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German Pages [288] Year 2007
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35159-9
Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft
Herausgegeben von Helmut Berding, Jürgen Kocka, Paul Nolte, Hans-Peter Ullmann, Hans-Ulrich Wehler
Band 178
Vandenhoeck & Ruprecht © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35159-9
Natürlich künstliche Befruchtung? Eine Geschichte der In-vitro-Fertilisation von 1878 bis 1950
von
Christine Schreiber
Vandenhoeck & Ruprecht © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35159-9
Umschlagabbildung Die Abbildung zeigt den »9-minute strip of film« einer in einem Kaninchen befruchteten Eizelle, die sich in vitro (also im Kulturmedium) teilte. Sie gehörte zu einer Versuchsserie, die Gregory Pincus 1929 in Cambridge, England durchführte (Pincus, Observations on the Living Eggs). Foto: © bpk/SBB, 2007.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abruf bar. ISBN 978-3-525-35159-8 Gedruckt mit Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf, und der FAZIT-Stiftung, Frankfurt am Main.
© 2007, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen. Internet: www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehrund Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: OLD-Media OHG, Neckarsteinach. Druck und Bindung: l Hubert & Co, Göttingen. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
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Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7 9
I. Theorie und Methode der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Denkkollektiv und Denkstil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Experimentalsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Soziale Welten, unscharfe Begriffe und heterogene Kooperation 4. Das Problem der Forschungslinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Material und Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31 32 36 39 46 48
II. Die künstliche Befruchtung im neunzehnten Jahrhundert . . . . . . . 1. Die Versuche von 1878 in Wien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Säugethiereier« auf dem Labortisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konflikte in der Medizinischen Fakultät . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Problem der Befruchtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schenks Forschungsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Befruchtung als »mitgetheilte Molecularbewegung« . . . . . . . . . Befruchtung als Verschmelzung zweier Zellkerne . . . . . . . . . . . 3. Die künstliche Befruchtung und der Denkstil der Embryologie Der Diskurs über natürliche und künstliche Befruchtung . . . . . . Die künstliche Befruchtung als Beobachtungstechnik . . . . . . . . Die Kontroverse über Beobachtung und Experiment . . . . . . . . . 4. Die künstliche Befruchtung in der Gynäkologie . . . . . . . . . . . . Das Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sterilitätsbehandlung als »beliebtes Versuchsfeld« . . . . . . . . . . . . Die Frau als Versuchsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Eine erste Bilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53 55 55 56 67 69 72 75 82 84 88 96 102 102 106 109 115
III. Der Beginn der Reproduktionswissenschaften 1900 bis 1930 . . . .
119
IV. Die Befruchtungsversuche in den 1930er und 1940er Jahren . . . . . 1. Die »Affäre Pincus« – von der Harvard Universität zum biomedizinischen Forschungsinstitut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Karriereknick« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gründe für das Scheitern in Harvard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2.
3.
4.
5.
6.
Die Haltung der Rockefeller Foundation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gründung eines unabhängigen Forschungsinstitutes . . . . . . Die Forschungsbedingungen an der WFEB . . . . . . . . . . . . . . . . Die artifizielle Insemination in Cambridge, England . . . . . . . . . Das Verfahren und seine Standardisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ökonomie des Spermas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Kontext der Versuche und die Kooperation mit Moskau . . . Eine britisch-amerikanische Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Forschungsprojekt von Pincus in Cambridge . . . . . . . . . . . Die Experimente von Hammond und Walton . . . . . . . . . . . . . . Konzentration auf die Eizelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Artificial Insemination als »unscharfer Begriff« . . . . . . . . . . . . . . . Ein Experimentalsystem zur Parthenogenese in Cambridge, USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die in vitro Fertilisierung als experimentelle Kontrollbedingung Die Integration von Sexualhormonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verschiebung auf dem Labortisch: Die in vitro Fertilisierung als Versuchsbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verschiebung in der Theorie: In vivo als Kulturbedingung . . . . . Die Kooperation zwischen physiologischem Labor und Klinik . . Der Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Klinik als Labor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Experimente zur in vitro Fertilisation . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Versuche mit menschlichen Eizellen in Harvard . . . . . . . . . Abstimmungen zwischen Klinik und Labor . . . . . . . . . . . . . . . Die erste erfolgreiche in vitro Fertilisation einer menschlichen Eizelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die in vitro Fertilisation als »doable problem« . . . . . . . . . . . . . . . Biopolitische Visionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Idee der »Ektogenese« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Programm von Muller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bevölkerungskontrolle und Familienplanung . . . . . . . . . . . . . . Eugenik und die Befruchtungsversuche der 1930er Jahre . . . . . .
142 144 149 153 155 161 163 170 172 174 178 181 188 194 196 201 205 210 211 215 220 221 226 230 233 238 240 244 251 254
Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Die Geschichte ist lang, von Mal zu Mal wird sie länger. Mario Delgado Aparaín, Februarmond
Vorwort
Wissenschaft ist Kollektivarbeit, sagt Ludwik Fleck. Ohne die fachliche, persönliche und finanzielle Unterstützung einer Reihe von Kollegen und Institutionen hätte ich diese Arbeit nicht schreiben können. Ich bedanke mich bei Jakob Tanner, der mir die Idee überließ, mit der alles anfing, und der auch im Laufe der Arbeit wichtige Anregungen gab. Heinz-Gerhard Haupt unterstützte den Prozess mit klugen Kommentaren und viel Gelassenheit, beides förderte die Arbeit sehr. Hans-Ulrich Wehler war bei Problemen immer ansprechbar und hat sich tatkräftig für die Veröffentlichung eingesetzt. Die Ruhe und das Vertrauen, mit denen mich alle drei begleitet haben, waren sehr ermutigend und haben viel dazu beigetragen, dass dieses Buch entstehen konnte. Das Graduiertenkolleg »Genese, Strukturen und Folgen von Wissenschaft und Technik« am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung der Universität Bielefeld nahm mich als assoziiertes Mitglied auf. Das verschaffte mir anregende Diskussionen, Kontakte mit sehr freundlichen Menschen und nicht zuletzt erfrischende Kommentare von Peter Weingart, wofür ich ebenfalls dankbar bin. Die Hans-Böckler-Stiftung finanzierte das Projekt mit einem Stipendium und half bei den Druckkosten, ihr und ihren Referenten bin ich darüber hinaus für die aufmerksame Betreuung zu Dank verpflichtet. Auch bei der Fazit-Stiftung bedanke ich mich für ihren großzügigen Druckkostenzuschuss. Den Herausgebern der »Kritischen Studien« danke ich für die Mühe, die sie auf das Manuskript verwendeten, und die Bereitschaft, das Buch in ihre Reihe aufzunehmen. Martin Rethmeier und Dörte Rohwedder vom Verlag erleichterten mir umsichtig und humorvoll die Überarbeitung. Viele Freunde, Familienmitglieder und Kollegen haben mich unterstützt, vor allem durch ihre manchmal erstaunliche Zuversicht, dass das Vorhaben am Ende gelingen wird. Besonders verbunden fühle ich mich Matthias Horwitz, mit dem ich in allen Phasen des Prozesses lange Diskussionen führte. Seine 7 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35159-9
Ideen sind so sehr in die Arbeit eingegangen, dass sich nicht immer sagen lässt, wer der Urheber des einen oder anderen Gedankens war. Die Gespräche mit ihm habe ich sehr genossen. Weitere Kollegen und Freunde haben mir geholfen, indem sie sich die Zeit nahmen, über Fragen der Arbeit zu diskutieren, indem sie Teile des Manuskripts lasen oder indem sie mir Unterschlupf in den USA gewährten. Die Gespräche mit ihnen waren immer sehr anregend, kritisch und solidarisch. Nennen möchte ich Erika Feyerabend, Dawn und Phil D. Loring, Nick Hopwood, Cornelius Borck, Mark B. Brown, Christina Benninghaus, Smilla Ebeling, Svenja Goltermann, Jan-Ole Janssen, Gerlind Rüve und Claudius Torp. Bestimmt habe ich einige vergessen, bei denen ich mich entschuldige. Bedanken möchte ich mich auch bei den Mitarbeitern des Informationszentrums der Universitätsbibliothek in Bielefeld, die geduldig und kompetent alle meine Fragen beantworteten, selbst wenn ich sie mehrmals stellte. Ganz besonders wichtig war meine Familie. Ich widme dieses Buch Guido, der mehr (und vielleicht anderes) beigetragen hat, als ihm bewusst ist, und Luna, unserer Tochter, die sich freut, wenn die viele Zeit, die sie die Arbeit kostete, endlich zu einer Geschichte wird. Bielefeld, im März 2007
Christine Schreiber
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Einleitung
Im Jahr 1870 kommentierte ein anonymer Autor in der Wiener Medizinischen Wochenschrift die damals bei einigen Gynäkologen populäre Methode der künstlichen Befruchtung, der Einführung von Sperma in die Vagina vermeintlich unfruchtbarer Frauen: »Es bleibt jetzt nur noch eine Erfindung zu machen, nämlich den männlichen Samen, zu konservieren … und eine neue Aera für das Menschengeschlecht bricht an, welche unsere sozialen Zustände gründlich umgestalten wird. So wie heute Hoff’sches Malzextrakt, wird dann Sperma virile als Handelsartikel in allen Blättern angekündigt sein; um gute Waare von schlechter zu unterscheiden, die aus Hyperproduktion hervorgehen könnte, wird man die Zahl der Samenthierchen auf den Quadratzoll als Werthmesser verzeichnen. Und prophetischen Geistes sehen wir schon zierliche Phiolen mit beiläufig folgenden Etiquetten: Von einem 30jährigen schönen Blondin mit schwarzen Augen – von einem kräftigen Manne, in dessen Familie bis nun kein Fall von Lungentuberkulose vorgekommen – von einem 19jährigen Jüngling, der bis zu diesem Augenblicke seine Keuschheit bewahrt, auch nach eidlicher Versicherung nie infizirt gewesen. … Die Onanisten, die jetzt als Verschleuderer des Nationalvermögens verhöhnt sind, werden produktiv wirken.«1
Heute kontrollieren Reproduktionsmediziner die Qualität des Sperma, indem sie die Zahl beweglicher Spermien pro Flüssigkeitseinheit messen, konservieren und vermarkten es, ganz wie es dieser Autor (ironisch) vorhersah. Aber auch Eizellen sind zur Ware geworden. Die vorliegende Studie untersucht die Geschichte des Verfahrens, das menschliche Keimzellen dem experimentellen Zugriff und damit der Vermarktung verfügbar machte, die In-vitro-Fertilisation (IVF). Als der Embryologe Robert Edwards und der Gynäkologe Patrick Steptoe die IVF 1978 in einem englischen Krankenhaus durchführten, war das eine Sensation. Zum ersten Mal gelang ihnen die Geburt eines Kindes, dessen Zeugung auf dem Labortisch stattgefunden hatte. Dieses erste »Retortenbaby« Louise Brown rief nicht nur euphorische Reaktionen hervor. Die Vision der Menschenzüchtung sei damit in greif bare Nähe gerückt, schrieben kritische Journalisten.2 1 An., Konsequenzen der künstlichen Befruchtung, S. 449–450. 2 Für eine Untersuchung der Medienreaktionen vgl. Hellmund. Eine triumphierende Darstellung dieses Erfolgs findet sich in Edwards u. Steptoe.
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Kurz gefasst versteht man unter In-vitro-Fertilisation die Entnahme einer oder mehrerer Eizellen aus dem Eierstock einer Frau, die mit auf bereitetem Sperma in der Petrischale befruchtet werden. Nach den ersten Zellteilungen transferiert der Arzt den Embryo in den Uterus, der nicht unbedingt der »Eizellenspenderin« gehört.3 So spektakulär das Verfahren 1978 war, so selbstverständlich ist es heute: Die IVF und weitere Verfahren der »assistierten Reproduktion« stellen weltweit etablierte Standardverfahren dar.4 Im Jahr 2005 wurden allein in der Bundesrepublik nach Angaben des Deutschen IVF-Registers (DIR) 36 733 Frauen in 117 IVF-Zentren behandelt, die sich in Universitätskliniken, Krankenhäusern und Praxen befinden.5 Die IVF ist eine Schlüsseltechnologie der modernen Reproduktionsmedizin. Indem sie die Keimzellen auf den Labortisch holt, macht sie den Befruchtungsvorgang einer umfassenden Manipulation zugänglich. Praktisch alle in der Diskussion befindlichen Verfahren wie embryonale Stammzellforschung, Präimplantationsdiagnostik, Klonen usw. schließen in technischer Hinsicht an sie an.6 Die IVF spielte darüber hinaus eine Schlüsselrolle für die gesellschaftliche Akzeptanz reproduktionsmedizinischer Verfahren (»Sterilitätsbekämpfung«) und für die Institutionalisierung der Reproduktionsmedizin als eigenem Fachgebiet.7 Schließlich ist sie diejenige Technologie, mit der sich Reproduktionsmedizin und Gentechnik verschränken lassen. Diese strategische Rolle der IVF wird von Wissenschaftlern klar formuliert. Der Molekularbiologe Lee Silver beispielsweise äußerte sich auf einem Symposion zur Keimbahntherapie 1998 folgendermaßen: »What IVF does is to bring the embryo out of the darkness of the womb and into the light of the day. And in so doing, IVF provides access to the genetic material within. And it’s through the ability to read, alter, and add genetic to the embryo, that the full force of IVF will be felt.«8 3 Zum Verfahren vgl. Diedrich; Barbian u. Berg; Orland, Werkstatt der Fortpflanzung. 4 Seehaus u. a., S. 103. 5 Jahresbericht 2005 des Deutschen IVF-Registers, S. 6–7, in: www.deutsches-ivf-register.de, 20.1.2007. 6 Berg, In-vitro-Fertilisation; dies., Reproduktionstechnologien; Schneider. Im Jahr 2000 diskutierte ein Symposium in Berlin die medizinischen, gesellschaftlichen und politischen Folgen neuer Fortpflanzungstechniken, vgl. Bundesministerium für Gesundheit. Zu einer politischen Kritik der zunehmenden Vermarktung von Körpersubstanzen vgl. Feyerabend. 7 Die Öffentlichkeit reagierte zunächst erschrocken auf die Geburt von Louise Brown, das Verfahren legitimierte sich aber rasch als Behandlungsmethode für kinderlose Paare. ›Unfruchtbarkeit‹ wurde als Medienthema Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre geradezu entdeckt und diente als Scharnierbegriff, um die Technik an soziale Gewohnheiten und Traditionen anzuschließen. Zugleich trug die IVF entscheidend zur Konstituierung der Reproduktionsmedizin bei, die zum Spezialgebiet einer umfassenden Fertilitätskontrolle avancierte, Orland, (Re-) Konstruktionen der Unfruchtbarkeit. Für diese These spricht auch, dass »Reproduktionsmedizin« als Schlagwort 1982 in der Deutschen Bibliothek in Frankfurt/Main aufgenommen wurde, zu einer Zeit also, als sich das Verfahren international etablierte, ebd., S. 7, Anm. 4. 8 Silver.
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Den Autor von Nature zitierend deutete er auch die eugenischen Implikationen dieses Verfahrens an: »We now have the power to ›change the nature of our species.‹ … This is my conclusion: Human evolution will be self-driven.«9
Medizinische Innovationen wie die Stammzellforschung oder das Klonen von Zellen sind allgegenwärtig und haben eine hohe Medienpräsenz. Nach 1945 wuchsen die Medizin als politisch-ökonomischer Sektor westlicher Industriegesellschaften sowie die damit verbundene Menge an Wissen und klinischen Verfahren dramatisch an. Diesen Prozess haben Medizinhistoriker als Fortschreibung und Beschleunigung einer Ende des achtzehnten Jahrhunderts beginnenden Medikalisierung der Gesellschaft beschrieben.10 Francisca Loetz kritisiert dieses Modell wegen seiner theoretischen Unschärfe und mit dem Argument, dass die Ausdehnung von medizinischen Praktiken nicht nur als zunehmende Unterdrückung und Kontrolle durch Ärzte und staatliche Institutionen und einer Verdrängung alternativer Praktiken und Vorstellungen beschrieben werden kann.11 Sie schlägt den Begriff der medizinischen Vergesellschaftung vor, um die Wechselwirkungen zwischen medizinischen Kulturen, aber auch zwischen Kranken und Ärzten stärker zu betonen und die Betroffenen einzubeziehen, die öffentliche oder ärztliche Versorgung annehmen oder sogar einfordern und damit den Prozess aktiv mitgestalten: »Medikalisierung bezeichnet also nicht lediglich antagonistische, sondern ambivalente gesellschaftliche Prozesse, die zu einer Verärztlichung der Medizin und der Entwicklung spezifischer Verhaltensstandards beigetragen haben.«12
Gerade die IVF ist keine Technologie, deren Einführung auf eine »Implementierung von oben« reduziert werden kann. Paare, die sich mit ihrer Hilfe eine Schwangerschaft versprachen, trugen erheblich zu ihrer Verbreitung bei.13 In Anlehnung an den Begriff der Medikalisierung sprechen Adele Clarke und weitere Soziologinnen von einer etwa 1985 einsetzenden Transformation, die sie »Biomedicalization« nennen.14 Ihre Überlegungen eignen sich, um die Rolle der IVF für gegenwärtige Prozesse der »Vergesellschaftung der Medizin« einzuschätzen. 9 Ebd. 10 Vgl. zum Beispiel Frevert, S. 41–59, wo sie den Begriff der Medikalisierung erläutert. 11 Loetz, S. 43–56 und S. 304–316. 12 Ebd., S. 50. 13 Die »Logik der Nachfrageorientierung« führt dazu, dass Kontraindikationen bei der heutigen IVF kaum vorkommen, Barbian u. Berg, S. 217–218. Auch Reproduktionsmediziner beklagen den Nachfragedruck durch betroffene Paare, Schill u. a., S. 104. Laut Sarah Franklin bestimmt die »Hoffnung auf ein Wunder« die öffentliche Debatte. Trotz relativ bescheidener Erfolgsraten werde die Technologie nicht kritisiert: »IVF is still considered to be ›giving nature a helping hand‹.«, Franklin, S. 200. 14 Clarke u. a., Biomedicalization.
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Heute seien nicht mehr nur die Behandlung und Kontrolle von Krankheit Gegenstand medizinischer Anstrengungen, was Clarke als »moderne Medizin« beschreibt, sondern auch die Veränderung unerwünschter körperlicher Zustände wie mangelnde Attraktivität und Leistungsfähigkeit oder Unfruchtbarkeit, deren Behandlung zunehmend normal werde: »the shift to biomedicalization is a shift from enhanced control over external nature (i. e., the world around us) to the harnessing and transformation of internal nature (i. e., biological processes of human and nonhuman life forms), often transforming ›life itself‹.«15 Letzteres bezeichnen die Autorinnen als »postmoderne Medizin«.16 Der Übergang zwischen moderner und postmoderner Medizin sei durch technowissenschaftliche Innovationen und damit verbundene soziale und organisatorische Veränderungen ausgelöst worden. Die Folgen für das Gesundheitssystem, das Verständnis von Gesundheit und Krankheit und die Auffassung des Körpers seien weitreichend. Dazu gehörten die Privatisierung medizinischer Leistungen bei gleichzeitiger Vergesellschaftung von Forschungsaufwendungen, ein zunehmend ungleicher Zugang ganzer Bevölkerungsgruppen zu medizinischem Wissen und medizinischer Versorgung, die Verschiebung des Fokus von Krankheiten der Organe und Zellen hin zur Beobachtung von Gesundheit (und gesundheitlichen Risiken) auf der Ebene von Genen, Molekülen und Proteinen und die zunehmende Technisierung medizinischer Praktiken wie beispielsweise die computergestützte Erfassung von Patientendaten.17 Das reiche bis zur Transformation von Körpern und Identitäten selbst: »The body is no longer viewed as relatively static, immutable, and the focus of control, but instead as flexible, capable of being reconfigured and transformed … Thus, opportunities for biomedicalization extend beyond merely regulating and controlling what bodies can (and cannot) or should (and should not) do to also focus on assessing, shifting, reshaping, reconstituting, and ultimately transforming bodies for varying purposes, including new identities.«18
In einer früheren Veröffentlichung charakterisiert Clarke die Rolle, welche sie dabei der IVF zuwies. Kennzeichnend für die postmodernen Reproductive Sciences sei es, dass sie auf eine Transformation reproduktiver Prozesse abziele. Ging es der modernen Medizin um die Kontrolle über die Fortpflanzung, ziele die postmoderne auf die Manipulation von Prozessen und Körpern: »While the 15 Ebd., S. 164. Der Begriff »technoscience« bezieht sich auf Latour, Science in Action. Die Autorinnen verstehen Wissenschaft und Technik als wechselseitig aufeinander bezogen; reine Formen wissenschaftlicher oder technischer Forschung gebe es nicht (mehr). Die zunehmend biologischen Aspekte medizinischer Praktiken deuten sie mit dem Begriff »biomedical« an: »the technoscientific practices of the basic life sciences (›bio‹) are increasingly also part of applied clinical medicine – now biomedicine.«, Clarke u. a., Biomedicalization, S. 161–162, Anm. 1. 16 Ebd., S. 166. 17 Ebd., S. 167–177. 18 Ebd., S. 181, mit Bezug auf Martin, Flexible Bodies.
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modernist reproductive body is Taylored, the postmodern body is tailored.«19 Die Epochengrenze sei im Bereich der Fortpflanzung durch die Techniken der In-vitro-Fertilisation und des Embryotransfers markiert: »In vitro fertilization and embryo transfer are the central postmodern reproductive technologies in both clinical and agricultural settings. … The test-tube baby moment can be viewed as the beginning of postmodern reproduction.«20
Neuere Forschungen im Anschluss an die IVF richten sich auf die umfassende Manipulationen des Fortpflanzungsgeschehens, indem Wissenschaftler die Zeit ausdehnen, die Keimzellen und Embryonen auf dem Labortisch verbringen, indem sie das Geschehen umgestalten oder sogar die Synthetisierung von Keimzellen erproben.21 Dies steht im Einklang mit der von Clarke vorgelegten Analyse. Der strategische Bezugspunkt für viele dieser Entwicklungen ist die Stammzellforschung. Versuche zur Hybridisierung zum Beispiel sind, abgesehen von ihrem monströsen Charakter, als Suche nach günstigen Produktionsbedingungen für eine in Zukunft erhoffte Massenproduktion embryonaler Stammzellen zu verstehen.22 Ingrid Schneider spricht davon, dass die IVF von einer Sterilitätstherapie zur Lieferantin für die Embryonennutzung transformiert werde.23 Angesichts der strategischen Bedeutung der IVF für reproduktionsmedizinische Forschungen und für die »Biomedicalization« der Gesellschaft überrascht es, dass es keine systematische Untersuchung ihrer Geschichte gibt, eine Lücke, welche die vorliegende Arbeit wenigstens zum Teil zu schließen versucht. Glaubt man den Darstellungen, die von Reproduktionsmedizinern selbst stammen, war die IVF die wissenschaftliche Antwort auf das universelle Problem weiblicher Unfruchtbarkeit. John D. Biggers, Physiologe und Reprodukti19 Clarke, Disciplining Reproduction, S. 10. 20 Ebd. 21 Wissenschaftler dehnen die Verweildauer der Keimzellen im Labor mit der In-vitro-Kultur von Eizellen und der Nachreifung von Spermatozoen aus, vgl. Seehaus u. a.. Auch mit einer verlängerten Kultivierung der befruchteten Embryonen wird experimentiert, vgl. Alper u. a.. Zu den radikalsten Versuchen, den Lebensbeginn neu zu gestalten, zählen Versuche zur Synthetisierung von Keimzellen aus Körperzellen, bei denen der Kern einer Körperzelle in eine entkernte Eizelle injiziert und diese mit Chemikalien zur Abstoßung der (überzähligen) Hälfte des Chromosomensatzes veranlasst wird, Berg, Reproduktionstechnologien, S. 37, mit Verweis auf Takeuchi u. a.. 22 Chinesische Forscher transferierten die Zellkerne eines siebenjährigen Jungen in entkernte Kanincheneizellen, was in einigen Fällen zur Entwicklung der Morula geführt haben soll, d. h. mehrere Furchungsteilungen hatten stattgefunden, vgl. Abbott u. Cyranowski. 23 Der Reproduktionsmediziner Ian Craft schreibt, dass in denjenigen britischen IVF-Zentren, in denen auch geforscht werde, vergleichsweise wenig befruchtete Eizellen transferiert werden, ohne dass die Zahl der mit kryokonservierten Eizellen durchgeführten Zyklen anstiege, und fragt: »Where have all the other embryos gone?«. Er macht damit auf das Dilemma des Arztes und Forschers aufmerksam, den betroffenen Paaren helfen zu wollen und zugleich taugliche Embryonen für Forschungszwecke gewinnen zu müssen, Craft. Vgl. dazu auch Schneider, S. 122–125.
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onsbiologe der Harvard Medical School beginnt seinen Aufsatz zur Geschichte der IVF mit einer Beschreibung von verschlossenen Eileitern als Sterilitätsursache in einem medizinischen Lehrbuch von 1806.24 Von hier aus zieht er eine gerade Linie bis 1978: »During this period of 169 years, several attempts were made to overcome sterility caused by non-patent fallopian tubes, new methods being proposed as knowledge of reproductive biology accumulated.«25
Im Anschluss an die chirurgischen Eingriffe zum Öffnen versperrter Eileiter beschreibt Biggers Experimente, um die es auch in dieser Arbeit gehen wird: Den ersten Versuch, die Eizellen von Säugetieren in vitro zu befruchten, habe der Wiener Embryologe Samuel Leopold Schenk 1878 vorgenommen. Einige Jahre später berichtete Onanoff ebenfalls über die Befruchtung von Eizellen außerhalb des Körpers. 1890 demonstrierte Walter Heape die Möglichkeit des Embryotransfers von einem Kaninchen in ein anderes und schließlich habe Gregory Pincus während eines Forschungsaufenthaltes in England 1930 die in vitro Befruchtung von Eizellen und ihren Transfer in ein Kaninchen-Weibchen versucht. Die Experimente setzte Pincus nach seiner Rückkehr in die USA am Physiologischen Institut der Harvard Universität fort, wo er und sein Assistent Ernst Enzmann 1934 die erfolgreiche In-vitro-Fertilisation mit anschließender Geburt von jungen Kaninchen bekannt gaben.26 Diese Versuche riefen große öffentliche Aufmerksamkeit hervor27 und interessierten den Gynäkologen John Rock am Free Hospital for Women in Boston, der wenig später mit Pincus und dem Embryologen Arthur Hertig ein Forschungsprojekt zu befruchteten und unbefruchteten menschlichen Eizellen begann. Die Eizellen stammten aus gynäkologischen Operationen des Hospitals und waren das Material, das zu den ersten erfolgreichen IVF-Versuchen mit menschlichen Eizellen führte, die Rock gemeinsam mit seiner Laborassistentin Miriam Menkin vornahm.28 Seit den 1950er Jahren schließlich fand eine rege Forschungstätigkeit in verschiedenen Labors statt, die Biggers nur noch skizzenhaft auflistet.29 Dieser Bericht zur Geschichte der IVF ist repräsentativ für Aufsätze von Reproduktionsmedizinern.30 Die mangelnden Erfolge von Operationen zum Öffnen der Eileiter, so auch Nicola Perone 1994, hätten zu neuen Ansätzen wie IVF und Embryotransfer geführt, »in hopes of finding an answer to the pro24 Biggers. 25 Ebd., S. 3. 26 Ebd., S. 8–9. 27 Sogar die Beschreibung der künstlichen Befruchtung in Aldous Huxleys »Brave New World« soll durch die Arbeit von Pincus inspiriert worden sein, ebd., S. 9–10. 28 Ebd., S. 10. 29 Ebd., S. 11. 30 Vgl. auch Fishel, S. 11–13; Talbert; Ludwig u. Stalder; Edwards, History of Assisted Human Conception.
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blem of irreparably damaged tubes.«31 Solche Darstellungen versehen die IVF mit einer möglichst langen Tradition und stellen sie als zielgerichtete wissenschaftliche Arbeit am Problem weiblicher Unfruchtbarkeit dar. Manche Autoren greifen dazu gar bis in die biblische Vorzeit oder die Antike zurück, in der es angeblich schon Versuche zum Embryotransfer gab.32 Die universelle und überhistorische Dimension unterstreicht die Dringlichkeit des Problems weiblicher Unfruchtbarkeit, und die lange Tradition wissenschaftlicher Bemühungen verleiht aktuellen Forschungen den beruhigenden Anstrich der Normalität. Die als unilineare Entwicklung gedeuteten und auf einen Fluchtpunkt hin organisierten Forschungen stellen sich als zielgerichtete, rationale Erfüllung eines quasi in der Natur des Menschen angelegten Forschungsplans dar.33 Solche legitimatorischen Darstellungen von Wissenschaft hat Michel Serres als Heilsgeschichte kritisiert, die »eine rückwärts gerichtete Bewegung des Wahren« unterstelle, »welche die Erkenntnisse von heute in die Vergangenheit zurückprojiziert, und zwar so, dass die Geschichte zur unvermeidlichen und gleichsam programmierten Vorbereitung des aktuellen Wissens wird.«34 Viele Studien zeigen aber, dass wissenschaftlicher Erkenntnisfortschritt gerade nicht einem solchen linearen Modell folgt.35 Auch aus kritischer Perspektive existieren nur wenige, skizzenhafte Studien zur Geschichte der IVF, die zum Teil demselben Erzählmodus folgen. Eine recht ausführliche Darstellung stammt von der Wissenschaftsjournalistin Gina Maranto.36 Auch sie zieht eine Linie von Schenk über Pincus zu Edwards und Steptoe, 31 Auch sie beginnt mit Versuchen im neunzehnten Jahrhundert, darunter denen von Samuel Schenk, Perone, S. 695. Ebenso heißt es bei Hünlich: »Es ist ein denkwürdiger Zufall, daß das eben erwähnte Erfolgsjahr 1978 wahrscheinlich das hundertste Jubiläumsjahr für die erste In-vitro-Fertilisation eines Säugetiereies ist.«, Hünlich, S. 6. Er schließt: »Dann endlich, 1978 – 306 Jahre nach der ersten Beschreibung des Follikels durch den niederländischen Anatomen Reniers de Graaf, 150 Jahre nach der Entdeckung der Säugetiereizelle durch den Königsberger Zoologen Carl Ernst Ritter von Bär und 100 Jahre nach den ersten In-vitro-Fertilisationsversuchen an Säugetieren – wurde die 1937 gewagte Prognose eines Unbekannten endlich Wirklichkeit, nämlich daß man … auf dem Weg der extrakorporalen Befruchtung ›allerley Krankheit helfen könne‹«, ebd., S. 13. 32 Patrick Steptoe beschreibt eine Vignette am Würzburger Dom, bei der ein Fötus in einem Schlauch unter dem Rock der Jungfrau Maria verschwindet, »truly an illustration of in vitro fertilization of which the Roman Catholic Church does not approve, with one notable exception.« Seine Darstellung ist einem Aufsatz zweier Gynäkologen zum Embryotransfer in der indischen Antike angehängt, Guttman u. Guttmann, S. 515. Forscher begründen sogar ihre Forschungsprogramme zuweilen mit Bibelstellen, welche die Nöte unfruchtbarer Frauen illustrieren, Lunenfeld, S. 87–88. 33 Biggers weicht von diesem Muster ab, als er das eigentliche Interesse von Walter Heape kenntlich macht, nämlich die Frage, ob die Gebärmutter die Eigenschaften der Jungen beeinflusse, Biggers, S. 8, und als er schreibt, dass es Rock, Menkin und später Shettles nicht um Sterilität gegangen sei, sondern um die frühe Embryonalentwicklung, ebd., S. 10. An dieser Stelle hat er allerdings Unrecht, vgl. den Abschnitt IV.5. 34 Serres, S. 17–18. 35 Vgl. dazu neben Serres auch Rheinberger u. Hagner, Experimentalsysteme. 36 Im Folgenden wird nach der deutschen Ausgabe zitiert, Maranto, Designer-Babys.
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und auch sie erweckt den Eindruck, als habe es sich um einen zielgerichteten Forschungsprozess gehandelt. Allerdings beantwortet sie die Frage nach der Zielsetzung dieser Forschungen anders: Zunächst sei es um die rein wissenschaftliche Erforschung der Fortpflanzung gegangen, daraus habe sich aber schnell ein pragmatisches Interesse an der (eugenischen) Verbesserung des Nachwuchses herausgebildet, ein Ziel, zu dessen Erreichung die IVF als eine interessante Technologie erschien. Ihre Entwicklung sei in enger Verbindung zur Tierzucht vonstatten gegangen, auf die sich die Reproduktionsphysiologie immer bezogen habe.37 Letzteres wird in der vorliegenden Studie nachdrücklich unterstützt und im einzelnen herausgearbeitet. Die Annahme aber, es habe sich um eine durchgängige Forschungslinie von 1878 bis 1978 gehandelt, wird umso entschiedener bestritten.38 Um ihre Annahme plausibel zu machen, geht auch Maranto davon aus, dass die jeweiligen Forscher an frühere Arbeiten anschlossen, was sie insbesondere für Pincus behauptet. Erst in den 1930er Jahren, schrieb sie, habe man sich wieder für die Arbeit von Schenk und Onanoff interessiert. 39 Abgesehen von der prinzipiellen Kritik an dieser Art von Erzählung, lässt sich Marantos Einschätzung auch empirisch widerlegen. Die Forschungen in den 1930er Jahren stellten gerade keinen Anschluss an die Versuche von Schenk und Onanoff dar. Erst vier Jahre, nachdem die erfolgreiche In-vitro-Fertilisation menschlicher Eizellen durch Rock und Menkin bekannt gegeben worden war, begab sich Miriam Menkin für eine ausführliche Dokumentation dieser Versuche in die Bibliothek und recherchierte im Nachhinein mögliche Vorläufer. Dabei stieß sie auf die genannten Arbeiten aus dem neunzehnten Jahrhundert. Ähnliche Probleme zeigen sich auch in anderen kritischen Berichten zur Geschichte der IVF. Ludger Weß, ebenfalls Wissenschaftsjournalist, fasste die Forschungen in den 1930er Jahren als zielgerichteten Versuch auf, eugenische Züchtungsideen auf den Menschen zu übertragen und dafür nach technologischen Umsetzungen zu suchen, eine These, die hier kritisiert wird.40 Und für Gena Corea, die einen Klassiker feministischer Geschichtsschreibung zur Reproduktionsmedizin verfasste, bestand das Telos der Forschung in der fortschreitenden Zurichtung des weiblichen Körpers durch eine von Männern bestimmte, ausbeuterische Wissenschaft.41 Alle diese Studien sind durchaus lesenswert, denn sie enthalten wertvolle Detailinformationen. Aber sie verwi37 Ebd., S. 198. 38 Maranto schrieb, als Beginn der Geschichte der IVF könne man »die Arbeit von S. L. Schenk annehmen … die ihren logischen Gipfel genau hundert Jahre später mit der Geburt der Louise Brown, des ersten IVF-Babys, erreichte«, ebd., S. 200. 39 Ebd., S. 204. 40 Weß, S. 49. 41 Corea, vgl. zur Geschichte der IVF besonders S. 101–134. Ähnlich argumentiert auch Eva Fleischer, welche die Konstruktion von Unfruchtbarkeit als medizinisch behandelbare Abweichung untersucht, Fleischer, bes. S. 111–113 u. S. 134–146.
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schen den »eigentlichen« Forschungsprozess (und seine jeweils disparaten Zielstellungen) und kommen so zu unhaltbaren Vereinfachungen. Die Geschichte der medizinischen Behandlung der Unfruchtbarkeit untersuchen Margaret Marsh und Wanda Ronner.42 Die seit den 1950er Jahren stark gestiegene Nachfrage nach Behandlungsmöglichkeiten, so ihre These, sei weder mit epidemischen Vorfällen (die Zahlen unfruchtbarer Paare sind im Gegenteil konstant) noch mit gesteigertem ärztlichen Können zu erklären (jedenfalls, was die 1950er Jahre betrifft), sondern nur mit kulturellen Prozessen. Marsh und Ronner behandeln die IVF insofern sie auf die Behandlung von Unfruchtbarkeit zielte; die historische Skizze beginnt also mit den Versuchen von Rock und Menkin in den 1930er Jahren. Für ihre Untersuchung ist diese Beschränkung plausibel, für die Geschichte der IVF dagegen nicht, weil die Sterilitätstherapie nur eine von mehreren experimentellen Strategien in den 1930er Jahren darstellte. Eine aktuelle Skizze zur Geschichte der IVF, die unter einer ähnlichen Verengung leidet, stammt von Barbara Orland.43 Eine ihrer zentralen Thesen lautet, dass die Reproduktionsmedizin von Beginn an zwei Zielstellungen verfolgte. Den betreffenden Wissenschaftlern sei es immer zugleich um Empfängnisverhütung und um Empfängnisförderung gegangen; diese doppelte Ausrichtung beruhe darauf, dass beide Forschungsstrategien auf einer möglichst genauen Kenntnis der reproduktiven Abläufe basierten, man also auf dasselbe Naturphänomen zugreife. Schon im Zyklus selbst seien beide Richtungen einer Einflussnahme angelegt.44 Orland begründet diese These nicht nur mit heutigen reproduktionsmedizinischen Verfahren, sondern verweist auch auf die Arbeiten von Pincus und Djerassi in den 1950er Jahren, die beide maßgeblichen Anteil an der Entwicklung hormoneller Empfängnisverhütung hatten und zugleich wichtige Impulse für die Entwicklung der IVF als einem Verfahren zur Behandlung der Unfruchtbarkeit lieferten.45 Mit dieser Zurechtlegung der Geschichte sitzt Orland der von ihr in einem früheren Aufsatz überzeugend herausgearbeiteten Legitimierungsstrategie der IVF auf, die darin bestand, eine der möglichen experimentellen und klinischen Anwendungen zu verabsolutieren, nämlich die Behandlung von Unfruchtbarkeit, mit der die Öffentlichkeit am wirkungsvollsten von der Notwendigkeit dieses umstrittenen Verfahrens zu überzeugen war.46 Dagegen wird in dieser Arbeit argumentiert, dass das Verfahren zu jeder Zeit multifunktional war. Wenn Orland schreibt, dass die weiteren Vorzüge 42 43 44 45 46
Marsh u. Ronner. Orland, Werkstatt der Fortpflanzung. Ebd., S. 126, 132. Ebd., S. 131–132. Orland, (Re-) Konstruktionen der Unfruchtbarkeit.
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der IVF Ende der 1970er Jahre zunächst von nachrangigem Interesse gewesen seien und sich ihr experimentelles Potential erst nach und nach gezeigt habe, so lässt sie die notwendige Unterscheidung zwischen den Forschungsinteressen der beteiligten Wissenschaftler und ihren Legitimierungsstrategien gegenüber einer skeptischen Öffentlichkeit fallen. Denn die verschiedenen Implikationen des Verfahrens waren für Reproduktionsmediziner klar. Jean L. Marx beispielsweise schrieb 1973 in Science unter der Überschrift »Embryology – Out of the Womb and into the Test Tube«, die Fortschritte bei der IVF von Eizellen seien signifikant »not just because of their potential application to human reproduction, but also because they permit study of fundamental problems of genetics and development. Furthermore, if applied to the highly practical realm of animal husbandry, they could facilitate the breeding of superior cattle.«47 Marx spricht hier experimentelle Strategien und Anwendungsbereiche an, die weit über den Rahmen der Sterilitätsbehandlung hinausgehen. Die IVF auf ein Verfahren zur Behandlung von Unfruchtbarkeit zu reduzieren hieße, eine der mit ihr verbundenen Optionen zu verabsolutieren.48 Auch für die Entwicklung der Forschungen in den 1930er und 40er Jahren war die Flexibilität des Verfahrens und seine verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten konstituierend. Gerade diese Modulationsfähigkeit, so eine These dieser Arbeit, erlaubte den Transfer von Forschungspraktiken zwischen heterogenen Forschungskontexten, in dessen Verlauf sich die IVF zum stabilen und anschlussfähigen Forschungsobjekt transformierte. Sowohl in den 1930er Jahren als auch während ihrer öffentlichkeitswirksamen Implantierung als Sterilitätstherapie 1978 und erst recht heute stellt sie ein Verfahren dar, das multifunktional ist. Gerade das macht ihre Stärke und hohe Anschlussfähigkeit aus. Diese Multifunktionalität reichte zu jedem Zeitpunkt über die Regulierung weiblicher Fruchtbarkeit hinaus und versprach Anwendungen in der Viehzucht (die »Verbesserung des Erbgutes«), in der Grundlagenforschung und in gentechnologischen und biomedizinischen Verfahren. Darin eingeschlossen – da ist Orland zuzustimmen – war und ist eine umfassende Kontrolle der Reproduktion, auch was Verhütung bzw. Förderung von Empfängnis angeht. Mit ihrer zweiten These stützt sich Orland auf Adele Clarke, die in ihrer Arbeit zur Geschichte der Reproduktionswissenschaften im zwanzigsten Jahr47 Marx, Embryology, S. 811. 48 Barbara Orland scheint hier ambivalent zu sein, denn in ihrem Fazit schreibt sie, dass von Anfang an umfassende Möglichkeiten zur Manipulationen des Lebensbeginns eingeschlossen waren, was einen Teil der Dynamik der letzten 20 Jahre ausmache (worin ihr zuzustimmen ist). Dann aber verengt sie die Möglichkeiten des Verfahrens wieder auf Empfängnisverhütung und -förderung, Orland, Werkstatt der Fortpflanzung, S. 134. Die Stammzellforschung etwa oder die in der Diskussion befindliche Keimbahntherapie haben mit (Un-) Fruchtbarkeit im engeren Sinn nichts zu tun, gehören aber, salopp formuliert, zum »Repertoire« der IVF.
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hundert davon ausgeht, dass Forschungen zur Reproduktion immer bedroht waren von der Illegitimität ihres Gegenstandes.49 Die Forschungen fanden also – so Clarkes These – gegen gesellschaftliche Widerstände statt, wodurch sich erkläre, dass sich die Reproduktionswissenschaften mit einer erheblichen Zeitverzögerung gegenüber den Spezialphysiologien anderer Organsysteme etablierten. Orland spitzt diese These für die IVF zu. Das Besondere der Fortpflanzungsmedizin bestehe darin, dass öffentliche Konflikte Rückwirkungen auf wissenschaftliche Theorien und medizinische Praktiken ausübten und diese sich in engen Grenzen bewegten. Insofern spiegelten Wissen und Praktiken in diesem Bereich den Stand der gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu Fragen der Sexualität, Familie und Fortpflanzung wider, das technisch Mögliche – eben auch im Bereich der IVF – sei nur realisiert worden, wenn es auch gesellschaftlich sanktioniert worden sei.50 Wissenschaftliche Theoriebildung, experimentelle Herangehensweisen und gesellschaftlichen Trends stehen immer in irgendeinem Zusammenhang. Der Akzent liegt hier darauf, dass es sich um ein besonders umkämpftes Terrain handelte, was Adele Clarke mit vielen Quellen, nicht zuletzt mit zahllosen Klagen von Wissenschaftlern, belegt. Für die Versuche von Schenk im neunzehnten Jahrhundert, sofern man überhaupt bereit ist, sie als »Wegbereiter«51 der IVF zu akzeptieren, lässt sich das keineswegs behaupten. Sie blieben zufällige und nicht weiter verfolgte Versuche eines wissenschaftlichen Außenseiters – so das Ergebnis der ersten Fallstudie –, aber nicht etwa wegen ihres Zusammenhangs mit Sexualität. Sie liefen ins Leere, weil sie anstößig waren innerhalb des (noch) vorherrschenden Denkstils der damaligen Embryologie, in deren Horizont Schenks Versuche gehörten (vgl. den Abschnitt II.3). Aber auch für die Entwicklung der Forschungsstrategie in den 1930er Jahren war die Illegitimität dieser Forschungen nicht ausschlaggebend für die Richtung, die sie nahmen. Pincus hatte zwar tatsächlich erhebliche Karriereprobleme. Für den Abbruch seiner Lauf bahn in Harvard war aber in einem Gemenge von Ursachen vor allem ausschlaggebend, dass sich die neue Leitung der Universität gegen ihn, seinen Chef William Crozier, die Allgemeine Physiologie und ihren technokratischen Forschungsstil wandte (vgl. den Abschnitt IV.1). Darüber hinaus zeigen bisher unveröffentlichte Quellen, dass sowohl wichtige Geldgeber als auch einflussreiche Leute in Harvard zwar an einem Stillschweigen über bestimmte Forschungen interessiert waren. Dennoch erlaubten 49 Clarke, Disciplining Reproduction, besonders das Kapitel »Illegitimate Science: Reproducing Controversy«, S. 233–258. 50 Orland, Werkstatt der Fortpflanzung, S. 127. Damit formuliert sie einen hohen argumentativen Anspruch, den sie mit ihrem eher flüchtigen Aufsatz nicht einlöst. 51 Ebd., S. 130.
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sie ihre Durchführung und finanzierten sie! Pincus als ein durch und durch experimenteller Laborwissenschaftler war bei der Verfolgung seiner Forschungsinteressen auffällig unempfindlich gegenüber gesellschaftlichen Konjunkturen, sogar dann, wenn es sich um möglicherweise förderliche Umstände wie das gesellschaftliche Interesse an Eugenik handelte, ein Thema, aus dem er sich in den 1930er Jahren weitgehend heraushielt (vgl. den Abschnitt IV.6). Reproduktionsforscher hatten zwar, das soll nicht bestritten werden, immer wieder Rücksicht zu nehmen auf die öffentliche Meinung und mit Restriktionen zu kämpfen. Daraus aber auf Verzögerungen in der Entwicklung bestimmter Technologien zu schließen, erscheint aus der Perspektive der Geschichte der IVF zumindest fragwürdig. Obwohl ihre These einer verzögerten Entwicklung wenig überzeugt, stellt die umfangreiche Studie zur Geschichte der ›Reproductive Sciences‹, die Adele Clarke unter dem Titel »Disciplining Reproduction« veröffentlichte, eine wichtige Grundlage dieser Arbeit dar.52 Clarke verwendet den Begriff der »Disziplinierung« mehrdeutig: Er bezeichnet die Formierung der Disziplin, die damit einhergehende Kontrolle über Individuen und Gruppen sowie die Bevorzugung bestimmter Forschungsperspektiven.53 In einem engeren Sinne ist damit die Kontrolle über die Reproduktion selbst angesprochen: »Control over the timing, means (›artificial‹ or ›natural‹), and frequency of conception, and especially its prevention, was at the heart of the modernist reproductive project.«54 Zwischen 1910 und 1963, so Clarkes Ergebnis, verschmolzen die auf Reproduktion konzentrierten Bereiche der Biologie, Medizin und Landwirtschaft (Animal Agriculture) zu einer Disziplin, unterstützt durch gesellschaftliche Gruppen wie die Geburtenkontrollbewegung, die Eugenikbewegung oder amerikanische Großstiftungen. Anfang der 1960er Jahre war dieser »Disziplinierungsprozess« vollzogen, einige der wichtigsten Produkte waren entwickelt und verbreitet, die ›Reproductive Sciences‹ weitgehend akzeptiert und als Disziplin erkennbar. Die Sexualhormonforschung Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts und die Entwicklung hormoneller Verhütungsmittel in den 1950er Jahren stellten dabei wichtige Kristallisationspunkte dar. In ihrer »Archäologie« der Sexualhormone zeigt Nelly Oudshoorn, wie die wissenschaftliche Tatsache der Hormone in einem Netzwerk aus Klinik, Laborwissenschaft und pharmazeutischer Industrie entstand und zu einer Neu-Konzeptualisierung des Körpers als eines »hor52 Clarke, Disciplining Reproduction. 53 Mit dem Begriff der Disziplinierung bezieht sich Clarke auf Foucault, Die Geburt der Klinik; ders., Überwachen und Strafen. Zu einer Kritik des Begriffs und seiner Verwendung vgl. Loetz, S. 46–50. 54 Clarke, Disciplining Reproduction, S. 8.
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monalen« Körpers und einer Neuformulierung des Geschlechterverhältnisses führte, wobei die konkreten Herstellungsbedingungen vor allem Wissensansprüche über den weiblichen Körper generierten.55 Die Endokrinologie war entscheidend für die Entwicklung der Reproduktionswissenschaften, weil sie eine »gemeinsame Aktivität« darstellte, an die Wissenschaftler verschiedener Disziplinen anschließen konnten. Hormone spielten zudem eine wichtige Rolle für die hier untersuchten Befruchtungsversuche in den 1930er Jahren (vgl. den Abschnitt IV.4). Adele Clarke arbeitet heraus, wie sich die mit der Fortpflanzung beschäftigten Teile der Biologie, Medizin und Agrarwissenschaften verbanden und sich im Rahmen weiterer sozialer Welten verankerten, die »Märkte« für das hier entstehende Wissen bereitstellten. Während sie beobachtet, wie sich die Reproduktionswissenschaften im Rahmen übergreifender gesellschaftlicher Prozesse formierten, hat die vorliegende Arbeit die Entwicklung einer Technologie zum Gegenstand. Sie versucht zu zeigen, dass und wie die Herausbildung dieser Technologie im Rahmen der von Clarke untersuchten übergeordneten Prozesse erfolgte. Denn genau die von Clarke genannten sozialen Welten spielen die entscheidende Rolle bei der Entwicklung einer Forschungslinie zur Invitro-Fertilisation. In der vorliegenden Arbeit soll gezeigt werden, wie genau diese Forschungslinie als Verknüpfung sozialer Welten einerseits und in einem Wechselspiel von experimentellen Praktiken und sukzessiver Anpassung der Theorie andererseits entstand. Die Arbeit ist also eine Studie im Rahmen des von Clarke aufgespannten Horizonts zu einer Technologie, die zwar nicht in den 1930er Jahren, dafür aber umso mehr seit 1978 strategische Bedeutung für die Reproduktionsmedizin gewann. Die Frage nach den Bedingungen, unter denen sich der Forschungsgegenstand der IVF entwickelte, gehört in den Kontext der Wissenschaftsforschung bzw. Wissenschaftsgeschichte, die sich seit den 1970er Jahren zu einem dynamischen und expandierenden Forschungsgebiet herausgebildet haben.56 Richtete sich das Interesse von Wissenschaftsstudien bis zu diesem Zeitpunkt vor allem 55 Oudshoorn. Das Wechselspiel verschiedener Akteure bei der Erforschung, Herstellung und Vermarktung von Hormonen untersucht auch Christina Ratmoko am Beispiel des Schweizer Pharmaunternehmens Ciba, Ratmoko. Aus kulturgeschichtlicher Perspektive zeigt Heiko Stoff, dass die Erkenntnisse zur »inneren Sekretion« eine biologische Antwort auf das Szenario der kulturellen Degeneration und auf die unsicher gewordene Abgrenzung der Geschlechter zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts darstellten. Er erklärt damit unter anderem die schnelle Durchsetzung des Konzeptes der Hormone, Stoff. 56 Dazu hat sicher die in den 1970ern laut werdende Kritik an den Konsequenzen wissenschaftlich-technischen Fortschritts beigetragen und die zunehmende Bedeutung von Wissenschaft für alle Bereiche der Gesellschaft. Eine umfassende Darstellung zur Geschichte und Ausdifferenzierung dieses Gebietes bieten Felt u. a.
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auf die soziale und institutionelle Organisation von Wissenschaft, die Normen dieses Sozialsystems und die Theorieentwicklung in einzelnen Disziplinen, rückte mit den Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre durchgeführten Laborstudien von Karin Knorr-Cetina, Bruno Latour und anderen der Produktionsprozess wissenschaftlichen Wissens in den Mittelpunkt des Interesses. 57 Das inzwischen zum Allgemeingut der Wissenschaftsforschung gehörende Ergebnis dieser Studien besagt, dass auch naturwissenschaftliche Forschungen durch soziale Aushandlungsprozesse gekennzeichnet sind, die entscheidenden Anteil an der Herstellung wissenschaftlicher Tatsachen haben.58 Dieser sogenannte »Laborkonstruktivismus« leugnet nicht die determinierende Rolle einer unabhängigen Welt, der »Natur«, behauptet aber, dass es zur Natur keinen Zugang außerhalb wissenschaftlicher Erzeugungspraktiken gibt. Auch die Inhalte von Wissenschaft werden nun als Produkte historisch kontingenter Konstruktionsprozesse betrachtet und sind somit einer historischen und soziologischen Untersuchung zugänglich.59 In seinem orientierenden Sammelband zur Wissenschaftsgeschichte rekonstruiert Michael Hagner ihre Entwicklung und plädiert für eine Kulturgeschichte der Wissenschaften, in der die strikte Trennung zwischen den »zwei Kulturen« der Naturwissenschaften und den Geistes- bzw. Kulturwissenschaften überschritten wird. Die Notwendigkeit und Möglichkeit dazu ergebe sich aus dem hybriden Charakter vieler Phänomene, die nur im Rückgriff auf Natur- und Kulturwissenschaften zu erklären seien. Die Wissenschaftsgeschichte könne zur »Akkulturation« der Naturwissenschaften beitragen, indem ihre Geschichte zum selbstverständlichen Bestandteil einer sachverständigen Diskussion werde.60 Eine solche Wissenschaftsgeschichte habe selbst eher experimentellen und explorativen Charakter und benötige Studien, in denen die Verschiebungen, Brüche und Überraschungen des Forschungsprozesses untersucht würden und die danach fragten, »warum bestimmte Zugänge sich durchsetzen und andere verschwinden.« 61 Hagner profiliert die Wissenschaftsgeschichte als eigene, von den Nachbarwissenschaften deutlich unterscheidbare Disziplin. Wissenschaftsgeschichte, -soziologie und -philosophie ließen sich trotz unbestreitbarer Überschneidungen 57 Knorr-Cetina; Latour u. Woolgar. 58 Die pointierte These der Laborstudien lautet: »Es war epistemologisch nichts Außergewöhnliches zu bemerken, keine besondere Rationalität beherrschte das Labor.«, Felt u. a., S. 136. 59 Ebd., S. 139. Das Feld hat sich inzwischen in eine Reihe von Ansätzen diversifiziert, vgl. ebd. S. 114–121, mit Verweis auf Callon. Zum Streit über sozialkonstruktivistische Positionen, die zum »Science War« stilisiert wurden, aber inzwischen pragmatischen Haltungen zum Verhältnis von Realität, Wissen und Handeln Platz machten, vgl. Strübing, Pragmatistische Wissenschaftsund Technikforschung, S. 22–32. 60 Hagner, S. 7–39, bes. S. 30–31. 61 Ebd., S. 26–27.
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nicht zur Deckung bringen, weil unterschiedliche Schwerpunktsetzungen erkennbar seien.62 Die vorliegende Untersuchung überschreitet solche Grenzen, die im übrigen von anderen Wissenschaftsforschern nicht so strikt gezogen werden. Felt, Nowotny und Taschwer schreiben, dass ein interdisziplinärer Zugang für die Wissenschaftsforschung geradezu charakteristisch sei und sich aus der Notwendigkeit ergebe, Forschungen über komplexe Wechselbeziehungen innerhalb der Wissenschaft und im Rahmen größerer gesellschaftlicher Entwicklungen auf eine breite, sozialwissenschaftlich fundierte Basis zu stellen.63 Besonders zwischen der Wissenschaftsgeschichte und der Wissenschaftssoziologie seien die Grenzen durchlässig: Die Wissenschaftssoziologie öffne sich für eine historisch ausgerichtete Betrachtungsweise und in der Wissenschaftsgeschichte seien soziologische und kulturwissenschaftliche Perspektiven aufzufinden.64 So gehen wichtige historische Untersuchungen zur Reproduktionsmedizin und Biotechnologie auf Soziologinnen wie Adele Clarke, Joan Fujimura und Susan Leigh Star zurück, deren Modelle aus dem Horizont des Symbolischen Interaktionismus und damit aus der Arbeits- und Organisationssoziologie stammen.65 Die theoretische Diskussion dieser Konzepte und ihre Zurechtlegung für die Anforderungen dieser Arbeit erfolgt im Theoriekapitel und soll hier nicht vorweggenommen werden. Aber sowohl auf der Ebene der Theorie als auch bezogen auf das empirische Feld, das diese Arbeit mit den genannten Untersuchungen gemeinsam hat, liegt es nahe, mit diesen Konzepten zu arbeiten. Die Wissenschaftsgeschichte übertritt nicht nur die Grenze zu Nachbardisziplinen, welche ebenfalls die Wissenschaft zum Gegenstand ihrer Analyse machen, sondern auch die zwischen Geistes- und Naturwissenschaften. Philipp Sarasin und Jakob Tanner argumentieren in ihrem Band zur Geschichte der Physiologie im neunzehnten Jahrhundert, dass Sozialhistorikern zwar die formale, fachspezifische Kompetenz fehle, wenn sie sich den Naturwissenschaften zuwendeten. Andererseits sei aber die Physiologie im Kontext der Industriellen Revolution entstanden und habe sich in Wechselwirkung mit sozioökonomischen Bedingungen, gesellschaftlichen Interessen und kulturellen Deutungsmustern entwickelt. Dieser Verwissenschaftlichungsprozess, in den auch die Geschichte der IVF gehört, hatte selbst wiederum nachhaltige Rückwir62 Ebd., S. 21. 63 Felt u. a., S. 19. 64 Ebd. 65 Clarke, Disciplining Reproduction; dies. u. Fujimura; Fujimura, The Molecular Biological Bandwagon; dies., Crafting Science; Star u. Griesemer. Für eine theoretische Rekonstruktion und die Bewertung des Symbolischen Interaktionismus für die Wissenschafts- und Technikforschung vgl. Strübing, Symbolischer Interaktionismus Revisited; ders., Pragmatistische Wissenschafts- und Technikforschung.
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kungen auf die Gesellschaft. Die Untersuchung von sozialen Ursachen und Auswirkungen wissenschaftlicher Entwicklungen müsse deshalb als genuine Aufgabe der Kultur- und Sozialwissenschaften verstanden werden.66 In einem jüngeren Aufsatz beobachtet Jakob Tanner die moderne Humanmedizin mit Hilfe der Unterscheidung von artifiziellen Körpern und lebendiger Technik. Er stellt dabei zwei Strategien fest: Die eine richtet sich auf den Einbau artifizieller Körper (etwa Prothesen), die andere auf den Einsatz lebendiger Technik. Damit sind beispielsweise Forschungen zu Xenotransplantationen oder Stammzellen gemeint, in denen lebendige Einheiten als Technik instrumentalisiert werden. In den Kognitionswissenschaften finden sich analoge Strategien, wenn etwa mit der Computermetapher die materielle Basis des menschlichen Verstandes umschrieben wird, also etwas Künstliches dem Lebendigen angenähert wird, oder wenn die technische Dechiffrierung der natürlichen Intelligenz mit der Metapher des Gehirns erfolgt. Damit ist dieselbe Doppelperspektive wie in der Humanmedizin angesprochen, »die Manipulation des Menschen entweder von der lebenskompatiblen Perfektionierung der Technik oder – alternativ dazu – von der psychotechnischen Kontrolle des Lebens her zu denken.«67 Zugrunde liegt hier jeweils die Unterscheidung von Natur und Kultur, die selbst eine kulturelle Leistung und daher historisch veränderlich ist. In der Beobachtung dieser Grenzziehung sieht Tanner eine wichtige Aufgabe für die Wissenschafts- und Technikgeschichte: »Sie kann aufzeigen, dass Menschen schon immer irritiert waren über die Instabilität dieser Grenzziehung, dass es zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche diskursive Dispositive gab, die es ermöglichten, den Wirkungsraum der Natur von jenem der Kultur zu trennen und diese Basisbinarität modernen Reflektierens mit spezifischen Wahrheitseffekten auszustatten.« 68
In dieser Perspektive lasse sich zeigen, »wie instabil, unzuverlässig und angefochten die Natur-Kultur-Grenze im Verlauf ihrer langen Geschichte war.«69 Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen lassen sich die Fragestellungen dieser Arbeit präzisieren: Wie bewegten sich Forschungen in verschiedenen disziplinären Feldern aufeinander zu und verbanden sich in einer Weise, dass man schließlich von einem stabilen Forschungsgegenstand der IVF sprechen kann? Welche Verschiebungen, Brüche und »Überraschungen« kennzeichnen diesen Prozess? Wie problematisieren die Texte zu den Befruchtungsversuchen das Verhältnis von natürlich und künstlich und richten es so aus, dass »Blockaden« überwunden und neue experimentelle Spielräume geschaffen wurden? 66 67 68 69
Sarasin u. Tanner, S. 9–10. Tanner, S. 52. Ebd., S. 54. Ebd.
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Die Wissenschaftsforschung der letzten Jahrzehnte betont eher die Diskontinuität von Forschungsprozessen und setzt damit auf Differenz statt auf Einheit. Sie analysiert die Brüche in Forschungsprozessen etwa mit dem Konzept des Experimentalsystems von Hans-Jörg Rheinberger, der entschieden vertritt, dass Experimentalsysteme »ihre eigene Zeit« haben, also nur außerhalb von Kontinuitätsvorstellungen sinnvoll zu untersuchen sind.70 Bezogen auf die Geschichte der IVF befriedigt das nicht ganz, zumal die hier untersuchten Experimente in verschiedenen Experimentalsystemen durchgeführt wurden. Die Frage stellt sich, ab wann sich diese disparaten Forschungen so ausrichten, dass man von einem gemeinsamen Gegenstand, einer einheitlichen Theorie und einem ähnlichen experimentellen Design sprechen kann. Um diesen Zeitpunkt zu erfassen, wird der Begriff der Forschungslinie verwendet. Er steht zunächst einmal im Widerspruch zur theoretischen Bevorzugung der Beobachtung von diskontinuierlichen Forschungsprozessen. Daher stellt sich in dieser Arbeit auch die Frage, wie dieser Widerspruch zwischen Differenz und Einheit aufgelöst werden kann: Unter welchen Umständen, ab wann und nach welchen Kriterien lässt sich bezogen auf die Entwicklung zur IVF sinnvoll von einer verschiedene Labors übergreifenden Forschungslinie sprechen? Diese Frage wird am Schluss, also vor dem Hintergrund des empirischen Materials diskutiert. Der theoretische Rahmen der Arbeit wird ausführlich im Theoriekapitel erläutert. Kurz gesagt trägt die Arbeit ein Gerüst, dessen Basis die Wissenschaftstheorie von Ludwik Fleck und seine Überlegungen zum Denkstil und Denkkollektiv bilden.71 Daran angeschlossen werden das Konzept der Experimentalsysteme von Hans-Jörg Rheinberger und Michael Hagner sowie wissenschaftssoziologische Modelle, die aus dem Symbolischen Interaktionismus stammen.72 Die Verzahnung dieser Konzepte geschieht aus theoretischen Überlegungen, ist aber auch in der spezifischen Quellenlage begründet. So lässt sich das Konzept der Experimentalsysteme für die Untersuchung der Befruchtungsversuche im neunzehnten Jahrhundert nur eingeschränkt verwenden, weil die Quellen nicht erlauben, die Experimente »bis in ihre feinen Verästelungen« hinein nachzuvollziehen. Dafür bedarf es Quellen, die über die publizierten Arbeiten hinausgehen, wie Labortagebücher, Briefe, Forschungsanträge und -berichte, Interviews usw.73 Die Untersuchung zu den Versuchen 70 Rheinberger, Experimentalsysteme und epistemische Dinge. Rheinberger widmet der Kritik an linearen Vorstellungen wissenschaftlicher Entwicklung ein eigenes Kapitel, ebd., S. 193– 204. 71 Fleck. 72 Rheinberger u. Hagner, Experimentalsysteme; Rheinberger u. Hagner, Plädoyer. Einen Überblick zu symbolisch-interaktionistischen Konzepten verschafft Strübing, Pragmatistische Wissenschafts- und Technikforschung. 73 Rheinberger u. Hagner, Plädoyer, S. 14.
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im neunzehnten Jahrhundert ist aber im wesentlichen auf publizierte Quellen, also wissenschaftliche Veröffentlichungen und wenig flankierendes Aktenmaterial beschränkt. Für die 1930er Jahre existiert dagegen umfangreiches und sehr heterogenes Quellenmaterial aus Briefen, Forschungsanträgen und -berichten, Presseveröffentlichungen, Erinnerungen, Interviews, Experimentbüchern und wissenschaftlichen Aufsätzen. Die detaillierte Darstellung der Quellen geschieht im folgenden Kapitel. Für die 1930er Jahre ist es jedenfalls möglich, die Entwicklung der Experimente zu untersuchen und zu beobachten, wie sich ein Transfer von Wissensbeständen zwischen verschiedenen Labors und einer Klinik und somit über disziplinäre Grenzen hinweg vollzog, ein Vorgang, aus dem heraus sich die IVF als Forschungsgegenstand entwickelte. Die Arbeit besteht aus zwei Fallstudien, von denen diejenige zu den Versuchen in den 1930er und 1940er Jahren den Schwerpunkt bildet. Denn seit den 1950er Jahren, wird hier argumentiert, ist die IVF als Forschungsgegenstand erkennbar, der in verschiedenen Labors verfolgt wird.74 Die einzige kritische Revision der Versuche aus der Sicht eines Reproduktionsmediziners vertritt bezeichnenderweise die These, dass erst ab den 1950er Jahren im engeren Sinne von IVF-Versuchen gesprochen werden kann.75 Die Arbeit fokussiert auf die Forschungsarbeiten von Samuel Schenk und Gregory Pincus. Dabei werden biographische Informationen vorangestellt, weil sie Aussagen über soziale Rahmenbedingungen des jeweiligen Forschungsprozesses zulassen. Diese Dimension, die lange als Bestandteil der »heroischen« Wissenschaftsgeschichte gemieden wurde, ist Michael Hagner zufolge in letzter Zeit wieder in den Vordergrund gerückt.76 Die Orientierung an einzelnen Forschern geschieht nicht, um quasi durch die Hintertür eine Genealogie der Forschung zur IVF seit dem neunzehnten Jahrhundert wieder herzustellen. Im Gegenteil, Schenk und Pincus werden als »Tracer« benutzt, als eine Art Kontrastmittel, mit dem sich die Versuche zur extrakorporalen Befruchtung verfolgen lassen durch das vielfältige und komplexe Netz der Wissenschaften, ein Netz »von Wegen, Straßen, Bahnen, Spuren, die sich verflechten, verdichten, kreuzen, verknoten, überlagern, oft mehrfach verzweigen.«77 Schenk und Pincus liefern die Spur, mit der die von Verschiebungen und Brüchen geprägte Entwicklung zur IVF verfolgt werden kann. Die Fallstudie zu den Versuchen im neunzehnten Jahrhundert dient dazu, die erfolgreiche Herausbildung der Forschungsstrategie in den 1930er Jahren 74 75 76 77
Biggers, S. 11–12; Orland, Werkstatt der Fortpflanzung, S. 133. Thibault, In Vitro Fertilization. Hagner, S. 22. Serres, S. 18.
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zu kontrastieren. Die Versuche von Samuel Schenk im Jahr 1878 bieten sich als Gegenstand an, weil sie gemäß der historiographischen Tradition der Reproduktionsmedizin als Pionierarbeit gewertet werden, weil sie relativ gut dokumentiert sind und sich der Kontext der Versuche recht gut erschließen lässt (im Gegensatz zu den erwähnten Versuchen von Onanoff ). Hinzu kommt, dass es sich tatsächlich um Versuche zur extrakorporalen Befruchtung von Säugetier-Eizellen handelte, die sich Schenk zufolge bis ins 2Zellen-Stadium entwickelten. In dieser Hinsicht kann man sie also als der IVF vorangegangene Versuche bewerten. Allerdings lässt sich an ihnen zugleich die Hypothese widerlegen, dass es eine kontinuierliche Forschungslinie zur IVF seit dem neunzehnten Jahrhundert gegeben habe. Denn Schenks Versuche zielten nicht auf die Zeugung eines vollwertigen Organismus außerhalb des Körpers, sondern waren ausschließlich auf die Beobachtung der ersten Phasen der Embryonalentwicklung ausgerichtet, ein Ziel, das mit dem Denkstil der »genauen Beobachtung« und »naturgetreuen Abbildung« der damaligen Embryologie übereinstimmte. Zugleich gerieten die Versuche wegen ihres experimentellen Charakters in Widerspruch zu diesem Denkstil. Diese Spannung und die Tatsache, dass Schenk sich in seinen Forschungsinteressen am morphologischen Denkstil der Embryologie orientierte, waren entscheidend dafür, dass seine Versuche keine größere Resonanz erzielten. Man kann also zeigen, warum sich eine Forschungslinie aus diesen Versuchen gerade nicht entwickelte. Zugleich, und das ist das letzte Argument, warum eine Beschäftigung mit ihnen lohnt, lassen sich aus ihrer Perspektive wichtige Vorbedingungen für die Versuche in den 1930ern aufzeigen. Das gilt einerseits für die Entwicklung der künstlichen Befruchtung in der Gynäkologie (auf die der Autor in der Wiener Medizinischen Presse von 1870 anspielte) und andererseits für Veränderungen des Denkstils in der Embryologie hin zur experimentell orientierten Entwicklungsphysiologie. In ihrem Horizont verschob sich die vormals zur Ausgrenzung dienende Unterscheidung zwischen natürlichen (beobachtenden) und künstlichen (experimentellen) Verfahren zur Unterscheidung von in vivo und in vitro. Damit wurden experimentelle Verfahren in den Horizont der Disziplin eingebunden, darunter die extrakorporale, also in vitro Befruchtung. In der zweiten Fallstudie werden zunächst diejenigen Experimente der 1930er Jahre rekonstruiert, die angeblich den Ausgangspunkt für die Forschungen zur IVF bildeten, nämlich Versuche in der School of Agriculture in Cambridge, England. Die in vitro Fertilisation von Säugetier-Eizellen ergab sich hier als experimentelle Möglichkeit, die weder von den englischen Forschern noch von Pincus vorhergesehen oder geplant wurde. Sie entstand aus einer Verknüpfung der Arbeit des Labors in Cambridge, welches Anwendungsforschung für die Landwirtschaft betrieb, mit den Forschungsinteressen von Pincus, die er aus der Physiologie in Harvard mitbrachte. 27 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35159-9
Diese Versuche waren weder intendiert noch wurden sie, im Gegensatz zur landläufigen Darstellung dieser Geschichte, mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Sie stellten vielmehr eine Kontrollbedingung für Versuche zur parthenogenetischen Entwicklung von Säugetier-Eizellen dar, um die es Pincus vor allem ging. Im Laufe der 1930er Jahre beschäftigte er sich weiter mit Befruchtungsversuchen, und zwar unter Einschluss der in dieser Zeit expandierenden Forschung zu Sexualhormonen. Das veränderte den Status der Versuche zur extrakorporalen Befruchtung, sie wurden zur Versuchsbedingung und damit zum Gegenstand der Forschung. Zugleich verschob sich der Diskurs über die natürliche und künstliche Befruchtung. Den Bezugspunkt der Experimente bildete nicht mehr die natürliche, sondern die normale Befruchtung, die nun prinzipiell auch mit dem Verfahren der in vitro Fertilisation erreicht werden konnte, sofern die Forscher nachwiesen, dass die dadurch ausgelösten Entwicklungen denen einer Befruchtung innerhalb des Körpers entsprachen. Vom physiologischen Labor der Harvard Universität schließlich bewegten sich die Versuche ein weiteres Mal. Man kann hier von einer zweifachen Verschiebung sprechen: Die Befruchtungsversuche wurden in die Klinik verlegt und zugleich wandten sich die Ärzte dort einem anderen Versuchsobjekt zu, indem sie nun zum ersten Mal in größerem Umfang Versuche mit menschlichen Eizellen durchführten. Im Rahmen einer gegenseitigen Anpassung des experimentellen Verfahrens und der Klinikroutine entwickelte sich die Technik weiter, so dass die IVF gegen Ende der 1940er Jahre zwar noch kein stabilisiertes, reproduzierbares Verfahren darstellte, was Versuche mit menschlichen Eizellen anging. Aber verschiedene Labors betrieben sie, um, auch kurzfristig, eine Anwendung in der Viehzucht zu erreichen. In einem abschließenden Abschnitt wird der Frage nachgegangen, welchen Einfluss gesellschaftliche Bewegungen wie die Geburtenkontrollbewegung und die Eugenikbewegung auf die Herausbildung dieser Forschungsstrategie hatten. Eugenische Diskussionen zur Manipulation der Fortpflanzung – an denen sich Pincus in den 1930er Jahren kaum beteiligte – gründeten sich auf die Trennung von Sexualität und Fortpflanzung, auf der auch schon die künstliche Befruchtung des neunzehnten Jahrhunderts basierte. Spöttisch schrieb der eingangs zitierte Autor der Wiener Medizinischen Presse: »Mit der weitern Vervollkommnung dieser Industrie wird aber die Welt auch wesentlich tugendhafter werden, denn – hört! hört! der Mensch wird ohne die Makel der Erbsünde erzeugt und geboren werden, weil das Weib fortan empfangen wird ohne zu sündigen, obgleich nach der Ansicht mancher Pessimisten die Mehrzahl vorziehen würde, zu sündigen, ohne zu empfangen.«78
78 An., Konsequenzen der künstlichen Befruchtung, S. 450.
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Die vorliegende Studie erzählt also eine Geschichte desjenigen Verfahrens, das diese Trennung vielleicht am radikalsten vollzog, das – als es erst einmal da war – vielfältige, darunter auch eugenische Implikationen sowie umfangreiche technische Anschlussmöglichkeiten beinhaltete und das die Grenze zwischen natürlich und künstlich – auf die menschliche Fortpflanzung bezogen – nachhaltig verschob. Zugleich versucht sie die Frage zu beantworten, ob und ab wann man in der Geschichte der In-vitro-Fertilisation von einer Forschungslinie sprechen kann, auch wenn man auf der Diskontinuität von Forschungsprozessen beharrt.
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I. Theorie und Methode der Untersuchung
Die an der Entwicklung einer Forschungslinie zur In-vitro-Fertilisation menschlicher Eizellen beteiligten Wissenschaftler formulierten die IVF nicht als strategisches Ziel. Vielmehr bewegten sich die entsprechenden Versuche fast zufällig durch verschiedene Kontexte mit unterschiedlichen Handlungsperspektiven, wobei die Forscher aus den jeweiligen lokalen Umständen heraus entschieden, in welche Richtung sie die Entwicklung vorantrieben. Zu den aussichtsreichsten Varianten gehörte nicht die Anwendung der IVF als Behandlungsmethode weiblicher Unfruchtbarkeit, obwohl auch sie bereits 1937 ins Auge gefasst wurde, sondern die Entwicklung dieser Labortechnik im Rahmen landwirtschaftlicher Anwendungs- und physiologischer Grundlagenforschung. Die gegenwärtige Wissenschaftsforschung fasst Wissenschaft als sozialen Prozess der Erkenntnisgewinnung und -stabilisierung auf.1 Vor diesem Hintergrund werden Befruchtungsversuche untersucht, in deren Verlauf die extrakorporale Befruchtung von Säugetier-Eizellen das erste Mal als experimentelle Variante auftauchte. Vor allem geht es um die Bedingungen, unter denen sie sich von einer zufällig entstandenen Möglichkeit zu einer gezielt untersuchten experimentellen Versuchsbedingung wandelte und so zum stabilen Forschungsgegenstand wurde. Im Widerspruch zu einer linear konstruierten Fortschrittsgeschichte der Wissenschaften, wie sie sich auch für die Geschichte der IVF findet, handelte es sich dabei nicht um eine zielbewusst betriebene Entwicklung.2 Die IVF als experimentelle Möglichkeit ergab sich vielmehr vor dem Hintergrund von Brüchen, Zufällen und Spielräumen, die in der Zusammenarbeit von Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen entstanden. Sie wurde gedanklich nicht vorweggenommen und ihre Implikationen waren nicht unmittelbar klar. Zur theoretischen Erfassung dieser Entwicklung ist die Wissenschaftstheorie von Ludwik Fleck besonders anschlussfähig.3 Fleck rekonstruierte die Forschungen zu einem Diagnoseverfahren für die Syphilis, das in einem suchenden, aus Irrtümern bestehenden und von falschen Voraussetzungen ausgehenden Prozess entstand. Es bedurfte einer kollektiven, gesellschaftlichen Stimmung, einer Verknotung von alten und neuen Wissensanteilen und der 1 Felt u. a., S. 114–117. 2 Zum Forschungsüberblick vgl. die Einleitung, bes. die Anm. 30 bis 32. 3 Fleck. Zur Rezeptionsgeschichte vgl. Schäfer u. Schnelle.
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kollektiven Erfahrung der beteiligten Wissenschaftler, um das zu produzieren, was am Ende als wissenschaftliche Tatsache galt. Im Nachhinein wurde dieser Prozess durch die beteiligten Forscher so »rationalisiert«, dass sein Ergebnis als Folge von zielbewusstem Forschungshandeln erschien.4 Diesen Fall nahm Fleck zum Ausgangspunkt für wissenschaftstheoretische Überlegungen. Die Herstellung einer wissenschaftlichen Tatsache ist für Fleck eine »geschichtlich einmalig mögliche Verknotung von Ideengängen«, die aneinander stoßen und einen fixen Punkt schaffen, der wiederum selbst zum Ausgangspunkt neuer Linien werde, ein »Netzwerk in fortwährender Fluktuation«.5 Diese Perspektive soll für die Forschungen in den 1870er und 1930er Jahren fruchtbar gemacht werden, in denen ein solches »Netzwerk« und der darin fließende Transfer von Wissen und Praktiken beobachtet werden kann. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob und wann man trotz dieser Vorstellung eines fluktuierenden Netzwerkes von einer Forschungslinie der IVF sprechen kann. Im Anschluss an zwei »Aktualisierungen« der Theorie von Fleck wird daher nach einem theoretischen Ausgangspunkt für das Problem der »Forschungslinie« im Kontext diskontinuierlicher Forschungsprozesse gesucht.
1. Denkkollektiv und Denkstil Die Wissenschaftstheorie von Ludwik Fleck richtet das Augenmerk auf die sozialen und historischen Bedingungen der Erkenntnisproduktion und die alltägliche Praxis ihrer Erzeugung. In den letzten Jahren beruft sich die Wissenschaftsforschung stärker auf ihn als auf Thomas Kuhn, der Ideen von Fleck aufnahm und zu einem Modell wissenschaftlicher Paradigmen weiterentwickelte, die sich in wissenschaftlichen Revolutionen ablösen.6 Michael Hagner weist darauf hin, dass wissenschaftshistorische Studien die scharfe Trennung zwischen langen Phasen verhältnismäßiger Unbeweglichkeit und solchen, in denen umwälzende Ereignisse stattfinden, zunehmend aufweichten. Die Untersuchung müsse nicht mit Paradigmen, sondern mit lokalen Konstellationen, nicht mit theoretischen Großentwürfen, sondern mit praktischen Ereignissen beginnen.7 Im Gegensatz zu Kuhn kommt Fleck ohne spektakuläre Revolutionen in der Wissenschaftsgeschichte aus. Außerdem betont er die Rolle des sozialen Kollektivs bei der wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung und arbeitet 4 5 6 7
Fleck, S. 101. Ebd., S. 105. Kuhn. Hagner, S. 20.
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die Beziehung zwischen wissenschaftlichen Tatsachen und gesellschaftlichen Faktoren heraus.8 Die zentralen Begriffe bei Fleck sind die des »Denkkollektivs« und des »Denkstiles«. Unter »Denkkollektiv« versteht Fleck eine Gemeinschaft von Menschen in gedanklicher Wechselwirkung; sie seien der »Träger geschichtlicher Entwicklung eines Denkgebietes, eines bestimmten Wissensbestandes und Kulturstandes, also eines besonderen Denkstiles.«9 Jede wissenschaftliche Arbeit fasst er als Kollektivarbeit auf, weil alle Motive der Ideenerzeugung aus Kollektivvorstellungen stammten und weil auch die Etappen der Herstellung einer wissenschaftlichen Tatsache das Ergebnis kollektiver Arbeit seien. Diesen Gedanken konkretisiert er, indem er verschiedene Sphären des Wissens unterscheidet, und zwar das populäre Wissen vom Fachwissen, welches sich wiederum in Lehrbuchwissen, Zeitschriftenwissen und Handbuchwissen unterteile.10 Die wissenschaftliche Tatsache kristallisiere sich im Übergang vom Zeitschriftenwissen zum Handbuchwissen heraus. Das Zeitschriftenwissen werde vom esoterischen Kreis eines Denkkollektivs produziert und enthalte die »Anlage von Tatsachen« in einer vorläufigen Form. Die Probleme seien durch ihre Fragmentarität gekennzeichnet, die Materialauswahl durch ihre Zufälligkeit. Durch »intrakollektive Gedankenwanderung« gelangt dieses Wissen ins Handbuch und erhält damit den Status einer wissenschaftlichen Tatsache. Dabei werden einzelne Ergebnisse an bestehendes Wissen angepasst und Begriffe und Problemstellungen so verändert, dass sie nicht mehr mit der ursprünglichen Idee übereinstimmten. Das Denkkollektiv und nicht das Individuum sei der Schöpfer der neuen Idee.11 Unter »Denkstil« versteht Fleck ein epochenspezifisches Muster an Vorstellungen und Deutungen, ein »Meinungssystem« mit erheblichen Beharrungsund Ausschlussmechanismen gegenüber Widersprechendem.12 Der Denkstil bestimme, was in der Wissenschaft gesehen bzw. übersehen wird, was als »wahr« bzw. »undenkbar« gilt. Die wissenschaftliche Tatsache sei eine »denkstilgemäße Begriffsrelation«, ihre Abhängigkeit vom Denkstil evident.13 Diese Überlegungen dehnt Fleck ausdrücklich auf die Naturwissenschaften aus: 8 Zur Bedeutung der Theorie für die Wissenschafts- und Technikforschung vgl. Felt u. a., S. 127–128. Die Aktualität von Flecks theoretischen (und wissenschaftspolitischen) Auffassungen hat neuerdings Cornelius Borck herausgearbeitet, Borck. 9 Fleck, S. 54–55. Der Begriff des »Denkkollektivs« sei eher funktional als substantiell aufzufassen, schreibt Fleck, ähnlich dem Kraftfeldbegriff der Physik, ebd., S. 135. 10 Ebd., S. 146–164. 11 Ebd., S. 162–163. 12 Ebd., S. 40–41. In dieser Formulierung wird die Verwandtschaft des Denkstils mit dem Diskurs im Sinne Foucaults deutlich. In der »Ordnung des Diskurses« beschreibt Foucault den Diskurs aus der Perspektive seiner Restriktionen, der ihm innewohnenden Grenzen und Einschränkungen, Foucault, Die Ordnung des Diskurses. 13 Fleck, S. 85.
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»In der Naturwissenschaft gibt es gleichwie in der Kunst und im Leben keine andere Naturtreue als Kulturtreue.«14 Denn, so argumentiert er, eine Aussage vom Charakter »jemand erkennt etwas« sei ebenso wenig vollständig wie die Aussage »A liegt links von B«, wenn nicht die Position des Beobachters mitgeteilt werde. Vollständig müsse es also heißen: Jemand erkennt etwas »›auf Grund des bestimmten Erkenntnisbestandes‹ oder besser ›als Mitglied eines bestimmten Kulturmilieus‹ oder am besten ›in einem bestimmten Denkstil, in einem bestimmten Denkkollektiv‹.«15 Um die Struktur wissenschaftlicher Aussagen, ihre soziale Gebundenheit und Beobachterabhängigkeit deutlich zu machen, führt Fleck die Begriffe »aktive« und »passive Koppelung« ein. Die aktive Koppelung sei frei, historisch und kontingent, sozusagen der soziale Anteil des Wissens. In seinem Beispiel der Entwicklung des Syphilis-Begriffs sei darunter die Vereinigung aller venerischen Krankheiten als »Lustseuchen« zu verstehen, die keineswegs selbstverständlich war. Vor dem Hintergrund solcher aktiver Koppelungen ergeben sich passive, zwangsläufige Koppelungen, beispielsweise die Feststellung, dass der Quecksilberheileffekt nur bei einem Teil dieser »Lustseuchen« auftrat.16 Diese zwangsläufigen Ergebnisse seien das, was als real, als objektive Tatsache empfunden werde. Im Akt des Feststellens der passiven Koppelungen bestehe der Anteil des Individuums an der Wissensproduktion.17 Gegen einen privilegierten Zugang der Naturwissenschaften zur Erkenntnis argumentiert Fleck: »Versucht man in concreto das sogenannte Subjektive vom sogenannten Objektiven kritisch abzusondern, so findet man immer und immer wieder die oben erwähnten aktiven und passiven Koppelungen innerhalb des Wissens. Kein einziger Satz ist aus nur passiven Koppelungen aufzubauen, immer ist Aktives, oder wie man es unzweckmäßig nennt, Subjektives anwesend.«18
Fleck grenzt sich gegen »soziologisch gebildete Denker« der Durkheim Schule einerseits und gegen den Wiener Kreis andererseits ab, die nach seiner Auffassung entweder die empirische Tatsache oder das menschliche Denken als fixen Bezugspunkt setzten.19 Im Gegensatz dazu geht Fleck davon aus, dass sowohl das Denken als auch die vermeintlichen Tatsachen beweglich gedacht werden müssen. Das Wissen ruhe »eben auf keinem Fundamente; das Getrie14 Ebd., S. 48. 15 Ebd., S. 54. 16 Ebd., S. 16. 17 Ebd., S. 56. 18 Ebd., S. 68. Eine passive Koppelung könne allerdings in einem anderen Kontext den Status einer aktiven Koppelung einnehmen, schreibt Fleck. 19 Ebd., S. 62–69. Die erkenntnistheoretischen Debatten, in deren Kontext Fleck seine Theorie entwickelte, rekonstruiert Borck.
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be der Ideen und Wahrheiten erhält sich nur durch fortwährende Bewegung und Wechselwirkung.«20 Erst in dieser Perspektive werde eine vergleichende Erkenntnistheorie und damit eine historische Perspektive auf die Entwicklung von Wissenschaft möglich. Gerade wegen dieser dezidiert historischen Perspektive auf die Herstellung wissenschaftlicher Tatsachen ist Fleck für diese Arbeit interessant.21 Mit Blick auf aktuelle Diskussionen in der Wissenschaftsforschung ergibt sich allerdings in zweierlei Hinsicht die Notwendigkeit, die theoretischen Überlegungen Flecks zu konkretisieren. Cornelius Borck weist darauf hin, dass Flecks Nachdruck auf das Denkkollektiv das Risiko berge, die materielle Seite des Forschungsprozesses zu vernachlässigen, die Fleck im Begriff des »Widerstandsaviso« nur andeutet. 22 Die Theorie müsse erweitert werden durch ein Verständnis des Zusammenspiels von Instrumenten, Technologie, Theorie und Denkstil im Prozess des Experimentierens. Dabei handelt es sich um eines der zentralen und für diese Arbeit relevanten Felder gegenwärtiger Wissenschafts- und Technikforschung.23 Denn der Transfer der Befruchtungsversuche in die Klinik kann als Beispiel für einen komplexen Anpassungsprozess interpretiert werden, in dem das Versuchsobjekt (die menschliche Eizelle), das Verfahren seiner Gewinnung, die dabei eingesetzten Technologien, sowie die theoretische Zurechtlegung und Legitimierung aufeinander eingestellt werden mussten. Zum zweiten deutet Fleck den Prozess der Konstruktion wissenschaftlicher Tatsachen als Übergang vom Zeitschriften- zum Handbuchwissen nur vage an. Die zur Stabilisierung einer wissenschaftlichen Tatsache nötigen Aushandlungsprozesse sowie die Übersetzung von Arbeitsinhalten zwischen verschiedenen Denkkollektiven finden sich zwar in seinen Überlegungen zum interkollektiven Gedankenverkehr.24 Sie sind aber für die Zwecke dieser Arbeit nicht genügend operationalisierbar. Für die Entwicklung der Forschungslinie zur IVF scheint die Verschiebung der Befruchtungsversuche zwischen verschiedenen Forscherkollektiven von großer Bedeutung zu sein. Auch hier handelt es sich um ein Feld intensiver Forschung in der gegenwärtigen Wissenschafts- und Technikforschung, so dass anschlussfähige theoretische Konzepte vorliegen.25
20 Fleck, S. 70. 21 Karin Knorr-Cetina etwa interessiert sich kaum für eine historische Perspektive, KnorrCetina. 22 Borck, S. 456–457, der sich auf Fleck, S. 124, 132–135, 163 bezieht. 23 Strübing, Von ungleichen Schwestern, S. 66–69. 24 Fleck, S. 143–144. 25 Strübing, Von ungleichen Schwestern, S. 71–73.
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2. Experimentalsysteme Für die Analyse des experimentellen Geschehens bietet sich das Konzept des Experimentalsystems an. Der Begriff stammt aus der Praxis biowissenschaftlicher Forschungen und bezeichnet die kleinsten Arbeitseinheiten, in denen sich Forschung vollzieht: In Experimentalsystemen, schreibt Hans-Jörg Rheinberger, »sind Wissensobjekte und die technischen Bedingungen ihrer Hervorbringung unauflösbar miteinander verknüpft. Sie sind zugleich lokale, individuelle, soziale, institutionelle, technische, instrumentelle und, vor allem, epistemische Einheiten.«26 Anders ausgedrückt handelt es sich um funktionelle und bewegliche Einheiten, in denen sich Forschungsobjekt, Theorie, Experimentalanordnung, Instrumente und die disziplinäre, institutionelle und soziale Einbindung eines bestimmten Forschungsprozesses bündeln.27 In Experimentalsystemen greifen zwei verschiedene, aber nicht voneinander trennbare Strukturen ineinander. Dabei handelt es sich einerseits um den Gegenstand der Forschung, das »Wissensobjekt« oder, wie Rheinberger es ausdrückt, das epistemische Ding, dessen begriffliche Unbestimmtheit geradezu charakteristisch ist und eine wichtige Funktion im Forschungsprozess einnimmt. Ilana Löwy hat das mit der Bezeichnung »unscharfer Begriff« belegt, der für diese Arbeit eine wichtige Rolle spielt und noch erläutert wird. Die Arbeit an einem epistemischen Ding ist eingebettet in eine stabile Umgebung, die Experimentalbedingungen oder technischen Dinge. Diese technischen Dinge definieren einerseits die Grenzen des Experimentalsystems und sind zugleich Ablagerungen lokaler oder disziplinärer Arbeitstraditionen mit ihren Messapparaturen und ihrer »Vorliebe für spezifische Materialien oder Labortiere, den kanonisierten Formen handwerklichen Könnens, das von erfahrenen Laborkräften unter Umständen über Jahrzehnte weitergegeben wird.«28 Technische und epistemische Dinge lassen sich nur funktional unterscheiden nach dem Platz, den sie im jeweiligen Forschungsprozess einnehmen. Verschiebungen sind möglich, etwa wenn ein ausreichend stabilisiertes epistemisches Ding als technischer Baustein in eine bestehende Experimentalanordnung eingefügt wird.29 Im Rahmen heutiger Stammzellforschung beispielsweise gehört die IVF zu den »technischen Dingen« der jeweiligen Experimente. Ein solcher »Funktionswechsel« im experimentellen Geschehen kann aber auch in umgekehrter Richtung erfolgen, wie in der Fallstudie zu den Befruchtungsversuchen der 1930er Jahre gezeigt wird, in denen die IVF von einer (eher ne26 27 28 29
Rheinberger, Experimentalsysteme und epistemische Dinge, S. 8. Vgl. auch Rheinberger u. Hagner, Experimentalsysteme, S. 9; dies., Plädoyer, S. 14–15. Rheinberger, Experimentalsysteme und epistemische Dinge, S. 25–26. Ebd., S. 26–27.
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bensächlichen) Labortechnik zum Gegenstand der Forschung avancierte. Der zentrale Fokus der Untersuchungen zu Experimentalsystemen liegt genau in diesem Wechselspiel von epistemischen und technischen Momenten im Forschungsprozess: »Die epistemischen Dinge, die den Experimentalwissenschaften zugrunde liegen, gehen aus dem Bestand des Technischen hervor und aus den Basteleien, die dieses Arsenal möglich macht. Daraus folgt aber, dass sie auch immer wieder in den Bestand des Technischen eingehen können.« 30
Charakteristisch für Experimentalsysteme ist ihre prinzipielle Ergebnisoffenheit. Sie folgen keinem vorausgehenden Forschungsplan, sondern sind vielmehr die Abgrenzung eines Gebietes, das Fragestellungen generiert und ermöglicht. Dabei sind disziplinäre Grenzen zweitrangig, Experimentalsysteme überschreiten Fächergrenzen und tragen langfristig zur Entwicklung neuer Fachgebiete und Disziplinen bei.31 Was die Ergebnisoffenheit angeht, knüpft Rheinberger an Fleck, Kuhn und andere an, die deutlich gemacht haben, dass der Forschungsprozess nach vorne offen und gerade nicht zielbestimmt ist. Das hängt vor allem mit dem Charakter epistemischer Objekte zusammen. Zugespitzt formuliert Rheinberger: »Technische Gegenstände haben mindestens die Zwecke zu erfüllen, für die sie gebaut sind; sie sind in erster Linie Maschinen, die Antworten geben sollen. Ein epistemisches Objekt hingegen ist in erster Linie eine Maschine, die Fragen aufwirft.«32
Diese Ergebnisoffenheit ist bezogen auf die Befruchtungsversuche in den 1930er Jahren bereits angesprochen worden und wird in der Fallstudie im Detail nachgezeichnet. Unvorwegnehmbare Ereignisse, wie beispielsweise die Relevanz der IVF als Forschungsgegenstand, sind in Experimentalsystemen angelegt und »werden aus der inneren Mechanik der experimentellen Zukunftsmaschine herausprozessiert. [Sie können] einen Experimentator dazu veranlassen, eine einmal eingeschlagene Forschungsrichtung vollständig zu verändern.« 33 Genau dies, so eine der Thesen dieser Arbeit, lässt sich in den 1930er Jahren beobachten. Während die Quellen keine genaue Rekonstruktion der Versuche von 1878 erlauben, hat das Konzept der Experimentalsysteme die Analyse der Versuche in den 1930er Jahren angeleitet. Die Frage war, »wie in einem experimentell und instrumentell integrierten Ensemble Wissenschaftsobjekte disponiert, transportiert, reproduziert und erweitert werden. Und weiter gefragt: Wie schreiben sich solchen Objekten zugeordnete Theorien (die ihrerseits wiederum 30 31 32 33
Ebd., S. 153. Ebd., S. 9. Ebd., S. 29. Ebd., S. 145.
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ganz unterschiedlicher Natur sein können, wie ad hoc Hypothesen, mathematische Modelle, globale Paradigmen) in Experimentalsysteme ein, die ›produktiv‹ sind und damit epistemisch, kulturell und sozial organisierend wirken?« 34
Typische Merkmale von Experimentalsystemen zeigen sich auch bei den Befruchtungsversuchen, etwa das Überschreiten von Fächergrenzen und die Bedeutung des »Ungewollten, Ungewussten und Unscharfen« im Prozess des Experimentierens.35 Allerdings wird in dieser Arbeit eine leichte Verschiebung gegenüber diesem Konzept vorgenommen. Genau wie Andrew Pickering, der die Modulation theoretischer physikalischer Konzepte im Prozess des Experimentierens an einem konkreten Projekt untersucht, konzentriert sich Rheinberger auf die Beobachtung eines Experimentalsystems.36 In seiner Studie untersucht er eine Forschungsgruppe am Massachusetts General Hospital in Boston in der Zeit von 1947 bis 1962, in der sich ein Experimentalsystem zur Biosynthese von Proteinen im Reagenzglas entwickelte. Der Fokus liegt also auf dem Prozess des Experimentierens in einer bestimmten Forschungsgruppe und den Verschiebungen, die sich innerhalb dieser Gruppe ergaben. In der vorliegenden Arbeit liegt der Schwerpunkt dagegen auf Experimenten, die sich durch verschiedene Experimentalsysteme bewegen und gerade in diesem Prozess des Transfers, so wird gezeigt, kristallisierte sich das epistemische Objekt der In-vitro-Fertilisation heraus. Zudem gewichtet Rheinberger andere Aspekte wissenschaftlicher Tätigkeit wie wissenschaftspolitische Aktivitäten oder die Aushandlungen zwischen verschiedenen Forschergruppen nicht so stark. Die Kooperation bzw. die Überschneidungen zwischen Experimentalsystemen werden mit den Begriffen der Konjunktur, der Bildung von Hybriden und Verzweigungen 37 angesprochen und sind auch für die Versuche in den 1930er Jahren ganz erhellend: »Konjunkturen bilden so etwas wie Knotenpunkte oder Attraktoren für jene immer wieder spontan entstehenden informellen Wissenschaftlergruppen – diesen Vermittlern von Erfahrung, die das Spiel des Möglichen jenseits von institutionell geronnenen Grenzverläufen aufrecht erhalten.« 38
Diese Kooperationen bleiben aber auf der experimentellen Ebene und werden von Rheinberger aus der Sicht eines Experimentalsystems beobachtet. Bezogen auf die Entwicklung einer Forschungsstrategie zur IVF geraten dabei wichtige Aspekte aus dem Blick. Denn sie vollzieht sich in größeren Zeiträumen, einem sehr heterogenen Feld von Akteuren und verschiedenen 34 35 36 37 38
Rheinberger u. Hagner, S. 15–16. Ebd., S. 16. Pickering. Rheinberger, Experimentalsysteme und epistemische Dinge, S. 144–148. Rheinberger u. Hagner, Plädoyer, S. 23.
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Disziplinen. Die Frage, wie sich die Forschungsstrategie zur IVF bildete, lässt sich kaum im Hinblick auf ein Experimentalsystem beantworten. Vielmehr wird die Analyse zeigen, dass im Sinne Flecks die Verknotung ursprünglich entfernt liegender Wissensbereiche nötig war. Insofern geht es in dieser Arbeit um Prozesse, die vor der Installierung eines Experimentalsystems der IVF im engeren Sinne stattfanden. Anders formuliert lauten die Fragen, wie das Zusammenspiel von Forschungsobjekten und den technischen Prozeduren innerhalb der Experimente und vor allem der Transfer von Verfahren zwischen verschiedenen Kontexten vonstatten ging. Dabei sollen auch der Einfluss gesellschaftlicher Interessen auf die Ausrichtung der Forschungen (zum Beispiel in der Agrarwissenschaft) und die wissenschaftspolitische Begleitmusik und Legitimierung berücksichtigt werden. Diese Fragen reichen über den experimentellen Kontext eines Experimentalsystems hinaus.
3. Soziale Welten, unscharfe Begriffe und heterogene Kooperation Einen erweiterten Blick auf die soziale Seite des Geschehens erlauben Konzepte der Wissenschafts- und Technikforschung, die aus dem Symbolischen Interaktionismus der Chicago-Soziologie stammen, zu deren Schwerpunkten die Arbeits- und Organisationssoziologie gehört.39 Mit anderen konstruktivistischen Ansätzen der Wissenschafts- und Technikforschung haben sie gemeinsam, dass wissenschaftliche Ergebnisse als sozial konstruiert aufgefasst werden und keine Trennung zwischen kognitiven und sozialen Aspekten von Wissen vorgenommen wird.40 Eine wichtige Rolle spielt in dieser Theorie der Begriff des »going concern«, der einen organisatorischen und interaktiven Prozess meint, bei dem Akteure im Hinblick auf ein Projekt oder eine Arbeitsidee zueinander in Beziehung treten.41 In Abhängigkeit vom »going concern« konstituiert sich eine »ecology of institutions«, eine variable Umwelt von Organisationen, die aus der Perspektive ihrer Akteure untersucht wird.42 An diese Überlegungen werden Theorien größerer Reichweite angeschlossen. Besonders das Konzept der sozialen Welten und Arenen stellt ein Gerüst für viele Studien der interaktionistischen Wissenschafts- und Technikforschung dar und ist die theoretische Grundlage
39 Strübing, Symbolischer Interaktionismus Revisited. Eine umfassende Darstellung findet sich bei dems., Pragmatistische Wissenschafts- und Technikforschung. 40 Strübing, Symbolischer Interaktionismus Revisited, S. 373. 41 Der Begriff stammt von Hughes, S. 53. 42 Strübing, Symbolischer Interaktionismus Revisited, S. 370, mit Bezug auf Hughes, S. 62.
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der von Adele Clarke untersuchten disziplinären Herausbildung der Reproductive Sciences. Sie definiert soziale Welten als »groups with shared commitments to certain activities, sharing resources of many kinds to achieve their goals, and building shared ideologies about how to get about their business. … Social worlds are the principal affiliative mechanisms through which people organize social life«.43
Im Unterschied zum »going concern« bezeichnen »soziale Welten« dauerhaftere soziale Konstrukte.44 In der Arena treten die Repräsentanten verschiedener sozialer Welten in Aushandlungsprozesse: »In arenas, all the social worlds that focus on a given issue meet and interact.«45 Solche Aushandlungen werden als außerordentlich wichtig für das Entstehen, den Fortbestand und den Wandel von Organisationen aufgefasst und sind auf einen Ausgleich von Interessen hin orientiert.46 Eine solche Arena konstituierte sich um das Problem der Reproduktion Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts und darin trafen Vertreter unterschiedlicher sozialer Welten aufeinander wie Wissenschaftler verschiedener Disziplinen, soziale Bewegungen, Stiftungen oder Frauen als Versuchsobjekte und Konsumentinnen der entwickelten Technologien. In diese Arena gehören auch die Befruchtungsversuche der 1930er und 40er Jahre: Diejenigen sozialen Welten, die an der Entwicklung der Reproduktionswissenschaften beteiligt waren, sind auch maßgeblich für die Entwicklung einer Forschungslinie zur IVF. Die Stärke des Konzepts der sozialen Welten besteht darin, dass es ein heterogenes Feld von Beteiligten erschließt und zugleich (wie das Konzept des Experimentalsystems auch) die Kontingenz der Entwicklung und die jeweilige konkrete historische Situation betont, »with context and conditions empirically fleshed out, close to the anthropological tradition of thick description. Interactionists assume that things could have been otherwise and try to examine especially consequential moments, turning points, trajectories and careers (of concepts, people, technologies).«47 Die Grenzen zwischen sozialen Welten werden nicht räumlich oder nach Mitgliedschaft abgesteckt, sondern über die Beteiligung an einer im Zentrum des jeweiligen »universe of discourse« stehenden Aktivität: »Soziale Welten sind mehr als Interessengemeinschaften Gleichgesinnter. Sie bilden eine – wenn auch oft nur temporäre – soziokulturelle Identität aus, die sich an spezifischen Sprachcodes, differenzbetonender Symbolik, spezifischen Perspektiven und damit natürlich auch: Perspektivbeschränkungen erweist.«48 43 44 45 46 47 48
Clarke, Social Worlds, S. 131. Strübing, Symbolischer Interaktionismus Revisited, S. 372. Clarke, Disciplining Reproduction, S. 16. Strübing, Symbolischer Interaktionismus Revisited, S. 372. Clarke, Disciplining Reproduction, S. 17. Strübing, Symbolischer Interaktionismus Revisited, S. 373, Hervorhebungen im Original.
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Das erinnert an Flecks Konzept des Denkstils. Der symbolische Interaktionismus geht aber insofern weiter, als er Aushandlungen zwischen sozialen Welten nicht nur für möglich, sondern für notwendig hält zur Stabilisierung wissenschaftlicher Tatsachen. Wer etwas erreichen wolle (Fördermittel, Reputation, die Fortsetzung von Forschungsprojekten usw.), müsse seine Perspektive in diejenige anderer relevanter Akteure »übersetzen«.49 Die Interaktion zwischen verschiedenen sozialen Welten wird damit in den Mittelpunkt der Analyse gestellt. So werden Forschungsprozesse beobachtbar, die sich nicht allein aus einem Denkkollektiv (oder im Rahmen eines Experimentalsystems) entwickeln, sondern aus verschiedenen Entwicklungslinien und heterogenen Faktoren, wie das für den Fall der IVF gilt. So lassen sich beispielsweise in Cambridge, wo Pincus als Physiologe in einem Labor der landwirtschaftlichen Anwendungsforschung arbeitete, solche Übersetzungsprozesse beobachten, bei denen unterschiedliche Forschungsinteressen aufeinander abgestimmt wurden und erst die Zusammenarbeit eine experimentelle Konstellation herbeiführte, in denen die IVF als Möglichkeit erschien.50 In dieser Arbeit geht es auch um die Frage, welche Einflüsse über die rein wissenschaftlichen Praktiken hinaus eine Rolle spielten, etwa soziale Bewegungen, die Darstellung der Versuche in der Öffentlichkeit bzw. öffentliche Reaktionen auf die Versuche. Das Verlassen einer rein internen Perspektive erscheint notwendig, weil ein Teil der Literatur zur Geschichte der IVF die These vertritt, sie sei im Hinblick auf Ziele der Eugenikbewegung entwickelt worden. Schon Fleck hatte auf die große Bedeutung solcher Faktoren hingewiesen, der gesellschaftliche Nachdruck sei nicht hoch genug einzuschätzen. Die Tuberkulose habe zwar erheblich mehr Schaden angerichtet als die Syphilis, aber nicht annähernd denselben Forschungsaufwand ausgelöst: »Keine lauen Vernunftgründe, keine Statistik kann hier helfen: die Tuberkuloseforschung bekommt von der Gesellschaft keinen so starken Anstoß, keine soziale Spannung sucht hier in der Forschung Luft.«51
49 Ebd., 373. 50 Aushandlungsprozesse bilden auch den Gegenstand der Aktor-Netzwerk-Theorie von Latour und Callon. Ihr wird allerdings, jedenfalls in ihrer frühen Form, vorgeworfen, dass sie ihren Anspruch einer symmetrischen Anthropologie, welche die Handlungsfähigkeit von Artefakten einschließt, verspielt, indem sie die Perspektive einzelner Akteure privilegiert, vgl. Strübing, Pragmatistische Wissenschafts- und Technikforschung, S. 304–313. Strübing moniert das besonders für die Pasteur-Studie von Latour, vgl. Latour, Pasteur und Pouchet. Das birgt das Risiko, Intentionalität, zumindest subkutan, wieder einzuführen. Interaktionistische Konzepte wie das der »boundary objects« von Star und Griesemer sind klarer auf Multiperspektivität ausgerichtet, was sich für die Versuche der 1930er und 40er Jahre als sehr fruchtbar erweist. 51 Fleck, S. 102–108.
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Die Rezeption der Befruchtungsversuche in der Öffentlichkeit kann in dieser Arbeit nicht systematisch verfolgt werden. Immerhin sollen aber Faktoren wie die Politik von Stiftungen, Zusammenhänge zu gesellschaftlichen Bewegungen und wissenschaftspolitische Legitimierungsstrategien einbezogen werden, um diesen Bereich heterogener Kooperation wenigstens anzudeuten und eine Einschätzung zur Einbettung dieser Forschungen in übergreifende soziale Prozesse vornehmen zu können. Die Kooperation zwischen verschiedenen Kontexten wird neuerdings verstärkt unter dem Stichwort »heterogene Kooperation« diskutiert.52 Es geht dabei um Formen der Zusammenarbeit, »bei denen die KooperandInnen über verschiedene Orte und Gegenstandsbereiche (also nicht nur geographisch) verteilt agieren und damit unterschiedlichen lokalen Kontexten entstammen (und oft ihre Arbeitsergebnisse in diese jeweiligen Kontexte zurück adressieren)«.53 Beobachtet wird der translokale und transdisziplinäre Transfer von Wissen, die Rolle der Informations- und Kommunikationstechniken und die Entstehung neuer, ›hybrider‹ Fachdisziplinen: »Verteiltheit, Heterogenität, Transkulturalität und technische Vermitteltheit sind – häufig verbunden mit begrenzten zeitlichen Perspektiven – Merkmale der hier in das Blickfeld der WTF [Wissenschafts- und Technikforschung] geratenen Felder wissenschaftlich-technischer Praxis.«54
Ein wichtiger Versuch, die Modellierung eines wissenschaftlichen Objektes zwischen verschiedenen sozialen Welten darzustellen, stammt von Susan Leigh Star und James Griesemer.55 Sie hatten den Auf bau eines Naturkundemuseums in Berkeley untersucht, bei dem sich verschiedene Akteure mit unterschiedlichen Vorstellungen zusammenfanden und das Konzept des Museums aushandelten. Star und Griesemer konzeptualisieren die Idee des Museums als »boundary object«, als »unscharfes Objekt«, »which [is] both plastic enough to adapt to local needs and the constraints of the several parties employing [it], yet robust enough to maintain a common identity across sites.«56 Anders als beim Museum in Berkeley lässt sich aber bei der künstlichen Befruchtung im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert nicht von einem »going concern« im Sinne des Symbolischen Interaktionismus sprechen. 52 Vgl. den Sammelband von Strübing u. a., Kooperation im Niemandsland. 53 Strübing, Von ungleichen Schwestern, S. 71. 54 Ebd. 55 Star u. Griesemer. Vgl. den ausführlichen Kommentar zu diesem Konzept von Strübing, Pragmatistische Wissenschafts- und Technikforschung, S. 255–266. 56 Star u. Griesemer, S. 393. Im Anschluss daran untersucht beispielsweise Matthias Horwitz die Verwendung wissenschaftlichen Wissens auf der Baustelle des Potsdamer Platzes in Berlin. Die heterogene Kooperation zwischen Wissenschaftlern, Bauarbeitern, Baustellenleitung, Firmen usw. deutet er als Arbeit an einem »boundary object«, Horwitz.
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Die beteiligten Wissenschaftler arbeiteten nicht an »einer Sache«, es gab kein gemeinsames Ziel wie beim genannten Museum. Die Befruchtungsversuche wurden vielmehr im Durchlauf durch verschiedene Stationen modelliert, ohne dass klar war, in welche Richtung die Entwicklung verlief. Mit Rheinbergers »epistemischem Ding« oder Flecks »unklaren Ideen«57 eng verwandt ist Ilana Löwys Konzept des »unscharfen Begriffs«.58 Mit diesem »boundary concept« schließt sie an Star und Griesemer an, nimmt aber eine kleine Akzentverschiebung vor. Damit wird dieses Konzept besser handhabbar für die Beobachtung von Forschungslinien, die sich im Rahmen einer heterogenen Kooperation verschiedener Fachgebiete entwickeln, ohne dass es einen Bezug auf ein gemeinsames Projekt geben müsste. Löwy untersucht die Immunologie, die zwischen 1880 und 1910 einen Aufschwung erlebte, sich aber aufgrund technischer und theoretischer Schwierigkeiten »von der maßgeblichen Entwicklung biologischer Erkenntnis« isolierte. Immunologen glaubten, dass der Organismus Schutzmechanismen gegenüber Infektionskrankheiten entwickele. Es gab zwar früh Erkenntnisse, dass er Antikörper gegen artgleiche Individuen bildet, aber obwohl diese Befunde klinisch interessant waren (Transplantationen, Blutgruppen) und nicht im Widerspruch »zum Wissen der Zeit« standen, erfolgte keine Untersuchung der biologischen Individualität. Das Konzept des immunologischen Selbst scheiterte, weil seine Verfechter nicht in der Lage waren, geeignete Untersuchungsmethoden zu entwickeln.59 Man setzte auf andere experimentelle Strategien und die Phänomene, die damit nicht zu greifen waren (zum Beispiel Auto-Immunität) wurden als marginal oder gar »rückständig« verdrängt.60 Die explosionsartige Entwicklung der Immunologie ab den 1960er Jahren führt Löwy nun auf ihre Neudefinition als Wissenschaft vom »Selbst« und »Nicht-Selbst«, also auf die Etablierung eines »unscharfen Begriffs« des »Selbst« zurück. Dieser war mit Forschungen verschiedener Disziplinen kompatibel und erlaubte die Integration der Immunologie in den »mainstream« biologischer Forschung. Entscheidend dafür waren gerade nicht innovative experimentelle Methoden, denn zunächst blieben traditionelle Labortechniken vorherrschend. Erst nachdem die Immunologie sich als moderne Disziplin etabliert hatte, zog sie Biochemiker und Molekularbiologen an, die ein expandierendes Forschungsfeld, interessante biologische Probleme, finanzielle Mittel und professionelle Etablierung erwarteten und dann neue experimentelle Techniken
57 Rheinberger, Experimentalsysteme und epistemische Dinge, S. 24, mit Verweis auf Fleck, S. 35–39. 58 Löwy. 59 Ebd., S. 188–190. 60 Ebd., S. 194.
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mitbrachten, welche die immunologische Praxis in den 1960ern radikal veränderte.61 Dieser Fall, so Löwy, ist kein Sonderfall: »›Unscharfe Begriffe‹ spielen bei der Konstruktion von Wissen sowie der Verbreitung von Innovationen in den biomedizinischen Wissenschaften eine wichtige Rolle. Sie tragen dazu bei, Allianzen zwischen professionellen Gruppen zu schaffen. Sie erlauben es den Partnern, sich einer im Wandel begriffenen kognitiven und sozialen Umgebung anzupassen und dabei gleichzeitig ihre experimentellen Praktiken und ihre Autorität auf einem speziellen Fachgebiet zu bewahren. Unscharfe Begriffe können auch die Entwicklung ›föderativer‹ Experimentalstrategien fördern sowie langfristig lockere und institutionelle Koalitionen zwischen etablierten Fachgruppen aufrechterhalten.« 62
Unscharfe Begriffe sind laut Löwy multifunktional, sie ermöglichen die Konstruktion eines bestimmten Wissensbereiches und transportieren zugleich spezielle soziale Interessen: »Wie die Grenzsteine (boundary stones), auf die sich ihr Name metaphorisch bezieht, kann man über sie verhandeln: Sie verbinden Territorien professioneller Expertise und begrenzen sie zugleich.« 63
Löwy verweist auf Fleck, der ebenfalls schreibt, dass Bedeutungsverschiebungen von Begriffen, die zwischen verschiedenen Denkkollektiven zirkulieren, zu Innovationen führen können. Aber wie Kuhn war auch er vor allem an der Inkommensurabilität zwischen Denkkollektiven interessiert und betrachtete die Bedeutungsvarianz als Resultat der Unmöglichkeit, Begriffe getreu aus einem Denkstil in einen anderen zu übertragen, und nicht als »strategisches Werkzeug in der Konstruktion von Wissen«. Erst mit dem gesteigerten Interesse für Laborpraktiken, die lokale Interaktion und den allmählichen Wandel gewannen der »Prozess der ›Härtung‹ ›wissenschaftlicher Tatsachen‹, die Dynamik der Wechselwirkung zwischen verschiedenen Gruppen und schließlich die begrifflichen und technischen Werkzeuge ihrer Verständigung an Interesse.« 64 Die Überlegungen von Ilana Löwy lassen sich sehr gut auf die Befruchtungsversuche der 1930er und 40er Jahre beziehen. Die »unscharfen Begriffe« der »künstlichen Befruchtung«, der »artificial insemination« oder »artificial fertilization« vermittelten Forschungen in verschiedenen Experimentalsystemen: dem agrarwissenschaftlichen Labor in Cambridge, der Physiologie in Harvard und der Klinik in Boston. Aufschlussreich ist vor allem Löwys These, nach der »unscharfe Begriffe« besonders dann wichtig werden, wenn eine hohe strategische mit einer geringen technischen Unsicherheit einhergeht, wenn es also eine geringe Überein61 62 63 64
Ebd., S. 199. Ebd., S. 189. Ebd., S. 190. Ebd., S. 189.
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stimmung in den Forschungszielen gibt, die Forscher zugleich aber den experimentellen, technischen Möglichkeiten folgen wollen. »Boundary concepts« gewährleisten, mit anderen Worten, dass die (Zusammen-) Arbeit fortgesetzt werden kann.65 Diese These soll an den Forschungen zur Befruchtung von Säugetier-Eizellen überprüft werden. Mit dem »boundary object«, dem »boundary concept« oder der »trading zone«, ein Konzept, das der Wissenschaftshistoriker Peter Galison vorgeschlagen hat, werden heterogene Kooperationen zwischen wissenschaftlichen Kulturen (oder sozialen Welten) beobachtet.66 Der Nutzen des symbolischen Interaktionismus – in dessen Kontext Star und Griesemer gehören – für diese Arbeit besteht wie gesagt darin, dass die lokale wissenschaftliche Praxis beobachtet wird, ohne auf eine Öffnung des Analyserahmens darüber hinaus zu verzichten. Außerdem ermöglicht der Fokus auf Arbeit und Organisation, die organisatorischen Veränderungen zu sehen, die mit der Entstehung einer Forschungslinie verbundenen sind. Arbeitsprozesse des Forschens werden als Prozesse der praktischen Reorganisation erkennbar und umgekehrt die Bedeutung solcher Reorganisationsprozesse als »notwendige Bedingung für gelungene Prozesse der Technikgenese oder der Erzeugung wissenschaftlichen Wissens«.67 Adele Clarke und Joan Fujimura schreiben: »It is important to note that many of the processes discussed are organizational phenomena, limited neither to science nor to research. They pertain to situations where people work together to jointly accomplish something to which they are all committed, though perhaps quite differently.« 68
Insbesondere am Beispiel des Transfers der Befruchtungsversuche in die Klinik wird deutlich, in welch hohem Maße die Versuche auf der praktischen Reorganisation von Arbeitsabläufen beruhen.
65 Ebd., S. 203. 66 Peter Galison untersucht solche Prozesse in Subkulturen der Physik. Den Mechanismus der Kooperation beschreibt er in Analogie zu Austauschprozessen zwischen verschiedenen Kulturen. Der lokale Kontext der Kooperation sei eine »Trading Zone«, in der – ähnlich dem Pidgin als minimalisierter Kontaktsprache – Reduktionen stattfinden, beispielsweise indem mathematische Strukturen vereinfacht und Ausnahmen oder elaborierte Erklärungsmuster entfernt werden, um den Austausch zu ermöglichen, Galison. 67 Strübing, Symbolischer Interaktionismus Revisited, S. 382. Ein Beispiel dafür ist der Band von Joan Fujimura und Adele Clarke »The Right Tools for the Job«, in dem Untersuchungen zur Entwicklung der Life Sciences im zwanzigsten Jahrhundert versammelt sind. Die Arbeitswerkzeuge, Arbeitsgegenstände und Arbeitsbedingungen fassen die Autorinnen als »Tools« zusammen, Clarke u. Fujimura. 68 Clarke u. Fujimura, S. 27.
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4. Das Problem der Forschungslinie Ein früher Versuch, die organisationstheoretische Perspektive der Theorie sozialer Welten auf die Wissenschafts- und Technikforschung anzuwenden, stammt von Elihu Gerson, der damit auch Anhaltspunkte für das »Problem der Forschungslinie« liefert, also für die Frage, wie sich diskontinuierliche Forschungsprozesse dennoch in ihrer langfristigen Entwicklung beobachten und einschätzen lassen.69 Soziale Welten in der Wissenschaft, etwa Disziplinen, schreibt Gerson, sind konstituiert über Aktivitäten in einem bestimmten Gebiet. Diese Aktivität bringt eine permanente Spezialisierung mit sich, die zur Ausdifferenzierung von »lines of work« führt, also langen Serien von komplexen Experimenten. Gerson betont mögliche Verbindungen zwischen diesen Einheiten, die man ja auch als Experimentalsysteme bezeichnen könnte, indem er den Begriff der Forschungstradition einführt. Eine solche Forschungstradition, hier wird der Begriff der Forschungslinie verwendet, ist für ihn eine »subworld« im größeren Kontext einer sozialen Welt und verbindet verschiedene »lines of work« miteinander.70 Als grundlegende Prozesse bei der Bildung von Forschungstraditionen sieht Gerson die permanente Segmentierung und Diversifizierung von Forschungsproblemen, die Interaktion zwischen verschiedenen Arbeitslinien und die Legitimierung von »lines of work« im Rahmen der Disziplin. Jedes neue Problem kann dabei zu einer Segmentierung führen, um die herum eine »line of work« entsteht, vorausgesetzt, sie kann sich erfolgreich legitimieren: Das Problem muss als »interessant« oder »wichtig« erachtet werden und die Untersuchungsmethode als seriös. Diese Legitimierung ist ein konfliktträchtiges Unterfangen, denn das Auftauchen einer neuen Arbeitslinie reorganisiert womöglich die Problemstruktur der Disziplin.71 Gerson konzeptualisiert Forschung also als System miteinander verbundener »lines of work«. Damit lässt sich fragen, wann sich das Problem der IVF aus vorherigen experimentellen Arbeitslinien soweit heraus»segmentiert« hatte, dass man, die Legitimierung vorausgesetzt, von einer Forschungstradition oder Forschungslinie der IVF sprechen kann.72 69 Gerson, Scientific Work and Social Worlds. Im Rahmen des von Gerson und Anselm Strauss gegründeten Tremont Research Institutes promovierten Adele Clarke, Joan Fujimura und Susan Leigh Star, vgl. dazu Strübing, Pragmatistische Wissenschafts- und Technikforschung, S. 249–251. 70 Gerson, Scientific Work and Social Worlds, S. 359–360. Die Sekundärliteratur bezeichnet häufig schon die Segmentierung einer »line of work« als Forschungslinie. Für Gerson ist das aber nur die Voraussetzung für die Bildung einer Forschungstradition. 71 Ebd., S. 360–369. 72 Dieser Prozess sollte hier möglichst in der Verwendung der Begriffe berücksichtigt werden: Von »IVF« oder »In-vitro-Fertilisation« wird in dieser Arbeit gesprochen, wenn das Verfah-
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Wie eine Forschungslinie entsteht und sich gegenüber konkurrierenden Angeboten durchsetzt, untersucht auch Joan Fujimura anhand der molekularbiologisch orientierten Krebsforschung der 1970er und 80er Jahre. Ob eine Forschungslinie verfolgt werde, so ihre These, hängt davon ab, ob alle Umstände (Ressourcen, Arbeitsorganisation, Laborbedingungen etc.) so aufeinander einzustellen sind, dass das Projekt durchführbar erscheint, und ob signifikante Andere diese Linie als wertvoll erachten und daher mit entsprechenden Vergütungen zu rechnen ist.73 Der molekularbiologische »Bandwagon« in der Krebsforschung befriedigte die Interessen verschiedener sozialer Welten. Hier arrangierten sich klare Problemstellungen und experimentelle Strukturen, eine hohe Wahrscheinlichkeit der Finanzierung, hohe öffentliche und wissenschaftsinterne Aufmerksamkeit und die Aussicht für jüngere Wissenschaftler, die eigene Karriere voranzutreiben.74 Ein von Fujimura befragter Forscher erklärte, dass bei der Entscheidung für diese Forschungslinie die weiteren Schritte praktisch auf der Hand lagen: »Everyone knows that it would be worthwile to sequence this gene. It’s obvious what should come next. There are logical steps in this work.«75
Was dieser Forscher beschreibt, sind die von Fleck genannten passiven Koppelungen in der Produktion wissenschaftlichen Wissens. Auf der Grundlage eines Denkstils beziehungsweise einer Zahl von aktiven Koppelungen ergeben sich quasi notwendige Arbeitsschritte und Ergebnisse, die als Tatsachen anerkannt werden und vor deren Hintergrund die aktiven Koppelungen, die ebenfalls in die Produktion dieses Wissens eingegangen sind, verblassen und sich der Aufmerksamkeit entziehen. Im Fall der Krebsforschung wären damit die Bedingungen und historischen Linien gemeint, die zur Plausibilität des molekularbiologischen Ansatzes führten. An dieser Stelle werden die Grenzen des Konzepts von Fujimura deutlich. Die Theorie bewegt sich im Rahmen der passiven Koppelungen Flecks innerhalb des wissenschaftlichen Wissens. Fujimura argumentiert, dass theoretische oder konzeptionelle Verschiebungen untrennbar mit der Organisation der Arbeit und der technischen Infrastruktur in der Wissenschaft zusammenhängen.76 Diese Verschiebungen gehen aber nicht darin auf. Die Stärke der Theorie Flecks liegt in seinem Konzept des Denkstils, mit dem auch die Ausren im heutigen Sinne oder als Gegenstand einer entwickelten Forschungslinie gemeint ist. Für die 1930er und 40er Jahre werden die Begriffe »in vitro Fertilisierung« oder »in vitro Fertilisation« verwendet. 73 Fujimura, The Molecular Biological Bandwagon. 74 Ebd., S. 273–274. Für eine Einschätzung und Kritik der theoretischen Überlegungen Fujimuras vgl. Strübing, Pragmatistische Wissenschafts- und Technikforschung, S. 266–270. 75 Fujimura, The Molecular Biological Bandwagon, S. 274. 76 Ebd., S. 261.
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strahlungskraft von Theorien plausibel und Wissenschaft damit in einen größeren Kontext kultureller und historischer Bedingungen gestellt wird. Das theoretische Gerüst der Arbeit besteht also aus einer Verschachtelung von Modellen, deren Gemeinsamkeit darin besteht, die Herstellung wissenschaftlicher Tatsachen als sozialen Konstruktionsprozess aufzufassen. Die Basis des Gerüstes bildet die Wissenschaftstheorie von Ludwik Fleck, deren Vorzüge in der Eröffnung einer historische Perspektive auf die Entstehung wissenschaftlicher Tatsachen und in dem Konzept des Denkstils liegen, das eine Erklärung dafür bietet, warum Theorien attraktiv und »wahrheitsfähig« erscheinen – oder eben auch nicht, wie das für die künstliche Befruchtung in der Embryologie des neunzehnten Jahrhunderts gilt. Auf diese Basis werden neuere theoretische Modelle aufgesetzt. Das Konzept des Experimentalsystems ermöglicht ein Verständnis des Zusammenspiels von Instrumenten, Versuchsobjekten und Theorie im Prozess des Experimentierens. Insbesondere schärft es den Blick für den Positionswechsel, den die Versuche zur extrakorporalen Befruchtung von Säugetier-Eizellen in den 1930er Jahren von einem technischen zum epistemischen Objekt vollziehen, der sie – mit anderen Worten – zum Gegenstand der Forschung werden ließ. Mit den Überlegungen zu sozialen Welten und der zwischen ihnen über »unscharfe Begriffe« vermittelten heterogenen Kooperation schließlich werden Übersetzungs- und Aushandlungsprozesse zwischen verschiedenen Disziplinen sowie zwischen Wissenschaft, sozialen Bewegungen, Ärzten und Patientinnen sichtbar. Diese »Übersetzungen« waren notwendig, um die Verschiebung der Befruchtungsversuche zwischen verschiedenen Kontexten und unterschiedlichen Versuchsobjekten zu ermöglichen. Ob und wann sich daraus eine Forschungslinie zur IVF entwickelte, wird abschließend anhand der Ergebnisse dieser Arbeit diskutiert.
5. Material und Methode Die Analyse der Versuche von 1878 und ihres Kontextes geschieht auf der Grundlage wissenschaftlicher Publikationen der Embryologie und der Gynäkologie. Diese Texte erlauben kaum Rückschlüsse auf experimentelle Praktiken. Die Untersuchung ist auf die Rekonstruktion des Denkstils bzw. der Theorie beschränkt, die den jeweiligen Experimenten zugrunde lag. Der Forschungskontext wurde ebenfalls aus diesen Publikationen erschlossen, indem Hinweisen auf Forschungskontroversen nachgegangen wurde. Auf diese Weise geriet das Denkkollektiv in den Blick, auf das sich Samuel Schenk bezog. Die »Jahresberichte über die Leistungen und Fortschritte in der ge48 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35159-9
sammten Medicin« zwischen 1869 und 1881 und spätere Überblicksaufsätze ermöglichen Aussagen darüber, welche Forschungen die Autoren für relevant hielten bzw. was sie retrospektiv als zentrale Forschungsfragen der Embryologie einschätzten. Daraus ließ sich die Position bestimmen, die Schenks Versuche innerhalb der Embryologie einnahmen. Die wenigen vorhandenen Akten zu Samuel Leopold Schenk stammen aus dem Wiener Universitätsarchiv und der Österreichischen Staatsbibliothek. Es handelt sich um Personalakten, die Aussagen über den Karriereverlauf Schenks und einige Rückschlüsse auf seine Arbeits- und Lebensbedingungen erlauben. Sie enthalten kein Material, dass sich auf die Experimente bezieht, ermöglichen aber die Diskussion der Frage, ob Schenks Versuche nicht wahrgenommen wurden, weil er als unseriös galt. Seine spätere Zwangspensionierung und einige Aussagen der Sekundärliteratur legen das nahe. Eine wichtige Quelle stellt die Autobiographie Schenks dar, aus der sich der Stellenwert der Befruchtungsexperimente und die institutionelle Position der Embryologie innerhalb der medizinischen Fakultät erschließen lässt. Die Quellen zu den 1930er und 40er Jahren sind zahlreicher und heterogener. Über wissenschaftliche Publikationen hinaus existieren umfangreiche, zum großen Teil unveröffentlichte Aktenbestände zu Gregory Pincus in der Library of Congress, im Archiv der Harvard Universität, in der Countway Library of Medicine und im Archiv der Rockefeller Foundation. Auf diese Archive ist ein umfangreicher Schriftwechsel verteilt, der Forschungsberichte, Anträge auf Forschungsgelder und private Briefe an Kollegen enthält. Besonders der Briefverkehr mit dem Leiter der Allgemeinen Physiologie der Harvard Universität William Crozier aus den 1930er Jahren ist sehr aufschlussreich, weil Pincus seine Befruchtungsversuche in Cambridge, das Labor, die dortigen Arbeitsbedingungen und die Kooperation mit den englischen Wissenschaftlern recht detailliert beschrieb. Für die Rekonstruktion der Versuche im Free Hospital for Women wurde die Veröffentlichung von Loretta McLaughlin herangezogen, die auf der Grundlage eines in den 1970er Jahren geführten Interviews mit dem Gynäkologen John Rock entstand. Die Rock Paper in der Countway Library of Medicine werden derzeit umstrukturiert und sind daher nicht zugänglich, aber es war immerhin möglich, die Kopie eines Vortrags von Miriam Menkin auf dem Cold Spring Harbour Kolloquium von 1949 einzusehen, in dem sie die Versuche zur in vitro Fertilisation menschlicher Eizellen und den Forschungsverlauf einschließlich seiner Misserfolge genau wiedergab. Diese für wissenschaftliche Vorträge ungewöhnliche Form hat mit Menkins untergeordneter Rolle als nicht-promovierter Frau zu tun. Sie markierte deutlich alle Unzulänglichkeiten ihrer eigenen Arbeit sowie die Beiträge von Rock, Pincus und Hertig. Die Quelle ist von großem Wert, weil sie die Brüche und unvorhergesehenen Ereignisse des Forschungsverlaufs erkennen lässt. 49 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35159-9
Außerdem wurden Presseartikel zu den Versuchen in den 1930er und 40er Jahren ausgewertet, um die Wahrnehmung der Versuche in der Öffentlichkeit wenigstens ansatzweise in den Blick zu bekommen. Allerdings handelt es sich um eine sehr kleine Stichprobe, die keine systematischen Aussagen erlaubt. Schließlich wurden zwei Experimentbücher aus den Jahren 1935 bis 1937 herangezogen, die Versuche mit menschlichen Eizellen im physiologischen Labor der Harvard Universität enthalten. Sie belegen den Stellenwert dieser Experimente im Rahmen der Forschungsstrategie von Pincus und behandeln zudem einen wichtigen Abschnitt in der Geschichte der IVF, die sich etwa 1936/37 als Forschungsgegenstand herauskristallisierte. Zur Quellenerschließung dient die Methode der Diskursanalyse.77 Sie beruht laut Philipp Sarasin auf zwei Annahmen: »Diskurse sind historisch eingrenzbare thematische Redezusammenhänge, die Möglichkeiten und Grenzen sinnvoller Rede und kohärenten sozialen Handelns bestimmen, und: Diskursivität bezeichnet im weiteren Sinn die Tatsache, daß die Sprache ein ›Medium‹ ist, das dem Sprechen seine Bedingungen diktiert.«78
Damit erlaubt sie Aussagen darüber, welche Forschungslinien als rational bzw. uninteressant aufgefasst wurden und welche diskursiven Mechanismen Anschlüsse an die Versuche von 1878 unwahrscheinlich machten. Im Übergang zum zwanzigsten Jahrhundert lassen sich Verschiebungen erkennen, die nachfolgenden Experimenten neue (diskursive) Spielräume erschlossen. Philipp Sarasin schlägt am Beispiel seiner Untersuchung zum Hygienediskurs im neunzehnten Jahrhundert die Analyse von vier Dimensionen vor.79 Zunächst sei der »Ort des Aussagens« zu untersuchen, also der gemeinsame historische und soziale Kontext einer Serie ähnlicher Aussagen. In dieser Arbeit sind das vor allem die Embryologie und die Gynäkologie gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts und Teile der Agrarwissenschaft, der Physiologie und der Medizin in den 1930er und 1940er Jahren. Dann schlägt er vor, »Einschreibungen« als Wiederholungen ähnlicher Aussagen zu beobachten, die ein Ordnungsschema entwerfen bzw. eine bestimmte Redeweise stabilisieren. Im Falle der Befruchtungsversuche handelt es sich etwa um Redewendungen von der »naturgetreuen Abbildung«. Besonders wichtig sind die Grenzen des jeweiligen Diskurses, die in den Quellen über grundlegende Unterscheidungen geklärt werden, welche die Möglichkeiten und Grenzen disziplinärer Aussagen markieren. Und schließlich geht es um die Herstellung eines »Archivs«, also eines Aussagemusters auf der Grundlage einer Serie von Texten, mit denen 77 Vgl. Schöttler, Sozialgeschichtliches Paradigma; ders., Mentalitäten, Ideologien, Diskurse; Sarasin, Subjekte, Diskurse, Körper; ders., Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse. 78 Sarasin, Subjekte, Diskurse, Körper, S. 142. 79 Ebd., S. 143–144.
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sich der Charakter des wissenschaftlichen Diskurses in einer Disziplin bzw. in einem Forschungsbereich einschätzen lässt. Prinzipiell ließen sich andere Verfahren der Textanalyse denken, etwa die Begriffsgeschichte. Die Diskursanalyse hat den Vorteil, dass sie mit dem hier gewählten theoretischen Instrumentarium die erkenntnistheoretische Prämisse teilt. Fleck schreibt zur sozialen Bedeutung und Wirksamkeit von Aussagen: »Eine einmal veröffentlichte Aussage gehört jedenfalls zu den sozialen Mächten, die Begriffe bilden und Denkgewöhnungen schaffen; sie bestimmt gemeinsam mit allen anderen Aussagen, was man ›anders nicht denken kann‹.« 80
Ganz ähnlich wird das für die Diskursanalyse formuliert. Gegenstände sind nur dann in der sozialen Welt relevant, wenn ihnen diskursiv eine Bedeutung zugewiesen wird. Erst in den Strukturen des Diskurses organisiert sich die Wahrnehmung und Erfahrung des Subjekts.81 Denkstil und Diskurs haben somit denselben Effekt: Sie limitieren und eröffnen die Möglichkeiten der Rede und des sozialen Handelns. Diese Übereinstimmung macht die Diskursanalyse zu einem geeigneten Instrument für die Quellenanalyse, zumal sie die Beantwortung der Frage nach der Anschlussfähigkeit von Aussagen und damit über die Wahrscheinlichkeit erlaubt, mit der an bestimmte Forschungen angeknüpft wird. Mit Hilfe dieses Verfahrens und angeleitet durch die skizzierten theoretischen Konzepte richtet sich die Untersuchung also auf die möglichst genaue Rekonstruktion des experimentellen Geschehens, auf den übergeordneten Denkstil und die zu den Experimenten erkennbare Theoriebildung, auf Aushandlungs- und Legitimierungsstrategien und schließlich auf die Mechanismen der Übersetzung und Kooperation zwischen sozialen Welten, die an der Herausbildung einer Forschungslinie zur IVF beteiligt waren.
80 Fleck, S. 52–53. 81 Sarasin, Subjekte, Diskurse, Körper, S. 157–158.
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II. Die künstliche Befruchtung im neunzehnten Jahrhundert
Als Samuel Leopold Schenk 1878 seinen Aufsatz »Das Säugethierei künstlich befruchtet ausserhalb des Mutterthieres« veröffentlichte,1 ahnte er nicht, dass ihn das zum »Pionier« der In-vitro-Fertilisation machen würde. Auch in der Geschichte der Embryologie des neunzehnten Jahrhunderts verschafften ihm die Versuche einen Ehrenplatz: Das heutige Histologisch-Embryologische Institut in Wien pflegt sein Andenken2 und Horder, Witkowski und Wylie verzeichnen ihn in ihrer Chronologie wichtiger embryologischer Forschungen mit dem Eintrag »Shenk attempts in vitro fertilisation of mammalian ovum«.3 Niemand hätte sich darüber mehr gewundert als Schenk selbst. Er kannte weder den Begriff der In-vitro-Fertilisation noch maß er seinen Versuchen eine größere Bedeutung zu. In dieser ersten Fallstudie geht es um die Frage, was Schenk leistete und was im Rahmen seiner spezifischen sozialen Forschungsbedingungen nicht möglich war: Welche Rolle spielten seine Versuche zur künstlichen Befruchtung von Säugetier-Eizellen im Jahre 1878 innerhalb der zeitgenössischen Embryologie und wie ist die Bedeutung dieser Versuche für die Geschichte der IVF einzuschätzen? Angelehnt an das Konzept der Experimentalsysteme werden das Zusammenspiel von Forschungspraktiken, Versuchsobjekten und Theorie in den experimentellen Kontexten untersucht, in denen mit der »künstlichen Befruchtung« disparate Forschungsstrategien angesprochen waren. »Künstliche Befruchtung« erscheint als »unscharfer Begriff« im Sinne Ilana Löwys. Allerdings erfüllte er im neunzehnten Jahrhundert diese Funktion nicht: Es erfolgte kein Transfer von experimentellen Praktiken zwischen verschiedenen Denkkollektiven. Aber über die Experimente, die mit diesem Begriff belegt wurden, lassen sich Forschungskontexte identifizieren, die für die Entwicklung der IVF in den 1930er und 40er Jahren wichtig wurden. Im ersten Abschnitt werden die Versuche von 1878 und die Bedingungen analysiert, unter denen sie stattfanden. Soweit das mit den Quellen möglich ist, 1 Schenk, Säugethierei. Der Aufsatz erschien das erste Mal 1878 im 2. Heft der »Mittheilungen«. 2 Dies versicherte mir dessen Leiter Franz Wachtler in einem Gespräch im Sommer 1999. 3 Horder u. a., S. XVIII.
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wird Schenks Arbeitsweise dargestellt, seine Einbindung in die Medizinische Fakultät in Wien und die Konflikte, die damit verbunden waren. Die sozialen Rahmenbedingungen dieser Forschungen, so stellt sich heraus, unterschieden sich tief greifend von denen der 1930er Jahre. Im zweiten Abschnitt wird der Forschungskontext der Versuche rekonstruiert: Welche Forschungsfragen wollte Schenk mit ihnen beantworten, und wer gehörte zu dem Denkkollektiv, an das sie gerichtet waren. Schenk orientierte sich an Methoden, Fragestellungen und Theorien, für die der Altmeister der Säugetier-Embryologie Theodor L. W. Bischoff stand. Von diesem scharf kritisiert, entwickelten sich in den 1870er Jahren Forschungen zur Befruchtung und Keimesentwicklung, die auf den Konzepten der Eizelle und der Befruchtung als Verschmelzung zweier Keimzellen basierten, Modelle, die relevant sind für die Entwicklung der IVF, die Schenk aber verfehlte, indem er sich an älteren Konzepten orientierte. Der dritte Abschnitt nimmt eine diskursanalytische Perspektive ein. Eine in vielen embryologischen Texten anzutreffende Unterscheidung ist diejenige von natürlich und künstlich, wobei »künstliche« Verfahren im Verdacht standen, dem Erkenntnisideal der naturgetreuen Abbildung zu widersprechen. Der wissenschaftliche Denkstil morphologischer Erklärungsmodelle und der Beobachtung von Naturphänomen geriet Mitte der 1870er Jahre unter Druck, und zwar einerseits durch die zunehmende Bedeutung physiologischer Erklärungsansätze für embryologische Phänomene und andererseits durch neue Verfahren der mikroskopischen Beobachtung und damit verbundenen Schnitt- und Konservierungstechniken. Aber auch bei jüngeren Forschern blieb das Ideal der »genauen Beobachtung« bindend. Die Schaffung eines vollständigen, lebensfähigen Organismus auf dem Labortisch lag außerhalb des zwar angefochtenen, aber gültigen Denkstils der Embryologie. Erst Ende des Jahrhunderts setzte sich die Entwicklungsphysiologie gegenüber der älteren embryologischen Tradition durch und damit ein experimentell ausgerichteter Forschungsstil. Im letzten Abschnitt wird die Spur der künstlichen Befruchtung in die Gynäkologie verfolgt. Hier hatten entsprechende Versuche in den 1870er und 1880er Jahren eine erste Konjunktur in einer zunehmend chirurgisch orientierten Gynäkologie. Im Spezialgebiet der »Sterilitätslehre« entwickelten sich Praktiken und Theorien zur Kontrolle der Fortpflanzung, an die die Reproduktionswissenschaften anschließen konnten und die insofern auch eine Bedeutung für die Geschichte der IVF haben.
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1. Die Versuche von 1878 in Wien »Säugethiereier« auf dem Labortisch Schenk ging es um die Probleme der frühen Embryonalentwicklung, insbesondere um die Frage der Reife von Eizellen und die Beschreibung der Furchenbildung.4 Zu diesem Zweck unternahm er die künstliche Befruchtung und wählte als »Beobachtungsobject … das Ei des Kaninchens und des Meerschweinchens, ein Objekt, welches in den Laboratorien so ziemlich zugänglich ist und an denen die bisherigen Untersuchungen zumeist durchgeführt wurden.«5 Zum Verfahren schrieb Schenk, er habe die »Eichen … lege artis« 6 aus den Follikeln entnommen, auf einen erwärmten Objektträger gebracht und unter dem Mikroskop in Augenschein genommen: »Ist das Ei bezüglich seiner anatomischen Bestandtheile näher untersucht worden, so bringt man es auf die Schleimhaut eines frischen aufgeschnittenen Uterus des bezüglichen Thieres, dessen Eichen untersucht werden, und lässt es darin bis man das Eichen abermals behufs mikroskopischer Untersuchung aus dem Uterus zu nehmen gedenkt. Hierauf wird ein frisch dem Samenstrange und den Samenblasen entnommenes Sperma, ohne es zu diluiren [zu verdünnen], dem Eichen auf der Uterusschleimhaut zugesetzt und in einen entsprechend vorgewärmten Brütapparat gelegt.«7
Schenk gelang es, die ersten Entwicklungsphasen der befruchteten Eizelle zu beobachten. So beschrieb er Veränderungen der »Körnchenmasse« im »Dotter«, also Prozesse der Kernteilung.8 Gegen Ende seines Aufsatzes kündigte er eine weitere Arbeit an, zumal es ihm gelungen sei, »die oben beschriebene Methode wesentlich zu verbessern«. Dann wolle er das »Auftreten der ersten Kerne am Säugethierei« näher beschreiben.9 Dieses Vorhaben hat er später fallengelassen. Obwohl Schenk der erste war, dem die extrakorporale Befruchtung von Säugetiereizellen gelang, beschrieb er seine Versuche nicht als wegweisende neue Entwicklung, sondern äußerte sich im Gegenteil sehr defensiv. Und sie riefen kaum Resonanz hervor! In den Veröffentlichungen aus Schenks eigenem
4 Schenk, Säugethierei, S. 107–108, 114, 118. Schenk verwendete den Begriff »Eier« statt »Eizellen«. Der Begriff der Zelle und seine Anwendung auf Keimzellen war umstritten, vgl. den Abschnitt II.2. 5 Ebd., S. 108. 6 Ebd., S. 111. Zu den »Gesetzen der Kunst« gehörte die Vivisektion der Tiere. In seinem Aufsatz in der AWMZ sprach Schenk von »lebender Uterinschleimhaut« bzw. »lebender Uterinwand«, Schenk, Ein charakteristisches Merkmal. 7 Schenk, Säugethierei, S. 111. 8 Ebd., S. 116–117. 9 Ebd., S. 117–118.
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Institut findet sich nur eine einzige beiläufige Erwähnung der Versuche.10 Auf einer Sitzung der Gesellschaft der Ärzte stellte Schenk zwar seine Versuche vor, konzentrierte sich aber auf das Problem der Reife von Eizellen, ohne die Methode besonders hervorzuheben. In dem entsprechenden Bericht der Allgemeinen Wiener Medizinischen Zeitung wurde nicht einmal erwähnt, dass Schenk mit Säugetier-Eizellen experimentiert hatte, sondern allgemein von den »Eiern von Wirbelthieren und Wirbellosen« gesprochen.11 Auch in seiner wissenschaftlichen Autobiographie, die Schenk anlässlich seiner Zwangspensionierung im Jahr 1900 verfasste, spielten die Befruchtungsversuche keine eigenständige Rolle, sondern wurden nur angedeutet.12 Niemand nahm sonderlich Notiz von diesen Versuchen. Besonders irritierend ist dabei, dass er selbst sie nicht als außergewöhnliche Leistung hervorhob, wozu gerade seine Autobiographie der ideale Ort gewesen wäre. Die mangelnde Wahrnehmung seiner Versuche, so legen die Sekundärliteratur und ein Teil der Quellen nahe, sei darauf zurückzuführen, dass er in der medizinischen Fakultät als Kauz und wissenschaftlicher Außenseiter galt.13 Eine genaue Analyse der Quellen zeigt aber, dass er sich im Gegenteil vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Organisation von Forschung als mehr oder weniger typischer Vertreter seiner Zeit und seiner Zunft verhielt.
Konflikte in der Medizinischen Fakultät Samuel Leopold Schenk wurde am 23. August 1840 im slowakischen Ürmény in mittellosen Verhältnissen geboren, studierte in Wien Medizin, promovierte 1865 und erwarb ein Jahr später einen Magister in Geburtshilfe und einen Doktortitel in der Chirurgie.14 Im Dezember 1868 beantragte Schenk die Habilitierung als Privatdozent für »Zeugung und Entwickelung der Menschen und der Wirbelthiere«.15 Aus seinem Curriculum Vitae geht hervor, dass er seit 1866 als Assistent am Institut von Ernst Brücke arbeitete, der neben Emil Du Bois-Reymond, Hermann von Helmholtz und Carl Ludwig zu den einflussreichen Wegbereitern der experimentellen Physiologie im neunzehnten Jahrhundert zählte.16 1873 wurde das Wiener Embryologische Institut gegründet, dem Schenk als außerordentlicher Professor vorstand.17 Er leitete das Institut bis zu seiner 10 11 12 13 14 15 16 17
Carini, bes. S. 72–73. Schenk, Befruchtung der Eichen. Schenk, Aus meinem Universitätsleben, S. 15. Lesky, S. 519–521; Politzer; Glaser, Willkürliche Geschlechtsbestimmung. Zur Biographie vgl. Lesky, S. 519; Politzer, S. 1. Med. Dek. Akte 130 aus 1868/69. Zur Geschichte der Physiologie vgl. Sarasin u. Tanner, S. 12–43; Lenoir, S. 18–52. Lesky, S. 519–521; Politzer, S. 1.
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vorzeitigen und zwangsweise vollzogenen Pensionierung im Jahr 1900, die das Ende vieler Konflikte mit dem medizinischen Professoren-Kollegium in Wien darstellte. Die spärliche, über Schenk vorhandene Sekundärliteratur ist eher von einem Interesse an der Wiener Medizin als an seiner Person motiviert und zeichnet das Bild eines verschrobenen und unsympathischen Wissenschaftlers. Schenk sei zwar »ein vortrefflicher Mikroskopiker« gewesen, habe eine »ausgezeichnete Vorlesung« gehalten und sein Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte aus dem Jahre 1874 sei für die damalige Zeit ganz bemerkenswert.18 Dennoch ist das Gesamturteil negativ: Schenk sei ein Außenseiter an der medizinischen Fakultät und »immer ein Bauer geblieben«.19 Ständig habe er nach neuen Einnahmequellen und einer Ausdehnung seiner Befugnisse gesucht. Die Erbitterung der Medizinprofessoren sei zum Ausbruch gekommen, als Schenk sein Buch zur Geschlechtsbestimmung großspurig unter dem Titel »Theorie Schenk« veröffentlichte.20 Politzer räumt zwar ein, dass er überrascht sei von der Härte, die sich in der Zwangspensionierung ausdrücke, liefert aber keine andere Erklärung als die von persönlichen Spannungen.21 Das Corpus delicti, um das es bei der Pensionierung ging, erschien 1898 unter dem Titel »Einfluss auf das Geschlechtsverhältnis« und war in Schenks eigenen Augen sein bedeutendstes wissenschaftliches Werk. Er behauptete darin, dass die Wahrscheinlichkeit männlicher Nachkommen mit der zunehmenden Reife der Eizelle steige.22 Da die Reifung der Eizelle mit dem Stoffwechsel in Verbindung stehe, wollte er mit Diätplänen für die Schwangerschaft das Geschlecht des Kindes beeinflussen. Es habe ihm zwar oft an geeignetem »Materiale« (schwangeren Frauen) gefehlt, dennoch verfüge er über »eine Reihe von Fällen mit günstigem Ausgange«.23 Diese Veröffentlichung provozierte heftige Auseinandersetzungen zwischen Schenk und den Professoren der medizinischen Fakultät. Sie gipfelten darin, dass Schenk am 5. April 1900 durch kaiserliche Verfügung in den Ruhestand versetzt wurde.24 Im Österreichischen Staatsarchiv ist der »Vortrag« des Unterrichtsministers Hartel vom 20. März 1900 erhalten, der die Beschlussvorlage für diese Entscheidung darstellt. Da es sich um eine »ganz außergewöhnliche Maßnahme« handele, müsse sie ausführlich begründet werden.25 18 Politzer, S. 2. Hugo Glaser schrieb, Schenk sei »zweifellos ein großer Wissenschaftler« gewesen, Glaser, Willkürliche Geschlechtsbestimmung, S. 780. Vgl. auch Lesky, S. 519–521. 19 Glaser, Willkürliche Geschlechtsbestimmung, S. 780. 20 So die Interpretation von Politzer, S. 3. Vgl. mit derselben Einschätzung Lesky, S. 521. 21 Politzer, S. 3–4. 22 Schenk, Geschlechtsverhältnis, S. 38 u. S. 80–87. 23 Schenk, Aus meinem Universitätsleben, S. 15–16. 24 VA. Min. f. Cult. u. Unterr. 4 Med. Embryologie. Schenk. Nr. 870 aus 1900. 25 Ebd., Blatt 2 des Vortrags von Hartel.
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Im Mittelpunkt der Vorwürfe stand, dass Schenk mit der Publikation und Verwertung seiner Arbeit zur Geschlechtsbestimmung begonnen habe, »bevor dieselben zu einem wissenschaftlich exacten Resultat geführt haben«. Schenk sei »infolge eines ungesunden Triebes nach neuen Einnahmsquellen … in einem populär gehaltenen Buche vor ein Laienpublicum« getreten, »dessen Interesse nur in der Eigenthümlichkeit des behandelten Themas die Ursache« habe. Er habe »durch sein mit der Würde eines akademischen Lehrers und Forschers unvereinbares Verhalten das Ansehen der Wiener medicinischen Facultät und ihrer Mitglieder verletzt«. Das Professoren-Kollegium akzeptiere ein »Referat« mit 22 gegen 5 Stimmen, das »über das Wirken Schenks in den letzten Jahren eine für ihn geradezu vernichtende Kritik« enthalte.26 Auch aus der Presse habe er so gut wie keine Fürsprache erhalten.27 War Schenk also ein Scharlatan, dessen Versuche ohnehin niemand ernstnahm und der weder persönlich noch fachlich die Anerkennung der Medizinprofessoren genoss?28 Diese Einschätzung findet sich in den Akten zu seiner Pensionierung: »Obwohl Professor Schenk bis vor wenigen Jahren auf Grund seiner wissenschaftlichen Publicationen unzweifelhaft als productiver Fachmann auf embryologischem Gebiet gelten konnte, vermochte er sich dennoch niemals eine auf Vertrauenswürdigkeit gestützte Achtung im Kreise seiner Collegen an der medicinischen Facultät in Wien zu erwerben.«29
Man könnte also argumentieren, dass die Versuche Schenks zur Befruchtung von Säugetier-Eizellen keine Resonanz hervorriefen, weil man den Autor ohnehin nicht für zuverlässig hielt, ihm möglicherweise auch nichts anderes als spröde Fleißarbeit zutraute. Auf den ersten Blick stützen auch die Personalakten Schenks diese Lesart. Ein großer Teil der Dokumente des Universitätsarchivs und des Österreichischen Staatsarchivs behandeln seine regelmäßigen Eingaben um Gehaltserhöhung, seine Versuche, die Lehrbefugnis auf die Histologie auszudehnen und seine außerordentliche in eine ordentliche Professur umzuwandeln.30 Die verschiedenen Stellungnahmen, die von Schenks Lehrer, dem Physiologen Ernst 26 Ebd., Blatt 2–4. 27 Ebd., Blatt 5–6. 28 Die Arbeit zur Geschlechtswahl scheint das nahe zu legen, wirken doch die Spekulationen über Diätpläne und männliche Nachkommen ziemlich skurril. Allerdings beschäftigte das Thema viele zeitgenössische Wissenschaftler, wenn man Schenks Forschungsüberblick glauben darf, Schenk, Geschlechtsverhältnis, S. 8–13, 31–36, 45–47. Außerdem sei das Buch »auffällig viel von Aerzten gekauft worden«, Schenk, Aus meinem Universitätsleben, S. 26. 29 VA. Min. f. Cult. u. Unterr. 4 Med. Embryologie. Schenk. Nr. 870 aus 1900, Blatt 2 des Vortrags von Hartel. 30 Med. Dek. Akten 214 aus 1876/77, 99 aus 1879/80, 471 aus 1881/82, 82 aus 1882/83, 291 aus 1886/87, 596 aus 1893/94. VA. Min. f. Cult. u. Unterr. 4 Med. Embryologie. Schenk. Die Akten 3.172 aus 1879, 5.408 aus 1881, 18.342 aus 1882, 24.046 aus 1892.
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Brücke erhalten sind, spiegeln eine ambivalente Haltung gegenüber seinem Assistenten wider. Brücke beantragte zwar regelmäßig die Verlängerung der Arbeitsverträge von Schenk,31 schrieb zustimmende Gutachten zu dessen Habilitierung und befürwortete die Erweiterung seiner Dozentur auf die gesamte Physiologie.32 Dennoch war der Ton Brückes in diesen Schreiben eher zurückhaltend. Er präsentierte Schenk nicht als talentierten Wissenschaftler, sondern als einen, der »eine ganze Reihe fleißiger auf eignen Beobachtungen begründete Abhandlungen aus dem Gebiete der Entwicklungsgeschichte geliefert« habe33 und der das für die Physiologie nötige Handwerkszeug beherrsche.34 Vor der Gründung des embryologischen Institutes, die am 2. Dezember 1873 erfolgte, wirkt er allerdings engagierter. In der Vorlage des Unterrichtsministers Stremayr vom 26. November 1873 heißt es, bisher sei dieser »wichtige und umfassende Zweig der physiologischen Forschung« in Wien durch den Professor der Physiologie, Ernst Brücke gelehrt worden. Brücke habe auf die eigenständige Vertretung des Faches gedrängt und seinen ehemaligen Assistenten Schenk als außerordentlichen Professor zur Leitung des Instituts vorgeschlagen. 35 Stremayr bezog sich auf eine Eingabe Brückes (die nicht erhalten ist) und hob Schenks wissenschaftlichen Eifer und seine gute Ausbildung hervor. Er habe »eine Reihe höchst anerkennenswerther wissenschaftlicher Publikationen aufzuweisen« und nach dem Urteil Brückes sei seine »Erfahrung, die Menge dessen, was Dr. Schenk gesehen hat, so groß, dass ihm hierin wohl keiner der andern jungen Embryologen gleichkommt.«36 Die wissenschaftliche Begabung Schenks stünde außer Zweifel und auch seine Lehrbefähigung sei ausreichend erprobt. Bis hierhin ergibt sich der Eindruck eines ehrgeizigen, aber möglicherweise nicht besonders originellen und persönlich eher schwierigen Wissenschaftlers, der weder die Sympathie noch das Vertrauen der Kollegen besaß, eines Außenseiters eben. Mit Hilfe der Akten und einiger allgemeiner Befunde lässt sich allerdings auch eine andere Interpretation vertreten, nach der die Schwierigkeiten Schenks mit der Organisation und Finanzierung von Wissenschaft gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts, der prekären Rolle der Embryologie als medizinischer Teildisziplin und nicht zuletzt mit der Tatsache zu tun hatten, dass er Jude war. Denn der Verlauf von Schenks Berufsbiographie ist nicht besonders auffällig. Dass Schenk nie das Vertrauen der Kollegen besaß, ist eine nachträgliche Deutung aus der Perspektive von 1900. 31 Med. Dek. Akten 648 aus 1867/68, 613 aus 1869/70, 30 aus 1872/73. 32 Med. Dek. Akten 130 aus 1868/69, 121 aus 1870/71. 33 Med. Dek. Akte 130 aus 1868/69. 34 Vgl. das Schreiben Brückes vom 3.12.1870, Med. Dek. Akte 121 aus 1870/71. 35 Vortrag des Unterrichtsministers Stremayr vom 26. November 1873, VA Min. f. Cult. U. Unterr. 4 Med. Embryologie. Schenk. Nr. 16.317 aus 1873. 36 Ebd.
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Schenk bemühte sich um die Erhöhung seiner Bezüge und die Ausdehnung seiner Zuständigkeit etwa seit 1879. Seine Eingaben waren von zustimmenden Kommentaren begleitet, auch aus dem Kreis der Medizinprofessoren. Anlässlich eines solchen Antrags auf Gehaltserhöhung aus dem Jahr 1879 verwies Minister Stremayr auf einen Bericht des Professoren-Kollegiums, in dem hervorgehoben wurde, dass Schenk »über eine reiche Erfahrung und eine ausgezeichnete Technik gebiete« und seine »wissenschaftlichen Arbeiten wegen ihrer Strenge, mit der sie sich an das direkt Beobachtete halten, einen anerkennenswerthen Gegensatz gegen manche theoretisirende Bestrebungen der Neuzeit« bildeten.37 Wenn Schenk also das Vertrauen seiner Kollegen verlor, dann nicht vor 1880 – jedenfalls für die Bewertung seiner Befruchtungsversuche dürfte das keine Rolle gespielt haben. Dafür spricht auch die Wahrnehmung von Schenks Arbeiten in embryologischen Fachkreisen. Sie wurden regelmäßig in den Jahresberichten der Medizin erwähnt, viele davon ausführlich besprochen.38 Die Selbstverständlichkeit, mit der unter seiner Leitung entstandene Arbeiten erwähnt wurden,39 zeigt, dass sein Name ein Begriff war. Es finden sich keine Indizien, dass er ausgegrenzt worden wäre. Schenks Bemühungen um Gehaltserhöhungen erscheinen vor dem Hintergrund der sozialen Situation von Gelehrten im neunzehnten Jahrhundert in einem anderen Licht. Rudolf Stichweh macht darauf aufmerksam, dass Wissenschaftler an den Universitäten notorisch unterbezahlt und ausreichend dotierte Stellen knapp waren. Viele Gelehrte waren gezwungen, sich zusätzliche Einnahmequellen außerhalb der Universität zu beschaffen.40 Genau dies bestätigen auch die Unterlagen im Falle Schenks. So befindet sich in einer Akte des Staatsarchivs aus dem Jahr 1881 ein Schreiben des Dekans der medizinischen Fakultät an das Unterrichtsministerium, in dem dieser hervorhob, mit welchem Eifer und Erfolg Schenk als Leiter seines Institutes arbeite. Andererseits sei anzuerkennen, »dass der Gehalt von 1500 fl in Wien für den Haushalt eines Universitätsprofessors, zumal wenn derselbe mehrere Kinder aufzuziehen hat, auch bei sehr bescheidenen Ansprüchen nicht ausreicht.«41 Daher habe Brücke, der Schenks Eingabe begutachten sollte, die Erhöhung des Gehaltes unbedingt befürwortet. 37 Vortrag des Unterrichtsministers Stremayr vom 3. März 1879, VA Min. f. Cult. u. Unterr. 4 Med. Embryologie. Schenk. Nr. 3.172 aus 1879. 38 Jber. 1969, S. 65; Jber. 1870, S. 60, 64; Jber. 1872, S. 84, 87–88; Jber. 1873, S. 93, 98; Jber. 1874, S. 116, 134–135, 147; Jber. 1875, S. 149–150; Jber. 1876, S. 115–116; Jber. 1878, S. 81, 105; Jber. 1879, S. 80, 86; Jber. 1880, S. 78, 90, 96; Jber. 1881, S. 103. 39 Jber. 1871, S. 53; Jber. 1877, S. 80, 98. 40 Stichweh, S. 87, 37. 41 Schreiben des Dekans der medizinischen Fakultät an das k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht vom 18. Januar 1881, VA. Min. f. Cult. U. Unterr. 4 Med. Embryologie. Schenk. Nr. 5.408 aus 1881.
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Die Bemühungen Schenks, seine Lehrbefugnis auszudehnen, passen ebenfalls in dieses Bild. Bereits 1882 hatte Schenk sich vergeblich um die Erweiterung seiner Professur auf das Gebiet der Histologie bemüht.42 1887 wiederholte er diesen Versuch und begründete ihn damit, dass beide Fächer eng beieinander lägen, Technik und Forschungsmethoden seien beinahe identisch.43 Er verwies darauf, dass überall sonst in Deutschland die Embryologie mit der Histologie in einem Lehrstuhl verbunden sei. Außerdem sei die Zusammenlegung der Fächer sinnvoll, »da mein Institut als nur für Embryologie denen der anderen medizinischen Facultäten … als solches nicht gleichgestellt ist«.44 Diese Formulierung verweist auf das Hauptmotiv für die wiederholten Anträge Schenks. Das embryologische Institut existierte nun seit vierzehn Jahren und hatte eine erfolgreiche Arbeit vorzuweisen. Das wurde in Schenks Augen nicht ausreichend gewürdigt: Die Professur war weiterhin eine »außerordentliche« und die Embryologie hatte den Status eines Nebenfaches.45 Schenks Anträge lassen sich also als Versuche lesen, die Anerkennung der Embryologie als vollwertige, medizinische Teildisziplin zu erreichen. Lynn Nyhart betont in ihrer Studie zur Morphologie im neunzehnten Jahrhundert, dass eine wissenschaftliche Disziplin in Deutschland nur dann über Beachtung und Legitimität verfügte, wenn sie an der Universität entsprechend repräsentiert war.46 Die Entwicklung eines Wissensgebietes zur Disziplin war eng verbunden mit der internen sozialen Struktur der Universitäten: »German universities developed a unique system in which each sanctioned body of knowledge was the province of a single full professor at each university.«47
Vertreter neuer Fachrichtungen begannen als unbezahlte Privatdozenten. Waren sie erfolgreich, stellte man sie als außerordentliche Professoren ein, bezahlt, aber ohne Stimmrecht an der Fakultät. Erst die Umwandlung der außerordentlichen in eine ordentliche Professur zeigte die erfolgreiche Etablierung einer Disziplin an: »In the German system, it was the Ordinariat that marked the arrival of a new discipline, and conversely, new disciplines are seen almost necessarily to evolve by filiation from existing ones.«48
Vor diesem Hintergrund sind Schenks Eingaben rational und folgerichtig. Indem er sich um die Umwandlung seiner außerordentlichen in eine ordentliche 42 43 44 45 46 47 48
Med. Dek. Akten 471 aus 1881/82 und 82 aus 1882/83. Med. Dek. Akte 291 aus 1886/87. Ebd. Schenk, Aus meinem Universitätsleben, S. 13. Nyhart, S. 12–13. Ebd., S. 15. Ebd.
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Professur bemühte, kämpfte er um den Status seines Wissensgebietes. Seinen ersten Antrag auf Anstellung als ordentlicher Professor hatte er 1879 gestellt,49 ab 1894 kümmerte er sich intensiv darum, zunächst ohne Erfolg.50 Das Protokoll der Sitzung des Professoren-Collegiums, auf der sein Gesuch verhandelt wurde, ist nur teilweise lesbar. Aus den Bruchstücken geht hervor, dass ein Komitee aus den Professoren von Ebner (der Nachfolger Wedls in der Histologie), Exner (der Nachfolger Brückes in der Physiologie) und Gruber (Professor für Hygiene) den Antrag Schenks ablehnte. Diese Beschlussvorlage wurde mit 18 gegen 12 Stimmen angenommen, »nachdem Hofr. Prof. Toldt erklärt hatte, daß …«.51 Die Art der Intervention Toldts ist im Protokoll nicht entzifferbar. Dafür enthält die Akte eine nicht datierte Erklärung Toldts, in der er seinen Protest gegen die Einrichtung eines ordentlichen Lehrstuhls für Embryologie formulierte. Toldt stellte prinzipiell in Frage, dass es fachliche Gründe gebe, die Embryologie in eine ordentliche Lehrkanzel umzuwandeln. Sollte diese Frage »gegen seine Überzeugung« dennoch bejahend beantwortet werden, müsse man aber darüber nachdenken, ob es nicht im Interesse der Fakultät läge, dafür »eine andere geeignetere Persönlichkeit in Vorschlag zu bringen«.52 Es ging Toldt um zweierlei: Er lehnte Schenk als Person ab, auf die mutmaßlichen Gründe wird noch eingegangen, und er akzeptierte die Embryologie nicht als vollwertige medizinische Teildisziplin. Die vielen Anträge Schenks zeigen also einen Konflikt um persönliche Anerkennung und um den Status der Embryologie innerhalb der medizinischen Fakultät. Erst im Oktober 1896 wurde Schenk endlich der Titel eines ordentlichen Professors verliehen, eine Freude, die nicht lange anhielt.53 Die mangelnde Verankerung der Embryologie an der Universität zeigt sich noch akzentuierter in Schenks Autobiographie aus dem Jahr 1900. Schenk rekonstruierte darin sein gesamtes Forscherleben anhand seines »Lebenswerkes«, der willkürlichen Geschlechtsbestimmung. Als junger Mann sei er auf eine Seidenraupenzucht in der Stadt aufmerksam geworden, die bedeutend mehr Männchen enthalten habe als eine auf dem Land. Das sei eine »derartig eindrucksvolle Erscheinung« für ihn gewesen, dass ihn das Problem nicht mehr losgelassen habe.54 In den physiologischen Instituten und chemischen Laboratorien habe er nach »unterstützenden Hilfsmitteln« gesucht, um dieses Phänomen wissenschaftlich zu untersuchen. Daher übte er sich in der Physiologie, der Chemie und der Mikroskopie und studierte an den Lehrstühlen der Phy49 50 51 52 53 54
Med. Dek. Akte 99 aus 1879/80. Med. Dek. Akte 596 aus 1893/94. Ebd. Ebd. Med. Dek. Akten 1016 aus 1895/96 und 56 aus 1896/97. Schenk, Aus meinem Universitätsleben, S. 5.
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siologen Ernst Brücke und Carl Ludwig, die damals beide in Wien arbeiteten und von denen Schenk schwärmte, sie seien »zwei Sterne ersten Ranges in der Gelehrten-Welt«.55 Später habe Brücke ihn »aus eigenem Antrieb ohne Vermittlungspersonen und ohne Protektion« als Assistenten an seinem Institut beschäftigt, wo er sich mit seiner »vollen Jugendkraft« der Embryologie widmete.56 Schenk stellte seine Berufsbiographie als zielgerichtet und selbstgesteuert dar, ausgehend von einem durch Schmetterlinge hervorgerufenen Erweckungserlebnis. Diese Erzählweise gehört zu den typischen Merkmalen der zeitgenössischen Gelehrtenautobiographie, genau wie die Tatsache, dass Schenks Text apologetisch verfasst ist.57 Er inszenierte sich als verkanntes Genie, welches einer böswilligen Verschwörung zum Opfer gefallen sei. Die Übereinstimmungen mit den literarischen Motiven solcher Autobiographien macht deutlich, dass dieser Text nicht »faktisch« zu lesen ist. Aus der Perspektive einer Diskursanalyse lassen sich dennoch Aussagen formulieren. Interessant ist vor allem, dass die »Doppeldeutigkeit« der Akten auch Schenks Lebensbericht strukturiert: Die persönliche Ausgrenzung Schenks korrespondiert mit dem mangelnden Ansehen der Embryologie. Diese sei, so Schenk, in Wien niemals voll anerkannt worden, obwohl sie sich unter seiner Leitung international einen Namen gemacht habe und ihre wissenschaftliche Bedeutung gestiegen sei.58 Schon die Gründung des embryologischen Institutes sei nicht selbstverständlich gewesen. Das Interesse zweier einflussreicher Mediziner habe sich gegen den damals eher passiven Widerstand durchsetzen müssen: »Rokitansky als Referent im Ministerium und Brücke als Meister in der Physiologie konnten durch die Kundgebung ihres Willens so manche stille averse Thätigkeit vernichten. Andererseits war wegen der allgemeinen Unkenntnis der Embryologie und ihrer Bedeutung für die anderen Naturwissenschaften doch noch keine öffentliche Gegnerschaft nothwendig. Auch dachte niemand daran, dass die Embryologie für den wissenschaftlich gebildeten Mediciner zur Ausbildung irgend welche Bedeutung erlangen konnte.«59
Gerade die vermeintliche Bedeutungslosigkeit des Faches habe also seine Etablierung ermöglicht. Die Embryologie sei aber als Nebenfach immer schlecht ausgestattet worden, obwohl »sie doch in wissenschaftlicher Beziehung eine der grundlegenden Disciplinen der Anatomie, der Physiologie, Pathologie, pathologische Anatomie, der Histologie etc.« bleibe.60 55 56 57 58 59 60
Ebd., S. 6–7. Ebd., S. 7. Vgl. Wagner-Egelhaaf; Müller, Autobiographie, S. 30–33; Niggl, S. 133–153. Schenk, Aus meinem Universitätsleben, S. 8. Ebd., S. 12. Ebd., S. 13.
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Die schlechte Ausrüstung des Institutes hielt offenbar an. Auch noch kurz vor seiner Pensionierung habe Schenk mit veralteten Lehrmitteln gearbeitet, »ein Vorgehen, an welches ich mich ja seit jeher gewöhnen musste.«61 Die Analyse der Akten und der Autobiographie zeigt, dass es Schenk um die Verankerung seiner Disziplin ging und dass sein Verhalten – die Eingaben um bessere Bezahlung, um Ausdehnung seiner Befugnisse und um Umwandlung der Professur in eine ordentliche – völlig rational waren. Es ging ihm um die Etablierung der Embryologie angesichts knapper Ressourcen und einer mangelnden institutionellen Verankerung.62 Vor diesem Hintergrund erscheint das Verfahren der Zwangspensionierung irritierend. Die in den Quellen angegebenen Begründungen scheinen die Wucht und Schnelligkeit, mit der man gegen Schenk vorging, nicht wirklich zu rechtfertigen. Interessant ist nun, dass Schenk zwischen 1896 und 1898 seinen Vornamen »Samuel« ablegte und von nun an nur noch unter dem Namen »Leopold Schenk« veröffentlichte. Außerdem scheint er in dieser Zeit zum katholischen Glauben konvertiert zu sein.63 Damit war er beileibe kein Einzelfall. Zwischen 1868 und 1903 ließen sich in Wien über 9000 Juden taufen, mehr als in jeder anderen Stadt der Habsburger Monarchie.64 Besonders nachdem 1895 die Christlichsozialen die Gemeinderatswahlen gewannen, herrschte in Wien ein aggressiver Antisemitismus, der für viele jüdische Familien existenzbedrohend wurde. Jude zu sein, war nicht förderlich für die Karriere.65 Seit Anfang der 1880er Jahre verbreitete sich besonders an der Universität eine rassische Form des Antisemitismus, nach der Juden jede Möglichkeit aberkannt wurde, je Deutsche zu werden, auch nicht durch Konversion. Ausgelöst hatte diese Entwicklung unter anderem eine Rede des Medizinprofessors Theodor Billroth, in der er vor einer »Überfremdung der Universität« warnte. Dies griffen deutschnationale Burschenschaften auf und begannen, Juden aus ihren Vereinigungen auszuschließen. 1896 wurde jeder, der seiner Abstammung nach Jude war, für »satisfaktionsunfähig« erklärt, ein Alptraum für die jüdische Elite.66 Die Radikalität und Geschwindigkeit der Zwangspensionierung von Schenk kann nur mit diesem verschärften Antisemitismus erklärt werden. Richteten sich Angriffe gegen Juden, so Steven Beller, sei die Sache einfach gewesen, 61 Ebd., S. 45. 62 Hopwood, Embryology. 63 Glaser, Willkürliche Geschlechtsbestimmung, S. 780, der leider keine Zeit- und Quellenangaben macht. Politzer erwähnt, dass Schenks Frau und einer seiner Söhne 1942 von den Nationalsozialisten »verschleppt« wurden, Politzer, S. 4. 64 Beller, S. 208. 65 Ebd., S. 206–207; Hellige, S. 492. 66 Beller, S. 209–210.
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denn sie »konnten jederzeit in Misskredit gebracht werden, ohne dass sie etwas Besonderes gesagt oder getan haben mussten«, sie befanden sich automatisch im Nachteil.67 Schenk deutete diesen Zusammenhang in seiner Autobiographie an, denn, so schrieb er resigniert, nur zu Beginn seiner Forscherlauf bahn habe an der Wiener Universität ein liberales Klima geherrscht, in dem jeder Fähige »ohne Unterschied der Abkunft, ohne Rücksicht auf Nationalitäten, ohne Religionsunterschied« begrüßt worden sei.68 Die Ausgangsfrage dieses Abschnitts war, ob Schenks Schwierigkeiten in der medizinischen Fakultät eine angemessene Rezeption seiner Befruchtungsversuche hätten vereiteln können. Das stärkste Argument gegen eine solche Annahme ergibt sich aus der Untersuchung von Schenks eigener Perspektive. Anlass und Architektur seiner Autobiographie hätten ihm einen idealen Ort geboten, auf die Bedeutung der Versuche hinzuweisen, wenn er selbst ihnen besonderes Gewicht zugemessen hätte. Sie hätten sich für eine offensive Präsentation geradezu angeboten, sowohl mit Blick auf sein »Lebenswerk« als auch im Rahmen seiner Selbstinszenierung als verkanntes Genie. Immerhin hatte er doch als origineller Wissenschaftler – so hätte Schenk argumentieren können – bereits 1878 das grundlegende Problem der Geschlechtsbestimmung, die Abhängigkeit der Ei-Reifung vom »Mutterboden«, experimentell bewiesen. Auf diese Idee kam Schenk aber nicht, im Gegenteil. Er wies zwar tatsächlich auf lange zurückliegende und damals nicht gewürdigte Forschungen hin. Aber er wählte gerade nicht die Experimente von 1878, sondern Versuche zur Wirkung von Licht auf die Entwicklung von Fröschen aus dem Jahre 1880.69 Mit Verweis auf den Fall des Mediziners Semmelweis70 schrieb Schenk: »Bei den meisten Gebieten in der Naturwissenschaft zeigen sich in vielen Fällen Oppositionen der widerwärtigsten Art von Seiten der Fachgenossen, wenn irgend eine Neuerung zum Vorscheine kommt.«71
Auch er sei verlacht worden, als er seine Versuche veröffentlichte. Heute dagegen würde Licht sogar als Heilmethode beim Menschen erfolgreich angewendet. Hätte er seine Befruchtungsversuche für eine außergewöhnliche Leistung gehalten, wäre hier der Ort gewesen, an sie zu erinnern. Stattdessen deutete er sie nur an, ihre Bedeutung ging in der »willkürlichen Geschlechtsbestimmung« auf. Er habe nachgewiesen, »dass die Eizelle in ihren ersten Lebensphasen von dem Mutterboden, an dem sie sich entwickelt, abhängig sein 67 Ebd., S. 219. 68 Schenk, Aus meinem Universitätsleben, S. 6. 69 Schenk, Einfluss der Farbe. 70 Ignaz Phillip Semmelweis, 1818–1865, hatte früh auf die Notwendigkeit hygienischer Bedingungen bei Geburten zur Vermeidung des Kindbettfiebers hingewiesen, wurde dafür verspottet und beendete sein Leben in einer Irrenanstalt, vgl. Eckart, S. 239–240. 71 Schenk, Aus meinem Universitätsleben, S. 60.
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muss.«72 Aus der Behandlung der Versuche in der Autobiographie kann man jedenfalls schließen, dass weder die wissenschaftliche Umgebung Schenks noch er selbst sie für besonders bedeutsam hielten. Zusammengefasst lässt sich Folgendes sagen: Die Dokumente zur Pensionierung Schenks aus dem Jahr 1900 erwecken den Eindruck, dass er während seiner gesamten Berufsbiographie eine Art enfant terrible der medizinischen Fakultät war. Diesem Eindruck ist die wenige Literatur, die es über Schenk gibt, gefolgt. Die Zwangspensionierung ist aber, so wurde hier argumentiert, nur erklärlich vor dem Hintergrund des spätestens seit 1895 in Wien zur »Stadtpolitik« avancierten offensiven Antisemitismus, der jeden Juden zum potentiellen Angriffsziel werden ließ und die Karrierechancen von Menschen jüdischer Abstammung, gerade auch an der Universität, erheblich beeinträchtigte. Sieht man sich zudem die gesamten vorhandenen Akten an, zeigt sich, dass Schenk sich im Rahmen der sozialen Organisation und finanziellen Ausstattung von Forschung gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts ganz »normal« verhielt. Seine Anträge um Gehaltserhöhung und die Ausdehnung seiner Kompetenzen, stellen sich bei näherem Hinsehen nicht als persönliche Marotte, sondern als sinnvoller Umgang mit dem sozialen Gefüge des Wissenschaftsbetriebes dar. Insbesondere Schenks Versuche, die außerordentliche Professur für Embryologie in eine ordentliche umzuwandeln, müssen als vernünftige und geradezu zwangsläufige Handlungen des Vertreters einer Disziplin bewertet werden, die nicht etabliert war und um ihren Platz im institutionellen wissenschaftlichen Gefüge kämpfte. Es wird allerdings deutlich, wie eng die Spielräume eines Samuel Schenk etwa im Vergleich zu Gregory Pincus in den 1930er Jahren waren. Ein Embryologe wie Schenk war fest eingebunden in die Medizinische Fakultät und musste sich dort etablieren. Die Embryologie des neunzehnten Jahrhunderts, als Disziplin schwach entwickelt und mit geringer Ausstrahlungskraft, war vor allem eine akademische Disziplin. Nick Hopwood schreibt: »Embryology’s most important nineteenth-century institutions were the German universities, but the science never achieved the status of an independent discipline with its own professor at every one.«73
Diejenigen, die wie Wilhelm Roux eine veränderte Embryologie wollten, mussten sich außerhalb der Universität umsehen, eine Entwicklung, die aber erst etwa 20 Jahre später einsetzte.74 72 Ebd., S. 15. Er hatte bei seinen Versuchen 1878 festgestellt, dass eine Befruchtung nur auf der Uteruswand des betreffenden Tieres gelang, vgl. auch ebd., S. 58–59. Eine Andeutung ist auch der kursorische Hinweis auf das Problem der Reife der Eizellen, ebd., S. 18. 73 Hopwood, Visual Standards, S. 242. 74 Ebd., S. 244.
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In den 1930er Jahren war es im Vergleich dazu erheblich einfacher, die Universität zu verlassen. Auch wenn sich die mangelnde Aufmerksamkeit für Schenks Versuche aus dem Jahr 1878 nicht mit einer etwaigen Außenseiterrolle erklären lässt, plausiblere Gründe dafür liefert der nächste Abschnitt, so kann man doch vermuten, dass die rigide Organisation von Forschung im Rahmen universitärer Fachdisziplinen eine »grenzüberschreitende« Kooperation von Forschern unterschiedlicher Disziplinen zumindest erschwerte. Genau das wird sich aber als eine der wichtigen Bedingungen für die Herausbildung einer Forschungslinie zur IVF erweisen.
2. Das Problem der Befruchtung Im Anhang seiner Entwicklungsgeschichte besprach Albert Kölliker die Versuche zur extrakorporalen Befruchtung von Kaninchen- und Meerschweinchen-Eizellen von Samuel Schenk, allerdings in äußerster Kürze: »Schenk hat an künstlich befruchteten Säugethiereiern eine Reihe von Veränderungen gefunden, welche nach Bischoff ganz mit denen übereinstimmen, welche man an unbefruchteten, völlig reif aus dem Eierstocke ausgetretenen Eiern ebenfalls wahrnimmt.«75
Mit anderen Worten: In Köllikers Augen enthielt Schenks Text keine besonderen Neuigkeiten, was übrigens keineswegs eine generelle Abwertung von Schenk als Embryologe bedeutete. In seinem Lehrbuch zur Entwicklungsgeschichte, das er 1884 »für Studierende und Ärzte« veröffentlichte, zählte er Schenk zu den bedeutenden deutschsprachigen Embryologen und verwies auf dessen Literatur.76 Auch im Jahresbericht »über die Leistungen und Fortschritte in der gesammten Medicin« für das Jahr 1877 wurde Schenks Arbeit besprochen. In seiner Rezension schrieb Heinrich Waldeyer: »Schenk erfüllte ein längst erwünschtes Desiderat, indem er versucht hat, frisch den Graaf ’schen Follikeln entnommene Kaninchen- und Meerschweinchen-Eier ausserhalb des Organismus künstlich zu befruchten, und unter den nöthigen Cautelen auf dem erwärmten Objecttisch zu beobachten.«77
Das zustimmende Urteil Waldeyers kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die eigentliche Aufmerksamkeit in diesem Jahresbericht den Arbeiten von Os75 Kölliker, Grundriss, S. 7–9. Zur einschlägigen Literatur zählte er Schenk, Lehrbuch. 76 Kölliker, Grundriss, S. 7, 9. 77 Waldeyer, S. 94.
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car Hertwig, Hermann Fol und denjenigen galt, die an sie anschlossen.78 Wie lebhaft dieses Forschungsinteresse war, wird an der ausführlichen Darstellung deutlich, aber auch daran, dass jeweils ein intensiver gegenseitiger Bezug hergestellt wurde.79 In welchem Verhältnis standen die Versuche Schenks zu diesen Forschungen? Welches wissenschaftliche Denkkollektiv hatte er im Blick und welche Probleme standen auf der Agenda dieser Gruppe von Wissenschaftlern? Schenks Forschungen richteten sich an Embryologen, die sich mit der Befruchtung und frühen Entwicklung von Eizellen beschäftigten. In diesem Forschungsfeld wurden Mitte der 1870er Jahre Arbeiten veröffentlicht, die geradezu eine Lawine weiterer Forschungen auslösten. Hier entwickelte sich ein hochanschlussfähiger Forschungsbereich, den man mit Joan Fujimura einen »scientific bandwagon« nennen könnte. Er entsteht, wenn viele Forscher ihre Ressourcen einem »particular set of problems and oftentimes methods« zuwenden.80 Dieser »Selbstläufer«, wie Jörg Strübing »bandwagon« übersetzt,81 beruhte auf einer neuen Theorie der Befruchtung und des »Eis« als Zelle, auf der intensiven Nutzung neuer Beobachtungstechniken und, vor allem, auf der Etablierung eines neuen und einfach zu handhabenden Versuchsobjektes, der SeeigelEizelle. Aus diesen Forschungen ergaben sich weitreichende Impulse auch für die Entwicklung der IVF im zwanzigsten Jahrhundert, denn hier bildete sich ein Gegenstandsverständnis heraus, an das die Experimente zur Befruchtung in den 1930er Jahren anschließen konnten: Die Befruchtung wurde als Verschmelzung elterlicher Keimzellen aufgefasst. Die Forschungen von Samuel Leopold Schenk dagegen schufen solche Anschlussmöglichkeiten gerade nicht. Indem Schenk sich an der Position des etablierten Säugetierembryologen Theodor Bischoff orientierte, übersah er die Implikationen der neuen Forschungen. Das, und nicht Schenks angebliche Außenseiterrolle in der Wiener Medizin, erklärt, warum Schenks Versuche von zeitgenössischen Forschern so wenig wahrgenommen wurden. Der scheinbar direkte Weg, den Schenk zur Entwicklung der IVF einschlug, wie es einige Darstellungen ihrer Geschichte nahe legen, war also vielmehr eine Sackgasse, die kaum etwas mit der späteren Entwicklung zu tun hatte.
78 Die Rezension zu Schenks Aufsatz ist geradezu umrahmt davon, vgl. Jber. 1877, S. 84–92, 95–96. 79 So heißt es in der Rezension eines Aufsatzes von Selenka, die auf die Schenk-Rezension folgt, Selenka sei »gleichzeitig und unabhängig von Fol, Hertwig und Calberla … zu wesentlich denselben Resultaten bezüglich der Befruchtungserscheinungen« gekommen, ebd., S. 95. Solche Querverweise finden sich auch in anderen Rezensionen, ebd., S. 86, 95. 80 Fujimura, The Molecular Biological Bandwagon, S. 262. 81 Strübing, Pragmatistische Wissenschafts- und Technikforschung.
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Im Folgenden wird das Problem skizziert, das Schenk mit seinen Versuchen lösen wollte und rekonstruiert, an welche Forschungen er anzuschließen versuchte. Danach wird die Entwicklung der Befruchtungsforschung in den 1870er Jahren analysiert und Schenks Verhältnis dazu bestimmt.
Schenks Forschungsproblem Eine genaue Abgrenzung der Embryologie am Ende des neunzehnten Jahrhunderts wirft Probleme auf. In der Sekundärliteratur finden sich häufig inkonsistente und nicht sehr hilfreiche Zuordnungen, ohne dass deren Kriterien offengelegt oder diskutiert würden.82 Die Autoren orientieren sich vor allem an der institutionellen Verankerung der Disziplin im Rahmen von Lehrstühlen und Publikationsorganen. Gerade diese institutionelle Verankerung der Embryologie war aber prekär, wie die Überlegungen zu Schenks Berufsbiographie zeigten.83 Die bedeutenden Embryologen des neunzehnten Jahrhunderts besetzten zumeist keine embryologischen, sondern eher anatomische Lehrstühle.84 Nur wenige hatten einen Lehrstuhl für Embryologie oder Entwicklungsgeschichte inne, und wenn, dann meist verbunden mit einem zweiten Fach.85 So wurde die Embryologie in Prag, Graz und Innsbruck zusammen mit der Histologie vertreten. Das einzige ausschließlich embryologische Institut im deutschsprachigen Raum war das in Wien.86
82 Hans Querner bezeichnet die Embryologie mal als Teilgebiet der Anatomie, mal als Teil der Morphologie, um sie dann der Botanik und Zoologie zuzuschlagen, Querner, bes. S. 424. Dieselbe Unklarheit findet sich auch bei Thomas Junker, der die Embryologie neben die Morphologie als gleichwertige Teilgebiete der Biologie stellt, Junker, S. 367–376. 83 Vgl. auch Hopwood, Embryology. 84 Das gilt zum Beispiel für Heinrich Waldeyer, Walter Flemming, Wilhelm His oder Wilhelm Roux. Theodor Bischoff bekleidete zuletzt einen Lehrstuhl für Anatomie und Physiologie in München, Albert Kölliker war Professor für Physiologie und vergleichende Anatomie in Würzburg. Oscar Hertwig war von 1875 bis 1878 Privatdozent für Anatomie und Entwicklungsgeschichte, danach außerordentlicher und später ordentlicher Professor für Anatomie, bevor er ab 1888 einen Lehrstuhl für vergleichende Anatomie innehatte. Sein Bruder Richard Hertwig war Professor für Zoologie, genauso wie ihr gemeinsamer Lehrer Ernst Haeckel, vgl. die Kurzbiographien dieser Wissenschaftler bei Jahn, Geschichte der Biologie, S. 755–999. 85 Walter Flemming war zwischen 1873 und 1876 außerordentlicher Professor für Histologie und Entwicklungslehre in Prag, Victor Hensen bekleidete zwischen 1864 und 1868 eine außerordentliche Professur für Physiologie und Embryologie in Kiel. Beide waren nur vorübergehend ausgewiesene Embryologen in der Zeit ihrer außerordentlichen Professur. Hermann Fol war zwischen 1876 und 1880 Professor für vergleichende Embryologie und Teratologie in Genf, bevor er ein Privatlabor gründete, vgl. ebd. 86 Lesky, S. 513–521; Eulner, S. 554–555.
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Wenn man die Embryologie also allein an ihrer institutionellen Verankerung misst, ergibt sich ein eher diffuses Bild, und man könnte die Frage stellen, ob man überhaupt von einer Disziplin sprechen kann. Das ist beispielsweise von Timothy Horder für das neunzehnte Jahrhundert bezweifelt worden.87 Hinzu kommt, dass viele historiographische Arbeiten die Biologie bzw. Embryologie mit Hilfe der Unterscheidung von deskriptiv versus experimentell beobachten. Die experimentelle Embryologie bzw. Biologie habe sich gegenüber der beschreibenden, morphologisch orientierten Embryologie bzw. Biologie durchgesetzt, was als entscheidende Transformation auf dem Weg zur modernen Biologie aufgefasst wird.88 Nick Hopwood kritisiert, dass damit die Embryologie um 1900 als pars pro toto für die Entwicklung der Biologie steht und weite Teile ausgeblendet wurden, sofern sie dazu nichts beizutragen schienen.89 Das gilt zum Beispiel für embryologische Forschungen im Rahmen der Anatomie oder die beschreibende Embryologie höherer Wirbeltiere.90 Gemeinsam mit Hopwood wird hier davon ausgegangen, dass es ein differenziertes Feld embryologischer Forschungen im neunzehnten Jahrhundert gab, welches aufgrund der beschriebenen Disposition der Biologiegeschichte nur unzureichend erforscht ist. Für die Existenz der Embryologie spricht vor allem, dass es sie in den Augen zeitgenössischer Forscher gab.91 Auch an den Jahresberichten »über die Leistungen und Fortschritte in der gesammten Medicin«, die jeweils einen größeren Abschnitt über die Forschungen der »Entwicklungsgeschichte« bzw. »Generationslehre und Embryologie« enthalten, lässt sich ablesen, dass es sich um ein prosperierendes Feld handelte, dessen Dynamik sich vor allem aus den im engeren Sinne embryologischen Forschungen ergab.92 Wie ordnen sich die Versuche von Schenk in diesen Kontext ein? Schenk wollte 1878 kein Befruchtungsverfahren entwickeln. Ihm ging es vielmehr darum, »die ersten Vorgänge in der Entwickelung der Säugethiereier« sichtbar zu machen.93 Schon in seinem »Lehrbuch der vergleichenden Embryologie der Wirbelthiere« von 1874 hatte er beklagt, dass die frühe Entwicklung befruchteter Säugetiereier bisher »gänzlich im Dunkeln« läge.94 Die Keimblätterbildung sei »wegen der unüberwindlichen Schwierigkeiten in der Untersu87 Horder u. a., S. 3. 88 Das gilt besonders für den Aufsatz von Querner, aber auch für Müller, Die Wandlung embryologischer Forschung. 89 Hopwood, »Giving Body« to Embryos, S. 467. Er verweist u. a. auf Allen; Clarke, Embryology; Nyhard. Vgl. auch Hopwood, Producing Development, S. 31–35. 90 Hopwood, »Giving Body« to Embryos, S. 467. 91 Victor Hensen sprach explizit Embryologen als Zielgruppe seiner Veröffentlichungen an, Hensen, S. 213. 92 Vgl. auch den Abschnitt II.3. 93 Schenk, Säugethierei, S. 107. 94 In der Paraphrase von Schenks und Bischoffs Texten wird der Begriff »Eier« beibehalten, den die beiden in ihren Texten verwendeten, weil sie das Konzept von Eiern als Zellen ablehnten.
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chung der Eichen des Menschen und der Säugethiere nicht auf Durchschnitten« zu beobachten,95 nur das Hunde- und das Kaninchenei seien überhaupt genauer untersucht worden. »Vertrauen erweckende Angaben« lägen allein von Baer, Bischoff und Coste vor, wobei er besonders ausführlich auf die Darstellungen Bischoffs zum Kaninchenei einging, die allgemein verbreitet und am genauesten seien.96 Auch seinem Aufsatz in den »Mitteilungen« schickte Schenk voraus, wen er zum Kreis der Säugetierembryologen zählte. So gebe es »anerkannte und bedeutungsvolle Lehren« von Baer, Bischoff, Reichert, Koelliker, Hensen, van Beneden und einigen anderen, allerdings bestünde Uneinigkeit über eine Reihe von Fragen, zu deren Lösung er einen Beitrag leisten wolle. In den Mittelpunkt rückte Schenk die Frage nach den Kriterien, nach denen ein Ei als reif zu gelten habe. Nach Bischoff sei neben der Größe der Eier das einzige weitere Kriterium die spindelförmige Anordnung der dem Ei anhaftenden Zellschicht. Hensen habe das jüngst »nicht ganz mit Unrecht« bestritten.97 Schenk nahm hier eine Forschungskontroverse auf und konzipierte seinen Aufsatz als Beitrag zu dieser Debatte. Die Angaben Bischoffs zur Reife der Eier, so Schenk, »haben allgemein Eingang in die Lehrbücher erhalten und konnten als die einzigen angesehen werden, welche uns über das Säugethierei bisher vorliegen. Es ist, wie ich eben erwähnte, diese Angabe von Hensen angezweifelt worden. – Ich suchte nun auf dem Wege der künstlichen Befruchtung bei Säugethiereiern festzustellen, ob dieselben als reif oder als zur Entwickelung noch nicht hinreichend vorbereitet angesehen werden können.«98
Die Kontrahenten zum Problem der Reife waren also, folgt man Schenks Text, Theodor Bischoff in München und Victor Hensen in Kiel. Vor dem Hintergrund der Schwierigkeiten, das Säugetierei zu beobachten, wendete Schenk die Methode der künstlichen Befruchtung an, um diese Forschungskontroverse zu entscheiden. Als Ergebnis hielt er fest, er könne jene »Eichen« als reif betrachten, deren äußere Zellschicht locker anhafte, so dass Uterinschleim und Spermatozoen sie ablösen können.99 Selbstbewusst behauptete Schenk, »mit Hülfe der künstlichen Befruchtung einen Abschnitt in den frühesten Stadien der Entwickelung des Eichens abgeschlossen« und damit die in seinen Augen vorhandene Forschungskontroverse entschieden zu haben.100 Bischoff spielte in dieser Zurechtlegung die Rolle der 95 96 97 98 99 100
Schenk, Lehrbuch, S. 22–23. Ebd., S. 31–32. Schenk, Säugethierei, 110–111. Ebd., 114. Ebd. Ebd., S. 115.
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anerkannten Autorität, an der sich jüngere Wissenschaftler wie Hensen und er selbst reiben konnten.101
Befruchtung als »mitgetheilte Molecularbewegung« 1877 erschien ein längeres Essay des damals siebzigjährigen Theodor Bischoff unter dem Titel »Historisch-kritische Bemerkungen zu den neuesten Mittheilungen über die erste Entwicklung der Säugethiereier«.102 Bischoff hatte schon in den 1840er und 50er Jahren in diesem Bereich geforscht, seine Arbeiten zählten zum etablierten Kanon von Veröffentlichungen.103 Er galt als Pionier der Säugetierembryologie.104 Bischoffs Essay ist sehr aufschlussreich, weil er sich darin das Ziel setzte, die Embryologie gegen die Zumutungen neuer Untersuchungsmethoden und neuer Konzepte zu verteidigen. Er unternahm eine kritische Revision der aktuellen Forschungsarbeiten.105 Angesichts der Schwierigkeiten, die das Säugetierei als Forschungsgegenstand aufwerfe, müsse man grundsätzlich misstrauisch gegenüber neueren Veröffentlichungen sein, deren Autoren meinten, durch »gelegentliche Streifereien« oder »einige Beobachtungen« das Gebiet der Entwicklungsgeschichte der Säugetiere betreten zu können. Sie würden »mehr Verwirrung und Irrthum, als Förderung und Berichtigung« stiften.106 Besonders problematisch seien die neuen Untersuchungsmethoden in der Embryologie. Diese produzierten Irrtümer und Fehler, indem sie die natürliche Beschaffenheit des Untersuchungsobjektes veränderten. Von diesen veränderten Objekten würden Schlüsse gezogen, die zu »hoffnungslosen Divergenzen« unter Embryologen geführt hätten.107 Ausführlich sichtete er aktuelle Forschungsdiskussionen über die Beschaffenheit des Eis, das Vordringen des Samens in die weiblichen Genitalien, den Vorgang der Befruchtung, die erste Entwicklung des befruchteten Eis und der
101 Schenk und Hensen waren etwa gleich alt: Hensen wurde 1835 geboren, Schenk 1840. 102 Bischoff, Historisch-kritische Bemerkungen. 103 Bischoff, Entwickelungsgeschichte des Kaninchen-Eies; ders., Entwickelungsgeschichte des Hundeeies; ders., Entwickelungsgeschichte des Meerschweinchen. Die Arbeiten galten noch 1896 als einschlägig, Sobotta, S. 510. 104 Hopwood, Producing Development, S. 49. 105 Im Gestus des Patriarchen verzeichnete er seine »Nachfolger«, darunter Albert Kölliker, der wohl eher gleichrangig war, Bischoff, Historisch-kritische Bemerkungen, S. 58. Dass Bischoff als Autorität galt, zeigt die Bereitstellung zweier Titelseiten der Wiener Medizinischen Wochenschrift, auf denen er Wiener Veröffentlichungen zur Befruchtung von Säugetieren kritisierte, Bischoff, Geschichtliche Bemerkungen. 106 Bischoff, Historisch-kritische Bemerkungen, S. 2. 107 Ebd., S. 4–5.
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Organentwicklung im Embryo. Zwei Themen behandelte er besonders detailliert, den Charakter des Säugetier-Eis und das Wesen der Befruchtung. Bischoff schrieb, es habe sich als allgemeines »Dogma« durchgesetzt, dass das Säugetier-Ei als Zelle aufzufassen sei. Dies bedeute aber eine Verwechslung des morphologischen mit dem physiologischen Begriff der Zelle. Letzterer fasse die Zelle Brücke zufolge als »Elementarorganismus« auf, worüber man sich unter den meisten Forschern einig sei. Dagegen gebe es größte Widersprüche, wenn es um die morphologisch-histologische Beschaffenheit der Zelle gehe. Er zweifle nicht daran, dass man es einmal unbegreiflich finden werde, wie man sich jahrzehntelang in einer »morphologischen Disciplin«, als die er die Embryologie sehen wollte, ein und desselben Wortes zur Bezeichnung für die »morphologisch verschiedensten Objecte bedienen konnte«.108 Dieselbe Verwechslung zwischen physiologischem und morphologischem Begriff liege auch beim Säugetier-Ei vor. Weil es ein Elementarorganismus sei, solle es auch eine Zelle sein, dabei bedürfe es der »künstlichsten und unlogischsten Wendungen«, um das zu rechtfertigen.109 Bischoff selbst ließ nur das Keimbläschen als »wahre primäre und einzige Zelle« gelten, das Säugetier-Ei fasste er als »UmhüllungsBildung einer Zelle« auf.110 Die zweite große Kontroverse, die Bischoff benannte, betraf den Befruchtungsvorgang. 1875 hatte Oscar Hertwig Befruchtungsversuche an SeeigelEizellen veröffentlicht, deren Ergebnis darin bestand, die Verschmelzung von Ei- und Spermakern als das entscheidende Ereignis der Befruchtung zu identifizieren.111 Bischoff bestritt diese Position entschieden; Hertwig habe das »nicht direct durch die Beobachtung feststellen« können.112 Das Schicksal der bei der Befruchtung in das Ei eingedrungenen Spermatozoen sei zweifelhaft, »d. h. durch directe Beobachtung nicht hinreichend festgestellt«.113 Bischoff selbst vertrat zur Befruchtung eine Theorie der »mitgetheilten Molecularbewegung«, nach der die Spermatozoen dem Eikern einen Impuls zur Entwicklung gaben, ohne selbst daran beteiligt zu sein. Er verglich die Rolle des Spermas mit der des Ferments in Gährungsprozessen.114 Da auch er für seine Theorie keine Beobachtungen anführen konnte, griff er auf ein physikalisches Erklärungsmodell zurück, das auch Physiologen verwendeten, und bemühte »das Bild eines Apparates, der eine Bewegung irgend einer Art erzeugt oder umwandelt«. Nur die Vorstellung der Befruchtung als eines »physi-
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Ebd., S. 8–9. Ebd., S. 9–10. Ebd., S. 12. Hertwig, Beiträge zur Kenntnis. Bischoff, Historisch-kritische Bemerkungen, S. 26. Ebd. Ebd., S. 31.
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kalischen Bewegungsvorganges« stehe nicht im Widerspruch zu »feststehenden Thatsachen«.115 Dass Bischoff auf ein solches Modell zurückgriff, zeigt, wie bedrängt seine Position war, hatte er doch in der Auseinandersetzung um den Charakter des Eis selbst die Problematik solcher Übertragungen zum Argument gemacht. Ein Jahr nach Bischoffs Veröffentlichung erschien Schenks Aufsatz zu seinen Befruchtungsversuchen. Dass beide Texte miteinander korrespondieren, wird an übereinstimmenden Formulierungen deutlich. Bischoff war in seiner Einleitung auf die »Schwierigkeit der Beschaffung und Behandlung des Beobachtungsobjectes … selbst bei dem Kaninchen« eingegangen. Auch Schenk sprach vom Säugetierei als einem »wegen der Beschaffung des Untersuchungsmaterials schwierig zugänglichen Objekte«.116 Vor allem schloss Schenk in der Wahl seines Forschungsproblems an die von Bischoff aufgeworfenen Fragen an, denn das Problem der Reife des Säugetiereis hatte Bischoff an verschiedenen Stellen berührt, u. a. bei der Frage, ob das Ei als Zelle aufzufassen sei. Jedes reife Ei, so Bischoff, bestünde aus Keimbläschen, Dotter und Dotterhaut. Die Dotterhaut sei ein Zeichen der Reife des Eis, sie fehle beim unreifen Ei und verschwinde bei der beginnenden Entwicklung des befruchteten Eis. Die Behauptung, die Dotterhaut werde von der Zelle selbst gebildet, sei »nur aus der vorausgesetzten Natur des Eies als einer Zelle abgeleitet. … Beobachten kann das natürlich Niemand.«117 Bischoff schrieb, die Verfechter der Position, das Säugetierei sei eine Zelle, hielten die Dotterhaut für eine Zellmembran, die vom Ei selbst gebildet werde. Bischoff hielt dagegen, die Dotterhaut werde vom »Bildungsorgan« des Eis geliefert und bilde sich in der weiteren Entwicklung zurück. Natürlich zog auch er hier Schlüsse aus seinen Vorannahmen: Weil er das Keimbläschen (und nicht das Ei) als Zelle auffasste, musste die Dotterhaut möglichst schnell verschwinden und zum Übergangsphänomen werden, das die Reife des Eis anzeigte. Die Reife von Eiern spielte außerdem eine Rolle bei einem Streit zwischen Bischoff und Karl Reichert um die Frage, ob die Begattung die Ovulation auslöse. Bischoffs Meinung nach war die Kopulation keine notwendige Bedingung für den Eisprung, allerdings werde sie bei den meisten Tieren nicht unabhängig vom Zeitpunkt der Ovulation erlaubt. Reichert dagegen behauptete, dass die Begattung die Reifung der Eier veranlasse. Demnach müssten sich die Eier immer im gleichen Zustand der Reifung und Entwicklung befinden.118 Um diese Prämisse zu überprüfen, war es wichtig, über eindeutige 115 116 117 118
Ebd., S. 32. Schenk, Säugethierei, S. 108. Bischoff, Historisch-kritische Bemerkungen, S. 12–13. Ebd., S. 20–22.
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Kriterien der Reife von Eiern zu verfügen. Diese Frage war also in wichtigen Forschungskontroversen ein kritischer Punkt der Argumentation. Ein drittes Argument für die Anlehnung Schenks an Bischoff besteht in einer verblüffenden Leerstelle im Text von Schenk. Bischoffs Angriff gegen die Position von Oscar Hertwig, nach der die Befruchtung aus der Verschmelzung von Ei- und Spermakern bestand, erwähnt Schenk mit keinem Wort. Wenn Schenk mit seiner Methode die Möglichkeiten der Beobachtung ausdehnen wollte, so wäre gerade die Beobachtung des Befruchtungsvorganges von größtem Interesse gewesen! Zumal der Vorwurf Bischoffs auch darin bestand, Hertwig habe diesen Vorgang nicht direkt beobachtet. Aber ausgerechnet zu dieser Frage machte Schenk praktisch keine Aussage. Das Wenige, was er zur Befruchtung sagte, war ein Echo der Position Bischoffs. Er habe festgestellt, dass man »in erster Linie kaum von einer Einwirkung des Samens direct auf das Ei« sprechen könne. Man müsse seine Aufmerksamkeit vielmehr auf die anhaftenden Epithelzellen richten. Man sehe in der »ganzen Bewegungsweise und ich möchte sagen in der Arbeit der Spermatozoen vorzugsweise das Bestreben zwischen die Epithelzellen einzudringen« und sie beiseite zu schaffen. Die Aufgabe der Spermatozoen sei es, »im Vereine mit der secernirten Flüssigkeit auf der inneren Oberfläche des Uterus, dem Uterinschleime, das Eichen in der Weise vorzubereiten, dass es in der kürzesten Zeit ohne anhaftende Epithelien sich vorfindet.«119 Schenk diskutierte gerade nicht die Frage, ob die Spermatozoen in das Ei eindrangen oder worin genau die Befruchtung bestand. Auch gegenüber Hertwig hielt er sich sehr zurück und erwähnte dessen Namen nur beiläufig. Bei späterer Gelegenheit wolle er »auf die nähere Besprechung der Arbeiten von Van Benneden und der Ansicht von Hertwig« zurückkommen.120 Dieses Vorhaben hat er nicht eingelöst.
Befruchtung als Verschmelzung zweier Zellkerne Theodor Boveri, einer der herausragenden Embryologen des späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts,121 verfasste 1891 einen ausführlichen Überblick zu den Forschungen zur Befruchtung, in dem er auch auf die Geschichte dieses Gebietes einging: »Der Beginn der modernen Ära in der Zeugungslehre lässt sich ziemlich genau datieren; er fällt in die Mitte der siebziger Jahre. Damals hatten sich allmählich alle Bedingungen erfüllt, welche für ein tieferes Eindringen in das Befruchtungsproblem not119 Schenk, Säugethierei, S. 113. 120 Ebd., S. 117–118. 121 Zur Bedeutung Boveris vgl. Müller, Die Wandlung embryologischer Forschung, S. 195– 200; Penzlin, S. 433.
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wendig waren: Die Entwickelung einer grossen Zahl von Organismen war aufgeklärt und besonders der Verlauf der ersten Entwickelungsprozesse festgestellt worden; Ei und Spermatozoon waren als Zellen, wenn auch nicht ohne Widerspruch anerkannt; die Mikroskope hatten eine bereits hohe Vollkommenheit erreicht, welche eine tiefgehende Analyse der organischen Elementarteile gestattete, und, last not least, es war eine mikroskopische Technik entstanden, die den Forscher in den Stand setzte, Zellbestandteile zu differenzieren und deutlich zu machen, welche bis dahin aller Beobachtung entgehen mussten.«122
Boveri sah also in der Anerkennung von Ei und Spermatozoon als Zellen eine der entscheidenden Voraussetzungen zur Entwicklung dieses Forschungsgebietes und die Anspielung auf damals noch vorhandenen Widerstand wird sich auch auf Theodor Bischoff bezogen haben. Bis zur Mitte der 1870er Jahre hatte es, so Boveri, eine »allgemeine Resignation gegenüber dem Befruchtungsproblem« gegeben, bis 1875 Oscar Hertwig seine Untersuchung an Seeigel-Eizellen veröffentlichte. Vorher seien von Bütschli und Auerbach die wichtigsten Vorgänge schon beschrieben worden, »aber es gelang den beiden bewährten Forschern nicht, den wahren Zusammenhang der Dinge zu ergründen.«123 Von Hertwig stamme die Erkenntnis, dass die Befruchtung nicht im wesentlichen die »Kopulation zweier Zellen« sei, sondern die »Verschmelzung der beiden Zellkerne«.124 Das habe ihn zum Begründer der modernen Zeugungslehre gemacht. Für entscheidend hielt Boveri, dass Hertwig die Fragen zur Befruchtung an ein anderes als die bis dahin verwendeten Forschungsobjekte richtete: »Bis dahin hatte man zur Untersuchung der Befruchtungsvorgänge meist relativ ungünstige Objekte benutzt, teils grosse, undurchsichtige Eier, wie die der Frösche, teils solche, die im Mutterleib befruchtet werden und demgemäss eine Beobachtung des Befruchtungsaktes fast ausschlossen. O. Hertwig wählte zu seinen ersten Untersuchungen die Eier eines Seeigels … und fand an denselben ein Material, an welchem so viele günstige Umstände zusammentreffen, dass dasselbe, wenigstens für die Beobachtung im lebenden Zustand auch heute noch von keinem andern bekannten Objekt übertroffen wird.«125
Einer der Vorteile habe darin bestanden, dass die künstliche Befruchtung leicht durch Aufschneiden der Tiere und Mischen der »Zeugungsstoffe« erreicht werden könne.126 Boveri argumentierte, dass Unterschiede von einzelligen und hochorganisierten Organismen für diese Forschungen belanglos seien, weil das 122 123 124 125 126
Boveri, S. 394. Ebd., S. 395. Ebd., S. 397. Ebd., S. 395–396. Ebd.
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gesamte Tier- und Pflanzenreich von einer »fundamentalen Gleichartigkeit beherrscht« werde und man sich daher besser an die Fälle halte, »wo günstigste Untersuchungsbedingungen und intensivstes Studium sich vereinigt haben, um die tiefste Einsicht in die feinsten Vorgänge der Zeugung zu ermöglichen.«127 In dieser Retrospektive aus dem Jahr 1891 wird deutlich, dass es Mitte der 1870er Jahre einen Umschwung in den Forschungen zur Befruchtung gab, der durch die Veröffentlichung von Oscar Hertwig im Jahre 1875 ausgelöst wurde. Boveri nannte die Voraussetzungen dafür, dass Hertwig »mit einem Schlage ein helles Licht verbreitet«128 hatte: Die ersten Entwicklungsprozesse waren Mitte der 1870er beschrieben, die Anerkennung von Ei und Spermatozoon als Zellen war vollzogen, und es existierte eine entwickelte Beobachtungstechnik, was Boveri ausdrücklich unterschied in die technischen Möglichkeiten der Apparate und die Fähigkeiten der Forscher, die sie bedienten. Die Initialzündung aber, die entscheidende Idee Hertwigs war die Verschiebung des Objektes. Dieselben Fragen wurden nun an einen weit besser geeigneten Organismus gestellt. So dachte auch Johannes Sobotta, der 1896 außerdem unterstrich, dass die Veröffentlichung Hertwigs unvergleichliche Forschungsaktivitäten hervorrief: »Die Lehre von der Befruchtung und unsere gesamten Kenntnisse vom Wesen des Befruchtungsvorganges des tierischen Eies sind bekanntlich eine Errungenschaft der letzten zwanzig Jahre. Indes so kurz auch diese Spanne Zeit ist, so haben doch die Untersuchungen gerade auf diesem Gebiete der Biologie ein so allgemeines Interesse unter den Forschern fast aller Nationen gefunden, dass zu ihrer Förderung heute so viel gethan worden ist, wie selten zur Lösung eines biologischen Problems. Daher haben sich auch unsere Kenntnisse über diesen Vorgang so bereichert, dass wir immerhin mit Befriedigung auf das in zwanzig Jahren Erreichte blicken können.«129
Die in den 1870er Jahren aktiven Forscher waren sich bewusst, dass sie Zeugen der Erschließung eines neuen Forschungsgebietes waren. 1878 rekapitulierte der Erlanger Privatdozent der Zoologie und vergleichenden Anatomie Hermann von Ihering die neueren Forschungen.130 Seit der Antike fände man zwei gegensätzliche Positionen zur Befruchtung, die sich mit Modifikationen bis ins neunzehnte Jahrhundert gehalten hätten. Auf der einen Seite standen diejenigen, die wie Hippocrates und Galen die Frucht durch eine Vermischung männlicher und weiblicher Anteile entstehen sahen. Demgegenüber vertraten 127 Ebd., S. 392–393. Boveri nannte wichtige Forscher, darunter vor allem Hermann Fol, der das Eindringen des Spermatozoons beschrieben hatte, aber auch van Beneden, Strasburger und andere. In der Aufzählung »vorzüglicher Untersuchungen« werden weder Bischoff noch Schenk erwähnt, ebd., S. 396–398. 128 Ebd., S. 395. 129 Sobotta, S. 510. 130 von Ihering. Der Text wurde von Heinrich Waldeyer im Jber. 1878, S. 76 und von Kölliker, Entwicklungsgeschichte, S. 1006 als sehr gute Einführung in den Forschungsstand gelobt.
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Aristoteles und andere eine Position, die im »männlichen Samen nur das bewegende, den Anstoss zur Entwicklung liefernde, Element«131 sah. In diese Tradition ordnete er Bischoffs »Contacttheorie« ein, nach der die Spermatozoen nicht mit der Eizelle verschmolzen, sondern »durch die Berührung eine Einwirkung auf die Lagerung der Atome, eine Umsetzung derselben« bewirkten. Diese Theorie benutzte er als Folie, vor deren Hintergrund er die neuere Forschung skizzierte, denn: »Dieser Contacttheorie traten nun, zuerst in ziemlich verfehlten, allmählich aber in sachlich begründeten Angaben, alsbald Stimmen entgegen, welche sich für ein Eindringen der Samenelemente in das Ei erhoben.«132
Die entscheidende Weichenstellung sah er in der aktuellen Forschung, denn die Frage nach den genauen Vorgängen bei der Befruchtung sei »erst in den letzten 3–4 Jahren ihrer Lösung zugeführt worden.«133 Demnach bilde sich im Ei ein Vorkern, der bei der Befruchtung mit dem männlichen Vorkern verschmelze und mit diesem zusammen den ersten Furchungskern bilde. Dieser verhalte sich »wie ein beliebiger Zellkern« und seine Existenz sei die Voraussetzung für die Furchung des Eis: »Die Art und Weise, wie diese Furchung vor sich geht, unterscheidet sich in nichts von der Theilung der Zelle überhaupt.«134 Die Theorie der »Contactwirkung« galt demnach als überholte Position, von der sich aktuelle Forschungen abgesetzt hatten. Das Ei als Zelle war nicht mehr Streitpunkt, sondern Voraussetzung aller weiteren Überlegungen. Genauso schätzte es auch Albert Kölliker 1879 ein, demzufolge die Verschmelzung von männlichem und weiblichem »Substrat« den »Ausgangspunkt für alle weiteren Forschungen und Erwägungen abzugeben« habe.135 Die Debatte, die Bischoff noch für offen hielt, war unmissverständlich geschlossen.136 Das zeigt sich auch daran, dass diese Position erkennbar auf dem Weg der Popularisierung war, denn Ihering veröffentlichte sein Essay in einer Reihe »Vorträge für Thierärzte«.137 Mit der Entscheidung, das Ei als Zelle aufzufassen, stellte sich die Frage der Reife neu und richtete sich auf die Entwicklung des Keimbläschens, also des 131 von Ihering, S. 3. 132 Ebd., S. 5–6. 133 Ebd., S. 7. 134 Ebd., S. 20. 135 Kölliker, Entwicklungsgeschichte, S. 1008. 136 Auch Strasburger finde, so heißt es in den Jahrensberichten, übereinstimmend »im ganzen organischen Reiche«, dass »zur Befruchtung immer eine Copulation gleichwerthiger Theile zweier Zellen gehört.«, Jber. 1877, S. 95. 137 Das Konzept des Eis als einer Zelle wurde 1878 in das gültige medizinische Wissen eingefügt. Ludwig Löwes stellte es vor praktischen Ärzten 1878 als neuesten Stand der Wissenschaft dar, Löwe, Ueber Befruchtung. Obwohl Löwe ein Jahr zuvor eine Rezension des Aufsatzes von Schenk geschrieben hatte, erwähnte er ihn nicht, Löwe, S. L. Schenck.
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Zellkerns, unmittelbar vor der Befruchtung. Der englische Embryologe Francis M. Balfour schrieb 1879 in einem Forschungsüberblick, man könne aufgrund der geringen Zahl der untersuchten Eizellen nur provisorische Schlüsse ziehen, aber: »The fact, that impregnation mainly consists in the union of two nuclei gives an importance to the nucleus which would probably not have been accorded to it on other grounds.«138
Ihering wurde mit Blick auf die praktische Verwertbarkeit der Forschungen deutlicher: Die Bildung und Entfernung von »Richtungskörpern« bereite die Befruchtung vor, indem »die Masse des weiblichen Kernmaterials verringert, und ihr allzu bedeutendes Ueberwiegen dem männlichen Vorkerne gegenüber verhindert« werde.139 Damit werde Platz gemacht für männliches Kernmaterial: »Die besonderen chemischen Eigenschaften der Materie des Furchungskernes, welche in letzter Instanz die Ursache sind für die besonderen Eigenthümlichkeiten des erzeugten Thieres und für seine specielle Aehnlichkeit mit seinen Erzeugern, finden ihre Erklärung in der Thatsache, dass die Substanz des Furchungskernes sowohl vom Vater, als von der Mutter geliefert wird.«140
Genau hier läge der spezifische Nachteil der »Contacttheorie«, denn sie lasse »die Thatsache der Vererbung von Eigenschaften des Vaters auf die Nachkommen unbegreiflich erscheinen.«141 Die Forschungen zur Reife und Befruchtung der Eizelle Mitte der 1870er verwiesen das Problem der Vererbung auf den Zellkern. War Balfour bezogen auf diese Schlussfolgerung noch zurückhaltend, zeigte er sich umso sicherer, was die Prozesse der Befruchtung selbst anging. Unklarheiten gebe es nur noch im Detail, da die Zahl der Untersuchungen nicht ausreiche.142 Er ging davon aus, dass es sich hier um universale Prozesse handelte und diskutierte die Forschungsergebnisse unabhängig davon, an welcher Spezies sie erbracht wurden, darunter auch die von van Beneden, der wie Schenk mit Kanincheneizellen gearbeitet hatte.143 Die Position Bischoffs erwähnte er nicht einmal mehr. In seiner »List of important recent Publications on the Maturation and Impregnation of the Ovum« tauchte dieser nicht mehr auf, und erst recht nicht der kleine Aufsatz von Schenk.144 138 139 140 141 142 143 144
Balfour, S. 130. von Ihering, S. 37. Ebd., S. 37. Ebd., S. 38. Balfour, S. 127. Ebd., S. 112, mit Verweis auf Beneden. Ebd., S. 131.
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Ironischerweise erntete Schenk nicht einmal von Bischoff Lob für seine Versuche. Dieser schrieb eine Rezension zu Schenks Aufsatz, die kaum vernichtender hätte ausfallen können. Erwartungsgemäß machte er deutlich, dass er starke Vorbehalte gegen die Methode der künstlichen Befruchtung und den damit verbundenen »unvermeidlichen mechanischen Manipulationen«145 hatte. Aber vor allem kritisierte er Schenk inhaltlich. Im Gegensatz zu Schenk behauptete Bischoff, dass Hensen und er prinzipiell darin übereinstimmten, Spindelzellen als Zeichen der Reife des Eis aufzufassen.146 Er warf Schenk vor, dass dieser »weder Prof. Hensens noch meine Abhandlung gelesen hat, sondern wie das so häufig geschieht, blos nach Hörensagen oder nach kurzen und unzuverlässigen Jahresberichten citirt.«147 Die Kontroverse, auf die Schenk sich bezog, gab es laut Bischoff überhaupt nicht. Bischoff war dennoch bereit, sich im einzelnen mit Schenks Text auseinander zu setzen, wodurch das Ergebnis allerdings nicht besser wurde. Er griff Schenks These auf, wonach das leichte Abstreifen der Epithelzellen durch das Sperma im Kontakt mit dem Sekret des Uterus das verlässliche Zeichen der Reife sei. Diese Position sei erstens nicht neu, zweitens sei dieses Reifekriterium umständlich anzuwenden und drittens und vor allem enthalte die Argumentation bezogen auf die Spermatozoen eine unbewiesene Voraussetzung als Beweismittel. Es seien nämlich Begattungen bekannt, nachdem Eier den Eileiter bereits durchlaufen hätten und dabei ihren »Discus« abgelegt hätten, ohne mit Spermien in Kontakt gekommen zu sein.148 Bischoff fasste zusammen: »Es wird daher vorläufig gestattet sein, alle Erscheinungen, welche Herr Professor Schenk an den künstlich befruchteten Eiern beobachtet hat, als dieselben zu betrachten, welche man an unbefruchteten, in Folge ihrer völligen Reife aus den Eierstöcken ausgetretenen, Eiern beobachtet.«149
Vor dem Hintergrund dieser Kritik wundert es nicht, dass Schenk keine weiteren Versuche unternahm bzw. veröffentlichte und sie auch später nicht mehr erwähnte. Die Resonanz war niederschmetternd. In diesem Abschnitt wurde argumentiert, dass sich Mitte der 1870er Jahre ein neues Forschungsfeld öffnete, eine Entwicklung, die man mit Joan Fujimura einen »bandwagon« nennen könnte: »A scientific bandwagon exists when large numbers of people, laboratories, and organizations commit their ressources to one approach to a problem.«150 145 146 147 148 149 150
Bischoff, Ueber die Zeichen der Reife, S. 43. Ebd., S. 44–46. Bischoff bezog sich auf Hensen, S. 219–220. Bischoff, Ueber die Zeichen der Reife, S. 46. Ebd., S. 48. Ebd., S. 52. Fujimura, The Molecular Biological Bandwagon, S. 261.
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Dieser Begriff ist zwar für die Organisation von Wissenschaft im zwanzigsten Jahrhundert konzipiert, wesentliche Elemente lassen sich aber auch in den 1870er Jahren auffinden. Eine große Anzahl von Forschern konzentrierte sich nun auf einen neuen Zugang zur Befruchtungsforschung. Dieser Zugang eröffnete sich durch die rasch etablierte Auffassung von Ei und Spermium als Zellen, durch die Entwicklung der mikroskopischen Technik im doppelten Wortsinn und vor allem durch die Verschiebung des Untersuchungsobjektes weg von der Säugetier-Eizelle hin zur wesentlich günstigeren Seeigel-Eizelle. Damit gelang die rasante Erschließung eines Forschungsgebietes, in dem das Problem der Vererbung auf den Zellkern projiziert wurde und dessen praktische Konsequenzen für die Tierzucht auf der Hand lagen. Die Veränderung der Auffassung vom Befruchtungsvorgang war radikal. In der Terminologie Ludwik Flecks könnte man sagen, dass sich eine kritische Masse von aktiven Kopplungen ergeben hatte, die nun zu einer Fülle von zwangsläufigen, passiven Kopplungen führten. Denn die Ergebnisse von Hertwig, Fol und anderen lösten einen Schub von Forschungen aus, die an sie anschlossen. Der vielleicht wichtigste Faktor für diese Entwicklung war der Wechsel zu einem Versuchsobjekt, mit dem sich Fragen zur Befruchtung erheblich besser und einfacher beantworten ließen als mit der mit großen methodischen Schwierigkeiten behafteten Säugetier-Eizelle. Nicht die künstliche Befruchtung der Säugetier-Eizelle war demzufolge die Experimentalstrategie, die anschlussfähig war, sondern diejenige der Seeigel-Eizelle. Diese Forschungen stellten eine wichtige Voraussetzung für Versuche zur extrakorporalen Befruchtung von Säugetier-Eizellen im zwanzigsten Jahrhundert dar. Denn erst jetzt konnte die Idee entstehen, die elterlichen Keimzellen auf dem Labortisch zu vereinen und so einen neuen Organismus zu schaffen. Schenk hatte dazu wenig beizutragen. Seine Versuche wurden zu Recht nicht aufgegriffen: Mit ihnen war keine weiterführende Perspektive zu verbinden. Sie fußten auf überholten Konzepten und verwendeten ein Objekt, mit dem keine vielversprechenden neuen Erkenntnisse zu machen waren – insofern stellten sie eine experimentelle Sackgasse dar. Die von Hertwig, Fol und anderen betriebenen Forschungen an der Eizelle des Seeigels dagegen waren Ausgangspunkt für Entwicklungen, deren Konsequenzen auch in den Versuchen zur extrakorporalen Befruchtung im zwanzigsten Jahrhundert aufzufinden sind. Die künstliche Befruchtung von Säugetier-Eizellen war zudem, so zeigt der nächste Abschnitt, bezogen auf das Erkenntnisideal embryologischer Forschung so problematisch, dass auch aus dieser Perspektive kaum denkbar war, eine erfolgreiche Experimentalstrategie auf ihrer Grundlage zu entwickeln. 81 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35159-9
3. Die künstliche Befruchtung und der Denkstil der Embryologie Samuel Schenk veröffentlichte seine Versuche zur künstlichen Befruchtung in zwei Zeitschriften, in den »Mittheilungen aus dem embryologischen Institute der k. k. Universität in Wien« und in der Allgemeinen Wiener Medizinischen Zeitung.151 Letztere wurde 1856 mit dem Ziel gegründet, den »vielbeschäftigten Praktiker … mit dem jeweiligen Stande der Wissenschaft vertraut werden zu lassen«.152 Die Zeitschrift richtete sich an Ärzte und diente der Vermittlung zwischen Wissenschaft und Praxis, aber auch der Profilierung von Wissenschaftlern und ihrer Disziplinen über den Kreis ihrer Fachkollegen hinaus.153 So stellte Schenk die Embryologie als Grundlagenforschung für die Medizin dar und betonte den praktischen Nutzen seiner Versuche, von denen Hinweise zur »Pathologie der Unfruchtbarkeit« zu erwarten seien.154 Zwischen den beiden Veröffentlichungen gibt es eine auffällige Differenz. Während Schenk sich in der Allgemeinen Wiener Medizinischen Zeitung ohne Umschweife auf sein Forschungsproblem konzentrierte, präsentierte er die Versuche gegenüber dem embryologischen Fachpublikum mit vielen Einschränkungen und Vorbehalten. Über die frühen Stadien der Embryonalentwicklung sei bereits soviel bekannt, dass zwar nur die Anwendung seiner neuen Methode überhaupt eine weitere Veröffentlichung rechtfertige, aber gegen diese Technik seien starke Vorbehalte angebracht. Die Erfahrungen mit Befruchtungsversuchen bei niederen Tierarten zeigten, dass vor übereilten Hoffnungen zu warnen sei: Trotz größter Sorgfalt könne auch dort die Entwicklung allenfalls bis zur »Bildung der Darmeinstülpung« beobachtet werden.155 Schenk verwies auf parthenogenetische Vorgänge, also die Entstehung von Nachkommen aus unbefruchteten Eizellen bzw. das Einsetzen von Zellteilungen ohne vorausgegangene Befruchtung.156 Nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft, »fände man kaum Anhaltspunkte, die uns als Massstab dienen können, um doch wenigstens annähernd aussagen zu können, wie viel bei unseren künstlichen Befruchtungen auf Rechnung der im Eichen selbst vorhandenen Momente zur Veränderung kommt und was wir als Folge des Befruchtungsactes anzusehen haben.«157 151 Schenk, Säugethierei; ders., Ein charakteristisches Merkmal. 152 AWMZ 1, Dinstag [sic!] den 2.September 1856, S. 1. 153 Mit derselben Zielsetzung wie die AWMZ wurde 1851 die Wiener Medizinische Wochenschrift gegründet und 1860 die Wiener Medizinische Presse. 154 Schenk, Ein charakteristisches Merkmal; genauso auch ders., Säugethierei, S. 115. Weitere Indizien, dass Schenk an eine Anwendung bei Frauen dachte, gibt es nicht. 155 Schenk, Säugethierei, S. 108. 156 Zur Geschichte der Erforschung der Parthenogenese vgl. Ebeling, S. 110–161. 157 Schenk, Säugethierei, S. 110.
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Schenk präsentierte die künstliche Befruchtung von Säugetiereizellen also nicht als besondere Neuigkeit, im Gegenteil, er beurteilte sie höchst skeptisch im Hinblick auf die getreue Abbildung natürlicher Prozesse. Man müsse sich bewusst sein, schrieb er, »dass die Resultate, welche man bei einer künstlichen Befruchtung erzielt, vielleicht nicht vollständig mit jenen übereinstimmen, die man erhält, wenn man die Eier in ihrem Gange während der Entwickelung in Folge vorausgegangener natürlicher Befruchtung, zur Untersuchung benützt.«158
Die Unterscheidung von natürlicher bzw. künstlicher Befruchtung strukturiert seinen Text. »Künstliche« Verfahren, so der Vorbehalt, lieferten unwissenschaftliche Aussagen, indem sie die »natürlichen« Vorgänge verfälschten. In den 1870er Jahre begannen Auseinandersetzungen um das Erkenntnisideal embryologischer Forschungen. Eine jüngere Generation von Embryologen wandte sich zunehmend neuen Forschungspraktiken wie dem Mikroskopieren und den damit verbundenen Verfahren zur Herstellung von Serienschnitten und zur Färbung und Fixierung von Präparaten zu. Diese Praktiken erzeugten methodische und erkenntnistheoretische Irritationen im wissenschaftlichen Denkstil der Embryologie, die in der Unterscheidung von künstlich und natürlich zum Ausdruck kamen, die viele embryologische Texte durchzieht. Die Spannungen verweisen darauf, dass die Grenzziehung zwischen »dem Wirkungsraum der Natur [und] jenem der Kultur« durch die neuen Untersuchungsmethoden unsicher und instabil geworden war.159 Die künstliche Befruchtung von Säugetiereizellen, so wird zunächst gezeigt, war im Rahmen dieses Diskurses prekär, weil auch sie methodische und erkenntnistheoretische Probleme aufwarf. Bei Organismen mit äußerer Befruchtung stellte die künstliche Befruchtung dagegen ein etabliertes und in gewissem Maße standardisiertes Verfahren dar. In einem zweiten Schritt wird daher der Verbreitung dieser Praktiken nachgegangen und untersucht, in welchem Verhältnis sie zu anderen Formen der künstlichen Befruchtung standen. Im Vergleich mit der Situation in den 1930er Jahren ist dabei interessant, dass die verschiedenen, mit dem Titel »künstliche Befruchtung« belegten Verfahren gegeneinander abgeschottet waren und kein Transfer von Konzepten oder Praktiken über die Grenzen von Disziplinen hinweg erfolgte. In den 1890er Jahren tauchte der Diskurs von natürlich und künstlich in Form der Gegenüberstellung von Beobachtung und Experiment wieder auf und führte zu einer heftigen Kontroverse um den privilegierten Zugang zu embryologischer Erkenntnis. Erst jetzt und in dem Teil der Embryologie, in dem sich 158 Ebd., S. 108. 159 Tanner, S. 54.
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experimentelle Verfahren durchsetzten, so die These, rückten Manipulationen lebender Zellen, die In-vitro-Kultur und damit auch eine Technik wie die Invitro-Fertilisation in den Horizont der Disziplin.
Der Diskurs über natürliche und künstliche Befruchtung Das Mikroskopieren und die damit verbundenen Techniken zur Herstellung von Gewebeschnitten und zur Färbung und Fixierung von Präparaten waren in den 1870er Jahren umstritten. Bettina Wahrig-Schmidt zeigt für die Cellularpathologie und Physiologie, dass es einer Anpassung von mikroskopischer Technik, mikroskopischem Sehen und den Konzepten dessen, was gesehen wurde, bedurfte, um das Mikroskopieren als Beobachtungsmethode zu etablieren. Diesen Prozess begleiteten vielfache »Warnungen vor Artefakten und … Hinweise auf die Unzuverlässigkeit von Korrelationen zwischen dem Gesehenen und dem Vorhandenen«.160 Zu den Strategien der Stabilisierung gehörten Anweisungen zum richtigen Mikroskopieren, Versuche mit Lösungen, Färbetechniken, heizbaren Objekttischen usw. Auch das Objekt selbst, die Zelle, war Gegenstand von Verhandlungen und musste über Variationen in den Versuchsanordnungen verstetigt und verallgemeinert werden: »Das Mikroskop als Instrument der Sichtbarmachung von Zellen [stand] mit seinen Möglichkeiten und Grenzen genauso zur Debatte wie die Zellen selbst«.161 Besondere Probleme ergaben sich mit lebenden, beweglichen Zellen: »Zellen in Bewegung zu beschreiben ist ein doppelt anspruchsvolles Unterfangen, da sich zu den üblichen Schwierigkeiten der Stabilisierung mikroskopischer Beobachtungen noch diejenige gesellt, dass das zu Stabilisierende, die Definition und Untersuchung der Bewegung, etwas Instabiles ist.«162
Auch in der Embryologie verbreitete sich in den 1870er Jahren die mikroskopische Analyse. Zunehmend wurden mit dem Mikrotom feine Gewebeschnitte hergestellt, um Prozesse der Befruchtung und Zellteilung zu untersuchen.163 Das Problem der noch nicht stabilisierten mikroskopischen Beobachtung spiegelte sich im Diskurs über natürliche und künstliche Verfahren wider. 160 Wahrig-Schmidt, S. 44. 161 Ebd., S. 25. 162 Ebd. Dass wissenschaftliche Bildtechniken keineswegs selbstevident sind, zeigt Monika Dommann an der Integration von Röntgenbildern in die wissenschaftliche und klinische Praxis nach 1895. Das Lesen dieser Bilder musste in zeitaufwendigen Aneignungsprozessen mit dem Erfahrungswissen von Wissenschaftlern, Ärzten, Klinikpersonal und Patienten verknüpft werden, Dommann. 163 Hopwood, Embryology.
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Deutlich wird das in einem Aufsatz von Emil Schwarz, den er in den Wiener »Embryologischen Mitteilungen« veröffentlichte.164 Obwohl Schwarz damals erst Student der Medizin war, beschäftigte er sich mit Problemen der Mitose, während zur gleichen Zeit bedeutende Wiener Professoren wie Salomon Stricker die Chromosomen noch für »Artefakte« hielten.165 Schwarz warf solchen Wissenschaftlern vor, sie würden »widerspenstige Erscheinungen« einfach zu »Kunstproducten« erklären.166 Trotz dieser Kritik blieb aber auch er im Rahmen dieses Diskurses und wollte bestimmte Strukturen nicht »für natürlich gelagert«, sondern als »verstellt« ansehen.167 Und auch er widersprach einem Wissenschaftler mit folgender Formulierung: »Ich sehe mich genöthigt, dessen Angabe als ein durch das Reagens hervorgebrachtes Kunstproduct zu betrachten, wie überhaupt die von dem Autor angewandte Pikrinsäure, nach desselben Beschreibungen zu urtheilen, mehrfach zu Quellungen und künstlichen Vereinigungen geführt zu haben scheint.«168
Schwarz sorgte sich um die Verunreinigung von Reagentien, Schenk um die Zuverlässigkeit seiner Ergebnisse. Hier sind methodische Fragen angesprochen. Zugleich verweist die Unterscheidung von natürlich und künstlich aber auch auf grundsätzliche Probleme, die das Erkenntnisideal embryologischer Forschungen betrafen. Sowohl in den Zitaten von Schenk als auch in denen von Schwarz geht es um methodische und erkenntnistheoretische Fragen, die sich in diesem Diskurs verschränkten. Schwarz befand sich im Dilemma. Auch er verwendete die Unterscheidung von künstlich und natürlich in dem Sinne, dass »Kunstprodukte« außerhalb der Wissenschaft lägen. Gleichzeitig wandte er sich gegen diesen Diskurs, wollte er doch die Chromosomen in den Bereich wissenschaftlicher Aussagen ziehen, während jemand wie Stricker sie gerne im Reich der »Artefacte« belassen hätte, also aus dem Gegenstandsbereich ausschließen wollte. Interessanterweise diskutierte Schwarz das Problem. So habe Walter Flemming alle vor ihm gemachten Befunde »als Kunstproducte, als aus ungenügender Technik hervorgegangen« hingestellt.169 Demgegenüber argumentierte Schwarz, die mikroskopische Technik sei schon weit entwickelt und sowohl frühere als auch spätere Beobachter hätten mit verschiedenen Reagentien gearbeitet und seien dennoch zum selben Schluss gekommen. Was ihn aber besonders für die »Naturwahrheit seiner Bilder« einnehme, sei die Tatsache, dass ein und dieselbe Technik nicht einerseits vollendete Bilder und gleichzeitig 164 165 166 167 168 169
Schwarz. Politzer, S. 3. Schwarz, S. 32. Ebd., S. 44–45. Ebd., S. 52. Ebd., S. 60 mit Verweis auf Flemming.
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»schlechte, verunstaltete Kunstzustände« zeigen könne: Plötzlich »sollte dasselbe Reagens so schlechte Resultate geben, von einem bestimmten Augenblick an nur unnatürliche Bilder liefern?«170 Allein die Unterstellung, die Ergebnisse des wissenschaftlichen Kontrahenten seien »Kunstprodukte«, waren diskreditierend. Wenn man, wie Schwarz, Neuland betrat, war damit unter Umständen der Vorwurf verbunden, dass man nicht die »natürlichen Sachverhalte«171 darstellte. Genau in diesem Punkt aber, der Darstellung der »natürlichen Sachverhalte«, bestand das Erkenntnisideal embryologischer Forschung. Das hatte zur Folge, dass jede neue Technologie gegen den Verdacht verteidigt werden musste, durch sie würden die »Naturphänomene« verzerrt und nicht naturgetreu abgebildet. Die methodischen und erkenntnistheoretischen Probleme hingen eng miteinander zusammen; Probleme auf der einen Seite hatten Konsequenzen auf der anderen. In seinem Essay zum Stand der Säugetier-Embryologie griff Bischoff besonders die Schnitttechnik mit Hilfe des Mikrotoms scharf an. Diese Methode werde bedeutend überschätzt und führe zu bedauerlichen Irrtümern, denn alle »Erhärtungsmittel, welche unentbehrlich sind, um die Gegenstände schnittfähig zu machen, Alkohol, Chromsäure, Ueberosmiumsäure, oder was man nur irgend anwenden mag, heben die oft charakteristisch verschiedenartige Durchsichtigkeit der betreffenden zarten thierischen Gebilde auf, und verändern ihre natürliche Beschaffenheit und Ansehen in hohem Grade.«172
Diese methodischen Schwierigkeiten führten zu erkenntnistheoretischen Problemen, weil von den durch das Untersuchungsverfahren veränderten Objekten, die »oft weit von der natürlichen Wahrheit entfernt« seien, die gewagtesten Schlüsse gezogen würden.173 Die meisten Wissenschaftler »betrachten, beurtheilen und beschreiben ihre erhärteten Schnittpräparate gerade so, als wenn sie dieselben im ganz unveränderten natürlichen Zustande vor sich hätten; ihre Herkunft, ihre Bestimmung, ihre Benennung wird von den ganz veränderten Objecten abgeleitet.«174
Diese Verschränkung von methodischen und erkenntnistheoretischen Vorbehalten findet sich auch in Bischoffs Besprechung der Befruchtungsversuche von Schenk. Er kritisierte sie in methodischer Hinsicht, »weil mir die physikalische und chemische Constitution der Eier, an welche deren normale Beschaffenheit und Entwickelungsfähigkeit geknüpft ist, … so empfindlich zu sein scheint, dass auch bei der grössten Sorgfalt und Geschicke in der Behandlung, 170 171 172 173 174
Schwarz, S. 60. Ebd., S. 61. Bischoff, Historisch-kritische Bemerkungen, S. 3. Ebd., S. 6. Ebd., S. 3–4.
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die unvermeidlichen mechanischen Manipulationen, vor Allem die Temperatur-Differenzen trotz der Anwendung des heizbaren Objecttisches … Störungen in dem molecülären Zustande der Eier hervorgebracht werden, welche auf keine normalen Vorgänge mehr schliessen lassen.«175
Hier klingt der Bezug auf das Ideal embryologischer Forschung an. Wenig später rückt die Angelegenheit ganz in den Bereich wissenschaftlichen Erkennens. Vor dem Hintergrund seiner eigenen Forschungen schrieb Bischoff: »Dieses natürliche Verhältniss lässt sich gar nicht in Vergleich bringen mit dem künstlichen Versuche, in welchem Prof. Schenk … Sperma … dem Eichen zusetzte, wobei Tausende von Spermatozoiden das Ei umgeben werden. Man wird leicht in Versuchung geführt, der Phantasie einen zu weiten Spielraum zu gestatten, wenn man sich in Verhältnisse versetzt, die in der Natur gegeben sind.«176
Die methodischen Bedenken gegenüber den »unvermeidlichen mechanischen Manipulationen« bei der künstlichen Befruchtung von Säugetier-Eizellen verbanden sich mit dem Vorwurf, dass durch sie die natürlichen Verhältnisse nicht mehr zu erkennen seien. Wie hartnäckig diese methodischen Vorbehalte im Hinblick auf Säugetier-Eizellen waren, zeigen Versuche, die beinahe 20 Jahre später durch W. S. Grusdew durchgeführt wurden.177 Er könne, schrieb er, die Möglichkeit der künstlichen Befruchtung von Kaninchen-Eizellen »weder positiv noch negativ« beurteilen, denn es zeige sich, »dass die Bedingungen für eine durchaus erfolgreiche künstliche Befruchtung bei Säugethieren verwickelter und viel schwieriger erfüllbar sind, als bei den Kaltblütern.«178 Besonders unzufrieden war er mit der Entwicklung der befruchteten Eizelle, die nach dem 2-ZellenStadium immer abnorm verlaufe.179 Missbilligend äußerte sich Johannes Sobotta, diese Versuche seien wertlos, »da sich die Eier, die angeblich künstlich befruchtet waren, unter ganz abnormen Bedingungen befanden.«180 Sobotta hielt solche Versuche für ausnahmslos fragwürdig, sichere Schlüsse seien nur aus »abgetötetem Material« zu ziehen.181 Galt die Befruchtung von Säugetier-Eizellen als methodisch unzuverlässig, so hatte sich die Seeigel-Eizelle als verlässliches Forschungsobjekt durchgesetzt, da man sie, wie Sobotta schrieb, »so schön lebend beobachten kann.«182 175 Bischoff, Ueber die Zeichen der Reife, S. 43. 176 Ebd., S. 48. 177 Grusdew. Grusdew arbeitete im Labor von Victor Hensen, der ihn zu diesen Versuchen ermutigte, ebd., S. 270, 274. Grusdew bezog sich auch auf die Versuche von Schenk, ebd., S. 269. 178 Ebd., S. 302. 179 Ebd., S. 292. 180 Sobotta, S. 534. 181 Ebd., S. 537. 182 Ebd.
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Die künstliche Befruchtung als Beobachtungstechnik Zum Erkenntnisideal der »Naturwahrheit« gehörte eine Praxis wissenschaftlicher Beweisführung, die extrem stark an Visualisierung orientiert war. Ein großer Teil der Veröffentlichungen aus dem Wiener Embryologischen Institut trägt einen Anhang von Zeichnungen, auf denen Schnittpräparate abgebildet sind. Die Texte bestehen aus langen Erläuterungen dieser Zeichnungen, sie stellen so etwas wie »Leseanweisungen« dar. Dazu ein Beispiel: In einem Aufsatz aus dem Jahr 1877 versuchte Schenk mit Schnittpräparaten der Schamlippen von Neugeborenen zu zeigen, dass das Lymphsystem Öffnungen zum umgebenden Gewebe hat.183 Im Zentrum stand das Sichtbarmachen der fraglichen Strukturen und die Frage, mit welchem Verfahren und welcher Farblösung man »klare Bilder« erhielt. Es wimmelt von Begriffen, die auf Visualität und Wahrnehmung zielen: So ist die Rede vom »Gesichtsfeld«, von »Bildern«, von »Ansicht«, man »sieht«, »betrachtet«, »erblickt« und »beobachtet«.184 Nach Schenks Auffassung gab es Öffnungen im Lymphsystem, »welche man auf die eben geschilderte Weise leicht sichtbar machen kann.«185 Mehrfach ist von »naturgetreuer Abbildung« die Rede.186 Die Kontroverse, ob das Lymphsystem ein offenes System sei oder nicht, wurde allein an der Frage ausgetragen, ob es bei den Kontrahenten »Fehler bei der Injektion« (der Farblösung) gegeben habe, ob also deren Darstellung gelungen sei.187 Das Verfahren der Sichtbarmachung entsprach einer wissenschaftlichen Beweisführung. Peter Halpryn behandelte ebenfalls Schnittpräparate eines menschlichen Embryos und konstruierte aus vielen »Einzelschnitten« so etwas wie einen Gang durch den Embryo.188 Auch hier wurden wissenschaftliche Tatsachen aus Abbildungen generiert: »Wenn wir die bisher geschilderten Figuren vor Augen halten, und zugleich die zwischen ihnen befindlichen Präparate in Betracht ziehen, welche wir als Schnitte zwischen den abgebildeten gewonnen haben, so ergeben sich hieraus ein Reihe von Thatsachen«.189 Zur Formulierung wissenschaftlicher Aussagen dienten nicht nur die Präparate, die gezeigt wurden, sondern auch die, die dazwischen lagen und nicht abgebildet waren. Aus der Reihe der Präparate ergab sich die Reihe der Tatsachen. Genau in dieser Weise ist auch der Aufsatz zur Befruchtung von SäugetierEizellen organisiert. Schenk erwähnte die alte Methode »mühevoller Untersuchungen«: Man habe »die Reihenfolge der Bilder neben einander geordnet, um 183 184 185 186 187 188 189
Schenk, Lymphgefässe. Ebd., vor allem S. 40–41 und S. 48–49. Ebd., S. 41. Ebd., S. 38, 39, 40. Ebd., S. 41. Halpryn. Ebd., S. 240
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auf diese Weise zusammenhängend die Entwickelungsweise des Säugethiereichens zu schildern.«190 Damit korrespondiert eine Textpassage nach geglückter künstlicher Befruchtung: »Nimmt man im Verlaufe von den ersten zwanzig Stunden eine Reihe von Eichen zur Untersuchung vor, so kann man einander sich ergänzende Bilder bekommen, aus denen wir uns ein Bild über die ersten Entwickelungsphasen verschaffen können.«191
Es ging also darum, sich ein Bild zu machen. Das war Sinn und Zweck embryologischer Forschung und die Zielstellung, die Schenk mit seinen Versuchen verband. Die Zweckmäßigkeit experimenteller Anordnungen wurde dabei allein daran überprüft, ob sie geeignet waren, »naturgetreue« Bilder zu liefern. Der Stellenwert der Beobachtung im Forschungsprozess wird besonders bei Theodor Bischoff deutlich: Wissenschaftliche Arbeit war in seinen Augen identisch mit Beobachtung. Die Begriffe »Wissenschaftler« oder »Forscher« kommen nicht vor, stattdessen spricht Bischoff nur von »neueren« oder »früheren« Beobachtern.192 Er beschäftigte sich nicht mit den »neuesten Forschungen«, sondern mit den »neuesten Beobachtungen«.193 Das Objekt der Forschung ist ein »Beobachtungsobjekt«.194 Wissenschaftliche Kontroversen kreisten um die Frage, ob Prozesse oder Strukturen »gesehen« wurden oder nicht und ob andere sie auch »beobachtet« hatten. Die Beobachtung hatte den Status eines Beweises195 und war das Kriterium zur Entscheidung offener Fragen. War sie nicht eindeutig, blieb die Sache »im Unreinen«.196 Gerade das Beispiel der im vorigen Abschnitt untersuchten Kontroverse über den Befruchtungsvorgang veranschaulicht, welchen hohen Stellenwert die Beobachtung in wissenschaftlichen Erörterungen hatte. Bischoff argumentierte gegen Hertwig allein auf dieser Ebene: »Es muss in Beziehung auf diese Lehre beachtet werden, dass Dr. Hertwig nie einen Spermatozoiden in das Ei eindringen sah, auch keine Mikropyle an dem Ei auffinden konnte, auch niemals bei den Eiern, wo der angebliche Sperma- und Ei-Kern sich einander genähert hatten, den betreffenden Spermatozoiden deutlich erkannte, endlich auch die Persistenz des Kernes des Keimbläschens nicht direct durch die Beobachtung feststellen konnte.«197
Zugleich war Bischoff in der unglücklichen Situation, ebenfalls nicht über verlässliche Beobachtungen zu verfügen. Er gab zu, Hertwig wenig entgegenset190 Schenk, Säugethierei, S. 107. 191 Ebd., S. 116. 192 Bischoff, Historisch-kritische Bemerkungen, S. 3, 24, 25, 30, 38, 43 usf. 193 Ebd., S. 6. 194 Ebd., S. 1. 195 Vgl. z. B. ebd., S. 51, wo Bischoff schreibt, er »bewies so durch die Beobachtung, dass der Keim des Säugethiereies [zunächst] aus zwei Blättern … besteht.« 196 Ebd., 43. 197 Ebd., S. 26.
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zen zu können, da er »keine Möglichkeit besitze, durch Beobachtung die aufgestellten Lehren zu controlliren.«198 Das Beweisverfahren der auf Beobachtung gerichteten Embryologie war hier an eine Grenze gestoßen, denn es ermöglichte keine Entscheidung zwischen konkurrierenden Hypothesen: »Ueber das innere Wesen der Befruchtung haben wir auch durch diese Beobachtungen [gemeint ist Hertwigs Veröffentlichung] keinen weiteren Aufschluss erhalten; denn es handelt sich dabei eben immer um einen sinnlich nicht mehr wahrnehmbaren Vorgang.«199
Das Ideal embryologischer Forschung, das Erkennen der »natürlichen Beschaffenheit« der »zarten thierischen Gebilde«200 und die damit verbundenen Praktiken gerieten durch die neuen Untersuchungsmethoden unter Druck. Da es sich um nicht stabilisierte, nicht standardisierte Verfahren handelte, war nicht mehr eindeutig, was man eigentlich beobachtete. Hatte Bischoff in anderem Zusammenhang die Beobachtung als die »scharfe Unterscheidung des Wesentlichen von dem Unwesentlichen, des Zufälligen von dem Gesetzlichen, des Gemeinschaftlichen von dem Besonderen«201 definiert, so verloren angesichts der neuen »Beobachtungstechniken« die Parameter an Schärfe, nach denen solche Unterscheidungen zu treffen waren. Jonathan Crary weist darauf hin, dass der Begriff »Beobachten« etymologisch auf »sich fügen, etwas einhalten, befolgen« zurückgehe, die Beobachtung also an Regeln, Codes, Vorschriften oder Praktiken gebunden ist: »Obwohl also ein Beobachter … zweifellos sieht, ist er – und das ist noch wichtiger – jemand, der in ein System von Konventionen und Beschränkungen eingebettet ist und innerhalb dieses Rahmens von vorgeschriebenen Möglichkeiten sieht. … Wenn man sagen kann, es gebe einen für das neunzehnte Jahrhundert – oder für jede beliebige Epoche – typischen und spezifischen Betrachter, kann man das nur als Folge von nicht aufeinander reduzierbaren heterogenen Systemen von diskursiven, sozialen, technischen und institutionellen Beziehungen.«202
Dieses System war, bezogen auf das »Sehen« von Embryologen, in Unordnung geraten, was Bischoff auf die neuen »Beobachtungsmethoden« zurechnete: Sie seien die Ursache der »geradezu hoffnungslosen Divergenzen zwischen den Embryologen«.203 Ähnlich äußerte sich Schenk, dass bei der Säugetier-Eizelle neben vielen ungelösten Fragen auch noch das Problem existiere, dass »über 198 Ebd., S. 28. 199 Ebd., S. 30, Hervorhebung im Original. 200 Ebd., S. 3. 201 Bischoff, Ausübung der Medicin durch Frauen, S. 26–27. Bischoffs Traktat war einflussreich und diente manchem Professoren-Kollegium als Argumentationshilfe, um die Zulassung von Frauen zum Studium zu verweigern, Glaser, »Sind Frauen studierfähig?«, S. 300. 202 Crary, S. 17. 203 Bischoff, Historisch-kritische Bemerkungen, S. 4–5. Vgl. dazu auch Wahrig-Schmidt, S. 31.
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dieselben Vorgänge, welche von verschiedenen Beobachtern gesehen wurden, verschieden berichtet« werde.204 Ironisch schrieb Bischoff, er wisse wohl, dass er manchmal Achselzucken hervorrufe, wenn er vor der einseitigen Anwendung neuer Methoden warne. Man habe ihn in Verdacht, er sei einfach zu alt, um sie benutzen und beurteilen zu können. Seine Thesen vertrete er daher »auch auf die Gefahr hin, als veralteter Conservativer zu gelten«.205 Aber nicht nur er, sondern auch Ernst Brücke, beide Vertreter einer älteren Generation von Forschern, vertraten große Skepsis gegenüber den neuen Forschungsmethoden.206 Das legt nahe, diese Konflikte in einem größeren Kontext des Wandels wissenschaftlicher Praktiken und der Organisation von Wissenschaft in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts zu sehen. So zeigen die historischen Untersuchungen von Lorraine Daston und Peter Galison zur Karriere des Begriffs der Objektivität im neunzehnten Jahrhundert, dass sie eng mit der Internationalisierung von Wissenschaft und dem daher notwendigen Ersetzen der bis dahin gültigen Gelehrten-Autorität zusammenhing.207 Bischoff und Brücke gehörten noch in den Kontext dieser »hochgradig selektiven Verbindungen zwischen Gleichrangigen«, 208 in der das persönliche Urteil und der Name des Forschers die Qualität seiner Ergebnisse verbürgte. Entsprechend wurden an den Akt des wissenschaftlichen Sehens hohe moralische Erwartungen geknüpft. Es war Ausdruck wissenschaftlicher Redlichkeit, über das »Gesehene« zu berichten, und man gewann an Überzeugungskraft, wenn das Zeugnis gegen die eigenen Vorannahmen ausfiel. So äußerte sich Bischoff besonders lobend über die »sehr genauen Beobachtungen van Benedens«, die umso größere Bedeutung besäßen, als sie dessen früherer Position widersprachen, was »von der unbefangenen Wahrheitsliebe des Forschers ein … glänzendes Zeugnis gibt«.209 Gerade die scharfe Kritik Bischoffs an den neuen Untersuchungsmethoden verweist allerdings auch darauf, wie sehr diese schon zum selbstverständlichen Repertoire von Embryologen gehörten. Das galt auch für die künstliche Befruchtung, wenn auch nicht für diejenige, die sich an den Eizellen von Säugetieren versuchte. Die künstliche Befruchtung war schon im achtzehnten Jahrhundert ein beliebtes Experimentierfeld. Die ersten, allerdings erfolglosen Versuche mit Fröschen, Seidenraupen und Reptilien fanden im siebzehnten Jahrhundert statt, 204 Schenk, S. 108. 205 Bischoff, Historisch-kritische Bemerkungen, S. 9. 206 Wahrig-Schmidt, S. 29–31. 207 Daston, Die Kultur der wissenschaftlichen Objektivität; dies., Wunder, Beweise und Tatsachen; dies. u. Galison. 208 Daston, Wunder, Beweise und Tatsachen, S. 141. 209 Bischoff, Historisch-kritische Bemerkungen, S. 37–38.
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bevor der Detmolder Ludwig Jacobi 1767 seine Erfolge mit der künstlichen Befruchtung von Fischen veröffentlichte. Zehn Jahre später experimentierte der Priester und Naturforscher Lazzaro Spallanzani mit Fröschen, Kröten und Salamandern sowie mit der künstlichen Insemination einer Hündin und hatte damit Erfolg. Etwa zeitgleich soll John Hunter 1776 die erste künstliche Insemination einer Frau durch ihren Ehemann angeleitet haben.210 Ilse Jahn betont, dass gerade Befruchtungsversuche die experimentelle Orientierung der Physiologie am Ende des achtzehnten Jahrhunderts initiiert hatten, 211 und auch im neunzehnten Jahrhundert war die künstliche Befruchtung stark verbreitet, Forscher wie Gregor Mendel und Ernst Haeckel setzten sie ein.212 Das Verfahren wurde in der Fischzucht bereits »industriell« angewendet.213 Waren die Lexikoneinträge zum Stichwort »Befruchtung« in den 1840er Jahren noch bescheiden,214 widmeten Brockhaus und Meyer diesem Thema in den 1880er Jahren größere Aufmerksamkeit. Ganz selbstverständlich ging der Brockhaus auch auf die künstliche Befruchtung bei Tieren mit äußerlicher Befruchtung ein und beschrieb die Methode.215 Die Insemination von Säugetieren, wie sie Spallanzani vorgenommen hatte, tauchte das erste Mal 1898 in einem Lexikonbeitrag auf.216 Die künstliche Befruchtung war also kein neues, überraschendes Verfahren. Anders als man aus der Perspektive reproduktionsmedizinischer Traditionsbildung vielleicht denken könnte, rief das Verfahren in den 1870ern – jedenfalls 210 Poynter, S. 99–101; Semke, S. 27–30. 211 Jahn, »Biologie«, S. 280. Die Rolle der Spermien verstand Spallanzani noch nicht. Erst in den 1820er Jahren zeigten französische Physiologen, »dass bei künstlicher Befruchtung von Froschlaich durch verdünnten Samen zwar sehr geringe Mengen von Spermatozoen zur Wirkung ausreichen, spermatozoenfreier Samen aber niemals wirkt.«, Müller, Die Sterilität der Ehe, S. 10. 212 Mendel; Haeckel, Siphonophoren, S. 10. Haeckel schrieb, dass auch Carl Gegenbaur Siphonophoren künstlich befruchtet hatte, ebd., S. 7. Vgl. zur Verbreitung der künstlichen Befruchtung auch Drouin. 213 Grusdew sprach von einem »neuen Zweig der Industrie«, der mit der künstlichen Befruchtung von Fischen begründet wurde, Grusdew, S. 270. Vgl. auch »Fischzucht«, in: Meyer 1889, S. 310. 214 »Befruchtung«, in: Real-Encyklopädie 1843, S. 160; »Befruchtung«, in: ConversationsLexicon 1845, S. 124–125. 215 »Befruchtung«, in: Brockhaus 1882, S. 688; »Befruchtung«, in: Meyer 1889, S. 610. Das Thema wurde mit ganzseitigen Abbildungen von Brutapparaten behandelt, von denen, wie es ironisch hieß, »jeder Fischzüchter gewöhnlich einen neuen erfindet«, »Künstliche Fischzucht«, in: Meyer 1889. Vgl. auch »Künstliche Fischzucht«, in: Brockhaus 1883. 216 Dort heißt es: »Bei Amphibien (Fröschen), selbst bei Säugetieren hatte (durch Einspritzung des männlichen Zeugungstoffes in die weiblichen Geschlechtsteile) schon Spallanzani künstliche B. bewerkstelligt.«, »Befruchtung«, in: Brockhaus 1898, S. 631. Die künstliche Befruchtung an Frauen wurde nur angedeutet, wenn vom »Menschen und manchen andern Säugetieren« die Rede war, »Befruchtung«, in: Meyer 1889, S. 609.
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in der Embryologie und bei bestimmten Tierarten – keine besondere Aufmerksamkeit hervor.217 Allerdings bezeichnete der Begriff »künstliche Befruchtung« verschiedenartige Verfahren, je nachdem, mit welchem Objekt man es zu tun hatte und in welcher Disziplin man sich bewegte. Insofern könnte man hier mit Ilana Löwy von einem »unscharfen Begriff« sprechen. Im Gegensatz zu den 1930er Jahren fand im neunzehnten Jahrhundert aber kein über diesen Begriff vermittelter Transfer von Konzepten oder experimentellen Techniken statt. Die »künstliche Befruchtung« blieb in den jeweiligen Disziplinen ein eigenständiges, jeweils sehr unterschiedliches Verfahren, die Gemeinsamkeit in Botanik, Zoologie, Gynäkologie und Embryologie bestand ausschließlich in der willkürlichen Verbindung von Eizellen und Sperma durch die Hand des Wissenschaftlers. Ein Transfer wurde kaum ins Auge gefasst. Für die Embryologie findet sich eine Beschreibung der künstlichen Befruchtung an Seeigel-Eizellen in besagtem Aufsatz von Oscar Hertwig aus dem Jahr 1875: »Die Geschlechtsproducte verschafft man sich am besten in der Weise, dass man nach Eröffnung der Schale den Inhalt der Ovarien oder Hoden durch sanften Druck durch die Ausführungsgänge entleert und in Uhrschälchen sammelt. … Durch mehrmaliges Umrühren der Flüssigkeit erreicht man es leicht, dass alle Eier befruchtet werden und alle fast gleichzeitig sich entwickeln.«218
Wie sehr dieses Verfahren in der Embryologie etabliert war, wird durch die Beiläufigkeit deutlich, mit der die medizinischen Jahresberichte die künstliche Befruchtung von Fischen, Seeigeln, Austern und Amphibien erwähnten.219 Die ausführliche Rezension zu Hertwigs Aufsatz von 1875 wies nicht einmal mehr darauf hin, dass dieser die Seeigel-Eizellen künstlich befruchtet hatte: »Überraschend« war nur die »Deutung, welche Hertwig den unmittelbar nach der Befruchtung auftretenden Erscheinungen« gab.220 Auch in der Besprechung einer Arbeit Hermann Fols zu Zell- und Kernteilung heißt es nur lapidar »nach geschehener Befruchtung«, bevor die Ergebnisse referiert werden.221 Diese Form der künstlichen Befruchtung war in der Embryologie der 1870er Jahre bereits so verankert, dass sie gerade umgekehrt zum Kriterium der Ob217 Grusdew schrieb 1896: »Man weiss, dass die künstliche Befruchtung der Eier bei den niederen Wirbelthieren keinerlei Schwierigkeiten macht und schon im vorigen Jahrhundert mit gutem Erfolg ausgeführt wurde.«, Grusdew, S. 269. 218 Hertwig, Beiträge zur Kenntnis, S. 378–379. 219 Jber. 1870, S. 59, ohne weitere Erklärung; Jber. 1874, S. 116, künstliche Befruchtung an Fischen; Jber. 1875, S. 125, mit einem Überblick zum Thema; Jber. 1877, S. 91, künstliche Befruchtung von Amphibieneiern; Jber. 1880, S. 81, künstliche Befruchtung der amerikanischen Auster. 220 Jber. 1875, S. 125, 128–129, S. 129. 221 Jber. 1876, S. 134.
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jektwahl werden konnte. Das Verfahren hatte den Vorteil, exakte Zeitangaben für die Entwicklungsprozesse zu erlauben. Für seine Forschung, schrieb Oscar Hertwig, sei die künstliche Befruchtung vorzuziehen, »um den Zeitpunkt, wo Sperma und Eier sich treffen, genau bestimmen zu können.«222 Dass es sich bei Organismen mit äußerer Befruchtung um ein akzeptiertes, erprobtes, vertrauenswürdiges Verfahren handelte, zeigt auch der Blick in ein zeitgenössisches, methodisches Handbuch. Sigmund Exner, der genau wie Schenk von Ernst Brücke ausgebildet worden war und in dessen Nachfolge das Physiologische Institut in Wien leitete, gab 1873 einen »Leitfaden bei der mikroskopischen Untersuchung thierischer Gewebe« heraus. Dieser war als Methodenüberblick für die Teilnehmer von Einführungsveranstaltungen, aber auch für die »Vorgerückteren« in Physiologie, Histologie und Embryologie gedacht.223 Zur embryologischen Untersuchung von Fischen schrieb Exner: »Um die ersten Stadien der Entwicklung zu studiren, ist es nöthig, künstliche Befruchtung vorzunehmen.«224 Auch der Abschnitt über Vögel wird mit Instruktionen zur »künstlichen Bebrütung« eingeleitet.225 Ausführlich beschrieb Exner die Prozeduren und die dazugehörigen Apparaturen, beispielsweise einen »Apparat zur künstlichen Fischzucht«.226 Die Behandlung in einem Handbuch belegt, dass das Verfahren zumindest in einigen Bereichen standardisiert war. Es stellte nicht nur keine besondere Neuigkeit dar, sondern gehörte zum obligatorischen Repertoire derjenigen Embryologen, die mit Fischen oder Vögeln arbeiteten. Auch Exner deutete den besonderen Vorzug der Methode an, die Möglichkeit der genauen Datierung der Befruchtung: »Man unterlasse nicht das Object gleich zu etiquettiren und mit dem Datum, bezogen auf den Tag der Befruchtung, zu bezeichnen.« 227 Samuel Leopold Schenk sah seine Versuche mit Kaninchen und Meerschweinchen in diesem Zusammenhang embryologischer Befruchtungsexperimente. 1874 beschrieb er die Entwicklung bestimmter Würmer nach der künstlichen Befruchtung und bezog sich dabei auf einen ganzen Korpus an Literatur, der sich mit der Entwicklung von Rippenquallen, Bachforellen oder Knochenfischen beschäftigte.228 Auch hier wurde in der Rezension der Jahresberichte das Verfahren nicht mehr eigens hervorgehoben,229 das Schenk ähnlich wie Oscar Hertwig beschrieb: 222 Hertwig, Beiträge zur Kenntnis, S. 378–379. Vgl. auch von Ihering, S. 30. Auch er erwähnte die Methode nur beiläufig, ebd., S. 19, 25. 223 Exner. Eine Kurzbiographie findet sich bei Jahn, Geschichte der Biologie, S. 818. 224 Exner, S. 84. 225 Ebd., S. 86. 226 Ebd., S. 85. 227 Ebd. 228 Schenk, Serpula, S. 288, 294. 229 Jber. 1874, S. 156–157.
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»Die künstliche Befruchtung von Serpula kann in der einfachsten Weise vorgenommen werden. Es werden die harten Schalen eröffnet und das in denselben befindliche und der Schale bare Thier krümmt sich gegen die Rückenfläche zusammen, wobei ein Erguss von Samen beim Männchen und von Eiern beim Weibchen stattfindet.«230
In diesem experimentellen Kontext standen Schenks Versuche. Einerseits relativiert sich damit ihre Besonderheit: War es doch längst üblich, dass man Eizellen unter den Augen der Forscher befruchtete. Schenk ging »lediglich« einen Schritt weiter, wenn er auch beim Säugetier das Geschehen ans Licht holte, indem er das Kaninchen aufschnitt. Andererseits lud er sich damit gravierende methodische und damit auch erkenntnistheoretische Probleme auf, vermittelt über den Diskurs natürlicher und künstlicher Verfahren, Reagentien und Ergebnisse. Keiner der Forscher, die mit der künstlichen Befruchtung arbeiteten, betrachtete das Verfahren als experimentell. Zugespitzt formuliert handelte es sich um ein Verfahren zur Sichtbarmachung von Prozessen, das sich – sofern es methodisch überzeugte – nahtlos in den oben beschrieben Denkstil der Embryologie einfügte. Auch diejenigen, welche die neuen Forschungsmethoden anwendeten wie der von Bischoff angegriffene Oscar Hertwig, taten es im Hinblick auf das Erkenntnisideal der »naturgetreuen Abbildung«. So begründete Oscar Hertwig die Wahl der Seeigel-Eizelle als Forschungsobjekt mit einer Aufzählung verschiedener Vorteile, »die bei der Beobachtung sehr zu Statten kommen.«231 Experimentelle Verfahren setzten sich in der Embryologie, verglichen mit der Physiologie, relativ spät durch. Biologiehistoriker begründen das mit der morphologischen Ausrichtung der Embryologie und dem Einfluss von Ernst Haeckel, der embryologische Forschungen auf beschreibende Verfahren reduziert habe. Sein »biogenetisches Grundgesetz«, nach dem die embryonale Entwicklung eines Organismus die abgekürzte Rekapitulation seiner Stammesgeschichte sei, bedeutete zwar eine Aufwertung embryologischer Forschung, aber zugleich deren Verengung auf phylogenetische Probleme.232 Dagegen lässt sich einwenden, dass es sich um ein dynamisches Forschungsgebiet handelte, in dem die Zahl der Veröffentlichungen in den 1870er Jahren stark anstieg.233 Die Embryologie bezog aus der griffigen und populären Deutung der 230 Schenk, Serpula, S. 287–288. 231 Hertwig, Beiträge zur Kenntnis, S. 348, Hervorhebung durch mich. 232 Querner, S. 428 mit Verweis auf Haeckel, Generelle Morphologie. Schenk begeisterte sich für einen Zusammenhang von Embryonalentwicklung und Stammesgeschichte, vgl. Schenk, Beiträge zur Anatomie, S. 49–59. 233 Die Jahrgänge 1869 bis 1881 der Jahresberichte wurden überprüft. Die Zahl der dokumentierten Arbeiten lag 1869 bei 97 Titeln, um nach einem leichten Rückgang im Jahr 1872 auf 190 und in den Jahren 1874 und 1875 auf 327 und 331 zu steigen. Ab 1876 bewegten sich die Zahlen wieder auf etwas niedrigerem Niveau lagen, aber dennoch erheblich höher als zu Beginn des Jahrzehnts.
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Darwinschen Evolutionstheorie durch Haeckel sogar Wachstumsimpulse, was die Aufwertung ihrer Forschungen und das Generieren von Fragestellungen anging.234 So schätzt Lynn Nyhard ein, dass die Biologie- und Medizingeschichte den Einfluss Haeckels auf die Embryologie systematisch überschätzt habe.235 Die Debatte um natürliche und künstliche Verfahren zeigt, dass ein massiver Einzug neuer Forschungsmethoden begonnen hatte, was sich auch bei der Durchsicht der Jahresberichte bestätigt. Die Verfahren des Fixierens, Färbens und Konservierens embryologischer Untersuchungsobjekte, sowie die Technik der Querschnitte und das Mikroskopieren waren weit verbreitet und wurden in den Jahresberichten keineswegs problematisiert.236 Die Rezensenten berichteten über Forschungen an lebenden Organismen, ohne sie negativ zu kommentieren.237 Alle diese Methoden orientierten sich am Ideal deskriptiver Forschung. Die Integration experimenteller Verfahren zur Manipulation lebender Zellen geschah erst in Folge einer Kontroverse in den 1890er Jahren. Die Unterscheidung von natürlich und künstlich verschob sich hier zur Gegenüberstellung von Beobachtung und Experiment.238 In dieser Debatte, die im Folgenden skizziert wird, verteidigte gerade Oscar Hertwig die Auffassung, dass die Beobachtung der privilegierte Zugang zu embryologischer Erkenntnis darstelle. Auch das spricht dafür, dass die Forschungsmethoden der 1870er Jahre, so umstritten sie waren, dennoch auf das alte Erkenntnisideal embryologischer Forschung ausgerichtet blieben.
Die Kontroverse über Beobachtung und Experiment Die Einführung experimenteller Verfahren in die Embryologie wird für gewöhnlich mit Wilhelm Roux und seinem Forschungsprogramm der Entwicklungsmechanik verbunden.239 Er hatte bereits Mitte der 1880er Jahre Versuche 234 Hopwood, Embryologie. Vor allem die Forschungen im Bereich der Ontogenie nahmen zu, also embryologische Arbeiten im engeren Sinne. Die Jahresberichte unterschieden erst 1872 in Phylogenie und Ontogenie, vorher wurden die Einträge unter dem Stichwort »Entwicklung« subsumiert. Nur 1874 und 75 beruhte der Anstieg auf stammesgeschichtlichen Arbeiten. 235 Nyhard, S. 193–204; vgl. auch Hopwood, »Giving Body« to Embryos, S. 475. 236 Jber. 1870, S. 61; Jber. 1872, S. 82; Jber. 1874, S. 147, 152; Jber. 1876, S. 109, 115; Jber. 1877, S. 80, 81, 84. 237 Sie berichteten über die »künstliche Erzeugung organischer Formen«, Jber. 1868, S. 57, die »künstliche Erzeugung von Strukturveränderungen in lebenden Organismen«, Jber. 1872, S. 70, die »künstliche Theilbarkeit« von Organismen, Jber. 1873, S. 84 u. Jber. 1874, S. 116, 120, oder Versuche zur Hybridisation, beispielsweise zwischen Hase und Kaninchen, Jber. 1868, S. 56, 59 u. Jber. 1872, S. 91, 93. Auch Schenk führte solche Versuche durch, Jber. 1876, S. 115–116. 238 Hans Querner weist darauf hin, dass die Begriffe »natürliche Wahrnehmung« und »künstliche Beobachtung« im achtzehnten Jahrhundert die beiden Verfahren der empirischen Erfahrung, Beobachtung und Experiment, bezeichneten, Querner, S. 426. 239 Vgl. dazu den Forschungsüberblick bei Mocek, S. 17–23.
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an Froschkeimen durchgeführt, bei denen er im 2-Zellen-Stadium eine der beiden Zellen abtötete, um aus der weiteren Entwicklung Aussagen über die Formentwicklung von Embryonen abzuleiten. Hier vollzog sich eine grundlegende Veränderung des wissenschaftlichen Denkstiles: Gerade die gezielte Störung natürlicher Abläufe wurde zur Erkenntnisgewinnung eingesetzt. Roux wusste um die Ungeheuerlichkeit seines Handelns: »Zu diesem Zweck versenkte ich … eine spitze Nadel in das Froschei, nicht ohne ein geheimes Grauen darüber zu empfinden, dass ich es wagte, in solcher Weise in den geheimnisvollen Komplex aller Bildungsvorgänge eines Lebewesens einzugreifen.« 240
Wie unerhört selbst Roux diese Umkehrung der bisherigen Praxis in Richtung auf gezielte Störungen natürlicher Abläufe fand, macht auch folgendes Zitat deutlich: »Ich war mir der Rohheit dieses Eingriffes in die geheimnisvolle Werkstätte aller Kräfte des Lebens wohl bewusst, und ich verglich ihn selber mit dem Einwurfe einer Bombe in eine neu gegründete Fabrik, welcher in der Absicht vorgenommen sei, um an der Änderung der Production und an dem Verlaufe der weiteren Entwicklung der Fabrik nach der angerichteten Zerstörung einen Rückschluß auf die innere Organisation zu machen.«241
Wilhelm Roux und sein Programm einer »Entwicklungsmechanik« waren umstritten; es löste heftige Debatten um die geeignete wissenschaftliche Methode in der Embryologie aus. Oscar Hertwig vertrat leidenschaftlich, dass die Beobachtung das einzig sinnvolle Mittel der Erkenntnis in der Wissenschaft von der organischen Natur sei, sie sei das Mittel »durch welches sich unser Geist in bewusster Weise mit der Außenwelt in Verbindung setzt.«242 Beobachtung vermittele dann ursächliche Erkenntnis, wenn sich der Gegenstand der Beobachtung in Bewegung befinde. Hertwig gab zu, dass das Experiment in der Erforschung der anorganischen Natur eine gewisse Berechtigung habe (um sozusagen das Objekt zur Bewegung zu zwingen), allerdings auch hier nur als Mittel zum Zwecke der Beobachtung.243 In der organischen Natur dagegen sei es nicht nötig, die Dinge zur Veränderung zu bringen und am allerwenigsten in der Embryologie. Im Entwicklungsprozess lege »die Natur dem Forscher ihre Geheimnisse offen vor«.244 Der Zoologe Otto Bütschli argumentierte, dass das Ziel der Entwicklungsmechanik, die Entwicklung durch äußere Reize zu beeinflussen, Komplikationen schaffe. Denn Schlüsse erlaubten solche Experimente nur, »wenn die 240 241 242 243 244
Roux, Die Entwicklungsmechanik, S. 34. Ders., Gesammelte Abhandlungen, S. 75. Hertwig, Zeit- und Streitfragen, S. 63–64. Ebd., S. 65. Ebd.
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Mechanik des normalen Entwicklungsganges in den Grundzügen bekannt wäre. Letzteres möglichst aufzuklären, erschiene mir daher das erstrebenswerte Ziel.«245 Hier findet sich das Wissenschaftsverständnis, dem auch Schenk und Bischoff anhingen. Erkenntnis sollte auf das Verständnis der »natürlichen« Entwicklung zielen, und die war mit Hilfe der Beobachtung zu erforschen. Das Experiment hingegen war keine geeignete Methode, weil es das »Normalgeschehen« veränderte und nicht erklärte. Wilhelm Roux hielt dagegen, die Embryologie könne sich nicht auf die rein deskriptive Darstellung von Formveränderungen beschränken. Hinzu kommen müsse die »ursächliche Bewegungslehre«, die »Lehre von den Wirkungen der Theile auf einander«.246 Und weiter heißt es: »Wenn aber auch das an den Zellen stattfindende Geschehen in einzelnen Fällen direkt sichtbar zu machen ist, so gilt dies doch nicht für die Wirkungsweisen, welche dies sichtbare normale Geschehen bewirken. Da wir aber auch diese kennen lernen wollen, so bedürfen wir dazu anderer Methoden als derjenigen der direkten Beobachtung des normalen Geschehens oder der Integration desselben aus Schnittserien unmittelbar auf einander folgender Entwickelungsstadien; dazu bedürfen wir des Experimentes am lebenden Organismus«. 247
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich schon in den 1870er Jahren Methoden und Konzepte entwickelten, die erste Risse im Gewölbe des embryologischen Denkstils erzeugten. Zunächst war die Kohäsion aber stark genug, um diese neuen Praktiken zu binden. Als sich in den 1880er Jahre zunehmend Forscher für die Praktiken der Physiologie interessierten, vertieften sich diese Risse und führten zur scharfen Gegenüberstellung von Experiment und Beobachtung. Während die Physiologie sich über Themen definierte, die der experimentellen Manipulation und physikalisch-chemischen Analyse zugänglich waren, wurden Fragen der Embryonalentwicklung lange morphologisch orientierten Disziplinen wie der Anatomie und Zoologie überlassen.248 Die Physiologie interessierte sich besonders für diejenigen Aktivitäten lebender Organismen, die für die industrielle Ökonomie von Bedeutung waren, wie Muskelkraft und Nervensystem. Das embryologische Labor lag außerhalb dieser Interessen: »The distance between muscles working instruments in physiological laboratories and muscles working machines in factories was routinely traversed, but in the 1860s the gap between the factory and the embryological laboratory was still huge.« 249 245 246 247 248 249
Bütschli, S. 13. Roux, Für unser Programm, S. 6. Ebd., S. 13. Hervorhebung im Original. Hopwood, Embryology. Hopwood, »Giving Body« to Embryos, S. 470.
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Die Embryonalentwicklung erschien so komplex, dass sie sich physiologischen Methoden entzog. Interessant wurde die Embryologie für physiologisch interessierte Forscher, als man sich kleinen, leicht reproduzierbaren, »formalisierbaren« Systemen wie der Eizelle des Seeigels zuwandte. Mit diesem Organismus konnten auch die experimentellen Anforderungen von Physiologen befriedigt werden. Zur Rolle dieses Objekts schreibt Irmgard Müller: »Das Seeigelei blieb denn auch, weil es widerstandsfähig, leicht zu beschaffen, leicht zu züchten und glasklar ist, das bevorzugte Untersuchungsmaterial in der experimentellen Zellforschung und Entwicklungsphysiologie, wobei sich die in der Biologie häufig gemachte Erfahrung wiederholte, dass die Entdeckung eines günstigen Untersuchungsobjektes ein großes neues Forschungsgebiet erschließt.«250
Ähnlich wie die Embryologie besaß auch die Teratologie, die Wissenschaft von den Missbildungen, keine stabilen disziplinären Strukturen und verfiel nach der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert in »Agonie«, wie Urs Zürcher schreibt. Auch sie wurde herausgefordert durch physiologische Konzepte und experimentelle Methoden, konnte diese aber im Unterschied zur Embryologie nicht integrieren und vermochte sich nicht wie diese zur Laborwissenschaft zu entwickeln. Dass das der Embryologie gelang, mag nicht zuletzt in der Verwendung der Seeigeleizelle als bevorzugtem Versuchsobjekt begründet sein.251 In institutioneller Hinsicht spielte die Zoologische Station in Neapel eine Schrittmacher-Rolle für die Transformation der Embryologie. Sie wurde 1872 von Anton Dohrn gegründet, der seine wissenschaftliche Lauf bahn unter dem dominierenden Einfluss der Entwicklungsgeschichte Haeckels begonnen hatte, sich später aber scharf davon abgrenzte und an die Wissenschaftsauffassung von Wilhelm Roux anlehnte.252 In Neapel existierten erstklassige Forschungsbedingungen: Es bestand eine enge Verbindung zu Zeiss in Jena, Apparate und Laboratorien waren genauso vorhanden wie embryologisches Material im Überfluss. Die Station entwickelte sich bald zu einem Magneten für Forscher aus aller Welt und aus verschiedenen Disziplinen, so dass Theodor Boveri von einem »ständigen Zoologenkongreß« sprach.253 In Neapel spielten Befruchtungsexperimente eine wichtige Rolle und gerade über die Versuche mit der Seeigel-Eizelle wurde die experimentelle Orientierung vorwärts getrieben. Ab 1889 untersuchte Theodor Boveri beispielsweise die Rolle des Kerns bei der Vererbung, indem er kernlose Eizellen einer Seeigelart mit dem Sperma einer anderen Seeigelart befruchtete.254 Auch Jac250 Müller, Die Wandlung embryologischer Forschung, S. 196. 251 Zürcher, bes. S. 287. 252 Müller, Die Wandlung embryologischer Forschung, S. 193; dies., Nicolai Kleinenberg, S. 131–153. 253 Zit. nach Müller, Die Wandlung embryologischer Forschung, S. 194. 254 Ebd., S. 196–197.
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ques Loeb experimentierte in Neapel, bevor er mit seinen Versuchen zur Parthenogenese in der amerikanischen Forschungsstation Woods Hole großes Aufsehen erregte. Er hatte die befruchtende Wirkung des Spermiums auf die Seeigeleizelle durch chemische Stoffe wie zum Beispiel Buttersäure ersetzt und sie damit zur Parthenogenese angeregt: »Mit dieser Entdeckung war das große Problem des Befruchtungsvorgangs von der Domäne der Morphologie auf das der physikalischen Chemie bzw. Biochemie verlegt.« 255 An den Beispielen wird deutlich, wie groß die Differenz zur Forschungspraxis eines Samuel Leopold Schenk war. Ihm ging es nicht um die Manipulation von Lebensvorgängen, sondern um eine möglichst vollständige Imitation von natürlichen Prozessen, um sie besser beobachten und genauer beschreiben zu können. Schenk suchte nach den Bedingungen, »welche den natürlichen Vorgängen am nächsten stehen oder ihnen vollständig gleichen.« 256 In seinem Forschungskontext wurde die Technik nur unter der Perspektive beobachtet, ob sie naturgetreue Abbildungen lieferte. Das Verfahren selbst stellte kein eigenständiges Forschungsziel dar: Es hatte nicht den Status eines wissenschaftlichen Gegenstandes. Folgerichtig schrieb Schenk zur Rolle der Technik: »Es kann daher die Methode nur als ein Hilfsmittel betrachtet werden, welches die ersten Stadien in der Entwickelung erforschen hilft.«257 Er akzeptierte die künstliche Befruchtung als Hilfsmethode, aber darüber hinaus hatte sie keinen besonderen Stellenwert. In Neapel dagegen wurde »durch das planmäßige Experiment, durch die Störung des normalen Entwicklungsablaufes im lebenden Organismus selbst, durch Isolierung und Neukombination der Elemente Einsicht in die die Entwicklung bewirkenden Vorgänge zu gewinnen« versucht.258 Damit wurde auch das experimentelle Verfahren selbst zum Gegenstand von Forschungen. Konsequenterweise vollzog sich in diesem Teil der Embryologie eine semantische Umwidmung der Unterscheidung von natürlich und künstlich. Wilhelm Roux war es, der in seinem Handbuch zur »Terminologie der Entwicklungsmechanik« Begriff und Definition der »In-Vitro-Kultur« einführte. Dort heißt es unter dem Stichwort »Explantation, ›Auspflanzung‹, In-vitro-Kultur«: »Deckglaskultur ist die Übertragung eines Teiles eines Lebewesens in eine unschädliche Flüssigkeit, um die Dauerfähigkeit und die eignen Leistungen dieses dem erhaltenden, differenzierenden und regulierenden Einfluß der anderen Teile, bezw. des Ganzen entzogenen Teiles kennen zu lernen.« 259 255 Ebd., S. 213. 256 Schenk, Säugethierei, S. 110. 257 Ebd. 258 Müller, Die Wandlung embryologischer Forschung, S. 200. 259 Roux, Terminologie der Entwicklungsmechanik, S. 145. Schon ein Jahr nach Erscheinen des Handbuches und mit ausdrücklichem Verweis darauf veröffentlichte A. Brachet einen Aufsatz zur »In-Vitro-Entwicklung« von Kaninchen-Embryonen, Brachet.
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Damit war die Unterscheidung von künstlich und natürlich transformiert in diejenige von in vitro und in vivo und tauchte somit innerhalb der Disziplin wieder auf. Die Versuche zur extrakorporalen Befruchtung lagen nun im diskursiven Horizont der Embryologie und zumindest die theoretische Möglichkeit der Invitro-Befruchtung von Säugetier-Eizellen war damit eröffnet. In diesem Abschnitt wurden die Aufsätze von Samuel Schenk und anderen Embryologen unter diskursanalytischer Perspektive untersucht. Die Unterscheidung von natürlich und künstlich grenzte den Gegenstandsbereich der Embryologie und die in ihr gültigen Methoden wissenschaftlicher Erkenntnis ab. In diesem Diskurs verbanden sich methodische und erkenntnistheoretische Vorbehalte gegen Forschungsmethoden, die sich in den 1870er Jahren zunehmend in der Embryologie etablierten wie die mikroskopische Technik und damit verbundene Methoden der Herstellungen von Serienschnitten und der Färbung und Fixierung von Präparaten. Die künstliche Befruchtung von Säugetier-Eizellen wurde ebenfalls innerhalb dieses Diskurses verhandelt. Sie war, genau wie die etablierte und standardisierte Methode bei Organismen mit äußerer Befruchtung, als Technik zur Sichtbarmachung von Strukturen konzipiert, aber anders als diese mit erheblichen methodischen Problemen belastet. Damit waren Schenks Versuche zur extrakorporalen Befruchtung von Säugetier-Eizellen denselben Anforderungen und Verdächtigungen ausgesetzt wie die Anwendung des Mikrotoms zur Herstellung von Serienschnitten. Schenk geriet in doppelten Misskredit: Er dehnte das Verfahren der künstlichen Befruchtung auf die Eizellen von Säugetieren aus, wo es methodisch wenig vertrauenerweckend und nicht standardisiert war und kassierte damit auch die zweite Hälfte der mit der Unterscheidung von natürlich und künstlich verbundenen Implikationen. Das Verfahren stand im Verdacht, die natürlichen Abläufe zu verfälschen, also bezogen auf das Erkenntnisideal embryologischer Forschung unbrauchbar zu sein. Das hat Konsequenzen für die Beurteilung von Schenks Versuchen innerhalb der Geschichte der In-vitro-Fertilisation. Denn diese Technik, die eine gravierende Manipulation lebender Zellen darstellt, lag außerhalb des damaligen Denkstils der Embryologie. Eine solche Beeinflussung natürlicher Abläufe war nicht akzeptabel: Sie führte nicht zu wissenschaftlichen Ergebnissen. Die Schaffung eines lebenden Organismus auf dem Labortisch stellte damit auch kein Forschungsziel dar. Erst Ende des neunzehnten Jahrhunderts wurden experimentelle Manipulationen an Keimzellen in den Horizont der Embryologie eingefügt, sofern sie sich als Entwicklungsphysiologie verstand. Diese experimentelle Orientierung integrierte auch die In-vitro-Kultur lebender Organismen in ihr methodisches Repertoire und ließ zumindest theoretisch auch die In-vitro-Befruchtung von Säugetier-Eizellen als Forschungsziel denkbar werden. 101 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35159-9
»Künstliche Befruchtung« bezeichnete in mehreren Fachgebieten unterschiedliche Praktiken an verschiedenen Versuchsobjekten. Anders als in den 1930er Jahren fand aber kein Wissenstransfer zwischen diesen Disziplinen statt, der etwa über einen solchen »unscharfen Begriff« vermittelt worden wäre. Die Verschiedenartigkeit der mit dem Begriff der »künstlichen Befruchtung« verbundenen Verfahren wird besonders deutlich mit dem Blick auf die Gynäkologie, die den Gegenstand des folgenden Abschnitts bildet.
4. Die künstliche Befruchtung in der Gynäkologie Öffentlichkeitswirksamer als die bisher beschriebenen Verfahren war in den 1870er Jahren die künstliche Befruchtung, wie sie in der Gynäkologie an Frauen praktiziert wurde. Obwohl Schenk im Jahr 1878 sogar eine Rezension über Hermann Beigels Lehrbuch zur Behandlung der Unfruchtbarkeit schrieb,260 er also nachweislich über diese ganz andere Praxis künstlicher Befruchtung informiert war, veranlasste ihn das nicht zu Erklärungen. Die Gemeinsamkeit des Künstlichen gegenüber dem Natürlichen war bedeutsamer als Differenzierungen des Verfahrens im Einzelnen. Auch in den Texten von Gynäkologen taucht die Unterscheidung von natürlich und künstlich auf, deren Implikationen im Folgenden skizziert werden. Dabei zeichnet sich ein gynäkologischer Denkstil ab, der sich von demjenigen der Embryologie deutlich unterscheidet. Gynäkologen verstanden unter »künstlicher Befruchtung« keine Befruchtung außerhalb des Körpers, sondern eine Insemination. In diesem Abschnitt wird der Frage nachgegangen, wie das Verfahren zu einem Experimentierfeld von Gynäkologen im neunzehnten Jahrhundert wurde: Welche Praktiken waren damit verbunden und wie ordneten sich die Versuche in die Entwicklung der Gynäkologie ein? Durch welche Strategien wurde das Versuchsobjekt – es handelte sich schließlich um Frauen – legitimiert? Mit der Beantwortung dieser Fragen lassen sich Entwicklungen beobachten, die für die Herausbildung der Reproduktionswissenschaften und damit für die Befruchtungsversuche in den 1930er Jahren eine wichtige Rolle spielten.
Das Verfahren Etwa zeitgleich mit der systematischen Nutzung der künstlichen Fischzucht nahmen Befruchtungsexperimente an Frauen zu, ein Trend, der einen ersten 260 Schenk, Rezension.
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Höhepunkt in den 1870er und 1880er Jahren erreichte. 261 Anders als in der Embryologie war hier das Verfahren selbst Gegenstand eifrigen, kollegialen Austausches. 1888 erschien die erste deutsche Dissertation zur künstlichen Befruchtung von Paul Levy, in der er schrieb, der Schleier über den Zeugungsvorgängen sei endlich gelüftet. Daher fehle es nun nicht mehr an Ärzten, die »ein neues, überaus kühnes Mittel, die Sterilität zu heilen, in den Kreis ihrer Betrachtungen zogen, nämlich die künstliche Befruchtung.«262 Auch Levy benutzte die Unterscheidung von natürlich und künstlich. Er bedauerte, dass die künstliche Befruchtung diskreditiert sei, weil die Erfolgsrate bescheiden und »die Operation zuweilen von schweren, die Gesundheit der Frauen in hohem Grade gefährdenden Folgen begleitet war«.263 Vorbehalte gegen ein »künstliches« Verfahren formulierte er aber nicht. Im Anschluss an eine statistische Auswertung der Ergebnisse schrieb er: »Dieses Resultat müsste alle Bedenken gegen die Ausführung der künstlichen Befruchtung im Keime ersticken, wenn uns der Beweis erbracht würde, dass durch die Injection der Samenflüssigkeit, aber ausschliesslich durch diese, Schwangerschaft erfolgte, und nicht etwa durch der Operation voraufgehende Manipulationen, welche vermutlich auch die natürliche Befruchtung ermöglicht hätten; wenn ferner erwiesen wäre, dass den Hülfesuchenden auf keinem anderen Wege hätte geholfen werden können.« 264
Levys Denken war an dieser Stelle sehr modern und ganz auf die Anwendung des Verfahrens ausgerichtet. Mit vollem Verständnis für die Logik experimenteller Praktiken wog er abhängige und unabhängige Variable ab, um die Effektivität der Technologie zu überprüfen. Der Bezugspunkt war die natürliche Befruchtung, die aber ebenfalls schon nach operativem Eingriff erfolgte. Man findet hier keine Problematisierung des Verfahrens, es wurde ausschließlich auf seine Wirksamkeit hin beobachtet. Das ist ein gravierender Unterschied zu den Texten Schenks und verweist auf einen anderen Denkstil. Die Selbstverständlichkeit, mit der Gynäkologen natürliche Vorgänge manipulierten, kommt zum Ausdruck, wenn Levy einen Forscher zitiert, der vorgeschlagen hatte, das Ejakulat nach coitus interruptus in einem Gefäß aufzufangen: »das Sperma wird durch die Umarmung erhalten, der Geschlechtstrieb der Frau ist erregt, und wenn der Arzt kommt, um das Werk der Natur zu vervollständigen und zu verbessern, findet er alles zur Operation vorbereitet.«265 261 Manche sehen den ersten Höhepunkt erst in den 1910er Jahren mit den Veröffentlichungen von Rohleder und Döderlein; vgl. Hommel; Benninghaus. Aber auch schon vor der Jahrhundertwende fanden lebhafte Debatten und zahlreiche Versuche in Deutschland, Frankreich, Italien und den USA statt, Semke, S. 55. Für einen Überblick vgl. auch Poynter. 262 Levy, Ausführung der künstlichen Befruchtung, S. 6. 263 Ebd., S. 7. 264 Ebd., S. 23. 265 Ebd., S. 18, Hervorhebung von mir.
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Das lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Es ging Gynäkologen nicht mehr nur um die »respektvolle« Abbildung natürlicher Phänomene, sondern um deren Korrektur. Levys Kommentar zum Verfahren Mantegazzas, dieser wolle »dem natürlichen Vorgange am nächsten kommen«,266 klingt wie ein diskursives »Relikt«, das zufällig eingeschleust ist. Die künstliche Befruchtung in der Gynäkologie erregte Aufmerksamkeit unter Ärzten und in der Öffentlichkeit: »Die so nahe liegende und vernünftige Idee«, schrieb die Wiener Medizinische Wochenschrift 1870, habe sich »schon sehr vieler Aerzte der zivilisirten Welt mit grossem Reiz bemächtigt«. 267 In medizinischen und gynäkologischen Zeitschriften in Großbritannien, Frankreich und Deutschland fand eine lebhafte und zum Teil kontroverse Debatte statt. Auslöser war ein 1866 von dem New Yorker Arzt James Marion Sims veröffentlichtes Buch zur Sterilitätsbehandlung, das einen ausführlichen Bericht zur künstlichen Befruchtung einer Frau enthielt.268 Besonders in Frankreich erschienen darauf hin zahlreiche Veröffentlichungen.269 1885 provozierte dort die Dissertation von Jules Gérard einen Eklat. Obwohl es bereits die zweite französische Dissertation zu diesem Thema war, wurde sie abgewiesen und sollte vernichtet werden, vielleicht wegen ihrer freizügigen Illustrationen.270 Gérard rettete zusammen mit Georges Barral, einem Schüler des französischen Physiologen Claude Bernard, die letzte Kopie der Korrekturfahne. Sie gaben die Arbeit in einer Sonderausgabe des Journal Barral heraus, und die 120 000 Exemplare sollen sofort vergriffen gewesen sein.271 Darauf hin habe Gérard Anfragen aus ganz Europa erhalten und nur noch zur künstlichen Befruchtung praktiziert.272 Auch in anderen Ländern spezialisierten sich Ärzte auf diese Technik. Der Amerikaner Frederick Hollick warb 1875 im Rahmen seines »Marriage Guides« mit sehr optimistischen Prognosen (von 50 »Operationen« seien 43 erfolgreich gewesen)273 und schrieb: »Ich habe jetzt die künstliche Befruchtung zu einem 266 Ebd. 267 Schlesinger, WMW 25; ders., WMW 26, hier S. 500. 268 Sims, Clinical Notes. Er veröffentlichte das Buch 1866 während eines Europa-Aufenthaltes, schon 1868 übersetzte es Hermann Beigel, Sims, Klinik der Gebärmutter-Chirurgie. Der Fallbericht zur künstlichen Befruchtung findet sich ebd., S. 283–287. Zu den teils heftigen Reaktionen der britischen und amerikanischen Fachpresse, vgl. Poynter, S. 101–104; Marsh u. Ronner, S. 41–74. 269 Vgl. Poynter, S. 104–109. Die Versuche wurden z. T. mit Verzögerung publiziert. So begann Girault seine Versuche 1838, veröffentlichte sie aber erst 1868, Girault, S. 409, 417. 270 Poynter, S. 107. 271 Ebd. Eine von Barral initiierte Novelle zum Thema der künstlichen Befruchtung soll das Interesse angeheizt haben, RamBaud u. de Laforest. Die Idee der Popularisierung wissenschaftlicher Ideen übernahm Barral von Claude Bernard, vgl. Poynter, S. 108. 272 1888 gab Gérard ein weiteres, auf neueren Fallberichten beruhendes Buch heraus, Gérard. 273 Hollick, S. 81.
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Theil meiner Praxis gemacht, und bin bereit, in Fällen, wo es gewünscht wird, Rath zu ertheilen.«274 Charakteristisch für diese Texte zur künstlichen Befruchtung ist es, dass sie das Verfahren detailliert beschrieben. Sie dienten dem Erfahrungsaustausch unter Praktikern und verschwiegen nicht, dass es sich dabei um Experimente handelte.275 Das Verfahren variierte, je nachdem, welche Instrumente benutzt wurden. Es konnte sich um ein Katheter handeln oder eine »Glasspritze, deren oberes Ende in eine Glasröhre mit einer Uterussonde ähnlichem Schnabel ausläuft«. 276 Die Wiener Medizinische Wochenschrift würdigte 1870 eine Abhandlung des französischen Arztes Girault, der für seine Versuche »blos eine kleine Spritze und ein Ansatzrohr« brauchte. Der Autor zitierte Girault: »In den meisten Fällen ziehe ich es sogar vor, das Sperma in eine Sonde zu giessen, dieselbe in den Halskanal des Uterus einzuführen und mit dem Munde in die Sonde zu blasen. In diesem Falle bin ich sicher, dass alles Sperma in den Uterus dringt, während bei Anwendung der Spritze manchmal ein Theil der Flüssigkeit in der letzteren zurückbleibt, was natürlich in den Fällen sehr unangenehm ist, wenn man überhaupt nur wenig Sperma zur Verfügung hat.«277
Zur Gewinnung des Spermas machte der Aufsatz keine Angaben. Das geschehe nicht etwa aus Gründen der »Pruderie«, denn diese sei in wissenschaftlichen Fragen ganz und gar unangebracht, sondern »weil es uns ziemlich irrelevant erscheint, … auf welche Weise die zur Verwendung kommende Injektionsflüssigkeit gewonnen werden soll.«278 Die meisten Autoren übergingen diese Frage, manche, wie Paul Mantegazza wiesen empört zurück, von dem Gatten »den Schimpf der Masturbation« zu verlangen.279 Von allen Methoden fand er es »am besten und anständigsten, den Mann den Coitus ausführen zu lassen, ihn aber anzuweisen, sich im Augenblick der Pollution zurückzuziehen und den Samen in einem kleinen Gefäss aufzusammeln.«280
Gemeinsam war diesen Varianten der künstlichen Befruchtung die rein mechanische Verbringung von Sperma in den Uterus der Frau. Dem lag die Vorstellung zugrunde, dass die Behandlung von Sterilität darin bestehen müsse, dem Sperma über Hindernisse hinwegzuhelfen. »Alles was auf rein mechanischem oder chemischem Wege die Wanderung des Sperma auf hält, kann unter Um274 Ebd., S. 85. 275 An., Ueber künstliche Befruchtung beim Menschen, S. 339. Die Behandlungen wurden ausdrücklich als Experimente bezeichnet. 276 Levy, Ausführung der künstlichen Befruchtung, S. 10–12. 277 Schlesinger, WMW 25, S. 501. 278 Ebd., S. 499. 279 Paul Mantegazza, zitiert nach Levy, Ausführung der künstlichen Befruchtung, S. 17–18. 280 Ebd.
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ständen die Ausführung der künstlichen Befruchtung gestatten«, schrieb der Gynäkologe Peter Müller.281 Auch der Sims-Übersetzer Hermann Beigel stellte fest, dass die Konzeption immer dann erfolge, »wo es dem gesunden Sperma möglich wird, in den Uterinkanal zu gelangen, um mit einem gesunden Ovulum in Kontakt zu kommen.«282 Diese »rein mechanische Lehre« sei so einfach, dass sie nur von denjenigen kritisiert werde, »für welche natürliche Vorgänge überhaupt in ein mystisches Dunkel gehüllt sein müssen.«283
Sterilitätsbehandlung als »beliebtes Versuchsfeld« Die Wissenschaften vom Menschen, so Claudia Honegger, trugen zur Transformierung des Geschlechterverhältnisses bei, indem sie den Mann zum modernen Menschen verallgemeinerten, die Frau aber an die Peripherie drängten, vor allem in die seit den 1820er Jahren entstehende Gynäkologie als der Wissenschaft vom Weibe. Die Frau wurde »zum Studienobjekt einer mit philosophischen, psychologischen und soziologischen Ansprüchen auftretenden medizinischen Teildisziplin.«284 In den 1870er Jahren setzten sich in dieser Disziplin zunehmend chirurgische Verfahren durch.285 So berichtete die Wiener Medizinische Wochenschrift der 1870er Jahre von Ovariotomien (Entfernung eines oder beider Eierstöcke), von »Extirpationen« (Entfernung des Uterus), von Kastrationen und Kaiserschnitten.286 Margaret Marsh und Wanda Ronner sprechen für diese Zeit von »Exzessen«.287 Besonders die Entfernung der Eierstöcke gehörte seit 1872 zum festen Repertoire von Gynäkologen und wurde häufig praktiziert, auch zur Behandlung von Menstruationsstörungen oder Melancholie.288 In einem Bericht der Wiener Medizinischen Presse heißt es, gesunde Ovarien seien entfernt worden, »um durch eine vorzeitig eingeleitete Climax eine Reihe langandauernder, auf pathologischen Vorgängen des inneren Genitalsystemes basirender Krankheitserscheinungen radikal ein Ende zu machen.«289 Gegen etwaige Bedenken schrieb 281 Müller, Die Sterilität der Ehe, S. 178. 282 Beigel, Lageveränderungen der Gebärmutter, S. 265. 283 Ebd. 284 Honegger, S. 6. 285 Marsh u. Ronner, S. 47–58. 286 Als Beispiele: Wells; Billroth, Ovariotomien, WMW 1 u. 2; Beigel, Dreihundert Ovariotomien; Massari, Extirpation des Uterus, WMW 45 u. 46; Pawlik, Extirpation des Uterus, WMW 10, 16 u. 17; Spiegelberg; Mikulicz, Totalextirpation des Uterus, WMW 47, 48 u. 52. 287 Marsh u. Ronner, S. 95. 288 Ebd., S. 83–84; Fleischer, S. 56, Anm. 30. Die Operationen waren nicht ungefährlich: 1870 berichtete die Wiener Medizinische Wochenschrift über tödlich verlaufene gynäkologischen Operationen, Verneuil, WMW 34 u. 35. 289 Kleinwächter.
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der Wiener Gynäkologe Massari, die »Schrecknisse, welche die Eröffnung der Bauchhöhle für den Chirurgen hatte«, verschwänden angesichts der »Vervollkommnungen der Technik«.290 Das bezog sich sowohl auf die Instrumente, Apparate und Vorrichtungen für gynäkologische Operationen als auch auf die handwerklichen Fähigkeiten des Operateurs. 291 Die chirurgische Praxis der Gynäkologie war durchaus umstritten. Der Heidelberger Gynäkologe Cohnstein gab zwar zu, dass der Aufschwung der Gynäkologie »den Fortschritten der pathologischen Anatomie und Gewebelehre, der Aufnahme neuer, segensreicher Operationsmethoden … und nicht am wenigsten den vervollkommneten Explorationsmethoden« geschuldet sei. 292 Zugleich kritisierte er aber die Ärzte, die sich allein auf die Chirurgie verließen. Viele der Probleme, die später operativ behandelt werden müssten, hätten ihren Ursprung in einer nachlässigen Betreuung der Wöchnerinnen bzw. einer schlechten Ausbildung in der Geburtshilfe. Solange diese »nur den operativen Theil der Geburtshilfe und Gynäkologie kultivirt, wird das gynäkologische Material [gemeint sind die zu behandelnden Frauen] eher zu- als abnehmen.«293 Trotz solcher Kritik setzten sich diese Verfahren in den 1870er Jahren weitgehend durch, zumal sie gerade jungen Gynäkologen einen Weg versprachen, sich gegenüber Ärzten anderer Fachrichtungen zu profilieren.294 Sims galt als kompromissloser Anhänger chirurgischer Praktiken. Die Ursache von Unfruchtbarkeit sah er in mechanischen Hindernissen in den weiblichen Organen, die durch die Erweiterung des Gebärmutterhalses oder dessen Amputation zu korrigieren waren. Die künstliche Befruchtung wandte er an, wenn Frauen sich einer solchen Operation verweigerten.295 Sims schätzte ein, »dass weitere Fortschritte, wie bisher geschehen, auf dem ausschließlichen Wege der Chirurgie gemacht werden müssen.«296 Zeitgleich avancierte die Sterilitätsbehandlung zu einem Spezialgebiet der Gynäkologie. Gegenstand dieser »Sterilitätslehre«297 war die weibliche Fruchtbarkeit, ihre Kontrolle und medizinische Behandlung.298 Die neuen Experten entwickelten Diagnose und Therapie, brachten Theorien und Kenntnisse über 290 Massari, WMW 45, S. 1189. 291 Vgl. die detaillierten Hinweise zu gynäkologischen Instrumenten, ihrer Anwendung und den Instrumentenmachern in Beigel, Gynäkologische Bestecke; ders., Zur gynäkologischen Instrumentenlehre; Massari, WMW 46, S. 1217. 292 Cohnstein, WMW 16 u. 31. 293 Ebd., S. 411, Hervorhebung im Original. 294 Marsh u. Ronner, S. 73–74. 295 Ebd., S. 66–67. 296 Sims, Klinik der Gebärmutter-Chirurgie, S. 4. 297 Den Begriff verwendeten z. B. Levy, Mikroskop und Sterilität; Müller, Die Sterilität der Ehe, S. 3. 298 Iris Semke und Eva Fleischer sehen in diesem Fachgebiet einen Vorläufer der modernen Reproduktionsmedizin, Semke, S. 113–115; Fleischer, S. 58–70.
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die weiblichen Organe hervor und fühlten sich zuständig für alle Aspekte der menschlichen Fortpflanzung.299 Sie beanspruchten praktisch sofort die Definitionsmacht über die gesamte Gynäkologie, denn da, so Hermann Beigel, fast alle Krankheiten der »weiblichen Generationsorgane« zu Sterilität führten, würde die »Pathologie der Sterilität … mit derjenigen des weiblichen Geschlechtsapparates überhaupt zusammenfallen.«300 Auch die nationalökonomische Bedeutung dieses Themas sei kaum zu überschätzen, denn »Conceptionshindernisse« verhinderten »in einem einzigen Jahre die Bildung einer weit grössern Zahl menschlicher Individuen als die Kriege und Epidemien von Jahrhunderten deren zu vernichten imstande sind.« 301 Paul Levy schrieb, die Bekämpfung der Sterilität sei »eine der brennendsten Fragen der Gynaekologie, ein beliebtes Versuchsfeld der Ärzte« geworden.302 Dabei handelte es sich um ein weites Feld. Beigel versuchte, die »Malposition« des Uterus zu beseitigen, indem er einen Gummiballon in den Uterus einführte und ihn auf blies. 303 Cohnstein beschäftigte sich mit dem Einfluss von Kapillarkräften auf die Bewegung der Spermatozoen und experimentierte mit dem »Einführen eines ganz feinen schmalen Leinenstreifens in der Gebärmutterhöhle«.304 Und Peter Müller wollte mit Tusche gezeigt haben, dass sich schon kleine Mengen Samenflüssigkeit in den weiblichen Organen stark ausbreiteten.305 Andere wiederum versuchten die künstliche Befruchtung. Ihre Veröffentlichungen waren Erfahrungs- bzw. Fallberichte: Sie behandeln ausführlich die Prozedur, die Anzahl der Anwendungen, die verwendeten Instrumente, die Diagnose des Arztes (schleimiger Ausfluss aus der Gebärmutter, chronische Anschwellung der Muttermundslippen, Hypospasie des Mannes usw.) und die Ergebnisse der Behandlung, die bis zu fünf Monate dauern konnte.306 Die Texte ermunterten zum Nachahmen der Versuche. So sprach die Wiener Medizinische Wochenschrift den Wunsch aus, auch deutsche Ärzte sollten sich »sobald als möglich« mit diesem Gebiet befassen307 und die Wiener Medizinische Presse schrieb, indem »wir diese Thatsachen angeführt, haben wir die Absicht, … zu Nachversuchen anzuregen«. 308 Tatsächlich erfüllten die Berichte 299 Marsh u. Ronner, S. 74–76. Zugleich festigte die Gynäkologie in dieser Zeit ihre institutionelle Basis durch die Gründung von Gesellschaften und Zeitschriften, ebd., S. 80. 300 Beigel, Pathologische Anatomie, S. 79. 301 Ebd., S. 309–310. 302 Levy, Ausführung der künstlichen Befruchtung, S. 5. 303 Beigel, Lageveränderungen, S. 272–273. 304 Cohnstein, WMW 32, S. 871–872. 305 Müller, Die Sterilität der Ehe, S. 34. 306 Schlesinger, WMW 25, S. 501; ders., WMW 26, S. 535; An., Ueber künstliche Befruchtung beim Menschen, S. 339; Kisch, bes. S. 254. 307 Ebd., S. 537. 308 An., Ueber künstliche Befruchtung beim Menschen, S. 341.
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einen solchen Zweck. Heinrich Kisch injizierte 1880 nach den Angaben von Sims Sperma in die Uterushöhle einer Frau.309 So wollte Sims auch verstanden werden. In seinem Vorwort entschuldigte er sich bei den erfahrenen Lesern für seine langen Ausführungen, sie seien aber unerlässlich, »wenn sie jüngeren Lesern, für welche diese Blätter namentlich bestimmt sind, als Führer dienen sollten.«310 Sein Übersetzer Beigel lobte die reiche Erfahrung des »weltberühmten Mannes«, dessen Abhandlung den Zweck habe, »den in den bearbeiteten Gebieten nicht ganz Heimischen so anzuleiten, dass er die Manipulationen richtig ausführen muss, wenn er nach den hier niedergelegten Regeln und Vorschriften verfährt.« 311 Die Erfahrungsberichte dienten der Stabilisierung und Erweiterung des neuen Spezialgebietes: Mittels schriftlicher Unterweisung wurden die Eleven in das Feld eingeführt.
Die Frau als Versuchsobjekt In der Darstellung dürfte deutlich geworden sein, dass von konkreten Frauen erfolgreich abstrahiert wurde. Die Texte versachlichten Frauen zum Objekt der Behandlung,312 wobei Sterilität das Problem ihrer Organe war: Diese mussten erweitert, beschnitten oder gar amputiert werden, damit das Sperma seinen Weg fand. Die männliche Sterilität könne man aus den Betrachtungen ausschließen, schrieb Beigel, denn sie sei so selten, dass »unter zehn unfruchtbaren Ehen die Ursache neun Male in der Frau gelegen sei.«313 Sterilität war per definitionem ein an der Frau zu beobachtendes und zu behandelndes Problem.314 Um 1880 meldeten sich Stimmen, die das Sperma des Mannes in die Untersuchung einbeziehen wollten.315 Die Praxis war aber eine andere. Der Hei309 Kisch, S. 254. 310 Sims, Klinik der Gebärmutter-Chirurgie, S. XII. 311 Ebd., S. IX. 312 Girault schrieb beispielsweise, er sei vom »Grafen von L…« wegen dessen kinderloser Tochter aufgesucht worden und fuhr fort: »Ich untersuchte und fand einen dünnen, abnorm langen Cervix mit einer sehr kleinen Öffnung«. Mit beinahe lüsternem Beiklang sprach er vom Operationstermin als einem »Rendezvous« oder »Stelldichein«, Schlesinger, WMW 26, S. 537, eine Redeweise, die viele der gynäkologischen Berichte aufweisen, vgl. Marsh u. Ronner, S. 86. 313 Beigel, Pathologische Anatomie, S. 336. Sims diskutierte immerhin das Problem männlicher Sterilität, Sims, Klinik der Gebärmutter-Chirurgie, S. 275–278, womit er in den 1860ern ziemlich allein stand, Marsh u. Ronner, S. 93. 314 Chrobak erwähnte kurz die männliche Sterilität, in der Definition seines Gegenstandes schrieb er aber: »Als steril habe ich jene Frauen betrachtet, die nach wenigstens zweijähriger Ehe nicht konzipirt hatten … oder die fünf Jahre oder mehr nach der Geburt eines reifen Kindes nicht wieder schwanger geworden waren«, Chrobak, S. 4. 315 Ultzmann warb für die Untersuchung des Spermas, es sei ein Irrtum, wenn bei Kinderlosigkeit »nur die Frau … operativen und anderen therapeutischen Verfahren unterzogen« werde, Ultzmann, WMP 1, S. 5.
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delberger Arzt Cohnstein kritisierte die Gewohnheit, den Ehegatten erst zu untersuchen, »nachdem die Frau monatelang an Konzeptionshindernissen behandelt worden ist, welche in Wirklichkeit gar nicht existiren«. 316 Außerdem bedeute es einen Rückschritt, »bei jeder sterilen Frau irgend etwas pathologisches auffinden zu müssen … Wenn alle pathologischen Befunde an den Geschlechtstheilen die klinische Bedeutung hätten, welche ihnen imputiert wird, dann könnte überhaupt keine Frau mehr konzipiren.«317 Mit dem Titel seines Buches »Sterilität der Ehe« signalisierte auch Peter Müller, dass er Sterilität als Problem beider Geschlechter betrachten wollte, stellte aber resigniert fest, dass diese Position unter Patienten und Ärzten nicht durchzusetzen sei: »Bleibt eine Ehe steril, so ist es meist die Frau, welche zuerst die Hilfe des Arztes in Anspruch nimmt; der Ehemann bleibt meist entweder ganz fern, oder nimmt doch in der Angelegenheit eine mehr reservirte Haltung an. Die Ursache dieses Verhaltens liegt sehr nahe … so herrscht jetzt noch im Volke die Meinung, dass fast immer die Sterilität der Ehe in Fehlern des Weibes, und nur äusserst selten in solchen des Mannes begründet sei; eine Anschauung, die aufzugeben uns Aerzten selbst jetzt noch etwas schwer fällt. Mit diesem Vorurtheil, welches den Mann zu seinem passiven Verhalten bestimmt, wird man noch lange zu kämpfen haben: Der Mann wird noch auf lange hinaus nicht so leicht zur Untersuchung zu bringen sein.«318
Möglicherweise war die künstliche Befruchtung auch deshalb attraktiv, weil sie die Therapie männlicher Fehlleistungen an der Frau erlaubte. Heinrich Kisch berichtete von einem Paar, bei dem sich die Hypospadie des Mannes, also eine Fehlmündung der Harnröhre an der Unterseite des Penis, als Sterilitätsursache herausgestellt hatte. Der Mann, »so bereit er war, an der Frau jede hiezu nöthige Operation vornehmen zu lassen«, wollte selbst von einer Operation nichts wissen. Zur Behandlung der Sterilität habe sich daher »rationellerweise der Versuch künstlicher Befruchtung« angeboten. 319 In einem weiteren Fall war eine Frau jahrelang chirurgisch behandelt worden, bevor sich zufällig herausstellte, dass die Ursache der Kinderlosigkeit in der Hypospadie des Mannes bestand. Kisch schloss lakonisch: »Ich gab dem Manne den Rath, die Frau nicht mehr gynäkologisch behandeln zu lassen.«320 Die Sterilitätsbehandlung wies Frauen einen Objektstatus zu, während Männer sich ausdrücklich verweigerten. Nur äußerst widerstrebend legte sich der Mann auf den Labor- oder Behandlungstisch. Peter Müller schrieb: 316 Cohnstein, WMW 31, S. 842. 317 Ebd., Hervorhebungen im Original. 318 Müller, Die Sterilität der Ehe, S. 144. 319 Kisch, S. 254. Kisch berichtete über zwei Fälle männlicher Sterilität und leitete die Fallbeschreibung dennoch mit den Worten ein: »Frau N. … ist zu ihrer und ihres Mannes grosser Betrübnis steril.«, ebd., S. 252. 320 Ebd.
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»Ich kann nicht so ganz der Ansicht beipflichten, dass es immer ein Mangel an Umsicht des behandelnden Arztes sei, wenn erst nach einer längeren Behandlung der Frau es sich herausstellt, dass die Ursache am Manne liegen müsse; denn manchmal kann erst durch diesen Misserfolg der Therapie der Mann bewogen werden, sich zum Objekt der Untersuchung herzugeben.«321
Speziell die sich als Wissenschaftler verstehenden Mediziner hatten weniger Bedenken als Müller. Die künstliche Befruchtung galt einigen als zukunftsträchtige Behandlung von Unfruchtbarkeit, die weitere Experimente erforderte. Sie betrachteten Frauen ganz nüchtern als Versuchsobjekte. Der BernardSchüler Georges Barral schrieb, manche hätten die künstliche Befruchtung als eine Realisierung der unbefleckten Empfängnis betrachtet, »but physiologists of Bernard’s school look upon the woman only as a passive instrument in a scientific experiment.«322 Die Notwendigkeit der Sterilitätsbehandlung begründeten Mediziner mit der unzureichenden menschlichen Fruchtbarkeit. Peter Müller führte eine englische Statistik über 80 Frauen der Unterschicht an, die während ihrer »ganzen Fruchtbarkeitsperiode« verheiratet waren: »Diese fruchtbaren Frauen hatten nur etwas … mehr als 9 Kinder geboren. Die Zahl müsste selbstverständlich eine viel höhere sein, wenn der geschlechtliche Verkehr stets von sofortigem Erfolg gewesen wäre.« 323
Er verglich die Fruchtbarkeit von Frauen mit der von Säugetieren, bei denen der Zusammenhang zwischen Tube und Ovarium für gewöhnlich ein viel »innigerer« sei als beim Menschen: »Mit sehr wenigen Säugern theilt der Mensch einen unvollkommenen Apparat zur Ueberleitung des Eis.«324 Die Veröffentlichungen zur künstlichen Befruchtung verwiesen immer wieder auf Versuche mit Tieren und legten nahe, dass es keinen prinzipiellen Unterschied zwischen ihnen und Frauen gebe. Die Wiener Medizinische Presse berichtete zum Beispiel von Versuchen, eine Hündin künstlich zu befruchten, und schrieb: »So wie die Weibchen der verschiedenen Thiergattungen, so lässt sich auch das menschliche Weib künstlich befruchten.«325 Hermann Beigel spricht in seinem Lehrbuch zur weiblichen Sterilität von dem »menschlichen Weibchen«.326 Und auch in der Wiener Medizinischen Wochenschrift werden die Versuche an Hunden und Frauen gemeinsam verhandelt: 321 Müller, Die Sterilität der Ehe, S. 144–145, Hervorhebung von mir. 322 Georges Barral im Vorwort von »Le Faiseur d’hommes«, zitiert nach der Übersetzung von Poynter, S. 108. Hervorhebung von mir. 323 Müller, Die Sterilität der Ehe, S. 39. Statistische Argumentationen waren häufig, vgl. auch Cohnstein, WMW 31, S. 840; Beigel, Lageveränderungen, S. 265–273. 324 Müller, Die Sterilität der Ehe, S. 41. 325 An., Ueber künstliche Befruchtung beim Menschen, S. 341. 326 Beigel, Pathologische Anatomie, S. 292, 299.
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»Ueber Experimente bei Thieren liegen zwar so manche Daten vor und es ist unter anderem bekannt, dass Spallanzani und Rossi bei Hunden mittelst der künstlichen Befruchtung Impregnation eintreten sahen, aber unseres Wissens war Marion Sims der erste, der etwas über ähnliche Versuche beim Menschen publizirte.« 327
In diesen Querverweisen klingt der Wunsch nach Legitimierung an, zugleich ist Neugier für die jeweiligen Verfahren erkennbar. Müller schrieb, die »Erfahrung der Thierzüchter und Veterinäre« sei von großem Interesse und wies auf die Methode der Araber hin, die einen verengten Gebärmutterhals »mit der Hand und harten Gegenständen« erweiterten gegen die »Unfruchtbarkeit der ›zugeknöpften‹ Stuten«.328 In der Gynäkologie zeigten sich also erste Tendenzen, Erfahrungen anderer Disziplinen für die eigene Praxis nutzbar zu machen. Von strategischer Bedeutung für die künstliche Befruchtung war die Trennung von Sexualität und Fortpflanzung. Die Technik basierte auf der Unabhängigkeit der Befruchtung von der sexuellen Erregung der Frau und verstärkte diese Ablösung zugleich, was die Zeitgenossen aufmerksam wahrnahmen.329 Thomas Laqueur schreibt, dass sich das Geschlechterverhältnis und die Körpervorstellungen vom achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert grundlegend wandelten. Damit einhergehend verschwand der Orgasmus der Frau als notwendige Voraussetzung der Empfängnis und wurde zur »beiläufigen, entbehrlichen und zufälligen Zugabe zum Akt der Reproduktion«. 330 Damit ging eine tiefgreifende Umdeutung des weiblichen Körpers einher: »In der Auffassung von der Frau trat eine Anatomie und Physiologie der Unvergleichlichkeit an die Stelle einer Metaphysik der Hierarchie.« 331 Diese Geschlechterdifferenz manifestierte sich auch in der weiblichen Leidenschaftslosigkeit. Glaubte man bis ins achtzehnte Jahrhundert, die Empfängnis setze den Orgasmus der Frau voraus, setzte sich im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts die Auffassung durch, nach der er unnötig war.332 Die Reproduktion erschloss sich nun der rationalen Analyse, Ärzte reduzierten Frauen auf ihre Fortpflanzungsorgane und machten sie zum Objekt wissenschaftlicher Experimentierfreude.333 Um 1880 war zwar die Auffassung, nach der die sexuelle Erregung der Frau die Empfängnis begünstige, nicht ganz verschwunden.334 Diejenigen aber, 327 Schlesinger, WMW 25, S. 500. 328 Müller, Die Sterilität der Ehe, S. 93. 329 Vgl. den in der Einleitung zitierten Kommentar, An., Konsequenzen der künstlichen Befruchtung. 330 Laqueur, S. 15. 331 Ebd., S. 18. 332 Ebd., S. 13–16,172–173. 333 Ebd., S. 241–245. 334 Heinrich Kisch schrieb nach einigen erfolglosen Versuchen der künstlichen Befruchtung, es sei möglich, »dass die sexuelle Erregung des Weibes ein nothwendiges Glied in der Kette der
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die von der künstlichen Befruchtung überzeugt waren, betonten die Unabhängigkeit von Sexualität und Fortpflanzung. Nach Ansicht Levys sei es »wol zweifellos, dass die physische Erregung zwar ein sehr angenehmes Postulat der Copulation, aber durchaus kein nothwendiges Moment für die Befruchtung abgiebt.«335 Und Frederick Hollick schrieb, zur Befruchtung sei allein erforderlich, dass gesunde Spermatozoen die Gebärmutter der Frau erreichten: »Es ist gleichgültig, in welcher Weise der Samen dorthin gelangt, entweder mittelst des männlichen Gliedes oder einer Spritze! Auf dieser Thatsache basirt die Praxis der künstlichen Befruchtung.«336
Die Haltung der betroffenen Frauen zur künstlichen Befruchtung lässt sich nur indirekt erschließen. Einerseits bestand eine hohe Nachfrage nach Methoden der Sterilitätsbehandlung und chirurgische Verfahren galten als besonders modern.337 Müller schrieb sogar, er habe es immer wieder mit »zähen, nachkommenssüchtigen Frauen« zu tun.338 Andererseits werden Zweifel an der Methode spürbar, wenn eigens betont wird, dass »künstlich gezeugte« Kinder durchaus zu respektablen Bürgern heranwüchsen.339 In vielen Fällen wünschte wohl eher der Ehemann die Behandlung der Sterilität,340 zumal sie für die Frau sehr schmerzhaft war, etwa wenn große Muttermundslippen »mit dem Glüheisen« beseitigt wurden.341 Die Gynäkologin Iris Semke schreibt, dass man hinter den wenigen publizierten Zwischenfällen »eine weitaus größere Dunkelziffer von heimlichen, unerkannten, übersehenen oder auch geleugneten Komplikationen zu Lasten der betroffenen Frauen« vermuten muss.342 Bedingungen der Befruchtung sei, indem möglicherweise durch diese Erregung auf reflektorischem Wege gewisse Veränderungen des Uterinalsekretes eintreten, welche das Eindringen der Spermatozoen in den Uterus begünstigen.«, Kisch, S. 254. 335 Levy, Ausführung der künstlichen Befruchtung, S. 31. 336 Hollick, S. 74. Vgl. auch Sims, Klinik der Gebärmutter-Chirurgie, S. 279–280; Schlesinger, WMW 25, S. 499. 337 Marsh u. Ronner, S. 68. 338 Müller, Die Sterilität der Ehe, S. 164. Vgl. auch Marsh u. Ronner, S. 57. 339 So heißt es über ein 1838 gezeugtes Kind: »Ich sah den jungen Mann im Jahre 1859, er begann damals seine juristischen Studien und ist gegenwärtig ein distinguirter Advokat.«, Schlesinger, WMW 25, S. 501. Die Betonung der »prächtigen Entwicklung« des Jungen ist nicht zufällig. So liest man über einen Fall, bei dem das Kind mit fünf Jahren starb: »Die Dame wollte sich einer neuerlichen Operation nicht mehr unterziehen, indem sie meinte, Gott habe sie dafür bestraft, dass sie sich mit einer Spritze ein Kind machen liess.«, Schlesinger, WMW 26, S. 535. 340 In einem Fall wird eine 24jährige Frau erwähnt, »die ihrem Manne zu Liebe, zu allem bereit war«, in einem weiteren ein Mann, der um die Mitgift der Frau fürchtete. Oft hat es den Anschein, als sei die künstliche Befruchtung auf den Druck des Mannes oder der Familie zurückzuführen, ebd., S. 535–536. 341 Ebd., S. 536. 342 Semke, S. 102.
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Was die »Peinlichkeit« solcher Eingriffe angehe, hieß es, die »Moralität und Sittlichkeit« sei keineswegs in Gefahr, künstliche Befruchtung könne sogar den Ehebruch verhindern. 343 Marion Sims sah »weder etwas Undelikates noch Unanständiges im Herausholen von Schleim aus der Vagina unmittelbar nach dem Koitus zum Zwecke der mikroskopischen Untersuchung.« Sei nur die Absicht redlich, »dann kann jeder Versuch angestellt werden, ohne die Selbstachtung zu gefährden, vorausgesetzt, dass der Versuch mit Würde und Ernst und mit dem Vorsatz geführt wird, die Wahrheit zu erforschen.«344 Die Entwicklung eines auf Experimente zielenden Denkstils in den hier beobachteten Wissenschaften verlief offenbar nicht gleichmäßig. Diente die Unterscheidung von natürlich und künstlich in der Embryologie zur diskursiven Ausgrenzung bestimmter Verfahren, so stellt sich das für die Gynäkologie anders dar: Die künstliche Befruchtung war zwar nicht unumstritten, erfreute sich aber großer Aufmerksamkeit unter Gynäkologen, wurde praktiziert und in gewissem Rahmen – es handelt sich immer um Einzelfallberichte – nachgefragt. Die Unterscheidung von natürlich und künstlich diente hier, in einer auf unmittelbare Anwendung zielenden Disziplin, dem nüchternen Vergleich von Varianten der Befruchtung, von denen auch die »natürliche« nicht mehr ganz »unbelassen« war: Das »Werk der Natur zu verbessern« stellte kein Problem dar, sondern war legitim. Damit bereiteten sich, ähnlich wie in der Entwicklungsphysiologie, Eingriffe in natürliche Prozesse vor, die Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts dann offensiv gefordert wurden und den Hintergrund für die Befruchtungsversuche in den 1930er Jahren abgaben. Die Versuche zur künstlichen Befruchtung an Frauen standen im Kontext von Prozessen, die man mit Gerson als Segmentierung einer neuen »line of work« innerhalb der Gynäkologie bezeichnen kann. In den 1870er und 1880er Jahren differenzierte sich in dieser nunmehr chirurgisch orientierten Disziplin ein Spezialgebiet der »Sterilitätslehre« heraus, dessen Gegenstand in der Kontrolle und Manipulation der menschlichen Fortpflanzung bestand. Die damit verbundenen Verfahren, darunter die künstliche Befruchtung, hatten den Status von Experimenten, die den weiblichen Unterleib zum Versuchsfeld machten. Die Gleichsetzung der Frau mit »jedem anderen Säugetier« und vor allem die bereits einsetzende und durch die künstliche Befruchtung stabilisierte Trennung von Sexualität und Fortpflanzung legitimierten die Versuche und kennzeichnen auch die späteren Reproduktionswissenschaften. Mit den Verfahren der Sterilitätsbehandlung entwickelten sich gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts Praktiken, Instrumente, Theorien, eine spezifische ärztliche und wissenschaftliche Expertise und nicht zuletzt Legitimierungsstrategien für die Manipulation der Fortpflanzung, an welche die Be343 An., Ueber künstliche Befruchtung beim Menschen, S. 341. 344 Ebd., S. 337, hier wird Marion Sims ohne Angabe der Quelle zitiert.
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fruchtungsversuche in den 1930er Jahren anschließen konnten, insbesondere diejenigen mit menschlichen Eizellen. Von diesem Spezialgebiet aus sind erste Tendenzen zu beobachten, den Blick auf andere Felder »künstlicher Befruchtung«, ihre Verfahren und Konzepte zu richten. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts nahmen die Öffentlichkeit und Wissenschaftler die Versuche Jacques Loebs zur künstlichen Befruchtung von Seeigel-Eizellen interessiert wahr. Einige Autoren spekulierten darüber, das Verfahren im Sinne einer Reagenzglas-Befruchtung auszuweiten. Die juristische Frage diskutierend, ob ein »künstlich gezeugtes« Kind das Recht auf einen ehelichen Status hat, schrieb Otto Adler 1908 unter dem Titel »Homunculus«: »Die instrumentelle Einführung des männlichen Samens in die Scheide resp. die Gebärmutter stellt dasjenige dar, was wir beim Menschen die ›künstliche Befruchtung‹ nennen, die zwar in noch nicht allzu vielen Fällen, aber immerhin doch in einigen gelungen ist. … Allerdings sind wir noch weit davon entfernt, weibliches Ei und männliches Spermatozoon im Reagensglase zu vereinen und zur Entwickelung zu bringen und werden wohl ewig davon entfernt bleiben. Unsere Phiole, deren wir nicht entraten können, ist und bleibt die Gebärmutter und in ihrem dunklen Innern allein vollzieht sich geheimnisvoll unsichtbar unseren Augen Befruchtung und Entwicklung. Aber wir sind im Begriff, diesen Vorgang von unserm Willen, unserm Verstande abhängig zu machen und in geeigneten Fällen, wo die Natur uns im Stiche lässt, dieselbe zu meistern.« 345
Die Zeugung eines Menschen im Reagenzglas, der Homunculus, rückte damit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in den Bereich dessen, über das Gynäkologen sprachen. Hier deuteten sich Verknüpfungen von Forschungen verschiedener Disziplinen an, über die in den 1930er Jahren nicht mehr nur spekuliert werden sollte.
5. Eine erste Bilanz Der Begriff der künstlichen Befruchtung war im neunzehnten Jahrhundert nicht eindeutig bestimmt. Auf den ersten Blick stellt er so etwas wie einen »unscharfen Begriff« dar, wie ihn Ilana Löwy beschreibt. Charakteristisch ist, dass er über Fächergrenzen hinweg benutzt wurde, jeweils aber verschiedene Verfahren an unterschiedlichen Objekten bezeichnete und damit andersartige Konzepte repräsentierte. In den Teilen der Embryologie, die mit Organismen mit äußerer Befruchtung experimentierten, bezeichnete er ein einfach zu handhabendes Standardverfahren, das weder methodische noch erkenntnistheore345 Adler, S. 197. Vgl. zu dieser Debatte um die künstliche Befruchtung Benninghaus.
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tische Probleme aufwarf. In der Gynäkologie dagegen war damit ein Verfahren der Sterilitätsbehandlung gemeint, das experimentellen Charakter hatte, aber auf Anwendung drängte. Hier gab es zwar auch methodische (und moralische) Vorbehalte, aber das Verfahren galt als reizvoll und ließ sich als Behandlung von Unfruchtbarkeit legitimieren. Die künstliche Befruchtung mit Säugetier-Eizellen dagegen warf außerordentliche methodische Schwierigkeiten auf. Sie war eingebettet in einen Diskurs, der zeitgleich um die mikroskopische Beobachtung ausgetragen wurde, in dem über die Unterscheidung von natürlich und künstlich der Geltungsbereich von Methoden und Erkenntnissen problematisiert wurde. Anders ausgedrückt: Als »künstlich« bezeichnete Ergebnisse oder Forschungsmethoden lagen außerhalb des Denkstils der Embryologie, deren Erkenntnisideal in der »naturgetreuen Abbildung« von Prozessen und Strukturen bestand. Die künstliche Befruchtung von Säugetier-Eizellen, mit der Samuel Schenk experimentierte, war im Rahmen dieses Denkstils als Verfahren zur Sichtbarmachung von Prozessen konzipiert und unterlag daher denselben Anforderungen und Verdächtigungen, die auch die neuen Beobachtungsverfahren auslösten. In diesem Diskurs verschränkten sich methodische und erkenntnistheoretische Vorbehalte in einer Weise, die es – bis weit in die 1890er Jahre hinein – unwahrscheinlich machten, auf der Basis solcher Versuche eine aussichtsreiche Forschungsstrategie zu etablieren. Genau wie Ilana Löwy das für die Immunologie um 1910 feststellt, gingen hier eine ausgeprägte strategische Unsicherheit (was soll man mit der extrakorporalen Befruchtung von Säugetier-Eizellen?) mit einer hohen methodischen Unsicherheit einher. Wenn sich Embryologen für den Befruchtungsvorgang interessierten, wählten sie das einfacher zu handhabende, leicht zu formalisierende System der Seeigel-Eizelle, das aufgrund dieser Eigenschaften auch Anschlüsse an die Physiologie erlaubte. Die künstliche Befruchtung der Seeigel-Eizelle ließ sich sowohl für embryologische als auch für physiologische Problemstellungen nutzen und gestattete vielfältige Experimente. Die »künstliche Befruchtung« des neunzehnten Jahrhunderts unterschied sich von der »artificial insemination« oder »artificial fertilization« der 1930er Jahre insofern, als über diesen Begriff gerade keine Verbindung zwischen verschiedenen sozialen Welten vermittelt wurde, ein Transfer von Problemstellungen oder experimentellen Techniken fand so gut wie nicht statt. Wenn für die 1930er Jahre eingeschätzt werden kann, dass der Forschungsgegenstand der IVF im Transfer von Befruchtungsversuchen durch verschiedene Kontexte modelliert wurde, so waren die Denkkollektive, in denen man Versuche zur künstlichen Befruchtung im neunzehnten Jahrhundert betrieb, gegeneinander weitgehend abgeschlossen. Die Untersuchung der Biographie Schenks zeigt einen wichtigen Grund dafür. Die soziale Welt der Embryologie war eine wenig ausdifferenzierte, no116 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35159-9
torisch unterfinanzierte Disziplin, die um ihren Platz in der medizinischen Fakultät kämpfen musste und nur an der Universität existierte. Schenk war an diese Bedingungen gebunden. Anders als Gregory Pincus in den 1930er Jahren gab es für ihn keine Möglichkeit, seine Forschungen außerhalb der Universität zu etablieren. Im Gegenteil, angesichts der prekären Lage seines Fachgebietes ging es ihm gerade darum, seine Arbeit gegenüber anderen Disziplinen zu profilieren und abzugrenzen, musste er doch den von ihm angestrebten gleichberechtigten Status der Embryologie in der Medizinischen Fakultät plausibel machen. Er suchte gerade keine Anschlüsse außerhalb seiner Disziplin, weil er die Stabilisierung der Embryologie und der darin stattfindenden Forschungen zu erreichen suchte. Insofern überrascht es nicht, wenn er die künstliche Befruchtung gerade nicht in einen Zusammenhang mit Versuchen an Frauen stellte. Etwas anders stellt sich die Situation in der Gynäkologie dar. Die unter der Bezeichnung »künstliche Befruchtung« durchgeführten Experimente trugen zur Entwicklung des jungen Spezialgebietes der »Sterilitätslehre« bei, dessen Gegenstand die Kontrolle und Manipulation weiblicher Fruchtbarkeit war. Die neuen Experten übten sich in den entsprechenden Verfahren, die Frauen und ihre Organe zu Objekten versachlichten. Die künstliche Befruchtung basierte auf der sich seit dem achtzehnten Jahrhundert anbahnenden Trennung von Sexualität und Fortpflanzung und bestärkte sie. Diese Faktoren stellten wichtige Voraussetzungen für die Experimente in den 1930er Jahren dar, insbesondere für diejenigen mit menschlichen Eizellen. Die anwendungsorientierte Gynäkologie konnotierte die Unterscheidung von natürlich und künstlich anders als die Embryologie: Die Verfahren sollten die Natur verbessern und korrigieren. Von dieser Variante der künstlichen Befruchtung, die eine Insemination und keine extrakorporale Befruchtung darstellte, wurde erstmals nach Verbindungen in andere Fachgebiete gesucht. Aus der Gleichsetzung von Frauen und Säugetieren ergab sich fast zwangsläufig ein Blick auf entsprechende Versuche in anderen Disziplinen, besonders wenn es um die Insemination von Säugetieren ging. Damit eröffneten sich mittelfristig neue Forschungsperspektiven. Die soziale Welt der Gynäkologie zeigte sich schon in den 1870er Jahren hinreichend ausdifferenziert und stabilisiert, um einerseits ein auf Manipulation ausgerichtetes Verhältnis zur Natur zu entwickeln und andererseits außerhalb der eigenen Grenzen nach Anschlüssen für die Versuche an Frauen zu suchen. Diejenigen Embryologen, die sich neuen Fragestellungen und Methoden öffneten, wandten sich bezeichnenderweise von der Universität ab. Die Berichte über die Arbeit der Zoologischen Forschungsstation in Neapel begrüßten euphorisch den Austausch zwischen Forschern verschiedener Disziplinen. Von hier aus ergaben sich konzeptionelle, experimentelle und persönliche Verbindungen in die 1930er Jahre. Denn Ende des neunzehnten und zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts führte Jacques Loeb zum Teil in Neapel seine Ver117 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35159-9
suche zur artifiziellen Parthenogenese von Seeigel-Eizellen durch, welche die Ausrichtung der Physiologie in Harvard und damit die Versuche von Gregory Pincus beeinflussten. Sie erregten auch Interesse unter Gynäkologen und motivierten erste, wenn auch vage Spekulationen über die Möglichkeit der extrakorporalen Befruchtung von Eizellen. Für die Entwicklung der IVF als Forschungsgegenstand lassen sich also im neunzehnten Jahrhundert »Vorarbeiten« identifizieren. In der Gynäkologie und in Teilen der Embryologie etablierte sich ein wissenschaftlicher Denkstil, der Eingriffe in natürliche Prozesse nicht nur erlaubte, sondern forderte. Die Unterscheidung von natürlich und künstlich wurde in diejenige von in vivo und in vitro transformiert, mit welcher die experimentelle Manipulation lebender Zellen auf dem Labortisch in den Horizont der Entwicklungsphysiologie integriert wurde. Aber schon in den 1870er Jahren erfolgten auch weitreichende Umstellungen, was die theoretische Auffassung vom Befruchtungsvorgang betrifft. Indem die Befruchtung als Verschmelzung elterlicher Keimzellen aufgefasst wurde, entwickelte sich ein Gegenstandsverständnis, an das die Versuche der 1930er Jahre problemlos anschließen konnten. Auf der Ebene der experimentellen Praktiken entstand in der Gynäkologie in Bezug auf Frauen und in der Entwicklungsphysiologie im Umgang mit lebenden Zellen ein methodisches Repertoire, das spätere Versuche nutzen konnten. Die künstliche Befruchtung an Säugetier-Eizellen dagegen war im neunzehnten Jahrhundert am wenigsten aussichtsreich. Embryologen wichen auf ein anderes Objekt aus, um den Befruchtungsvorgang zu untersuchen. Die Verfahren der künstlichen Befruchtung an der Seeigel-Eizelle und an Frauen hatten jeweils direkte Verbindungen mit den Forschungen der 1930er Jahre, die künstliche Befruchtung von Säugetier-Eizellen nicht. Sie war in experimenteller Hinsicht eine Sackgasse, von der aus sich die Forschungsstrategie der IVF gerade nicht entwickelte. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen lassen sich die Versuche Schenks kaum als Pionierarbeit bewerten. Mit Ludwik Fleck könnte man sagen, sie hatten keine Chance, zu einer wissenschaftlichen Tatsache zu werden, die Idee war »noch zu schwankend, zu wenig verflochten und verwirkt in das Gewebe des zeitgemäßen Wissens.« 346 Zudem zielten die Versuche gerade nicht auf die Schaffung eines lebensfähigen Organismus auf dem Labortisch, sondern waren eine Beobachtungstechnik für die frühe Embryonalentwicklung. Sie waren, kurz gesagt, keine Versuche zur In-vitro-Fertilisation im heutigen Sinne.
346 Fleck, S. 12.
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III. Der Beginn der Reproduktionswissenschaften 1900 bis 1930
Wissenschaftler oder Ärzte, die eine Form von künstlicher Befruchtung anwendeten, sahen im neunzehnten Jahrhundert kaum einen Anlass, über den Rand ihrer Disziplin hinauszublicken; der Begriff vermittelte keine Forschungen zwischen verschiedenen Fachgebieten. Wie lässt sich nun die Entwicklung zwischen 1900 und 1930 zusammenfassen? Gab es Veränderungen im »Kontakt« zwischen Gynäkologie, landwirtschaftlicher Anwendungsforschung und Embryologie bzw. Entwicklungsphysiologie und waren damit Akzentverschiebungen im Verständnis von der künstlichen Befruchtung verbunden? Wie ging die Öffentlichkeit mit dem Thema der Reproduktion um? Diese Fragen sollen im Folgenden knapp beantwortet werden, um den Ausgangspunkt für die Befruchtungsversuche in den 1930er Jahren zu bestimmen. Dazu wird zunächst ein »Zwischenhoch« der künstlichen Befruchtung vor dem Ersten Weltkrieg in Deutschland behandelt, um danach die internationale Entwicklung der Reproduktionswissenschaften zu skizzieren. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts erwachte das wissenschaftliche und öffentliche Interesse an der künstlichen Befruchtung neu, Embryologen, Juristen, Gynäkologen, Sexualwissenschaftler und Journalisten diskutierten lebhaft darüber. Besonders in den Jahren 1908/09 und 1912 erschienen im deutschen Sprachraum eine Reihe von Aufsätzen zu diesem Thema.1 Dabei hatte sich das Verfahren im Vergleich zu den 1880er Jahren kaum verändert, stellte also in der Regel eine homologe Insemination dar: Der Arzt führte das Sperma des Mannes in die Vagina seiner Ehefrau ein. Die neuerliche Zunahme der Aufmerksamkeit ist also weder mit einer Veränderung des Verfahrens noch mit einer erhöhten Erfolgswahrscheinlichkeit zu erklären. 2 Das große Interesse erklärt sich zum einen durch ein Gerichtsverfahren im Jahr 1908, bei dem es um die Ehelichkeit eines angeblich durch Insemination gezeugten Kindes ging.3 Zum anderen fallen in diesen Zeitraum zwei wichtige Veröffentlichungen, die große Beachtung fanden. 1911 erschien eine Arbeit des Leipziger Arztes Hermann Rohleder zur Zeugung des Menschen 1 Benninghaus. 2 Ebd. 3 Ebd., S. 108.
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mit einem ausführlichen Anhang zur künstlichen Befruchtung,4 ein Text, der innerhalb eines Jahres etwa dreißig Mal rezensiert wurde.5 Noch mehr Aufmerksamkeit löste ein Jahr später der prominente Münchner Gynäkologe Albert Döderlein aus, als er einen Aufsatz zur künstlichen Befruchtung schrieb.6 Diese Veröffentlichungen bewirkten beinahe so etwas wie einen Sprechzwang unter Sterilitätsexperten: »Wer in den Jahren um den Ersten Weltkrieg über Sterilitätsbehandlung schrieb, kam um das Thema nicht herum.«7 Entscheidend für das gewachsene Interesse an der künstlichen Befruchtung war, so die These von Christina Benninghaus, eine veränderte Problemwahrnehmung zum Phänomen der Unfruchtbarkeit. Diese wurde im Kontext von Diskussionen zum Bevölkerungsrückgang nicht mehr nur als ein individuelles, sondern als ein gesellschaftliches Problem verstanden. Angesichts von allgemeinen Degenerationsängsten galt die unfruchtbare Ehe selbst als Degenerationserscheinung und wurde zur Projektionsfläche von Ängsten um den Fortbestand der Nation und die Aufrechterhaltung von Geschlechterrollen.8 Ähnlich argumentiert Heiko Stoff für den Aufstieg der Hormonforschung zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, dessen Dynamik auch er mit dem verbreiteten Schreckensszenarium einer kulturellen Degeneration und der Auflösung von Geschlechterrollen erklärt. Die Hormonforschung gab eine medizinische Antwort auf ein gesellschaftliches Problem: Sie lieferte ein stabilisiertes Verständnis des Geschlechtsunterschiedes und des funktionierenden Körpers und versprach zusammen mit der Psychologie und der Eugenik eine Therapie des individuellen und kollektiven Körpers.9 Modernität habe sich in dem Wunsch ausgedrückt, auch in den individuellen Körper »zu intervenieren, ihn zu manipulieren, zu optimieren und zu verbessern.«10 In diesem Kontext steht auch die Zunahme des wissenschaftlichen und öffentlichen Interesses an der künstlichen Befruchtung. Erfolge in der Tierzucht und wachsende Kenntnisse über die Fortpflanzung ließen sie als eine Lösung des Problems der unfruchtbaren Ehe erscheinen, mindestens im Sinne einer »ultimum refugium«.11 Auch wenn den Protagonisten dieser Form von Sterilitätstherapie klar war, dass sie schon wegen der bescheidenen Erfolge keine 4 Rohleder. 5 Benninghaus, S. 109. 6 Döderlein. 7 Benninghaus, S. 110. Vgl. zur Praxis der künstlichen Befruchtung und zu den Debatten Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in Deutschland auch Semke; Hommel. 8 Benninghaus, S. 115–117. 9 Stoff, S. 237. 10 Stoff, S. 226, mit Bezug auf Armstrong, S. 6. 11 Benninghaus, S. 111–114.
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wirkliche Lösung darstellte, so speiste sich doch »ein Teil der Aufmerksamkeit, die diesem Verfahren entgegengebracht wurde, aus der allgemeinen Sensibilisierung für Fragen der Demographie.«12 Mit diesen Debatten erschienen nun alle Verfahren der künstlichen Befruchtung gemeinsam auf der Bühne. Die aus unterschiedlichen Expertengruppen stammenden Beiträge lassen sich thematisch nicht mehr säuberlich rubrizieren, sie berührten »gewöhnlich mehr als einen Aspekt der künstlichen Befruchtung.«13 Medizinische Beiträge verwiesen auf Erfolge in der Tierzucht und Tierphysiologen spekulierten über die Anwendung beim Menschen, besonders »populärwissenschaftliche Aufsätze tendierten dazu, die genannten Bereiche als unmittelbar verknüpft darzustellen.«14 Diese Häufung der Querverweise bewirkte eine Akzentverschiebung im Verständnis davon, welche Perspektive mit der künstlichen Befruchtung verbunden war. Neben der recht offensiv vertretenen Anwendungsperspektive tauchte am Horizont eine experimentelle Verbindung zwischen den verschiedenen Varianten der künstlichen Befruchtung auf. Mit Bezug auf Loeb spekulierte der schon im letzten Kapitel erwähnte Jurist 1908 über die Möglichkeit »weibliches Ei und männliches Spermatozoon im Reagenzglase zu vereinen«.15 Auch wenn diese Perspektive nicht für die nahe Zukunft gedacht war, so führte die Verdichtung der Aufmerksamkeit doch zu ihrer Formulierung und damit zu einer höheren Wahrscheinlichkeit für die Kooperation zwischen den Disziplinen. Genau dies zeigt sich auch für die internationale Entwicklung der Forschungen zur Reproduktion, die in der Biologie, der landwirtschaftlichen Anwendungsforschung und der Medizin betrieben wurden und die sich einander zwischen 1910 und 1940 annäherten.16 Es war geradezu typisch für diese Lebenswissenschaften, so Adele Clarke, dass es zwischen ihnen hochdurchlässige Grenzen gab, so dass Forscher sich durch verschiedene Problemgebiete bewegen konnten.17 Die Biologie war zu diesem Zeitpunkt eine aufstrebende Wissenschaft, in der sich Konzepte wie das der Zelle oder der Evolution etabliert hatten und deren Instrumente, Techniken und Ansätze nun auf dem Mikroskopieren und dem kontrollierten Experiment basierten.18 In den USA existierte eine enge Verbindung zwischen akademischer Biologie und landwirtschaftlicher Anwendungsforschung: Kurse in »wissenschaftlicher Biologie« waren für Studenten 12 13 14 15 16 17 18
Ebd., S. 116. Ebd., S. 108. Ebd., S. 109. Zitiert nach ebd., S. 109. Clarke, Disciplining Reproduction, S. 3–6. Ebd., S. 46–47. Ebd., S. 32.
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agrarwissenschaftlicher Studiengänge obligatorisch. Dies trug zur späteren reproduktionsphysiologischen Ausrichtung eines Teils der landwirtschaftlichen Anwendungsforschung bei.19 Im Zuge von Industrialisierung und Verstädterung stieg der Bedarf an Nahrungsmitteln um die Jahrhundertwende stark an, was Forschungen zur Verbesserung der Nahrungsmittelproduktion beflügelte. Viehzucht war schon vor dem Ersten Weltkrieg zu einem kommerziellen Unterfangen geworden, das vor allem dann Erfolg versprach, wenn die eingesetzten Methoden wissenschaftlich fundiert waren. In Großbritannien stammten viele Pioniere der Reproduktionsphysiologie und Sexualhormonforschung aus der landwirtschaftlichen Anwendungsforschung. Aber auch für die USA, deren Reproduktionswissenschaftler eher aus der Embryologie kamen, lässt sich feststellen, dass die Agrarwissenschaften die Reproductive Sciences mit Legitimität versahen, indem sie nach verbesserten Methoden der Viehzucht fragten, – ein ausgesprochen konsensfähiges Ziel.20 In der Gynäkologie verschob sich der Schwerpunkt von der chirurgischen Anatomie zur Reproduktionsphysiologie. Reformer verlangten Grundlagenforschung im Bereich der Reproduktion und beklagten, dass die USA hinter Deutschland zurückblieb. Auch die Gynäkologie, wie die Medizin insgesamt, differenzierte sich in Grundlagenforschung und klinische Praxis.21 Aus diesen drei sozialen Welten rekrutierten sich Reproduktionswissenschaftler. Alle drei Disziplinen waren von einem »physiologischen Zugang« zum Leben geprägt, von dramatischen Veränderungen an den Universitäten und von einflussreichen gesellschaftlichen Gruppen, die auf die Kontrolle über die Natur im Allgemeinen und die Fortpflanzung im Besonderen drängten.22 Diese drei Trends werden im Folgenden kurz dargestellt. Das Experiment avancierte in den Wissenschaften vom Leben zum allgemeinen modus operandi der Forschung. Wissenschaftler interessierten sich für Probleme der Funktion und nicht mehr der Form, die Tendenz ging zu zytologischen und biochemischen Analysen allgemeiner Prozesse, deren Fragestellungen nicht mehr für einzelne Organismen oder Spezies formuliert wurden. Besonders Vererbung und Züchtung interessierte viele Forscher, ein Bereich, der um 1915 in die Genetik transformiert wurde. Obwohl sich die Physiologie als Leitwissenschaft in den USA und in Großbritannien später durchgesetzt hatte als in Frankreich und Deutschland, durchzogen physiologische Ansätze nun auch hier alle Bereiche der Biologie. Der Trend zu einer »neuen Biologie« ging von der Entwicklungsmechanik in Europa aus 19 20 21 22
Ebd., S. 34–35. Ebd., S. 40–46. Ebd., S. 37–39. Ebd., S. 30.
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und wurde etwa in der meeresbiologischen Station in Woods Hole schnell importiert.23 Die führende Figur für biochemische und biophysikalische Ansätze in der Biologie der Jahrhundertwende war Jacques Loeb, der im Sommer 1899 begonnen hatte, die Entwicklung der Seeigel-Eizelle mit chemischen Stoffen anzuregen.24 Mit diesen Experimenten knüpfte er an Erfahrungen in der Meeresbiologischen Forschungsstation in Neapel an, wo auch andere Forscher mit der Manipulation von Seeigel-Eizellen experimentierten.25 Bereits 1899 äußerte Loeb, dass er eine zukünftige Anwendung der künstlichen Parthenogenese bei Säugetieren und beim Menschen für »nicht unmöglich« hielt.26 Die artifizielle Parthenogenese stellte im Grunde kein technisches Problem dar, entscheidend war vielmehr, sie als biologisches Problem zu formulieren: Loeb gelangen die Experimente, weil er danach suchte, Leben zu kontrollieren.27 In einem Interview erläuterte er, was er darunter verstand: »I wanted to take life in my hands and play with it. … I wanted to handle it in my laboratory as I would any other chemical reaction – to start it, stop it, vary it, study it under every condition, to direct it at my will!«28
Diese Auffassung von Biologie war attraktiv. Es entstand geradezu ein Kult um Loebs Experimente, die von zahllosen Forschern aufgegriffen wurden.29 Zugleich nahm die Öffentlichkeit die Versuche außergewöhnlich stark wahr: »It was the first major manipulation of the reproductive process to reach the public … Artificial parthenogenesis in many respects set the images and the tone for the discussion of reproductive technology in the public mind for a long time to come«. 30
Was die institutionelle Seite anging, vollzog sich auch in den Wissenschaften vom Leben eine »Industrialisierung der Wissensproduktion«. Universitäten und ihre Labors betrieben zunehmend Grundlagenforschung, die Anwendungsforschung fand eher in industriellen Labors oder in landwirtschaftlichen Versuchslabors statt. Wissen wurde unter Marktbedingungen produziert, was eine neue Arbeitsverteilung im Labor mit sich brachte: die Professionalisierung der Wissenschaftler und die »Proletarisierung« des einfachen Laborpersonals. Mit der Notwendigkeit, Forschungsgelder einzuwerben, gewannen wissenschaftliche »entrepreneurs« an Bedeutung. Gleichzeitig stieg die Zahl der »Teilnehmer« an 23 Ebd., S. 46–48. 24 Loeb. 25 Pauly, Controlling Life, S. 95; vgl. auch Müller, Die Wandlung embryologischer Forschung. 26 Zit. nach Pauly, Controlling Life, S. 101. 27 Ebd., S. 99. 28 Loeb im Interview mit Snyder 1903, Pauly, Controlling Life, S. 218, A.37. 29 Pauly, Controlling Life, S. 100. 30 Ebd., S. 100.
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Wissenschaft enorm, die Ausgaben für die Ausbildung von Wissenschaftlern vervielfachten sich genau wie die Zahl der Anmeldungen zur Universität. 31 Die eingangs erwähnten Degenerationsängste beschränkten sich nicht auf Deutschland. 1905 attackierte Präsident Roosevelt die Geburtenkontrollbewegung, sie führe zu einem »race suicide«, da die Kinderzahl weißer, protestantischer Amerikaner ohnehin sank. Auch in den USA verdächtigte die Presse die Veränderungen im Geschlechterverhältnis, für die abnehmende Geburtenrate verantwortlich zu sein: Höhere Bildung, so die verbreitete Meinung, vermindere die reproduktive Kapazität von Frauen.32 Gleichzeitig organisierten sich Bewegungen wie die Geburtenkontrollbewegung oder die Eugenikbewegung, denen ein besonderes Interesse für Fragen der Reproduktion gemeinsam war. Ihnen gehörten viele Ärzte und Wissenschaftler an, also Vertreter der gebildeten Mittelklasse, die Forschungen zur Fortpflanzung forderten. Viele Wissenschaftler, die sich mit Fragen der Reproduktion beschäftigten, waren selbst Mitglieder eugenischer Gesellschaften in den USA und in Großbritannien. In den 1920ern bewegten sich Eugeniker und Aktivisten der Geburtenkontrollbewegung aufeinander zu, was die Nachfrage nach diesbezüglichen Forschungen weiter verstärkte.33 Hinzu kam, dass mit dem 1921 gegründeten National Research Council Committee for Research in Problems of Sex eine mit Rockefeller Geldern ausgestattete und angesehene Institution für die Finanzierung dieser Forschungen und deren zusätzliche Legitimierung sorgte. Mächtige Teile der amerikanischen Gesellschaft, so Adele Clarke, suchten und unterstützten Forschungen, die eine zunehmende Kontrolle über die Fortpflanzung versprachen.34 Das waren die allgemeinen Rahmenbedingungen, unter denen sich in den ersten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts die Reproduktionswissenschaften zu entwickeln begannen. Zwei Tendenzen innerhalb der biologischen Wissenschaften sorgten dafür, dass die Konturen dieses Fachgebietes auch schon vor 1930 erkennbar wurden: die Segmentierung von Forschungsproblemen und die »Entdeckung« bzw. Konstruktion von Hormonen als chemischen Botenstoffen.35 Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts differenzierten sich die Genetik, die Entwicklungsbiologie und die Reproduktionswissenschaften zu unterschiedlichen Problemfeldern aus. Forschungen zwischen 1880 und 1910 hatten gezeigt, dass die Chromosomen die Träger von Erbinformationen waren und aus Genen bestanden, dass die Geschlechtschromosomen die Bestimmung des Geschlechts bewirkten und dass durch die Meiose das Erbmaterial beider Eltern 31 Clarke, Disciplining Reproduction , S. 49–51. Die Zahlen der Anmeldungen zur Universität stieg in den USA zwischen 1900 und 1930 von 100 000 auf 489 500, ebd., S. 49. 32 Marsh u. Ronner, S. 113–118. 33 Clarke, Disciplining Reproduction, S. 54–57. 34 Ebd., S. 85–87. 35 Ebd., S. 63–64.
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auf die Nachkommen übertragen wird. Aus diesen Forschungen ergab sich, dass sich die Verbindungen zwischen Forschern, die zu Fragen der Vererbung, Entwicklung und Reproduktion arbeiteten, lockerten und sich je eigene Problemfelder bildeten.36 Die Hormonforschung trug zur Entwicklung der Reproduktionswissenschaften bei, indem sie zur »gemeinsamen Aktivität« derjenigen Biologen, Agrarwissenschaftler und Gynäkologen wurde, die sich mit der Reproduktion beschäftigten. 1905 ersetzte der britische Physiologe Ernest H. Starling das eher hypothetische Konzept einer »internal secretion« durch den Begriff der »Hormone«.37 Das führte zu einem Paradigmenwechsel in der Physiologie, denn chemische Vorgänge erklärten nun die Steuerung körperlicher Prozesse und nicht mehr allein Nervenimpulse.38 Um 1910 wusste man zwar von der Existenz eines Hormons der Eierstöcke, extrahiert wurde es aber erst 1923. Drei Jahre später wurde dieses Hormon Östrogen genannt.39 Zwischen dem Ersten Weltkrieg und den 1930er Jahren bildete sich ein Netz aus Forschern, Ärzten und Pharmaunternehmen heraus, in dem die landläufige Unterscheidung zwischen Grundlagen- und Anwendungsforschung bezogen auf die Entwicklung, Anwendung und Vermarktung von Hormonen nicht mehr galt, wie Christina Ratmoko für den Schweizer Chemiekonzern Ciba und Nelly Oudshoorn für das niederländische Unternehmen Organon zeigen.40 Diese Entwicklungen hatten für die Befruchtungsversuche der 1930er Jahre wichtige Folgen, weil die Implantation von Sexualhormonen den Versuchen eine neue Richtung gaben. Außerdem weckte die Hormonforschung große Hoffnungen in der gynäkologischen Sterilitätsbehandlung. Schon Ende der 1920er Jahre gab es eine Welle von Anwendungen von Hormonpräparaten, ohne dass deren Wirkung wirklich klar war.41 1910 veröffentlichte der britische Physiologe Francis Marshall »The Physiology of Reproduction«, welches die Reproduktionsphysiologie als kohärentes Set von Problemen zusammenfasste und mehr als zwei Jahrzehnte ein Klassiker blieb. In den Augen von Adele Clarke signalisiert das Erscheinen dieses Buches den Beginn der Reproduktionswissenschaften als eigenem Fachgebiet.42 Aus Großbritannien stammten ohnehin wichtige Impulse für diesen Forschungs36 Ebd., S. 66–67. 37 Den Begriff der »inneren Sekretion« verwendete Claude Bernard 1855 erstmals in einer Vorlesung, vgl. Gruhn u. Kazer, S. 30–31. Zu Starling vgl. Borell, Organotherapy , S. 10–17. 38 Borell, Organotherapy, S. 16. 39 Gruhn u. Kazer, S. 67–72, mit Verweis auf Allen u. Doisy. Zur Entwicklung des gegen jede empirische Evidenz beharrlich verteidigten Konzepts der »männlichen« und »weiblichen« Sexualhormone vgl. Clarke, Disciplining Reproduction, S. 125–128; Oudshoorn, S. 34–37. 40 Ratmoko ; Oudshoorn. 41 Marsh u. Ronner, S. 135–147. 42 Clarke, Disciplining Reproduction, S. 11, 71–72.
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bereich. Walter Heape, dem Marshall sein Buch widmete, forschte zum Menstruationszyklus, zum Embryotransfer und zur künstlichen Befruchtung und zeigte 1905, dass die Ovulation beim Kaninchen durch die Begattung ausgelöst wird. Er glaubte, dass diese Prozesse durch ein »generatives Ferment« gesteuert würden und nahm damit – so spätere Forscher – die Existenz von Hypophysenhormonen vorweg.43 Während die britischen Reproduktionswissenschaftler aus der Medizin oder der landwirtschaftlichen Anwendungsforschung stammten, hatte die Mehrheit der frühen amerikanischen Reproduktionswissenschaftler embryologische Probleme verfolgt.44 Embryologen dieser Zeit beklagten, dass die Embryologie zwischen 1910 und 1925 auf der Stelle trat, ein Umstand, der die Entwicklung von Genetik und Reproduktionswissenschaft begünstigte, da sich junge, aber auch etablierte Forscher nun diesen Problemen zuwandten.45 Die Querverweise und Beziehungen zwischen der Gynäkologie, der landwirtschaftlichen Anwendungsforschung und der Biologie nahmen also Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts beträchtlich zu. Die Reproduktionswissenschaften entwickeln sich zu einem eigenen Forschungsgebiet, für das Francis Marshall den Problemhorizont entwarf. Die Durchlässigkeit der disziplinären Grenzen und die Verstärkung der wissenschaftlichen und öffentlichen Debatte über Verfahren wie die künstliche Befruchtung führten zur Formulierung von Perspektiven, die zum Teil, wenn auch hypothetisch, die Versuche der 1930er Jahre vorwegnahmen. Die künstliche Befruchtung in der Gynäkologie hatte sich zwar in technischer Hinsicht so gut wie nicht weiterentwickelt, aber die experimentellen Praktiken der artifiziellen Insemination waren so weit gediehen, dass sie die Anwendung in der Viehzucht ermöglichten. Schließlich führten die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, insbesondere die verbreitete Aufmerksamkeit für die Themen der Bevölkerung, der Geburtenkontrolle und Eugenik dazu, dass eine öffentliche Nachfrage nach wissenschaftlich fundierten Lösungen für gesellschaftliche Probleme entstand, gerade im Bereich der Fortpflanzung. Dies sorgte für die Legitimierung und Finanzierung entsprechender Forschungen. Als Gregory Pincus 1929 in Cambridge mit Keimzellen experimentierte, waren die Reproduktionswissenschaften als eigenes Fachgebiet erkennbar. Vor dem Hintergrund der hier skizzierten Entwicklung war es nicht mehr so unwahrscheinlich, dass ein Physiologe aus Harvard, dem unter künstlicher Befruchtung die artifizielle Parthenogenese Loebs vorschwebte, sich in ein agrarwissenschaftliches Labor begab, um dort die artifizielle Insemination von Kaninchen-Eizellen zu lernen. Diese Versuche und die Rahmenbedingungen, in die sie eingebettet waren, bilden den Auftakt des nächsten Kapitels. 43 Ebd., S. 67–70. 44 Ebd., S. 78. 45 Ebd., S. 87–88; Hopwood, Embryology.
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IV. Die Befruchtungsversuche in den 1930er und 1940er Jahren
Ende des neunzehnten und zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts hatte sich in einigen, für die Entwicklung der IVF relevanten Disziplinen ein wissenschaftlicher Denkstil etabliert, der die Kontrolle und Manipulation von Lebensvorgängen erlaubte. Zudem lassen sich zum Teil bereits erhebliche experimentelle Fertigkeiten zur Beeinflussung von Befruchtungsvorgängen feststellen und auch Versuche mit Frauen waren, wie gezeigt wurde, soweit legitimiert, dass an umfassendere Experimente gedacht werden konnte. Im Folgenden werden Befruchtungsversuche in verschiedenen Experimentalsystemen in den 1930er und 40er Jahren darauf hin untersucht, wie sich die Verfahren, die jeweiligen Gegenstände der Forschung und die mit den Experimenten verbundenen theoretischen Konzepte und Forschungsperspektiven wandelten. Allgemeiner formuliert geht es um die Frage, wie sich Wissensbestände aus verschiedenen sozialen Welten so miteinander verbanden, dass von einem gemeinsamen Gegenstandsverständnis, übereinstimmenden theoretischen Konzepten und ähnlichen experimentellen Praktiken gesprochen werden kann – so dass man, in einem noch zu diskutierenden Verständnis, am Ende des hier untersuchten Zeitraums von einer Forschungslinie der IVF sprechen kann. In diesem Kapitel wird zunächst ähnlich wie in der Fallstudie zum neunzehnten Jahrhundert die Berufsbiographie von Gregory Pincus und die Gründung seines von der Universität unabhängigen Forschungsinstitutes verfolgt. Joan Fujimura weist darauf hin, dass die Bildung einer Forschungslinie eng mit dem persönlichen Weg von Forschern und mit der Karriere von Organisationen verbunden sein kann.1 Das gilt in idealtypischer Weise für die Entwicklung der hier untersuchten Befruchtungsversuche. Als wissenschaftlicher »entrepreneur par excellence« war Pincus der Prototyp eines modernen Laborwissenschaftlers, in seiner Biographie spiegeln sich wichtige Verschiebungen in der Forschungslandschaft der 1930er Jahre wider. Ähnlich wie Samuel Leopold Schenk hatte Pincus erhebliche Schwierigkeiten mit dem akademischen Establishment. Für ihn stellte die veränderte soziale Organisation von Wissenschaft aber eine andere Lösung bereit, die in ihren Konsequenzen für die Befruch1 Fujimura, The Molecular Biological Bandwagon, S. 263.
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tungsversuche untersucht werden soll. Dadurch ergibt sich eine Perspektive auf die gewandelten Forschungsbedingungen in den 1930er Jahren (vgl. den Abschnitt IV.1). In den darauf folgenden Abschnitten wird eine Mikroperspektive auf die jeweiligen Experimente eingenommen, die durch verschiedene Forschungskontexte hindurch begleitet werden. Die School of Agriculture in Cambridge, auf landwirtschaftliche Anwendungsforschung spezialisiert, hatte sich zum internationalen Zentrum reproduktionsphysiologischer Forschung entwickelt. Schwerpunkt war die artifizielle Insemination und damit das Bestreben, die Befruchtungsfähigkeit von Spermatozoen in vitro möglichst lange zu erhalten. Das methodisch-technische Niveau dieser Forschungen und die damit verbundenen Perspektiven werden herausgearbeitet, so dass die Anschlussmöglichkeiten für Forscher aus anderen sozialen Welten sichtbar werden (Abschnitt IV.2). Mit den Versuchen, die der junge Gregory Pincus in Cambridge durchführte – so wird gezeigt – ergab sich eine erste Verschiebung innerhalb der Experimente. War man in Cambridge auf die Manipulation des Spermas konzentriert, geriet nun die Eizelle und die Möglichkeit ihrer Manipulation in das Blickfeld. Wie es dazu kam, welche Bedeutung dies für die weitere Entwicklung der Versuche hatte und wie dieser Schritt von den betreffenden Forschern selbst eingeschätzt wurde, ist der Gegenstand des nächsten Abschnitts (IV.3). Die Integration der Eizelle in die Perspektive der Forscher bedeutete allerdings noch nicht, dass damit die extrakorporale Befruchtung von SäugetierEizellen zum Gegenstand der Forschungen geworden wäre. Sie gehörte zu den technischen Bedingungen des Experimentalsystems, das sich im Folgenden an der Harvard Universität etablierte, und diente dem Überprüfen bestimmter Forschungsfragen. Erst in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre fand eine weitere Verschiebung statt: Die extrakorporale Befruchtung von Säugetier-Eizellen rückte in die Versuchsbedingungen ein, wurde also zum epistemischen Objekt. Wie es zu diesem »Funktionswechsel« der Versuche im Rahmen der Experimente kam, welche Bedingungen dazu beitrugen und welche Veränderungen damit auf der Ebene des Diskurses einhergingen, soll in einem weiteren Abschnitt untersucht werden (IV.4). Mit der letzten Station, dem Free Hospital for Women, ergab sich schließlich eine Anwendungsperspektive der Versuche für die Behandlung menschlicher Unfruchtbarkeit. Diese wurde in einer großangelegten Versuchsreihe mit menschlichen Eizellen entwickelt, die in engem Austausch mit dem physiologischen Labor in Harvard geplant und durchgeführt wurde. Die Frage ist, wie diese Kooperation entstand und wie die organisatorischen Bedingungen der Klinik an die Befruchtungsversuche angepasst wurden (Abschnitt IV.5). Abschließend wird der öffentlichen Resonanz auf die Befruchtungsversuche und den wissenschaftspolitischen Strategien ihrer Legitimierung nach128 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35159-9
gegangen. Gab es eine öffentliche Resonanz im neunzehnten Jahrhundert allenfalls für die künstliche Befruchtung in der Gynäkologie, riefen in den 1930er Jahren auch die Versuche mit den Eizellen von Kaninchen Aufsehen hervor. Die Presse bezeichnete Pincus und andere als gewissenlose Bastler an der Natur und stellte die Versuche in einen Zusammenhang mit eugenischen Debatten. Deren Vordenker bezogen sich ebenfalls auf die hier untersuchten Versuche, so dass die Frage zu beantworten ist, ob dieser öffentliche »Resonanzboden« einen Einfluss auf die Herausbildung einer Forschungslinie zur IVF hatte (Abschnitt IV.6).
1. Die »Affäre Pincus« – von der Harvard Universität zum biomedizinischen Forschungsinstitut Gregory Pincus wandte 1944 der Universität den Rücken zu und gründete zusammen mit seinem Freund Hudson Hoagland die Worcester Foundation for Experimental Biology (WFEB). Dieses steuerbegünstigte »non-profit« – Unternehmen erhielt schon bald Gelder der amerikanischen Bundesregierung, der American Cancer Society und der Pharmaindustrie für seine Forschungen an Steroidhormonen, und besonders, als man mit der Entwicklung der Anti-BabyPille begann, hatten Pincus und Hoagland ausgesorgt. Damit war ein frühes biomedizinisches Forschungszentrum gegründet worden, das schon bald laut Pincus langjährigem Mitarbeiter Oscar Hechter »the leading world institution in the field of steroid biochemistry and physiology« wurde.2 Diese Gründung war allerdings ein Ausweg aus einer prekären Karrieresituation: Sie fand vor dem Hintergrund ernsthafter Probleme von Pincus und Hoagland im traditionellen Wissenschaftsbetrieb statt. Im Folgenden geht es um das Scheitern der akademischen Karriere von Pincus Ende der 1930er Jahre, in dessen Folge er zu einer Schlüsselfigur der sich entwickelnden Life Sciences wurde.3 Zunächst wird die (Berufs-)biographie von Pincus skizziert und gezeigt, dass er aufgrund seines biographischen Hin2 Hechter, S. 362. Bruno Latour erwähnt in seiner Studie über den Biologen Pierre Kernowicz, dass die WFEB aufgrund der Forschung zur Anti-Baby-Pille bestens ausgestattet war, Latour, Der Berliner Schlüssel, S. 119. 3 Auch Adele Clarke schreibt: »Pincus was a reproductive scientists extraordinaire and a key actor as scientific statesman in the formation of the transnational reproductive arena«, Clarke, Disciplining Reproduction, S. 24. Sie und Joan Fujimura definieren den Begriff der Life Sciences in einem weiten Sinn »to include disciplines and specialties in biology, medicine, and agriculture. The life sciences share a knowledge domain centered around the fundamental question, ›What is life?‹«, Clarke u. Fujimura, S. 6.
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tergrunds dafür prädestiniert war, Verbindungen zwischen Biologie und landwirtschaftlicher Anwendungsforschung herzustellen. Daraus erwuchsen aber auch Gründe für die ausbleibende Verlängerung seines Vertrags in Harvard, was zu einer akuten Existenzkrise in den Jahren 1937/38 führte. Die Gründe für die Ablehnung in Harvard werden in der Forschung unterschiedlich gewichtet und sollen hier mit Blick auf die Befruchtungsversuche diskutiert werden. Dabei wird auch die Haltung der Rockefeller Foundation untersucht, die zu den wichtigsten Financiers biologischer Forschungen in den 1930er Jahren gehörte. 1938 eröffnete sich für Pincus eine neue Perspektive außerhalb der Harvard Universität, indem Hoagland ihn und etwa ein Dutzend weitere Forscher an die Clark Universität holte, wo sie – unter zunächst ärmlichen Bedingungen, aber erstaunlich selbstbestimmt – ihre Forschungen fortsetzten. Als die Konflikte mit der dortigen Universitätsleitung zunahmen, entschlossen sich Pincus und Hoagland zur Gründung der WFEB. Dieser Prozess der Lösung von der Universität, der Gründung der WFEB und ihre Stilisierung als Akt des Widerstandes gegen das akademische Establishment wird problematisiert, indem er in den Kontext von Umgruppierungen in der Organisation von Wissenschaft gestellt wird. Schließlich ist die Frage, welche Konsequenzen sich aus dieser Entwicklung für die Befruchtungsversuche der 1930er und 40er Jahre ergaben. War die »unstete« Karriere von Pincus möglicherweise sogar eine der Bedingungen dafür, dass sich die IVF entwickelte? Welche Rolle spielten diese Versuche in der Arbeit der Worcester Foundation? Denn jedes Verfahren, auch die extrakorporale Befruchtung von Säugetier-Eizellen, wurde hier nach seiner kommerziellen Verwertbarkeit beurteilt. Die Frage ist, was das für die Entwicklung einer Forschungslinie zur IVF bedeutete.
»Karriereknick« Der biographische Hintergrund von Gregory Pincus beeinflusste die Art und Weise, wie er Biologie betrieb: »[He] came from a background in which debates over the inadequacy of nature took on immediate personal significance.« 4 Er wurde am 3. April 1903 in Woodbine, einer Immigranten-Kolonie im Süden New Jerseys geboren. Seine Familie bestand aus Nachkommen russischer Juden, die durch jüdische Organisationen gezielt angesiedelt wurden, »in a romantic attempt to turn peddlers and tradesmen into independent American yeomen.«5 4 Pauly, Controlling Life, S. 185. 5 Ebd. Zur Biographie von Pincus vgl. auch Reed, S. 317–333; Ingle; Hoagland, S. 65.
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Für den an gesellschaftlichem Aufstieg interessierten Vater Joseph Pincus war klar, dass man allein vom Betreiben einer Farm in dieser unfruchtbaren Gegend kaum leben konnte. Er setzte darauf, »agricultural professional« zu werden und studierte am Connecticut Agricultural College, einer akademisch ausgerichteten landwirtschaftlichen Schule, betrieb eine Schulfarm, in der er Farmer unterrichtete, und gab die jiddisch-sprachige Zeitschrift »The Jewish Farmer« heraus.6 Unterstützt von seinem Schwager, dem Dekan am landwirtschaftlichen College der Rutgers Universität, warb Joseph Pincus für moderne Anbaumethoden und war, so Philip Pauly, »a true believer in the use of science to improve on nature«, also jemand, der die Natur als etwas Unzulängliches verstand, das den kontrollierenden und korrigierenden Einfluss des Menschen verlangte. 7 Gregory Pincus, der ursprünglich Farmer werden wollte,8 studierte an der Cornell Universität Biologie mit agrarwissenschaftlichem Schwerpunkt.9 Um zu promovieren, wechselte er 1924 an das renommierte Bussey Institute for Applied Biology in Harvard. Dieses war 1860 als landwirtschaftliches College der Universität gegründet worden und expandierte um 1900 zur führenden amerikanischen Einrichtung agrarwissenschaftlicher Forschung.10 Die Nähe von Gregory Pincus zur Agrarwissenschaft und zu biologischer Anwendungsforschung ist also nicht zu übersehen. Diese zeigt sich auch in seiner weiteren Berufsbiographie und in der Entwicklung seiner Forschungsinteressen. Pincus promovierte zur Vererbung der Fellfarbe von Ratten bei William Castle, einem Spezialisten für Säugetier-Genetik.11 Schon vor dem Abschluss der Promotion im Jahr 1927 arbeitete er in der neugegründeten Abteilung für Allgemeine Physiologie in Harvard bei William John Crozier, der ein Bewunderer Jacques Loebs war und dessen auf die Manipulation natürlicher Phänomene ausgerichtetes Konzept der Physiologie in Harvard verankern wollte. Crozier sah früh, dass Pincus geeignet war, unterschiedliche Forschungskontexte miteinander zu verbinden. Als es um die Bewilligung eines Stipendiums des National Research Councils für einen Europa-Aufenthalt von Pincus ging, schrieb er an den für die Biologie verantwortlichen Chairman Frank R. Lillie, er habe ein spezielles Interesse an Pincus, dem er zutraute, »to combine in a fruitful way two lines of research which has hitherto been for the most part unduly separated.«12
6 Reed, S. 317; Ingle, S. 230. 7 Pauly, Controlling Life, S. 186. 8 Reed, S. 317. 9 Hoagland, S. 65. 10 Pauly, Controlling Life, S. 185–186; Reed, S. 317. 11 Pauly, Controlling Life, S. 186. 12 William J. Crozier an Frank R. Lillie, 24.1.1927, in: HUG 4308.5.
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Pincus bekam das Stipendium und hielt sich 1929 und 1930 an der Universität Cambridge und am Kaiser Wilhelm Institut für Biologie in Berlin auf. In Cambridge arbeitete er zunächst im Dunn Laboratory für Biochemie, wechselte aber in die School of Agricultur, die vom Reproduktionsphysiologen John Hammond geleitet wurde. 1930 kehrte Pincus in die USA zurück, wo er zunächst als Lehrer für Reproduktionsbiologie am Radcliffe College arbeitete und 1931 einen Vertrag als Assistant Professor in Harvard erhielt. 1937/38 reiste er ein weiteres Mal als Gastwissenschaftler nach Cambridge.13 Zu diesem Zeitpunkt wusste Pincus längst, dass sein Vertrag in Harvard nicht verlängert werden würde. Dies stellte eine ernste, berufliche Krise dar. Anfang 1938 schrieb Pincus dramatische Briefe aus Cambridge an William Crozier, der inzwischen selbst große Probleme in Harvard hatte, und beschwor ihn, sich für ihn einzusetzen. Er habe Briefe an eine Reihe etablierter Biologen geschrieben, aber für dieses Engagement um sich selbst gäbe es Grenzen. Alles, was er benötige, sei der Unterhalt für seine Familie und ein Labor, um darin zu arbeiten. Crozier wisse, dass er gewöhnlich ein »well-tempered, level-headed individual« und sein fester Freund sei, aber: »You know well that when all the stinking lice were deserting the presumably sinking Crozierian boat I didn’t … They told me that you would stand by nobody but yourself, and said you would desert me too surely in the end. I don’t believe them, but I would like some demonstration that they are wrong.«14
Die Situation spitzte sich zu. Im April heißt es in einem Brief an Crozier: »I’m beginning to be rather acutely concerned – so much so that I’m prepared to return to the U. S. and engage in some jobhunting on my own. So that shortly after this letter reaches you you may be seeing me, poor fellow.«15
Pincus befand sich kurz vor seiner Rückkehr aus England, ohne dass klar war, wo er in Zukunft arbeiten würde. Nicholas Werthessen, der Pincus nach Cambridge begleitet hatte, beschrieb die Lage, in der sich beide Familien befanden, folgendermaßen: »We had gone to England secure in the belief that upon our return in the fall of 1938 we would be working in a well-supported institution that approximated heaven. This dream was shattered in April 1938 by the ›Roosevelt Recession‹. The expected grants and appointments were not forthcoming. Neither of us had an income in sight. We cut expenses to the bone and utilized every available device to increase the purchasing power of funds on hand.«16 13 14 15 16
Pauly, Controlling Life, S. 187–188; Ingle, S. 230–231. Gregory G. Pincus an William J. Crozier, 12.2.1938, in: HUG 4308.5. Gregory G. Pincus an William J. Crozier, 29.4.1938, in: HUG 4308.5. Werthessen u. Johnson, S. 90.
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Die Berufsaussichten für junge Wissenschaftler in den 1930er Jahren waren ohnehin bedrückend. Hudson Hoagland schrieb, die Depression sei auf dem Höhepunkt gewesen, als er seine Stelle an der Clark Universität antrat. Mit Ausnahme der Rockefeller Foundation vergaben die Stiftungen allenfalls kleine Stipendien: »During the thirties Goddard [ein Physiker an der Clark Universität] and I felt that there was really no future in America for scientific research.«17 Die Arbeitsbedingungen für junge Wissenschaftler waren extrem unsicher und geprägt von einer »tough up-or-out policy«.18 Die Besonderheit der beruflichen Krise von Pincus bestand zudem darin, dass er nicht irgendwo zurückgewiesen worden war, sondern in Harvard, der amerikanischen Eliteuniversität schlechthin. Das kam einer Stigmatisierung gleich. Hoagland bat den New Yorker Rabbi Louis Newman um Hilfe bei der Beschaffung von Privatspenden für Pincus. Er hoffe, schrieb er, dass zwei oder drei Jahre erfolgreiche Forschungen diesen von dem »absurden Stigma« befreien würden, so dass er danach wieder mit erstklassigen Angeboten rechnen könne.19 Hoagland setzte sich bei Wissenschaftlern wie Thomas H. Morgan, Winthrop J. V. Osterhout, William B. Castle und William J. Crozier dafür ein, dass sie der Rockefeller Foundation gegenüber die Leistungen von Pincus herausstellten.20 Eine Bemerkung von Warren Weaver, zu diesem Zeitpunkt der Leiter der Natural Science Division der Rockefeller Foundation, nach der alle weiteren Anträge von Pincus als neue Vorschläge, »considered wholly on its own merits, and without prejudice as to the past« behandelt würden, hielt Hoagland für so wichtig, dass er sie in zwei Briefen, in denen es um Stipendien ging, wörtlich zitierte.21
17 Hoagland, S. 24. Vgl. zur Finanzierung der amerikanischen Forschung Kohler. Er weist auch auf die Krise der 1930er Jahre hin, ebd., S. 233. 18 Ebd., S. 62, 68. Frederic Skinner, der Anfang der 1930er Jahre in der Allgemeinen Physiologie in Harvard arbeitete, war ebenfalls in Bedrängnis, als sein Fellowship des National Research Councils auslief. Er erhielt nur bedauernde Absagen, in denen übereinstimmend die schwierige Situation für Nachwuchswissenschaftler beklagt wurde, Skinner, S. 120–121. 19 Hudson Hoagland an Louis Newman, 5.1.38, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602. 20 Die Schreiben wurden von Hoagland an die Stiftung weitergeleitet: Winthrop J. V. Osterhout an Hudson Hoagland, 25.2.38, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602; Thomas H. Morgan an Hudson Hoagland, 1.3.38, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602; William J. Crozier an Hudson Hoagland, 2.3.38, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602; William E. Castle an Hudson Hoagland, 4.3.38, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602. 21 Warren Weaver an Hudson Hoagland, 30.12.37, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602. Die wörtlichen Zitate sind in folgenden Schreiben enthalten: Hudson Hoagland an Louis Newman, 5.1.38, und Hudson Hoagland an Bernard Sachs, 24.2.38, bei dem er sich um ein Stipendium der Friedsam Foundation bemühte, beide in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602.
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Eine Lösung für Pincus ergab sich buchstäblich in letzter Minute durch das beharrliche Engagement Hoaglands, der seit 1931 die kleine Fakultät für Biologie an der Clark Universität leitete. Er verschaffte Pincus eine unbezahlte Gastprofessur für Zoologie, die Nathaniel Rothschild mit einem 2-Jahres-Gehalt versah. Gelder der Rockefeller Foundation und der Josiah Macy Jr. Foundation bildeten das (schmale) Forschungsbudget.22 Vorausgegangen waren zähe Verhandlungen mit der Rockefeller Foundation. Erst am 20. Juli 1938, also quasi mit Pincus Rückkehr aus England, lag die Zusage über einen Zuschuss von $1000 vor, so dass die Arbeit an der Clark Universität beginnen konnte. 23
Gründe für das Scheitern in Harvard Mit dem Amtsantritt des neuen Harvard Präsidenten James B. Conant 1933 war ein Machtverlust von William Crozier verbunden.24 Conant, ein scharfer Gegner Croziers, reorganisierte 1936 die biologischen Institute (Allgemeine Physiologie, Botanik und Zoologie) mit der Folge, dass Crozier künftig nur noch Forschungsprofessor für Allgemeine Physiologie ohne formale Lehrverpflichtung und damit ohne Einfluss war. Zugleich schloss Conant die Bussey Institution, und William Castle, der zweite wichtige Förderer von Pincus, trat eine Stelle in Kalifornien an. Mit diesen Veränderungen waren die Karrierechancen für Pincus erheblich beeinträchtigt.25 Hudson Hoagland behauptete zwar, er sei mehr als überrascht gewesen, dass Pincus 1938 in Harvard keinen Anschlussvertrag erhielt, immerhin seien seine Arbeiten in der Festschrift zur 300-Jahr-Feier der Harvard Universität 1936 erwähnt worden.26 Aber spätestens 1936 muss klar gewesen sein, dass Pincus in Harvard nicht weiter beschäftigt wurde. Denn am 7. August 1936 teilte William Castle einem Angestellten der Rockefeller Foundation mit: »By vote of faculty [Biologie] he [Pincus] was recommended for dismissal and is looking for a job.«27 Der abrupte Abbruch von Pincus Karriere in Harvard hat in der Forschung zu verschiedenen Spekulationen über die Hintergründe geführt. 28 James Reed 22 Reed, S. 325–326. 23 Warren Weaver an Hudson Hoagland, 7.6.38, und Hudson Hoagland an Warren Weaver, 20.6.38, beide in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602. 24 Pauly, Controlling Life, S. 191. 25 Reed, S. 324–325. 26 Hoagland, S. 66. 27 Protokoll eines Gespräches von Frank B. Hanson mit William J. Castle, FBH Diary, 7.8.1936, in: RFA, RG 2, 1936 Series 200, Box 130, Folder 977. 28 Nur Ingle überging das Problem mit dem lapidaren Satz: »In 1938 Gregory Pincus moved from Harvard to Clark University where he became a visiting professor of experimental zoology«, Ingle, S. 232.
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hielt die Tatsache, dass Pincus Jude war, für ein entscheidendes Handicap. In den 1930ern habe sich Pincus zwar auf dem Gebiet der Reproduktionsphysiologie von Säugetieren etabliert und eine originelle Forschungslinie entwickelt.29 Ältere Kollegen wollten den kontroverse Diskussionen herauf beschwörenden Forscher aber lieber loswerden. Er habe religiöse Leute innerhalb und außerhalb der Wissenschaft brüskiert mit seiner Behandlung der Fortpflanzung in mechanistischen Begriffen und sich andererseits auch bei experimentellen Biologen unbeliebt gemacht, indem er sich zuwenig um methodologische Probleme scherte.30 Ein religiöser Hintergrund für die Ablehnung von Pincus wird durch einen Teil der Quellen gedeckt. Frank B. Hanson von der Rockefeller Foundation protokollierte nach einem Gespräch mit Osterhout: »O. says that P’s scientific work is 100 % good, and as [he] regards the situation at Harvard, O. is certain that the only reason for his dismissal was the fact that he is a Jew.« 31
Ein Indiz für die Bedeutung solcher Vorbehalte ist auch die Sensibilität, mit der Pincus rassistischen und antisemitischen Ressentiments begegnete. In der Gründungsphase der Laurentian Hormone Conference, deren erster Chairman Pincus war, wollte ein Tagungshaus 1943 einen schwarzen Wissenschaftler nicht teilnehmen lassen, worauf hin Pincus sofort den Ort wechselte. Und als sich während des zweiten Jahrestreffens der Besitzer eines Clubs als Antisemit erwies, wurde ebenfalls umgehend ein neuer Tagungsort arrangiert.32 Schließlich spricht ein Teil der Presseberichte dafür, dass Antisemitismus ein probates Mittel war, um Pincus zu diffamieren. Im Frühjahr 1937 erschien ein Artikel in Collier’s Magazine, der die Versuche von Pincus in Zusammenhang mit den Parthenogenese-Versuchen von Jacques Loeb stellte: »Still it did fit in with the work of that hugely famous Portuguese Jew«. Die Charakterisierung von Pincus enthielt deutlich antisemitische Stereotype: »Pincus’ head, thatched with a heavy mop of black hair, buzzed with excitement. His dark penetrating eyes narrowed to slits.«33
29 An dieser Stelle verwendet Reed den Begriff der Forschungslinie in dem eingangs erwähnten Sinn. 30 Reed, S. 322. 31 FBH Diary, 4.11.37, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602. Auch in einem Gespräch zwischen Warren Weaver und einem Angestellten der Josiah Macy Jr. Foundation wurde über mögliche Schwierigkeiten aufgrund von »Pincus’s race« gesprochen und über die Verärgerung einiger Leute in Berkeley über Goldschmidt, der sich intensiv um Forschungsgelder bemühte, »to bring another young Jewish emigré from Berlin.«, WW Diary, 25.3.38, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602. 32 Ingle, S. 233. 33 Ratcliff, No Father to Guide Them.
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Adele Clarke dagegen führt den »Karriereknick« von Pincus vor allem auf den kontroversen, illegitimen Status der Reproduktionsphysiologie zurück, ihrer Verbindung mit Sexualität und dem Brave-New-World-Image der Versuche, das die Presse verbreitete.34 Ähnlich argumentiert auch Nelly Oudshoorn, Pincus habe aufgrund der Brisanz seiner Parthenogenese-Versuche Harvard verlassen müssen.35 Beide gehen davon aus, dass der Anlass für die Verweigerung der Professur in Harvard die Veröffentlichung in Collier’s Magazine war.36 Die Publicity, die Pincus erhielt, war in der Tat ein Problem. Insbesondere schien man ihm zu unterstellen, dass er sie selbst herauf beschworen hatte. Warren Weaver führte im Dezember 1937 ein Gespräch mit Walter B. Cannon, Professor für Physiologie an der Harvard Medical School, 37 der Pincus verteidigte: Es sei sehr gut möglich, dass Pincus keine Schuld an dem Pressewirbel trage.38 Besonders empfindlich war man gegenüber Spekulationen zur Ausdehnung der Versuche auf den Menschen. Im Juli 1935 hatte Pincus angefangen, mit menschlichen Eizellen zu experimentieren. Im November desselben Jahres erhielt er einen Brief von Herbert N. Shenton von der Josiah Macy Jr. Foundation, in dem es heißt: »Concerning of that phase of your study of the development of mammalian eggs in vitro which you recently discussed with me, may I state that the Foundation is inclined to give its consent to any such activities carried on with the full knowledge and approval of President Conant and Dr. Walter B. Cannon. We fully realize the danger of premature and ill [?]-advised publicity and assure you that any reports made to us will be carefully guarded against the same. I think you can assure Dr. Cannon and President Conant that our activities in regard to publicity would be quite in accord with theirs.«39
Hier handelte es sich um eine brisante Angelegenheit. Die Vereinbarung von Stillschweigen bedeutete aber keineswegs, dass die Versuche abgebrochen oder auch nur ihre Richtung beeinflusst worden wäre. Die Versuchsreihe mit 34 Clarke, Disciplining Reproduction, S. 194; vgl. auch dies., Money, Sex, and Legitimacy, S. 370. 35 Oudshoorn, S. 116. 36 Vgl. ebd.; Clarke, Disciplining Reproduction, S. 250 mit Verweis auf Ratcliff, No Father to Guide Them. 37 Walter B. Cannon war von 1921 bis 1945 Mitglied des National Research Council Committee for Research in Problems of Sex und als solcher ein wichtiger Entscheidungsträger, was die Finanzierung von Forschungsprojekten angeht, Clarke, Disciplining Reproduction, S. 281, vgl. zur Finanzierung der Reproductive Sciences auch ebd., S. 90–118. 38 WW Diary, 7.12.37, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602. 39 Herbert N. Shenton an Gregory G. Pincus, 4.11.1935, in: Papers of Walter B. Cannon, CLM.
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menschlichen Eizellen wurde durchgeführt und publiziert, und zwar finanziert durch die Josiah Macy Foundation.40 Auch der von Clarke und Oudshoorn angesprochene Artikel in Collier’s Magazine aus dem Jahr 1937 veranlasste nicht das Karriereende in Harvard, denn zu diesem Zeitpunkt war dort die Entscheidung gegen Pincus längst gefallen.41 Das wird durch weitere Quellenbefunde gestützt. Im Gespräch mit Frank B. Hanson behauptete Hermann J. Muller 1936, in Harvard fürchte man die Publicity, die aus den Befruchtungsversuchen resultiere, was Hanson bezweifelte: »This alleged reason for Harvard’s displeasure seems to be refuted by Castle’s statement to FBH [Frank B. Hanson] that three years ago the faculty vote on P. was about evenly divided and that he was given the benefit of the doubt and another 3-year appointment.«42
Wenn bereits 1933 die Verlängerung von Pincus Vertrag nur knapp erfolgte, muss der Ausgangspunkt für seine Probleme woanders gesucht werden. Kurz vor diesem Gespräch mit Muller war Hanson von Castle informiert worden, dass Pincus nicht weiterbeschäftigt würde, was dieser angesichts der ausgezeichneten Arbeit über »parthenogenetische Kaninchen« nicht verstand. Neben der Tatsache, dass die Zeitungen diese Sache hochgespielt hatten, nannte Castle weitere Gründe: »Other possible factors in his failure to be reappointed were a recent divorce and possibly the fact that he is a Jew; also that he is close to Crozier and Crozier’s stock is very low at Harvard at present. These four reasons – newspaper publicity, divorce, race, and Crozier – are of course Castle’s inferences, and may not be correct.« 43
Diese Gemengelage von Gründen fasste Hudson Hoagland mit »akademischer Politik« und sozialen Konflikten innerhalb der Universität zusammen: »I was incensed that he had not been reappointed and promoted at Harvard and was convinced, rightly or wrongly, that academic politics, including some antisemitism, jealousy toward Pincus on the part of some, and antipathy of various colleagues toward Crozier and his group were the reasons for his discontinuance.«44
Philip Pauly sieht vor allem im Konflikt zwischen Crozier und Conant den Grund für das Scheitern von Pincus in Harvard: »Crozier’s ›empire‹ was collap40 Pincus u. Saunders, Unfertilized Human Tubal Ova, S. 163. 41 Vgl. Anm. 27. 42 FBH Diary, 31.8.36, in: RFA, RG 2, 1936 Series 200, Box 130, Folder 977. 43 FBH Diary, 7.8.36, in: RFA, RG 2, 1936 Series 200, Box 130, Folder 977. Hier muss eine Verwechslung vorliegen, denn Pincus war und blieb verheiratet und hatte zwei Kinder, Reed, S. 324. Kurz zuvor wurde aber Crozier geschieden und heiratete die Schwester von Hudson Hoagland, Pauly, Controlling Life, S. 191; Hoagland, S. 84–85. 44 Hoagland, S. 66.
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sing«.45 Conants Reorganisation war in seinen Augen ein Ausdruck für scharfe Auseinandersetzungen darüber, wie die Biologie in Harvard zu betreiben sei. In Zeiten der Krise seien zwar alle Forschungsprogramme gekürzt worden, aber: »its total destruction was bound up with the great antagonism toward the kind of scientific activity Crozier represented, along with deep difficulties within the program.«46 Pincus geriet also in einen Strudel, der Crozier und die Allgemeine Physiologie erfasste. Hoagland schätzte diese Auseinandersetzungen als so scharf ein, dass er sie mit den Konflikten um die Molekularbiologie Ende der 1930er Jahre verglich: »Indeed the situation in the early thirties was very similar to what has come to prevail a generation later again at Harvard, and elsewhere, with the divisive antagonism of classical biologists and molecular biologists in which, regretfully, the modern molecular biologists behave with some of the same arrogance that characterized our generation of general physiologists.«47
Crozier verband die Allgemeine Physiologie mit enormen Machtansprüchen gegenüber den Nachbardisziplinen. Das wurde besonders deutlich, als es um den Neubau der Biologie-Fakultät ging. Frederic Skinner, der ebenfalls in der Gruppe um Crozier arbeitete, schrieb: »Crozier was ambitious. A new building for biology was on the drawing boards, and he was insisting that physiology should have a large share of the space to itself – its own library, its own shop, and its own storerooms, as well as offices and laboratories. Botany and zoology could take care of themselves. He was building an empire in other ways; instead of bringing in mature scientists with established reputations, he was training a staff of younger men.«48
Das Selbstverständnis dieser Gruppe junger Forscher, zu denen auch Pincus gehörte, war das einer Avantgarde. Pincus, damals 26 Jahre alt, beendete mehrere Briefe aus Cambridge an Crozier 1929 mit Formulierungen wie dieser: »Our little American colony is a happy one – and we never forget to toast Crozier … We, I assure you, will carry on the tradition!! Pincus«.49
Der Brief vom 21. Oktober 1929 endet: »May I add that all my experiences here strengthen my adherence to the doctrines and attitudes of General Physiology as 45 Pauly, Controlling Life, S. 189. 46 Ebd., S. 190. Umgekehrt wurde Conant vorgeworfen, er sei mit seinen Forschungen am Ende und wechsele deshalb in die Administration, Skinner, S. 131. 47 Hoagland, S. 62. 48 Skinner, S. 17. 49 Gregory G. Pincus an William J. Crozier, 10.8.29, in: HUG 4308.5. Ähnliche Formulierungen finden sich auch in den Briefen von Pincus an Crozier vom 25.7.29 und vom 12.9.29, in: HUG 4308.5.
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you have made me understand them.«50 Zum Verhalten dieser Gruppe gehörte die scharfe Abgrenzung nach außen in einer Weise, dass Hoagland später selbstkritisch schrieb: »we must have seemed to many an arrogant bunch of youngsters and, indeed, I am sure we were.« Crozier sei ein brillianter Kopf und eine exzellenter, inspirierender Lehrer gewesen, aber: »Unfortunately he had a capacity for antagonizing many of his colleagues.«51 Mit der Präsidentschaft Conants 1933 änderten sich die Machtverhältnisse. Skinner schrieb: »Crozier’s star had fallen. Conant had never liked him, and as soon he became President, General Physiology was in trouble. I had written to Fred [S. Keller, ein Freund von Skinner]: ›Big shake-up at the lab has scared everybody. Pincus and Castle got reappointments by the skin of their teeth. Others still in air.‹ It was not long before Crozier’s great empire was reduced to his own office and laboratory.« 52
Die Probleme von Pincus in Harvard sind also vor allem in seiner Zugehörigkeit zu Croziers Abteilung zu sehen, die auch der Ausrichtung und des Stils ihrer Forschungen wegen abgelehnt wurde. Als Teil der Allgemeinen Physiologie galt er als experimenteller, an Quantifizierungen, Kontrolle und Manipulation von Lebensvorgängen interessierter Wissenschaftler. Das ist auch das gemeinsame Motiv aller Presseberichte über seine Versuche: Sie stellen Pincus als »Erfinder« dar, der Eizellen mit »genetischen Tricks« manipuliere, was mit Anspielungen auf Aldous Huxleys Science Fiction Roman »Brave New World« gewürzt wurde. Die explizite oder implizite Kontrastfolie war das Bild eines seriösen Wissenschaftlers, der grundlegende Prozesse analysiert, um Naturvorgänge zu erklären, der also, mit anderen Worten, basic science betreibt. So lautet der fettgedruckte Untertitel des Artikels in Collier’s Magazine: »It’s a biologist’s business to know life; young Mr. Gregory Pincus of Harvard has got on so well that he can now play tricks with it.«53
In seinem Nachruf für Pincus schrieb Oscar Hechter 1967, dass man Pincus den Nobelpreis nicht zugetraut hätte, läge an der machtvollen Unterscheidung zwischen »reiner« und »angewandter« Wissenschaft, wobei letztere als zweitrangig eingestuft wurde, was Prestige und den intellektuellen Status anging. Aus diesem Grund habe es Pincus schwer gehabt, sich im akademischen Kontext zu etablieren: »Pincus was a master in what we term ›applied science‹.«54 Über die Unterscheidung von basic und applied sciences wurde in den 1920er und 30er Jahren der Kampf um die Ressourcen des National Research Councils und dessen Committee in Research for the Problems of Sex (CRPS) aus50 51 52 53 54
Gregory G. Pincus an William J. Crozier, 21.10.29, in: HUG 4308.5. Hoagland, S. 61. Skinner, S. 171. Ratcliffe, No Father to Guide Them, S. 19. Hechter, S. 359, S. 368–369. Hechter arbeitete seit 1944 in der WFEB.
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getragen.55 Biologen und Physiologen setzten das strategische Argument der Vordringlichkeit von basic science gegenüber anthropologisch und psychologisch orientierten Forschern erfolgreich ein, was auf die soziale Relevanz dieser Unterscheidung verweist. Auch Hudson Hoagland legte in seiner Autobiographie auffällig viel Wert darauf, als Grundlagenforscher verstanden zu werden.56 Die Wissenschaftler, die Hoagland um Stellungnahmen gebeten hatte, bekräftigten ebenfalls, dass die Arbeit von Pincus als seriöse Grundlagenforschung zu verstehen sei. Osterhout schrieb: »I regard his work as highly important and I feel sure that he is doing it with great care and thoroughness.« 57 Thomas H. Morgan war überzeugt, dass Pincus weiterhin »excellent work« leisten werde und empfahl nachdrücklich seine Unterstützung.58 Besonders pointiert äußerte sich Castle; Pincus Arbeit sei »fundamental in the field of mammalian embryology and of animal genetics. … I have every confidence in the ability, and character of Dr. Pincus, whom I have known intimately for many years, and whose scientific achievements I regard as entitling him to rank as one of the leading biologists of our time.«59
Auch Pincus selbst verstand sich so. In der Skizze eines Forschungsprogramms zu den Wachstumsbedingungen von Kaninchenembryonen schrieb er: »By the use of these experimental methods we hope to obtain an insight into certain fundamental processes of development and to assess their importance for postnatal growth.« 60 Davon war man in Harvard nicht überzeugt. Pincus entsprach gerade nicht dem Bild eines seriösen Grundlagenforschers. Im Juli 1938 führte Frank B. Hanson ein Gespräch mit dem Leiter der Biologie-Fakultät Alfred C. Redfield, der als Quelle für Insider-Informationen galt.61 Im Protokoll heißt es:
55 Clarke, Disciplining Reproduction, S. 90–102. 56 Sein Schwiegervater, ein Philosophie-Professor der Columbia Universität, habe ihn früh auf »the importance of basic science« hingewiesen, Hoagland, S. 21–22. Er verwendet den Begriff häufig in der Selbstbeschreibung, ebd., S. 83, 90–91, 98 (»basic biomedical research«), 110. 57 Winthrop J. V. Osterhout an Hudson Hoagland, 25.2.38, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602. 58 Thomas H. Morgan an Hudson Hoagland, 1.3.38, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602. Crozier ging auf gemeinsame Experimente ein und schrieb: »During these protracted experiments I came to have the highest respect for Dr. Pincus’ keenness as an observer, and for his tireless capacity as a worker. I have not known a more intelligent man at any time in my laboratory.«, William J. Crozier an Hudson Hoagland, 2.3.38, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602. 59 William E. Castle an Hudson Hoagland, 4.3.38, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602. 60 Gregory G. Pincus an Hudson Hoagland, 31.3.38, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602. 61 FBH Diary vom 7.8.36, in: RFA, RG 2, 1936 Series 200, Box 130, Folder 977.
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»Redfield says that at Harvard P’s work was considered too flashy and lacking in soundness; also that he was a poor teacher, and for this two reasons it was decided not to reappoint him.« 62
Betonten Pincus Fürsprecher also dessen Beitrag zur Grundlagenforschung und seine exzellente experimentelle Forschung, warf ihm die Gegenseite vor, seine Arbeit sei nachlässig, und es ermangele ihr an Zuverlässigkeit. Auf diesen Nenner wurde schließlich die Begründung für Pincus Zurückweisung in Harvard gebracht. 1940 schrieb William Crozier einen erbitterten Brief an Walter Cannon, in dem er sich über die »nicht gerade geistreichen Individuen« empörte, die in zunehmendem Maße Ernennungen und Forschung dominierten. Darin heißt es: »You will recall that in Pincus’ case the official reason (I quote the then Dean of the Faculty) was that ›His work was not up to scholarly standard‹; a more devastating commentary on the intellectual competence of the colleagues from whom this opinion was derived would be difficult to find.« 63
Die Vertreter der »akademischen Biologie« lehnten den Wissenschaftlertyp, den Pincus repräsentierte, ab, hemdsärmelig, nicht an der Lehre, sondern an experimenteller Forschung interessiert64 und sich um die Grenze zwischen »seriöser« Grundlagenforschung und »zweitrangiger« Anwendungsforschung genauso wenig scherend wie um soziale und ethnische Unterschiede zwischen Wissenschaftlern. Pincus entsprach nicht dem idealen Wissenschaftler, wie man ihn sich in Harvard vorstellte: James B. Conant wollte Leute mit klassischer Bildung. Bei einem Treffen der neugegründeten Society of Fellows in Harvard nannte er Skinners Freund William Arnold, auch er arbeitete in der Allgemeinen Physiologie, als Beispiel für einen Wissenschaftler mit einem »deformed mind«.65 Philip Pauly schätzte ein: »Conant wanted scientists to be intellectually refined, socially restrained, and philosophically moderate.«66 Diesen Vorstellungen entsprach William Arnold genauso wenig wie Gregory Pincus. Für Pincus und seine experimentellen Interessen war in den 1930er Jahren kein Platz in Harvard. Oscar Hechter schrieb, dass Pincus trotz vieler Preise immer Probleme mit dem akademischen Establishment hatte und erst zwei Jahre vor seinem Tod in die National Academy of Science aufgenommen 62 Interviews FBH, Woods Hole, 1.-31.7.38, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602. 63 William J. Crozier an Walter B. Cannon, 11.4.1940, in: Papers of Walter B. Cannon, CLM. 64 Hoagland schrieb, Pincus sei kein guter Lehrer für Studenten gewesen, aber Doktoranden hätten ihn inspirierend gefunden, Hudson Hoagland an Bernard Sachs, 24.2.38, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602. 65 Skinner, S. 130. 66 Pauly, Controlling Life, S. 190.
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wurde.67 Die größten Schwierigkeiten habe er aber zu Beginn seiner Karriere gehabt: »Originally an ›outsider‹ on the ›inside‹, Pincus achieved power in the scientific community, not by penetrating the established power structure, but by creating new institutions and his own ›establishments‹. In the late 1930’s, there was no place for Pincus at Harvard or established academia.« 68
Die Beschränkungen, die sich aus interner Konkurrenz und Konflikten um die Ausrichtung der Biologie ergaben, waren genauso hinderlich wie die strikte Orientierung auf Grundlagenforschung, die Ablehnung experimenteller »Basteleien«, die Empfindlichkeiten gegenüber der Öffentlichkeit und die Vorbehalte, die sich gegen »das Benehmen« dieser jungen Laborwissenschaftler und ihren sozialen und religiösen Hintergrund richteten. In diesem Kontext konnten sich Pincus Forschungsinteressen nicht entwickeln. Gerade auch für seine Kooperation mit dem agrarwissenschaftlichen Labor in Cambridge oder der Frauenklinik in Boston war der Rahmen in Harvard zu eng. Die heterogene Kooperation, in der sich die Befruchtungsversuche der 1930er Jahre entwickelten, benötigten einen flexibleren Rahmen als die Universität. Das Überschreiten dieser Grenze war – wenn auch unter Schwierigkeiten – anders als im neunzehnten Jahrhundert möglich. Die Rockefeller Foundation, der man die Unterstützung innovativer Forschungen nachsagt, zeigte sich allerdings im Fall Pincus ebenso unbeweglich wie das akademische Establishment in Harvard.
Die Haltung der Rockefeller Foundation Die Rockefeller Foundation war in der Krise der 1930er Jahren eine wichtige Instanz der Forschungsförderung und unterstützte biologische Forschungen und Projekte der Reproductive Sciences mit dem Ziel einer »rationalen Kontrolle der Fortpflanzung«.69 Warren Weaver, einflussreicher Leiter der Natural Science Division, vertrat, dass biologischer Fortschritt in Zukunft entscheidend werde für die Lösung sozialer Probleme und dass daher innovative biologische Forschungen zu unterstützen seien.70 Die Förderungspolitik der Rockefeller Foundation könne man aber, so Pnina Abir-Am, nicht schlechthin als innovativ bezeichnen. Die Politik der Stiftung sei vielmehr darauf hinausgelaufen, physikalische Methoden in die angeblich »rückständige« Biologie zu implantieren.71 67 Hechter, S. 368. 68 Ebd., S. 367. 69 Clarke, Disciplining Reproduction, S. 90–118; Kohler, S. 265–329; Löwy u. Zylberman, S. 373–374. 70 Abir-Am, Physical Power and Biological Knowledge, S. 348–352. 71 Ebd., S. 363.
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Vor allem habe sich die Stiftung nicht durch Risikofreude ausgezeichnet. Abir-Am arbeitet das an einem Projekt englischer Wissenschaftler um den Biochemiker Joseph Needham und den Embryologen Conrad H. Waddington heraus, bei dem biologische Probleme molekularbiologisch konzeptualisiert wurden; es handelte sich also um ein innovatives Projekt im Sinne der Stiftungspolitik.72 Allerdings galt diese Forschergruppe in den Augen Weavers nicht als »save investment«. Die Gruppe arbeitete zwischen verschiedenen Disziplinen, wurde daher von allen Seiten kritisch beurteilt, ihre Mitglieder galten als Radikale und waren unter etablierten Wissenschaftlern umstritten. Warren Weaver reagierte empfindlich auf das Urteil der akademischen Entscheidungsträger und verstieß damit gegen seine eigenen wissenschaftspolitischen Vorgaben.73 Genau dieses Bild ergibt sich auch zum Verhältnis zwischen der Rockefeller Foundation und Gregory Pincus. Die Akten des Rockefeller Archive Centers drehen sich fast ausschließlich um die »Affäre Pincus«74 und aus ihnen geht hervor, dass sich hochrangige Angestellte Pincus gegenüber zurückhaltend verhielten. Im Vordergrund des langen Entscheidungsprozesses um ein letztlich bescheidenes Forschungsbudget stand nicht das Interesse an innovativer reproduktionsphysiologischer Forschung, mit der man in Zukunft die Fortpflanzung einer rationalen Kontrolle unterwerfen konnte, sondern eine intensive Sondierung, welchen Eindruck ein Engagement der Rockefeller Foundation bei akademischen Entscheidungsträgern hinterlassen würde. Ausschlaggebend war nicht das Urteil Morgans oder Osterhouts, sondern derjenigen, die an der Spitze der Harvard Universität standen. Im Protokoll eines Gespräches zwischen Hudson Hoagland und Warren Weaver vom 21. Oktober 1937 heißt es: »Frank discussion of the tactical complications involved in undertaking the support of a man who has lost his post at a major institution. WW agrees to investigate the matter and to see wether the opinion of influential but less directly connected persons at Harvard (such as Cannon) would justify our consideration. If this step can be satisfactorily cleared, WW will discuss with LKF and then give some sort of report to H.«75 72 Ebd., S. 361–362. 73 Ebd., S. 363–367. 74 Der Begriff »Pincus affair« taucht mehrfach auf: Hudson Hoagland an Warren Weaver, 25.10.37, und Warren Weaver an Jerome Greene, 19.11.37, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602. An anderer Stelle wird vom »Pincus case« gesprochen: Warren Weaver an Hudson Hoagland, 7.12.37, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602. Die Akten im Rockefeller Archive Center beginnen 1937 mit dem Protokoll eines Gespräches zwischen Warren Weaver und Hudson Hoagland über ein Forschungsbudget für Pincus, WW Diary, 19.3.1937, und enden 1941 mit einem Forschungsantrag von Hoagland für die Arbeit von Pincus, Hudson Hoagland an Alan Gregg, 12.6.1941, beide in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602. Dazwischen befinden sich mehr als zwanzig Schreiben Hoaglands, in denen es um dieses Thema ging. Daneben gibt es einige wenige Akten aus den Jahren 1934 bis 1936, RFA, RG 2, 1934 Series 200, Box 95, Folder 754 und RFA, Rg 2, 1936 Series 200, Box 130, Folder 977. 75 Warren Weaver Diary, 21.10.37, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602.
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Und am 9. März 1938 schrieb Weaver an Hoagland, die Stiftung sehe sich in einem so unsicheren Fall überfordert, da schon so viele »outstandingly able and stably established scientists« um Unterstützung nachsuchten.76 Auch im »Fall Pincus« zeigte sich die Rockefeller Foundation also eher konservativ: Man wollte »sichere Männer«. Nach zähem Engagement von Hoagland gewährte die Stiftung schließlich einen Zuschuss in Höhe von $1000 für ein Jahr.77 1939 versuchte Hoagland noch einmal, Geld zu beantragen. Er wage einen weiteren Vorstoß, obwohl Weaver und Hanson klargemacht hätten, »that the Rockefeller Foundation would not support the work of a man who did not have some type of reasonably secure appointment himself«.78
Die Gründung eines unabhängigen Forschungsinstitutes Wissenschaftler müssen, schrieb Joan Fujimura in ihrer Studie zur Krebsforschung, Bedingungen herstellen, die den Fortgang ihrer jeweiligen Projekte gewährleisten, »to carry out an experiment, scientists must pull together diverse elements including funds, laboratory space and infrastructure, staff, skills, technologies, research materials, and audiences for the experimental results. This has been called articulation work. … Uncertainty and ambiguity reign at every turn in research paths and require constant surveillance, discretionary decision-making, regular reorganization of activities, and more.«79
Solche Aushandlungsprozesse lassen sich auch 1937/38 beobachten. Wenn die Harvard Universität auch eine Weiterarbeit nicht ermöglichte und die Rockefeller Foundation sich reserviert verhielt, so war die »articulation work« von Hoagland und Pincus letztlich dennoch erfolgreich. Das hat nicht zuletzt mit veränderten Forschungsbedingungen zu tun: »Since the end of the nineteenth century, industrialization has changed the organization of scientific work in American universities into a rationalized system of production of new knowledge and technologies for ›market‹ consumption.«80
Das galt umso mehr für Forschungsinstitute außerhalb der Universität. Zwischen 1920 und 1940 nahm die Zahl der industriellen Forschungslabors und der 76 Warren Weaver an Hudson Hoagland, 9.3.38, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602. Auch noch in einem weiteren Brief bemängelt Weaver die Unsicherheit von Hoaglands Arrangement mit Pincus, Warren Weaver an Hudson Hoaglad, 31.5.38, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602. 77 Offizielle Zusage eines »Grant in Aid« vom 28.9.38, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602. 78 Hudson Hoagland an Frank B. Hanson, 2.2.39, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602. 79 Fujimura, The Molecular Biological Bandwagon, S. 263. 80 Ebd., S. 263 mit Verweis auf Gerson, Styles of Scientific Work.
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darin beschäftigten Wissenschaftler stark zu.81 Während diese vor allem Anwendungsforschung und Produktentwicklung betrieben, konzentrierten sich die universitären Labors auf Grundlagenforschung. Aber beide Bereiche orientierten sich an Marktprinzipien: »Sources of research shifted dramatically from the individual/private means of scientists themselves to collective/public means or foundations more closely tied to specific extrascientific goals.« 82
Im Herbst 1938 nahm Pincus seine Arbeit an der Clark Universität auf und brachte ein Team von jungen Wissenschaftlern mit, die dort zunächst unter provisorischen Bedingungen arbeiteten.83 Diese kleine, selbst organisierte Forschergruppe entwickelte einen ausgesprochen technologisch orientierten Forschungsstil und war damit, so James Reed, schon bald erfolgreich.84 Schon Anfang der 1940er Jahre erschlossen sich neue Perspektiven aufgrund der experimentellen Beweglichkeit des Teams um Pincus und des Talents von Hoagland, Gelder einzuwerben. Pincus arbeitete zu Steroidhormonen und versuchte, ein Diagnoseverfahren für Krebs anhand von Urinproben zu entwickeln. Hier entstanden Möglichkeiten, auf neue Ressourcen zuzugreifen. Im Protokoll eines Gespräches zwischen Hoagland und Hanson von der Rockefeller Foundation heißt es: »From a number of different organizations and institutions H. has raised $17,000 this year for Pincus.«85 1941 beantragte Hoagland $3000 bei der Rockefeller Foundation, weil die eingeworbenen, umfangreichen Mittel zweckgebunden seien und nicht für Pincus Gehalt verwendet werden konnten. Dabei listete er die wichtigsten Geldgeber auf: »Dr. Pincus’s investigations will be supported next year by a grant of $10,000 from the Searle Company of Chicago, by $2400 from the National Research Council and by $1000 from the Ittleson Foundation. In addition he anticipates a renewal of his WPA grant.«86
Pincus und Hoagland erschlossen Anfang der 1940er Jahre also zunehmend Ressourcen unabhängig von universitären Strukturen. Auffällig ist besonders der hohe Beitrag der pharmazeutischen Industrie. 81 Clarke, Disciplining Reproduction, S. 50. 82 Ebd. 83 Frank B. Hanson Diary, 27.10.38, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602. Im Protokoll dieses Gespräches mit Hoagland heißt es, dass Mark Graubard anfangs sogar unbezahlt arbeitete. Das Labor wurde zunächst neben dem Kohlenkeller eingerichtet, Hoagland, S. 67–68. 84 Reed, S. 328–329. 85 Frank B. Hanson Diary, 24.1.40, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602. 86 Hudson Hoagland an Alan Gregg, 12.6.41, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602. Hoagland fügte hinzu, dass die Clark Universität nach wie vor nicht in der Lage sei, Pincus zu beschäftigen, die Arbeit also durch andere Ressourcen getragen werden müsse.
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Noch 1939 hatte sich der Präsident der Clark Universität Wallace Atwood positiv über Pincus geäußert (»He is a remarkable laboratory man and I have been much interested in his ideas.«87), aber bald ergaben sich Probleme. Die Gruppe um Pincus und Hoagland war binnen kurzer Zeit auf 15 Mitglieder angewachsen, wobei nur Hoagland an der Universität beschäftigt war. Atwood hatte mit Hoagland die Life Sciences an der Clark Universität stärken wollen, aber nicht mit einer solchen Entwicklung gerechnet. Bereits hier, unter dem Dach der Clark Universität bildete sich eine Forschungsgruppe, deren Arbeitsweise eher an unabhängige Forschungsinstitute denken lässt. Es gab keine formale Anbindung an die Universität, damit auch keine Eingriffe in die Forschungsvorhaben, und die Finanzierung aller Projekte musste durch das selbstständige Einwerben von Mitteln sichergestellt werden. Hoagland habe erkannt, so James Reed, dass die Zeit des einsamen Forschers zuende ging. Zunehmend wurde in Forschungsteams gearbeitet.88 Gerade in der Gewinnung von Mitarbeitern und der Beschaffung von Forschungsgeldern habe Hoaglands besondere Stärke gelegen.89 Das Übergewicht dieser innerhalb der Universität nicht legitimierten Forschergruppe, die den Kern des späteren Forschungsinstitutes darstellte, erzeugte Spannungen im Lehrkörper, der insgesamt nur aus etwa 60 Mitgliedern bestand. Atwood machte schließlich klar, dass weder Pincus noch andere Mitglieder des Teams Angehörige der Universität waren und daher auch keinen Anspruch auf Einfluss oder Geld hätten.90 Pincus und Hoagland entschieden sich, ganz auf Eigenregie außerhalb der Universität zu setzen und gründeten im Februar 1944 die Worcester Foundation for Experimental Biology. Sie fassten das als letzten Schritt der Abwendung vom Establishment auf. Seine 1973 veröffentlichte Autobiographie adressierte Hoagland an Freunde, Verwandte und diejenigen, die sich für die WFEB interessierten, »this very unusual biomedical research institute«.91 Er stilisierte darin die Gründung des Instituts als eine Art produktiven Widerstands junger Forscher, vergleichbar mit den Studentenunruhen in den 60ern,92 und schrieb: »Pincus and I had both come through some traumatic experiences of rejection and we were not happy with the ›Establishment‹. Accordingly we decided to set up a research institute completely divorced from control by any university or college. We welcomed
87 Wallace Atwood an G. J. Beal, 25.5.39, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602. 88 Reed, S. 328. 89 Ebd. 90 Ebd., S. 328–329. 91 Hoagland, S. 11. 92 Ebd., S. 81.
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the idea of freedom from bickering faculty meetings, futile committees, jealous colleagues and teaching prescribed credit courses to often indifferent students.« 93
Das ist aber nur die eine Seite. Widerstände, schreibt Michel Foucault, sind in Machtbeziehungen »die andere Seite, das nicht wegzudenkende Gegenüber.« Große radikale Brüche kämen zwar vor, aber »weit häufiger hat man es mit mobilen und transitorischen Widerstandspunkten zu tun, die sich verschiebende Spaltungen in eine Gesellschaft einführen, Einheiten zerbrechen und Umgruppierungen hervorrufen«.94 Auch die WFEB war, so könnte man sagen, ein solcher lokaler Widerstandspunkt, der beteiligt war an größeren Umgruppierungen. Dieses Forschungsinstitut ermöglichte die flexible Durchführung biomedizinischer Forschung, ohne auf disziplinäre Grenzen, ungeschriebene Gesetze der Trennung von basic und applied sciences oder universitäre Apparate und Eitelkeiten Rücksicht nehmen zu müssen. Gerade aus diesem Grund war die WFEB interessant für Kunden wie die Pharmaindustrie, die amerikanische Bundesregierung oder Privatpersonen wie die Feministin und Mäzenin Katharine McCormick, die mit ihrem Vermögen die Entwicklung der Anti-Baby-Pille initiierte.95 Die Gründung der WFEB ist mit Adele Clarke daher im Kontext einer sich ändernden Praxis von Forschungsförderung in den 1930er und 40er Jahren zu sehen: »Research groups represented by particular entrepreneurs were often transformed by sponsoring organizations into ›centres‹ of research – clearly demarcated funding entities with the entrepreneurs as recognized leaders. The Rockefeller and Carnegie Foundations, primary funding sources for research in the life sciences at this time, strongly promoted the development of such scientific entrepreneurs and such a ›team‹ or ›center‹ approach, in the reproductive sciences as elsewhere.«96
Auch wenn dieses Urteil für die Rockefeller Foundation relativiert wurde, ist es offensichtlich, dass Pincus und Hoagland Anfang der 1940er Jahre für eine Reihe potentieller Geldgeber interessant wurden. In den ersten Jahren bezog sich die Arbeit vor allem auf das Hormon- und das Nervensystem.97 In Hoaglands Beschreibung der frühen Forschungsvorhaben fällt auf, dass Pincus und Hoagland sich gerade nicht auf bestimmte Felder festlegten, sondern verschiedene Eisen im Feuer hielten und einem experimentellen »anything goes« folgten. Hoagland erwähnte beispielsweise eine Bewerbung für ein Projekt der Air Force zum Einsatz von Adrenalin gegen Ermüdung und Stress bei Piloten, Forschungen zur Krebsdiagnose und Unter93 94 95 96 97
Ebd., S. 80. Foucault, Sexualität und Wahrheit, S. 117–118. Zur Geschichte der Entwicklung der Anti-Baby-Pille vgl. Reed; Siegel Watkins; Marks. Clarke, Disciplining Reproduction, S. 51. Hoagland, S. 88.
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suchungen an schizophrenen Patienten.98 Gleichzeitig und von denselben Forschern wurden reproduktionsmedizinische Experimente durchgeführt, insbesondere im Bereich der Steroidforschung, die als besonders zukunftsträchtig erschien.99 Hier gab es Aufträge der amerikanischen Bundesregierung, der American Cancer Society und der Pharmaindustrie. Die Searle Company finanzierte bereits 1944 neben dem Gehalt von Pincus 5 weitere wissenschaftliche Stellen und 4 technische Assistenten. 1946 machten diese Einnahmen mehr als 25 % des Forschungsetats der WFEB aus.100 Anders als unter den Bedingungen des neunzehnten Jahrhunderts war es nun möglich, abseits der »standards of academic scientists« experimentelle Strategien zu verfolgen.101 Hoagland fasste die Ressourcen zusammen, über die er und Pincus kurz vor der Gründung der WFEB verfügten: »In the fall of 1943 we had assembled at Clark University a dozen or so concerned with research in physiology. In addition to Gregory Pincus and me, there were several other Ph. D.’s, a half-dozen graduate students and a group of technicians and research assistants numbering in all some 12–15 people and operating on a budget from grants of approximately $100,000. Our studies of stress and the adrenal cortex were appearing in press, as were our cancer studies in relation to the metabolism of steroid hormones. Both Pincus and I were in our early forties and each had published substantial bodies of research.«102
Seitdem Pincus an der Clark Universität war, flossen zunehmend Gelder aus der Industrie als Forschungsmittel, darunter auch von lokalen Unternehmen in Worcester. Die G. D. Searle Company aus Chicago habe Pincus schließlich zu einem »paid consultant« gemacht, wobei Hoagland versichert, dass ihre Forschungsfreiheit dadurch nicht eingeschränkt worden sei.103 Vor diesem Hintergrund jedenfalls sei es ihnen nicht als allzu großes Risiko erschienen, ein unabhängiges Forschungsinstitut zu gründen.104 1951 führte Pincus erste Experimente zum Einsatz von Steroidhormonen als Kontrazeptiva durch. Sein Versuch, Searle für die Finanzierung zu gewinnen, scheiterte zunächst.105 Als aber 1953 Katherine D. McCormick und die Aktivistin der Birth Control Bewegung Margaret Sanger die Worcester Foundation besuchten, und McCormick unmittelbar beträchtliche Summen für die Entwicklung eines oralen Kontrazeptivums zusagte, war auch die Industrie
98 99 100 101 102 103 104 105
Ebd., S. 70–77. Ebd., S. 76. Reed, S. 330–331. Pauly, Controlling Life, S. 193. Hoagland, S. 81. Ebd., S. 82. Ebd., S. 81–82. Reed, S. 332.
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für das Projekt zu interessieren.106 Spätestens jetzt war klar, dass es sich bei der Gründung der WFEB um eine Erfolgsgeschichte handelte. Pincus übersetzte das politische Interesse von Sanger und McCormick »into the rationality of commercial technology«.107 Für Philip Pauly war die Anti-Baby-Pille geradezu ein Symbol für die Loebsche Auffassung von Biologie. Die hormonelle Erzeugung eines reversiblen Zustandes von »Scheinschwangerschaft« war die technologische Transformation eines physiologischen Prozesses: »The synthetic compound 19-nor-progestin produced a state in the organism that was neither normal nor abnormal, but new and more desirable.«108
Die Forschungsbedingungen an der WFEB Pincus und Hoagland stellten ein Team ambitionierter Laborwissenschaftler zusammen, deren Konkurrenz untereinander, so Oscar Hechter, in effektive Forschung umgesetzt wurde: Pincus »had charisma, and this was the power which made it possible for him rapidly and effectively to translate a set of ideas generated by others into a finished scientific product.«109 Im Gegensatz zur Harvard Universität spielten die Herkunft und das Benehmen eines Forschers keine Rolle, wichtig war vielmehr die radikale Orientierung auf innovative wissenschaftliche Produkte: »Strategy for solution of the various problems was worked out in a committee in which all participants were equal; Pincus served as a chairman. There were divergent views between those who favoured orthodox procedures and those with radical approaches, whether in perfusion techniques, extraction of large volumes of blood, isolation of the steroid products formed, or strategy and design of experiments. Emotional flareups were a normal part of these meetings. Only Pincus remained, or appeared to remain, calm. He made a few suggestions, listened, and then forced consensus. He consistently supported the innovators; when the new methods turned out to be right, the results obtained convinced the orthodox.«110
Durch die unmittelbare Abhängigkeit von Geldgebern für jedes einzelne Forschungsprojekt veränderte sich der Charakter des erzeugten Wissens: Im Labor produzierte Erkenntnisse waren Produkte, die sich »verkaufen« lassen mussten. Bezeichnend dafür ist die Wortwahl von Hoagland, als er die Rockefeller Foundation für eine weitere Unterstützung von Pincus gewinnen wollte. Im Gesprächsprotokoll findet sich die Sprache des (Schwarz-) Marktes: »Hoagland 106 107 108 109 110
Ebd., S. 340. Reed bezog sich unter anderem auf ein Interview mit Hudson Hoagland. Reed, S. 345. Pauly, Controlling Life, S. 193. Hechter, S. 366. Ebd.
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says that Pincus has some ›hot stuff‹ on cancer and that he means really hot, and that this is all he is prepared to say at the moment!«111 Auch Pincus selbst verwendet eine Art Werbestrategie, um die Stiftung für seine Arbeit zu interessieren. In einem der wenigen direkten Kontakte zwischen ihm und einem ihrer Angestellten, einem Gespräch im Mai 1938 in Hammonds Labor, behauptete er, »die gesamte Story der Schwangerschaft« beim Kaninchen zu kennen.112 In einer Zeit, in der die Hormonforschung förmlich einen »gold rush«113 erlebte, stellte das eine Art »Kaufanreiz« dar. Mit Beginn der Arbeit an der Clark Universität und erst recht mit Gründung der WFEB waren »commercial possibilities« für die Planung von Forschungsvorhaben entscheidend.114 Pincus und Hoagland gelang es schnell, Kontakte zu lokalen und überregionalen Unternehmen herzustellen, aber auch zur »city’s social elite«.115 James Reed schrieb: »Pincus became a scientific entrepreneur par excellence, serving as liaison between academic scientists and businessmen who needed independent evaluation of new drugs.«116
Die Wissensproduktion für einen Markt hatte zur Konsequenz, dass Pincus und Hoagland gezwungen waren, ihre Arbeit den potentiellen Geldgebern und einem größeren Publikum verständlich zu machen und in die Interessen des Publikums zu übersetzen. Hoagland berichtete in seiner Autobiographie, dass er häufig Vorträge zur Arbeit der WFEB vor lokalem Publikum in Worcester hielt.117 Forschungen mussten an gesellschaftliche Trends und soziale Bedürfnisse angeschlossen werden, wenn sie akzeptiert und finanziert werden sollten. Hoagland betonte den Zusammenhang zwischen der Billigung von Forschung und sozialen und kulturellen Veränderungen. Die Arbeit an der Pille zu finanzieren sei anfangs sehr schwierig gewesen, weil keine Forschungsgelder für die Entwicklung eines oralen Kontrazeptivums zu bekommen waren.118 Erst seit den 1950ern habe ein Bewusstseinswandel eingesetzt zur Notwendig111 Frank B. Hanson Diary, 27.10.38, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602. 112 HMM Diary, 3.-4.5.38, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602. 113 Clarke, Money, Sex, and Legitimacy, S. 376. 114 Ingle, der lange mit Pincus zusammengearbeitet hatte, schrieb zur Entscheidung für die Kortisonforschung: »Gregory Pincus believed the procedure had commercial possibilities.«, Ingle, S. 235. Auch Hechter hielt die »commercial possibilities« für das wichtigste Kriterium bei der Planung von Forschungsvorhaben, Hechter, S. 364. 115 Ebd. 116 Ebd., S. 331. 117 Dabei machte er sozusagen den Anwendungsnutzen von Grundlagenforschung klar: »I stressed the usefulness of what often appears to laymen to be useless knowledge … but may be the foundation of advances in technology that have changed social living«, Hoagland, S. 83. 118 Ebd., S. 94.
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keit der Familienplanung vor dem Hintergrund der »population explosion«.119 Forschungen mussten also, sollten sie finanziert werden, eingebettet sein in eine »herrschende soziale Stimmung«.120 Bei der Entwicklung der Pille waren vor allem die Experimente von Chang zur Wirkung von Steroiden als Kontrazeptiva bei Kaninchen und Ratten wichtig. Pincus erkannte deren Möglichkeiten: »Pincus’ achievement was unique in that he had the insight to recognize the full significance and potential utility of these preliminary laboratory findings, and that he had the courage and faith to set himself the task of translating these laboratory findings into effectice social control of human fertility.«121
Die Forschungen zur Anti-Baby-Pille bildeten seit den 1950er Jahren den Schwerpunkt der Arbeit. Unter unsicheren Bedingungen und im Kontext einer rationalisierten Wissensproduktion, so Fujimura, konzentrieren sich Wissenschaftler und die Organisationen, in denen sie arbeiten, auf bestimmte Forschungslinien, denn sie müssen neues Wissen und marktfähige Produkte innerhalb kurzer Zeitspannen bereitstellen.122 Aber auch die IVF-Versuche hatte einen Platz an der WFEB, wo sie vor allem von Min-Chueh Chang betrieben wurden. Sie standen zwar nicht im Mittelpunkt des Interesses, gehörten aber in den Kontext der »effektiven sozialen Kontrolle menschlicher Fruchtbarkeit« und wurden in Erwartung zukünftiger »kommerzieller Möglichkeiten« fortgesetzt. Diese Versuche fanden nun in einem unabhängigen Forschungsinstitut statt, das nicht im Rampenlicht stand wie die Harvard Universität und das über die Durchführung seiner Versuche und deren Darstellung in der Öffentlichkeit selbst entscheiden konnte. Charles Thibault, der in den 1960ern selbst Forschungen zur IVF anstellte, schrieb in seinem Nachruf auf Chang, dass dieser seine »Liebesgeschichte mit der Säugetier-Eizelle« ebenfalls in der School of Agriculture in Cambridge begonnen hatte, die er 1945 verließ »to spend some time at the only place where the mammalian egg was studied and honored, the laboratory of Dr. Pincus at the Worcester Foundation. At this moment, Pincus was already dreaming of in vitro beef production, at least as a first step.«123
Die Entwicklung der Befruchtungsversuche in den 1930er und 40er Jahren, so lässt sich zusammenfassen, war eng verbunden mit der Biographie von Gregory Pincus, seinem Scheitern in Harvard und der Gründung der WFEB als unabhängigem Forschungsinstitut. Pincus war ein durch und durch experimentel119 120 121 122 123
Ebd., S. 95. Fleck, S. 102. Hechter, S. 362–363, Hervorhebung im Original. Fujimura, The Molecular Biological Bandwagon, S. 263. Thibault, Citation for M. C. Chang, S. XIV.
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ler Forscher, den sein biographischer Hintergrund und seine Ausbildung dafür prädestinierten, disziplinäre Grenzen zu überschreiten, besonders zwischen der Biologie und der Agrarwissenschaft. Er war daher ein idealer »Übersetzer« für Forschungen zwischen verschiedenen sozialen Welten. Zugleich stieß seine experimentelle Orientierung, sein Desinteresse an der langwierigen Analyse von Naturvorgängen und sein Habitus als Laborwissenschaftler an die Grenzen der sozialen Organisation von Wissenschaft an der Harvard-Universität. Er stand unter dem Verdacht, keine seriöse (Grundlagen-) Forschung zu betreiben, sondern biologische Vorgänge mit »Tricks« zu beeinflussen. Dieser wissenschaftliche Stil wurde von einflussreichen Leuten in Harvard abgelehnt. Mit Fleck könnte man sagen, dass der biologische Denkstil der Gruppe um William Crozier, der an Loeb orientiert und auf die Kontrolle und Manipulation von Naturvorgängen ausgerichtet war, in Harvard zu diesem Zeitpunkt keinen Platz hatte. Auch das Verhalten dieser Laborwissenschaftler stellte eine Provokation dar: Hier arbeiteten junge, experimentelle, sich als Avantgarde verstehende Forscher, die auch bezogen auf ihre soziale Herkunft nicht in die Vorstellungen des Establishments passten. Zugleich stellte diese Orientierung von Pincus eine Voraussetzung für die Entwicklung der Befruchtungsversuche der 1930er und 40er Jahre dar. Für diese Versuche brauchte es einen »outsider on the inside«, jemanden, der seine experimentellen Interessen auch jenseits disziplinärer Grenzen verfolgte und dabei zwischen Grundlagen- und Anwendungsforschung wechseln mochte. Während Samuel Leopold Schenk an die Universität gebunden war, konnte Pincus seine Forschungsinteressen in den 1930er Jahren außerhalb des akademischen Kontextes verfolgen. Die vielleicht einflussreichste Instanz der Forschungsförderung, die Rockefeller Foundation, stand Gregory Pincus und seinen Forschungen allerdings reserviert gegenüber. Bezogen auf den »Pincus case« agierte die Stiftung konservativ und orientierte sich an den Entscheidungsträgern in Harvard. Als Pincus Harvard verließ, bildeten er und Hoagland an der Clark Universität eine eigene, kleine Forschungsgruppe. Was als Notlösung begann, lässt sich als Übergangsphase interpretieren, in der bereits einige Merkmale eines unabhängigen Forschungsinstitutes zu erkennen sind, ohne dass dieser Schritt formal vollzogen war: Alle Forschungsgelder mussten selbstständig akquiriert werden, die Gruppe war nicht eingebunden in die formale Struktur der Universität und daher frei in der Planung ihrer Forschungsvorhaben (sofern sie sich finanzieren ließen). Die Gründung eines eigenen Instituts war aus dieser Sicht nicht viel mehr als ein folgerichtiger Schritt. Pincus und Hoagland errichteten die Worcester Foundation for Experimental Biology als ein frühes biomedizinisches Forschungsinstitut, das die gesellschaftliche Nachfrage nach Verfahren zur Beherrschung biologischer Phänomene bediente und schnell das Interesse zahlungskräftiger Auftraggeber 152 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35159-9
gewann. Die beiden waren also nicht nur »Verlierer« im Kampf um akademische Positionen, sondern zugleich flexible Akteure im Feld biomedizinischer Forschungen, das sich neben der Universität und im Kontext einer zunehmenden Industrialisierung der Wissensproduktion zu entwickeln begann. Indem sie die WFEB gründeten, trugen sie selbst zu diesen Strukturveränderungen bei. Experimentelle Strategien mussten nun die sozialen und ökonomischen Interessen von Auftraggebern befriedigen. Als sich die Entwicklung der AntiBaby-Pille als lukratives Unternehmen herausstellte, wurde sie zum »Kerngeschäft« der WFEB. Min-Chueh Chang betrieb weiter Forschungen zur Befruchtung von Säugetier-Eizellen und machte sich damit schnell einen Namen, aber diese Versuche spielten keine Hauptrolle im Institut. Ihre kommerzielle Verwertbarkeit war, anders als bei der Anti-Baby-Pille, noch unsicher. Insofern gehörte die IVF zum »Kapital« des Institutes, sie stellte eine Investition in denkbare zukünftige Entwicklungen dar.
2. Die artifizielle Insemination in Cambridge, England Die Universität Cambridge avancierte zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zum internationalen Zentrum reproduktionsphysiologischer Forschung. Schon vor der Jahrhundertwende hatte Walter Heape dort erste Versuche zum Embryotransfer durchgeführt.124 Sein Zeitgenosse Francis H. A. Marshall veröffentlichte 1910 »The Physiology of Reproduction«, die erste umfassende Monographie zur Reproduktionsphysiologie.125 Marshall arbeitete seit 1908 in Cambridge, wo er das Journal of Agricultural Science herausgab und als Dozent am Physiologischen Institut und an der School of Agriculture lehrte, die er zwischen 1930 und 1934 leitete.126 Hier war auch John Hammond beschäftigt, ebenfalls ein Pionier der britischen Reproduktionsphysiologie und Autor einschlägiger Studien zur Fortpflanzung.127 Neben ihrem internationalen Ruf teilten diese drei Forscher eine weitere, auffällige Gemeinsamkeit: Sie waren an Anwendungsforschung für die Landwirtschaft interessiert. Marshall und Hammond gaben im Auftrag des Ministeriums für Landwirtschaft und Fischerei regelmäßig Broschüren für Farmer heraus, mit denen sie den Transfer ihrer wissenschaftlichen Ergebnisse in die 124 Heape, Preliminary Note; ders., Artificial Insemination. Vgl. auch Blackman, S. 162. Unter Reproduktionsforschern gilt Heape als der Pionier des Embryotransfers, vgl. Betteridge, S. 1. 125 Marshall. Vgl. Clarke, Disciplining Reproduction, S. 64. 126 Eine kurze biographische Notiz findet sich im Klappentext von Marshall u. Hammond, Science of Animal Breeding; vgl. auch Clarke, Disciplining Reproduction, S. 70–71. 127 Hammond, Reproduction in the Rabbit; ders., Reproduction in the Cow.
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landwirtschaftliche Praxis unterstützen wollten. Die erste Ausgabe von »Fertility and Animal Breeding« erschien 1925, »as one of a series of research monographs, the purpose of which was to give in simple language an account of the work done at the Agricultural Research Institutes of this country«, wie die beiden im Vorwort zur 6. Auflage schrieben.128 Dieses Material stellte eine Handreichung für Farmer dar und sollte dazu beitragen, die Viehproduktion zu steigern: »For the practical farmer it is a matter of the greatest economic importance that his breeding-stock should be completely fertile.«129 Im Interview mit Alan Parkes, seinem ehemaligen Studenten, sagte John Hammond gegen Ende seines Lebens, er sei immer in erster Linie an der Landwirtschaft interessiert gewesen, besonders an der Viehhaltung, für die er nach wissenschaftlichen Optimierungen suchte.130 Anwendungsforschung für die Viehwirtschaft, das betraf Ende der 1920er Jahre am Institut in Cambridge vor allem die artifizielle Insemination. Nach dem wichtigsten in seinem Institut entwickelten Verfahren befragt, antwortete Hammond: »I should say probably the one with the greatest effect is artificial insemination. It’s had more practical effect than anything else.«131
Erste Forschungen zur artifiziellen Insemination und eine Anwendung in großem Maßstab fanden in Russland bzw. in der frühen Sowjetunion statt. Elie I. Ivanov begann 1899, das Verfahren auf verschiedenen Pferdezuchtstationen einzusetzen. 1909 richtete das russische Landwirtschaftsministerium unter seiner Leitung ein reproduktionsphysiologisches Labor ein, in dem bis 1914 bereits 400 Techniker für die artifizielle Insemination in der Landwirtschaft ausgebildet worden waren. Nach dem ersten Weltkrieg wurde hier die Arbeit mit großem Erfolg fortgesetzt: 1938 sollen in der Sowjetunion schon 40 000 Stuten, 1,2 Millionen Kühe und 15 Millionen Schafe mit diesem Verfahren befruchtet worden sein.132 Ab Mitte der 1920er Jahre entwickelte sich ein zweites internationales Zentrum zur artifiziellen Insemination in Cambridge, die School of Agriculture.133 Im Folgenden wird rekonstruiert, welcher Stand der Technik um 1930 erreicht war und welche Forschungsperspektiven in Cambridge gesehen wurden. 128 Marshall u. Hammond, Fertility and Animal Breeding, S. ii. 129 Ebd., S. 8. 130 Parkes, Interview mit John Hammond, S. 2. 131 Ebd., S. 6. John Russell schrieb, dass John Hammond die zentrale Persönlichkeit bei der Entwicklung der artifiziellen Insemination in Großbritannien war, Russell, S. 337. 132 Herman, S. 3. 133 Parkes, Interview mit John Hammond, S. 7. In Cambridge empfing man in den 1930ern internationale Gäste beispielsweise aus Dänemark und den USA, die sich mit der Methode und den Ausrüstungsgegenständen der artifiziellen Insemination vertraut machten.
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Die wichtigste Quelle hierfür stellt eine Monographie von Arthur Walton, einem Mitarbeiter Hammonds, aus dem Jahr 1933 dar, »The Technique of Artificial Insemination«.134 Für die spezielle Ausrichtung der Forschung in Großbritannien waren die besonderen Bedingungen in der britischen Landwirtschaft maßgeblich, was sich besonders gut im Kontrast zur Sowjetunion herausarbeiten lässt. Die dortigen Forschungen setzten andere Akzente und mussten den Verhältnissen sowjetischer Sowchosen, also der landwirtschaftlichen Großproduktion, gerecht werden. Zwischen diesen beiden Forschungszentren kam es zu einem intensiven Austausch in den 1920er und 1930er Jahren, der ebenfalls untersucht wird. Schließlich wird auf Gregory Pincus eingegangen, der sich 1929 für einen Forschungsaufenthalt an der School of Agriculture bewarb. Hier fanden die Versuche statt, mit denen er – so die bisherige Geschichtsschreibung – die IVF zu entwickeln begann. Zunächst geht es um das Interesse, mit dem Pincus nach Cambridge kam, welches alles andere als konkret ausformuliert war.
Das Verfahren und seine Standardisierung Die Technik der artifiziellen Insemination verbreitete sich seit Anfang der 1930er Jahre international. Sie stellte in den Augen von Harry A. Herman, Veteran der Durchsetzung dieser Technik in den USA, eine Schlüsseltechnologie für die Leistungssteigerung in der Viehwirtschaft des zwanzigsten Jahrhunderts dar. Mit Ausnahme der Einführung von hybridem Korn sei keine Entwicklung moderner landwirtschaftlicher Verfahren so rasant umgesetzt worden wie die artifizielle Insemination.135 Das Verfahren habe buchstäblich eine Revolution bewirkt, indem es die Produktion in der »cattle industry« schlagartig steigerte.136 Die artifizielle Insemination strukturierte, so auch Barbara Orland, das Verhältnis von Mensch und Natur in der Agrarwirtschaft auf neue Weise.137 In ihrer Broschüre von 1952 definierten Hammond und Marshall die artifizielle Insemination: Das Sperma werde aufgefangen und mit einer Spritze oder anderen Mitteln in das weibliche Tier eingeführt.138 In dieser allgemeinen Formulierung entsprach das Verfahren also der künstlichen Befruchtung von Frauen, wie sie schon im neunzehnten Jahrhundert vorgenommen worden war. Die Forschungen an der artifiziellen Insemination in der Tierzucht bil134 135 136 137 138
Walton, Artificial Insemination. Herman, S. 9. Ebd., S. 14. Orland, Turbo-Cows. Marshall u. Hammond, Fertility and Animal Breeding, S. 18.
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deten in den 1920er und 30er Jahren einen Schwerpunkt der Arbeit am Institut für Animal Nutrition an der School of Agriculture.139 Idee und erste Versuche stammten noch aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg. John Hammond erinnerte sich im Interview: »I first got into it because in the old days before the first world war they had travelling stallions going about the country, serving mares at different places. Heape had done a lot with artificial insemination to cure sterility, and Marshall said, ›Now look here, these travelling stallions are very infertile. Why not let’s try some artificial insemination, as Heape did?‹«140
Insbesondere als Mitte der 20er Jahre Arthur Walton von Edinburgh nach Cambridge wechselte, um bei Hammond zu arbeiten, intensivierte sich die systematische Forschung an dieser Technologie.141 Die artifizielle Insemination stellte Ende der 1920er Jahre nicht nur eine Anwendungstechnik dar, sondern war zugleich Bestandteil der experimentellen Praxis, und zwar als Testverfahren für die Vitalität der Spermien, die in erfolgreich durchgeführten Inseminationen gemessen wurde. Das galt sowohl für die Laborexperimente von Walton und Hammond, die vorwiegend mit Kaninchen arbeiteten, als auch für die Versuche in der Sowjetunion, die gleichzeitig Anwendung und großangelegte Feldstudien darstellten, von Walton als »hugh experiments« bezeichnet.142 In seinem Buch behandelte Walton die artifizielle Insemination mit Blick auf vier Aspekte des Verfahrens: das Auffangen des Spermas, seine Untersuchung, die Injektion und die Verdünnung des Sperma. In allen Bereichen lassen sich intensive Bemühungen um Standardisierung erkennen. Solche Anstrengungen standen nicht isoliert dar, sondern sind im Kontext zunehmend internationaler, wissenschaftlicher Aktivitäten zu sehen. Sie dienten der Herstellung transnationaler Objektivität.143 Aus theoretischer Perspektive bewirken Standardisierungen, dass Technologien transportabel werden. Sie erleichtern es, ein Verfahren aus seinem Ursprungslabor in eine andere soziale Welt, sei es ein anderes Labor oder ein Anwendungskontext, zu transferieren. Joan Fujimura schreibt dazu:
139 Für einen Überblick über die weiteren in der School of Agriculture betriebenen Forschungen vgl. Marshall u. Hammond, The Science of Animal Breeding, S. 14–21. Auch John Russell gibt einen Überblick über die in Cambridge durchgeführten agrarwissenschaftlichen Forschungen, vgl. Russell, S. 283–285 u. S. 333–338. Neben dem Animal Nutrition Institute der School of Agriculture gab es ein Institut für Pflanzenzucht, vgl. ebd., S. 271. 140 Parkes, Interview mit John Hammond, S. 6. 141 Ebd., S. 7. 142 Walton, Artificial Insemination, S. 50. 143 Clarke, Disciplining Reproduction, S. 144; vgl. auch Abir-Am, Multidisciplinary Collaboration.
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»Standardized technologies are tacit knowledge made explicit and routine via simplification and the deletion of the contexts in which the technologies were developed … They are conventions for action that are carried with little or no change from one context to another. Standardized technologies take the form of pre-fabricated biological materials (reagents, probes), procedual manuals (often called ›cookbooks‹) spelling out ›recipes‹ for action, industrial standards, computing protocols, and instruments that automate many procedures«.144
Alle genannten Aspekte, das Explizieren und Vereinfachen von Handlungsschritten, das Benutzen industriell hergestellter Lösungen, genaue Handlungsanweisungen und vorgefertigte Instrumente lassen sich im Text von Walton auffinden. Sie werden nun, der Abfolge des Verfahrens folgend, dargestellt. Walton beschrieb vier Varianten, das Sperma zu gewinnen. Bei der sogenannten Schwamm-Methode, die er für altmodisch und unzuverlässig hielt,145 werde ein mit einer Lösung getränkter Schwamm in die Vagina des weiblichen Tieres eingeführt. Nach der Begattung werde dieser Schwamm entfernt und ausgepresst. Die Vitalität (Lebensdauer) und Motilität (Beweglichkeit) der Spermien sei allerdings eingeschränkt und man erhalte kein reines Sperma, denn es sei durch Sekrete der Vagina verunreinigt.146 Die vaginale Methode, bei der das Sperma mit einem Spekulum oder einem »Vacuum Extractor« nach der Begattung aus der Vagina entnommen werde, erinnert an die Methode der künstlichen Befruchtung im neunzehnten Jahrhundert: Mit dieser Variante überwinde man mechanische Hindernisse, schrieb Walton, das Sperma werde in der Vagina aufgenommen und in den Cervix injiziert.147 Auch hier sei es aber oft mit Blut und anderen Flüssigkeiten vermengt, und es werde nicht vollständig aufgenommen. Daher eigne sich die Methode nicht für eine Verbreitung im großen Maßstab, allerdings könne mit ihr die Fruchtbarkeit des Zuchtviehs überprüft werden.148 Der sogenannte »Sperm Collector« sei gegenwärtig die beste Lösung, die Methode koste wenig und liefere Sperma »of high quality«.149 Das dafür nötige Instrument bestehe aus einem 300 mm langen Gummischlauch mit einem Durchmesser von 40–50 mm, an dessen offenem Ende ein weiter, flexibler Metallring befestigt sei. Walton wies den Leser detailliert in den Gebrauch des Instruments ein, seine Reinigung, das Einreiben mit Vaseline, die Einführung und spätere Entnahme, sowie das akkurate und jede Verschmutzung vermeidende Umfüllen des Spermas in einen Glasbehälter.150 Nur manchmal werde 144 145 146 147 148 149 150
Fujimura, The Molecular Biological Bandwagon, S. 266. Walton, Artificial Insemination, S. 40. Ebd., S. 20–21. Ebd., S. 21. Ebd., S. 27. Ebd., S. 27. Ebd., S. 22–23.
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der Penis des Bullen außerhalb des Metallrings eingeführt, ansonsten sei die Methode »economical, of plant, chemicals, transport, time and labour«.151 Das Verfahren der Zukunft aber beruhe auf der sogenannten artifiziellen Vagina: »This method elaborated by the Laboratory of Artificial Insemination [in Moskau] will apparently prove to be one of the simplest and most rational.«152 Die Methode erübrige die Einführung in die Vagina des weiblichen Tieres und vermeide daher die Verunreinigung oder den Verlust von Teilen des Ejakulats. Das für Schafe entwickelte Modell bestand aus einem 20 cm langen Zylinder mit einem inneren Durchmesser von 4,5 cm, der einen Gummischlauch enthielt: »The space between the walls of the cylinder and the inner tube is filled partly with warm water (40–45 °C), partly with air, in such a way that the inner tube collapses and simulates the genital passage of the ewe.«153
Von innen wurde der Zylinder mit Vaseline ausgestrichen. Der Vorgang selbst sah dann so aus: Im Moment des Koitus stülpte der Wissenschaftler oder Farmer die artifizielle Vagina über den Penis des Schaf bocks und fing das Ejakulat auf.154 Für Bullen und Kaninchen standen ähnliche Modelle zur Verfügung. Walton beurteilte die Verfahren und Instrumente danach, ob sie einfach zu handhaben waren und ob sie effektiv, d. h. schnell, preiswert und ohne hohen Arbeitsaufwand, einzusetzen waren. »Praktikabilität« ist das Stichwort, unter das sich seine Vorschläge subsumieren lassen: Sie zielten auf die schnelle Verbreitung der Technik und ihre Anwendung in der Praxis. Dafür war bereits eine Kooperation mit der Industrie in die Wege geleitet worden. Walton und Hammond arbeiteten an einer Modifikation der artifiziellen Vagina zum Auffangen von Bullensperma und gewannen für deren Produktion die Holborn Surgical Instrument Co. in London, die einen Teil der Entwicklungskosten übernahm.155 Harry Herman bezeichnete dieses Instrument als wichtigste technische Entwicklung in der Geschichte der artifiziellen Insemination. Erst dieser Ausrüstungsgegenstand erlaubte die Verbreitung der Technik.156 Den zweiten Abschnitt zum Verfahren widmete Walton der Qualität des Spermas, die sich in ihrer Vitalität und Motilität ausdrückte. Walton versuchte, eine Normierung von Sperma vorzunehmen, und nannte Kriterien für normales und abweichendes Sperma: Makroskopische Kriterien seien beispiels-
151 Ebd., S. 25. 152 Ebd., S. 27. 153 Ebd., S. 25. 154 Ebd. 155 Ebd., S. 53. Wahrscheinlich handelt es sich hier um die Variante, die später als »Cambridge Modell« bekannt wurde, vgl. Herman, S. 3–4. 156 Herman, S. 83.
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weise die Menge des Ejakulats, Farbe, Geruch und Konsistenz des Spermas.157 Vor allem ging es ihm aber darum, die mikroskopische Beurteilung zu standardisieren. So diskutierte er verschiedene mögliche Raster, um die Motilität der Spermien in einer Skala einzuschätzen und schlug eine eigene Nomenklatur vor: »If the field of vision under the microscope is densely filled with spermatozoa, this grade is designed D; if spermatozoa are rare, it is designed by R, while an intermediate state is designed M, and the absence of spermatozoa or azoospermia, by A. For determining the degree of motility it is found convenient to estimate the relative number of spermatozoa exhibiting progressive motion expressed in fifth of the total number of spermatozoa«.158
Mit dieser Skala konnten Qualitätsnormen für Spermatozoen angegeben werden: »For artificial fertilization only sperm with progressive motion may be used; in other words, only such sperm as has a numerical value, while sperm designated by letters alone should be discarded; sperm of the class 1/5 R should, if possible, also be discarded as it is unreliable.«159
Für Forschungszwecke seien die Anforderungen an die Genauigkeit noch höher. Die Zahl der Spermatozoen sei mit Hilfe eines Haemocytometers zu messen, wofür Walton wiederum genaue Anweisungen erteilte.160 Die Motilität, also die Beweglichkeit, einzuschätzen, gestaltete sich schwieriger: Da andere Methoden fehlten, müsse die Aktivität der Spermien mit dem bloßen Auge beurteilt werden.161 Dafür schlug er die von russischen Forschern entwickelte »method of indices of survival« vor, eine mathematisierte Form, die Aktivität der Spermatozoen zu taxieren.162 Diese objektivierte Methode war nicht nur für Forschungszwecke wichtig, sondern auch für die praktische Anwendung. Da wertvolle Tiere nicht unbedingt wertvolles Sperma lieferten, war die Entwicklung von »sperm potency tests« sowohl für die natürliche als auch für die artifizielle Insemination von großer Bedeutung.163 Für die Injektion des Spermas in die Vagina des weiblichen Tieres gab Walton ebenfalls genaue Anweisungen, beinahe in Form eines Manuals. So beschrieb er genau, welche Ausrüstungsgegenstände vor der Injektion griff bereit sein mussten. Weitere Angaben bezogen sich auf die Menge des zu injizierenden 157 158 159 160 161 162 163
Walton, Artificial Insemination, S. 30–32. Ebd., S. 33. Ebd. Ebd. Ebd., S. 34. Ebd., S. 34–35. Clarke, Disciplining Reproduction, S. 159.
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Spermas, den günstigsten Zeitraum nach der Ejakulation, das Verfahren der Einführung des Katheters usw.164 Walton systematisierte den Arbeitsprozess: »The process of insemination is fourfold: (1) filling the syringe with sperm; (2) introduction of the speculum into the vagina; (3) examination of the vaginal mucosa and finding of the cervix: if the vagina and cervix are normal and there is no reddening, haemorrhages or suppuration, insemination may be carried out; (4) introduction of catheter into the cervix (to a distance of not more than 3 cm. for the cow and 1 cm. for the ewe).«165
Diese Angaben waren nicht an einen Farmer gerichtet, sondern an den eigens ausgebildeten »Operator«. Das geschah vor dem Hintergrund der sowjetischen Praxis, welche die Standardisierung des Verfahrens mit einer weitgehenden Spezialisierung des Personals verband.166 Auch für die Injektion des Spermas lagen erste Erfahrungen mit eigens dafür gefertigten Instrumenten vor. So sei durch den russischen Forscher Milovanov ein Katheter entwickelt worden, das 1930/31 bereits an mehreren hunderttausend Schafen getestet worden sei.167 Der vierte Abschnitt des Verfahrens spielte ebenfalls eine wichtige Rolle für die rationelle, ökonomische Anwendung des Verfahrens. Denn die Verdünnung des Spermas steigerte sein Volumen und damit die Zahl der zu begattenden weiblichen Tiere.168 Seit 1928 experimentierten sowjetische Forscher mit Verdünnungen, zunächst ohne großen Erfolg. Inzwischen hatten sie dort aber verschiedene Kulturlösungen entwickelt, die als Handelsmarken eingetragen waren. Das ursprüngliche Produkt GPC-1 (Gluco-Phosphate Cattle 1) sei längst abgelöst worden, schrieb Walton, gegenwärtig verwende man GPC-7. Die Wirksamkeit dieser Lösungen drücke sich in zwei Messwerten aus: dem Optimum der Verdünnung (bei der die höchste Zahl an Schwangerschaften erzielt wurde) und dem Maximum der Verdünnung (die größtmögliche Verdünnung, bei der man noch ebenso viele Schwangerschaften erzielte wie mit unverdünntem Sperma). Beide Angaben seien spezifisch für die jeweilige Kulturlösung.169 Die rasche Entwicklung von den ersten Versuchen im Jahr 1928 zur Einführung marktfähiger Lösungen zeigt das besondere Interesse der Moskauer Forscher an der Verdünnung. Sie arbeiteten für ausgesprochen große landwirtschaftliche Betriebe, in denen womöglich Tausende von weiblichen Tieren gehalten wurden. Die artifizielle Insemination war hier nicht nur ein Zuchtverfahren, sondern diente zugleich als Test für die Wirksamkeit der Kultur164 165 166 167 168 169
Walton, Artificial Insemination, S. 36–38. Ebd., S. 39. Ebd. Ebd., S. 38. Ebd., S. 40. Ebd., S. 41.
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lösungen. Diese Praxis war also Anwendung und großangelegter Feldversuch in einem. Auch für das Kaninchen stand schon eine spezielle Verdünnungsflüssigkeit zur Verfügung, für die Optimum, Maximum, die Lebensdauer der Spermatozoen und andere Messgrößen präzise bestimmt waren.170 In seiner Zusammenfassung betonte Walton die ökonomische Relevanz der artifiziellen Insemination. Die zentrale Forschungsperspektive sah er in der Haltbarmachung von Sperma, ein Erfordernis der Struktur der britischen Landwirtschaft (dazu später), und in der weiteren Standardisierung des Verfahrens: »Work in the future will aim at improvement and simplification of technique, especially of the method of collection, of dilution and storage. If it is found that sperm can be made to retain its fertilizing capacity for any considerable time, organisation will be much easier.«171
Konnte die Haltbarkeit von Sperma verlängert werden, so war es transportfähig, was entscheidend für die Verbreitung des Verfahrens war, jedenfalls dann, wenn man es mit kleineren landwirtschaftlichen Einheiten zu tun hatte als in der Sowjetunion.172 Die angestrebten »Verbesserungen und Vereinfachungen« bezogen sich auf alle Aspekte des Verfahrens. Joan Fujimura macht drei Verfahrensbestandteile aus, die standardisiert werden können, »standardized sequences of standardized tasks, standardized materials, and standardized instruments.«173 Lässt sich die Standardisierung von Arbeitsprozessen beispielsweise bei der Injektion des Spermas beobachten, so war auch die Vereinheitlichung von Instrumenten weit gediehen, wenn man an die Produktion der artifiziellen Vagina denkt. Die Standardisierung des Materials bezog sich nicht nur auf die erwähnten Kulturlösungen, sondern vor allem auf das Sperma selbst, das zunehmend in einem Diskurs der Ökonomie repräsentiert wurde.
Die Ökonomie des Spermas Der Gegenstand der Forschungen zur artifiziellen Insemination Anfang der 1930er Jahre war ohne jede Einschränkung das Sperma, genauer gesagt dessen Befruchtungsfähigkeit. Die Eizelle spielte für Walton keine Rolle, es ging ihm um die Insemination. Er abstrahierte von weiblichen und männlichen Tieren 170 171 172 173
Ebd., S. 43. Ebd., S. 52. Clarke, Disciplining Reproduction, S. 159–160. Fujimura, The Molecular Biological Bandwagon, S. 267.
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und erwähnte sie nur als Vagina oder Penis im Sinne von Kontextbedingungen für die Produktion von Sperma.174 Auch die von Walton beschriebenen Phasen der artifiziellen Insemination bezogen sich ausschließlich auf Sperma. Er erwähnte mit keinem Wort, dass es auch auf der Seite der weiblichen Tiere förderliche oder hinderliche Faktoren geben könnte, die Zahl der erfolgreichen Inseminationen also womöglich nicht allein auf die Qualität des Spermas oder verschiedener Verdünnungen zu reduzieren war. Das gilt nicht nur für den technischen Teil der Monographie von Walton, sondern auch für seinen Vorspann zur »Physiology of Artificial Insemination«. Dieses Sperma war verwickelt in einen Diskurs der Qualität, der Effektivierung und der Ökonomie, der sich nicht nur in den bereits beschriebenen Versuchen der Normierung zeigt. Es sei nötig, so Walton, konsequent die Qualität des Spermas zu evaluieren.175 Nur Sperma »of good quality« solle bei der artifiziellen Insemination verwendet werden, damit diese die angestrebte Effektivität erreichen könne.176 Dabei konvergiert die Unterscheidung von effektiv und nichteffektiv mit derjenigen von künstlich und natürlich. Walton schrieb: »In natural copulation the semen is introduced into the female genital tract by the penis of the male.« Nachdem er den Weg rekapituliert hatte, den die Spermatozoen zurücklegen, heißt es: »Only a small proportion of the spermatozoa actually gain access to the uterus or ascend the tubes; the surplus is absorbed or extruded.«177 Die Sprache der Ökonomie wird beibehalten, wenn dem natürlichen Vorgang die artifizielle Insemination gegenübergestellt wird: »Artificial Insemination differs from the natural process only in so far as the semen is introduced into the genital passages of the female by means of instruments. For practical purposes the method offers certain advantages. Since by means of instruments a small quantity of semen can be placed with accuracy within the cervix, a higher proportion of the spermatozoa gain access to the uterus, resulting in greater certainty of impregnation and considerable economy of spermatozoa.«178
Es ging also darum, die Produktivität der Viehwirtschaft zu steigern. Biologische Vorgänge, aber auch Teile des Körpers oder Zellen wurden den Forderungen einer rationellen Produktion unterworfen. Waltons Buch ist ein Plä174 An der tierischen Sexualität interessierte Walton nur die Produktion von Sperma: »During coitus the erect penis is inserted into the vagina. Contact between the walls of the vagina and the glans penis and the friction due to the ›piston‹-like movements, result in the discharge of nervous impulses until a climax is reached and the male experiences an orgasm.«, Walton, Artificial Insemination, S. 14. 175 Ebd., S. 32. 176 Ebd., S. 31. 177 Ebd., S. 5, Hervorhebung von mir. 178 Ebd., Hervorhebung von mir.
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doyer für eine effektivierte, und das heißt artifizielle Form der Züchtung, einer »Ökonomie der Spermatozoen«. Die Unterscheidung von natürlich und künstlich hat hier eine andere Bedeutung als in den embryologischen Texten des neunzehnten Jahrhunderts und entspricht dem gynäkologischen Diskurs um die Effektivität von Befruchtungsverfahren. Die künstliche Insemination unterschied sich nur insofern von der natürlichen Befruchtung, als hier mit Hilfe von Instrumenten eine höhere »Zielgenauigkeit« der Spermatozoen erreicht werden konnte. Vor dem Hintergrund dieses ökonomischen Diskurses hatte die Natur als wichtigste Referenz ausgespielt: Wichtig war Effizienz, und die wurde mit dem artifiziellen Verfahren erreicht. Walton reagierte möglicherweise auf Vorbehalte in der britischen Öffentlichkeit, wenn er betonte: »it must be borne in mind that ›natural‹ conditions are not necessarily the most favourable under all circumstances.«179 Dieser Diskurs der »Ökonomie des Spermas« war weit verbreitet. Nelly Oudshoorn weist darauf hin, dass Körperprozesse im späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert zunehmend in ökonomischen Begriffen beschrieben wurden: »Spending-saving metaphors dominated the description of physiological processes and diseases.«180 Besonders die »spermatic economy« war schon im neunzehnten Jahrhundert ein verbreiteter Topos, nach dem der Verlust von Sperma in einem Verlust von Stärke mündete.181 Daran knüpfte die Darstellung der artifiziellen Insemination an.
Der Kontext der Versuche und die Kooperation mit Moskau Die Entwicklung der artifiziellen Insemination als Forschungsgegenstand, die spezielle Ausrichtung der Forschung in Cambridge und die Durchsetzung der Technologie in der Viehzucht, und zwar gegen Widerstände in der britischen Öffentlichkeit, ist ohne Rückgriff auf soziale, ökonomische und kulturelle Faktoren nicht zu verstehen. Walter Heape führte die ersten Versuche zur artifiziellen Insemination vor dem Hintergrund einer tiefen Krise der britischen Landwirtschaft durch. Im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts führte die britische Freihandelspolitik dazu, dass es zu hohen Importen landwirtschaftlicher Erzeugnisse aus Übersee und damit zu einem dramatischen Preisverfall heimischer Produkte 179 Ebd., S. 9, Hervorhebung im Original. 180 Oudshoorn, S. 5 mit Verweis auf Martin, The Woman in the Body, S. 32. 181 Borell, Organotherapy, S. 6–7. Ungezügelter sexueller Verkehr oder Selbstbefriedigung schwäche den Organismus, auf dieser Meinung beruhten auch die Verjüngungsexperimente des Physiologen Brown-Séquard. Borell schrieb: »Physiological and social theory clearly reinforced each other.«, ebd.
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kam.182 Die Krise verwies auch auf Defizite in der britischen Landwirtschaft, was die technische Ausbildung der Bauern und die Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse im Agrarsektor anging.183 Heape, Sohn eines Fabrikanten und Kaufmanns, sah den Sinn wissenschaftlichen Fortschritts darin, Wissen in ökonomisch relevanten Bereichen der Gesellschaft anzuwenden.184 Besonders besorgt war er über die mangelnde Konkurrenzfähigkeit der britischen Fleischindustrie: »He called for the breeding for better quality, more fertile animals and hoped to make the best use of the available stock, using his artificial fertilization experiments.«185 Bereits in den 1890ern galt Heape als Fachmann für Fragen der Tierzucht.186 1906 veröffentlichte er mit »The Breeding Industry« ein Plädoyer für die Verwendung wissenschaftlichen Wissens in der Landwirtschaft und betonte darin die herausragende ökonomische Bedeutung der britischen Viehwirtschaft.187 Die Idee zu seinen Versuchen mit der artifiziellen Insemination, und hier kommt ein weiterer Faktor ins Spiel, entwickelte Heape gemeinsam mit Francis Galton. Dieser war ein Vetter Darwins, führte Ende des neunzehnten Jahrhunderts biometrische Studien zur Vererbung beim Menschen durch und prägte den Begriff »Eugenik«.188 Er hatte regen Kontakt zu Heape und interessierte sich ebenfalls für die britische Agrarwissenschaft. Marshall und Hammond schätzen seinen Einfluss auf die britische Viehzucht als hoch ein, »his [Galtons] law of ancestral inheritance … had a large influence on stock-breeding. It was on this idea that the Breed Societies constructed their extended pedigree system. It is not without significance that the characters, such as stature, which Galton investigated were those that also interested the stock-breeder.«189
Galton wollte mit der artifiziellen Insemination ein Zuchtverfahren entwickeln, mit dem die »Verschwendung« großer Mengen des Ejakulats bei der normalen Begattung beendet und günstige Erbeigenschaften möglichst schnell verbreitet 182 Russell, S. 176–177. Vgl. auch Paulmann, S. 506–511. 183 Die Krise führte seit etwa 1875 zu verstärkten Bemühungen um die Ausbildung der Farmer, Russell, S. 180. Zu landwirtschaftlichen Forschungsprogrammen der britischen Regierung vgl. Vernon; Blackman, S. 164–166. 184 Blackman, S. 138–139. Heape trat eine attraktive Stelle zur Gestaltung einer Zoologischen Station in England nach dem Vorbild der Zoologischen Station Neapel und der Marine Biological Station in Woodshole an, gab sie aber nach zwei Jahren wieder auf, weil er das Konzept zuwenig anwendungsorientiert fand, vgl. ebd., S. 148. Vgl. auch Clarke, Disciplining Reproduction, S. 70. 185 Blackman, S. 165. 186 Ebd., S. 163. 187 Heape, The Breeding Industry. 188 Für eine Biographie und die wichtigsten Veröffentlichungen vgl. Jahn, Geschichte der Biologie, S. 829; Kevles, S. 3–19. 189 Marshall u. Hammond, The Science of Animal Breeding, S. 5.
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wurden: Hochwertiges Sperma sollte für die Begattung mehrerer weiblicher Tiere eingesetzt werden. Heapes Experimente zur artifiziellen Insemination begannen im Sommer 1894, und das gemeinsame Ziel von Heape und Galton war es, eine Methode zur Befruchtung weiblicher Säugetiere zu finden, »which wasted less spermatozoa«.190 Die Verbindung des wissenschaftlichen mit einem eugenischen Diskurs wurde von den Forschern in Cambridge nicht offensiv gezogen. Im Vordergrund stand die ökonomische Argumentation, nach der alle Bauern Zugriff auf hochwertiges Sperma erhalten sollten.191 Arthur Walton verwahrte sich sogar gegen die Rede von der »Verschwendung« von Sperma. Angesichts des langen Wegs, den die Spermatozoen durch den weiblichen Genitaltrakt zurückzulegen hatten und angesichts der Tatsache, dass viele Spermatozoen noch nicht voll ausgereift seien und daher »en route« starben, stelle die große Zahl an Spermatozen keinen Abfall dar, sondern gewährleiste eine ansonsten beinahe unwahrscheinliche Befruchtung. Allerdings zeige sich genau hier die Effektivität der artifiziellen Insemination. Einer ihrer Vorteile sei es, dass mit ihr der zurückzulegende Weg für die Spermatozoen verkürzt werde und daher eine geringere Anzahl von Spermatozoen zur Befruchtung ausreiche.192 Dass die Verbindung zur Eugenik aber vorlag, lässt sich, jedenfalls für Arthur Walton, zeigen. 1936 veröffentlichte er einen kurzen Text über den geglückten Versuch, Schafsperma mit der Post von Cambridge nach Polen zu schicken und damit weibliche Tiere zu befruchten. Mit dem Titel des Textes, »An Experiment in Eutelegenesis«,193 spielte er auf einen 1935 erschienenen Text von Herbert Brewer an.194 Walton nahm seinen geglückten Versuch als Argument für die ökonomische Bedeutung der artifiziellen Insemination, wies aber auch auf eine mögliche Anwendung beim Menschen hin und bezog sich dabei auf Brewer und Herman Mullers »Out of the night«.195 Beides sind klassische eugenische Texte, in denen die künstliche Befruchtung zur Verbreitung »überlegenen« Erbgutes beim Menschen diskutiert wurde. Die Überzeugungskraft des Verfahrens lag also darin, dass es landwirtschaftliche Züchtungsideale und eugenische Vorstellungen zu realisieren schien. Obwohl sich in Großbritannien nach dem ersten Weltkrieg die Haltung gegenüber Fragen der Sexualität veränderte und der Bedarf an reproduktionsphysiologischer Expertise stieg,196 ließ sich die artifizielle Insemination dennoch zunächst nicht durchsetzen. Während sich die artifizielle Insemination 190 191 192 193 194 195 196
Blackman, S. 163. Zum Beispiel bei Hammond, Die Kontrolle der Fruchtbarkeit, S. 545. Walton, Artificial Insemination, S. 19. Ders., Eutelegenesis. Brewer. Muller, Out of the Night, 1935. Borell, Organotherapy, S. 19–29.
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in den USA aufgrund der Eigeninitiative von Farmern schnell verbreitete,197 waren in Großbritannien 1942 erst zwei Versuchszentren eingerichtet worden, darunter das in Cambridge, und das Verfahren scheint stärker reglementiert gewesen zu sein.198 In den Quellen ist der Widerstand der Bullenzüchter greifbar, die um ihre Erträge fürchteten, und die Abwehr der Kirche, deren Vertreter die artifizielle Insemination als unnatürlich und unmoralisch ablehnten.199 Andererseits erhöhte sich nach dem ersten Weltkrieg der Zwang, möglichst schnell die Qualität der Herden zu verbessern. Sie waren stark dezimiert, weil während des Krieges die Viehproduktion zugunsten des Getreide- und Kartoffelanbaus eingeschränkt worden war.200 John Hammond erinnerte sich: »When I came back from the first world war, I could see there was need for rapid improvement in livestock, and that artificial insemination would be the thing. If we could inseminate large numbers of cows from our best bulls we should be able to get better dairy herds quickly. I had no facilities for doing anything with farm animals, and so I had to work with rabbits.«201
Dennoch waren die Widerstände auch in der Zwischenkriegszeit noch groß. Hammond und Marshall präsentierten die artifizielle Insemination daher nur vorsichtig als Behandlung von Sterilität.202 In seinem zeitgleich in Deutschland erschienenen Aufsatz beschrieb Hammond das Verfahren dagegen ausführlich und stellte es nüchtern als Zukunft einer ökonomisch betriebenen Viehzucht dar: »Zusammen mit einer schnellen Entwicklung des Flugzeugtransportes wird sich diese Methode auf langen Strecken als ein billigeres Mittel für die Ausbreitung der besten Stämme bewähren als der teuere Versand der Tiere selbst.«203 Der zweite Weltkrieg änderte die Bedingungen für die Einführung dieser Technologie in Großbritannien gravierend. Hammond im Interview: »Hudson, who was Minister of Agriculture at the time, came down to see us. He was a very blunt man. He said, ›Now look here, what have you chaps got for today? No good thinking about tomorrow – may not be a tomorrow!‹ (That was about Dunkirk time, you see.) So I immediately put up artificial insemination. Standing behind him was one of the Ministry men who in earlier years had turned it down twice on the grounds that though very spectacular, it had no commercial use. But Hudson said, ›Yes, all right, I’ll
197 Zwischen 1937 und 1946 wurden in den USA 608 »Artificial Breeding Accociations« in 34 Bundesstaaten gegründet. 1946 erfolgte die Gründung der NAAB (National Association of Animal Breeders), deren Geschichte eng mit der Verbreitung der künstlichen Insemination in den USA zusammenhing, Herman, S. 6–8. 198 Marshall u. Hammond, Fertility and Animal Breeding, S. 18–19. 199 Parkes, Interview mit John Hammond, S. 7–8. 200 Russel, S. 273–277; Whetham, S. 89–108; Paulmann, S. 510. 201 Parkes, Interview mit John Hammond, S. 6–7. 202 Marshall u. Hammond, The Physiology of Animal Breeding, S. 23–24. 203 Hammond, Die Kontrolle der Fruchtbarkeit, S. 545.
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get you some money. Set up a laboratory here in Cambridge and we’ll see how it works, and if you can make it work here, I’ll take it‹. And it did work.«204
Darauf hin verhandelte Hammond mit Bullenzüchtern und Kirchenvertretern bis sie ihren Widerstand aufgaben. So etwas, sagte Hammond, geschehe allerdings nur in Kriegszeiten. Schottland habe sich noch Jahre später gegen die artifizielle Insemination gewehrt.205 Die spezielle Ausrichtung der Forschung in den 1920er und zu Beginn der 1930er Jahre hing eng mit der Struktur der englischen Viehproduktion zusammen und wird besonders im Kontrast zu den sowjetischen Bedingungen deutlich. In der Sowjetunion hatte man es mit großen, quasi industriell betriebenen und staatlich geführten landwirtschaftlichen Einheiten zu tun, die so umfangreiche Viehbestände hatten, dass jeweils auch Bullen vorhanden waren. Hier ging es also vor allem darum, das Sperma dieser Zuchtbullen zu verdünnen, um damit die ganze Herde zu versorgen. Das geschah praktisch ohne größere zeitliche oder räumliche Distanz zwischen Ejakulation und Insemination. Walton schrieb 1933, die Technik, die er in seiner Monographie dargestellt habe, sei besonders auf die Verhältnisse in der UdSSR ausgerichtet, »where on ›collectivised‹ farms and at Government Breeding Centres a large number of animals can be brought together under unified control. Similar methods may be applicable in the British Dominions or Colonies where ranches exist, but in this country, as also on the continent of Europe, where farms are small and the number of animals belonging to each individual is limited, the methods described will not entirely meet requirements.«206
Doch auch für die englischen Verhältnisse sei die Methode von hohem Wert. Die Mehrheit der Farmen, auf denen Pferde gezüchtet würden, sei nicht groß genug, um die Haltung eines Hengstes zu ermöglichen. Das habe eine Praxis zur Folge, nach der entweder die Stuten zum Hengst gebracht würden, oder der Hengst durch den Distrikt reise, um die Stuten zu begatten. Experimente von Hammond hätten aber gezeigt, dass Stuten nur zu einem gewissen Zeitpunkt der Hitze optimal fruchtbar seien. Wenn sie zu einem willkürlichen Zeitpunkt begattet würden, bliebe ein Großteil der Versuche erfolglos: »If, however, semen from a stallion could be distributed by post or by road every few days or could be stored on the farm and the mare inseminated at intervals throughout the heat period, the chance of fertility would be greatly increased.« 207
Die Orientierung auf kleine Höfe mag dabei auch der besonders in der Zwischenkriegszeit in England und Wales betriebenen Politik zur Ansiedlung 204 205 206 207
Parkes, Interview mit John Hammond, S. 7. Ebd., S. 8. Walton, Artificial Insemination, S. 52. Ebd.; vgl. auch Hammond, Die Kontrolle der Fruchtbarkeit, S. 531–533.
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von Landarbeitern und städtischen Arbeitslosen auf Kleinbauernstellen geschuldet sein.208 Unter den englischen Verhältnissen jedenfalls musste man, anders als in der Sowjetunion, von einer Zeit- und Raumdifferenz zwischen Ejakulation und Insemination ausgehen, daher das vordringliche Forschungsinteresse an der Lagerung und Erhaltung der Befruchtungsfähigkeit von Sperma. In diesem Zusammenhang ist auch zu verstehen, dass Walton schon in den 1920er Jahren den ersten Versuch unternahm, Sperma per Post von Cambridge nach Edinburgh zu schicken, wo damit Kaninchen befruchtet wurden. 209 Aus der Struktur der britischen Landwirtschaft ergab sich die Notwendigkeit, nach Möglichkeiten zu suchen für das »survival of fertility of the spermatozoa outside the body«.210 Schon in den 1920er Jahren kooperierten die britischen und sowjetischen Forscher miteinander. Auch dafür musste die artifizielle Insemination standardisiert sein. Denn nicht nur die breite Anwendung, auch der Austausch über Methoden verlangt ihre »Transportabilität«, wie Joan Fujimura schreibt: »Technologies are highly transportable when tasks and procedures are standardized, that is, conventionalized and routinized. … What is done to which material for what reason or purpose and with which outcome are all built into the ›black box‹ of transportable technologies.«211
Hammond erinnerte sich, dass britische Publikationen in die Sowjetunion versand wurden und umgekehrt die russischen Forscher ihre Ausrüstungsgegenstände nach Cambridge schickten: »Walton and I tried it out and it worked perfectly well with cattle.«212 Während man sich in der UdSSR also auf die Gewinnung und Verdünnung von Sperma konzentrierte, ging es in Cambridge um dessen Konservierung, um es transportieren zu können. Die Zusammenarbeit ging aber über diese de facto vorliegende Aufgabenverteilung hinaus. Walton schrieb, die sowjetischen Experimente mit Kulturmedien seien von kurzen Zeitspannen zwischen Ejakulation und Insemination ausgegangen. 1930 wurde in Cambridge eine umfangreiche Versuchsserie zur Verlängerung der »fertilizing capacity« abgeschlossen, deren Ergebnisse 1931 sowjetische Forscher im Feldversuch in einer großen Sowchose testeten.213 Die Zusammenarbeit zwischen Cambridge und Moskau er208 Vgl. Paulmann. 209 Walton, Artificial Insemination, S. 8. 210 Ebd., S. 16. 211 Fujimura, The Molecular Biological Bandwagon, S. 278. 212 Parkes, Interview mit John Hammond, S. 7. 213 Walton, Artificial Insemination, S. 45. An anderer Stelle heißt es, die russischen Forscher hätten, indem sie die »›Cambridge‹ method« anwandten, Hammonds und Waltons Ergebnisse bestätigt, ebd., S. 16.
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laubte also, dass zumindest partiell Befunde aus Cambridge im Feldversuch in der Sowjetunion überprüft wurden, und umgekehrt erprobten die Briten sowjetische Instrumente und Kulturlösungen in Cambridge. Man kann also von einer engen und mit verteilten Rollen ausgespielten Forschungskooperation sprechen. Waltons Buch zur artifiziellen Insemination wies ihn als Spezialisten aus und unterstrich die internationale Bedeutung der School of Agriculture auf diesem Gebiet. Er wollte damit den Forschungsstand darlegen, aber vor allem internationale Standards festlegen. Diese Bemühungen, die sich auf das Verfahren, die verwendeten Instrumente und nicht zuletzt auf das Forschungsmaterial, das Sperma, erstreckten, waren sowohl Ergebnis als auch Grundlage einer engen Zusammenarbeit mit sowjetischen Forschern, erlaubten aber auch weitere Kooperationen. In Cambridge konzentrierte man sich auf die Lebensdauer der Spermatozoen, auf ihr »survival outside the body«. Die Handhabung von Keimzellen außerhalb des Körpers und die Untersuchung von Faktoren, die eine Verlängerung dieser in vitro- Zeitspanne erlaubten, waren, so wird im nächsten Abschnitt gezeigt, der zentrale Forschungsgegenstand. Genau dafür interessierte sich Gregory Pincus. Am 14. November 1928 bewarb er sich an zwei europäischen Instituten für einen insgesamt einjährigen Forschungsaufenthalt. Eines der Bewerbungsschreiben richtete er an Richard Goldschmidt am Kaiser-Wilhelm-Institut für Biologie in Berlin, das andere, deutlich kürzere, an John Hammond am Institute of Animal Nutrition, der School of Agriculture in Cambridge. Für Berlin fasste Pincus einen Aufenthalt von acht bis neun Monaten ins Auge, beschrieb ausführlich seine Forschungsinteressen im Anschluss an seine Dissertation, 214 nannte eigene Publikationen und formulierte eine konkrete Hypothese für die anvisierten Experimente im Berliner Labor zur Wirkung der Temperatur auf die Differenzierung von Sexualorganen. Damit bezog er sich auf die Arbeit von Goldschmidt, welcher die Entwicklung der Sexualorgane von Motten biochemisch beeinflusste, und auf eigene Forschungsinteressen.215 Der Brief nach Cambridge war erheblich kürzer, weniger differenziert und enthielt eine Anfrage für einen Aufenthalt von drei bis vier Monaten (tatsächlich verbrachte Pincus schließlich die meiste Zeit in Cambridge und nicht in Berlin). Als zu untersuchendes Problem schlug er vor, die Effekte der Alterung von Sperma und verschiedener Kulturmedien auf die Nachkommenschaft zu überprüfen. Er selbst habe an Ratten- und Mäusesperma beobachtet, dass des214 Pincus promovierte bei William Castle zur Vererbung der Fellfarbe bei Ratten, vgl. Pauly, Controlling Life, S. 186. Die Dissertation blieb unveröffentlicht: Pincus, Dissertation. Pincus publizierte aber einen Aufsatz zum Thema, Pincus, Norway Rat. 215 Gregory G. Pincus an Richard Goldschmidt, 14.11.1928, in: in: HUG 4308.5.
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sen Beweglichkeit erheblich abnehme, wenn die Lösung zu basisch oder zu sauer sei, und er fügte hinzu: »The rabbit is particularly favorable material for this sort of study, and I hope that I may benefit by your knowledge of the technique of artificial insemination. Further, it would be a great privilege to obtain an insight into the methods employed in your Laboratory in the study of the physiology of reproduction.« 216
Pincus war, so lässt sich aus dem Vergleich der Bewerbungsschreiben schließen, vor seinem Aufenthalt in Europa nicht auf die Reproduktionsphysiologie abonniert. Aber er interessierte sich für die experimentellen Techniken, durch die sich das Institut in Cambridge auszeichnete, zumal die Physiologie in Harvard sich stark an Jacques Loeb orientierte und Pincus sich für dessen Experimente zur artifiziellen Parthenogenese begeisterte. Die in Cambridge angestrebte Standardisierung der artifiziellen Insemination ermöglichte nicht nur die Verbreitung dieser Technik. Sie erleichterte auch den Transfer einzelner Verfahrens-Bestandteile in experimentelle Arrangements, die auf andere Problemstellungen zielten. Sie war damit eine Voraussetzung für die Verknotung unterschiedlicher Forschungsinteressen oder, in den Worten von Joan Fujimura, »it facilitated the flow of ressources among many different lines of work. People in one line of research could rapidly and relatively easily adopt ressources from another line of research and come to a common practice.«217
Genau diese »Adaptation« von Ressourcen lässt sich in der Kooperation zwischen Pincus und den britischen Forschern beobachten, die den Gegenstand des folgenden Abschnitts bildet.
3. Eine britisch-amerikanische Kooperation Der erste Aufsatz von Gregory Pincus, der in die Geschichte der IVF einging, erschien 1930 und beruht auf Experimenten, die er während seines Aufenthaltes an der School of Agriculture in Cambridge durchführte. Mit diesem Aufsatz habe er, so heißt es, die Möglichkeit der IVF an Kaninchen-Eizellen gezeigt.218 Sieht man sich den Text an, ist man überrascht von der vergleichsweise geringen Aufmerksamkeit, die Pincus diesen Befruchtungsversuchen widmete. »In
216 Gregory G. Pincus an John Hammond, 14.11.1928, in: in: HUG 4308.5. 217 Fujimura, The Molecular Biological Bandwagon, S. 279. 218 Biggers, S. 8–9. Für einen ausführlichen Forschungsüberblick vgl. die Einleitung.
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the course of certain observations on the fertilisation of rabbit ova in vitro«,219 so leitete er seinen Text ein, sei er auf die Tatsache gestoßen, dass unbefruchtete Eizellen eine gewisse Entwicklung vollzögen, die derjenigen von befruchteten Eizellen ähnele. Diese Entwicklung zu beobachten sei das vorrangige Ziel seiner Untersuchung.220 Pincus behauptete also, im Verlauf von Versuchen zur extrakorporalen Befruchtung auf ein spannendes Forschungsproblem gestoßen zu sein: Ihn interessierte das Verhalten unbefruchteter Eizellen unter in vitro- Bedingungen. Damit schloss er an die aufsehenerregenden Versuche von Jacques Loeb an, der 1899 Seeigel-Eizellen mit Hilfe von Chemikalien anstatt mit Sperma zur Entwicklung anregte und dafür den Begriff »künstliche Parthenogenese« prägte.221 Pincus war fasziniert von der Idee, die auch Loeb schon vorgeschwebt war, bei Säugetieren die Möglichkeit parthenogenetischer Entwicklung zu klären.222 Im Folgenden wird die Rolle der extrakorporalen Befruchtung im Aufsatz von Pincus analysiert und rekonstruiert, mit welchen Experimenten John Hammond und Arthur Walton beschäftigt waren, als Pincus in Cambridge eintraf. Auf diese Weise lassen sich Schnittstellen zwischen diesen Forschungen zeigen. Außerdem wird auf das in Cambridge bevorzugte Versuchstier eingegangen, mit dem Pincus in Harvard weiter arbeitete. Die spezifischen Abläufe der Ovulation und Befruchtung beim Kaninchen, so die These, beeinflussten die weiteren Experimente. Anschließend wird untersucht, wie sich die Forschungsinteressen von Pincus in Cambridge wandelten, welche Veränderungen sich in diesem Experimentalsystem durch die Zusammenarbeit zwischen den Forschern ergaben und was das für die Entwicklung einer Forschungslinie zur IVF bedeutete. Schließlich geht es um die Bedingungen, unter denen diese Vertreter heterogener Forschungskontexte kooperierten: Wie vollzog sich die Abstimmung gemeinsamer Interessen, und auf welche Gemeinsamkeiten konnte verzichtet werden? Anders formuliert: Über welche Prozeduren und kommunikativen Strukturen wurden die unterschiedlichen Forschungskontexte so vermittelt, dass in dieser Kooperation die Möglichkeit der extrakorporalen Befruchtung von Kaninchen-Eizellen entstand?
219 Pincus, Observations on the Living Eggs of the Rabbit, S. 132. 220 Ebd., S. 139. 221 Loeb. Parthenogenese bedeutet »Jungfernzeugung«. Es gibt verschiedene parthenogenetische Fortpflanzungsformen, gemeinsam ist ihnen die Fortpflanzung durch Eizellen, deren Entwicklung nicht durch die Befruchtung einer Samenzelle ausgelöst wurde, vgl. Ebeling, S. 116– 131. 222 Die Möglichkeit einer Anwendung der Parthenogenese auf den Menschen wurde von vornherein mitbedacht, Pauly, Controlling Life, S. 94.
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Das Forschungsprojekt von Pincus in Cambridge Pincus experimentelle Anordnung bestand im Kern aus vier Versuchsgruppen: Zwei Gruppen von Eizellen wurden in vivo befruchtet, eine entwickelte sich im weiblichen Genitaltrakt, die andere wurde dem Kaninchen entnommen und in vitro kultiviert. Die beiden Gruppen unbefruchteter Eizellen hatten dieselben Bedingungen: Eine Gruppe entwickelte sich im Genitaltrakt, die andere im Kulturmedium. Pincus Interesse richtete sich vor allem auf die unbefruchteten, in vitro kultivierten Eizellen. Dieser Abschnitt seines Aufsatzes ist am längsten gestaltet, die anderen Versuchsbedingungen bezeichnete er als Kontrollgruppen.223 Er beschrieb die Entwicklung der unbefruchteten Eizellen, nahm Gruppierungen in normale und degenerierte Entwicklungsprozesse vor und kam zu dem Schluss, dass die parthenogenetische Entwicklung von Säugetier-Eizellen prinzipiell möglich sei.224 In diesem Untersuchungsdesign gab es keine in vitro Fertilisierung, sondern nur eine in vitro Kultivierung von zuvor im Körper befruchteten Eizellen! Dennoch finden sich tatsächlich auch Versuche zur extrakorporalen Befruchtung von Eizellen in diesem Aufsatz. Diese lagen aber, so lässt sich zeigen, außerhalb des eigentlichen Forschungsinteresses von Pincus. Das erste Argument für diese Einschätzung ergibt sich aus der logischen Struktur des Aufsatzes. Das oben beschriebene Untersuchungsdesign ist in sich abgeschlossen und klar auf Pincus’ Forschungsfrage orientiert. Darin haben Versuche zur in vitro Fertilisierung keinen Platz, sie wirken wie angehängt. Hinzu kommt, dass Pincus ein gewisser Unwillen bei der Auswertung dieser Versuche anzumerken ist. Er schrieb, dass ihre Ergebnisse sich nicht wesentlich von denen unterschieden, die er mit unbefruchteten Eizellen erzielt habe: »One may detect from these data no difference between ova cultured with sperm and those without sperm.«225 Das zweite Argument für die These, dass Pincus kein vorrangiges Interesse an diesen Versuchen hatte, ergibt sich, wenn man den Aufsatz aus erkenntnistheoretischer Perspektive liest: Pincus wendete in diesem Teil nicht dasselbe Verfahren zur Erzeugung von Evidenz an wie im Zentrum seines Aufsatzes, sondern fällt in ein »älteres« Beweisverfahren zurück. Zu seiner Forschungsfrage nahm er eine dichte Dokumentation der Versuche mit Photographien und sogenannten »cinematographic records« vor. Schon in der Beschreibung der Versuchsanordnung fällt auf, dass sie auf Aufnahmen hin organisiert war: »A
223 Pincus, Observations on the Living Eggs, S. 137–138. 224 Ebd., S. 143. 225 Ebd., S. 150.
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hole was cut in the cotton wool directly under the watch glass to allow unobstructed illumination with a bright light when needed.«226 Die Photographien stellten für Pincus das Mittel dar, um Evidenz zu erzeugen. Er gestand zwar ein, dass das Verfahren nicht ohne Effekt auf das Untersuchungsobjekt bleibe, dennoch seien die Photographien »vertrauenswürdige Repräsentationen«.227 Im Text wird laufend auf die Photographien Bezug genommen. Das Verb »to photograph« hat an vielen Stellen genau den Platz eingenommen, den in embryologischen Texten des neunzehnten Jahrhunderts das Verb »beobachten« innehatte: Die Blastomeren hatten sich noch nicht gerundet »at the time of photographing«, die Eizelle teilte sich »as photographed« usw. 228 Die Evidenz konnte noch gesteigert werden, indem bei einigen Photos in der linken oder rechten oberen Ecke eine Uhr abgebildet wurde. Die unbezweifelbaren Beweise lagen sozusagen vor den Augen des Lesers. Im Abschnitt zur in vitro Fertilisierung finden sich dagegen nur wenige Bezüge auf Photographien, hier gehörte das Feld der Beobachtung, und zwar einer scheiternden Beobachtung: Es sei schwierig, die Penetration der Spermatozoen unter dem Mikroskop zu beobachten, die Follikel-Zellen verdeckten die Eizelle, sie selbst sei ständig in Bewegung.229 Eine praktische Erklärung könnte sein, dass Pincus – weil er nicht wirklich an der Fragestellung der in vitro Befruchtung interessiert war – sich kaum um Photographien oder Filmaufnahmen bemüht hatte. Solche »9-minute strips of film« sind nur abgebildet für eine (im Kaninchen) befruchtete Eizelle, welche sich in vitro entwickelte und für eine unbefruchtete Eizelle in vitro.230 Diese beiden Objekte gehörten in den Fokus seines Untersuchungsdesigns, die in vitro Befruchtung dagegen nicht. Für diese blieb ihm nur die »klassische« Beobachtung, und die war solchen Forschungsfragen nicht gewachsen: Die Prozesse liefen entweder zu schnell ab und seien verdeckt, oder sie verliefen so langsam, dass sie »Augendruck« (»considerable amount of eyestrain«) erzeugten, ohne dass interessante Ergebnisse erzielt würden.231 Hier könnte der Eindruck entstehen, dass ihm die extrakorporale Befruchtung von Eizellen zu schwierig erschien. Das Gegenteil ist wahrscheinlicher, sie war für sich genommen keine reizvolle Forschungsaufgabe und eher leicht zu handhaben, wie später noch argumentiert wird. Und schließlich – das ist das dritte Argument – wertete Pincus die Versuche nicht im Hinblick auf sein eigenes Forschungsinteresse aus, sondern stellte sie in Zusammenhang mit den Forschungen an der School of Agriculture. Bezogen auf den Zeitpunkt der Befruchtung schrieb er: »This finding is 226 227 228 229 230 231
Ebd., S. 133. Ebd., S. 140. Ebd., S. 140–141 und passim. Ebd., S. 148. Ebd., S. 147 mit Verweis auf die dem Aufsatz angefügten Abbildungen 16 und 17. Ebd., S. 149–150.
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of much interest in connection with recent studies … on the length of time the rabbit ovum is fertisable in vivo.«232 Dieses Forschungsinteresse in Cambridge und die dort durchgeführten Experimente sollen im Folgenden rekonstruiert werden.
Die Experimente von Hammond und Walton Die britische Agrarwissenschaft hatte 1929 eine gewisse Etablierung erreicht. 1899 war die School of Agriculture gegen einige Widerstände als Department der Universität in Cambridge akzeptiert worden, aber erst seit 1910 flossen staatliche Forschungsgelder in nennenswerter Höhe in die agrarwissenschaftlichen Institute Englands.233 Dennoch war deren Ausstattung nicht allzu üppig. Pincus schrieb im August 1929 an William Crozier über die Forscher in Cambridge: »They are much handicapped here by lack of space for animals and insufficient funds, but carry on as best they can. Then, too, they must produce certain results of practical importance for animal breeding.«234
Diese Situation bestimmte auch die Auswahl des Versuchsobjekts. In der School of Agriculture wurde vorzugsweise mit Kaninchen gearbeitet. Dieses sei ein vorzügliches Versuchstier für Fragen der Reproduktion, schrieb John Hammond, weil es billig und leicht unter Laborbedingungen zu halten sei, weil es sich ohne Zögern unter Beobachtung und bei Tageslicht paare, und weil es nie einen Zweifel darüber gebe, wenn der Akt stattgefunden habe. 235 In einem Interview, das John Hammond 1962 gab, betonte er das ökonomische Kriterium: »We had not much money in those days and I had to work mainly with the rabbit. For the larger animals, all I could do was to go to the slaughter houses and collect reproductive organs and study them.« 236
Hinzu kam, dass die Ovulation beim Kaninchen eine Besonderheit aufwies, die seit einer Arbeit von Walter Heape aus dem Jahr 1905 bekannt war. Heape hatte gezeigt, dass die Ovulation durch die Begattung ausgelöst wird und etwa 232 Ebd., S. 151. 233 Die Universitätsleitung zeigte sich zunächst widerwillig, eine agrarwissenschaftliche Abteilung als Bestandteil der Universität zu akzeptieren, Russel, S. 201–205. Diese Ablehnung drückte sich auch darin aus, dass Studenten die Einführung in die Agrarwissenschaft als ›dung special‹ bezeichneten, ebd., S. 205. Für das erstmalige Fließen von staatlichen Forschungsgeldern in nennenswerter Höhe vgl. ebd., S. 268–271; Vernon. 234 Gregory G. Pincus an William J. Crozier, 10.8.1929, in: HUG 4308.5. 235 Hammond u. Marshall, Reproduction in the Rabbit, S. 1. 236 Parkes, Interview mit John Hammond, S. 2.
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10 Stunden nach dieser erfolgt.237 Das Kaninchen eignete sich also nicht nur besonders gut als Labortier, weil die Haltung bequem und billig war und es sich bereitwillig und häufig paarte, ein Umstand, der auch für andere kleine Säugetiere zutraf, sondern auch deshalb, weil es sich ideal in die Arbeitsabläufe des Labors einfügte. Hammond hatte verschiedene Versuchstiere ausprobiert: »But because of ovulation being induced by copulation you can time things beautifully in the rabbit, far better than in rats with which you have to sit up all night to watch them come on heat. I could mate rabbits any time of the week I liked, and so we took to the rabbit … for fertility work.«238
Nelly Oudshoorn schreibt, dass die Wahl von Forschungsobjekten und -verfahren maßgeblich bestimmt wird durch die Frage, ob sie sich leicht in die täglichen Forschungsroutinen integrieren lassen. Das gilt besonders für die Wahl des Versuchstieres: »Obviously, these peculiarities of daily practices in the laboratory are a major factor in structuring the activities and choices of scientists.« 239 Aus der Tatsache, dass sich die Ovulation beim Kaninchen auslösen und zeitlich bestimmen ließ, hatte John Hammond einen experimentellen Kniff entwickelt, um Aussagen über den Zeitraum zu treffen, in dem eine SäugetierEizelle befruchtet werden kann. Er ließ Kaninchenweibchen durch sterilisierte Böcke begatten, löste also auf diese Weise die Ovulation aus, und schloss dann weitere Begattungen mit nicht-sterilisierten Böcken an. Auf diese Weise wollte er die Dauer der möglichen Befruchtung und den optimalen Zeitpunkt, bezogen auf die Größe des Wurfs, bestimmen.240 Diese experimentelle Idee (»his ingenious method«241) hatte Gregory Pincus in seinen Experimenten übernommen, allerdings um unbefruchtete Eizellen von Kaninchen zu gewinnen. Die preiswerte Haltung und die Anpassungsfähigkeit dieses Versuchstieres an die Bedingungen im Labor erklären im übrigen, warum Kaninchen in der Forschung zur Reproduktion von Säugetieren eine so große Rolle spielten, auch in der weiteren Arbeit von Gregory Pincus. Dabei wurde durchaus gesehen, dass die Festlegung auf ein Versuchstier Risiken barg, wenn es um die Verallgemeinerung von Ergebnissen ging. Alan Parkes, ein früherer Student von Hammond, schrieb in seiner Antrittsvorlesung 1962 in Cambridge, dass der reproduktive Zyklus von Säugetieren große Variationen aufweise: »I some237 Heape, Ova in the Rabbit. Vgl. zur Bedeutung dieser Arbeit Parkes, Prospect and Retrospect, S. 71. Gruhn und Kazer schreiben, dass schon 1797 bekannt war, dass die Ovulation beim Kaninchen nach dem Koitus erfolgt, Gruhn u. Kazer, S. 46. 238 Parkes, Interview mit John Hammond, S. 3. 239 Oudshoorn, S. 52. Außerdem gebe es gruppenspezifische Kriterien: Gynäkologen bevorzugten menschliche Ovarien, die sie aus Operationen gewannen, während Physiologen gerne mit Kaninchen und Meerschweinchen bzw. später mit Ratten und Mäusen arbeiteten, ebd., S. 67. 240 Pincus, Observations on the Living Eggs, S. 151 mit Verweis auf Hammond, Die Kontrolle der Fruchtbarkeit. 241 Pincus, Observations on the Living Eggs, S. 151.
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times wonder how our views on the physiology of reproduction in mammals would have developed had they been based not on domestic and laboratory animals but on seals, bats, elephants, and the like.«242 Nicht lange, bevor Gregory Pincus nach Cambridge kam, wurde dort eine Versuchsserie zur Ovulation beim Kaninchen abgeschlossen.243 Bei diesen Versuchen wurde in direkter Beobachtung des (noch) lebenden Kaninchens der exakte Zeitpunkt der Ovulation bestimmt, der zwischen 9 ¾ und 13 ½ Stunden nach dem Koitus variierte. Außerdem ging es Hammond und Walton um die histologische Untersuchung von Follikeln.244 Um den Prozess der Ovulation zu beobachten, wurden die Kaninchenweibchen kurz vor Ablauf von 10 Stunden nach dem Koitus anästhetisiert, aufgeschnitten und ihre Eierstöcke durch ein »binocular dissecting microscope« beobachtet. Dann wurden sie getötet und die Ovarien in Formalin fixiert. Es ging Hammond und Walton bei diesen Versuchen nicht um die Eizelle. Aber in der Beschreibung des Prozesses wird deutlich, dass man in Cambridge über die Erfahrung und Technik verfügte, Eizellen zu »extrahieren«, indem sie mit feinen Pipetten direkt nach dem Verlassen des Eierstocks aufgefangen wurden.245 Denkbar ist, dass die gewonnen Eizellen in anderen Experimenten »weiterverarbeitet« wurden. Darüber wurde allerdings nichts ausgesagt. Eine Reihe von weiteren Versuchen in Cambridge kreisten um das Problem der Fruchtbarkeit. Sie waren alle relevant für die Viehzucht im Allgemeinen, aber auch für die artifizielle Insemination im Besonderen. Walton arbeitete beispielsweise an einer Untersuchung zum Spermiengehalt des Samens von Pferden, während Hammond und Sanders zur Fruchtbarkeit der Stute forschten. Das experimentelle Verfahren, das bei Kaninchen angewendet wurde, die Paarung mit sterilisierten männlichen Tieren und darauf folgende Paarungen mit fruchtbaren Tieren, wurde auch auf andere Spezies übertragen. 246 Im Zentrum der Forschungen stand allerdings eine mehrere Jahre andauernde, hauptsächlich durch das Ministerium für Landwirtschaft und Fischerei finanzierte Versuchsreihe zur Befruchtungskapazität von Spermatozoen,247 die Walton als den spezifischen Beitrag seines Labors zur Entwicklung der artifiziellen Insemination betrachtete. 1926 hatten Hammond und er eine parallele Serie von Experimenten zum Einfluss der Temperatur auf die Erhaltung der Befruchtungsfähigkeit von Spermatozoen begonnen. 1933 schrieb er dazu: 242 Parkes, Prospect and Retrospect, S. 74. 243 Walton u. Hammond. 244 Ebd., S. 193–194. 245 Ebd., S. 194. 246 Für einen Forschungsüberblick vgl. Hammond, Die Kontrolle der Fruchtbarkeit, S. 530– 532, S. 534. 247 Hammond, The Effect of Temperature; Walton, The Effect of Temperature.
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»In order to demonstrate the practical applicability of the method, spermatozoa of the rabbit were sent from Cambridge to Edinburgh by post and tested for fertility with complete success.«248
Die Identifizierung (und Manipulation) der Faktoren, welche die Lebensdauer der männlichen Keimzellen verlängerten, war entscheidend für den Erfolg der artifiziellen Insemination als rationeller Zuchtmethode in Großbritannien: »The vitality of the mammalian sperm outside the body is important from the point of view of artificial insemination. The latter has been up to now used mainly as a cure for sterility rather than as a method in normal breeding for extending the use of the best sires. A knowledge of the factors affecting the vitality of the sperm outside the body is essential to the success of this method of breeding, which may in the future play an important part in the improvement of livestock, for with the development of rapid aeroplane transport long distances can be covered in a short time and the transportation of semen would be far less expensive than the transport of breeding animals.«249
Die Gewinnung des Spermas, schrieb John Hammond, sei simpel. Das Kaninchen werde nach dem Koitus getötet, um eine Kontamination mit Urin beim Auffangen des Spermas zu vermeiden.250 Das Sperma wurde verschiedenen Temperaturen ausgesetzt: 0 °C, 5 °C, 10 °C, 15°C und 35 °C. Um Differenzen der Proben auszugleichen, wurde jedes Weibchen (»collecting doe«251) von drei oder vier verschiedenen Männchen begattet. Außerdem waren die Männchen 4 bis 7 Stunden vorher gleichermaßen nicht benutzt worden, um möglichst alle relevanten Faktoren konstant zu halten.252 Die Ergebnisse der Experimente wurden in aufwändigen Tabellen festgehalten. Die optimale Temperatur bezogen auf die Zahl der Kaninchen-Weibchen, die Junge gebaren, war 10 °C. Hier blieb das Sperma bis zu 96 Stunden nach der Ejakulation fruchtbar.253 Wenn die Fruchtbarkeit in der Größe des erzielten Wurfes gemessen wurde, nahm sie über die Dauer der Lagerzeit des verwendeten Spermas ab. Allerdings steige, so Hammond, in kleinen Würfen das Geburtsgewicht der Jungen und sie seien besser ausgebildet, u. a. weil die Schwangerschaft länger anhalte.254 Walton hatte mit etwas abgeänderten Versuchsbedingungen gearbeitet und das Sperma nicht aus der Vagina des weiblichen Tieres, sondern direkt aus den männlichen Genitalien gewonnen und es unter Paraffin, also Luftabschluss 248 249 250 251 252 253 254
Walton, Artificial Insemination, S. 8. Hammond, The Effect of Temperature, S. 175, Hervorhebung von mir. Ebd., S. 176. Ebd., S. 177. Ebd., S. 178. Ebd. Ebd., S. 179–184.
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gelagert.255 Die Differenzen zwischen Hammonds und Waltons Ergebnissen zeigten, schrieb Hammond, dass noch weitere Faktoren für die Haltbarkeit von Spermatozoen untersucht werden müssten. Das sei insbesondere relevant für die praktische Anwendung der Ergebnisse. 256 Als Pincus im Juli 1929 in Cambridge eintraf, befand sich dieses Forschungsprojekt gerade in seiner Abschlussphase. Die beiden Aufsätze von Hammond und Walton wurden am 13. September beim »Journal of Experimental Biology« eingereicht. Es handelte sich dabei klar um Anwendungsforschung, aber John Hammond sah auch einen Nutzen für die Grundlagenforschung bzw. allgemeinere Fragen der Reproduktionsphysiologie: »In addition to this practical aspect of the question the problem is that of the factors affecting the life of the mammalian cell detached from the body and as such forms a convenient study of the optimum conditions for life.« 257
Das allgemeine Interesse an den optimalen Lebensbedingungen von Keimzellen außerhalb des Körpers stellte in den folgenden Monaten die Möglichkeit dar, zwischen dem sich entwickelnden Interesse von Pincus an der künstlichen Parthenogenese und den Forschungsinteressen von Hammond und Walton zu vermitteln. Sie waren der gemeinsame Nenner der Versuche, denn auch Pincus ging es darum, die (unbefruchteten, aber manipulierten) Eizellen möglichst lange im Kulturmedium zu erhalten. Im Rahmen dieses gemeinsamen Interesses entstand die Möglichkeit, Säugetier-Eizellen außerhalb des Körpers zu befruchten.
Konzentration auf die Eizelle Als Pincus im Juli 1929 in Cambridge eintraf, schrieb er an Crozier: »I am just now in the throes of preparing apparatus, becoming acquainted with methods and customs.«258 Er äußerte sich zwar kritisch, Walton und Hammond seien mit »ziemlich rohen« Temperatur-Experimenten zur Befruchtungskapazität von Kaninchen-Sperma beschäftigt, immerhin sei es aber interessant, die extreme Abhängigkeit der Befruchtungskapazität von der Temperatur festzustellen.
255 Walton, The Effect of Temperature. 256 Die Einstellung der Temperatur stellte ein Problem dar und ließ sich am ehesten bei 0 °C im Eisfach gewährleisten. Ansonsten erfolgte die Regulierung »by opening the doors and getting draughts or by heating the room«, ebd., S. 176–177. Daher war es wichtig, andere Faktoren so zu beeinflussen, dass man mit 0 °C arbeiten konnte, vgl. ebd., S. 179–184. 257 Ebd., S. 175. 258 Gregory G. Pincus an William J. Crozier, 25.7.1929, in: HUG 4308.5.
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Er fügte sich in die Arbeitsprozesse des Labors ein, orientierte sich zunächst an der Fokussierung auf Sperma und begann, sich mit den dort praktizierten Verfahren vertraut zu machen. Da er auf ein Thermostat warte, könne er die wichtigsten Experimente gerade nicht durchführen: »In the meantime I practise sperm isolation, insemination (artificial!), and the extraction of rabbit eggs etc.«259 Er betrachtete diese Versuche als Training für den Umgang mit Keimzellen auf dem Labortisch. Im Laufe des Spätsommers 1929 begann Pincus eine lange Serie von Experimenten mit Kaninchen-Eizellen und wandte seine Aufmerksamkeit von Spermatozoen ab. Am 12. November 1929 schrieb er an William Crozier, seine Arbeit sei weiter fortgeschritten als erwartet. Die Versuche mit KaninchenEizellen hätten sich in solchem Umfang weiter entwickelt, dass er jede Idee aufgegeben hätte, über Sperma zu arbeiten und das auf später verschiebe.260 In diesem Brief teilte Pincus seine gewandelten Forschungsinteressen mit. Er beschäftige sich (1) mit der Frage des exakten Zeitpunkts der Befruchtung von Eizellen in fruchtbaren Begattungen und (2) der Geschichte und Befruchtungsfähigkeit von Eizellen verschiedenen Alters aus sterilen Begattungen, also der Entwicklung unbefruchteter Eizellen, zu denen er »repeated experiments, careful culture and observation in vitro, and the taking of a long series of photographs«261 durchführte. Weiter heißt es: »In addition I’ve managed to induce what I consider a genuine Parthenogenesis. Unfertilized rabbit eggs are washed out of the tubes and allowed to remain at room temperature in a physiological salt solution for 2–4 hours; they are then incubated and the majority of the eggs segment in quite normal fashion. This is my latest development and requires more extensive inquiry. I plan to employ a number of other methods«. 262
Er wolle die Angelegenheit durch cytologische Untersuchungen und vorsichtige Kontrollen überprüfen und die Eizellen in Kaninchenweibchen re-implantieren, um ihre Entwicklung in vivo und in vitro zu verfolgen.263 Pincus entwickelte also auf der Grundlage der in Cambridge angewendeten Techniken ein eigenes Forschungsinteresse und fokussierte damit auf einen anderen Gegenstand als Hammond und Walton. Er war in erster Linie daran interessiert, Techniken im Umgang mit den Keimzellen von Säugetieren zu erlernen, und zwar für die Manipulation unbefruchteter Eizellen auf dem Labortisch. An Crozier schrieb er: »I consider my work here as a training in the technique of handling mammalian germ cells«.264 259 260 261 262 263 264
Gregory G. Pincus an William J. Crozier, 10.8.1929, in: HUG 4308.5. Gregory G. Pincus an William J. Crozier, 12.11.1929, in: HUG 4308.5. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.
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Das Ziel des Erlernens dieser Techniken war die künstliche Parthenogenese. Begeistert berichtete er Crozier über die Manipulation unbefruchteter Eizellen: »Such experimentation has reached a stage wherein I can with some exactitude predict the course of development of a given type of ovum in vitro. Certain of the parthenogenetic ova are so interesting that I shall probably take a moving picture film with Dr. Canti of their continuous development. I am now busy producing (1) triploid eggs (2) diploid females, (3) haploid eggs, and (4) merogonic eggs.«265
Dieser Forschungsgegenstand rückte so sehr in den Mittelpunkt seiner Interessen, dass er auch nach seiner Abreise aus Cambridge am 15. Februar 1930 nicht mehr davon abließ. Er nutzte seine freie Zeit in Berlin, um die Literatur zur Parthenogenese zu sichten und schrieb an Crozier: »It is my opinion that Loeb stopped too soon, and it is strange how inconsequent is most of the literature printed since his day. It seems to me the most peculiar chapter in all the story of general physiology, written in part brilliantly by a master, then taken up by plodding, unimaginative minds and thereafter like their minds, plodding and unimaginative.«266
Schon früh tauchten in den Briefen an Crozier auch Versuche zur extrakorporporalen Befruchtung von Kaninchen-Eizellen auf. Am 12. September 1929 schrieb Pincus: »I’ve been attempting to obtain fertilization of the rabbit ova in vitro.« Drei erfolglose Versuche hätten ihn dazu gebracht, den exakten Zeitpunkt der Befruchtung innerhalb des Körpers zu suchen. Es gebe eine Periode von zwei Stunden nach der Ovulation, in der keine Befruchtung stattfinde trotz des Vorhandenseins von Spermatozoen. Das erkläre, warum seine ersten Experimente fehlgeschlagen waren, der Befruchtungsversuch erfolgte zu früh. 267 In vitro Fertilisierungen waren aber nicht sein eigentliches Forschungsziel, sie spielten die Rolle von Vorversuchen. Im Anschluss an die Schilderung dieser Experimente schrieb er: »All this is really preliminary to attempts at artificial parthenogenesis.«268 Zur weiteren Entwicklung der Parthenogenese führte er gemeinsam mit Hammond auch erste, allerdings erfolglose Versuche zum Transfer von Eizellen in die Eileiter von Kaninchen durch.269 Auch aus dem Briefwechsel zwischen Pincus und Crozier ergibt sich also, dass Pincus nicht an der in vitro Befruchtung von Eizellen interessiert war. Überdies betrachtete er sie nicht als größere experimentelle Herausforderung. Zur Technik schrieb er in seinem Aufsatz: 265 266 267 268 269
Gregory G. Pincus an William J. Crozier, 9.12.1929, in: HUG 4308.5. Gregory G. Pincus an William J. Crozier, 6.4.1930, in: HUG 4308.5. Gregory G. Pincus an William J. Crozier, 12.9.1929, in: HUG 4308.5. Ebd. Ebd.
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»The technique of insemination in vitro may be outlined as follows. … A small drop of sperm is squeezed out of the vas deferens on to a sterile watch glass, and this sperm suspension is picked up by a very fine sterile capillary pipette. The sperm suspension is expelled from the pipette on to the culture clot in the immediate vicinity of the ova. The latter operation can be carried on under the dissecting microscope. If the suspension is a ›good‹ one the sperm become immediately active on being placed in culture; they spread out in all directions from the original drop, and remain active for a long time.« 270
Diese Technik stellte im Rahmen der ohnehin an der School of Agriculture ausgeübten Verfahren keine besonders hohen experimentellen Anforderungen. Schon am 21. Oktober 1929 hatte Pincus an Crozier geschrieben: »Fertilization of rabbit eggs in vitro is now an accepted affair. My concern now is to see whether such eggs can be injected into rabbit does and recovered as young. If they can continue development the way for the study of parthenogenetic eggs is quite open.« 271
Allerdings kann man vermuten, dass John Hammond und Arthur Walton diese Befruchtungsversuche aufmerksam verfolgten, weil sie ein anwendungsrelevantes Interesse am optimalen Befruchtungszeitpunkt einer Säugetier-Eizelle hatten. Diese Frage spielte eine wichtige Rolle für die Effektivierung der artifiziellen Insemination, war aber auch interessant für die konventionelle Züchtung. Der Zusammenhang der Versuche von Pincus mit der artifiziellen Insemination lässt sich auch auf der Ebene des Diskurses feststellen. Den entsprechenden Abschnitt in seinem Aufsatz betitelte Pincus mit »The Fertilisable Condition of Rabbit Ova«.272 Im Text sind die Hinweise noch deutlicher: Von »fertilised ova« sprach Pincus an den Stellen, an denen er die in vivo befruchteten Eizellen meinte.273 Die Befruchtung auf dem Labortisch nannte er dagegen »insemination in vitro« und stellte damit eine deutliche Verbindung zur artifiziellen Insemination her.274 Die Versuche zur in vitro Fertilisierung von Kaninchen-Eizellen waren also nichts anderes als die Ausdehnung der artifiziellen Insemination auf die Eizelle. Auch sie war nun einem »artifiziellen Befruchtungsverfahren« ausgesetzt, welches 1929 aber nur insofern relevant war, als sich damit die Befruchtungskapazität der Eizelle überprüfen ließ.
Artificial Insemination als »unscharfer Begriff« Im Labor der School of Agriculture trafen 1929 zwei Forschungskontexte aufeinander, die Gemeinsamkeiten hatten. Waltons Forschungsideal war das ei270 271 272 273 274
Pincus, Observations on the Living Eggs, S. 148. Gregory G. Pincus an William J. Crozier, 21.10.1929, in: HUG 4308.5. Pincus, Observations on the Living Eggs, S. 148. Ebd., S. 136,137. Ebd., S. 148, 149, 156.
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ner experimentellen Forschung, die zu quantitativen, mathematisierbaren Daten führt, was dem Forschungsstil in der School of Agriculture generell entsprach.275 Hier gebe es noch großen Bedarf, schrieb er: »Unfortunately quantitative data are almost entirely wanting, for only in a few instances has the subject been experimentally investigated.«276 Dieses Forschungsideal und das Bestreben, Naturvorgänge einer rationalen Kontrolle zu unterwerfen, waren beiden Forschungskontexten gemeinsam. Dennoch ist die Heterogenität dieser sozialen Welten nicht zu übersehen. Waren die britischen Forscher explizit und ausschließlich auf anwendungsrelevante Ergebnisse verpflichtet, entstammte Pincus dem Milieu einer auf Grundlagenforschung orientierten Eliteuniversität. Seine Arbeit bezog sich auf den theoretischen Kontext der Allgemeinen Physiologie in Harvard, der es allgemein um die Manipulation und Kontrolle von Lebensvorgängen ging. Konkret suchte er nach dem Beweis für eine Theorie, die auf Jacques Loeb zurückging und auf die Kontrolle der Reproduktion von Säugetieren abzielte. Diese Heterogenität war den Beteiligten bewusst. Bedauerte Pincus auf der einen Seite die Restriktionen des Anwendungsdiktats, wurde er umgekehrt von den Briten als Vertreter der Grundlagenforschung wahrgenommen, der eine Bereicherung darstellte.277 Pincus befürchtete sogar, den Bezug zu seiner »Schule« zu verlieren. Am 12. November 1929 schrieb er an Crozier, dass er hoffentlich nicht den Eindruck erwecke, seine Aktivitäten in Cambridge bewegten sich von den gemeinsamen Interessen der Allgemeinen Physiologie weg. Denn er habe im Gegenteil das Gefühl, eine Theorie zu testen, »which holds that a man who has had a thorough and illuminating training in experimental biology (or better, general physiology) can scarcely help knowing the right things to do. In other words I hold that our training in attitude at the G. P. Lab at Harvard has been in many ways more important than our accomplishment.« 278
Damit unterstrich er zum einen die Bedeutung seiner Versuche für die theoretische Ausrichtung der Allgemeinen Physiologie, zum anderen betonte er die ganz spezifischen, kulturellen Merkmale dieses Forschungsmilieus und der ihm entstammenden Wissenschaftler mit ihrem selbstbewussten, manchmal aggressiven Herangehen an Forschungsprobleme. Pincus schrieb, er habe in England die Möglichkeit, die »attitudes« der dortigen Biologen zu studieren. Außer ein, zwei Leuten gäbe es dort keine »allgemeinen Physiologen«, die am Organismus als Ganzem interessiert seien.279 275 Es gab hier früh ein Bemühen um exakte, quantitative Daten, Russell, S. 283–284. 276 Walton, Artificial Insemination, S. 11. 277 Marshall versuchte sogar, Pincus zur Ausdehnung seines Forschungsaufenthaltes zu bewegen, Gregory G. Pincus an William J. Crozier, 12.11.1929, in: HUG 4308.5. 278 Ebd., Unterstreichung im Text. 279 Ebd.
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Fast erstaunt stellte er fest, dass er ausgerechnet in der agrarwissenschaftlichen Forschung auf eine Orientierung traf, die sich mit seiner vermitteln ließ: »Curiously enough, the only people who, in my opinion, have been doing any concerted work toward understanding the integrated functioning of an animal are the members of the department in which I am working, and they, alas, not effectually, too often for reasons beyond their own control. Hammond, for example, has a number of very clear and honest ideas about experimental biology, but he is an employe of the government and must turn out work of ›practical‹ consequense, lecture to farmers, attend dairy shows etc. etc. He and Dr. Marshall welcome, enthusiastically, my coming here as giving them an opportunity to have studied matters of a ›scientific‹ nature in their field.«280
Wie man sich die Situation in Hammonds Labor und die Übersetzungsprozesse zwischen diesen verschiedenen Forschern konkret vorstellen kann, wird im Interview mit John Hammond deutlich, der eine Gesprächssituation während einer Sektion schilderte: »P. [Parkes] And every now and then you used to mobilize all your research students and have them dissect a carcass completely. H. [Hammond] It was one of the most interesting, and I think very valuable, experiences for a research student. All the research students were pulled in whatever they were doing, and we sat round dissecting fat, muscle and bone … and the talk went on! P. I heard some of it! H. We developed quite a lot of theories during those sessions.«281
Es wurde also ein intensiver, organisierter und zugleich assoziativer Austausch mit jungen Wissenschaftlern gepflegt. Die Versammlung um den Sektionstisch erinnert an die »trading zone« Peter Galisons, sie ist ein lokaler Kontext der Kooperation, in dem der Austausch von Mitgliedern verschiedener Subkulturen oder sozialer Welten möglich wird. Die Kommunikation benötigte keine globale Übersetzung zwischen den beteiligten Kulturen, sondern die Wissenschaftler agierten wie »Händler, die Teile von interpretierten Systemen mit Teilen anderer Systeme koordinierten.«282 Der Aufenthalt von Pincus in Hammonds Labor war kein Einzelfall. Eine große Zahl von jungen, auch ausländischen Nachwuchswissenschaftlern besuchte das Labor. Voraussetzung für die erfolgreiche Kooperation war auch die Flexibilität der Gastgeber, die es zuließ, dass die Forscher an ihren eigenen Problemen arbeiteten, wobei zugleich eine Anbindung ans Labor durch die 280 Ebd. 281 Parkes, Interview mit John Hammond, S. 4. 282 Galison, S. 47.
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Beratung von John Hammond erfolgte. Parkes befragte Hammond, wie er den Umgang mit Besuchern handhabte: »Very simply – made them stand on their own feet. When a new research student arrived, I suggested two or three different problems to him, showed him where he could read up about them and told him to come back when he had decided which he would like to tackle. When he’d done that, I gave him all the advice and facilities I could and then left him to get on with it.«283
Die »unscharfen Begriffe« der artificial fertilization bzw. insemination stellten im Fall von Pincus die kommunikativen Schnittstellen dar. Die Begriffe waren konkret genug, um Experimente in Gang zu setzen und zugleich so flexibel, dass sie unterschiedliche Forschungsinteressen aufnahmen.284 Mit diesen Begriffen konnte die extrakorporale Befruchtung von Kaninchen-Eizellen zur Überprüfung ihrer Befruchtungskapazität angesprochen sein, aber auch die Versuche zur Parthenogenese. Ilana Löwy vertritt die These, »dass ›unscharfe Objekte‹ besonders dort Allianzen zwischen Forschergruppen und föderative Experimentalstrategien zwischen Wissenschaftsbereichen schaffen, wo eine hohe strategische Unsicherheit sich paart mit einer geringen technischen Ungewissheit in der Aufgabenbestimmung. In solchen Fällen wird die Zusammenarbeit mit anderen Gruppen durch eine geringe Übereinstimmung über die Forschungsziele beeinträchtigt. Wenn sich jedoch dieses anfängliche Hindernis durch lose definierte ›unscharfe Objekte‹ überwinden lässt, können die Beteiligten sich auf einen Fundus gemeinsamer technischer Lösungen stützen und damit die Fortsetzung ihrer Arbeit gewährleisten.«285
Über diese unscharfen Begriffe ließ sich die Arbeit zwischen Pincus und den Forschern in Cambridge vermitteln, die nicht nur verschiedene Forschungsmilieus repräsentierten, sondern auch unterschiedliche Forschungsgegenstände fokussierten. Die Briten waren auf die Weiterentwicklung der artifiziellen Insemination und die Handhabung von Sperma konzentriert und pflegten einen vielleicht über experimentelle Feinheiten hinweggehenden, aber durch den Anwendungsdruck rigorosen und zielgerichteten Forschungsstil. Sie waren geübt und erfahren in der Handhabung experimenteller Techniken im Umgang mit den Keimzellen von Säugetieren. Pincus trug eine neue Perspektive bei. Mit seinen an den theoretischen Vorgaben der Allgemeinen Physiologie in Harvard orientierten Forschungsbemühungen um die artifizielle Parthenogenese lenkte er die Aufmerksamkeit auf die Eizelle. Indem diese Forschungsfragen in einem Labor aufeinander trafen, 283 Parkes, Interview mit John Hammond, S. 10. 284 Noch 1936 fand ein Changieren zwischen den Begriffen der Insemination und Fertilisation statt, es hatte sich kein fester Begriff der in vitro Fertilisation gebildet, vgl. Pincus u. Enzmann, The Activation of Tubal Eggs of the Rabbit, S. 197, 206, 207. 285 Löwy, S. 203.
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tat sich eine experimentelle Möglichkeit auf, deren Konsequenzen 1929/30 von den Beteiligten nicht abgeschätzt wurde: die extrakorporale Befruchtung von Säugetier-Eizellen. Diese Versuche waren nicht als eigenständiger Forschungsgegenstand konzeptualisiert. Experimentalsysteme, schreibt Hans-Jörg Rheinberger, beziehen ihre Dynamik eben nicht aus einem antizipierten Abschluss, sondern »einerseits aus interner Fluktuation, andererseits aber auch aus ihrer quasi-ökologischen Vernetzung und Vernischung mit und in Abgrenzung von anderen, sie umgebenden Experimentalsystemen.«286 Die Möglichkeit der Befruchtung von Säugetier-Eizellen auf dem Labortisch war in den Forschungen in Cambridge gerade nicht angestrebt worden, sondern ergab sich als ein »zufälliger« Überschuss der eigentlichen Forschungsinteressen: »Was bei der Betrachtung eines bestimmten epistemischen Dings wie Hintergrundrauschen erscheint, kann im Verlauf der weiteren Kette von Transformationen dieses Dings plötzlich eine unerwartete Bedeutung annehmen.«287 Erst in der Rückschau wurde die Bedeutung dieser Versuche betont, auch von den Beteiligten. 1946 erinnerten sich John Hammond und Francis H. A. Marshall an den Forschungsaufenthalt von Pincus in Cambridge und es ist bemerkenswert, dass sie einerseits die spezifische Verlagerung der Aufmerksamkeit auf die Eizelle markierten, die mit Pincus Versuchen einherging, zugleich aber diesen Versuchen fälschlicherweise bereits hormonelle Verfahren unterstellten – eine Entwicklung, die erst in den 1930ern erfolgte und Gegenstand des nächsten Abschnitts sein wird. Die Anwendung der artifiziellen Insemination mit qualitativ hochwertigen Bullen hatte beträchtliche ökonomische Vorteile, schrieben sie, und weiter: »The first steps towards a similar extension of the reproductive powers of good genetic stock on the female side were begun in 1929 by G. Pincus, a visiting National Research Council fellow from Harvard University, who, following work initiated by Heape, cultivated the fertilized eggs of the rabbit outside the body and later successfully transplanted them into other does. By the use of the anterior pituitary hormones … he was able to obtain up to fifty or more fertilized eggs at one time for this purpose. These experiments have yet to be extended to farm animals, in which its possibilities are great.«288
Diese retrospektive Zusammenfassung, so K. J. Betteridge, sei ein wenig »kondensiert«, weil Pincus in den Versuchen um 1929 keine Superovulation induziert hatte und auch in seiner Veröffentlichung keinen Einsatz von Hormonen erwähnte.289 286 287 288 289
Rheinberger, Experimentalsysteme und epistemische Dinge, S. 146. Ebd., S. 145. Marshall u. Hammond, The Science of Animal Breeding, S. 19. Betteridge, S. 5.
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Dennoch ist die Rückschau von Hammond und Marshall auf die damals 16 Jahre zurückliegenden Versuche von Pincus aufschlussreich. Die beiden Briten sahen nicht die Parthenogenese-Versuche als bedeutend an, sondern die Versuche zur in vitro Befruchtung von Säugetier-Eizellen mit anschließendem Embryotransfer. Diese Versuche stellten sie in einen eindeutigen Zusammenhang mit der artifiziellen Insemination: Sie hätten die Zucht mit »genetisch überlegenen« weiblichen Tieren ermöglicht, während das Potential der artifiziellen Insemination zuvor nur in einer effektiven Verbreitung des Erbgutes »überlegener« männlicher Tiere bestanden hatte. Die Versuche von Pincus waren also in den Augen von Marshall und Hammond eine Ausdehnung der mit der artifiziellen Insemination verbundenen Ziele und Techniken auf die Zucht mit weiblichen Tieren. Interessant ist zudem, dass Hammond und Marshall rückblickend die hormonelle Beeinflussung des Zyklus und eine gesteigerte Ovulation als wesentliches Kettenglied für die Anwendungsaussichten der extrakorporalen Befruchtung interpretierten. Gerade die Hormonforschung spielte Ende der 1920er Jahre in Cambridge eine untergeordnete Rolle, die dazu angestellten Überlegungen gingen über begründete Spekulationen nicht hinaus.290 Indem Hammond und Marshall den Versuchen von 1929/30 fälschlicherweise die Einbeziehung der Hormonforschung unterstellten, markierten sie auf der Verfahrensebene ein entscheidendes Kettenglied für die weitere Entwicklung der Befruchtungsexperimente.291 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Gregory Pincus seine Arbeit in Cambridge mit dem Einüben experimenteller Techniken zur Manipulation von Keimzellen begann, darunter auch Versuchen zur in vitro Befruchtung von Eizellen, ohne dass er zunächst spezifische Forschungsinteressen verfolgte. Dadurch lernte er den Umgang mit den Eizellen des Kaninchens, welches wei290 Die Briten verloren ihren Vorsprung in der Reproduktionsphysiologie durch die Vernachlässigung der Hormonforschung, Clarke, Disciplining Reproduction, Modernity, S. 73, obwohl in Cambridge über Hormone spekuliert wurde, Heape, Ova in the Rabbit. Das Konzept der Hormone war zwar in der englischen Physiologie seit 1905 eingeführt, Borell, Organotherapy, S. 14, aber Hammond und Walton schrieben noch 1928, es sei eine Frage für weitere Untersuchungen, »wether the stimulus to the ovary was hormonic or nervous.«, Walton u. Hammond, S. 203. 291 Alan Parkes dagegen erinnerte sich 1962 in seiner Antrittsvorlesung in Cambridge noch genau an den eigentlichen Forschungsgegenstand von Pincus im Jahr 1929: »Not all experiments on ova carried out in Cambridge have been so successful or appropriate. Some twenty-five years ago Gregory Pincus, a visiting worker from the United States, reported several series of experiments which appeared to show that he had caused female rabbits to produce young parthenogenetically. This report has never been confirmed, but it is certainly curious that the one series claim to have abolished the biological need for the male mammal should have originated in a comparatively monastical University.«, Parkes, Prospect and Retrospect, S. 74. In seinem Nachruf schrieb Parkes 1968, er erinnere sich, Pincus 1929 oder 1930 das erste Mal im Zug getroffen zu haben, »a wild-looking man introduced himself to me in the restaurant car«. Die Versuche zur Parthenogenese hätten damals viele Diskussionen provoziert, ders., Gregory Pincus, S. 231.
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terhin sein bevorzugtes Versuchstier blieb, weil seine Haltung billig war, vor allem aber, weil es sich aufgrund seiner spezifischen Eigenschaften ideal in die Laborbedingungen einfügte. Schon bald gab er diesen Versuchen eine durch die Allgemeine Physiologie in Harvard geprägte Richtung: Ihm ging es um die chemische oder physikalische Manipulation unbefruchteter Eizellen, um sie ohne den Einfluss von Sperma zur Teilung anzuregen. Dieses Interesse an der Parthenogenese von Säugetier-Eizellen entwickelte er im Herbst 1929. Pincus behandelte in seinem Aufsatz von 1930 zwar auch Versuche zur extrakorporalen Befruchtung von Eizellen, bezog sie aber ausschließlich auf die Forschungsinteressen von Hammond und Walton. Deren Forschungen drehten sich um die Ausdehnung der Lebensfähigkeit von Spermatozoen unter Kulturbedingungen. Sie begannen sich für die in vitro Befruchtung von Eizellen zu interessieren, weil sie die Dauer der möglichen Befruchtung im Muttertier für die Zwecke der artifiziellen Insemination abschätzen wollten. »Unter der Hand« erweiterte sich damit ihr Fokus, der sich zuvor nur auf die experimentelle Manipulation von Spermatozoen gerichtet hatte. Dies wurde von Hammond und Marshall ex post benannt: Erstmals richtete sich die Aufmerksamkeit auch auf die Eizelle und ihre eventuell vorhandenen Möglichkeiten im Rahmen von Züchtungsüberlegungen. Die Ausdehnung der artifiziellen Insemination auf die Eizelle zeigt sich auch auf der Ebene des Diskurses, wenn Pincus von »insemination in vitro« sprach und damit die Befruchtung von Eizellen außerhalb des Körpers meinte. Die Schnittstelle zwischen den heterogenen Forschungskontexten der Physiologie in Harvard, die Pincus repräsentierte, und der School of Agriculture mit Hammond und Walton lag in dem Ziel, das Überleben von Keimzellen in vitro möglichst zu verlängern. Für die artifizielle Insemination war die zeitliche Ausdehnung der Befruchtungskapazität von Sperma entscheidend. Aber auch für die Versuche zur Parthenogenese ging es um diese Frage: Wie ließen sich (manipulierte) Eizellen möglichst lange im Kulturmedium erhalten, ohne dass sie degenerierten? Im Rahmen solcher Forschungsfragen und Experimente entstand eine Möglichkeit, nach der niemand gesucht hatte. Die extrakorporale Befruchtung von Eizellen im Jahr 1929 war das, was Hans-Jörg Rheinberger als unvorwegnehmbares Ereignis, als Konjunktur bezeichnet, also das »Auftreten von Dingen und Zusammenhängen, nach denen man nicht gesucht hat. Sie kommen überraschend, aber trotzdem passieren sie nicht einfach so. Sie werden aus der inneren Mechanik der experimentellen Zukunftsmaschine herausprozessiert. Dennoch können sie einen Experimentator dazu veranlassen, eine einmal eingeschlagene Forschungsrichtung vollständig zu verändern.« 292 292 Rheinberger, Experimentalsysteme und epistemische Dinge, S. 145.
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Die Begriffe »insemination« und »fertilization« fungierten in dieser heterogenen Kooperation als »unscharfe Begriffe«, über welche die Zusammenarbeit vermittelt und aufrechterhalten werden konnte. Sie waren begrifflich noch nicht scharf gefasst und erlaubten daher eine Konkretisierung für unterschiedliche experimentelle Zielsetzungen. Allerdings hatte die extrakorporale Befruchtung in den Experimenten in Cambridge noch nicht den Charakter eines epistemischen Objekts. Insofern kann man nicht behaupten, hier habe die Forschungslinie zur IVF eingesetzt. Immerhin war die in vitro Befruchtung aber als experimentelle Variante aufgetaucht, die in den folgenden Jahren mitgeführt wurde. Auch wenn sich das in der Rückschau der Forscher anders darstellte, gehörte sie zunächst zu den technischen Bedingungen des Experimentalsystems, das sich nach Pincus Rückkehr in Harvard zu entwickeln begann. Ihre Rolle änderte sich erst einige Jahre später im Rahmen von Prozessen, die im folgenden Abschnitt beobachtet werden.
4. Ein Experimentalsystem zur Parthenogenese in Cambridge, USA Als Gregory Pincus 1930 nach Harvard, also ins amerikanische Cambridge, zurückkehrte, setzte er die Arbeit zur Reproduktionsphysiologie fort.293 1932 veröffentlichte er mit Ernst Enzmann einen Aufsatz, mit dem sie direkt an die Experimente in Cambridge anschlossen. Sei es in England darum gegangen, den optimalen Befruchtungszeitraum einer Säugetier-Eizelle zu bestimmen,294 solle die »kritische Periode« nun genauer untersucht werden, »when the significant events associated with sperm penetration occur.«295 In den folgenden Jahren erschien eine ganze Reihe von Aufsätzen zu Fragen der Reproduktion, die Pincus zum Teil allein, zum Teil gemeinsam mit Kollegen wie Ernst Enzmann, Nicholas Werthessen oder Herbert Shapiro herausgab. Auch nach dem Ausscheiden von Pincus in Harvard rissen diese Versuche nicht ab. Die Forschungen zur Reproduktionsphysiologie waren zu einem Schwerpunkt von Pincus und seinen Kollegen geworden, genauer gesagt war es die Säugetier-Eizelle, die im Mittelpunkt des Interesses stand. Allerdings blieb der 293 Pincus war sicher, dass ihm niemand zuvor kommen konnte und konzentrierte sich daher zunächst auf seine Lehrverpflichtungen am Radcliffe College, Pauly, Controlling Life, S. 187– 188. 294 Eine Verengung der Fragestellung, die nicht der Zielstellung von Pincus entsprach, sondern den Forschungsinteressen von John Hammond und Arthur Walton, vgl. den letzten Abschnitt. 295 Pincus u. Enzmann, Fertilisation in the Rabbit, S. 403.
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zentrale Gegenstand weiterhin die künstliche Parthenogenese der Eizelle, die zunehmend als eigenständiges, vom Mutterorganismus unabhängiges Versuchsobjekt aufgefasst wurde. Im Folgenden wird die Funktion der Versuche zur in vitro Fertilisierung in diesem Experimentalsystem untersucht, die im Laufe der 1930er Jahre ihre Position wechselten und zum epistemischen Objekt wurden. Welche Bedingungen führten dazu? Zugleich stellt sich die Frage, welche Verschiebungen damit auf der Ebene der Theorie einhergingen: Wie wurden »die Eizelle« und »die Befruchtung« unter diesen veränderten Bedingungen konzipiert? In den 1930er Jahren fanden diskursive Verschiebungen statt, mit denen der Verfügungsbereich des Labors wiederum ausgedehnt wurde: Einmal mehr stand die Grenze zwischen Natur und Kultur zur Disposition, was man an der Unterscheidung von in vivo und in vitro zeigen kann. 1934 gaben Gregory Pincus und Ernst Enzmann die erfolgreiche in vitro Fertilisierung von Kaninchen-Eizellen, ihren Transfer in ein Weibchen und die anschließende Geburt von Jungen bekannt.296 Sie schlossen mögliche Einwände wie die unzureichende Sterilisierung des Kaninchenbocks, mit dem die Ovulation ausgelöst worden war, aus und schrieben: »We believe, therefore, that this is the first certain demonstration that mammalian eggs can be fertilized in vitro.«297 Dieser Satz wurde umgehend in der New York Times zitiert, die von nun an mehrfach über die Versuche der Physiologen in Harvard berichtete.298 Was hatten Pincus und Enzmann getan? Sie entnahmen dem Samenleiter eines Kaninchenbocks Sperma und brachten es für 20 Minuten mit Eizellen zusammen. Die Eizellen nahmen sie mit einer feinen Pipette auf und transferierten sie mit einer Lösung in den Eileiter eines Kaninchenweibchens, welches durch die Begattung eines sterilen Bocks in eine Scheinschwangerschaft versetzt worden war.299 Daneben hatten Pincus und Enzmann in einem zweiten Fall die in vivo befruchteten Eizellen eines Kaninchens im Ein-Zell-Stadium gewonnen, 20 Stunden in vitro kultiviert und in ein anderes Weibchen transferiert. In diesem Fall seien zwei Junge geboren worden. Das Besondere des zweiten Versuchs bestand in dieser Kultivierung in »Carrel flasks«. Als Ergebnis der Experimente wurde festgehalten: »We have in two instances obtained young from ova subjected to experimental manipulation in vitro.«300 Als eigentliche technische Herausforderung galt nicht die in vitro Fertilisierung, sondern der Embryotransfer. Hier sei »greater refinement of tech296 Pincus u. Enzmann, Can Mammalian Eggs Undergo Normal Development in vitro? 297 Ebd., S. 122. 298 Kaempffert, vgl. den Abschnitt IV.6. 299 Pincus u. Enzmann, Can Mammalian Eggs Undergo Normal Development in vitro?, S. 121. 300 Ebd.
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nique«301 nötig. Schon 1930 hatte Pincus bezogen auf einige fehlgeschlagene Versuche geschrieben: »It is hoped that technical refinements will permit successful transplantation.«.302 Denn der Embryotransfer entschied über den Erfolg dieser Versuche: »The certain test of the viability and normal development of mammalian ova subject to experimental manipulation in vitro may be made by transplanting these ova into a properly prepared female and obtaining young which have developed from the transplanted ova.«303
Pincus und Enzmann suchten nach dem Beweis, dass sich in vitro manipulierte Eizellen normal entwickeln und zur Geburt von Jungen führen konnten. Die in vitro Fertilisierung stellte dabei nur eine der im Raum stehenden Techniken dar, und nicht einmal die anspruchsvollste. Ihre erfolgreiche Durchführung bewies nur, dass sich in vitro manipulierte Eizellen »normal« 304 entwickeln konnten. Pincus und Enzmann schlossen: »We believe that the successful recovery of young in these cases … is due to careful refinements of the operative procedure which will be described in detail elsewhere.«305 Auf welches Ziel war diese Verbesserung experimenteller Techniken gerichtet? 1936 veröffentlichte Pincus eine erste zusammenfassende Monographie zu seinen reproduktionsphysiologischen Forschungen, deren Schwerpunkt die Parthenogenese von Säugetier-Eizellen war.306 Optimistisch schrieb er, ein großer Teil der untersuchten Eizellen zeige ein Maß an Entwicklung, das man nur als parthenogenetisch bezeichnen könne,307 und fasste zusammen: »It is obvious, that a mere beginning has been made in the investigation of the parthenogenetic potencies of tubal ova.«308 Nicholas Werthessen, der an den Experimenten der 1930er Jahre beteiligt war, bestätigte: »Pincus had been much impressed with Jacques Loeb’s work with amphibian eggs and determined to try to extend Loeb’s success by bringing about Parthenogenesis in rabbit egg.«309 Dass es sich hier um das vorrangige Forschungsziel handelte, zeigen eine Reihe von Publikationen aus dieser 301 Ebd. 302 Pincus, Observations on the Living Eggs of the Rabbit, S. 154. 303 Pincus u. Enzmann, Can Mammalian Eggs Undergo Normal Development in vitro?, S. 121. 304 Auf die Verwendung des Begriffs »normal« wird noch eingegangen. 305 Pincus u. Enzmann, Can Mammalian Eggs Undergo Normal Development in vitro?, S. 122. 306 Pincus, The Eggs of Mammals. Der Parthenogenese gilt ein eigenes Kapitel und ein großer Teil der Zusammenfassung, ebd., S. 98–108, 128–130. 307 Ebd., S. 107. 308 Ebd., S. 111. 309 Werthessen u. Johnson, S. 88. Darin wird die Arbeit zur Parthenogenese gegen den Vorwurf verteidigt, die Ergebnisse der 1930er Jahre besäßen keine wissenschaftliche Gültigkeit.
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Zeit 310 und die Tatsache, dass ein Forschungsüberblick zur Parthenogenese aus dem Jahr 1967 fast ausschließlich von diesen Forschungen handelt, jedenfalls was Versuche mit Kanincheneizellen betrifft. 311 Im Hinblick auf dieses Forschungsziel und im Unterschied zum neunzehnten Jahrhundert waren die Techniken der Manipulation von Keimzellen selbst zum Gegenstand der Forschung geworden. Pincus widmete ihnen 1936 ein eigenes Kapitel »Methods Employed in the Experimental Manipulation of Mammalian Ova«, in dem er schrieb, im Gegensatz zu den mühevollen Methoden des neunzehnten Jahrhunderts sei die moderne Technik, Eizellen aus den Eileitern zu gewinnen ziemlich simpel.312 Allerdings komme es darauf an, mit welchem Versuchstier gearbeitet werde. Hatte Pincus zuvor die Wahl des Kaninchens noch ähnlich begründet wie Hammond und Walton, nämlich mit der Möglichkeit, den Zeitpunkt der Ovulation genau zu bestimmen,313 verschob sich nun der Fokus: Das Versuchsobjekt war weniger das Kaninchen (bzw. dessen Ovulation, Fruchtbarkeit etc.), sondern die Eizelle, die unter dem Kriterium der Manipulierbarkeit beobachtet wurde: »Among the laboratory mammals the rabbit is by far superior, and for one very simple reason, namely, rabbit ova seem to withstand the process of handling better than other ova.«314
Die Eizellen anderer Versuchstiere zeigten sich widerspenstig gegenüber experimentellen Manipulationen: Sie zerfielen leicht. Trotz großer Bemühungen um die Entwicklung geeigneter Kulturmedien, ließen sich die Eizellen von Meerschweinchen, Ratten oder Mäusen kaum länger als bis zur ersten oder zweiten Teilung kultivieren,315 »whereas rabbit ova will go through the whole course of cleavage and blastulation in vitro.«316 310 Für eine vollständige Übersicht der Veröffentlichungen von Pincus vgl. Ingle, S. 240– 270. 311 Beatty, S. 432–433. Beatty war allerdings skeptisch: »Wether they [parthenogenetic rabbits] can really survive to birth must now be regarded as an open question«, ebd., S. 433. Eine Entscheidung über diese Frage kann und muss im Rahmen dieser Arbeit nicht getroffen werden. 312 Pincus, The Eggs of Mammals, S. 62. 313 Pincus u. Enzmann, The Activation of Ovarian Eggs, S. 665. Diese Serie wurde maßgeblich unterstützt durch das National Research Council Committee for Problems of Sex, ebd. 314 Pincus, The Eggs of Mammals, S. 62. 315 Ebd., S. 65–66. 316 Ebd., S. 62. »Blastulation« bezeichnet den Teil der frühen Embryonalentwicklung, bei dem sich eine Hohlkugel, die Blastula, bildet. Die besonderen Eigenschaften des Kaninchens blieben von großer Bedeutung: »In Pincus’s laboratory, time was always at a premium. Thus an animal that could be put alone into a cage when it was purchased, checked for vaginal signs of heat, and kept with confidence that it would be in heat when needed lowered the work load. Equally important was the fact that with the rabbit one could predict with precision just what the
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Welches waren die Techniken, auf die es ankam? Zunächst einmal ging es um die Gewinnung von Eizellen. Sie ließen sich am besten mit einer RingerLocke-Lösung aus den Eileitern gewinnen, indem der Uterus abgeschnitten und die Lösung durch die Eileiter gespült wurde.317 Zu diesem Verfahren gab es eine Variation, bei der auf das Herausschneiden der Eileiter verzichtet werden konnte, indem die Eileiter in situ, also im Körper des Versuchstiers ausgespült wurden.318 Diese Methode sei für Uterus und Tuben harmlos und eröffne neue Möglichkeiten, auch menschliche Eizellen zu gewinnen oder im Rahmen einer Operation die Durchlässigkeit der Eileiter zu prüfen.319 Besonders der in vitro Kultivierung von Eizellen kam für die Forschungen von Pincus vordringliche Bedeutung zu. Werthessen schrieb: »Pincus described in 1937 the culture of a fertilized rabbit egg from its earliest possible removal from the tubes through postimplantation stages. Thirty years later no one else had done this. The objective was to prove that development through the blastocyst stage and further required only a sufficiency of unknown growth requisites present in serum.«320
Pincus ging davon aus, dass es nötig sei, diese in vivo vorliegenden Faktoren oder Substanzen zu duplizieren, um praktisch unbeschränkte Möglichkeiten der in vitro Kultur zu eröffnen. Der Organismus des Kaninchens produziere eine Umgebung, die für das Wachstum nötig seien. Komme die Entwicklung in der Kultur zum Stillstand, fehlten genau diese Bedingungen.321 Den Kulturmedien wurde daher große Aufmerksamkeit geschenkt.322 Ihre Weiterentwicklung war für die Versuche zur Parthenogenese entscheidend, weil die Lebensfähigkeit der Eizellen in vitro gewährleistet sein musste. Auch die Transplantation von Eizellen war bedeutsam für die Parthenogenese: Sie stellte das entscheidende Modul bei der Herstellung von lebensfähigen Organismen dar und galt als besondere Herausforderung, die interessiertem Fachpublikum gerne vorgeführt wurde. Im Januar 1938 entschuldigte sich Nathaniel Rothschild bei Pincus: »I am sorry to say that I was unable to come and see you transplant rabbit ova yesterday morning, as I found I had an unaeggs would be doing and where they would be, in tube or uterus, at any time after copulation.«, Werthessen u. Johnson, S. 88. 317 Pincus, The Eggs of Mammals, S. 62–63. 318 Ebd. 319 Ebd., S. 63–64. Pincus experimentierte bereits mit menschlichen Eizellen, vgl. den Abschnitt IV.5. 320 Werthessen u. Johnson, S. 86. 321 Pincus u. Werthessen. Pincus experimentierte seit 1935 auch mit der Kultivierung von Organen: »A portion of human uterus bleeding from a curetted endometrium was observed to regrow endometrium under the influence of estrogen. From that point forward the system was used as a routine research tool.«, Werthessen u. Johnson, S. 86, Anm. 1. 322 Pincus, The Eggs of Mammals, S. 64–65.
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voidable previous engagement.«323 Aber er würde sich gerne für einen anderen Zeitpunkt mit Pincus verabreden, auch um eigene Arbeiten zu biophysikalischen Aspekten der Befruchtung mit ihm zu besprechen.324 Zu diesem Zeitpunkt hielten sich Pincus und Werthessen wieder in Cambridge auf. Kurz vor dieser Reise schrieb Pincus an die Carnegie Institution, dass er nach England gehe »to carry on certain researches for which Hammond’s laboratory offers rather special facilities.«325 Dazu zählten auch besonders geeignete Versuchstiere, wie sich Werthessen in seinem Nachruf für Pincus erinnerte: »He took me with him to the Animal Research Laboratory at Cambridge, then directed by the late John Hammond. The objective in going to England was in part to produce a live birth that was unquestionably due to an artificially activated egg. Hammond had developed an inbred strain of rabbits that could be used to identify parenthood with certainty.«326
Werthessen ging es mit seiner Denkschrift auch darum, die Forschungen zur Parthenogenese ins rechte Licht zu rücken, ihre Gültigkeit sei in den 1930er Jahren nicht bestritten worden. 327 Das Problem war, dass die Ergebnisse (besonders die behauptete Geburt von Jungen) nicht durch andere Forschergruppen wiederholt werden konnten.328 Die Experimente seien schließlich nur deshalb eingestellt worden, so jedenfalls Werthessen, weil öffentliche und private Forschungsgelder zunehmend in die Hormonforschung geflossen seien. Die Parthenogenese lag außerhalb des Interesses: »Since there was no money to support the work, it stopped.«329 Für die 1930er Jahre kann man aber festhalten, dass sich in der Forschergruppe um Pincus ein Experimentalsystem entwickelt hatte, in dessen Mittelpunkt die künstliche Parthenogenese stand. Hier erfolgten intensive Bemühungen um die Verbesserung der Kulturmedien und die »Verfeinerung« der Technik des Embryotransfers. 323 Nathaniel Rothschild an Gregory G. Pincus, 28.1.1938, in: Papers of Gregory G. Pincus, LOC, Box 4, Folder »G. Pincus, Personal Correspondence 1938«. 324 Ebd. 325 Gregory G. Pincus an George L. Streeter, May 1937, in: Papers of Gregory G. Pincus, LOC, Box 4, Folder »G. Pincus, Personal Correspondence 1938«. 326 Werthessen u. Johnson, S. 89. 327 Ebd., S. 91. Dem widerspricht Parkes, Gregory Pincus, S. 231. 328 Die Wiederholbarkeit biologischer Experimente sei immer problematisch, schrieben Werthessen und Johnson: »There is only one sure way to go about certifying that a published report cannot be repeated. That is to go to the first author’s laboratory and repeat the experiments under his direction. Much of science, especially in the biological area, requires special skills or undescribed local conditions that influence results. It took years, for example, for our research journals to exclude the term ›room temperature‹. It varies too much around the world and from season to season.«, Werthessen u. Johnson, S. 92. 329 Ebd.
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Die in vitro Fertilisierung als experimentelle Kontrollbedingung Ein Verfahren wurde im Methodenteil von Pincus Monographie nicht eigens behandelt, nämlich die in vitro Fertilisierung. Es sei zwar »a matter of some importance to determine whether such ova may give rise to normal rabbits.«330 Aber die Technik selbst wurde nur beiläufig erwähnt.331 Was war ihre Rolle in den Experimenten? 1936 schrieben Pincus und Enzmann, dass an anderen als an Säugetier-Eizellen gezeigt werden konnte, »that a real and useful distinction can be drawn between the activation of an egg through fertilization or parthenogenetic stimulation«.332 Der Begriff der Aktivierung war als Oberbegriff für die Fertilisation und die parthenogenetische Stimulation konzipiert, was nicht zufällig, so wird später erläutert, etwa zeitgleich mit der Integration der Hormonforschung in diese Versuche geschah. Im Rahmen der Aktivierung von Eizellen nahm die in vitro Fertilisierung eine ganz bestimmte Rolle ein. Mit ihren Versuchen von 1934, so die Argumentation von Pincus und Enzmann, sei bewiesen, dass mit der in vitro Fertilisierung eine normale Entwicklung der Eizelle zu erreichen sei. Denn welcher Beweis wäre aussagekräftiger als die Geburt von Jungen?333 Die mit der in vitro Fertilisierung ausgelöste Entwicklung wurde nun als Folie benutzt, vor deren Hintergrund die parthenogenetische Aktivierung beurteilt werden konnte: »We took as our criterion of activation the production of a second polar body, which, as we have seen in the experiments with semination in vitro, is entirely adequate.«334
Anders ausgedrückt: Mit Hilfe der in vitro Fertilisierung suchten Pincus und Enzmann nach eindeutigen Kriterien für eine gelungene Aktivierung der Eizelle.335 Dazu gewannen sie Kaninchen-Eizellen 12 ½ bis 15 ½ Stunden nach der Kopulation von Weibchen mit sterilisierten Böcken, setzten sie in eine Lösung mit Spermatozoen und inkubierten sie für zwei Stunden. Dann fixierten und untersuchten sie die Eizellen und schlossen: »The presence of two polar bodies may therefore ordinarily be taken as a sign of activation.«336 Dagegen zeigten die Eizellen keine Zeichen einer Aktivierung, wenn sie mit Rattensperma, Lösungen mit abgetöteten Spermatozoen oder von Spermien befreiten Flüssigkeiten aus dem Genitaltrakt von Kaninchen-Böcken zusam330 Pincus, The Eggs of Mammals, S. 96. 331 Ebd., S. 74, 81, 129. 332 Pincus u. Enzmann, The Activation of Tubal Eggs of the Rabbit, S. 195. 333 Pincus, The Eggs of Mammals, S. 96. 334 Ebd., S. 108. 335 Pincus u. Enzmann, The Activation of Tubal Eggs of the Rabbit, S. 196. 336 Ebd., S. 197. Während der Eireifung teilt sich die Eimutterzelle asymmetrisch in eine große, plasmareiche Zelle und drei kleine Polkörperchen.
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mengebracht wurden.337 Die Einwirkung von Trypsin, einem eiweißspaltenden Enzym,338 löse zwar die Entfernung der »cumulus cells« aus, aber nicht die Bildung weiterer Polkörper. Die Aktivierung könne nur durch lebende Spermatozoen ausgelöst werden.339 Damit war, und zwar mit Hilfe der in vitro Fertilisierung, ein Kriterium für eine gelungene Aktivierung ermittelt. Das Verfahren lieferte die Daten, um die weiteren Experimente beurteilen zu können. Der Erfolg einer parthenogenetischen Aktivierung der Eizellen wurde an den Ergebnissen dieser Vorversuche gemessen: »The foregoing data indicate that fertilization in vitro is essentially similar to the normal process in vivo. It remains to demonstrate that artificial activation can be induced both in vitro and in vivo.«340
Pincus und Enzmann setzten Kaninchen-Eizellen verschiedenen Lösungen oder hohen Temperaturen aus, inkubierten, fixierten und untersuchten sie. 341 Einige der Eizellen bildeten einen zweiten Polkörper, der Chromatin enthielt, – zeigten also das durch die in vitro Fertilisierung ermittelte Kriterium einer gelungenen Aktivierung. Am konsistentesten seien die Ergebnisse nach der thermischen Einwirkung; die so behandelten Eizellen zeigten oft zwei oder sogar drei Polkörper, seien also erwiesenermaßen parthenogenetisch aktiviert worden. 342 Die in vitro Fertilisierung spielte noch in einem weiteren Zusammenhang eine wichtige Rolle. 1935 nahmen Pincus und Enzmann Befruchtungsversuche mit Eizellen vor, die sie direkt aus den Follikeln der Kaninchen entnahmen und in eine Spermalösung gaben. Sie beobachteten die Penetration durch das Sperma und transferierten die Eizellen für zwei bis drei Tage in den Uterus von Weibchen.343 Aus der Tatsache, dass sich einige Zellen normal teilten, schlossen sie, dass Eizellen auch dann erfolgreich befruchtet werden können, wenn sie – wie bei der Entnahme aus dem Eierstock – noch nicht die erste Reifeteilung vollzogen hatten. Dieses Ergebnis war ausgesprochen wichtig für weitere Experimente: »The obvious inference from these findings is that mammalian ovaries contain large numbers of fertilizable ova that never emerge from the ovary. If these ova can be obtained easily, one of the chief limitations to the direct study of mammalian eggs in vitro, namely the limited number of eggs ovulated, will be overcome. We have, in fact, obtained large numbers of eggs by puncturing follicles of various sizes.«344 337 338 339 340 341 342 343 344
Ebd., S. 199. Hentschel u. Wagner, S. 595. Pincus u. Enzmann, The Activation of Tubal Eggs of the Rabbit, S. 202. Ebd., S. 202. Ebd., S. 203. Ebd. Pincus u. Enzmann, The Activation of Ovarian Eggs, S. 672. Ebd., S. 673.
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Mit anderen Worten: Die begrenzte Verfügbarkeit von Säugetier-Eizellen, die Pincus und Enzmann auch an anderer Stelle beklagt hatten,345 ließ sich durch die Punktierung der Eierstöcke überwinden, – vorausgesetzt, man konnte mit ihnen ebenso gut experimentieren wie mit Eizellen, die aus den Eileitern gewonnen wurden. Das Verfahren der in vitro Fertilisierung diente dazu, dies zu überprüfen und hatte somit eine ähnliche Funktion wie die artifizielle Insemination in den Experimenten von Hammond und Walton. War letztere das Testverfahren für die Befruchtungskapazität der Spermatozoen, wurde mit Hilfe der in vitro Fertilisierung die Befruchtungsfähigkeit derjenigen Eizellen kontrolliert, die den Ovarien entnommen worden waren. Bis 1935 oder 1936 spielte die in vitro Befruchtung also eine (wichtige) Nebenrolle: Sie war bedeutend für die Experimente zur parthenogenetischen Entwicklung von Säugetier-Eizellen, aber selbst nicht Gegenstand der Forschung. Sie fungierte als Kontroll-, aber nicht als Versuchsbedingung der Experimente und war insofern kein epistemisches Objekt. Sie gehörte zu den technischen Bedingungen dieses Experimentalsystems. Das änderte sich im Laufe der folgenden drei Jahre: Die in vitro Fertilisation wurde zum Versuchsgegenstand, wechselte also im experimentellen Geschehen ihre Funktion. Entscheidend dafür war die Integration von Sexualhormonen in die Arbeit der Forschungsgruppe.
Die Integration von Sexualhormonen Die Etablierung der Sexualendokrinologie als Teil der Biologie geschah etwa zwischen 1926 und 1940.346 Sie war ein Feld rasanter Entwicklungen, ausgeprägter Konkurrenz unter den beteiligten Forschern und hoher Erwartungen, was die Vermarktung der entsprechenden Produkte anging. Christina Ratmoko zeigt am Beispiel des Schweizer Chemiekonzerns Ciba, wie sich zwischen 1918 und 1939 Netzwerke zwischen Industrie, Wissenschaft und Ärzteschaft bildeten, in denen die Produktion und Vermarktung von Hormonpräparaten betrieben wurde, ein Geschehen, das mit der klassischen Vorstellung der Arzneimittelproduktion als Nacheinander von Grundlagen- und Anwendungsforschung nicht erfasst werden kann: Die Präparate kamen auf den Markt, lange bevor ihre chemische Struktur und ihre metabolische Wirkung aufgeklärt war.347 Alan Parkes, selbst Endokrinologe,348 schrieb: 345 Pincus u. Enzmann, The Activation of Tubal Eggs of the Rabbit, S. 195–196. 346 Borell, Organotherapy, S. 1. 347 Ratmoko, bes. S. 84–87. Für eine kulturgeschichtliche Sicht der Hormonforschung vgl. Stoff. 348 Alan Parkes galt als einer der »outstanding pioneers in reproductive biology«. Er lieferte in den 1920ern wichtige Forschungsbeiträge und war maßgeblich an internationalen Konferenzen zur Standardisierung von Sexualhormonen beteiligt, Gruhn u. Kazer, S. 71–81.
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»The years between the wars, however, especially the middle decade, saw astonishing progress, which was greatly assisted by the proper selection of biological indicators and general improvement in assay techniques.«349
Die Forschung an Sexualhormonen trug zudem maßgeblich zur Entwicklung der Reproduktionswissenschaften bei, denn die in der Biologie, der Medizin oder der Agrarwissenschaft an der Fortpflanzung arbeitenden Wissenschaftler erhielten mit der Sexualhormonforschung einen gemeinsamen Forschungsgegenstand. Auch wenn die klassischen Fragen der Reproduktion, etwa nach dem Menstruationszyklus oder der Befruchtung, weiterhin betrieben wurden, geschah das mit zunehmendem Nachdruck auf ihre endokrinologischen Aspekte, die eine zentrale Rolle im Forschungsprozess einzunehmen begannen.350 Diese Neuorientierung zeigte sich nachdrücklich in dem Erscheinen von Edgar Allens »Sex and Internal Secretion« im Jahr 1932, einem umfangreichen, vor allem durch das National Research Council Committee for Research in Problems of Sex finanzierten Kompendium, welches schon im Titel das Gewicht der Hormonforschung betonte und mit dessen Erscheinen sich zugleich der internationale Schwerpunkt der Forschungen zur Reproduktion von Europa in die USA verlagerte.351 Die Sexualhormonforschung bildete, wie Adele Clarke mit Bezug auf Anselm Strauss schreibt, die »core activity«, die zur Herausbildung der Reproduktionswissenschaften als sozialer Welt führte: »The most significant outcome of the endocrinological focus … was the drawing together from scientists from biology, medicine, and agriculture around a shared problem structure.«352
Biochemische Ansätze, zu denen die Endokrinologie gehörte, galten zudem als methodologisch besonders anspruchsvoll: »Thus reproductive scientists’ work along biochemical endocrinological lines brought scientific legitimacy to the enterprise in relation to the scientific audiences, consumers, and sponsors of the reproductive sciences.«353
Als 1905 der britische Physiologe Ernest H. Starling das eher hypothetische Konzept einer »internal secretion« durch den Begriff und das Konzept der »Hormone« als chemischer Botenstoffe ersetzte,354 habe das, so Nelly Oudshoorn, einen Paradigmenwechsel in der Physiologie herbeigeführt: »The ›New Physiology‹ enabled scientists to conceptualize the development of or-
349 350 351 352 353 354
Parkes, Prospect and Retrospect, S. 72. Clarke, Disciplining Reproduction, S. 122. Ebd., S. 121–122 mit Verweis auf Allen. Clarke, Disciplining Reproduction, S. 130, mit Verweis auf Strauss. Clarke, Disciplining Reproduction, S. 129, Hervorhebung im Original. Ebd., S. 10–17, mit Verweis auf Starling, S. 6. Vgl. auch Ratmoko, S. 87.
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ganisms in terms of chemical agencies, rather than just nervous stimuli.«355 Chemische Stoffe wurden nun in die Reihe physiologischer Werkzeuge aufgenommen; sie standen neben Skalpell und Schere, elektrischen, thermischen und mechanischen Reizen als analytischen Werkzeugen der experimentellen Physiologie.356 Um 1910 war zwar die Existenz eines Hormons der Eierstöcke unbestritten, aber erst 1923 berichteten die US-Amerikaner Edgar Allen und Edward A. Doisy über die erfolgreiche Extrahierung eines Hormons aus der Follikelflüssigkeit, das 1926 Östrogen genannt wurde. 357 1938 wurde das erste Mal Östrogen synthetisiert.358 Alan Parkes schrieb über diese Zeit: »These were indeed stirring times, and the excitement of this endocrinological gold rush seemed to go to the heads of some of the diggers.«359 Die Forschung an Sexualhormonen machte also ab den 1920er Jahren eine rasante Entwicklung durch und war ein entscheidender Faktor bei der Entwicklung der Reproduktionswissenschaften als Disziplin.360 Mit den zunehmenden Erfolgen in der Extraktion und später Synthetisierung von Hormonen wurden diese sowohl für Forschungszwecke als auch für die Vermarktung im Laufe der 1920er Jahre handhabbar.361 Zugleich gewannen biochemische Herangehensweisen an Bedeutung, was auch die internationalen Bemühungen um die Standardisierung von Substanzen und Verfahren zeigen. 362 Die Entwicklung der Befruchtungsversuche in den 1930er Jahren passt geradezu idealtypisch in diese Rahmenbedingungen. Gregory Pincus ge355 Borell, Organotherapy, S. 16. 356 Ebd., S. 5. 357 Gruhn u. Kazer, S. 67–72, mit Verweis auf Allen u. Doisy. Zur Entwicklung des gegen jede empirische Evidenz beharrlich verteidigten Konzepts der »männlichen« und »weiblichen« Sexualhormone vgl. Clarke, Disciplining Reproduction, S. 125–128; Oudshoorn, S. 34–37. 358 Gruhn u. Kazer, S. 74, mit Verweis auf Dodds u. a. Christina Ratmoko sieht drei aufeinander folgende »ways of making things«: Zunächst wurden Hormone extrahiert, ab Mitte der 1920er Jahre synthetisierte man natürliche Geschlechtshormone und ab Ende der 1930er Jahre schuf man neue Verbindungen, die effektiver sein sollten als ihre natürlichen Äquivalente, Ratmoko, S. 90–92. 359 Parkes, Prospect and Retrospect, S. 72. Zum Konkurrenzdruck vgl. auch Clarke, Disciplining Reproduction, S. 122; Oudshoorn, S. 88–89. 360 Zwischen 1927 und 1938 stieg die Zahl der im Quarterly Cumulative Index Medicus indizierten Aufsätze von 95 auf 826 an, Oudshoorn, S. 157, Anm. 18. 361 Ebd., S. 89. Oudshoorn untersucht die niederländische Firma Organon, die durch einen der Pioniere der Sexualhormonforschung, Ernst Laqueur, mitbegründet wurde, um die Materialbeschaffung sicherzustellen. Organon begann nach seiner Gründung 1923 mit der Vermarktung von Insulin und brachte schon 1925 das erste Sexualhormon unter dem Handelsnamen Ovarnon auf den Markt. 362 Auch bei Sexualhormonen zeigte sich der Trend, internationale Standards, einheitliche Begriffe und allgemein gültige Testverfahren zu entwickeln. So fanden in den 1930ern zwei Konferenzen in London statt, auf denen die Namen Östrogen und Progesteron verbindlich beschlossen wurden und einheitliche Tests eingeführt wurden, ebd., S. 46–47.
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hörte zu denjenigen, die an ihren Forschungsfragen festhielten, aber zunehmend biochemische Problemstellungen integrierten: Er begann, mit Hormonen und Enzymen im Rahmen seiner Befruchtungsversuche zu experimentieren. 1935 stellten Enzmann und er zum ersten Mal Manipulationen mit Hormonen ins Zentrum ihrer Experimente.363 Ihnen ging es um die Mechanismen, welche die erste meiotische Teilung der Eizelle kontrollierten und um die Befruchtungsfähigkeit von Eizellen, die aus den Eierstöcken stammten. Diese beiden Fragen, schrieben sie, hingen eng zusammen im Problem der grundsätzlichen Natur des Aktivierungsprozesses.364 Inzwischen sei klar, dass die Kopulation beim Kaninchen die Sekretion von Hypophysenhormonen auslöse. Pincus und Enzmann interessierten sich für die Frage, ob der Reifungsprozess auf die direkte Aktivität der Hypophysenhormone zurückging; sie kultivierten Eizellen in vitro und fügten ihnen verschiedene Hormonlösungen zu.365 Es zeige sich, schrieben sie, dass die Polkörper-Bildung durch ein zweites Hormon bewirkt werde, dessen Ausstoß durch die Hypophysenhormone angeregt werde. Diese Versuche richteten sich wiederum auf die optimalen Kulturbedingungen für Eizellen, von denen sie vermuteten, dass Hormone eine wichtige Rolle spielten. 366 Die Zahl der Eizellen sollte gesteigert werden, indem die Eierstöcke punktiert wurden, aber auch durch die hormonelle Stimulierung der Ovulation. Im Mai 1937 berichtete Pincus der Carnegie Institution: »In order to have sufficient material available for the physiological studies we have developed methods for obtaining large numbers of eggs by ovarian stimulation«.367
Die Anwendung dieses Verfahrens gelang Pincus 1939 in einer großangelegten Studie.368 Das für die Presse spektakuläre Ergebnis war, dass Pincus über die Geburt von Jungen berichtete, die das Ergebnis einer parthenogenetischen Entwicklung gewesen sein sollen.369 Auffällig an dieser Versuchsserie ist aber vor allem ihr Umfang. Mehr als 1300 Eizellen von Kaninchen waren in die Versuche einbezogen.370 Die enor363 Pincus u. Enzmann, The Activation of Ovarian Eggs. 364 Ebd., S. 665. 365 Ebd., S. 667. 366 Ebd., S. 671. 367 Gregory G. Pincus an George L. Streeter, May 1937, in: Papers of Gregory G. Pincus, LOC, Box 4, Folder »G. Pincus, Personal Correspondence 1938«. 368 Pincus, The Development of Fertilized and Artificially Activated Rabbit Eggs. 369 Vgl. auch Pincus, The Breeding of some Rabbits. Hier handelt es sich um eine Zusammenfassung der Ergebnisse im Hinblick auf das Erzielen von Geburten. 370 Die Experimente wurden in Tabellen dokumentiert, in denen die Anzahl der Eizellen angegeben sind. Vgl. zu den zentralen Versuchsreihen Pincus, The Development of Fertilized and Artificially Activated Rabbit Eggs, S. 92–94.
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me quantitative Ausdehnung des Versuchsmaterials 371 hatte eine gravierende Veränderung der Arbeitsweise zur Folge: »Since good numbers of eggs were employed it was found impracticable to handle them individually in the processes of fixation and dehydration.«
Daher sei eine Methode angewendet worden, bei der die Eizellen »en masse« präpariert wurden.372 Neben Nicholas Werthessen, der nur die Transplantationen durchführte, war Ruth Ames allein für die Kultur und Präparierung der Eizellen zuständig.373 Die große Zahl von Eizellen wurde durch die hormonelle Stimulierung der Ovulation erreicht: »Rabbits normally ovulate six to ten ova … varying, of course, with the breed used …, but we have been able to secure much larger numbers (16 to 100 per ovulation) by the injection of pituitary extracts«.374
Zu diesem Zweck wurde mehrmals FSH (follikelstimulierendes Hormon) injiziert, wobei die exakte Mengenangabe schwierig war. Die Prozeduren waren nicht standardisiert, genauso wenig wie die auf dem Markt befindlichen Produkte.375 Das zeigt auch folgendes Zitat, in dem der bis heute verwendete Begriff der »Superovulation« fällt: »Pregnant mare’s serum extracts can be substituted for pituitary FSH, but this must be done with some care since in our experience certain commercial extracts lead to the formation of cystic follicles rather than superovulation.«376
Auch hier ging die Entwicklung von Hormonen Hand in Hand mit ihrer Verwendung, ohne dass ihre Wirkungsweise aufgeklärt war.377 Erst 1937 wurde »a dependable preparation of human chorionic gonadotropin (CG)« kommerziell vertrieben.378 Im Gegensatz zur Auslösung der Ovulation durch sterile Kaninchenböcke war die Anwendung von Hormonen nun »idiotensicher«: »We knew that the time course of events induced by chorionic gonadotropin was the same as that induced by sterile mating. So we switched to its use, after many experiments had been performed in Cambridge, England, with sterile (so we assumed) bucks. The experiments using CG seemed absolutely foolproof, for we again obtained live births.«379 371 Zum Vergleich: 1932 wurde mit 81 Eizellen gearbeitet, Pincus u. Enzmann, Fertilisation in the Rabbit, S. 405, Table I. 372 Pincus, The Development of Fertilized and Artificially Activated Rabbit Eggs, S. 88. 373 Ebd., S. 110. 374 Ebd., S. 86. 375 Ebd. 376 Ebd. 377 Vgl. auch Ratmoko, S. 86. 378 Werthessen u. Johnson, S. 90. 379 Ebd.
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Die hormonelle Auslösung der Ovulation bedeutete also eine Rationalisierung und Vereinfachung des Verfahrens, so dass sie sich ab 1939 durchsetzte. 380 Zugleich waren nun Säugetier-Eizellen in bisher nicht gekanntem Ausmaß verfügbar. Min-Chueh Chang, ab 1945 ein enger Mitarbeiter von Pincus, sagte im Interview, die eigentliche wissenschaftliche Leistung von Pincus habe in der Handhabung von Hormonen und in der Auslösung der Superovulation bestanden.381 Damit wurden weitere Forschungen in großem Umfang denkbar, und: Der Status der in vitro Befruchtung im experimentellen Geschehen änderte sich.
Verschiebung auf dem Labortisch: Die in vitro Fertilisierung als Versuchsbedingung Die erwähnte Studie von 1939 basierte auf Versuchen, die Pincus und Werthessen 1937 und 38 in Cambridge durchführten.382 Pincus schrieb an William Crozier: »I am in effect taking over practically all of Hammond’s lab and except for a few things mechanical the set-up is excellent. I have a large colony of rabbits, all the technical assistance I need, and a complete supply of ordinary materials and apparatus.« 383
Ziel der Untersuchung war es, die cytologischen Veränderungen (unbefruchteter) Eizellen zu beschreiben, die durch hypertonische Lösung, erhöhte Temperatur oder Kultivierung im »watch glass« zur Entwicklung angeregt worden waren. Diese Veränderungen wurden verglichen »with the normal series of cytological events occuring at and after fertilization.«384 Da nur wenige künstlich aktivierte Eizellen eine längere Entwicklung durchliefen, habe man ihre Zahl mit der hormonell erzeugten Superovulation erhöht. Diese Eizellen wurden den Ovarien entnommen, 385 eine weitere Gruppe den Eileitern.386 Die Kontrollgruppe bestand aus 107 Eizellen, die präpariert und untersucht wurden, nachdem die Kaninchen fruchtbar begattet wurden, »in order to obtain as complete a description as possible of the movements of the 380 Ebd., S. 91. 381 Reed, S. 430, Anm. 19. 382 Pincus bedankte sich bei John Hammond, Francis Marshall und Arthur Walton für deren Gastfreundschaft, Diskussion und Ermutigung, Pincus, The Development of Fertilized and Artificially Activated Rabbit Eggs, S. 110. Der Aufsatz weist Pincus als Vertreter der Biologischen Laboratorien in Harvard und als Vertreter der School of Agriculture in Cambridge aus. 383 Gregory G. Pincus an William J. Crozier, 24.9.1937, in: HUG 4308.5. 384 Pincus, The Development of Fertilized and Artificially Activated Rabbit Eggs, S. 85. 385 Ebd., S. 87. 386 Ebd., S. 88. Der Ursprung der Eizellen wurde mitgeteilt und bei den Ergebnisse ausgewiesen, vermutlich, weil die Punktierung der Eierstöcke ein junges Verfahren war.
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nuclei during fertilization«.387 Die meisten der hierfür verwendeten 18 Kaninchen waren nicht hormonell stimuliert worden, »since this was to constitute the normal control series. … The intention is to present a picture of the movements of the nuclei chiefly for purposes of comparison with ova activated by artificial means.« 388
Hier wurde also, ähnlich wie Nick Hopwood das für die Embryologie im neunzehnten Jahrhundert zeigt, eine diskrete Serie von Untersuchungen in einen standardisierten Entwicklungsverlauf verwandelt, der damit als Norm gesetzt war.389 Die Eizellen wurden im Körper des Kaninchens befruchtet, das zwischen der 12. und der 23. Stunde nach der Kopulation getötet wurde. Die sich in verschiedenen Stadien befindenden Eizellen bildeten den »normalen« Entwicklungsverlauf ab.390 Vor dem Hintergrund dieser normierten Eizellen-Entwicklung wurden nun die Aktivierungen beurteilt. Die Eizellen, »activated by artificial means«, 391 waren die Versuchsgruppe(n). Im Kern der Studie waren das Eizellen in »watch glass culture«, »hypertonic solution«, »heated« und zwei Gruppen von Zellen, die mit Kaninchen- oder Rattensperma vermischt wurden.392 Pincus betrachtete Eizellen als aktiviert, wenn sich Vorkerne bildeten oder Zellteilungen stattfanden.393 Mehr als die Hälfte der behandelten Eizellen galten nach diesen Kriterien als aktiviert.394 Ein Teil der Eizellen wurde mit Kaninchensperma zusammengebracht, also in vitro befruchtet. Sie wurden unter die Gruppe der »artificially activated eggs« subsumiert, was auch daran erkennbar ist, dass der entsprechende Abschnitt mit »Ovarian ova: sperm treatments« betitelt ist.395 Bei den Eizellen aus den Eierstöcken schien Pincus nicht sicher in der Beurteilung: »Treatment of such ova with rabbit’s sperm leads to activation in no larger proportion than by other treatments, but the cleavage percentage is higher.«396 Anhand der Chromosomenverteilung bezweifelte er, dass eine norma387 Ebd., S. 89. 388 Ebd., S. 89. Es ist spürbar, dass die Hormonbehandlung noch kein »gesichertes« Verfahren war: Eine Gruppe von Eizellen wurde beispielsweise nach der Hormonbehandlung aus den Eileitern gewaschen, um sie mit Eizellen zu vergleichen, die aus sterilen Begattungen ohne Hormonbehandlung stammten, ebd., S. 90. 389 Hopwood, Producing Development. 390 Pincus, The Development of Fertilized and Artificially Activated Rabbit Eggs, S. 89–90. 391 Ebd., S. 89. 392 Vgl. die Tabellen mit den Ergebnissen, ebd., S. 92–94, wobei diese Behandlungen an Eizellen aus den Ovarien und aus den Tuben vorgenommen wurden. 393 Ebd., S. 93. 394 Ebd., S. 95, und die Tabellen auf S. 92 und 94. Das Ergebnis wurde noch differenziert, was hier nicht von Belang ist. 395 Ebd., S. 98. 396 Ebd.
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le Befruchtung stattgefunden hatte. Bei den Eizellen aus den Eileitern war er optimistischer: »The tubal ova seminated with rabbit sperm show much the most regular type of development and … behave like normally fertilized eggs«. 397
Die Versuchsbedingungen der anderen Gruppen variierten, indem die hypertonische Lösung verschiedene Konzentrationen aufwies oder die Eizellen unterschiedlich lange einer Temperatur von 47 °C ausgesetzt wurden.398 Außerdem fand eine Versuchsreihe »Treatment with foreign sperm of various species« statt, bei der Kaninchen-Eizellen mit dem Sperma von Meerschweinchen, Schafen, Rindern, Pferden, Frettchen und Menschen zusammen gebracht wurden.399 Nur in diesem Fall war die »Behandlung« mit KaninchenSperma noch eine Kontrollbedingung: »It is immediately evident that only rabbit spermatozoa penetrate the zona pellucida.«400 Auffällig ist die starke Auffächerung der Versuchsbedingungen, die durch die große Zahl der zur Verfügung stehenden Eizellen möglich wurde. HansJörg Rheinberger weist darauf hin, dass die Durchführung von Experimenten Regeln folge, die den beteiligten Wissenschaftlern nicht bewusst sei. Ihre Wirksamkeit beruhe auf ihrer beiläufigen Gegenwärtigkeit bei der Anlage und Durchführung von Versuchen.401 So werde die Einfügung epistemisch und technisch motivierter Kontrollen in eine Experimentalanordnung von Symmetrieüberlegungen geleitet: »Normalerweise nehmen diese Überlegungen die Form an, alle möglichen Kombinationen der in einem Versuch vorkommenden Komponenten durchzutesten, auch wenn nicht von sämtlichen Kombinationen signifikante Befunde erwartet werden.«402
Genau das scheint hier der Fall zu sein. Eine Reihe von Aktivierungen wurden durchgespielt, darunter die in vitro Fertilisierung, auch wenn sie nicht unmittelbar das Forschungsinteresse betrafen. Solche Verfahrensweisen sind typisch für Experimentalsysteme, schreibt Rheinberger, sie sind »eine Art experimentelles Spinnennetz. Das Netz muss so geknüpft werden, dass Aussicht auf unerwartete Beute besteht. Das Netz muss ›sehen‹ können, was die bloßen Sinne des Erbauers nicht vorwegzunehmen vermögen.« 403 397 Ebd., S. 101. 398 Ebd., S. 103–104. 399 Ebd., S. 105. Bei der Hälfte der Eizellen geschah das in vitro, bei der anderen Hälfte in vivo: »active sperm suspensions were injected into the fallopian tubes after laparotomy in does given an ovulating injection 12 ½ hours previously.« 400 Ebd. 401 Rheinberger, Experimentalsysteme und epistemische Dinge, S. 81. 402 Ebd. 403 Ebd., S. 82.
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Unversehens hatten die Versuche zur in vitro Fertilisierung einen anderen Status eingenommen. Sie waren nicht mehr die Kontrollbedingung zur »künstlichen Aktivierung« von Eizellen oder Begleitversuche zu ihrer Befruchtungskapazität, sondern gehörten vielmehr selbst zu den Versuchsbedingungen und wurden als eine mögliche Form künstlicher Aktivierung aufgefasst. Damit waren sie in den Gegenstandsbereich der Experimente gerückt. Zugleich wurde die Entwicklung von Eizellen normiert, indem verschiedene Formen der künstlichen Aktivierung systematisch der »normalen« Entwicklung im Körper des Kaninchens gegenübergestellt wurden. Diese Veränderung des Status der in vitro Fertilisierung geht damit auf die Integration der Hormonforschung in dieses Experimentalsystem zurück. Denn auf der Ebene der Praktiken stand nun erstmals eine so große Zahl von Eizellen zur Verfügung, dass Reihenuntersuchungen verschiedener Versuchsbedingungen möglich wurden. Aber auch auf die Ebene der Theorie wirkte sich die Einbeziehung von Hormonen aus. In ihrer »Archäologie« der Sexualhormone rekonstruiert Nelly Oudshoorn die Forschungspraktiken, die zur Herstellung der wissenschaftlichen Tatsache von Sexualhormonen führten und die damit einhergehende Konzeptualisierung des Körpers als eines »hormonalen« Körpers.404 Sie zeigt im Rückgriff auf Flecks Konzept der Präideen,405 wie vorwissenschaftliche Vorstellungen von den Keimdrüsen als Trägern von Männlichkeit und Weiblichkeit transformiert wurden in ein Konzept, nach dem die Sexualhormone als Agenten der Geschlechterdifferenz anzusehen waren.406 Mit der Forschung an Sexualhormonen wurde ein chemisches Modell des Geschlechterverhältnisses und des Körpers eingeführt: »The hormonal model of the body is thus basically a chemical model.«407
404 Dabei handelte es sich vor allem um Wissensansprüche über den weiblichen Körper. Oudshoorn zeigt, wie durch die Anbindung an die gynäkologische Klinik bei der Beschaffung von Forschungsmaterial (Ovarien oder Urin schwangerer Frauen) und bei der Durchführung von Tests die damit verbundenen (gynäkologischen) Wissensansprüche über den weiblichen Körper das Konzept der Sexualhormone dominierten. Es gab keine vergleichbare institutionelle Anbindung der Forschungen zu den sogenannten männlichen Sexualhormonen. Dieses Ungleichgewicht fand seinen Niederschlag auch in der Zahl der wissenschaftlichen Publikationen und der erst in den 1960er Jahren erfolgenden Entwicklung der Andrologie, Oudshoorn, S. 79–81. 405 Fleck, S. 35–39. 406 Oudshoorn, S. 17–29. Es ist nicht ganz glücklich, hier von einer »vorwissenschaftlichen« Idee zu sprechen, denn es handelte sich um zeitgenössische wissenschaftliche Vorstellungen. 407 Ebd., S. 144. Der Auffassung, nach der jedem Geschlecht ein Hormon zugehörig sei, widersprachen schon in den 1920er Jahren verschiedene Forschungsergebnisse, von denen das wohl frappierendste in der Feststellung lag, dass im Urin von Hengsten ein Vielfaches der Östrogenmenge aufzufinden war, welche man im Urin von schwangeren Stuten fand, Oudshoorn, S. 24–27.
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Mit der Hormonforschung veränderte sich die Konzeptualisierung der Befruchtung: Sie wurde nun als Aktivierung, als chemischer Prozess aufgefasst, als »presence of a definite series of chemical events that precede and are independent of the chemical processes controlling cleavage«.408 Die Vorstellung einer chemischen (neben der ebenfalls erfolgenden thermischen) Aktivierung fügte sich im Übrigen glatt in Pincus Forschungsinteressen ein, denn das auf Jacques Loeb zurückgehende Interesse an künstlicher Parthenogenese ließ sich gut mit biochemischen Fragen verbinden.409 Mit Hilfe dieses Konzeptes wurde die Befruchtung, sei es in vivo oder in vitro, mit der künstlichen (chemischen oder thermischen) Induzierung der Eizellen-Entwicklung parallelisiert.
Verschiebung in der Theorie: In vivo als Kulturbedingung Im zweiten Kapitel wurde die Transformation der Unterscheidung von natürlich und künstlich in diejenige von in vivo und in vitro rekonstruiert, die zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts durch Wilhelm Roux erfolgte. Damit waren auf der Ebene des Diskurses die experimentellen Praktiken der damaligen Embryologie in den Horizont der Disziplin integriert worden. Die Natur als alleinige Referenz für die Produktion wissenschaftlichen Wissens wurde zurückgedrängt zugunsten experimenteller Praktiken, mit denen nun ebenfalls vollgültiges wissenschaftliches Wissen erzeugt werden konnte. Im Rahmen der Befruchtungsversuche von Pincus und seinen Kollegen in den 1930er Jahren geschah nun eine weitere Transformation. Eine Schlüsselrolle dafür spielten die mit großer Aufmerksamkeit bedachten Techniken der Transplantation und Explantation. Sie steigerten die Verfügbarkeit der Eizelle in bisher nicht gekannter Weise. Pincus betrachtete diese als eigenständigen Organismus, bei dessen Beobachtung und Manipulation vom Mutterorganismus abgesehen werden konnte: »The development of various techniques for the explantation of ova in vivo and in vitro makes available a variety of experimental investigations of the mammalian ovum. The ova of certain forms are particularly adapted to experimental manipulation. Mammalian ova normally develop in a homeostatic environment. Certain components of this homeostasis sharply limit the extent and nature of ovum development at certain stages. During other phases of its growth the ovum appears to be a relatively independent organism.«410
Indem er die Eizelle als alleiniges Versuchsobjekt betrachtete, eine Entscheidung, die Pincus mit dem Titel seiner Monographie »The Eggs of Mammals« unter408 Pincus u. Enzmann, The Activation of Tubal Eggs, S. 195. 409 Auch Loeb hielt lebende Organismen für »chemical machines«, Pauly, Controlling Life, S. 114. 410 Pincus, The Eggs of Mammals, S. 130, Hervorhebung von mir.
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strich, blendete er aus, dass ihre »in vivo-Manipulation« vor allem eine Manipulation des Mutterorganismus war. Die Vorstellung, es handele sich bei der Eizelle um einen selbständigen Organismus, radikalisiert diese Abstraktion noch.411 1936 wurden Eizellen im mütterlichen Organismus ohne Umweg über den Labortisch manipuliert. Steril begatteten Kaninchen-Weibchen wurde beispielsweise der Bauch geöffnet, eine Spermalösung in die Eileiter injiziert und auf einer Körperseite ultraviolett bestrahlt. Damit wollte Pincus die Möglichkeit einer Aktivierung in vivo zeigen.412 Oder er transplantierte experimentell manipulierte Keimzellen in die Eileiter von Kaninchenweibchen und holte sie später wieder hervor, um ihre Entwicklung zu beurteilen.413 Mit den Techniken der Transplantation und Explantation hatte ein Einschnitt stattgefunden: Der lebende, weibliche Organismus diente als Kulturmedium. War die Unterscheidung von in vivo und in vitro bereits durch die Auffassung der in vitro Fertilisierung als Kontrollgruppe und damit als »Normalfall« eskamotiert, verlor sie nun gänzlich an Substanz. Die Technik der Transplantation eröffnete eine neue Kulturtechnik: Sie ermöglichte die Kultivierung von Eizellen im lebenden Organismus, in vivo und in vitro hatten ihren Sinn als strukturierende Unterscheidung verloren. 1939 sah Pincus sich gezwungen, einige Tabelleneinträge zu kommentieren, bei denen unter Dauer der Kultivierung der Zusatz »in vivo« vermerkt war. Denn die neuen experimentellen Praktiken führten zu erklärungsbedürftigen Brüchen und unerwarteten semantischen Verschiebungen: »We should note at once that the ova listed as ›cultured‹ in vivo were treated in vitro as indicated, and then transplanted to the fallopian tubes of pseudopregnant does to be recovered after the lapse of time noted in the table.« 414
Indem »in vivo« zur Kulturbedingung wurde, verlor die Unterscheidung von natürlich und künstlich an Relevanz. Der Lebensbeginn von Säugetieren, also auch der des Menschen, standen dem experimentellen Zugriff praktisch uneingeschränkt zur Verfügung.415 Das diesbezügliche Selbstbewusstsein des Labor411 Das Absehen vom mütterlichen Organismus wird auch deutlich, wenn Pincus und Werthessen schreiben, der »pseudopregnant uterus« produziere Bedingungen, die es in vitro zu duplizieren gelte. Das Kaninchen-Weibchen ist auf den Uterus, auf die »Produktionsbedingungen« des Embryos reduziert, Pincus u. Werthessen. 412 Pincus u. Enzmann, The Activation of Tubal Eggs, S. 205. 413 Pincus, The Eggs of Mammals, S. 96–97, S. 109–110. 414 Pincus, The Development of Fertilized and Artificially Activated Rabbit Eggs, S. 93–95, Hervorhebung von mir. 415 Vgl. auch Pincus u. Shapiro. In dieser Versuchsreihe wurde überprüft, ob bei früheren Versuchen die Aktivierung der Eizellen durch deren (unabsichtliche) Kühlung hervorgerufen worden war. Die Kaninchen wurden nach der Ovulation operiert und ihre Tuben mit einem hohlen Metallmantel umschlossen, durch den Eiswasser geführt wurde. Nach einigen Tagen wurden sie getötet, um den Zustand der Eizellen zu überprüfen.
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wissenschaftlers gegenüber der Natur äußert sich vielleicht am prägnantesten in einem Brief, den Pincus im Januar 1938, also mitten in den Versuchen in Cambridge, an Crozier sandte: »I think I can make male rabbits pregnant. Will know definitely in 2 or 3 weeks.«416 Die Verschiebung der Semantik, mit der die Zuständigkeit des Labors weiter ausgedehnt wurde, zeigt sich auch darin, dass Pincus als Gegenbegriff zur »artificial activation« nicht etwa die natürliche, sondern die normale Aktivierung benutzte. Die Kontrollgruppe der im Körper befruchteten Eizellen repräsentierte die Bedingung der »normal fertilization«, mit ihrer Hilfe ließ sich die »normal control series« darstellen.417 Die Frage war nur, wie sich unter »artifiziellen« Bedingungen diese normalen Abläufe herstellen ließen. Bezogen auf die in vitro Fertilisierung fragte Pincus: »Can we then attribute the high cleavage percentage to a normal fertilization by rabbit sperm?«418 Wurde der Begriff der »normalen« Befruchtung 1934 im Zusammenhang mit der in vitro Fertilisierung noch mit Anführungszeichen versehen,419 fielen diese nun weg. In der Zusammenfassung beantwortete Pincus seine Frage: »Treatment with rabbit sperm results in normal fertilization«.420 Die Replikation natürlicher Verhältnisse war zwar von Bedeutung zur Stabilisierung der Versuchsergebnisse.421 Aber das Ziel war nicht mehr Natürlichkeit, sondern Normalität und diese war auch mit Hilfe von Manipulationen erreichbar. Durch die Hormonextrakte werde »exactly the same sequence of events« ausgelöst, wie sie normalerweise im Kaninchen auftraten,422 schrieb Pincus, die Eizellen von hormonbehandelten Follikeln seien von einem Kranz von Zellen umgeben, »a fairly reliable indicator of normality.«423 Angesichts dieser Verschiebung wundert es nicht, dass hybride Befruchtungen keine besondere Rechtfertigung verlangten: Kaninchen-Eizellen konnten mit Rattensperma »aktiviert« werden, aber auch mit menschlichem. Umgekehrt wurden menschliche Eizellen mit Kaninchen-Sperma behandelt.424 Die Natur stand der experimentellen Manipulation zur Verfügung. In einem handschriftlichen Arbeitsbericht zu seinem Aufenthalt in Cambridge plante Pincus unter der Überschrift »Future work« weitere Transplantationen von Ei416 Gregory G. Pincus an William J. Crozier, 9.1.1938, in: HUG 4308.5. 417 Pincus, The Development of Fertilized and Artificially Activated Rabbit Eggs, S. 89. 418 Ebd., S. 98. 419 Pincus u. Enzmann, Can Mammalian Eggs Undergo Normal Development in vitro?, S. 121. 420 Pincus, The Development of Fertilized and Artificially Activated Rabbit Eggs, S. 111. 421 Pincus schrieb zur hormonell ausgelösten Ovulation, man habe den Kaninchen nach der »ovulating injection« 10–11 Stunden Zeit gelassen, bis sie durchschnittlich 25 Eizellen hervorbrachten: »This gives them an exact replica of a coitus-induced ovulation.«, ebd., S. 86. 422 Ebd., S. 86–87. 423 Ebd., S. 87. 424 Vgl. den Abschnitt IV.5.
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zellen, um »the nature of the master processes controlling early development« zu bestimmen.425 In der Einleitung seines Buches von 1936 schrieb Pincus, dass eine neue Ära der Sexualphysiologie begonnen habe. Früher seien der Arbeit mit Eizellen enge Grenzen gesetzt gewesen, weil sie in vitro nicht lange genug intakt blieben, um sie längeren Experimenten aussetzen zu können. Auch die Manipulation in vivo habe nur beiläufige Aufmerksamkeit erfahren.426 Mit der Entdeckung und Isolierung derjenigen Hormone, welche die Aktivitäten des Genitaltraktes von Säugetieren regulierten, habe sich dies grundlegend geändert. Es ging Pincus also um die experimentelle Manipulation der lebenden Eizelle, und zwar in vivo und in vitro. Die Experimente zur in vitro Fertilisierung von Eizellen gehörten in diesen Kontext des Erprobens, Entwickelns und Verfeinerns der dazu notwendigen Techniken. Pincus klammerte Fragen der morphologischen Beschaffenheit der Eizelle bewusst aus, ihn interessierte vor allem ihre Physiologie und das Experiment.427 Er schloss seine Einleitung etwas pathetisch mit den Worten: »It is the earnest believe of the writer that these experimental inquiries represent a small fraction of the work that should and will be done. The enormous variety and richness of mammalian material that is available and untapped should provide an extraordinary temptation to exploitation now that a beginning has been made in the development of technical facilities for the manipulation of this material. I emphasize that only a beginning has been made. This book is a beginning.«428
Im Laufe der 1930er Jahre, so lässt sich zusammenfassen, wurden die Experimente und die dazugehörige Theorie in entscheidender Weise modifiziert. Zu den markantesten Einschnitten gehörte die Integration der Hormonforschung in die Befruchtungsversuche, die etwa 1935 erfolgte. Dadurch veränderten sich die Forschungspraktiken und zugleich wurden der Befruchtungsvorgang und der Forschungsgegenstand neu konzeptualisiert. Waren die Versuche zur in vitro Fertilisierung bis Mitte der 1930er Jahre die experimentelle Kontrollbedingung für die Parthenogenese, rückten sie gegen Ende der 1930er Jahre in die Versuchsbedingungen ein, wurden also selbst zum Gegenstand der Forschung. Die extrakorporale Befruchtung von Säugetier-Eizellen wechselte ihre Funktion innerhalb des Experimentalsystems: Gehörte sie zuvor zum »Bestand des Technischen«,429 fungierte sie nun als epistemisches Objekt. Erst jetzt kann man 425 Das Manuskript ist nicht datiert, aber es handelt sich um die Zusammenfassung der Arbeit in Cambridge 1937/38 und wurde direkt im Anschluss verfasst, Anhang zum Entwurf eines Briefes, William J. Crozier an Felix Frankfurter, 15.7.1938, in: HUG 4308.5. 426 Pincus, Eggs of mammals, S. 2. 427 Ebd., S. vii, 1. 428 Ebd., S. 4. 429 Rheinberger, Experimentalsysteme und epistemische Dinge, S. 153.
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von der »Segmentierung« einer »line of work«, von der Ausdifferenzierung eines Forschungsgegenstandes der in vitro Fertilisation sprechen, was sich etwa auf die Jahre 1936 und 37 datieren lässt. Auf der Ebene der Theorie zeigte sich, dass die Integration der Hormonforschung die Befruchtung zur biochemische Aktivierung wandelte. Damit wurde die Unterscheidung von natürlicher und künstlicher Befruchtung hinfällig: Alle Varianten von Befruchtung standen einer normierten Eizellen-Entwicklung gegenüber und wurden an ihr gemessen. Sie waren dieser, sofern sich dieselben Abläufe zeigten, gleichgestellt. Die Eizelle galt dabei zunehmend als ein vom Mutterorganismus unabhängiges Versuchsobjekt. Gravierend, und für die Entwicklung der Life Sciences insgesamt von Bedeutung, dürfte eine Verschiebung innerhalb von in vivo und in vitro gewesen sein, die in den Veröffentlichungen der 1930er Jahre nachzuweisen ist. Die Technik der Transplantation erlaubte die Verlegung von Experimenten in den Mutterorganismus, der damit das Kulturmedium abgab. Dem Verfügungsbereich des Labors waren praktisch keine Grenzen mehr gesetzt, so dass auch hybride Befruchtungen, selbst mit menschlichen Eizellen keinen Rechtfertigungsdruck erzeugten. Ende der 1930er Jahre war also der vollständige experimentelle Zugriff auf die Natur und das Leben in den Denkstil dieser Biologen integriert, die Eizelle als Forschungsgegenstand und quasi selbständiger Organismus konzipiert, die Eizellen-Entwicklung normiert und die in vitro Fertilisation ein Forschungsgegenstand. Die Kombination von Theorie und zunehmend standardisierten Techniken, die anders als im neunzehnten Jahrhundert einen wichtigen Forschungsgegenstand darstellten, bildete ein Paket, mit dem die Manipulation von Eizellen zur Routine werden konnte. Ein solches Paket, so Joan Fujimura, erleichtert den Transfer von Forschungspraktiken in andere Experimentalsysteme: »the combination allowed other researchers with ongoing enterprises to locally concretize the abstraction in different practices to construct new problems; and the routinization allowed the new idea to move to new sites and be inserted into existing routines with manageable reorganization.«430
Diese Konkretisierung in einer anderen sozialen Welt wird im nächsten Abschnitt verfolgt. Schon 1935 führte das Labor von Pincus Experimente mit menschlichen Eizellen durch, die in den folgenden Jahren im Rahmen eines großangelegten Projektes an das Free Hospital for Women in Brookline verlegt wurden. Damit vollzog sich ein weiterer Schritt von der »Segmentierung« eines Forschungsgegenstandes hin zur Herausbildung einer Forschungslinie.
430 Fujimura, Crafting Science, S. 179.
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5. Die Kooperation zwischen physiologischem Labor und Klinik Im Oktober 1937 erschien das New England Journal of Medicine mit einem Editorial, das überschrieben war mit dem Titel »Conception in a Watch Glass«. Der anonyme Autor berichtete über Versuche von Wissenschaftlern, das elektrische Potential an Vagina und Bauch von Kaninchen zu messen, um den exakten Zeitpunkt der Ovulation zu bestimmen.431 Begeistert zog er die Verbindung zu Arbeiten anderer Wissenschaftler, die mit Eizellen von Säugetieren gearbeitet hatten, darunter Gregory Pincus und Ernst Enzmann mit ihrer Veröffentlichung aus dem Jahre 1934 zur in vitro Fertilisation von Kaninchen-Eizellen.432 Wenn sich solche Erfolge beim Menschen wiederholen ließen, schrieb der Autor, »we should, in the words of ›flaming youth‹, be ›going places.‹ The difficulty with human ova has been that those recovered from tubes have regressed beyond the possibility of fertilization in vitro. But by utilizing the electrical sign we may be able to obtain them from the follicle at the peak of their maturity. … What a boon for the barren woman with closed tubes!«433
Zum ersten Mal wurden hier verschiedene reproduktionsphysiologische Experimente miteinander verbunden und mit der Zielstellung einer medizinischen Anwendung beim Menschen versehen, der Behandlung von Unfruchtbarkeit.434 Zugleich formulierte der Autor en passant ein Forschungsprogramm, das in den folgenden Jahren umgesetzt wurde: die Gewinnung reifer, menschlicher Eizellen und ihre anschließende in vitro Fertilisation. In den 1930er Jahren entwickelten sich, wie gezeigt wurde, einige Voraussetzungen für eine Forschungslinie der IVF: Die Befruchtung war als »Aktivierung« theoretisch gefasst, deren verschiedene Varianten verglichen und auf eine normierte Eizellen-Entwicklung bezogen wurden. Die Eizelle galt als Versuchsobjekt ohne Bezug auf einen Mutterorganismus und die Techniken zum experimentellen Umgang mit Eizellen waren erheblich weiter entwickelt worden. Es waren, in den Worten von Joan Fujimura, die Konturen eines Theorie-Methoden-Pakets erkennbar, welches den Transfer von Versuchen in andere soziale Welten erleichterte: »it facilitated the flow 431 An., Conception in a Watch Glass, mit Verweis auf Burr u. a. 432 Pincus u. Enzmann, Can Mammalian Eggs Undergo Normal Development in vitro?, S. 121. 433 An., Conception in a Watch Glass. 434 Der Autor spekulierte auch darüber, zukünftig das Geschlecht eines Kindes zu bestimmen oder es von einer Leihmutter austragen zu lassen: »Truly it seems as if the forge were being warmed, and another link may be welded in the chain by which mankind strives to hold nature under control.«, ebd.
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of resources (concepts, skills, materials, techniques, instruments) among multiple lines of work.«435 Zu einem solchen Transfer kam es nach 1935 mit der Kooperation zwischen dem physiologischen Labor in Harvard und dem Free Hospital for Women in Boston. Im Folgenden wird beobachtet, wie die Zusammenarbeit innerhalb der organisatorischen Abläufe der Klinik ausgestaltet wurde und wie die ersten Versuche zur in vitro Fertilisation menschlicher Eizellen sowie zeitgleich stattfindende Versuche mit demselben Versuchsobjekt in Harvard abliefen. Dann wird der Prozess untersucht, der zur ersten erfolgreichen in vitro Fertilisation einer menschlichen Eizelle führte, bevor abschließend die weitere Entwicklung dieser Versuche skizziert wird. Die übergreifende Fragestellung ist, über welche Schnittstellen der Transfer von Konzepten, Fertigkeiten und Prozeduren aus dem physiologischen Labor in die Klinik erfolgte und welchen wechselseitigen Anpassungen das Versuchsobjekt, seine Gewinnung, die experimentellen Arbeitsabläufe und die theoretische Zurechtlegung und Legitimierung der Experimente unterzogen wurden. Mit anderen Worten: Es geht um die Frage, welche Rolle die Kooperation zwischen Klinik und Labor für die Entwicklung einer Forschungslinie der IVF spielte.
Der Ausgangspunkt Der Autor des eingangs zitierten Editorials war John Rock.436 In Harvard als Gynäkologe ausgebildet arbeitete er am Brookline Free Hospital for Women in der Geburtshilfe und der chirurgischen Gynäkologie. Schon in den 1920er Jahren hatte sich Rock für die Behandlung der Unfruchtbarkeit interessiert und eine der ältesten Infertility Clinics der USA geleitet. Als gläubiger Katholik war er überzeugt, dass die Erfüllung einer Ehe in der Geburt von Kindern bestehe. Auch am Free Hospital richtete er eine Infertility Clinic ein, eine spezielle Sprechstunde für Frauen, die keine Kinder bekamen. Zugleich engagierte er sich in der Geburtenkontrolle, obwohl es in Massachusetts zu diesem Zeitpunkt nicht legal war, »contraceptive advice« zu erteilen. Gemeinsam mit einer Sozialarbeiterin gründete er 1936 eine »Rhythm Clinic«, um Frauen die Geburtenkontrolle mit Hilfe der Beobachtung ihres Zyklus zu ermöglichen.437 Hier sam435 Fujimura, Crafting Science, S. 178. 436 Marsh u. Ronner, S. 172. Die Autorinnen konnten die Rock Paper in der CLM durchsehen. 437 Ebd., S. 173. Vgl. auch Menkin, Lecture at Cold Spring Harbor, S. 3, in: Papers of John Rock, CLM, MC 660, Box 38. In diesem Vortrag am 26.7.1949 berichtete Menkin über die in vitro Fertilisation menschlicher Eizellen, in: Papers of John Rock, CLM, MC 660, Box 38. Ich
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melte er Erfahrungen mit dem Zyklus von Frauen, die in das Forschungsprojekt eingingen, um das es im Folgenden geht. John Rock war ausgesprochen aufgeschlossen, was die klinische Anwendung neuer Technologien und medizinischer Innovationen anging.438 Er verstand sich als Wissenschaftler und verkörperte den Prototyp eines modernen Mediziners mit großem Optimismus für die Leistungen medizinischer Forschung. Seit Beginn der 1930er Jahre konzentrierte er seine eigene Forschungsarbeit vor allem auf das Problem der Infertilität: »He worked exclusively with human subjects, never animals, on both the clinical and research level simultaneously.«439 Schon bald war Rock »one of a handful of nationally recognized figures who stood at the head of a new elite corps of infertility specialists and who, over the course of two postwar decades, fundamentally altered the ways in which researchers conceptualized, and practitioners treated, the problem of infertility.«440
Die Forschungen in der Physiologie in Harvard waren für Rock verlockend. Sie hatten ein Stadium erreicht, in dem eine abstrakte Theorie – zur Manipulation von Säugetier-Eizellen im Labor – mit mehr und mehr standardisierten Verfahren verknüpft wurde. Beides passte zu Rocks schon bestehenden Forschungsinteressen. Zwischen den Ärzten des Free Hospital und dem Labor von Gregory Pincus bestand schon seit 1935 eine Verbindung. Pincus und seine Kollegen führten erste Versuche mit menschlichen Eizellen durch, die aus weiblichen Reproduktionsorganen stammten, also »Abfallprodukte« gynäkologischer Operationen im Free Hospital waren. Die Idee, auch menschliche Eizellen außerhalb des Körpers zu befruchten, wurde konkretisiert und erweitert im Gespräch zwischen John Rock, Gregory Pincus und Arthur Hertig, einem gynäkologischen Pathologen, der in einem von der Carnegie Institution finanzierten Forschungsprojekt zur Blutversorgung der Plazenta gearbeitet hatte. Dort sammelte er auch Erfahrungen damit, Embryonen von Rhesusaffen aufzufinden.441 Diese drei Forscher entwarfen ein Forschungsprojekt, das 1938 unter der Leitung von Rock am Free Hospital begann und später als »Egg Hunt« oder »Egg Chase« bezeichnet wurde. Es basierte auf Eizellen von Patientinnen, denen im Free Hospital die Gebärmutter, die Eileiter oder die Eierstöcke chirurgisch entfernt worden waren.
danke Jack Eckert für eine Kopie des Dokumentes. Die Akten werden neu geordnet, daher wird sich die Standortbezeichnung möglicherweise ändern. 438 Marsh u. Ronner, S. 173. 439 McLaughlin, S. 41. 440 Marsh u. Ronner, S. 172. 441 Zur Karriere von Arthur T. Hertig vgl. McLaughlin, S. 60–62.
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Das Projekt verfolgte zwei miteinander verflochtene Absichten. Zum einen sollten möglichst frühe menschliche Embryonen aufgefunden und katalogisiert werden, eine Aufgabe, die Arthur Hertig übernahm. Das zweite Ziel bestand in der in vitro Fertilisation menschlicher Eizellen. Rock benötigte also »two types of eggs: fertilized eggs for the project with Hertig; and unfertilized eggs for attempts at test-tube conception.«442 Arthur Hertig konnte sich später nicht erinnern, wessen Idee das Projekt »Eierjagd« war: »Brain children are a lot like regular children. Sometimes it’s hard to determine legitimacy. But it was John [Rock] who was the motivating spirit as far as using clinical material [patients] was concerned.«443
Der Ausdruck des »klinischen Materials« (die Erläuterung stammt von Loretta McLaughlin) verdeutlicht, dass die Patientinnen von Anfang an als Teil der Versuchsanordnung betrachtet wurden. Die Verteilung von Interessen zwischen den beteiligten Forschern beschrieb Hertig so: »Pincus was primarily interested as a fundamental biologist. Rock’s interest was the fertility aspect and the fundamental physiology, as was mine.«444
Hertig benannte hier explizit die jeweils unterschiedliche Perspektive der Beteiligten, die sich aber in diesem Vorhaben bündeln ließen, das alle Interessen zu bedienen versprach. Die Idee der »fertilization in vitro« war »plastic enough to adapt to local needs and the constraints of the several parties employing them, yet robust enough to maintain a common identity across sites.«445 Zwischen dem physiologischen Labor und der Klinik fand während des Projektes ein reger Austausch von Wissen statt, der sich auf alle Phasen des experimentellen Geschehens bezog. Diesen Transfer erleichterte eine personelle Verbindung beider Arbeitsplätze. Als Rock im März 1938 eine Laborangestellte für die Experimente mit menschlichen Eizellen suchte, bewarb sich Miriam Menkin, eine frühere Laborassistentin von Gregory Pincus. Sie hatte im Physiologischen Labor die Hormonextrakte für Kaninchen präpariert. Davon berichtete sie John Rock: »After injection of these extracts in a certain proportion, a rabbit could be made to ovulate a hundred eggs, instead of the usual number. This phenomen is called superovulation. Superovulation! that one word did it. … well, that clinched the matter. I was hired. Dr. Rock then asked me would I like to fertilize the human egg, in vitro, of course.« 446
442 Ebd., S. 75. 443 Arthur Hertig im Interview mit Loretta McLaughlin, ebd., S. 62. 444 Zitiert nach ebd. 445 Star u. Griesemer, S. 393. 446 Menkin, Lecture at Cold Spring Harbor, S. 4, in: Papers of John Rock, CLM, MC 660, Box 38, Hervorhebung im Original.
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Joan Fujimura schreibt, dass das Versenden von Labormaterial einen Versuch darstelle »to standardize the world outside«, denn solche Ressourcen verkörperten die spezifische Arbeitsorganisation des Labors, aus dem sie stammten.447 Hier »importierte« Rock eine Laborangestellte, aber in Analogie zu Fujimuras Überlegung lässt sich sagen, dass er damit das Ziel verfolgte, spezifisches Know-how und das Training auf bestimmte Arbeitsabläufe in die Klinik zu holen. Auf die große Bedeutung solcher handwerklichen Fertigkeiten, das »embodiment of skills through experience« wird in Wissenschaftsstudien immer wieder hingewiesen.448 Besonders interessierte sich Rock für die hormonelle Stimulierung der Ovulation, für deren Anwendung bei den späteren Experimenten sich allerdings keine Belege finden. Dennoch war Menkin ein ideales Bindeglied zwischen der Klinik und dem physiologischen Labor, sie war »a hybrid product of two formerly separate lines of research«.449 Fujimura zeigt in ihrer Studie zur Durchsetzung des molekularbiologischen Ansatzes in der Krebsforschung, dass die Versendung von Mitarbeitern in »fremde« Labors eine Strategie war, die Ergebnisse anderer Disziplinen für die eigene Arbeit nutzbar zu machen. Solche Mitarbeiter, häufig Studenten oder Doktoranden, waren personifizierte »Übersetzer« zwischen verschiedenen sozialen Welten.450 Über Miriam Menkin funktionierte die Verbindung in beide Richtungen: Sie versprach die Integration experimenteller Fertigkeiten der Physiologie in die Klinik und gewährleistete umgekehrt einen engen Kontakt zwischen Pincus und den Versuchen am Free Hospital. »Translation« spielt eine zentrale Rolle in der Kooperation zwischen verschiedenen sozialen Welten. Nicht nur die Perspektiven der beteiligten Wissenschaftler müssen vermittelt werden, auch das Laborpersonal und – wie im Folgenden deutlich wird – die Patientinnen stellen Akteure dar, die in Aushandlungsprozesse einbezogen sind. Auch in organisatorischer Hinsicht waren Übersetzungen nötig: Die Experimente zur »fertilization in vitro« erforderten die Synchronisation klinischer und experimenteller Arbeitsroutinen. Das geschah über die Justierung der Ovulation mit einem Messverfahren, das sich zwar als Fehlschlag erwies, mit dem aber die wechselseitige Anpassung eingeleitet wurde.
447 Fujimura, Crafting Science, S. 197–198. 448 Clarke u. Fujimura, S. 10. 449 Fujimura, Crafting Science, S. 204. Die Forschungszusammenhänge blieben getrennt. 450 Ebd., S. 196, 203–204. Auch Nicholas Werthessen hatte mit den Versuchen zu tun, denn Rock und Menkin erwähnen ihn in ihrer Danksagung: »We very gratefully acknowledge the invaluable advice and encouragement generously given us by Dr. Gregory Pincus, as well as the helpful assistance furnished at various stages by Dr. Nicholas Werthessen, Miss Lotte Lee Sichel, Miss Eleanor C. Adams, James M. Snodgrass and Dr. Harold Brown.«, Rock u. Menkin, S. 105.
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Die Klinik als Labor Das Brookline Free Hospital for Women lag an der Stadtgrenze von Boston, verfügte über 50 Betten, eine moderne Röntgenausstattung und drei Operationssäle. Es war mit der Harvard Medical School verbunden, wurde großzügig durch Spenden finanziert und war ausschließlich für die kostenlose Behandlung mittelloser Bostoner Frauen eingerichtet. Das Hospital zog viele hervorragend ausgebildete Ärzte an, »because the hospital’s reputation was so superior. The Free also provided almost absolute research freedom, far less interference than at the larger, Harvard-affiliated hospitals in Boston proper. … While medical insiders knew more or less what was going on in the research programs at the Free, the general public knew little of it.«451
Die Journalistin Loretta McLaughlin, die auf der Grundlage von Interviews eine Biographie John Rocks schrieb, kommentierte das Forschungsprojekt, das dort 1938 begann, folgendermaßen: »There was nothing fancy about the equipment or the laboratories where Rock and his colleague, pathologist Arthur Tremain Hertig, were to search for already fertilized human eggs: Hertig’s on the ground floor of the Parkway wing of the Free Hospital for Women and Rock’s on the third. But the procedures they set up for obtaining the eggs were ingenious, and Rock and Hertig, along with Rock’s indefatigable assistant Miriam Menkin, were singularly resourceful.«452
Diese Einschätzung bedarf einer Präzisierung. Denn die Besonderheit des Projektes bestand vor allem in der Tatsache, dass Rock und sein Team die Klinik selbst in ein Labor verwandelten: Die medizinische Praxis der Klinik wurde zur Forschungspraxis. Die therapeutischen Abläufe wurden so modelliert, dass sie sich in die Anforderungen des Forschungsvorhabens einpassten. Umgekehrt wurden die Experimente in die organisatorischen Bedingungen der Klinik eingefügt. Diese gegenseitige Anpassung geschah über den Zeitpunkt der Ovulation, die zugleich das zentrale forschungspraktische Problem darstellte. Nur wenn der Eisprung möglichst genau abgepasst wurde, konnte man hoffen, gerade befruchtete oder befruchtungsfähige Eizellen aufzufinden: »Timing was the keystone to success; the single most critical element.«453 Die eingangs erwähnten Versuche zur exakten, elektrischen Messung der Ovulation spielten – obwohl sie sich später als nicht tragfähig erwiesen – eine Schlüsselrolle, weil sie genau dieses Problem zu lösen schienen: Daher waren sie die Initialzündung für das Projekt. Miriam Menkin schrieb später, Rock 451 McLaughlin, S. 41. 452 Ebd., S. 60. 453 Ebd.
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habe die Arbeit von Burr, Hill und Allen mit großem Enthusiasmus verfolgt. Schon diese hatten an der Yale Universität ihre Experimente auf Frauen ausgedehnt. 1937 wiederholte John Rock den Versuch an einer Frau im Free Hospital for Women, die er operieren wollte: »Much to his delight, this lady at Harvard appeared to react in the same way as the one at Yale and as the Yale rabbit. That is, there occurred a sudden rise in potential difference, whereupon Dr. Rock immediately operated, and in the ovary, he found a follicle on the verge of rupture.«454
Gemeinsam mit zwei Kollegen veröffentlichte Rock in derselben Ausgabe des New England Journal of Medicine, für die er das Editorial geschrieben hatte, einen Aufsatz dazu.455 Die Autoren hatten ein Gerät weiterentwickelt, das auch schon Burr, Hill und Allen zur Messung der Ovulation beim Kaninchen benutzt hatten, einen »vacuum-tube potentiometer«. Sie brachten am Bauch und am Muttermund der Patientin Elektroden an, um die elektrische Spannung zu messen. Die Ergebnisse hielten sie in einer Kurve fest, die einen Anstieg von 7–8 Millivolt anzeigte, worauf hin die OP stattfand, bei der ein kurz zuvor geplatzter Follikel gefunden wurde. Das schien die Annahme zu bestätigen, dass die Ovulation begleitet sei von einer messbaren Veränderung der Spannung. Anfang des Jahres 1938 wurden Daten an weiteren Patientinnen gesammelt, die dieses Ergebnis stützten. Die Hoffnungen erwiesen sich als verfrüht, aber 1938 »people around Boston were talking about this doctor at the Free Hospital, who had a wonderful machine … he could connect his patients up to this machine with wires in such a way that every time one of these ladies ovulated, a bell would ring! This bell was connected with a buzzer on his desk, so, in this way, the doctor could keep tabs on his patients.«456
Das Potentiometer schien es zu ermöglichen, die klinischen Prozeduren mit dem Forschungsvorhaben zu synchronisieren. Rock wollte die Patientinnen, die eine größere OP erwarteten, an das Gerät anschließen, um den genauen Termin für den Eingriff festzulegen.457 Tatsächlich wurden die Frauen am 9. oder 10. Tag ihres Zyklus angeschlossen. Sobald die Kurve eine scharfe Veränderung zeigte, schrieb Miriam Menkin, wurden sie operiert: »at this moment, regardless of the time of the day or night, he proposed to rush the patient to the operating-room … the operating-room nurses just loved this project. 454 Menkin, Lecture at Cold Spring Harbor, S. 4, in: Papers of John Rock, CLM, MC 660, Box 38. 455 Rock u. a. 456 Menkin, Lecture at Cold Spring Harbor, S. 4, in: Papers of John Rock, CLM, MC 660, Box 38. 457 Ebd., S. 5.
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I was to stand close by with a dish of sterile Locke’s solution in my hand and wait until Dr. Rock had performed the hysterectomy. Then the ovary would be handed over to me. With sterile precautions, I would carefully place the ovary in the dish … rush down 2 flights of stairs to the lab. … I would then pluck out the egg from the large follicle, the ripe egg, that presumably was sitting there, just waiting to be fertilized.«458
Ziemlich bald aber erwies sich das Potentiometer als Enttäuschung. Für den Sommer 1938 wurde eine weitere Veröffentlichung vorbereitet, an der wie schon zuvor Jean Reboul, ein junger französischer Forscher beteiligt war. Von ihm wurde eine Kontrollkurve erstellt, von der Miriam Menkin ironisch schrieb, sie sei die schönste »Ovulationskurve« der ganzen Versuchreihe gewesen.459 Auch eine Folge von Tests zum elektrischen Potential an den Händen von Frauen, die am weiblichen Personal des Free Hospitals durchgeführt wurde, schlug fehl.460 Dennoch leitete diese Technik die Abstimmung der medizinischen Behandlung von Frauen mit dem Forschungsprojekt ein. Das unbrauchbar gewordene Potentiometer wurde ersetzt durch Hertigs und Rocks spezifische Erfahrungen: »Hertig was well aware from his Carnegie Institution studies that the secret to finding fertilized monkey eggs was to correlate the search with copulation at the most opportune ovulation time. But how could this be done with people? Women could hardly be set to copulating on schedule and then subjected to sterilizing surgery merely to assure Hertig and Rock more promising tissue samples in which they would have a better chance of finding a human conceptus. Rock conceived of a way to go about it, however. He started at the opposite end of the puzzle, with women who needed hysterectomies for valid medical reasons. They were going to lose their wombs anyway. The strategem he envisioned was to time their surgery so that it coincided with ovulation, or shortly thereafter. Possibly, just possibly, they might also be in a very early, indeterminable stage of early pregnancy.«461
Rock benutzte seine jahrelange Erfahrung der Zyklusbeobachtung, die er in der Rhythm Clinic zur Vermeidung einer Schwangerschaft anwendete, gerade umgekehrt zur Bestimmung des fruchtbarsten Zeitpunktes. Die Operationen
458 Ebd. 459 Ebd., S. 6. Die Sache fiel auf, als Menkin bei der Korrektur des Aufsatzes John Rock darauf aufmerksam machte, dass die Initialen J. R. (für Jean Reboul) unter den Versuchspersonen auftauchten, was dieser gar nicht witzig fand: »Dr. Rock [mit denselben Initialen] said he just couldn’t take it, to have his initials down under this perfectly beautiful ›ovulation‹ curve, in the American Journal of Obstetrics and Gynecology, where his obstetrician and gynecologist friends all over the country would see it!« 460 Ebd., S. 6–7. 461 McLaughlin, S. 62–63.
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fanden kurz nach dem geschätzten Zeitpunkt der Ovulation statt. Die Frauen hatten vorher ihren Zyklus aufzuzeichnen und zu vermerken, wenn sie Geschlechtsverkehr mit ihrem Ehemann hatten, so dass die Chance bestand, eventuell sogar eine gerade befruchtete Eizelle aufzufinden. Die erste Phase des Projektes am Free Hospital ist vor allem durch organisatorische Einstellungen der Arbeitsabläufe gekennzeichnet. Bezogen auf neuere Studien zur Praxis wissenschaftlicher Forschungen schreiben Adele Clarke und Joan Fujimura: »It is important to note that many of the processes discussed are organizational phenomena, limited neither to science nor to research. They pertain to situations where people work together to jointly accomplish something to which they are all committed, though perhaps quite differently.«462
Miriam Menkin schilderte, mit welchen praktischen Problemen sie in ihrer alltäglichen Arbeit konfrontiert war. Sobald eine Patientin auf die Warteliste für eine Operation kam, wurde damit begonnen, ihre Zykluslänge zu registrieren. Von besonderem Interesse waren die Patientinnen, deren Zyklus regelmäßig verlief, weil bei ihnen die Wahrscheinlichkeit einer präzisen Schätzung am höchsten lag. In der ersten Zeit war es die Aufgabe von Miriam Menkin, die Patientinnen, deren Zyklus nur um einen Tag variierte, monatlich mit einer vorgefertigten Antwortkarte anzuschreiben, um den genauen Zeitpunkt der Regelblutung zu registrieren. Obwohl diese Praxis wegen ihrer Unzuverlässigkeit nur kurze Zeit und auch nur bei einem Teil der Frauen angewendet wurde, kam Menkin auf eine Zahl von 1.032 Patientinnen, was ein Schlaglicht auf den Umfang der gesamten Versuchsreihe wirft.463 Menkin hatte die Aufgabe, den günstigsten OP-Termin zu kalkulieren, so dass die Chance bestand »an embryo on day fifteen, sixteen, or seventeen of the menstrual cycle« zu erlangen. Sie sei zu dieser Zeit ein Nervenbündel gewesen, schließlich konnte schon eine leichte Erkältung den Zeitpunkt der Ovulation verschieben.464 Die »Kandidatinnen«, wie die für die Versuchsreihe ausgewählten Patientinnen genannt wurden, sollten intelligent und zuverlässig sein. Außerdem musste die Diagnose passen: »serious enough to warrant a hysterectomy but not so diseased that they could no longer ovulate or conceive.«465 Miriam Menkin erläuterte den Frauen das Forschungsprogramm und holte ihr Einverständnis ein. Dann wurden sie von Rock gynäkologisch untersucht, nach der Geschich462 Clarke u. Fujimura, S. 27. 463 Bis 1944 isolierten Rock und Menkin 800 Eizellen und brachten 138 davon in Kontakt mit Sperma, Rock u. Menkin, S. 105, Anm. 5. 464 McLaughlin, S. 77. 465 Ebd., S. 75–76.
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te ihres Zyklus befragt und aufgefordert, jeden Morgen ihre Temperatur zu messen und den Zyklus aufzuzeichnen. In ihrer fruchtbaren Zeit sollten sie Geschlechtsverkehr vermeiden oder ein Verhütungsmittel benutzen: »The women followed this routine for six monthly cycles until the month prior to their surgery.«466 An der Auswahl und Vorbereitung der Frauen und an der Kalkulation der OP-Termine wird deutlich, wie sehr die therapeutischen Praktiken der Forschungsfrage angepasst wurden. Heute sei ein solches Experiment undenkbar, schrieb Loretta McLaughlin, »it is highly unlikely that women could be found, who were in need of a hysterectomy, but who could and would be willing to delay surgery for a few months and spend that time charting their ovulatory cycles, for the sake of an uncertain experiment.«467
Hertig bestand entschieden darauf, dass die Operationen medizinisch notwendig waren. Keinesfalls seien die Frauen für die Studie ausgewählt und operiert worden, erst recht nicht, um ihnen damit eine Abtreibung zu ermöglichen. Sie seien nicht gedrängt worden, vor dem Eingriff Geschlechtsverkehr zu haben, sollten ihn aber aufzeichnen, wenn er vorgekommen war.468 Menkins Darstellung weicht davon ab. Sie habe den »Kandidatinnen« erklärt, dass das Forschungsprogramm den Zweck verfolge, unfruchtbaren Frauen zu helfen, indem die frühe Entwicklung eines Kindes erforscht werde, »the practical fact of it was that there wasn’t much point in going to all the trouble of preparing the women for the study, if none were going to at least give their eggs a chance to be exposed to their husband’s sperm.«469
Menkin war nicht nur »Übersetzerin« zwischen Klinik und Labor, sie hatte auch den engsten Kontakt zu den Patientinnen, holte ihr Einverständnis ein und überzeugte sie, sich an dem Forschungsvorhaben zu beteiligen. Sie übersetzte die Interessen der Forscher in das Interesse der Frauen, »unfruchtbaren Frauen zu helfen«. Der Chirurg, der Pathologe, der Physiologe, die Laborassistentin, die Patientinnen und nicht zuletzt (unfruchtbare) Frauen als Gruppe waren direkte und indirekte, sichtbare und unsichtbare Teilnehmer/innen dieses Forschungsprojektes.470
466 Ebd., S. 76. Den katholischen Frauen wurde geraten, »rhythm« zu praktizieren, also sexuell abstinent zu bleiben, den anderen wurden Verhütungsmittel nahegelegt. 467 Ebd., S. 64. 468 Ebd., S. 76. 469 Ebd. 470 Vgl. Fujimura, Crafting Science, S. 186.
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Die Experimente zur in vitro Fertilisation Die treibende Kraft hinter den Versuchen zur in vitro Fertilisation war John Rock.471 Diese Versuche spielten sich nach immer derselben wöchentlichen Routine ab. Jeden Dienstag operierte er. Da es keine Telefonverbindung zwischen OP und Labor gab und die Organe sofort bearbeitet werden mussten, wartete Miriam Menkin ab 8.00 Uhr vor dem OP im Erdgeschoss mit einer sterilen Lösung. Manchmal bekam sie Eierstöcke, Eileiter oder Gebärmutter bis 9.30 Uhr, manchmal erst gegen Mittag. Sie eilte damit in ihr Labor im 3. Stock und begab sich auf die Suche nach Eizellen. Dazu spülte sie die Eileiter aus und punktierte die größten Follikel der Eierstöcke.472 Fand sie Eizellen, wurden diese 24 Stunden lang bei Körpertemperatur kultiviert, um zu reifen. Dann waren sie vorbereitet für die Fertilisation.473 Während dieser 24 Stunden organisierte John Rock eine Samenspende seiner Assistenzärzte: »Not only did he pay a small fee, but he also made the process of donation as palatable as possible. In the private cubicle where donors would masturbate and ejaculate the semen samples into a sterile container, Rock hung large posters of voluptuous nudes which he’d picked up in Sweden to help ›inspire the young men to action‹.«474
Menkin zentrifugierte und spülte das Sperma, bevor es mit den Eizellen in Berührung kam.475 Diese wurden dem Inkubator entnommen und 15 bis 30 Minuten in einer Lösung im »Watch glass« mit Sperma in Kontakt gebracht. Danach spülte Menkin die Eizellen ein weiteres Mal, füllte sie in einen Glaskolben und kultivierte sie für 48 Stunden.476 Dieser Ablauf blieb immer gleich: 471 Menkin, Lecture at Cold Spring Harbor, S. 10, in: Papers of John Rock, CLM, MC 660, Box 38, mit kleiner, nicht leserlicher Änderung. 472 Obwohl extrem feine Pipetten (»Pipulettes«) verwendet wurden, gingen die Eizellen bei diesem Vorgang häufig verloren, McLaughlin, S. 77–78. 473 Ebd. Menkin berichtete über die erste gefundene Eizelle: »There was so much excitement when it was found; it was the first tubal egg found in our ova study, and when I did find it, there was an argument as to what to do with it. Dr. Rock wanted to get some spermatozoa and inseminate it, but Dr. Hertig, being more conservative, thought I should fix it immediately, and then he would take it to Baltimore to the Carnegie.« Die Eizelle habe schon Zeichen der Degeneration gezeigt, »while this argument went on«, Menkin, Lecture at Cold Spring Harbor, S. 10, in: Papers of John Rock, CLM, MC 660, Box 38. 474 Loretta McLaughlin zitiert hier John Rock, McLaughlin, S. 78. 475 McLaughlin schrieb, dass dieses Spülen nicht der Reinigung, sondern der Aktivierung des Spermas diente. 1951 zeigte sich, dass das Sperma vor der Befruchtung einen Prozess der Kapazitation durchlaufen muss, der im weiblichen Genitaltrakt stattfindet. Für diese Vorbereitung des Spermas ist ein Protein zuständig, das im Blut enthalten ist. Da in der von Menkin benutzten Lösung Spuren dieses Proteins zu finden gewesen seien, habe die Spülung (unbeabsichtigt) eine aktivierende Funktion erfüllt, ebd., S. 79. 476 Die Kultivierung erfolgte im Blut einer Patientin, die jenseits der Wechseljahre war. Man vermutete, dass hier die Hormonwerte stabiler waren, ebd., S. 79–80.
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»Week after week for six years, she obtained the eggs on Tuesday, added the sperm on Wednesday, went home and ›prayed all day Thursday.‹ Late on Friday, some forty-six to forty-eight hours later, each week she took out the little flask again and placed it under a microscope. … It always was discouragingly the same as it had been to begin with … a still virginal egg.«477
Zunächst führte Menkin die Experimente mit einzelnen Eizellen durch. Später nahm sie eine größere Anzahl und setzte sie gleichzeitig dem Sperma aus: »She tried it with nearly a thousand eggs culled from hundreds of women. Still nothing happened.«478 Die Bedingungen für eine erfolgreiche Befruchtung waren einfach nicht klar. Menkin hatte nach dem passendem Medium für die Insemination zu suchen, nach der optimalen Konzentration der Spermatozoen, der geeigneten Temperatur, der Dauer der Einwirkung der Spermatozoen, der passende Kulturflüssigkeit für die Eizelle usw.479 Um 1942, also vier Jahre nach Beginn der Versuche und bis dato ohne jeden Erfolg, war Miriam Menkin entmutigt. Weder die reifen Eizellen aus den Ovarien noch die Eizellen aus den Tuben hatten sich als »adequate source of material for insemination experiments«480 erwiesen. Menkin schrieb: »I had been at this for 4 years, on and off … well, then I stopped being so fussy, and instead of confining my attention to the large follicles, I began to use any egg that I found in the ovary during the preovulatory phase.«481
Die Versuchsreihe war an einen toten Punkt gelangt. Hier wird die Verbindung zu den Experimenten des Labors von Pincus besonders deutlich, die dort seit 1935 mit menschlichen Eizellen stattgefunden hatten und nun zunächst beschrieben werden.
Die Versuche mit menschlichen Eizellen in Harvard Am 30. Juli 1935 hatte Pincus an den damaligen Dekan der Biologie-Fakultät der Harvard Universität Alfred C. Redfield geschrieben und ihn gebeten, die rechtlichen Konsequenzen von Befruchtungsversuchen mit menschlichen Eizellen zu klären: »I am in something of a dilemma which perhaps you can help me resolve. For a short while now I have been working with human ova obtained from freshly excised ovaries. I find that a number of eggs can be obtained from these ovaries which could be easily 477 Ebd., S. 80. 478 Ebd. 479 Menkin, Lecture at Cold Spring Harbor, S. 5, in: Papers of John Rock, CLM, MC 660, Box 38. 480 Ebd., S. 11. 481 Ebd.
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fertilized. I have been offered human sperm from a clinic at a nearby hospital. If these eggs were fertilized what would their legal status be? The resulting embryos would of course be viable for a limited period of time. Nonetheless, I should like to be sure that I am not treading on dangerous ground. I do dislike bothering you at this time and would not do so were I not quite prepared to go ahead if this is all right. If this is troublesome to you perhaps you could refer me to someone here to settle the matter.« 482
Die Antwort von Redfield ist nicht erhalten, aber es scheint, als habe Pincus grünes Licht für Versuche mit menschlichen Eizellen bekommen, allerdings unter Auflagen: Aus einem Brief der Josiah Macy Jr. Foundation, die einen Teil dieser Forschungsarbeit finanzierte, geht hervor, dass auf höchster Ebene Stillschweigen vereinbart wurde. Der Vertreter der Stiftung Herbert Shenton schrieb am 4. November 1935 an Pincus: »We fully realize the danger of premature and ill [?]-advised publicity and assure you that any reports made to us will be carefully guarded against the same. I think you can assure Dr. Cannon and President Conant that our activities in regard to publicity would be quite in accord with theirs.«483
Die Versuche mit menschlichen Eizellen im Physiologischen Labor fanden also unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind bis heute wenig bekannt.484 Hermann J. Muller behauptete sogar in einem vertraulichen Gespräch mit einem Angestellten der Rockefeller Foundation über die Arbeit von Pincus: »The human eggs were fertilized outside the body.«485 Die folgende Rekonstruktion dieser Versuche stützt sich auf zwei Aufsätze aus den Jahren 1937 und 1939, die Pincus gemeinsam mit Barbara Saunders herausgab,486 und zwei Experimentbücher aus den 1930er Jahre, die sich im Nachlass von Gregory Pincus befinden. Das erste wurde überwiegend durch Ernst Enzmann geführt,487 das zweite durch Nicholas Werthessen.488 482 Gregory G. Pincus an Alfred C. Redfield, 30.7.1935, in: HUG 4308.5. 483 Herbert N. Shenton an Gregory Pincus, 4.11.1935, in: Papers of Walter B. Cannon, CLM, HMSc40, Box 121, Folder 1694. Dass der Brief auf die Versuche mit menschlichen Eizellen anspielt, ergibt sich aus der zeitlichen Nähe zu dem Schreiben an Redfield und daraus, dass die Stiftung zumindest den Beginn der Arbeit finanzierte, vgl. Pincus u. Saunders, Unfertilized Human Tubal Ova, S. 163. 484 Philip Pauly erwähnt die Anfrage an Redfield, Pauly, Controlling Life, S. 191. 485 Diary of Frank B. Hanson, 31.8.36, in: RFA, Record Group 2, Series 200, Box 130, Folder 977. Pincus erwähnte Muller gegenüber, Harvard fürchte die Publicity, die den Versuchen folgen würde. 486 Pincus u. Saunders, Unfertilized Human Tubal Ova; dies., Human Ovarian Ova. Die Ergebnisse der Studie wurden zusammengefasst in: Pincus, Explanted Human Ovarian Ova. 487 Experimentbuch 1933, in: Papers of Gregory G. Pincus, LOC, Box 147, Folder »Rabbit Egg Culture & Hormone Effects 1933«. Die Aufzeichnungen stammen wahrscheinlich von Ernst Enzmann, denn es handelte sich nicht um Pincus Handschrift und die beiden arbeiteten Anfang der 1930er Jahre eng zusammen. Außerdem ist von einer »Pincus-Enzmann-Method« die Rede, ebd., S. 158. 488 Experimentbuch 1935–36, in: Papers of Gregory G. Pincus, LOC, Box 148, Folder »Experiment Book: Rabbit & Human Eggs 1935–36, G. Pincus & N. T. Werthessen«.
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Experimentbücher, eine interessante Quelle für die Rekonstruktion wissenschaftlicher Praktiken, sind wegen ihrer besonderen Zwecksetzung nicht leicht zu lesen. Die aufgezeichneten Informationen dienen als »zusätzliches Gedächtnis« der Forscher und gewährleisten den Informationsfluss innerhalb der Gruppe. Sie sind daher in sehr verkürzter und für Außenstehende oft kryptischen Form verfasst.489 Das gilt auch für die hier vorliegenden Experimentbücher, deren informeller Charakter schon an der ungenauen Betitelung zu erkennen ist.490 Am 31. Juli 1935, einen Tag, nachdem Pincus den Dekan der biologischen Fakultät um Rechtsauskunft gebeten hatte, verzeichnete Nicholas Werthessen: »Culture and Movie of Human Eggs«.491 Schon zwei Seiten zuvor wurden unter der Datierung »July – the third week« ähnliche Experimente festgehalten.492 Tatsächlich fanden zu dieser Zeit also erste Laborversuche mit menschlichen Eizellen statt, die aus frisch operierten Eierstöcken des Free Hospital for Women stammten.493 Diese Versuche wurden Ende 1935 fortgesetzt.494 Sie zielten von Anfang an auf die Aktivierung der Eizellen, waren also integriert in das Forschungsprogramm, das Pincus mit Kaninchen-Eizellen betrieb. Bei einigen Eizellen heißt es: »placed with rabbit sperm«.495 Hinweise auf eine Befruchtung mit (lebendem) menschlichem Sperma finden sich nicht, schon gar nicht mit dem von Muller behaupteten Erfolg. Der Schwerpunkt lag zunächst in der detaillierten Beschreibung cytologischer Veränderungen der Eizelle unter Kulturbedingungen und in der Darstellung und Dokumentation des Entwicklungsverlaufs 489 Holmes u. a., S. xi. 490 Das erste Experimentbuch (»1933«) umfasst den Zeitraum vom 15.8.1933 bis zum 24.8.1935; das zweite (»1935–36«) reicht vom 15.9.1935 bis zum 15.6.1937. 491 Experimentbuch 1933, in: Papers of Gregory G. Pincus, LOC, Box 147, Folder »Rabbit Egg Culture & Hormone Effects 1933«, S. 369. 492 Ebd., S. 367. Unter »Culture of human eggs« wurden Veränderungen des Zellkerns festgehalten. Die Eizellen wurden gefilmt und genaue Angaben zu Objektiv, Beleuchtung und Filtern festgehalten. 493 Im ersten Experimentbuch finden sich keine Hinweise zur Herkunft der Eizellen, im zweiten wird das Free Hospital mehrfach erwähnt, Experimentbuch 1935–36, in: Papers of Gregory G. Pincus, LOC, Box 148, Folder »Experiment Book: Rabbit & Human Eggs 1935–36, G. Pincus & N. T. Werthessen«, S. 20, 34, 60, 125. Die Eierstöcke stammten von den Ärzten Pemberton und Smith aus dem Free Hospital for Women, Pincus u. Saunders, Unfertilized Human Tubal Ova, S. 163. 494 Versuche zur Aktivierung und Kultivierung der Eizellen fanden am 12.12.35 statt, Experimentbuch 1935–36, in: Papers of Gregory G. Pincus, LOC, Box 148, Folder »Experiment Book: Rabbit & Human Eggs 1935–36, G. Pincus & N. T. Werthessen«, S. 28, und am 18. u. 19.12.35, ebd., S. 33–34. 495 Experimentbuch 1933, in: Papers of Gregory G. Pincus, LOC, Box 147, Folder »Rabbit Egg Culture & Hormone Effects 1933«, S. 369. Das Ergebnis: »not much change – perhaps a shrinkage of the cytoplasma«.
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der Eizellen.496 So wurden einige über einen längeren Zeitraum alle acht Sekunden photographiert, bevor man sie fixierte.497 Der Umfang dieser Studie war bescheiden. Pincus und Saunders hatten von den Ärzten F. A. Pemberton und G. V. Smith aus dem Free Hospital »two postoperative specimens of human fallopian tubes« erhalten, die nach dem Ausspülen mit Salzlösung zwei unbefruchtete Eizellen hergaben. Aufgrund von Vergleichen mit den Eizellen anderer Säugetiere wurde das Alter bzw. der Tag der Ovulation geschätzt. In beiden Fällen sind Daten zur Frau angegeben, welcher der jeweilige Eierstock gehörte, darunter die Länge ihres Zyklus. Die Frauen, von denen diese Eizellen stammten, sind also erkennbar.498 Zwei Jahre später veröffentlichten Pincus und Saunders eine umfassende Studie in der Reihe »The Comparative Behaviour of Mammalian Eggs in vivo and in vitro«.499 Auch die Integration der Versuche in diese Aufsatzserie zeigt, dass sich die Versuche mit menschlichen Eizellen in das bisherige Forschungsprogramm des Labors einfügten. Als Fragestellung formulierten Pincus und Saunders, ob menschliche Eizellen genau wie die vom Kaninchen die erste Reifeteilung infolge der Explantation zeigten und ob »activation treatments« die Reifung beschleunigten.500 Sie teilten die Eizellen vier Versuchsbedingungen zu: Einige kultivierten sie in menschlichem Serum, einige in einer Salzlösung, die abgetötetes menschliches Sperma (»cytolized human sperm«) enthielt. Die dritte Gruppe wurde drei Minuten lang einer Temperatur von 46 °C ausgesetzt und die vierte für 5–6 Minuten in eine NaCl-Lösung gebracht. Nach dieser Behandlung wurden die Eizellen mit Serum gewaschen und bei 37 °C in »Carrel flasks« für verschiedene Zeiträume kultiviert, bevor sie präpariert wurden.501 Die Veröffentlichung von 1939 und die von 1937 unterscheiden sich wiederum auffällig in der Menge des Forschungsmaterials: 144 als brauchbar eingestufte Eizellen gingen nun in die Untersuchung ein. Pincus und Saunders strebten außer der Aktivierung der Eizellen auch verbesserte Labortechniken an. Mitte 1936 stand laut Experimentbuch zunächst die Gewinnung der Eizellen im Vordergrund: Die Eileiter wurden ausgewa496 Ebd., S. 367–375. 497 Pincus u. Saunders, Unfertilized Human Tubal Ova, S. 163. 498 Die beiden fanden sie am 17.3.1936 u. 6.3.1937. Im ersten Fall heißt es, »we examined the excised uterus, right fallopian tube, and right ovary of a 40-year-old white patient whose last menstruation occurred on February 28, 1936«. Die Angaben zum zweiten Fall lauten: »The second ovum … was obtained on March 6, 1937 from the left fallopian tube of a white patient aged 30 whose last menstrual period occurred on February 15, 1937.«, ebd., S. 163–164. 499 Wieder bedankten sich Pincus und Saunders bei den Ärzten des Free Hospitals, darunter auch John Rock, Pincus u. Saunders, The Maturation of Human Ovarian Ova , S. 541. 500 Ebd., S. 537. 501 Ebd., S. 539.
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schen, was mühevoll und unzuverlässig war.502 1939 experimentierten die beiden Forscher daher mit der Punktierung der Eierstöcke, deren Erfolg zu den wichtigen Ergebnissen der Studie gehörte.503 Die Autoren schrieben: »It would seem therefore that mature, fertilizable human ova might be obtained simply by explanation of healthy ovarian eggs. This makes possible various interesting experimental approaches to the physiology and embryology of the human ovum.« 504
Die »Spenderinnen« der Organe und etwaige Patientinnen-Informationen wurden nun nicht mehr erwähnt. Der Methodenteil beginnt mit den Eierstöcken als Quelle der Eizellen: »Human ovaries obtained shortly after excision at operation were placed in Pannet-Compton or Tyrode solution«.505 Wie bei den Eizellen von Kaninchen verlagerte sich mit zunehmendem Forschungsmaterial die Konzentration auf die Eizelle als alleinigem Versuchsgegenstand. Dieser Trend ist auch in den Experimentbüchern nachzuvollziehen. Seit Beginn der Versuche kennzeichnete Enzmann die menschlichen Eizellen mit den Patientennummern aus dem Free Hospital: Er nummerierte sie als »Case # 25978« usw.506 Häufig gab er auch Patientendaten an, etwa zum Alter der Frauen und zum Zeitpunkt der letzten Menstruation. Manchmal wurde der Name der Frau vermerkt.507 Während im ersten Experimentbuch 9 Frauen erkennbar sind, stammen die im zweiten Experimentbuch aufgezeichneten Eizellen von mehr als 80 Frauen. Ihre Daten schliffen sich nun ab: Ab Mitte 1936 wurden nur noch die Eizellen aufgelistet, meist ohne Angaben zu ihrer Herkunft. Mit dieser Anonymisierung der Frauen, von denen die Eizellen stammten, ging eine Versachlichung der Eizelle einher, die zusammen mit ihrer gesteigerten Verfügbarkeit erlaubte, dass Gattungsgrenzen nivelliert wurden. Denn die menschlichen Eizellen waren nun derart in die Aufzeichnungen des Experimentbuches und die Fragestellungen des Labors integriert, dass sie kaum von den Kaninchen-Eizellen 502 Vom 14.11. bis 23.12.1936 wurden 12 Fälle unter dem Titel »Human Tubal Washings« aufgelistet. Zehnmal war das Ergebnis »negative«, einmal heißt es »1 egg in granulosa lost in handling«; Experimentbuch 1935–36, in: Papers of Gregory G. Pincus, LOC, Box 148, Folder »Experiment Book: Rabbit & Human Eggs 1935–36, G. Pincus & N. T. Werthessen«, S. 221. Schon Anfang November erschienen solche verkürzten Listen, ebd., S. 207–208, aber auch im Frühjahr und Sommer 1937. Die meisten Versuche trugen den Vermerk »no egg«, ebd., S. 253– 255, S. 285. 503 Pincus u. Saunders, The Maturation of Human Ovarian Ova, S. 538. 504 Ebd., S. 541. 505 Ebd.,S. 537. 506 Experimentbuch 1933, in: Papers of Gregory G. Pincus, LOC, Box 147, Folder »Rabbit Egg Culture & Hormone Effects 1933«, S. 371. Die Nummerierung muss aus dem Free Hospital stammen, denn Rock und Menkin benutzen dieselben Angaben, Rock u. Menkin, S. 105–106. 507 Zum Beispiel im Experimentbuch 1935–36, in: Papers of Gregory G. Pincus, LOC, Box 148, Folder »Experiment Book: Rabbit & Human Eggs 1935–36, G. Pincus & N. T. Werthessen«, S. 16, 22, 65.
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zu unterscheiden sind: Nur die weiter mitgeführte Patientennummer macht sie überhaupt erkennbar. So kommt es vor, dass eine Seite des Buches mit Kaninchen-Eizellen beginnt, dann werden mehrere Versuche mit menschlichen Eizellen aufgelistet und schließlich endet dieselbe Seite wiederum mit einem Versuch an einer Kaninchen-Eizelle.508 Die Nivellierung der Gattungsgrenze, die Konzentration auf die Eizelle und ihre Versachlichung als Versuchsobjekt zeigt sich aber auch bei den Experimenten selbst, etwa wenn menschliche Eizellen mit Kaninchen-Sperma aktiviert werden sollten,509 oder wenn sie im lebenden Kaninchen, also in vivo, kultiviert wurden. Im Experimentbuch heißt es dazu: »Eggs and combination of eggs and sperm (eggs from case # 26298) injected into one tube of a mated rabbit.«510 Diese Versuche zur Kultivierung menschlicher Eizellen in den Eileitern von lebenden Kaninchen bildeten neben den Verfahren ihrer Gewinnung einen weiteren Schwerpunkt der Versuche: Intensiv arbeiteten Pincus und Saunders an der optimalen Kultivierung der Eizellen.511
Abstimmungen zwischen Klinik und Labor Die Kooperation zwischen dem Team von Pincus und dem Free Hospital for Women begann 1935 mit der Überlassung weiblicher Organe zur Gewinnung von Eizellen. Die Idee der in vitro Fertilisation menschlicher Eizellen existierte zu diesem Zeitpunkt schon, auch wenn sich noch keine Versuche in den Experimentbüchern und Veröffentlichungen finden. Als die elektrische Messung der Ovulation möglich schien, ergab sich eine neue Perspektive. Erstmals wurden Experimente in der Klinik denkbar, weil sich die Operationen – und damit die Gewinnung von Eizellen – am Eisprung orientieren konnten. Die beteiligten Forscher forcierten die Kooperation zwischen Klinik und Labor, die sich vor allem darauf richtete, wie sich reife, befruchtungsfähige Eizellen gewinnen und kultivieren ließen, um eine in vitro Fertilisation zu ermöglichen. Rock und Menkin nutzten die Forschungserfahrungen in Harvard, um die Eizellen-Gewinnung zu rationalisieren und den organisatorischen Abläufen der Klinik anzupassen: 508 Experimentbuch 1935–36, in: Papers of Gregory G. Pincus, LOC, Box 148, Folder »Experiment Book: Rabbit & Human Eggs 1935–36, G. Pincus & N. T. Werthessen«, S. 208. 509 Experimentbuch 1933, in: Papers of Gregory G. Pincus, LOC, Box 147, Folder »Rabbit Egg Culture & Hormone Effects 1933«, S. 369–375. 510 Experimentbuch 1935–36, in: Papers of Gregory G. Pincus, LOC, Box 148, Folder »Experiment Book: Rabbit & Human Eggs 1935–36, G. Pincus & N. T. Werthessen«, S. 18. Zwei Tage später wurde das Kaninchen getötet und untersucht: »no eggs recovered, probably washed out backwards while transplanting«, ebd. Die Prozedur habe den Prozentsatz der aktivierten Eizellen nicht erhöht, Pincus u. Saunders, The Maturation of Human Ovarian Ova, S. 540. 511 Experimentbuch 1935–36, in: Papers of Gregory G. Pincus, LOC, Box 148, Folder »Experiment Book: Rabbit & Human Eggs 1935–36, G. Pincus & N. T. Werthessen«, S. 18, 20, 23, 27.
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»For their test-tube conception research, Rock and Menkin at first tried to dovetail surgery precisely with the patient’s anticipated day of ovulation. Soon, however, they learned that the patient only had to be close to ovulation time. They could do as well by gathering nearly ripe eggs from the excised ovaries. The nearly ripe eggs could be brought to full maturity by incubating them in the donor’s blood serum for a day or two. After that, when a ›candidate’s‹ ovulation time coincided with a Tuesday, she was scheduled for surgery on that day – Rock’s regular day in surgery for clinic patients. The maneuver put the test-tube conception study on a weekly routine.« 512
Die klinischen Abläufe wurden der Forschungsfrage angepasst und umgekehrt modulierten Rock und Menkin das Laborverfahren so, dass es sich in die organisatorischen Abläufe der Klinik einfügte. Das geschah auf der Grundlage der in der Forschungsgruppe von Pincus entwickelten Verfahren zum Nachreifen und Kultivieren der Eizellen bei Kaninchen. Pincus, der ab 1938 an der Clark Universität in Worcester arbeitete, war in der alltäglichen Forschungsroutine am Free Hospital durchaus präsent: »The incubation technique employed by Miriam [Menkin] was a modification of a method Pincus had originated at Harvard when he was first attempting to ripen rabbit eggs. She occasionally telephoned him to test out ideas or for reassurance.«513
Gerade zur Gewinnung und Kultivierung von Eizellen standen die beiden Labors in engem Kontakt und tauschten Informationen aus, zumal dies größte Schwierigkeiten machte. In den ersten drei Jahren gewann Miriam Menkin die Eizellen direkt aus den Eierstöcken, zur selben Zeit also, als auch Pincus und Saunders mit der Punktion von Eierstöcken arbeiteten. Als sich das als unergiebig herausstellte, weil sich diese Eizellen nur selten in der meiotischen Teilung befanden, wechselten Menkin und Rock die Strategie und versuchten wieder, die Eizellen aus den Eileitern auszuwaschen. Das machte die Versuche im Free Hospital sehr arbeitsintensiv. Da die Lebensdauer von Eizellen in den Tuben als äußerst kurz eingeschätzt wurde, hofften Rock und Menkin, diesen Mangel durch die Menge an gewonnen Eizellen auszugleichen: »Dozens and dozens of Fallopian tubes were sent up to us. Miss Adams, Miss Sichel, and I washed practically every tube from every hysterectomy at the Free Hospital«.514
Die Schwierigkeit blieb, dass am Zustand der Organe nicht erkennbar war, wie lange die Ovulation zurücklag, ob also ein bestimmter Eileiter den Aufwand lohnte, den das Auswaschen bedeutete. Man konnte nicht sagen, »wether it was worth spending nearly a day in studying the tubal washings.«515 512 McLaughlin, S. 77. 513 Ebd., S. 79. 514 Menkin, Lecture at Cold Spring Harbor, S. 8–10, in: Papers of John Rock, CLM, MC 660, Box 38. 515 Ebd.
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Als die Versuchsreihe 1942 an einen toten Punkt gelangte, wird die enge Abstimmung zwischen Labor und Klinik besonders deutlich. In Menkins Vortrag in Cold Spring Harbor trägt der betreffende Abschnitt die handschriftlich vermerkte Überschrift »Insemination en Masse – Pincus + Saunders«.516 Menkin schrieb, dass man sich die 1939 von Pincus und Saunders gemachte Beobachtung zunutze machte, dass in 30 % der aus den Ovarien entnommenen Eizellen die Bildung von Polkörpern erfolgte, wenn jede dieser Eizellen für eine gewisse Zeit in Blutserum kultiviert wurde. Menkin experimentierte nun mit den Zeitspannen, in denen die Eizellen kultiviert und inseminiert wurden.517 Sie sprach von einem »program of changing all the different conditions of the experiments«.518 Pincus wurde auch in die Durchführung der Versuche einbezogen. Menkin schrieb, dass Pincus geraten hatte, die Tür des Inkubators nicht jede Stunde zu öffnen: »He warned me that these temperature changes were bad for the egg.«519 Rock und Pincus beeinflussten die praktischen Abläufe im Labor: »Both Dr. Rock and Dr. Pincus used to keep hammering at me: ›Remember, don’t get the sperm suspensions too concentrated. That will result in polyspermy.‹«520 Nicht nur auf der Ebene der Praktiken erfolgten Anpassungen zwischen Klinik und Labor. Pincus und Saunders schrieben 1939, bei manchen Eizellen seien Degenerationserscheinungen aufgetreten. Diese seien aber nicht auf die Manipulation zurückzuführen: »The atretic processes are, in our opinion, probably not the result of the handling and culturing, but are initiated in the follicle and, if anything, delayed by explanation.«521
Selbst massive, experimentelle Eingriffe wurden nicht verdächtigt, einen Effekt auf die Entwicklung zu haben, wenn überhaupt, sei die im Follikel bereits angelegte Deformation durch die in vitro Kultur verzögert worden. Nicht das Verfahren beeinträchtigte die wissenschaftliche Erkenntnis, sondern die Unzulänglichkeit des (lebenden) Forschungsmaterials. Für die erfolgreiche Kooperation zwischen Klinik und Labor war es nötig, auch auf der Ebene des Diskurses Abstimmungen vorzunehmen. Sowohl im physiologischen Labor als auch in der Klinik war die Eizelle der zentrale Fokus der Untersuchung. Die verwendeten weiblichen Organe (und ebenso die Patientinnen, wenn man McLaughlin folgt) wurden als »klinisches Material« abstrahiert und aus dem Gegenstand der Untersuchung ausgeschlossen.522 Man fand also eine Sprache für das gemeinsame Forschungsinteresse. 516 Ebd. 517 Ebd., S. 11. 518 Ebd. 519 Ebd. 520 Ebd. 521 Pincus u. Saunders, The Maturation of Human Ovarian Ova, S. 541. 522 McLaughlin, S. 62. Rock und Menkin verwenden die Bezeichnung »surgical materials«, Rock u. Menkin, S. 105; Menkin u. Rock, S. 441.
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Allerdings warfen die Experimente in der Klinik besondere moralische und ethische Probleme auf. Besonders heikel war der mögliche Vorwurf, die Suche nach einer befruchteten Eizelle stelle eine Abtreibung dar. Arthur Hertig bestand vehement darauf, dass den Frauen der Geschlechtsverkehr nicht nahegelegt worden sei und der Nachweis einer Schwangerschaft sei in diesem Stadium ohnehin nicht möglich gewesen.523 Hertig und Rock diskutierten das Problem ausführlich und bestanden darauf, für ihre wissenschaftliche Untersuchung nur Material zu verwenden, das ohnehin zu Abfall werden sollte: »Neither Rock nor Hertig considered the conceptuses they hoped to find to be abortuses. At the few days to two or so weeks of development of the fertilized eggs, Hertig and Rock considered them undifferentiated bits of protoplasm, tiny gelatinous packets of human protein, destined to end up, undetected, in a surgical waste bin.«524
Ganz in diesem Sinne beruhigte Rock die verzweifelte Miriam Menkin, nachdem die erste in vitro fertilisierte Eizelle bei der Fixierung verloren gegangen war: »Never mind, Mrs. Menkin, … it was only a little bit of a thing.«525 Gleichzeitig wurde die Eizelle, das Objekt der Forschung, beinahe poetisch überhöht. Hertig sagte über die erste befruchtete Eizelle, die er im Oktober 1938 gefunden hatte: »There was this glistening beat, like a pearl of tapioca. … It was very exciting.«526 Die Eizelle war wie eine Perle, die darauf wartete, vom Forscher »gesammelt« zu werden, eine Bindung an einen mütterlichen Organismus hatte sie nicht mehr.527 Auch Rock und Hertig stellten, parallel zur Normierung des Entwicklungsverlauf, erste Qualitätskriterien für Eizellen auf, wenn sie befruchtet werden sollten. Sie wurden als »good, bad, or indifferent« eingeschätzt: »Thus, the Hertig-Rock collection gave the first solid base upon which selection of ›good‹ eggs – those suitable for test-tube conception and implantation – can be made from their microscopic appearance.«528
Auffällig wenig ist die Rede von Hormonen. Es scheint so, als habe keine Hormonbehandlung der Frauen stattgefunden.529 Allerdings zitiert McLaughlin John Rock, dass der Follikel sich nach Abgabe der Eizelle in eine »miniature progesterone factory« transformiere.530 523 McLaughlin, S. 64. 524 Ebd., S. 63. 525 Menkin, Lecture at Cold Spring Harbor, S. 13, in: Papers of John Rock, CLM, MC 660, Box 38. 526 McLaughlin, S. 65. 527 Das illustriert die Benennung einer Eizellen nach einem Baseball-Spieler. Als man sie fand, wurde im Radio ein Baseball-Spiel übertragen und besagter Spieler erzielte den Siegtreffer, ebd., S. 66. 528 Ebd., S. 70–71. 529 Aber in einem Fall wurden einer Frau 12 Eizellen entnommen, Menkin u. Rock, S. 444. 530 McLaughlin, S. 67.
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Die erste erfolgreiche in vitro Fertilisation einer menschlichen Eizelle Auch Anfang 1944 folgte Miriam Menkin derselben Arbeitsroutine: Am Dienstag wurde operiert und nach Eizellen gesucht, Mittwochs fand die eigentlich Befruchtung statt. Am Donnerstag mied Menkin aufgrund der Warnung von Pincus das Labor und arbeitete in der Bibliothek »to avoid temptation«.531 Freitags nahm sie die Eizellen aus dem Inkubator und untersuchte sie: »Now, week after week, month after month, I used to follow this procedure on Friday mornings, and what I saw, was always the same: a single cell. 138 eggs were treated in this way and observed after insemination.«532
Dann folgte die 139. Eizelle: »I put my flask on the stage of the microscope, and proceeded to begin striking matches. Then, when the vapor had cleared, I saw it. Miss Hedge, one of our assistants, who was in the next room said later: ›All of a sudden I heard Mrs. Menkin make a funny sound, like a scream …‹ I went into the lab, and said, ›What’s the matter, Mrs. Menkin, aren’t you feeling well?‹ And then Mrs. Menkin said: ›Sue, it’s my eyes. I can’t seem to be focussing right. … I’m seeing double.‹«533
Aber auch Sue Hedge sah doppelt: Unter dem Mikroskop lag eine menschliche Eizelle im 2-Zellen-Stadium. Menkin schrieb: »We were looking at something that had never, as far as we knew, been seen before. It was the youngest stage ever seen in the development of a human organism.«534
Diese Entdeckung löste große Aufregung aus. Sofort entbrannte eine Diskussion darüber, wie die Eizelle zu fixieren war. Menkin schlug ein rasches Verfahren vor, aber Arthur Hertig setzte eine langwierige Fixierungsmethode durch, die an der Carnegie Institution bevorzugt wurde. Stundenlang saß Menkin über dem Mikroskop und ließ die Eizelle nicht aus den Augen, während sie die Fixierung vornahm. Um 16.00 Uhr entschied sie, dass die Arbeit getan und die Eizelle dehydriert war: »I heaved a sigh of relief. This was done, after 6 years. At this moment, someone in the next room called my name. I looked up. For the first time in 3 hours, I moved away from the microscope. I never again saw that egg.« 535
Miriam Menkin war verzweifelt über diese »miscarriage in vitro« und verbrachte »a pretty miserable weekend.«536 Aber in der darauffolgenden Woche erreichte 531 Menkin, Lecture at Cold Spring Harbor, S. 11, in: Papers of John Rock, CLM, MC 660, Box 38. 532 Ebd., S. 11. 533 Ebd., S. 11–12. 534 Ebd., S. 12. 535 Ebd. 536 Ebd., S. 13.
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Menkin mit derselben Prozedur zwei Eizellen im 3-Zellen-Stadium und einige Wochen später eine weitere Eizelle im 2-Zellen-Stadium.537 Die Veröffentlichungen von Rock und Menkin legen nahe, dass dieser Erfolg durch die systematische Modifikation des Verfahrens erreicht wurde.538 In ihrem Vortrag machte Menkin dagegen deutlich, dass der Durchbruch gerade nicht das Ergebnis einer planvollen Variation der Versuchsbedingungen war, sondern durch ungewollte Veränderungen des Ablaufs entstand. Freimütig berichtete sie, wie es dazu gekommen war: »Why did I choose just those particular time intervals for the various steps in the procedure, which finally seemed to prove successful? On that particular morning in February, I had changed my procedure in several respects. If you think that these radical changes resulted from some profound cerebration, let me disillusion you at once. When I thought about it later, I concluded that I had made those changes that Wednesday, simply because, first of all, I was exhausted; it so happened that for the preceding 2 nights, I had been up most of the night with a teething baby; also, probably I was tired, I was in a bad temper.«539
Vor diesem Hintergrund hatten sich folgende Variationen ergeben, die sich schließlich als »innovations« erwiesen: I. Normalerweise wurde das Sperma einige Male in Locke-Lösung gewaschen. Dieses Mal wusch Menkin es nur einmal: »Because I was tired and disgusted and wanted to go home to bed.«540 Nachträglich nahm sie an, dass durch das häufige Spülen eine Substanz entfernt worden sei (Hyaluronidase), die den Zugang der Spermatozoen zur Eizelle erleichtere. II. Anstatt den Spermatozoen eine große Menge Salzlösung beizufügen, benutzte Menkin »for some reasons, probably because I was in an awful temper« nur wenige Tropfen. Die hohe Konzentration von Spermatozoen habe den Erfolg bewirkt.541 III. Der Kontakt zwischen Eizelle und Spermatozoen dauerte gewöhnlich etwa 15 bis 20 Minuten, diese Zeitspanne war bei der in vitro Fertilisation 537 Das löste so große Aufregung aus, dass Rock und Menkin vergaßen, Photographien zu machen. Stattdessen wurde eine Zeichnung angefertigt, die Menkin in Cold Spring Harbor zeigte, ebd. 538 Besonders Rock u. Menkin, S. 105. Das Verfahren beschrieb Menkin folgendermaßen: »After having been washed in Locke’s solution, the ovum was cultured for 27 hours at 37,5 °C. in the serum of the same patient. It was again washed in Locke’s solution and was exposed in vitro for one hour at room temperature to a washed concentrated suspension of human spermatozoa in Locke’s solution. It was then transferred to serum from a 51-year-old female patient and reincubated. After 40 ½ hours of culture, the egg was found to be in the 2-cell stage.«, Menkin, Lecture at Cold Spring Harbor, S. 13, in: Papers of John Rock, CLM, MC 660, Box 38, Hervorhebung im Original. 539 Ebd. 540 Ebd., S. 14. 541 Ebd.
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von Kaninchen-Eizellen üblich. Menkin aber vergaß die Zeit über dem Schauspiel, das sich ihr bot: »the human egg, with a mass of spermatozoa on its surface. They collect around of the periphery of the egg, and so great is the force of their combined efforts that the egg is made to rotate around and around. As usual I sat there, fascinated, though very tired, for exactly one hour.«542 Auch das war in Menkins Augen bedeutsam. Bevor sie die Eizelle trennte und kultivierte, fertigte Menkin eine Skizze an, so dass sie später sicher war, dass sie zu diesem Zeitpunkt einzellig war. Sie hätte sonst am Ergebnis gezweifelt, schrieb sie, so erstaunt war sie, dass es plötzlich funktionierte.543 Ab jetzt folgte sie dieser veränderten Prozedur mit dem Ergebnis, dass weitere Eizellen das 2- und 3-Zellen-Stadium erreichten.544 Menkin führte das Beispiel einer Frau an, von der sie vier Eizellen erhielt, zwei davon teilten sich: »50 % cleavage I suppose they would call that in Woods Hole!«545 Für Hans-Jörg Rheinberger ist es typisch für Experimentalsysteme, dass sie nicht durch gezieltes, geplantes Handeln zu Erfolgen führen: »Nach dem Unbekannten zu greifen ist ein Prozess des Herumbastelns; er geht nie so vor sich, dass Altes gänzlich weggeworfen oder Neues ex nihilo eingeführt wird. Vielmehr werden in der Regel die vorhandenen Elemente durch eine unvorwegnehmbare Verkettung des Möglichen umgestellt und umgebaut.« 546
So stellte sich auch der Erfolg am Free Hospital for Women eben nicht durch die systematische Variation von Versuchsbedingungen ein, sondern durch zufällige Veränderungen. Dass Menkin dies nicht verschwieg, macht den Wert der Quelle aus, beruht aber nicht zuletzt auf ihrer untergeordneten Stellung im Forschungsprozess. Eigene Leistungen spielte sie ausnahmslos herunter, so wie sie den Erfolg im Februar 1944 nicht auf ihre Fähigkeiten schob, sondern gerade umgekehrt auf ihre mangelnde Disziplin.547 542 Ebd. 543 Ebd. 544 Ebd., S. 15. Ob man tatsächlich von einer Befruchtung sprechen könne, so Menkin, sei im Gegensatz zur Kaninchen-Eizelle nicht zweifelsfrei überprüft, ebd., S. 16. 545 Ebd., S. 17. In der meeresbiologischen Station in Woods Hole wurde u. a. mit den Eizellen von Seeigeln gearbeitet, deren Fertilisation schon lange eine Routinetechnik war. 546 Rheinberger, Experimentalsysteme und epistemische Dinge, S. 203. Das zufällige Finden von Lösungen, die man suchte, unterscheidet Rheinberger vom Finden von Zusammenhängen, nach denen man nicht suchte. Letzteres nennt er Konjunkturen, ebd., S. 145. 547 Im Interview sagte Menkin: »You see, I really was nobody. If you don’t get a doctorate in this kind of field [embryology], you always work under other people. You’re in a different category. You may want to do independent work, but you’re not allowed to.«, McLaughlin, S. 83. Hertig profitierte von ihrer Arbeit, als er mit der von ihr präparierten Eizelle zur Carnegie Institution flog, ebd., S. 84.
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Die in vitro Fertilisation als »doable problem« Trotz dieses Erfolgs endete das Projekt am Free Hospital for Women Mitte der 1940er Jahre. Loretta McLaughlin glaubt, dass der Druck der katholischen Kirche auf die Leitung der Harvard Universität das Ende der Experimente bewirkt habe. Rock habe, obwohl von der Notwendigkeit der Arbeit überzeugt, seine Karriere nicht aufs Spiel setzen wollen.548 Margaret Marsh und Wanda Ronner widersprechen dieser Interpretation, die weder durch die Akten John Rocks noch durch die Jahresberichte des Free Hospital gedeckt sei. Sie glauben vielmehr, dass Rock gegen Ende seines Lebens den später tatsächlich vorhandenen Widerstand gegen ähnliche Forschungen fälschlicherweise zurückverlegte.549 Der Abbruch der Experimente am Free Hospital habe andere Gründe. 1945 verließ Miriam Menkin aus privaten Gründen Boston. Sie bereitete zwar noch eine umfassende Veröffentlichung vor, setzte aber die Experimente nicht fort.550 Rock arbeitete einen neuen Assistenten ein, dem es nicht gelang, die Ergebnisse von Menkin zu wiederholen. Diese schrieb: »It seemed so strange, that if the method had worked 3 times in succession, it would not work again.«551 Allein die Auswechslung des Personals führte dazu, dass die Ergebnisse nicht reproduziert werden konnten, sie waren noch zuwenig stabil.552 Anfang der 1950er Jahre kehrte Menkin zwar zurück, aber Rock hatte sich bereits anderen Arbeiten zugewandt, etwa der chirurgischen Rekonstruktion von Eileitern als Behandlung der Unfruchtbarkeit.553 Außerdem begann nun seine Zusammenarbeit mit Gregory Pincus zur Anti-Baby-Pille. Die Arbeit an der in vitro Befruchtung menschlicher Eizellen »was never again a primary focus of research in Rock’s laboratory.«554 Während die Versuche mit menschlichen Eizellen Ende der 1940er Jahre zunächst beendet waren, wurde an dem Verfahren der in vitro Fertilisation weiter geforscht. 1945 kam Min-Chueh Chang, der wie Pincus einen Teil seiner Ausbildung in Cambridge am Labor von John Hammond und Arthur Walton verbracht hatte, an die Worcester Foundation for Experimental Biology, »the only place where the mammalian egg was studied and honored, the laboratory 548 McLaughlin, S. 87. 549 Marsh u. Ronner, S. 300, Anm. 24. 550 McLaughlin, S. 87–88, mit Verweis auf Menkin u. Rock. 551 Menkin, Lecture at Cold Spring Harbor, S. 20, in: Papers of John Rock, CLM, MC 660, Box 38. Eizellen im 2- und 3-Zellen-Stadium wurden noch erreicht, ohne dass das veröffentlicht wurde. 552 Ähnlich schätzen das auch Marsh und Ronner ein, Marsh u. Ronner, S. 181. 553 Ebd., S. 180. 554 McLaughlin, S. 89.
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of Dr. Pincus«.555 Chang arbeitete vor allem mit den Eizellen kleinerer Säugetiere. Charles Thibault, selbst Praktiker der IVF, schrieb: »At this moment [1945], Pincus was already dreaming of in vitro beef production, at least as a first step.«556 Die Möglichkeit einer Anwendung der in vitro Fertilisation in der Viehzucht hatte sich schon lange vorher angedeutet. Nach dem Bericht der New York Times über die Geburt von Jungen im Jahr 1934 schrieb Everette I. Evans aus dem United States Department of Agriculture an Pincus: »We are very interested in your experiments on ›ecto-fertilization‹, although all that we have heard about them is what the press has reported.«557 Im Ministerium werde darüber nachgedacht, das Verfahren in der Rinderzucht einzusetzen.558 Pincus antwortete: »I have no doubt that you will be able to reproduce in part at least the procedure that we employed.«559 Ende der 1940er Jahre führte Raymond E. Umbaugh zusammen mit der Worcester Foundation ein Forschungsprojekt zum Embryotransfer bei Kühen auf einer Farm in Texas durch. Nicht nur Spermatozoen hochwertiger Bullen sollten in Zukunft für die Viehzucht genutzt werden, sondern auch die Eizellen wertvoller Kühe.560 Die Forschungen in der WFEB führten zu wichtigen Ergebnissen. 1951 zeigte Min-Chueh Chang, dass das Sperma auf bereitet werden musste, sollte die in vitro Fertilisation gelingen.561 Zeitgleich mit Chang veröffentlichte Colin Austin ebenfalls eine Arbeit dazu und nannte diesen Vorgang Kapazitation.562 Diese Forschungen waren nun nicht mehr auf ein Labor be-
555 Thibault, Citation for M. C. Chang, S. xiv. 556 Ebd., S. xiv. 557 Everette I. Evans an Gregory Pincus, 31.5.1934, in: HUG 4308.5. 558 Evans schrieb: »My personal interest in the matter is that we should like very much to try the same thing on the cow egg. The cow egg is easily recovered if the animal ovulates normally. We have also developed a method to recover spermatozoa from the bull without a very artificial procedure. Therefore, I am interested to learn from you any special details of your ›ecto-fertilization‹ technique as carried out on the rabbit egg.«, ebd. 559 Gregory G. Pincus an Everette I. Evans, 2.6.1934, in: ebd. Pincus schränkte ein: »I do realize that many years of acquaintance with the procedures employed must me take for granted steps which may not be particularly obvious to others. Please feel free to call on me for assistance at any time.«, ebd. Evans schrieb, sein Vorgesetzter sei »extremely interested« an Filmaufnahmen der Befruchtung. Evans wolle Pincus gerne aufsuchen, um dessen »work in progress« zu sehen, Everette I. Evans an Gregory G. Pincus, 4.6.1934, in: ebd. Pincus zeigte sich erfreut, auch er fand einen Film über das Eindringen der Spermatozoen hochinteressant. Er habe das schon 1930, allerdings erfolglos, mit Dr. Ronald Canti probiert, Gregory G. Pincus an Everette I. Evans, 7.6.1934, in: ebd. Ob es zu weiteren Kontakten kam, geht aus den Akten nicht hervor. 560 Umbaugh, S. 295–305. 561 Chang. 562 Austin. Heute geschieht die Kapazitation mit Blutplasma, vgl. Christ u. Wachtler, S. 18.
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schränkt, auch andere Wissenschaftler arbeiteten am Verfahren der in vitro Fertilisation.563 Welche Rolle spielte die Kooperation zwischen dem physiologischen Labor und der Klinik für diese Entwicklung? Loretta McLaughlin, interessiert vor allem an der Arbeit von John Rock, beschrieb die Versuche von Pincus mit menschlichen Eizellen als »Seitenlinie« von dessen Forschungen.564 Er habe mit der in vitro Fertilisation menschlicher Eizellen nicht experimentieren können, weil er keinen Zugang zu frischem Sperma hatte und sein Labor sich vor allem auf »basic animal research« konzentriert habe.565 Pincus Versuche als »Seitenlinie« zu bezeichnen, ist nicht falsch. Tatsächlich waren seine Experimente mit menschlichen Eizellen auf die Parthenogenese ausgerichtet und spielten, schon was die Zahl der Veröffentlichungen angeht, eine untergeordnete Rolle. Dennoch greift diese Einschätzung zu kurz und verkennt, dass sich die Versuche zur in vitro Fertilisation gerade in der Kooperation entwickelten, die sich zwischen Klinik und physiologischem Labor abspielte, und deren mögliche Implikationen auch für Pincus zunächst offen waren. So schrieb er am 31. März 1938 an Hudson Hoagland: »You should know that if we are in Worcester [an der Clark Universität] we can count on the cooperation of the Free Hospital for Women in Brookline if any extension of our work to human ova is felt desirable.«566
Der Brief unterstreicht einerseits den verlässlichen Kontakt zum Free Hospital und zum anderen, dass weitere Versuche auch im Labor von Pincus keineswegs ausgeschlossen schienen. Ausgangspunkt der heterogenen Kooperation zwischen physiologischem Labor und Klinik, so lässt sich zusammenfassen, war eine Begegnung von Wissenschaftlern aus verschiedenen sozialen Welten mit dezidiert unterschiedlichen Forschungsinteressen, die sich mit Hilfe des »unscharfen Begriffes« der »fertilization in vitro« vermitteln ließen. Insbesondere Pincus verfügte dabei über die Fähigkeit, seine Perspektive in die anderer Akteure zu übersetzen,
563 Landrum Shettles von der Columbia Universität forschte ebenfalls zum Problem der Kapazitation, Shettles. Ende der 1950er Jahre gab es erste Berichte über angebliche In-vitro-Fertilisationen menschlicher Eizellen. Seit Anfang der 1960er Jahre arbeitete Robert G. Edwards daran, seine Kooperation mit Patrick Steptoe begann 1967, vgl. Maranto, Quest for Perfection, S. 201–217. 564 McLaughlin, S. 60. 565 Ebd. Wie gezeigt wurde, hat Pincus mit menschlichen Eizellen experimentiert. Zudem erscheint der Zugang zu menschlichem Sperma aus naheliegenden Gründen einfacher als der zu Eizellen. 566 Gregory G. Pincus an Hudson Hoagland, 31.3.1938, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602.
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was er später auch bei der Entwicklung der Anti-Baby-Pille unter Beweis stellen sollte.567 Pincus, Rock und Hertig verfügten jeweils über hochentwickeltes technisches Know-how zur Handhabung von Säugetier-Eizellen und -Embryonen bzw. zum Umgang mit dem weiblichen Zyklus. In der Zusammenarbeit wurden Teile der im physiologischen Labor entwickelten Arbeitsroutinen, vermittelt über Miriam Menkin, in die Klinik integriert, was mit einer Reorganisation der klinischen Abläufe einherging. Bis in die alltäglichen Handlungsanweisungen an Miriam Menkin, in deren Händen die Experimente vor allem lagen, ist dabei der Einfluss aller beteiligten Forscher zu spüren.568 Schon die Einstellung von Miriam Menkin als ehemaliger Laborassistentin von Pincus signalisiert, dass das Projekt auf einem Transfer von Wissen und Fertigkeiten aus dem physiologischen Labor in die Klinik beruhte. Wie wichtig gerade dieser Punkt war, zeigt sich nachdrücklich in der Tatsache, dass die Replizierbarkeit der Versuche später an die Erfahrungen von Miriam Menkin gekoppelt war. In dieser Kooperation von Vertretern verschiedener sozialer Welten entwickelte sich die in vitro Fertilisation zum stabilen Forschungsgegenstand, der in verschiedenen Labors, wenn auch an unterschiedlichen Spezies, weiter verfolgt wurde. Auch wenn die Versuche mit menschlichen Eizellen Mitte der 1940er Jahre zunächst beendet schienen, so war mit der in vitro Fertilisation nun auch eine Anwendungsperspektive im Hinblick auf die Behandlung menschlicher Unfruchtbarkeit verbunden. Neben diesem einheitlichen Gegenstandsverständnis hatte in der Zusammenarbeit eine Angleichung von experimentellen Praktiken stattgefunden, die von der Gewinnung der Eizellen, über ihre Kultivierung bis hin zu den Verfahren der Befruchtung reichte. Und schließlich wurden auch die konzeptionellen Vorstellungen von der Befruchtung und der Eizelle aufeinander eingestellt, so dass man eine Sprache fand: Die Eizelle war als Versuchsobjekt soweit versachlicht und legitimiert, dass die Bindung an einen mütterlichen Organismus keine Rolle mehr spielte und selbst Gattungsgrenzen nivelliert waren. 567 Oudshoorn, S. 118–119. Auch bei der Gründung der Laurentian Hormone Conference 1944 wurden Pincus Fähigkeiten als »Übersetzer« zwischen verschiedenen sozialen Welten deutlich: »The Laurentian Hormone Conference set new standards in a field previously dominated by physicians who were strangers to the laboratory by bringing together from all over the world outstanding medical and nonmedical scientists from universities, institutes, research hospitals, and from industry.«; Ingle, S. 234. 568 Auch Pincus spezielle Forschungsinteressen wurden berücksichtigt: »The purpose of this investigation was to find a method of fertilization the human egg in vitro, and to obtain a movingpicture record of fertilization and subsequent cleavage stages.«, Menkin, Lecture at Cold Spring Harbor, S. 1, in: Papers of John Rock, CLM, MC 660, Box 38.
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Gerade der zufällige Erfolg der in vitro Fertilisation einer menschlichen Eizelle zeigt, dass es sich hier nicht um einen zielgerichteten oder durch einen der Beteiligten dirigierten Prozess handelte. Die Kooperation und die mit ihr einhergehenden wechselseitigen Anpassungen sowie die »Basteleien« mit den technischen Bedingungen des Experimentalsystems waren ausschlaggebend. Diese Zusammenarbeit ermöglichte es, im speziellen Kontext der Klinik ein »doable problem« der in vitro Fertilisation zu konstruieren, was Joan Fujimura als Voraussetzung für das Entstehen einer Forschungslinie begreift.569 Die Kombination theoretischer Überlegungen und standardisierter Techniken ist dabei von zentraler Bedeutung, denn sie erlaubt, »to locally concretize the abstraction in different practices to construct new problems; and the routinization allowed the new idea to move to new sites and be inserted into existing routines with manageable reorganization.«570 Genau das geschah, nachdem John Rock 1937 das Editorial für das New England Journal of Medicine schrieb: Die Idee der »fertilization in vitro« wurde in die Klinik transferiert und mit einem »neuen« Problem verknüpft, der Behandlung weiblicher Unfruchtbarkeit. Gerade das Wechselspiel zwischen Vertretern verschiedener sozialer Welten führte zur Stabilisierung der wissenschaftlichen Tatsache der IVF. 1950 schrieb J. D. Ratcliffe einen viel beachteten Aufsatz in der Zeitschrift »Look« mit dem Titel »Babies by Proxy – Experiments now being conducted with cattle in Texas may have a profound effect on the birth of humans«.571 Ratcliffe stellte die Experimente Umbaughs in den Zusammenhang mit den Experimenten von Rock und Menkin am Free Hospital for Women: »An egg taken from a woman’s ovary … might be fertilized and incubated outside the body, then implanted in the same woman’s womb. Thus the blocked tubes would no longer prevent conception. … Motherhood would still be possible with egg-transfer breeding.«572
Darauf hin erreichte John Rock eine Fülle von Briefen.573 Schon als er und Miriam Menkin 1944 ihren ersten Aufsatz in Science veröffentlichten, erzeugte das eine starke Resonanz. Frauen aus den ganzen USA schrieben Rock, weil ihre Eileiter chirurgisch entfernt oder verschlossen waren und sie mit Hilfe der in vitro Fertilisation hofften, schwanger zu werden. Waren diese Frauen Ende 20 oder älter, warnte Rock vor verfrühten Hoffnungen, »but for those in their early twenties – betraying his own hopes that these experiments would lead quickly to clinical application – he 569 570 571 572 573
Fujimura, The Molecular Biological Bandwagon in Cancer Research, S. 263–264. Fujimura, Crafting Science, S. 179, Hervorhebung im Original. Ratcliff, Babies by Proxy. Ebd., S. 44. Marsh u. Ronner, S. 179–180.
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expressed some optimism.«574 Die IVF war tatsächlich zum »doable problem« geworden, nicht nur in den Augen von Wissenschaftlern, auch in der Öffentlichkeit.
6. Biopolitische Visionen Der Genetiker und spätere Nobelpreisträger Hermann J. Muller veröffentlichte 1935 »Out of the Night«, eine Art biologisches Forschungsprogramm, das eingebettet war in eine umfassende Utopie gesellschaftlichen Fortschritts.575 Die gegenwärtige Gesellschaft, so Muller, bürde Frauen die Hauptlast der Reproduktion auf, so dass man es den intelligenteren unter ihnen nicht verübeln könne, wenn sie die Geburt von Kindern verweigerten. Nur durch eine Reihe sozialer, medizinischer und politischer Maßnahmen, darunter die Legalisierung von Geburtenkontrolle und Abtreibung, könne die »voluntary as opposed to involuntary motherhood« erreicht werden und damit ein rationeller Umgang mit der Reproduktion im Sinne zukünftiger Generationen.576 Vor allem müsse man auf die Fortschritte in der Biologie setzen: »the discoveries and inventions of advancing biology in the fields of reproduction and development must sooner or later give us radical powers of control over what has hitherto been the female’s rôle in child-production, which will greatly extend both the possibilities of eugenics and our ability to order these processes in the interests of mother and child.«577
Seine Überzeugungskraft gewann Mullers Buch nicht zuletzt durch den Bezug auf laufende Forschungsarbeiten, darunter die von Pincus und Enzmann.578 Auch die Versuche zur parthenogenetischen Entwicklung von Eizellen erwähnte Muller mit Hinweis auf Jacques Loeb.579 Muller war nicht der erste Biologe, der reproduktionsphysiologische Experimente mit gesellschaftspolitischen Utopien verknüpfte. Einen ersten, sehr öffentlichkeitswirksamen Vorstoß unternahm Mitte der 1920er Jahre John B. S. 574 Ebd., S. 178. 575 Muller, Out of the Night. Hier wird nach der Londoner Ausgabe von 1936 zitiert. Der Text stammt aus den 1920er Jahren, bezog aber jüngere Forschungen ein, vgl. Pauly, Controlling Life, S. 181. 576 Muller, Out of the Night, S. 128–130. 577 Ebd., S. 134–135. Die amerikanische Ausgabe erreichte eine geringe Auflage, die britische wurde durch den Eugeniker und Sozialisten Herbert Brewer vermittelt und 13 000 Mal verkauft, Kevles, S. 190–191. 578 Muller, Out of the Night, S. 135. 579 Ebd., S. 136–137.
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Haldane mit dem Band »Daedalus, or Science and the Future«.580 Im Mittelpunkt seiner Vision stand die vollständige in vitro Kultivierung eines menschlichen Embryos, eine Technik, die er Ektogenese nannte. Sie war gedacht als Technologie zur Umsetzung eugenischer Ziele und sollte die Befruchtung der Eizelle und das Wachstum des Embryos vollständig von den Körpern der Eltern befreien. In welchem Zusammenhang stand die Entwicklung einer Forschungslinie zur IVF mit diesen Zukunftsvisionen von Biologen? Waren die darin enthaltenen eugenischen Vorstellungen gar »erkenntnisleitend« für die Befruchtungsversuche? Eine solche These ist vertreten worden: Die Experimente zur in vitro Fertilisation in den 1930er Jahren, schreibt Ludger Weß, hätten sich an der Haldane’schen Idee der Ektogenese orientiert und seien daher als eugenisch motiviert anzusehen. Er schrieb, dass Pincus aufgrund der Diskussionen in Cambridge mit Hammond und Haldane seine Forschungen neu ausrichtete, »mit dem erklärten Ziel, die Befruchtung im Reagenzglas bei Säugetieren möglich zu machen«.581 Im Folgenden werden diese Zukunftsvisionen untersucht. Experimente aus der Reproduktionsbiologie spielten darin eine zentrale Rolle: Sie sollten die »genetische Verbesserung« menschlichen Erbgutes an der neuralgischen Stelle der Zeugung beeinflussen. Umgekehrt wurden im Horizont solcher wissenschaftspolitischer Vorstellungen Forschungen legitimiert, die Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts alles andere als akzeptiert waren. Es herrscht in der Literatur weitgehend Einigkeit darüber, dass Experimente zur menschlichen Sexualität und Fortpflanzung mit Tabus belegt waren, auch wenn nicht alle Wissenschaftshistoriker so weit gehen wie Merriley Borell und Adele Clarke, die aus der Illegitimität der Reproduktionsforschung auf eine verzögerte Entwicklung gegenüber den Forschungen an anderen Organsystemen schließen.582 Die Reproduktionsbiologie war auch deshalb legitimationsbedürftig, weil es sich dabei immer auch um Anwendungsforschung handelte. In den 1930er Jahren wurde Gregory Pincus in der Presse wiederholt vorgeworfen, er bastele mit »Tricks« an der menschlichen Natur herum, ohne das biologische (Grundlagen-) Wissen zu erweitern. Er dagegen versuchte, den Grundlagencharakter seiner Arbeit hervorzuheben. Allerdings hat Philip Pauly darauf hingewiesen, »how recent and unstable was the emphasis in biology on basic research, pure 580 Haldane, Daedalus, or Science and the Future. Hier wird nach der deutschen Ausgabe zitiert, ders., Daedalus oder Wissenschaft und Zukunft. 581 Weß, S. 49. 582 Clarke, Disciplining Reproduction, S. 233–258; Borell, Biologists, S. 82–84. Philip Pauly bestreitet nicht den kontroversen Status, nimmt aber kein Zurückbleiben der Forschung zur Reproduktion an, Pauly, Biologists, S. 215, 232.
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science, and the search for the nature of life.«583 Die Betonung des gesellschaftlichen Nutzens dieser Forschungen war jedenfalls von Bedeutung. Die wissenschaftspolitischen Visionen von Biologen werden hier anhand dreier Veröffentlichungen untersucht. Zunächst geht es um den Text von Haldane aus den 1920er Jahren, der einen eher visionären, spekulativen Charakter hatte, Anstoß für Aldous Huxleys Science Fiction »Brave New World«584 war und mit diesem zusammen die öffentliche Wahrnehmung der Versuche von Gregory Pincus in den 1930er Jahren prägte. Mullers »Out of the Night« konkretisierte die Ideen Haldanes vor dem Hintergrund der Forschungen aus den 1930er Jahren. Und schließlich transformierten sich nach dem zweiten Weltkrieg eugenische Vorstellungen in eine Politik der Familienplanung und Bevölkerungskontrolle. Diese Phase wird anhand des 1962 stattfindenden CibaSymposiums untersucht.
Die Idee der »Ektogenese« Eine der wichtigsten »biologischen Erfindungen« der Vergangenheit, schrieb John B. S. Haldane, sei die »die künstliche Kontrolle der Empfängnis«.585 Biologische Entwicklungen stellten einen Tabubruch dar: Sei schon jede physikalische und chemische Erfindung eine Blasphemie, »so ist jede biologische Erfindung eine Perversität.«586 Daedalus habe sich als »erster moderner Mensch« biologischen Problemen zugewandt, die Kunst des Fliegens erfunden, aber vor allem, obwohl verantwortlich für den Tod des Zeussohnes Minos, keine Verfolgung durch die Götter herauf beschworen: »Er hat als erster den Beweis geliefert, daß der Naturwissenschaftler mit Göttern nichts zu schaffen hat.«587 Haldane schätzte ein, dass die praktischen Anwendungen der Biologie die Gesellschaft ebenso umwälzen würden wie die Industrialisierung.588 Entscheidend für diesen Fortschritt sei »die im 19. Jahrhundert begonnene und im 20. vollendete Trennung von Geschlechtsliebe und Zeugung«.589 Im Stil eines Science-Fiction-Romans sagte er voraus: »Dupont und Schwarz [zwei fiktive Wissenschaftler] erlangten einen frischen Eierstock von einer Frau … . Nun, da die Technik zu voller Entwicklung gelangt ist, können wir den Eierstock einer Frau nehmen und ihn in einem geeigneten Fluidum volle zwanzig
583 584 585 586 587 588 589
Pauly, Biologists, S. 243. Huxley, Brave New World. Vgl. Kevles, S. 186. Haldane, Daedalus oder Wissenschaft und Zukunft, S. 35–37. Ebd., S. 38. Ebd., S. 41. Zur Überlieferung vgl. Geisau. Haldane, Daedalus oder Wissenschaft und Zukunft, S. 45–46. Ebd., S. 55.
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Jahre lang reifefähig erhalten; dieser bringt allmonatlich ein frisches Ovum hervor; von den Eiern können 90 % befruchtet werden; den Embryonen wird während neun Monaten mit Erfolg zu ihrer weiteren Entfaltung verholfen, worauf sie dann in die Luft hinausgebracht werden.«590
Haldanes »Daedalus« wurde besonders unter Intellektuellen diskutiert. Das Buch verkaufte sich innerhalb eines Jahres 15 000 mal, schon 1925 lag eine deutsche Übersetzung vor. Für die Weiterentwicklung der Gesellschaft, so Haldane, komme der Biologie eine entscheidende Bedeutung zu.591 Spöttisch äußerte er sich über die »offizielle Eugenik« (»man möchte sie für ein mixtum compositum aus Polizist, Priester und Kuppler halten«),592 die angestrebten Ziele der gesellschaftlichen Entwicklung müssten auf anderem Wege erreicht werden als durch die Lenkung der Eheschließung. Immerhin sei die Eugenik aber ein »ernstlicher Versuch zur Nutzanwendung der Biologie auf die Politik«.593 Wie erklärt sich die Wirkung und Plausibilität der Haldaneschen Vision? Anfang der 1930er Jahre geriet die Hauptlinie der Eugenik, der Ausschluss »unerwünschter« Gruppen von der Fortpflanzung und die Politik der Sterilisation, in Misskredit.594 Vor allem wurde ihre Effektivität als Mittel gegen das Auftreten bestimmter Krankheiten bezweifelt, da man nur die homozygoten Träger von Erbmerkmalen erfasse, während sich rezessive Gene durch ihre heterozygoten Träger in der Population verbreiteten.595 In den USA und in Großbritannien wuchs die Kritik von der politischen Linken bis hin zu katholischen Theologen, bestärkt durch Nachrichten über die Bevölkerungspolitik der Nationalsozialisten. Daniel Kevles schrieb: »The fortunes of the mainlineeugenic movement fell with those of the drive for eugenic sterilization.«596 Allerdings war das keineswegs das Ende eugenischer Ideen, im Gegenteil, die Idee der »biologischen Verbesserung des Menschen« faszinierte auch die Kritiker der negativen Eugenik.597 Die reformierte Eugenik sollte wissenschaftlich fundiert sein und die alten rassistischen und sozial diskriminierenden Züge aufgeben. Das vertrat auch eine neue Generation von Politikern an der Spitze der organisierten Eugenik-Bewegung wie Frederick Osborn in den USA und Carlos P. Blacker in England, die in den 1930er Jahren Schlüsselpositionen in den nationalen
590 Ebd., S. 54. 591 Ebd., S. 9. 592 Ebd., S. 35. 593 Ebd., S. 48–49. 594 Muller hielt sie für rassistisch, pseudowissenschaftlich und sozial diskriminierend, Muller, Out of the Night, S. 10–11; vgl. auch Kevles, S. 164. 595 Kevles, S. 164–165. 596 Ebd., S. 169. 597 Ebd., S. 170.
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eugenischen Organisationen einnahmen. Beide bemühten sich darum, die eugenische Bewegung von der extremen Rechten zu entfernen, insbesondere von nationalsozialistischen Positionen.598 Eine wichtige Rolle in diesen Reformüberlegungen spielte eine Gruppe prominenter amerikanischer und britischer Biologen um John B. S. Haldane, Julian Huxley und Herman J. Muller, die eine »loose coalition of what one might call reform eugenics« bildeten,599 eugenischen Organisationen eher distanziert gegenüber standen und zumeist der moderaten bis marxistischen Linken angehörten. Verschob sich für Osborne und Blacker der Fokus der Reformeugenik auf die soziale und biologische Qualität der Bevölkerung, formulierten die genannten Biologen ihre Vorstellungen präziser, ambitionierter und mit mehr Nachdruck auf die Biologie. Das Ziel war eine Eugenik »in its only true sense: the conscious social direction of human biological evolution.« 600 Vor dem Hintergrund eines drohenden Bevölkerungsrückgangs gewann die sogenannte positive Eugenik (»the encouragement of the breeding of the ›better stocks‹«)601 in den 1930er Jahren an Bedeutung. Besonders die Abnahme der Geburtenrate in höheren sozialen Schichten erzeugte eine Diskussion über den Widerstand »intelligenter« Menschen, Kinder zu zeugen.602 Sozialpolitische Gegenmaßnahmen reichten in den Augen der eugenischen Linken nicht aus. Sie traten mit programmatischen Texten an die Öffentlichkeit, in denen sozialistische und eugenische Reformvorstellungen vermengt wurden und in denen der Biologie, besonders der Genetik und der Reproduktionsbiologie, eine zentrale Bedeutung für die Neugestaltung der Gesellschaft zugewiesen wurde.603 Im Kontext dieser Debatten war Haldanes Text ein erster, eher visionärer Vorstoß in einer Zeit, als Wissenschaftler konfrontiert waren mit »a wave of popular interest in the regulation of human reproduction following World War I«.604 Für die öffentliche Wahrnehmung der Befruchtungsversuche war Haldanes »Daedalus« und das durch ihn inspirierte »Brave New World« von Aldous Huxley prägend.605 Nachdem Pincus und Enzmann die in vitro Fertilisation und Geburt von Kaninchen bekannt gegeben hatten, titelte die New 598 Ebd., S. 170–175. 599 Ebd., S. 173. 600 Muller, Out of the Night, S. 52; vgl. auch Kevles, S. 176. 601 Kevles, S. 178. 602 Ebd. Viele Diskussionen löste Ronald Fisher aus, der die niedrige Geburtenrate höherer sozialer Schichten darauf zurückführte, dass Kinder den Wohlstand gefährdeten. Er schlug vor, Familien mit hohem Einkommen mehr staatliche Förderung für ein Kind zuzuweisen als Familien mit geringem Einkommen, ebd., S. 180–181, mit Bezug auf Fisher. 603 Neben den Texten von Haldane und Muller vgl. auch Huxley, Eugenics and Society. 604 Borell, Biologists, S. 51. 605 Für eine knappe Biographie von Huxley, seine Veröffentlichungen und die Resonanz auf den Roman »Brave New World« vgl. Engelhardt.
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York Times: »Rabbits Born in Glass, Haldane – Huxley Fantasy Made Real by Harvard Biologists«.606 Pincus und Enzmann wurden als »two Bokanovskys« bezeichnet, eine Anspielung auf den fiktiven Wissenschaftler in »Brave New World«. Weitere Presseberichte stellten die Verbindung zu Haldane, Huxley und eugenischen Vorstellungen her 607 und transportierten dabei auch Haldanes Kernthese: »Love will simply be divorced from parenthood if the biologists are right. … Human destiny, conscious and deliberate physical and mental improvement will be the concern of the race from China to Brazil, from Greenland to Australia. The species will be more important than any individual.« 608
Diese Publicity machte Pincus zu einer öffentlichen Person und führte beispielsweise zur besagten Anfrage aus dem Landwirtschaftsministerium, ob sich »seine Ektogenese« auf die Viehzucht übertragen ließ.609 William Crozier schrieb 1934 an Pincus, er habe in Belgien einen Kollegen getroffen, der ihn fragte, »if you were the same Pincus as worked on eggs«.610 Crozier habe das bestätigt, worauf hin der Mann seine lebhafte Bewunderung für Pincus und seine »beautiful work with mammalian eggs« zum Ausdruck gebracht habe.611 Auch die Selbstwahrnehmung der Forscher um Pincus war beeinflusst durch die beständige Referenz auf Haldanes Ektogenese. Dwight Ingle berichtete in seinem Nachruf auf Pincus, dass die Versuche zur Parthenogenese Pincus bekannt gemacht hatten, so dass der Prozess schließlich von Kollegen scherzhaft als »Pincogenesis« bezeichnet wurde.612 Auch die Forscher selbst benutzten den Begriff der Ektogenese, allerdings eher in ironischer Weise.613
606 Kaempffert. 607 Die »Time« schrieb von einem »ectogenetic experiment«, An., Host-Mothers; ganz ähnlich Laurence, Life is Generated in Scientist’s Tube; An., Brave New World. Die New York Times schrieb, viele Ärzte sähen in der Aktivierung von Eizellen die von Aldous Huxley vorausgesehene Entwicklung, An., Mammals Created without a Father. 1941 sah die New York Times die »Brave New World« näher rücken, Laurence, Test Tube Babies Come Step Nearer. 608 An., Brave New World. 609 Everette I. Evans an Gregory G. Pincus, 31.5.1934, in: HUG 4308.5; vgl. den Abschnitt IV.5. 610 William J. Crozier an Gregory G. Pincus, 28.9.1934, in: Papers of Gregory G. Pincus, LOC, Box 4, Folder »1934, William Crozier«. 611 Ebd. 612 Ingle, S. 232. Nicholas Werthessen spielte mit dem Titel des Nachrufes »Pincogenesis« darauf an, Werthessen u. Johnson. 613 Im März 1934 verfasste Ernst Enzmann ein Liedchen, das er im Experimentbuch festhielt: »I never slept with Mary;/ she never slept with me./ So how in the duce/ Could Mary produce/ a baby/ That looked like me?/ … By the Pincus-Enzmann method of ectogenesis!«, Experimentbuch 1933, in: Papers of Gregory G. Pincus, LOC, Box 147, Folder »Rabbit Egg Culture & Hormone Effects 1933«, S. 158.
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Die Behauptung von Ludger Weß, dass es sich bei den Befruchtungsversuchen um die bewusste und zielgerichtete Umsetzung der Haldanschen Vision der Ektogenese handelte, ist allerdings nicht plausibel. Die Verbindung wurde durch die Presse hergestellt, weil Haldane und seine eugenischen Ideen große Ausstrahlungskraft besaßen. Aus den Berichten lässt sich keineswegs schließen, dass Pincus die Ektogenese anstrebte. Im Gegenteil, die Rekonstruktion der Experimente in den 1930er Jahren zeigte, dass sie zunächst gerade nicht die in vitro Fertilisation zum Ziel hatten. Auch der von Weß angenommene intensive Gedankenaustausch zwischen Pincus und Haldane in Cambridge lässt sich auf der Grundlage der hier verwendeten Quellen nicht zeigen.614
Das Programm von Muller War mit der eher futuristisch anmutenden Idee der Ektogenese das Thema für die öffentliche Wahrnehmung von Pincus Versuchen vorgegeben, konkretisierten sich solche Vorstellungen Mitte der 1930er Jahre mit Hermann Mullers »Out of the Night«. Muller formulierte darin in aller Breite die These, dass die Ausbreitung schädlicher Erbfaktoren unter den Bedingungen der Zivilisation (also der mangelnden natürlichen Auslese) bedrohliche Ausmaße annehme, der durch positive eugenische Maßnahmen begegnet werden müsse. Auch Haldane hatte sich zwar punktuell auf laufende Forschungen bezogen,615 bei Muller geschah das allerdings nachdrücklicher und systematischer, nicht zuletzt weil sich das Feld der Reproduktionsbiologie ausdifferenziert hatte. Neben Andeutungen, die sich auf Pincus Forschungen bezogen, verwies Muller zum Beispiel auch auf Versuche zur in vitro Kultur von Ovarialgewebe.616 Zusammen mit Erkenntnissen aus der Sexualhormonforschung sei damit der Weg frei für weitergehende Experimente: »There is no doubt that, if mature eggs were thus obtained, they could be fertilised and implanted in the uterus of the same or any other functioning female, and that they would then develop.« 617 614 Hätte es einen solchen Kontakt gegeben, müsste man erwarten, dass Pincus ihn Crozier gegenüber erwähnt hätte. Treffen mit Haldane streifte Pincus aber eher beiläufig, Gregory G. Pincus an William J. Crozier, 22.10.1937 und 9.1.1938, beide in: HUG 4308.5. 615 Zum Beispiel auf die Versuche von Morgan in der Genetik oder die von Brachet zur Kultivierung von Kaninchenembryonen, Haldane, Daedalus oder Wissenschaft und Zukunft, S. 50. 616 Muller, Out of the Night, S. 135–136. Er bezog sich auf Carrel u. Lindbergh. 617 Muller, Out of the Night, S. 136. Der Begriff »functioning female« zeigt, dass Muller Frauen als technische Bestandteile des Verfahrens, als Aufnahmegefäße für Sperma betrachtete, vgl. auch Weß, S. 132. Muller kalkulierte sehr bewusst mit der öffentlichen Meinung: Forschungen wie die zur Beeinflussung des Geschlechtes seien wichtig, um die gesellschaftliche Akzeptanz der artifiziellen Insemination zu erhöhen, Muller, Out of the Night, S. 144–145, Anm. 1.
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Damit könne das genetische Potential »ausgezeichneter« Frauen genutzt werden, ohne dass sie notwendigerweise in ihrem persönlichen Leben davon berührt seien.618 Muller und der englische Eugeniker und Sozialist Herbert Brewer begeisterten sich für die Versuche zur extrakorporalen Befruchtung von SäugetierEizellen und ihre eugenischen Implikationen. Daniel Kevles schreibt: »Brewer dubbed test-tube fertilization ›penectogenesis‹, because he considered it a major step toward Haldane’s ectogenesis.«619 Muller übersetzte also das Ziel der Ektogenese in den Forschungshorizont der 1930er Jahre. Die beschriebenen Veränderungen zur »production of children« 620 – die sozialpolitischen Maßnahmen und die biologischen Techniken – erlaubten »a much greater degree of control over our choice of these children, even before we reach that ideal condition of complete ectogenesis, or development of the egg entirely outside the mother’s body, pictured in Haldane’s Daedalus.« 621
Auf kurze Sicht bevorzugten Muller und Brewer die Anwendung der artifiziellen Insemination.622 Brewer betrachtete sie als unmittelbar praktikabel, kaum schwerwiegender als ein Eingriff beim Zahnarzt.623 Auch sie war ausgerichtet am Ziel positiver Eugenik: Die wahre Eugenik läge in der »creation of excellence.« 624 Hochwertiges Sperma könne eine schnelle Verbesserung der erblichen Qualitäten der Rasse gewährleisten. Das landwirtschaftliche Züchtungsideal wurde also auf den Menschen übertragen: »We may consider the results which might follow an experiment in human reproduction carried out by using the germ cells of a few highly selected males to impregnate the general body of females. Such a process might produce a great and rapid improvement in hereditary qualities of the race.« 625
Die eugenische Intervention erfolgte nicht am Individuum, sondern am »Körper der Gesellschaft« bzw. am »allgemeinen Körper der Frauen« und Brewer 618 Ebd., S. 137. 619 Kevles, S. 189, der auf Briefe verweist, die Brewer Ende der 1930er und Anfang der 1940er schrieb. 620 Muller, Out of the Night, S. 137. 621 Ebd. 622 Kevles, S. 188–189. 1934 veröffentlichte John H. Caldwell die Ergebnisse einer Umfrage unter 200 amerikanischen Ärzten zur artifiziellen Insemination. Auch Caldwell sah den eugenischen Nutzen einer Auswahl »hochwertigen« Spermas für die Befruchtung von Frauen, deren Mann steril war und schloss mit der optimistischen Perspektive, dass 10 000 bis 20 000 Babies pro Jahr geboren werden könnten »from selected sources, while less than 500 babies per year are now being born to the men of real talent in our country.«, Caldwell, S. 125. 623 Kevles, S. 190. 624 Brewer, S. 121. 625 Ebd., S. 123, Hervorhebung von mir.
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schrieb: »we are members of one body«.626 Schon in den 1920er Jahren, so Heiko Stoff, waren der einzelne und der kollektive Körper, das Individuum und die Rasse metaphorisch verbunden, »Individuum« und »Bevölkerung« verschmolzen zu untrennbaren sozialen Größen.627 Muller und Brewer sahen in der artifiziellen Insemination eine Schlüsseltechnologie. Wegen der enormen Zahl von Keimzellen, die ein Mann produziere, seien innerhalb kurzer Zeit große Erfolge zu erzielen, so dass es für die Mehrheit der Bevölkerung möglich sei, die Qualitäten solcher Männer wie Lenin, Newton, Puschkin, Pasteur, Beethoven oder Marx zu erreichen.628 Da die Technik erprobt sei, könne nur die allgemeine Ignoranz erklären, warum sie nicht breit angewendet werde: »To claim that we must wait for ectogenesis first is only to admit that we do not really have the courage of our convictions.«629 Auch Muller war zu dieser Zeit Sozialist.630 Erst die Eugenik einer neuen Gesellschaft, befreit von den Traditionen der Kaste, der Sklaverei und des Kolonialismus sei eine umfassende und wahre Eugenik.631 Er verwies auf die Gesellschaftstheorie von Karl Marx, nach der die Weiterentwicklung von Technologien (von Produktivkräften) zu qualitativ neuen Produktionsverhältnissen führe.632 Auch biologische Technologien könnten diese Rolle spielen: »In this case the new technical devices in question consist in the technique of artificial insemination and in accessory biological inventions; and the production in question is in this case reproduction, which has hitherto been carried within the limits of monogamous marriage.« 633
Wie die gesellschaftliche vollziehe sich auch die biologische Entwicklung des Menschen in großen Etappen: Zunächst habe die natürliche Auswahl den Menschen hervorgebracht, der – in der Gegenwart – die Umwelt seinen Wünschen anpasse. In der Zukunft werde der Mensch sich selbst zu einer immer vollkommeneren Kreatur ausformen: »Here you have one biologist’s view of ›progress‹. And perhaps I may add that there are other biologists who already have come to share this view. … The mind of man must 626 Ebd., S. 126. An anderer Stelle sprach Brewer von einem »general body of men«, ebd., S. 125. 627 Stoff, S. 233. 628 Muller, Out of the Night, S. 140–141. Auf dem Ciba Symposium meinte Peter B. Medawar ironisch, Mullers Liste hervorragender Samenspender wandele sich genauso wie seine politischen Überzeugungen, Wolstenholme, S. 280. 629 Muller, Out of the Night, S. 139. 630 Vgl. ebd., S. 9–10. Eine Neuauflage von »Out of the Night« lehnte er später ab, weil sich seine Weltanschauung geändert hatte, Carlson, S. 394. 631 Muller, Out of the Night, S. 150. 632 Der Gedanke findet sich beispielsweise im Kommunistischen Manifest, Marx u. Engels, S. 19–21. 633 Muller, Out of the Night, S. 146, Hervorhebung im Original.
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more and more become the master, not only of the outer material world, and so too of his social world, but also of the genetic thread of life within him.« 634
Spätestens Ende der 1930er Jahre bestand für Genetiker wie Muller die Notwendigkeit, sich gegenüber der NS-Eugenik zu verhalten. Auf dem siebten internationalen Genetik-Kongress, der 1939 am Vorabend des zweiten Weltkrieges in Edinburgh stattfand, verabschiedeten sie das »Genetiker-Manifest«.635 Die inhaltlichen Übereinstimmungen mit Muller’s »Out of the Night« sind unübersehbar: Die Unterschiede zwischen Rassen und Klassen seien zwar vor allem sozial und kulturell bedingt, innerhalb dieser Gruppen aber durch genetische Unterschiede. Daher ginge es sowohl um die Umgestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse, als auch um die Verbesserung der genetischen Qualität von Individuen. Das Manifest stellte den Versuch dar, »die Eugenik vor ihrer Identifizierung mit der Rassenhygiene des Nationalsozialismus zu retten.« 636 Die sozialpolitischen Forderungen verstanden sich als Voraussetzung einer verbesserten Humangenetik, »with the improvement of the inner constitution of man himself« als zentralem Ziel.637 Welche Rolle spielten diese Diskussionen für die Befruchtungsversuche der 1930er Jahre? Laut Karl Heinz Roth handelte es sich bei Genetikern und Evolutionsbiologen um ein überschaubares Forscherkollektiv von etwa 600 Personen, 20–25 davon in herausragender Position.638 Pincus unterzeichnete das Genetiker-Manifest nicht, aber er kannte einige der Erstunterzeichner, darunter John Hammond aus der School of Agriculture in Cambridge.639 Aber auch in Pincus direktem Umfeld wurde das Verhältnis zwischen Genetik und Eugenik diskutiert. Sein Mitarbeiter Mark Graubard veröffentlichte 1935 ein kleines Buch unter dem Titel »Genetics and the Social Order«.640 Darin propagierte er eine wissenschaftliche Genetik, die sich nur in einer sozialistischen Gesellschaft verwirklichen ließe. Eugenische Konzepte kritisierte 634 Ebd., S. 157–159. 635 Der Kongress fand angesichts des drohenden Krieges unter chaotischen Umständen statt, vgl. Weß, S. 155–157. Das Genetiker-Manifest erschien unter dem Titel »Social Biology and Population Improvement« und als »Geneticist’s Manifesto« in weiteren Zeitschriften. 636 Weß, S. 156. Der Text wird gelegentlich als Beispiel für eine sozial verantwortliche Wissenschaft zitiert, u. a. weil viele Unterzeichner erklärte Antifaschisten waren. Er ist aber klar biologistisch und die »Freiwilligkeit« eugenischer Maßnahmen relativiert sich mit dem Hinweis auf »genetische Rechte und Pflichten«, ebd.; vgl. dazu Social Biology and Population Improvement, S. 521. 637 Social Biology and Population Improvement, S. 522. 638 Roth, S. 27. 639 Social Biology and Population Improvement, S. 522. 640 Graubard. Graubard war Biochemiker und Genetiker und arbeitete im Team von Pincus und Hoagland an der Clark University, Gespräch zwischen Hudson Hoagland und einem Angestellten der Rockefeller Foundation, 27.10.1938, in: RFA, RG 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602.
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er scharf: Der Rassebegriff diene nur dazu, kriminelle Aggressionen imperialistischer Nationen mit biologischen und zivilisatorischen Unterschieden zu rechtfertigen. Wissenschaft sei korrumpiert, wenn sie diese skandalöse Praxis legitimiere.641 Graubard schrieb, »to expose the nonsense of the eugenists we … must point out the class nature of their philosophy, the political service it renders as a defense of colonial oppression, its lack of biologic and particularly genetic information, its ignorance of social economic forces as the determining elements in the shaping of cultural forms and movements, and its entire lack of scientific perspective as to the nature of human behavior and its modifying factors.« 642
Genetische Qualität beim Menschen sei nicht zu züchten: »Heterozygosity in man is inescapable«.643 Es gehe vielmehr darum, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern und jedem den gleichen Zugang zu ökonomischen und kulturellen Ressourcen zu verschaffen – erst dann könne man überhaupt Aussagen über die biologische Natur des Menschen treffen: »Biologically there is little we can do now, or ever, for that matter.« 644 Graubards sozialistische und anti-eugenische Haltung wurde scharf angegriffen.645 Obwohl Muller eine andere Position zur Eugenik vertrat, verteidigte er ihn: »Geneticists cannot stay aloof from the momentous questions here involved by seeking refuge in an ivory tower or in some m-chromosome, because genetics is today being dragged into the center of the conflict by the Fascists in their attempt to fabricate a theory to counter the socialist theory and to serve as a decoy to all who can be caught by it. If one read for example some of the presidential addresses of the ›Eugenics Research Association‹ of the U. S. A., or glance at the ›Rassenpflege‹ propaganda of Germany, he will see that the ›Eugenics‹ movements in these countries have become just what Graubard claims, although they profess to be derived from the science of genetics and thus involve the geneticists as their accomplices until the latter deny it.« 646
Insofern habe Graubard einen notwendigen Beitrag geleistet: Die Genetik müsse von ihrer unheilvollen Perversion befreit werden, die in den gegenwärtigen Ereignissen eine so große Rolle spiele.647 641 Graubard, S. 105–106. 642 Ebd., S. 113. 643 Ebd., S. 117. 644 Ebd. 645 Little, Bolshivik Genetics. In den 1920er Jahren war Little Präsident der University of Maine und Chairman auf einem internationalen Eugenik-Kongress, vgl. Borell, Biologists, S. 58–59. 646 Muller, Genetics and Politics, S. 267. 647 Ebd. Die Ausgabe enthielt eine Stellungnahme des Herausgebers, der sich von Graubard und Muller distanzierte, aber die Notwendigkeit der Diskussion betonte, ebd., S. 268, und einen weiteren Beitrag von Little, Applications of Biology to Human Affairs.
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Gregory Pincus beteiligte sich nicht öffentlich an diesen Diskussionen. In einem unveröffentlichten Manuskript schrieb er aber: »the race pretensions and so-called eugenic measure of the Nazi-Fascist variety are genetic nonsense. There is no genetically pure race of men.« 648 Dennoch übertrug auch er den Züchtungsgedanken auf den Menschen.649 Die Eugenik wies er nicht prinzipiell, sondern wegen ihrer mangelnden Effektivität zurück: »I have indicated that nazi-fascist ideas of race and breeding are likely to lead to bad genetic results. Under a democratic system the reverse is likely.« 650 Die Verbindung zwischen genetischen Züchtungs- und Vererbungsüberlegungen und seiner Forschungspraxis sah Pincus in der Parthenogenese.651 Homozygote Bedingungen erreiche man durch Bruder-Schwester-Begattungen nur in 40 oder mehr Generationen, ein Prozess, der nur durch die Parthenogenese abzukürzen sei.652 Ihre praktische Bedeutung läge in der Stabilisierung einer bestimmten genetischen Konstitution,653 er schränkte aber ein: »I certainly would not advocate it as a process to be applied to homo sapiens.« 654 Diese Argumentation zum Nutzen der Parthenogenese für Forschungszwecke findet sich auch in einem Schreiben an Walter B. Cannon, in dem es um die Verlängerung eines Stipendiums des Committee for Research in Problems of Sex (CRPS) ging.655 Die parthenogenetische Entwicklung, schrieb Pincus, könne homozygote, genetisch identische Lebewesen in einer Generation zur Verfügung stellen. Durch die in seinem Labor entwickelten Methoden glaube er die Machbarkeit parthenogenetischer Entwicklung beim Menschen bestätigen zu können.656 648 Gregory G. Pincus, Genetics and Social Values, in: Papers of Gregory G. Pincus, LOC, Box 135, Folder »Genetics and Social Values, unpublished, ca. 1926–31«, S. 158. Der Struktur und Länge nach handelt es sich um einen Vortragstext. Gegen die Datierung der Library of Congress spricht, dass Pincus sich – ähnlich wie Graubard – von der Bevölkerungspolitik der Nationalsozialisten distanzierte. Der Text stammt also eher aus den Jahren 1934 oder 1935. 649 »Breeding« benutzte Pincus für die menschliche, tierische und pflanzliche Fortpflanzung, ebd., S. 9. 650 Ebd., S. 10. 651 Ebd., S. 2. 652 Ebd., S. 10. 653 Ebd. 654 Ebd., S. 8. 655 Gregory G. Pincus an Walter B. Cannon, 12.3.1934, in: CLM, Papers of Walter B. Cannon, H MS c40, Box 121, Folder 1694. Später bedankte sich Pincus bei Cannon für die Verlängerung des Stipendiums, Gregory G. Pincus an Walter B. Cannon, 30.4.1934, in: CLM, Papers of Walter B. Cannon, H MS c40, Box 121, Folder 1694. Das Stipendium betrug $4000 (für 1933 bis 1935), es trug den Titel »Fertilization and development of the mammalian egg by the methods of tissue culture«, Aberle u. Corner, S. 125. 656 Gregory G. Pincus an Walter B. Cannon, 12.3.1934, in: CLM, Papers of Walter B. Cannon, H MS c40, Box 121, Folder 1694.
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Pincus Position war nicht eindeutig: Einerseits war er skeptisch, was den Sinn der Herstellung von Reinerbigkeit anging,657 andererseits versuchte er die Parthenogenese an die aktuellen Diskussionen anzuschließen. Ein Zusammenhang zwischen den Versuchen zur in vitro Fertilisation und eugenischen Vorstellungen lässt sich aber nicht herstellen. Pincus war vor allem an Experimenten zur Parthenogenese interessiert, äußerte sich öffentlich gerade nicht zu politischen Fragen und hatte kein Interesse an den sozialen Implikationen seiner Forschungen, wie er der Time gegenüber vertrat.658 Auch das Verhältnis zu Muller war bis Mitte der 1930er Jahre eher förmlich.659 Allerdings stand Pincus mit seinem Selbstverständnis als experimenteller Physiologe auch nicht im Widerspruch zu den Unterzeichnern des GenetikerManifestes. Auch er suchte nach der »Kontrolle« der Fortpflanzung.660 Und er profitierte sicher von der Ent-Tabuisierung der Forschungen zur Reproduktion, wie sie Francis A. E. Crew, Unterzeichner des Genetiker-Manifestes forderte: »Sex and reproduction are no longer hedged around by myth and taboo; they … are matters inviting examination and explanation; they are regarded as expressions of physico-chemical forces, the nature of which is to be displayed. It is accepted that when knowledge is sufficient, control will be absolute, and though knowledge is not yet sufficient, readers … must be persuaded to the view that this will not always be so.«661
Erst um 1940 ergaben sich engere Verbindungen zwischen Pincus, Hoagland und Muller, der an der Clark Universität seine genetischen Studien an Fruchtfliegen fortsetzen wollte.662 Etwa zur selben Zeit begannen die drei, an der Lagerung von Sperma in flüssigem Stickstoff zu arbeiten, Forschungen, die un657 Gregory G. Pincus, Genetics and Social Values, in: Papers of Gregory G. Pincus, LOC, Box 135, Folder »Genetics and Social Values, unpublished, ca. 1926–31«, S. 8–9. 658 An., Host-Mothers. 659 Am 15.11.1937 schrieb Hermann Muller an Gregory Pincus, der zu diesem Zeitpunkt in Cambridge war: »Dear Dr. Pincus: It was nice to hear from you, and to feel that you are in a place where you will be appreciated – if you will pardon my taking the liberty of saying so. I should look forward to the opportunity of our meeting again, and will perhaps visit Cambridge sometime this year. But we shall perhaps meet about Christmas as I hope then to attend the meeting of the Soc. Exp. Biol. at Oxford, and suppose you will be there. I shall be located at Edinburgh at least until next summer. With best regards Sincerely yours H. J. Muller«, in: Papers of Gregory G. Pincus, LOC, Box 4, Folder »G. Pincus, Personal Correspondence 1938«. Der Brief lässt nicht auf eine vertraute Beziehung schließen. Allerdings soll Pincus von »Out of the Night« so begeistert gewesen sein, dass er den Text mit Studenten diskutierte, Pauly, Controlling Life, S. 191. Pauly bezog sich auf die Muller-Akten, ebd., Anm. 117, S. 237, besonders einen Brief von Pincus an Muller vom 16.11.1936. 660 »Kontrolle« ist ein Schlüsselbegriff in den Veröffentlichungen von Pincus bis in die 1960er Jahre hinein, vgl. Pincus, The Control of Fertility. 661 Crew, S. v, zitiert nach: Borell, Biologists, S. 86. 662 Hoagland, S. 68.
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mittelbar relevant waren für die artifizielle Insemination.663 Stolz berichtete Hudson Hoagland auf dem Ciba Symposium 1962 von diesen ersten Versuchen zur Einrichtung einer menschlichen Samenbank: »I might mention that we have worked with what was perhaps the first human sperm bank. In 1940 Pincus and I showed that if human sperm were dropped into liquid nitrogen, they could then be revived if one warmed them up very quickly … About this time I wrote a rather facetious article in the Scientific Monthly pointing out that women might have offspring by selected long dead donors; they could perhaps choose the equivalent of a Shakespeare, a Newton or even a Rudolph Valentino to father their offspring.« 664
Hoagland und Pincus hofften, Muller würde sich an der Gründung der Worcester Foundation for Experimental Biology beteiligen. Allerdings wurde ihm eine Stelle in der Zoologischen Abteilung der Indiana University angeboten, die er annahm.665 Mitarbeiter von Pincus und Forscher aus seinem Umfeld beteiligten sich also an der Diskussion über die gesellschaftliche Rolle der Genetik: Dabei ging es um die Abgrenzung von der NS-Eugenik und zugleich um die Orientierung der Genetik auf gesellschaftspolitische Ziele – mit zum Teil klar eugenischen Implikationen. Pincus war nicht völlig unbeteiligt, das zeigt das unveröffentlichte Manuskript, er äußerte sich aber nicht öffentlich. Seine Beteiligung geht kaum über bloße Antragsrhetorik hinaus, die sich zudem nicht auf die in vitro Fertilisation, sondern auf die Parthenogenese bezog. Erst im Zusammenhang mit der Entwicklung der Anti-Baby-Pille äußerte er sich dezidiert zur Kontrolle der Bevölkerungsentwicklung.
Bevölkerungskontrolle und Familienplanung Die Bewegung zur Geburtenkontrolle trug erheblich dazu bei, das tabuisierte Thema menschlicher Sexualität und Fortpflanzung zum Gegenstand öffentlicher Debatte und wissenschaftlicher Expertise zu machen.666 Adele Clarke fasst im Birth Control Movement so heterogene Gruppen wie Feministinnen, Ärzte, Demographen und Angehörige der Eugenikbewegung zusammen,667 deren Konflikte schon in den 1920er Jahren dazu führten, dass sich die ursprünglich feministisch orientierte Bewegung für konservative und eugenische 663 Pauly, Controlling Life, S. 182. Muller arbeitete zu dieser Zeit am Amherst College, das sich nur etwa 50 Meilen von der Clark University entfernt befand. 664 Zitiert nach Wolstenholme, S. 279–280. 665 Pauly, Controlling Life, S. 182. 666 Aberle u. Corner, S. 1–8, bes. S. 5. 667 Clarke, Disciplining Reproduction, S. 163.
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Vorstellungen der Familienplanung und Bevölkerungskontrolle öffnete.668 Im Laufe der 1920er verschob sich der Fokus von individuellen zu sozialen Motiven der Geburtenkontrolle.669 Das entsprach auch einer veränderten Politik von Protagonistinnen wie Margaret Sanger, die Wissenschaftler und Ärzte integrieren wollten.670 Diese Entwicklung hatte großen Einfluss auf die Reproduktionswissenschaften, weil sie ein vormals tabuisiertes Forschungsfeld in den Bereich gesellschaftlicher Nützlichkeit und Legitimität zog. Seit Ende der 1930er Jahre sorgte das Ziel von Familienplanung und Bevölkerungskontrolle für eine gemeinsame Rhetorik unterschiedlicher sozialer Gruppen und erlaubte ihre Zusammenführung, »into a legitimate, middle-class, professional, international family planning and population control establishment between about 1940 and 1965. This establishment was deeply linked with the reproductive sciences, sharing quite porous boundaries.« 671
1942 wurde auf Betreiben eugenisch orientierter Kreise die 1939 gegründete Birth Control Federation of America umbenannt in Planned Parenthood Federation of America. Die neue Rhetorik der Familienplanung »offered the possibility of bringing Taylorist approaches of ›scientific planning‹ and ›scientific management‹, drawn from the factory and marketplace, into the ›private‹ sphere of the family«.672
Ab 1951 begannen an der Worcester Foundation for Experimental Biology die Forschungen zur Anti-Baby-Pille. Pincus schuf für diese Forschungen einen arbeitsfähigen Kontext, was Mitarbeiter, Kontakte für klinische Tests (unter anderem zu John Rock vom Free Hospital for Women) und die Zusammenarbeit mit der Industrie betraf.673 Dazu gehörte auch, diese Forschungen in den politischen Kontext der Bevölkerungspolitik und Familienplanung zu adressieren, der auf der Drohung einer sogenannten »Überbevölkerung« beruhte, eine Ideologie, die Pincus und Rock teilten.674 668 Ebd., S. 175. 669 Borell, Biologists, S. 57. 670 In den 1920er Jahren hielten viele Ärzte die Geburtenkontrolle für illegitim, näherten sich während der Depression der 1930er Jahre aber der eugenischen Position an, dass sie in unteren sozialen Schichten notwendig sei, Clarke, Disciplining Reproduction, S. 177. 671 Ebd., S. 201–202. 672 Ebd., S. 173–174. 673 Oudshoorn, S. 116–119. 674 Ebd., S. 128. Pincus war seit 1959 Mitglied im Committee on Research der International Planned Parenthood Federation und seit 1961 im Medical Council der Planned Parenthood Federation of America, Curriculum Vitae Gregory G. Pincus, in: Papers of Gregory G. Pincus, LOC, Box 1, Folder »Biographical Material«.
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1962 fand in London das Ciba Symposium statt,675 auf dem Genetiker, Mediziner und Biologen über die Zukunft der Menschheit diskutierten. Wichtige Themen waren auch hier die Kontrolle der menschlichen Fortpflanzung und die sogenannte Überbevölkerung.676 Mehrere Teilnehmer forderten die eugenische Verbesserung menschlichen Erbgutes mit den Möglichkeiten der Molekulargenetik und Biotechnologie, darunter Joshua Lederberg, Julian Huxley, John Haldane und Francis Crick.677 Über die eugenische Anwendung der artifiziellen Insemination wurde genauso diskutiert wie über die Möglichkeit, das »Bevölkerungsproblem« zu lösen, indem Kontrazeptiva als Nahrungsmittelzusätze an die Bevölkerung »verteilt« würden.678 Einige Teilnehmer kritisierten die »Renaissance« der Eugenik, die auf dieser Tagung deutlich wurde: »Apparently we are beginning a second cycle of eugenic doctrines supported by some brilliant and misguided scientists, and which I am afraid will attract its quota of humbugs as well.« 679 Ein Teilnehmer griff das eugenische Argument an, nach dem sich das menschliche Erbgut durch die Zivilisation verschlechtere: »I know of no evidence for that. … The human race seems to be improving itself by those natural means which I propose to continue to enjoy so long as I can!« 680
Nun, 1962, verortete Pincus sich eindeutig: »I am very surprised to hear some people here say that genetics has taught us nothing about nature and that if we breed in a random manner by the old-fashioned methods, we shall get good genes. This is nonsense genetically: you don’t get good genes by breeding in random fashion; you get good genes by selection … if we are talking about genetic improvement, you have to select good genes.« 681 675 Dabei handelt es sich um eine Stiftung des gleichnamigen Schweizer Pharmakonzerns. Die Initiative zur Tagung soll von Pincus ausgegangen sein, Wolstenholme, S. V. Zum Kontext vgl. auch Weß, S. 184–187; Heim. 676 Pincus hielt einen Vortrag unter dem Titel »Control of Reproduction in Mammals«, Wolstenholme, S. 79–90. 677 Muller bemühte sich schon 1954 um die Rehabilitierung der Eugenik und forderte die Kontrolle der Reproduktion. Die Fehler der griechischen Demokratie seien ja auch kein Argument gegen die Demokratie im Allgemeinen, Carlsson, S. 397. 678 Pincus wandte ein, die Idee sei schon 1959 von der International Planned Parenthood Federation wegen praktischer Probleme verworfen worden. In totalitären Staaten möge man anderer Meinung sein, er selbst sei »anti-totalitarian«, Wolstenholme, S. 103. Die Idee übte aber großen Reiz aus, Francis Crick brachte sie in seinem Beitrag »Eugenics and Genetics« wieder ins Spiel, ebd., S. 275. 679 Ebd., S. 294. Der Straßburger Endokrinologe M. Klein warnte mit dem Hinweis auf Auschwitz davor, die menschliche Fortpflanzung aus eugenischen Motiven zu manipulieren, ebd., S. 100–101. 680 Ebd., S. 285. Es handelte sich um J. Bronowski. 681 Ebd., S. 291, Hervorhebung im Original. Mit der Parthenogenese, so Pincus, könne man in kurzer Zeit Reinerbigkeit erzielen, mit der artifiziellen Insemination dauere es viel länger,
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Die Vorschläge Mullers zur Einrichtung von Samenbanken und zum eugenischen Einsatz der artifiziellen Insemination problematisierte Pincus nicht, sondern diskutierte die Möglichkeit, Gewebe aus Eierstöcken und Hoden einzufrieren, um es in »useful recipients« zu transplantieren. Dieses Gewebe sei »a source for future breeding«.682 Hier verbanden sich nun seine Forschungsinteressen mit wissenschaftspolitischen Positionen, die für eugenische Überlegungen offen waren: »The magnitude of the population explosion has been recognized by demographers, economists and sociologists and with it the need to develop new methods of fertility control.« 683 Der Zusammenhang zwischen der Kontrolle der Reproduktion gegen die sogenannte »Überbevölkerung« und eugenischen Zielstellungen war sehr eng. Julian Huxley argumentierte: »I think most people would agree that even if we cannot yet carry out a eugenic programme, we can begin doing something about controlling the quantity of population. The experience we gain in this field will help us to deal with eugenic problems later.« 684
Crick, Lederberg und Huxley beklagten, dass die Bevölkerung nicht reif sei für weitreichende eugenische und genetische Maßnahmen. Julian Huxley äußerte: »At the moment the population certainly wouldn’t tolerate compulsory eugenic or sterilization measures, but if you start some experiments, including some voluntary ones [sic!], and see they work and if you make a massive attempt at educating people and making them understand what is at issue, you might be able, within a generation, to have an effect on the general population.« 685
Für diese »Erziehung der Bevölkerung« sollten nach Huxleys Vorstellungen Biologen zuständig sein.686 Die eugenischen Ziele dieser Biologen und das Bestreben nach Bevölkerungskontrolle ließen sich jedenfalls nicht voneinander trennen. Pincus war Teil dieser Gruppe und ihres Diskurses über »Man and his Future«.
Eugenik und die Befruchtungsversuche der 1930er Jahre Beginnend mit den 1920er Jahren und im Zusammenhang mit der Herausbildung der Molekulargenetik entwarfen prominente Biologen und Genetiker wie John B. S. Haldane, Hermann J. Muller und Julian Huxley Visionen einer Forschungsstrategie, die auf die Kontrolle, Manipulation und Lenkung der bioebd., S. 278. Huxley entgegnete: »Dr. Pincus said that it would be easier to get homozygosity by parthenogenesis. But do we want homozygosity? As a eugenist, I certainly don’t.«, ebd., S. 280. 682 Ebd., S. 278. Die In-vitro-Fertilisation deutete Pincus nur an, ebd. 683 Zitiert nach ebd., S. 79. 684 Ebd., S. 297. 685 Ebd., S. 290. 686 Ebd., S. 282.
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logischen Entwicklung der Menschheit abzielte. Dabei kritisierten sie die negative Eugenik und die mit ihr verbundene Politik der Zwangssterilisierung und forderten eine positive Eugenik zur »Verbesserung der menschlichen Spezies«, die integriert war in eine umfassende Utopie gesellschaftlichen Fortschritts. Zentraler Bestandteil dieser wissenschaftspolitischen Visionen waren reproduktionsbiologische Forschungen, weil sie Technologien versprachen, mit denen die Reproduktion und Vererbung zu steuern war. Gerade dieser Bereich biologischer Forschung war zugleich mit Tabus belegt und in besonderem Masse legitimationsbedürftig. In der Diskussion lassen sich drei Phasen erkennen, die alle einen engen Bezug zur Forschergruppe um Gregory Pincus hatten. Einen ersten Vorstoß unternahm Mitte der 1920er Jahre Haldane mit seiner Idee der Ektogenese, mit der er das Thema vorgab, das in der Presseberichterstattung über die Versuche von Pincus in den 1930er Jahren variiert wurde. Zugleich setzte er damit für die innerwissenschaftliche Diskussion eine Art Zielmarke, die später aufgegriffen und für die Forschungsbedingungen der 1930er Jahre konkretisiert wurde. Hermann Muller konnte nachdrücklicher an laufende Forschungen anschließen, denn das Feld der Reproduktionsbiologie hatte sich differenziert. Er formulierte die Rolle der Genetik (und Eugenik) neu, die durch die Politik der Nationalsozialisten diskreditiert zu werden drohte. Nach dem zweiten Weltkrieg schließlich wurden eugenische Ideen transformiert in eine Politik der Familienplanung und Bevölkerungskontrolle. »Unkontrollierte« Fortpflanzung wurde als globales Problem aufgefasst, dessen Kontrolle ein vitales Interesse der Menschheit darstelle. Eine Konsequenz dieser Auffassung war die seit den 1950er Jahren forcierte Forschung an einem hormonellen Kontrazeptivum. Aber auch andere Forschungen der Reproduktionsbiologie waren nun legitimiert. Trotz tiefgreifender Einschnitte in der biologischen Forschung zeigt sich über diese drei Phasen hinweg eine erstaunliche Kontinuität der Rhetorik. Allen Autoren ist die Orientierung auf eine Umgestaltung der Gesellschaft gemeinsam, verbunden mit einem stark (natur-) wissenschaftlich geprägten Fortschrittsideal. Gleichzeitig ging es ihnen um die Verbesserung der »genetischen Qualität von Individuen« mit den Mitteln moderner biologischer bzw. genetischer Forschungen. Als Garanten für diese Art von Fortschritt sahen diese Biologen vor allem sich selbst. Pincus war in den 1930er Jahren eher zurückhaltend, was die Eugenik betraf. Durch und durch ein Laborwissenschaftler interessierte er sich vor allem für seine Experimente. Die »Time« zitierte eine Reihe von Pressekommentaren zu seinen Versuchen und schloss bissig, nur Pincus selbst äußere kein Interesse an den sozialen Implikationen seiner Forschungen.687 687 An., Host-Mothers.
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Die experimentellen Interessen von Pincus hatten allerdings eine gemeinsame Schnittmenge mit den eugenischen Ideen von Haldane, Muller und anderen, die auch in der Presse aufmerksam wahrgenommen wurde.688 Pincus Versuche zur »optimierenden« Manipulation von natürlichen Vorgängen passten zu einem eugenischen Programm der Qualitätssteigerung menschlichen Erbgutes. Mitte der 1930er Jahre konvergierten diese Interessen. Mit der Einführung der Hormonforschung in die Befruchtungsexperimente, der Entwicklung der in vitro Fertilisation als Forschungsgegenstand, der Konzentration von Pincus auf die Eizelle als Versuchsobjekt und der im vorletzten Abschnitt analysierten Legitimierung jedweder Manipulation des Lebensbeginns bewegte sich Pincus aus seiner experimentellen Logik heraus auf eine umfassende Manipulation der menschlichen Fortpflanzung zu, während Leute wie Muller das biopolitische Programm dazu schrieben. Auch wenn Pincus in den 1930er Jahren kaum eugenische Positionen nachzuweisen sind, so gehörte er doch in den Kreis derjenigen Laborwissenschaftler, die interessiert waren an Projekten »we would now label as social engineering«.689 Was hieß das für die Befruchtungsversuche? Der Kern der von Haldane, Muller und anderen propagierten Forschungen war die Trennung von Sexualität und Fortpflanzung. Innerhalb des von ihnen anvisierten Repertoires an Technologien verkörperte die in vitro Fertilisation diese Forderung am radikalsten. Sie löste den Vorgang der Befruchtung vollständig vom Körper der Eltern und kam damit der Vision der Ektogenese sehr nahe. Die extrakorporale Befruchtung menschlicher Eizellen war kein kurzfristiges Ziel auf der Forschungsagenda der 1930er Jahre, vor allem, weil sie nicht unmittelbar anwendungsrelevant war. Entscheidend ist aber, dass sie von Anfang an ein identifizierbarer Teil eines Pakets reproduktionsbiologischer Technologien war, die auf eine langfristige Perspektive hochgerechnet wurden. Sie wurde nicht im Hinblick auf eine eugenische Zielsetzung entwickelt, aber sie enthielt Implikationen, die über eine »einfache Labortechnik« weit hinausgingen.
688 1936 hieß es in der New York Times: »To one who desires to speculate at this point the Harvard experiment offers another possibility. Theoretically, at least, it may become possible for a woman so inclined, particularly in a country influenced by eugenic considerations, to bring in the world twelve children a year by ›hiring‹ twelve ›host-mothers‹ to bear their test-tube-conceived children for them. Advocates of ›race-betterment‹ might urge such procedures for men and women of special aptitudes, physical, mental or spititual.«, Laurence, Life is Generated in Scientist’s Tube. 689 Borell, Biologists, S. 58.
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Schluss
Wenn ein Historiker wissen will, was ein epistemisches Ding zu einem vergangenen Zeitpunkt war, so Hans-Jörg Rheinberger, wird das experimentelle Spiel es bereits in etwas verwandelt haben, was es zu jener Zeit nicht gegeben haben kann.1 Das Neue sei da, wo es das erste Mal auftauche, nicht mehr ist als eine Irritation.2 Die wenigen, kursorischen Darstellungen zur Geschichte der In-vitro-Fertilisation behaupten dagegen eine kontinuierliche Entwicklung zur IVF, in der die Einheit der Befruchtungsversuche über die den Experimenten vorausgehenden Anwendungsperspektiven hergestellt wird: Reproduktionsmediziner akzentuieren das Bemühen um eine medizinische Lösung des Problems weiblicher Unfruchtbarkeit, andere Autoren stellen die Versuche in den Kontext eines fortschreitenden Zugriffs auf den (weiblichen) Körper oder – was die 1930er Jahre betrifft – in einen Zusammenhang mit eugenischen Debatten um die »Verbesserung« der menschlichen Fortpflanzung. Alle diese Darstellungen ziehen eine Linie von den ersten Versuchen zur extrakorporalen Befruchtung von Säugetier-Eizellen im neunzehnten Jahrhundert über Versuche in den 1930er Jahren bis hin zur ersten, mit einer Geburt abgeschlossenen In-vitro-Fertilisation menschlicher Eizellen im Jahr 1978. Diese Kontinuitätsunterstellung ist, so wurde hier gezeigt, unbefriedigend, weil sie die Komplexität der Forschungsprozesse zu stark reduziert und zudem die Gefahr der Ideologisierung birgt. Bei genauerem Blick zeigte sich nämlich, dass die Versuche zur extrakorporalen Befruchtung von Säugetier-Eizellen in den 1870er Jahren nicht den Zweck hatten, einen vollständigen, lebensfähigen Organismus auf dem Labortisch zu schaffen. Sie waren nicht für eine Anwendung beim Menschen, etwa zur Behandlung von Unfruchtbarkeit, gedacht, und man muss sie, verglichen mit anderen Forschungen zur Befruchtung und Keimesentwicklung im neunzehnten Jahrhundert, sogar als eine experimentelle Sackgasse einschätzen. Nicht einmal Samuel Leopold Schenk hätte das bestritten, ganz abgesehen davon, das ihm der Begriff der In-vitro-Fertilisation fremd war. Auch die Versuche zu Beginn der 1930er Jahre zielten nicht auf die Entwicklung der IVF. Die in vitro Fertilisierung entstand beiläufig in Versuchen, 1 Rheinberger, Experimentalsysteme und epistemische Dinge, S. 202. 2 Ebd., S. 193.
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die sich um andere Fragen drehten, und wurde erst Jahre später aufgrund von Umständen, die wiederum nichts mit dem Ziel der IVF zu tun hatten, in die Versuchsbedingungen integriert. Eugenische Visionen von Biologen wurden zwar bereits von den Zeitgenossen mit den Versuchen in Verbindung gebracht, hatten aber keinen nachweisbaren Einfluss auf ihre Richtung, geschweige denn, dass sie die Versuche initiiert hätten. Ein zentrales Problem dieser Arbeit war es, ob und ab wann man von einer Forschungslinie der IVF sprechen kann, auch wenn man die Diskontinuität wissenschaftlicher Forschung betont. Diese Frage sollte hier empirisch beantwortet werden, sie hat aber auch eine theoretische Seite. So besteht Hans-Jörg Rheinberger strikt darauf, kontinuierliche Linien in der Wissenschaftsbeschreibung zu vermeiden, und schlägt eine Darstellung von Experimentalsystemen »in ihrer eigenen Zeit« vor. Auch das befriedigt nicht ganz. Streng genommen – wenn man von der Symmetrie wissenschaftlicher Entwicklungen mit denen anderer gesellschaftlicher Subsysteme ausgeht – würde diese Position bedeuten, dass auch andere gesellschaftliche Phänomene in Form von Mikrostudien ihrer jeweiligen engen Beziehungsgeflechte zu beobachten wären: Dürften Historiker dann überhaupt (noch) Verallgemeinerungen über langfristige Entwicklungen treffen? Müsste man, polemisch gefragt, den Nationalsozialismus ausschließlich in enger Beschränkung »auf seine Zeit« untersuchen und erklären? Eine andere Möglichkeit bestünde darin, sollte Rheinberger diese Frage verneinen, nun doch wieder eine Asymmetrie zwischen Wissenschaft und anderen sozialen Zusammenhängen einzuführen. Das wäre ebenfalls eine Position, die nicht befriedigen kann. Andererseits ist deutlich geworden, wie problematisch die unkritische Konstruktion von kontinuierlichen Entwicklungslinien ist: Sie wird, kurz gesagt, der Eigenlogik wissenschaftlicher Forschungen nicht gerecht. Wie lässt sich also eine Position bestimmen, in der man das eine – die Untersuchung von Friktionen im Forschungsprozess – tut, ohne das andere – die Einschätzung längerfristiger Entwicklungen – zu unterlassen? In dieser Arbeit wurde versucht, eine Strategie zwischen diesen Extremen zu verfolgen, indem bestimmte Versatzstücke, ihre Entwicklung und Zusammenführung beobachtet wurden. Solche Versatzstücke, etwa der Begriff der »künstlichen Befruchtung«, »die Eizelle« oder experimentelle Verfahren nehmen in dieser Arbeit selbst so etwas wie die Rolle von »Boundary Objects« ein: Sie sind abstrakt genug, um auch auf die Zeit um 1870 oder 1930 angewendet werden zu können, und zugleich hinreichend konkret, um die Bedingungen der 1870er Jahre von denen der 1930er zu unterscheiden. Mit Hilfe dieser Versatzstücke wird es möglich, Verschiebungen in den Forschungsprozessen zu verfolgen, die dazu führten, dass sich bestimmte Elemente aufeinander zu bewegten. Damit ergibt sich eine Perspektive ähnlich der von Michel Serres, der 258 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35159-9
schreibt, dass die Geschichte der Wissenschaften »durch ein vielfältiges und komplexes Netz von Wegen, Straßen, Bahnen, Spuren« eilt, »die sich verflechten, verdichten, kreuzen, verknoten, überlagern, oft mehrfach verzweigen.«3 Welches sind diese Versatzstücke bzw. die Kriterien, die zusammen kommen müssen, um von einer Forschungslinie bei den hier untersuchten Befruchtungsexperimenten sprechen zu können? Eine erste Annäherung stellte das Modell der »lines of work« von Elihu Gerson dar. Die Bedingung für die Entwicklung einer Forschungslinie bzw. Forschungstradition wäre demnach die Segmentierung eines Forschungsproblems als »line of work«, das sich im Laufe von Aushandlungen als Gegenstand eines seriösen Forschungsgebietes mit einem legitimierten Methodenrepertoire etablieren kann. Zusätzlich haben sich weitere Kriterien ergeben. Um sinnvoll von einer Forschungslinie sprechen zu können, müssen sich Forscher in verschiedenen Labors auf ein einheitliches Gegenstandsverständnis, vergleichbare experimentelle Praktiken und ähnliche theoretische Vorstellungen stützen. Sie sollten also von ihrem Selbstverständnis her »dasselbe« Forschungsgebiet bearbeiten. Und schließlich ist die Nachfrage nach den »Ergebnissen« dieser Forschungen ein Argument für die Existenz einer Forschungslinie, also das Vorhandensein signifikanter Anderer, die diese Forschungen wahrnehmen und an den Ergebnissen, etwa bestimmten Anwendungen, interessiert sind. Im Folgenden sollen die Ergebnisse dieser Arbeit im Hinblick auf diese Kriterien zusammengefasst werden, bevor abschließend auf eine zentrale Rahmenbedingung eingegangen wird, die den Denkstil der jeweiligen Forscher betrifft. Damit ist auch die Frage nach den Grenzziehungen zwischen Natur und Kultur im Rahmen der hier untersuchten Befruchtungsexperimente aufgeworfen. Die Entwicklung eines einheitlichen Gegenstandsverständnisses der in vitro Fertilisation geschah im Rahmen einer heterogenen Kooperation zwischen Forschern verschiedener sozialer Welten. John Hammond und Arthur Walton in Cambridge interessierten sich für die Lebensfähigkeit von Spermatozoen in vitro im Rahmen ihrer agrarwissenschaftlichen Forschungen zur artifiziellen Insemination. Sie gewannen aber auch Eizellen, mit denen Gregory Pincus weitere Versuche für ein aus der Physiologie in Harvard »importiertes« Forschungsinteresse durchführte. Umgekehrt ergaben sich wiederum Anschlüsse für Hammond und Walton, so dass Hammond Jahrzehnte später feststellte, dass die Versuche von Pincus ihr Augenmerk auf die Eizelle lenkten. »Unter der Hand« der Laborwissenschaftler hatte eine erste Verschiebung beim Versuchsobjekt stattgefunden. Pincus »transportierte« seine experimentellen Erfahrungen nach Harvard, wo sich ein Experimentalsystem zur künstlichen Parthenogenese von Säuge3 Serres, S. 18.
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tier-Eizellen entwickelte. Die in vitro befruchteten Eizellen dienten als Kontrollgruppe für chemisch oder thermisch manipulierte Eizellen. Mit der Integration der Hormonforschung ließ sich die Befruchtung als biochemische »Aktivierung« fassen, deren Varianten, darunter die in vitro Befruchtung, der »normalen« Befruchtung im Körper des Kaninchens gegenübergestellt wurden. Die in vitro Fertilisation war damit in die Versuchsbedingungen eingerückt: Gehörte sie vorher zu den technischen Dingen des Experimentalsystems, diente sie nun als epistemisches Objekt. Das war kein »geplantes« Vorgehen, sondern ergab sich aus der hormonellen Stimulierung der Ovulation, mit der Eizellen »en masse« zur Verfügung standen, die einer größeren Zahl von Versuchsbedingungen ausgesetzt werden konnten. Die letzte Verschiebung betrifft den Transfer der Versuche aus dem Physiologischen Labor in die Klinik. John Rock, Gynäkologe mit Forschungsambitionen, interessierte sich für die chirurgische Behandlung weiblicher Unfruchtbarkeit und integrierte die Befruchtungsversuche in seinen Forschungskontext. Dieser Transfer bedeutete eine doppelte Verschiebung: Die Experimente »wanderten« in die Klinik, in der umfassende organisatorische Anpassungen an die Versuche stattfinden mussten, und zugleich löste sich das Interesse von der Kaninchen-Eizelle und richtete sich auf die menschliche Eizelle. Im Rahmen dieser Verschiebungen wurde die in vitro Fertilisation als Forschungsgegenstand »herausprozessiert«. Sie war als eigenes Forschungsproblem nun deutlich erkennbar, was sich auch im Selbstverständnis der betreffenden Forscher bemerkbar machte. Die Segmentierung eines Forschungsgegenstandes oder, wie Gerson das nennt, die Bildung einer »subworld« bzw. »line of work« ist mit bestimmten Aktivitäten verbunden, darunter die Schaffung einer »Tradition«: »These activities include: … writing and rewriting the history (and sometimes the philosophy) of the subworld, bringing the founders and forerunners to their appropriate places in history«.4
Eine solche Aktivität lässt sich für die hier untersuchten Befruchtungsversuche zwischen 1945 und 1948 feststellen. Um eine zusammenfassende Darstellung ihrer Versuche mit John Rock vorzubereiten, begab sich Miriam Menkin in die Bibliothek und recherchierte mögliche Vorläufer ihrer Versuche mit menschlichen Eizellen.5 Sie begann ihre Übersicht mit den Versuchen von Samuel Leopold Schenk und stellte sie in eine Reihe mit den Versuchen von Onanoff, Pincus und anderen.6 4 Gerson, Scientific Work and Social Worlds, S. 361. 5 McLaughlin, S. 87–88. 6 Menkin u. Rock, S. 440–441.
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Zu diesem Zeitpunkt hatten die Versuche zur in vitro Fertilisation also längst ihre Stellung im Experimentalsystem von Gregory Pincus gewechselt und wurden im Free Hospital for Women zum stabilen und über mehrere Jahre verfolgten Forschungsgegenstand. Eine Segmentierung des Problems – auch für menschliche Eizellen – hatte stattgefunden, verbunden mit dem Versuch einer (historischen) Stabilisierung dieser »line of work«. Wie sieht dieser Prozess aus, wenn man die Ebene der experimentellen Praktiken beobachtet? Im Gegensatz zum neunzehnten Jahrhundert, etwa wenn man an die Versuche zur künstlichen Befruchtung von Frauen denkt, hatte sich in Cambridge ein hohes Niveau an experimentellen Techniken zur artifiziellen Insemination entwickelt. Alle Verfahrensbestandteile, die verwendeten Kulturlösungen und Apparate wurden standardisiert und Spermatozoen bezogen auf ihre Befruchtungskapazität normiert und mathematisierten Qualitätskriterien unterworfen. Pincus verstand seinen Aufenthalt in Cambridge als Training in diesen experimentellen Fertigkeiten und integrierte sie in das Experimentalsystem, das sich nach seiner Rückkehr in Harvard etablierte. Dort galt seine Hauptaufmerksamkeit wiederum der »Verfeinerung« experimenteller Praktiken wie des Embryotransfers und der Weiterentwicklung von Kulturmedien. Diese hochentwickelten Techniken gingen nun mit einer Normierung der Eizellen-Entwicklung einher und waren Teil eines Theorie-Methoden-Paketes, das sich abzuzeichnen begann und den Transfer der Versuche in die Klinik erleichterte. Als Theorie-Elemente, die übereinstimmend in beiden Labors, aber verbunden mit unterschiedlichen Anwendungsinteressen, verwendet wurden, fielen besonders die Konzeption der Eizelle als selbstständigem, vom Mutterorganismus unabhängigen Versuchsobjekt und die Abstraktion von Frauen und ihren Organen als »klinischem Material« auf. Damit sind zumindest die Konturen eines »standardized packages« erkennbar. Solche Standardisierungen von Theorie-Elementen, Praktiken und Versuchsobjekten tragen zur Entwicklung einer Forschungslinie bei, denn sie erleichtern die Übernahme von Verfahren und Forschungsgegenständen in anderen Labors. Schließlich wäre die Nachfrage nach den Ergebnissen solcher Forschungen ebenfalls ein starkes Argument für die Existenz einer Forschungslinie, denn sie setzt eine Legitimierung des Forschungsproblems voraus. Eine solche Nachfrage lässt sich für die 1940er Jahre bereits feststellen, wenn man an die zahlreichen Briefe an John Rock denkt, die ihn nach den Veröffentlichungen von 1944 und 1948 von Frauen aus den ganzen USA erreichten. Die verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten der in vitro Fertilisation wurden darüber hinaus in Zeitschriften publiziert, darunter auch die Anwendung beim Menschen als Sterilitätsbehandlung. Die Eugenikdebatten stellten, wenn sie auch nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit den hier untersuchten Experimenten stan261 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35159-9
den, einen allgemeinen Faktor dar, insofern sie zur Legitimierung reproduktionsbiologischer Forschungen beitrugen. Aber es gibt darüber hinaus noch ein weiteres Argument, am Ende des hier untersuchten Zeitraums von einer Forschungslinie der IVF zu sprechen. Häufig werde die Frage diskutiert, so Gerson, wie es möglich sei, dass Forscher verschiedener Labors zu demselben Zeitpunkt auf dieselben Forschungsergebnisse stoßen.7 Diese Frage lässt sich aus der Beobachtung eines Experimentalsystems nur schwer beantworten, wenn man davon ausgeht, dass jedes »seine eigene Zeit« hat. Gerson dreht die Sache um und argumentiert, dass es geradezu wahrscheinlich ist, dass Forscher zu ähnlichen Lösungen kommen, wenn eine gewisse Zahl von ihnen an ähnlichen Problemen mit einer ähnlichen technischen Ausstattung arbeitet. Man kann also argumentieren, dass die zeitgleiche Veröffentlichung ähnlicher Forschungsergebnisse ein starkes Indiz dafür ist, dass sich eine »line of work« gebildet hat und auf dem Weg ist, sich als Forschungslinie zu etablieren. Dafür gibt es in der Geschichte der IVF einen klassischen Fall: 1951 veröffentlichten Min-Chueh Chang und Colin Austin zeitgleich ihre Forschungen zur notwendigen »Vorbehandlung« des Spermas für eine erfolgreiche Durchführung der IVF, ein Prozess, den Austin mit dem Begriff der »Kapazitation« belegte.8 Damit ist klar, dass zu diesem Zeitpunkt in verschiedenen Labors »an der IVF« gearbeitet wurde. Es lassen sich also eine Reihe von Argumenten finden, mit denen man für die Zeit um 1950 die Etablierung einer Forschungslinie zur IVF annehmen kann. Spätestens gilt das für die 1960er Jahre, wenn Charles Thibault die bis dahin durchgeführten Versuche Revue passieren lässt, sie unter methodischen Gesichtspunkten kritisch bewertet und schließt: »In vitro fertilization has now become a routine technique resulting in several thousands of fertilizations which have been used for various experiments.« 9
Hier deutet sich sogar schon die Rück-Verschiebung der IVF in den Bestand des Technischen an, ein Zeichen dafür, dass es sich um ein entwickeltes Verfahren handelte, selbst wenn es noch einige Jahre dauern sollte, bis es erfolgreich beim Menschen angewendet wurde. Die Entwicklung der IVF war also kein zielgerichteter Prozess, dessen erste Versuche das Ergebnis vorwegnahmen. Indem die Experimente durch die verschiedenen sozialen Welten der landwirtschaftlichen Anwendungsforschung, der Physiologie in Harvard und der gynäkologischen Klinik manövriert wurden, verschoben sich die experimentellen Praktiken und Versuchsobjekte, die 7 Gerson, Scientific Work and Social Worlds, S. 372–372. 8 Austin; Chang. 9 Thibault, In Vitro Fertilization, S. 430.
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theoretischen Konzepte sowie die mit den Versuchen verbundenen Anwendungsperspektiven. In dieser heterogenen Kooperation, vermittelt über die »unscharfen Begriffe« der »artificial insemination« oder »fertilization«, entwickelte sich der Forschungsgegenstand der In-vitro-Fertilisation, ohne dass es dazu der Steuerung durch eine handlungsleitende Idee bedurft hätte. Modelle wie das »boundary concept« sind dazu geeignet, solche Vermittlungsprozesse ex post zu rekonstruieren.10 Auch die »künstliche Befruchtung« des neunzehnten Jahrhunderts besitzt auf den ersten Blick die Eigenschaften eines »unscharfen Begriffs«. »Künstliche Befruchtung« hatte in verschiedenen sozialen Welten eine unterschiedliche Bedeutung, war innerhalb der Embryologie, der Botanik und der Gynäkologie jeweils stark, im allgemeinen Gebrauch aber schwach strukturiert. Allerdings zeigt die Fallstudie zum neunzehnten Jahrhundert, dass über diesen Begriff keine Kooperation vermittelt wurde. Die sozialen Welten, in denen er verwendet wurde, blieben bezogen auf die damit verbundenen Forschungspraktiken gegeneinander abgeschlossen. Die soziale Organisation von Wissenschaft im neunzehnten Jahrhundert war, anders als in den 1930er Jahren, eng an die Universität gebunden. Eine wenig ausdifferenzierte Disziplin wie die Embryologie musste sich im Rahmen der Medizinischen Fakultät etablieren. Samuel Leopold Schenk konnte über die Grenzen seiner sozialen Welt hinaus kaum nach Möglichkeiten der Kooperation suchen. Er musste sich vielmehr, um den Preis der Autonomie der Embryologie, von anderen medizinischen Disziplinen abgrenzen. »Boundary Objects« oder »Unscharfe Begriffe« haben eine doppelte Funktion: Sie sichern die Autonomie der Beteiligten und erlauben gleichzeitig den Transfer von Konzepten, Techniken usw.11 Umgekehrt kann das aber auch heißen: ohne stabile, disziplinäre Grenze keine Kooperation. Mit Bezug auf Ilana Löwy und gewissen Einschränkungen für die Gynäkologie lässt sich für das neunzehnte Jahrhundert sagen, dass eine hohe methodische und eine hohe strategische Unsicherheit bei Experimenten mit Säugetiereizellen bestand. Abseits von Schenk entwickelten sich allerdings gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts Forschungsfelder, die für die Entwicklung der IVF wichtig werden sollten. Dazu gehört die Befruchtungsforschung mit der Seeigel-Eizelle, die aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaften eine Öffnung embryologischer Fragestellungen für physiologische Forschungspraktiken erlaubte und damit zu Wandlungen im wissenschaftlichen Denkstil der Embryologie beitrug. Und auch die Versuche zur künstlichen Befruchtung von Frauen in der Gynäkologie waren für die weitere Entwicklung bedeutsam. Sie ließen Frauen zu Ver10 Strübing, Pragmatistische Wissenschafts- und Technikforschung, S. 273–276. 11 Ebd., S. 258.
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suchsobjekten, aber auch zu Nachfragerinnen einer noch unsicheren, methodisch nicht weit entwickelten Technologie werden, in deren Kontext sich eine Parallelisierung von Frauen und Säugetieren durchsetzte, die in den 1930ern radikalisiert werden sollte. Zugleich deuteten sich schon Ende des neunzehnten Jahrhunderts Veränderungen im Denkstil der damaligen Embryologen an, die auf längere Sicht zu Verschiebungen im Gegenstandsverständnis und in der »Wahrheitsfähigkeit« von wissenschaftlichen Aussagen oder Experimenten führten. Die Versuche von Schenk waren vor allem deshalb prekär, weil der Denkstil der Embryologie auf das Erkenntnisideal der naturgetreuen Beobachtung orientiert war. Das schloss praktisch aus, eine Technik zur Manipulation lebender Zellen zu entwickeln. Die extrakorporale Befruchtung stellte für Schenk nichts anderes als ein »Hilfsmittel« zur Untersuchung der Eizellen-Entwicklung dar. Diese Beobachtungstechnik der künstlichen Befruchtung von Säugetier-Eizellen war denselben Verdächtigungen ausgesetzt wie das Mikroskop oder die Herstellung von Serienschnitten, und das umso mehr, als es hier um die Beobachtung von lebenden Zellen ging. Embryologische Forschungen bezogen sich auf die Natur, die von jedem verfälschenden Eingriff frei gehalten werden musste und der sich Wissenschaftler nur im Modus der Beobachtung nähern konnten. Eingriffe in natürliche Abläufe kamen im Horizont der Disziplin nicht vor. Fleck würde sagen, sie waren nicht »denkstilgemäß«. Die erbitterten Kontroversen in den 1890er Jahren über den zulässigen Weg zu embryologischer Erkenntnis, drehten sich genau um die Frage, ob der Eingriff in natürliche Abläufe von lebenden Organismen gerechtfertigt sei, um deren Funktionsweise zu untersuchen. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts hatte sich das Experiment in dem Teil der Embryologie etabliert, der sich als Entwicklungsphysiologie verstand, so dass mit der Transformation der Unterscheidung von natürlich und künstlich in diejenige von in vivo und in vitro die Manipulation lebender Zellen im Horizont der Disziplin verankert war und ein zulässiges Verfahren der Erkenntnisgewinnung repräsentierte. In den 1930er Jahren existierte zwar immer noch eine hohe strategische Unsicherheit, denn zu Beginn der hier untersuchten Befruchtungsversuche war nicht klar – ja nicht einmal von Interesse – wohin sie führten. Zugleich gab es aber bereits in allen hier untersuchten Forschungskontexten der Biologie, der Agrarwissenschaft und der Medizin eine ausgesprochen hohe technische Sicherheit, was die experimentellen Praktiken anging. Die Begriffe der »insemination in vitro« und der »fertilization in vitro« dienten nun als Scharniere, um diese Forschungskontexte miteinander zu verbinden und eine partiell gemeinsame Forschungsarbeit zu erlauben. Die jeweiligen Kontexte blieben stabil und gegeneinander abgeschlossen. Die »unscharfen Begriffe« eröffneten aber Räume für eine Kooperation, in deren Verlauf die beschriebenen Verschiebungen eintraten. Insofern bestätigt sich Löwys These, 264 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35159-9
dass »unscharfe Begriffe« besonders dann wichtig werden, wenn eine hohe strategische mit einer geringen technischen Unsicherheit einhergeht, wenn es also eine geringe Übereinstimmung in den Forschungszielen gibt, aber zugleich die Möglichkeit, den experimentellen und technischen Prozeduren zu folgen. Durch diese heterogene Kooperation von Wissenschaftlern aus verschiedenen sozialen Welten verbanden sich Theorieelemente, Techniken, Wissensansprüche und mögliche Anwendungen in einer Weise, dass man am Ende dieses Prozesses von Versuchen zur IVF sprechen kann. Zugleich verschob sich in den 1930er Jahren die Grenze zwischen Natur und Kultur. Die Unterscheidung von natürlich und künstlich wurde nun, ähnlich wie sich das in der Gynäkologie des neunzehnten Jahrhunderts bereits andeutete, umgedeutet: Die effektive, an ökonomischen Kriterien gemessen sinnvolle Form der Befruchtung bzw. Insemination war nun die künstliche. Mit der Integration der Hormonforschung konzipierten die Forscher um Pincus verschiedene Varianten von experimentellen Manipulationen als »Aktivierungen«, denen die »normale« Entwicklung der Eizelle gegenüberstand. Als ihr Platzhalter fungierte zunächst die in vitro Fertilisierung. Als die hormonell stimulierte Ovulation ein Vielfaches an Eizellen zur Verfügung stellte, ergab sich die Möglichkeit und Notwendigkeit, diese »normale« Entwicklung anhand von Reihenuntersuchungen im Körper befruchteter Eizellen zu standardisieren. Die Technik des Embryotransfers schließlich erlaubte weitere experimentelle Prozeduren, bei denen die Eizelle in vitro manipuliert und dann, zwecks Überprüfung der erfolgreichen Aktivierung, in ein Kaninchen transplantiert wurde. Dieser Erweiterung der experimentellen Möglichkeiten entsprach auf der Ebene des Diskurses eine Verschiebung, die ihrerseits den Rahmen möglicher Praktiken erweiterte. Denn »in vivo« stellte nun eine Kulturbedingung dar. Der Körper des Kaninchens war das Kulturmedium, in dem sich experimentelle Manipulationen überprüfen ließen. Nachdem die Unterscheidung von natürlich und künstlich in derjenigen von in vivo und in vitro aufging, was die »künstliche«, experimentelle Beeinflussung von Lebensvorgängen in den Horizont der Entwicklungsphysiologie integrierte, wurde nun auch die zweite Seite dieser Unterscheidung »ins Labor geholt«. Die Natur als »Gegenüber« einer künstlichen Einflussnahme war damit aus dem Blickfeld geschoben und weitreichende experimentelle Manipulationen in den Denkstil dieser Laborwissenschaftler integriert, die bis zur hybriden Befruchtung menschlicher Eizellen reichen konnten. Wenn Gregory Pincus 1936 formulierte, dass die Entwicklung technischer Möglichkeiten zur Manipulation der lebenden Eizelle erst am Anfang stehe, ist ihm aus heutiger Sicht zuzustimmen. Im Rahmen der experimentellen Manipulation des Befruchtungsvorgangs in den 1930er Jahren wurde aber die Grenze zwischen Natur und Kultur, zwischen natürlicher und künstlicher Befruchtung bereits nachhaltig verschoben. 265 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35159-9
Abkürzungen
An. AWMZ CLM HUG Jber.
Anonym Allgemeine Wiener Medizinische Zeitung Countway Library of Medicine Aktenbezeichnung der Harvard University Archives Jahresbericht über die Leistungen und Fortschritte in der gesammten Medicin LOC Library of Congress Med. Dek. Akte Medizinische Dekanatsakte RFA Rockefeller Foundation Archives VA. Min. f. Cult. u. Unterr. Verwaltungsakte des Ministeriums für Cultus und Unterricht WMP Wiener Medizinische Presse WMW Wiener Medizinische Wochenschrift
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Österreichisches Staatsarchiv Wien VA. Min. f. Cult. u. Unterr. 4 Med. Embryologie. Schenk. Nr. 870 aus 1900 VA. Min. f. Cult. u. Unterr. 4 Med. Embryologie. Schenk. Nr. 3.172 aus 1879 VA. Min. f. Cult. u. Unterr. 4 Med. Embryologie. Schenk. Nr. 5.408 aus 1881 VA. Min. f. Cult. u. Unterr. 4 Med. Embryologie. Schenk. Nr. 16.317 aus 1873 VA. Min. f. Cult. u. Unterr. 4 Med. Embryologie. Schenk. Nr. 18.342 aus 1882 VA. Min. f. Cult. u. Unterr. 4 Med. Embryologie. Schenk. Nr. 24.046 aus 1892
Harvard University Archives Cambridge HUG 4308.5, W. J. Crozier, Correspondence 1923–1955, Folder »Pincus, G.«
Rockefeller Foundation Archives Sleepy Hollow, New York Record Group 1.1, Series 200D, Box 130, Folder 1602 Record Group 2, 1934 Series 200, Box 95, Folder 754 Record Group 2, 1936 Series 200, Box 130, Folder 977
Countway Library of Medicine Boston Papers of Walter B. Cannon, HMSc40, Box 121, Folder 1694 Papers of John Rock, MC 660, Box 38
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Library of Congress Washington Papers of Gregory G. Pincus, Box 1, Folder »Biographical Material« Papers of Gregory G. Pincus, Box 4, Folder »G. Pincus, Personal Correspondence 1938« Papers of Gregroy G. Pincus, Box 4, Folder »1934, William Crozier« Papers of Gregory G. Pincus, Box 135, Folder »Genetics and Social Values, unpublished, ca. 1926–31« Papers of Gregory G. Pincus, Box 147, Folder »Rabbit Egg Culture & Hormone Effects 1933« Papers of Gregory G. Pincus, Box 148, Folder »Experiment Book: Rabbit & Human Eggs 1935–36, G. Pincus & N. T. Werthessen«
2. Mündliche Quellen Gespräch mit Prof. Dr. Franz Wachtler vom Histologisch-Embryologischen Institut der Universität Wien im Sommer 1999
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Personenregister
Adams, Eleanor C. 214, 227 Adler, Otto 115 Allen, Edgar 125, 197f. Allen 216 Ames, Ruth 200 Aristoteles 78 Arnold, William 141 Atwood, Wallace 146 Auerbach, Leopold 76 Austin, Colin 234, 262 Baer, Karl Ernst von 15, 71 Balfour, Francis M. 79 Barral, Georges 104, 111 Beal, G.J. 146 Beethoven, Ludwig van 246 Beigel, Hermann 102, 104–109, 111 Beneden, Eduard van 71, 75, 77, 79, 91 Bernard, Claude 104, 111, 125 Billroth, Theodor 64, 106 Bischoff, Theodor L.W. 54, 67–69, 71–80, 86f., 89–91, 95, 98 Blacker, Carlos P. 241f. Boveri, Theodor 75–77, 99 Brachet, A. 100, 244 Brewer, Herbert 165, 238, 245f. Bronowski, J. 253 Brown, Harold 214 Brown, Louise 16 Brown-Séquard, Charles-Éduard 163 Brücke, Ernst 56, 58–60, 62f., 73, 91, 94 Bütschli, Otto 76, 97f. Burr, H.S. 216 Calberla 68 Caldwell, John H. 245 Cannon, Walter B. 136, 140, 143, 222, 249 Canti, Ronald 180, 234 Carrel, Alexis 244 Castle, William B. 131, 133f., 137, 139f., 169
Chang, Min-Chueh 151, 201, 233f., 262 Chrobak, Rudolf 109 Cohnstein 107f., 110f. Conant, James B. 134, 136–139, 141, 222 Coste, Jean-Jacques-Marie C.V. 71 Crew, Francis A.E. 250, 253 Crick, Francis 253f. Crozier, William J. 19, 49, 131–134, 137– 141, 152, 174, 178–182, 201, 207f., 243f. Daedalus 240 Darwin, Charles 96, 164 Djerassi, Carl 17 Döderlein, Albert 103 Dohrn, Anton 99 Doisy, Edward A. 125, 198 Du Bois-Reymond, Emil 56 Ebner, Victor R. von Rofenstein 62 Edwards, Robert G. 9, 15, 235 Enzmann, Ernst V. 14, 188–190, 194–196, 199, 207, 210, 222, 225, 238, 242f. Evans, Everette I. 234, 243 Exner, Sigmund 94 Fisher, Ronald 242 Flemming, Walter 69, 85 Fol, Hermann 68f., 77, 81, 93 Frankfurter, Felix 208 Galen 77 Galton, Francis 164f. Gegenbaur, Carl 92 Gérard, Jules 104 Girault 104f., 109 Goddard 133 Goldschmidt, Richard 135, 169 Graaf, Reniers de 15 Graubard, Mark 145, 247–249 Green, Jerome 143 Gregg, Alan 143, 145
286 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35159-9
Gruber, Max 62 Grusdew, W.S. 87, 92f. Haeckel, Ernst 69, 92, 95f., 99 Haldane, John B.S. 238–245, 253–256 Halpryn, Peter 88 Hammond, John 132, 150, 153–156, 158, 164, 166–169, 171, 174–181, 183–188, 191, 193, 196, 201, 233, 239, 247, 259 Hanson, Frank B. 134f., 137, 140f., 144f., 150, 222 Hartel 57 Heape, Walter 14f., 126, 153, 156, 163– 165, 174, 185f. Hechter, Oscar 129, 139, 141, 149–151 Hedge, Sue 230 Helmholtz, Hermann von 56 Hensen, Victor 69–72, 80 Herman, Harry A. 155, 158 Hertig, Arthur T. 14, 49, 87, 212f., 215, 217, 219f., 229f., 236 Hertwig, Oscar 67–69, 73, 75–77, 81, 89f., 93–97 Hertwig, Richard 69 Hill 216 Hippocrates 77 His, Wilhelm 69 Hoagland, Hudson 129f., 133f., 137–141, 143–150, 152, 235, 247, 250f. Hollick, Frederick 104, 113 Hudson 166 Hunter, John 92 Huxley, Aldous 14, 139, 240, 242f. Huxley, Julian 242f., 253f. Ihering, Hermann von 77–79, 94 Ivanov, Elie I. 154 Jacobi, Ludwig 92 Johnson, R. Christian
193
Keller, Fred S. 139 Kernowicz, Pierre 129 Kisch, Heinrich 108–110, 112 Klein, M. 253 Kleinenberg, Nicolai 99 Kleinwächter, Ludwig 106 Kölliker, Albert 67, 69, 71f., 77f. Laforest, Dubut de
104
Laqueur, Ernst 198 Lederberg, Joshua 253f. Lenin 246 Levy, Paul 103, 105, 107f., 113 Lillie, Frank R. 131 Lindbergh, Charles 244 Little, Clarence C. 248 Loeb, Jacques 100, 115, 117, 121, 123, 126, 131, 135, 149, 152, 170f., 180, 182, 190, 205, 238 Löwe, Ludwig 78 Ludwig, Carl 56, 63 Mantegazza, Paul 104f. Marshall, Francis H.A. 125f., 153–156, 164, 166, 182f., 185–187, 201 Marx, Jean L. 18 Marx, Karl 246 Massari, Julius von 106f. McCormick, Katherine D. 147–149 Medawar, Peter B. 246 Mendel, Gregor 92 Menkin, Miriam F. 211, 213–221, 225– 233, 236f., 260 Mikulicz, Johann 106 Milovanov 160 Minos 240 Morgan, Thomas H. 133, 140, 143, 244 Müller, Peter 92, 106–108, 110–113 Muller, Hermann J. 137, 165, 222, 238, 240–242, 244–248, 250f., 253–256 Needham, Joseph 143 Newman, Louis 133 Newton, Isaac 246, 251 Onanoff 14, 16, 260 Osborn, Frederick 241f. Osterhout, Winthrop J.V. 133, 135, 140, 143 Parkes, Alan 154, 175, 183f., 186, 193, 196, 198 Pasteur, Louis 246 Pawlik, Karl 106 Pemberton, F.A. 223f. Pincus, Gregory G. 14–17, 19f., 26f., 41, 49, 66, 117f., 126–152, 155, 169–176, 178–196, 198–201, 205–210, 212–214,
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221–228, 233–236, 238–240, 242–244, 247, 249–256, 259–261, 265 Pincus, Joseph 131 Rambaud, Yveling 104 Ratcliffe, J.D. 135f., 237 Reboul, Jean 217 Redfield, Alfred C. 140f., 221f. Reichert, Karl 71, 74 Rock, John 14–17, 49, 211–218, 220, 224– 229, 231, 233, 235–237, 252, 260f. Rohleder, Hermann 103, 119f. Rokitansky, Carl von 63 Roosevelt, Theodore 124, 132 Rossi 112 Rothschild, Nathaniel 134, 192f. Roux, Wilhelm 66, 69, 96–100, 205 Sachs, Bernard 133, 141 Sanders 176 Sanger, Margaret 148f., 252 Saunders, Barbara 137, 222, 224–228 Schenk, Samuel Leopold 14–16, 19, 26f., 48–50, 53–71, 74f., 77, 79–81, 82f., 85– 88, 90f., 94–96, 98, 100–103, 116–118, 127, 152, 257, 260, 263f. Schlesinger, Wilhelm 104f., 108, 112f. Schwarz, Emil 85f. Selenka 68 Semmelweis, Ignaz Phillip 65 Shakespeare 251 Shapiro, Herbert 188, 206 Shenton, Herbert N. 136, 222 Shettles, Landrum 15, 235
Sichel, Lotte L. 214, 227 Sims, James Marion 104f., 107, 109, 112, 114 Skinner, B. Frederic 133, 138f., 141 Smith, G.V. 223f. Snodgrass, James M. 214 Sobotta, Johannes 72, 77, 87 Spallanzani, Lazzaro 92, 112 Spiegelberg, Otto 106 Starling, Ernest H. 125, 197 Steptoe, Patrick 9, 15, 235 Strasburger, Eduard 77f. Stremayr 59f. Streeter, Georges L. 193, 199 Stricker, Salomon 85 Toldt, Carl
62
Ultzmann, Robert 109 Umbaugh, Raymond E. 234, 237 Valentino, Rudolph Verneuil 106
251
Waddington, Conrad H. 143 Waldeyer, Heinrich 67, 69, 77 Walton, Arthur 155–163, 165, 167–169, 171, 174, 176–179, 181f., 188, 191, 196, 201, 233, 259 Weaver, Warren 133–136, 142–144 Wedl, Carl 62 Wells, Spencer 106 Werthessen, Nicholas T. 132, 188, 190f., 193, 200f., 206, 214, 222f., 243
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