Verbunden damit ist das Problem der subjektiven Bedingungen der Wahrnehmung, die dem empirisch Zufälligen eine ›Form‹ geben, die verschieden ist von den Formen a priori der sinnlichen Anschauung. Das Allgemeine, das durch die Reflexionsakte der Urteilskraft erst entdeckt werden muss, sind ohne Zweifel empirische Gesetze, die sich ordnend auf die unbestimmten empirischen Formen der Natur beziehen. Sie sind im Hinblick auf den Verstand auch zufällig. Gleichwohl müssen sie die Anforderungen an Gesetzlichkeit überhaupt erfüllen, nämlich in gewissem Grade allgemein und notwendig zu sein. Aus der Einhaltung dieser Bedingung und der gleichzeitig geforderten Unabhängigkeit von der Gesetzgebung des Verstandes folgt notwendig die Annahme eines anderen Prinzips a priori, das die Einheitlichkeit und Systematizität einer solchen Ordnung der empirisch zufälligen Dinge und Gesetze der Natur gewährleistet. Zur dritten Frage: Über die Beschaffenheit des Subsumtionsverhältnisses von Allgemeinem und Besonderem, kraft dessen die Urteilskraft bestimmend ist, erfährt man in dem hier kommentierten Einleitungsabschnitt relativ wenig. Der Sachverhalt wird nur indirekt berührt, insofern der Unterschied zur Funktion der reflektierenden Urteilskraft, um die es eigentlich geht, erläutert werden muss. 83 84
Vgl. auch EE V, 8. Abs.: das Besondere ist »hier das Empirische«. Vgl. EE V, 4. Abs., 8. Abs.
IV. Abschnitt: Urteilskraft als ein a priori gesetzgebendes Vermögen
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Laut des zweiten Absatzes ist die bestimmende Urteilskraft »nur subsumierend«. Worin besteht aber die in dem Wörtchen »nur« ausgedrückte Einschränkung? Sie betrifft anscheinend nicht ihre Funktion im Unterschied zu der der reflektierenden Urteilskraft (quasi als Pendant zu »bloß reflektierend« im ersten Absatz (5:179.26)), denn es ließe sich zeigen, dass ihre bestimmende Tätigkeit beim Subsumieren auch von einem Reflektieren begleitet wird.85 Die Einschränkung der subsumierenden Urteilskraft besteht vielmehr im Vergleich zum Verstand darin, dass ihr der Verstand das Gesetz a priori vorschreibt, nach dem sie ihre spezifische Funktion ausführen muss (d. i. weil für sie das Allgemeine ›gegeben‹ ist); deshalb hat sie es »nicht nötig, für sich selbst auf ein Gesetz zu denken […].« (2. Abs.; 5:179.29 f.) In der Art der Gesetzgebung der Urteilskraft besteht also der Unterschied zwischen ihrem Bestimmen und Reflektieren. Die bestimmende Urteilskraft abstrahiert von der Gesetzgebungsfunktion, und daraus resultiert ihre Beschränkung. Gleichwohl besitzt auch sie einen Vorteil gegenüber der reflektierenden: sie allein ist für den entscheidenden Schritt zur Herstellung bestimmter theoretischer Erkenntnis zuständig; die reflektierende Urteilskraft erübrigt die Eigenschaft des Bestimmens in Hinsicht auf Objekte der Natur. Die bestimmende Urteilskraft ist »nur« subsumierend, dadurch aber bestimmend; die reflektierende Urteilskraft ist zwar gesetzgebend, dadurch aber gerade nicht bestimmend. Dem mit dem betrachteten Text thematisch eng verwandten fünften Abschnitt der EE (Abs. 4 und 6) ist zu entnehmen, dass der Gesichtspunkt der bestimmenden, subsumierenden Funktion der Urteilskraft der des »Schematismus« ist. Die schematisierende Tätigkeit der bestimmenden Urteilskraft wird hier der technischen der reflektierenden Urteilskraft entgegengesetzt. Man hat demnach zur näheren Aufklärung des Subsumtionsverhältnisses von Allgemeinem und Besonderem durch die Urteilskraft im Schematismus-Kapitel der KrV zu recherchieren. Das soll im Anschluss in einem erläuternden Exkurs unternommen werden. Vorher jedoch ist noch auf einen anderen Umstand hinzuweisen, der im Text des ersten Abschnittes nicht erwähnt wird: Auch die praktische Vernunft macht in ihren Subsumtionen von der Urteilskraft Gebrauch. Die »praktische Urtheilskraft« hat die Aufgabe zu prüfen, ob »eine uns in der Sinnlichkeit mögliche Handlung der Fall sei, der unter der Regel stehe, oder nicht« (KpV, 5.67.28–30).86 Das bewerkstelligt sie dadurch, dass sie das, »was in der Regel allgemein (in abstracto) gesagt wurde, auf eine Handlung in concreto« anwendet (5:67.30–32). Mit der »Regel« ist eine praktische Regel der Vernunft gemeint, durch die sie dem Willen mittels der »Begriffe des Guten und Bösen« ein Objekt bestimmt (KpV, 5:67.25–28). Diese praktische Regel hat aber zwei schwer miteinander verträgliche Anwendungsbereiche: auf der einen Seite bezieht sie sich auf ein Objekt; auf der anderen Seite ist sie ein praktisches »Gesetz« in Beziehung auf Handlungen, und zwar ein Freiheitsgesetz, Vgl. dazu die detaillierten Untersuchungen von Manfred Kugelstadt (Kugelstadt, M. (1998), Synthetische Reflexion). 86 Vgl. dazu und zum folgenden: Sala, G.B. (2004), Kommentar, 153–160. 85
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
nach dem der Wille bestimmbar sein soll. Diese Bestimmbarkeit muss unabhängig von empirischen Bedingungen sein. Da aber »alle vorkommende Fälle zu möglichen Handlungen« »nur empirisch« sein können und insofern zur Naturerfahrung gehören (der »Boden« der gesetzgebenden Vernunft!), scheint das Problem unlösbar zu sein, einen »Fall« (d. h. eine Handlung als Begebenheit) in der Sinnenwelt ausfindig zu machen, auf den, obwohl er unter dem Naturgesetz steht, zugleich das Freiheitsgesetz anwendbar ist bzw. die »übersinnliche Idee des sittlich Guten« passt (5:67.32–68.10). Zum Teil entspricht diese Schwierigkeit dem mit der theoretischen Vernunft verbundenen Problem, sinnliche Anschauung durch Schemata den reinen Verstandesbegriffen a priori gemäß zu machen (5:68.10–18; 5:69.5–9). Zum anderen Teil aber besteht zwischen diesem Problem der Vermittlung und dem der praktischen Vernunft eine Divergenz. Denn der Vernunftbegriff des sittlich Guten, durch den der Wille bestimmt werden soll, hat in der sinnlichen Anschauung kein ihm korrespondierendes Gegenstück; sein Objekt ist vielmehr übersinnlich. Wegen dieser besonderen Natur der mit einer Subsumtion verbundenen Schwierigkeit muss die Urteilskraft in diesem Falle einen anderen Ausweg finden. Es kann der Vernunftidee kein Schema der Sinnlichkeit als Bedingung ihrer Anwendung zugrunde gelegt werden. Trotzdem aber muss das Sittengesetz auf Gegenstände der Natur angewendet werden können. Die Lösung des Problems, die Kant findet und vorschlägt, ist seine Theorie vom »Typus des Sittengesetzes« (5:68.26–71.25). Der Typus ersetzt das Schema der Sinnlichkeit in der theoretischen Erkenntnis. Er ist nichts anderes als »ein Naturgesetz, aber nur der Form nach« (5:69.17).87 Er muss die Form eines Naturgesetzes haben, weil die Vernunftidee nur wiederum mittels eines Gesetzes (anstelle eines Schemas der Sinnlichkeit) ihre Anwendung auf Gegenstände der Sinne (bzw. der Natur) regeln und vermitteln kann, und weil nur der Verstand (und nicht die sinnliche Anschauung) die Form bereitstellen kann, die die Urteilskraft als Mittel der Subsumtion im Praktischen verwenden kann (5:69.9–19). Die bloße Form des Naturgesetzes, die als »Typus« (der Urteilskraft) in der praktischen Subsumtion fungiert, ist nichts weiter als die »Form der Gesetzmäßigkeit überhaupt« (5:70.13). Aber eigentlich scheint es bei der Subsumtion des Konkreten unter das Freiheitsgesetz nicht unmittelbar um den empirischen Einzelfall einer Handlung zu gehen. Die sinnlichen Gegenstände sind nur das Konkrete, an dem die Form des Naturgesetzes »dargestellt werden kann« (5:69.16–17; vgl. 5:71.6–9). Diese Darstellung ist notwendig, weil das Sittengesetz in letzter Konsequenz nur in einzelnen Handlungen praktisch verwirklicht (angewendet) werden kann. Dasjenige, um das es in der Subsumtion eigentlich geht, ist vielmehr die Beurteilung der Möglichkeit einer Verträglichkeit einer Handlungsabsicht mit dem praktischen Vernunftgesetz durch die Urteilskraft (5:69.20–25). Es geht bei der Subsumtion einer in der Natur möglichen Handlung »unter einem reinen praktischen Gesetze« nicht um die Beurteilung Vgl. dazu die entsprechenden Vorformulierungen in der Grundlegung: 4:421.19, 4:431.11, 4:462.37. 87
IV. Abschnitt: Urteilskraft als ein a priori gesetzgebendes Vermögen
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der (physischen) Realisierbarkeit der faktischen Handlung als eines »Falles« in der Sinnenwelt. Dafür wäre nämlich allein der schematisierte Naturbegriff zuständig (5:68.27–35). Sondern es geht sozusagen um das Schema »eines Gesetzes selbst« (nicht der Anschauung), und zwar insofern, als die Bestimmung des Willens allein durch das Gesetz »ohne einen anderen Bestimmungsgrund« erfolgt (5:68.35–69.4). Das heißt: mit Hilfe der bloßen Form des Naturgesetzes des Verstandes subsumiert die Urteilskraft Handlungsmaximen unter das praktische Gesetz der Freiheit, indem sie beide in Beziehung auf das Naturgesetz miteinander vergleicht. Durch diese Art von praktischer Subsumtion eines konkreten »Falles« unter ein praktisches Vernunftgesetz wird also nicht die einzelne empirische Handlung bestimmt, sondern allein der Wille (bzw. die Handlungsmaximen). Und der Bestimmungsgrund des Willens ist auch nicht der Vergleich, sondern das praktische Gesetz (vgl. 5:69.33–36). Das Naturgesetz als »Typus« des Freiheitsgesetzes ist Möglichkeitsbedingung einer sittlichen Handlungsmaxime und – weil es auf Beispiele in der Natur beziehbar ist – auch Bedingung der Anwendung des Gesetzes der praktischen Vernunft (5:70.5–9). Jetzt wird auch die komplizierte Konstruktion des »Feld«-»Boden«-»Gebiet«-Modells im zweiten Abschnitt der Einleitung durchschaubarer.88 In Bezug auf die praktische Vernunft kann man nun sagen: sie hat erstens mit dem Verstand den »Boden« der Naturerfahrung insofern gemeinsam, als sie sich auf empirische Handlungen beziehen können muss, um ihre Anweisung darin konkret darzustellen (darin besteht ihre Anwendung). Zweitens bezieht sie sich wie der Verstand gesetzgebend auf ein Objekt möglicher Erkenntnis und hat deshalb ein eigenes »Gebiet«; aber drittens ist sie weder auf dem Boden noch auf ihrem Gebiet subsumierend und bestimmend. Denn das Objekt ihrer Bestimmung, das nur in Handlungen realisierbar ist, hat sie aufgrund der besonderen Art der Subsumtion außerhalb des Bodens, d. i. im »Feld« des Übersinnlichen, nämlich als das sittlich Gute und der Wille. Insofern sind Verstand und Vernunft sowie ihre jeweiligen Begriffe in Kants Darstellung asymmetrisch. Es bleibt noch anzumerken, dass auch die Subsumtionsleistung der praktischen Urteilskraft (gleich der der Urteilskraft mittels des Schematismus in der KrV) die Heterogenität zwischen dem Allgemeinen des praktischen Gesetzes und dem Besonderen der empirischen Handlung nicht vollständig aufzuheben vermag. M.a.W. es bleibt ein empirischer Rest der Natur übrig, von dem nicht einsichtig ist, ob er dem praktischen Freiheitsgesetz adäquat ist. Dies zu ergründen ist ja gerade eines der zentralen Anliegen der KU. Zur vierten Frage (inwiefern ist die Urteilskraft »bloß reflektierend«, und was bedeutet das für das Verhältnis des Besonderen zum Allgemeinen?): Darauf kann vorläufig kurz geantwortet werden: indem einfach das Attribut »bestimmend« weggelassen wird. Der Vorgang des bestimmenden Subsumierens ist, wie gezeigt, an die Funktion des Schematismus gebunden. Wenn vom Anspruch des Bestimmens abgesehen wird, ist auch diese Funktion nicht mehr nötig. Die bloße Reflexion der Urteilskraft besteht also in einem Subsumieren ohne Schema. 88
Vgl. Kommentar zu E II, Vierter Absatz, S. 400–404.
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
Sie muss dann jedoch einer anderen Regel (bzw. mehreren solcher Regeln) folgen, wenn sie zu dem Ergebnis eines geordneten Zusammenhangs von allgemeinen und besonderen Begriffen führen soll. Ob sie dabei vom Besonderen aufsteigend oder vom Allgemeinen absteigend verfährt, ist für den Ertrag des Subsumierens allgemein zunächst nicht ausschlaggebend. Der letzte Satz des ersten Absatzes von E IV macht allerdings deutlich, dass Kant in diesem Fall von einem gegebenen Besonderen ausgeht. Deshalb kann die reflektierende Tätigkeit der Urteilskraft nur darin bestehen, ein dazu passendes Allgemeines zu finden. Diese Tätigkeit nennt Kant Klassifikation.
Exkurs: Erläuterungen zum Schematismus der reinen Vernunft Im zweiten Buch der transzendentalen Analytik der KrV erläutert Kant zunächst unter Rekurs auf den zuvor abgehandelten »Schematismus« die Funktion der Grundsätze des reinen Verstandes. Dem »Schematismus« des reinen Verstandes wird die Aufgabe zugewiesen, mit Hilfe der sog. »Schematen« die Kategorien auf Gegenstände überhaupt anwendbar und damit realisierbar zu machen (vgl. B 179 / A 140).89 Denn die »Schematen« sollen aufgrund ihrer begrifflichen Bestimmung genau den Zweck erfüllen, der mit der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe anvisiert, aber offenbar noch nicht vollständig erreicht worden war: zu zeigen, unter welchen allgemeinen Bedingungen und auf welche Weise die Kategorien auf Gegenstände der Erfahrung zu beziehen sind. Das Resultat der transzendentalen Deduktion der Kategorien lag (nach Kants eigener Einschätzung, B 178 / A 139) darin, dass gezeigt worden war, dass und inwiefern sie bloß von empirischem, nicht von transzendentalem Gebrauch seien, bzw. sich bloß auf Erscheinungen, nicht auf Dinge an sich beziehen dürfen, sofern ihnen eine inhaltliche Bedeutung und eine Relevanz für das Erkennen von Gegenständen zuerkannt werden können soll. Es war also damit zugleich die Notwendigkeit einer Restriktion bezüglich ihres Gebrauchs bzw. der Extension der Gegenstände, auf die sie sich beziehen, begründet worden. Außerdem war festgestellt worden, dass es formale Bedingungen der Sinnlichkeit – als die einzigen Bedingungen, unter denen eine Anwendung der Kategorien auf Gegenstände mög-
Über die schwierige Interpretation des Begriffs der »Schematen« müßte sicherlich ausführlich gesprochen werden. Insbesondere wäre der Unterschied zwischen »Bild«, »Schema« sinnlicher Begriffe und »Schema« der Kategorien (B 179, B 181f) klarzumachen. Ich kann an dieser Stelle bloß sporadisch einige Bestimmungen festhalten. Zur Bedeutung und Funktion des »Schematismus« in der KrV s. folgende neuere Veröffentlichungen: Detel, W. (1978), Zur Funktion des Schematismuskapitels in Kants Kritik der reinen Vernunft, 17–45; La Rocca, C. (1989), Schematismus und Anwendung, 129–154; Seel, G. (1998), Die Einleitung in die Analytik der Grundsätze, der Schematismus und die obersten Grundsätze (A130/B169–A158/B197), 221–240; Tetens, H. (2006), Kants »Kritik der reinen Vernunft«. Ein systematischer Kommentar, 124–129; von Herrmann, F.-W. (2010), Kants ›transzendentaler Schematismus der reinen Verstandesbegriffe‹, 155–165. 89
IV. Abschnitt: Urteilskraft als ein a priori gesetzgebendes Vermögen
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lich ist – seien, die zu den Kategorien hinzukommen müssten, um den Verstandesgebrauch einzuschränken (B 179 / A 140). Was die Deduktion hingegen noch nicht geleistet hatte, war, aufzuzeigen, worin das Prinzip dieser Beschränkung genau bestehe und wie es funktioniere. M.a.W., es war noch nicht gezeigt worden, auf welche besondere Weise (nach welcher Regel) jede Klasse von Kategorien, nach Maßgabe ihrer eigenen (verstandesmäßigen) Bestimmung und begrenzt durch formale Bedingungen der Sinnlichkeit, auf Gegenstände der Erfahrung zu beziehen sei. Im Schematismus-Kapitel lehrt Kant nun, dass der »innere Sinn« als Formalbedingung der Sinnlichkeit dieses Prinzip – das »transzendentale Schema« (s. B 177 / A 138) – bereitstelle. Das »Schema« des reinen Verstandesbegriffs hat insbesondere die folgenden Bestimmungen: – »die wahren und einzigen Bedingungen« dafür zu enthalten, den Kategorien überhaupt erst eine Beziehung auf Objekte und damit inhaltliche Bedeutung zu verleihen (B 185 / A 145–146, B 187 / A 148). – damit vermittelnder Grund der Möglichkeit der Anwendung der Kategorie auf Gegenstände als Erscheinungen (B 177 / A 138) bzw. der »Subsumtion« der Erscheinungen unter die Kategorie zu sein (B 178 / A 139). Um diese letzte, wesentliche Funktion der Vermittlung eines ganz formalen Allgemeinen (der Kategorie) mit einem konkreten, bestimmten Anschauungsgegenstand (Erscheinung) erfüllen zu können, muss das »transzendentale Schema« mit beiden Extremen in einer Beziehung der »Gleichartigkeit« stehen, d. h. es muss »einerseits intellektuell, andererseits sinnlich« (jedoch nicht empirisch) (B 177 / A 138), bzw. einerseits so allgemein wie die Kategorie, andererseits so konkret wie die Erscheinung sein (vgl. B 177–178 / A 138–139). Dies soll nun dadurch gewährleistet sein, dass das Schema »transzendentale Zeitbestimmung« ist (denn die Zeit ist einerseits allgemeine formale Bedingung der Verknüpfung alles Mannigfaltigen in der Anschauung, andererseits sinnliche Komponente jedes empirisch vorgestellten Gegenstandes). Das transzendentale Schema hat also wesentlich die Funktion, das Problem zu lösen, das darin besteht, konstant heterogene Komponenten von theoretischem Erkennen (Erfahrung) (nämlich: Verstandesbegriff und sinnliche Anschauung bzw. Anwendungsgegenstand, d. i. Erscheinung) aufeinander zu beziehen und in Einklang miteinander zu bringen; bzw. die »Subsumtion« eines Gegenstandes unter die Kategorie zu bewerkstelligen. Dieses Problem war es gerade, das nach Kant »eine transzendentale Doktrin der Urteilskraft notwendig macht, um nämlich die Möglichkeit zu zeigen, wie reine Verstandesbegriffe auf Erscheinungen überhaupt angewandt werden können« (B 177 / A 138). Kants Lösungsanspruch besteht darin, jedes Glied dieser Beziehung zu einem Dritten in ein Verhältnis der Gleichheit zu setzen, jedoch die Teile auch nur so zu verbinden, dass die prinzipielle Ungleichartigkeit erhalten bleibt (B 176 / A 137). Denn subsumieren lässt sich nur etwas, das demjenigen, dem es untergeordnet wird, nicht gleicht. Durch ein gleiches Drittes sollen aber die ungleichen Stücke als eine Beziehung der Gleichartigkeit untereinander (d. h. zwischen dem Begriff und der Vorstellung des Gegenstandes) begriffen werden können, die nach Kant Bedin-
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
gung (Voraussetzung) der »Subsumtion« eines Gegenstandes (einer Anschauung) unter seinen Begriff ist (s. B 176–177 / A 137–138). »Schematismus« bezeichnet dann unter der Voraussetzung der zuvor benannten Funktionen der »Schematen« das Verfahren des Verstandes, Gegenstände auf die Kategorien zu beziehen und mit ihnen in Übereinstimmung zu bringen vermittelst eines Schemas der Sinnlichkeit. Der Schematismus hat für Kant die Einheit alles Mannigfaltigen der Anschauung im inneren Sinn zur Konsequenz (B 185 / A 145). Anzumerken ist schließlich noch, dass Kant in einer psychologischen Überlegung anscheinend die Funktionsweise dieses Schematismus als prinzipiell nicht vollständig erfassbar hinstellt: »Dieser Schematismus unseres Verstandes, in Ansehung der Erscheinungen und ihrer bloßen Form, ist eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele, deren wahre Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abraten, und sie unverdeckt vor Augen legen werden« (B 180–181 / A 141). Überträgt man die Funktion des Schematismus der KrV, dessen Darstellung ich hier aus Platzgründen weglassen muss, auf die der »Typik« in der KpV, so ergibt sich sinngemäß die Forderung, dass der »Typus« in Gestalt des reinen Naturgesetzes (der formalen Kausalität) sowohl dem Freiheitsgesetz als auch der besonderen Natur der Handlung entsprechen muss. Schematisiert wird das Freiheitsgesetz, nicht die Kategorie (vgl. 5:68.35–37). Die »Kategorien der Freiheit« sind dann das Ergebnis der Schematisierung. Das erreicht der »Typus« dadurch, dass das Freiheitsgesetz selbst qua Gesetz, als das Allgemeine, mit dem Naturgesetz in seiner allgemeinen Form übereinstimmt, und zugleich über dasselbe Gesetz, welches Bedingung der Möglichkeit von Natur überhaupt ist, Zugang zur empirischen Natur in Gestalt von Handlungen als bestimmten Objekten (nicht von beliebigen Gegenständen) (als dem Besonderen) hat, die als »Fall« notwendig mit der Bestimmung des Gesetzes übereinstimmen sollen. Die Quelle dieser Form des Schemas ist nicht die Einbildungskraft sondern der Verstand (5:69.12–19). Die Kategorien der Freiheit wären demnach (in Analogie zu KrV, B 175 / A 136) die bestimmten Formen (zweifach bestimmt durch das Freiheitsgesetz und das Naturgesetz als Bedingung der Übereinstimmung des Freiheitsgesetzes mit den Handlungen in der Natur). Und erst so bestimmt, d. h. durch den »Typus« schematisiert, sind sie dafür verwendbar, »dem Willen […] ein Object« zu bestimmen (5:67.25– 26). Denn erst unter der Bedingung des Naturgesetzes, unter der jede menschliche Handlung steht, ist es möglich zu beurteilen, ob die Handlung als Objekt durch das Freiheitsgesetz bestimmt ist oder nicht (d. h. gut oder böse ist) (vgl. 5:69.20–25). In Fällen der Beurteilung der Kausalität aus Freiheit wird das »Naturgesetz« »zum Typus eines Gesetzes der Freiheit« gemacht (5:70.4–9). Nach diesem Exkurs scheint klar zu sein, dass dasjenige was Kant in dem betrachteten Einleitungsabschnitt der KU unter reflektierender Tätigkeit der Urteilskraft versteht, weder etwas mit dem Schematismus der KrV noch mit dem Typus der KpV zu tun haben kann. Die reflektierende Urteilskraft der KU hat es vielmehr mit einer anderen Art des Subsumierens zu tun.
IV. Abschnitt: Urteilskraft als ein a priori gesetzgebendes Vermögen
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Zweiter bis fünfter Absatz: Das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft Der überwiegende Teil des vierten Abschnittes befasst sich mit der Notwendigkeit und Bestimmung eines der reflektierenden Urteilskraft eigenen Prinzips a priori und deren Begründung. Die Argumentation beginnt im zweiten Absatz, nachdem die Entbehrlichkeit einer eigenen Gesetzgebungsfunktion von der bestimmenden Urteilskraft festgestellt worden ist. Wegen der nicht leicht zu durchschauenden Syntax wird der im folgenden zitierte Schachtelsatz, den es zu kommentieren gilt, nach Sinneinheiten gegliedert und entsprechend satzgraphisch dargestellt: [1] – Allein es sind so mannigfaltige Formen der Natur, [1a] gleichsam so viele Modifikationen der allgemeinen transzendentalen Naturbegriffe, [1.1] die durch jene Gesetze, [1.1a] welche der reine Verstand a priori gibt, [1.1b] weil dieselben nur auf die Möglichkeit einer Natur (als Gegenstandes der Sinne) überhaupt gehen, [1.2] unbestimmt gelassen werden, [2] daß dafür doch auch Gesetze sein müssen,
}
}
[2.1] die zwar, als empirische, nach unserer Verstandeseinsicht zufällig sein mögen, [2.2] die aber doch, [2.2a] wenn sie Gesetze heißen sollen (wie es auch der Begriff einer Natur erfordert),
} [2.3] aus einem,
[2.3a] wenn gleich uns unbekannten, } [2.4] Prinzip der Einheit des Mannigfaltigen als notwendig angesehen werden müssen. (5:179.31–180.5) Satzgrafik Nr. 16
Aus dem Grundbefund, es gebe schlichtweg »so mannigfaltige Formen der Natur« ([1]), von denen gelte, dass sie von den »allgemeinen transzendentalen« Gesetzen
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
des Verstandes nicht bestimmt werden ([1.2]) (vgl. KrV, B 681 f.), folgt die Forderung, auch für diese »Formen« (die nicht schlechthin, sondern nur in Bezug auf die Verstandestätigkeit unbestimmt sind, vgl. E V, 4. Abs.) müssten gewisse Gesetze gelten ([2]). Da diese Gesetze aber nicht den Status allgemeiner Verstandesgesetze a priori beanspruchen können, vielmehr stets empirisch und im Hinblick auf unseren Verstand zufällig sind, müssen sie ihre Gesetzeskraft, d. h. ihre Notwendigkeit, auf andere Weise erwerben. Kant schließt deshalb darauf, dass die Notwendigkeit solcher Gesetze aus einem nach dem Ermessen unseres Verstandes unbekannten Prinzip der Einheit resultieren müsse. Unterstellt wird dabei allerdings, dass überhaupt ein gesetzmäßiger Zusammenhang in der Vielfalt unbestimmter empirischer Naturphänomene walten muss. Ein Hinweis auf einen Grund für diese als selbstverständlich hingestellte Annahme (im Gegensatz zur Behauptung einer vollständigen Diskretheit aller empirischen Naturformen) (vgl. EE V, Fn. zu Linné) ist in dem Klammerzusatz enthalten: »wie es auch der Begriff einer Natur erfordert« ([2.2a]).90 Es ergeben sich daraus vor allem zwei Fragen: 1) Welcher Naturbegriff macht die durchgängige Gesetzmäßigkeit auch für die vom Verstand her gesehen unbestimmten Naturerscheinungen sowie die gesetzmäßige Verbindung solcher Gesetze notwendig, und inwiefern macht er sie notwendig? 2) Weshalb genügt nicht ein allgemeines empirisches Gesetz als Voraussetzung und Grund aller empirischen Gesetze – weshalb bedarf es m.a.W. überhaupt eines (speziellen) Prinzips a priori? Zur ersten Frage: (s. auch EE V, 8. Abs.; Prolegomena § 15, § 36) Ihre Beantwortung hängt von der Klärung des Verhältnisses von »Natur überhaupt« (KrV, B 165) und den besonderen (empirischen) Naturen und deren Einheit ab. In der KrV, im Anschluss an die metaphysische und die transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe (§ 26, B 159–165) unterscheidet Kant zwischen zwei Aspekten derselben Natur: natura materialiter spectata (B 163)91 und natura formaliter spectata (B 165).
Darüber hinaus kann man auch auf die KrV verweisen, wo Kant sinngemäß darauf hinweist, dass eine logische Gattungsordnung in der Natur überhaupt nur denkbar ist, wenn man Ähnlichkeiten unter den mannigfaltigen Naturerscheinungen voraussetzen kann: »Wäre unter den Erscheinungen, die sich uns darbieten, eine so große Verschiedenheit […] der Mannigfaltigkeit existierender Wesen nach, daß auch der allerschärfste menschliche Verstand durch Vergleichung der einen mit der anderen nicht die mindeste Ähnlichkeit ausfindig machen könnte […], so würde das logische Gesetz der Gattungen ganz und gar nicht stattfinden, und es würde selbst kein Begriff von Gattung, oder irgendein allgemeiner Begriff, ja sogar kein Verstand stattfinden [,…]« (B 681–682 / A 653–654). 91 s. dazu KU, Vorrede, S. IV (5:167); E V, 1.–4. Abs. (5:181–184); § 70; MAN, Vorrede, 1. Abs. (4:567); Prolegomena, §§ 16 u. 17 (4:295–297). 90
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Die materiell betrachtete Natur ist der »Inbegriff aller Erscheinungen« (B 163; vgl. KU, Vorrede, S. IV, § 70), wobei Erscheinungen als bloße Vorstellungen von Dingen im erkennenden Subjekt zu gelten haben (B 164). Als Vorstellungen wiederum stehen sie unter den Kategorien des Verstandes, der ihnen damit die allgemeinen Gesetze ihrer Verknüpfung miteinander vorschreibt (ebd.). Die durch die Verstandestätigkeit auf die Erscheinungen bezogenen notwendigen Gesetze konstituieren die Natur, insofern sie formal betrachtet wird (B 165). Unter »Natur überhaupt« ist die Einheit dieser beiden zuvor genannten Gesichtspunkte zu verstehen, Natur »als Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen in Raum und Zeit« (B 165). Diese festgelegte Regelung in der KrV soll von allen empirischen Erscheinungen ohne Ausnahme gelten: »alle möglichen Wahrnehmungen, mithin auch alles, was zum empirischen Bewusstsein immer gelangen kann, d. i. alle Erscheinungen der Natur« müssen »ihrer Verbindung nach, unter den Kategorien stehen […]« (B 164/165), und zwar weil jegliche Wahrnehmung von einer empirischen Synthesis (»Synthesis der Apprehension«), diese aber wiederum von den Kategorien abhängt (B 164). Es wird jedoch auch in diesem Zusammenhang gleich anschließend in Bezug auf den Gebrauch und die Gültigkeit der Verstandesbegriffe die Einschränkung vorgenommen, dass besondere Gesetze, »weil sie empirisch bestimmte Erscheinungen betreffen, von ihnen »nicht vollständig abgeleitet werden« können, »ob sie gleich alle insgesamt unter jenen stehen. Es muss Erfahrung dazu kommen um die letzteren überhaupt kennen zu lernen […]« (B 165). D. h., wie jede einzelne empirische Erscheinung, so ist auch jedes empirische Naturgesetz den transzendentalen Naturgesetzen notwendigerweise subordiniert; sonst wäre es nämlich nicht erfahrbar, d. h. zumindest eine sinnlich-empirische Verbindung. Dasselbe muss dann wohl auch von den mannigfaltigen empirischen Naturformen in E IV gelten. Sie sind nicht schlechthin vereinzelt, zufällig und unbestimmt; sie sind bloß nicht vollständig durch den Verstand bestimmt, weil es für sie kein hinreichendes Schema gibt. Aber sie sind als solche zur Natur überhaupt gehörig und bilden innerhalb derselben einen Erfahrungszusammenhang, ohne den sie überhaupt nicht erfahrbar (wahrnehmbar) wären. Dieser Begriff der Natur als eines Erfahrungsganzen, der eine systematische Einheit bildet, die sowohl die transzendentalen Naturbegriffe als auch die empirischen Derivate und Variationen derselben vollständig umfassen muss, ist es, von dem Kant in der Klammer behauptet, er fordere, dass auch die empirischen Naturgesetze als nach einem Prinzip notwendig angesehen werden müssten. Absatz 4 des fünften Abschnittes bringt etwas mehr Klarheit in die Beantwortung der schwierigen Frage nach der Begründung für die Notwendigkeit einer besonderen gesetzmäßigen Verbindung unter den empirisch bestimmten Naturformen. Es sollte deshalb erlaubt sein, einige nützliche Gedanken aus der Kommentierung von E V an dieser Stelle vorwegzunehmen. Die als am wichtigsten erscheinende Einsicht besteht darin, dass die mannigfaltigen empirischen (für den menschlichen Verstand zufälligen) Naturformen nicht aus der »Natur überhaupt« (Natur, sofern sie Gegenstand von Erfahrung im stren-
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
gen Sinne ist) (s. auch KrV, B 165) herausfallen. »Natur überhaupt« ist das Resultat der Subsumtion unter die allgemeinen Verstandesbegriffe durch die bestimmende Urteilskraft. Auch von den in E IV, zweiter Absatz, betrachteten ›mannigfaltigen Formen der Natur‹ muss also gelten, dass sie unter der »formalen Zeitbedingung« des Schematismus stehen und insofern auch durch die allgemeinen Verstandesgesetze bestimmt sind (so ist der eingeschobene Nebensatz »außer jener formalen Zeitbedingung« in E V, Abs. 4, m. E. auszulegen). Denn von den Gegenständen der empirischen Erkenntnis heißt es an der betreffenden Stelle ausdrücklich, sie seien, »außer jener formalen Zeitbedingung, noch auf mancherlei Art bestimmt oder, soviel man a priori urteilen kann, bestimmbar […]«. Das ist so zu verstehen, dass diese Gegenstände auf zweifache Art bestimmt sind, nämlich erstens durch die allgemeinen (transzendentalen) Naturgesetze und zweitens durch empirische Gesetze. Die Folge ist, dass »spezifisch-verschiedene Naturen außer dem, was sie als zur Natur überhaupt gehörig gemein haben, noch auf unendlich mannigfaltige Weise Ursache sein können;« (E V, 4. Abs.). Als durch die schematisierten Kategorien allgemein bestimmt, gehören alle besonderen Naturformen zur »Natur überhaupt«, d. h. zu ein und derselben Natur als ihrer durchgängigen systematischen Einheit und ihrem gemeinsamen Allgemeinen.92 Deshalb ist der Begriff der Natur, der nach Absatz 2, E IV, die Gesetzmäßigkeit auch des empirisch bestimmten Mannigfaltigen der Natur fordert, derjenige der »Natur überhaupt« (der allgemein bestimmten Natur). Die Pointe dieses Zusammenhangs liegt darin, dass die empirischen Naturformen durch die allgemeinen Gesetze des Verstandes nicht hinreichend (d. h. nicht: überhaupt nicht) bestimmt werden, so dass spezifische Merkmale übrig bleiben, die zu konkret sind, um sich noch unter die Kategorien schematisieren zu lassen, und die deshalb auf andere Weise bestimmt werden müssen. Mit dieser Auslegung ist der Text von Absatz 2 in E IV, wie mir scheint, vereinbar. Kant führt hier als Grund für die Unbestimmtheit der mannigfaltigen Naturformen an, dass die allgemeinen Gesetze, »welche der reine Verstand a priori gibt«, »nur auf die Möglichkeit einer Natur (als Gegenstandes der Sinne) überhaupt gehen […].« Das erweckt zwar zunächst den Eindruck, als ob gesagt werde, die besonderen Naturformen stünden in gar keiner Beziehung zu den allgemeinen Verstandesgesetzen; gemeint ist aber genaugenommen nur die hinreichende, gesetzmäßig bestimmte Beziehung. Die Betonung liegt hier auf der Modalbestimmung der »Möglichkeit«, die so zu interpretieren ist, dass die allgemeinen Verstandesbegriffe (in Verbindung mit den Formen der reinen Anschauung a priori und dem Schematismus des reinen Verstandes) nicht nur eine notwendige, sondern auch eine hinreichende Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung und damit konstitutiv für synthetische Urteile a priori sind. Zwar wird auch in Bezug auf die besonderen empirischen Merkmale von NaAuch die besonderen Gegenstände der Natur gehören zur materialen Natur (s. KU, Vorrede). Die Einteilung geschieht so, dass »Natur überhaupt« zweifach verstanden werden kann: formal und material betrachtet. 92
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turphänomenen die Frage nach ihrer Möglichkeit erwogen, aber jene Bedingungen sind dafür nicht hinreichend; es müssen vielmehr noch besondere Bedingungen hinzukommen, die nicht mit den allgemeinen Verstandesgesetzen übereinstimmen. Das einschränkende »nur« im oben stehenden Zitat bezieht sich auf den ganzen Ausdruck (Möglichkeit einer Natur überhaupt) und d. h.: eben nicht zugleich auf die Möglichkeit besonderer empirischer Naturformen. Aus dem Rekurs auf die KrV (B 165) hat sich ergeben, dass der in KU, E IV, zweiter Absatz, angezeigte Befund der Unbestimmtheit der empirischen Naturformen (und damit implizit auch das daraus resultierende Sachproblem) nicht erst in der KU auftaucht, sondern von Anfang an mit konzeptionellen Schwierigkeiten der KrV grundlegend verbunden ist. Erst in der KU wird aber auch das sachliche Problem – wie kann aus diesen unbestimmten empirischen Formen eine Verbindung hergestellt werden, die zu einem System der Naturerfahrung passt? – analysiert mit dem Anspruch einer prinzipiellen Lösung. Die Gründe für das Auftreten dieses Problems scheinen sich aber nicht vollständig auf die von Kant anvisierten Bestimmungen von Erfahrungserkenntnis zurückführen zu lassen. Vielmehr scheint es dafür objektive und von Kant nicht entdeckte Gründe zu geben, die in bestimmten Grundannahmen des transzendentalen Idealismus und deren Unvereinbarkeit liegen. Zu diesen Grundannahmen gehören u. a. folgende Behauptungen: Erstens die nicht näher geprüfte Vorstellung von der Natur als eines Stofflieferanten für die Empfänglichkeit und Tätigkeit der Erkenntnisvermögen des Subjekts. Zweitens die gleichfalls als unantastbar unterstellte Erfahrungsunabhängigkeit (Apriorität) aller dieser Vermögen und ihrer Funktionen bzw. Formen. Die Unvereinbarkeit sehe ich darin, dass auf der einen Seite die Unbestimmtheit, Unbestimmbarkeit und Formlosigkeit empirisch gegebener Entitäten angenommen wird; auf der anderen Seite aber die notwendige Eignung dieser unbestimmten Dinge (d. i. der Dinge an sich) für die Erkenntnisleistung bestimmter Vermögen, insbesondere die Eignung dafür, den verschiedenen Verbindungsfunktionen von Einbildungskraft und Verstand zu unterliegen und sich ihnen zu fügen, unterstellt wird. Denn genau diese durchgängig heterogenen Entitäten geben als Sinnesdaten den ›Stoff‹ zur Erkenntnis, ohne den die subjektiven Formen ohne Inhalt, d. h. sinnlos wären. Die Eignung oder Angemessenheit des empirischen Stoffes gegenüber den subjektiven Formen, durch die sich Einheit der Erfahrung konstituieren soll, setzt aber auch Formbestimmung in der empirischen Natur, unabhängig vom Beitrag des erkennenden Subjekts, voraus. Das skizzierte Sachproblem der kantischen Kritik (der theoretischen Vernunft) erscheint an verschiedenen Stellen dieses Systems in sich wandelnder Gestalt. So ist eben auch die in der KrV (B 165) und in KU, E IV, übereinstimmend behauptete Unbestimmtheit der mannigfachen, heterogenen Naturformen und empirischen Gesetze durch die Verstandesbegriffe ein Derivat jenes objektiven Sachproblems. Für die einfache Feststellung – »es sind so mannigfaltige Formen der Natur usw.« – folgt aus dieser Problemlage, dass das, was da »Formen« genannt wird, objektive Bestimmung schon mitbringen muss, aber (nach der anderen Vorausset-
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
zung, dass Gegenstandsbestimmung in der Naturerkenntnis ihre Quelle allein in den Vermögen des Subjekts hat) nicht mitbringen kann. Es bleibt also ungeklärt, aufgrund welcher Bestimmung empirische Fakten (Dinge) überhaupt eine Form haben und wodurch diese »Formen der Natur« als solche (in ihrer Unbestimmtheit) vom Subjekt erfahren werden können. Die »mannigfaltige[n] Formen«, von denen hier die Rede ist, werden im zweiten Absatz des vierten Abschnittes der Einleitung auch beschrieben als »gleichsam so viele Modifikationen der allgemeinen transzendentalen Naturbegriffe […].« (5:179.32–33) Als Modifikationen wären sie (nach dem Verständnis der neuzeitlichen Metaphysik) die veränderlichen Zustände (Akzidenzien) einer beharrlichen Substanz (d. h. hier der Natur als Substanz). Im Gegensatz hätte man die Kategorien als Substanzen aufzufassen. Aber beide Annahmen dürfen ernsthaft nicht in Vorschlag gebracht werden. Denn weder ist es erlaubt, den Kategorien insgesamt Substantialität zuzuschreiben (vielmehr ist der Substanzbegriff selbst eine Kategorie der Relation), noch ist die Annahme zulässig, allgemeine Verstandesbestimmungen seien in der Natur selbst existierende substantielle Formen. Es kommt noch hinzu, dass ja nun in dem besprochenen Absatz erklärt wird, die empirischen Gesetze und Formen der Natur seien von den allgemeinen Gesetzen des Verstandes nicht ableitbar. Kant vermeidet diese Schwierigkeit scheinbar dadurch, dass die unbestimmten Naturformen nur »gleichsam« (d. h. nicht tatsächlich) Modifikationen der allgemeinen Naturgesetze seien. Trotzdem ist die Abschwächung nicht befriedigend. Denn sie trägt nicht wirklich zum Verständnis dessen bei, was die »mannigfaltige[n] Formen« eigentlich sein können. Gleichwohl wird dem Leser durch die Analogie suggeriert, es gebe einen entsprechenden begrifflichen Zusammenhang zwischen allgemeinen und besonderen Naturformen bzw. –gesetzen, und zwar mit Notwendigkeit. Aus der Überlegung, dass auch empirische Gesetze der Natur qua Gesetze Notwendigkeit bei sich führen müssen, die durch ein »Prinzip der Einheit des Mannigfaltigen« gestiftet wird, folgt im letzten Gedankenschritt des zweiten Absatzes, dass die reflektierende Urteilskraft »also« eines solchen Prinzips bedarf. Sie benötigt ein solches Prinzip eben deswegen, weil es ihre Aufgabe ist, die empirische Naturvielfalt in aufsteigender Ordnung vom Besonderen zum Allgemeinen zu systematisieren. Dieses Prinzip muss nun ursprünglich unabhängig von Erfahrung sein. Denn es soll die Funktion erfüllen können, die »Einheit aller empirischen Prinzipien« und damit auch »die Möglichkeit der systematischen Unterordnung derselben untereinander« zu begründen. Diese Funktion kann aber dann nicht erfüllt werden, wenn das gesuchte Prinzip selbst wieder empirisch ist. Denn dann würde sich ein Zirkel in der Begründung ergeben, da das Bedingende selbst ein Glied in der Reihe der auf- und absteigend bedingten Prinzipien wäre, und es würde sich erneut die Aufgabe stellen, nach einem ersten unbedingten Prinzip als Grund aller empirischen Prinzipien suchen zu müssen; der Prozess würde ins Unendliche gehen. Der Grund kann also nur ein »transzendentales Prinzip« sein, und zwar ein solches, das die reflektierende Urteilskraft nur sich selbst »als Gesetz geben« kann. D. h.: Erstens
IV. Abschnitt: Urteilskraft als ein a priori gesetzgebendes Vermögen
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schöpft sie dieses Gesetz aus sich selbst, und d. h. weder aus der Erfahrung, noch aus einem anderen Vermögen, insbesondere nicht aus dem Verstand (denn dann würde sie sich in die bestimmende Urteilskraft verwandeln); zweitens wendet sie dieses Gesetz auch nur auf sich selbst an. Sie ist selbstgesetzgebend. In Verkehrung der erfahrungskonstitutiven Funktion des Verstandes schreibt sie damit eben nicht der Natur die Gesetze vor. Dafür werden wiederum zwei Gründe genannt: Erstens richtet sich »die Reflexion über die Gesetze der Natur« nach der Natur; d. h. die Gegenstände und Gesetze ihrer Naturbetrachtung sind der Erfahrung entnommen und durch diese bestimmt. Zweitens richtet sich die Natur nicht nach den (allgemeinen, transzendentalen) Bedingungen (der Urteilskraft und des Verstandes), weil diese Bedingungen nur dazu führen würden, einen in Anbetracht der besonderen empirischen Gesetze bloß zufälligen Begriff von der Natur zu gewinnen, die Natur damit aber insgesamt keiner notwendigen Gesetzmäßigkeit unterläge, was dem Begriff der Natur überhaupt schließlich widerstreiten würde.
Dritter bis fünfter Absatz: Zweck und Zweckmäßigkeit – das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft Die zweite Hälfte des vierten Abschnittes (Absatz 3 bis 5) befasst sich mit einer genaueren Vorstellung des Prinzips der reflektierenden Urteilskraft. Der erste Satz des dritten Absatzes enthält syntaktische Schwierigkeiten, die vor der inhaltlichen Interpretation aufgelöst werden müssen. Dies kann unter Zuhilfenahme einer Satzgrafik leicht bewerkstelligt werden: [1] Nun kann dieses Prinzip kein anderes sein, als daß, / [1a] da allgemeine Naturgesetze ihren Grund in unserem Verstande haben,
}
[1b] der sie der Natur (obzwar nur nach dem allgemeinen Begriffe von ihr als Natur) vorschreibt, [2] die besonderen empirischen Gesetze / [2a] in Ansehung dessen, was in ihnen durch jene unbestimmt gelassen ist, / [3] nach einer solchen Einheit betrachtet werden müssen, als ob gleichfalls ein Verstand (wenngleich nicht der unsrige) sie zum Behuf unserer Erkenntnisvermögen, / [3a] um ein System der Erfahrung nach besonderen Naturgesetzen möglich zu machen, [4] gegeben hätte. (5:180.18–26)
}
}
Satzgrafik Nr. 17
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
Der sich durch dieses Satzgefüge schlängelnde Hauptgedanke ([1] bis [4]) besagt, dass das noch näher anzugebende spezifische Prinzip der reflektierenden Urteilskraft (d. i. das Prinzip der inneren Zweckmäßigkeit, KU, §§ 76–77) genau (eindeutig) so beschaffen sein muss, dass die (durch die allgemeinen Naturgesetze des menschlichen Verstandes nicht bestimmten) besonderen empirischen Gesetze der Natur durch die Einheit eines anderen (nicht spezifisch menschlichen) Verstandes zu betrachten sind. Wenn also die besonderen empirischen Gesetze überhaupt durch ein Prinzip regiert, zusammengehalten und vereinheitlicht werden können, um auch in sie Notwendigkeit zu bringen, bzw. wenn das menschliche Erkenntnisvermögen ein »System der Erfahrung nach besonderen Naturgesetzen« ermöglichen soll ([3a]), dann setzt dies einen anderen Verstand als Urheber der Einheit aller empirischen Naturgesetze voraus. Diese Einheit ist aber zugleich nur so zu betrachten (zu denken), »als ob« der angenommene Verstand sie »gegeben hätte« ([4]). Das heißt – wie der nachfolgende Satz unschwer erkennen lässt –, ein solcher Verstand wird nicht als wirklich (existent) angenommen, sondern nur als eine Idee, deren die Urteilskraft zum Reflektieren über die Natur jedoch bedarf. Wäre dieser schaffende Verstand tatsächlich gegeben, so würde diese Idee der Urteilskraft wiederum als Prinzip des Bestimmens dienen, und die Urteilskraft würde nicht sich selbst, sondern der Natur das Gesetz vorschreiben. Eine solche Möglichkeit wurde jedoch durch den Gedankengang des zweiten Absatzes bereits ausgeschlossen. Kant muss hier diese Einschränkung des »als ob« in Bezug auf den alternativen Verstand vornehmen, weil sonst der Unterschied zwischen der bestimmenden und der reflektierenden Funktion der Urteilskraft hinfällig und damit das Gebäude der KrV baufällig würde. Denn damit würde ja zugleich eine mit dem menschlichen Verstand in Bezug auf die Gesetzgebung der Natur konkurrierende und ihn erweiternde Instanz etabliert, ein Verstand als Vermögen, dessen Träger ein übersinnliches, intelligibles Subjekt wäre. Zwei heterogene ›Reiche‹ der Natur, die sich nicht zur Einheit eines einzigen Systems der Natur und Erfahrung zusammenfügen ließen, wären die Folge. Im vierten Absatz wird das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft als »Zweckmäßigkeit der Natur« bestimmt. Die Zuschreibung dieser Bestimmung erfolgt auf der Grundlage der Definition des »Zwecks« und der »Zweckmäßigkeit der Form« (der Dinge). Es ist dabei nicht ohne weiteres einleuchtend, in welchem begründungstheoretischen Zusammenhang diese Begriffe mit dem anzugebenden Prinzip stehen und was sie eigentlich mit dem angenommenen nichtmenschlichen Verstand als quasi Gesetzgebungsinstanz zu tun haben. Inwiefern qualifiziert sich also die Zweckmäßigkeit als Inhaltsbestimmung des Prinzips der Urteilskraft? Wir betrachten dazu die angesprochenen Begriffsexplikationen genauer und erläutern ihren Sinn: »Zweck« heißt »der Begriff von einem Objekt, sofern er zugleich den Grund der Wirklichkeit dieses Objekts enthält […].« Welche Art von Begriff kann aber eine solche Bedingung erfüllen, und was bedeutet hier »Wirklichkeit«?
IV. Abschnitt: Urteilskraft als ein a priori gesetzgebendes Vermögen
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Der Sache nach wird mit der Definition des Zwecks behauptet, dass dessen Begriff ein Objekt hervorbringt. Wir haben bereits gesehen (s. Kommentar, S. 227– 236), dass die reinen Verstandesbegriffe eine solche Leistung nicht vollbringen können, dass sie vielmehr auf die sinnliche Anschauung als Lieferanten des materialen Gehalts und Bereitstellung der dafür notwendigen Anschauungsformen a priori angewiesen sind. Der Begriff, um den es sich hier handelt, kann also kein reiner Verstandesbegriff sein. Vielmehr ist es ein Begriff in weiterer Bedeutung, eine Vorstellung, die ein erkennendes Subjekt von etwas hat. Scheidet der menschliche Verstand als Quelle dieses Begriffs aus, so kommt der gerade inthronisierte andere Verstand vielleicht in Frage. Dann ist zumindest festzustellen, dass die »Wirklichkeit« des Objekts, die vom Begriff hervorgebracht wird, nicht das wirkliche Dasein dieses Objekts in der Natur bedeuten kann, da ja im vorhergehenden Absatz die Annahme eines nichtmenschlichen Verstandes nicht »wirklich« gemacht wird. In Wirklichkeit ist es nicht das Ding als solches, das durch einen Begriff hervorgebracht wird, sondern eine besondere Qualität desselben in der Vorstellung des Subjekts. »Zweckmäßigkeit« heißt unter dieser Vorgabe »die Übereinstimmung eines Dinges mit derjenigen Beschaffenheit der Dinge, die nur nach Zwecken möglich ist […].« Die hier angesprochene besondere Qualität der Dinge der Natur ist die der begrifflichen Verursachung überhaupt. Sie ist dasjenige Allgemeine, das es erlaubt, einem Ding Zweckmäßigkeit zuzuschreiben, sofern es diese begriffliche Bestimmung erfüllt, d. h. durch irgendeinen Zweck bestimmt zu sein. Mit diesen Überlegungen glaubt Kant darauf schließen zu können, dass das Prinzip der Urteilskraft in der »Zweckmäßigkeit der Natur« bestehe, und zwar »in Ansehung der Form der Dinge unter empirischen Gesetzen überhaupt.« Damit sind nun nicht die »mannigfaltige[n] Formen der Natur« gemeint, für die Gesetze und Prinzipien gesucht wurden (2. Abs.), sondern die allgemeine Form der Dinge oder die Einheit der Dinge, insofern sie durch empirische Gesetze bestimmt werden. Für die empirische Natur insgesamt gilt dann, dass sie durch den Begriff der Zweckmäßigkeit so »vorgestellt« wird, »als ob« ein außermenschlicher Verstand »den Grund der Einheit des Mannigfaltigen ihrer empirischen Gesetze enthalte.« Denn für einen solchen Verstand sollte eben das gelten, was durch den Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur erfüllt wird: als Grund der Einheit des empirischen Mannigfaltigen der Natur zu fungieren, der nicht wiederum aus der Natur gewonnen werden kann. Da der Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur weder aus der Naturerfahrung abgeleitet werden kann, noch von einem anderen Erkenntnisvermögen gegeben wird, so kann er als »ein besonderer Begriff a priori« nur aus der reflektierenden Urteilskraft entspringen (5. Abs.). Er hat damit aber auch nur subjektive Gültigkeit, weil er nur dazu dient, über die Natur unter dem Aspekt der nach empirischen Gesetzen angestellten Verknüpfung der Naturerscheinungen zu reflektieren. Das bedeutet zugleich, dass eben den »Naturprodukten« als solchen keine objektive und reale Beziehung auf Zwecke nachgewiesen werden kann. In deutlicher Abkehr vom metaphysischen Gebrauch der Zweckkausalität (Finalität) bei Leibniz und Wolff gelangt Kant damit zu einer Konzeption der Zweck-
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
mäßigkeit, die weder in der äußeren Natur noch in der Ratio Gottes verankert ist, sondern allein im geistigen Vermögen des Menschen ihren Grund und ihren Ursprung hat. Die Teleologie in Kants KU ist damit weder als Naturteleologie noch als Physikotheologie zutreffend charakterisiert. Darüber hinaus will Kant diesen spezifischen Begriff von der Zweckmäßigkeit der Natur zwar strikt unterschieden wissen von der praktischen Zweckmäßigkeit, und zwar in doppelter Hinsicht: der Zweckmäßigkeit sowohl in der menschlichen Kunst als auch in den Sitten; aber er soll doch ebenso »nach einer Analogie« mit der praktischen Zweckmäßigkeit gedacht werden. Wie das zu verstehen ist, soll die Interpretation des fünften Abschnittes darlegen.
V. Abschnitt: Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit der Natur
EV Fünfter Abschnitt: »Das Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit der Natur ist ein transzendentales Prinzip der Urteilskraft.« Gliederung: Zur Überschrift Erster Absatz: Transzendentale und metaphysische Prinzipien Zweiter und dritter Absatz: Zweckmäßigkeit der Natur als transzendentales Prinzip der Urteile Vierter Absatz: »Transzendentale Deduktion« des Begriffs der Zweckmäßigkeit der Natur Fünfter bis siebter Absatz: Die Ordnung der empirischen Natur nach dem Gesetz der Spezifikation Exkurs zum fünften Absatz: Erläuterung: Der »Fortgang von der allgemeinen Analogie einer möglichen Erfahrung überhaupt zur besonderen« Siebter Absatz: Die Entdeckung eines Prinzips a priori der reflektierenden Urteilskraft Exkurs zum siebten Absatz: Erläuterung: Spezifikation und Klassifikation
Zur Überschrift Der besonders schwierige fünfte Abschnitt der Einleitung ist thematisch eng an den vierten gebunden. War dort der Nachweis erbracht worden, dass die (reflektierende) Urteilskraft ein Vermögen ist, das ebenso wie die anderen oberen Erkenntnisvermögen a priori Gesetze gibt, so soll nun von ihrem ureigenen Prinzip der Zweckmäßigkeit gezeigt werden, dass es ein »transzendentales Prinzip« ist. Erläutert werden muss, weshalb in der Überschrift die genauere Bezeichnung der »formalen« Zweckmäßigkeit steht, die doch im Text dieses Abschnittes nicht vorkommt. Was Kant formale Zweckmäßigkeit nennt, unterscheidet er an anderen Stellen von der materialen (oder realen bzw. empirischen).93 »Formal« heißt sie deswegen, weil sie als Prinzip der reflektierenden Urteilskraft bloß auf die (nichtintellektuelle, subjektive Beziehung) der Form des empirisch Mannigfaltigen bezogen ist,
93
EE VIII.4; KU, § 62 (insbesondere 3. Abs.).
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
nicht – wie die materiale – auf Begriffe von Dingen als Naturzwecken.94 Sie ist in Hinsicht auf die Kategorien des Verstandes eine zufällige Gesetzmäßigkeit, weil sie sich keiner Kategorie unterordnen und durch sie bestimmen lässt, somit keine Naturerkenntnis stiftet, hingegen in Zusammenhang mit den ästhetischen Reflexionsurteilen steht.95 Sie dient als Prinzip der »Beurteilung und Nachforschung der Natur.«96 Während die Formausrichtung die Zweckmäßigkeit zu einem subjektiven Prinzip macht, indem dieses nur auf unser Erkenntnisvermögen bezogen ist, ist die materiale Zweckmäßigkeit zugleich objektiv.97 Aber die Unterscheidungen, auf die es hier ankommt, sind unter mindestens zwei Gesichtspunkten problematisch: Erstens fällt weder die subjektive Zweckmäßigkeit mit der formalen zusammen, noch die objektive mit der materialen. Denn subjektiv zweckmäßig können auch bestimmte ästhetische Urteile sein, die nicht zweckfrei und interesselos sind. Die objektive Zweckmäßigkeit andererseits wird auch noch einmal in eine formale und eine materiale unterschieden. Allein die objektive materiale bezieht sich auf Dinge als Naturzwecke. Die objektive formale Zweckmäßigkeit, die bei Kant auch »intellektuelle« heißt,98 müsste eigentlich genauso wie die subjektive eine »Zweckmäßigkeit ohne Zweck« sein.99 Im wesentlichen sind ihre Gegenstände solche der Mathematik (geometrische Figuren und Zahlen).100 Aber Kant fasst den Gedanken von einer objektiven formalen Zweckmäßigkeit ohne Zweck als einen offenbaren Widerspruch auf.101 Zweitens ist auch die objektive Zweckmäßigkeit in letzter Konsequenz bloß subjektiv. Die Zwecke auf die sie sich bezieht, existieren nicht (wie z. B. in der Wolffschen Teleologie) in der empirischen Natur außerhalb des Subjektes, sondern existieren nur in Form von Dingen als Vorstellungsinhalten des Subjekts. Wie ist unter diesen Voraussetzungen die objektive, reale Zweckmäßigkeit bzw. wie sind Naturzwecke in das Regelsystem der Urteilskraft einzuordnen? Sind es überhaupt transzendentale Prinzipien und bedürfen sie einer ebensolchen Deduktion? Und schließlich: welche Stellung nimmt die teleologische Urteilskraft zur ästhetischen ein? Vgl. E VIII. EE VIII, 4. Abs. 96 EE II, 6. Abs. 97 Vgl. E VIII, 1. Abs.; E V, 4. & 7. Abs.; E VII, 2. Abs.; EE VII; KU, § 61. 98 KU, § 62, 1. Abs., 3. Abs., 5. Abs. 99 S. KU, § 15. 100 S. KU, § 62. 101 »Eine formale objektive Zweckmäßigkeit aber ohne Zweck, d. i. die bloße Form einer Vollkommenheit (ohne alle Materie und Begriff von dem, wozu zusammengestimmt wird, wenn es auch bloß die Idee einer Gesetzmäßigkeit überhaupt wäre), sich vorzustellen, ist ein wahrer Widerspruch.« (KU, § 15, Ende des 3. Abs.). Dem kann der 3. Abs. von § 62 entgegen gehalten werden: »Diese intellektuelle Zweckmäßigkeit aber, ob sie gleich objektiv ist (nicht, wie die ästhetische, subjektiv), läßt sich gleichwohl ihrer Möglichkeit nach als bloß formale (nicht reale), d. i. als Zweckmäßigkeit, ohne daß doch ein Zweck ihr zum Grunde zu legen, mithin Teleologie dazu nötig wäre, gar wohl, aber nur im allgemeinen begreifen.« 94 95
V. Abschnitt: Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit der Natur
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Es ist also zunächst danach zu fragen, ob die Aufgabenstellung des fünften Abschnittes sich auf die subjektive Zweckmäßigkeit beschränkt, oder ob auch die objektive formale dazu gehört. Eine eindeutige Antwort darauf scheint sich aus dem Resultat der Deduktion am Ende des vierten Absatzes zu ergeben: Der Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur erweist sich als »ein subjektives Prinzip (Maxime) der Urteilskraft«. Der Gedankengang des fünften Abschnittes kann insgesamt folgendermaßen gegliedert werden: Im ersten Absatz wird der Bedeutungsunterschied zwischen einem transzendentalen und einem metaphysischen Prinzip erklärt und durch zwei Beispiele erläutert. Das zweite Beispiel enthält die Behauptung, dass das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur ein transzendentales Prinzip sei, weil es das Kriterium dafür erfülle. Bevor dies durch eine Deduktion im vierten Absatz mit Notwendigkeit gezeigt wird, werden im zweiten und dritten Absatz weitere Argumente vorgetragen, die die Richtigkeit der Behauptung überzeugend darstellen sollen. Sie führen am Ende des dritten Absatzes zu dem Schluss, dass die Zweckmäßigkeit der Natur ein »transzendentales Prinzip der Urteile« sei. Daraus soll sogleich folgen, dass dieses Prinzip eine »transzendentale Deduktion« erfordert. Diese Deduktion wird im vierten Absatz durch einen komplizierten Argumentationsgang vorgetragen. Sie führt zu dem Nachweis, dass die Zweckmäßigkeit der Natur ein subjektives Prinzip der reflektierenden Urteilskraft sei, das zwar unbeweisbar ist, aber doch notwendig angenommen werden muss. Die Überlegungen des fünften und sechsten Absatzes verstärken die Deduktion, indem ihre »Richtigkeit« aus dem Argument, dass der Verstand notwendig eine gesetzmäßige Ordnung der Natur bzw. der Erfahrung auch hinsichtlich ihrer besonderen, empirischen Regeln verlangt, folgt. Im letzten Absatz dieses Abschnittes wird der Gebrauch des Zweckmäßigkeitsprinzips zur »Spezifikation« der allgemeinen Naturgesetze zum Besonderen vorgestellt.
Erster Absatz: Transzendentale und metaphysische Prinzipien Die Unterscheidung zwischen einem transzendentalen und einem metaphysischen Prinzip, die für den Nachweis der transzendentalen Qualität des Prinzips der Zweckmäßigkeit der Natur vorausgesetzt wird, ist schwer zu erfassen. Werfen bereits die Definitionen dieser beiden Prinzipienarten Verständnisprobleme auf, so gilt das erst recht von den Beispielen, die zur Erläuterung der Begriffsdeterminationen verwendet werden. Ein transzendentales Prinzip wird als dasjenige deklariert, »durch welches die allgemeine Bedingung a priori vorgestellt wird, unter der allein Dinge Objekte unserer Erkenntnis überhaupt werden können.«102 Statt »vorgestellt wird« kann man 102
E V, 1. Abs. (5:181.15–17).
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
auch einfacher sagen: angegeben wird. Ein transzendentales Prinzip gibt also eine Bedingung für Erkenntnis im weitesten Sinne an. Nur insofern Gegenstände (»Dinge«) einer solchen Bedingung unterzogen werden, qualifizieren sie sich überhaupt zu Objekten unserer Erkenntnis. Von der Bedingung selbst muss dabei gelten, dass sie a priori und allgemein ist. Da sie die einzige Bedingung (»allein«) von Objekterkenntnis ist, muss sie zugleich notwendig und hinreichend sein. Aber welchem Vermögen ist das transzendentale Prinzip zuzuordnen? Da es die Bedingung von Erkenntnis enthält, könnte es sich strenggenommen bloß um ein Verstandesprinzip handeln, und das später zu diskutierende Beispiel eines Prinzips der Körpererkenntnis rekurriert ja offensichtlich auf reine Verstandesbegriffe. Da wir es nun aber mit »unserer Erkenntnis überhaupt« zu tun haben, kommen als Quellen transzendentaler Prinzipien Verstand, Vernunft und (reflektierende) Urteilskraft in Frage. Demzufolge ist anzunehmen, dass sich viele verschiedene transzendentale Prinzipien anführen lassen, deren Bestimmung von den Gegenständen abhängt, die »Objekte« unserer Erkenntnis werden. In der Tat macht Kant schon in der KrV in verschiedenen Zusammenhängen Gebrauch von transzendentalen Prinzipien, soweit ich sehe, allerdings nicht im Kontrast zu metaphysischen Prinzipien (vgl. KrV, B 691 / A 663). Die Attribut-Paarung transzendental/metaphysisch kommt jedoch in der KrV mehrfach vor, und zwar bei verschiedenen Aufgabenstellungen; z. B. bei der Unterscheidung zwischen einer transzendentalen und einer metaphysischen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe (vgl. KrV, B 159) oder zwischen einer transzendentalen und einer metaphysischen Erörterung (KrV, B 38–40). Es ist in dem Zusammenhang auch an die klassische Bestimmung des Transzendentalen der Erkenntnis in der Einleitung der B-Ausgabe der KrV (B 25) zu erinnern (»Ich nenne alle Erkenntnis transzendental, die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, insofern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt«). Auch das metaphysische Prinzip stellt eine Bedingung a priori dar (es ist also kein empirisches Prinzip), jedoch im Unterschied zum transzendentalen Prinzip eine solche, »unter der allein Objecte, deren Begriff empirisch gegeben sein muß, a priori weiter bestimmt werden können« (5:181.18–20). Der Unterschied besteht im wesentlichen also darin, dass das transzendentale Prinzip die Bedingung dafür enthält, dass etwas überhaupt erst zum Erkenntnisobjekt wird, d. h. durch ein subjektives Vermögen ›gegeben‹ wird; das metaphysische Prinzip dagegen enthält die Bedingung dafür, dass bestimmte Objekte – nämlich empirisch vorgegebene – einer Weiterbestimmung zugeführt werden. Objekte, »deren Begriff empirisch gegeben sein muß«, sind empirische Gegenstände der Natur. Ihr Begriff wird »gegeben«, insofern er sich durch Wahrnehmungen konstituiert, d. h. seinen Ursprung nicht in einem Erkenntnisvermögen hat. Welche ›weitere‹ Bestimmung sollen solche Objekte aber unter der Bedingung eines metaphysischen Prinzips erhalten? Welches Vermögen gibt metaphysische Prinzipien? (Ist die objektiv reale Zweckmäßigkeit ein metaphysisches Prinzip?) Um diese Fragen zu beantworten, betrachte ich zuerst das Beispiel, das Kant als nächstes zur Illustration seiner beiden Definitionen offeriert:
V. Abschnitt: Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit der Natur
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»So ist das Princip der Erkenntniß der Körper als Substanzen und als veränderlicher Substanzen transscendental, wenn dadurch gesagt wird, daß ihre Veränderung eine Ursache haben müsse […]« (5:181.20–23). Dasjenige Ding, das hier zum Erkenntnisobjekt erhoben wird, ist der Körper als veränderliche Substanz, und die allgemeine und notwendige Bedingung dafür (das transzendentale Prinzip) ist die Kausalität der Veränderung (d. h. der Begriff von Ursache und Wirkung als allgemeines Naturgesetz). Folglich ist die allgemeine Natur des Körpers a priori nur erkennbar unter der Voraussetzung der Anwendung des Kausalprinzips (als des transzendentalen Prinzips) auf den Begriff der Veränderung. Das Prinzip a priori ist hier nach Kant transzendental (und nicht metaphysisch), weil in diesem Falle »der Körper nur durch ontologische Prädicate (reine Verstandesbegriffe), z. B. als Substanz, gedacht werden darf, um den Satz a priori zu erkennen […]« (5:181.25–27). Der zu erkennende »Satz« ist die Aussage, dass Körper veränderliche Substanzen sind; und die Aussage gilt dann, wenn das Satzsubjekt bloß durch Verstandesbegriffe bestimmt wird. Dann nämlich ist auch das Prädikat ein solcher Begriff und also ein transzendentales Prinzip (hier: der Kausalität). Das Wort »dadurch« bezieht sich jeweils auf das Prinzip, das die Erkenntnisbedingung a priori formuliert: – –
tP: Körper sind veränderliche Substanzen, wenn ihre Veränderung immer und mit Notwendigkeit eine Ursache hat. mP: Körper sind bewegliche Dinge im Raume, wenn ihnen Bewegung durch eine äußere Ursache zukommt.
Das transzendentale Prinzip der Erkenntnis, das Kant in diesem Beispiel vorstellt (tP), entspricht dem, was in der KrV im System der Grundsätze als zweite Analogie der Erfahrung ausgedrückt wird. »Analogien« sind »transzendentale Naturgesetze« (KrV, B 263).103 Zu Kants (problematischer) Bestimmung und Verwendung des Substanzbegriffs in der KrV und seinem Verhältnis zu älteren Epochen der Philosophiegeschichte (Aristoteles, Descartes, Spinoza, Leibniz) könnte Vieles gesagt werden, was aber an dieser Stelle vernachlässigt werden muss und darf. Er wird als reiner Verstandesbegriff in der Kategorientafel an erster Stelle der Klasse der Relationsbegriffe geführt: »Inhärenz und Subsistenz (substantia et accidens)«. In der ersten Analogie (»Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz«) tauchen verschiedene Bestimmungen auf. Die Substanz ist (als Erscheinung) das Beharrliche bei allem Wechsel seiner Daseinsweisen (KrV, B 225–226), bleibendes Substrat als Träger von Bestimmungen in der Zeit (KrV, B 227 f. / A 183 f.), handelndes Subjekt (KrV, B 249–251 / A 204–206). Kant versucht nachzuweisen, dass ihr Veränderung nur insofern zukommt, als sie beharrt. Veränderung betrifft überhaupt nur den wechselnden Zustand ihres Daseins bzw. ihre Daseinsart. Die Substanz entsteht 103
Vgl. dazu Thöle, B. (1998), Die Analogien der Erfahrung, 267–296.
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
und vergeht nicht, nur ihre Akzidenzen (oder realen Bestimmungen) wechseln (z. B. ist die Bewegung ein Akzidenz der Materie).104 Nach der zweiten Analogie sind die Veränderungen der Substanz durch das Gesetz der Kausalität (den Begriff von Ursache und Wirkung) geordnet und bestimmt.105 Das bedeutet, dass jede Veränderung der Substanz eine Ursache haben muss, und das ist genau der Inhalt des transzendentalen Prinzips, das in E V, 1. Abs., als Beispiel vorgetragen wird. Das Prinzip ist nun in dem gegebenen Beispiel metaphysisch, wenn es zum Ausdruck bringt, dass die Veränderung der Körper notwendig eine äußere Ursache hat. Das trifft dann zu, wenn der Körper nicht bloß die Bedeutung einer veränderlichen Substanz erhält, sondern den empirischen Begriff des Beweglichen im Raum meint. Dass diesem Körper das Prädikat »der Bewegung nur durch äußere Ursache« zukomme, soll aber »völlig a priori eingesehen werden« können. Denn gälte dies nicht, hätten wir es mit einem empirischen Prinzip zu tun und nicht mit einem Prinzip a priori. Um das Beispiel der Anwendung des metaphysischen Prinzips auf den empirischen Begriff der Veränderung des Körpers durch eine äußere Ursache in Kants kritischer Philosophie zu verorten und es dadurch auch verständlicher zu machen, können die »Metaphysische[n] Anfangsgründe der Naturwissenschaften« (MAN) von 1786 zu Rate gezogen werden, ohne dabei auf Einzelheiten einzugehen oder die speziellen Probleme dieser Schrift anzusprechen. Kant kann sich bei seiner Illustration insbesondere auf zwei Lehrstücke aus dieser Schrift stützen: erstens auf die Phoronomie (Erstes Hauptstück), wo laut Erklärung I die Materie (bzw. der Körper) als »das Bewegliche im Raume« bestimmt wird. Sie ist aber nach der bloß metaphysischen Erklärung »im Verhältniß zum Erkenntnisvermögen« »das Eigentlich-Empirische der sinnlichen und äußeren Anschauung, weil es gar nicht a priori gegeben werden kann.«106 Zweitens auf die Mechanik (Drittes Hauptstück); denn dort wird im dritten Lehrsatz, der das zweite Gesetz der Mechanik oder das Trägheitsgesetz formuliert, alle Veränderung der Materie (bzw. eines Körpers) auf eine »äußere Ursache« zurückgeführt und bewiesen.107 Das zweite Beispiel im ersten Absatz von E V zur Unterscheidung zwischen transzendentalen und metaphysischen Prinzipien betrifft die Zweckmäßigkeit der Natur: »So ist, wie ich sogleich zeigen werde, das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur (in der Mannigfaltigkeit ihrer empirischen Gesetze) ein transzendentales Prinzip.« (5:181.31–33)
Vgl. KrV, B 229–231 / A 186–188, B 233; Prolegomena, §§ 15, 25, 33. KrV, B 247 / A 202, B 251–254 / A 206–209; vgl. Prolegomena, § 33. 106 Anmerkung 2 zu Erklärung 1, 4:481. S. auch Vorrede, 4:469 f.; vgl. dazu Pollok, K. (2001), Metaphysische Anfangsgründe, 180 ff. 107 S. 4:543 f.; vgl. Pollok, K. (2001), Metaphysische Anfangsgründe, 414–428. 104 105
V. Abschnitt: Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit der Natur
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Auf den Nachweis, dass dieses Prinzip transzendental ist, läuft die ganze Betrachtung im ersten Absatz hinaus. Obwohl dieser Nachweis eigentlich erst in der »transzendentalen Deduktion« erbracht wird, die ihren Ort im vierten Absatz dieses Abschnittes hat, fügt Kant der Ankündigung noch im ersten Absatz eine (vorläufige) Begründung bei: »Denn der Begriff von den Objekten, sofern sie als unter diesem Prinzip stehend gedacht werden, ist nur der reine Begriff von Gegenständen des möglichen Erfahrungserkenntnisses überhaupt und enthält nichts Empirisches.« (5:181.33–182.1) Diese Begründung ist ziemlich fragwürdig, weil ja bisher die Aufgabe des Prinzips der Zweckmäßigkeit der Natur gerade darin bestand, ausgehend von empirischen Objekten (dem heterogenen Mannigfaltigen) zu eben diesen immer allgemeinere Gesetze zu finden; und das in Frage stehende Prinzip sollte diese Nachforschung anleiten. Dass Objekte als »unter diesem Prinzip stehend gedacht werden«, heißt: sie werden durch dieses nur reguliert, aber nicht gesetzmäßig bestimmt. Das Gegenstück zum Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur ist in demselben Beispiel das »Prinzip der praktischen Zweckmäßigkeit«.108 Dieses soll metaphysisch sein, und zwar weil diese Zweckmäßigkeit zwar notwendig als »Idee der Bestimmung eines freien Willens« gedacht werde, der Wille jedoch als »Begehrungsvermögen« interpretiert werde, und dieses empirisch gegeben werden müsse. Die praktische Zweckmäßigkeit ist demzufolge kein transzendentales Prinzip. Der erste Absatz endet mit der Feststellung einer Eigenschaft, die beiden Prinzipien gemeinsam zukommt: »Beide Prinzipien sind aber dennoch nicht empirisch, sondern Prinzipien a priori«. (5:182.6–7) Das Argument, das diese Behauptung stützen soll, besagt, dass das durch das jeweilige (transzendentale bzw. metaphysische) Prinzip bedingte Urteil in Hinsicht auf seine S-P-Verbindung a priori hinreichend »eingesehen werden kann«, also keiner Erfahrung bedarf. Da Kant hier an eine Verbindung denkt, bei der das Subjekt durch einen »empirischen Begriff« ausgedrückt wird, kann sich die gegebene Begründung doch nur auf die metaphysischen Prinzipien beziehen; denn deren spezifisches Merkmal besteht ja – im Unterschied zu transzendentalen Prinzipien – gerade darin, die Bedingung dafür zu enthalten, dass solche Objekte (als Subjekt eines Urteils) »weiter bestimmt werden« und »deren Begriff empirisch gegeben sein muß.«
Zweiter und dritter Absatz: Zweckmäßigkeit der Natur als transzendentales Prinzip der Urteile Im zweiten und dritten Absatz wird die Aufgabenstellung erweitert. Nicht mehr nur, dass die Zweckmäßigkeit der Natur ein transzendentales Prinzip (der Urteilskraft) sei, ist das dominierende Thema, sondern dass dieses Prinzip sich auf Urteile beZur Unterscheidung zwischen diesen beiden Arten von Zweckmäßigkeit vgl. auch E IV (Schluss) und EE XI, 6. Abs. 108
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
zieht. Um welche Urteile es sich hierbei handelt, wird nicht explizit mitgeteilt. Sind es etwa die »Maximen« oder »Grundsätze«, die eingangs des zweiten Absatzes als hinreichender Beleg für den transzendentalen Status des Zweckprinzips genannt werden? [1] Daß der Begriff einer Zweckmäßigkeit der Natur zu den transzendentalen Prinzipien gehöre, kann man aus den Maximen der Urteilskraft, [1.1] die der Nachforschung der Natur a priori zum Grunde gelegt werden, [1.2] und die dennoch auf nichts als die Möglichkeit der Erfahrung, {[1.2.1] mithin der Erkenntnis der Natur, [1.2.1a] aber nicht bloß als Natur überhaupt, sondern als durch eine Mannigfaltigkeit besonderer Gesetze bestimmten Natur, [1.3] gehen, [2] hinreichend ersehen. (5:182.10–16) Satzgrafik Nr. 18
Um den Bedeutungsgehalt der »Maximen der Urteilskraft« zu ermitteln, kann man sich dem Begriff der »Maxime« (im Unterschied zu objektiven Grundsätzen des Verstandes) unter dem Gesichtspunkt seines Gebrauchs in den ersten beiden Kritiken annähern. Von »Maximen« spricht Kant in der KrV in verschiedenen Zusammenhängen: 1) im Zusammenhang mit den regulativen Prinzipien (Ideen) der (reinen spekulativen) Vernunft (KrV, B 694 / A 666); 2) im Zusammenhang mit »praktischen Gesetzen«, die zugleich subjektive Grundsätze werden (KrV, B 840 / A 812). »Maximen der Vernunft« werden in der KrV definiert als subjektive Grundsätze, die aus einem bestimmten »Interesse der Vernunft« (nicht aus objektiven Gründen) folgen, und zwar zunächst dem »spekulativen Interesse«, das darin besteht, alle Verstandeshandlungen zu einer systematischen Einheit der Vernunft zu verbinden (KrV, B 692–694 / A 664–666; vgl. B 699 / A 671). Als bloß regulative Grundsätze können verschiedene Maximen – wie die der Natureinheit und die der Naturmannigfaltigkeit – einander nicht widerstreiten (KrV, B 694–696 / A 666–668). Sie sind vielmehr – wie Kant am Beispiel der biologischen Naturforschung illustriert – Ausdruck verschiedener »Interessen« und insofern (logisch) miteinander verträglich (KrV, B 694–695 / A 666–667; vgl. u. a. KpV, 5:79).
V. Abschnitt: Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit der Natur
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Die zweite Bedeutung von »Maximen«, die in Kants kritischen Schriften vorkommt, ist die von subjektiven praktischen Grundsätzen, die Handlungen begründen (KrV, B 840). Solche Maximen enthalten die praktische Regel, nach der ein Subjekt handelt. Sie bestimmen die Befolgung moralischer Gesetze, ohne selbst Gesetzescharakter zu haben. D. h. sie unterscheiden sich (analog zu den Maximen der theoretischen Vernunft) vom moralischen Gesetz darin, dass dieses ein objektives Prinzip ist – »gültig für jedes vernünftige Wesen, und der Grundsatz, nach dem es handeln soll, d. i. ein Imperativ.«109 Die Maxime, die in der Formulierung des kategorischen Imperativs vorkommt, wird formal zum Gegenstand des moralischen Gesetzes, nicht insofern ein jeder individuelle subjektive Wille frei über ihren Inhalt (die Handlungsfolge) nach Maßgabe seiner notwendigen Verallgemeinerung zu befinden hat, sondern insofern, als bloß die subjektive allgemeine Form der Maximen durch die objektive Form des Gesetzes bestimmt wird (KpV, § 7, 5:30–31, vgl. 5:44).110 Mit subjektiven praktischen Grundsätzen haben die hier (E V, 2. Abs.) zitierten Maximen nichts zu tun. Es sind vielmehr die Maximen der reflektierenden Urteilskraft, die bei der Betrachtung der Antinomie der teleologischen Urteilskraft (KU, § 70) einen Gegensatz bilden, ohne widersprechend zu sein. Die erste Maxime drückt sich in der These aus: »Alle Erzeugung materieller Dinge und ihrer Formen muß als nach bloß mechanischen Gesetzen möglich beurteilt werden.« (KU, § 70; 5:387.3–5) Die zweite stellt das antithetische Gegenstück dar: »Einige Produkte der materiellen Natur können nicht als nach bloß mechanischen Gesetzen möglich beurteilt werden (ihre Beurteilung erfordert ein ganz anderes Gesetz der Kausalität, nämlich das der Endursachen).« (KU, § 70; 5:387.6–9) Beide Maximen sind bloß regulative Grundsätze, die eine Leitfunktion für die Nachforschung in der Natur haben. Insofern sind sie auf besondere Naturerfahrung bezogen, ohne etwas über sie zu bestimmen. In objektiver und konstitutiver Bedeutung genommen wären beide antinomisch. Während aber die erste Maxime der teleologischen Urteilskraft vom Verstand zur Beurteilung der besonderen Natur vorgegeben wird und insofern der Vernunftmaxime (dem spekulativen Vernunftinteresse) in der KrV entspricht (s. o.), ist die zweite ein ureigenes Prinzip der Urteilskraft selbst. Inwiefern soll aber nun an diesen Maximen zu erkennen sein, »daß der Begriff einer Zweckmäßigkeit der Natur zu den transzendentalen Prinzipien gehöre« (5:182.10–11)?
Kant, Grundlegung (4:420 f., Fußnote); entsprechend KpV , § 1 und Anm. (5:19 f.); vgl. Sala, G.B. (2004), Kants Kritik der praktischen Vernunft, 77 f. Zur Ergänzung s. Grundlegung (4:420, Fußnote). 110 Zur Bestimmung des Verhältnisses von Maxime und moralischem Gesetz vgl. Euler, W. (2013), Die Tugendlehre, 236–293; Wolff, M. (2009), Warum das Faktum der Vernunft ein Faktum ist. 109
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
Ein transzendentales Prinzip war als ein solches gekennzeichnet worden, das nicht an einen empirischen Begriff vom Objekt gebunden ist, sondern »die allgemeine Bedingung a priori« dafür bereitstellt, dass Dinge Objekte unserer Erkenntnis werden (E V, 1. Abs.; 5:181.15–17). Von den beiden aus § 70 zitierten Maximen der Urteilskraft hat aber allenfalls die zweite einen sachlichen Bezug zum Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur, und zwar in Gestalt des Kausalgesetzes der »Endursachen«. Insofern von diesem gelten kann, dass es allgemeine Bedingung a priori von Objekterkenntnis (im weiteren Sinne) ist, ist das Kriterium für das Vorliegen eines transzendentalen Prinzips erfüllt. Das kann aber nur im Sinne einer subjektiven Allgemeinheit zutreffen. »Hinreichend ersehen« kann man aus den beiden Maximen der teleologischen Urteilskraft nicht, dass die Zweckmäßigkeit der Natur ein transzendentales Prinzip sei. Auch die Inanspruchnahme der restlichen Erklärungen des zweiten Absatzes bringt keine entscheidende Durchsichtigkeit: »Sie [d. i. die Maximen der Urteilskraft, WE] kommen, als Sentenzen der metaphysischen Weisheit, bei Gelegenheit mancher Regeln, deren Notwendigkeit man nicht aus Begriffen dartun kann, im Laufe dieser Wissenschaft oft genug, aber nur zerstreut vor.« (5:182.16–19) Es werden dann – ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben – einige Beispiele für solche Regeln aufgezählt: »Die Natur nimmt den kürzesten Weg«; sie macht keine Sprünge; das Prinzip der Sparsamkeit: Die Mannigfaltigkeit der Natur »in empirischen Gesetzen ist gleichwohl Einheit unter wenigen Prinzipien (principia praeter necessitatem non sunt multiplicanda)« (E V, 2. Abs.; 5:182.19–25) (vgl. KrV, B 680 / A 652). Auf diese letzte Regel der Natur weist Kant in EE V, 5. Abs., hin. Dort geht es ihm darum, diese als eine notwendige Voraussetzung der Urteilskraft für die Vergleichung von Wahrnehmungen ungleichartiger Naturformen, durch die gemeinsame Merkmale und empirische Begriffe gefunden werden können, zu begründen. Damit die Urteilskraft im Hinblick auf besondere Erfahrung solche Operationen vollziehen und die mannigfaltigen empirischen Formen der Natur ordnend erfassen kann, muss die Natur gemäß dem Prinzip der Sparsamkeit als ihr angemessen vorausgesetzt werden. Es ist nicht zu bestreiten, dass der Gebrauch solcher Regeln in Verbindung mit der causa efficiens und der causa finalis in vielen älteren Lehrbüchern der Metaphysik zu finden ist; auch Naturtheoretiker (wie Carl von Linné und Charles Bonnet) machten in ihren Studien häufig davon Gebrauch. Historische Belege ließen sich in großer Zahl zusammenstellen.111 Kant selbst relativiert aber den Erklärungswert solcher Funde mit Hinweis darauf, dass die Maximen der Urteilskraft zwar an vielen Stellen, »aber nur zerstreut« vorkommen. D. h. ihr Gebrauch richtet sich nicht nach einem systematischen Anspruch der Philosophie, deren begriffliche VerhältS. dazu die von Piero Giordanetti zusammengetragenen Zitate und Quellen in Klemme, H.F. (Hg.) (2006), I. Kant. Kritik der Urteilskraft, 431–435 (Sachanmerkung zu 23, 1–2). 111
V. Abschnitt: Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit der Natur
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nisse zu analysieren, um Bedingungen der Möglichkeit von Naturerkenntnis zu finden, sondern nach dem Bedürfnis, bestimmte Naturphänomene nach einer bewährten Methode zu erklären. Zur Erläuterung kann über die sonst zu findenden Hinweise hinaus besonders auf Leibniz aufmerksam gemacht werden, der nicht nur die Bedeutung zweier wichtiger metaphysischer Regeln (das Prinzip der Kontinuität und das des zureichenden Grundes) immer wieder hervorhebt, sondern sich (nach eigener Darstellung) z. B. bei der Analyse optischer Probleme von dem Prinzip des kürzesten Weges leiten ließ.112 Das Ziel des dritten Absatzes von E V ist die Vorbereitung und Begründung der Notwendigkeit einer »transzendentalen Deduktion« des Prinzips der Zweckmäßigkeit der Natur. Zur Begründung gehört als Zwischenergebnis der Nachweis, dass dieses Prinzip nicht bloß transzendental ist, sondern darüber hinaus ein transzendentales Prinzip von Urteilen. Die Argumentation dafür ist im Text an einigen Stellen unverständlich. Es wird zunächst die Frage nach dem »Ursprung«, d. h. nach dem Grund der Gültigkeit der beiden subjektiven Grundsätze (Maximen) der Urteilskraft (»von diesen Grundsätzen«) aufgenommen. Bedingung der Beantwortung der Frage soll sein, dass sie nicht »auf dem psychologischen Wege versucht« werde. Dies sei »dem Sinne« der beiden Grundsätze »gänzlich zuwider« (5:182.27–28). Die Sinnwidrigkeit ergibt sich aus der Unverträglichkeit der Bedingungen, unter denen eine psychologische Untersuchung steht, mit dem Modus der betrachteten Grundsätze. Auf psychologische Weise wird nämlich nach ihrem »Ursprung« gefragt, indem empirische Vorgänge der Erkenntniskräfte (das Zustandekommen von Urteilen) betrachtet werden. Kant versteht hier unter »Psychologie« immer die empirische Psychologie (vgl. auch EE X., 2. Abs.). Die in Erwägung gezogenen Grundsätze hingegen sagen nach Kant nicht »wie geurteilt wird, sondern wie geurteilt werden soll.« (5:182.30) D. h. sie enthalten praktische Vorschriften für die Urteilsbildung, ohne doch selbst praktische Maximen zu sein. Durch ihren Sollenscharakter werden sie allgemeingültig. Es sind die Anweisungen, die die Maximen für das Verfahren der empirischen Naturforschung geben, um zu besonderer Erfahrung in Urteilen zu gelangen. Herauskommen müssen dabei Urteile, die eine »logische objektive Notwendigkeit« aufweisen (5:182.31). Dies kann jedoch nicht der Fall sein, wenn sie auf bloß empirischen Prinzipien beruhen. Eine Parallelstelle in der EE (X, 3. Abs.) verdeutlicht, dass aus der Allgemeingültigkeit eines Urteils seine Notwendigkeit folgt. Kann einem Urteil nachgewiesen werden, dass es empirischen (psychologischen) Ursprungs ist, so kann es keinen Anspruch auf Notwendigkeit erheben. Die erste Folgerung aus diesen Überlegungen lautet: »Also ist die Zweckmäßigkeit der Natur für unsere Erkenntnisvermögen und ihren Gebrauch […] ein transzendentales Prinzip der Urteile […].« (5:182.32–34) S. dazu auch EE IX, 10. Abs.: Lichtbrechung und Bau des Auges; vgl. Euler, W. (2004), Mechanismus und Teleologie bei Leibniz und Wolff, 55–57. 112
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
Die Frage, um welche Art von Urteilen es sich hierbei eigentlich handelt, ist noch unbeantwortet. Aus der unmittelbaren Textumgebung ist keine nähere Auskunft darüber zu ermitteln. Überhaupt fehlt in der Einleitung eine für das Verständnis des Zusammenhangs des Begriffs der Zweckmäßigkeit der Natur mit dem Urteilen notwendige Urteilstheorie. Die sparsamen Überlegungen zum ästhetischen Urteil in E VII, 3. Abs., bieten dafür keine ausreichende Grundlage. Eine solche ist aber in der EE vorhanden (in den Abschnitten VII bis XI). Die Darstellung und Interpretation dieser Theorie ist geschlossen im Kommentarteil zur EE erfolgt. Gleichwohl soll es an dieser Stelle gestattet sein, einige ihrer Elemente und Bestimmungen – soweit sie ohne eine genaue Textanalyse überhaupt verständlich sind und auch unter dem Vorbehalt, dass sich Abweichungen vom Konzept der E daraus ergeben könnten – aufzugreifen und zugleich auf damit verbundene offene Probleme hinzuweisen. Die Urteile, die unter der Leitung des transzendentalen Prinzips der Zweckmäßigkeit der Natur hergestellt werden sollen, können weder reine Verstandesurteile (logische Urteile) sein, noch Erkenntnisurteile wie sie sich in der KrV als Ergebnis des Zusammenwirkens von Erkenntnisvermögen konstituieren. Denn das Prinzip der Zweckmäßigkeit hat nur regulative Bedeutung und ist nicht bestimmend. Die Urteile, um die es in E V, 3. Abs., geht, werden vielmehr von der reflektierenden Urteilskraft gebildet und sind daher Reflexionsurteile, die nicht das Objekt, sondern das Subjekt bestimmen (s. EE VIII, 2. Abs.). Unter diesen unterscheidet Kant wiederum zwei Typen (die weitere Unterscheidung innerhalb dieser Klassen übergehe ich hier): das ästhetische Reflexionsurteil (oder Geschmacksurteil, s. u. a. EE X, 4. Abs.), dessen Behandlung in die Kritik der ästhetischen Urteilskraft gehört, und das teleologische Reflexionsurteil, das in der Kritik der teleologischen Urteilskraft seinen Platz hat. Diese sind nun sehr schwer zu bestimmen. Ich kann sie an dieser Stelle nur in Kurzform beschreiben. Ein ästhetisches Reflexionsurteil liegt dann vor, wenn die Urteilskraft zwei andere Vermögen – Einbildungskraft und Verstand – miteinander verbindet, sie mit der Vorstellung von einem Gegenstand vergleicht (EE VIII, 5. Abs.) und ihr Verhältnis zueinander wahrnimmt (EE VIII, 3. Abs.). Durch das wahrgenommene »harmonische Spiel« derselben wird das subjektive Gefühl der »Lust« angeregt, das wiederum (anstelle eines bestimmten Begriffs) »Bestimmungsgrund« des Urteils ist (vgl. dazu auch EE IX, 1. Abs.). Und weil dieser Grund eine Empfindung ist und nicht der bestimmte Begriff von einem Objekt, so ist das entsprechende Urteil kein Erkenntnisurteil (EE VIII, 4. Abs.). Es enthält subjektive formale Zweckmäßigkeit (EE VIII, 4.–5. Abs.). Im Unterschied zum ästhetischen »Sinnenurteil« geht dem Lustempfinden im ästhetischen Reflexionsurteil aber ein Akt der Reflexion (des Denkens) der Urteilskraft (als eines Erkenntnisvermögens, das nichts bestimmt) über die Vorstellung von einem Gegenstand voraus (EE VIII, 5. Abs.). In diesem Reflexionsakt wird die Vorstellung des Gegenstandes unter die zwar subjektive, zugleich aber allgemeine Bedingung der Urteilskraft (d. i. das Prinzip der (formalen) Zweckmäßigkeit) »subsumiert« (ebd.). Der genauere Unterschied zwischen dem ästhetischen Reflexionsurteil und dem ästhetischen Sinnenurteil, das in Kants Urteilseinteilung (s. EE VIII,
V. Abschnitt: Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit der Natur
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6. Abs.) eigentlich nicht hineinpasst, kann an dieser Stelle außer acht gelassen werden, hat jedoch in seiner Problematik im Kommentar zu EE (VIII) mehr Berücksichtigung finden können. Ein schwieriges, in der neueren Forschungsliteratur der Philosophie oft bearbeitetes (aber nach wie vor ungelöstes) Problem stellt sich mit dem Anspruch des beschriebenen ästhetischen Reflexionsurteils »auf allgemeine Gültigkeit und Nothwendigkeit« (EE VIII, 5. Abs.; 20:225.14–15; vgl. EE X, 3.–5. Abs.).113 Denn das bedeutet, »daß sein Bestimmungsgrund nicht blos im Gefühle der Lust und Unlust für sich allein« (20:225.16–17) liegen kann, sondern zugleich von einem Prinzip der Urteilskraft (als Bedingung der Reflexion), das ihrer subjektiven, autonomen Gesetzgebung entspringt, abhängen muss (EE VIII, 5. Abs.). Wie das ästhetische, so gründet sich auch das teleologische Urteil auf ein Prinzip a priori (EE X, 6. Abs.). Im teleologischen Reflexionsurteil – d. i. einem Urteil über die Zweckmäßigkeit an Naturdingen (EE IX, 3. Abs.) – werden nicht Verstand und Einbildungskraft hinsichtlich der Vorstellung von einem Gegenstand im Verhältnis zueinander betrachtet und als übereinstimmend befunden, sondern Verstand und Vernunft (EE IX, 3. Abs.). Es rekurriert auf den Begriff eines Dinges als Naturzwecks anstatt auf ein Gefühl (EE IX, 1. Abs.) und verbindet diesen Begriff mit der Vorstellung des Objekts (EE X, 6. Abs.). Bevor die Urteilskraft über die Bedingungen der Übereinstimmung des Mannigfaltigen mit Naturzwecken reflektiert, müssen aber auch Zwecke durch Erfahrung gegeben werden, weil die Urteilskraft sie nicht selbst erzeugen kann (EE IX, 2. Abs. und EE X, 6. Abs.). Die Natur soll als Objekt der teleologischen Beurteilung mit der Vernunft nach dem Begriff des Zwecks, den sie selbst schafft (s. EE IX, 7. Abs.) und der der Beurteilung a priori vorhergeht (EE X, 7. Abs.), in Übereinstimmung gedacht werden (EE IX, 3. Abs.). Aber für diese Funktion scheint die Urteilskraft über kein eigenes Prinzip zu verfügen (EE IX, 3. Abs.). Das teleologische Urteil muss anders als das ästhetische einen Begriff vom Objekt voraussetzen, über dessen Möglichkeit es nach einem besonderen Kausalgesetz urteilt (EE IX, 5. Abs.).114 Das teleologische Urteil wird also sowohl durch ein Prinzip a priori, das allein der Urteilskraft angehört (EE X, 9. Abs.), als auch durch Erfahrung begründet. Beide werden im teleologischen Urteil miteinander verglichen (EE X, 7. Abs.). Ich möchte daher (vorläufig) sagen: Die Urteile, auf die in E V, 3. Abs., das transzendentale Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur bezogen wird, umfassen alle Urteile der reflektierenden Urteilskraft, also das ästhetische Urteil, und zwar ohne das ästhetische Sinnenurteil (weil dieses strenggenommen gar kein Urteil ist) und das teleologische. Das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur gilt nämlich allgemein von Vgl. u. a. die Kontroverse zwischen J. Stolzenberg, J. Kulenkampff und Chr. Fricke, in: Franke, U. (Hg.) (2000), Kants Schlüssel zur Kritik des Geschmacks, 1 ff. 114 Eine genaue Analyse des Aufbaus eines teleologischen Urteils bei Kant habe ich in meinem Beitrag in den Studi Kantiani (2015) (Euler, W. (2016), Kants Kritik der teleologischen Urteilskraft, 19–64) versucht. 113
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
allen Reflexionsakten der Urteilskraft. Auf den besonderen Unterschied zwischen ästhetischem und teleologischem Urteil sowie auf deren spezielle Gründe (Empfindung bzw. Begriff) kommt es in diesem Falle nicht an. Dieser Einschätzung scheint die Formulierung in der Überschrift zum V. Abschnitt geradewegs zu widersprechen. Denn dort war nur von der »formalen Zweckmäßigkeit« gesprochen worden. Diese setzt Kant aber an anderen Stellen mit der subjektiven, bloß zur ästhetischen Urteilskraft und deren Urteilen gehörenden Zweckmäßigkeit gleich. Ich habe jedoch am Anfang des Kommentars zu E V bereits klar gemacht, dass mit »formaler« Zweckmäßigkeit auch ein Aspekt der objektiven Zweckmäßigkeit gemeint sein kann. Welches ist nun für Kant der Grund der Notwendigkeit für eine »Deduktion« des transzendentalen Prinzips der Urteilskraft? Und was bedeutet »transzendentale Deduktion« in diesem Zusammenhang eigentlich?115 Eine Deduktion, d. h. der Nachweis (Begründung) für die Notwendigkeit des Prinzips der Zweckmäßigkeit der Natur, wird erforderlich, weil dieses Prinzip der Grund von Urteilen (genauer: von Reflexionsurteilen) ist, von denen wiederum Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit verlangt wird. Die transzendentale Deduktion soll den Grund einer bestimmten Beurteilungsweise (»so zu urteilen«), nämlich der reflektierenden, »in den Erkenntnisquellen a priori« aufsuchen (5:182.35–36).116
Vierter Absatz: »Transzendentale Deduktion« des Begriffs der Zweckmäßigkeit der Natur Dass der »Grund« von Urteilen, die unter dem transzendentalen Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur stehen, »in den Erkenntnisquellen a priori« vermutet werden kann, zeigt die Aufnahme von Ergebnissen der KrV am Anfang der im vierten Absatz von E V vorgeführten Deduktion. Kant skizziert deshalb zunächst den aus der KrV bekannten Sachverhalt, dass die allgemeinen Naturgesetze diejenige Notwendigkeit mit sich bringen, die Grund der Möglichkeit von Erfahrung (bzw. von Natur überhaupt) ist. Die allgemeinen Naturgesetze beruhen wiederum auf den Kategorien, die im Verstand ihre Quelle haben. Sie gelten im Hinblick auf Erfahrung jedoch nur in Verbindung mit den formalen Bedingungen der sinnlichen Anschauung. Dass die Urteilskraft in dieser Hinsicht bestimmend ist, liegt daran, dass sie selbst die Bedingung (als »formale Zeitbedingung«) angibt, unter der sie unter die vom Verstand gegebenen Gesetze subsumiert. Kant geht von dem Beispiel aus, Giovanni B. Sala hat in seinem Kommentar zu Kants Kritik der praktischen Vernunft auf Bedeutungsvarianten des Deduktionsbegriffs in verschiedenen Kontexten bei Kant hingewiesen (Sala, G.B. (2004), Kommentar, 202–203). 116 Zum Begriff der Deduktion vgl. KrV (B 117 / A 85) und KpV (5:46 f., 53, 67 f.), KU, § 78, 3. Abs., Grundlegung (4:454); vgl. Sala, G.B. (2004), Kommentar, 202–203 und die dort angegebene Literatur; zu Exposition und Deduktion s. Ende EE XII. 115
V. Abschnitt: Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit der Natur
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nach welchem das allgemeine Naturgesetz des Verstandes das Kausalgesetz der Natur ist und das da lautet: »alle Veränderung hat ihre Ursache« (5:183.7–8).117 Die Bedingung der Urteilskraft für die zu leistende Subsumtion unter diesen Verstandesbegriff ist dann »die Sukzession der Bestimmungen eines und desselben Dinges« (5:183.11–12). Wird diese Funktion erfüllt, so ist das besagte Verstandesgesetz für die Natur überhaupt als notwendig erkannt. Man findet das entsprechende Lehrstück im »Schematismus« sowie in der zweiten Analogie der Erfahrung in der KrV. Der Schematismus wurde in dem Erläuternden Exkurs zu E IV bereits dargestellt und braucht hier nicht wiederholt zu werden. Die bis hierher referierte Ausgangsposition der Deduktion der Zweckmäßigkeit der Natur als eines transzendentalen Prinzips der Urteile ermöglicht es erst, die Forderung nach Notwendigkeit und Gesetzmäßigkeit auch hinsichtlich der besonderen, empirischen Formen der Gegenstände und Gesetze der Natur zu erheben, so dass dadurch auch die Notwendigkeit des Prinzips der Zweckmäßigkeit, das jene Notwendigkeit garantieren soll, erwiesen wird. Denn die »Gegenstände der empirischen Erkenntnis«, die zuerst allgemein und notwendig bestimmt sind durch die Verstandesgesetze in Kombination mit den Formen der Anschauung, vermittelt durch die Zeitbedingung (Schematismus), bleiben dieselben Gegenstände, an denen die reflektierende Urteilskraft die notwendige Gültigkeit ihres transzendentalen Prinzips erweisen soll. Sie bilden den »Boden«, auf dem Erkenntnis von Gegenständen möglich ist (s. E II). Dass sie aber nun »außer jener formalen Zeitbedingung, noch auf mancherlei Art bestimmt […]« sind, »so daß spezifisch-verschiedene Naturen außer dem, was sie als zur Natur überhaupt gehörig gemein haben, noch auf unendlich mannigfaltige Weise Ursache sein können […]« (E V, 4. Abs.; 5:183.14– 18), bedeutet lediglich, dass die Erkenntnisgegenstände (als Gegenstände der materiellen Natur) unter zwei verschiedenen Aspekten ihrer Bestimmung betrachtet werden, nämlich erstens unter dem Aspekt ihrer allgemeinen und notwendigen Bestimmung, die ihnen gemeinsam zukommt; zweitens unter dem Aspekt ihrer empirisch zu konstatierenden Verschiedenheit in unendlich vielen Besonderheiten und Einzelheiten, für die es keine unbedingt allgemeinen Verstandesgesetze als Grund ihrer Bestimmung gibt. Aber solche heterogenen, vielfältigen Varianten von Naturgegenständen können nicht bloß zufällig sein. Jede einzelne empirische Bestimmung eines Gegenstandes muss »nach dem Begriff einer Ursache überhaupt« (d. h. nach dem Kausalgesetz des Verstandes)118 ihre eigene Regel haben, »die Gesetz ist, mithin Notwendigkeit bei sich führt« (5:183.20), weil die empirische Gegenstandsbestimmung sonst nicht als zur Natur gehörig betrachtet werden könnte und Naturerfahrung überhaupt unmöglich wäre. Zwar bleibt Kant dabei, dass eine Vgl. KrV, »Zweite Analogie. Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetze der Kausalität« (B 232 / A 189). 118 Das kann aber wieder nur bedeuten: in der Analogie dazu; denn die besonderen empirischen Gesetze sollen aus den allgemeinen Naturgesetzen a priori nach wie vor nicht ableitbar bzw. nicht determinierbar sein. 117
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
solche Notwendigkeit der empirischen Beschaffenheiten aufgrund der Beschränktheit des menschlichen Erkenntnisvermögens nicht eingesehen werden könne; dass sie aber dennoch angenommen und gefunden werden muss, folgt für ihn aus den allgemeinen Bedingungen a priori, durch die Gegenstände der Natur überhaupt mit Notwendigkeit erkannt werden können. »Also müssen wir in der Natur, in Ansehung ihrer bloß empirischen Gesetze, eine Möglichkeit unendlich mannigfaltiger empirischer Gesetze denken, die für unsere Einsicht dennoch zufällig sind (a priori nicht erkannt werden können) […]« (5:183.22–26]. Aus der Notwendigkeit, mit der die mannigfaltigen empirischen Bestimmungen von Gegenständen der Natur Regeln unterstehen, folgt, dass in der Natur auch »eine Möglichkeit unendlich mannigfaltiger empirischer Gesetze« gedacht werden muss. Weil diese aber und deren Möglichkeit a priori (durch Begriffe des Verstandes) nicht erkannt werden können, gelten sie für uns nur als »zufällig«. Zufällig ist aber dann auch die Beurteilung der besonderen Natureinheit nach dem Einheitsprinzip sowie auch der Einheit der Erfahrung, die sich aus den empirischen Gesetzen konstituiert. Notwendigkeit und Zufälligkeit müssen beide von empirischen Naturgesetzen und dem System der Natur nach den besonderen Gesetzen gelten, insofern sie bloß beurteilt, d. h. nicht erkannt werden.119 Die Notwendigkeit einer solchen vorgeschlagenen Einheit der besonderen Natur wird im nächsten Argumentationsschritt der Deduktion noch näher begründet (»weil aber doch …«) (5:183.28–184.2). Wenn nämlich von den spezifisch verschiedenen Naturwesen und den Erkenntnissen darüber ein durchgängiger Zusammenhang (nach der Kontinuitätsregel) gefordert wird (einen Zusammenhang, den die allgemeinen Naturgesetze nicht garantieren können), um daraus ein System der Erfahrung zu machen, dann muss notwendig eine Einheit vorausgesetzt werden, die ein solches Erfahrungsganzes begründet. Aus einem bloßen Zusammenfügen spezifischer Naturformen entsteht kein systematisches Ganzes. »An sich« möglich ist die so konstituierte Erfahrung insofern, als sie auf einer nur »denkbaren« Gesetzeseinheit in der Verbindung empirischer Naturgesetze beruht. D. h. sie ist eben keine Naturerfahrung, die Gesetzeskraft und Notwendigkeit in Bezug auf die Gegenstände der Erfahrung, d. i. Erscheinungen, erreichen kann, sondern in Wahrheit dem Zufall unterliegt oder von einem hypothetischen nichtmenschlich anschauenden Verstand postuliert wird. Daraus ergeben sich im letzten Sektor des vierten Absatzes von E V zwei aneinander gekoppelte Folgerungen. Zunächst folgt, dass die Urteilskraft ihrer reflekIm Resultat bedeutet dies aber, dass die besondere Naturerfahrung einschließlich ihrer Inhalte, der empirischen Naturgesetze, sowie die besondere Einheit der Natur nicht streng notwendig begründbar ist. Sie qualifiziert sich nicht auf derselben Erkenntnisstufe wie die allgemeinen Naturgesetze a priori als Naturerfahrung, sondern bleibt unwiderruflich im Status bloßer Hypothesen oder Wahrscheinlichkeiten. 119
V. Abschnitt: Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit der Natur
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tierenden Tätigkeit notwendig ein Prinzip a priori zugrunde legen muss, das es ermöglicht, dass das Zufällige in den besonderen Naturgesetzen dennoch eine obgleich nur »denkbare gesetzliche Einheit« enthält, durch die das Mannigfaltige zu einer möglichen Erfahrung verbunden werden kann. Die Forderung nach einer solchen »gesetzlichen Einheit« entspricht einem »Bedürfnis« oder einer »Absicht« des Verstandes; sie bleibt aber dennoch »an sich zufällig«. Und da diese »an sich zufällig[e]« gesetzmäßige Einheit als Zweckmäßigkeit der Objekte der Natur vorgestellt wird, ist es für die Urteilskraft unabdingbar notwendig und unausweichlich, in ihrem Reflektieren über Gegenstände, die unter neuen, noch zu entdeckenden empirischen Gesetzen stehen, die Natur gemäß dem Prinzip der Zweckmäßigkeit zu denken. Aber diese Denknotwendigkeit ist zielgerichtet auf »unser Erkenntnisvermögen«, und das macht eben den transzendentalen Charakter des Prinzips aus.120 Dieses letztere Prinzip werde dann »in obigen Maximen der Urteilskraft ausgedrückt« (5:184.9–10). Die Maximen, auf die hier verwiesen wird, sind diejenigen Grundsätze, die im zweiten Absatz dieses Abschnittes als Maximen der Naturforschung vorgestellt wurden. Der anschließende Satz besagt, dass »dieser transzendentale Begriff einer Zweckmäßigkeit der Natur« aus dem schon mehrfach genannten Grund (dass er Naturobjekte nicht bestimmt) weder ein Natur- noch ein Freiheitsbegriff sei (5:184.10–12). Insofern er aber ein transzendentaler Begriff sein soll, dessen allgemeine und notwendige Gültigkeit in der Deduktion anscheinend nachgewiesen werden soll, muss er zu einem speziellen Erkenntnisvermögen gehören, und das kann – weil Verstand und Vernunft ausscheiden – nur die (reflektierende) Urteilskraft sein. Ist damit aber nun die Deduktion bereits abgeschlossen? Anhand der Formulierung der letzten Sätze dieses Abschnittes fällt auf, dass noch zwei weitere Folgerungen gezogen werden (»folglich« bzw. »daher«). Die Argumentation führt also noch über die Begründung des transzendentalen Begriffs einer Zweckmäßigkeit der Natur hinaus. Weil dieser Begriff nämlich weder ein Natur- noch ein Freiheitsbegriff ist, sondern »nur die einzige Art« vorstellt, »wie wir in der Reflexion über die Gegenstände der Natur in Absicht auf eine durchgängig zusammenhängende Erfahrung verfahren müssen«, so stellt er »folglich ein subjektives Prinzip (Maxime) der Urteilskraft« vor (5:184.13–16). Aus dem Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur folgt also das entsprechende Prinzip – und zwar nur ein einziges –, das die Methode des Nachforschens in der Natur vorschreibt. Das Prinzip verhält sich zu seinem Begriff wie dessen Anwendung zu ihm als ihrem Grund. Es ist gewissermaßen der Inhalt dieses Begriffs. Der Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur ist innerhalb des Deduktionsganges trotzdem kein zur Begründung notwendiges Zwischenglied, sondern selbst das Ziel der Deduktion. Ein Beleg dafür ist auch der Anfang des folgenden Absatzes, wo von »dieser Deduktion des vorliegenden Begriffs« gesprochen wird (5:184.22–23). S. dazu auch den 7. Abs.: »für unser Erkenntnisvermögen« bedeutet: »zur Angemessenheit mit dem menschlichen Verstande« (5:186.8–9). 120
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
Folgt man aber der Ankündigung im dritten Absatz, dann geht es anschließend um die Deduktion eines transzendentalen Prinzips. Der Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur dient dazu, die Allgemeinheit und die Notwendigkeit des Prinzips der Zweckmäßigkeit zu verdeutlichen. Dass dieses Prinzip aber zugleich ein subjektives Prinzip der Urteilskraft – eine Maxime – ist, folgt erst aus der zusätzlichen Bestimmung des Begriffs der Zweckmäßigkeit der Natur, dass er weder Naturbegriff noch Freiheitsbegriff ist, sondern eine Verfahrensregel für die Reflexion der Urteilskraft darstellt. Begriff und Prinzip sind in diesem Kontext fast bedeutungsgleich, so dass sie wohl beide, ohne große Unstimmigkeit zu erzeugen, als Ziel der Deduktion angesehen werden können. Zu dieser erzielten und nachgewiesenen Notwendigkeit fügt sich aber schließlich noch der (scheinbare) Zufall, da die Übereinstimmung mit den allgemeinen Verstandesgesetzen der Natur nicht gegeben ist: »daher wir auch, gleich als ob es ein glücklicher, unsere Absicht begünstigender Zufall wäre, erfreut (eigentlich eines Bedürfnisses entledigt) werden, wenn wir eine solche systematische Einheit unter bloß empirischen Gesetzen antreffen […]« (5:184.16–19). Die Notwendigkeit der Annahme der Gültigkeit einer systematischen Einheit der besonderen Naturerfahrung ist also noch kein hinreichender Beweisgrund. Dieser ist erst dann gegeben, wenn es sich in der empirischen Natur selbst zeigt, dass die Annahme tatsächlich auch der Fall ist. Das Vorfinden oder »Antreffen« von Natureinheit inmitten empirischer Naturgesetze ist selbst eine empirische Voraussetzung, von der das Gelingen des letzten Schrittes der Deduktion abhängt.
Fünfter bis siebter Absatz: Die Ordnung der empirischen Natur nach dem Gesetz der Spezifikation → EE V, 8. bis. 10. Abs. Im fünften Absatz wird nach zusätzlichen Gründen gesucht, die einerseits von der »Richtigkeit dieser Deduktion des vorliegenden Begriffs«121, andererseits von der Notwendigkeit, denselben Begriff »als transzendentales Erkenntnisprinzip anzunehmen«, überzeugen sollen (5:184.22–24). Es wird dadurch ersichtlich, dass der Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur in der Tat Gegenstand der vorausgegangenen Deduktion gewesen ist, und dass die Notwendigkeit der Annahme eines entsprechenden transzendentalen Prinzips analytisch aus diesem folgt. Dass nun im Anschluss an die Deduktion noch zusätzliche Überlegungen für ihre Absicherung angestellt werden, lässt vermuten, dass die Deduktion selbst – nach der Einschätzung des Autors – keinen hinreichend überzeugenden Beweis für die notwendige Gültigkeit des Prinzips und der darauf gegründeten Natureinheit geliefert hat, noch liefern kann. Die »Größe der Aufgabe«, die dann beschrieben Vgl. die ähnlich lautende Formulierung bezüglich der Deduktion des kategorischen Imperativs in der Grundlegung (4:454). 121
V. Abschnitt: Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit der Natur
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wird, soll davon überzeugen, dass die Deduktion des Begriffs gelungen und dass die Notwendigkeit, ihn als transzendentales Prinzip anzunehmen, begründet ist. Die Aufgabe, die durch ihre »Größe« überzeugen soll, besteht darin, »aus gegebenen Wahrnehmungen einer allenfalls unendliche Mannigfaltigkeit empirischer Gesetze enthaltenden Natur eine zusammenhängende Erfahrung zu machen […]« (5:184.24– 27). Die Größe der Aufgabe bemisst sich nicht allein an der Unendlichkeit des Mannigfaltigen, sondern vor allem an der prinzipiellen Unmöglichkeit, von zerstreuten, bloß empirischen Befunden auf eine systematische Einheit zu schließen. Die Lösung der Aufgabe wird vom Verstand gefordert, weil dieser über allgemeine Naturgesetze verfügt, die auf der einen Seite unbedingte Vollständigkeit an Bestimmung verlangen, die aber auf der anderen Seite ungeeignet sind, auch das empirisch Besondere zu erfassen und zu bestimmen. Die heterogenen, unbestimmten empirischen Formen können deshalb nicht völlig diskret außerhalb der Einheit der Natur liegen, sondern sie müssen in das System der Naturerfahrung integriert werden. Deswegen »bedarf« der Verstand »doch auch überdem noch einer gewissen Ordnung der Natur, in den besonderen Regeln derselben, die ihm nur empirisch bekannt werden können […]« (5:184.30–32). Zusammenhang und Ordnung der besonderen Natur herzustellen, um sie mit dem System der allgemeinen Natur in Übereinstimmung zu bringen, das ist die Aufgabe, die durch die Urteilskraft zu lösen ist. Der Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur hat dabei eine grundlegende Funktion. Denn er soll die Aufgabe erfüllen, mit Hilfe eines Prinzips a priori diejenige durchgängige Einheit und homogene Ordnung heterogener empirischer Einzelerscheinungen in der Natur herzustellen, für die der Verstand keinen Begriff a priori darbietet. Der Verstand muss die besonderen Regeln, die ihm bloß auf empirischem Wege bekannt werden, als Gesetze auslegen, um sie in eine Naturordnung bringen zu können. Ohne diese Voraussetzung würde der zu bildenden Naturordnung nicht nur die allgemeine, sondern überhaupt jede Notwendigkeit fehlen. Zuordnungen würden ganz beliebig und zufällig geschehen. Die Regeln, die hier als empirische Gesetze verstanden werden, müssen aber auch erst in der Natur gesucht werden, und zwar nicht durch beliebige Maßnahmen, sondern eben gemäß dem in dem Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur liegenden Prinzip a priori. Aus dieser Leitidee ergibt sich dann die natürliche Ordnung der besonderen Gesetze. Dieses Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur drückt sich nach Kant – wie weiter oben im Kommentar zum zweiten Absatz dieses Abschnittes bereits dargelegt – in besonderen Sätzen oder Regeln aus, insbesondere in solchen, die die Unterordnung von Gattungen und Arten betreffen.122 Eine andere Regel schreibt vor, für die spezifisch verschiedenen Wirkungen der Natur möglichst wenige Kausalitätsprinzipien zu suchen. D. h. wenn auch die »spezifische Verschiedenheit der Naturwirkungen« die Annahme einer Vielzahl von Kausalitätsarten nahe legt, so sind diese doch auf eine geringe Anzahl von Prinzi122
Vgl. KrV, B 679 ff / A 651 ff.
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
pien zurückzuführen. Das ist eine der Aufgaben des transzendentalen Prinzips der Zweckmäßigkeit. Auf diese Weise stimmt nach Kant die Natur mit dem menschlichen Erkenntnisvermögen zusammen, und von dieser Voraussetzung muss die Urteilskraft ausgehen, wenn sie über die empirischen Gesetze der Natur reflektieren will. Sie tut dies, indem sie jenen Einklang als transzendentales Prinzip der Zweckmäßigkeit auf die Natur überträgt und damit einen »Leitfaden« bekommt für die Erfahrung und Nachforschung der Natur nach empirischen Gesetzen in wachsenden Allgemeinheitsgraden, durch den Erkenntnis der Ordnung der empirischen Natur möglich wird. Der sechste Absatz (5:185.23–34) schließt thematisch unmittelbar an den vorhergehenden an. Er beginnt mit einem »Denn«, das die Begründung dafür einleitet, dass die Formen und Gesetze der besonderen Natur in eine systematische Ordnung gebracht werden müssen und dass dem Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur die leitende Funktion dieses Vorganges mit Notwendigkeit übertragen werden muss. Bei der Lektüre dieses Absatzes wird jedoch rasch klar, dass der Hauptaspekt der Begründung nur die Wiederholung eines von Kant schon mehrfach verwendeten Gedankens darstellt (wie er in der vorhin betrachteten Deduktion als Argument auftrat): trotz der vom Verstand durch die allgemeinen Gesetze hergestellten Homogenität der Naturdinge (vgl. EE, IV, Abs. 2) (als Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis als Erfahrung) sind die »spezifische Verschiedenheit der empirischen Gesetze der Natur« und deren Wirkungen aufgrund ihres Ausmaßes vom Verstand nicht ordnend zu erfassen. Dieser Sachverhalt braucht hier nicht mehr ausführlich dargelegt und analysiert zu werden. Stattdessen gibt es eine Wendung (am Ende des Absatzes), die zur Kritik herausfordert: es sei dem menschlichen Verstand unmöglich, »aus einem für uns so verworrenen (eigentlich nur unendlich mannigfaltigen, unserer Fassungskraft nicht angemessenen) Stoffe eine zusammenhängende Erfahrung zu machen« (5:185.31–34). Dazu sind zwei Anmerkungen angebracht. Erste Anmerkung: Das unendlich Mannigfaltige als besondere Natur, von dem es in der KU und (wie weiter oben bereits angemerkt) auch an zentraler Stelle der KrV heißt, dass es den allgemeinen Verstandesformen prinzipiell nicht angemessen sei, wird an der zitierten Stelle als ›verworrener Stoff‹ bezeichnet. Das ist eine von ähnlichen Bewertungen an anderen Stellen abweichende und radikalisierte Ausdrucksweise (vgl. z. B. E IV, 2. Abs., wo von ›so mannigfaltigen Formen‹ gesprochen wird; s. im Unterschied dazu KrV, B 681 f. / A 653 f.), hinter der sich gleichwohl ein sachliches Problem verbirgt. Dass die Heterogenität einzelner empirischer Naturwesen bzw. deren Beschaffenheiten (die unendlich groß sind), als Stoff bezeichnet wird, scheint keinen Zweifel darüber aufkommen zu lassen, dass die Natur für sich in dieser Hinsicht vollkommen unbestimmt und ungeformt ist, also prinzipiell gar keine objektive Ordnungsstruktur aufweist. Allerdings wird das empirisch Mannigfaltige in dieser äußersten Zuspitzung zu dem, was die Dinge an sich für die Verstandeserkenntnis sind, nämlich das vollkommen Unbestimmte und Unbestimmbare, die rohe Materie der Erkenntnis. Damit entsteht das Problem, dass die von der reflektierenden Urteilskraft zu entdeckenden Formen und Gesetze der
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empirischen Natur einzig und allein subjektive Reflexionsformen (ohne objektive Notwendigkeit) sind, für die auch nicht einmal zufällig eine Übereinstimmung mit der äußeren Natur wahrgenommen werden könnte. Das wiederum hieße, dass sowohl die vorhin betrachtete Deduktion ungültig wäre, als auch eine Begründung der Reflexionsurteile unmöglich wäre. Denn um eine solche Übereinstimmung auch nur wahrnehmen zu können, müsste doch wohl eine Form (und d. h. Bestimmtheit) an dem Gegenstand selbst erkannt werden können, die als Substrat eines Vergleichs mit den Formen des Erkenntnisvermögens dienen kann, zumal da die Prinzipien der reflektierenden Urteilskraft an den Gegenständen der Natur nichts bestimmen können sollen. Wo aber soll denn sonst die Gegenstandsbestimmung herkommen, die als die objektive Seite des Vergleichs angenommen werden muss, wenn nicht aus der objektiven Natur selbst? Zweite Anmerkung: Offensichtlich verfällt Kant hier, indem er seine Haltung kritischer Distanz aufgibt, bestimmten Vorstellungen des Empirischen, die ein Gemeinplatz in der sonst von ihm so vehement kritisierten Metaphysik seiner Vorgänger war (die Vorstellung von der unendlichen Vielheit existierender Einzeldinge, Substanzen, Monaden etc.). Die Kehrseite dieses Festhaltens an hergebrachten Lehrinhalten ist das Festhalten auch an dem Dogma der Beschränkung der menschlichen Erkenntnisvermögen im Vergleich zu einer übersinnlichen (göttlichen) Weisheit, sowie das Festhalten an dem Anspruch, trotz der Beschränkung auch alles irgendwie fassbare Empirische in die systematische Einheit einer Naturwissenschaft aufnehmen zu müssen. Es ist aber keineswegs selbstverständlich, dass der Anspruch, alles Empirisch-Zufällige der Natur als solches in den Rang einer Naturwissenschaft zu erheben oder überhaupt zur Philosophie zu rechnen, auch sinnvoll und überhaupt notwendig ist. Zwar erklärt Kant (metaphysikkritisch), der Urteilskraft stehe kein eigenes »Gebiet« der Erkenntnis (als Metaphysik) zur Verfügung (sie gehöre vielmehr nur zum System der Kritik), aber das Insistieren auf systematischer Einheit der Natur und der Erfahrung auch im Bereich der empirischen Vielfalt bedeutet am Ende den Zusammenschluss von allgemeiner und besonderer Natur zu einem Naturganzen, das der Erfahrungserkenntnis unterliegt. Unter der Perspektive der systematischen Erfassung der Natur überhaupt ist Kant genötigt, diesen Schritt zu verlangen. Aber unter dem Gesichtspunkt der Naturerkenntnis im strengen Sinne kann das Erkenntnisurteil nach dem Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft nicht zur Naturwissenschaft gehören. Dass Kant ganz konsequent eine systematische Einheit von allgemeiner und besonderer Naturerfahrung nicht nur fordert, sondern auch ausführen möchte – was seiner kritischen Leugnung der Möglichkeit einer Naturwissenschaft als Objektbereich der Urteilskraft im Grunde nicht zuträglich ist –, weil die ganze Natur bis in alle Einzelheiten von den subjektiven Erkenntnisprinzipien durchdrungen sein soll, belegt seine Aussicht auf einen notwendigen »Fortgang von der allgemeinen Analogie einer möglichen Erfahrung überhaupt zur besonderen« im fünften Absatz (5:184.33–34). Diesen Aspekt habe ich in der vorausgegangenen Textbesprechung mit Bedacht ausgelassen. Er soll nun aber im folgenden näher erläutert werden.
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Exkurs zum fünften Absatz: Erläuterung: Der »Fortgang von der allgemeinen Analogie einer möglichen Erfahrung überhaupt zur besonderen«? Die Aufgabe, einen solchen »Fortgang« zu begründen, fällt mit der Aufgabe einer Einheitsbegründung von allgemeiner und besonderer Erfahrung zusammen. Um die Aufgabe des »Fortgangs« auszuführen, bedarf es »besondere[r] Regeln« der Natur, die aus der Erfahrung stammen, die aber dessen ungeachtet auch als »Gesetze« gedacht und als solche bezeichnet werden müssen. Obgleich Kant immer wieder darauf hinweist, dass unser Verstand »ihre Notwendigkeit nicht erkennt oder jemals einsehen könnte« (E V., 5. Abs.; 5:184.36 f.), ja dass ihr modaler Status aus der Perspektive des Verstandes nur auf Zufälligkeit beruhe, ist ihre Einführung in der Hinsicht als notwendig zu erachten, als derselbe Verstand ihrer zur Begründung einer (besonderen) »Naturordnung« bedarf; diese wiederum ist notwendig, um auch die besonderen, empirischen Regeln erkennbar zu machen und sie mit der allgemeinen Ordnung der Natur in Einklang zu bringen und mit dieser zusammenzuschließen. Der Verstand muss sich jene Regeln als »Gesetze« und damit als notwendig wenigstens »denken« können, um sie nicht in eine ganz und gar beliebige, sondern in eine solche Ordnung bringen zu können, die der allgemeinen Naturordnung auch angemessen ist; denn sonst könnte der in Aussicht gestellte »Fortgang«, der ja Kontinuität voraussetzt, nicht vollzogen werden. Dass er aber den modalen Status jener Regeln als Notwendigkeit nicht einsehen kann, bedeutet im Unterschied zur Einsicht in die Notwendigkeit ihrer Einführung, dass es unmöglich ist, ihre Gültigkeit, d. h. Rechtmäßigkeit, auf transzendentale Weise (mittels einer transzendentalen Deduktion) zu begründen. Daraus folgt nun erstens, dass die geforderten besonderen Naturregeln, als quasi (»sogenannte[]«) Naturgesetze, von den transzendentalen Naturgesetzen, mit denen sie in Einklang stehen sollen, unterschieden werden müssen. Ihre spezifische Verschiedenheit besteht darin, dass sie empirische Gesetze sind (als Modifikationen der gewöhnlichen Naturkausalität, nicht notwendigerweise auch als Formen der Zweckkausalität). Es folgt aber zweitens, dass es, um diese Gesetze zu ermitteln, die dazu tauglich sind, die Mannigfaltigkeit empirischer Gesetze in eine einheitlich verfasste Naturordnung und in eine entsprechende Einheit der Erfahrung zu versetzen, eines Suchprinzips bedarf, das nicht a priori aus dem Verstandesvermögen stammen kann. Es muss gleichwohl ein Prinzip a priori sein, das »eine erkennbare Ordnung der Natur« ermöglicht, eine Ordnung, die u. a. eine Natureinteilung nach Gattungen und Arten zu erkennen gibt (worauf der letzte Absatz dieses Einleitungsabschnittes Bezug nimmt). Dieses Prinzip ist kein anderes als das subjektive Prinzip der Zweckmäßigkeit der reflektierenden Urteilskraft. Dass dieses Prinzip den »Fortgang von der allgemeinen Analogie einer möglichen Erfahrung überhaupt zur besonderen« (5:184.33–34) ermöglichen soll, ist nicht gleichbedeutend mit der Aufgabe, den »Übergang« der Gattungen und Arten ineinander »nach einem gemeinschaftlichen Prinzip« zu suchen (ebd., 5:185.5–9) (diese letztere Aufgabe ist
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vielmehr eine Folge der ersten); und es bedeutet keineswegs, dass die mit Hilfe dieses Prinzips dann aufgefundenen empirischen Regeln oder Gesetze selbst auch teleologische Strukturen aufweisen müssten; im Gegenteil: Wir haben zunächst Grund zur Erwartung, dass sie, sofern sie als Analogien zu betrachten sind, eher strukturgleich sind mit dem allgemeinen Gesetz der Kausalität. Konkret läuft Kants Forderung nach einem »Fortgang von der allgemeinen Analogie einer möglichen Erfahrung überhaupt zur besonderen« auf eine Weiterführung der Begründung der Möglichkeit der Naturgesetze von allgemeinen transzendentalen zu besonderen empirischen hinaus.123 In Bezug auf diese besonderen können es nicht unmittelbar und allein die reinen Verstandesbegriffe (Kategorien) sein, die den Erscheinungen Gesetze a priori vorschreiben (vgl. KrV, B 163). Im System der Grundsätze der transzendentalen Analytik der KrV werden die a priori erkennbaren allgemeinen Naturgesetze systematisiert und bewiesen. (KrV, B 218 ff.) Vorausgesetzt Kant meint mit dem »Fortgang von der allgemeinen Analogie einer möglichen Erfahrung überhaupt« tatsächlich eine Entwicklung hin zu einer besonderen Analogie und nicht etwa bloß von einer »Analogie« überhaupt zur besonderen Erfahrung (was ich hier ausschließe, weil Kants Begriff der Naturerfahrung in keiner Hinsicht ohne eine »Analogie« der Erfahrung auskommen kann), so muss demnach auch für eine solche Analogie das gelten, was er in der zweiten Auflage der KrV allgemein als Prinzip der »Analogien der Erfahrung« aufgestellt hat: dass Erfahrung »nur durch die Vorstellung einer notwendigen Verknüpfung der Wahrnehmungen möglich« ist (B 218); und da diese Möglichkeit nur durch die Verbindung der Objekte in der Zeit möglich ist (B 219), so ist auch diese besondere Erfahrung, wenn sie denn eine »Analogie« darstellen soll, »nur durch eine Vorstellung der notwendigen Verknüpfung der Wahrnehmungen« in der Zeit möglich.124 Und das heißt, die Möglichkeit der besonderen Erfahrung als Analogie muss jene »drei modi der Zeit« bzw. »drei Regeln aller Zeitverhältnisse der Erscheinungen« (Beharrlichkeit, Folge, Zugleichsein) erfüllen (B 219). Denn »Analogien der Erfahrung« sind ihrem allgemeinen Begriff nach »Grundsätze der Bestimmung der Erscheinungen in der Zeit«, und zwar nach ihren drei bekannten Zeitverhältnissen (B 262 / A 215), bzw. »Regeln der allgemeinen Zeitbestimmung«, denen – zufolge eines Gesetzes der a priori bestimmten »synthetische[n] Einheit in dem Zeitverhältnisse aller Wahrnehmungen« – alle empirischen Zeitbestimmungen gemäß sein müssen (B 220). D. h. auch alle empirischen Naturgesetze können nur vermittelst der allgemeinen Naturgesetze, die den Zusammenhang der Erscheinungen unter dem Aspekt ihres Daseins zu einer Natureinheit erst konstituieren, »gefunden werden« (B 263 / A 216). Aber kann von einer solchen Bedingung in der Wahrnehmungsverknüpfung nach dem Prinzip a priori der Urteilskraft die Rede sein, da doch der »allgemeine Grundsatz aller drei Analogien« in der KrV auf der »notwendigen Einheit der ApperIn den Prolegomena nennt Kant die Analogien der Erfahrung »eigentliche Naturgesetze« (4:307.29 f.). 124 Vgl. Prolegomena, § 26 (4:309.23–310.10). 123
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zeption« beruhen soll (B 220)?125 Die Antwort lautet: ja. Denn die Ordnung, die mit Hilfe des Prinzips der Zweckmäßigkeit in den Zusammenhang der empirischen Naturregeln zu bringen ist, soll ja die kausale Grundordnung der Natur nach transzendentalen Gesetzen des Verstandes nicht etwa ersetzen, sondern sie im Bereich der empirischen Natur nur ergänzen. Die an die allgemeine Analogie der Erfahrung gebundene Zeitordnung bleibt also auch in der besonderen Erfahrung in kraft; sie gilt aber immer nur mit Rücksicht auf einen bestimmten, empirischen Zeitabschnitt. Jede besondere Zeitordnung ist im Grunde genommen (formal betrachtet) bereits in der allgemeinen Analogie mit enthalten, da diese sich notwendig auf die Ordnung der Synthesis in der Apprehension beziehen muss. Diese Grundsätze (die drei Analogien der Erfahrung) sind nun aber (wie auch die Postulate des empirischen Denkens überhaupt) erklärtermaßen »nur« regulative Prinzipien (B 222 / A 179). Kant bezieht sich damit auf ein Unterscheidungskriterium, das er bereits der Partitionierung der Kategorienklassen in zwei Gruppen zugrunde legte: der Unterscheidung zwischen mathematischen und dynamischen Grundsätzen.126 Während die ersten beiden Grundsätze ihre Relation zur Mathematik dadurch ausdrücken, dass sie dazu berechtigen, die Mathematik auf Erscheinungen ihrer Möglichkeit nach anzuwenden (B 221 / A 178),127 indem sie die Erzeugungsart von Erscheinungen »nach Regeln einer mathematischen Synthesis« lehren (B 221 / A 178), zielen die dynamischen Grundsätze darauf ab, »das Dasein der Erscheinungen a priori unter Regeln« zu bringen (B 221 / A 179). Die letzteren haben daher auch nicht direkt den Charakter strenger Notwendigkeit a priori wie die ersten, denn sie stehen, weil sie das Dasein der Objekte betreffen, »unter der Bedingung des empirischen Denkens in der Erfahrung« (B 199 f. / A 160). Die Analogien der Erfahrung als »Grundsätze der Bestimmung des Daseins der Erscheinungen in der Zeit« (B 262 / A 215) begründen also eine dynamische »Einheit der Zeitbestimmung«, der zufolge die Zeit nicht als so konzipiert gedacht wird, dass dem Dasein der Erscheinungen in der Zeit »unmittelbar« durch Erfahrung eine bestimmte Zeitstelle zugewiesen würde, sondern als eine Zeiteinheit unter einer gewissen Verstandesregel, die für jedes Dasein die Zeitstelle a priori »und gültig für alle und jede Zeit« (m.a.W., dafür, dass es für jedes Dasein überhaupt irgendeine Zeitstelle gibt) bestimmt (B 262 / A 215).
»Unsere Analogien stellen also eigentlich die Natureinheit im Zusammenhange aller Erscheinungen unter gewissen Exponenten dar, welche nichts anderes ausdrücken, als das Verhältnis der Zeit (sofern sie alles Dasein in sich begreift) zur Einheit der Apperzeption, die nur in der Synthesis nach Regeln stattfinden kann.« (B 263 / A 216; vgl. B 264 / A 217: vgl. B 198 / A 159) 126 Vgl. KrV, B 199–202 / A 160–162. 127 Vgl. Klemme, H.F. (1998), Die Axiome der Anschauung und die Antizipationen der Wahrnehmung, 247–266; Schliemann, O. (2010), Die Axiome der Anschauung; vgl. KrV, B 198–218 / A 159–176. 125
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Die mathematischen Grundsätze werden nun deshalb »konstitutiv« genannt, weil sie zur Konstruktion von Erscheinungen ihrer Größe nach verhelfen; die dynamischen aber sind »bloß regulative Prinzipien«, insofern sie nicht konstruierbar sind und nur das »Verhältnis des Daseins« der Erscheinungen betreffen (d. h. die eindeutige Zuordnung einer empirisch bedingten Erscheinung zu einer oder mehreren anderen bestimmten Erscheinungen nach dem Muster kausaler Relation, ohne dass die zuzuordnende Erscheinung für sich genommen vollständig kategorial determiniert wird). Auf dieses Verhältnis kommt es an, denn darauf bezieht sich Kants Verwendung des Ausdrucks »Analogie«. In der Mathematik, so erläutert Kant, stehe dieser Ausdruck für »Formeln, welche die Gleichheit zweier Größenverhältnisse aussagen« (B 222 / A 179), so dass aus dem Gegebensein zweier Glieder der Proportion das dritte (nach einer arithmetischen Regel) sicher erschlossen (»konstruiert«) (und seiner Größe nach bestimmt) werden kann: In diesem Sinne ist die »Analogie« dann »konstitutiv«.128 Im Unterschied dazu verwendet die Philosophie den Ausdruck nur in einem regulativen Sinne, indem sie die Gleichheit (Proportion) zweier qualitativer Verhältnisse betrachtet, so dass »aus drei gegebenen Gliedern nur das Verhältnis zu einem vierten, nicht aber dieses vierte Glied selbst« erkannt wird (B 222 / A 179–180).129 Dieses fehlende Glied zur Proportion auf der Grundlage des gegebenen Verhältnisses »in der Erfahrung zu suchen« und es nach einem »Merkmal« (nämlich zufolge einer formalen Verhältnisbestimmung der in dieser Proportion stehenden Glieder in Kombination mit einer Qualität, die der Relationsbestimmung zugrunde gelegt wird) (oder ein allgemeines empirisches Merkmal als einschränkende Bedingung der Relation) zu finden, wird durch die Analogie als einer allgemeinen Regel a priori ermöglicht und zur Aufgabe erhoben: »Eine Analogie der Erfahrung wird also nur eine Regel sein, nach welcher aus Wahrnehmungen Einheit der Erfahrung (nicht wie Wahrnehmung selbst, als empirische Anschauung überhaupt) entspringen soll, und als Grundsatz von den Gegenständen (der Erscheinungen) nicht konstitutiv, sondern bloß regulativ gelten« (B 222 f / A 180). Die »Analogie« in der Philosophie ist also ein Suchprinzip, aber nicht in demselben Sinne wie das Prinzip der teleologischen Urteilskraft. Und die Analogien sind dementsprechend nicht Grundsätze des transzendentalen Verstandesgebrauchs, sondern bloß des empirischen, für den sie »ihre alleinige Bedeutung und Gültigkeit haben«, und nur als solche können sie auch bewiesen werden (B 223 / A 180).130
Vgl. zu diesem Begriff der »Proportion«: Christian Wolff, Mathematisches Lexikon, 51. Vgl. Thöle, B. (1998), Die Analogien der Erfahrung, 274. 130 Trotz der Bezeichnung der dynamischen Grundsätze als »regulativer« bleiben sie zugleich konstitutive Prinzipien der Erfahrung überhaupt, insofern theoretische Erkenntnis von Gegenständen der Erfahrung ganz allgemein ohne eine begriffliche Bestimmung a priori der Ordnung der eindeutigen zeitlichen Aufeinanderfolge des Anschauungsmannigfaltigen, das in dem zu bestimmenden Gegenstand enthalten ist, unmöglich wäre: »Wir haben in der transzendentalen Analytik unter den Grundsätzen des Verstandes die dynamischen als bloß 128 129
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Dynamische Grundsätze, so können wir auch sagen, enthalten ein Moment qualitativer Unbestimmtheit. Das Anschauungsmannigfaltige ist nicht vollständig unter den Begriff subsumierbar durch die bestimmende Urteilskraft; insofern ist der Begriff auch nicht konstruierbar. Positiv gewendet heißt das: Der regulative Charakter dieser Grundsätze (der Analogien) ist die Bedingung der Möglichkeit und zugleich Grund der Notwendigkeit der Besonderung der allgemeinen Analogie (d. h. ihres Fortgangs zur besonderen). Wir können davon ausgehen, dass auch eine besondere Analogie der Erfahrung die beiden genannten Merkmale aufweisen wird, d. h. sie wird als ein Suchprinzip aufzufassen sein, das für den empirischen Gebrauch bestimmt ist und sich darin zu bewähren hat. Das, wonach sie aber darüber hinaus unbegrenzt zu suchen hat, sind (empirisch-zeitlich bedingte und unbedingte) Relationen empirischer, kausal strukturierter Gesetze untereinander, deren Glieder (als Regeln) sie zwar als solche auch nicht objektiv bestimmen, aber doch nach subjektiven Kriterien (formalen Aspekten der Relation) ggf. umformen und ordnen kann. D. h. sie hat die empirische Natur auch nach solchen Kausalverhältnissen abzusuchen, die auf denkbaren intelligiblen (empirisch nicht bedingten, daher auch partikular zeitunabhängigen) Ursachen beruhen könnten.131 Zu solchen Ursachen könnte z. B. die Entstehung biologischer (mechanisch nicht hinreichend erklärbarer) Veränderungen in der Natur gezählt werden. Des weiteren ist nicht zu erwarten, dass eine solche Analogie die allgemeine Analogie der Erfahrung oder die Analogie der Erfahrung überhaupt ersetzen oder sie ablösen könnte. Denn, so wie das Naturgesetz der Kausalität nach Kant unter keinen Umständen abgebrochen oder unterbrochen werden kann (vgl. KrV, 3. Antinomie, B 564 / A 536, B 565 / A 537, B 570 / A 542, B 572 / A 544, B 573 / A 545), so impliziert der »Fortgang« zugleich ein Fortbestehen der Analogie, indem die Funktion der Analogie, Einheit der Erfahrung durch die systematische Suche nach fehlenden Gliedern herzustellen, reproduziert wird. Was sich aber dadurch verändert, ist der Modus der Ordnung der Zeit, der nicht mehr bloß a priori, sondern einesteils empirisch bestimmt, anderenteils ganz unbestimmt sein wird. Die empirische Zeitordnung wird zwar durch die allgemeine Zeitreihe weiterhin bestimmt und findet in ihrem Rahmen statt – welche natürlichen Ereignisse oder empirischen Gesetze zu welcher Zeit und unter welchen Umständen aber in Erscheinung treten, ist a priori unbestimmt und bleibt insofern dem Zufall überlassen. Ursachen, die gar empirisch unbedingt sind, insofern sie keine Erscheinung in der Zeit als Ursache voraussetzen, sind, für sich genommen, zeitlos. Aber die Möglichkeit solcher Ereignisse als Folgen unbedingter Ursachen konnte auch schon auf der Grundlage der allgemeinen Analogie der Erfahrung gedacht werden. regulativen Prinzipien der Anschauung, von den mathematischen, die in Ansehung der letzteren konstitutiv sind, unterschieden. Diesem ungeachtet sind gedachte dynamische Gesetze allerdings konstitutiv in Ansehung der Erfahrung, indem sie die Begriffe ohne welche keine Erfahrung stattfindet, a priori möglich machen.« (KrV, B 692 / A 664). 131 Vgl. KrV, B 573 f. / A 545 f.; B 478 / A 450; B 562 / A 534.
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Auch in der besonderen Analogie kann es nicht darum gehen, empirische Fälle mathematisch genau zu konstruieren, sondern darum, formale Abhängigkeitsverhältnisse von Entitäten (empirischen Gesetzen) nach bestimmten Regeln zu ermitteln. Die Relate der besonderen Analogie sind empirische Gesetze (als Ziel der Suche) und mittelbar auch die Relate solcher Gesetze. Dazu stehen dann zwei Arten von Suchprinzipien (als Maximen) zur Verfügung: Spezifikationen der Wirkkausalität und Spezifikationen der Zweckkausalität. Aber solche Prinzipien sind im Unterschied zum Regulativ des Grundsatzes der allgemeinen Analogie nicht mehr konstitutiv für Erfahrungserkenntnis überhaupt, sondern nur noch regulativ für den heuristischen Gebrauch der Urteilskraft im Hinblick auf empirische Gesetze und Gegenstände der Natur in besonderen Fällen. Jedes dadurch aufgefundene empirische Naturgesetz drückt eine Relation von Entitäten aus, die der allgemeinen Relation ihres jeweiligen Suchprinzips entspricht; und jedes aufgefundene empirische Naturgesetz kann durch das Suchprinzip wieder als Ausgangspunkt für die Erforschung und Entdeckung weiterer Naturgesetze, mit denen es in einem systematischen Zusammenhang stehen muss, benutzt werden. Das ist der Sinn der besonderen Analogie der Erfahrung. Es übersteigt die Möglichkeiten dieses Kommentars, die Modifikationen der Analogien im einzelnen (z. B. den Beharrlichkeitsgrundsatz) mit Rücksicht auf die besonderen Bedingungen empirischer Naturgesetze durchzuspielen. Für die zweite Analogie aber sollen hier wenigstens die denkbaren Folgen unter dem Einfluss des Suchprinzips nach empirisch bedingten Ursachen und dem des Suchprinzips nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit angedeutet werden. Dies geschieht folgendermaßen: Die besondere Erfahrung muss gemäß der zweiten Analogie auch Verknüpfung von Wahrnehmungen in der Zeit sein. Das Verhältnis zweier aufeinander folgenden Zustände muss somit in der Reihenfolge eindeutig bestimmt werden, wenn es in irgendeiner Weise kausal determiniert werden soll. Dieses Verhältnis kann jedoch in Bezug auf besondere Erfahrung durch den reinen Verstandesbegriff des allgemeinen Ursache-Wirkungsverhältnisses nicht hinreichend bestimmt werden. Aus diesem Grund ist aber dann auch die Notwendigkeit der synthetischen Einheit durch den reinen Verstandesbegriff allein noch nicht gegeben (vgl. B 234). Die Ordnung in der Folge der Wahrnehmungen in der Apprehension ist a priori bestimmt; es gibt eine Regel, die diese Ordnung notwendig macht (B 237 f. / A 192 f.; vgl. B 239 / A 194). Von dieser Regel ist die an sich unbestimmte und beliebige subjektive Folge der Apprehension der Erscheinungen abhängig und muss (für die Aufgabe der Darlegung der zweiten Analogie) von der objektiven Folge der Erscheinungen abgeleitet werden (B 238 / A 193). Aber kann das auch ein notwendiges und erfüllbares Erfordernis für die empirische Ordnung des Mannigfaltigen der Erscheinung sein? Oder, falls nicht, nach welcher (objektiven) Regel muss sich hier die subjektive Folge der Apprehension richten, um nicht beliebig zu werden, sondern eine bestimmte Ordnung zu ergeben? Spielt die Zeitfolge der Apprehension dann überhaupt auch eine Rolle in der Kausalität nach Zwecken? Ist die Zweckmä-
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ßigkeit der Natur nicht geradezu eine Umkehrung oder gar eine Abkehr von Zeitverhältnissen (wie es nach B 239 / A 193–194, B 243 / A 198 nicht erlaubt bzw. unmöglich ist), insofern doch der Zweck als die gedachte Folge Ursache seiner Verwirklichung sein soll? Zunächst ist festzuhalten, dass es eine Folge von Erscheinungen geben muss, wenn es überhaupt eine Ordnung des Mannigfaltigen geben können soll: »Also geschieht es immer in Rücksicht auf eine Regel, nach welcher die Erscheinungen in ihrer Folge, d. i. so wie sie geschehen, durch den vorigen Zustand bestimmt sind, dass ich meine subjektive Synthesis (der Apprehension) objektiv mache, und, nur lediglich unter dieser Voraussetzung allein, ist selbst die Erfahrung von etwas, was geschieht, möglich« (KrV, B 240 / A 195). Das hat jedenfalls von der allgemeinen Erfahrung zu gelten. Muss dann aber auch von den Erscheinungen der empirischen Natur und ihren Gesetzen dasselbe gelten? Meine Antwort lautet: ja, die Regeln der allgemeinen Analogie müssen auch in der empirischen Natur und unter deren besonderen Bedingungen uneingeschränkt gelten. Aber sie sind eben nicht hinreichend. In der empirischen Natur, so scheint es, müssen die genaueren Regeln vielmehr erst durch empirische Wahrnehmung und Vergleich gewonnen werden (z. B. nach dem Verfahren Humes (vgl. B 240 f.)). Diese aufgefundenen besonderen Regeln sind allerdings nicht verallgemeinerbar. Die Zweckmäßigkeit gibt dazu als allgemeines Prinzip die Leitidee oder das Kriterium des Vergleichs: die aufgefundene Regel soll ja auch, gemessen am Verstand, zufällig sein; andernfalls wäre sie notwendig; zufällig wiederum kann nicht ganz und gar beliebig bedeuten; wenn sie schon nicht dem Verstand angehören kann, dann muss sie a priori durch das Prinzip eines anderen Erkenntnisvermögens begründet sein. Vorstellungen sind »innere Bestimmungen unseres Gemüts in diesem oder jenem Zeitverhältnisse«, aber daraus ergibt sich noch keine objektive Bedeutung für die Bestimmung eines Gegenstandes; dazu muss nämlich erst die Verbindung der Vorstellungen durch eine Regel notwendig gemacht werden (B 242 f / A 197–198). Apprehension allein gibt noch keine notwendige objektive Folge, so dass auch nichts von anderem unterschieden wird. Wenn also das Gesetz der Zeitfolge (»daß die vorige Zeit die folgende notwendig bestimmt«, B 244 / A 199) eine »formale Bedingung aller Wahrnehmungen« ist (B 244 / A 199), dann kann, da es die Nachforschung in der empirischen Natur nach ihren besonderen Gesetzen notwendigerweise mit Wahrnehmungen und deren Inhalten zu tun hat, diese Ordnung auch nicht völlig außer Kraft gesetzt werden, selbst wenn die Nachforschung nach dem (nicht bestimmenden) Prinzip der Zweckmäßigkeit erfolgt. Die Zeitfolge muss zwar auch umkehrbar und durch einen unbedingten Anfang initiierbar sein – und das gilt sogar für die Stetigkeitsregel, die als Abkömmling und in Abwandlung des Zweckmäßigkeitsprinzips in Zeitrichtung und gegen die Zeitrichtung gelten kann –, aber diese zweite Zeitordnung geschieht doch auch im Rahmen der allgemeinen Zeit, die zwar dadurch modifiziert und eingeschränkt, aber nicht nivelliert wird. Denn in der Wirkung trifft auch eine durch
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unbedingte Verursachung bewirkte Kausalität wieder mit der empirischen Zeitfolge zusammen. »Zu aller Erfahrung und deren Möglichkeit gehört Verstand«, zu dessen ersten Aufgaben gehört, die Vorstellung eines Gegenstandes überhaupt möglich zu machen, indem er »die Zeitordnung auf die Erscheinungen und deren Dasein überträgt« (B 244 f / A 199). Alle Wahrnehmungen müssen in der Zeit ihre bestimmte Stelle haben – und deshalb kann die Beurteilung der empirischen Natur nicht gänzlich abseits aller Zeitordnung stattfinden. Die Regel der Bestimmung in der Zeitfolge besagt, »daß in dem, was vorhergeht, die Bedingung anzutreffen sei, unter welcher die Begebenheit jederzeit (d. i. notwendigerweise) folgt« (B 246 / A 200); es folgt, dass der Satz vom zureichenden Grund der Grund möglicher Erfahrung ist, aber in Reihenfolge der Zeit. »Zu aller empirischen Erkenntnis gehört die Synthesis des Mannigfaltigen durch die Einbildungskraft, die jederzeit sukzessiv ist; d. i. die Vorstellungen folgen in ihr jederzeit aufeinander.« (B 246 / A 201). In der Einbildungskraft ist aber die Ordnung der Folge nicht bestimmt; die Reihe der Vorstellungen kann vorwärts und rückwärts gehen. Erst durch die Synthesis der Apprehension wird die Ordnung im Objekt bestimmt (ebd.). »Soll also meine Wahrnehmung die Erkenntnis einer Begebenheit enthalten, da nämlich etwas wirklich geschieht; so muß sie ein empirisches Urteil sein, in welchem man sich denkt, daß die Folge bestimmt sei, d. i. daß sie eine andere Erscheinung der Zeit nach voraussetze, worauf sie notwendig, oder nach einer Regel folgt« (B 246 f. / A 201). Das Verhältnis der Erscheinungen als möglicher Wahrnehmungen, das nach einer Regel der Zeit bestimmt ist, ist das Verhältnis der Ursache zur Wirkung und als solches Bedingung der objektiven Gültigkeit unserer empirischen Urteile (B 247 / A 202). Ein bestehendes Zeitverhältnis (als Zeitordnung) ist nicht notwendig an eine (wahrnehmbare) Zeitfolge gebunden (B 248 / A 202 f.). Dennoch ist die Zeitfolge »das einzige empirische Kriterium der Wirkung, in Beziehung auf die Kausalität der Ursache, die vorhergeht« (B 249 / A 203). Wie sich aber etwas genau verändert, können wir a priori nicht begreifen (B 252 / A 206 f.). Das Gesetz der Kausalität und die Bedingung der Zeit reichen nicht dafür hin, auch dies zu bestimmen; wir benötigen dafür die Kenntnis von Naturkräften. Nur die allgemeine Form jeder Veränderung, d. h. die Sukzession der Zustände kann durch das Kausalgesetz reflektiert werden. (»Gesetz der Kontinuität aller Veränderung«, B 254 / A 209). Die Ordnung der Zeit ist also notwendige Bedingung von Veränderung überhaupt und von Kontinuität in der Veränderung. Was bedeutet das für die Ordnung der empirischen Natur unter dem Prinzip der Zweckmäßigkeit? Ist Kontinuität in der Veränderung empirischer Erscheinungen, z. B. die Spezifikation der Naturwesen in Gattungen, Arten und Unterarten, auch ganz ohne Zeitordnung zu begründen? Kant sagt: »Aller Zuwachs des empirischen Erkenntnisses, und jeder Fortschritt der Wahrnehmung ist nichts, als eine Erweiterung der Bestimmung des inneren Sinnes, d. i. ein Fortgang in der Zeit, die Gegenstände mögen sein, welche sie wollen, Erscheinungen, oder reine Anschauungen. Dieser Fortgang in der Zeit bestimmt alles, und
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ist an sich selbst durch nichts weiter bestimmt […] Um deswillen ist ein jeder Übergang in der Wahrnehmung zu etwas, was in der Zeit folgt, eine Bestimmung der Zeit durch die Erzeugung dieser Wahrnehmung […]« (B 255 / A 210). Das ist eine unmissverständliche Erklärung, die zeigt, dass die Notwendigkeit einer besonderen Analogie der Erfahrung der Allgemeingültigkeit der allgemeinen Analogie nicht nur nicht widerstreitet, sondern sogar nur auf ihrer Grundlage konzeptionell möglich ist. Der Verstand enthält mittels der Einheit der Apperzeption »die Bedingung a priori der Möglichkeit einer kontinuierlichen Bestimmung aller Stellen für die Erscheinungen in dieser Zeit, durch die Reihe von Ursachen und Wirkungen […]« (B 256 / A 211). Der voranstehende Exkurs sollte erläutern, wie man Kants Forderung nach einem »Fortgang von der allgemeinen Analogie einer möglichen Erfahrung überhaupt zur besonderen« verstehen kann. Diese Forderung stellte sich dadurch, dass die systematische Einheit der Natur und der Naturerfahrung auch die Bedingungen der empirischen Natur zu berücksichtigen hat, und zu diesen Bedingungen gehört in Entsprechung zur allgemeinen Natur auch eine »Analogie«, d. h. eine allgemeine Regelung der Ordnung der Erscheinungen in der Zeit. Gefordert wird damit, von der Begründung der Möglichkeit der Naturgesetze durch allgemeine transzendentale (allgemeine Analogie) aus auf die Möglichkeit besonderer empirischer Naturgesetze zu schließen. Diese Verlängerung soll durch das Prinzip der Zweckmäßigkeit der reflektierenden Urteilskraft ermöglicht werden, indem dieses die notwendige Verknüpfung von empirisch zu suchenden Wahrnehmungsinhalten in empirischen Zeitintervallen (die ihrerseits die allgemeinen Bedingungen a priori der Zeitordnung voraussetzen, aber diese auch durchkreuzen, indem sie stets neue Anfänge zulassen) sicherstellt. Eine solche besondere Analogie kann nicht konstitutiv für Erfahrung sein. Zwar sollte die allgemeine Analogie auch bereits auf empirische Fälle vollständig abgestellt (»gültig für alle und jede Zeit«) sein. Aber die allgemeinen Bedingungen der Zeitordnung der Erscheinungen reichten eben nicht für die besonderen Bedingungen aller empirischen Naturen aus, und zwar aus demselben Grund, aus dem die transzendentalen Gesetze des Verstandes insgesamt nicht zur Begründung der Vielfalt der empirischen Natur ausreichend sein konnten: eben aufgrund ihrer abstrakt allgemeinen Bestimmung, die in Hinsicht auf die Besonderheiten nicht durchgängig bestimmend sind. So hat die dynamische »Einheit der Zeitbestimmung« gerade die Möglichkeit der Ausfüllung der Zeitstellen durch empirische Zeitbedingungen offen gelassen und damit überhaupt erst die Voraussetzung für die Fortführung der allgemeinen Analogie in einer besonderen gesetzt. Das Ergebnis der letzten Betrachtung lässt sich so formulieren: Weil die Analogie der Erfahrung selbst schon ein Suchprinzip nach allgemeinen Regeln der Zeitordnung darstellt, das die empirische Natur zu durchleuchten hat, kann nun auch ein Prinzip der reflektierenden Urteilskraft zusätzlich (ergänzend) eingreifen, um aus der Natur selbst noch besondere Bedingungen der zeitlichen Ordnung empirisch aufzunehmen, die für das Einordnen von Naturerscheinungen in die Gesamtnatur und deren Erfahrungseinheit relevant (unverzichtbar) sind.
V. Abschnitt: Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit der Natur
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Siebter Absatz: Die Entdeckung eines Prinzips a priori der reflektierenden Urteilskraft Im letzten Absatz des fünften Abschnittes wird aus den Absätzen 5 und 6 erneut eine Schlussfolgerung gezogen. Der sie einkleidende Satz soll aus Gründen der Übersichtlichkeit zuerst wieder in eine Satzgrafik gebracht werden: [1] Die Urteilskraft hat also auch ein Prinzip a priori für die Möglichkeit der Natur, [1a] aber nur in subjektiver Rücksicht, [1.1] in sich,/ }
[1.2] wodurch sie nicht der Natur (als Autonomie), [1.2.1] sondern ihr selbst (als Heautonomie) { [1.2.1a] für die Reflexion über jene [1.3] ein Gesetz vorschreibt,/ [1.4] welches man das Gesetz der Spezifikation der Natur in Ansehung ihrer empirischen Gesetze nennen könnte,/ [1.5] das sie a priori an ihr nicht erkennt, sondern zum Behuf einer für unseren Verstand erkennbaren Ordnung derselben in der Einteilung, { [1.5a] die sie von ihren allgemeinen Gesetzen macht, [1.6] annimmt,/ [1.7] wenn sie diesen eine Mannigfaltigkeit der besonderen unterordnen will. (5:185.35–186.7) Satzgrafik Nr. 19
Dass die Urteilskraft »also« ein Prinzip a priori besitzt ([1]), deutet darauf hin, dass erst in diesem letzten Absatz die mit dem fünften Abschnitt gesetzte Aufgabe – zu zeigen, dass das Prinzip der Naturzweckmäßigkeit ein transzendentales Prinzip der Urteilskraft ist – ganz eingelöst wird. Die Folgerung hat drei wichtige Voraussetzungen: 1) Die Verworrenheit unendlich verschiedener empirischer Naturdinge und -gesetze (Abs. 4); 2) Das Unvermögen des Verstandes, sie a priori zu erkennen (zu identifizieren) und zu ordnen (Abs. 6); 3) Das Bedürfnis des Verstandes, außer der systematischen Einheit der allgemeinen Naturgesetze auch noch eine solche der empirischen Gesetze herzustellen (Allgemeinheit und Notwendigkeit) (Abs. 4).
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
Bei dem im Zitat genannten »Prinzip a priori« ([1]) kann es sich nur um das transzendentale Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur handeln, dessen »Deduktion« im vierten Absatz vorgeführt worden ist. Dieses ist zugleich das einzige Prinzip, das der Urteilskraft eigen ist. Da dieses Prinzip außerdem ein Prinzip a priori im allgemeinen Sinne ist – d. h. ein Prinzip, das sich aus der subjektiven Tätigkeit eines (oberen) Erkenntnisvermögens herleitet – , ist es mit den Prinzipien der Vernunft, insbesondere aber des Verstandes, vergleichbar. Die Urteilskraft ist dem Verstand und der Vernunft nebengeordnet, insofern sie »auch« über ein eigenes Prinzip a priori verfügt. Allerdings muss die Einschränkung gemacht werden, dass das Prinzip der Urteilskraft, obwohl es (wie der Verstand) Bedingung der Möglichkeit der Natur (sowie der Naturerfahrung) sein soll, weder ein Natur- noch ein Freiheitsbegriff sein kann (Abs. 4). Ihr Prinzip ermöglicht daher die Natur »nur in subjektiver Rücksicht« ([1a]); es gilt nicht auch objektiv von der besonderen Natur als Inbegriff von empirischen Formen und Gesetzen (die Subjektivität des Prinzips der Urteilskraft ist bereits als Folgerung aus der »Deduktion« am Ende des vierten Absatzes nachgewiesen worden). Das bedeutet nun: Die Urteilskraft »schreibt« nicht (wie der Verstand) »der Natur Gesetze vor«. Da sie aber dennoch gesetzgebend ist, ist sie selbst der Adressat des Gesetzes, das sie mittels ihres Prinzips a priori denkt und das ihr gerade deswegen dazu verhilft, die Reflexion über die Natur methodisch zu regeln. Diesen Sachverhalt bezeichnet Kant mit dem aus dem Griechischen entlehnten Terminus »Heautonomie« ([1.2.1]).132 Der Sache nach taucht der Gedanke der Selbstgesetzgebung der Urteilskraft bereits in E IV, 2. Abs., auf, allerdings noch mit der Ungewissheit, ob das Prinzip selbst schon das Gesetz sei. Das Gesetz, um das es hierbei geht, heißt bei Kant »Gesetz der Spezifikation der Natur«. Es wird auch an anderen Stellen seiner kritischen Hauptschriften diskutiert und erläutert, und zwar gelegentlich differenzierter und ausführlicher als in E V. In der Erläuternden Anmerkung am Ende des Kommentars zu E V werden Kants Ausführungen an jenen Stellen zum genaueren Verständnis ergänzend analysiert und auf die Problemlage in E V kritisch bezogen. Hier drückt sich Kant im Unterschied zu früheren Überlegungen vorsichtiger aus, nämlich im Konjunktiv, so dass man den Terminus wohl nur noch als Vorschlag, nicht als eine Determination aufzunehmen hat. In dem betreffenden Satz wird nicht erklärt, welchen Inhalt dieses eigentliche Gesetz hat (oder wie es lautet) ([1.4]). Beschrieben wird nur seine Funktion, und das in der unklaren Ausdrucksweise, die dem zweiten Teil des Satzes bescheinigt werden muss ([1.5] bis [1.6]). Oft ist nicht klar, auf welche Begriffe sich die verwendeten Pronomen beziehen. Eine Festlegung ist in solchen Fällen, bei denen es grammatisch gesehen mehr als eine mögliche Lesart gibt, nur dann möglich, wenn auch der Rest dieses letzten Absatzes in die Betrachtung mit einbezogen wird.
132
Vgl. Kommentar zu EE VIII.6.
V. Abschnitt: Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit der Natur
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Beginnend mit dem an das »Gesetz der Spezifikation der Natur« ([1.4]) angeschlossenen Relativsatz ([1.5] (»das sie a priori usw.«) sollen nun die einzelnen Satzpartikel einander zugeordnet und ihr Aussagegehalt ermittelt werden. »Sie« ([1.5]) – das ist die Urteilskraft, die »an ihr« ([1.5]), nämlich an der Natur, keine Erkenntnis über das Spezifikationsgesetz gewinnen kann. Statt es zu erkennen, soll sie es bloß annehmen, um eine Ordnung der Natur (»derselben« [1.5]) hervorzubringen (»zum Behuf« [1.5]), die »für unseren Verstand« ([1.5]) erkennbar ist. Die Urteilskraft leistet m.a.W. dem Verstand Vorarbeit, indem sie an seiner Stelle eine Ordnung herstellt, zu der der Verstand selbst nicht in der Lage ist (weil er die mannigfaltigen empirischen Gesetze mit Hilfe seiner Begriffe nicht bestimmen und einordnen kann). Das ist die »Angemessenheit mit dem menschlichen Verstande«, von der gleich im Anschluss an den zitierten Satz die Rede ist. Es bleibt aber die (hier nicht zu beantwortende) Frage offen, wie oder woran der Verstand denn sonst die von der Urteilskraft hergestellte Naturordnung erkennen kann. Diese Ordnung soll nun in der »Einteilung« ([1.5]) von allgemeinen Gesetzen zu finden sein. Wer oder was nimmt aber hier die Einteilung vor? (s. EE V, 8.–9. Abs.) In dem darauf bezogenen Relativsatz ([1.5a]) scheint mit »sie« die Urteilskraft gemeint zu sein. Diese Zuordnung ist naheliegend, weil die Urteilskraft ja dasjenige tätige Vermögen des Subjekts ist, das gemäß ihrem Prinzip a priori und damit auch dem Spezifikationsgesetz über die Natur urteilt, sodass die entsprechende »Einteilung« ([1.5]) das Resultat ihrer Reflexion wäre. Aber »ihren allgemeinen Gesetzen« ([1.5a]), – das sind nicht genuine Gesetze der Urteilskraft, sondern diejenigen des Gegenstandes ihrer Reflexion, d. i. die allgemeinen Gesetze der Natur. Und diese müssen – so ist zu vermuten, da der Verstand hier nicht am Werk ist, – empirischallgemeine Gesetze sein. Ausdrücklich soll sich ja auch das Gesetz der Spezifikation der Natur auf ihre empirischen Gesetze richten (»in Ansehung« usw. [1.4]). Diese Auslegung kann jedoch nur vorläufig gelten, nämlich vorbehaltlich einer Klärung der überraschenden Bemerkung Kants in EE V, 9. Abs., wonach notwendig vorauszusetzen sei, »die Natur specificire selbst ihre transcendentalen [!] Gesetze nach irgend einem Princip« (20:215.16 f.).133 Die zweite Möglichkeit, den Produzenten der »Einteilung« ([1.5]) der allgemeinen Naturgesetze zu ermitteln, ist die Natur selbst (so wie es die Interpretation von EE V, 10. Abs. ja bereits nahelegte). Ihr muss nämlich unterstellt werden können, dass sie sich in ihren Prozessen nach derselben Logik organisiert, nach der sich die Urteilskraft in ihren reflexiven Akten zur Entdeckung empirischer Naturgesetze richtet. In der Tat zeigen die Überlegungen im Anschluss an das Zitat, dass Kant daran denkt, die Natur in den Status einer selbständigen Akteurin zu erheben: »die Natur spezifiziert ihre allgemeinen Gesetze« etc. Andere Textstellen (z. B. aus der EE), an denen die Selbstspezifikation der Natur thematisiert wird, bestätigen unsere Vermu-
133
S. dazu den ausführlichen Kommentar zu EE V, S. 130–139.
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
tung (EE V, 8. Abs., EE V, 10. Abs., EE VI, 1. Abs.).134 Dies alles spricht für die Auslegung des »die« im Relativsatz ([1.5a]), der sich auf den Ausdruck »Einteilung« bezieht, zugunsten der zweiten Interpretationsvariante. Ich werde jedoch später argumentative Belege vortragen, die es als notwendig erscheinen lassen, beide Varianten zuzulassen. Erklärungsbedürftig bleibt nun noch der konditionale Nebensatz ([1.7]) am Ende des Zitats. Das Satzsubjekt (»sie«) ist hier wiederum die Urteilskraft. Die Urteilskraft nimmt ein Gesetz der Spezifikation als Voraussetzung an, um den allgemeinen Naturgesetzen »eine Mannigfaltigkeit der besonderen« Gesetze zu subordinieren. Die Ausführung dieser Subordination als Operation der Urteilskraft ist nichts anderes als die Herstellung der Ordnung der empirischen Natur, die für den Verstand ›erkennbar‹ gemacht werden soll. Für dieses Subordinationsverhältnis von allgemeinen und besonderen Gesetzen der Natur als Befolgung des Spezifikationsgesetzes ist es von entscheidender Bedeutung, dass das jeweilige Naturgesetz an den Gegenständen der (empirischen) Natur objektiv nichts bestimmt, wie Kant im restlichen Teil des betrachteten Absatzes wiederholt hervorhebt. Sollte er aber – wie oben bereits bemerkt – bei den »allgemeinen Gesetzen«, von denen im zitierten Satz die Rede ist, nicht bloß an empirisch-allgemeine Gesetze, sondern tatsächlich an transzendentale im Sinne der allgemeinen Gesetze des reinen Verstandes in Bezug auf die Natur überhaupt gedacht haben, dann liegt auch der Verdacht nahe, es werde dabei stillschweigend (und in eigentlich unzulässiger Weise) von der bestimmenden Urteilskraft Gebrauch gemacht (es sei denn, dass unter Subordination etwas anderes als Subsumtion (im Sinne der KrV) zu verstehen ist)135. Denn diese (allgemeinen) Gesetze können ja nicht auf andere Weise der Natur beigelegt werden, als dass der Verstand sie ihr ›vorschreibt‹. Kant benutzt jedoch gegenüber der EE den Ausdruck »transzendentale Naturgesetze« hier nicht mehr. Es soll nun zunächst der Rest des siebten Absatzes interpretiert werden, bevor ein erster Schritt zur Problematisierung der gewonnenen Interpretationsresultate unternommen wird. Der Passus, der sich dem oben zitierten und zergliederten Satz des letzten Absatzes von Abschnitt V anschließt, ist mit ähnlichen Verständnisschwierigkeiten behaftet wie jener zitierte und bereits analysierte Satz. Auf seine Wiedergabe in einer Satzgraphik soll hier der Kürze wegen gleichwohl verzichtet werden. Der Hauptsatz lautet: »Wenn man also sagt: die Natur spezifiziert ihre allgemeinen Gesetze nach dem Prinzip der Zweckmäßigkeit für unser Erkenntnisvermögen, […] so schreibt man
S. dazu die entsprechenden Kommentarstellen, S. 130–139, 148–152. So könnte man ja auch den Übergang der allgemeinen zur besonderen Analogie, von dem weiter oben eine Erläuterung gegeben wurde, als Spezifikation der allgemeinen Zeitgesetze verstehen. 134 135
V. Abschnitt: Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit der Natur
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dadurch weder der Natur ein Gesetz vor, noch lernt man eines von ihr durch Beobachtung (obzwar jenes Prinzip durch diese bestätigt werden kann)« (5:186.7–15). Der etwas später zu betrachtende eingeschobene (im Zitat ausgesparte) Nebensatz erläutert, was der Ausdruck »für unser Erkenntnisvermögen« besagen soll. Dem zuletzt zitierten Satzpartikel sind folgende Gedanken zu entnehmen: 1) Gegenstand der Spezifikation der Natur sind die allgemeinen Gesetze der Natur. 2) Die Spezifikation erfolgt nach Maßgabe des Prinzips der Zweckmäßigkeit. 3) Sie ist zielgerichtet auf »unser Erkenntnisvermögen«. 4) Der Natur wird dadurch kein (empirisches) Gesetz ›vorgeschrieben‹. 5) Die Spezifikation läuft nicht darauf hinaus, ein (empirisches) Gesetz durch Beobachtung zu »lernen« (im Sinne von ›bestimmen‹). Die Bestimmungen 1) bis 4) haben sich im Grunde bereits aus der vorangegangenen Analyse des Absatzes ergeben und können als hinreichend bekannt angesehen werden. Die Begründung dafür, dass der Natur durch die Spezifikation kein Gesetz ›vorgeschrieben‹ werde, ist die bekannte Erklärung, dass das Prinzip der Urteilskraft hier nur reflektierend und nicht bestimmend sei. Sie ist im Hinblick auf die Natur nicht gesetzgebend. Der fünfte Aspekt ist wegen der Einschränkung, dass das Prinzip der Zweckmäßigkeit durch die Beobachtung, wenngleich nicht ›gelernt‹, so doch »bestätigt« werden könne, noch einer näheren Betrachtung wert. Denn er soll ja nicht besagen, dass die Spezifikation nun gar nicht von den Resultaten empirischer Beobachtung abhänge. Es soll nur die Beobachtung allein noch kein Gesetz konstituieren können. Trotzdem ist und bleibt es ein Problem, auf welche Weise (methodisch gesehen) das Prinzip a priori der Zweckmäßigkeit der Natur empirisch »bestätigt« werden kann. Dazu hat Kant theoretisch nichts Besonderes ausgearbeitet. Es könnte also sein, dass es sich hierbei einfach um ein übernommenes Relikt der Wolffschen Metaphysik bzw. darauf aufbauender Lehrbücher handelt. Infolge der beiden Negativbestimmungen der Spezifikation (Nr. 4) und Nr. 5) in der obigen Aufzählung) stellt sich die Frage nach einer denkbaren positiven Bestimmung. Zunächst ist an das Prinzip der Heautonomie zu erinnern, das Kant am Ende des Abschnittes V nicht noch einmal ausdrücklich erwähnt: Wenngleich die Urteilkraft der Natur kein Gesetz gibt und aus der Natur heraus durch Beobachtung keine Einsicht in die Beschaffenheit eines Gesetzes gewinnt, so ist sie dennoch gesetzgebend, insofern sie sich selbst (d. h. ihrer reflektierenden Tätigkeit) ein solches ›vorschreibt‹, nämlich eben das sogenannte »Gesetz der Spezifikation der Natur«. Darüber hinaus bemerkt Kant nun im letzten Satz des siebten Absatzes: »man will nur, daß man, die Natur mag ihren allgemeinen Gesetzen nach eingerichtet sein, wie sie wolle, durchaus nach jenem Prinzip und den sich darauf gründenden Maximen ihren empirischen Gesetzen nachspüren müsse, weil wir nur so
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
weit, als jenes stattfindet, mit dem Gebrauche unseres Verstandes in der Erfahrung fortkommen und Erkenntnis erwerben können« (5:186.16–21). In diesem Satz wird – kurz gesagt – die Funktion der reflektierenden Urteilskraft im Hinblick auf Naturerfahrung angesprochen, nämlich als allgemeine Verfahrensregel der empirischen Naturforschung, die zur Entdeckung neuer empirischer Gesetze gelangen soll, zu dienen (was eigentlich nur von der teleologischen Urteilskraft gelten kann). Die im »weil«-Nebensatz nachgelieferte Begründung für den bloß reflektierenden Gebrauch des Zweckmäßigkeitsprinzips ist sonderbar: Die Grenze des Gebrauchs dieses Prinzips markiert zugleich die Erkenntnisgrenze für den menschlichen Verstand?136 Die Grenze der Verstandeserkenntnis kann sich doch nicht in jeder Hinsicht so weit hinausschieben lassen, wie der Natur in ihren empirischen Gesetzen durch die Urteilskraft ›nachzuspüren‹ ist. Denn es ist ja gerade ein zentrales Ergebnis der ersten Kritik gewesen, dass sich die auf die Gesetze des reinen Verstandes gründende Naturerkenntnis nur auf die Natur überhaupt und im allgemeinen (und zwar bestimmend) richtet, und gerade nicht auf die besonderen empirischen Merkmale und Gesetze. Aus der abstrakten Allgemeinheit der Verstandesgesetze resultierte ja gerade das weiter oben skizzierte »Restproblem«. Deshalb reicht das Vermögen der reflektierenden Urteilskraft naturgemäß viel weiter als die allgemeinen Verstandesbestimmungen. Die Unstimmigkeit, die hier vorzuliegen scheint, lässt sich aber ausräumen, wenn der Erkenntniserwerb des Verstandes nicht mit Naturerfahrung im prägnanten Sinne gleichgesetzt wird. Was Kant offenbar meint, ist der vorhin im Zitat übersprungenen Erläuterung zu dem Ausdruck »für unser Erkenntnisvermögen«, deren Interpretation nun nachgeholt werden kann, zu entnehmen. Der Nebensatz führt aus: »[…] d. i. zur Angemessenheit mit dem menschlichen Verstande in seinem notwendigen Geschäfte, zum Besonderen, welches ihm die Wahrnehmung darbietet, das Allgemeine, und zum Verschiedenen (für jede Spezies zwar Allgemeinen) wiederum Verknüpfung in der Einheit des Prinzips zu finden […]« (5:186.9–13). »Für unser Erkenntnisvermögen« bedeutet demnach so viel wie ›für den menschlichen Verstand‹. Dieser soll demjenigen ›angemessen‹ sein, was Ziel und Funktion der Spezifikation der Natur ist. Wenn die in dem Nebensatz gegebene Erklärung sorgfältig erwogen wird, so kann sie sich wohl nicht auf die Erkenntnisfunktion des Verstandes in der KrV beziehen. Vielmehr wird ihm hier eine neue Aufgabe zuteil, nämlich diejenige logische Operation, durch die er die von der reflektierenden Urteilskraft vorgegebene Ordnung der Natur erkennen kann (im Sinne eines abstrakt-logischen Denkvollzugs). Ein kurzer Rückblick auf die zuletzt zum ersten Satz des siebten Absatzes gegebene Man kann versuchen, der Merkwürdigkeit dadurch zu entrinnen, dass man »jenes« in dem problematischen Nebensatz »weil wir nur so weit …« am Ende des siebten Absatzes auf die Einrichtung der Natur nach ihren allgemeinen Gesetzen bezieht. Dann mag der Satz auf den ersten Blick vielleicht in sich konsistent erscheinen. Es kann aber für den Verstand in Hinsicht auf seine erkenntniskonstitutive Funktion nicht gleichgültig sein, wie die Natur »ihren allgemeinen Gesetzen nach eingerichtet« ist. 136
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Satzgrafik, in der sichtbar wird, dass die Urteilskraft »das Gesetz der Spezifikation der Natur« ([1.4]) »zum Behuf einer für unseren Verstand erkennbaren Ordnung […]« ([1.5]) annehme, bestätigt diese Vermutung. Die Urteilskraft liefert dem Verstand durch jenes Gesetz eine Ordnung der Natur, die für diesen zum Gegenstand besonderer Erkenntnis wird. Diese Erkenntnis vollzieht sich auf dem Wege kontinuierlicher Abstraktion und Verallgemeinerung, ausgehend vom empirisch wahrgenommenen Besonderen, der Zusammenfassung von Unterarten, Arten, Gattungen und höheren Gattungen bis zur Auffindung eines höchsten Prinzips als Einheit aller Spezies (vgl. KrV, B 683 / A 655). Der Sache nach ist dies das Zusammenspiel von Klassifikation (durch den Verstand) und Spezifikation (durch die reflektierende Urteilskraft) nach der Version der EE. In dieser Korrespondenz eines Aufsteigens vom empirisch Besonderen zum empirisch Allgemeinen und des Absteigens vom Allgemeinen zum Besonderen liegt der eigentliche Grund der »Angemessenheit mit dem menschlichen Verstand«, der unter der weiter gefassten Funktion der dritten »Kritik«, das System der allgemeinen Naturerfahrung mit dem der besonderen Erfahrung in einem Systemganzen der Natur zu vereinen, auch plausibel erscheint. Aber gibt es hierbei nicht auch eine Grenze der Übereinstimmung? Inwiefern ist die Behauptung der Adäquatheit problematisch? Auf diese Frage ist zum Abschluss des Kommentars zu Abschnitt V noch einzugehen. Zuvor soll der Zusammenhang der Erkenntnisleistungen und der Erkenntnismittel von Verstand und reflektierender Urteilskraft, insbesondere die Funktion des Prinzips der Zweckmäßigkeit hierbei, kurz skizziert werden. Über diesen Zusammenhang (der den Bestimmungen 1) bis 4) in der oben stehenden Aufzählung entspricht) hat Kant ungefähr folgende Vorstellung: An erster und oberster Stelle steht das transzendentale Prinzip der Urteilskraft (die Zweckmäßigkeit der Natur). Es soll sich in ihren Maximen ›ausdrücken‹ (s. E V, 4.–5. Abs.), deren Bedeutung hier nicht mit letzter Gewissheit ermittelt werden kann. Die Maximen der Urteilskraft sind im Kommentar zu E V als die in der Dialektik der teleologischen Urteilskraft zitierten antithetischen Sätze ausgewiesen worden. Diese drücken verschiedene Arten von Kausalität der Natur aus. Nach den zu KrV (B 694 f. / A 666 f.) in dem anschließenden Erläuternden Exkurs noch anzustellenden Betrachtungen geurteilt, erscheint es als wenig glaubhaft, dass Kant mit den Maximen der Klassifikation und Spezifikation irgendeine Vorstellung von Kausalität verbunden haben soll. Das Problem des Verhältnisses zwischen Kausalnexus und begrifflich-logischer Ordnung stellt sich so dar, dass etwa »Aggregation« (resp. Klassifikation) und Spezifikation Ursache-Wirkungs-Verhältnisse wären. Dem gegenüber gibt es verstreute Hinweise darauf, dass das Hinauf- und Herabsteigen in der Ordnung der Natur nicht bloß als logische Schritte (der Begriffseinteilung) aufzufassen sind, sondern zugleich als Erzeugungsarten von Naturwesen (s. z. B. Einleitung, V, 4. Abs. (S. XXXII), 5:183.14–22) bzw. Arten der Kausalität (Einleitung, V, 5. Abs. (S. XXXVI), 5:185.10). Nicht nur von Gattungen und Arten ist nämlich in diesem Zusammenhang die Rede, sondern zugleich von solchen der Wirkungen und Ur-
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sachen, und Gegenstand der Einteilung sind Naturprodukte (s. E V, 7. Abs.). Deshalb ist die stillschweigend unterstellte Entsprechung der Kausalitätsmaximen der teleologischen Urteilskraft mit den Gesetzen der Klassifikation bzw. Spezifikation ziemlich eindeutig, aber das Erklärungsproblem (der Vermittlung) – wie nämlich die Ordnung von Naturwesen zugleich kausal strukturiert sein kann – bleibt offen. Trotz des ungeklärten Zusammenhangs von logisch-begrifflicher und kausaler Naturordnung hat man sich die Kooperation zwischen reflektierender Urteilskraft und Verstand – nach Kants weiteren Ausführungen geurteilt – offenbar so vorzustellen, dass die logischen Regeln der Naturforschung zur Entdeckung neuer Arten bzw. empirischer Gesetze – insbesondere das Gesetz der Spezifikation – vom Verstand in seinen logischen Operationen befolgt werden, aber diesem von der Urteilskraft vorgegeben sind. Sie sind selbst nur Abwandlungen, konkretere Ausdrucksformen des transzendentalen Prinzips der reflektierenden Urteilskraft, und insofern müssen sie ursprünglich selbst transzendental sein, obwohl dies von Kant in der Einleitung nicht ausdrücklich gesagt wird (s. die Untersuchung im nachfolgenden Erläuternden Exkurs). Der Verstand »erkennt« die Ordnung der Natur in dem eingeschränkten Sinne, dass er Begriffe nicht mit Anschauungen zu bestimmter Erfahrung verbindet, sondern in dem Sinne, dass er auf der Grundlage der allgemeinen Naturgesetze (der Kategorien) diese mit Hilfe der Spezifikationsregel zergliedert und wieder zu neuen Klassen verbindet. Das ist immer noch eine vage Skizze dessen, was Kant mit der Bildung eines Systems der besonderen Natur vorgeschwebt haben mag. Aber viel mehr an Vermutungen lässt seine Theorie auch nicht zu. Insbesondere gibt es keine direkte Auskunft darüber, wie von den logischen Einsichten des Verstandes aus wirkliche (d. h. in der Natur sichtbare) Forschungsergebnisse erzielt werden können. Denn die vom Verstand bloß gedachte Naturordnung ist streng genommen nur subjektiv bestimmt und gültig. Schließlich bleibt nicht zuletzt deswegen das Problem der »Angemessenheit« der Selbstspezifikation der Natur mit dem »notwendigen Geschäfte« des Verstandes (E V, 7. Abs.) ungelöst. Es ist weder nachzuvollziehen, wie allgemeine Naturgesetze in empirisch besondere übergehen können, noch wie sich empirische in transzendentale Gesetze verwandeln lassen. Ein Wechsel von allgemeinen zu spezifischen (besonders bestimmten) Naturgesetzen ist insbesondere dann nicht möglich, wenn von der inhaltlichen Bestimmung des Allgemeinen abgesehen werden soll, wie die Nebenbemerkung zur Leitfunktion des Prinzips der reflektierenden Urteilskraft in E V, 7. Abs., nahe legt (»[…] die Natur mag ihren allgemeinen Gesetzen nach eingerichtet sein, wie sie wolle […]« (5:186.17–18)). Denn wie sollen denn Begriffe spezifiziert bzw. klassifiziert werden können, wenn es für die Besonderung, d. i. für den Vergleich der Besonderen und deren Zusammenfassung unter einem höheren Allgemeinen, keine inhaltlichen Kriterien gibt? In dieser beschriebenen Problemkonstellation erscheint es nun zuletzt doch als fragwürdig, ob das kritische Unterfangen gelingen kann, einen »Fortgang von der allgemeinen Analogie einer möglichen Erfahrung überhaupt zur besonderen«, der von der Kenntnis der Ordnung der besonderen empirischen Regeln der Natur we-
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sentlich abhängt (E V, 5. Abs.), zu begründen. Von diesem Erfolg wiederum würde das Erreichen der Systemeinheit der Naturerfahrung insgesamt abhängen.
Exkurs zum siebten Absatz: Erläuterung: Spezifikation und Klassifikation Aus den bisher bereits genannten Textstellen sollen nun ergänzend einige Überlegungen unternommen werden, die die Bedeutung der Spezifikation der allgemeinen Naturgesetze besser erkennen lassen. Überwiegend handelt es sich dabei um Nachträge aus der KrV und um Bemerkungen aus der Ersten Einleitung. Zuvor jedoch bietet bereits ein erster Einblick in den dritten Absatz des folgenden Abschnittes der Einleitung eine gewisse Klarstellung und Erweiterung des bisherigen Kenntnisstandes. Es geht dort um das Studium der Natur bezüglich der empirischen Gesetze durch die Urteilskraft. Das Ziel ist die fortlaufende Vereinigung heterogener Gesetze unter empirischen Gesetzen von jeweils höherer Allgemeinheitsstufe und die dabei feststellbare Übereinstimmung mit unserem Erkenntnisvermögen, die eine Lustempfindung auslöse. Dagegen widerstreite die Vorstellung, eine solche Vereinheitlichung und Übereinstimmung sei unmöglich und es müsse für immer bei der naturwüchsigen Heterogenität bleiben, dem »Prinzip der subjektiv-zweckmäßigen Spezifikation der Natur in ihren Gattungen« (5:188.8–9), und es widerstreite auch der reflektierenden Urteilskraft als dem Vermögen dieser Spezifikation. Im Hinblick auf die Interpretation des siebten Absatzes von E V lehren diese Sätze: 1) dass durch die genauere Bezeichnung des Prinzips der Spezifikation als »subjektiv-zweckmäßig« – welches der Einschränkung des ersten Satzes von Absatz 7 (»aber nur in subjektiver Rücksicht« (5:185.36)) entspricht – der Subjektivitätscharakter des Gesetzes der Spezifikation (d. h. die Zuordnung zu einem subjektiven Vermögen) unterstützt wird; 2) dass, insofern der Natur selbst die Spezifikation ihrer allgemeinen Gesetze als ihre genuine Leistung zugeschrieben wird, dies nicht die objektive, äußere Natur betrifft, sondern die von der Urteilskraft reflektierte und gedachte Vorstellung von der Natur als Inbegriff empirischer Gesetze. 3) Bezüglich des als Satzgrafik oben zitierten Satzes (erster Satz von Absatz 7, E V) steht das Pronomen »sie« (in: »das Gesetz der Spezifikation der Natur […], das sie a priori an ihr nicht erkennt […].« ([1.5])) sowohl für »Natur«, als auch für »Urteilskraft« in dem unter 1) und 2) genannten Sinn. Dass diese Auslegung von E VI, Abs. 3, auch gewisse Probleme in sich birgt (wie z. B. das Vorliegen einer Verwechslung von Klassifikation und Spezifikation) wird erst im Zuge des Kommentars zu E VI auseinandergesetzt werden. Die ausführlicheren Bemerkungen Kants zu dem hier erläuterten Thema von E V, Abs. 7, in dem entsprechenden Abschnitt der Ersten Einleitung (V, Abs. 8–10)
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
verdienen besondere Beachtung und sind dem Kommentar zur EE teilweise entnommen. In dem als Satzgrafik wiedergegebenen ersten Satz des siebten Absatzes von E V (s. o. S. 485) wird in Verbindung mit der vom Verstand zu erkennenden Naturordnung von der »Einteilung« der allgemeinen Naturgesetze durch die Urteilskraft gesprochen ([1.5]). Eine solche Einteilung allgemeiner Begriffe, durch die das heterogene, empirisch-Besondere »als unter dem Allgemeinen enthalten« gedacht wird, nennt Kant zu Beginn des achten Absatzes von EE V die »logische Form eines Systems« (20:214.21–24). Die logische Einteilung kann auf zwei Weisen vorgenommen werden: entweder empirisch, indem sie vom Besonderen zum Allgemeinen aufsteigt, und dann ergibt die Operation eine Klassifikation des Mannigfaltigen, – oder vom allgemeinen Begriff zu den besonderen Erscheinungen herabsteigend, welche »Handlung« Spezifikation genannt wird. Die Klassifikation wird beschrieben als Vergleich zwischen »Klassen« (d. i. empirischen Begriffen, s. EE V, 9. Abs.), die jeweils unter einem bestimmten Begriff stehen. Unter eine Gattung (als höhere Klasse) werden sie erst dann subsumiert, »wenn sie nach dem gemeinschaftlichen Merkmal vollständig sind« (EE V, 8. Abs., 20:214.28–29). Diese Prozedur soll solange fortgesetzt werden, bis das Prinzip der gesamten Klassifikation (als höchste Gattung) gefunden ist. Es ist nur schwer vorstellbar, woher man wissen kann, wann die Vollständigkeit erreicht ist, die zum Übergang in die höhere Klasse berechtigt. Umgekehrt besteht das Spezifizieren des Allgemeinen zum Besonderen darin, von der höchsten Gattung zu Arten und Unterarten abzusteigen, indem zu jedem Begriff das darunter enthaltene Mannigfaltige anzugeben ist. Wie dies alles praktisch umzusetzen ist, wird nicht mitgeteilt. Das Klassifizieren, das Aufgabe der reflektierenden Urteilskraft ist, setzt, wie EE V, Abs. 9, ausführt, die Selbstspezifikation der empirischen Natur voraus (vgl. EE VI, 1. Abs.). Die Entsprechung zwischen der Spezifikation der Natur und der Klassifikation durch die Urteilskraft unterstellt, dass die Produktivität der ersteren der Operation der Urteilskraft ›angemessen‹ ist und derselben logischen Systematik unterliegt. Weil die Klassifikation eine künstliche Naturerfahrung ist, so wird die Natur auch so gedacht, dass sie sich nach einem Prinzip der »Technik der Natur« spezifiziert (EE V, 9. Abs.; 20:215.28). Es soll an dieser Stelle nicht versäumt werden, darauf hinzuweisen, dass das Problem einer philosophischen Begründung der Einteilung der Naturwesen in Gattungen und Arten, zu dem Kant transzendentale Prinzipien bereitstellen will, ein Problem ist, mit dem sich die Naturphilosophie seit der Antike immer wieder auseinandergesetzt hat, und das – was vor allem Aristoteles betrifft – von anderen Philosophen gelegentlich gründlicher und vielleicht auch erfolgreicher bearbeitet worden ist.137 Es ist nicht davon auszugehen, dass Kant entsprechende Werke von Vgl. Mayr, E. (1984): Die Entwicklung der biologischen Gedankenwelt. Berlin. Zu Aristoteles s. Tierkunde (Historia animalium) I, 1–6; Über die Entstehung der Tiere, II, 1; Über die 137
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Aristoteles gelesen hat. Er hat wohl mehr die Naturlehren aus der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts vor Augen.138 In der Philosophie nach Kant wurde das Problem der Einteilung der Natur durch Begriffe als Problem des Erkennens erneut analysiert (z. B. von Hegel). Es ist hier nicht der Ort, auf diese interessanten Aspekte einzugehen. Aufschlussreicher als die wenigen Bemerkungen zur Ordnung der Natur mittels Spezifikation und Klassifikation in den beiden Einleitungen zur KU ist die differenziertere Erörterung dieses Themas im Anhang zur transzendentalen Dialektik in der KrV (»Von dem regulativen Gebrauch der Ideen«, B 679–696 / A 651–668). Bei der Hinzuziehung dieses Textes mit dem Ziel, die Interpretation des siebten Absatzes von E V begrifflich zu verbessern, sind allerdings auch negative Folgen in Kauf zu nehmen. Das zu erschließende Theoriestück enthält seinerseits eine Fülle von Gesichtspunkten, die sich nicht mühelos in Kants Theorie der Natur und der Naturerfahrung integrieren lassen. Um die Kenntnis von Kants Versuch der systematischen Einteilung der Natur zu erklären, soll hier auf einen Zwischenkommentar zu KrV, B 679–696 jedoch nicht verzichtet werden. Am Anfang der Betrachtung steht ein logisches Prinzip, das den Zusammenhang zwischen den »Mannigfaltigkeiten einzelner Dinge«, ihrer Identität in der Art, den Arten als verschiedenen Bestimmungen von Gattungen usw. herstellen soll.139 Das logische Prinzip als allgemeine Bedingung des Vernunftgebrauchs fordert die Suche nach einer »systematische[n] Einheit aller möglichen empirischen Begriffe, sofern sie von höheren und allgemeineren abgeleitet werden können« (B 680 / A 652). Der Grund für die notwendige Funktion dieses logischen Prinzips besteht darin, dass Naturerfahrung als Schluss vom Allgemeinen auf das Besondere allgemeine Merkmale voraussetzen muss. Eine weitere Voraussetzung der logischen Ordnung der Natur ist die in der Natur selbst angenommene Idee der Übereinstimmung des Mannigfaltigen. Dies besagt auch die dem Autor bekannte »Schulregel«, dass die Prinzipien nicht mehr als notwendig vermehrt werden sollten – eine Regel, die auch in E V, 2. Abs., zitiert wird. Kant interpretiert sie dahin, »daß die Natur der Dinge selbst zur Vernunfteinheit Stoff darbiete […]« (B 680). Die Suche nach Ähnlichkeiten und Identitäten durch Vergleich des Verschiedenen, empirisch Einzelnen in der Natur nach der logischen Regel der Einheit setzt nach Kant ein transzendentales Prinzip voraus, ohne welches das Allgemeine als Einheit des Mannigfaltigen nicht gedacht werden könne und Erfahrung nicht mög-
Teile der Tiere, I, 2–4; weitere Quellen und Informationen zur Systematisierung von Gattungen und Arten bei Aristoteles s. Höffe, O. (1996): Aristoteles, 126–129; vgl. auch die Teilung des Allgemeinen und Besonderen bei Platon (Sophist. 220a–c); vgl. Kullmann, W. / Föllinger, S. (Hg.) (1997), Aristotelische Biologie, 16. 138 S. dazu den informativen Beitrag von Roth, S. (2008), Kant und die Biologie seiner Zeit, 275–287. 139 Eine Untersuchung über die Bedeutung des Logischen im Zusammenhang mit der Natureinteilung erfolgt im Kommentar zu EE V (»Exkurs«), S. 120–130.
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
lich sei. Dieses Prinzip setzt notwendig Gleichartigkeit »in dem Mannigfaltigen einer möglichen Erfahrung« voraus (B 681–682 / A 653–654). Dem »logischen Prinzip der Gattungen« (der obigen »Schulregel«) setzt Kant ein eben solches der Arten entgegen, das verlangt, dem Verschiedenen, empirisch Einzelnen in der Natur nachzuforschen. Beide Prinzipien sind gleichermaßen notwendig und begrenzen einander. Mit ihrer Differenz typisiert Kant zwei einander entgegengesetzte Methoden der Naturforschung: diejenige Richtung, die ganz auf die Entdeckung von Gattungen ausgerichtet ist, und die Empirie, die die Natur gänzlich in Mannigfaltigkeit zerlegt sehen will (B 682–683 / A 654–655). Dieser Unterschied beruht auf einem Interesse der Vernunft an beiden Prinzipien (vgl. B 694– 695 / A 666–667). Das logische Prinzip der Arten geht von der Gattung (bzw. dem bestimmten Allgemeinbegriff) aus und steigt zu dem ihr untergeordneten Mannigfaltigen hinab, indem es auf diese Weise systematische Vollständigkeit der Erkenntnis anstrebt. Die Teilung der Arten in Unterarten geht dabei ins Unendliche. Das logische Gesetz, das diesen Vorgang reguliert, ist kein anderes als das schon bekannte Gesetz der Spezifikation und wird von Kant an dieser Stelle auch so bezeichnet (der Begriff der Klassifikation findet dagegen keine Verwendung; ihm entspricht aber offenbar die »Aggregation« (B 694 / A 666)). Im Unterschied zur logischen Gattungsregel besagt nun das Gesetz der Spezifikation, die Mannigfaltigkeit der Wesen dürfe nicht ohne Grund vermindert werden (B 684 / A 656). Dieses Gesetz wird vom Verstand in Anwendung gebracht. Die Operation des Verstandes besteht dann in nichts anderem als der logischen Einteilung allgemeiner Begriffe in besondere, indem er kontinuierlich zu jeder Art Unterarten »und zu jeder Verschiedenheit kleinere Verschiedenheiten« sucht (B 684 / A 656). Die Urteilskraft greift in die Begriffsoperationen des Verstandes nicht ein. Aber der Verstand beginnt seine Handlung nicht von selbst. Er hängt dabei ab von einem anderen Erkenntnisvermögen. Die Vernunft treibt ihn nämlich dazu an mittels eines »transzendentalen« Gesetzes der Spezifikation. Durch dieses erhält das »logische« Gesetz der Spezifikation – analog zum logischen Gattungsgesetz – erst »Sinn und Anwendung«. Es handelt sich um ein Prinzip oder eine Regel der Vernunft, die erstens dem Verstand vorschreibt, nach Verschiedenheiten zu einem Allgemeinen zu suchen; und die zweitens die Vermutung voraussetzt, dass die Natur in ihren Gebilden unendlich different ist, damit der Verstand überhaupt entsprechend seiner Aufgabe tätig werden kann. »Die Vernunft bereitet also dem Verstande sein Feld […].« (B 685 / A 657). Die beiden vorgestellten Prinzipien der Vernunft und des Verstandesgebrauchs gehören aber für Kant zu einem dreigliedrigen System, in dem das erste Prinzip – das der »Homogenität« – das Mannigfaltige unter höhere Gattungen bringt, das zweite – das bekannte Prinzip der »Spezifikation« – die Verschiedenheit des Gleichartigen unter Arten und Unterarten fordert. Das Prinzip der »Kontinuität« als drittes ist die »systematische Einheit« der beiden übrigen, insofern es die Übergänge vom Besonderen (Arten) zum Allgemeinen (Gattungen) – und umgekehrt – so regelt, dass an der Spitze des Ganzen nur eine einzige allgemeine Gattung steht und die
V. Abschnitt: Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit der Natur
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Übergänge »durch alle kleineren Grade des Unterschiedes, dadurch man von einer zu der anderen gelangen kann […]«, stattfinden (B 687 / A 659). M.a.W., die Übergänge weisen in aufsteigender oder absteigender Folge der Naturformen keine Sprünge auf. Man findet also in diesem Textabschnitt der KrV die drei logischen Regeln wieder, die Kant in der Einleitung zur KU (V, 2. Abs.) als Leitprinzipien der Naturforschung erwähnt. Das Gesetz der »Affinität« bildet dabei den Dreh- und Angelpunkt, weil es garantiert, dass alle Gattungen und Arten ausnahmslos von einer einzigen höchsten Gattung ableitbar sind, so dass im Prinzip alle Naturformen (Mannigfaltigkeiten) mittelbar miteinander in Zusammenhang stehen, d. h. eine »Verwandtschaft« bilden (vgl. B 686 / A 658, B 688 / A 660, B 690 / A 662). Wie die beiden übrigen Gesetze, so setzt auch dieses ein transzendentales Prinzip voraus, und zwar dasjenige der »Kontinuität« (B 688 / A 660).140 Dass der logischen Regel ein transzendentales Gesetz der Kontinuität als Bedingung ihres Gebrauchs vorgeschaltet sein muss, wird von Kant anscheinend damit begründet, dass die Kontinuität sonst aus empirischen Versuchen erschlossen werden müsste, das Gesetz der Kontinuität damit auch bloß empirischen Status hätte, zufällig zustande käme und der Natur nicht angemessen wäre. Das veranlasst ihn zu der Feststellung, dass die drei genannten Gesetze »an sich selbst für vernunftmäßig und der Natur angemessen urteilen.« Sie empfehlen sich unmittelbar zum Gebrauch und »nicht bloß als Handgriffe der Methode« (B 689 / A 661). Auf der anderen Seite soll auch gelten, dass die Kontinuität (wie auch die beiden anderen Formverhältnisse) eine bloße Idee sei. Das bedeutet: Wie Prinzipien der reinen Vernunft generell nicht erfahrungskonstitutiv sein können, weil ihnen kein Schema der sinnlichen Anschauung gegeben werden kann (B 692 / A 664), so ist auch der Begriff der Kontinuität keine an der Naturwirklichkeit ablesbare Qualität, kein Gegenstand von Erfahrung. Die Kontinuität geht ihrem Anspruch nach gerade über die Erfahrung hinaus (B 690 / A 662). In Wirklichkeit bildeten die Spezies in der Natur gerade keinen Zusammenhang. Sie machten vielmehr »an sich ein quantum discretum« aus (B 689 / A 661). Das Kontinuitätsgesetz hat demzufolge allein den Sinn, dass es dazu aufruft, in diesem Diskreten der Natur einen durchgängigen (lückenlosen) Zusammenhang zu suchen. Die auf die Regelung des empirischen Verstandesgebrauchs abzielenden Vernunftprinzipien sind nun solche Grundsätze, die Kant in der KrV »Maximen« der Vernunft nennt. Die Vernunftmaxime der »Naturmannigfaltigkeit« und die der »Natureinheit« (B 695 / A 667) laufen ihrer inhaltlichen Bestimmung nach als Regeln der naturforschenden Tätigkeit des Verstandes auf dasselbe hinaus wie die beiden Maximen der reflektierenden Urteilskraft in der dritten Kritik. Denn die Maxime der Man könnte annehmen, dass die oben im Kommentar zu E V diskutierten Maximen der Urteilskraft diesen drei Prinzipien entsprechen. Dann würde die Maxime der Naturkausalität (des Mechanismus) dem Gesetz der Klassifikation entsprechen (s. bes. KrV B 694 / A 666: Aggregation) und die Maxime der Zweckkausalität dem Prinzip der Spezifikation. 140
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
Naturkausalität oder des Mechanismus scheint dem Gesetz der Aggregation (s. bes. KrV, B 694 / A 666) bzw. der Klassifikation ebenso zu entsprechen wie die Maxime der Zweckkausalität dem Gesetz der Spezifikation. Im ersten Fall soll die Erkenntnis der Ordnung der Natur durch die Suche nach systematischer Einheit und eines Maximums an Allgemeinheit geleitet werden, indem das empirisch Einzelne und Besondere zusammengefasst und einem gemeinsamen Begriff subordiniert wird. Im zweiten Falle beruht die Erkenntnis auf der Entdeckung der Verschiedenheit des Mannigfaltigen und Besonderen, indem die allgemeinen Begriffe in die unter ihnen stehenden Besonderheiten differenziert oder geteilt werden. Sie widerstreiten einander nicht, sofern ihr Anspruch nicht darin bestehen kann, ihre objektive Gültigkeit aus der bestimmten Erkenntnis der Naturobjekte zu beziehen. Letztlich kann dieser Interpretationsvorschlag nur eine Hypothese bleiben. Denn er lässt offen, ob es einen direkten Zusammenhang zwischen der Maxime der Naturkausalität und der begriffslogischen Operation gibt, ob er nachgewiesen werden kann und worin er besteht. Die vorgestellte Konstruktion aus drei transzendentalen Prinzipien bzw. logischen Gesetzen für die Erforschung der empirischen Natur und ihrer Ordnung durch den Verstand könnte das Modell gewesen sein, von dem in den beiden Einleitungen zur KU nur noch rudimentär Gebrauch gemacht wird. Es gibt aber auch konzeptionell auffallende Abweichungen. In der KU ist es die reflektierende Urteilskraft und nicht die Vernunft, die mit Hilfe von Begriffen und Prinzipien dem Verstandeserkennen vor- und zuarbeitet. Mögliche Gründe für eine denkbare Revision der Theorie einer logischen Naturordnung in der KrV lassen sich nur schwer ausmachen. Sie hängen im wesentlichen davon ab, wie das Verhältnis zwischen Urteilskraft und Vernunft in der KU gekennzeichnet ist. Verlässliche Aussagen darüber lassen sich aber erst nach weiteren, tiefergreifenden Analysen machen. Ein Teil der Interpretationsschwierigkeiten, die bei der Exegese von E V aufgetreten sind, beruhen auf der dort explizit getroffenen Unterscheidung zwischen logischen Gesetzen und transzendentalen Prinzipien, so dass der Eindruck entstehen könnte, als ob die nicht genau bezeichneten Maximen einerlei seien mit den für die empirische Naturforschung notwendigen logischen Verstandesregeln. Das Verhältnis der Maximen zu den logischen Gesetzen wird weder problematisiert noch überhaupt thematisiert. So scheint es auch ein transzendentales Prinzip der Kontinuität in der KU nicht zu geben, obwohl es der Sache nach für den Befund der durchgängigen »Verwandtschaft« von Gattungen und Arten eigentlich (entsprechend der referierten Argumentation aus der KrV) vorausgesetzt werden muss.
VI. Abschnitt: Gefühl der Lust und Zweckmäßigkeit der Natur
E VI Sechster Abschnitt: »Von der Verbindung des Gefühls der Lust mit dem Begriffe der Zweckmäßigkeit der Natur.« → E VII, EE VIII, (§§ 1–3, 5 ff., 9) Gliederung: Erster Absatz: Zufällige Angemessenheit der besonderen Naturordnung mit den allgemeinen Naturgesetzen Zweiter Absatz: Begriff und Funktion des Gefühls der »Lust« Dritter Absatz: Entstehen und Vergehen der Lust bei der Entdeckung der Vereinbarkeit verschiedener empirischer Naturgesetze Vierter Absatz: Heterogenität oder Homogenität des empirisch Mannigfaltigen der Natur – das Problem der Begrenzung der »idealische[n] Zweckmäßigkeit der Natur«
Der VI. Abschnitt nimmt das Thema des fünften – die Übereinstimmung des Besonderen der Natur mit allgemeinen Naturprinzipien – wieder auf, um es einer erweiterten Betrachtung zuzuführen. Diese besteht darin, den bereits diskutierten Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur mit dem Gefühl der Lust in Zusammenhang zu bringen, die Verbindung beider zu begründen und nach Art und Umfang zu erläutern. Die Einführung des Lustbegriffs im zweiten Absatz wird im ersten Absatz dadurch vorbereitet, dass die Übereinstimmung der Zweckmäßigkeit der Natur mit unserer menschlichen »Absicht« zu erkennen behauptet wird. Absatz 2 schließt auf eine Verbindung der Absicht mit dem Gefühl der Lust, dessen Allgemeinheit nachzuweisen ist. Absatz 3 sucht nach dem Grund des Empfindens bzw. Nichtbemerkens von Erkenntnis-Lust in uns und findet ihn schließlich in einem besonderen »Studium« der Natur. Der letzte Absatz des VI. Abschnittes problematisiert die Unbestimmtheit der Grenze der Zweckmäßigkeit der Natur hinsichtlich unseres Urteilsvermögens zur Vereinheitlichung und Vereinfachung der Heterogenität der empirischen Gesetze und Formen der Natur. Um den Begriff, die systematische Stellung und die Funktion des Gefühls der Lust und Unlust zu skizzieren, genügt es nicht, den VI. Abschnitt der Einleitung bloß aus sich heraus zu interpretieren. Es ist erstens der darauf folgende Abschnitt, auf den der sechste in gewisser Hinsicht vorbereitet mit, in den Blick zu nehmen, außerdem der VIII. Abschnitt der Ersten Einleitung mit ähnlicher Thematik. Genau
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
genommen zieht sich die Problematik des Gefühls von Lust und Unlust durch das gesamte erste Buch der KU (die Analytik des Schönen) und betrifft dessen schwierigste Aufgaben, wie die Erklärung des schönen Gegenstandes und die Analyse des Geschmacksurteils. Im Hinblick darauf sind die wichtigsten Implikationen und Funktionen dieses Gefühls anzugeben und mögliche Interpretationsprobleme zu kennzeichnen. Um die dabei drohende Gefahr der Ausuferung des Kommentars abzuwenden, ist eine strikte Beschränkung auf das Notwendige angezeigt.
Erster Absatz: Zufällige Angemessenheit der besonderen Naturordnung mit den allgemeinen Naturgesetzen Die bereits im V. Abschnitt thematisierte »Übereinstimmung« zwischen der besonderen Natur – d. h. ihrer empirischen Mannigfaltigkeit – und unserem Erkenntnisvermögen wird zu Beginn des VI. Abschnittes näher charakterisiert. Zunächst ist wieder (wie schon in Abschnitt V, 4. Abs.; 5:184.4) von einem »Bedürfnis« (des Verstandes) die Rede, welches darin besteht, für die besonderen Naturgesetze solche Prinzipien aufzusuchen, die das Kriterium der Allgemeinheit erfüllen. Dieses Bedürfnis folgt – wie bereits gezeigt – aus der allgemeinen Funktion des Verstandes, die Natur überhaupt und insgesamt als eine gesetzmäßige Einheit zu begreifen. Nun heißt es aber, die Übereinstimmung müsse »nach aller unserer Einsicht als zufällig beurteilt werden« (5:186.27–28). Die Zufälligkeit resultiert aus dem Umstand, dass der Verstand in diesem Falle nicht gesetzgeberisch in das besondere empirische Naturgeschehen eingreift und wegen der abstrakten Allgemeinheit seiner Begriffe das Besondere der Natur nicht erfassen und begreifen kann. Die besonderen Naturgesetze sind nicht seine Produkte, ansonsten würde ihnen (entsprechend den allgemeinen Naturgesetzen) Notwendigkeit zugeschrieben werden müssen. Das Allgemeine, dem die besonderen Naturgesetze unterzuordnen sind, wird vielmehr von der reflektierenden Urteilskraft erst entdeckt. Ihre (zufällige) Übereinstimmung ist das Ergebnis einer Beurteilung. Aber der Grund der gedachten »Übereinstimmung« ist unserer Verstandeseinsicht entzogen und muss in Hinsicht auf den Verstand insofern als »zufällig« gelten. Die Zufälligkeit bedeutet aber hier nicht völlige Beliebigkeit oder Unbestimmtheit. Denn die Übereinstimmung muss in dem Sinne auch mit Notwendigkeit angenommen werden, als sie für das Bedürfnis des Verstandes als »unentbehrlich« erachtet wird. Daraus wird gefolgert (»mithin«), dass sie als Zweckmäßigkeit gedacht werden muss. Die Zweckmäßigkeit ist dann der Grund dafür, dass die Natur mit unserer »Absicht« übereinstimmt, insofern das Ziel dieser Absicht in der Erkenntnis besteht. Auffällig ist hier, dass der Begriff der Absicht auf die Erkenntnis beschränkt wird (»nur auf Erkenntnis gerichteten«), denn das bedeutet zugleich, dass die Natur unseren praktischen Absichten (es sei solchen des freien Willens oder solchen des Begehrens) nicht entgegenkommt. Für das in E II entwickelte Grundproblem der KU,
VI. Abschnitt: Gefühl der Lust und Zweckmäßigkeit der Natur
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die Kluft zwischen Natur und Freiheit zu überbrücken, heißt dies, dass an dieser Stelle noch kein Schritt zu seiner Auflösung getan ist. Was ist genau der Inhalt der »Absicht«, von der Kant behauptet, sie stimme mit der (besonderen) Natur überein? Es kann sich nur um die Erkenntnis überhaupt handeln und hier um die der mannigfaltigen natürlichen Erscheinungen und Gesetze. Denn von der allgemeinen (theoretischen) Naturerkenntnis – der Erkenntnis im engeren Sinne – heißt es wenig später im selben Absatz, sie setze keine Absichten voraus. Die allgemeinen Verstandesgesetze (oder Kategorien, s. o. Kommentar zu EE VIII, S. 188; EE XI, S. 296) als Naturgesetze sind nämlich ihrer Beschaffenheit nach gewissermaßen schlechthin (oder unbedingt) notwendig. Dass sie zugleich Gesetze der Natur sind, beruht auf der in der KrV entfalteten Grundidee des transzendentalen Idealismus, nach der das menschliche Erkenntnisvermögen Gegenstände der Natur nur als Erscheinungen, nicht als Dinge an sich erkennen kann, und Erscheinungen wesentlich durch die reinen Verstandesformen a priori bestimmt sind. Daraus folgt, dass diese für ihre Übereinstimmung mit der Natur keiner zwecksetzenden Vermittlungsinstanz bedürfen. Zwar weist Kant in Parenthese darauf hin, dass die allgemeinen Verstandesgesetze »aus Spontaneität entsprungen« seien (5:186.32–33), aber der anschließende Vergleich mit den »Bewegungsgesetze[n] der Materie«, bei denen man z. B. an die Bewegungsgesetze in der »Phoronomie« der MAN zu denken hat,141 verdeutlicht, welche Art von Notwendigkeit sie ausdrücken. Ihre spontane Erzeugung verdanken die allgemeinen Verstandesgesetze der spontanen Tätigkeit des Verstandes, in letzter Konsequenz aber der »ursprünglichsynthetischen Einheit der Apperzeption« (bzw. des Selbstbewusstseins). Die Handlung des Verstandes, die das erkennende Subjekt zum Initiator, jedoch nicht zur alleinigen Bedingung von (theoretischer) Erkenntnis macht,142 besteht darin, das durch die sinnliche Anschauung rezipierte Mannigfaltige zu verbinden. Die Erzeugung der allgemeinen Verstandesgesetze hat deshalb keine mit dem Verstand verbundene Absicht zur Voraussetzung, »weil wir nur durch dieselben [d. i. die allgemeinen Gesetze des Verstandes] von dem, was Erkenntnis der Dinge (der Natur) sei, zuerst einen Begriff erhalten, und [lies: weil] sie der Natur, als Objekt unserer Erkenntnis überhaupt, notwendig zukommen« (5:186.34–187.2). Worin besteht in dem Zitat eigentlich das Argument der Begründung? Offenbar setzt sich die Begründung aus zwei Teilaussagen zusammen. Das erste Argument besagt sinngemäß: Die allgemeinen Verstandesgesetze allein konstituieren überhaupt erst einen bestimmten Begriff von dem, was Erkenntnis der Naturgegenstände (als Erscheinungen) bedeutet (sie sind – mit einer Formulierung aus der KrV ausgedrückt – die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung und zugleich
S. dazu weiter oben, Kommentar zu E V, S. 460. Vgl. KrV, B 74–75 / A 50–51, wonach die Rezeptivität der Sinneseindrücke und die Spontaneität der Verstandesbegriffe nur gemeinsam Erkenntnis konstituieren (vgl. auch A 97). 141
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
die Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung).143 Das »zuerst« weist an der zitierten Stelle auf ein eindeutiges Bedingungsverhältnis hin. Die durch das subjektive Erkenntnisvermögen kreierten Kategorien sind die grundlegenden (ersten, elementaren) Bedingungen der Möglichkeit von Naturerfahrung und nicht umgekehrt. Das zweite Argument (»und sie der Natur, usw.«) sagt aus, dass die allgemeinen Verstandesgesetze der Natur als Objekt unserer Erkenntnis mit Notwendigkeit beigelegt werden. Es setzt die früher erläuterte Unterscheidung Kants zwischen der material und der formal betrachteten Natur voraus (s. Kommentar zu E IV, S. 446 f.; vgl. KrV, B 163, B 165). Denn nur insofern die Natur insgesamt (Natur überhaupt) als Objekt der Erkenntnis angesehen werden kann, ist es möglich zu sagen, dass die Kategorien ihr Gesetze a priori vorschreiben (s. KrV, B 163). Die Natur hängt somit von den Kategorien »als dem ursprünglichen Grunde ihrer notwendigen Gesetzmäßigkeit (als natura formaliter spectata)« ab (KrV, B 165). Was folgt aus dieser Gedankenanalyse für die gesuchte Begründung der absichtslos geltenden Notwendigkeit der allgemeinen Verstandesgesetze? Wenn diese Gesetze (als transzendentale Prinzipien) der Erkenntnis der Natur in der Gesamtheit aller Erscheinungen begründungslogisch vorausgehen und wenn sie ihrer subjektiven Herkunft und ihres transzendentalen Charakters wegen schlechthin Notwendigkeit mit sich führen, obwohl sie gleichzeitig Erzeugnisse subjektiver Selbsttätigkeit sind, dann ist es überflüssig, ihnen auch noch besondere Absichten beizulegen, um ihre notwendige Gültigkeit als Gesetze der Natur nachzuweisen. Dies wird, wenn man das Gelingen unterstellt, durch die transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe in der KrV (§ 26) bereits geleistet. Mit dem letzten Gedankengang des ersten Absatzes (»Allein daß die Ordnung usw.«; 5:187.2–10) kommt Kant auf das eigentliche Thema desselben zurück: »Allein daß die Ordnung der Natur nach ihren besonderen Gesetzen, bei aller unsere Fassungskraft übersteigenden, wenigstens möglichen Mannigfaltigkeit und Ungleichartigkeit, doch dieser wirklich angemessen sei, ist, soviel wir einsehen können, zufällig […]« (5:187.2–6). Was wird in dem von seinen syntaktischen Zuordnungen her nicht ganz eindeutigen Satz miteinander verglichen, um eine »Angemessenheit« feststellen zu können? Die eine Seite ist die »Ordnung der Natur nach ihren besonderen Gesetzen«, die andere wohl die »Fassungskraft« (nicht die »Mannigfaltigkeit und Ungleichartigkeit«), auf die sich das »dieser« bezieht. Das menschliche Erkenntnisvermögen (insbesondere der Verstand) ist zur vollständigen Erfassung der Heterogenität der empirischen Naturformen und ihrer besonderen Gesetze aus den schon hinreichend dargestellten Gründen nicht fähig, weil der Verstand solche nicht erzeugt. Daher liegt in diesem Falle auch keine notwendige Übereinstimmung zwischen Verstandesgesetzen (die allgemein sind) und besonderen Naturgesetzen vor. Aber trotz der Überforderung des Verstandes mit der Mannigfaltigkeit und Ungleichartigkeit 143
KrV, A 111; B 197 / A 158.
VI. Abschnitt: Gefühl der Lust und Zweckmäßigkeit der Natur
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der Natur in ihren besonderen Gesetzen wird die Angemessenheit der Ordnung der Natur mit derselben Fassungskraft (dem Verstand) behauptet und ist insofern auch wirklich, mit unserer Verstandeseinsicht (nach seinen allgemeinen Gesetzen) konfrontiert allerdings zufällig. Diese Interpretation entspricht der Darstellung der zufälligen Übereinstimmung der Mannigfaltigkeit der besonderen Naturgesetze und des Bedürfnisses des Verstandes nach Allgemeinheit ihrer Prinzipien am Anfang des VI. Abschnittes. Im Anschluss an den zuletzt zitierten Satz heißt es, »die Auffindung derselben« sei »ein Geschäft des Verstandes, welches mit Absicht zu einem notwendigen Zwecke desselben, nämlich Einheit der Prinzipien in sie hineinzubringen, geführt wird« (5:187.6–8). Mit »derselben« kann dreierlei gemeint sein: die »Ordnung der Natur nach ihren besonderen Gesetzen« oder die »Fassungskraft« oder »die Mannigfaltigkeit und Ungleichartigkeit«. Wie lässt sich darüber eine Entscheidung gewinnen? Was soll der Verstand hier auffinden? Die Fassungskraft ist der Verstand selbst (vgl. die Verbindung von Verstand und »fasslicher Ordnung« in E V, 6. Abs.); sie scheidet deshalb als Möglichkeit aus. Die (unendliche) Mannigfaltigkeit kann er wegen seiner Beschränkung auf das Allgemeine nicht entdecken. Sie wird vielmehr von der Wahrnehmung gegeben. Es bleibt also nur die Ordnung der besonderen Natur als Referenz übrig. In diesem Sinne wurde ja bereits in E V, 7. Abs., das »Geschäft« des Verstandes beschrieben, zum wahrgenommenen Besonderen das Allgemeine in Form von Ordnungsprinzipien zu finden (s. o., Kommentar zu E VI, S. 409 ff.). Mit dem Auffinden solcher Prinzipien würde der Verstand, seinem »Bedürfnis« entsprechend, auch die (zufällige) Übereinstimmung von Allgemeinem und Besonderem nachweisen können. Die Art und Weise der Geschäftsführung des Verstandes in dieser Angelegenheit (»geführt wird« ist also nicht im Sinne von ›hingeführt‹ zu lesen) geschieht »mit Absicht zu einem notwendigen Zwecke desselben [nämlich des Verstandes, WE]«. Der Zweck (des Verstandes) besteht darin, »Einheit der Prinzipien in sie [d. i. die Mannigfaltigkeit und Ungleichartigkeit der besonderen Gesetze, WE] hineinzubringen« (5:187.8). Dieser Zweck ist, wie eben gezeigt worden ist, Inhalt des diskutierten Verstandesgeschäftes. Er wird jedoch nicht vom Verstand selbst an der Natur vollzogen. Denn zum Abschluss des ersten Absatzes bemerkt Kant einschränkend, die Urteilskraft müsse ihn der Natur beilegen. Denn der Verstand könne der Natur darüber kein Gesetz »vorschreiben«. Der Verstand ist in dieser Funktion gewissermaßen der Handlanger der Urteilskraft. Kant hat in diesem ersten Absatz scheinbar stichhaltig darlegen können, weshalb der Verstand auf der einen Seite (der Erzeugung der allgemeinen Naturgesetze) ohne Absicht handelt und auf der anderen Seite (der Auffindung einer einheitlichen Ordnung zum Mannigfaltigen der Natur) notwendig mit Absicht handeln muss. Der Begriff der Absicht wird ihm zum Kriterium der Abgrenzung der allgemeinen Natur bzw. Erfahrung von der besonderen Natur bzw. Erfahrung. Es können jedoch berechtigte Zweifel an der Stichhaltigkeit seiner Begründung nicht ausgeschlossen werden, und solche sind in der Forschungsliteratur auch schon vorgetragen worden. Ohne solche
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
Einwände hier diskutieren zu können, soll doch darauf hingewiesen werden, dass in Kants Werk selbst Erklärungen vorkommen, die Argumente gegen die behauptete Kollision (Unverträglichkeit) der allgemeinen Natur mit Absichten enthalten. So zeigt sich etwa in der ersten Auflage der KrV (A 104), dass mit der Erfahrung als Beziehung von Erkenntnissen auf ihren Gegenstand die Absicht verbunden ist, Notwendigkeit in diese Beziehung zu bringen und notwendige Übereinstimmung untereinander herzustellen, um den Begriff von einem Gegenstand zu gewinnen, so dass die Beliebigkeit und Zufälligkeit in der Verknüpfung überwunden wird. Auf ähnliche Weise kann in den Prolegomena gezeigt werden, dass mit den Konstitutionsbedingungen eines Erfahrungsurteils der Anspruch verbunden ist, die relative Beliebigkeit eines »Wahrnehmungsurteils« abzuändern und in notwendige objektive Gültigkeit zu transformieren. Solche Reflexionen können belegen, dass die Konstitution der Welt im Sinne der KrV kein Automatismus ist, sondern dass darüber Reflexion stattfindet.144 – Man muss von bloßen Anschauungen zu Erkenntnisurteilen kommen, um von der Situation der Vereinzelung (dem Belieben) in der bloßen Wahrnehmung wegzukommen, sofern man zu einer objektiv geordneten Welt gelangen will; und dieses Ziel muss absichtsvoll verfolgt werden; darüber muss man sich verständigen. Es scheint also nach dieser Schlussbetrachtung zum ersten Absatz nicht zwingend zu sein, den allgemeinen Verstandesgesetzen jede Erkenntnisabsicht absprechen zu wollen.
Zweiter Absatz: Begriff und Funktion des Gefühls der »Lust« Im ersten Absatz ist gezeigt worden, dass die Aufgabe des Verstandes – das »Auffinden« der Naturordnung nach besonderen Gesetzen – absichtlich geschieht, und zwar mit einer Absicht, die an den Zweck gebunden ist, Einheit der Prinzipien in das empirisch Mannigfaltige der Natur zu bringen. In Anknüpfung daran beginnt der zweite Absatz mit der allgemeinen (unbewiesenen) Aussage (Prämisse): »Die Erreichung jeder Absicht ist mit dem Gefühle der Lust verbunden« (5:187.11 f.).145 Zunächst ist zu bemerken, dass nicht das bloße Haben einer Absicht in der Vorstellung mit Lust verbunden ist, sondern erst die Einlösung derselben, d. h. die Verwirklichung des Zwecks. Die zitierte allgemeine Bestimmung wird dann durch die am Ende von Absatz 1 vorgestellte Funktion der Urteilskraft hinsichtlich der Erfüllung der Aufgabe des Verstandes auf folgende Weise eingeschränkt: Wenn die Absicht durch eine Vorstellung a priori (im Unterschied zu einer durch äußeren oder inneren Reiz ausgelösten empirischen Vorstellung) bedingt ist, dann ist das Lustgefühl durch einen »Grund a priori« bestimmt und damit allgemeingültig Vgl. zum Wahrnehmungsurteil Prolegomena, § 20 (4:300–302); § 17 (4:296 f.); § 19 (4:299). 145 Die Verbesserung in der Ausgabe Hartenstein in »jener Absicht« ist weder zwingend, noch gerechtfertigt. 144
VI. Abschnitt: Gefühl der Lust und Zweckmäßigkeit der Natur
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(»für jedermann gültig«). Die Vorstellung a priori, um die es im Zusammenhang mit dem in Absatz 1 dargelegten »Geschäft« des Verstandes geht, ist »ein Prinzip für die reflektierende Urteilskraft überhaupt«. Allem Anschein nach ist damit das am Anfang von Abs. 1 genannte Prinzip der Zweckmäßigkeit gemeint, d. h. die Übereinstimmung (Angemessenheit) der mannigfaltigen, ungleichartigen empirischen Natur mit dem Zweck unseres Erkenntnisvermögens, das Mannigfaltige der Natur nach Prinzipien zu vereinheitlichen. Die Lust, um die es in diesem Zusammenhang geht, ist demnach weder ein empirisches, noch ein abstrakt unbestimmtes Gefühl, sondern ein a priori bestimmtes und begründetes und damit allgemeingültiges. Der Grund wird näher bestimmt als »die Beziehung des Objekts auf das Erkenntnisvermögen« (5:187.15–16); das soll bedeuten, dass der Begriff der Zweckmäßigkeit in keiner Weise Bezug nimmt auf das Begehrungsvermögen, wodurch sich diese Zweckmäßigkeit »von aller praktischen Zweckmäßigkeit der Natur« unterscheide (5:187.18). Der Grund der Lust ist also auf dieselbe Weise auf die (theoretische) Erkenntnis eingeschränkt wie in Abs. 1 die Absicht. Es ist die Lust des Forschers beim Herangehen an die Natur mit der Absicht, in ihr eine zweckmäßige Ordnung nach besonderen Gesetzen zu entdecken. Aus diesen Bemerkungen lassen sich folgende Schlüsse ziehen: 1) Da die betreffende Zweckmäßigkeit sich von der praktischen Zweckmäßigkeit der Natur unterscheiden soll, die ein technisch-praktisches Prinzip sein muss (und deshalb nicht mit der in E V, 2. Abs., angeführten praktischen Zweckmäßigkeit identisch sein kann), ist sie die Zweckmäßigkeit der Natur, genauer: die formale Zweckmäßigkeit als transzendentales Prinzip der reflektierenden Urteilskraft (s. Kommentar zu E V, 1. Abs.). 2) Bei dem Begehrungsvermögen muss es sich um das sogenannte »untere« Begehrungsvermögen (die naturbedingte Willkür) handeln (s. o. Kommentar zu E III, S. 427, 429 ff.). 3) Die »Beziehung des Objekts auf das Erkenntnisvermögen« ist die (formale) Zweckmäßigkeit der Natur. 4) Das Erkenntnisvermögen, von dem die Rede ist, ist die reflektierende Urteilskraft überhaupt, unter Abstraktion von den spezifischen Merkmalen der ästhetischen und der teleologischen Urteilskraft. Zusammenfassend lässt sich nun folgendes sagen: Die laut Abs. 1 auf Erkenntnis gerichtete Absicht ist eine solche, die einen Grund a priori hat, durch den sie bedingt ist, nämlich das transzendentale Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit der Natur als Prinzip der reflektierenden Urteilskraft überhaupt. Dass auch die mit der Erfüllung dieser Absicht verbundene Lust a priori bestimmt und allgemeingültig ist, folgt dann aus der bisher nicht bewiesenen allgemeinen Voraussetzung, dass die Einlösung »jeder« Absicht mit dem Gefühl der Lust verbunden sei. Ihr Verbundensein sagt nichts darüber aus, ob zwischen Absicht und Lust ein Kausalverhältnis besteht und ob die Absicht der Lust dann vorhergeht. Es gibt aber einen Bedingungszusammenhang von Grund und Folge zwischen beiden derart, dass wenn die Absicht durch das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft überhaupt bedingt ist, dann hat das Gefühl der Lust den bezeichneten Grund a priori (»durch die Beziehung des Objekts auf das Erkenntnisvermögen«) und ist allgemeingültig.
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
Dritter Absatz: Entstehen und Vergehen der Lust bei der Entdeckung der Vereinbarkeit verschiedener empirischer Naturgesetze Der dritte Absatz (5:187.19–188.10) scheint die Funktion einer indirekten Bestätigung des im zweiten Absatz bestimmten Begriffs des Lustgefühls zu haben. Darauf deuten die Anfangsworte »In der Tat«, die sich innerhalb des dritten Absatzes auf den »Grund einer sehr merklichen Lust« vorausbeziehen und auf den »Grund a priori« im zweiten Absatz zurückbeziehen lassen. Demnach liegen in den Absätzen 2 und 3 zwei unterschiedliche Arten des Begründens vor. Die erste Art beruht auf dem Bedingungsverhältnis zwischen dem Grund der Absicht und dem der Lust. Die zweite Art schließt das Gegebensein eines wirklichen Lustempfindens (»einer sehr merklichen Lust«) ein. Ähnlich wie im ersten Absatz werden zunächst wieder zwei Betrachtungsweisen der Natur, nämlich die nach allgemeinen und die nach besonderen Naturgesetzen, miteinander konfrontiert. Vom »Zusammentreffen der Wahrnehmungen mit den Gesetzen nach allgemeinen Naturbegriffen (den Kategorien)« (5:187.19 f.) soll gelten, dass es »nicht die mindeste Wirkung auf das Gefühl der Lust« (5:187.21) in uns erregen kann. Der Grund dafür ist, dass der Verstand bei der Anwendung der Kategorien auf die Natur mit Notwendigkeit verfährt und diese – wie im Kommentar zum ersten Absatz gezeigt – Absichtlichkeit ausschließt. Die Wirkungslosigkeit der Übereinstimmung von Wahrnehmungen und allgemeinen Naturgesetzen in Bezug auf das Gefühl der Lust ergibt sich dann aus der in Absatz 2 nachgewiesenen Kombination von Absicht und Lust. Demgegenüber wird die »entdeckte Vereinbarkeit zweier oder mehrerer empirischen heterogenen Naturgesetze unter einem sie beide befassenden Prinzip« als »Grund einer sehr merklichen Lust« (d. h. einer empfundenen, spürbaren Lust, die subjektiv und individuell zu sein scheint) ausgewiesen (5:187.23–25). Diese Entdeckung ist das Resultat des in Absatz 1 erwogenen Verstandesgeschäftes, »die Ordnung der Natur nach ihren besonderen Gesetzen« aufzufinden (vgl. E VI, 1. Abs.; 5:187.2–3). Die »sehr merkliche« Lust kann noch gesteigert werden bis zu einer (dauerhaften) »Bewunderung«, von der es heißt, sie höre auch dann nicht auf, wenn uns der Gegenstand derselben hinreichend vertraut sei. Mit der Verstärkung der Lust bis zur Bewunderung scheint sich aber zugleich auch das unmittelbare Empfinden der Lust zu verlieren. Die gewissermaßen zur Routine (Gewohnheit) gewordene Erkenntnis scheint das (empirische) Lustgefühl abzustumpfen: »Zwar spüren wir an der Faßlichkeit der Natur und ihrer Einheit der Abteilung in Gattungen und Arten, wodurch allein empirische Begriffe möglich sind, durch welche wir sie nach ihren besonderen Gesetzen erkennen, keine merkliche Lust mehr; aber sie ist gewiß zu ihrer Zeit gewesen, und nur weil die gemeinste Erfahrung ohne sie nicht möglich sein würde, ist sie allmählich mit dem bloßen Erkenntnisse vermischt und nicht mehr besonders bemerkt worden. –« (5:187.27–34) Das Lustempfinden nimmt nach diesen Auskünften in dem Grade ab wie die Erkenntnis zunimmt bis es als Empfinden ganz unterdrückt ist. Das bedeutet jedoch
VI. Abschnitt: Gefühl der Lust und Zweckmäßigkeit der Natur
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nicht, dass das Gefühl der Lust als eines a priori begründeten und allgemeingültigen Prinzips verschwände. Es wandelt sich vielmehr in seiner Bedeutung und Funktion von einem subjektiv individuellen Empfinden zu einem objektiven, allgemeingültigen (intellektuellen) Gefühl a priori. Dieser Übergang ist von dem Moment an vollzogen, in dem eine (bestimmte) Vereinheitlichung mannigfaltiger Naturformen nach Gattungen und Arten, die die alleinige Bedingung der Möglichkeit empirischer Begriffe ist (!) (die wiederum die nötigen Mittel sind, die Natur »nach ihren besonderen Gesetzen« zu erkennen), zu einem allgemein anerkannten und etablierten Forschungsstandard gediehen ist. Dieser Prozess des Entstehens und Vergehens des Lustempfindens erscheint hier als ein vergangener (geschichtlicher). Die Lust, die nicht mehr bemerkt wird, »ist gewiß zu ihrer Zeit gewesen« – nämlich zu der Zeit der Entdeckung der Vereinbarkeit mehrerer heterogener Naturgesetze unter einem gemeinsamen Prinzip. Sie ist »allmählich« vergangen, indem sich sozusagen die Aufmerksamkeit auf die bloße Erkenntnis verlagert hat, bis sie schließlich nicht mehr von ihr zu unterscheiden war. Es lässt sich aus der hier interpretierten Textstelle nicht ermitteln, ob der beschriebene historische Vorgang als ein individual- oder gattungsgeschichtlicher gemeint sein soll. Vermutlich ist beides denkbar, und vielleicht ist auch beides intendiert. Denn da es um die Veränderung einer spürbaren Lust geht, handelt es sich um das individuelle Empfinden dieses oder jenes Entdeckers. Das Verschwinden dieser Lust scheint aber von der allgemeinen Akzeptanz einer Entdeckung durch eine wissenschaftliche Gemeinschaft abzuhängen. In dem hinter dem Gedankenstrich fortlaufenden Text wird aus der bisherigen Analyse im dritten Absatz ein Schluss gezogen; darauf deutet das »also« hin. Der Satz, in dem er ausgedrückt wird, ist ohne eine künstliche Gliederung schwer durchschaubar. Es kann deshalb wieder das Hilfsmittel einer Satzgrafik eingesetzt werden: [1] Es gehört also etwas, [1a] das in der Beurteilung der Natur auf die Zweckmäßigkeit derselben für unseren Verstand aufmerksam macht,
}
[1.1] ein Studium, [1.1a] ungleichartige Gesetze derselben womöglich unter höhere, obwohl immer noch empirische, zu bringen,
} [2] dazu, um,
{ [2a] wenn es gelingt, [2.1] an dieser Einstimmung derselben für unser Erkenntnisvermögen, {[2.1a] die wir als bloß zufällig ansehen, [3] Lust zu empfinden. (5:187.34-188.2)
Satzgrafik Nr. 20
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
Die Folgerung ist als Resultat der vorhergehenden Betrachtung im dritten Absatz zu verstehen. Sie erklärt, unter welcher zusätzlichen Bedingung das Empfinden von Lust hinsichtlich der Übereinstimmung (»Einstimmung«) zwischen den heterogenen Naturgesetzen und unserem Erkenntnisvermögen ([2.1]) (d. i. dem menschlichen Verstand) entsteht. Die Übereinstimmung besteht zwischen empirischen Naturgesetzen in Beziehung auf ein ihnen gemeinsames empirisches Gesetz von höherer Allgemeinheit. Sie ist nur subjektiv gültig, nämlich »für unser Erkenntnisvermögen« ([2.1]). Dass die erkannte Übereinstimmung zufällig ist, folgt aus der Analyse von Absatz 1. Sie gilt im Hinblick auf die Verstandestätigkeit. Zum anderen beruht die Notwendigkeit einer Zusatzbedingung darauf, dass es »etwas« ([1]) geben muss, das die Aufmerksamkeit des Verstandes auf die Zweckmäßigkeit der Natur lenkt (»für unseren Verstand aufmerksam macht« ([1a])), wenn die besondere Natur beurteilt wird. Der Verstand bedarf gewissermaßen eines solchen Anstoßes, einer Anregung von außen, um sein im ersten Absatz beschriebenes »Geschäft« ausüben zu können. Die Zusatzbedingung (das »etwas« ([1])) besteht in einem Naturstudium, das darauf abzielt, heterogene Naturgesetze unter empirisch-allgemeine Gesetze zu subsumieren. Es bleibt also nicht dem blinden Zufall überlassen, ob sich ein Einklang zwischen heterogenen empirischen Gesetzen der Natur finden lässt, der mit unserem Erkenntnisvermögen übereinstimmt, sondern es wird vorsätzlich (mit Absicht) durch den Einsatz der Erkenntnisvermögen des Subjekts in der Natur danach gesucht. Das Studium der Natur muss einer Vereinbarkeit von Besonderem und Allgemeinem vorausgehen, weil diese ja laut Kants Formulierung am Anfang des dritten Absatzes eine »entdeckte« ist (5:187.23). Ein solches Studium, das von heterogenen Naturgesetzen ausgeht und zur ›Entdeckung‹ homogener Naturgesetze führt, entspricht der im ersten Absatz vorgefundenen Aufgabe (»Geschäft«) des Verstandes, der damit zum Instrument empirischer Naturforschung wird. Nun ist die Ausdrucksweise Kants in dem zitierten Satzgefüge moderat. Es bleibt offen, ob eine solche methodisch ausgerichtete, zielorientierte Forschungstätigkeit tatsächlich immer zum erhofften Erfolg führt (»womöglich« ([1.1a]), »wenn es gelingt« ([2a])). Die gesuchte Übereinstimmung hat demnach von vornherein bloß den Charakter einer Hypothese. Im letzten Satz des dritten Absatzes wird das hypothetische Gegenteil der Annahme von der Entdeckung von Homogenität unter empirischen Naturgesetzen durchgespielt, d. h. die Prognose, dass bereits eine einfache Naturforschung, die »über die gemeinste Erfahrung« hinausginge (5:188.5), erlaubte, eine Heterogenität der Naturgesetze vorherzusagen (zu antizipieren), »welche die Vereinigung ihrer besonderen Gesetze unter allgemeinen empirischen für unseren Verstand unmöglich machte« (5:188.6 f.). Unter dieser Voraussetzung wäre nicht ein Gefühl der Lust die Folge der Nachforschung für das subjektive Erkenntnisvermögen, sondern ein »[M]ißfallen« (d. i. Unlust).
VI. Abschnitt: Gefühl der Lust und Zweckmäßigkeit der Natur
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Der mit einem »weil« eingeleitete kausale Nebensatz (5:188.8–10) gibt den Grund dafür an, dass ein solches »[M]ißfallen« entstehen könnte, und zwar weil dieses negative Resultat »dem Prinzip der subjektiv-zweckmäßigen Spezifikation der Natur in ihren Gattungen und unserer reflektierenden Urteilskraft in der Absicht der letzteren widerstreitet« (5:188.8–10). Das Prinzip der Spezifikation der Natur für das erkennende Subjekt, das im Kommentar zu Abschnitt V (Abs. 7) erörtert worden ist, bestand darin, dass die Urteilskraft in Rücksicht auf sich selbst annimmt, dass die Natur ihre allgemeinen Gesetze gemäß dem Prinzip der Zweckmäßigkeit so spezifiziert, dass dies dem Geschäft des Verstandes angemessen ist, verschiedene Arten in einer Einheit von Prinzipien zu verknüpfen. Geht man davon aus, dass das »Prinzip der subjektiv-zweckmäßigen Spezifikation« gültig ist, dann »widerstreitet« ihm die angenommene Heterogenität insofern, als es sinnlos und leer wird; es soll Naturformen spezifizieren, die so disparat sind, dass sie sich jeder Einordnung entziehen. Der reflektierenden Urteilskraft »widerstreitet« die Heterogenität eben deswegen, weil sie zur Absicht hat, den Zweck des Verstandes, »Einheit der Prinzipien« in der Mannigfaltigkeit der empirischen Natur zu finden, der Natur beizulegen (vgl. E VI, Ende Abs. 1).
Vierter Absatz: Heterogenität oder Homogenität des empirisch Mannigfaltigen der Natur – das Problem der Begrenzung der »idealische[n] Zweckmäßigkeit der Natur« Der vierte Absatz (5:188.11–29) schließt unmittelbar an den dritten an, indem er auf einen dort entwickelten Gedanken, der als »Diese Voraussetzung der Urteilskraft« (5:188.11) bezeichnet wird, Bezug nimmt. Der im dritten Absatz analysierte Sachverhalt ist in seinem Resultat also »Voraussetzung« (obwohl dieser Begriff dort nicht fällt) der reflektierenden Urteilskraft, d. h. für die Urteilskraft in ihrem Bemühen, durch Reflexion heterogene empirische Naturgesetze unter ebensolche von höherer Allgemeinheit zu subsumieren und so eine zufällige Übereinstimmung mit unserem Erkenntnisvermögen zu erzielen, die uns Lust empfinden lässt. Der Genitiv in »Diese Voraussetzung der Urteilskraft« ist in objektiver Bedeutung (nicht als genetivus subiectivus) zu lesen. Es geht also nicht darum, dass die Urteilskraft selbst bzw. ein bestimmter Aspekt an ihr als Voraussetzung für etwas anderes zu nehmen ist. Die »Voraussetzung« für die reflektierende Urteilskraft und ihr Geschäft besteht dann offenbar darin, dass die Natur sich »in ihren Gattungen« subjektiv-zweckmäßig – also zweckmäßig in Hinsicht auf das Subjekt und sein Erkenntnisvermögen – spezifiziert und sich dadurch qualifiziert, sich unserem nach dem Prinzip der Zweckmäßigkeit urteilenden Erkenntnisvermögen angemessen zu machen. Die »idealische Zweckmäßigkeit der Natur« (5:188.12) scheint sich auf die zufälliger-
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
weise gelungene Übereinstimmung und Verallgemeinerung heterogener Gesetze der Natur zum Zweck unseres Erkenntnisvermögens (3. Abs.) zu beziehen. »Idealisch« heißt die Zweckmäßigkeit dann deswegen, weil nach Kants Vorstellung unbestimmt ist, wie weit die als bloß zufällig angesehene Übereinstimmung der Natur in ihren empirischen Gesetzen mit dem Erkenntnisvermögen wirklich gelingt. Das ›Idealische‹ könnte sonst auch mit der »Idealität der Zweckmäßigkeit im Schönen der Natur« (KU, § 58, 9. Abs. (5:350.3 f.), vgl. ebd., 2. Abs. (5:347.4 f.)) in Zusammenhang gebracht werden, welche im Unterschied zum »Realismus der Zweckmäßigkeit« (5:350.10 f.) mit keinem Zweckbegriff in Verbindung stehen darf. Aber dann wären wir im sechsten Abschnitt der Einleitung ausschließlich mit der subjektiven Zweckmäßigkeit der ästhetischen Urteilskraft konfrontiert. Das jedoch erscheint als unwahrscheinlich oder sogar als ausgeschlossen. Denn die ästhetische Urteilskraft kann sich nicht auf heterogene empirische Gesetze der Natur beziehen, um unter ihnen Übereinstimmung zu entdecken. Ihre Beurteilung hat das Schöne an einzelnen (isolierten) Erscheinungen der Natur zum Gegenstand. Die Kernaussage über die im vierten Absatz des sechsten Einleitungsabschnittes genannte »Voraussetzung« (5:188.11) ist die der Unbestimmtheit der Zweckmäßigkeit der Natur in Hinsicht auf ihre Reichweite und ihre möglichen Grenzen »für unser Erkenntnisvermögen« (5:188.12 f.). Kants Ausdrucksweise zeigt Unschärfen und gewährt damit einen – mit seinen sonst aufgestellten und erläuterten Prinzipien verglichen – unakzeptablen Toleranzspielraum. Er bemerkt nämlich, dass, wenn die beobachtende Naturforschung die Überzeugung vermittle, dass wir »zuletzt auf eine Mannigfaltigkeit von Gesetzen stoßen, die kein menschlicher Verstand auf ein Prinzip zurückführen kann« (5:188.15 f.), wir auch damit zufrieden sein könnten. Das kann aber doch nicht wirklich ernst gemeint sein (obwohl das Ende des Absatzes eigentlich keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit aufkommen lässt). Der Autor der KU kann sich nicht mit der Annahme »zufrieden« erklären, dass die empirische Naturforschung eine Hypothese annimmt, die dem Prinzip geradewegs entgegengesetzt ist, auf das sich das über die KrV hinaus erweiterte System der Natur und der Erfahrung und damit die dritte Kritik insgesamt stützt. Für dieses Vorhaben ist es nämlich unverzichtbar, von einer durchgängigen (lückenlosen) und insofern auch unbegrenzten Gültigkeit des Prinzips der Zweckmäßigkeit der Natur im Prozess ihrer Spezifikation auszugehen. Allerdings ist es nicht auszuschließen, dass Kant mit dem Eingeständnis der Zufriedenheit eine abgeschwächte Form von »Lust« meint, denn zwischen Lust und Unlust sind Grade der Veränderung denkbar. Dennoch dürfte das festgestellte systematische Problem dadurch nicht aufgelöst sein. Auch die gewissermaßen nachgeschobene Erklärung, die gegenteilige Prognose »lieber« zu hören (weil sie hoffnungsvoll stimme),146 (»daß, je mehr wir die Natur im Inneren kennen würden, oder mit äußeren uns jetzt unbekannten Gliedern Als möglichen Kandidaten, der als ein solcher Hoffnungsträger fungiert, könnte wieder an Linné erinnert werden. 146
VI. Abschnitt: Gefühl der Lust und Zweckmäßigkeit der Natur
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vergleichen könnten, wir sie in ihren Prinzipien um desto einfacher und bei der scheinbaren Heterogenität ihrer empirischen Gesetze einhelliger finden würden, je weiter unsere Erfahrung fortschritte« (5:188.18–22), kann für Kant nicht einfach eine Frage des Abwägens aus Liebhaberei bedeuten. Der nachfolgende »Denn«-Satz (5:188.22–29) soll jedoch begründen, weshalb die zweite Hypothese der ersten vorzuziehen wäre. Weil die reflektierende Urteilskraft nämlich verlangt, dass wir bei der empirischen Erforschung der Natur »nach dem Prinzip der Angemessenheit der Natur zu unserem Erkenntnisvermögen« verfahren (5:188.23 f.), können wir nicht nur, sondern wir müssen annehmen, dass sich zu aller vorfindbaren empirisch-heterogenen Mannigfaltigkeit prinzipiell systematische Einheit finden lässt. Es kann demnach nicht offen bleiben, wie weit das Prinzip der Angemessenheit reicht, bzw. »ob es irgendwo seine Grenzen habe oder nicht« (5:188.26). Aber gerade das wird von Kant am Ende des sechsten Abschnittes behauptet, und zwar mit einer kaum überzeugenden Begründung: Wir könnten zwar hinsichtlich »des rationalen Gebrauchs unserer Erkenntnisvermögen Grenzen bestimmen«, aber »im empirischen Felde« sei »keine Grenzbestimmung möglich« (5:188.26–29). Diese Unmöglichkeit erscheint plausibel, wenn man daran denkt, dass empirische Daten in der Welt oder das von Kant oft dafür gebrauchte Mannigfaltige der empirischen Natur endlos vermehrt werden kann. Das Empirische ist seiner Natur nach unbegrenzt. Die Grenzen des rationalen Gebrauchs unserer Erkenntnisvermögen sind bestimmt durch die jeweilige kritische Grenzziehung des Gebrauchs der oberen Erkenntnisvermögen (Verstand, Urteilskraft, Vernunft) und ihrer Begriffe in den drei kritischen Hauptwerken. Die Unmöglichkeit einer Grenzbestimmung des Empirischen kann jedoch kein Grund dafür sein, die Frage, ob das Prinzip der Angemessenheit »irgendwo seine Grenzen habe oder nicht«, unentschieden stehen zu lassen. In EE V (9. Abs.) ist genauer nachzulesen, was Kant unter diesem Prinzip versteht. Es ist ein solches, nach dem die Natur spezifizierend verfährt, um sich dadurch der Empfänglichkeit der reflektierenden Urteilskraft angemessen zu machen. Die Rezeptivität der Urteilskraft besteht darin, zu der unendlichen Mannigfaltigkeit der empirischen Dinge hinreichende »Verwandtschaft« »anzutreffen«, um jene klassifizieren und zu einem »empirischen System der Natur« bilden zu können. Ein solches empirisches System erfordert der Sache nach Vollständigkeit. Die nicht als unmöglich ausgeschlossene Begrenzung des Prinzips der Angemessenheit würde bedeuten, dass notwendigerweise ein empirischer Rest übrig bliebe, der dem Reflexionsvermögen unangemessen ist. Dieser Rest wäre demnach nicht in das empirische System integrierbar. Das Prinzip der Angemessenheit darf also in Ansehung des Empirischen keine Grenze haben, gerade wegen der Grenzenlosigkeit des Mannigfaltigen der Natur und der geforderten systematischen Einheit.
VII. Abschnitt: Ästhetische Vorstellung der Zweckmäßigkeit der Natur
E VII Siebter Abschnitt: »Von der ästhetischen Vorstellung der Zweckmäßigkeit der Natur.« Gliederung: Erster Absatz: Ästhetische Merkmale der Vorstellung von Dingen »außer uns« Zweiter und dritter Absatz: »Ästhetische Vorstellung der Zweckmäßigkeit« Vierter und fünfter Absatz: Das »Geschmacksurteil« und das »Gefühl der Lust« Sechster und siebter Absatz: Einteilung der Kritik der ästhetischen Urteilskraft
Erster Absatz: Ästhetische Merkmale der Vorstellung von Dingen »außer uns« Der erste Absatz des vorliegenden Abschnittes enthält eine Paraphrase der Hauptbedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis als Erfahrung nach den transzendentalen Prinzipien der KrV. Er dient der Vorbereitung auf die Positionierung des Gefühls von Lust bzw. Unlust im Hinblick auf die Erkenntnis des Gegenstandes der Vorstellung (2. Abs.). Es wird an Merkmale des transzendentalen Idealismus erinnert, die in den Lehrstücken der ersten »Kritik« zu finden sind. Der Absatz beginnt mit einigen grundlegenden, dem Kant-Leser zwar vertrauten Unterscheidungen, die aber trotzdem interpretatorische Fragen aufwerfen, weil sie in sehr komprimierter Form vorgetragen werden. Zunächst wird ganz allgemein von der »Vorstellung eines Objekts« gesprochen. An ihr zeigen sich zwei unterschiedliche Beziehungen. Diese Unterscheidung ist in den Ausdrücken »ästhetische Beschaffenheit« (5:188.35) und »logische Gültigkeit« (5:189.2) der Objektvorstellung zusammengefasst, die die Trennung zwischen einer subjektiven und einer objektiven Seite der Vorstellung anzeigen. Die »ästhetische Beschaffenheit« einer Objektvorstellung muss eine anschauliche sein, durch die ein Objekt wahrgenommen wird. Sie drückt demnach die Beziehung der Vorstellung auf das Subjekt unter Abstraktion vom Gegenstandsbezug aus. Damit aber lässt sie sich nicht wie ihr Gegenstück (die logische Gültigkeit) zur Erkenntnis befördern. Die Beziehung der Vorstellung auf den Gegenstand macht dagegen dessen Bestimmung aus und verhilft zu dem, was Erkenntnis genannt wird. Diese objektive Seite der Vorstellung nennt Kant »logische Gültigkeit«. Was aber bedeutet diese Ausdrucksweise? Dasjenige, was maßgeblich zur Bestimmung eines Erkenntnisgegenstandes beiträgt, sind die logischen Formen des Verstandes, und zwar sofern sie nicht bloß als Formen aufgefasst werden (denn dann wäre auch die logische
VII. Abschnitt: Ästhetische Vorstellung der Zweckmäßigkeit der Natur
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Gültigkeit nur auf das Subjekt bezogen), sondern als logische Funktionen zum Gebrauch in Erkenntnisurteilen dienen, denn dadurch beziehen sie sich notwendig auf ein Objekt.147 Über die beiden Beziehungsweisen, die an der Vorstellung eines Objekts in analytischer Trennung betrachtet werden können, heißt es nun im Text, dass sie in der aktualen sinnlichen Erkenntnis eines Gegenstandes einen Zusammenhang bilden. Handelt es sich bei den Gegenständen um »Dinge außer mir«, so nehmen wir sie räumlich wahr. Hier ist nun die »Qualität des Raumes« »das bloß Subjektive« der Vorstellung von Dingen. Die Subjektivität des Raumes ergibt sich daraus, dass er eine subjektive, reine Form sinnlicher Anschauung a priori ist. Wegen eben dieser subjektiven Beziehung auf den Raum werden die Gegenstände aber auch als Erscheinungen, nicht als Dinge an sich gedacht. Denn dass ein Gegenstand Erscheinung ist bedeutet, dass er Gegenstand immer nur in Relation auf das erkennende Subjekt ist, insofern es räumlich anschaut. Die Zeit als die andere Form der Anschauung, die zur Erkenntnis eines Gegenstandes beiträgt, wird in diesem Zusammenhang nicht erwähnt, weil es sich hier im wesentlichen um die Vorstellung äußerer Objekte handelt. »Außer uns« befinden sich Gegenstände, insofern sie im »äußeren Sinn« vorgestellt werden.148 Was die »Qualität« des Raumes, die zur subjektiven Seite der Vorstellung äußerer Gegenstände gehört, angeht, so umfasst sie die folgenden, im ersten Abschnitt der transzendentalen Ästhetik der KrV (B 37–45 / A 22–30) enthaltenen Bestimmungen: 1) Apriorität (Nicht-Empirizität), 2) Subjektivität, 3) Apodiktizität (Notwendigkeit), 4) Einheit und Form der äußeren sinnlichen Anschauung (nicht Begriff, nicht Empfindung, nicht innere Anschauung), 5) Rezeptivität und Passivität des äußeren Sinnes, 6) objektive Allgemeingültigkeit, 7) empirische Realität und transzendentale Idealität (keine Eigenschaft von Dingen an sich). Der Raum ist aber – wie es nun weiter in Abs. 1 von E VII heißt – trotz seiner festgestellten bloß subjektiven Qualität »doch ein Erkenntnisstück der Dinge als Erscheinungen« (5:189.9), d. h. zugleich Ermöglichungsbedingung der Anschauung äußerer Dinge. Er ist im Hinblick auf Gegenstände als Erscheinungen erkenntniskonstitutiv, insofern er (was Kant an der betreffenden Stelle nicht ausführt) mit den Erkenntnisfunktionen des Verstandes verbunden wird. Im Unterschied zu der an der Vorstellung eines Objektes zunächst vorgefundenen »ästhetischen Beschaffenheit« als einer bloß subjektiven Beziehung, wird sie als räumliche Vorstellung in einer Erkenntnis zu einer subjektiven Beziehung an etwas Objektivem (als Erscheinung) gebracht. Zu den angesprochenen Erkenntnisfunktionen des Verstandes gehören alle Elemente aus der Analytik der transzendentalen Logik innerhalb der KrV, d. h. die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption, die Kategorien und Grundsätze usw. Insofern die Vorstellung eines Gegenstandes nicht mehr nur unter der Bedin147 148
Vgl. Wolff, M. (1995), Die Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel, 20–23. Vgl. KrV, B 37 / A 22 f. (transzendentale Ästhetik, § 2).
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
gung der subjektiven Form äußerer Anschauung steht, sondern auch den Verstandesgesetzen zu genügen hat, und zwar in Übereinstimmung mit der Raumqualität, ist die daraus hervorgehende Erkenntnis objektiv gültig. Die in Bezug auf die Vorstellung eines Gegenstandes zunächst bloß logisch gültige subjektive Beziehung wirkt sich nun in Hinsicht auf die Vorstellung eines äußeren Objekts dahin aus, dass der Gegenstand als Erscheinung erkannt wird, insofern seine Vorstellung durch die transzendentallogischen Formen und Gesetze des Verstandes bestimmt wird.149 Außer der Raumform gehört zur subjektiven Beziehung unserer Vorstellung von einem Objekt noch die (äußere) Empfindung. Sie drückt aber nicht die Form, sondern das Materiale oder Reale einer dinglichen Vorstellung – etwas Subjektives in einem inhaltlichen Sinne – aus. Gleichwohl wird auch sie zu einem unverzichtbaren Element der Erkenntnis (äußerer) Objekte erklärt. Also drückt auch die Empfindung eine objektivierte subjektive Beziehung aus. Durch die Empfindung wird nämlich der Gegenstand in seiner Existenz überhaupt erst »gegeben«.150 Kant kann hier aufbauen auf seine Betrachtungen in der Analytik der Grundsätze des reinen Verstandes in der KrV. Dort wurde an mehreren Stellen die Frage nach dem durch die Empfindung vermittelten »Stoff« der Erfahrung bzw. nach dem »Realen in der Erscheinung« unter verschiedenen Gesichtspunkten erörtert.151
Zweiter und dritter Absatz: »Ästhetische Vorstellung der Zweckmäßigkeit« Im ersten Absatz wurden die subjektiven Bedingungen der Vorstellung bzw. der Erkenntnis äußerer Objekte skizziert. Der zweite Absatz läuft darauf hinaus, argumentativ zu zeigen, dass durch die Verbindung einer Vorstellung mit dem Gefühl von Lust und Unlust eine »ästhetische Vorstellung der Zweckmäßigkeit« (5:189.30) erzeugt wird. Auf dieser Grundlage werden im dritten Absatz schrittweise wichtige Kategorien der Ästhetik entwickelt: das ästhetische Urteil, der Geschmack, der schöne Gegenstand. Der Anfang des zweiten Absatzes verdeutlicht, weshalb Kant es im ersten Absatz für angebracht hielt, an Lehrinhalte der transzendentalen Ästhetik in der KrV zu erinnern. Er braucht dieses Theoriestück des transzendentalen Idealismus als Kontrastmittel zur Bestimmung von Lust und Unlust. Anders nämlich als die subjektive Form der äußeren Anschauung, der Verstandesformen, anders auch als das Reale der Empfindung, sind Lust und Unlust subjektive Bestimmungen an einer
Zur Unterscheidung zwischen logischer und objektiver Gültigkeit vgl. KrV, Vorrede zur 2. Aufl., Fn. zu B XXVI. 150 Der Begriff der Empfindung, der den Gegenstand als das Reale der Erscheinungen gibt, spielt eine wichtige Rolle in den »Antizipationen der Wahrnehmung« innerhalb der KrV, insofern mit ihr die Vorstellung einer intensiven Größe verbunden ist (B 207–218). 151 Vgl. u. a. B 270, B 272–274 / A 225–226; B 207–211; B 214–218 / A 172–176; B 224 f; B 228 / A 185. 149
VII. Abschnitt: Ästhetische Vorstellung der Zweckmäßigkeit der Natur
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Vorstellung, für die gilt, dass sie »gar kein Erkenntnisstück werden« können. Sie drücken damit weder eine »ästhetische Beschaffenheit« noch »logische Gültigkeit« an objektiver Erkenntnis aus, noch sind sie Ausdruck einer »Empfindung«. Das ist zunächst jedoch eine bloße Behauptung. Der anschließende Nebensatz enthält eigentlich kein überzeugendes Argument: »denn durch sie [d. i. die Lust oder Unlust, WE] erkenne ich nichts an dem Gegenstande der Vorstellung, obgleich sie wohl die Wirkung irgendeiner Erkenntnis sein kann« (5:189.18–19). Aus welchem Grunde wiederum durch das Gefühl der Lust (bzw. Unlust) nichts am Vorstellungsobjekt erkannt werden können soll, kann hier bloß vermutet werden. Dass durch sie nichts an dem Gegenstand der Vorstellung erkannt werden kann, lässt darauf schließen, dass sie zu unbestimmt ist, um zur Bestimmung eines Gegenstandes der Erkenntnis etwas beitragen zu können. Dass sie dennoch »die Wirkung irgendeiner Erkenntnis sein kann« (5:189.19), erinnert zunächst an die Lust des Forschers, die sich als Folge einer an der Natur entdeckten Übereinstimmung ihrer heterogenen empirischen Gesetze einstellt (vgl. E VII, 3. Abs.). Es ist aber auch nicht auszuschließen, dass Kant hier bereits an das Verhältnis von Erkenntnisvermögen und Lust bzw. Unlust denkt, das grundlegend für die Bestimmung des ästhetischen Urteils ist (vgl. KU, § 9). Denn, dass Lust und Unlust »kein Erkenntnisstück werden« können, muss nicht bedeuten, dass sie in gar keiner Weise etwas mit Erkenntnis zu tun haben. Wie ist die weitere Argumentation bis zur Erschließung der ästhetischen Vorstellung der Zweckmäßigkeit aufgebaut? Kant rekurriert auf die Zweckmäßigkeit eines Dinges, »sofern sie in der Wahrnehmung vorgestellt wird« (5:189.20–21). Damit macht er deutlich, dass diese Zweckmäßigkeit nur eine subjektive Vorstellung ist und nicht Gegenstand einer Wahrnehmung sein kann.152 Sie ist damit auch kein Merkmal am Objekt selbst. Andererseits kann sie aber »aus einem Erkenntnisse der Dinge gefolgert werden« (5:189.22–23). Die Existenz einer solchen Vorstellung wird zunächst ohne Nachweis bloß unterstellt. Nun wird aber eine erste Folgerung gezogen, die wenig einleuchtend ist: »Die Zweckmäßigkeit also, die vor dem Erkenntnisse eines Objekts vorhergeht, ja sogar, ohne die Vorstellung desselben zu einem Erkenntnis brauchen zu wollen, gleichwohl mit ihr unmittelbar verbunden wird, ist das Subjektive derselben, was gar kein Erkenntnisstück werden kann« (5:189.23–27). Von der Zweckmäßigkeit soll also genau wie für das Gefühl der Lust gelten, dass sie sich nicht als Mittel für objektive Erkenntnis eignet. Inwiefern geht aber die Zweckmäßigkeit vor der Erkenntnis eines Objektes »vorher«, da sie doch andererseits eine Folgerung davon sein kann? Zunächst dürfte klar sein: Das ›Vorhergehen‹ bezeichnet eine erkenntnislogische, nicht eine zeitliche Reihenfolge. Sie geht der Erkenntnis vorher, insofern sie Davon abweichend wird aber in EE VII, 5. Abs. behauptet, der Gegenstand werde als zweckmäßig wahrgenommen, mit der Einschränkung »bloß für die Urteilskraft«. Allerdings erfolgt dies auch im weiteren Verlaufe von E VII, 3. Abs. ganz ähnlich. 152
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
gar nicht in sie eingeht, sondern nur subjektive Vorstellung »in der Wahrnehmung« bleibt, bzw. mit dieser Vorstellung »unmittelbar verbunden wird« (5:189.25–26). Dies soll auch dann gelten, wenn gar nicht die Absicht besteht, die Vorstellung des Objekts der Erkenntnis zuzuführen. Die Vorstellung der Zweckmäßigkeit wird also nicht erst erworben vermittelst etwa eines Studiums der Natur, sondern unmittelbar vorgestellt im Vollzug der Wahrnehmung eines natürlichen Gegenstandes. Dieser kann nur wahrgenommen werden, insofern er nicht gestaltlos, kein singulärer empirischer Sinneseindruck ist, sondern schon als zum Teil synthetisiert (formiert) gelten kann. »Gefolgert« werden kann die Zweckmäßigkeit eines Dinges »aus einem Erkenntnisse der Dinge«, insofern auch hier (wie oben bei der Lust) die Erkenntnis nicht im strikten Sinne einer objektiven Erkenntnis (Erfahrung) gemeint ist, sondern Erkenntnis in einem weiteren Sinne (eines unbestimmten Zusammenwirkens von Erkenntniskräften wie im ästhetischen Urteil). Es folgt der letzte Schritt der Ableitung der »ästhetischen Vorstellung der Zweckmäßigkeit«: »Also wird der Gegenstand alsdann nur darum zweckmäßig genannt, weil seine Vorstellung unmittelbar mit dem Gefühle der Lust verbunden ist; und diese Vorstellung selbst ist eine ästhetische Vorstellung der Zweckmäßigkeit« (5:189.27–30). Die Bezeichnung eines Gegenstandes als »zweckmäßig« (besser wäre es wohl gewesen zu sagen: »ästhetisch–zweckmäßig«, denn es gibt in Kants Theorie auch Arten von Zweckmäßigkeit, die nicht mit Lust oder Unlust verbunden werden können) beruht also auf einem Grund, und das ist das unmittelbare Verbundensein seiner Vorstellung mit dem Gefühl der Lust. Von Lust und Unlust hieß es zu Anfang des zweiten Absatzes, sie seien dasjenige Subjektive an einer Objektvorstellung, das sich zu keiner Erkenntnis qualifiziere. Dasselbe gilt von der betrachteten Zweckmäßigkeit. Der direkte Zusammenhang zwischen der zweckmäßigen Vorstellung eines Gegenstandes und dem Lust / Unlust-Gefühl wird an der betrachteten Stelle nicht näher erläutert. Er ist jedoch aus dem folgenden Absatz zu erschließen. Der dritte Absatz soll nämlich – wie der letzte, nachgeschobene indirekte Fragesatz des zweiten Absatzes erkennen lässt – offensichtlich die Frage beantworten, ob es eine solche »ästhetische Vorstellung der Zweckmäßigkeit« wie sie hier begrifflich hergeleitet worden ist, überhaupt gibt (5:189.30–31). Der Gedankengang dieses nun für die nachfolgende Besprechung relevanten Absatzes hat zum Ziel, die Entstehung der Vorstellung der Zweckmäßigkeit zu erklären. Dies ergibt sich eindeutig aus dem erwähnten letzten Satz desselben Absatzes. Im ersten Gedankenschritt wird der Begriff der Zweckmäßigkeit, mit dem in diesem Abschnitt operiert wird, näher bestimmt, und zwar als »subjektive formale Zweckmäßigkeit des Objekts« (5:190.1–2). Diese Erkenntnis resultiert erstens aus der Subjektivität der damit verbundenen Objekt-Vorstellung; zweitens aus dem, was Ausdruck des Lust-Gefühls ist. Dass eine Vorstellung, die einen Gegenstand (der Erkenntnis) repräsentiert, bloß auf das erkennende Subjekt (und nicht auf den Gegenstand selbst) bezogen wird (und damit keine Erkenntnis im strengen Sinne sein kann), hat eine erkenntnistheo-
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retische Abstraktion zur Voraussetzung, und zwar, dass eine »bloße[] […] Auffassung (apprehensio) der Form eines Gegenstandes der Anschauung« gedacht werden kann (5:189.32–33). Das Vermögen dieser Auffassung ist, wie wenig später in demselben Absatz gesagt wird, die Einbildungskraft. Wir können Apprehension vorläufig mit dem seiner Bedeutung nahe kommenden Begriff der »Wahrnehmung« in dem im zweiten Absatz gebrauchten Sinne übersetzen. Apprehendiert (aufgefasst) wird die »Form eines Gegenstandes der Anschauung«. Damit ist die spezielle (räumliche) Gestalt eines Wahrnehmungsgegenstandes gemeint (nicht einfach Raum und Zeit als subjektive Formen der sinnlichen Anschauung), die also bereits eine Verknüpfung von mannigfaltigen Empfindungsinhalten vorweist, allerdings eine Verknüpfung, die noch nicht durch einen Begriff (als Verstandesfunktion) mit dem Ziel der Bildung einer bestimmten Erkenntnis hergestellt ist. Durch Apprehension allein ist nicht einmal ein bloß empirischer Begriff möglich, da Kant an einer anderen Stelle (in EE VII, 3. Abs.) sagt, dass dazu noch zwei weitere Handlungen des Erkenntnisvermögens benötigt werden, nämlich »Zusammenfassung« und »Darstellung«. In der KrV variiert der Begriff der Apprehension in seiner Bedeutung, wird jedoch immer mit der Vorstellung einer (empirischen) Synthetisierung verbunden.153 Von dieser Apprehension hat also zu gelten: erstens, dass sie allein die »Form eines Gegenstandes der Anschauung« (die Form der empirischer Wahrnehmung) erfasst, und zwar so, dass sie sich dabei nicht auf einen bestimmten, Erkenntnis konstituierenden Begriff bezieht [»derselben« (5:189.33) ist die Anschauung]; und zweitens, dass sie mit Lust verbunden ist. Unter diesen Voraussetzungen haben wir es nur wieder mit einer subjektiven Beziehung der Vorstellung (eines Gegenstandes) zu tun. Die Lust besteht dann darin, dass das vorgestellte Objekt («desselben« (5:189.37) ist der Gegenstand der Anschauung) gewissen Erkenntnisvermögen ›angemessen‹ ist (»Angemessenheit« bedeutet Übereinstimmung, Harmonie). Aufgrund der »Angemessenheit«, die es noch genauer zu bestimmen gilt, drückt die Lust eine »subjektive formale Zweckmäßigkeit« aus, eine Zweckmäßigkeit, die aus einem Erkenntnisvermögen des Subjekts stammt und insofern »formal« ist, als sie von Zweckinhalten abstrahiert. Zur Begründung dieser Behauptung wird das Verhältnis der Erkenntnisvermögen, das als ein solches der »Angemessenheit« charakterisiert worden ist, genauer erläutert. Die Bestimmungen, die zum Verständnis dieses Verhältnisses und der daraus resultierenden ästhetischen Begriffe beitragen, sind nun sorgfältig herauszuarbeiten. Dabei ist es sinnvoll, andere Textstellen mit in den Blick zu nehmen. Die Vermögen, die sich aufeinander beziehen, sind Einbildungskraft und Verstand, wobei die erstere das »Vermögen der Anschauungen a priori« sei, der letztere das der Begriffe. Die reflektierende Urteilskraft verbindet beide Vermögen, indem KrV, B 208–210 (Apprehension: Tätigkeit der Einbildungskraft, Synthesis, mit dem diskursiven Verstand in Einklang); vgl. EE VII, Abs. 3, 5. 153
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ihr die Funktion zugeschrieben wird, »Anschauungen auf Begriffe zu beziehen« (5:190.5). Im Unterschied zur Beziehung des Verstandes auf Anschauungen in der KrV ist dieses Beziehen kein Bestimmen, sondern im Gegenteil ein Nichtbestimmen. Die scheinbare Paradoxie, dass nachdem für die Apprehension, die mit Lust verbunden ist, kein Anspruch auf bestimmte Erkenntnis besteht, nun im Hinblick auf Einbildungskraft und Verstand Erkenntnis wieder ins Spiel kommt, kann durch den Hinweis auf die Unterschiedlichkeit im Gebrauch des Begriffs der Erkenntnis schon behoben werden. Es kann hier nicht um ein Verhältnis der beiden Erkenntnisvermögen im Sinne einer (bestimmenden) Über- bzw. Unterordnung gehen. Wenn das »Spiel« mit einem Erkenntnisanspruch verbunden wird, dann kann darin nur eine gleichberechtigte (freie) Betätigung beider zum Ausdruck kommen, und die erzielte Erkenntnis wird unbestimmt sein. Gleichwohl muss sorgfältig ermittelt werden, welche Vorgänge sich dabei eigentlich abspielen, und unter welchen Spielregeln sie erfolgen. Die Tätigkeit der reflektierenden Urteilskraft, ohne die das Apprehendieren der Formen durch die Einbildungskraft nicht stattfände, besteht darin, genau dieses Auffassen mit ihrer eigenen Funktion zu ›vergleichen‹. Die reflektierende Urteilskraft fungiert bei dieser vergleichenden Tätigkeit gewissermaßen als Funktionsträger, Medium und Regulator des Vergleichs, in welchem Verstand und Einbildungskraft einander begrenzen. Das wechselseitige Aufeinandereinwirken dieser beiden Vermögen bezeichnet Kant hier und an zahlreichen anderen Stellen als »Spiel« (bzw. sogar als »freies Spiel«).154 Ihm korrespondieren die freien Bildungen der Natur (§ 58). Das Spielfeld ist die reflektierende Urteilskraft, die dafür sorgt, dass das Spiel nicht ganz und gar regellos verläuft. Andererseits ist das Spiel in dem Sinne eine freie Betätigung der Erkenntniskräfte, als der Vergleich ohne Absicht stattfindet und damit nicht zweckgebunden ist (d. h. Zweckmäßigkeit ohne Zweck ist; im Vergleich dazu s. aber § 67, 5. Abs.: freies Spiel und Zweckhaftigkeit des Naturschönen). Die Freiheit der schönen Formen im Geschmacksurteil bezieht sich auch auf die Interesselosigkeit des Wohlgefallens (vgl. u. a. § 67, Fn.).155 Wir sehen hiermit: Wenn sich die Lust in einer »Angemessenheit« des Anschauungsgegenstandes mit dem Spiel der Erkenntniskräfte in der reflektierenden Urteilskraft artikuliert, und wenn die Apprehension »der Form eines Gegenstandes der Anschauung« mit Lust verbunden ist, dann muss die Auffassung offenbar mehr beinhalten als das bloße Verknüpfen von Wahrnehmungseindrücken, nämlich u. a. und insbesondere auch eine Selbstreflexion der Urteilskraft. Zum »freien Spiel« sind zu ergänzen: KU, § 9, § 62 (5. Abs.), § 67 (5. Abs.). In § 67 (5. Abs.), spekuliert Kant allerdings darauf, dass die »Schönheit der Natur, d. i. ihre Zusammenstimmung mit dem freien Spiele unserer Erkenntnisvermögen in der Auffassung und Beurteilung ihrer Erscheinung« auch als objektive Zweckmäßigkeit betrachtet werden könne, sofern nur vorausgesetzt werde, dass die teleologische Urteilskraft zur »Idee eines großen Systems der Zwecke der Natur« berechtige. 154 155
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Wenn »Einstimmung« (Ausgleich, Gleichheit, Harmonie) zwischen beiden Vermögen hergestellt wird, d. h. wenn beide sich im Gleichgewicht gegeneinander befinden, dann geschieht dies zufällig. Zweierlei wird dafür vorausgesetzt: Erstens müssen sich die miteinander ›spielenden‹ Vermögen »in« der reflektierenden Urteilskraft befinden; zweitens muss eine Vorstellung gegeben sein, hinsichtlich welcher sich die beiden Vermögen überhaupt aufeinander beziehen lassen. Es ist der Ausgleich (die »Einstimmung«) der beiden Vermögen im Vergleich, welcher Kant zufolge das Gefühl der Lust »erweckt«. Daraus soll dann mit Notwendigkeit folgen, dass der vorgestellte Gegenstand als zweckmäßig zu denken ist. Der an diese Feststellung geknüpfte Satz drückt ein wichtiges Zwischenergebnis aus: »Ein solches Urteil ist ein ästhetisches Urteil über die Zweckmäßigkeit des Objekts, welches sich auf keinem vorhandenen Begriffe vom Gegenstande gründet und keinen von ihm verschafft« (5:190.10–13). Es war vorher in diesem Absatz nicht von Urteilen die Rede. Deshalb muss nun angenommen werden, dass der beschriebene Vergleich der Erkenntnisvermögen zugleich eine Urteilsbeziehung ausdrückt, und zwar eine solche, die kein Verhältnis zu einem Begriff impliziert. Was aber ein ästhetisches Urteil genau ist, wird hierbei keineswegs deutlich. Folgendes Problem ist hier vorläufig zu benennen: Die Bestimmung des ästhetischen Urteils, nach der es in keinem sinnvollen Verhältnis zur Mitwirkung des Verstandes als des Vermögens der Begriffe am Zustandekommen eines solchen Urteils steht, macht ein anderes Verständnis vom Urteilen erforderlich als das logische.156 Der nun folgende Satz, der in der B-Version mit einem indirekten Pronomen (»Wessen«) eingeleitet wird, soll eine grammatische Unstimmigkeit der ersten Auflage (»Ein Gegenstand, dessen Form …, mit dessen Vorstellung …«) beheben und führt dabei zu einer neuen Schiefstellung: »Wessen Gegenstandes Form (nicht das Materielle seiner Vorstellung, als Empfindung) in der bloßen Reflexion über dieselbe (ohne Absicht auf einen von ihm zu erwerbenden Begriff) als der Grund einer Lust an der Vorstellung eines solchen Objekts beurteilt wird, mit dessen Vorstellung wird diese Lust auch als notwendig verbunden geurteilt, folglich als nicht bloß für das Subjekt, welches diese Form auffasst, sondern für jeden Urteilenden überhaupt« (5:190.13–19). Die erste Frage hierzu lautet: Was ist eigentlich Subjekt dieses Satzes, der Gegenstand oder der Urteilende?157
S. ergänzend zum ästhetischen Urteil: KU, § 8 (3.–4. Abs.); § 9. Vgl. insbesondere Kulenkampff, J. (21994), Kants Logik des ästhetischen Urteils; Brandt, R. (1998), Zur Logik des ästhetischen Urteils, 229–245; Wenzel, Chr. H. (2000), Das Problem der subjektiven Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils bei Kant. Kap. 6.1, 169–178; Wachter, A. (2006), Das Spiel in der Ästhetik, 83 ff.; Stolzenberg, J. (2000), Das freie Spiel der Erkenntniskräfte, 1–28. 157 Vgl. dazu die Formulierung der ersten Auflage: »Ein Gegenstand, dessen Form usw.« (Edition Klemme (2006), 33). 156
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Vorausgesetzt wird die im ersten Absatz des Abschnittes angeführte Unterscheidung zwischen dem Formalen und dem Materialen an der Vorstellung eines Objektes. Der zitierte Satz, dessen Subjekt anscheinend der Gegenstand ist und nicht das urteilende Subjekt (dafür spricht vor allem die ursprüngliche Formulierung in der Erstauflage), drückt ein Bedingungsverhältnis aus. Seine Aussage kann auf folgende Weise zusammengefasst werden: Wenn die Form (im oben angegebenen Sinne) eines Gegenstandes der Vorstellung in der bloßen Reflexion darüber als »Grund« der Lust an dieser Vorstellung »beurteilt« wird, dann gilt das Urteil, dass diese Lust mit der Vorstellung jenes Gegenstandes notwendig (d. h. in jedem Falle) verbunden ist. Daraus folgt, dass diese Verbindung von Lust und Vorstellung nicht nur für das jeweils urteilende Subjekt, das die Form apprehendiert, sondern für »jeden Urteilenden überhaupt« gültig ist. Die allgemeine (intersubjektive) Gültigkeit des Urteils, das Lust und Gegenstandsvorstellung miteinander verbindet, folgt nach Kant also aus seiner Apodiktizität.158 Auf dieser Grundlage wird der Gegenstand, über dessen Form in der angegebenen Weise geurteilt wird, als »schön« bezeichnet. Das dazu benötigte urteilende Vermögen, das mittels der Lust zum allgemeingültigen Urteil über den schönen Gegenstand führt, heißt bei Kant »Geschmack« (vgl. EE XII, 3. Abs.). Kants Ausführungen im vierten Absatz vorwegnehmend kann hier ergänzt werden: das durch den Geschmack gebildete Urteil heißt »Geschmacksurteil«. Kant liefert zum Abschluss des dritten Absatzes noch eine Begründung für seine Theorie des Geschmacks, die sich als Konjunktion von zwei Argumenten darstellt (»Denn da der Grund der Lust …: so ist es allein die Gesetzmäßigkeit …; und da …, so bewirkt sie …«) (5:190.22–32). Beide Begründungen sind erläuterungsbedürftig. Der Argumentationszusammenhang ist insgesamt unklar. Weder ist ersichtlich, worin die inhaltliche Begründung genau besteht, noch sind die beiden »da … so«Verknüpfungen einsichtig. Das erste Argument geht von der Feststellung aus, dass der Grund der Lust in der bloßen Form des Gegenstandes für die »Reflexion überhaupt« bestehe, d. h. weder mit der Empfindung des Gegenstandes noch mit einer begrifflichen Absicht behaftet ist, und schließt dann daraus, es sei »allein die Gesetzmäßigkeit im empirischen Gebrauche der Urteilskraft überhaupt (Einheit der Einbildungskraft mit dem Verstande) in dem Subjekte, mit der die Vorstellung des Objekts in der Reflexion, deren Bedingungen a priori allgemein gelten, zusammenstimmt […]« (5:190.25– 29). Welche Gesetzmäßigkeit ist hier gemeint, und worauf ist der eingeklammerte Zusatz zu beziehen? Die Form des Gegenstandes muss wohl die zu Beginn des dritten Absatzes verwendete »subjektive formale Zweckmäßigkeit des Objekts« zum Ausdruck bringen. Bei der Apprehension der Form eines Gegenstandes in der Anschauung durch die Einbildungskraft vergleicht ja, wie oben dargelegt, die reflektierende Urteilskraft Hiervon weicht anscheinend die Bestimmung der Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils in EE X.4 ab. 158
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die Auffassung der Formen mit dem begrifflichen Tun des Verstandes und bringt beide Handlungen (bzw. die Formen als deren Resultate) zur Übereinstimmung. Das letztere – die Gleichheit der Formen bzw. Handlungen – ist mit der »Einheit der Einbildungskraft mit dem Verstande« gemeint. Die Zweckmäßigkeit ist zugleich die »Gesetzmäßigkeit im empirischen Gebrauche der Urteilskraft überhaupt«, durch die nun die miteinander ausgeglichenen Vermögen (Einbildungskraft und Verstand) »mit der Vorstellung des Objekts in der Reflexion« zusammenstimmen sollen. Der empirische Gebrauch der Urteilskraft zielt ab auf die Bildung eines ästhetischen, und zwar empirischen und einzelnen Urteils (vgl. 5. Abs.) über die Form eines Gegenstandes der Vorstellung. Nun wird in dem zweiten Satzteil (5:190.29 f.) behauptet, die besagte Zusammenstimmung des vorgestellten Gegenstandes mit »den Vermögen des Subjekts« (d. i. Einbildungskraft und Verstand) sei zufällig. Den Grund für diese Behauptung braucht Kant an dieser Stelle nicht noch einmal anzuführen. Er liegt einfach darin, dass die Auffassung der Form eines Gegenstandes – als die spezifische Leistung der Einbildungskraft – von keinem (gesetzgebenden) Begriff Gebrauch macht (vgl. Anfang des dritten Absatzes). Aus dem Grund dieser Zufälligkeit folgt: »so bewirkt sie die Vorstellung einer Zweckmäßigkeit desselben in Ansehung der Erkenntnisvermögen des Subjekts« (5:190.30–32). Worauf bezieht sich das Subjekt in dem Folgesatz (»sie«) und worauf ist die Zweckmäßigkeit (»desselben«) bezogen? Am sinnvollsten scheint es zu sein, »sie« auf die »Zusammenstimmung« zu beziehen und »desselben« auf den vorgestellten Gegenstand. Dann ergibt sich folgende Argumentationsstruktur: Die beiden durch »so« eingeleiteten Satzteile sind unterschiedliche Folgerungen aus den ihnen jeweils vorausgehenden konditionalen Nebensätzen (»da«-Sätzen). Ihre Aussagen ergänzen sich aber und bilden zusammen genommen die Begründung sowohl dafür, dass einem Gegenstand das Prädikat der Schönheit zugeordnet werden kann (und alles, was damit an Voraussetzung verbunden ist); als auch dafür, dass das Vermögen, das eine solche Urteilsbeziehung herstellt, der Geschmack ist. Es ist also erstens die (zufällige) Zusammenstimmung zwischen dem Prinzip der subjektiven Zweckmäßigkeit und der Vorstellung des Gegenstandes und zweitens die dadurch bewirkte Vorstellung der Zweckmäßigkeit des Gegenstandes, die die Vorstellung der Zweckmäßigkeit überhaupt beziehbar macht auf die Erkenntnisvermögen und so die Grundlage dafür schafft, einem Gegenstand in einem Geschmacksurteil das Prädikat des Schönen zuordnen zu können.
Vierter und fünfter Absatz: Das »Geschmacksurteil« und das »Gefühl der Lust« Der vierte und der fünfte Absatz des siebten Abschnittes präzisieren das Verhältnis der Lust zum Geschmacksurteil, indem insbesondere erklärt wird, inwiefern dieses einerseits ein empirisches Einzelurteil, andererseits aber allgemein bestimmt ist.
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
Es wird zuerst der Ausdruck der Lust bestimmt, wie er sich als Thema aus der Betrachtung des dritten Absatzes scheinbar ergeben hat: »Hier ist nun eine Lust …« (5:190.33 ff.). Die Grundbestimmung grenzt die »hier« gemeinte Lust von einer anderen Bedeutung des Begriffs »Lust« ab. Sie hat nämlich nichts gemeinsam mit der Lust im moralisch-praktischen Sinne, die durch den Freiheitsbegriff hervorgerufen wird. Ihr Spezifikum besteht vielmehr darin, dass ihre Verknüpfung mit der Vorstellung eines Gegenstandes »niemals aus Begriffen« sondern »nur durch reflektierte Wahrnehmung« erkannt werden kann. Dieser Sachverhalt wird am Ende des fünften Absatzes so ausgedrückt, dass das Bewusstsein darüber, dass die Lust auf der Reflexion beruht, dieselbe zum »Bestimmungsgrund« des Geschmacksurteils macht (5:191.30). Als »reflektierte Wahrnehmung« (5:191.1) kann daher der Akt der reflektierenden Urteilskraft bezeichnet werden, durch den Verstand und Einbildungskraft so miteinander übereinstimmen, dass das Gefühl der Lust erzeugt und empfunden wird und auf die zweckmäßige Form des vorgestellten Gegenstandes bezogen wird.159 Das hat aber nun zur Folge, dass die Verknüpfung der Lust mit dem vorgestellten Gegenstand, die im Geschmacksurteil ausgedrückt wird, »wie alle empirischen Urteile« (5:191.2) weder als objektiv notwendig noch als a priori gültig angesehen werden kann. Dennoch soll das Geschmacksurteil (wie ein empirisches Urteil) allgemeine Geltung in subjektiver Hinsicht (»für jedermann«) beanspruchen. Was berechtigt Kant zu dieser Behauptung? Und inwiefern liegt darin eine Reduzierung des Anspruchs gegenüber der objektiven Notwendigkeit und Gültigkeit a priori (angedeutet durch das Wörtchen »nur«)? In einem nachgestellten Nebensatz zu der Aussage, das Geschmacksurteil beanspruche, »für jedermann zu gelten«, heißt es: dies sei »immer möglich«, und zwar »ungeachtet der inneren Zufälligkeit desselben« (5:191.5 f.). Die »innere Zufälligkeit« muss, wie aus der Satzkonstruktion zu erschließen ist, sowohl ein allgemeines Merkmal empirischer Urteile als auch ein besonderes Merkmal des Geschmacksurteils bezeichnen. Empirische Urteile können deshalb als zufällig angesehen werden, weil sie nicht auf Begriffen a priori beruhen (obwohl sie mit ihnen verglichen werden können) und daher auch nicht mit logischer Strenge notwendig sind. Für das Geschmacksurteil mag dies gelten, insofern es überhaupt auf keinem Begriff – also weder auf einem empirischen Begriff noch auf einem Begriff a priori des Verstandes oder der Vernunft – beruht. Dass das Geschmacksurteil trotzdem und zu recht beanspruchen kann, »für jedermann« zu gelten, ergibt sich aus der Überlegung, dass jedermann, der einem solchen Urteil zustimmt (oder zustimmen würde), dies auf der Grundlage eines allgemein geltenden Lustgefühls tut. Dies rechtfertigt aber nur die Möglichkeit einer allgemeinen Geltung. Keineswegs wird damit behauptet, es sei auch faktisch (in jedem vorliegenden Fall der Beurteilung des Geschmacks) eine allgemeine Zustimmung zwingend erforderlich. Die nähere Begründung wird sich weiter unten aus der Analyse des fünften Absatzes deutlicher erschließen lassen. 159
Vgl. Wolff, Chr., Deutsche Metaphysik, §§ 325–326 (reflektierte Empfindung).
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Es ist letzten Endes das Gefühl der Lust, durch das sich das Geschmacksurteil von jedem anderen empirischen Urteil spezifisch unterscheidet: »Das Befremdende und Abweichende liegt nur darin, daß es nicht ein empirischer Begriff, sondern ein Gefühl der Lust (folglich gar kein Begriff) ist, welches doch durch das Geschmacksurteil, gleich als ob es ein mit dem Erkenntnisse des Objekts verbundenes Prädikat wäre, jedermann zugemutet und mit der Vorstellung desselben verknüpft werden soll« (5:191.6–11). Befremdend bzw. abweichend (vom empirischen Urteil) ist m.a.W., dass das Geschmacksurteil einerseits zu den empirischen Urteilen gezählt werden kann, andererseits aber eine Voraussetzung für diese Zuordnung nicht erfüllt: ein empirisches Urteil benötigt für seine Gültigkeit einen empirischen Begriff, der die Prädikatstelle ausfüllt. Da diese Bedingung aber für das Geschmacksurteil nicht zulässig ist, ist es sozusagen kein empirisches Urteil im vollwertigen Sinne. Das Gefühl der Lust wird »jedermann zugemutet« und mit der Vorstellung des Objekts (»desselben«) verbunden. Hierbei liegt ein »Sollen« vor (vgl. KU, § 22), das nicht im Sinne einer moralischen Verpflichtung gelesen werden darf. D. h. mit dem Gefühl der Lust ist eine Aufforderung zur Zustimmung verbunden, die wohl daraus resultiert, dass das Lustempfinden eine Auswirkung der Reflexion über die Form des vorgestellten Gegenstandes ist, und dass die reflektierende Urteilskraft eine Zweckmäßigkeit zur Bedingung hat, die subjektiv allgemeingültig ist. Die Stärke der beschriebenen Aufforderung, dem Gefühl der Lust zuzustimmen, geht andererseits über ein bloßes Mit- oder Nachempfinden hinaus. Das Geschmacksurteil soll das Gefühl der Lust zugleich in besonderer Weise auf den Gegenstand der subjektiven Vorstellung beziehen, nämlich so »als ob es [d. i. das »Gefühl der Lust«, WE] ein mit dem Erkenntnisse des Objekts verbundenes Prädikat wäre« (5:191.9 f.). Was verbirgt sich hier hinter dem »als ob«? Der Vergleich zwischen dem Geschmacksurteil und einem Erkenntnisurteil ist dadurch motiviert, dass im Geschmacksurteil der vorgestellte Gegenstand ebenso allgemein zustimmungspflichtig an das Gefühl der Lust geknüpft ist wie das vorgestellte Objekt an den Prädikatbegriff. Der nachfolgend zu besprechende fünfte Absatz verdeutlicht dies auf gründlichere Art und Weise. Der fünfte Absatz illustriert nämlich die jeweiligen Gründe für die allgemeine Zustimmungspflicht hinsichtlich des Erfahrungs- bzw. des Geschmacksurteils. Bei dem Vergleich eines einzelnen Erfahrungsurteils, welches wohl dem im vorhergehenden Absatz beleuchteten empirischen Urteil entspricht, mit dem Geschmacksurteil wird der Sinn des im vierten Absatz benutzten Ausdrucks »als ob« verständlich. Ein Erfahrungsurteil – Kants Beispiel ist die Wahrnehmung eines in einem Bergkristall eingeschlossenen Wassertropfens – verlange deshalb »mit Recht« allgemeine Zustimmung, weil ein solches Urteil »nach den allgemeinen Bedingungen der bestimmenden Urteilskraft, unter den Gesetzen einer möglichen Erfahrung überhaupt« gefällt werde. Es sind folglich die objektiv-allgemeinen Formbestimmungen, die überhaupt ein Erkenntnisurteil nach den Prinzipien des transzendentalen Idealismus konstituieren (im Grunde genommen alle in der transzendentalen Analytik
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
der KrV abgehandelten Gesetze, insbesondere Verstandesbegriffe, Schematismus, Grundsätze), die in dem besonderen Falle eines empirischen Einzelurteils eo ipso die Zustimmung aller, sofern sie Subjekte dieser Erkenntnis sind, (stillschweigend) einschließt. Ihre Zustimmung ist subjektiv notwendig, weil das Urteil, dem sie beistimmen, von den objektiv gültigen Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrungsurteilen abhängt. Mit gleichem Recht – so behauptet Kant nun – beanspruche auch derjenige, welcher »in der bloßen Reflexion über die Form eines Gegenstandes« Lust empfinde, die Zustimmung von jedermann. Der sich an diese Behauptung anschließende »weil«-Nebensatz (5:191.20–26) muss die Begründung derselben beinhalten. Der entscheidende Gesichtspunkt scheint darin zu bestehen, dass die Lust, die bei der Reflexion empfunden wird, durch eine Bedingung für Reflexionsurteile begründet wird, die zwar subjektiv ist, zugleich aber nicht bloß individuell, sondern allgemein. Die Allgemeinheit dieser subjektiven Bedingung, die Grund der Lust sein soll, ergibt sich letzten Endes erst aus der (formalen) Gesamtkonstruktion des Geschmacksurteils. Dieses besteht nämlich dem Wesen nach in der Übereinstimmung eines Gegenstandes der Natur (bzw. Kunst) mit dem Verhältnis, das Einbildungskraft und Verstand (als den für die Bildung eines empirischen Urteils erforderlichen Erkenntnisvermögen) zueinander haben. Dieses Verhältnis ist – wie weiter oben (im fünften Abschnitt) zu sehen war – ein solches, das, als Resultat freier Betätigung (»freies Spiel«) der Erkenntniskräfte genommen, seinerseits in einer Übereinstimmung (oder im Gleichgewicht) beider Relate besteht. Jene Übereinstimmung des Gegenstandes mit dem in sich bereits Übereinstimmung enthaltenden Verhältnis der Erkenntnisvermögen zueinander unterliegt zugleich dem Prinzip der (subjektiven) Zweckmäßigkeit, und deshalb wird sie von Kant ›zweckmäßig‹ genannt. Aus dieser grundlegenden Bestimmung der Lust wird zweierlei gefolgert: Die Lust ist als Moment des Geschmacksurteils einerseits von einer empirischen Vorstellung abhängig und kann insofern eben nicht a priori auf einen Begriff bezogen werden, andererseits ist sie der »Bestimmungsgrund«160 des Geschmacksurteils. Diese beiden Folgerungen sind nun einzeln zu interpretieren: 1) Die Abhängigkeit von einer empirischen Vorstellung ergibt sich daraus, dass, da das Geschmacksurteil ein empirisches Urteil sein soll, die Einbildungskraft in ihrer Funktion genommen wird, Wahrnehmungen zu apprehendieren. Der vorgestellte Gegenstand, der in einem Geschmacksurteil die Subjektstelle einnimmt, ist die Form eines in der empirischen Anschauung gegebenen Objekts.161
Zum Begriff des »Bestimmungsgrundes« s. Nova dilucidatio, WW I, S. 423; s. auch Fricke, Chr. (1990), Kants Theorie des reinen Geschmacksurteils, 10; E VII (3. Abs.) (Grund der Lust (5:190.16); vgl. EE VIII (4. und bes. 5. Abs.). 161 Vgl. Fricke, Chr. (1990), Kants Theorie des reinen Geschmacksurteils, 9. 160
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Die Behauptung, die Lust könne »a priori mit keinem Begriff verbunden werden«, wird durch einen Klammerzusatz erläutert: »man kann a priori nicht bestimmen, welcher Gegenstand dem Geschmacke gemäß sein werde oder nicht, man muß ihn versuchen« (5:191.28 f.). Aber was soll man hier »versuchen«? Worauf bezieht sich das »ihn«, auf den Gegenstand oder auf den Geschmack?162 Der Geschmack ist das Vermögen der reflektierenden Urteilskraft, durch die Lust über einen schönen Gegenstand zu urteilen, ohne einen Zweckbegriff zu berücksichtigen.163 In einem solchen Urteil des Geschmacks muss, wenn es allgemeingültig und subjektiv notwendig sein soll, der vorgestellte Gegenstand aber »dem Geschmack gemäß« sein. Wenn die geforderte Übereinstimmung nicht a priori bestimmt sein soll, weil die Lust »a priori mit keinem Begriff verbunden werden« kann, so muss ein anderer Weg gesucht werden, der zu diesem Ergebnis führt. Die Übereinstimmung mit einem bestimmenden Begriff – ein solcher müsste ein Verstandesbegriff sein – wäre an die Subsumtionsleistung der bestimmenden Urteilskraft gebunden und würde zur objektiven Notwendigkeit des Urteils führen. Das bedeutet jedoch nicht, dass beim ästhetischen Reflexionsurteil gar keine Subsumtion der Vorstellung des Gegenstandes mehr stattfände; sie ist lediglich nicht bestimmend (s. EE VIII, 5. Abs.). Da die bestimmende Subsumtion also nicht gelten soll, bleibt nur übrig, die Angemessenheit auf empirische Weise herzustellen. Das »Versuchen« in Kants Text drückt demnach einen experimentellen Vorgang aus, an dem Einbildungskraft und Verstand in wechselseitig sich bedingender (widerstreitender) Weise beteiligt sind. Es bezieht sich nicht allein auf einen anschaulich gegebenen Gegenstand der Vorstellung, sondern auf ein Verhältnis von gegebenen Begriffen und (empirisch) gegebenen »Fällen« (s. EE VIII, Ende 5. Abs.), die vom Verstand einerseits und von der Einbildungskraft andererseits bearbeitet und geformt werden. Aus EE VIII, 4. Abs. (und aus noch anderen Stellen) ergibt sich – unter der Voraussetzung, dass die Uneindeutigkeit der Satzkonstruktion dort (20:224.18–28) durch angemessene Begründung beseitigt werden kann (s. o. Kommentar zu EE VIII) –, dass das Gefühl der Lust eine Folge (Wirkung) des Zusammenspiels der Einbildungskraft und des Verstandes über einen in der Vorstellung gegebenen Gegenstand ist, insofern beide im Widerstreit zu einem harmonischen Ausgleich (Übereinstimmung) gelangen, und nicht umgekehrt! (s. auch EE VIII, 5. Abs.). Unlust dagegen entsteht, wenn beide Erkenntnisvermögen nicht miteinander übereinstimmen.
Fricke bezieht den ›Versuch‹ ohne Umschweife auf den Gegenstand (Fricke, Chr. (1990), Kants Theorie des reinen Geschmacksurteils, 11). Unter dieser Voraussetzung wäre es richtig zu sagen: »Versuchen« bedeute hier »die anschauliche Vorstellung dieses Gegenstandes […] auf das Gefühlsvermögen zu beziehen« (ebd.). 163 Vgl. Kommentar zu E VII (3. Abs.) (5:190.13–21); vgl. KU, § 1, Fn. Das ist keine erschöpfende Definition, s. deshalb KU, § 60, letzter Abs. 162
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
Es ist von Wichtigkeit, an dieser Stelle an die Betrachtung des Unterschiedes zwischen ästhetischem Sinnenurteil und ästhetischem Reflexionsurteil (s. EE VIII, 3.–5. Abs.) zu erinnern, denn auch das erstere bezieht sich auf das Gefühl der Lust, und zwar »unmittelbar«. Im ästhetischen Sinnenurteil wird aber die Empfindung durch die empirische Anschauung des Gegenstandes unmittelbar bewirkt (im ästhetischen Reflexionsurteil dagegen nur mittelbar durch den Gegenstand der Vorstellung). Die zweite Folgerung aus dem oben analysierten Gedankengang des 5. Abs. enthält eine positive Bestimmung. Das Gefühl der Lust ist der »Bestimmungsgrund« des Geschmacksurteils. Es hat diese Funktion nicht aufgrund des empirischen Empfindens, sondern allein durch (»nur dadurch«) das Bewusstsein, dass die Lust auf der Reflexion beruht sowie »den allgemeinen, obwohl nur subjektiven Bedingungen der Übereinstimmung164 derselben [der Reflexion, WE] zum Erkenntnis der Objekte überhaupt, für welche die Form des Objekts zweckmäßig ist.« (E VII, 5. Abs.; 5:191.31–34). Im folgenden ist zu explizieren, welche Bedeutung der Ausdruck »Bestimmungsgrund« haben kann und – da dieser Grund augenscheinlich nicht unbedingt ist – unter welchen sonstigen Bedingungen er steht. Zunächst zur Bedeutung des »Bestimmungsgrundes«. Christel Fricke hat festgestellt, dass dieser Terminus »in Kants kritischer Urteilslehre keine wesentliche Rolle« spiele.165 Sie verweist auf die Definition des »Grundes« in der vorkritischen Schrift Nova dilucidatio (1755).166 Ohne hier ausführlich auf Kants Exposition des Grundes in der genannten Schrift eingehen zu wollen, scheint mir diese gleichwohl nicht geeignet zu sein, den in E VII, 5. Abs., verwendeten Begriff des »Bestimmungsgrundes« adäquat erklären zu können. Im zweiten Abschnitt (»Vom Satz des bestimmenden, gemeinhin zureichend genannten Grundes«, Definitio, Prop. IV, WW I, S. 422/23, AA I, 391 f.)167 wird das Bestimmen auf die logiche Negation des Urteilsprädikats bezogen. Unter dieser Voraussetzung ist das, was als Grund bezeichnet wird, allgemein (unter Abstraktion von der Unterscheidung zwischen »vorgängig« (antecedenter) und »nachträglich« (consequenter) bestimmendem Grund, bzw. zwischen dem »Grund des Seins« und dem »Grund des Erkennens« (s. ebd.)) dasjenige, welches »ein Subjekt in Beziehung auf ein Prädikat bestimmt« (s. ebd.). Das Bestimmte ist in dieser Hinsicht zugleich das (logisch) Wahre und der Grund, insofern er aus »Unbestimmtem« ein »Bestimmtes« macht, zugleich »die Quelle der Wahrheit (ebd., S. 424 f.). Der »be-
164 »Übereinstimmung« in diesem Kontext in zweierlei Hinsicht: 1) der Erkenntnisvermögen in der Reflexion, 2) zwischen Gegenstand und Reflexion im ästhetischen Urteil. 165 Fricke, Chr. (1990), Kants Theorie des reinen Geschmacksurteils, 10. 166 Kants Habilitationsschrift Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio (1:385–416) [Neue Erhellung der ersten Prinzipien metaphysischer Erkenntnis]. 167 Kant lehnt sich –laut seiner kritischen Bemerkungen über Wolffs Formel für den »Satz des zureichenden Grundes« – an den Sprachgebrauch von Crusius an (WW I, S. 426 f.). Zum Satz des Grundes s. auch Wolff, M. (1986), Der Satz vom Grund.
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stimmende« Grund setzt demnach immer Subjekt und Prädikat eines Urteils voraus, welches eine wahre Aussage enthält. Diese Voraussetzung wird jedoch vom Geschmacksurteil nicht erfüllt, insofern es kein Erkenntnisurteil sein soll. Weder handelt es sich darin um ein Bestimmen in dem angegebenen logischen Sinne (einfacher Negation des Prädikats) – vielmehr bleibt das Subjekt dadurch unbestimmt –, noch ist es ein »wahres« Urteil im begriffslogischen Sinne. Soweit ich sehe, spricht Kant im Zusammenhang mit der geforderten Übereinstimmung im Geschmacksurteil an keiner Stelle von »Wahrheit«. Gestützt wird diese Auffassung durch den einfachen Befund, dass Kant das ästhetische Urteil explizit von logischen Urteilen abgrenzt.168 Der von Kant modifizierte Begriff des zureichenden Grundes in der Nova dilucidatio ist also unpassend für die Explikation des Gebrauchs des »Bestimmungsgrundes« in der KU. Was aber bedeutet er dann? »Bestimmungsgrund« bedeutet jedenfalls nicht und kann zufolge der bisherigen Ergebnisse der Analyse von Abs. 5 strenggenommen nicht bedeuten, dass er die Instanz anzeigt, die einen Erkenntnisgegenstand in einem Urteil a priori objektiv bestimmt. Bestimmend ist das Gefühl der Lust nämlich allein dadurch, dass es unter bestimmten Voraussetzungen mit einem vorgestellten (schönen) Gegenstand innerhalb der S-P-Beziehung eines Urteils identisch ist (zusammenstimmt). Die elementaren Voraussetzungen sind weiter oben bereits mehrfach benannt worden (zweifache Übereinstimmung, Gültigkeit der Zweckmäßigkeitsregel etc.). Das bedeutet zugleich, dass der auf subjektive Weise bestimmte Gegenstand als solcher (oder objektiv gesehen) unbestimmt bleibt. Das Bestimmen, das das Gefühl der Lust, unter Einbeziehung der noch zu erläuternden Bedingungen,169 bewirken soll, kommt daher, dass in diesem Erkenntnisvorgang von der konkreten Bestimmung eines zu beurteilenden Einzelgegenstandes abstrahiert wird. Dasjenige, welches durch den Grund (die Lust) bestimmt wird – das Subjekt des Urteils – ist die subjektive Vorstellung von einem Gegenstand. Das Bestimmende – das Prädikat des Urteils – ist eigentlich die Schönheit, die auf der Lustempfindung beruht. Der »Bestimmungsgrund« muss – wenn er seine Funktion erfüllen soll – das Wissen (Bewusstsein) darüber einschließen, dass er selbst von der Reflexion als seinem Grund abhängt. Die »subjektiven Bedingungen der Übereinstimmung derselben« (5:191.32), die zugleich allgemeine sind, gehören zur Reflexion und damit zur Begründung der Lust, insofern diese »Bestimmungsgrund« des Geschmacksurteils ist. Die subjektiven, allgemeinen Bedingungen der Übereinstimmung sind die Maximen der reflektierenden Urteilskraft, insbesondere das Gesetz der Spezifikation Hier wäre nur einschränkend darauf hinzuweisen, dass laut KU, § 48, das teleologische Urteil dem ästhetischen »zur Grundlage und Bedingung« dient, so dass ein Gegenstand durch »ein logisch-bedingtes ästhetisches Urteil« gedacht werden kann (5:311.36–312.7). 169 S. z. B. zum Verhältnis von teleologischem und ästhetischem Urteil: KU, § 48: »das teleologische Urteil dient dem ästhetischen zur Grundlage und Bedingung, worauf dieses Rücksicht nehmen muß« (5:311.36–312.1). 168
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(s. o. S. 472 ff.) und – zuerst – das Prinzip der subjektiven Zweckmäßigkeit. Diese stellen sicher, dass Einbildungskraft und Verstand – als die Vermögen, die in der Reflexion im Wettstreit gegeneinander liegen – in Übereinstimmung geraten. Weil die Reflexion diejenige Funktion ist, die den Gegensatz von Einbildungskraft und Verstand vermittelt, so ist sie das Bezugswort zu »derselben« im oben stehenden Zitat. Dass das Gefühl der Lust anstelle der Reflexion gemeint sein könnte, ist auszuschließen, zumal dann das Relat der »Übereinstimmung« im letzten Satz des 5. Abs. von Abschnitt VII hätte benannt werden müssen. Diese Benennung aber fehlt. Der zentrale Gedanke in den beleuchteten Abs. 4 und 5 scheint mir demnach – um den Kommentar dazu (vorläufig) abzuschließen – darin zu bestehen, dass das Gefühl der Lust nur insofern »Bestimmungsgrund« des Geschmacksurteils ist, als es selbst von den genannten Bedingungen abhängt. Es ist also kein unbedingter oder »zureichender« Grund.
Sechster und siebter Absatz: Einteilung der Kritik der ästhetischen Urteilskraft Die letzten beiden Absätze des VII. Abschnittes sind vom Umfang her relativ kurz, was den Inhalt betrifft, aber schwer zu erläutern. Der sechste Absatz soll unter Rückbezug auf das Ergebnis im 5. Abs. die »Ursache« dafür benennen, weshalb auch die Geschmacksurteile (ähnlich wie Erfahrungsurteile und praktische Urteile) »einer Kritik unterworfen« sind. Der 7. Abs. hat die Aufgabe zu erklären, inwiefern die Kritik der ästhetischen Urteilskraft in zwei Hauptteile »zerfallen muß« (s. auch EE XII). Die Eingangsworte des 6. Abs. (»Das ist die Ursache …«) (5:191.35) stellen keinen eindeutigen Bezug zum Ende des vorhergehenden Absatzes her. Worin besteht die Ursache dafür, dass das Geschmacksurteil einer »Kritik« bedarf? Die Antwort muß im letzten Satz des 5. Abs. zu finden sein (»Die Lust ist also […] zweckmäßig ist.«) (5:191.26–34). Der Kerngedanke dieses Satzes ist die weiter oben kommentierte Feststellung, dass die Lust als »Bestimmungsgrund« des Geschmacksurteils ihrerseits durch allgemeine subjektive Bedingungen der Übereinstimmung der Reflexion mit der (»zum«) Objekterkenntnis begründet ist (vgl. Kommentar zum Schluß von Abs. 5). Zu diesen Bedingungen gehört an oberster Stelle das Prinzip der subjektiven Zweckmäßigkeit. Daran erinnert der (eigentlich überflüssige) »weil«-Nebensatz im 6. Abs. noch einmal: »weil« die Möglichkeit der Urteile des Geschmacks »ein Prinzip a priori voraussetzt«. Das an dieser Stelle nicht näher bezeichnete Prinzip kann nur das der subjektiven Zweckmäßigkeit sein. Ihm zur Seite gestellt und zugleich von ihm unterschieden werden »ein Erkenntnisprinzip für den Verstand« (oberster Grundsatz aller synthetischen Urteile) sowie »ein praktisches für den Willen« (d. i. das moralische Gesetz). Das Unterscheidungsmerkmal besteht hier darin, dass allein das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft nicht a priori bestimmend ist. Es lässt sich hier eine Parallele ziehen zu den Gesetzgebungsfunk-
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tionen von Verstand, Vernunft und reflektierender Urteilskraft, die in Abschnitt II thematisiert worden waren (s. Kommentar, S. 402) sowie zur Einteilung des »Systems der Kritik«. Die »Kritik«, der in dieser Hinsicht das Geschmacksurteil zu unterziehen ist, wird sich – so kann zunächst vermutet werden – wie die Kritik der beiden anderen Urteilsarten auf Umfang und Grenzen der Geltung des ästhetischen Urteils beziehen. Der 7. Abs. bereitet die Einführung des Begriffs des »Erhabenen« als des komplementären Gegenstücks zum »Schönen« vor. Dabei wird die Stellung und die Funktion des Lustgefühls gegenüber den Ausführungen im 5. Abs. umgekehrt. Während dort nämlich die Lust aus der »bloßen Reflexion über die Form eines Gegenstandes« entsprang (5:191.17–20) und auf der Übereinstimmung der Zweckmäßigkeit des Gegenstandes mit dem Ausgleich der Erkenntnisvermögen Einbildungskraft und Verstand beruhte, so hat sie hier zwar den gleichen Ursprung, sie betrifft aber nicht das Verhältnis der Zweckmäßigkeit der Objekte zur reflektierenden Urteilskraft »gemäß dem Naturbegriffe am Subjekt« (5:192.6). Vielmehr »bezeichnet« sie »umgekehrt« die Zweckmäßigkeit »des Subjekts in Ansehung der Gegenstände ihrer Form, ja selbst ihrer Unform nach, zufolge dem Freiheitsbegriffe […]« (5:192.6–8). Entscheidend für den Wechsel der Perspektive ist, dass das Attribut der Zweckmäßigkeit hier ausdrücklich nicht dem Gegenstand (bzw. dessen ästhetischer Form) zugewiesen wird, sondern dem beurteilenden Subjekt. Dass die Lust die Zweckmäßigkeit in Hinsicht auf das Subjekt »bezeichnet«, kann folgendes bedeuten: Die Entstehung der Lust ist bedingt durch das Prinzip der subjektiven Zweckmäßigkeit, die selbst nicht erfahrbar ist. Da die Lust jedoch vom Subjekt gefühlt werden kann, weist sie auf das Vorhandensein der Zweckmäßigkeit hin, die sie damit repräsentiert oder deren Zeichen sie ist. Inwiefern aber ist die Zweckmäßigkeit dem Naturbegriff bzw. dem Freiheitsbegriff (d. h. dem Gegensatz von Naturbegriff und Freiheitsbegriff am Subjekt) »gemäß«? Die Angemessenheit der ersten Art lässt sich auf die Übereinstimmung von Einbildungskraft und Verstand im Geschmacksurteil beziehen. Obwohl beide Vermögen sich in einem »freien Spiel« betätigen und die Begriffe des Verstandes nichts an den Objekten determinieren, auf die sie sich beziehen, ist doch die Zweckmäßigkeit an den Naturgegenständen von den Verstandeskategorien (die zugleich die allgemeinen Begriffe der Natur sind) als den Bedingungen ihrer Möglichkeit abhängig. Das schließt aber aus, dass dieselbe Zweckmäßigkeit zugleich durch den Vernunftbegriff der Freiheit bedingt ist. Es kann also umgekehrt nicht die Zweckmäßigkeit an den Naturobjekten sein, sondern nur diejenige am Subjekt selbst, die dem Freiheitsbegriff »gemäß« ist. Diese zweite Angemessenheit soll aber nun das Subjekt betreffen in Hinsicht auf die »Form« oder sogar die »Unform« der Gegenstände. Es ist zunächst festzuhalten, dass die Zweckmäßigkeit auch in diesem Falle auf Naturobjekte bezogen ist, wenngleich in einer eingeschränkten Weise. Das ist insofern konsequent, als ja auch hier die Einbildungskraft das ästhetische Urteil (des Erhabenen) mit konstituiert. Dieses Vermögen hat ja die Funktion, die Formen der
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Naturobjekte zu apprehendieren (s. o. Kommentar S. 483, 517 f.). Was ist aber hier deren »Form« bzw. »Unform«? Die Antwort lässt sich auf der Grundlage des Textes der beiden Einleitungen nicht hinreichend ermitteln. Die Interpretation ist deshalb darauf angewiesen, nach Auskünften an anderen Stellen der KU zu suchen. Dafür bietet sich zunächst der § 23 an. In diesem ersten Paragraphen der Analytik des Erhabenen wird der Unterschied zwischen der »Naturschönheit« und der Erhabenheit bestimmt. Der wichtigste Aspekt besteht darin, dass das Schöne eine Formeigenschaft der Naturobjekte ist, das Erhabene dagegen keine Qualität von Naturobjekten, sondern eine Eigenschaft des Gemüts bezeichnet.170 Das Erhabene drückt das Verhältnis der Zweckmäßigkeit des Subjekts auf die »Unform« der Naturgegenstände aus. Genaugenommen trifft ein solches Ungleichgewicht der reflektierenden Urteilskraft das Gefühl des Erhabenen nicht direkt, Denn »an sich« sind die »erhaben« genannten Gegenstände der Natur (z. B. der aufgewühlte Ozean)171 formlos, »zweckwidrig«, chaotisch und insofern dem zweckmäßig reflektierenden Erkenntnisvermögen »unangemessen«. Die formwidrigen Phänomene der Natur sind zwar sinnlich darstellbar, aber sie sind nicht im ›eigentlichen‹ Sinne erhaben. Jedoch sollen sie laut Kant gerade durch ihre Unangemessenheit das Gemüt zur Beschäftigung mit Ideen der Vernunft anregen (KU, § 23, 4. Abs.).172 Die Ideen des Erhabenen stützen sich also nicht auf das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur, und sie betreffen nicht die ästhetische Form von Gegenständen. Aus diesem Grunde ist die Philosophie des Erhabenen für Kant ja auch nur ein »Anhang zur ästhetischen Beurteilung der Zweckmäßigkeit der Natur« (KU, § 23, 5. Abs.).173 Andererseits enthalten die Ideen des Erhabenen erklärtermaßen eine »höhere Zweckmäßigkeit« (insofern sie nämlich über die Natur hinausgeht) und das kann keine andere sein als die Idee der Freiheit, die sich in Form des Unendlichen und Unbegrenzten zeigt. Die Angemessenheit bzw. der Ausgleich im ästhetischen Urteil über das Erhabene und damit das Gefühl des Erhabenen selbst stellt sich also erst ein durch das Absehen von sinnlicher Darstellung und das Sicheinlassen auf ein Spiel mit Ideen, die im Gemüt hervorgerufen werden (§ 23, 4. Abs.): »das eigentlich Erhabene kann in keiner sinnlichen Form enthalten sein, sondern trifft nur Ideen der Vernunft, welche, obgleich keine ihnen angemessene Darstellung möglich ist, eben durch diese Unangemessenheit, welche sich sinnlich darstellen läßt, rege gemacht und ins Gemüt gerufen werden. So kann der weite, durch Stürme empörte Ozean nicht
Vgl. Foessel, M. (2008), Analytik des Erhabenen. Vgl. KU, Allgemeine Anmerkung zur Exposition der ästhetischen reflektierenden Urteile, 11.–12. Abs. (5:269–271). 172 Vgl. KU, § 30, 3. Abs. (5:280). 173 Die Zweitrangigkeit des Erhabenheitsurteils gegenüber dem Geschmacksurteil zeigt sich auch daran, dass das erstere keiner gesonderten Deduktion bedarf; diese fällt vielmehr mit der entsprechenden Exposition zusammen (§ 30). Außerdem fällt auf, dass die Dialektik der ästhetischen Urteilskraft sich auf die Geschmacksantinomie beschränkt. 170
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erhaben genannt werden. Sein Anblick ist gräßlich; und man muß das Gemüt schon mit mancherlei Ideen angefüllt haben, wenn es durch eine solche Anschauung zu einem Gefühl gestimmt werden soll, welches selbst erhaben ist […]« (KU, § 23, 4. Abs.; 5:245.31–246.2). Das Gemüt erhebt sich durch den Sinnenreiz beim Anblick des Unförmigen über die Sinnlichkeit zur »höheren Zweckmäßigkeit« von Ideen (des Erhabenen) und gibt sich dadurch erst die dem betrachteten Gegenstand angemessene Form. Es ist sozusagen nicht das Hinsehen sondern die Abwendung des Blicks von der »Unform« des Objekts, das zur erhabenen Stimmung aufsteigen lässt.174 In dem Bewusstsein der Überlegenheit der Vernunftidee gegenüber der Sinnlichkeit und der Natur drückt sich das Gefühl des Erhabenen aus, das eine Art »Bewunderung« ist, die im Unterschied zum Schönen nur in einer »negativen Lust« besteht.175 Eine vollständige Angleichung der sinnlich erfassten Naturformen durch die Einbildungskraft an die in den Vernunftideen gedachte Totalität und Unbedingtheit derselben wird trotz allen Bestrebens mit der Idee des Erhabenen nicht erreicht: »Man kann das Erhabene so beschreiben: es ist ein Gegenstand (der Natur), dessen Vorstellung das Gemüt bestimmt, sich die Unerreichbarkeit der Natur als Darstellung von Ideen zu denken.« (KU, Allgemeine Anmerkung, 7. Abs.; 5:268.1–3).176 Von dieser Seite aus betrachtet ist die Einbildungskraft den Vernunftideen objektiv unangemessen.177 Sie erweist sich aber dadurch als subjektiv-zweckmäßig, dass sie der endlosen Erweiterung im Hinblick auf die Totalitäten, die ihr die Vernunft entgegenhält, fähig ist. Sie verwandelt ihr eigenes Vermögen,178 ›beraubt‹ sich damit selbst ihres ursprünglichen Vermögens der spielerischen Freiheit, erwirbt aber schließlich »eine Erweiterung und Macht, welche größer ist als die, welche sie aufopfert, deren Grund aber ihr selbst verborgen ist […]« (KU, Allgemeine Anmerkung, 11. Abs., 5:269.9–11).179 Nach diesem Exkurs dürfte verständlich werden, was im letzten Absatz von E VII gesagt wird: Das Gefühl der Lust (bzw. der »negativen« Lust)180 entsteht aus der Reflexion über das Erhabene dadurch, dass die Einbildungskraft sich selbst negiert. Die »Beraubung« besteht einerseits in der Negation der Schranken der Sinnlichkeit (welche die absolute Totalität und Unbedingtheit nicht erreichen kann), andererseits in der Negation der Freiheit der (sinnlichen) Einbildungskraft als ihres unabhängigen Bestrebens nach endloser Erweiterung ihrer Befähigung, unförmige
Zur Charakterisierung der Theorie des Erhabenen und der ihr immanenten Probleme vgl. Dörflinger, B. (2005), Lyotards Kant-Lektionen zum Erhabenen, 339–343; vgl. Lyotard, J.-F. (1994), Die Analytik des Erhabenen. 175 Vgl. KU, § 23, 2. Abs.; vgl. § 27, 2. Abs.; vgl. Allgemeine Anmerkung, 11. Abs. (5:269). 176 Vgl. auch KU, Allgemeine Anmerkung, 8. Abs. (5:268). 177 Vgl. KU, Allgemeine Anmerkung, 11. Abs. (5:269). 178 Vgl. KU, § 49, 4. Abs.: Umbildung der Einbildungskraft bzw. der Natur (5:314.9–19). 179 Vgl. KU, Allgemeine Anmerkung, 18. Abs. (5:274). 180 KU, § 23, 2. Abs. (5:245.10). 174
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Naturphänomene aufzufassen. Diese Freiheit entdeckte sie gerade an der Unbegrenztheit der formlosen Natur.181 In ihrem Bestreben aber wird sie zugleich durch die Vernunftidee der Freiheit bestimmt.182 Die letzte Folgerung aus der Unterscheidung zwischen der Zweckmäßigkeit der schönen Naturformen und der Zweckmäßigkeit des Subjekts in Bezug auf die formwidrige Natur und der dadurch bedingten unterschiedlichen Art der Lustempfindung ist die Gliederung des ästhetischen Urteils in das Geschmacksurteil des Schönen und ein Erhabenheitsurteil, woraus sich zugleich die Aufteilung der Kritik der ästhetischen Urteilskraft »in zwei diesen gemäße Hauptteile« ergeben soll (5:192.9– 12). Diese beiden Hauptteile stimmen allerdings mit der dann ausgeführten Textgliederung des ersten Teils der KU nicht überein. Sichtbar wird sie bloß an den beiden Büchern der Analytik der ästhetischen Urteilskraft, d. i. in Gestalt der Analytik des Schönen (Erstes Buch) und der Analytik des Erhabenen (Zweites Buch). Für diese beiden Analytiken nämlich ist eine je spezifische Zweckmäßigkeitsbeziehung kennzeichnend, die die beiden unterschiedlichen Urteilsarten bestimmen. Von dem auf das Erhabene bezogenen ästhetischen Urteil wird beiläufig noch bemerkt, es sei »aus einem Geistesgefühl« ›entsprungen‹. Eine Erklärung zu diesem Terminus wird an Ort und Stelle nicht gegeben und ist m.W. in Kants Werken nicht hinreichend zu erschließen. Im Haupttext der KU kommt der Begriff des »Geistesgefühls« nicht vor. Er ist nicht zweifelsfrei beziehbar auf den des »Geistes«, der in § 49 der KU als ein Vermögen des kunstschaffenden Genies eingeführt wird (KU, § 49, 1.–2. Abs., 5:313) (weil das Kunstschaffen unter dem Aspekt des Schönen steht und außerdem mit Absicht geschieht). Am Ende der EE (XII, 6. und 9. Abs.) begegnet das »Geistesgefühl« noch einmal flüchtig und im Zuge der Einteilung der KU. Es bildet das Pendant zum »Geschmack«. Zu beiden Vermögen soll es eine »Kritik« geben, die sich in den beiden Büchern des ästhetischen Teils der KU niederschlägt. Gemeint sind damit faktisch die »Analytik des Schönen« und die »Analytik des Erhabenen«. Somit ist vorläufig nur die Aussage gesichert, dass als »Geistesgefühl« das Vermögen (der reflektierenden Urteilskraft) bezeichnet wird, kraft dessen das Erhabene beurteilt wird (»so nenne ich vorläufig das Vermögen, an Gegenständen eine Erhabenheit vorzustellen«, EE XII, 6. Abs.; 20:250.33–34). Allerdings dürften die Erwähnungen des »Geistesgefühls« in EE XII zu ergiebigeren Einsichten im Kontext jenes Abschnittes führen. Denn dort geht es um die verschiedenen, von der Urteilskraft und ihren Vermögen erzeugten Urteilen und deren Bestimmung durch verschiedene Formen der Zweckmäßigkeit. Die besondere Stellung und Funktion des Erhabenheitsurteils innerhalb der Ästhetik Kants erlaubt vielleicht noch den einen oder anderen präziseren Rückschluß auf Bedeutung und Funktion des »Geistesgefühls«. Diesen anzustellen war dem Kommentar zu EE XII vorbehalten. Hier mag die These genügen, dass das »Geistesgefühl«, insofern es von der subjektiven und relativen Zweckmä181 182
Vgl. KU, § 23, 2. Abs. (5:244.25). Vgl. KU, Allgemeine Anmerkung, 11. Abs. (5:269).
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ßigkeit bestimmt wird, von einer Vorstellung zufälligen Gebrauch macht zu dem Zweck, das Gefühl einer »innern Zweckmäßigkeit in der Anlage der Gemüthskräfte« zu bewirken (EE XII, 4. Abs.; 20:250.14–15). Der zufällige Gebrauch drückt sich im Erhabenheitsurteil aus.
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E VIII Achter Abschnitt: »Von der logischen Vorstellung der Zweckmäßigkeit der Natur.« Gliederung: Erster Absatz: »Naturzweck« und »reale Zweckmäßigkeit« Zweiter bis vierter Absatz: Einteilung der Kritik der Urteilskraft. Vorrangigkeit der ästhetischen Urteilskraft vor der teleologischen
Erster Absatz: »Naturzweck« und »reale Zweckmäßigkeit« Der achte Abschnitt der Einleitung hat eigentlich zwei Hauptthemen. Im ersten Absatz (5:192.16–193.17) wird erklärt, was eine »logische Vorstellung der Zweckmäßigkeit der Natur« ist, im Unterschied zu der ästhetischen, die Gegenstand des vorherigen Abschnittes gewesen ist. Die übrigen Absätze skizzieren die Einteilung der »Kritik der Urteilskraft« auf der Grundlage der in Absatz 1 (und Abschnitt VII) gewonnenen Einsichten und bestimmen zugleich die Stellung und Funktion der ästhetischen im Unterschied und im Verhältnis zur teleologischen Urteilskraft.183 Kant kann sich bei seinen Ausführungen im ersten Absatz auf Ergebnisse des siebten Abschnittes stützen und erinnert auch sogleich an Aspekte der ästhetischen Vorstellung der Zweckmäßigkeit. Eingangs stellt er fest, dass es genau zwei ›Arten‹ der Vorstellung von Zweckmäßigkeit an Erfahrungsgegenständen gebe, je nachdem, ob die Vorstellung auf einem subjektiven oder auf einem objektiven Grunde beruhe. Die Formulierung »an einem in der Erfahrung gegebenen Gegenstande« lässt die Behauptung zu, dass beide Vorstellungsarten der Zweckmäßigkeit gleichzeitig auf ein und denselben Gegenstand bezogen sein können. Subjektiv begründet besteht die Vorstellung der Zweckmäßigkeit in der bereits dargelegten Übereinstimmung der Form eines Gegenstandes mit den Erkenntnisvermögen in der Apprehension. Die »Auffassung« ist dadurch gekennzeichnet, dass sie »vor allem Begriffe« wirkt, kann aber im nachhinein auf Begriffe bezogen werden Es ist zwar zutreffend, dass dieser Abschnitt parallel zur »logischen Vorstellung« ausführlich auch von der der ästhetischen Urteilskraft handelt, aber das kann die Diagnose nicht rechtfertigen, der Titel von VIII sei »schlicht falsch« (s. Brandt, R. (2008), Von der ästhetischen und logischen Vorstellung der Zweckmäßigkeit der Natur, 44). Dass die ästhetische Urteilskraft in diesem Abschnitt ein gleichrangiges Thema ist, liegt daran, dass die teleologische aus der Differenz zur ästhetischen bestimmt wird. 183
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und mit diesen zu einer »Erkenntnis überhaupt« verbunden werden (5:192.18–20). Ihr Kernstück (der »Grund« der Form) ist die bei dieser Tätigkeit »unmittelbar« empfundene Lust an der »Form« des Gegenstandes. Die ersten beiden Sätze des ersten Absatzes sind so zu lesen, dass der subjektive Grund der Vorstellung der Zweckmäßigkeit die Übereinstimmung der Gegenstandsform mit den subjektiven Erkenntnisvermögen ist, bzw. dass der objektive Grund besagt, die Form des Objekts stimme überein mit der begrifflichen Möglichkeit des Dinges. »Erkenntnis überhaupt« bezeichnet Erkenntnis in einem allgemeineren Sinne als der der Erfahrung, der abhängig ist von den Funktionen des Verstandes, der sinnlichen Anschauung und der bestimmenden Urteilskraft. Das was von Kant in diesem Absatz »Form« des Gegenstandes genannt wird, ist bei beiden Arten der Vorstellung der Zweckmäßigkeit nicht ganz genau dasselbe, obwohl beide empirische Wahrnehmungsinhalte (vgl. 5:193.7 f.) sowie die Apprehension eines Anschauungsmannigfaltigen enthalten mögen. Überhaupt ist darauf zu achten, dass Kant den vielfach von ihm benutzten Form-Begriff in unterschiedlicher Bedeutung gefasst hat.184 (vgl. vor allem auch die Ausführungen im Kommentar zu E IV, 2. Abs.) Beiden Form-Begriffen ist jedoch gemeinsam, dass sie etwas ursprünglich Unbestimmtes am Gegenstand bezeichnen, das im Hinblick auf etwas Zweckmäßiges bestimmbar ist. In der subjektiven Vorstellungsart beschränkt sich die Form des Gegenstandes auf die Beziehung der Anschauung auf das Erkenntnisvermögen »in der Auffassung«. Zur Erläuterung erinnere ich an dieser Stelle an den Kommentar zu Absatz 3 des siebten Abschnittes der Ersten Einleitung, wo die »Auffassung (apprehensio)« die erste von drei aufeinander aufbauenden Handlungen des Erkenntnisvermögens bildete, die »jedem empirischen Begriff« eigen ist (neben der »Zusammenfassung« und der »Darstellung«) (20:220.14–22). Die Vorstellung der Zweckmäßigkeit, insofern sie einen objektiven Grund hat, bezeichnet gegenüber der subjektiven Vorstellung eine Übereinstimmung der »Form« eines Gegenstandes mit der »Möglichkeit des Dinges selbst« (d. i. der Erscheinung). Hier ist das der »Auffassung« Vorhergehende ein »Begriff« (des Verstandes oder der Vernunft), und dieser liegt der (apprehendierten) Form des Gegenstandes bereits zugrunde. Die beiden miteinander übereinstimmenden Seiten der Beziehung, die sich als objektiv begründete Zweckmäßigkeit ausdrückt, sind die Form des Gegenstandes
Darauf weist auch R. Brandt hin in seinem Kommentar zu Abschnitt VIII. Brandts Versuch, die Frage zu beantworten, was »Form« am Anfang dieses Abschnittes bedeute, enthält gleich mehrere Missverständnisse. Zum einen geht der Formbegriff, soweit es sich um den der Ästhetik handelt, nicht auf die Formen von Raum und Zeit in der KrV zurück, zum anderen ist der Formbegriff der Teleologie nicht in der Logik der KrV begründet. Noch weniger kann man sagen, dass in beiden Fällen die »Formstifterin« die reflektierende Urteilskraft sei. Die reflektierende Urteilskraft stiftet keine Form, sondern nimmt Formen der Einbildungskraft, des Verstandes und der Vernunft auf, um sie in besonderer Weise aufeinander zu beziehen und zu vergleichen. (Vgl. Brandt, R. (2008), Von der ästhetischen und logischen Vorstellung der Zweckmäßigkeit der Natur, 52–54). 184
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einerseits und eine bestimmte Erkenntnis von demselben Gegenstand »unter einem gegebenen Begriffe« andererseits. Das Verständnis des ganzen ersten Absatzes hängt m. E. davon ab, was Kant in diesem Kontext unter einem »gegebenen Begriffe« versteht. Der Gegenstandsbegriff, der als »gegeben« für den »Gebrauch« der Urteilskraft vorausgesetzt wird, muss entweder der Naturbegriff von einem Objekt sein, dessen Konstitutionsbedingungen in der transzendentalen Analytik der KrV entwickelt wurden, oder der Begriff von einem »Naturzweck« oder auch beides zugleich. Nach meinem Verständnis kommen hier beide Arten von Begriffen ins Spiel, sowohl in der kategorialen (des Verstandes) als auch in der finalen (der Vernunft). Das ist es, was das Verständnis dieses Absatzes erschwert. Ein Gefühl der Lust stellt sich hierbei jedenfalls nicht ein, und wäre auch ganz überflüssig. Es ist vielmehr an dessen Stelle der »Verstand« (als ein Moment der reflektierenden Urteilskraft), der eine Beurteilung des Gegenstandes vornimmt.185 Und dennoch wird durch die Einbindung des Verstandes in die Operation der Urteilskraft, die eine objektive Zweckmäßigkeit vorstellt, (streng genommen) keine über die Naturerfahrung hinausgehende, erneute Objektbestimmung erzielt. Wie im Falle der Vorstellung der Zweckmäßigkeit aus dem subjektiven Grund, muss auch das Pendant der objektiven Vorstellung als »bloße[] Reflexion« (als Reflexion ohne bestimmenden Grund) verstanden werden. Wenn Kant in diesem Zusammenhang die Formulierung gebraucht »ein bestimmtes Erkenntnis des Gegenstandes unter einem gegebenen Begriffe« (5:192.28 f.), so kann es sich eigentlich nur um objektive Naturerkenntnis durch den Verstand handeln. Der ›gegebene‹ Begriff, dem diese Erkenntnis untergeordnet werden soll, muss aber deswegen noch kein Verstandesbegriff sein. Es kann auch der Zweckbegriff sein. Dann aber ist die Subsumtion nicht als bestimmende zu verstehen. Der Zweckbegriff ist dann eine Bestimmung, die den bestimmten Naturbegriff überformt ohne ihn neu zu bestimmen. In diesem Sinne hat Kant ja im sechsten Absatz von EE VII auch das teleologische Urteil charakterisiert, nämlich als ein »Erkenntnißurtheil« der reflektierenden Urteilskraft.186 Der bestimmte Gegenstand, dessen Begriff »gegeben« ist, den die Urteilskraft teleologisch überformt, ist nach allgemeinen Verstandesprinzipien nicht hinreichend bestimmt. Die allgemeinen transzendentalen Gesetze des Verstandes bestimmen alle Naturobjekte auf gleiche Weise. Es macht keinen Unterschied, ob es sich um ein Lebewesen oder um ein gewöhnliches Naturding (einen Naturgegenstand überhaupt) handelt. Für eine differenzierte Betrachtung von Naturobjekten als Naturprodukten bedarf es aber weiterer spezifischer Prinzipien. Dafür ist die teleologische Urteilskraft maßgebend. Man vergleiche dazu EE VII, 6. Abs. und den darauf bezogenen Kommentar. Dort waren es empirische Begriffe »gemäß dem Mechanism der Natur«, die der Urteilskraft zur objektiven Beurteilung der Zweckmäßigkeit »gegeben« sind und die die Stelle des »Verstandesbegriff[s]« einnehmen (20:221.10–14). 186 20:221.16–19; vgl. den Kommentar zu EE VII, 6. Abs. 185
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Im Anschluss an diese Unterscheidung erläutert Kant, was unter einer »Erkenntnis in der Darstellung (exhibitio)« zu verstehen ist.187 Wie es scheint, bezieht er sie zunächst nur auf die zweite Art des Vorstellens der Zweckmäßigkeit. Er geht nämlich von der zuvor genannten ›bestimmten Erkenntnis des Gegenstandes unter einem gegebenen Begriff‹ aus. Diese »Erkenntnis« ist (zunächst) das Produkt der Urteilskraft, unter der Voraussetzung, dass der Begriff des Gegenstandes »gegeben« ist. Die darstellende Erkenntnis kommt dadurch zustande, dass die Urteilskraft dem Begriffe eine ihm »korrespondierende Anschauung« »zur Seite« stellt. Mit dieser Anschauung ist die Wahrnehmung als Form des Gegenstandes gemeint. Erneut muss nach der Bedeutung des Gegebenseins des Begriffs des Gegenstandes gefragt werden. In diesem Falle ist die Frage leicht zu beantworten, denn Kant sagt selbst, dass es sich dabei um »unseren Begriff vom Zweck« handelt, den wir der Natur »zur Beurteilung ihres Produkts« zugrunde legen (5:193.3–4). Wir haben es also hier offenbar nicht (oder nicht direkt) mit Naturerkenntnis als Erfahrung im Sinne synthetischer Urteile a priori zu tun, deren Prinzipien in der KrV entwickelt werden, sondern mit einer Naturbeurteilung. Die Urteilskraft ist daher auch nicht bestimmend, sondern reflektierend. Kants Ausdrucksweise (»zur Seite« stellen) suggeriert eine Nebenordnung von (empirischer) Anschauung und Begriff. Demgegenüber steht die bestimmte Erkenntnis, die die Reflexion voraussetzt, »unter« einem gegebenen Begriff. Demnach ist von einer Unterordnung (Subsumtion) auszugehen, die sich spezifisch unterscheiden muss von der Subsumtionsleistung der bestimmenden Urteilskraft. Sie muss indessen auch durch einen (und zwar subjektiven) »Schematismus der Urteilskraft« vollzogen werden, der überhaupt darin besteht, einem reinen Verstandesbegriff die korrespondierende Anschauung a priori zu geben.188 Bestimmt heißt diese (objektiv zweckmäßige) Erkenntnis allein deswegen, weil Verstandesbegriffe überhaupt daran mitwirken und diese als logische Funktionen die eigentlichen Mittel des Bestimmens sind. Die (reflektierende) Urteilskraft kann nun ihre Funktion der Herstellung von »Erkenntnis in der Darstellung« auf unterschiedliche Weise ausüben: auf eine Weise durch die Einbildungskraft, »wenn wir einen vorhergefaßten Begriff von einem Gegenstande, der für uns Zweck ist, realisieren« (5:193.1–2). Als Beispiel für einen solchen Zusammenhang wird die »Kunst« genannt. Diese Art der Erkenntnis, die sich aus der Verwirklichung subjektiv gesetzter Zwecke durch das zweckorientierte Handeln der Menschen ergibt, ist für die Erklärung der ›logischen Vorstellung der Zweckmäßigkeit der Natur‹ im ersten Absatz eigentlich nicht relevant. Angesprochen sind damit alle diejenigen Erkenntnisbereiche, die Kant im jeweils ersten Abschnitt beider Einleitungen kritisch kommentiert und als praktische Folgerungen aus theoretischen Sätzen ausgewiesen hat. Es ist also nicht die schöne Kunst gemeint.189 Vgl. auch EE VII, 3. Abs. und dazu den Kommentar. Vgl. KU, Allgemeine Anmerkung zur Exposition der ästhetisch reflektierenden Urteile,11. Abs. (5:269.25); § 59, 1.–2. Abs. (5:351.15–31). 189 Auch die Erfindungskunst der Urteilskraft, die selbst zweckmäßige Formen der An187
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Mit der zweiten Art der »Erkenntnis in der Darstellung« verhält es sich anders. Sie wird nicht wie in der Kunstdarstellung durch die Einbildungskraft gebildet, sondern »durch die Natur, in der Technik derselben (wie bei organisierten Körpern), wenn wir ihr unseren Begriff vom Zweck zur Beurteilung ihres Produkts unterlegen« (5:193.2–4). Die Natur scheint sich hier – wie auch an anderen Stellen190 – zum Akteur, zum handelnden Subjekt zu generieren, das dem Naturprodukt selbst einen Zweck beilegt. Es bleibt noch zu erläutern, was der Ausdruck einer »Technik« der Natur bei Kant zu bedeuten hat. Dies ist mit mehr Ausführlichkeit im Kommentar zur Ersten Einleitung bereits geschehen, wo in den Abschnitten II (7.–8. Abs.), V (8.–10. Abs.), VII (1.–3. Abs.), IX (5. Abs.), XII (3. & 7. Abs.) dieser komplizierte und problembeladene Sachverhalt wiederholt auseinandergelegt und vertieft wurde. Dennoch muss hier einiges aus dem früheren Kommentar wiederholt werden, um das Vorgehen Kants im ersten Absatz des VIII. Abschnittes der Einleitung verständlich darlegen zu können. Das Naturprodukt, das in seinem Dasein (objektiv) als Zweck bestimmt ist, nennt Kant »Naturzweck«. Er enthält mehr als bloß die Zweckmäßigkeit in der Form des Gegenstandes. Was ein Naturzweck genau ist, muss an Hand anderer Textstellen aus der KU ermittelt werden, da die Einleitung keine weiteren Untersuchungen darüber anstellt. Dies ist zum Teil bereits im Kommentar zu EE IX (1. Abs.) geschehen.191 Unter Zuhilfenahme des 1. Abs. von EE IX lässt sich zusammenfassend sagen: Die Logik der teleologischen Urteilskraft hat die teleologische Beurteilung der empirisch-kontingenten Naturwesen, die von den allgemeinen Gesetzen des Verstandes nicht erschöpfend bestimmt sind, zum Gegenstand, unter dem Gesichtspunkt, dass ihre Kausalität als »Erzeugung« (bzw. Selbsterzeugung) unter der Bedingung (»inneren Möglichkeit«) des ihr zum Grunde liegenden Begriffs eines objektiven Naturzwecks, verstanden wird. Die Logik, die einen Verstandesbegriff (einen empirischen Naturbegriff), den Begriff des Naturzwecks und eine Grund-Folge-Relation (als logischer Ausdruck für Kausalität) als »logische Konstanten« in ihrem Urteilen enthält,192 kann von vornherein nur von Gegenständen Gültigkeit beanspruchen, die ein Erzeugungsprinzip enthalten, d. h. von Lebewesen. In diesem Sinne ist (enthält) die Logik der teleologischen Urteilskraft (auch) eine Fachlogik der Biologie, in
schauung für die »Auffassung« liefert, die zur »Darstellung eines Begriffs« passen, können dazu gerechnet werden (vgl. EE IX, 1. bis 2. Abs., sowie den Kommentar dazu S. 221–223). Zur Unterscheidung zwischen Kunst und Technik s. auch EE XII, 7. Abs. 190 Z. B. hinsichtlich ihrer Selbstspezifikation (vgl. EE V, 8. Abs.). Vgl. auch KU, § 61, 4. Abs. (5:360.34). 191 Weitere Aufschlüsse bieten die §§ 64 und 65 der KU, die hier jedoch nicht eigens Thema der Untersuchung sein können. 192 Zum Begriff der logischen Konstanten vgl. Wolff, M. (2006), Einführung in die Logik, § 5, S. 26.
VIII. Abschnitt: Logische Vorstellung der Zweckmäßigkeit der Natur
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der aber eine Reihe weiterer, konkreter Prinzipien, wie z. B. die Vererbungsgesetze fehlen.193 Sie ist nach folgendem Muster aufgebaut: • X ist ein Naturzweck • X erzeugt x (x1, x2, x3, xn+1) (als Grund-Folge-Relation) • X ist ein y Weitere, hier nur stichpunktartig genannten Aufgaben einer solchen Logik wären: – – – –
Aufstellung von Leitungsmaximen der Naturforschung (KU, § 61.4) Beurteilung der Kausalitätsverhältnisse (§ 63, 1. Abs.) Bildung absoluter teleologischer Urteile (§ 63, 5. ) Klassifizieren. Die Logik muss Klassifikationsausdrücke enthalten, die bestimmten, konkreten Regeln der Klassifizierung unterliegen.194 – Sie muss ein Erzeugungsprinzip hinsichtlich Individuum und Gattung enthalten (vgl. § 64). Bei diesen logischen Operationen gibt die teleologische Urteilskraft die Bedingungen »bestimmt an« usw. (E VIII, 4. Abs.) – diese Bedingungen sind die Regeln der Logik, die sie zur Ausübung bringt: das Prinzip der relativen und das der inneren Zweckmäßigkeit. (s. KU, § 63) Im letzten Gedankengang des ersten Absatzes (hinter dem Gedankenstrich) wird eine Differenzierung der »Erkenntnis in der Darstellung« vorgenommen, indem nun auch dem Naturschönen (und damit der ästhetischen Vorstellung der Zweckmäßigkeit der Natur) in bestimmter Hinsicht eine Eignung zur Erkenntnis, wenngleich nicht zu einer bestimmten, sondern bloß zur »Erkenntnis überhaupt«, zugesprochen wird. Auch die subjektive Zweckmäßigkeit in denjenigen Formen der Natur, die durch empirische Gesetze bestimmt werden, soll sich – obwohl sie kein Begriff von einem Gegenstand der Natur ist, sondern nur ein (regulatives) Prinzip der Urteilskraft, das als Orientierungshilfe in der empirischen Mannigfaltigkeit der Natur bei der Suche nach Begriffen dient – dafür eignen, um »nach der Analogie eines Zwecks« auf unser Erkenntnisvermögen bezogen werden zu können. Kant hält es für gerechtfertigt, auch die Erkenntnis der Naturschönheit als »Darstellung des Begriffs« zu verstehen, weil eben ein analogischer Zweckbezug möglich ist.195 Für die »Analogie« gilt allerdings nach wie vor die Einschränkung, dass die subjektive Zweckmäßigkeit nicht wirklich von einem Zweck als dem Begriff von einem Gegenstand abhängt. Der Kant hat sich mit dieser Frage in seinen verschiedenen Artikeln zur Rassentheorie auseinandergesetzt. S. dazu vom Verfasser: (2012), Einheit der Abstammung oder Gattungseinteilung?, 55–96. 194 S. dazu Wolff, M. (2006), Einführung in die Logik, § 83, S. 113–115. 195 Ähnlich im 1. Abs. von § 61 der KU. 193
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
eigentliche Ausdruck für diese analogische Darstellung ist das Symbol.196 D. h. die Beurteilung eines schönen Gegenstandes der Natur darf sich nicht auf einen Begriff von diesem Gegenstand stützen, sondern bloß auf das Gefühl der Lust. Wenn »Erkenntnis in der Darstellung« bedeuten soll, dass einem Begriff eine korrespondierende Anschauung zugeordnet wird, dann kann dies für die Naturschönheit nur gelten, insofern die Darstellung bloß »nach der Analogie« eine Darstellung »des Begriffs« ist; denn in Wirklichkeit kann ihre Beurteilung allein durch das (weder durch Begriffe noch durch Anschauung zu erfassende) Gefühl der Lust vorgenommen werden. Dieses sollte ja nach der strengeren Bestimmung im zweiten Absatz des VII. Abschnittes eigentlich auch »gar kein Erkenntnisstück« werden können. Folgende Ergebnisse dieser Überlegungen beschließen den ersten Absatz: 1) Die »Naturschönheit« ist eine Begriffsdarstellung der »formalen (bloß subjektiven)« Zweckmäßigkeit; die Naturzwecke sind eine eben solche der »realen (objektiven) Zweckmäßigkeit«. 2) Die Naturschönheit wird »durch Geschmack«, d. h. »ästhetisch, vermittelst des Gefühls der Lust« beurteilt, die Naturzwecke durch »Verstand und Vernunft«, d. h. »logisch, nach Begriffen«. 3) Die reflektierende Urteilskraft hat es im logischen Gebrauch der Zweckmäßigkeit der Natur mit zwei Arten von gegebenen Begriffen zu tun: erstens mit den Naturbegriffen des Verstandes, zweitens dem Zweckbegriff der Vernunft.
Zweiter bis vierter Absatz: Einteilung der Kritik der Urteilskraft. Vorrangigkeit der ästhetischen Urteilskraft vor der teleologischen Der zweite Absatz nimmt begründungslogisch Bezug auf die zuvor getroffene Unterscheidung zwischen der Darstellung des Begriffs der subjektiven und der des Begriffs der objektiven Zweckmäßigkeit (»Hierauf gründet sich …«) (5:193.18). Weil die ästhetische Urteilskraft die subjektive (formale) Zweckmäßigkeit durch das Gefühl der Lust, die teleologische aber die objektive (reale) Zweckmäßigkeit durch den Verstand beurteilt, und weil sich jeder dieser Begriffe von Zweckmäßigkeit auf spezifisch verschiedene Weise darstellt (als Naturschönheit bzw. als Naturzweck), so ergibt sich daraus die Zweiteilung der Kritik der Urteilskraft als Kritik der ästheti-
Zum Begriff der Darstellung als Art der Versinnlichung von Begriffen (die Kant auch »Hypotypose«, »subiectio sub adspectum« nennt) und ihrer Unterscheidung in eine »schematische« und eine »symbolische« (die – Kant zufolge – entgegen dem Wortgebrauch der »neueren Logiker[]« beide intuitive Vorstellungsarten sind) vgl. KU, § 59. Die schematische Veranschaulichung ist eine »direkte« Darstellung des Begriffs. 196
VIII. Abschnitt: Logische Vorstellung der Zweckmäßigkeit der Natur
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schen Urteilskraft (Erster Teil) und als Kritik der teleologischen Urteilskraft (Zweiter Teil). Ausgehend von der Einteilung der Kritik der Urteilskraft in die beiden genannten Teile wird im dritten Absatz eine für die inhaltliche Systematik dieser Kritik folgenschwere Behauptung aufgestellt. Der erste Teil (die Kritik der ästhetischen Urteilskraft) soll ihr nämlich »wesentlich« angehören. Die Kritik der teleologischen Urteilskraft scheint somit – das ist die naheliegende Konsequenz – für die Gesamtkonzeption von zweitrangiger (unwesentlicher) Bedeutung zu sein. Die Begründung für diese besondere Auszeichnung des ästhetischen Teils verweist auf das Wesen ihres Gegenstandes. Von den beiden Arten der reflektierenden Urteilskraft enthält, so wird erklärt, ausschließlich die ästhetische ein Prinzip, nach welchem sie »völlig a priori« über die Natur reflektiert. Dieses Prinzip ist das der formalen Zweckmäßigkeit der Natur. Formal wird die subjektive Zweckmäßigkeit deswegen genannt, weil sie eben (im Unterschied zur objektiven) als Beziehung des subjektiven Erkenntnisvermögens von jeder inhaltlich-begrifflichen Determination abstrahiert. Welche Konsequenzen sich aus diesem Vorzug für die Funktion der teleologischen Urteilskraft ergeben, werden wir noch sehen. Ein Missverständnis könnte entstehen, wenn in dem mit »nämlich« beginnenden Nebensatz der Satzpartikel »nach ihren besonderen (empirischen) Gesetzen für unser Erkenntnisvermögen« (5:193.28 f.) auf »formale Zweckmäßigkeit« statt auf »Natur« bezogen würde. Denn plausibel erscheint nur die Wortkombination »der Natur nach ihren besonderen (empirischen) Gesetzen«. Auf die so verstandene Natur soll nämlich die formale Zweckmäßigkeit, und zwar im Hinblick bloß auf das subjektive Erkenntnisvermögen bezogen werden. Und ohne die Zweckmäßigkeit der Natur könnte »sich der Verstand in sie [d. i. die besondere Natur, WE] nicht finden« (5:193.29). Hiernach bedarf der Verstand also zu seiner eigenen Betätigung des Prinzips der Zweckmäßigkeit der ästhetischen Urteilskraft, und zwar – wie aus den letzten Zeilen dieses Absatzes (Satzteile [4] und [4.1] in der nachstehenden Satzgrafik) hervorgeht – zur ›Vorbereitung‹ des Verstandes auf eine bestimmte Aufgabe. Diese Aufgabe besteht darin, »den Begriff eines Zwecks (wenigstens der Form nach) auf die Natur anzuwenden« [4a]. M.a.W. der Verstand kann Zweckbegriffe nur dann erst auf die Natur beziehen, wenn die ästhetische Urteilskraft dieselbe Natur bereits durch ihr formales und apriorisches (transzendentales) Prinzip der Zweckmäßigkeit reflektiert hat. Die eigentlichen Schwierigkeiten bei der Interpretation des dritten Absatzes beginnen jedoch erst nach dem Doppelpunkt (5:193.29 ff.). Unpassende Anschlussstücke (»anstatt daß«) in der Syntax machen es erneut notwendig, den komplizierten Nebensatz in einer Satzgrafik zu zergliedern, übersichtlich darzustellen und die einzelnen Glieder zu nummerieren (5:193.29–194.2):
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
[1] anstatt daß gar kein Grund a priori angegeben werden kann, [1.1] ja nicht einmal die Möglichkeit davon aus dem Begriffe einer Natur,
}
[1.1a] als Gegenstandes der Erfahrung im allgemeinen sowohl als im besonderen, [1.2] erhellt, [2] daß es objektive Zwecke der Natur, {[2a] d. i. Dinge, die nur als Naturzwecke möglich sind, [2.1] geben müsse;\ [3] sondern nur die Urteilskraft, { [3a] ohne ein Prinzip dazu a priori in sich zu enthalten, [3.1] in vorkommenden Fällen (gewisser Produkte), [3.1a] um zum Behuf der Vernunft von dem Begriffe der Zwecke Gebrauch zu machen [4] die Regel enthält,\
}
[5] nachdem jenes transzendentale Prinzip schon, [5a] den Begriff eines Zweckes (wenigstens der Form nach) auf die Natur anzuwenden, [6] den Verstand vorbereitet hat.\ (5:193.29–194.2)
}
Satzgrafik Nr. 21
Durch das einleitende »anstatt« ([1]) wird eine bestimmte Differenz oder ein Gegensatz zum ersten Teil des Absatzes aufgemacht. Es wird behauptet, es lasse sich kein Grund a priori dafür anführen, »daß es objektive Zwecke der Natur […] geben müsse« ([2], [2.1]), und objektive Zwecke werden in einem Zusatz erläutert als »Dinge«, deren Möglichkeit allein darauf beruht, dass sie zugleich Naturzwecke sind ([2a]). Naturzwecke aber waren am Ende des ersten Absatzes erklärt worden als »Darstellung des Begriffs einer realen (objektiven) Zweckmäßigkeit« (5:193.14 f.). Diese Darstellung also kann nicht, so lautet die Behauptung, den Grund a priori für Dinge als Naturzwecke ergeben. Demgegenüber – und darauf bezieht sich der mit »anstatt« beginnende Nebensatz zurück – ist die formale Zweckmäßigkeit der Natur, weil sie ein Prinzip a priori ist, eine hinreichende Grundlage für die ästhetische Beurteilung der Natur sowie für die Reflexion überhaupt über die Natur im Allgemeinen und im Besonderen der Erfahrung. Die Unmöglichkeit, einen Grund a priori für die Nachweisbarkeit von objektiven Zwecken in der Natur zu benennen, wird noch verschärft durch die Ausschließung
VIII. Abschnitt: Logische Vorstellung der Zweckmäßigkeit der Natur
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der Möglichkeit, einen solchen Grund (das »davon« [1.1] bezieht sich am ehesten auf »Grund a priori« [1], wohl aber nicht auf den folgenden »daß«-Nebensatz [2]) aus dem Naturbegriff als Erfahrung einsichtig zu machen. Nachdem die Satzglieder [1] bis [2] die negativen Aspekte objektiver Zweckmäßigkeit – ihre Nichteignung als Grund a priori für die Existenz von Naturzwecken – zum Ausdruck gebracht haben, werden in den folgenden Nebensätzen bis zum Schluss des Absatzes die positiven Seiten hervorgehoben. Die Urteilskraft (gemeint ist hier die teleologische) – von der beiläufig wiederholt wird, dass sie zu einem bestimmten, erst im Nachhinein zu erfahrenden Zweck kein Prinzip a priori enthalte (was auf die ästhetische nicht zutreffen kann) – enthält eine »Regel« ([4]). Diese wird zwar nicht ausformuliert; es kann sich aber eigentlich nur um den bereits eingeführten Begriff der realen oder objektiven Zweckmäßigkeit handeln. Der Zweck dieser »Regel« lässt sich ermitteln. Sie soll dazu dienen, den Gebrauch von Zweckbegriffen (durch die Urteilskraft) zu regulieren und mittelbar dadurch die Vernunft zu unterstützen (»zum Behuf«) ([3.1a]). Bei dieser Tätigkeit, Zweckbegriffe nach einer »Regel« auf die Natur anzuwenden, richtet sich die Urteilskraft, die an dieser Stelle schon als die gegen Ende des vierten Absatzes charakterisierte »reflektierende Urteilskraft überhaupt« (5:194.25) zu verstehen ist, offenbar nach der Natur. Denn der Gebrauch von Zwecken, der der »Regel« untersteht, bezieht sich auf (in der Natur) vorkommende Fälle ([3.1]), und solche Fälle, die die besondere Natur repräsentieren, ereignen sich immer nur dann, wenn ›gewisse Produkte‹ der Natur (d. i. Organismen) wahrgenommen werden, die die Aktivität der reflektierenden Urteilskraft anregen. So wie die teleologische Urteilskraft durch die reale Zweckmäßigkeit als »Regel« den Vernunftgebrauch in Hinsicht auf Naturzwecke vorbereitet, so bereitet auch die ästhetische Urteilskraft mit Hilfe des transzendentalen Prinzips der formalen Zweckmäßigkeit den Verstand darauf vor, den Zweckbegriff als Form auf die Natur zu applizieren. Der vierte Absatz schließt unmittelbar an die vorhergegangene Überlegung zu den »Fällen«, auf die sich die Urteilskraft bezieht, an, indem die Vergleichung zwischen ästhetischer und teleologischer Urteilskraft fortgeführt wird. Gleich am Anfang wird vom »transzendentalen Grundsatz« der ästhetischen Urteilskraft – demzufolge die »Zweckmäßigkeit der Natur«, insofern sie sich subjektiv auf unser Erkenntnisvermögen bezieht, »an der Form eines Dinges als ein Prinzip der Beurteilung« vorgestellt wird – gesagt, er lasse es ganz unbestimmt, »wo und in welchen Fällen ich die Beurteilung, als die eines Produktes nach einem Prinzip der Zweckmäßigkeit, und nicht vielmehr bloß nach allgemeinen Naturgesetzen anzustellen habe […].« (5:194.6–9) Der Grundsatz der formalen Zweckmäßigkeit der Natur abstrahiert also ganz von den in der Natur vorkommenden »Fällen« zweckmäßiger Formen, auf die hin die »Regel« der reflektierenden Urteilskraft laut des dritten Absatzes ausgerichtet ist und laut des vierten Absatzes die »Bedingungen« ihrer Beurteilung enthält (5:194.13). Er hat bezüglich einer Naturbeurteilung keine Entscheidung darüber zu treffen, wann die Beurteilung eines Naturproduktes nicht nach den allgemeinen Naturgesetzen (des Verstandes), sondern nach einem (objektiven) Prinzip der
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Zweckmäßigkeit anzustellen sei. Stattdessen bleibt es der ästhetischen Urteilskraft überlassen, »im Geschmack« auszumitteln, ob die Form eines Naturprodukts »unseren Erkenntnisvermögen« angemessen ist. Sie »entscheidet« – und das ist die Bedingung – über die »Angemessenheit« »nicht durch Übereinstimmung mit Begriffen, sondern durch das Gefühl«. Gemeint ist hier natürlich das Gefühl der Lust und Unlust. Dieses (und nicht ein Begriff von einem Zweck) ist die Maßeinheit, an der Übereinstimmung oder Divergenz abzulesen sind. Im Gegensatz zur ästhetischen Urteilskraft heißt es anschließend von der teleologischen, sie gebe »die Bedingungen bestimmt an, unter denen etwas (z. B. ein organisierter Körper) nach der Idee eines Zweckes der Natur zu beurteilen sei.« (5:194.13–15) Welches diese Bedingungen aber sind, wird an dieser Stelle nicht ausgeführt. Nach der bisherigen Interpretation (zu den Absätzen 3 und 4) lässt sich aber immerhin darauf schließen, dass statt eines eigenen Prinzips a priori (wie bei der ästhetischen Urteilskraft) eine »Regel« zu diesen Bedingungen gehört, kraft der die bestimmten »Fälle«, die sich für eine teleologische Beurteilung eignen, ermittelt werden können. Über die gesuchten Bedingungen wird uns explizit nur mitgeteilt, worin sie nicht bestehen können: Es lässt sich kein »Grundsatz aus dem Begriffe der Natur« angeben, der es gestatten würde, der Natur »Zwecke a priori« zuzuschreiben. Der Begriff der Natur bezieht sich hier auf Natur, insofern sie Gegenstand von Erfahrung ist. Damit kann nur der allgemeine Naturbegriff oder der Begriff von einer Natur überhaupt gemeint sein. Denn nur von ihm ist uns aus der KrV bekannt, dass zu ihm Grundsätze (des Verstandes) gehören. Damit ist nun also gesagt, dass sich unter ihnen kein solcher Grundsatz über die Zuschreibung von Zweckbegriffen befindet. (Insbesondere könnte man sich nicht auf den Grundsatz der Kausalität berufen). Es lässt sich nicht einmal ein solcher Grundsatz angeben, um »auch nur unbestimmt dergleichen [Zwecke, WE] von der wirklichen Erfahrung an solchen Produkten anzunehmen« (5:194.17–19). Hier wird über das vorher Gesagte hinausgehend behauptet, es ließen sich mit Hilfe des vermissten Grundsatzes der Natur auch von der »wirklichen«, d. h. der empirischen Erfahrung an Naturprodukten keine Zwecke annehmen, selbst wenn diese als unbestimmt (als Zwecke überhaupt) gedacht würden (d. h. wenn uns die Erfahrung kein Beispiel solcher Zwecke an die Hand gäbe). Diese letztere Überlegung lässt sich aber nun laut Kant begründen. Der Grund besteht darin, »daß viele besondere Erfahrungen angestellt und unter der Einheit ihres Prinzips betrachtet werden müssen, um eine objektive Zweckmäßigkeit an einem gewissen Gegenstande nur empirisch erkennen zu können.« (4. Abs.; 5:194.19–22) Das Zitat lässt aber auf den ersten Blick nicht genau erkennen, welches Argument die Begründung trägt. Was ist mit »der Einheit ihres Prinzips« gemeint? Wenn der angegebene ›Grund‹ darauf abzielt, die Erkennbarkeit objektiver Zweckmäßigkeit in der empirischen Erfahrung von Naturprodukten zu negieren, dann ist das Argument dafür – nämlich das Erfordernis ›vieler besonderer Erfahrungen‹ (d. i. Beobachtungen) und deren Vereinheitlichung unter dem Prinzip der teleologischen Urteilskraft (»ihres«) – nicht überzeugend. Denn es leuchtet nicht
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sofort ein, warum es nicht gelingen sollte, durch ein solches empirisches Verfahren zur Erkenntnis objektiver Zweckmäßigkeit an Naturprodukten gelangen zu können. Kant scheint aber folgendes sagen zu wollen: wenn man annimmt, dass es ein objektives Prinzip der Zweckmäßigkeit gibt, dass von besonderen Fällen in der empirischen Natur gelten soll, dann hätte man die Aufgabe zu lösen, die Notwendigkeit (objektive Gültigkeit) dieses Prinzips anhand der Vollständigkeit der Fälle nachzuweisen. Dieser Nachweis scheitert aber an der Natur jedes induktiven Verfahrens. Es ist wichtig hier explizit darauf hinzuweisen, dass die im dritten Absatz dieses achten Abschnittes der Einleitung argumentativ zurückgewiesene Beanspruchung eines eigenen Prinzips der teleologischen Urteilskraft in den für die Teleologie im Haupttext relevanten Paragraphen auf erhebliche Widerstände stößt. Kant gibt nicht nur die Zurückhaltung gegenüber dem sprachlichen Gebrauch des Wortes »Prinzip« auf (in den Überschriften der §§ 66, 67, 68), sondern scheint in den §§ 75 bis 79 deutlich darauf hinzusteuern, sowohl der empirischen Natur selbst das Faktum objektiver Zweckmäßigkeit zu unterstellen als auch darin ein Erklärungsprinzip zu sehen. Dieser Gesichtspunkt führt direkt in die aktuell kontrovers diskutierte Frage nach der Bedeutung und dem Status der kantischen Teleologie der Natur für die Naturwissenschaft.197 Man kann aber m. E. den drohenden Konflikt zwischen den Erklärungen in der Einleitung und den Teleologie-Paragraphen im Haupttext entschärfen. In § 66 wird zwar das Beurteilungsprinzip der teleologischen Urteilskraft definiert und erläutert, § 75 spricht aber schon in der Überschrift von einem kritischen Prinzip »der Vernunft für die reflektierende Urteilskraft«. Das Prinzip objektiver (innerer) Zweckmäßigkeit scheint also ursprünglich der Vernunft anzugehören. Die teleologisch reflektierende Urteilskraft macht lediglich davon in einer Weise Gebrauch als ob es ihr eigenes Prinzip wäre. Im ersten Absatz von § 68 finden wir diesbezüglich eine interessante Erläuterung Kants, die auf seine Verwendungsweise des Begriffs des »Prinzips« angewandt werden kann. Er unterscheidet dort zwei Arten von »Prinzipien einer Wissenschaft«: »einheimisch[e]« und »auswärtige«. Während die »principia domestica« einer Wissenschaft innewohnen, sind die »peregrina« nur aus einer anderen Wissenschaft ›geborgt‹. Entsprechend kann es sich mit dem Prinzip der objektiven Zweckmäßigkeit der teleologischen Urteilskraft zutragen. Der Begriff des Naturzwecks ist ein Vernunftbegriff, den die reflektierende Urteilskraft zu ihren eigenen Mitteln ›borgt‹, um daraus eine Regel für ihren Gebrauch zu machen.198 Ein solches ›geborgtes‹ Prinzip ist kein Prinzip im strikten Sinne, kein objektiver Grundsatz, sondern ein ›Lehnsatz‹ (5:381.15) (ein
S. dazu mehr im Detail: Förster, E. (2008), Von der Eigentümlichkeit unseres Verstandes in Ansehung der Urteilskraft, 259–274; Goy, I. (2008), Die Teleologie der organischen Natur, 223–239. 198 »Regeln« sind nicht nur Wahrheitskriterium der »allgemeine[n] Logik« (KrV, B 84). Sie gehören nach Kants Erklärung in der KrV (B 76 / A 52) auch zum Inventar der »Logik des besonderen Verstandesgebrauchs«, insofern sie nämlich die Bedingungen formulieren, unter denen man »über eine gewisse Art von Gegenständen« richtig denkt und die darüber Auskunft geben, wie man eine Wissenschaft über sie aufbauen kann. Zu ihrer Kenntnisnahme braucht 197
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entlehnter Satz), und als solcher ein subjektiver Grundsatz oder auch eine »Maxime der Urteilskraft« (§ 75, 5:398.18). Das beschriebene Problem taucht in vergleichbarer Potenz bei der ästhetisch reflektierenden Urteilskraft nicht auf, weil diese des Begriffs eines Naturzwecks nicht bedarf und deshalb von vornherein nicht an das Vermögen der Vernunft gekoppelt ist. Im letzten Teil des vierten Absatzes, der auf den Gedankenstrich folgt (5:194.22– 37), werden aus den vorhergegangenen Überlegungen neue Schlussfolgerungen bezüglich der Unterscheidung zwischen ästhetischer und teleologischer Urteilskraft gezogen, die sorgfältig geprüft werden müssen. Denn diese Aufschlüsse erregen den Verdacht von Verschiebungen im bisher erarbeiteten Konzept reflektierender Urteilskraft. Wegen der Bedeutung dieser Zeilen mache ich ein weiteres Mal von der Möglichkeit einer grafischen Darstellung des Textes Gebrauch (5:194.24–32): [1] Die teleologische [Urteilskraft] ist [2] kein besonderes Vermögen, sondern [3] nur die reflektierende Urteilskraft überhaupt; [3.1] sofern sie, {[3.1a] wie überall im theoretischen Erkenntnisse, [3.1.1] nach Begriffen, [3.1.2] aber { [3.1.2a] in Ansehung gewisser Gegenstände der Natur [3.1.3] nach besonderen Prinzipien, { [3.1.3a] nämlich einer bloß reflektierenden, { [3.1.3b] nicht Objekte bestimmenden Urteilskraft [3.1.4] verfährt, [3.2] also {[3.2a] ihrer Anwendung nach [3.3] zum theoretischen Teile der Philosophie gehört, [3.4] und [3.4.1] der besonderen Prinzipien wegen, [3.4.2] die nicht, {[3.4.2a] wie es in einer Doktrin sein muß, [3.4.3] bestimmend sind, [3.5] auch einen besonderen Teil der Kritik ausmachen muß;
}
(5:194.24–32) Satzgrafik Nr. 22 man »in ziemlich hohem Grade« Wissen über die Gegenstände, die den Regeln unterworfen sein sollen.
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Auf der einen Seite steht die ästhetische Urteilskraft. Sie ist »ein besonderes Vermögen«, dessen Besonderheit in der Aufgabe besteht, »Dinge nach einer Regel, aber nicht nach Begriffen« zu beurteilen. Die »Regel« ist das subjektive Prinzip formaler Zweckmäßigkeit, das nicht zur Erkenntnis von Gegenständen der Natur tauglich ist. Eine andere Regel wurde bisher im Text nicht eingeführt oder vorgestellt. Dieser Seite wird nun die der teleologischen Urteilskraft gegenüber gestellt ([1]). Sie ist eben gerade »kein besonderes Vermögen« ([2]), woraus zu schließen ist, dass sie nicht auf die gleiche Weise nach einer Regel verfährt (obwohl daraus nicht zwingend folgt, dass sie keine Regel in Anwendung bringt). Dass sie ein solches »besonderes Vermögen« nicht sein kann, lässt sich damit erklären, dass sie nicht wie die ästhetische Urteilskraft über ein genuines Prinzip a priori als Grund ihrer Reflexion verfügt (vgl. 3. Abs.). M.a.W., das Prinzip subjektiver (formaler) Zweckmäßigkeit kommt ihr nicht ursprünglich zu. Wenn sie kein besonderes Vermögen sein kann, so doch sicher ein allgemeines, nämlich »nur die reflektierende Urteilskraft überhaupt« [3]. Zu dieser wäre nun eigentlich auch, nach allem was wir darüber wissen, die ästhetische zu zählen. Doch das mit »sofern« ([3.1]) eingeleitete Satzgefüge gibt einschränkende Bedingungen an die Hand, die die ästhetische Urteilskraft ausschließen. Deshalb ist es auch nicht ratsam, Satzglied ([3.1]) gedanklich direkt an ([1]) anzuschließen. Diese Konsequenz überrascht insofern, als es bisher so schien, als ob die ästhetische und die teleologische Urteilskraft Spezifizierungen ein und derselben Urteilskraft, nämlich der Urteilskraft überhaupt seien bzw. beide als besondere Vermögen unter dem gemeinsamen Dach der reflektierenden Urteilskraft vereint seien. Das scheint nunmehr nicht Kants Auffassung zu sein. Vielmehr wird die ästhetische Urteilkraft von der reflektierenden Urteilskraft (im allgemeinen Sinne verstanden) ausgeschlossen. Von der reflektierenden Urteilskraft überhaupt sollen, insofern sie ihrerseits unter zweierlei Aspekten bzw. Voraussetzungen betrachtet wird, eine Reihe weiterer Bedingungen gelten: Erstens wird sie mit theoretischer Erkenntnis in Verbindung gebracht ([3.1a]), insofern sie »nach Begriffen« ([3.1.1]) verfährt, welches dem üblichen Verfahren »im theoretischen Erkenntnisse« entspreche. Das kann eigentlich nur bedeuten, dass jede Erkenntnis der Natur – ob nun Erkenntnis a priori oder empirische Erfahrung – von Begriffen abhängt, ohne dass deshalb zugleich angenommen werden muss, dass in jedem Falle etwas (ein Objekt) durch Begriffe neu bestimmt wird. Es handelt sich hier offenbar um denselben Erkenntnisbegriff, der bereits im ersten Absatz von E VIII zur Kennzeichnung der objektiven Zweckmäßigkeit benutzt wurde, also um »ein bestimmtes Erkenntnis des Gegenstandes unter einem gegebenen Begriffe« (5:192.28 f.). Solche bereits determinierten Begriffe der Natur sind das Material, das der teleologischen Urteilskraft zur weiteren Verarbeitung »gegeben« wird. Zweitens verfährt sie, insofern sie es mit besonderen Gegenständen (d. i. mit Organismen) zu tun hat ([3.1.2a]), auch noch »nach besonderen Prinzipien« der
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reflektierenden Urteilskraft ([3.1.3]). Doch auch dadurch bestimmt sie keine Objekte, sondern reflektiert über sie. Welches diese besonderen Prinzipien sind und woher sie stammen, wird von Kant nicht einmal angedeutet. Sie können jedenfalls nicht denselben Status einer spezifischen Besonderheit haben wie das Prinzip der ästhetischen Urteilskraft, das das ästhetische Vermögen zu einem besonderen Beurteilungsvermögen machte. Denn im Mangel einer solchen Besonderheit sollte sich die teleologische Urteilskraft ja gerade von der ästhetischen abheben. Die »besonderen Prinzipien«, die in ([3.1.3]) genannt werden, sollen einer »bloß reflektierenden« ([3.1.3a]) Urteilskraft angehören, die von der in der »reflektierende[n] Urteilskraft überhaupt« ([3]) enthaltenen Begriffsbestimmung abstrahiert. Insofern sie also Begriffe enthält und benutzt, können diese nicht von ihr selbst kreiert und determiniert sein. Aus der skizzierten doppelten Bestimmung der teleologischen Urteilskraft wird nun laut des zitierten Textstückes aus Absatz 4 von E VIII zweierlei gefolgert: dass die reflektierende Urteilskraft überhaupt einerseits »ihrer Anwendung nach« zum theoretischen Teil der Philosophie gehöre (5:194.29–30). Ihre »Anwendung« kann aber nur – sollte man zumindest meinen – darin bestehen, dass sie über Dinge der Natur urteilt, die entweder bereits durch Verstandesbegriffe bestimmt sind oder aus der empirischen Erfahrung stammen. Denn gesetzgebend in Bezug auf Objekte der Natur soll und kann sie nicht sein – sonst wäre sie auch bestimmend und hätte ein eigenes Gebiet von Erkenntnisobjekten. In dieser Hinsicht hat sie aber gar kein »Gebiet« in der Philosophie. Sie kann und darf keine »Doktrin« begründen, denn das würde ihrer eigenen Funktion als Vermittlung zwischen Natur und Freiheit widersprechen. Aber sie kann wie in den ersten Abschnitten der Einleitung und der Ersten Einleitung dargelegt, eine Folgerung aus der Theorie der Natur sein, und dann gehört sie insofern auch mit zur theoretischen Philosophie. Die Erkenntnis, die sie liefert, ist Erkenntnis im weiteren Sinne, nach der Analogie der Erfahrung im engeren Sinne, »Erkenntnis in der Darstellung« des Begriffs (5:192.33). Andererseits aber macht die reflektierende Urteilskraft überhaupt notwendig auch einen »besonderen Teil der Kritik« aus ([3.5]), und zwar gerade weil sie von besonderen Prinzipien geleitet wird ([3.4.1]), denselben besonderen Prinzipien – so nehmen wir an – die bereits weiter oben ([3.1.3]) mit der »bloß reflektierenden« Urteilskraft in Verbindung gebracht wurden und die erklärtermaßen nicht konstitutiv, nicht bestimmend sein sollen (5:194.30–32). Dies bezeichne ich hier als die teleologische Urteilskraft des zweiten Typs, die in einem eingeschränkten Sinne reflektiert. Sie fällt nicht mit der reflektierenden Urteilskraft überhaupt, der teleologischen Urteilskraft ersten Grades, zusammen. Das Prädikat »bloß reflektierend« verweist auf den Ausdruck der »bloßen Reflexion«, die als eine Operation der ästhetischen Urteilskraft vorgestellt wird (vgl. Abs. 1, E VIII). Daraus können wir zunächst schließen, dass die »besonderen Prinzipien« der »reflektierende[n] Urteilskraft überhaupt« nicht die ihr ursprünglich eigenen sind, sondern die Prinzipien formaler Zweckmäßigkeit, die die ästhetische Urteilskraft für sie bereitstellt. Doch darüber hinaus müssen wir annehmen, dass die Besonderheit der Prinzipien, die
VIII. Abschnitt: Logische Vorstellung der Zweckmäßigkeit der Natur
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in den Satzteilen ([3.1.3]) sowie ([3.4.1]) genannt werden, noch vom besonderen Prinzip der ästhetischen Urteilskraft unterschieden sein müssen. Denn die formale Zweckmäßigkeit ist ja nicht auf eine bestimmte Klasse von Gegenständen der Natur (die Organismen) eingeschränkt. Wir werden später sehen, um welche besonderen Prinzipien es sich hier eigentlich handelt. Der besondere Teil der »Kritik« ([3.5]), den sie begründen und rechtfertigen, ist nichts anderes als die Kritik der teleologischen Urteilskraft. Die Erörterung des Problems der Bestimmung der teleologischen Urteilskraft und ihrer Funktion, sowie die Lösung der damit verbundenen Interpretationsschwierigkeiten muss auf Absatz 1 von E VIII zurück bezogen werden. Dort war die »logische[] Vorstellung der Zweckmäßigkeit der Natur« von einer anderen Art der Vorstellung, d. i. der ästhetischen durch den Geschmack, welche auf »der unmittelbaren Lust an der Form des Gegenstandes in der bloßen Reflexion über sie« beruhte, unterschieden worden. Während die ästhetische Vorstellung »vor allem Begriffe« von statten ging (aber nichtsdestoweniger die Vereinheitlichung der Anschauung mit dem Begriff »zu einem Erkenntnis überhaupt« zum Ziel hatte), soll in der logischen Vorstellung gerade die Vereinigung von Anschauung und Begriff zufolge des Begriffs von einem Ding, der den »Grund« seiner »Form« enthält, geschehen. Ein »bestimmtes Erkenntnis des Gegenstandes unter einem gegebenen Begriffe«, wird hier also hinsichtlich der Beurteilung durch den Verstand (!), d. h. um die logische Vorstellung ausführen zu können, vorausgesetzt. Beide Arten des Vorstellens haben eine Erkenntnis zum Ergebnis, und zwar eine »Erkenntnis in der Darstellung«, in der »Darstellung« eines »Begriffs«. Ist der Begriff, der dargestellt wird, der der formalen, subjektiven Zweckmäßigkeit, so resultiert daraus die »Naturschönheit«, und die Dinge, die auf diese Weise dargestellt werden, erhalten das Prädikat »schön«; ist der dargestellte Begriff dagegen der der realen, objektiven Zweckmäßigkeit, resultieren daraus »Naturzwecke« (organisierte Wesen). Diese werden durch eine Kooperation von Verstand und Vernunft »logisch« (»nach Begriffen«) beurteilt. Aber wie oder was wird hier eigentlich »beurteilt«? Erinnern wir uns an die Problematik der im jeweils ersten Abschnitt von EE und E untersuchten Differenz des Systems der Kritik und des Systems der Philosophie. Demzufolge schienen beide Systeme einander auszuschließen. Es war nicht leicht einsehbar, ob und wie das System der Kritik Teil der Philosophie sein könne. Hier nun an der zitierten Stelle in E VIII scheint der teleologischen Urteilskraft qua Urteilskraft überhaupt die Funktion eines Bindegliedes zwischen beiden zuzufallen. Wenn diese hier der theoretischen Philosophie zugeschlagen wird, dann bedeutet das, dass sie die praktischen Folgesätze konstituiert, die sich als Folgerungen aus den Naturbegriffen ergeben. Insofern gehört sie »ihrer Anwendung nach« in die theoretische Philosophie. Im Kontrast dazu (»anstatt dass«) wird von der ästhetischen Urteilskraft in aller Deutlichkeit gesagt, sie trage zur Erkenntnis »ihrer Gegenstände« nichts bei und könne deswegen »nur zur Kritik des urteilenden Subjekts und der Erkenntnisvermögen desselben« gerechnet werden (5:194.32–37). Ihre Gegenstände umfassen
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
alle Naturdinge, sofern sie als »schön« gelten können. Aber diese Objekte können nicht als schöne erkannt werden, weil zum Erkennen generell Begriffe gehören, von denen das Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit erklärtermaßen gerade abstrahiert. Die Aufnahme in die »Kritik« der Erkenntnisvermögen, die Kant als »Propädeutik aller Philosophie« (5:194.37) auffasst, ist an Bedingungen geknüpft. Zu ihnen gehört, dass die Erkenntnisvermögen, die einer Kritik zu unterziehen sind, »der Prinzipien a priori fähig sind.« (5:194.35) Dabei kommt es nicht darauf an, ob sie theoretisch oder praktisch gebraucht werden. Die ästhetische Urteilskraft erfüllt diese Bedingung. Von ihr war ja im dritten Absatz sogar behauptet worden, innerhalb der KU komme ihr allein ein Prinzip a priori zu. Die teleologische Urteilskraft, die als solche kein eigenständiges Vermögen ist, weil ihr ein entsprechendes Prinzip a priori für das Erkennen von Naturzwecken an Naturprodukten fehlt, kann nur als reflektierende Urteilskraft überhaupt der »Kritik« fähig sein. Das Zusammenspiel von Verstand und Vernunft bei der teleologischen Beurteilung besteht im folgendem: Die Vernunft gibt den Begriff des Naturzwecks, den die reflektierende Urteilskraft mit Hilfe des Prinzips der formalen Zweckmäßigkeit auf die vom Verstand prädeterminierten Naturbegriffe bezieht ohne diese neu zu bestimmen. Was hierbei bestimmt wird, ist die Besonderheit der Zweckmäßigkeit als einer inneren Zweckmäßigkeit des Dinges selbst. Das ist die besondere Leistung der teleologischen Urteilskraft, und diese Operation nennt Kant »logisch«. Der Abschnitt E VIII hat das überraschende Ergebnis, dass die ästhetische Urteilskraft nicht primär (bzw. nicht allein) die Funktion der Begründung und Erklärung der Möglichkeit des Geschmacksurteils hat, sondern viel grundlegender ist. In Bezug auf das Ganze der KU hat sie die wesentliche Funktion, mittels ihres Prinzips die Regel für die teleologische Ordnung (Einteilung) der Natur durch die teleologische Urteilskraft zu geben. Sie ist deshalb auch Voraussetzung der »Logik« der teleologischen Urteilskraft. Hinsichtlich der Beurteilung der Ordnung der Natur arbeiten ästhetische und teleologische Urteilskraft sozusagen Hand in Hand. Der Beitrag zur Erkenntnis durch Darstellung des Begriffs seitens der ästhetischen Urteilskraft besteht darin, zu nicht bekannten Anschauungen passende Begriffe (Namen) zu finden; der der teleologischen Urteilskraft aber darin, gegebene (bestimmte) Begriffe der Natur mittels des Prinzips formaler Zweckmäßigkeit auf sich selbst zu beziehen, und zwar so als ob deren Bestimmung in sich selbst zweckbestimmt wäre. D. h. es ist Aufgabe der teleologischen Urteilskraft, die (transzendentale) Logik des Verstandes einer Vernunftlogik (Syllogistik) zu unterziehen. Soweit ich sehe, ist die zweite Funktion (jene oben genannte wesentliche Funktion) der ästhetischen Urteilskraft (die auch im Anfang des 4. Abs. deutlich ausgedrückt wird (»überläßt es der ästhetischen Urteilskraft im Geschmack …«) bisher in der Forschungslogik weder richtig wahrgenommen, noch in angemessener Weise berücksichtigt worden.
IX. Abschnitt: Verknüpfung der Gesetzgebungen durch die Urteilskraft
E IX Neunter Abschnitt: »Von der Verknüpfung der Gesetzgebungen des Verstandes und der Vernunft durch die Urteilskraft« Gliederung: Erster Absatz: Zweckmäßigkeit der Natur als Vermittlung zwischen Naturbegriffen und Freiheitsbegriff Zweiter Absatz: Der »Übergang« vom Gebiet des Naturbegriffs zu dem des Freiheitsbegriffs. Bestimmung des »übersinnlichen Substrats« Dritter Absatz, Fußnote und Tafel: Der systematische Zusammenhang der oberen »Seelenvermögen« und ihrer Funktionen Der Schlussabschnitt der Einleitung knüpft an die Thematik des zweiten und dritten Abschnittes an, indem auf der Grundlage der Untersuchungen in der gesamten Einleitung nun eine Erklärung dazu offeriert werden kann: – wie die Vermittlung und Verbindung der Gesetzgebungen von Verstand und Vernunft durch die Urteilskraft möglich ist und begründet wird, bzw. – wie die »Kluft« zwischen dem »Gebiet« des Naturbegriffs und dem des Freiheitsbegriffs zu überbrücken ist, und – wie damit ein einheitliches System sowohl der Philosophie als auch der Kritik der reinen Vernunft möglich wird. Mit diesem Abschluss der Einleitung wird sichtbar, dass Kant die (vorläufige) Beantwortung genau dieser Aufgabenstellungen als Hauptthema der Einleitung gewählt hat. Der Schlussabschnitt stellt insofern auch das Schlusswort zur Erörterung des Hauptproblems, d. i. der Frage nach dem Verhältnis von Natur und Freiheit, dar. Die Schwierigkeiten bei der Interpretation dieses neunten Abschnittes liegen nicht so sehr im sprachlichen Verständnis als vielmehr in der ungewöhnlichen Kürze der gedanklichen Exposition, die mit Ergänzungen inhaltlicher Art erweitert werden muss. Beim Durchgang durch die einzelnen Absätze dieses Abschnittes kann man sich die Übersichtstafel vom Ende des Textabschnittes, die den Text paraphrasieren soll, vergleichend vergegenwärtigen. Die Betrachtung würde dann mit der vierten Spalte der Tafel beginnen und sich nach und nach bis zur ersten fortsetzen. An die Interpretation des Inhalts der drei Absätze wird sich eine Problemanalyse und eine abschließende kritische Beurteilung des kantischen Lösungsanspruchs,
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
-weges und seiner Resultate in Bezug auf die Erklärungsziele insgesamt anzuschließen haben. Am Ende des neunten Abschnittes (Absatz 3 und Tabelle) gibt Kant eine gegenüber dem Endabschnitt der Ersten Einleitung sehr verkürzte – kaum über das in E III, 4. Abs., bereits Gesagte hinausgehende – Skizze des systematischen Zusammenhangs der oberen »Seelenvermögen« und ihrer einzelnen Funktionen für die drei Erkenntnisvermögen: Verstand, Urteilskraft, Vernunft (vgl. EE XI, 10. Abs.). Diese Zuordnung wird in der Tabelle am Ende zusammengefasst. Sie enthält aber auch zwei Spalten, die im Text des neunten Abschnittes nicht erläutert werden. Daher wird es zum einen nötig sein, dieses Systemgerüst rückblickend auf die voranstehenden Abschnitte der Einleitung mit Bausubstanz zu füllen und außerdem einen (vorsichtigen) Vergleich mit der ausführlicheren Darstellung am Ende der EE (XI. Abschnitt) zu versuchen. Die dort in einzigartiger Weise von Kant bestimmte und erläuterte Unterscheidung zwischen einer »propädeutischen« und einer »enzyklopädischen« Einleitung wird Anlass und Grundlage dafür sein, am Ende der Betrachtung der Einleitung einen kurzen Ausblick auf die Gesamtsystematik des Werkes der KU im systematischen Kontext aller drei Kritiken zu wagen.
Erster Absatz: Zweckmäßigkeit der Natur als Vermittlung zwischen Naturbegriffen und Freiheitsbegriff Das erste Drittel des ersten Absatzes (bis zum ersten Gedankenstrich) (5:195.4–16) rekapituliert die in E II und E III ausgearbeiteten wesentlichen Ergebnisse, nämlich: 1) Die Bedingungen der Gesetzgebungsfunktion von Verstand und Vernunft in ihrer jeweiligen Zielrichtung: Der Verstand ist gesetzgebend »für die Natur« (»als Objekt der Sinne«, d. h. als Gegenstand von Erfahrung); die Vernunft »für die Freiheit« und die Kausalität, die der Vernunft selbst eigen ist; ausschließlich diese Kausalität wird hier als »das Übersinnliche« im Subjekt angesehen (5:195.4–8). 2) Beide Vermögen sind aufgrund ihrer genuinen Gesetzgebung a priori auf unterschiedliche Weise erkenntnisbildend: der Verstand bringt theoretische Erkenntnis von sinnlichen Gegenständen hervor, indem er sich gesetzgebend auf die Natur bezieht (5:195.4–6); die Vernunft ›unbedingt-praktische‹ Erkenntnis von nicht-sinnlichen (übersinnlichen) Gegenständen, eben weil sie sich gesetzgebend auf die Kausalität aus Freiheit richtet (5:195.6–8). 3) Aus der unterschiedlichen Erkenntnisart ergibt sich in Anknüpfung an die Begriffsexplikationen in E II die Trennung der Kompetenz beider Vermögen in zwei einander ausschließende »Gebiete« (5:195.8–9). 4) Aufgrund ihrer vollständigen Autonomie, die sie jeweils »für sich« haben, können sie einander in ihrer Gesetzgebung nicht wechselseitig beeinflussen oder bestimmen. Ihr Auseinandersein ist »die große Kluft, welche das Über-
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sinnliche von den Erscheinungen trennt […].« (5:195.8–13) Die Kluft ist (oder erscheint als) unüberbrückbar, insofern der Grund des Getrenntseins beider Begriffe – die unterschiedlichen Gesetzgebungsfunktionen – unbedingte Gültigkeit hat: »Der Freiheitsbegriff bestimmt nichts in Ansehung der theoretischen Erkenntnis der Natur; der Naturbegriff eben sowohl nichts in Ansehung der praktischen Gesetze der Freiheit« (5:195.13–15). Auch der Text, der zwischen dem ersten und zweiten Gedankenstrich steht (»Allein wenn die Bestimmungsgründe … hinreichend widerlegt werden kann.« [5:195.17– 30]) wiederholt zunächst noch – und scheinbar unproblematisch – Gedankengänge aus E II, Abs. 9, bringt aber, genauer betrachtet, demgegenüber auch neue Gesichtspunkte zur Sprache. 1) Unbeschadet der kategorisch behaupteten wechselseitigen Ausschließung beider Gebiete bzw. ihrer Unüberbrückbarkeit im Hinblick auf ihre Bestimmungsgründe, soll es in einer bestimmten Hinsicht doch eine Verbindung zwischen beiden geben, die ihren Grund im Begriff der Kausalität durch Freiheit selbst hat. Der dazu zu zitierende Satz bedarf einer längeren Erläuterung und ist in eine Satzgrafik zu fassen, weil die damit verbundenen Schwierigkeiten im Detail zu suchen und aufzuklären sind (Tabelle siehe nächste Seite): Der Satz drückt in anderen Worten das aus, was, grob gesprochen, unter Top 5) festgehalten worden ist – dass nämlich erstens die durch den Freiheitsbegriff begründete Kausalität in der (äußeren) Natur nicht verifiziert werden kann ([1] bis [2]), und dass zweitens die Naturerfahrung (»das Sinnliche«) nicht dasjenige sein kann, welches die Kausalität durch Freiheit im Subjekt (»das Übersinnliche«) determiniert ([3]); das bedeutet nichts anderes als die wechselseitige Ausschließung der Gebiete der Gesetzgebung nach Naturbegriffen und nach dem Freiheitsbegriff. Trotz der Unbestimmbarkeit des Übersinnlichen durch das Sinnliche soll das umgekehrte Verhältnis des Bestimmens mit bestimmten Einschränkungen möglich sein (»so ist dieses doch, umgekehrt, […] möglich […].«). Die Brücke, die im nachhinein zwischen den Gebieten des Sinnlichen und des Übersinnlichen errichtet werden kann, führt also nur in eine Richtung, nämlich vom Übersinnlichen zur sinnlichen Natur. Allein in dieser Hinsicht kann es einen ›Brückenschlag‹ vom Gebiet des Freiheitsbegriffs zu dem der Naturbegriffe geben. Die Bedingung, unter der sich diese Möglichkeit auftut, ist, dass mit der Einwirkung der Freiheit auf die Natur keine Erkenntnis der Natur verbunden ist, sondern dass gewisse »Folgen« aus der Freiheitskausalität einen bestimmenden Einfluss auf die Natur ausüben (»aber doch der Folgen aus dem ersteren auf die letztere« ([4a])):
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
[1] – Allein wenn die Bestimmungsgründe der Kausalität nach dem Freiheitsbegriffe {[1a] (und der praktischen Regel, die er enthält) [2] gleich nicht in der Natur [zu] belegen sind, [3] und das Sinnliche das Übersinnliche im Subjekte nicht bestimmen kann:
}
[4] so ist dieses doch umgekehrt [4a] (zwar nicht in Ansehung des Erkenntnisses der Natur, aber doch der Folgen aus dem ersteren auf die letztere) [4.1] möglich
}
[4.2] und schon in dem Begriffe einer Kausalität durch Freiheit enthalten, [4.2.1] deren Wirkung diesen ihren formalen Gesetzen gemäß in der Welt geschehen soll, [4.3] obzwar das Wort Ursache, {[4.3a] von dem Übersinnlichen gebraucht, [4.4] nur den Grund bedeutet, die Kausalität der Naturdinge zu einer Wirkung, [4.4a] gemäß ihren eigenen Naturgesetzen, [4.4b] zugleich aber doch auch mit dem formalen Prinzip der Vernunftgesetze einhellig, [4.5] zu bestimmen,
}
[4.6] wovon die Möglichkeit zwar nicht eingesehen, [4.7] aber der Einwurf von einem vorgeblichen Widerspruch, [4.7a] der sich darin fände, [4.8] hinreichend widerlegt werden kann. (5:195.17–30) Satzgrafik Nr. 23
– Um welche »Folgen« handelt es sich hier? Die unmittelbare Textumgebung des zitierten Ausschnittes gibt darauf keine Antwort. Deshalb müssen wir etwas weiter ausholen. Aus der Kausalität, die sich auf den Freiheitsbegriff gründet, folgen subjektive Maximen des Handelns, die als Pflichten betrachtet werden (vgl. Grundlegung, 4:453, 2. Abs.; 4:454, 2. Abs.) und schließlich Handlungen. Die letzteren wirken sich auf den Lauf der Natur bestimmend aus. Das ist notwendig so, weil die Möglichkeit der Wirkung des Übersinnlichen auf das Sinnliche bereits im »Begriff einer Kausalität durch Freiheit enthalten« sein soll ([4.2]) und weil die doppelte Natur des Men-
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schen als sinnliches Wesen (Erscheinung) und als Verstandes- oder Vernunftwesen diesen Nexus verlangt (vgl. Grundlegung, 4:451–453, 457–458). – Inwiefern ist jene Möglichkeit bereits »in dem Begriffe einer Kausalität durch Freiheit enthalten«?199 Der anschließende Nebensatz deutet eine Erklärung bereits an: die »Wirkung« der Freiheitskausalität kann sich nicht auf den Bereich des Übersinnlichen beschränken, sondern erhält erst dadurch einen Sinn, dass sie »in der Welt geschehen soll« ([4.2.1]), und zwar auf eine solche Weise, auf die die Wirkung mit den »formalen Gesetzen« der Freiheit übereinstimmt ([4.2.1]). Das ist dieselbe Forderung an den Freiheitsbegriff, die in E II. 9. Abs. so ausgedrückt wurde, dass er »den durch seine Gesetze aufgegebenen Zweck in der Sinnenwelt wirklich machen« solle (5:176.4–6). In aller gebotenen Kürze weise ich an dieser Stelle darauf hin, dass die Frage der Verwirklichung der Kausalität aus Freiheit »in der Welt« (bzw. in der Natur) einerseits einen Topos berührt, der für Kants Morallehre spätestens in der TL von 1797 virulent wird,200 andererseits auf eine Problemstellung rekurriert, die 1781 in der KrV im Zusammenhang mit der zweiten Analogie der Erfahrung und dem Begriff transzendentaler Freiheit in der transzendentalen Dialektik der KrV (dritte Antinomie) auftaucht (B 474 / A 446; B 478 / A 450).201 – Mit welchen »formalen Gesetzen« ([4.2.1]) muss die Forderung nach der Verwirklichung der Kausalität durch Freiheit in der Welt (der Natur) übereinstimmen? Es wurde oben behauptet: mit den Freiheitsgesetzen, also etwa mit dem kategorischen Imperativ (Grundlegung, 3. Teil, 4:452). Mit Blick auf ([4.4a]) ist die Zuordnung der »formalen Gesetzen« zum Freiheitsbegriff ([4.2.1]) jedoch nicht eindeutig. Es kann sich nämlich auch um Naturgesetze handeln, da sich die Freiheitskausalität nur in der Natur verwirklichen kann und insofern deren Gesetzen gemäß sein muss. Allein ihre Ursache (ihr Grund) muss auch den Freiheitsgesetzen entsprechen. Kant präzisiert in einer Nebenbemerkung den Begriff der Ursache in Bezug auf die Kausalität durch Freiheit, angewandt auf das Übersinnliche, dahingehend, dass er »nur den Grund bedeute«, die Wirkung der Naturkausalität zu bestimmen. D. h. die Wirkungen in den kausalen Abfolgen von Naturereignissen werden durch die Freiheitskausalität praktisch (technisch) so beeinflusst, dass sie nicht mehr bloß Zur Kausalität durch Freiheit s. 3. Abschnitt der Grundlegung, bes. Abs. 1 und 4:452. Vgl. hierzu Euler, W. (2013), Die Tugendlehre in Kants System der praktischen Philosophie, S. 247. 201 Vgl. dazu den Kommentar zu E V, 5. Abs. (Exkurs); S. 476–484; vgl. Wolff, M. (2013), Freiheit und Determinismus. 199
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
als mechanische Wirkungen infolge natürlicher Ursachen gedeutet werden können. Bei dieser Einflussnahme wird Übereinstimmung (Einhelligkeit) in zwei Richtungen verlangt: 1) Die so determinierte Natur muss sich einerseits nach wie vor ihren eigenen Naturgesetzen konform entwickeln, und sie muss andererseits »mit dem formalen Prinzip der Vernunftgesetze« (d. i. dem moralischen Gesetz oder auch dem kategorischen Imperativ in seinen diversen Formen) übereinstimmen. Das entspricht einer Überlegung Kants, die sich in der transzendentalen Dialektik der KrV (»Möglichkeit der Kausalität durch Freiheit, in Vereinigung mit dem allgemeinen Gesetze der Naturnotwendigkeit«) findet, wonach ein Subjekt einerseits einer intelligiblen (intellektuellen) Kausalität, andererseits einer sensiblen (empirischen) fähig ist, »welche bei einer und derselben Wirkung zusammen stattfinden« (B 566 / A 538; vgl. B 565 / A 537; B 571 / A 543; B 573 / A 545; KpV, 5:114.14–25). Dass Kant es übrigens für passender gefunden hat, in Bezug auf die Freiheitskausalität unter einer Ursache »nur den Grund« zu verstehen, ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass »Ursache« im gebräuchlichen strengen Wortsinne nur die mechanische Ursache, eine Wirkkausalität aus objektiver Naturnotwendigkeit bedeutet und insofern auch nur zur Erfahrung gehören kann. Eine solche Bestimmung der Ursache scheint einer Willenskausalität, die nach Freiheitsgesetzen wirkt, d. h. autonom und spontan sich selbst Gesetze gibt und Handlungsabsichten zur Folge hat, prima vista entgegengesetzt zu sein. Denn der Grund ist als freier Wille eine unbedingte Ursache, während nach der Kausalität der Natur jede Ursache stets wieder bedingt ist durch eine andere, von ihr verschiedene Ursache (Autonomie versus Heteronomie). Dem Grund fehlt im Unterschied zur naturbedingten Ursächlichkeit der notwendige Bezug auf die sinnliche Anschauung als Bedingung seiner objektiven Realität. Allerdings ist auch darauf hinzuweisen, dass es m.W. bei Kant keine durchdachte Aufklärung über das Verhältnis von »Ursache« und »Grund« gibt. In dieser Hinsicht hat später Schopenhauer die Beachtung des Unterschiedes systematisch eingefordert (Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde. 1813, 21847). Wird die Forderung erhoben, dass die Möglichkeit der Wirkung der Kausalität durch Freiheit auf die Kausalität der Natur an die Bedingung geknüpft ist, dass die natürlichen Wirkungen sowohl den Freiheitsgesetzen als auch den Naturgesetzen genügen müssen, dann ist diese Möglichkeit insofern nicht einzusehen, als es keinen Beweis von der Verbindung und Einheit so verschiedener Kausalitätsprinzipien in einem einheitlichen bestimmten Grund geben kann. Andererseits muss eine solche Einheit aber doch angenommen und vorausgesetzt werden, damit es eine Verbindung vom Gebiet des Freiheitsbegriffs zu dem des Naturbegriffs geben kann (vgl. auch 4:456, 3. Abs.). Aber Kant bemerkt hier vorsorglich, dass gegen diesen Gedanken nicht der Vorwurf eines Widerspruchs erhoben werden könne. Dass ein solcher möglicher Einwand »hinreichend widerlegt werden kann«, folgt – ohne dass dies hier angedeutet würde, aus Kants Auflösung der Antinomie der teleologischen Urteilskraft (KU, § 78) bzw. der Antinomie zwischen Freiheit und Naturnotwendigkeit (vgl. 4:455–456).
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Mit dem scheinbar widersprüchlichen Verhältnis von Naturkausalität und Kausalität durch Freiheit in Bezug auf Dinge der Natur befasst sich auch die Fußnote zum ersten Absatz. Kant bezieht sich dort auf eine eigene Darstellung der Naturhindernisse für die Freiheitskausalität (Die Stelle in seinen Schriften, auf die er sich dabei besinnen könnte, befindet sich in Prolegomena, § 53, 4:346) und korrigiert die Auslegung eines Kritikers, weil diese auf einem Missverständnis beruhe. Der Einwand gegen Kant lautete, dass die Behauptung, die Natur behindere (bzw. befördere) die Kausalität durch Freiheit eben durch einen Einfluss der Natur auf die moralische Freiheit impliziere. Kant hält diesem Einwand entgegen, das Verhältnis des Widerstandes (oder der Beförderung) bestehe lediglich zwischen der Natur als Erscheinung und den Wirkungen der Freiheitskausalität »als Erscheinungen in der Sinnenwelt«. Dabei sei die Kausalität der Freiheit zugleich die Kausalität als Naturursache (als Menschen als Erscheinung) und dieser übergeordnet. Das Intelligible, das »unter der Freiheit gedacht« werde, enthalte (gleich wie das »übersinnliche Substrat der Natur« (s. dazu weiter unten den Kommentar zum zweiten Absatz) den unerklärlichen Grund der Bestimmung der Naturursache (vgl. auch Grundlegung, 4:453). Auf ähnliche Weise erklärt Kant in der Grundlegung (3. Abschnitt, »Wie ist ein kategorischer Imperativ möglich?« (4:453)) den Zusammenhang zwischen der Kausalität aus Freiheit und ihren Wirkungen in der Natur. Die Wirkungen sind Handlungen, die als Erscheinungen in der Natur »angetroffen« werden. Da aber die Möglichkeit dieser Erscheinungen aus der Kausalität der Freiheit nicht einsehbar (unbegreiflich, unerklärbar) ist,202 so ist eine Einheit in solchen Handlungen nur dadurch erreichbar, dass sie als bestimmt durch Begierden und Neigungen (Naturerscheinungen) anstelle der Freiheit angenommen werden. Das letzte Textstück des ersten Absatzes beginnt mit dem Satz: »Die Wirkung nach dem Freiheitsbegriffe ist der Endzweck […]« (5:195.30–196.1). Wie ist diese Erklärung mit der schon besprochenen Notwendigkeit, dass die Wirkung der Freiheit »in der Welt geschehen soll« (s. o.), in Zusammenhang zu bringen? Die Antwort ist leicht zu finden: Da der Endzweck die Wirkung ist, so ist es dieser selbst, der in der Sinnenwelt existieren (oder erscheinen) soll. Das bestätigt auch der Fortgang des Textes im letzten Teil des ersten Absatzes. Nun soll aber die Möglichkeit der Existenz des Endzwecks an eine Bedingung geknüpft sein, die »in der Natur« – d. i. in der Natur des Menschen – vorausgesetzt wird (vgl. KU, § 87, 3. Abs.). Die Lesbarkeit des anschließenden Satzes ergibt sich nicht ohne Schwierigkeiten: »Das, was diese a priori und ohne Rücksicht auf das Praktische voraussetzt, die Urteilskraft, gibt den vermittelnden Begriff zwischen den Naturbegriffen und dem Freiheitsbegriffe […]« (5:196.3–6). Ohne eine andere mögliche Lesevariante (die es wohl gibt) hier zu diskutieren, erscheint der folgende Vorschlag am sinnvollsten: Ebenso wie die Abwandlungen dieser Frage – wie kann reine Vernunft praktisch werden? Wie ist Freiheit als Kausalität eines Willens möglich? – unmöglich zu beantworten sind (4:459–460). 202
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
Das Pronomen am Anfang des Satzes (»Das«) steht (als Satzsubjekt) im Nominativ (und nicht im Akkusativ) und bezieht sich auf die Apposition »die Urteilskraft«. Das Objekt des Satzes besteht aus dem Wort »dieses« und bezieht sich auf »die Bedingung der Möglichkeit«. – Also: Die Urteilskraft setzt die Bedingung der Möglichkeit der Existenz des Endzwecks in der Welt dadurch, dass sie mit dem Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur »zwischen den Naturbegriffen und dem Freiheitsbegriffe« vermittelt und so den »Übergang« von der theoretischen Erkenntnis (der Gesetzgebung des Verstandes) zur praktischen Erkenntnis des Endzwecks (dem »Gebiet« des Freiheitsbegriffs) schafft. Das ist im Grunde genommen gegenüber E II kein neuer Gedanke. Die Begründung für die Vermittlungsleistung der Naturzweckmäßigkeit lautet: – »denn dadurch wird die Möglichkeit des Endzwecks, der allein in der Natur und mit Einstimmung ihrer Gesetze wirklich werden kann, erkannt« (5:196.9– 11). Die Begründung (»denn«) für die Notwendigkeit des vermittelnden Begriffs der Zweckmäßigkeit der Natur, die darin liegt, dass sie Bedingung der Erkenntnis der Möglichkeit des Endzwecks ist, bedarf der Erklärung. Denn ist diese Erkenntnis denn nicht bereits durch die KpV sichergestellt? In welchem Sinne wird er erkannt? Wir können sagen: – nicht durch Erfahrung, denn er steht nicht an der Spitze der Ordnung der Natur; – er gehört zum »Feld des Übersinnlichen«; – er wird nur indirekt erkannt durch Verknüpfung der Gebiete (s. die Überschrift zu diesem Abschnitt) Zunächst einmal geht es hier nicht um die Erkenntnis des Endzwecks selbst, welche eine Angelegenheit der praktischen Vernunft wäre, sondern bloß um die Erkenntnis seiner »Möglichkeit« und dies nur insofern, als sich der Endzweck nur in der Natur verwirklicht und mit den Naturgesetzen in Einklang steht. Die Möglichkeit erkennt die Urteilskraft aber, indem sie die Natur durch ihr eigenes Prinzip als zweckmäßig organisiertes Ganzes denkt, darin ein Moment der Übereinstimmung mit der praktischen Freiheit und somit auch einen Übergang sieht. Weil es diese Übergangsmöglichkeit gibt, gibt es für die Urteilskraft auch die Möglichkeit, diese als Voraussetzung für die Erkenntnis des Endzwecks zu erkennen. Der Endzweck selbst hat seinen Ursprung nicht auf dem »Gebiet« der Naturbegriffe. Er gehört zu dem von der Natur unabhängigen »Feld des Übersinnlichen«, das in E II, 8. Abs., eingeführt worden ist. Und d. h. er ist ein Begriff, der sich als solcher nicht für eines der beiden Erkenntnisgebiete qualifiziert, von dem aber dann strenggenommen auch keine theoretische Erkenntnis möglich ist. Erkannt werden kann eben nur die Möglichkeit, dass der Endzweck in der Natur praktisch
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zu realisieren ist. Unter dieser Voraussetzung ist dann praktische Erkenntnis des Endzwecks als eines etwas, das sein soll, möglich (vgl. KrV, B 661 / A 633). Der Endzweck ist nicht zu verwechseln mit dem »letzten Zweck« der Natur (dem Menschen) (vgl. KrV, B 425). Er ist eine moralische Qualität, die die Natur insgesamt transzendiert und in ihr nicht zu finden ist. Sein Inhalt ist laut KrV »die ganze Bestimmung des Menschen«, die Wissenschaft über ihn ist die Moralphilosophie (B 868 / A 840). Als höchster Zweck ist er allen anderen Zwecken in der Welt, die seine Mittel sind, übergeordnet.
Zweiter Absatz: Der »Übergang« vom Gebiet des Naturbegriffs zu dem des Freiheitsbegriffs. Bestimmung des »übersinnlichen Substrats« Der zweite Absatz des IX. Abschnittes kann als nähere Erläuterung der im ersten Absatz thematisierten Lösung des Übergangsproblems gelesen werden. Jedenfalls schließt der Absatz mit der Bemerkung: »[…] und so macht die Urteilskraft den Übergang vom Gebiete des Naturbegriffs zu dem des Freiheitsbegriffs möglich« (5:196.20–22). Thema ist also erneut das in Abschnitt II analysierte Verhältnis der Erkenntnisgebiete der Natur und der Freiheit, das dort zunächst als unüberbrückbare »Kluft« erschien. Nun also ist die Abhandlung der Einleitung zu dem Punkt gekommen, an dem eine Lösung angeboten wird. Diese Lösung muss sich in Kurzform innerhalb des hier betrachteten zweiten Absatzes finden lassen. Die spezifische Funktion der Urteilskraft als Ermöglichungsfaktor des »Übergangs« folgt aus dem arbeitsteiligen Zusammenwirken der drei oberen Erkenntnisvermögen im Hinblick auf die Bestimmung dessen, was Kant das »übersinnliche Substrat« der Natur nennt. Das übersinnliche Substrat der Natur, auf das im Kommentar zu der Fußnote des ersten Absatzes bereits eingegangen wurde, wird von Kant an zahlreichen anderen Stellen thematisiert, die hier ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, herangezogen werden sollen.203 Der Ausdruck »übersinnliches Substrat«, von dem angenommen werden muss, dass er zwar auch, aber doch nicht ausschließlich dasselbe meint wie das »Übersinnliche im Subjekte« des ersten Absatzes von E IX, bezieht sich auf die Natur hauptsächlich in zweifacher Weise:204 erstens auf die Natur in uns, d. h. als Erkenntnissubstrat, und da bezeichnet es den letzten, unbestimmten Grund und
KU: Vorrede, 6. Abs.; E II, 7.–8. Abs.; § 26 (B 94), § 57 (insbes. letzter Abs.), § 77, § 78, § 81, § 82 (auch Endursachen). 204 Kant selbst unterscheidet im letzten Abs. von Anmerkung II zu § 57 der KU (5:346.13– 20) drei Ideen des Übersinnlichen: 1) das Übersinnliche überhaupt, »ohne weitere Bestimmung«, als »Substrats der Natur«; 2) »als Prinzips der subjektiven Zweckmäßigkeit der Natur für unser Erkenntnisvermögen«; 3) »als Prinzips der Zwecke der Freiheit und Prinzips der Übereinstimmung derselben mit jener im Sittlichen«. 203
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
Zweck der Einheit »aller […] Vermögen« des Subjekts. Es ist die »bloße Natur im Subjekte«, die »nicht unter Regeln oder Begriffe gefaßt werden kann«, mit dem aber alle Erkenntnisvermögen zusammenstimmen sollen als dem letzten Zweck unserer Natur. Es ist damit auch Grundlage der Beurteilung des Schönen (KU, § 57, Anmerkung I, 8. Abs. (5:344.8–18); zweitens bezieht sich das Übersinnliche auf die äußere Natur oder die Erscheinungswelt. In dieser Hinsicht ist es das unsichtbare (intelligible), unbestimmte Substrat aller Erscheinungen (der Natur), das »als Sache an sich selbst« (5:345.12) dem Sinnlichen zugrunde liegt und damit dem Ding an sich entspricht (KU, § 57, Anmerkung II, 2. Abs. (5:345.3–12). Denn es ist für Verstandesbegriffe, die sich auf das Sinnliche beziehen, nicht mehr erreichbar, aber andererseits dasjenige, auf das die Urteilskraft kraft ihres Prinzips die Naturdinge beziehen muss (KU, Vorrede, 6. Abs.). Darüber hinaus mögen noch folgende Stellen zur Orientierung dienen: 1) Das Übersinnliche als unerkennbares theoretisches Erkenntnisobjekt ist das Ding an sich, das den Erkenntnisgegenständen der Möglichkeit nach als Idee untergelegt wird (KU, E II, 7. Abs.). Es ist zugleich dasjenige, das als Feld des Übersinnlichen markiert wird, das die Ideen zum theoretischen und praktischen Gebrauch der Vernunft beherbergt, für die theoretische Vernunft aber unerkennbar ist (E II, 8. Abs.). 2) Als Ding an sich ist es »unerkennbarer, übersinnlicher Realgrund« der Erscheinungen (KU, § 77, 9. Abs.; 5:409.8–22). 3) Dasselbe Übersinnliche wie unter (1), bezeichnet jedoch zugleich das Gebiet des Freiheitsbegriffs (E II, 9. Abs.). So ist es auch dasjenige, welches in der KpV als die übersinnliche Natur erscheint. 4) Das übersinnliche Substrat liegt unserem Denkvermögen insgesamt zum Grunde; insbesondere bezeichnet es die Größe eines Naturobjekts, die die Reichweite der Einbildungskraft übersteigt (»welches über allen Maßstab der Sinne groß ist« (KU, § 26, Anmerkung, 5. Abs.; 5:255.31–256.2). 5) Das übersinnliche Substrat der Natur enthält den Grund der Zweckkausalität, d. h. der teleologischen Verknüpfung von Ursache und Wirkung der Erscheinungen (KU, § 77, letzter Abs.; 5:409.37–410.11). 6) Das übersinnliche Substrat enthält den Grund der Möglichkeit der Unterordnung mechanischer Kausalität unter die Zweckkausalität (KU, § 78, 6. Abs.; 5:414.25–35). 7) Es ist Grund der Vereinigung mechanischer und zweckmäßiger Kausalität; übersinnliches Substrat der Natur, wovon wir nichts Konkretes bejahend bestimmen können, außer dass es »das Wesen an sich« ist, das allen Erscheinungen zugrunde liegt (KU, § 81, 1. Abs.; 5:421.34–422.19). 8) Es ist übersinnliches Substrat als übersinnliches Prinzip der Natur, das Grund der Vereinbarkeit mechanischer und zweckmäßiger Kausalität ist. Die Vernunft verlangt die Beziehbarkeit der Erscheinungen und ihrer Prinzipien auf das übersinnliche Substrat. Es ist zugleich Grund der Auflösung der
IX. Abschnitt: Verknüpfung der Gesetzgebungen durch die Urteilskraft
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Antinomie der teleologischen Urteilskraft, so dass mechanische Erzeugung und Zweckursprung einander nicht widersprechen (KU, § 82, letzter Abs.; 5:429.1–24). 9) Das »übersinnliche Substrat der Erscheinungen« ist ein unbestimmter Begriff, auf den sich das Geschmacksurteil gründet und der zugleich Grund der Auflösung der Antinomie des Geschmacks ist (KU, § 57, 6. bis 7. Abs., 5:340.23–341.2). Der Verstand weist nur darauf hin, dass es ein übersinnliches Substrat geben muss, belässt es jedoch bei seiner Unbestimmtheit. Dieser Hinweis ist eine Folge aus der wesentlichen Erkenntnisfunktion des Verstandes, die Thema der ersten Kritik war und die Kernaussage des transzendentalen Idealismus ausmacht: dass mittels der Verstandesgesetze a priori die Natur auch nur als Erscheinung (nämlich als durch die subjektiven Formen dieses Verstandes bestimmt) erkannt werden kann. Diese Einsicht hält Kant selbst für bewiesen. Der Ort, an dem dieser Beweis durchgeführt wurde, ist die »transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe« in der KrV (B 129–169). Diese hatte u. a. zum Ergebnis, dass die Kategorien nur insofern objektive Gültigkeit für unsere Erkenntnis beanspruchen können, als sie sich auf sinnliche Anschauung, und zwar in letzter Konsequenz auf ein Mannigfaltiges der empirischen Anschauung, das nicht vom Subjekt gegeben wird, beziehen (§ 22, B 147–148). Daraus folgt unmittelbar, dass die Verstandesbegriffe erkenntniskonstitutiv auf solche Gegenstände nicht angewendet werden dürfen, die nicht durch die Bedingungen der sinnlichen Anschauung, beschränkt sind, also nicht auf Dinge, die sich der Wahrnehmung entziehen. Da nun aber Wahrnehmungsinhalte (als das Materiale der Erscheinungen) unabhängig vom Zutun des Subjekts gegeben werden müssen, setzt die Möglichkeit von Naturerkenntnis durch Gesetze a priori, voraus, dass es etwas gibt, das einerseits das unbestimmte Materiale liefert und das andererseits prinzipiell und als solches unerkennbar ist (keine sinnliche Qualität besitzt) – und das ist das übersinnliche Substrat aller Erscheinungen, das für das theoretische Erkennen nichts anderes ist als das Ding an sich. Die Urteilskraft bezieht sich auf dasselbe übersinnliche Substrat der Natur wie auch der Verstand, aber auf andere Weise. Indem sie durch das Prinzip a priori der Zweckmäßigkeit der Natur hinsichtlich ihrer besonderen Gesetze urteilt, verleiht sie dem übersinnlichen Substrat in der oben angegebenen zweifachen Bedeutung – »in uns sowohl als außer uns« – »Bestimmbarkeit durch das intellektuelle Vermögen.« Welches ist dieses intellektuelle Vermögen, und was bedeutet »Bestimmbarkeit« im Unterschied zu Unbestimmtheit und Bestimmung? Die Reihenfolge der Vermögen des Verstandes, der Urteilskraft und der Vernunft schließt es aus, dass die Urteilskraft durch ihre reflektierende Tätigkeit es ist, für welche das übersinnliche Substrat bestimmbar wird. Aber auch der Verstand kann nicht gemeint sein. Denn wie früher bereits festgestellt worden ist, ist ja die Vermittlungsfunktion der reflektierenden Urteilskraft gerade daraus erwachsen, dass der Verstand die besonderen empirischen Gesetze der Natur durch seine Allgemein-
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
begriffe gerade nicht bestimmen kann. Es bleibt also nur die Vernunft übrig, deren Beitrag darin besteht, dass sie dem übersinnlichen Substrat »durch ihr praktisches Gesetz a priori die Bestimmung« gibt und für die es somit bestimmbar ist. Diese Aufgabe fällt mit dem zusammen, was im Kommentar zu E I als »Erweiterung« der theoretischen Naturerkenntnis im Praktischen ausgewiesen wurde und bis zur synthetischen Erweiterung des Rechtsbegriffs in der RL205 und die Erweiterung des Moralischen durch den Zweckbegriff in der TL reicht. Das praktische Gesetz ist der kategorische Imperativ. Die Bestimmung, die das übersinnliche Substrat erhält, kann nur die des Endzwecks (der Schöpfung) sein, der im Kommentar zum ersten Absatz dieses letzten Abschnittes der Einleitung schon ausführlich erläutert wurde. Dieser bestimmt sich dadurch, dass der das moralische Gesetz ausfüllende Begriff der Freiheit in der Natur wirklich wird. Das ist aber nur unter der Voraussetzung denkbar (möglich), dass die Natur selbst nicht bloß streng mechanisch determiniert ist, sondern in ihren besonderen Formen und Gesetzen als systematisch geordnet vorgestellt werden kann. Dafür sorgt die Urteilskraft mit ihren Prinzipien. Sie bereitet damit der Vernunft für ihre Akte des praktischen Bestimmens den Boden vor, indem sie die Natur so denkt, als ob sie als organisiert und auf Freiheit beruhend geschaffen worden wäre.
Dritter Absatz, Fußnote und Tafel: Der systematische Zusammenhang der oberen »Seelenvermögen« und ihrer Funktionen Der dritte Absatz ist dem Inhalt nach sehr kompakt und deshalb auch sehr schwer zu interpretieren. Er schließt insofern an den zweiten an, als den drei Vermögen der Erkenntnis überhaupt – Verstand, Urteilskraft, Vernunft – nun auf der nächst höheren Abstraktionsstufe drei »Seelenvermögen überhaupt« gegenübergestellt und zugeordnet werden: 1) das »Erkenntnisvermögen« (in engerer Bedeutung genommen, als das Verwandtschaftsverhältnis – die »Familie« – der drei (oberen) Erkenntnisvermögen); 2) das »Gefühl der Lust und Unlust«, 3) das »Begehrungsvermögen«.206 Was bedeutet »Seelenvermögen überhaupt« (in der Ausdrucksweise der EE, XI. Abschnitt: »Vermögen des Gemüts« oder »Gemütskräfte überhaupt«)? Der Begriff stammt aus der traditionellen empirischen Seelenlehre. Z. B. der Wolffschen Metaphysik und aus der Psychologie der Wolffschen Schule.207
S. dazu Tuschling, B. (2013), Recht aus dem Begriff, 94. S. dazu Klemme, H.F. (2014), Erkennen, Fühlen, Begehren, 83–91. 207 A. G. Baumgarten thematisiert in seiner »Erfahrungspsychologie« verschiedene Erkenntnisvermögen. Das »untere Erkenntnißvermögen« ist »das Vermögen der undeutlichen oder sinnlichen Erkenntnis« (§ 383) (Baumgarten, A.G. (1783/2004), S. 116). Vgl. auch ebd., §§ 451– 453 (S. 139–140): Beurtheilungsvermögen; §§ 462–467 (S. 143–145): Verstand (als »oberes Erkenntnißvermögen«); §§ 468–477 (S.146–149). 205
206
IX. Abschnitt: Verknüpfung der Gesetzgebungen durch die Urteilskraft
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Die genannten drei Vermögen sind »obere« Seelenvermögen. Unterstellt wird damit ein Unterschied zu unteren Seelenvermögen, der ein hierarchisches Verhältnis ausdrückt (in Analogie zu oberen und unteren Erkenntnisvermögen in der KrV, B 169 / A 130–131; B 863 / A 835). Diesen – so ist zu folgern – wird Autonomie abgesprochen. Zu denken ist hier z. B. an das »untere« Begehrungsvermögen (Begierde, Leidenschaft). An der »oberen« Stelle stehen die drei genannten »Seelenvermögen überhaupt«, weil sie solche sind, »die eine Autonomie enthalten«. Um herauszufinden, in welchem Sinne die drei genannten Seelenvermögen autonom sind, ist es hilfreich, auf E III, 4. Abs., zurückzukommen. Dort waren das Erkenntnisvermögen, das Gefühl von Lust und Unlust sowie das Begehrungsvermögen in ihrem Zusammenhang schon einmal untersucht worden. Ihre Autonomie bestand zunächst darin, dass sie in ihren jeweiligen Funktionen unabhängig voneinander waren. Sie ergab sich aber dann doch wesentlich aus der Verknüpfung mit den ihnen zugeordneten Erkenntnisvermögen: Verstand, Urteilskraft Vernunft, insofern deren Tätigkeiten nämlich auf Prinzipien a priori beruhen bzw. gesetzgebend sind. Nach E III, 4. Abs., erschöpfen sich die Seelenvermögen nicht in den drei genannten Vermögen. Sie sind aber die Grundvermögen der Seele, auf die alle anderen zurückführbar sein sollen. In dieser Funktion sind sie unbedingt, d. h. ihrerseits nicht wieder von einem »gemeinschaftlichen Grunde« ableitbar. In dieser Unbedingtheit besteht ihre jeweilige Autonomie. Die Erkenntnisvermögen im engeren Sinne – Verstand, Urteilskraft, Vernunft – sind die jeweiligen Gesetzgebungsinstanzen der drei Seelenvermögen, so dass das Verhältnis der Seelenvermögen zu den oberen Erkenntnisvermögen allgemein folgendermaßen charakterisiert werden kann: Die Seelenvermögen sind Erkenntnisvermögen, insofern sie unter dem Aspekt ihrer in verschiedenen Hinsichten autonomen Gesetzgebung betrachtet werden. So ist der Verstand die autonome Gesetzgebungsinstanz des Erkenntnisvermögens in Hinsicht darauf, dass er die konstitutive Bestimmung der Objekte der Natur als Erscheinungen abgibt. Allgemein beruht die kantische Theorie der Seelenvermögen ihrer Herkunft nach auf Vorstellungen, die mit der facultas-Lehre der vorkantischen Metaphysik (insbesondere der empirischen Psychologie Chr. Wolffs) verbunden waren. Demzufolge wurde die Seele als eine Art Behälter aufgefasst, in welchem verschiedene Vermögen oder Kräfte mit jeweils spezifischen Funktionen vereint lagerten und sich in ihren Wirkungen auf Gegenstände mittelbar aufeinander bezogen. Der Begriff der Seele selbst (und damit auch deren Funktionen) hat sich bei Kant durch seine Metaphysik-Kritik allerdings grundlegend gewandelt, insofern Kant beansprucht, die klassischen Bestimmungen der Seele als »Substanz«, »Immaterialität« und »Gemeinschaft« als unerkennbar und unbeweisbar zurückgewiesen hat.208 Insofern sind für Kant nur die empirischen Merkmale der Seele, zu denen die Vermögen oder Gemütskräfte gehören, erkennbar. 208
Vgl. Klemme, H.F. (1996), Kants Philosophie des Subjekts, 293–374.
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
Die in E IX, 3. Abs., erörterten Bestimmungen der Verhältnisse zwischen den oberen Seelenvermögen und den Erkenntnisvermögen sollen nun kurz betrachtet und analysiert werden:
1) Erkenntnisvermögen – Verstand Es ist zur Genüge daran erinnert worden, dass und inwiefern der Verstand naturbestimmend bzw. allgemein gesetzgebend in Hinsicht auf die Objekte der Natur als Erscheinungen ist (Resultat der transzendentalen Analytik der KrV). In derselben Hinsicht ist er das Erkenntnisvermögen schlechthin.209 Erkenntnis in dieser prägnanten Bedeutung ist nämlich einzig und allein die theoretische Erkenntnis als Erkenntnis der Natur, insofern in ihr Objektivität dadurch erzielt wird, dass sich die Begriffe a priori des Verstandes über die reinen Formen von Raum und Zeit auf ein Mannigfaltiges der sinnlichen Anschauung beziehen.
2) Gefühl der Lust und Unlust – Urteilskraft Bei der Analyse des ästhetischen Urteils haben wir gesehen, dass das Gefühl von Lust und Unlust das zentrale Bestimmungsmoment ausmacht, das aber erst auf die Beurteilung des Gegenstandes folgt (vgl. KU, § 9). Die Urteilskraft ist hierbei gesetzgebend, aber in ganz anderer Weise als der Verstand. Sie folgt nur ihrem subjektiven Prinzip der Zweckmäßigkeit, das sie sich selbst vorschreibt zur Regulation des freien Spiels der Erkenntniskräfte in ihr. Die Freiheit dieses Spiels ergibt sich zum einen aus der Spontaneität der Erkenntniskräfte, zum anderen aus dem Freisein der autonomen Gesetzgebung der Urteilskraft von Empfindungen und Vernunftbegriffen. Deshalb ist in der ersten Hälfte des dritten Absatzes von E IX zu lesen, dass für das Gefühl von Lust und Unlust die Urteilskraft das konstitutive Prinzip gebe, und zwar »unabhängig von Begriffen und Empfindungen, die sich auf Bestimmung des Begehrungsvermögens beziehen und dadurch unmittelbar praktisch sein könnten« (5:196.27–197.1). Es sind aber nicht nur Begriffe und Empfindungen der praktischen Vernunft, von denen die reflektierende Urteilskraft bei der Bildung eines ästhetischen Urteils sich unabhängig hält, sondern – wie wir gesehen haben – auch der Vernunftbegriff eines Naturzwecks.210 Das Verhältnis zwischen Urteilskraft und Lustgefühl wird in der unteren Hälfte des dritten Absatzes (auf den Gedankenstrich folgend) (5:197.5) noch einmal ausführlicher erwogen.
209 210
Vgl. Wolff, M. (1995), Die Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel, 90–94. Vgl. Kommentar zu EE VII und EE VIII, S. 169 f.; 177 ff.
IX. Abschnitt: Verknüpfung der Gesetzgebungen durch die Urteilskraft
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3) Begehrungsvermögen – Vernunft Das Verhältnis des dritten Seelenvermögens zur Vernunft als oberem Erkenntnisvermögen ist dadurch bestimmt, dass die moralisch-praktische Vernunft das gesetzgebende Vermögen ist, das die konstitutiven Prinzipien a priori für das obere Begehrungsvermögen enthält. »Konstitutiv« heißt in diesem Falle »praktisch bestimmend«.211 In Umkehrung der Bedingung für das Verhältnis von Urteilskraft und Lustgefühl soll hier gelten, dass die Vernunft »ohne Vermittlung irgend einer Lust, woher sie auch komme, praktisch ist« (5:197.2–3)212 und dem oberen Begehrungsvermögen »den Endzweck bestimmt, der zugleich das reine intellektuelle Wohlgefallen am Objekte mit sich führt« (5:197.4–5). Unmittelbar praktisch wird die Vernunft allein durch das moralische Gesetz, welches direkt den Willen und mittelbar die Maximen der Handlungen a priori bestimmt. Nun ist zwar laut Kant das Gefühl der Lust oder Unlust »jederzeit« mit dem Begehren verbunden (MS, 6:211). Kant nennt sie »praktische Lust« (ebd., 6:212), im Unterschied zum »Geschmack« als einer bloß »contemplative[n] Lust« (oder als »unthätige[s] Wohlgefallen«), in der es nicht um das Begehren eines Gegenstandes geht. Aber es kann dabei entweder Ursache oder Wirkung des Begehrens sein. Geht die »praktische Lust« vor dem Begehrungsvermögen vorher, haben wir es mit Begierden und Neigungen zu tun; folgt sie dagegen einer Bestimmung des Begehrungsvermögens, heißt sie »intellectuelle Lust« (ebd.). Das ist der Fall, wenn die Vernunft durch das moralische Gesetz den freien Willen bestimmt.213 Diese Lust, die (notwendig) von der Achtung fürs Gesetz bewirkt wird, ist im Grunde das moralische Gefühl (KpV, 5:76). Der Sinn der Übersichtstafel am Ende der Einleitung, auf die der letzte Satz von E IX hinweist (»Folgende Tafel kann die Übersicht aller oberen Vermögen ihrer systematischen Einheit nach erleichtern«), erschließt sich nicht auf den ersten und auch nicht auf einen Blick. Es ist auch nicht unmittelbar klar, wie man den Text der Fußnote, deren Zeichen ganz am Ende des Haupttextes (hinter dem Wort »erleichtern.«) in diesem Zusammenhang verstehen soll und welche Rolle er einnimmt. Wir können überdies unseren Kommentar zur Parallelstelle in EE XI mit heranziehen. In der Version der Ersten Einleitung ist Kant bezüglich dieser Einteilung, die nur in zwei Titeln von derjenigen der Einleitung abweicht, viel ausführlicher in seinen Erklärungen. Die Tabelle besteht hier wie dort aus vier Spalten mit je drei Zeilenfeldern. Die erste Spalte enthält die drei Gemütsvermögen, deren Vollständigkeit in der E-Version durch das Attribut »Gesamte« angezeigt wird: Erkenntnisvermögen – Gefühl der Lust und Unlust – Begehrungsvermögen. Es gibt nur diese drei und sie folgen in dieser Ordnung hierarchisch untereinander. 211 212 213
Vgl. KU, § 88, Ende 7. Abs. Vgl. KpV, 5:71–72. Vgl. Kommentar zu EE XI, 8. Abs..
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
Auch die vier Spalten nebeneinander sind systematisch so geordnet, dass sich beim Querlesen eine Abhängigkeit der Begrifflichkeiten voneinander ergibt: »Gesamte Vermögen des Gemüts« – »Erkenntnisvermögen – »Prinzipien a priori« – »Anwendung auf«. Die Betrachtung hat aber zunächst von den Gemütsvermögen auszugehen. Jedem Gemütsvermögen wird genau ein Erkenntnisvermögen zugeordnet, das jeweils genau eine Prinzipienart enthält, die ausschlaggebend ist für wiederum genau ein Anwendungsgebiet. Eine besondere Schwierigkeit bei der Erschließung der systematischen Zusammenhänge aller aufgeführten Titel untereinander ergibt sich daraus, dass die Vollständigkeit und die Reihenfolge der drei Gemütsvermögen aus sich selbst heraus einleuchten muss. Es kann nicht – möchte man meinen – gestattet sein, die Spalten 2 bis 4 dafür zu Hilfe zu nehmen, da sie erst auf diese Einteilung zu folgen scheinen. Zu einem solchen Schritt verleitet jedoch schon die auffallende Verdopplung des Titels »Erkenntnisvermögen« als erstes Glied in der Spalte der Gemütsvermögen und als Überschrift (bzw. Haupttitel der Einteilung) in der zweiten Spalte. In der Tat scheint Kant an der analogen Stelle in der EE (Abschnitt XI) die Begründung so aufzubauen. Dort liest er die Titel auch von rechts nach links. Ausgangspunkt der Überlegung ist dort, dass das Erkenntnisvermögen, insofern es nach Prinzipien a priori erfolgt, der »Ausübung« aller Gemütsvermögen, d. h. insbesondere den drei elementaren »zum Grunde« liege. Auch in der Paralleldarstellung der Einleitung (E IX) geht Kants Erläuterung (unabhängig von der Übersicht) in dieser Ordnung vor sich: Abs. 1 erörtert (in Anspielung an die Gebiets-Thematik in Abschnitt II) zunächst das Problem der Anwendungs- bzw. Objektbereiche der gesetzgebenden Erkenntnisvermögen und deren Verhältnis zueinander (d. h. die Frage der »Kluft« zwischen Natur und Freiheit und der Möglichkeit ihrer Überbrückung) – unter Einbeziehung der Frage nach den benötigten und geeigneten Prinzipien a priori (Spalte 3). Abs. 2 befasst sich speziell mit den einzelnen Erkenntnisvermögen und deren Korrelation; der letzte Absatz wendet sich der ersten Spalte und damit der eigentlichen Thematik des ganzen Abschnittes zu, dem Aufbau der Seelenvermögen. Demzufolge hätte dann also die zweite Spalte und nicht die erste das entscheidende Gewicht. D. h. aus der Dreigliedrigkeit des oberen Erkenntnisvermögens in Verstand, Urteilskraft, Vernunft würde sich ergeben, dass das Erkenntnisvermögen das grundlegende aller Gemütsvermögen ist. Diesen Gedanken aus der EE möchte ich abschließend für die Besprechung der Tabelle in E IX aufnehmen. Aber es ist sogleich zu fragen: folgt aus diesem Rezept auch die eineindeutige Zuordnung genau eines bestimmten Erkenntnisvermögens zu einem bestimmten Gemütsvermögen, so dass z. B. der Verstand genau deshalb neben dem Erkenntnisvermögen steht, weil er zusammen mit Urteilskraft und Vernunft das System der Erkenntnisvermögen bildet? Und gilt etwas Entsprechendes auch für den Fall der Urteilskraft und der Vernunft? Dass das tatsächlich so zutrifft, scheint sich aus Kants Ausführungen des dritten Absatzes zu ergeben, und zwar hauptsächlich durch das Argument der Autonomie jedes der drei Seelenvermögen. Der Autonomiegedanke folgt aber sei-
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nerseits aus der Unabhängigkeit der drei Erkenntnisvermögen kraft ihres Besitzes eines je speziellen Gesetzgebungsprinzips. In der Fußnote (5:197.18–27), die so im Text platziert ist, dass man sie offenbar auch als eine gewisse Interpretationshilfe benutzen soll, nimmt Kant (als Entgegnung auf einen oder mehrere ungenannte Kritiker) Bezug auf seine generell in seinen kritischen Schriften der »reinen Philosophie« angewandtes Einteilungsschema. Dazu macht er geltend, dass es nicht der Beliebigkeit unterliege, sondern »in der Natur der Sache« liege (5:197.19–20). Darüber hinaus könne eine »Einteilung a priori« »analytisch« sein (»nach dem Satze des Widerspruchs«) oder »synthetisch« (»aus Begriffen a priori«). Im letzteren Falle ergebe sich notwendigerweise eine »Trichotomie« zufolge den Erfordernissen einer »synthetischen Einheit überhaupt«. Die drei Schritte der Einteilung, die hierbei vorkommen sind: »1) Bedingung, 2) ein Bedingtes, 3) der Begriff, der aus der Vereinigung des Bedingten mit seiner Bedingung entspringt« (5:197.25–27).214 Nimmt man nun die Fußnote als Schlüssel zu Hilfe für die Interpretation der Tabelle, die hierarchisch dreigliedrig aufgebaut ist und also als ein Beispiel für eine synthetische Einteilung zu nehmen ist, muss man fragen: wo steht jeweils die Bedingung, das Bedingte und der Begriff? Auch die vier Spalten kann man, wie vorgeschlagen, nach diesem Ordnungsschema lesen, wenn man nur die Anwendungsgebiete der vierten Spalte ausklammert und (zuerst oder zuletzt) für sich betrachtet. Für die Einteilung des Begriffs des Gemütsvermögens (Seelenvermögens) kann man anstelle des ersten Titels (»Erkenntnisvermögen«), als der Bedingung, die drei Titel der zweiten Spalte (die aus der Einteilung des »Erkenntnisvermögens« resultieren) einsetzen. Das bedeutet: sie bedingen in ihrer Zusammengehörigkeit (als »Familie«, nicht bloß der Verstand etwa als isoliertes Vermögen) zunächst das »Gefühl der Lust und Unlust«. Das Haupthindernis der Betrachtung der dreigliedrigen Ordnung der Seelenvermögen nach Maßgabe des in der Fußnote angebotenen Schlüssels besteht darin, dass sie, sofern sie »obere« Seelenvermögen sind, als autonome Vermögen von Kant deklariert werden (»die eine Autonomie enthalten« (E IX, 3. Abs.)), so dass sich eine Abhängigkeit derselben untereinander schwer denken lässt. Diese Schwierigkeit hat Kant selbst nicht thematisiert. Wie also kann – möchte ich fragen – das Erkenntnisvermögen unabhängig von den anderen beiden Vermögen des Gemüts das Gesetzmäßigkeitsprinzip des Verstandes aktivieren und dennoch das Gefühl der Lust und Unlust bedingen? Wie kann das letztere autonom auf die Urteilskraft bezogen sein und dennoch durch das Erkenntnisvermögen begrenzt (bedingt) sein? Schließlich: Wie kann das Begehrungsvermögen auf die Bestimmung der Vernunft wirken und dabei selbst Einheit (»Begriff«) des Erkenntnisvermögens und des Gefühls der Lust und Unlust sein?
Vgl. zur Interpretation dieses Einteilungsschemas Wolff, M. (1995), Die Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel,163–170; Euler, W. (2013), Die Tugendlehre, 230–231. 214
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Zweiter Teil: Kommentar zur Einleitung
Die Autonomie jedes der drei Seelenvermögen resultiert (wenn man den Text des dritten Absatzes genau studiert) letztlich aus der Autonomie jeder der drei Gesetzgebungsfunktionen der drei Erkenntnisvermögen. Sie gilt also nur mittelbar (relativ) und muss erschlossen werden; sie ergibt sich nicht bereits aus der Natur der drei Seelenvermögen als solchen und aus sich selbst heraus. Innerhalb der »Familie« der drei Erkenntnisvermögen kann jedes Mitglied abwechselnd über die beiden anderen dominieren und sich diese subordinieren. Daraus lässt sich dann ihr Abhängigkeitsverhältnis zueinander (ihre dreigliedrige Einteilung) erschließen: Das Erkenntnisvermögen bedingt das Gefühl der Lust und Unlust, insofern der Verstand über die anderen Erkenntnisvermögen herrscht. Anders gesagt: nur als Verstand ist das Erkenntnisvermögen (das eigentlich drei Vermögen umfasst) Bedingung dafür, dass das Gefühl der Lust und Unlust entsteht. Aber das Gefühl der Lust und Unlust ist auch autonom insofern als die Urteilskraft durch ihr eigenes Prinzip über die anderen Erkenntnisvermögen dominiert, d. h. diese als Mittel ihrer Reflexion verwendet und auf das Gefühl der Lust und Unlust bezieht (z. B. im ästhetischen Urteil). Das Begehrungsvermögen als »Vereinigung« des Erkenntnisvermögens mit dem Gefühl der Lust und Unlust entspringt daraus, dass man die Vernunft als Einheit von Verstand und Urteilskraft versteht, und es ist autonom, insofern die Vernunft (als praktische Vernunft) das Prinzip des Endzwecks (in Gestalt des durch das moralische Gesetz aufgegebenen höchsten Guts)215 verwirklicht und darin unabhängig von Verstandesbegriffen und dem Prinzip der Urteilskraft ist. Der Endzweck ist ein Begriff der praktischen Vernunft selbst. In der Spalte der Prinzipien sind alle Glieder nur autonom. Deshalb schließt jedes von den dreien die anderen beiden (nach dem Gesetz des Widerspruchs) aus. Die Einteilung in der Spalte 3 ist daher auch bloß analytisch. Ohne die Zweckmäßigkeit als das genuine Prinzip a priori der Urteilskraft wäre das gesamte Bezugssystem der dargestellten Begriffe unvollständig und inkonsistent. Man kann daraus abschätzen, wie wichtig und entscheidend die Entdeckung und die Deduktion dieses Prinzips für Kants System der Kritik der reinen Vernunft, aber auch für das System der Metaphysik gewesen ist. Zur Spalte der »Anwendung auf« sollte man noch anmerken, dass das Mittelglied, »Kunst«, zumindest missverständlich ist. Eigentlich müsste man hier eine Leerstelle erwarten. Denn in beiden Einleitungen hat Kant immer wieder betont, dass die Urteilskraft, im Unterschied zu den anderen beiden Erkenntnisvermögen, aufgrund der bloß subjektiven Natur ihres Reflexionsprinzips kein eigenes »Gebiet« für sich beanspruchen könne. Es kann also insofern auch keine »Anwendung« im Sinne einer Applikation auf bestimmte Objekte geben. Man darf daher den Titel »Kunst« weder im Sinne einer Naturtechnik noch im Sinne eines Kunstschönen als eine Ansammlung von Gegenständen denken. »Kunst« bezeichnet deshalb nur eine Anwendungsart auf subjektive Vorstellungen.
215
Vgl. Kommentar zu EE XI, S. 300.
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Schlussbemerkungen Ziel dieses Kommentars war es nicht, einen abgerundeten Blick auf Kants dritte Kritik zu vermitteln, der weiteres Nachfragen erübrigt hätte. Vielmehr sollte die Heterogenität und Pluralität der Einzelfragen in eine überschaubare Ordnung gebracht und auf die Hauptlinien von Problemstellungen und deren Auflösung reduziert werden. Auf diese Weise konnten objektiv begründete Ergebnisse erzielt werden. Da sich der Kommentar im wesentlichen auf die Texte der beiden Einleitungen bezieht, die die Idee des Werkganzen zur Darstellung bringen sollen, ist die Problematisierung und Bündelung von Aspekten der KU im Kontext des Systems der drei Kritiken relativ einfach im Verhältnis zu der viel reichhaltigeren Thematik aller Paragraphen des gesamten Textkorpus. Mir ging es in dem Kommentar einerseits um die Aufdeckung und Lösung von Verständnisschwierigkeiten im Vorfeld einer Gesamtlektüre, die der kantische Text der beiden Einleitungen aufgrund seiner grammatischen und argumentationslogischen Struktur als solcher aufwirft, andererseits um die Analyse von Sachproblemen und die Entwicklung von Lösungswegen, um die Rekonstruktion und Beurteilung von Argumentationszusammenhängen und den Entwurf möglicher Konsequenzen aus bestimmten Interpretationshilfen. In diesem Sinne wird dem Leser keine geschlossene (fertige) und insofern auch keine überraschend neuartige Interpretation angeboten. Der Preis des Neuartigen ist oftmals eine zu oberflächliche und damit auch einseitige Betrachtungsweise des Textes auf Kosten des möglichen Gewinns und der Maximierung von objektivem Verständnis eines philosophischen Werkes. Wer erwartet hat, dass alle Fragen und Probleme gelöst sind, die ihm bei der Lektüre der beiden Einleitungen begegnen, der muss zwangsläufig durch den Kommentar enttäuscht werden. Es lassen sich auch durch eine noch so gründliche Interpretation nicht alle Schiefstellungen, die der Text inhaltlich oder sprachlich in sich birgt, beheben. Das rekonstruierte Textbild der beiden Einleitungen enthält Sprünge und Bruchstellen, die sich auf das Gesamtwerk der dritten Kritik auswirken. Ohne am Ende dieses Kommentars noch einmal auf Einzelheiten Bezug nehmen zu wollen, kann als eine solche Hauptbruchstelle die festgestellte Asymmetrie zwischen den Prinzipien der ästhetisch reflektierenden und der teleologisch reflektierenden Urteilskraft bzw. auch zwischen den beiden Teilkritiken, der Kritik der ästhetischen und der Kritik der teleologischen Urteilskraft genannt werden. Dieser zufolge ist davon auszugehen, dass die Kritik der ästhetischen Urteilskraft derjenige Teil der KU ist, dem nicht nur partikulare sondern auch allgemeine Bedeutung zukommt und der insofern über die Teleologie und deren Prinzip dominiert. Sie ist damit sowohl die einheitsstiftende Mitte der beiden Teilkritiken der KU als auch zugleich eine dieser Teilkritiken.
Sachverzeichnis Absicht 59 (Fn. 107), 61–63, 78 (Fn. 170), 163, 168, 177, 193 (Fn. 421), 228, 229, 232, 242–244, 248, 250, 251, 257–259, 266, 281, 288, 290 (Fn. 609), 306, 324, 326, 330, 336, 354–356, 395, 440, 471 f., 499–506, 508 f., 516, 518–520, 532, 556 – Abstammung 91, 135 f., 138, 239 (Fn. 500) Abstammungslehre 135 f. Achtung 341 – fürs moralische Gesetz 85, 210–212, 214, 217, 292, 386, 565 Affekt 247–249, 393, 432 Affektion 184, 191, 248 f., 419 Affinität 171, 403 Aggregat 23, 74, 78, 80, 85, 90–93, 114, 125, 140, 149 f., 152–154, 160, 163, 198, 200, 202 f., 240, 260, 272, 323, 325, 420, 491, 496–498 Ähnlichkeit 107, 112, 134, 138, 140, 249, 325, 446, 495 Allgemeines 68 f., 74, 104, 131, 251, 265, 436 f., 442 Allgemeingültigkeit 9, 188, 249, 251 f., 254, 262 f., 266, 277, 284, 287, 291, 298, 311, 318 f., 331, 336, 341, 346 f., 361, 390, 465, 468, 484, 513, 520 Allgemeinheit 15, 25, 29, 31, 40, 68 f., 72 f., 104 f., 110, 154, 163, 171, 184 f., 187, 209 f., 214, 254, 312, 319, 359–361, 414, 436, 464, 472, 474, 485, 490, 493, 498–500, 503, 508 f., 524. – Allheit (Totalität) 198 f. Als ob 59, 78, 116, 134, 138, 145 f., 221, 223, 226, 232, 307, 330 f., 336,
354–356, 416, 451–453, 472, 523, 545, 550, 562 Amphibolie 100 – transzendentale 100 Analogie 27, 59, 71, 78, 80, 100, 134 f., 138, 167, 211 f., 216, 244, 256 f., 260, 278, 324, 348, 353–355, 359, 379, 403, 424, 444, 450, 454, 459, 469, 477–481, 484, 539, 540, 548, 563 – der Erfahrung, allgemeine 379, 455, 475–478, 480–482, 484, 488, 492 – der Erfahrung, besondere 379, 455, 475–477, 480 f., 484, 488, 492 – der Erfahrung, dritte 200 – der Erfahrung, erste 459 – der Erfahrung, zweite 163, 171, 200, 459 f., 469, 481, 555 Analogieschluß 134 Analytik 13, 40, 191, 209, 215 f., 266, 284, 296, 318, 337, 357–359, 362, 378, 442, 477, 479, 500, 513 f., 523, 532, 536, 564 – des Erhabenen 341, 346 f., 359, 362, 530, 532 analytisch 4, 15, 28, 37, 39, 44, 71, 74–76, 126 f., 129 f., 132, 233, 302, 360, 409, 424, 472, 513, 567 f. Analytizität 130 Angemessenheit 30, 88, 114 f., 124, 138 f., 145, 150, 256, 342, 344 f., 348, 368, 449, 471, 487, 490–492, 499 f., 502 f., 505, 511, 517 f., 525, 529 f., 544 angenehm 183, 215, 232, 250, 289, 354 Anlage 63, 136, 219, 239 f., 346 – der Gemütskräfte 348 f., 533 – innere 239
572
Sachverzeichnis
– natürliche 219, 239, 346 Anleitung für die Nachforschung der Natur 53 f., 110, 242 Anordnung 123, 203, 328, 331 – zweckmäßige, der Natur 115, 117, 119 f., 432 Anschauung 24 f., 29, 31, 39, 52, 67, 75, 107–109, 153, 165, 167 f., 170, 172 f., 177, 180 f., 185 f., 191 (Selbst-), 192, 195, 214, 221, 223, 225, 265 f., 273, 277, 294, 296–298, 316, 320 f., 326, 336, 340, 342, 352, 375, 382, 407 f., 410, 412, 441, 443 f., 453, 469, 479 f., 492, 504, 513 f., 517 f., 520, 531, 535, 537, 540, 549 f. – empirische 25, 52, 72, 106–110, 116, 128, 165, 169, 175, 185, 207, 291, 330, 333, 335 f., 399, 435, 438, 479, 524, 526, 537, 561 – innere 246, 513 – intellektuelle 177 – reine 25, 52, 175, 178, 296, 310, 382, 395, 422, 438, 448, 483 – sinnliche 24, 66, 68, 70, 76, 90, 92, 116, 163, 172, 175 f., 178 f., 191, 195–198, 201, 216, 230, 233, 241, 285, 305, 312 f., 315–317, 319 f., 331, 336, 378 f., 403, 405, 414, 422, 426, 438, 440, 443, 453, 460, 468, 497, 501, 513, 535, 556, 561, 564 Ansinnen 253 Anthropologie 54, 82, 135, 138, 218, 219, 239, 432 – empirische 250 Antinomie 266 f., 291, 316, 410 – der ästhetischen Urteilskraft (des Geschmacks) 266, 316, 359, 530, 561 – dritte (Freiheits-) 379, 384, 397, 409 f., 412, 480, 555 f. – des Geschmacksurteils 267, 316, 318 – der praktischen Vernunft 57, 178, 266, 281
– der teleologischen Urteilskraft 118, 164, 236 f., 282, 463, 556, 561 – der theoretischen Vernunft 230, 258, 266 Antinomienproblem 57, 417 Anweisung 46, 61 f., 106 f., 119, 233, 247, 258, 262, 264, 373, 396, 406, 427, 441, 465 Anwendung 28, 48, 50, 54, 58, 107– 109, 120, 220, 275, 304 f., 325, 327, 329, 340, 348, 350, 365, 372, 383, 390, 398 f., 412, 423, 430, 432, 435, 439–443, 459 f., 471, 496, 506, 546– 549, 566–568 – der Logik 98, 102, 105, 122 – von Begriffen apriori 398 f. Apperzeption 68, 75 f., 190, 192, 297, 478, 484 – ursprünglich synthetische Einheit (Selbstbewusstsein) 83, 297, 395, 501, 513 Apprehension 90, 108, 110, 170, 336, 447, 478, 481–483, 517 f., 520, 534 f. s. lateinische Ausdrücke: apprehensio Architektonik 23, 270, 275, 324, 420 – Kapitel (KrV) 22–25, 27, 29, 31, 33, 35, 40 f., 59, 270, 324, 366, 368 – der reinen Vernunft 30, 151, 385, 420 Argumentation 10–13, 15, 43, 49, 61, 72, 86, 101, 132, 152, 231, 233, 235, 239, 241, 263, 339, 346, 366, 376 f., 384 f., 405, 414, 418, 424, 427, 432, 445, 457, 465, 470 f., 498, 515, 520 f., 569 aristotelisch 385 – Schule 133 Art 25, 28 f., 31, 35, 39, 43–48, 52, 58 f., 64, 71, 78, 84–87, 92, 95 f., 114, 118, 121, 123 f., 126–129, 131, 133 f., 136, 146, 150, 152 f., 155, 162–164, 172, 174–177, 180–184, 191–193, 195 f., 199–201, 203,
Sachverzeichnis
207–209, 213 f., 216 f., 223, 225, 227, 234 f., 237–239, 241, 248, 250, 252 f., 255, 261, 264, 266, 269–273, 275, 278–280, 286, 290, 296, 302, 309–311, 313, 315, 317 f., 324, 326, 331 f., 334, 336, 339, 341, 343, 354, 358, 360 f., 376, 379 f., 387, 389, 399, 402, 404–406, 410 f., 413, 418– 420, 423, 436, 439, 441, 444, 448, 452, 457 f., 461, 466, 469, 471, 473, 478, 481, 483, 491 f., 495, 499, 501, 503, 506, 509, 516, 529, 532, 534– 538, 540 f., 545, 549, 551 f., 566, 568 Art-Gattungseinteilung 90 f., 104–106, 110–112, 114, 120, 125–128, 133, 135, 141, 201, 234, 473, 476, 491, 494–498, 506 f. – logische 104, 136, 258, 496 Ästhetik 7, 10, 17, 79 f., 174–176, 194, 196, 215 f., 299, 318–322, 336, 338 f., 341 f., 346 f., 349, 352, 357, 514, 532, 535 – als Wissenschaft 175 – transzendentale 34, 174–176, 178, 216, 320, 513 f. ästhetisch 28 f., 33, 81, 84 f., 99 f., 133, 161, 165 f., 168 f., 171–197, 201, 206–210, 212, 215, 217, 221 f., 224, 226, 229 f., 232, 234, 245, 247, 249– 256, 262–269, 273, 276–279, 281– 288, 291, 294, 297 f., 305, 309–323, 328, 332–349, 351 f., 354, 356 f., 359–362, 375, 456, 466–468, 505, 510, 512–517, 519, 521, 525–530, 532, 534, 540–544, 546–550, 564, 568 f. – Vorstellungsart 174 f., 516, 534, 539, 549 Auffassung 83, 167–169, 172, 182, 185, 223, 225 f., 294, 315, 361, 517 f., 521, 534 f., 538 Aufmerksamkeit 195, 507 f.
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Autonomie 42, 167, 174, 186, 188, 299, 381, 416, 420, 485, 552, 556, 563, 566–568 – des Lustgefühls 86 – der praktischen Vernunft 188, 300, 375, 381 – des Willens 56 Bedürfnis 30, 80, 224, 284, 368, 465, 471 f., 485, 500, 503 – der Urteilskraft 118, 139, 157, 284 Begehren 56, 216, 218–220, 300 f., 431 f., 500, 565 Begehrungen 218 f., 408, 431 f – leere 432 Begehrungsvermögen 44 f., 83–88, 213, 218–220, 266, 268, 291–294, 299– 302, 309, 311, 314, 382, 386 f., 390 f., 395, 420, 422, 426 f., 429, 431 f., 461, 505, 562–565, 567 f. – oberes 85, 292, 303, 308, 343, 426, 565 – unteres 45, 84, 202, 387, 427, 505, 563 Begierde 45, 215, 220, 379, 557, 563, 565 – leere 219 Begriff, Begriffe 10, 20–22, 24 f., 29, 31–33, 35 f., 39, 42, 52 f., 67–74, 76–78, 80, 83, 86–89, 91, 98–110, 112, 115, 117, 126 f., 129–136, 138 f., 141, 145, 149, 152, 160 f., 163, 165, 167 f., 170–174, 178, 180 f., 183 f., 186, 188 f., 192, 194–204, 207, 209–213, 216, 222 f., 225–232, 235, 239–241, 243, 249, 251, 254–258, 261, 265–267, 273, 275–283, 285, 287, 290 f., 294–298, 302, 306, 310, 314, 316–318, 320 f., 326 f., 331–333, 335–337, 339 f., 348–350, 352–355, 359 f., 362, 364 f., 367–369, 371–380, 383–387, 389–391, 393–407, 409 f., 414 f., 418–421, 423, 425 f., 428–430,
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Sachverzeichnis
435–437, 440–444, 446–453, 456– 459, 461, 464, 467–473, 477, 480 f., 486 f., 491 f., 494–496, 498, 500–502, 504, 506, 511, 513, 517–519, 521 f., 524 f., 529, 534–540, 544, 546–550, 552 f., 557 f., 560–562, 564, 567 f. – allgemeiner 25, 74, 93, 101–103, 108 f., 126, 131–133, 137, 163, 442, 448, 451, 477, 494, 496, 498, 529 – besonderer 25, 102, 108 f., 127, 133, 233, 442, 453 – bestimmter 84, 103, 132, 159, 169– 171, 185, 187, 198, 206, 253, 255, 276, 278, 298, 306, 310, 318, 335, 339, 349, 360, 466, 494, 501 – einzelner 102 – empirischer 72, 74, 100 f., 103, 106, 110–112, 115–117, 120, 124, 128, 131, 137–139, 141, 148 f., 165, 167, 171–173, 222 f., 255–257, 279, 284, 398, 403, 425, 435, 458, 460 f., 464, 494 f., 506 f., 517, 522 f., 535 f. – logischer Ursprung 102–104, 112, 125, 132 f., 135 – ontologischer (transzendentaler) 198–202, 206 – transzendentaler 471 – unbestimmbarer 315, 318 – unbestimmter 168–170, 180, 185, 209, 336, 341, 348, 561 – verworrener 195, 227 Behandlungsart 43 Beharrlichkeit 143, 296, 459, 477, 481 Beobachtung 79 f., 111, 113, 143, 188, 238, 249, 252, 254, 282, 342, 393, 489, 544 Beschaffenheit 39, 46 f., 54, 59, 63, 72, 112, 130, 141, 145 f., 166, 171 f., 201, 238, 240 f., 260, 264, 325, 327, 361, 373, 399, 418, 424 f., 438, 453, 474, 489, 501 – ästhetische 512 f., 515 – eigentümliche 324, 331
– empirische 273, 470 – formale 273 – innere 95, 140–142, 239 Besonderes 25, 31, 63, 67–71, 73 f., 78, 93 f., 96, 109, 113, 131–133, 137, 154, 225, 325, 327, 434–439, 441 f., 444, 450, 457, 473, 489–492, 494– 496, 498–500, 503, 508, 542 Besonderheit 71 f., 76, 86, 88, 106, 116, 118, 154, 179, 239, 274 f., 283, 286, 315, 317, 322, 328, 334, 336, 358, 392, 424 f., 430, 469, 484, 498, 547 f., 550 Bestimmtheit 373, 475 Bestimmung 23–28, 31, 35, 40, 42–47, 51, 53–56, 63 f., 69, 72, 74 f., 84–86, 88, 93, 98, 100–103, 106–109, 112 f., 117, 126 f., 129, 131–136, 138, 142, 145, 150 f., 153–155, 157 f., 161, 165, 169 f., 174, 177, 179 f., 183, 186 f., 192–196, 199, 212–218, 222, 224, 227, 241–243, 250, 252, 254, 258, 271 f., 274–276, 282, 291, 293, 295, 303, 305, 307, 316, 320 f., 329, 334, 337–341, 344 f., 347, 351, 360, 364, 366–370, 373–381, 384, 386– 388, 391, 394, 398, 400, 402, 404, 406, 408 f., 412 f., 415, 420, 426–431, 434–436, 438, 441–445, 448–450, 452 f., 458–461, 463, 466, 469 f., 472 f., 475, 477–479, 482–484, 489– 492, 495, 497, 504, 511–515, 517, 519 f., 522–524, 526 f., 532, 536, 540, 548–551, 556 f., 559, 561–565, 567 – des Menschen 30 f., 367, 376, 559 Bestimmungsgrund 21, 44, 46 f., 57, 82, 84 f., 87 f., 117 f., 174, 180, 184– 188, 190 f., 209, 212, 217, 278 f., 282 f., 287, 292, 299, 302, 308–310, 312, 318 f., 332, 342, 380–383, 386, 390, 395, 441, 466 f., 522, 524, 526– 528, 553 f.
Sachverzeichnis
Beurteilung 12, 26, 40, 73, 78, 80, 95 f., 105, 114, 128, 135, 153–155, 159, 164, 171 f., 175, 190, 196, 206 f., 223, 228 f., 232, 234, 237, 247, 257 f., 260, 284, 291, 305–307, 317, 326, 332, 337, 339 f., 342 f., 345, 347, 355–357, 370, 419, 440, 444, 456, 463, 467 f., 470, 483, 500, 507, 510, 518, 522, 536–540, 543, 545, 549–551, 560, 564, 569 – ästhetische 170 f., 207 f., 221 f., 225 f., 229, 284 f., 343, 530, 542 – logische 334 – mechanische 158 – moralische 390 – technische 155, 158 – teleologische 6, 202, 221, 225 f., 228 f., 231, 258, 261, 273, 284, 358, 467, 538, 544, 550 Beurteilungsvermögen (facultas diiudicandi) 174, 307, 331, 351, 357, 548 Bewegung 28, 54, 128 f., 164, 238, 246, 343, 352, 390, 459 f., 501 – des Gemüts 248, 343 Beweis 9, 38 f., 147, 188, 198, 200, 218, 227–231, 233, 235, 252, 280– 282, 284, 313, 316–319, 361, 379 f., 408–410, 431 f., 457, 472, 556, 561, 563 Bewußtsein 75, 85, 90, 100, 104, 108 f., 113, 190–193, 195–198, 232 f., 246, 336, 344, 381, 408, 413, 432 – begleitendes 190 Bildung 75, 100, 102, 106, 112, 120, 131, 140, 142, 172, 186, 233, 244, 261 f., 267, 283, 286, 288, 311 f., 334, 361, 367, 380, 423, 438, 465, 492, 517 f., 521, 524, 539, 564 Bildungskraft 52, 151, 261 f. Bildungstrieb 261 f. Bildungsvermögen 261 Biologen 95 Biologie 2, 95, 125, 144, 350, 538
575
Boden 324, 377, 397, 399, 400–405, 408 f., 412–414, 416, 418–420, 425, 440 f., 469, 562 Böses 419, 439, 444 causa 57, 162, 206, 259, 382, 384, 386 – efficiens 464 – finalis 464 – noumenon 383 Chaos, chaotisch 91 f., 113 f., 342, 530 – der Natur 342 Charakter 93, 136, 140, 143, 152 f – empirischer 137, 150 – innerer 141, 150 f – intelligibler 150 f., 414 Chemie 138, 246 Conceptus communis 104, 126 Corollar 48, 50 f., 394, 406 Darstellung 16, 24, 27, 36, 182, 185 f., 225, 315, 325–327, 336, 341 f., 344 f., 440, 517, 530 f., 535, 537–540, 549 – ästhetischer Ideen 352 – des (eines) Begriffs 24, 52, 167, 180, 232, 327, 538, 540, 542, 548, 550 – eines Begriffs überhaupt 169, 180, 182, 341 – von Ideen der praktischen Vernunft 352 – der Vernunftidee eines Ganzen 328, 345 Dasein 51, 57, 84, 198, 303, 381, 453, 459, 477–479, 483, 538 Deduktion 38 f., 280, 316, 359–362, 381–384, 443, 456 f., 468, 470, 472, 530, 568 Deduktion, transzendentale 89, 360 f., 377, 442, 457, 461, 476 – des ästhetischen Urteils 317 f., 361 f. – des Prinzips (Begriffs) der Zweckmäßigkeit der Natur 359, 465, 468– 475, 486
576
Sachverzeichnis
– des Geschmacksurteils 317 f., 360, 362 – der reinen Verstandesbegriffe 83, 297, 360 f., 442, 446, 455, 458, 502, 561 Deduktion, metaphysische – der reinen Verstandesbegriffe 446, 458 Definition 144, 193, 199, 202, 402, 457, 525 – des Begehrungsvermögens 420 Demonstration 164, 327 f. Denken 21, 24, 38 f., 41, 67 f., 76, 82, 103 f., 121, 123 f., 146 f., 214, 297, 371, 383, 413, 417 f., 423, 434 f., 439, 466, 470, 476, 478, 531 – als Urteilen 67 – Form des 38–40, 67, 121, 123, 297, 368–370 – Gesetze 371 – Regeln 38–40, 68, 103, 120, 122 f., 326, 369 Denkungsart 361, 418 Denkvermögen 67, 70, 352, 560 Deutlichkeit 194 f., 200 – ästhetische und logische 195 Dialektik 40, 56, 69 f., 358 f., 416, 422 – der ästhetischen Urteilskraft 318, 359, 530 – der teleologischen Urteilskraft 267, 359, 491 – transzendentale 178, 371, 374, 406 f., 409, 413, 495, 555 f. Diätetik 43, 48, 54, 58, 392 f. Dichotomie 127–129, 374 f., 428 Ding, Dinge 43, 45, 49–51, 72, 104, 106, 109, 111, 115, 120, 126 f., 130 f., 134, 136, 138, 140 f., 143, 145–147, 149–153, 155, 160, 162, 166 f., 171 f., 175, 188, 195 f., 201 f., 204– 206, 208, 221–227, 229 f., 232, 236– 239, 244, 249, 255 f., 258, 261 f., 286 f., 306, 329, 331, 337, 339 f.,
343, 345, 349–351, 368, 371, 373, 377, 381–383, 390, 395, 400, 410, 422, 438, 447, 449 f., 452 f., 456– 459, 463 f., 467, 469, 474 f., 485, 495, 501, 511–513, 515 f., 535 f., 543, 547–550, 554, 557, 560 f. – als Naturzweck 143, 222 -224, 226 f., 231–235, 238, 331, 349 f., 355, 358, 456, 542 – an sich 18, 50, 84, 95, 103, 117 f., 291, 296, 400 f., 409, 412–415, 417, 442, 449, 474, 501, 513, 560 f. – an sich selbst 117 f., 382, 409 f. – überhaupt 25, 31, 68, 198 f. Dogmatismus 280 Doktrin 37, 60, 269, 280, 314 f., 327 f., 330, 358, 421, 435, 443, 546, 548 Ehrbegierde 248 Einbildungskraft 52, 54, 90, 100, 109, 168–170, 172, 179 f., 182, 184–186, 221, 225, 254, 288, 291, 294, 298, 307, 310, 314–316, 320 f., 326 f., 335 f., 339, 341–348, 352, 444, 449, 466 f., 483, 517 f., 520–522, 524 f., 528 f., 531, 535, 537 f., 560 Einerleiheit (und Verschiedenheit) 100, 200 Einheit 8, 15, 25, 28–30, 34–36, 56, 59, 67, 69, 74–76, 83, 89–92, 101, 103, 114, 116, 121, 138, 159, 162, 182, 185–187, 192, 199 f., 202, 204, 237, 241, 273 f., 279 f., 282, 304, 315 f., 320, 324, 336, 341, 344, 365–367, 374, 376, 384 f., 407, 410, 413, 418 f., 438, 444–447, 450–453, 462, 464, 470 f., 473, 476–478, 480 f., 484, 490 f., 495, 500, 503 f., 506, 509, 513, 520 f., 539, 544, 556 f., 560, 567 f. – der Apperzeption 68, 75, 83, 192, 297, 395, 477 f., 484, 501, 513 – des Bewußtseins 83, 92, 99, 104, 192, 336, 408
Sachverzeichnis
– der Erfahrung (analytische und synthetische) 74, 76, 80, 92, 107, 449, 470, 475 f., 479, 484 – der Natur 462, 470, 472 f., 475, 477 f., 484, 497 – systematische 14, 27 f., 30 f., 35, 56, 69, 74, 89, 92–94, 110, 118, 155, 158, 161 f., 205, 224 f., 233, 238, 281, 317, 366–368, 448, 472 f., 475, 484 f., 493, 496, 498, 511, 565 Einleitung 1, 4–10, 14–18, 268–270, 274 f. – enzyklopädische 268 f., 272, 274 f., 325, 552 – propädeutische 269–272, 275 Einstimmung 507 f., 519, 558 Einteilen 38, 127, 131, 275, 325, 338, 366, 369, 372, 388 Einteilung 7, 19–21, 27 f., 32, 38 f., 41, 48, 56, 61 f., 66, 82, 90 f., 94, 104 f., 113, 119, 121, 124, 126–131, 133, 135 f., 139–141, 143 f., 174, 189, 191 f., 194, 200 f., 215 f., 237, 239, 273 f., 305, 323–328, 336–338, 341, 343, 348–350, 357 f., 363–369, 372–374, 376, 384 f., 402, 405, 419, 427, 430, 448, 466, 476, 485, 487 f., 491 f., 494 f., 539, 550, 565–568 – analytische und synthetische 71, 127, 129, 567 – des Erkenntnisvermögens durch Begriffe 567 – der Gemütskräfte überhaupt 6, 83 – logische 98, 120, 125–133, 135–137, 139, 149, 494, 496 – mechanische vs. szientifische 322– 325, 327–329, 357–359, 362 – der Kritik der ästhetischen Urteilskraft 322 f., 351, 512 – der Kritik der Urteilskraft 322, 328, 330 f., 337, 351, 357, 532, 534, 540 f. – der Logik 38, 123–125, 149
577
– der Philosophie 19–22, 32, 36, 38 f., 41, 48, 61, 66, 71, 83, 268 f., 312, 322, 363–366, 368, 371–373, 376 f., 384, 386 f., 389, 391, 397 f., 400, 404 f., 421–424 – systematische 126, 128, 276, 328, 495 – des Systems der Kritik 322, 327, 529 Eleganz 328 – der / und Präzision 325, 327 f. Elementarlogik 121 Empfänglichkeit 86, 88, 176, 332, 342, 449, 511 – des Lustgefühls 87 Empfindung 108, 174, 184, 186, 189, 332 f., 493, 514, 522, 564 Endursache 166, 227–229, 231, 237, 463 f., 559 Endzweck 30–32, 268, 299 f., 302–304, 308, 311, 367, 557–559, 562, 565, 568 Entgegensetzung 116, 127, 129, 131, 138, 164, 179, 193, 207, 318, 363, 373–379, 384, 412 – logische 375 Enthaltensein unter 90, 131, 436 Epigenesis 239, 261 Erfahrung 21 f., 24, 39, 42, 49 f., 54, 56, 62, 64, 66, 73–76, 78–80, 89–94, 96 f., 100, 105–110, 114–118, 139, 148, 151, 155–160, 162 f., 165, 171 f., 179, 181, 200, 223–225, 228–236, 238–243, 249, 254–258, 264, 276, 285, 287, 290 f., 296 f., 300, 305, 308, 320, 334, 371, 374, 377–382, 388, 398–403, 405 f., 408–410, 413 f., 416, 421, 425, 440–443, 447–453, 455, 457, 459, 461–465, 467–484, 486, 490–497, 501–504, 506, 508, 510–512, 514, 516, 523 f., 528, 534– 537, 542–544, 547 f., 552 f., 555 f., 558, 562 – des Bewußtseins 246
578
Sachverzeichnis
– als empirisches System 276, 281 – Ganzes der 148 f., 447, 470 – als systematische Einheit der Natur 89, 94 – als System nach empirischen Gesetzen 73, 89, 92 – als System möglicher empirischer Erkenntnisse 89, 148–150, 281 – nach transzendentalen Gesetzen 73, 89 f. – überhaupt 74 f., 90 f., 93, 476 Erfahrungsbegriffe 100, 106, 159, 181, 230, 235, 239 f., 257, 398, 400 f., 403 f., 425 Erfahrungsurteil(e) 107, 181, 243, 504, 523 f., 528 Erfindungskunst (ars inveniendi) 23 f., 537 Erhabenes 6, 52, 249 f., 273, 288, 322, 338, 340–347, 351 f., 355, 357, 359, 361 f., 529–532 – dynamisch 343, 345, 347 – mathematisch 343, 346 Erhabenheit 250, 322, 338, 342 f., 344 f., 347 f., 352, 357, 530, 532 Erhabenheitsurteil 310, 338, 340, 343– 349, 359, 361, 529, 532 f. Erkennen 24 f., 28, 31, 44, 68 f., 73, 79, 82 f., 85, 108, 111, 113, 145, 160, 176, 178, 206, 212, 216 f., 223, 232, 235, 256 f., 269, 285, 289, 296, 340, 345, 348 f., 357, 362, 369, 375, 377, 386, 388, 390, 401, 417, 442 f., 447, 449, 453, 459, 463, 476, 485, 487, 490, 494 f., 498 f., 501, 506 f., 509, 513, 516, 526, 544, 550, 558, 561 f. Erkenntnis 10, 15, 20–22, 24–41, 44, 47 f., 58–60, 68–70, 72 f., 75 f., 78– 81, 83–87, 90 f., 96, 100, 103, 105, 107–110, 113, 116 f., 119–122, 124, 126, 128, 135, 144, 151, 157, 162, 167 f., 170–172, 174, 176 f., 179, 183–187, 191–193, 195 f., 198 f., 212,
214 f., 223–225, 230 f., 241, 246 f., 253, 258, 264–266, 270, 272–275, 278, 280–283, 287, 290 f., 294–299, 309, 315 f., 318, 320, 322–325, 327– 331, 334, 336 f., 339–341, 354, 357, 364, 366–383, 389, 395, 397–403, 406–409, 411–414, 416–419, 421– 423, 425–428, 437–441, 449 f., 456– 459, 461 f., 464 f., 468–470, 474 f., 479, 481, 487, 490 f., 496, 498–502, 504, 506 f., 512–518, 523 f., 526–528, 535–537, 539 f., 545–549, 552–554, 558–562, 564 – diskursive 24, 40, 67 – durch Begriffe 24, 67 – empirische 25, 75 f., 89 f., 109, 281, 448, 469, 483 – Erweiterung 380–383 – historische vs. rationale 25 f. – in der Darstellung 537–540, 548– 550 – mathematische 24 f., 31, 52 – philosophische 24, 29 f., 32, 36 f., 271, 290, 293, 325, 367, 373 – praktische 21, 84 f., 377, 379 f., 399, 401, 405, 558 f. – transzendentale 458 – wissenschaftliche 27, 40 Erkenntnisgrund 78, 127, 150, 330 Erkenntnisprinzip 69, 71, 92, 99, 304, 389, 472, 475, 528 Erkenntnisurteil(e) 60, 67, 172, 178, 181, 184, 191 f., 224, 227, 251, 255, 295–297, 309 f., 312, 319 f., 371, 466, 475, 504, 513, 523, 527 Erkenntnisvermögen 8, 34–36, 60, 66– 68, 70 f., 77, 80, 83–88, 90 f., 99 f., 113, 122, 124, 160, 167, 170, 172, 175–178, 180, 182–192, 196, 204, 207, 209, 215 f., 222, 236 f., 266–268, 270, 273, 275–278, 280, 283–285, 291, 293–296, 298, 305, 310, 314 f., 319, 324–327, 335–337, 339 f., 343,
Sachverzeichnis
346, 361, 398–402, 405, 414 f., 420 f., 423–428, 430, 436 f., 449, 451–453, 456, 458, 460, 465 f., 470 f., 474 f., 482, 488–490, 493, 496, 500–502, 505, 507–511, 515–519, 521, 524– 526, 529 f., 534 f., 539, 541, 544, 549 f., 552, 559 f., 562–568 – obere und untere 22, 34, 66 f., 71 f., 99, 188, 191, 275–277, 283, 286, 290, 293, 298 f., 304, 309, 312, 328, 405, 422, 424 f., 427, 455, 486, 511, 563, 566 Erklären 68, 117, 154, 160, 194, 204, 240 f., 248, 299, 306, 325, 338, 465, 516, 526, 528 Erklärung 4, 7 f., 10, 35, 40–42, 53, 83, 105, 121, 128, 136, 138, 145, 152–155, 159, 164, 174, 177, 179, 182, 185, 192, 194 f., 197 f., 203, 210, 212–215, 218 f., 222, 224, 228 f., 233, 235–238, 242–244, 246–252, 257, 260, 266, 276, 288, 293, 299, 304, 312, 349, 353 f., 359 f., 391, 398, 425, 431, 460, 464, 484, 489 f., 492, 500, 504, 510, 532, 537, 545, 550– 552, 555, 557 f., 565 – metaphysische 460 – physische 248 – psychologische 248, 251 Erklärungsart 153, 164, 213, 234, 250 – hypothetische 234 f. Erklärungsgrund 236–238, 245 f., 248 – physisch-mechanischer 237 – psychologischer 246 Erörterung 103, 199, 292, 359 f., 495, 549, 551 – metaphysische und transzendentale 358 Erschleichungsfehler 281 Erzeugung 47, 59, 104, 135, 204, 215, 217, 222, 225, 229, 237, 239, 242, 259, 261, 341, 403, 463, 484, 501, 503, 510, 538, 561
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– an sich zweckmäßiger Naturformen 156 f. Erzeugungsart 46 f., 59, 478, 491 Erzeugungsprinzip 135 f., 143, 204, 226, 261, 285, 287, 403, 538 f. Ethik 21, 43, 46, 53, 82, 368 – stoische 58 Ethikotheologie 315 Evolution 27, 135, 138, 239, 261 – des Lebendigen 367 Existenz 23, 50, 56, 84, 142, 145 f., 202, 204 f., 222, 226, 297, 303, 411, 431 f., 514 f., 543, 557 f. Experiment(e) 79, 164, 196, 242, 393, 432, 525 – chemische, mechanische 392 – physikalisches 47 Experimentalphysik 48, 53, 392 Exposition 19, 42, 209, 213, 224, 250, 291, 345, 359–363, 376, 420, 468, 526, 530, 551 – des ästhetischen Reflexionsurteils 209, 250, 288, 359, 530, 537 – der Grundsätze der praktischen Vernunft 359 – physiologische (empiristische) 359 – transzendentale 359 Fachlogik 95, 334, 350, 538 Faktum 86, 213, 252, 263, 372, 381 f., 386, 429 f., 437, 463, 545 Fall 34, 48, 101, 108, 147, 163, 188 f., 248, 428, 439–441, 444, 472, 481, 484, 486, 520, 522, 524 f., 542–545, 547 Falschheit 49 Familie 88, 91, 143 – der (oberen) Erkenntnisvermögen 420 f., 424–426, 526, 567 f. Faßlichkeit 29, 114, 506 – der mannigfaltigen empirischen Naturformen 90
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Fehler 7, 102, 178 (vitium subreptionis) 214, 230, 281, 365, 385, 392, 394, 409 f., 419 Feld 60, 399–402, 404 f., 410, 414 f., 419–422, 425, 441, 496, 511 – des Übersinnlichen 383, 397, 402, 411 f., 414 f., 419, 422, 441, 558, 560 Feldmesskunst 51, 392 f., 397 Figur 51 f., 203 f., 260, 327, 456 Fläche 142 – schiefe 164 Folge 1, 6 f., 28, 43, 46, 56 f., 66, 92, 110, 126, 132, 139, 170, 177, 187, 197–200, 206, 252, 271, 282 f., 287, 292 f., 302, 309, 325, 327 f., 337, 350 f., 365, 372, 388, 394, 405, 412, 427, 432, 434, 442, 448, 452, 462 f., 469, 477, 479–483, 495, 497, 505, 508, 515, 519, 538 f., 549, 553 f., 556, 561, 565 f. Folgerung (s. auch Korollarien) 48, 51, 58, 78, 86, 92, 115, 117, 145 f., 149, 152, 178, 208, 217 f., 240–242, 245, 263, 274, 278, 284, 286, 337, 342, 348, 354, 356, 381, 389, 391 f., 394, 396, 406 f., 413 f., 417 f., 423, 427, 432, 465, 470 f., 485 f., 500, 508, 515 f., 521, 524–526, 532, 537, 546, 548 f. Form 2 f., 8–14, 16, 21 f., 25, 27–31, 33, 38–40, 43, 45 f., 48, 50, 55 f., 63, 67, 69, 73 f., 77–80, 90–92, 94–96, 100– 114, 116, 121, 124 f., 127 f., 131–133, 135 f., 138–141, 144–150, 152–154, 156–164, 167, 169–172, 174 f., 181, 185 f., 191–194, 196, 200, 202 f., 205, 209, 214, 221–223, 225–227, 230, 234, 236–241, 243, 246, 251 f., 255 f., 259–261, 264, 273, 276 f., 284, 289– 291, 294, 296–298, 300–302, 304 f., 308, 311, 315, 320, 322, 325, 327 f., 330–333, 335, 337–343, 347–350, 352 f., 355, 361, 364, 367 f., 370–372,
374 f., 379–381, 385, 395, 403 f., 406, 417 f., 423 f., 438, 440 f., 444– 450, 452 f., 455 f., 463 f., 469 f., 473– 476, 483, 486, 492, 494, 497, 499, 501 f., 507, 509, 512–514, 517–526, 529–532, 534–539, 541–544, 549, 556, 561 f., 564 – an den Gegenständen der Natur 101, 111, 222, 230 – äußere 140, 260 – des Denkens überhaupt 368–370 – innere 95, 143 – einer Wissenschaft überhaupt 125 – substantielle 355, 450 Forma finalis naturae spontanea 233 f. Fortschritte 20, 28, 122, 270, 280, 320, 328, 483, 511 Freiheit (Freyheit) 2 f., 8, 21, 24, 30, 38, 41, 42–45, 47, 49 f., 55–57, 61, 69–71, 80, 85, 87 f., 151, 154 f., 159, 188, 217, 232, 268, 275, 290–292, 300, 302–304, 307 f., 311–315, 327, 347, 352, 354, 363, 368, 371, 373 -385, 387–391, 395–397, 404–406, 408–420, 426–428, 433, 439–441, 444, 471 f., 486, 501, 518, 522, 529– 532, 548, 551- 553–560, 562, 564, 566 – im negativen Verstande 379 – im positiven Verstande 300, 379 – transzendentale 374, 378–381, 388, 417, 555 – der Willkür 44, 232 Frieden – ewiger 45, 51, 79, 219, 281, 404 Ganzes 3, 8–10, 13–16, 22, 28, 30, 32, 35 f., 57, 59, 64, 66, 71, 74 f., 79 f., 94 f., 105, 119, 132, 148 f., 151, 200, 205 f., 222, 224, 233 f., 238, 240 f., 247, 261, 265, 273–275, 286, 293, 303, 314, 323–329, 331, 339, 344 f., 347, 357 f., 362, 364–368, 370 f.,
Sachverzeichnis
373 f., 376 f., 384 f., 397, 400 f., 420, 447, 470, 475, 491, 496, 550, 558, 569 – der Erkenntnis als System 36, 125 – Form 27, 31, 367 – formaler Begriff 272 f – Natur-, 135–137, 149 Gattung 56, 63, 90 f., 94 f., 104–106, 110–112, 114, 120–122, 125, 127 f., 132–138, 141, 144, 201, 234, 237– 239, 249, 258, 286, 446, 473, 476, 483, 491, 493–498, 506 f., 509, 539 – Menschen-, 135 f – Tier-, 128, 135 Gattungsbegriff 133 f., 141, 377, 446 Gebiet 30, 34, 43, 54, 78, 275, 282, 290, 347, 370, 372 f., 379, 397, 399– 406, 411–423, 425–429, 433, 441, 475, 548, 551–553, 556, 558–560, 566–568 Gefühl 176, 183, 186, 188, 190–192, 207, 209, 212 f., 216, 247, 253 f., 289, 298, 305, 308, 310 (Selbst-) 332 f., 338 (Geistes-) 340–342, 344–349, 351 f (Geistes-) 353, 357, 467, 500, 505, 507 f., 525, 529, 531–533, 544, 567 – der Achtung 210–212, 214, 217, 341 – der Bewunderung 341 – der Lust und Unlust 82–88, 142, 160, 169, 174–176, 178, 180, 183– 188, 190–192, 197, 200 f., 206–212, 214 f., 217, 232, 252, 266, 268, 291– 294, 297 f., 305, 307, 310, 314, 321, 332–336, 340 f., 344, 350, 352, 354, 422, 426 f., 433, 466 f., 499 f., 504, 506 f., 512, 514–516, 519, 521–523, 525–529, 531, 536, 540, 544, 562– 565, 567 f. – moralisches 216, 292, 311, 341, 346 f., 352, 565 – praktisches 212
581
– des Schönen und Erhabenen 6, 250, 341–345, 351, 530 f. Gegebensein 72, 106, 204, 406, 437, 479, 506 – von Begriffen 73, 537 Gegenstand 24 f., 29, 35, 38–42, 44– 47, 49 f., 57–59, 61, 66, 68 f., 71–73, 84 f., 87–90, 96, 98, 101–103, 105, 107–109, 116, 119–124, 128–130, 135, 141 f., 149, 154 f., 159, 162, 167–172, 174–177, 180–182, 184– 191, 193 f., 197, 202–204, 207–212, 214, 216 f., 222 f., 225 f., 228, 230 f., 233–235, 237 f., 241 f., 244, 247– 251, 254 f., 257–259, 265, 273, 277, 285 f., 296–298, 300, 303, 305–307, 310 f., 316, 322 f., 327, 331–333, 336–345, 347–350, 352 f., 355, 357, 360 f., 365, 369–371, 373, 375–377, 379 f., 382 f., 389, 395, 397–405, 408, 410, 412–417, 419, 421, 425, 431, 435 f., 438, 440, 442–445, 450 f., 456, 458, 463, 466 f., 469–471, 475, 479, 481–483, 487–489, 491, 501, 504, 506, 512–527, 529–532, 535– 539, 541, 544–547, 549, 552, 560 f., 563–565, 568 – der Erfahrung 49 f., 92, 118, 230 f., 242, 256, 291, 305, 377, 379, 403, 406, 413 f., 425, 443, 447 f., 461, 470, 479, 497, 502, 534, 542, 544, 552 – schöner 253, 348, 356, 500, 510, 514, 520, 525, 527, 540 – transzendentaler 371, 413 Geist 83, 223, 352, 376, 454, 532 Geistesgefühl 338, 340, 344, 351 f., 357, 532 Geistesstimmung 344 Geiz 248 Gemeinsinn 253 f. Gemüt 37, 54, 82 f., 180, 182, 191, 210–212, 214 f., 217, 219, 246, 248,
582
Sachverzeichnis
250, 288, 293, 305, 335, 341–345, 352, 431 f., 482, 530 f. – menschliches 82, 88 Gemütskräfte 54, 87, 119, 123, 214 f., 219, 268 f., 287, 290, 292, 294–296, 312–314, 340, 345, 347–349, 533, 563 – überhaupt 87 f., 562 Gemütsvermögen 6,22, 82–88, 160, 269, 273–275, 288, 291, 293–295, 298, 306, 309 f., 348, 354, 426, 433, 562, 565–567 Gemütszustand 47, 54, 179 f., 182, 214 f., 249, 253, 345 Genie 306 f., 354 f., 532 Geometrie 47 f., 50–53, 203, 247, 392– 394 – euklidische 51 – praktische 47, 50, 54, 393 – reine (Elementargeometrie) 51 f., 392 f. Geschicklichkeit 59, 63, 354, 389 – Imperative 59–61, 64 f – Regeln 58 f., 62, 64, 326, 392–395, 406 – Vorschriften 58, 60 Geschmack 6, 183 f., 247, 249 f., 252, 266, 286, 288–290, 306 f., 316, 337, 346, 349, 351 f., 357, 359 f., 467, 514, 520 f., 525, 532, 540, 544, 549 f., 561, 565 Geschmackskritik 6, 85, 175, 201, 210, 287–290, 293, 312, 338 Geschmacksurteil 6, 67, 169, 184, 247, 252–254, 263, 266 f., 284–286, 298, 305 f., 310, 316–319, 336, 343, 346, 349, 351, 355, 360–362, 466, 500, 512, 518–530, 532, 550, 561 – reines 305, 307, 316, 332, 338, 524– 526 Gesetz(e) 21, 30, 34, 39, 41, 43 f., 50, 55 f., 59, 64, 68 f., 72–75, 77 f., 80, 89–91, 93, 95 f., 105–107, 110, 114,
– –
–
–
– –
118, 123, 139, 142, 149 f., 157, 163– 166, 175, 188, 190, 193, 203, 210, 212, 216 f., 223, 225 f., 228, 230 f., 233 f., 237, 246 f., 254 f., 260–262, 266, 268, 275–278, 281, 283, 286, 290, 292, 294–297, 299–304, 308 f., 311, 314–316, 319, 324, 326 f., 329– 331, 335, 344 f., 368 f., 371, 375, 377–382, 385, 390 f., 395–397, 400, 402–416, 419–421, 423–426, 428 f., 434–441, 444–447, 449–453, 455, 463, 467–471, 473 f., 476 f., 480–482, 484–491, 496–498, 501–503, 506–510 (heterogene, homogene) 514, 523 f., 528, 539, 548, 551–556, 558, 561– 563, 565–568 der Aggregation 498 allgemeines (a priori) 72, 78 f., 89, 96, 101, 137–139, 149, 153, 156, 188, 246, 276 f., 296, 301, 308, 311, 315, 391, 413, 437 f., 446–448, 450– 452, 457, 459, 461, 468–470, 472– 474, 477, 485, 487–490, 492–494, 499–504, 506, 509, 538, 543, 556, 564 besonderes 72, 76, 90, 93, 96, 115– 117, 141, 156–158, 233, 406, 435, 447, 451 f., 462, 470 f., 473, 482, 488, 492, 500, 502–508, 561 f. empirisches 66, 73–76, 78–80, 89– 94, 96, 101, 106, 108, 110–114, 116, 119 f., 138, 146, 149 f., 155–157, 161 f., 171, 222, 225, 237, 246, 256, 258, 260, 262, 264, 276, 279–282, 296, 316 f., 371, 406, 417, 435, 437 f., 446–453, 460, 464, 469–474, 476 f., 480 f., 484–487, 489 f., 492 f., 499, 506, 508–511, 515, 539, 541, 561 freies, der Natur 97 der Freiheit 45, 47, 49 f., 70, 291, 408, 411, 416–419, 439–441, 444, 553, 555 f.
Sachverzeichnis
– der Kausalität 150, 171, 226, 236 f., 296, 326, 379 f., 382, 394, 405, 460, 463 f., 467, 469, 477, 480, 483 – der Kontinuität 421, 483, 497 – mechanische 228, 236–239, 256 f., 259–262, 460, 463 – moralisches 45, 55–57, 69, 85, 178, 212, 216 f., 253, 292, 295, 300–304, 308 f., 311, 381, 382 f., 386 f., 391 f., 395, 405 f., 408, 416, 419, 427, 463, 528, 556, 562, 565, 568 – moralisch-praktisches 45, 55, 58, 69, 193, 211, 278, 301, 308 f., 380– 382, 392, 395, 423, 429, 440 f., 462, 562 – Natur-: s. Naturgesetz – Rechts-: s. Rechtsgesetz – der Spezifikation der Natur 455, 472, 485–489, 491–493, 496, 498, 527 – transzendentale 73, 75 f., 89–92, 96, 113, 118, 131, 136 f., 139, 225, 276, 296, 436 f., 445, 447 f., 459, 476, 478, 484, 487 f., 492, 536 – überhaupt 55, 381 – Vernunft-: s. Vernunftgesetz – im Unterschied zu Vorschrift 59, 391 Gesetzmäßigkeit 77, 97, 115, 153, 160, 163, 173, 203 f., 210 f., 240 (mechanische) 262, 268, 276 f., 295–297, 299, 304 f., 310, 313–319, 329, 331, 337, 344, 366, 377, 380, 390, 415, 417 f., 440, 446–448, 451, 456 f., 461, 469, 471, 500, 502, 520 f. – zufällige 77, 276, 456 – des Zufälligen 153, 203 Gestalt 52, 142, 152 f., 204, 221 f., 348, 361, 517 Giftmischer 61 f. Gleichförmigkeit 111, 113 f. Gleichgewicht 45 f., 54, 519, 524, 530
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Glückseligkeit 46, 56 f., 62, 64, 292, 393 – eigene 46, 54, 57, 64, 390 – fremde 46, 57 – Idee 64 Glückseligkeitslehre 392–394 Gott 57, 217, 371, 454, 475 – Dasein 57, 198 Gottesbeweis – ontologischer 198 Grenzbestimmung 398, 511 – der Wissenschaften 271 Größe 91, 114, 127, 141, 143, 199, 239, 246, 323, 343–345, 472 f., 479, 514, 531, 560 Größenschätzung 344 f – ästhetische 344 Grund (und Folge) 10, 20, 28, 37, 42– 47, 50, 56 f., 59, 61 f., 66 f., 70 f., 74, 78–80, 82–88, 90–94, 96, 99, 100, 103 f., 109–112, 117 f., 124, 126 f., 133 f., 137–146, 148–152, 154– 164, 172, 174–180, 182–192, 195, 198–206, 209–212, 214–217, 219, 221–224, 226, 228, 231 f., 235–240, 245 f., 248, 251–257, 263 f., 266, 268, 276, 278–289, 291–297, 299– 306, 308–310, 312, 314–320, 322, 325, 327–340, 342–352, 354–368, 372–377, 379–386, 388–392, 394– 396, 401, 403, 410, 412, 414, 417– 420, 423–425, 428, 437, 441, 443, 446, 448–454, 456, 461 f., 465–469, 472, 474–476, 480, 483 f., 489–492, 494–496, 499–502, 504–506, 509, 511, 515 f., 519–524, 526–528, 530 f., 534–544, 547, 549, 553–557, 559– 561, 563, 566 Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft 381 Grundlegung 2, 18–22, 53, 55, 59–64, 194, 300 f., 308 f., 365, 368, 370 f., 389, 395, 440, 463, 468, 472, 554 f., 557
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Sachverzeichnis
Grundsatz 95, 171, 183, 195, 228, 230– 233, 236, 270, 296 f., 381, 407, 463, 469, 477, 479, 481, 528, 543–546 – der Beharrlichkeit der Substanz 296, 459, 481 – teleologischer 95, 143 Grundsätze 25 f., 44, 75 f., 89, 100, 193, 216, 269, 276, 292, 296, 301, 304, 313, 315, 331, 359, 372, 377 f., 380 f., 383 f., 407, 409, 435, 442, 459, 462 f., 465, 471, 477–480, 497, 513 f., 524, 544 Gültigkeit 9, 39, 89, 96, 100, 105, 141, 145, 149, 153, 173, 183–185, 187 f., 193, 236, 238, 242, 249, 251–254, 258, 262 f., 265 f., 277, 281, 284, 286 f., 291, 295–299, 310 f., 318 f., 331, 336, 341, 346–348, 360 f., 383, 390, 394, 412, 429, 447, 453, 465, 467–469, 471 f., 476, 479, 483 f., 498, 502, 504, 510, 513 f., 519 f., 522 f., 527, 538, 545, 553, 561 – logische 512, 515 Gut – höchstes 56–58, 292, 300, 302 f., 404, 416, 568 Gutes 84, 289, 308, 311 f., 386, 419, 439–441 Handlung 21, 31,39, 44–46, 50, 52, 55 f., 58, 61 f., 65, 70, 84 f., 100, 104, 109, 112, 123, 133–135, 137, 151, 167, 172, 177, 180–182, 185, 188 f., 192 f., 216, 230–232, 252, 292, 301 f., 308 f., 311 f., 333, 335, 354, 388, 390, 395 f., 399, 406–408, 411, 415, 417, 419, 439–441, 444, 462 f., 494, 496, 501, 517, 521, 535, 554, 556 f., 565 Harmonie 185, 187, 517, 519 Heautonomie 174, 186, 331, 485 f., 489 Hebebaum 164 Hebelgesetz 46 Hebezeug 163 f.
Hermeneutik 9, 15 Heterogenität 76, 90 f., 94, 105, 416, 441, 474, 493, 499, 502, 508 f., 511, 569 – des Mannigfaltigen 509 Heteronomie 556 – der Willkür 56 heuristisch 56, 81, 115, 125, 144, 162, 243, 481 hoffen 30, 111, 115, 117, 141, 271 Hoffnung 98, 111, 140, 510 Homogenität 76, 474, 508 – des Mannigfaltigen 496, 499, 509 Hypotypose 540 Ideal 56, 219 – der Schönheit 352 Idealismus 5, 30 – transzendentaler 89, 172, 296, 395, 399, 449, 501, 512, 514, 523, 561 Idealität 510 – transzendentale 50, 513 Idee 8 f., 15 f., 23, 26–28, 30–33, 36, 46, 56, 59, 64, 69–71, 80 f., 83, 86, 89, 94 f., 133, 141, 152, 154, 161, 163, 205, 217, 224, 230 f., 239, 241 f., 255–257, 259, 261 f., 270–274, 276, 280, 285, 291 f., 302, 308, 314, 316 f., 319, 324 f., 329, 331, 339, 341–343, 346–348, 352, 355, 358, 361 f., 366 f., 379, 401, 403, 410 f., 413–415, 419 f., 422, 440, 452, 456, 461 f., 495, 497, 501, 518, 530 f., 544, 559 f., 569 – ästhetische 316, 352 – des Erhabenen 343–346, 530 f – der Freiheit 55 f., 307, 378 f., 530 – der Natur 141, 313, 316–319 – der Philosophie als eines Systems 30, 35, 86, 385 – praktische 346 f., 402 – reelle 344 – regulative 81, 151, 291, 374, 437, 495
Sachverzeichnis
– zu einem System der Vernunfterkenntnis durch Begriffe 33 – des Unendlichen 344 – der Vernunft 22, 27, 163, 240 f., 287, 291, 316, 342, 344 f., 347, 352, 371, 375, 390, 407, 414, 440, 530– 532 – einer Zweckmäßigkeit der Natur 16, 172, 309, 316, 343 Imperativ 19, 54 f., 60 f., 63, 65, 252, 395, 411, 463 – apodiktischer 61 – assertorischer 62 – der Geschicklichkeit 59–61, 64 f – hypothetischer 61–63, 392 – kategorischer 55, 61 f., 82, 193, 300–302, 309, 311, 381, 406, 416, 463, 472, 555–557, 562 – pragmatischer 63 f – problematischer 61 f., 65 – technischer 59, 62–65 – technisch-praktischer 51 Induktion 137, 250 Induktionsschluß 134 Instinkt 100, 387, 432 Interesse 1–3, 11, 29, 194, 247, 311, 324, 341, 347, 351, 417, 456, 462, 496, 518 – spekulatives 462 f. Interpretation 1–5, 7, 9–15, 20, 23–25, 32, 42, 48 f., 70, 75, 82, 100, 108, 113, 136 f., 148, 158, 180, 198, 229, 231, 265 f., 284, 288, 292, 294, 314, 326, 354, 357, 362, 364, 386, 389, 397, 420, 429, 442, 451, 466, 488, 490, 498, 500, 503, 530, 544, 549, 551, 567, 569 – hermeneutische 9, 15 – objektive 9 – systematische 9 Introduktion 268, 276 – enzyklopädische 268 f., 272, 274 f., 312, 321
585
– propädeutische 268 Jedermann 252–254, 263, 265 f., 301, 308, 310, 312, 316–319, 346, 390, 505, 522–524 Kanon 27, 48, 293, 371 – für die Vernunft 39 f Kategorien 24, 29, 39, 44, 75 f., 90, 107, 109, 117, 199, 213, 227, 249, 296 f., 320, 361, 371, 374, 377 f., 383, 385, 391, 401 f., 405, 408 f., 426, 430, 435, 437, 442–444, 447 f., 450, 456, 468, 477 f., 492, 501 f., 506, 513 f., 529, 561 – der Freiheit 38, 43, 45, 49, 61, 69, 375, 380, 383, 405, 444 – der Kausalität 24, 154 f., 163, 200, 375, 382 f., 430 – der Quantität 199 – Tafel 199, 374, 459 Kategorischer Imperativ, s. Imperativ Kausalität 24, 46, 70, 140, 150, 154– 164, 200, 223, 225, 228, 232 f., 236– 238, 241 f., 256 f., 259, 261, 292, 296, 302, 355, 359, 374 f., 379 f., 382 f., 386–391, 394, 399, 404 f., 409, 411, 417, 430, 432, 444, 459 f., 463, 469, 473, 476 f., 480 f., 483, 491 f., 497 f., 538 f., 544, 552, 554–557 – aus Freiheit 300, 375, 379 f., 382 f., 387–389, 394, 413, 552–557 – mechanische 160, 163 f., 203 f., 237, 256, 259–261, 560 – Zweck- (finale) 146, 162, 164, 205, 207, 229, 232, 241, 243, 257, 302, 307, 351, 453, 476, 481, 497 f., 560 Kegelschnitt 53 Keim 27, 367 Klassifikation (Classification) 23, 127, 144, 148, 455, 493, 497, 539 Kluft 207, 290, 314, 415 f., 420, 428, 501, 551–553, 559, 566
586
Sachverzeichnis
Klugheit 63 f., 389 – Ratschläge 62, 64 – Vorschriften 59 Klugheitsregeln 63 f., 389 Kommentar 1–5, 7–18, 22–24, 30, 60, 64, 78, 83, 187, 194, 251, 284, 294, 364, 380, 468, 481, 569 Komparation (Reflexion und Abstraktion) 105, 112, 147 Konstruktion 35, 51 f., 150, 203, 223, 225, 294, 479, 498, 524 – der Begriffe 24, 52 f., 430, 441 – geometrische 52 f., 203 Kontradiktion 127, 129, 131, 136, 138, 178, 375, 409, 417 kontradiktorisch 127, 129 f., 132, 207, 244, 373, 409 konträr 129 f., 138 Koordination 102, 200 KpV 18 Korollarien (Corollar) 48, 50 f., 389, 393 f., 406 f. Körper 27, 35, 43, 54, 138, 163 f., 229, 238 f., 246–250, 271, 367, 376 f., 458–460, 538, 544 Kraft, Kräfte 45 f., 142, 151, 164, 215, 219 f., 431 f., 483, 563 Krieg 219 Kritik 7 f., 10, 13 f., 19, 30, 32–37, 40, 50, 60, 67–70, 80 f., 86, 108 f., 123 f., 135, 174 f., 178, 191, 194, 196 f., 209, 213, 220, 237, 244, 249, 251, 264–266, 269, 275, 278, 280 f., 285–287, 290 f., 295, 299, 314 f., 319, 321 f., 325–327, 338 f., 365, 369, 371 f., 388, 397, 399, 415, 420–423, 425, 428, 432, 449, 462, 475, 491, 512, 528 f., 532, 541, 546, 548–550, 552, 557, 563, 567, 569 – der ästhetischen Urteilskraft 33, 208, 268 f., 285 f., 319, 322 f., 328, 337 f., 351, 354, 357, 359, 466, 512, 528, 532, 540 f., 569
– in Differenz zur Philosophie 19 f., 25, 32, 549 – dritte und vierte 8, 33–35, 60 – des Geistesgefühls 338, 351 – des Geschmacks 6, 86, 175, 201, 210, 288–290, 312, 338, 351 – des Lustgefühls 86 – des reinen Verstandes 34, 347, 428 f. – der reinen Vernunft 6, 34, 37, 40, 83, 86, 269 f., 274, 290, 321 f., 363, 374, 420, 428 f., 438, 490, 551, 561, 568 – der praktischen Vernunft 299 – als Propädeutik aller Philosophie – der teleologischen Urteilskraft 7, 13, 33, 95, 207, 234, 236, 285–287, 322, 328, 338, 349–351, 357–359, 466, 541, 549, 569 – der Urteilskraft 8, 14, 22, 56, 157, 255, 267 f., 270, 274, 285, 287, 313 f., 319, 322, 328, 338, 346 f., 357 f., 368, 372, 397, 415, 420, 428 f., 497, 510, 540 f., 569 „Kritik der praktischen Vernunft“, 38, 70, 216, 299, 365 KrV 18 „Kritik der reinen Vernunft“, 20, 22, 32–34, 36, 40, 67, 70, 215 f., 268, 421, 427 f. „Kritik der Urteilskraft“, 1, 5, 287, 534 Kultur 288, 346 f. – menschliche 346 f. Kunst 47, 53 f., 58 f., 62, 78 f., 123 f., 139, 208, 229 f., 232 f., 268, 304– 307, 324, 353–356, 370, 389, 392– 394, 444, 454, 524, 532, 537 f., 568 – ästhetische 354 – betrachten (beurteilen) 306 f., 356 – chemische 393 – freie 232, 354 – als Handwerk 59 – logische 123 – Lohn-, 232
Sachverzeichnis
– mechanische 232 – der Natur 78, 80 f., 134, 139, 153, 207, 278, 306, 310, 336, 348, 354 – schaffende 79, 232, 306, 532 – als Scheinen der Natur 306 – schöne 226, 232, 288, 305–307, 322, 353–356, 537 – als Technik 58 f., 207, 232, 307, 538 Künstler 270, 307 Kunstschönes (vs. Naturschönes) 306 Kunstwerk 164, 204, 232, 257 f., 260, 306 f., 354–356 – als Natur 306 Leben 54, 142, 219, 222, 240, 248, 250, 259, 262, 298, 352, 355 f., 367 Lebenskraft 341 Lebewesen 95, 127, 136, 142, 151, 238, 240, 261, 536, 538 Legalität 216 Lehnsatz 545 Lineal 52 Logik 21 f., 28 f., 32, 38–40, 42, 95, 101–105, 119, 121–126, 128, 130 f., 134, 192–194, 199, 216, 234, 270 f., 336, 359 f., 368–371, 373, 397, 427, 487, 535, 540 – allgemeine (des allgemeinen Verstandesgebrauchs) 38–40, 68, 102, 105, 119–125, 128, 181, 326, 350, 370 f., 423, 427, 545 – angewandte 119, 121–124 – Anwendung auf die Natur 98, 102, 105 – besondere (des besonderen Verstandesgebrauchs) 40, 119–125, 149, 326, 334, 350, 545 – der Biologie 95, 144, 350, 538 f. – Einteilung 120, 123–125, 370 – formale 38 f., 68, 120, 122, 130, 181, 193, 369 f. – heuristische (Logik der Forschung) 125, 550
– – – –
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als Kanon 371 Lehrbücher 122, 192, 369 als Organon 370 praktische und theoretische 123– 125 – als Propädeutik 40, 370 – reine 38, 119, 121–123, 181, 369 f., 423 – des Scheins (Dialektik) 40 – der teleologisch reflektierenden Urteilskraft 370, 538, 550 – transzendentale 34, 39 f., 119, 125, 181, 216, 369, 371, 373 f., 427, 513, 550 – der Wahrheit 40 Logikvorlesungen 126–128, 130, 132, 134, 192 f., 311 f., 315, 370 logisch 28 f., 38–40, 43, 60, 68–70, 76, 91, 98, 100, 102–105, 110, 112, 119–142, 145, 147–150, 152, 162, 177 f., 181, 183, 191–196, 200, 234, 238, 251, 254 f., 258, 311–313, 315, 320, 333 f., 350, 367, 369 f., 375, 390, 394, 406–408, 412, 423 f., 427, 434–436, 438, 446, 465 f., 490–492, 494–498, 512–515, 519, 522, 527, 534, 537–540, 549 f. – Einteilung, s. Einteilung – Gebrauch der Urteilskraft 119, 124 f., 128, 135, 234, 426 f., 434 – Kunst 123 – Vorstellung der Zweckmäßigkeit der Natur 537, 549 Lust (und Unlust) 82–88, 160, 169, 174–176, 178, 180, 183–192, 194, 196 f., 200–202, 206–212, 214 f., 217, 232, 249, 252, 266, 268, 291–294, 297 f., 305, 307, 310 f., 314, 321, 332– 336, 340 f., 344 f., 350, 352, 354, 422, 426 f., 430, 433, 466 f., 493, 499 f., 504–510, 512, 514–529, 531 f., 535 f., 540, 544, 549, 562–565, 567 f. – ästhetische 85
588
– – – –
Sachverzeichnis
contemplative 289, 565 intellectuelle 565 negative 340 f., 531 praktische 565
Macht 345, 531 – des Gemüts 345 – der Natur 345 Mannigfaltiges 27, 45, 69, 75, 105, 107, 109, 125, 131–133, 138, 162–164, 167–170, 175, 291, 296, 307, 321, 326, 336, 350, 355, 367, 403, 408, 445, 450, 453, 455, 461, 467, 471, 473 f., 481–483, 494–496, 498 f., 501 – der Anschauung 68, 90, 108, 185, 192, 196, 198–201, 203, 223, 241, 246, 265, 272, 296 f., 310, 320, 336, 378, 399, 443 f., 479 f., 535, 561, 564 – der Natur 120, 125, 131, 448, 453, 503–505, 509, 511 Maschine 163 f., 239 f. – der Natur 240 Maß 57 – absolutes 344 Materie 95, 134, 159, 192, 295, 300– 303, 370 f., 377, 379, 381, 456, 460, 501 – als das Bewegliche im Raum 460 – als Gattung 133 f. – leblose 387 – organisierte 95, 261 – rohe 133 f., 136, 261 f., 474 Mathematik, Mathematiker 45, 50, 53, 58, 109, 213 f., 247, 270, 282, 392, 430, 456, 478 f. Maxime, Maximen 55, 77, 95, 118, 143, 155, 159, 162 f., 237, 300–302, 309, 311, 374, 380 f., 383, 409, 462 f., 465, 471, 481, 489, 491, 498, 539, 554, 565 – der reflektierenden Urteilskraft 80, 96, 114 f., 457, 462–465, 471 f., 491, 497, 527, 546
– der Vernunft 462 f., 497 Mechanik 44–46, 48, 154, 161–164, 246, 259, 460 mechanisch 45 f., 52, 76, 115 f., 140, 142, 153–155, 158 f , 162–164, 228, 236–240, 244, 246, 256 f., 259–262, 272, 322–324, 359, 392 f., 463, 480, 556, 561 f. – Betrachtungsweise der Natur 76 – Kausalität 153, 160, 162–164, 171, 203 f., 237, 256, 259–261, 560 – Kunst 232 – wirkende Urteilskraft 116 Mechanismus (Mechanism) 95, 118, 141 f., 155, 159, 165, 171, 221, 236 f., 241, 256, 261 f., 351, 387, 465, 497 f. Medizin 45, 270 f. Mensch 29, 31, 45, 54, 56, 62–64, 90, 127, 129, 135, 216, 218 f., 239, 247 f., 288, 292, 300, 302 f., 318, 346, 351– 355, 358, 367, 376, 389, 395, 406, 411, 431, 454, 537, 557, 559 – Bestimmung 30 f., 33, 303, 345, 376, 559 menschlich 8, 22, 29–31, 36, 41, 45 f., 50, 54, 62, 82, 88, 90 f., 99 f., 109, 113, 116, 136, 142, 151, 177, 203, 219, 225, 229, 232, 239, 259, 270, 275, 302, 308, 344, 346 f., 354–356, 367, 374, 376, 382, 398 f., 401, 437, 444, 446 f., 452–454, 470 f., 474 f., 487, 490 f., 499, 501 f., 508, 510 Menschengattung 135 f Merkmal 29, 95, 102, 104, 106, 111 f., 114, 126–129, 131 f., 136, 141, 154, 163, 166, 169, 184, 191, 194 f., 199, 201 f., 221, 240, 274, 295, 317, 325, 343, 370, 395, 410, 412, 429, 436, 448, 461, 464, 479 f., 490, 494 f., 505, 512, 515, 522, 528, 563 Metaphysik 3, 6, 8, 14, 17 f., 20, 22, 24, 35–37, 50, 53, 66, 79 f., 95, 126, 166, 194–196, 199 f., 229, 237, 270,
Sachverzeichnis
275, 282, 314, 326–328, 351, 367 f., 370–372, 397, 450, 464, 475, 489, 522, 562 f., 568 – als Wissenschaft 280 – der Natur 22, 34 f., 327, 421 – der Sitten 21 f., 34 f., 38, 55, 126, 247, 308, 327, 341, 360, 421 Methode 2, 11 f., 20, 35 f., 96, 125, 144, 195, 218, 250, 271, 465, 471, 496 f Methodenlehre 123–126, 270 – allgemeine 124–126 – transzendentale der KrV 22, 25, 56, 273, 385 – der KU 10, 31 f., 385, 390 Mineralien 140, 142, 150, 238 Mitteilbarkeit – allgemeine 253 f., 310, 336 – subjektive 336 Mitteilungsfähigkeit – allgemeine 209 Modalität 29, 62, 253, 297, 346, 375, 435 Möglichkeit 28, 33, 35 f., 41, 44–47, 49 f., 53–59, 68, 74–76, 78, 88 f., 93, 96, 98, 101 f., 105, 107–110, 115–117, 136, 140, 146 f., 149, 150, 152–154, 158, 160, 171 f., 174, 176, 183, 188 f., 202–204, 212 f., 222, 224–227, 231 f., 235 f., 238–241, 246, 253, 255–257, 260 f., 263, 270, 276, 283 f., 287, 290 f., 296 f., 302, 304, 307, 311, 315, 320, 331, 337, 349– 351, 355, 364, 374, 376–379, 381 f., 386, 390, 402, 411, 413, 417, 428, 438, 440 f., 443–445, 448–450, 456, 462, 465, 467 f., 470, 474 f., 477 f., 480, 483–486, 501 f., 507, 512, 522, 524, 528 f., 535, 542 f., 546, 550, 554–558, 560 f., 566 – der Dinge nach Freiheitsgesetzen 43, 49 f. – innere, eines Dinges der Natur 222, 224, 238–241, 243 f., 350 f., 358, 538
589
Moral 30, 44, 194, 218, 303, 341, 431, 555 Moralität (und Legalität) 216, 303 Moralphilosophie 21, 38, 51, 300, 303, 363, 367, 376, 378, 384 f., 559 Nachforschung 96, 110, 238, 242, 250, 265, 272, 356, 461, 482, 508 – der Natur 66 f., 79 f., 114, 118, 456, 462 f., 474, 482 Natur 2 f., 7 f., 21 f., 26, 32, 35, 41, 44– 50, 54–57, 59, 66, 68, 72–74, 76–81, 84, 86 f., 89–92, 94, 96–98, 101–105, 107–109, 111–115, 117–120, 130 f., 133–166, 170–172, 188, 190, 201, 204–208, 219–229, 231–233, 236, 238, 240, 242–246, 248, 253, 255 f., 264, 268, 276, 281, 286 f., 290 f., 296–298, 302, 304–308, 311–319, 322 f., 325–327, 329–331, 335–348, 350–357, 361, 374–380, 384–391, 393–396, 401–406, 408–421, 423, 425–428, 432 f., 435–439, 441, 444– 454, 458, 462, 464, 467, 469–474, 476, 480–482, 484–494, 496–504, 506, 509–511, 515 f., 518, 524, 529– 532, 536–544, 546–564, 567 f. – allgemeine 310, 317, 438, 473, 484, 503 f., 506, 542 – als Inbegriff aller Gegenstände der Erfahrung 296, 379 – als Kunst 78, 80 f., 134, 139, 278, 306, 310 – als Subjekt 134 – als System für die Urteilskraft 104 f. – besondere 77, 80, 93, 114, 116, 118, 130, 137, 153, 157 f., 172, 233, 287, 290, 315–318, 438, 440, 463, 470, 473 f., 486, 492, 499–501, 503, 508, 541–543 – empirische 73, 91–94, 96, 106, 114– 116, 124, 128, 131, 137 f , 141, 150, 157, 162, 166, 171, 189, 444, 449,
590
Sachverzeichnis
453, 455, 472, 474 f , 480, 482–484, 488, 494, 498, 505, 509, 511, 545 – formale 149, 296 – innere 142, 219 – intelligible 302 – materiale (materielle) 134, 149, 237, 404, 447 f., 463, 469 – macht keinen Sprung 464 – nimmt den kürzesten Weg 95, 464 – objektive 77, 170, 277, 282 – organische 140–143, 205, 238 – richtet sich nach der Urteilskraft – tut nichts umsonst 94 f. – übersinnliche 26, 375, 381 f., 419, 559–561 – unter der Autonomie der reinen praktischen Vernunft 381 – zweite 375, 381 Naturabsicht 227 f., 230, 235 f., 242 natura archetypa (urbildliche Natur) 26 natura ectypa (nachgebildete Natur) 26 natura formaliter (materialiter) spectata 90, 446, 502 Naturbeschreibung 128, 143, 203, 246 Naturbestimmtheit 44, 146 Naturbeurteilung 96, 128, 135, 159, 164, 202, 257, 337, 370, 507, 537, 542 f. Natureinheit 92–94, 96, 118, 158, 225, 462, 470, 472 f., 475, 477 f., 484, 497 Naturerfahrung 75, 78, 90 f., 94, 110, 114, 117, 148, 155, 162, 224 f., 236, 238, 285, 320, 374, 381 f., 416, 440 f., 449, 453, 463, 469 f., 472 f., 475, 477, 484, 486, 490 f., 493–495, 502, 536, 553 Naturformen 74, 79 f., 90–92, 94 f., 101, 105 f., 111, 128, 135, 138, 141, 144, 147–149, 152 f., 156 f., 159–161, 171, 222, 225 f., 234, 236, 239 f., 243, 256, 276, 284, 298, 320, 342 f.,
438, 445–450, 453, 464, 470, 497, 499, 502, 507, 509, 531 f., 539 – besondere 277, 290, 448, 450 – schöne 252, 255, 291, 304, 337, 339 Naturforschung 56, 78–80, 95, 125, 143, 221, 236 f., 242, 462, 465, 471, 492, 496–498, 508, 510 f., 539 Natur und Freiheit 2 f., 30, 41 f., 56, 71, 88, 151, 275, 290, 312 f., 347, 352, 363, 373–377, 385, 397, 411, 413, 416–420, 423, 428, 471, 501, 548, 551, 559, 562, 566 Naturganzes 74, 80, 135–137, 141, 149, 303, 475, 484 Naturgeschichte 56, 95, 143 Naturgesetz, Naturgesetze 21, 30, 41, 45, 47, 49–51, 53, 56, 68 f., 89, 95 f., 106, 110, 114, 146, 157, 163, 246, 256, 258, 296, 305, 316, 319, 330, 368, 375, 379, 391, 394 f., 406, 408, 411, 418, 438, 440 f., 444, 447, 450– 452, 469, 476 f., 480 f., 484, 501 f., 507 f., 554 -556, 558 – allgemeine 70, 73, 80, 93, 118, 137, 139, 147, 149, 156, 160, 233, 246, 276, 304, 437, 450–452, 457, 459, 468–470, 473, 477, 485, 487–489, 492–494, 499 f., 503, 506, 543 – besondere 79, 90 f., 93, 110, 117, 155, 256, 290, 435, 451 f., 462, 471, 477, 488, 492, 500, 502 f., 506 – empirische 75, 77, 90, 94, 110 f., 120, 162, 225, 246, 256, 262, 276, 280 f., 316 f., 435, 437, 447, 452, 470, 472, 474, 477 f., 481, 483 f., 487, 489, 499, 506, 508–510, 561 – freies 97 – mechanische 256 f., 260–262 – transzendentale 76, 80, 96, 118, 137 f., 163, 225, 296, 447 f., 459, 476 f., 488 – überhaupt 118, 128 Naturlehre 21, 44 f., 58, 124, 393, 495
Sachverzeichnis
Naturmechanismus 171, 256, 261 f., 387 Naturordnung 150, 234, 473, 476, 478, 487, 491 f., 494 f., 498–500, 502–504, 506, 550, 558 Naturprodukt 96, 101, 103, 149, 152 f., 158 f., 162–165, 203, 205 f., 223, 232, 237–243, 245, 255–261, 264, 286, 304 f., 307, 326, 336, 338, 349 f., 403, 453, 492, 536, 538, 543– 545, 550 Naturrecht 281 Naturschönes 307, 343, 510, 518, 539 Naturschönheit 227, 306 f., 326, 342, 348, 355, 518, 530, 539 f., 549 Natursubjektivität 113 Natursystem 105 f., 115–117, 124 f., 130 f., 135 f., 138–140, 142, 150–153, 156 f., 238, 290 Naturtalent 306 Naturteleologie 171, 432, 454, 545 Naturursache 44 f., 259, 302, 386–389, 557 Naturzweck 143, 160, 171 f., 203 f., 206, 222–236, 238, 240, 242–244, 255–258, 260, 264, 266, 279, 282– 287, 302, 315, 326, 329, 331, 334, 337 f., 349 f., 354, 358, 401, 456, 467, 534, 536, 538–540, 542–546, 549 f., 558 f., 564 – objektiver 95, 542 Naturzweckmäßigkeit 146–148, 150, 156, 158–161, 171 f., 196–198, 203, 222, 224 f., 227, 231, 233–235, 242– 245, 258, 263–265, 267, 270, 273, 275–284, 286 f., 291, 302, 310, 316, 318 f., 323 f., 330 f., 334, 343, 346– 349, 356, 358 f., 361, 398, 452–455, 457, 460–469, 471–474, 485 f., 489, 491, 499, 505, 508–510, 512, 529 f., 534 f., 537, 539–543, 549, 551 f., 558 f., 561 – formale / materiale 284
591
Nexus 221, 229, 387, 491, 555 – effectivus 228 – finalis 228 Nötigung 55 Norm 254 – idealische 254 Notwendigkeit 64 f., 74 f., 77, 92, 100 f., 109, 125, 139, 154, 161, 175, 187, 198, 203, 206, 209 f., 225, 239, 241, 243, 245, 249, 251–255, 260– 267, 273, 277, 280, 287, 290 f., 295– 298, 300 f., 304, 309, 315–317, 319, 324, 326, 331, 336, 346, 359–362, 368, 375, 379 f., 386, 389 f., 392, 402 f., 408–411, 413 f., 417 f., 442, 445–447, 450, 452, 457, 459, 464 f., 468–476, 478, 480 f., 484 f., 500–502, 504, 506, 508, 513, 519, 545, 556– 558 – ästhetische 187, 251, 253, 362 – praktische 61, 253, 300 f – theoretische, objektive 253, 409, 465, 522, 525, 556 Noumenon 382 f., 400 f. Nutzbarkeit 351, 358 Nützlichkeit 260, 322 f., 349, 351 Objekt 25, 35, 38 f., 41 f., 44, 46 f., 50, 52, 55–60, 71, 75 f., 79, 83 f., 87 f., 97, 100, 103, 105, 117, 135, 140 f., 145 f., 153 f., 165, 168–171, 176, 178–180, 182–184, 186, 188– 191, 193–195, 197, 204–207, 212, 215, 217–219, 223, 225–227, 232 f., 241 f., 251, 255–258, 261 f., 278, 285, 287, 292, 294, 297, 300, 303 f., 306 f., 311 f., 314, 320, 330, 334–337, 339 f., 342–344, 348–351, 356, 361, 364–373, 378–380, 383, 395, 400 f., 403 f., 410, 412 f., 415, 419, 421, 423, 426, 428 f., 431 f., 439–441, 443 f., 452 f., 457–459, 461, 464, 466 f., 471, 475, 477 f., 483, 498, 501 f., 505,
592
Sachverzeichnis
512–517, 519–521, 523 f., 526, 528– 531, 535 f., 546–548, 550, 552, 560, 563–566, 568 – überhaupt 24 f., 383 Ökonomieprinzip 114 Opposition 127, 129, 237 – analytische 409 – dialektische 375, 409, 417 – kontradiktorische 127 – konträre 129 – reale 375 Organisation 27, 32, 35, 135 f., 164, 205, 222, 227, 239 f., 260, 262, 285, 340, 350 – ursprüngliche 262 Organisationsprinzip 113, 222, 240, 261 f., 273 – Zweck 222 Organismen 95, 163, 204, 223, 238, 261, 331, 543, 547, 549 Organismus 17, 27 f., 238, 240, 259 f., 324 Orte 274, 324 – transzendentale 100 Paralogismus 178, 282, 295, 413 Pflanze 143 Pflicht 57, 64, 360, 554 Philosophie 5, 19 f., 24–27, 29–31, 33, 36, 40 f., 43, 49, 53 f., 66, 70, 134, 143, 198, 213 f., 220, 248, 270 f., 282, 363–375, 384 f., 389, 393, 397– 399, 420, 460, 467, 475, 479, 494 f., 530, 550 – Begriff der 14, 19 f., 23–28, 31 f., 35, 38, 48, 66, 365 f., 368 f., 371, 399, 429 – in Differenz zur Kritik 19, 32 – dogmatische 279–282, 365 – doktrinale 60, 80 – Einteilung 6, 8, 19, 32, 35, 37–39, 41 f., 45, 48, 66, 71, 83, 126, 268 f., 312 f., 315, 322, 327, 363–366, 370– 374, 376–378, 384, 386–389, 393,
397, 404 f., 415, 420–424, 427–429, 546 – empirische 22 – formale 21, 368 – als ein Ganzes 384, 397, 420 – Grenze 398–400 – materiale 21 – Moral-, 3, 21, 30, 38, 300, 303, 363, 367, 376, 378, 384 f., 559 – praktische 6, 8, 21, 32, 36 f., 41–44, 46–48, 51, 54, 56, 58, 61, 66, 207 f., 275, 278, 280, 282, 290, 300, 315, 327, 347, 360, 371–373, 376, 378, 385, 387, 389, 391–396, 406, 411, 418, 555 – reale 32, 41, 280, 368, 371, 375 – reine 22, 32, 35 f., 567 – Schulbegriff 28 f., 43, 82, 371 – als System 19 f., 22, 29 f., 35, 37 f., 40 f., 71, 86, 280, 312, 314, 363, 371, 421, 428, 549, 551 – theoretische 6, 8, 21, 37, 41–44, 47, 54 f., 58, 61, 66, 275, 278, 280, 282, 315, 327, 347, 372 f., 376, 378, 385, 387, 389–391, 393 f., 546, 548 f. – Transzendental-, 32, 35 f., 274 f., 326, 346, 362, 371 – und Kritik 20, 25, 549, 551 – und Logik 270 f. – und Mathematik 213, 270 – und Medizin 270 f. – und Psychologie 248 Philosophiegeschichte 1–3, 12, 22, 175, 194, 459 Philosophieren 12, 26, 130 Physik 21, 44, 46 f., 53, 237, 246, 368, 394 – experimentelle 47 f., 53, 392 – praktische 47, 53 f. plastisch 226 f., 353, 355 Polytomie 127–129, 136 Postulat 51, 90, 244, 252, 258, 297, 416, 478
Sachverzeichnis
– arithmetisches 311 Prädikat 31, 36, 67, 130, 181, 183–186, 194 f., 206, 243 f., 247, 251, 298, 320, 334, 407, 459, 460, 521, 523, 526 f., 548 f. – ontologisches 198 Präformation 27 praktisch 14, 19, 21, 24, 26, 34, 42–59, 61 f., 69, 85, 87 f., 93, 119, 122–125, 178, 181, 188, 191, 193 f., 202 f., 207 f., 211 f., 216 f., 231, 252 f., 266, 268, 278, 290, 292, 299–301, 303, 307–309, 311 f., 315, 346, 352, 354, 359 f., 363, 365, 367 f., 371 f., 374, 376–396, 399, 401–406, 408, 411, 413–419, 422, 429, 434, 439–441, 454, 461–463, 465, 500, 505, 528, 537, 549, 552–555, 557 f., 560, 562, 564 f., 568 – ästhetisch-, 215, 217 – moralisch-, 14, 42, 45, 55, 58, 67, 70, 84 f., 214, 278, 292, 301, 308 f., 315, 347, 363, 375, 386, 388 f., 392, 395 f., 411, 423, 522, 565 – technisch-, 14, 45, 51, 54, 58, 193, 252, 326, 363, 385 f., 388–394, 396, 406, 505 Praxis 51, 120 principia praeter necessitatem non sunt multiplicanda 114, 464 Prinzip 34–37, 41, 47–51, 54–56, 67, 69–71, 73, 75, 77–79, 81, 88, 92, 97, 100, 103, 107, 114, 117 f., 120, 128, 131 f., 133–136, 143, 151 f., 158, 160, 162–164, 166, 186, 191, 203–205, 217, 222, 232, 236, 239 f., 244, 253, 256, 258 f., 266, 270 f., 273 f., 276, 280, 283, 285, 287, 291, 297, 301, 303, 310, 317, 323 f., 335, 343, 352, 360, 368, 375, 377, 379, 385, 403, 407, 423–425, 433, 435–437, 443, 445–447, 452, 458, 460, 470, 472, 477, 481 f., 486, 490 f., 494, 496 f.,
– – –
– – –
– – – –
– –
– – – – – – – – – – –
593
506 f., 510, 528, 543–545, 548, 554, 556, 559 f., 567 f. der Affinität 101 der Angemessenheit 124, 138 f., 150, 511 a priori 71, 85 f., 94, 96 f., 100 f., 108, 140, 158, 171, 223, 225, 229, 245 f., 252, 255, 258, 261–264, 267, 275, 277 f., 281, 284, 286 f., 289 f., 295 f., 300, 302, 304 f., 308–310, 312, 314, 361, 369, 377 f., 427, 429, 433, 435, 438, 445, 455, 459, 461, 467, 471, 473, 475–477, 485–487, 489, 528, 542 f., 547, 550, 563, 566 autonomes 295 f. belebendes 352 der Beharrlichkeit des Charakters der Befruchtungsteile an Gewächsen 143 der Beurteilung der inneren Zweckmäßigkeit 95 der Beurteilung und Nachforschung der Natur 456 der Einheit des Mannigfaltigen 450 empirisches 42, 53, 57, 213, 246, 258, 265, 424, 430, 450, 458, 460, 465 formales 117 der formalen Zweckmäßigkeit 94 f., 225, 305, 307, 310, 314, 316, 455, 466 des Gefühls der Lust und Unlust 426 f. des Geschmacksurteils 253 f., 288 des Grundes 43, 465 heuristisches 115, 162, 243 der Heautonomie 489 der Homogenität 496 der Klassifikation 494 konstitutives 564 f. der Kontinuität 465, 496, 498 der Kunstschönheit 356 des kürzesten Weges 465
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Sachverzeichnis
– logisches 69, 98, 102 f., 495 f. – mechanisches 236–238, 240, 260 – metaphysisches 94, 455, 457 f., 460 f. – der (allgemeinen) Mitteilbarkeit 336 – negatives 378 f., 384 – praktisches 42, 54, 56, 58, 61 – der Rechtsprechung 281 – des Reflektierens der Urteilskraft 6, 98, 119 f., 128, 141, 188, 243, 262, 528 – der Reflexion 101 f., 110 – regulatives 164, 310, 326, 356, 462 – der Sittlichkeit 390 – der Sparsamkeit 432, 464 – der Spezifikation 134, 161, 276 f., 280–282, 326, 489, 493, 496 f., 509 – der Stetigkeit aller Veränderungen 246 f. – Such-, 94, 125, 424, 476, 479–481, 484 – der Teleologie 143, 159, 244, 283 f., 312, 544 – transzendentales (der Urteilskraft) 89–91, 93 f., 96, 101, 103, 105 f., 109 f., 118 f., 128, 130, 134 f., 139, 209, 450, 455–469, 471–474, 485 f., 491 f., 494–498, 502, 505, 542 – übersinnliches 159, 385, 395 f., 408, 560 – unbestimmtes 263 – einer ursprünglichen Organisation 262, 273 – der Urteilskraft 94–96, 100, 102, 105, 145 f., 149, 157, 162, 187 f., 245, 263, 274–278, 280 f., 283–287, 290, 294 f., 310, 312, 314, 328–331, 334, 337, 349, 354, 356, 399, 403, 422, 424–428, 433 f., 445, 451–453, 455, 457, 463, 467, 471 f., 475–477, 479, 484–486, 489, 491 f., 505, 539, 544–549, 558, 568 f. – der Vorstellung der Natur 104
– des Widerspruchs 129 – der Zweckmäßigkeit 46, 56, 66, 69, 76–78, 103, 115 f., 125, 140–142, 144, 149 f., 153–158, 160–162, 171, 190, 233 f., 236, 238 f., 241, 245, 255, 258, 263, 267, 270, 277 f., 283–287, 291, 297–301, 307, 309– 311, 319, 327, 334, 346–348, 350, 355, 357 f., 361, 422, 452, 455–457, 460 f., 465–469, 471–474, 476, 478, 482–485, 488–491, 505, 509 f., 521, 524, 528–530, 539, 541, 543, 545, 547 f., 550, 559, 561, 564 s. auch Erzeugungsprinzip, Ökonomieprinzip Prinzipien 87, 172, 175, 186 f., 247, 265, 271, 274, 280, 288, 293–296, 299, 302–305, 308–311, 314 f., 326, 349, 356, 359, 361, 364–366, 368 f., 372 f., 376–379, 384 f., 389–391, 398 f., 406 f., 410, 418, 422 -424, 457, 495– 497, 500, 503 f., 510–512, 523, 536 f., 539, 548 f., 560, 562, 566, 568 f. – auswärtige (principia peregrina) einer Wissenschaft 545 – einheimische (principia domestica) einer Wissenschaft 545 – der Form des Denkens überhaupt 368 f. – der Logik 104 f., 369 – moralisch-praktische 363, 388 f. – praktische 389 – psychologische 246, 288 – regulative 478–480 – technisch-praktische 388 f., 505 – der Vernunfterkenntnis der Dinge durch Begriffe 371 Privatgefühl 183 Privaturteil 250, 318 Propädeutik 32, 35, 40, 86, 121, 124, 275, 370, 550 Psychologie 21, 53, 83, 122 f., 245 f., 295, 308, 465, 562
Sachverzeichnis
– empirische 44–47, 53 f., 218, 246 f., 249 f., 252, 288, 346, 431, 465, 563 – praktische 47, 54 – rationale 246 Quadrat 51 f. Qualität 29, 31, 58, 84, 114, 195, 199– 201, 215, 303, 309, 323, 341, 344, 375 f., 453, 457, 479, 497, 513 f., 559 Quantität 29, 199 f., 251, 341, 375 Rasse 56, 94, 136, 239 Rassentheorie 539 Raum 92, 175, 191, 246 f., 297, 320, 360, 375, 395, 447, 459 f., 513 f., 517, 535, 564 Realität 53, 92, 227, 380, 382 f., 410, 413, 432, 513, 556 – praktische 383, 414 f Rechtmäßigkeit 360, 372, 421 f., 425, 476 Rechtsgesetz 55 Rechtslehrer 133 Reflektieren (Überlegen) 98, 168, 437 reflektierend 34, 56, 81, 98, 100, 106, 115, 120, 154, 160, 178, 189, 205, 223, 245, 250, 283, 288, 291, 326, 330, 334, 359, 434, 436, 445, 451 f., 455, 489, 493, 505, 509, 530, 535, 537, 540, 567 Reflexion 100, 102, 189, 333, 509, 526 – bloße 167 f – transzendentale 436 Reflexionsurteil 169, 245, 255 ästhetisches 161, 174, 181, 184, 186, 224, 245, 251, 253, 322, 332, 348 teleologisches 161, 169 Regel 15, 25, 34, 38, 40, 67–69, 80, 94, 101, 107, 110, 125, 167–170, 175– 177, 188–190, 195, 209, 233, 254, 276, 296, 306, 326, 328, 334, 364, 387, 389, 394 f., 404, 407, 428 f., 435–437, 439, 442 f., 447, 464,
595
469 f., 472, 476 f., 479–483, 490, 518, 539, 542 f., 547, 560 – Allgemeinheit 209, 254, 327, 436 – allgemeine logische 68, 102, 105, 120, 122–124, 128, 199, 495, 497, 545 – arithmetische 479 – besondere logische 124 f., 545 – des Denkens 21, 38–40, 68, 103, 120–123, 369 – empirische 457, 476–478, 492 – Erfahrungs-, 249 – Gattungs-, 496 – der Geschicklichkeit 58 f., 62, 64, 326, 392–395, 406 – der formalen Logik 39 f., – der Klugheit 63 f., 389 – der Kontinuität (Stetigkeit) 470, 482 – der Kritik 325 f. – der Kunst 394 – Lebens-, 54, 345 – einer mathematischen Synthesis 478 – metaphysische 465 – der Natur, besondere 473, 476 – der Naturforschung 492, 497 – der reflektierenden Urteilskraft 72, 189, 434, 543–545, 550 – Schul-, 495 f. – der Spezifikation 492, 496 – System 39, 120, 456 – technisch-praktische 54, 58, 190, 363, 389–392, 394, 406 – theoretische und praktische 43, 46, 51, 54, 391, 396, 406, 439, 463, 554 – der Vernunft 409, 439, 496 – im Vernunftschluss 407 – des Verstandes 68 f., 75, 170, 407, 478, 498 – der Zeitbestimmung 477, 483 f. – der Zweckmäßigkeit 142, 298, 355, 527, 543 Regelmäßigkeit 203
596
Sachverzeichnis
Reiz und Rührung 250, 504, 531 Religion 57, 300, 302 Restproblem der Verstandeskritik 109, 490 Satz, Sätze 43, 55, 70, 103, 194, 364, 378, 380, 389, 423 – moralisch-praktischer 14 – praktischer 19, 42–45, 47–51, 53– 56, 58 f., 193 f., 380, 389, 406 – synthetischer a priori 381 – technischer (technisch-praktischer) 14, 45, 58, 193, 389, 407 – theoretischer (spekulativer) 19, 42, 44–46, 48–50, 55, 58 f., 193 – transzendentaler 25 – des Widerspruchs 43, 127, 567 Satzgrafik 10, 13, 16 f., 115 f., 141, 167 f., 210, 212, 228, 272, 278 f., 313, 317, 325, 328 f., 332 f., 353, 368, 378, 392 f., 445, 451, 462, 485, 507, 542, 546, 553 f. Schein 40, 178, 410 – dialektischer 281, 397, 408–410 – transzendentaler 409 Schema, Schemata, Schematen 108 f., 179, 334, 438, 440–443, 447, 497 – transzendentales 107, 435 f., 443 schematisch 98, 106, 115–117, 329 f., 540 Schematismus 93, 101, 109, 117, 179, 192, 265, 434 f., 438 f., 441 f., 444, 448, 469, 524 – des reinen Verstandes 107, 179 f., 442 – der Urteilskraft 179, 537 Schönes 2, 6, 28 f., 83, 175, 183, 186, 215, 249 f., 273, 289, 298, 306 f., 315, 322, 341–343, 349, 351, 355, 357, 359, 362, 500, 510, 518, 521, 529– 532, 539, 560, 568 Schönheit 201, 208, 227, 247, 249, 305–307, 322, 326, 337 f., 340, 342,
347 f., 352 f., 355–357, 518, 521, 527, 530, 539 f., 549 – intellektuelle 327 Schulbegriff – der Philosophie 28 f., 371 Sechseck 203 f. – regelmäßiges 203 f. Seele 43, 46, 57, 82, 246, 271, 289, 294, 371, 376, 444, 562 f. Seelenvermögen (überhaupt) 28, 82 f., 425 f., 551 f., 562–568 Sehen (als Funktion des Auges) 259 f. Sein (und Sollen) 41, 255, 258, 260 Selbstbestimmung 42, 88 Selbsterkenntnis 22, 113, 371, 375, 411 Selbstspezifikation 98, 538 Selbstzweck 61, 84, 189, 216, 222, 231, 298, 302 f., 339, 350 f. Sinn 176, 186, 208 – innerer (äußerer) 82, 186, 191 f., 212, 247, 289, 443 f., 483, 513 – inwendiger 192 Sinne 75, 115, 183 f., 196, 344, 403, 440, 445, 448, 552, 563 Sinnenurteil 174, 181, 183–187, 191 f., 207, 209, 215, 225, 332 f., 466 f., 526 Sinnenwelt 56, 70, 151, 292, 388, 408, 412, 414, 416 f., 419, 440 f., 555, 557 Sinnesempfindung 213, 217, 250, 306, 354 f. Sinnlichkeit 29, 67, 87, 90, 100, 151, 172, 174 f., 177 f., 180, 193, 195 f., 215–217, 291 f., 299, 342, 382, 401, 410, 439 f., 442–444, 531, 553 f. Sitten 30, 32, 34 f., 41, 62, 268, 289, 304 f., 307–309, 311, 421, 454 Sittengesetz 30, 41, 308, 381, 391, 440 Sittenlehre 21, 44, 386, 389 Sittenlehrer 247 f. Sittlichkeit 57, 62 f., 292, 300, 352, 381, 390 Sollen 41, 58, 193, 237, 245, 252–255, 257–264, 311, 395, 411, 416, 465, 523
Sachverzeichnis
Sparsamkeit 64, 111, 113 f., 432, 464 Spezifikation (Specification) 98, 148, 436, 455, 488 f., 493, 497, 538 – allgemeiner (transzendentaler) Gesetze zu empirischen 276, 436 – der Natur 489, 493 Sphäre (des Begriffs) 104, 126–129, 132 f., 163, 201, 418 Spiel 185, 215, 221, 232, 305, 315, 341, 345, 347, 364, 466, 518 – freies, der Erkenntniskräfte 179, 185, 266, 298, 310, 314, 335 – freies 187, 253, 518, 524, 529, 564 Spontaneität 411, 501, 564 – absolute 378 Sprung – Natur macht keinen -, 95, 137, 464, 497 Staatswirtschaft 43, 392 f Stimmung 254, 344, 352, 531 – mathematische 343 Streben 138, 220, 335 f., 344 f., 352, 422, 531 f Struktur 22, 27, 95, 113, 120, 140, 143, 259 Stufenordnung 111, 141 Subjekt 29, 31, 44, 46, 80, 84, 88, 108, 113, 122, 134 f., 139, 145, 163, 170, 175 f., 178–184, 204, 217, 223, 244, 251, 259, 282, 292, 296, 298, 302 f., 310, 325, 337, 339 f., 346, 348 f., 352, 361, 364–366, 377, 387, 391, 395, 398 f., 401, 408 f., 411–414, 449 f., 452 f., 456, 459, 461, 463, 466, 487, 501, 508 f., 512 f., 517, 519–521, 524, 526 f., 529 f., 532, 538, 549, 552- 554, 556, 558–561 – als Erscheinung 191 Subjektivität 88, 93, 113, 273, 486, 493, 513, 516 Subjektnatur 134 Subordination 102, 107, 112, 116, 198, 200, 488
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Subreption 178, 281 f. Substrat 131, 133–135, 414, 459, 475, 560 – übersinnliches 291, 313, 315–319, 344, 551, 557, 559–562 Subsumieren 67, 69, 71–74, 93, 95, 164, 185, 371, 434, 436, 439, 441– 444, 508 f. Subsumtion 68, 72, 74, 80, 107, 116, 132, 172, 179, 187 f., 209, 254, 286, 321, 334, 407, 427 f., 435–441, 443 f., 448, 469, 488, 525, 536 f. Suchen 78, 106, 109, 132, 141, 168, 291, 315, 343, 403, 424, 429, 436, 438, 450, 473, 476, 479 f., 496 f. Suchprinzip 94, 125, 258, 424, 476, 479–481 Symbol 540 Synthesis (Verbindung) 36, 44, 52, 68, 75 f., 90, 99, 107–109, 163, 170, 189, 213, 326, 438, 478, 483, 517 – der Apprehension 90, 108, 110, 438, 447, 478, 482 f. – empirische 25, 90, 107–109, 438, 447 System 10, 19, 22, 26 f., 29, 38 f., 74, 78, 80, 85, 89 f., 96, 111, 130 f., 133, 135, 142, 144, 148 f., 151, 153, 157, 163, 171, 205, 222, 224, 241, 269, 271–275, 279 f., 282, 292 f., 302, 314, 323 f., 357 f., 362, 367, 378, 385, 420, 449, 492, 496, 552, 568 – der Abstammung 135 – doktrinales 80, 313–315 – der drei Kritiken 33 f., 36, 264, 427, 569 – nach empirischen Gesetzen 89 – der Epigenesis 261 – empirischer Erkenntnis 89 f., 148– 150 – der Erfahrung 115, 117, 224, 233 f., 257, 290, 451 f., 470, 473, 510 – der Erfahrung, empirisches 276, 281
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– der Erkenntnis 125, 157, 272 f., 367 – der Grundsätze (KrV) 25, 378, 459, 477 – der Kategorien 437 – der Kritik im Unterschied zum System der Philosophie 35, 286, 314 f., 322, 475, 529, 549, 551 – der Kritik der reinen Vernunft 6, 34 f., 60, 70, 81, 83, 86, 268 f., 287, 290, 321 f., 347, 363, 428, 568 – der Kritik der Urteilskraft 358, 541 – logisches 119 f., 130 f., 134, 136, 139, 145, 147, 258, 494 – der Metaphysik 6, 27, 35, 38, 270, 314, 327 f., 367 f., 568 – der Natur (Natursystem) 30, 98, 105 f., 115 f., 119, 125, 131, 135 f., 139 f., 142–144, 148, 150–153, 156 f., 171, 238, 449, 452, 473, 491, 495, 510 – der Natur, nach empirischen Gesetzen 66, 73, 79 f., 92, 106, 116, 130, 137 f., 140 f., 157, 470, 491, 511 – der oberen Erkenntnisvermögen 34, 66, 71, 83, 276, 278, 290, 312, 566 – der Philosophie, reales 19, 26, 30, 38, 41, 71, 86, 280, 312, 363, 371, 428 – aller Prinzipien der reinen Vernunft 274 – von Regeln 38 f – der reinen Erkenntnisvermögen 268, 273, 275 f., 280, 285 f., 290, 293 – der reinen Philosophie 32, 37 – transzendentales, nach Begriffen a priori (nach transzendentalen Gesetzen) 89, 106 – der Urteilsformen 107 – für die Urteilskraft 104 f. – aller Vermögen (Kräfte) des menschlichen Gemüts 82, 87 f., 268 f., 274, 287, 290, 312–314
– der reinen Vernunft 35 – der Vernunfterkenntnis durch Begriffe (aus Begriffen) 20, 24, 29, 31–33, 36, 42, 86, 421 – der Wissenschaft 35, 270 f., 275 – der Zwecke 302, 315, 518 Talent – natürliches 306, 355 Tautologie 102 technica speciosa 207, 226 Technik 58–60, 124, 162, 166, 208, 354 – ästhetische 336 – formale 173, 221 – der Gelehrsamkeit überhaupt 123, 125 – als Kunst 59, 207 f., 232, 538 – der Natur 66, 78–81, 86, 98, 115, 117 f., 130, 134, 159, 161–163, 165 f., 172 f., 203, 207 f., 221 f., 224, 226 f., 233, 245, 252, 258, 278, 305, 307, 310, 322 f., 326, 329 f., 335, 342, 348, 353–357, 494, 538 – organische 227 – plastische 226 f. – reale 172 f., 221 f., 227 – teleologische 336 – der Urteilskraft 79, 161, 166 technisch (künstlich) 45, 58–65, 80, 116, 119, 123 f., 141, 153–155, 158, 164, 166, 190, 231–233, 238, 245, 253, 329–331, 335 f., 353, 355, 389, 439, 555 – vs. architektonisch 59 – Betrachtungsweise der Natur 76, 353, 355 – „kunstmäßig“, 62, 124, 139 – Verfahren der reflektierenden Urteilskraft 98, 106, 115–117, 158, 162, 166, 245, 330 – Zweckmäßigkeit 278–282 Teil – als Glied 27, 128, 131 f., 138, 151 f.,
Sachverzeichnis
164, 200, 205, 222, 241, 273 f., 278, 304, 321, 325, 363, 371, 424, 426, 428, 443, 450, 471, 479 f., 488 – und Ganzes 22, 27 f., 31, 151, 200, 205 f., 222, 224, 238, 240 f., 272– 274, 323–329, 357 f., 365–367, 370 f., 373 f., 384 f., 420 teleologia rationis humanae 29, 367 Teleologie 6 f., 10, 56, 79 f., 143, 171, 205, 228, 230, 236 f., 241, 322, 336, 338, 350, 357, 367, 432, 454, 456, 465, 535, 545, 569 Theorie 6, 27, 45–48, 50 f., 54, 58, 79, 81, 83, 95, 136, 143 f., 169, 171, 174, 179, 181, 192, 194, 196, 201, 205, 224, 239, 249 f., 261 f., 278, 288 f., 338, 340–343, 350, 352, 354, 356, 394, 396, 440, 466, 492, 495, 498, 514, 516, 520, 524, 531, 539, 548, 563 Tier, Tiere 100, 128, 142 f., 164, 204, 387, 494 f. Tiergattung 128, 135 f. Totalität 198–201, 531 – absolute 344, 410, 531 transzendent 70, 230, 235 f., 242 f., 265 f., 299, 409 Transzendentalphilosophie 32, 36, 274 f., 326, 346, 362, 371 Trichotomie 71, 129, 428, 567 Trieb 250, 261 f., 335, 416 – der Einbildungskraft 336 s. auch Bildungstrieb Triebfeder 216, 386, 388, 390 – moralische 386, 390 – moralisches Gesetz 217 – sinnliche 217, 390 Tugend 56 Typik 69 f., 93, 375, 419, 444 Typus 440 f., 444 Übergang 35, 210 f., 268 f., 271, 290, 312–315, 347, 418 f., 426 f., 476, 484, 488, 494, 496 f., 507, 558
599
– von der allgemeinen zur besonderen Analogie 488 – vom Gebiet des Naturbegriffs zu dem des Freiheitsbegriffs 8, 418– 420, 426 f., 433, 551, 559 Übergangsproblem 290, 312, 397, 415 f., 559 Überlegen, Überlegung 104 – transzendentale 100 Überschwengliches 230, 235, 242, 265–267, 299 Übersinnliches 158 f., 266 f., 291–293, 313, 315–319, 344, 348, 352, 382 f., 396 f., 402, 408, 411–415, 418 f., 422, 441, 551–555, 557–562 Unabsichtlichkeit 306, 356 Unangemessenheit 342, 344 f., 348, 530 Unendliches 344, 347, 530 Unform – der Gegenstände der Natur 352, 529–531 Unmittelbarkeit 189 f. Unsterblichkeit – der Seele 57, 217, 371 Urbild 26 f., 135 Urheber 189, 225, 230, 232 f., 302, 306, 308, 452 Urmutter 135 f Ursache 44–46, 57, 84, 150 f., 202, 204, 212, 218, 222 f., 226, 229, 231–233, 239–241, 248, 259, 383, 409 f., 431 f., 448, 459 f., 469, 481, 491, 528, 556, 565 – absichtlich wirkende 242 f. – als innere Anlage 239 – äußere 459 f. – Bewegungs-, 390 – bildende 151, 261 f. – finale (End-) 166, 227–229, 231, 237, 302, 463 f., 559 – freie (spontane) 308, 378, 380, 412, 555
600
Sachverzeichnis
– als Grund 554–556 – intelligible 480 – Natur-, 44 f., 259, 302, 386–389, 393 f., 411, 417, 459, 557 – reale 228 – des Willens 49 f., 354, 387, 389 – als Willkür 46 f., 417, 431 – wirkende (mechanische) 163, 171, 200, 226, 228, 239 f., 259, 262, 302, 387, 393, 413, 459, 481, 483 f., 556, 560 – und Wirkung von sich selbst 84, 204 f., 222, 226, 349 f. – als Zweck 46, 166, 222, 227, 259 f., 307 f., 386, 482 Ursprung 27, 39, 60, 81, 85, 104, 119, 133, 136, 145 f., 188 f., 195, 217, 249, 251, 302, 305, 337, 346, 370, 386, 395, 398, 423, 454, 458, 465, 558, 561 – empirischer (psychologischer) 251, 465 – logischer 104, 133 – mechanischer 142 Ursprünglichkeit 41, 262 Urteil 24, 31, 42 f., 59, 166, 173, 178, 181, 189, 191 f., 195, 217, 226, 236, 251–255, 263–265, 320, 331 f., 335, 349, 360, 406 f., 455, 461 f., 465 f., 468, 519 f., 524–527, 529, 532 – apodiktisches 62 – assertorisches 42 f. – ästhetisches 85, 99 f., 165 f., 168– 172, 174, 177–188, 190–194, 196 f., 206–210, 212, 215, 224–226, 245, 247, 251, 253–256, 262 f., 265 f., 268, 277 f., 281 f., 287 f., 298, 309 f., 312, 315–322, 332, 334, 338, 340 f., 345–349, 351 f., 356 f., 359–362, 456, 466 f., 514 f., 519, 526 f (logisch-bedingtes) 529 f., 532, 564, 568 – ästhetisch-pathologisches 215, 217 – ästhetisch-praktisches 215, 217
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bestimmendes 181, 265 Definition 192 einzelnes 181, 341, 521, 524 empirisches 75, 181, 224, 253, 332 f., 483, 521–524 Erfahrungs-, 107, 181, 243, 334, 504, 523 f., 528 Erhabenheits-, 310, 338, 340, 343– 349, 357, 359, 361, 530, 532 f. Erkenntnis-, 67, 172, 178, 181, 184, 191 f., 224, 227, 251, 255, 295–297, 309 f., 312, 319 f., 361, 371, 466, 475, 504, 513, 523, 527 Geschmacks-, 6, 67, 169, 184, 247, 252–254, 263, 266 f., 284–286, 298, 305–307, 310, 316–319, 332, 336, 338, 343, 346, 349, 351, 355, 360– 362, 466, 500, 512, 518–530, 532, 550, 561 Grund 468 hypothetisches 206 logisches 177 f., 181, 191, 193, 251, 254, 315, 320, 350, 466, 519, 527 Materie 192 Modalität 62 moralisches 212, 311 f., 390 objektives 436 praktisches 59, 67, 181, 193 f., 217, 268, 309, 311 f., 315, 360, 528 Prinzip 457, 461, 465, 468 f., 475 Privat-, 250, 318 problematisches 62 reflektierendes (Reflexions-) 59, 100, 180–182, 241, 245, 255 f., 263– 265, 278, 283, 286, 310, 341, 350, 356, 466–468, 475, 524 f. synthetisches (a priori) 25, 31, 68, 75–77, 80, 107, 172, 178, 181, 297, 309 f., 320, 360, 362, 374, 377, 380, 448, 528, 537 technisches 60 teleologisches, absolut teleologisches 79, 99 f., 161, 165 f., 169–172,
Sachverzeichnis
182, 204, 206, 221, 224, 226–228, 235, 241–245, 255–258, 261–267, 278, 282–287, 312, 323, 334, 350– 352, 356, 358, 466–468, 527, 536, 539 – theoretisches 192, 268, 309 f., 312, 315, 356, 360 – transzendentales 120 – transzendentes 409 – der Vernunft 217 – des Verstandes 466 – verworrenes 195 – Wahrnehmungs-, 181, 334, 504 s. auch Sinnenurteil urteilen 67, 177 f., 180 f., 211, 225 f., 342, 448, 465–468, 487, 491, 497, 519 f., 525, 548 f., 561 Urteilsformen 107, 181, 191–193 Urteilskraft 7, 34, 59, 66–68, 70–74, 77 f., 80, 82, 87 f., 93 f., 96, 98, 105– 107, 110, 116, 134, 145 f., 149 f., 156, 160 f., 166, 168, 171, 178–180, 182, 184, 186–188, 204, 221, 223, 225 f., 229–235, 243, 245 f., 249, 256, 265, 268 f., 273–278, 283–286, 290, 293– 295, 297, 299, 304, 312, 316, 318, 320, 324 f., 328 f., 331 f., 334, 336, 342, 344, 355, 399, 402, 407, 415, 420–426, 428 f., 434–436, 438, 440, 443, 451 f., 456, 464, 466–475, 481, 486–494, 496, 498 f., 503, 509, 511, 515, 518, 520 f., 536 f., 542 f., 547, 549–552, 557–568 – ästhetische 185 f., 189, 208, 249 f., 266, 269, 276, 278, 283, 285–287, 291, 298, 305, 310, 312, 315, 318, 321 f., 332, 334 f., 337, 339, 346, 349, 351, 354, 468, 510, 516, 534, 540 f., 543 f., 546–550, 569 – Begriff der 78, 115, 145, 152, 434 – bestimmende 34, 93, 101, 108, 154, 158, 165, 167, 169, 172, 190, 209, 235 f., 241, 243, 328–330, 334, 337,
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601
354, 356, 424, 436–439, 445, 448, 451, 468, 480, 488, 523, 525, 535, 537, 546 eigentümliches (transzendentales) Prinzip 89–91, 93–97, 101–103, 105, 109 f., 117, 119, 130, 135, 139 f., 145 f., 149, 156 f., 160, 162, 190 empirische 435 Funktion(en) 74, 93, 96, 98 f., 107 f., 113, 116, 132, 134 f., 138, 155, 157– 160, 164, 167 f., 170 f., 177, 180– 183, 426, 428, 435 f., 438–440, 452, 481, 490, 494, 504, 536, 559 Gesetzgebung 96 f., 117, 139, 429, 439, 486, 564 heuristisches Prinzip (Suchprinzip) 243, 258 Introduktion 268 f., 273–277, logische 124, 128, 135, 162, 320 Maxime(n) 114 f., 462–465, 471, 491, 497, 546 Natur der 71 f. Naturgesetz der 96 f. Prinzip 245, 277 f., 280 f., 283–286, 290, 297, 356, 425, 427 f., 433 f., 445, 451, 453, 455, 457, 461, 463, 467 f., 471 f., 477, 485 f., 489, 491 f., 505, 539, 543–545, 568 praktische 69, 441 reflektierende 6, 16, 34, 69, 76 f., 81, 93, 98–101, 104, 106, 109 f., 113, 115–120, 128, 133, 135–139, 141, 144–146, 153–155, 157, 160, 165– 168, 172 f., 187–190, 204 f., 209, 212, 222, 225, 229–231, 233–235, 237, 243–245, 260, 262, 264, 266, 269, 274–277, 281–283, 287, 290 f., 307, 314 f., 325 f., 328, 330 f., 334 f., 337, 339 f., 349, 354 f., 357 f., 360, 370, 375, 398 f., 403, 424, 436–439, 441 f., 444 f., 450–453, 455, 457 f., 466, 469, 471, 474–476, 484 f., 490– 494, 497 f., 500, 505, 509, 511, 517–
602
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Sachverzeichnis
520, 522 f., 525, 527–530, 532, 535– 537, 540 f., 543, 545–548, 550, 561, 564, 569 Rezeptivität 511 subsumierende (Subsumtion) 438– 441 technische 60, 79, 106, 115, 117, 139, 166 teleologische 7, 56, 99, 118, 164, 173, 208, 221, 236 f., 244, 263, 267, 269, 276, 282–284, 286 f., 312, 351, 358, 370, 403, 456, 463 f., 479, 490– 492, 505, 518, 534, 538–541, 543– 550, 556, 561, 569 transzendentale 435 f.
Verbindlichkeit 44, 56, 65, 268, 299– 304, 308, 311, 314, 379, 390 f. – Materie und Form 301 Verbindung 31, 34, 37, 84–86, 90, 116, 138, 143, 162, 188 f., 199, 203–206, 208, 228, 236, 250, 257, 279, 285, 288, 291 f., 335, 366, 373, 383, 387, 402 f., 411, 416 f., 420 f., 424, 446– 449, 461, 464, 468, 470, 477, 482, 494, 499, 503, 514, 520, 547 f., 551, 553, 556 Vereinigung 35, 56, 138, 159, 162, 164, 291, 314, 359, 411, 413, 493, 508, 549, 556, 560, 567 f. Vergleich, vergleichen 99–101, 103 f., 106, 110–113, 116, 118, 132 f., 140, 171, 176, 182, 187 f., 212, 215, 222, 249, 256–258, 264, 282, 284, 286, 298, 344, 427 f., 430, 436, 441, 466, 475, 482, 492, 494 f., 518–520, 523, 535, 543 Vergleichung 21, 102, 111–113, 141, 186, 189, 248, 323, 325, 343 f., 446 – empirischer Vorstellungen 99, 111 f. – logische 76, 100, 102 f., 141 f. – von Wahrnehmungen 76, 110 f., 141, 446
Vermögen 7, 28, 30, 34 f., 44 f., 67–72, 82–91, 96, 98–100, 108, 116, 138 f., 145, 150 f., 160 f., 167–170, 173, 177–196, 208, 220 f., 229, 232 f., 242, 249, 261–263, 273 f., 278, 280, 283–296, 298–315, 319, 324–329, 331–335, 337–339, 341, 343–346, 348, 351–354, 357, 361, 380, 382, 386 f., 390 f., 395, 398–403, 405, 407 f., 410, 412, 414 f., 420–437, 439, 449–456, 458, 460 f., 465 f., 470 f., 474–476, 482, 485–490, 493, 496, 499–502, 505, 507–511, 515, 517–521, 524–526, 528–532, 534 f., 539, 541, 543 f., 546–552, 559–568 s. auch Begehrungsvermögen, Denkvermögen, Erkenntnisvermögen, Gemütsvermögen, Urteilskraft, Vernünftelei 167, 230 vernünftelnd 228–230 Vernunft 21, 27–30, 34, 62, 67, 69–72, 87 f., 93, 95 f., 99 f., 121, 151, 153 f., 162, 171, 175, 188 f., 191, 195, 204, 208, 217, 222, 225–229, 231–233, 235–238, 240, 243, 255 f., 266, 268, 275 f., 279 f., 282–285, 287, 290 f., 293–295, 297, 299–301, 303 f., 308, 312, 314, 316, 324, 327 f., 344 f., 347, 352–354, 361, 365, 367, 370–372, 382–385, 388, 390, 399, 402, 407, 409–411, 413 f., 416 f., 421 f., 434, 440, 442, 449, 458, 462 f., 496 f., 529, 543, 545, 550, 555, 560–563, 565 f., 568 – Bedürfnis 30, 80, 118, 139, 157, 224, 284, 368 – Faktum 213, 381 f., 386, 429 f. – menschliche 28–31, 41, 62, 347, 367 – (reine) praktische 57, 62, 69, 85, 87, 178, 211, 215–217, 231, 278, 290, 292, 299–301, 307 f., 311 f., 346, 352, 359 f., 365, 372, 374, 381 f., 390, 399, 404 f., 408, 416–419,
Sachverzeichnis
422, 439, 441, 554, 558, 560, 564 f., 568 – spekulative 35, 215, 290, 417, 462 – und Verstand 293, 341, 370 f., 382, 405, 407–409, 412, 423–429, 441, 467, 496, 540, 549 f. – Wissenschaft 371 Vernunftbegriff 24, 73, 228, 231, 258, 266 f., 273, 282 f., 299, 316, 318, 338 f., 341, 348 f., 353, 365, 367, 369, 398, 414 f., 529, 535, 542, 545, 564 – szientifischer 27 Vernunfterkenntnis 20–22, 24–26, 29– 33, 35 f., 39 f., 42, 58, 60, 86 f., 238, 273, 298, 366, 368, 371–373, 377, 406 f., 419, 421, 428, 552 – formale 21 – materiale 21, 371 Vernunftgebrauch 40, 414, 427, 436, 495, 543 – diskursiver 25 – intuitiver 25 – praktischer, theoretischer 415 f. – regulativer 22, 326, 415 – transzendentaler 40 Vernunftgesetz 39, 41, 56, 63, 85, 188, 278, 290, 292, 300, 311, 344 f., 402, 408, 415, 423 f., 429, 497, 551 f., 554, 556 – praktisches 55, 188, 292, 378–381, 385, 406, 416, 423, 426, 429, 440 f., 463 Vernunftidee 22, 27, 163, 240 f., 257, 287, 291, 316, 342, 344 f., 347, 352, 371, 375, 414 f., 437, 440, 530–532 – eines Ganzen 240 f., 347, 420 Vernunftschluß 69 f., 258, 265, 267, 281, 406 f., 410, 423 f. Verschiedenheit 28 f., 41, 74, 100, 105, 111, 121, 126, 131, 136 f., 141, 195, 273, 289, 370, 373, 377, 384, 408, 423, 446, 469, 473 f., 476, 496, 498
603
Verstand 21, 25, 29, 34, 39, 44, 49–51, 67–70, 75–77, 80, 83, 87, 90–93, 96, 100 f., 105–107, 109 f., 115 f., 118, 120–123, 125, 138 f., 141, 153–155, 157, 167–172, 177–180, 182, 184– 186, 188, 191, 193, 195 f., 221, 224, 228, 230, 246, 254, 260, 262, 266, 268, 276, 287, 294 f., 297–300, 305, 310, 312, 320 f., 324, 327, 329, 335 f., 370, 378 f., 381–383, 395, 400, 402 f., 406 f., 411, 421–423, 437–440, 442– 445, 447–450, 457 f., 462, 466 f., 471, 473 f., 476, 479, 482–488, 490– 492, 494, 496–498, 500–503, 508 f., 511 f., 514, 517–522, 524 f., 528 f., 536, 541–543, 545, 549–552, 555, 561–564, 566–568 – außermenschlicher (anschauender) 196, 451–453, 470 – Geschäft 67, 90, 104, 112, 117, 122, 162, 167 f., 177, 182, 293, 296, 370 f., 399, 407, 423, 492, 496, 500 f., 503–506, 508 f., 513, 517, 521, 535, 541 – handelt ohne Absicht 501 – in weiterer Bedeutung 177 – menschlicher 22, 50, 203, 225, 437, 446 f., 452, 471, 474, 476, 485, 487, 490 f., 507–509 – schreibt der Natur die Gesetze vor 89, 96, 107, 171, 225, 296, 304 f., 310, 395, 486, 488 – übernatürlich, produktiv 302, 452 – und Vernunft 67, 71, 87 f., 226, 275, 290, 293, 314, 370 f., 382, 399, 405, 408, 412, 423 f., 426 f., 441, 467, 540, 549 f. Verstandesbegriff(e) 22, 24, 53, 68, 73 f., 101, 108 f., 163, 165, 169–172, 180 f., 209, 222, 235, 256, 265, 282, 284, 290 f., 315, 320, 331, 336, 339, 341, 385, 398, 403, 406, 409, 414 f., 437, 443, 447–449, 458 f., 469 f.,
604
Sachverzeichnis
501, 524 f., 535 f., 540, 548, 550, 560 f., 564, 568 – reine (Kategorien) 25, 69, 83, 107, 109, 117, 226 f., 241, 255, 297, 310, 317, 360, 371, 374 f., 377 f., 382 f., 391, 398 f., 418, 423, 426, 435, 440, 442 f., 446 f., 453, 456, 458 f., 468, 477, 481, 502, 529, 537, 561 Verstandesgesetze 276, 295 f., 304 f., 315, 329 f., 405–411, 414, 417, 420, 423 f., 426, 429, 438 f., 441, 445 f., 448–452, 469, 472, 474, 478, 484, 488, 490, 496, 501 f., 504, 514, 536, 538, 543 f., 551 f., 558, 561, 563 Verstandesschluß 406 Verstandeswelt 375, 381 f. verstehen 5, 9, 14, 17, 189 Verwandtschaft 91, 93, 135, 138, 140– 143, 150–152, 261, 271, 421, 424, 429 f., 497 f., 511, 562 Verworrenheit 194 f., 485 vitium subreptionis (Erschleichungsfehler) 178, 281 Vollkommenheit 28–30, 121, 126, 174, 194, 196–199, 201 f., 204, 206–208, 210, 219, 289, 306 f., 322 f., 339, 349–351, 356, 456 – ästhetische 29 – Kunst-, 353, 355 – logische 28 f., 367 – ontologischer Begriff 198, 200, 202, 206 – scholastische 29 – sittliche 57 Vollständigkeit 21, 30, 36, 38, 132, 198–200, 269, 274, 326, 366, 410, 473, 494, 496, 511, 545, 559, 565 f. – der Erscheinungen 92 Voraussetzung 28, 46, 51, 92, 96 f., 101, 103, 105 f., 110 f., 113, 115, 117, 131, 136 f., 139, 149, 161, 171, 175, 238, 258, 264, 316, 364, 368, 372, 417, 509, 526 f., 550, 562
Vorschrift (im Unterschied zu Gesetz) 43, 46 f., 51, 54, 58–61, 118, 237, 247 f., 378, 391–396, 423, 465 Vorstellung 43 f., 46 f., 49, 55 f., 63, 67, 80 f., 83 f., 87 f., 99–105, 107, 145 f., 162 f., 166, 170, 175–180, 183, 185– 187, 189–194, 196, 207–212, 215, 217, 219, 221, 223, 225 f., 229, 241 f., 249, 254–257, 273, 277, 294, 298, 300, 302, 315, 317, 319, 321, 326, 332 f., 335, 338–340, 343, 347 f., 352–354, 382, 410, 425, 431 f., 447, 453, 456, 466 f., 475, 477, 482 f., 493, 504 f., 512–517, 519–523, 525– 527, 531, 533–537, 539, 549, 563, 568 – empirische - 103, 106, 111 f., 116, 120, 333, 335, 504, 524 Vorstellungsart 43 f., 92, 174–176, 195 f., 227, 234, 336, 534 f., 540, 549 Wahrnehmung 25, 68, 75 f., 90–92, 108, 111, 116, 128, 141, 160, 165– 172, 182, 192, 207, 246, 258, 277, 289, 320, 326, 340, 403, 438, 447, 458, 464, 473, 477, 479, 481–484, 490, 503, 506, 514–518, 523 f., 535, 537, 561 – besondere 94 – einzelne 108 – reflektierte 165, 170, 522 – der Zweckmäßigkeit 225 Wahrnehmungsurteil 181, 334, 504 Weisheit 220, 432, 464, 475 Weltbegriff 29 Weltweisheit, – praktische 21, 308 Wesen 383, 414, 418 f., 463 – an sich selbst 381, 560 – höchstes 390 – moralisches 300, 303
Sachverzeichnis
– organisiertes 27, 143, 204–206, 222 f., 226 f., 240, 285 f., 331, 349– 351, 549 – Ur-, 198 Widerspruch 12, 24, 39, 42 f., 50, 62, 64 f., 73, 127, 129 f., 153 f., 164, 177 f., 196, 198, 218, 235, 237, 314, 339, 358, 408, 410 f., 417, 429, 431, 456, 554, 556 f., 567 f. s. auch Satz des Widerspruchs Widerspruchsfreiheit 314, 318, 383, 408 f., 411, 413 Widerstreit 29, 92, 151, 164, 345, 390, 409, 416 f., 493, 509, 525 – dialektischer 184, 410 – scheinbarer 409 Wille 42, 45, 49–51, 55 f., 61, 63 f., 70, 84 f., 193, 216, 253, 295, 301, 311, 361, 363, 380–382, 384–391, 395, 441, 463, 528, 556 f. – als Begehrungsvermögen 292, 302 f., 311, 382, 386 f., 390 f., 426, 439, 461 – Bestimmung 55, 57, 85 f., 178, 210, 212, 216 f., 299, 380 f., 384, 388, 391, 395, 440 f., 444, 461, 565 – freier 44, 49 f., 57, 85, 202, 292, 300, 309, 311, 379, 381, 383, 387, 390, 395, 461, 500, 556, 565 – als Naturvermögen 387 – der Natur 79, 388 – reiner 21, 34, 56, 308, 382–384, 386, 408 – Unabhängigkeit (Autonomie) 56, 379 Willensbestimmung 42, 45, 85, 213 f., 216 f., 378, 380 f., 384 Willkür 44–46, 49, 50, 56, 58, 232, 324, 387 f., 390, 395, 416 f., 419, 505 – freie 44, 380 – subjektive 47 Wirkkausalität 155, 236, 481, 556 Wirklichkeit 43, 49, 84, 145, 218, 302, 431, 452 f., 497
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Wirkung 26, 45 f., 84, 134, 138, 150 f., 153, 163 f., 171, 179–181, 184, 200, 205, 217, 222 f., 226–229, 239 f., 242, 259 f., 262, 298, 303, 349 f., 355, 386–388, 393 f., 408, 411–414, 416, 420, 432, 459 f., 473 f., 481–484, 491, 506, 515, 525, 554–557, 560, 563, 565 Witz 248 f. Wohlgefallen 85, 250, 253, 289, 292, 311, 341–343, 518, 565 – allgemeines 29, 311 – des Erhabenen 341, 347 – subjektives 327 Wollen 21, 58, 210 f., 308 Wozu 142, 303, 351 Wunsch, Wünsche 64, 218, 431 f. – leere 219 f., 432 Zeit 92, 151, 175, 191, 246 f., 297, 320, 360, 365, 375, 395, 410, 417, 431, 443, 447 f., 459, 468 f., 477 f., 480 f., 483 f., 513, 517, 535, 564 Zeitbestimmung 179, 334, 477 f., 484 – transzendentale 443 Zeitfolge (-reihe) 171, 200, 246, 296, 326, 410, 469, 480 f., 483, 515 Zeitordnung 175, 417, 477 f., 480, 482–484 Zirkel 52 Zufall (und Notwendigkeit) 94, 203 f., 258, 272, 366, 470, 472, 480, 508 zufällig 59, 64, 73, 77, 94, 96, 101, 112, 122, 136, 152–155, 158, 201, 203 f., 206, 234, 238, 248, 259 f., 276, 297, 308, 321, 323 f., 338 f., 343, 347 f., 404, 410, 438, 445–447, 451, 456, 469–471, 473, 475 f., 482, 497, 499 f., 502–504, 507–510, 519, 521 f., 533 Zugleichsein 200, 477 Zusammenfassung 167 f., 180, 182, 199, 315, 344 f., 491 f., 517, 535
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Sachverzeichnis
Zuträglichkeit 351, Zweck 22, 27–31, 46, 59, 61 f., 64 f., 80, 116, 135, 139, 143–146, 152, 162–164, 166 f., 172, 189, 194, 201– 203, 205 f., 221–223, 227 f., 230 f., 233, 235 f., 238 f., 241 f., 255–257, 259–262, 264, 271, 273 f., 284, 298, 300–302, 306 f., 314, 320, 324–326, 328, 331, 333, 339, 350 f., 354 f., 367 f., 376, 387, 394 f., 408, 416–418, 434, 451, 453, 462, 467, 481, 497 f., 503–505, 509, 525, 533, 536–539, 541–544, 555, 560, 562 – äußerer, relativer 206 – Definition 452 f. – der Freiheit 559 – für sich selbst (Selbstzweck) 61, 84, 189, 205, 222, 231, 298, 302 f., 339, 350 – höchster (oberster) 28, 30 f., 57, 151, 300, 302 f., 357, 559 f. – innerer 28, 151, 367 – moralischer 30, 32, 202, 308, 315, 347 – Natur-, 95, 142 f., 160, 171 f., 203 f., 206, 222–224, 226–236, 238, 240, 242–244, 255–258, 260, 264, 266, 279, 282–287, 302, 315, 326, 329, 331, 334, 337 f., 349 f., 354, 358, 401, 456, 467, 518, 534, 536, 538– 540, 542–544, 546, 549 f., 564 – objektiver 542 – als Pflicht (der zugleich Pflicht ist) 46 – praktischer 202 f., 300, 418 – problematischer 61, 65 – subjektiv notwendiger 63 – theoretischer 202 – Ursprung 561 s. auch Endzweck Zwecklehre – physische 337 f. zweckmäßig 27 f., 35, 77, 79 f., 84, 95, 115–117, 119 f., 135 f., 145–150, 152,
156–160, 170 f., 203, 205 f., 208, 212, 219, 221, 223, 225 f., 232, 234, 236, 243 f., 256 f., 277, 285 f., 291, 298, 305, 307, 336 f., 339 f., 343–345, 347–349, 351, 361, 364, 418, 421, 432, 456, 493, 505, 509, 515 f., 519, 522, 524, 526, 528, 530 f., 537, 558, 560 Zweckmäßigkeit 16, 66, 76–78, 80, 103, 115 f., 118, 120, 125, 136, 140– 145, 147 f., 150, 152 f., 155–162, 165 f., 170–173, 186, 203 f., 206, 221 f., 224, 226 f., 231, 233, 23*6, 238 f., 241, 243, 254–256, 261–264, 268, 277, 282, 285 f., 295, 297–299, 301, 304, 306, 308–311, 327, 329– 331, 333 f., 337–340, 342 f., 346–348, 350–356, 361, 371, 386, 422, 434, 451, 453, 455–457, 461, 466–469, 471 f., 474, 476, 478, 481–484, 488 f., 491, 500, 505, 509, 514–517, 519, 521, 523, 527, 529–532, 534 f., 537 f., 543, 558, 561, 568 – absolute 148, 152 f. – ästhetische 514–516, 534 f., 539, 541 – äußere (relative) 142, 206, 226, 260, 338, 349, 351 – die zugleich Gesetz ist (Verbindlichkeit) 299–302, 304, 309 – formale 77 f., 94 f., 186, 224 f., 264, 283, 301, 310, 314 f., 335, 455 f., 466, 468, 505, 541–543, 547–550 – gesetzliche 153, 300 – idealische 499, 509 f. – innere 95, 142, 205, 226, 260, 324, 338 f., 348–350, 358, 403, 452, 533, 539, 550 – intellektuelle 327, 456 – logische 140, 145, 147–150, 152, 534 f. – materiale 186, 206, 284, 456 – der Naturformen 148 – der Naturforschung 78
Sachverzeichnis
– objektive (und materiale) 171, 204– 207, 221 f., 256–258, 264, 283, 322 f., 329, 331, 333 f., 337, 349 f., 353, 358, 456, 458, 468, 518, 535 f., 540, 542–545, 547, 549 – ohne Zweck 254, 298, 305, 307, 335, 456, 518 – praktische 278, 303, 454, 461, 505 – reale 148–150, 152, 221, 227, 456, 458, 534, 540, 542 f., 549 – relative 339, 347, 351, 358, 532 – subjektive (und formale) 46, 154, 170, 173, 185 f., 190, 197 f., 204 f., 207–209, 212, 221, 225, 267, 277 f., 284, 291, 297 f., 316–319, 322 f., 331– 340, 345 f., 348 f., 357, 361, 456 f., 466, 510, 517, 520 f., 524, 528 f., 532, 535, 539–541, 547, 549, 564 – subjektiv subjektive 340
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– technische 278–282 – teleologische 56, 226 – zufällige 77 Zweckmäßigkeit der Form 230, 234, 452 Zweckmäßigkeit der Natur (Naturzweckmäßigkeit) 5, 69, 73, 76, 78, 94, 96, 98, 141, 144–148, 150, 152, 156, 158, 160 f., 171 f., 196–198, 203, 224, 226 f., 231, 233–235, 242–242, 245, 263–265, 270, 273, 275–284, 286 f., 291, 302, 310, 316, 319, 331, 334, 343, 346, 348, 356, 358 f., 398, 452–455, 457, 460–469, 471–474, 482, 485 f., 489–491, 499, 505, 507– 510, 512, 530, 534, 537, 540 f., 543, 549, 551 f., 558 f. Zweckwidrigkeit (Unzweckmäßigkeit) 342, 347, 530
Lateinische Ausdrücke Affinitas (Affinität, Verwandtschaft) Apprehensio (Apprehension, Auffassung) Causa (Ursache) Comparatio (Vergleich) Comprehensio (Begreifen) Conceptus communis (Gemeinbegriff) Contradictio (in adiecto) (Widerspruch, Kontradiktion) Divisio logica (sphaerae) (logische Einteilung) Divisio metaphysica (metaphysische Teilung) Forma finalis naturae spontanea (spontane Zweckform der Natur) Natura non facit saltus (Die Natur macht keinen Sprung) (EE IV.5) Principia praeter necessitatem non sunt multiplicanda (Prinzipien sind nicht mehr als notwendig zu vervielfältigen) (AA V 182.22–25) Privatio (Beraubung) Reflexio (Überlegung, Reflexion) Respectu (in Hinsicht auf) sensus interior (inwendiger Sinn) (EE VIII.6) sensus internus (Wahrnehmungsvermögen) (EE VIII.6) subiectio sub adspectum (Darstellung) (KU, § 59) vitium subreptionis (Erschleichungsfehler) (EE VIII.2: 20.222)
Personenverzeichnis Ameriks, Karl 10 Apollonius 53 Aquin, Thomas von 2 Aristoteles 18, 43, 102, 122, 127, 372, 459, 494 f. Bacin, Stefano 17 Bacon, Francis 94, 123 Bartuschat, Wolfgang 4, 164, 274 Baum, Manfred 300 Baumgarten, Alexander Gottlieb 17, 99, 102, 175, 194, 197, 351, 386, 562 Beck, Jacob Sigismund 4 f., 66, 268 Beck, Lewis White 2 f. Blumenbach, Johann Friedrich 239, 261 f. Bonnet, Charles 464 Brandt, Reinhard XIII, 9, 15, 33-35, 535 Buchenau, Stefanie 123 f. Burke, Edmund 17, 249 f., 288 f., 342, 359 Cassirer, Ernst 144 Cassirer, Walter 55, 70 Crusius, Christian August 83, 102, 526 Cudworth, Ralph 355 d’Alembert, Jean-Baptiste le Rond 53 Descartes, René 18, 240, 459 Eberhard, Johann August 52 f. Euklid 51 Falduto, Antonino 83 Förster, Eckart 545 Forster, Georg 56, 94, 135 Fricke, Christel 467, 525 f.
Giordanetti, Piero 33, 250, 464 Hausen, Christian August 50 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 30, 130, 143, 339, 495 Henrich, Dieter 10 Hinske, Norbert 4 f., 12, 14, 72, 140, 248 Höffe, Otfried 3, 22, 495 Hume, David 437, 482 Hutcheson, Francis 140 Jäsche, Gottlob Benjamin 28 f., 121 f., 126, 131–133, 181, 191, 193, 200, 370 Kästner, Abraham Gotthelf 50 Kiesewetter, Johann Gottfried 4, 7, 268 Klemme, Heiner 4, 6 f., 14 f., 17, 72, 175 Koriako, Darius 53 Kugelstadt, Manfred 112, 439 Kulenkampff, Jens 205, 253 f., 467, 519 Lambert, Johann Heinrich 23, 53, 102 Leibniz, Gottfried Wilhelm 18, 95, 102, 162, 239–241, 355, 369, 453, 459, 465 Linné, Carl von (Linnäus) 95, 139– 144, 150, 238 f., 446, 464, 510 Locke, John 249, 437 Loock, Reinhard 30 Madrid, Nuria Sánchez 38, 43 Mertens, Helga 52, 59, 62, 70, 73, 78, 83, 274, 294, 354
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Personenverzeichnis
Meier, Georg Friedrich 21, 102, 121 f., 194, 197, 370 Mohr, Georg 17 Oitinnen, Vesa 144 Paton, Herbert James 2 Ploucquet, Gottfried 369 Pollok, Konstantin 12 Recki, Birgit 9 Ross, David 2 Sala, Giovanni B. 216, 439, 468 Santozki, Ulrike 79, 81 Schönecker, Dieter 1, 3, 60 Schopenhauer, Arthur 556 Seneca, Lucius Aenneus 58
Stolzenberg, Jürgen 17, 467 Sulzer, Johann Georg 83, 289 Tetens, Holm 12 Tonelli, Giorgio 12 f., 23 Vaihinger, Hans 2 Vogel, Ulrich 30 Willaschek, Marcus 17 Wolff, Christian 17, 21–23, 26, 43, 53, 83, 102, 123, 162, 229, 237, 308, 372, 453, 456, 489, 526, 562 f. Wolff, Michael 2, 38, 53, 130, 213, 369, 381, 394, 429, 526, 538 f., 567 Zimmermann, Stephan 38, 43, 45, 49, 61, 380
Verzeichnis der im Kommentar verwendeten Satzgrafiken Zur EE:
Zur E:
Nr. 1, 20:213.23–214.8, S. 112
Nr. 13, 5:171.4–7, S. 377
Nr. 2, 20:218.11–21, S. 154
Nr. 14, 5:171.15–24, S. 388
Nr. 3, 20:220.23–30, S. 166
Nr. 15, 5:172.37–173.17, S. 405
Nr. 4, 20:229.27–230.1, S. 212
Nr. 16, 5:179.31–180.5, S. 461
Nr. 5, 20:234.12–24, S. 230
Nr. 17, 5:180.18–26, S. 468
Nr. 6, 20:242.10–17, S. 276
Nr. 18, 5:182.10–16, S. 479
Nr. 7, 20:243.18–35, S. 283
Nr. 19, 5:185.35–186.7, S. 504
Nr. 8, 20:246.26–247.5, S. 320
Nr. 20, 5:187.34–188.2, S. 529
Nr. 9, 20:248.6–12, S. 332
Nr. 21, 5:193.29–194.2, S. 566
Nr. 10, 20:248.13–26, S. 336
Nr. 22, 5:194.24–32, S. 571
Nr. 11, 20:248.31–249.8, S. 340
Nr. 23, 5:195.17–30, S. 579
Nr. 12, 20:251.5–13, S. 363
BIBLIOGRAPHIE 1. Quellen a) Ausgaben der Ersten Einleitung (EE) (in chronologischer Folge) Erläuternder Auszug aus den critischen Schriften des Herrn Prof. Kant auf Anrathen desselben von M. Jacob Sigismund Beck. Zweyter Band, welcher die Critik der Urtheilskraft und die metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft enthält. Riga 1794, 541–590. Titel: Ueber Philosophie überhaupt. Immanuel Kant’s vorzügliche kleine Schriften und Aufsätze. Mit Anmerkungen hrsg. von Fr. Ch. Starke [Pseudonym für: Johann Adam Bergh]. Nebst Betrachtungen über die Erde und den Menschen aus ungedruckten Vorlesungen. Von Imm. Kant. In zwey Bänden. Zweyter Band. Leipzig 1833, 223–262. Immanuel Kant’s Schriften zur Philosophie im Allgemeinen und zur Logik. Leipzig 1838. In: Immanuel Kant’s Werke, sorgfältig revidierte Gesammtausgabe in zehn Bänden. Erster Band. Mit einer Vorrede von G. Hartenstein. Leipzig 1838, 137–172. Immanuel Kant’s kleine logisch-metaphysische Schriften. Hrsg. v. Karl Rosenkranz. Leipzig 1838. In: Immanuel Kant’s sämmtliche Werke. Hrsg. v. K. Rosenkranz u. Fr. W. Schubert. Erster Theil. Leipzig 1838, 579–617. Immanuel Kant’s sämmtliche Werke. In chronologischer Reihenfolge hrsg. von G. Hartenstein. Bd. VI, Leipzig 1868, 373–404. Immanuel Kant’s kleinere Schriften zur Logik und Metaphysik. Hrsg. u. erl. v. J. H. v. Kirchmann. Erste Abtheilung. Berlin 1870, 141–176. Immanuel Kant’s Kritik der Urtheilskraft. Hrsg. v. Benno Erdmann. Anhang: J. S. Beck’s Auszug aus Kant’s ursprünglichem Entwurf der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft. 1789, 1794. Leipzig 1880, 341–373. (Zweite Aufl. 1884). Kants Werke. In Gemeinschaft mit Hermann Cohen u. a. hrsg. von Ernst Cassirer. Bd. 5: Erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft. Hrsg. von Otto Buek. Berlin 1914, 177–231.
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Bibliographie
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