Narrative Technik und Leseraktivierung: Tacitus' Annalen XIII–XVI 3515126325, 9783515126328

Bis heute wird unser Bild des römischen Kaisers Nero und unsere Vorstellung von seiner Herrschaftszeit wesentlich von Ta

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German Pages 537 [542] Year 2020

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INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
1. AUTOR UND PUBLIKUM EINER FRÜHKAISERZEITLICHEN HISTORIOGRAPHIE
1.1 KEINE LITERATUR OHNE LESER
1.2 REZEPTIONSANALYTISCHE ANSÄTZE ZU TACITUS’ OEUVRE
1.3 NARRATOLOGIE UND ANTIKE HISTORIOGRAPHIE
1.4 IDENTITÄT UND ERWARTUNGEN DER NARRATIVEN INSTANZ
2. ZEIT, THEMA UND RAUM IN DER ERZÄHLUNG
2.1 STRUKTURELLE RAHMENBEDINGUNGEN
2.2 INSZENIERTE LINEARITÄT
2.3 RHYTHMISCHE DISKONTINUITÄT
2.4 IMPLIZIERTE THEMATISCHE ERZÄHLEINHEITEN
2.5 NARRATIVE VERKNÜPFUNGSTECHNIKEN
2.6 SINGULATIVE AKZENTUIERUNG UND ITERATIVE SIMPLIFIZIERUNG
2.7 RÄUMLICHE DISPOSITION
3. PERSPEKTIVENSTRUKTUR UND NARRATIVE DISTANZ
3.1 DIE RÖMISCH-SENATORISCHE ORIGO DER ERZÄHLUNG
3.2 FOKALISIERUNGSHETEROGENITÄT UND -VARIABILITÄT
3.3 DREI MULTIPERSPEKTIVISCHE DARSTELLUNGSTECHNIKEN
3.4 VERWENDUNGS- UND WIRKUNGSFORMEN VON REDEN
4. TEXTINHÄRENTE STRATEGIEN DER LESERAKTIVIERUNG
4.1 STATISCHES SPANNUNGSPOTENZIAL AUF DARSTELLUNGSEBENE
4.2 FIGURENZENTRIERTE STRATEGIEN DER LESERINVOLVIERUNG
4.3 INTERESSENORIENTIERTE INHALTLICHE SELEKTION
4.4 METHODEN DER HANDLUNGSRETARDATION
4.5 TECHNIKEN DER SPANNUNGSERZEUGUNG DURCH ANTIZIPATION
5. ABSCHLUSSFAZIT
LITERATURVERZEICHNIS
AUSGABEN, ÜBERSETZUNGEN, KOMMENTARE
BIBLIOGRAPHIEN
SEKUNDÄRLITERATUR
INDICES
STELLENREGISTER
PERSONENREGISTER
SACHREGISTER
ANHANG
Anhangstabelle 1: Fund- und Referenzstellenverzeichnis sowie Kategorisierung aller Analepsen
Anhangstabelle 2: Fund- undReferenzstellenverzeichnis sowie Kategorisierung aller Prolepsen
Anhangstabelle 3: Gestaltung der narrativen Frequenz
Anhangstabelle 4: Handlungsschauplätze und -überleitungen
Anhangstabelle 5: Redeberichte
Anhangstabelle 6: Indirekte Reden
Anhangstabelle 7: Direkte Reden
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Narrative Technik und Leseraktivierung: Tacitus' Annalen XIII–XVI
 3515126325, 9783515126328

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Alfred Lindl

Narrative Technik und Leseraktivierung Tacitus’ Annalen XIII–XVI

HER MES Klassische Philologie

Franz Steiner Verlag

Hermes – Einzelschrift 117

herme s Zeitschrift für klassische Philologie Einzelschriften Herausgeber: Prof. Dr. Hans Beck Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Seminar für Alte Geschichte, Institut für Epigraphik, Domplatz 20–22, 48143 Münster (verantwortlich für Alte Geschichte) Prof. Dr. Jan-Wilhelm Beck Universität Regensburg, Institut für Klassische Philologie, Universitätsstr. 31, 93053 Regensburg (verantwortlich für Latinistik) Prof. Dr. Karl-Joachim Hölkeskamp Universität zu Köln, Historisches Institut – Alte Geschichte, Albertus-Magnus-Platz, 50923 Köln (verantwortlich für Alte Geschichte) Prof. Dr. Martin Hose Ludwig-Maximilians-Universität München, Fakultät für Sprachund Literaturwissenschaften, Griechische und Lateinische Philologie, Schellingstr. 3 (VG), 80799 München (verantwortlich für Gräzistik)

band 117

Narrative Technik und Leseraktivierung Tacitus’ Annalen XIII–XVI Alfred Lindl

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein

Umschlagbild: Statue des Hermes / röm. Kopie, Vatikan Quelle: akg-images / Tristan Lafranchis Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2020 Zugleich Dissertation Universität Regensburg, 2017 Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12632-8 (Print) ISBN 978-3-515-12634-2 (E-Book)

CONIUGI CARISSIMAE ET PARENTIBUS OPTIMIS

INHALTSVERZEICHNIS Vorwort ...............................................................................................................13 1. Autor und Publikum einer frühkaiserzeitlichen Historiographie..........15 1.1 Keine Literatur ohne Leser ...........................................................................15 1.2 Rezeptionsanalytische Ansätze zu Tacitus’ Œuvre .......................................17 Disparate Rezeptionsbedingungen .................................................19 Zeitgenössische Resonanz ..............................................................21 Grenzen eines rezeptionsorientierten Zugangs ...............................27 1.3 Narratologie und antike Historiographie ......................................................29 Die hybride Ontologie der Geschichtsschreibung ..........................30 Bestimmungsversuch eines Leserkonzepts ....................................36 Differente leserseitige Gattungswahrnehmung ...............................39 1.4 Identität und Erwartungen der narrativen Instanz ........................................42 1.4.1 Tacitus als Erzähler ..............................................................................42 Autor- vs. narratorbezogene Interpretation.....................................42 Konsistente Identitätskonstruktion eines Autorerzählers ...............46 1.4.2 Auktoriale Rezeptionsvorstellungen und -empfehlungen ....................51 Didaktisches Erkenntnispotenzial...................................................52 Paradoxe Plotattraktivität ...............................................................58 2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung .....................................................65 2.1 Strukturelle Rahmenbedingungen ................................................................65 Grundsätze der Darstellungskomposition.......................................67 Die bewahrten Jahresberichte 56 und 57 n. Chr. ............................71 Fazit ................................................................................................74 2.2 Inszenierte Linearität ....................................................................................76 Innerjährliches temporales Arrangement ........................................76 Tagesangaben und tageszeitliche Abläufe ......................................80 Fazit ................................................................................................82 2.3 Rhythmische Diskontinuität .........................................................................84 Globale Dynamik mit retardierten Momenten................................86 Differenzierte lokale Geschwindigkeitsmodulation .......................96 Fazit ................................................................................................98 2.4 Implizierte thematische Erzähleinheiten ....................................................101 Hervortretende Ereignisüberschriften...........................................101 Schematische Komposition der Erzählabschnitte.........................104 Fazit ..............................................................................................105

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Inhaltsverzeichnis

2.5 Narrative Verknüpfungstechniken ..............................................................107 2.5.1 Gestaltungs- und Funktionsvariabilität analeptischer Elemente ........108 Inhaltlich informierende Analepsen..............................................108 Personenbezogene Analepsen .......................................................109 Digressive Analepsen ................................................................... 112 Analytisch komparative Analepsen .............................................. 116 Deiktische Analepsen ...................................................................121 Analeptische Elemente in den Nerobüchern – ein quantifizierender Überblick ....................................................124 Fazit ..............................................................................................127 2.5.2 Formen- und Anwendungspalette proleptischer Einschübe ...............130 Inhaltlich informierende Prolepsen ..............................................130 Personenbezogene Prolepsen........................................................137 Prodigiale und pseudoprodigiale Prolepsen .................................140 Subjektiv nuancierte Prolepsen ....................................................145 Deiktische Prolepsen ....................................................................147 Proleptische Elemente in den Nerobüchern – ein quantifizierender Überblick ....................................................155 Fazit ..............................................................................................157 2.6 Singulative Akzentuierung und iterative Simplifizierung ..........................160 Eindringliche regelmäßige Wiederholungen ................................161 Komprimierte Geschichtspräsentation .........................................165 Fazit ..............................................................................................169 2.7 Räumliche Disposition ...............................................................................170 Kritik an der globalen Raumgestaltung und deren tiefsinnige Ordnung ......................................................................171 Bedeutungsträchtige und vielfältige lokale Geschehensschauplätze ................................................................178 Fazit ..............................................................................................182 3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz...........................................185 3.1 Die römisch-senatorische Origo der Erzählung..........................................185 Zeitlich-kultureller Horizont.........................................................186 Lokal-patriotisches Kolorit mit Vorbehalten ................................189 Fazit ..............................................................................................191 3.2 Fokalisierungsheterogenität und -variabilität .............................................192 3.2.1 Spezifische Blickwinkel im innenpolitischen Handlungskontext ......194 Als Augenzeuge bei Britannicus’ Vergiftung................................194 Mit Nero in banger Erwartung .....................................................196 Opfer einer zivilen Katastrophe ....................................................199 Suizid im privaten Dampfbad .......................................................201

Inhaltsverzeichnis

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3.2.2 Fokalisierungsinstanzen fremdländischer Provenienz .......................202 Friesische Gesandte zu Gast im Pompeiustheater ........................203 Britannisches Freiheitsverständnis ...............................................204 Vologaeses’ zögerliche Reflexionen .............................................205 Tiridates als Betrachter eines militärischen Zeremoniells ............208 Fazit (zu 3.2.1 und 3.2.2) ..............................................................209 3.3 Drei multiperspektivische Darstellungstechniken ...................................... 211 3.3.1 Polyperspektivische Fokalisierungsstrukturen...................................213 Neros umstrittene Bühnenkunst....................................................213 Höfischer Machtkampf um Einfluss auf den Prinzeps..................214 Ambivalente Deutungen eines Unglücks .....................................215 Brandstiftung in Rom ...................................................................216 Agrippinas eindeutige Todesumstände .........................................219 Heterogene Beurteilungen militärischer Situationen....................219 Im parthischen Kriegsrat ..............................................................221 Caesennius Paetus’ zweifelhafte Erfolge ......................................221 Fazit ..............................................................................................223 3.3.2 Monoauktoriale Inszenierung multiperspektivischen Erzählens .......225 Partikelbasierte Koordination .......................................................225 Produktive Unbestimmtheitsstellen ..............................................229 Fazit ..............................................................................................232 3.3.3 Heterogene Quellenzeugnisse als collagierte Polyperspektivität.......234 Narrative Montage diachroner Gerüchte ......................................234 Diskurspotenzial schriftlicher Quellen .........................................240 Fazit ..............................................................................................246 3.4 Verwendungs- und Wirkungsformen von Reden ........................................248 3.4.1 Ontologischer Status und werkinterne Verteilung der Redepartien ...248 Sprecherbezogene Ambiguität und historische Authentizität .......248 Duales Wirkungspotenzial auf intra- und extradiegetische Adressaten ....................................................................................252 Überblick über die Verteilung unterschiedlicher Redeformen in den Nerobüchern ......................................................................255 3.4.2 Funktionale Schattierungen der indirekten Rede ...............................261 Eindrucksvolle und handlungsevozierende Worte........................261 Halblaute Zeit- und Gesellschaftskritik ........................................267 Intime Einblicke ...........................................................................273 Fazit ..............................................................................................278 3.4.3 Konstellationsgebundene Einsatzformen der direkten Rede .............281 Letzte Worte vor dem Lebensende ...............................................282 Teilnahme am kaiserlichen Gesprächskreis ..................................285 Rhetorische Vielgestaltigkeit vor dem Senat ................................287 Fazit ..............................................................................................298

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Inhaltsverzeichnis

4. Textinhärente Strategien der Leseraktivierung .....................................301 4.1 Statisches Spannungspotenzial auf Darstellungsebene ..............................304 4.1.1 Leserseitige Effekte des sprachlichen und stilistischen Arrangements .....................................................................................304 Lexikalische, grammatische und figurale Spannungsfaktoren .....306 Spezifische narrative Dreigliedrigkeit ..........................................309 Mikrospannungsfacetten syntaktischer breuitas........................... 311 Fazit ..............................................................................................314 4.1.2 Vielsagende Zwischentöne .................................................................315 Humor, Ironie und Sarkasmus als Aspekte einer ausgewogenen Unterhaltungsdistanz............................................315 Pointierte Kommentierung der Geschichte...................................318 Sentenzen als didaktische Ornamente ..........................................320 Fazit ..............................................................................................323 4.1.3 Tiefgründige Parallelisierung des Geschehens ..................................323 Werkinterne Darstellungsanalogien zwischen Tiberius’ und Neros Prinzipat ......................................................................325 Extratextuelle mythologische und historische Analogien ............327 Fazit ..............................................................................................331 4.2 Figurenzentrierte Strategien der Leserinvolvierung ...................................332 4.2.1 Geschichts- und handlungsbasiertes Identifikationspotenzial ...........334 Literarische Vorprägung und Originalität von Persönlichkeiten ..334 Sympathielenkung durch Handlungskontexte ..............................335 Fazit ..............................................................................................337 4.2.2 Charakterbezogene Darstellungstechniken ........................................338 Direkte extradiegetische Kommentierung ....................................338 Indirekte intradiegetische Merkmalsattributionen ........................339 Fazit ..............................................................................................343 4.2.3 Kontrastive Figurenkonzeption und -konstellation ............................344 Intrapersonelle Charakteranlage und -dynamik............................344 Dramatische Antagonismen ..........................................................349 Fazit ..............................................................................................353 4.3 Interessenorientierte inhaltliche Selektion..................................................354 4.3.1 Thematische Attraktivität dies- und jenseits literarischer Kanonisierung ....................................................................................354 Geschichtliche Hintergründe bekannter literarischer Stoffe .........355 Intentionale Selektion und einfallsreiche Genese beeindruckender Handlungsträger ................................................357 Mustergültige Etablierung eines vergessenen Helden ..................358 Fazit ..............................................................................................361 4.3.2 Sterbefälle illustrer Persönlichkeiten als ansprechendes Sujet ..........362 Vielfältige Inszenierung einer aufregenden Mordserie ................364 Spannungsanalytische Merkmale in Todesdarstellungen .............368 Fazit ..............................................................................................375

Inhaltsverzeichnis

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4.3.3 Die handlungsförderliche Wirkung von Gerüchten ...........................377 Narrative Eigenschaften historiographisch atypischer Elemente .377 Folgenreiches Gerede in den Nerobüchern ..................................378 Fazit ..............................................................................................380 4.4 Methoden der Handlungsretardation ..........................................................382 4.4.1 Quellenreferenzen als Symptome eines narrativen Entwicklungsprozesses ......................................................................382 Verzögernd positionierte Quellendiskussionen ............................382 Exkurs: Das methodische Versprechen ‚sub nominibus ipsorum trademus‘ ........................................................................386 Fazit ..............................................................................................389 4.4.2 Enigmatische Inszenierung historischer Wissensdefizite ..................391 Wer zündete Rom an? ...................................................................392 War Seneca ein Verschwörer?.......................................................395 Warum wurde Pedanius Secundus getötet? ..................................397 War es Mord?................................................................................398 Fazit ..............................................................................................400 4.4.3 Gebrochene episoden-, themen- und personenspezifische Linienführung.....................................................................................401 Szenenbezogene Spannungstektonik ............................................401 Gezielte Schnitte in der außen- und innenpolitischen Berichterstattung...........................................................................403 Temporär zurückweichende Handlungsfiguren ............................406 Fazit ..............................................................................................409 4.4.4 Phantasieanregende Erwähnungen irrealer Geschehensverläufe ....... 411 Geschicht(swissenschaft)licher Wert potenzieller Ereignisse ...... 411 Ahistorische Handlungsoptionen während Neros Regime ...........412 Fazit ..............................................................................................415 4.5 Techniken der Spannungserzeugung durch Antizipation ...........................416 4.5.1 Unzuverlässige und inkonsistente Zukunftsvorstellungen .................416 Divergierende Schlachtappelle .....................................................417 Aufforderungen zum aktiven Widerstand .....................................419 Missglückende Bestrebungen .......................................................420 Fazit ..............................................................................................421 4.5.2 Fesselnde Diskrepanz der Informationsstände ...................................423 Antipodische Erkenntnisprozesse .................................................423 Ohnmächtige Betrachterposition ..................................................425 Fortdauernde, oppositäre Informationslagen ................................426 Fazit ..............................................................................................427 4.5.3 Die dramatische Komponente pseudoprodigialer Elemente ..............428 prodigii loco habitum (13,58) – Funktionsübertragung am Jahresende ...............................................................................428 Ein einzigartiger Spannungsbogen zu Agrippinas Ermordung.....435 Die systematische Bedeutung der Buchenden ..............................440 Fazit .............................................................................................445

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Inhaltsverzeichnis

5. Abschlussfazit ...............................................................................................447 Literaturverzeichnis.........................................................................................453 Ausgaben, Übersetzungen, Kommentare .........................................................453 Bibliographien ..................................................................................................454 Sekundärliteratur ..............................................................................................454 Indices .................................................................................................................475 Stellenregister ...................................................................................................475 Personenregister................................................................................................480 Sachregister ......................................................................................................483 Anhang ...............................................................................................................493 Anhangstabelle 1: Fund- und Referenzstellenverzeichnis sowie Kategorisierung aller Analepsen.........................................494 Anhangstabelle 2: Fund- und Referenzstellenverzeichnis sowie Kategorisierung aller Prolepsen..........................................510 Anhangstabelle 3: Gestaltung der narrativen Frequenz ....................................519 Anhangstabelle 4: Handlungsschauplätze und -überleitungen .........................522 Anhangstabelle 5: Redeberichte .......................................................................530 Anhangstabelle 6: Indirekte Reden...................................................................534 Anhangstabelle 7: Direkte Reden .....................................................................537

VORWORT Ne[c] lectorum incuria deperiret, … – diese Sorge um P. Cornelius Tacitus’ Werk führt Flavius Vopiscus als Motiv für Kaiser Tacitus’ (275/276 n. Chr.) Maßnahmen zur Erhaltung und Verbreitung der Historiographie seines mutmaßlichen Ahnen an und verweist damit auf den überlieferungsrelevanten Aspekt der Publikumsresonanz.1 Dass der Literat Tacitus auf diese bereits bei der Abfassung seiner Schriften bewusst Rücksicht nahm und ihm die leserseitige Aufnahme seines Werks ein zentrales Anliegen war, offenbaren seine entsprechenden auktorialen Kommentare und Reflexionen. Inwiefern sich diese Absicht in Tacitus’ erzählerischem Arrangement widerspiegelt, welche narrativen sowie leseraktivierenden Phänomene, Strukturen und Strategien hierzu eingesetzt werden und welches rezipientenseitige Wirkungspotenzial diesen jeweils zukommt, wurde bisher jedoch unzureichend analysiert und beschrieben. Diesem Forschungsdesiderat widmet sich die vorliegende Untersuchung mit einem textuellen Fokus auf Tacitus’ Nerobüchern (Annalen XIII–XVI), die eine leicht überarbeitete und gekürzte Fassung meiner Dissertation darstellt, welche im Frühjahr 2018 von der Fakultät für Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften der Universität Regensburg angenommen wurde. Für die vielfältige Unterstützung, die mir während dieser Qualifikationsphase aus dem Familien-, Freundes- und Kollegenkreis widerfuhr und ohne die ein erfolgreicher Abschluss kaum möglich gewesen wäre, möchte ich mich im Folgenden zumindest mit einigen Worten bedanken. Ganz besonderer Dank gilt Prof. Dr. Jan-Wilhelm Beck (Regensburg), der meine Promotion von Anfang an als verlässlicher Ratgeber sowie mit interessierter Aufgeschlossenheit auch gegenüber neuartigen Ansätzen begleitete und sie durch wohlwollende Kritik sowie weiterführende Denkanstöße ebenso wie durch unzählige wertvolle Anmerkungen und fachkundige Hinweise bereicherte. Mannigfaltige Orientierung in allen Entstehungsphasen der Dissertation bot zudem die thematisch verwandte Habilitationsschrift von Prof. Dr. Dennis Pausch (Dresden),2 dem ich für die Mitbetreuung, die anregenden und erkenntnisreichen Fachgespräche noch zu seiner Regensburger Zeit wie später auch in Dresden und die Übernahme des Zweitgutachtens danke. Da jede wissenschaftliche Arbeit von dem akademischen Umfeld, in dem sie entsteht, maßgeblich befördert wird, danke ich weiterhin allen Kolleginnen und Kollegen für die angenehme, fruchtbare Atmosphäre, ihr fachliches und freundschaftliches Interesse am Voranschreiten meiner Promotion und ihre fortwährende Bereitschaft zu einem regen wissenschaftlichen – auch interdisziplinären – Austausch. 1 2

HA Tac. 10,3 ne[c] lectorum incuria deperiret, librum per annos singulos decies scribi publicitus in †euicos archi‹i›s iussit et in bibliothecis poni. Pausch, D.: Livius und der Leser, Narrative Strukturen in ab urbe condita, München 2011.

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Vorwort

Aus der Vielzahl an Personen, denen ich diesbezüglich zu Dank verpflichtet bin und zu denen auch die FALKO-Projektgruppe gehört, möchte ich stellvertretend StD Harald Kloiber (Regensburg) und Prof. Dr. Stefan Krauss (Regensburg) hervorheben. Mit beiden empfand ich meine intensive Zusammenarbeit stets als äußerst angenehm, lehrreich und konstruktiv. Für ihre vielseitige Unterstützung in all den Jahren, deren differenzierte Darlegung ein weiteres Buch füllen könnte, danke ich meinen Eltern, meiner Schwester Stefanie und vor allem meiner Frau Sophie ganz herzlich. Ihr, die mich unzählige Stunden mit Tacitus teilen musste und mir gerade während langer Schreibtischphasen stets mit geduldigem Verständnis, ermunterndem Zuspruch und bereitwilliger Tatkraft beistand, gebührt meine liebevolle Dankbarkeit. Abschließend danke ich den Herausgebern der Hermes Einzelschriften, Prof. Dr. Hans Beck (Münster), Prof. Dr. Jan-Wilhelm Beck (Regensburg), Prof. Dr. KarlJoachim Hölkeskamp (Köln) und Prof. Dr. Martin Hose (München), für die Begutachtung der Druckfassung und die Aufnahme der Dissertation in diese Reihe ebenso wie der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften für ihre finanzielle Förderung dieser Publikation. Falls diese Veröffentlichung geneigte Leserinnen und Leser anzusprechen und im wissenschaftlichen Diskurs zumindest einige weitere Anmerkungen zu einem besseren Verständnis von Tacitus’ Werk und Kompositionskunst oder – analog zu Vopiscus’ obiger Anekdote – zu dessen literarischem Nachruhm beizutragen vermag, ist dies auch das Verdienst der genannten Personen; für eventuell verbliebene Irrtümer und Unzulänglichkeiten bürgt allein der Autor. Regensburg im Dezember 2019

Alfred Lindl

1. AUTOR UND PUBLIKUM EINER FRÜHKAISERZEITLICHEN HISTORIOGRAPHIE 1.1 KEINE LITERATUR OHNE LESER Der im Titel des vorliegenden Unterkapitels genannte Zusammenhang ist keineswegs so selbstverständlich, wie es auf den ersten Blick erscheint. Dies offenbart Weinrichs provokant gegen die Literaturwissenschaft formulierte These, die sich allzu oft als primäre Zielgruppe literarischer Texte versteht: „Die Literatur könnte auch ohne Literaturwissenschaft existieren. Sie könnte jedoch schwerlich ohne Kennerschaft existieren.“1 Denn der konstituierende, erzeugende Akt für einen literarischen Text bestehe weder im Prozess des Verfassens noch sei er von wissenschaftlichen Kategorien abhängig, sondern werde bei der Lektüre vollzogen. Wenn eine notwendige Kommunikationssituation zwischen einer Aussage- und einer rezipierenden Instanz zustande käme, werde ein literarisches Produkt nach Weinrich und Booth stets von Neuem generiert sowie aktualisiert.2 Dass für die Überlieferung gerade der antiken Literatur neben zufallsbedingten Faktoren die textimmanente Erzeugung und Erhaltung einer beiderseits attraktiven Interaktion von essenzieller Bedeutung war und bis heute ist, wird dabei evident, zumal das potenzielle Publikum, dem der gemeinsame sprachliche und metasprachliche Code als substanzielles Kommunikationsmedium ausreichend vertraut ist, um qualitativ hochwertige Literatur zu rezipieren, heute wie damals überschaubar ist.3 Hinsicht1 2

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Weinrich (1971), S. 7. Vgl. dazu auch Jauss (1975), S. 325. Zitate aus der Sekundärliteratur sind insofern bezüglich der Formatierung an die Regularien der vorliegenden Arbeit angeglichen, als jeder lateinische Primärtext – und zwar nur dieser – in Kursivdruck erscheint. Vgl. Weinrich (1971), S. 26 f., Booth (1961/1974a), S. 94: „Die sich hierbei vollziehende Kommunikation, die für die Existenz der Literatur von fundamentaler Bedeutung ist, ist in der modernen Literaturkritik oft unbeachtet geblieben, beklagt oder abgestritten worden. Wahre Künstler, so hat man uns immer wieder gesagt, lassen ihre Leser außer Betracht. Sie schreiben für sich selbst.“, Schmitz (2002), S. 101: „[…], dann ist der Rezipient der wichtigste Teilnehmer an der literarischen Kommunikation, an dem sich Produzent und Text orientieren. […] man kann es eher mit einer Partitur vergleichen, die sich erst in Musik verwandelt, wenn sie gespielt wird. So ist auch ein Text nur potentiell vorhanden, bis ein Leser ihn in die Hand nimmt und in seiner Lektüre konkretisiert.“, Jauss (1975), S. 338: „Verhalten zum Text ist immer rezeptiv und aktiv zugleich.“, O’Gorman (2000), S. 49, Eco (1979/1990), S. 61 f., van Holt/Groeben (2006), S. 112, Lämmert (1980), S. 245, Wulff (1993), S. 97, und Iser (1980), S. 106 f., sowie (1976/1994), S. 37 f. und S. 50. Vgl. Schmitz (2002), S. 32: „Sender und Empfänger müssen den Code gemeinsam haben, sonst ist Kommunikation unmöglich.“, Weinrich (1971), S. 8 f., Iser (1976/1994), S. 39, Martínez/Scheffel (2007), S. 145, Willand (2014), S. 67, und Eco (1979/1990), S. 64 f. Wohl zu pessimistisch bezüglich der gegenwärtigen Lage der Alten Sprachen ist Woodman (2007), S. 134: „The problem […] is that it is written in Latin, a language which is understood by almost no one in the twenty-first century: […]. The problem is particulary acute for students of the ancient world, of whom there are significant numbers in colleges and universities and who

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1. Autor und Publikum einer frühkaiserzeitlichen Historiographie

lich der Anzahl derjenigen, die des Lateinischen mächtig sind, besteht nämlich zwischen der neuzeitlichen Gesellschaft und der Bevölkerung des Abendlandes zu Beginn des zweiten Jahrhunderts n. Chr. kein so großer Unterschied, wie vorab zu erwarten wäre. In dieser war die lateinische Sprache zwar als Amts- und Verwaltungssprache außerhalb ihres ursprünglichen Sprachraumes Latium bei allen wohlhabenden, regionalen Eliten des römischen Reiches verbreitet, die aufgrund politischer sowie sozialer Ambitionen Ausdrucksweise und Kultur der obersten Herrschaftsschicht erwerben wollten. Aber ihre Resonanz in der Volksmasse dieses multilingualen Nationalitätenstaates dürfte gemeinhin als recht niedrig anzusetzen sein.4 Für einen lateinischen Schriftsteller war es also nur innerhalb dieses relativ kleinen Kreises seiner Zeitgenossen möglich, Anerkennung und Wertschätzung für sein Schaffen als Garantie für dessen Überdauern zu finden, um dadurch zur immortalitas, dem höchsten Ziel so vieler Literaten, zu gelangen. Wie wenige dies erreicht haben, zeigt nichts deutlicher als das enorme Missverhältnis zwischen den lateinischen Autoren, deren Name nur noch ein einziges Mal irgendwo vermerkt, und denjenigen, deren Œuvre heutzutage tatsächlich beinahe vollständig oder zumindest fragmentarisch erhalten ist, wobei bei dieser Kalkulation freilich die dritte Gruppe derjenigen, von denen sich überhaupt kein Zeugnis erhalten hat, gänzlich unberücksichtigt bleiben muss.5 Da jedoch über den Einfluss des Zufalls auf die Überlieferung einzelner Werke einerseits nur spekuliert werden kann, ihr weiteres Schicksal andererseits aber Jahrhunderte lang grundlegend vom Gutdünken so vieler potenzieller Lesergenerationen abhängig war, sollte Weinrichs und Jauss’ Postulat einer Anerkennung der Rezipientenrolle in der Geschichte der Literatur stärkere Beachtung finden.6 Zur subtileren Bestimmung dieses Faktors bieten moderne Literaturtheorien wie Rezeptionsästhetik und -forschung sowie die Narratologie ein wertvolles und hilfreiches Instrumentarium, mit dem die Beziehung zwischen Text und Rezipient und schließlich ein Gesamtbild der Leserwirksamkeit einer literarischen Schrift eruiert werden kann. Unter Berücksichtigung der drei genannten methodischen Zugänge sollen in der vorliegenden Arbeit die leserseitigen Effekte der Erzählung über Neros Prinzi-

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these days constitute the largest single group of potential readers of Tacitus’ Annals.“, sowie S. 136: „But it appears to be the case that significant numbers of professional classicists have a less certain knowledge of Latin than one would expect.“ Vgl. Harris (1989), S. 185: „Practically everywhere the men of property soon learned Latin, and indeed came to participate in the shared culture of the Latin world.“, und Hedrick (2011), S. 170: „Understood as a form of communication, literature has a social function: as commonly held knowledge, it contributes to community formation and coherence.“ Vgl. Demandt (1986), S. 35: „Die Mehrzahl der antiken Schriften ist nur durch einen singulären Archetypus überliefert. Wäre er verlorengegangen, dann hätten wir nichts von Herodot, nichts von Thukydides, nichts von Polybios; wir besäßen keinen Tacitus, keinen Ammian, keine Digesten. […] Von den über tausend namentlich bezeugten griechischen Historikern besitzen wir Werke von einem guten Dutzend, nach einer sehr vorsichtigen und detaillierten Rechnung sind etwa 97,5 % der nachweisbaren Texte verloren. Hinzu kommt eine Dunkelziffer von Autoren und Werken, die wir nicht kennen.“ Vgl. Weinrich (1971), S. 23, und Jauss (1975), S. 325.

1.2 Rezeptionsanalytische Ansätze zu Tacitus’ Œuvre

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pat innerhalb der libri ab excessu diui Augusti des Tacitus fokussiert werden.7 Diese Auswahl der Annalenbücher 13 bis 16 bietet sich als Textgrundlage an, da sich zentrale monographische Untersuchungsansätze der letzten Jahre überwiegend auf die Tiberiusbücher konzentrieren,8 die thematische Abgeschlossenheit sowie der begrenzte Umfang eine einheitliche, holistische Erfassung relevanter Phänomene erlaubt und gerade mit diesem Werkabschnitt zahlreiche bisher unzureichend geklärte Forschungsfragen verbunden sind. Zuerst ist soweit als möglich auf Unterschiede bezüglich des Lektüreverhaltens in Antike und Gegenwart einzugehen, ein etwaiges Zielpublikum für das taciteische Werk zu spezifizieren und die Existenz verlässlicher zeitgenössischer Rezeptionsdokumente zu erwägen. Anschließend bietet die moderne Erzähltextanalyse, sofern sie auf diese antike Schrift anwendbar ist, eine Vielzahl narratologischer Ansätze und Konzepte, um mannigfache basale Textphänomene wie auch komplexe narrative Strukturen zu identifizieren und deren Vorkommen, Verwendungsweise sowie Gattungsspezifität zu analysieren. Diese sind letztlich hinsichtlich ihres Beitrags zur Gestaltung der literarischen Kommunikationssituation sowie insbesondere ihrer Wirkung auf das Empfinden des Rezipienten bei der Lektüre zu interpretieren.9 Dabei werden sich nicht nur vielfältige genrespezifische narrative Schemata ermitteln lassen, die schlaglichtartig Einblicke in die auktoriale Erzählhaltung und Grundprinzipien einer ansprechenden Plotanlage ermöglichen. Vielmehr werden sich auch zentrale Erkenntnisse zur Modernisierung der historiographischen Gattung durch Tacitus sowie eine den Lektüreprozess kontinuierlich fördernde Ausrichtung dieser heterogenen Maßnahmen aufzeigen lassen. 1.2 REZEPTIONSANALYTISCHE ANSÄTZE ZU TACITUS’ ŒUVRE Die Frage, inwiefern das taciteische Werk seine Rezipienten beeinflusst, ob diese dem Handlungsverlauf gespannt folgen, an gewissen Stellen innehalten und die emotionalen Regungen der Protagonisten nachempfinden oder vom Pathos der 7

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Alle zitierten Textausschnitte und Stellenangaben aus den libri ab excessu diui Augusti richten sich – soweit nicht gesondert vermerkt – nach den textkritischen Editionen von Borzsák (1992) für die Bücher 1–6 und Wellesley (1986) für die Bücher 11–16, aus den historiae nach der Textausgabe von Wellesley (1989) und aus den sogenannten opera minora des Tacitus nach der textkritischen Ausgabe von Winterbottom/Ogilvie (1975). Bei Stellenangaben aus den ‚Annalen‘ unterbleibt außer bei Verwechslungsgefahr die Angabe der Werkabkürzung (ann.). Vgl. z. B. Ihrig (2007), Sailor (2008), Hausmann (2009), Heldmann (2011) und Suerbaum (2015). Vgl. Jauss (1975), S. 327 f.: „Die methodische Beantwortung der Frage, worauf ein literarischer Text oder ein Kunstwerk antworte und warum es zu einer bestimmten Zeit gerade so, zu einer späteren Zeit aber wieder anders verstanden wurde, erfordert nicht allein die Rekonstruktion des innerliterarischen, vom Werk implizierten Erwartungshorizontes. Sie benötigt auch eine Analyse der außerliterarischen, durch die Lebenswelt vermittelten Erwartungen, Normen und Rollen, die das ästhetische Interesse verschiedener Leserschichten vororientierten.“, Woodman/Powell (1992), S. 211, und Willand (2014), S. 12 f.

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1. Autor und Publikum einer frühkaiserzeitlichen Historiographie

Narration beseelt an den Lippen des Erzählers hängen, würde sich gewiss am einfachsten beantworten lassen, wenn ein universaler Lesertyp danach befragt werden könnte. Doch zum einen gibt es diesen einen Rezipienten nicht, dessen Reaktionen und Gefühlsregungen mit denjenigen aller anderen potenziellen Leser verlässlich übereinstimmten. Zum anderen ist anzunehmen, dass die Verhaltensweisen mannigfacher Lesertypen sich intersubjektiv in hohem Maße unterscheiden und, wie in der Tat jeder Rezipient sogar bei jedem Lektürevorgang einen Text anders konstruiert,10 ebenso viele differierende Verständnisversionen entstehen. Die Vielgestaltigkeit dieses Dilemmas potenziert sich offensichtlich bei der Auseinandersetzung mit einer Schrift aus der römischen Kaiserzeit, da zusätzlich Aussagen über Leserreaktionen von vor beinahe zwei Jahrtausenden bis heute zu eruieren sind. Weil gerade diese Pluralität möglicher Deutungen den ästhetischen Charakter des Textes unterstreiche und einer Rezeptionsanalyse exzellente Chancen gebe, sieht Jauss dies jedoch nicht als Nachteil an11 und Weinrich erblickt darin einen Ausweg, dass es vielmehr darum gehen müsse, die typischen Leseerfahrungen einer Rezipientengruppe oder eines für diese repräsentativen Lesers zu erfassen.12 Einschränkend weisen Marincola, Jannidis und Willand indes vor allem auf die Gefahr von Rückschlüssen aus dem heutigen Leseverhalten auf dasjenige des historischen Rezipienten hin, das aufgrund heterogener kultureller Gewohnheiten sowie Wissenshorizonte und -strukturen voneinander abweichen, allerdings angesichts der Transhistorizität basaler menschlicher Merkmale durchaus auch ähnlich sein kann.13 Deshalb soll zuerst knapp auf diachron differente Rezeptionsumstände aufmerksam gemacht werden, um diese bei nachfolgenden Analysen gegebenenfalls adäquat berücksichtigen zu können. Daraufhin sollen Zeugnisse zeitgenössischer Literaten bezüglich damaliger Leserreaktionen auf das taciteische Œuvre reflektiert und abschließend die Grenzen eines solchen Zugangs sowie hierzu bestehende Alternativen dargelegt werden.

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Vgl. Weinrich (1971), S. 9: „[…], so daß ein in seiner sprachlichen Substanz unverändertes Werk für verschiedene Leser mit ihren verschiedenen Leseerwartungen verschiedene Bedeutung annehmen kann.“ […] „Jeder Leser (und jede gesellschaftliche Lesergruppe) versteht ein literarisches Werk anders als jeder andere Leser und auch als der Autor, der als der erste Leser eines Werkes aufgefasst werden kann.“, Pedrick/Rabinowitz (1986), S. 107, Jannidis (2004), S. 230 f., Groeben/Christmann (2014), S. 339, und für Leser in der Antike Nisbet (1992), S. 2 sowie S. 5, und Woodman/Powell (1992), S. 210. Vgl. Jauss (1975), S. 334, und dazu auch Iser (1976/1994), S. 53 f. Vgl. Weinrich (1971), S. 28, und dazu Willand (2014), S. 195 f., sowie kritisch Groeben/ Christmann (2014), S. 339. Vgl. Willand (2014), S. 104, S. 187 sowie S. 257, Jannidis (2004), S. 27 f., Marincola (2003), S. 294: „The danger of entering the question of authorial intent is also a factor here, since we cannot be certain that the way in which we read an incident, and the emotional register which affects us, is the same as it was for the ancients.“, Woodman/Powell (1992), S. 207, und Dennerlein (2009), S. 106.

1.2 Rezeptionsanalytische Ansätze zu Tacitus’ Œuvre

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Disparate Rezeptionsbedingungen Unter dem zeitgenössischen Publikum des Tacitus ist freilich nur der niedrige Prozentsatz der Gesamtbevölkerung des römischen Reiches zu verstehen, dem durch seine erworbene Lesefähigkeit und hinreichende finanzielle Absicherung in der Mußezeit eine Beschäftigung mit Literatur vergönnt war.14 Speziell hinsichtlich der Geschichtsschreibung stand dabei wohl weniger ein wissenschaftliches Interesse als ein vorwiegend an literarisch-ästhetischen Gesichtspunkten ausgerichtetes Verlangen nach von didaktischen Elementen geprägter Unterhaltung im Vordergrund.15 Zudem ist entgegen dem selbstständigen stummen Lesen der Neuzeit in der Antike von einer vornehmlich lautlichen Rezeptionsform auszugehen, die nach Busch die „charakteristische Besonderheit der antiken Lesekultur“16 darstelle und die sich entweder aus dem Anhören einer Rezitation, sei es durch den Historiographen selbst, sei es durch einen Vorlesesklaven in privatem oder öffentlichem Rahmen, oder aus dem Mitsprechen während der eigenständigen Lektüre ergab. Folglich überwog gewöhnlich der auditive den ausschließlich visuellen Zugang zu einem Werk und war bei der Abfassung eines Textes vom Autor zu beachten.17 Dies bedeutet jedoch im Umkehrschluss nicht, worauf Knox und Busch eindringlich 14

Vgl. Connors (2000), S. 492 sowie S. 508, Malitz (1990), S. 323 und S. 339, Kenney (1982), S. 10, Sonnabend (2002), S. 13, Galsterer (1999), v. a. S. 37 sowie S. 47 f., Marincola (1997), S. 23, Wiseman (1981), S. 384, Duncan-Jones (1977/1981), S. 399, grundlegend zu Begriff und Grad der Alphabetisierung im römischen Imperium Harris (1989), weiterführend Hanson (1991), Bowman (1991) sowie Hopkins (1991), S. 134 f., der die von Harris (1989), v. a. S. 22, S. 175, S. 266 f. sowie S. 329 f., eher skeptisch angesetzte, starken lokalen Schwankungen unterliegende Alphabetisierungsrate von durchschnittlich 10 % für zu niedrig hält. Horster (2011), S. 87–89, Hedrick (2011), S. 169, Pausch (2011), S. 41, schätzen den Alphabetisierungsgrad auf maximal 20 %, und Sánchez Vendramini (2010), S. 410–419, sowie Busch (2002), S. 23, S. 25 sowie S. 27, heben hervor, dass dieser regional sogar noch höher zu veranschlagen sei, da auch in niedrigeren Gesellschaftsschichten mit Lesekenntnissen zu rechnen sei, diese aber oft nicht über ein schwerfälliges Entziffern der Texte hinausgingen. 15 Vgl. Malitz (1990), S. 325, Hose (1994), S. 23 f., Näf (2010), S. 112, und Pausch (2011), S. 39 f. Dies erklärt möglicherweise die Beliebtheit historiographischer Schriften auch in niedrigen Gesellschaftsschichten, die Cicero belegt, fin. 5,52 quid, quod homines infima fortuna, nulla spe rerum gerendarum, opifices denique delectantur historia? maximeque eos uidere possumus res gestas audire et legere uelle qui a spe gerendi absunt confecti senectute. Vgl. dazu einschränkend Marincola (1997), S. 28, der zu Recht davon ausgeht, dass diese Bevölkerungsschicht die literarischen Werke hauptsächlich mittels für jedermann zugänglicher Rezitationen kennenlernte und zu Ciceros Zeugnis des Weiteren Pausch (2011), S. 43, Wiseman (1981), S. 384, und Malitz (1990), S. 339 f., zu Lese- und Schreibkenntnissen unter antiken Handwerkern im Militärdienst Harris (1989), S. 13, S. 213, S. 217 sowie S. 253–255, Sánchez Vendramini (2010), S. 415–418, und zum literarischen bzw. gesellschaftlichen Wert römischer Erinnerungsmedien Cohn (1995), S. 106 f., sowie Hölkeskamp (1996). 16 Busch (2002), S. 7. 17 Vgl. zur akustischen und visuellen Wahrnehmung Plin. epist. 4,16,3 sunt qui audiant, sunt qui legant, nos modo dignum aliquid auribus dignum chartis elaboremus. bzw. konkret zur Vorlesesituation von Geschichtswerken Plin. epist. 1,13,3, 7,17,2 f., 9,27 sowie Suet. Claud. 41,1 und Schmidt (1993), S. 179–181, Hose (1994), S. 21 f., sowie Pausch (2011), S. 40 f. Vgl. zudem Busch (2002), Marincola (2009), S. 13 f., Momigliano (1978/1998), S. 5, Lefèvre (1990), S. 9 sowie S. 13 f., Harris (1989), S. 226 sowie S. 249 f., Fantham (1998), S. 7, Gärt-

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1. Autor und Publikum einer frühkaiserzeitlichen Historiographie

hinweisen, dass eine lautlose, lediglich visuelle Rezeption durch selbstständiges stummes Lesen für einen damaligen Menschen unmöglich war. Stattdessen wurden beide Formen situationsadäquat nebeneinander angewandt und unter dieser Prämisse sollte ein antikes Schriftstück demnach auch beurteilt werden.18 Daran schließt einerseits an, dass der Begriff ‚Leser‘ entgegen unserer heutigen Vorstellungswelt meist als Synonym für ‚Zuhörer‘ zu verstehen und eine Anregung des visuellen wie auch auditiven Sinneskanals des Rezipienten anzunehmen, andererseits dieses Erlebnisdefizit des neuzeitlichen Lesers aber wohl kaum kompensierbar ist. Dieses ergibt sich zwangsläufig daraus, dass ihm nicht nur der auditive Zugang zur Literatur nicht vertraut ist und somit seine Empfindsamkeit für unterschiedliche Klangfarben und stilistisches Raffinement nicht annähernd das Niveau damaliger Rezipienten erreichen kann. Vielmehr entbehrt er der „grundsätzlich viel höhere(n) Bereitschaft des antiken Publikums, sich durch Werke der Literatur in Emotionen versetzen zu lassen; Leser der Neuzeit pflegen still vor sich hin zu lesen und solche Empfindungen ganz nach innen zu wenden“,19 wie Malitz diesen Gegensatz treffend erfasst. Zuverlässige Aussagen über die Textwirkung müssen sich also notwendigerweise auf die heute wie damals mögliche und vollzogene visuelle Rezeptionsform beschränken, während die Hörerreaktionen lediglich ungefähr zu beschreiben sind. Deren theoretische, textbasierende Erfassung erscheint nach Meyer-Kalkus zumindest ansatzweise realisierbar, da das Schreiben von sich aus den Maßstab der Vorlesbarkeit antizipiere, da Phänomene literarischen Schreibens wie Klangstruktur und Rhythmus, Atemlänge von Sätzen und Halbsätzen, Übersichtlichkeit oder besser ‚Durchhörbarkeit‘ der Satzgefüge und deren potenziell auditive Auffaßbarkeit durch den Zuhörer wesentliche Kriterien beim Verfassen von Texten seien.20 Zuletzt ist die überwiegend kontinuierliche Lektüreweise eines damaligen Rezipienten anzumerken, die dem heutigen Trend eines möglichst schnellen, punktgenauen und selektiven Zugriffs zuwiderläuft, sodass in der antiken Literatur eine längerfristige Anlage und sukzessive Entfaltung narrativer Konzepte bei der Planung und Strukturierung des Plots einsetzbar ist.21

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ner (1990), S. 99, Erren (1990), S. 117 f., Heldmann (2011), S. 27, Galsterer (1999), S. 47, Pitcher (2009), S. 2, Leidl (2010), S. 250, und Christes (1990), S. 131 f. sowie S. 141 f. Vgl. Knox (1968), Hose (1994), S. 22, und Busch (2002), S. 5 sowie S. 34 f. Malitz (1990), S. 338. Vgl. Gärtner (1990), S. 99, Johnson (2009), S. 328, Christes (1990), S. 142, und Ihrig (2007), S. 1 Anm. 1, wobei jedoch die von diesem getroffene Zuordnung der kleineren Schriften und der ‚Historien‘ an einen Zuhörer-, der ‚Annalen‘ aber an einen Leserkreis in dieser Eindeutigkeit a priori nicht nachvollziehbar ist; vgl. dazu aber Schmidt (1993), S. 191 sowie S. 193, und zwischen beiden Extrempositionen vermittelnd Hartke (1959), S. 191. Vgl. Meyer-Kalkus (2006), S. 353 sowie S. 364, Näf (2010), S. 115: „Ein Geschichtswerk bestand aus einem sprachlich gut geformten Text, der so geformt war, dass er bei einer Lesung optimal wirkte. Mündlichkeit und Schriftlichkeit fielen ineins.“, und Kenney (1982), S. 17: „It should however be remembered that the best Latin writers impose the required punctuation on the reader’s mind and ear by their phrasing, and it must always have been tacitly accepted that the onus was on the author to do this, whatever aids might or might not be provided in the written text.“ Vgl. Bretschneider (1905), S. 4, und Pausch (2011), S. 2.

1.2 Rezeptionsanalytische Ansätze zu Tacitus’ Œuvre

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Zeitgenössische Resonanz Abgesehen von denjenigen Schriften, die überdurchschnittlich häufig rezipiert wurden, weil sie bereits damals als Schulautoren galten oder von Grammatikern herangezogen wurden,22 ist es bei antiken Werken aufgrund der Überlieferungslage äußerst schwierig, überhaupt Zeugnisse von vermeintlichen Publikumsreaktionen zu identifizieren. Dadurch steht die Untersuchung einer zeitgenössischen Nachwirkung im Vergleich zu jüngeren Epochen vor veränderten Herausforderungen und sind einer historischen Rezeptionsanalyse enge Grenzen gesetzt.23 Diese sollte nach Willand bestenfalls sämtliche greifbare Sekundärtexte aus dem Publikationszeitraum eines zu historisierenden literarischen Primärtextes erfassen und sich an dem realen Leser orientieren.24 Dies besitze den Vorteil, die epistemische Verantwortung entsprechender Zuschreibungen, die andernfalls der interpretativ arbeitende Literaturwissenschaftler zu tragen hätte, den Zeitgenossen anzuvertrauen.25 Als Sekundärtexte zum taciteischen Werk sind vor allem die Schriften Suetons, Juvenals und Plinius’ des Jüngeren in Betracht zu ziehen. Zwar ist anzunehmen, dass Sueton wenigstens die ‚Historien‘ kannte, doch sind keine eindeutigen Indizien für dessen Benutzung oder Abhängigkeit von Tacitus’ Schriften, die nicht ebenso aus einer jeweils ähnlichen Quellenbasis resultieren könnten, nachweisbar. Demgemäß ist das gegenseitige Verhältnis zwischen dem Bio- und dem Historiographen in der Forschung insgesamt unzureichend geklärt und Suetons Œuvre scheidet dadurch als verwertbares Rezeptionszeugnis aus.26 Der Satiriker bezieht sich ebenfalls nicht konkret auf Tacitus’ Werk oder macht evidente Angaben speziell zu dessen Effekt, allerdings attestiert er dem Literaturpublikum zu Beginn des zweiten Jahrhunderts n. Chr. im Allgemeinen ein lediglich geringes Interesse an historiographischen Darstellungen und hebt demzufolge die wirtschaftliche Unrentabilität dieser Tätigkeit hervor.27 22 23

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Vgl. zur Rolle der Geschichtsschreibung im antiken Unterricht Hose (1994), S. 5–18, v. a. S. 6: „In der Tat, es ist bislang m. W. kein Historiker-Fragment aufgetaucht, das sicher mit einem Schulunterricht in Verbindung gebracht werden könnte.“ Vgl. Schmitz (2002), S. 101 f., Paoli (2001), S. 197, Mehl (2001), S. 33, und Willand (2014), S. 26: „Für einige ausgesprochen wichtige (vor allem hermeneutische) Fragestellungen hingegen – so muss konzediert werden – kann aufgrund der großen zeitlichen Distanz zu dem Gegenstand recht sicher ausgeschlossen werden, dass sich eine brauchbare Menge an Rezeptionszeugnissen finden lässt, deren Analyse einen produktiven Beitrag für die Forschung liefern könnte.“ Vgl. Willand (2014), S. 17, S. 44, S. 64 f. sowie S. 262. Vgl. Willand (2014), S. 259. Vgl. Syme (1967), S. 502 sowie S. 781 f., Sage (1990), S. 962 f. sowie S. 998 f., Borzsák (1968), Sp. 479, und Schmal (2011), S. 168. Iuv. 7,98–104 uester porro labor fecundior, historiarum/scriptores? perit hic plus temporis atque olei plus./… quis dabit historico quantum daret acta legenti? Vgl. Fantham (1998), S. 185, Keane (2012), v. a. S. 403–412, Syme (1967), S. 500, S. 776–778 sowie S. 782, sowie (1979), S. 259, S. 260–262, S. 265, S. 271 sowie S. 274, Tenney (1935), S. 342, Ammerbauer (1939), S. 147 sowie S. 167, v. Albrecht (1997), S. 809, Sailor (2008), S. 255, und Woodman (2009), S. 36, die teilweise in der zweiten Satire eine Anspielung auf die ‚Historien‘ erken-

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Die Briefsammlung des kommunikationsfreudigen Plinius des Jüngeren scheint hingegen verschiedenartige Hinweise auf Tacitus’ öffentliche Resonanz zu bergen, die an sich eine Geltung als vertraulicher Epitext beanspruchen können.28 Diese Angaben beschränken sich jedoch, ohne dass dies mit Blick auf die Publikationschronologie hinreichend zu erklären ist,29 an den meisten Stellen auf Tacitus’ politische Karriere sowie guten Ruf als gefeierter Redner und renommierter Anwalt.30 Hierzu ist, wie Sherwin-White treffend bemerkt,31 auch Plinius’ selbstverliebter Bericht über Tacitus’ schmeichelhaftes Erlebnis bei den letzten Zirkusspielen zu zählen. Der Epistolograph erreicht durch geschickte Kontextualisierung und semantische Doppeldeutigkeit, dass in dieser amüsanten Anekdote die weitverbreitete Bekanntheit ihrer studia und ihre enge Verbundenheit suggestiv in der literarischen Tätigkeit begründet werden.32 Ferner ist in der Einleitung zu Brief 7,33 die aufrichtige Wertschätzung von Tacitus’ Historiographie und die Ankündigung von

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nen, Iuv. 2,102 f. res memoranda nouis annalibus atque recenti/historia, speculum ciuilis sarcina belli. Elf Briefe richten sich direkt an Tacitus (1,6, 1,20, 4,13, 6,9, 6,16, 6,20, 7,20, 7,33, 8,7, 9,10, 9,14) und dieser wird in weiteren vier Episteln (2,1,6, 2,11,2, 2,11,17, 2,11,19, 4,15,1, 9,23,2 f.) namentlich erwähnt. Vgl. Syme (1957b), S. 131, (1967), S. 112, Schanz/Hosius (1935), S. 605, die allerdings zwei Episteln übersehen, Whitton (2012), S. 345, Suerbaum (2015), S. 14, Fögen (2015), S. 39, Griffin (1999), S. 141, und Schwerdtner (2015), S. 97 Anm. 106, die eine Briefangabe vermissen lässt. Auch wenn die ‚Annalen‘ erst nach Plinius’ Tod verfasst wurden, waren ‚Historien‘ und opera minora schon vor dessen Ableben editiert; vgl. zur jeweiligen Datierung Laube (1955), Goodyear (1970), S. 20, Oliver (1977), v. a. S. 294–298, Syme (1962), S. 252, (1967), S. 465–480, S. 670–673 sowie S. 768–770, (1979), S. 274–277, Röver/Till (1962), S. 13, Koestermann (1963), S. 15–21, Schanz/Hosius (1935), S. 627, Potter (1991), v. a. S. 287–290, Schmal (2011), S. 19–21, Woodman (2009), S. 31, Borzsák (1968), Sp. 389–391 sowie Sp. 397 f., Martin (1981), S. 30 f., Shotter (1989), S. 2 f., Schneider (2015), S. 138 f., Sage (1990), S. 954–965, Rüpke (1997), S. 152, Rutledge (1998), S. 141–143, Geisthardt (2015), S. 288 f., und Flaig (2001), Sp. 1210. Kritisch gegenüber der üblichen Datierung der opera minora ist Beck (1998), S. 72–74, mit einem eigenen Datierungsvorschlag S. 99–101, der von Woodman (2012c), S. 259 Anm. 5, Geisthardt (2015), S. 43, und Suerbaum (2015), S. 550 f. Anm. 375, kontrovers diskutiert wird, und zur Datierung der ‚Historien‘ Beck (2013a), S. 20. Plin. epist. 4,13,10 … rogo, ut ex copia studiosorum, quae ad te ex admiratione ingenii tui conuenit, circumspicias praeceptores, …; vgl. ferner zu Tacitus’ rhetorischer Tätigkeit zahlreiche in Anm. 28 aufgeführte Briefe und Koestermann (1963), S. 10, Fantham (1998), S. 188, und Fabia (1895), S. 6 f. Vgl. Sherwin-White (1966), S. 506: „As commonly in Pliny studia means forensic oratory.“, und demgegenüber Geisthardt (2015), S. 349, sowie Schwerdtner (2015), S. 96, welche studia vorschnell auf literarische Schriften beider Senatoren beziehen, obwohl Plinius Tacitus „an dieser Stelle vorrangig als Redner gegenübertritt“, wie auch Schwerdtner (2015), S. 97, konzedieren muss. Plin. epist. 9,23,2 f. numquam tamen maiorem cepi uoluptatem, quam nuper ex sermone Corneli Taciti. narrabat sedisse secum circensibus proximis equitem Romanum. hunc post uarios eruditosque sermones requisisse: ‚Italicus es an prouincialis?‘ se respondisse: ‚nosti me, et quidem ex studiis.‘ ad hoc illum: ‚Tacitus es an Plinius?‘ exprimere non possum, quam sit iucundum mihi quod nomina nostra quasi litterarum propria, non hominum, litteris redduntur, quod uterque nostrum his etiam ex studiis notus, quibus aliter ignotus est. Vgl. SherwinWhite (1966), S. 506, Suerbaum (2015), S. 18, und Schmal (2011), S. 168 mit Anm. 3.

1.2 Rezeptionsanalytische Ansätze zu Tacitus’ Œuvre

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deren Erfolg, die sich auf erste fertiggestellte und publizierte Bücher der ‚Historien‘ stützen könnte,33 für Plinius eher ein zweitrangiger Aspekt. Im Vordergrund stehen für diesen vor allem eigennützige Motive, die ihn zu seiner Anspielung auf das derzeit bekleidete Augurenamt und zweckdienlichen Captatio benevolentiae veranlassen. Im unmittelbaren Anschluss empfiehlt der Senator aus Comum nämlich den Prozess gegen Baebius Massa und vor allem seine persönliche Beteiligung daran dem Geschichtsschreiber unverhohlen als überlieferungswürdigen Stoff.34 Dabei orientiert er sich umissverständlich an Ciceros bekannter Epistel an Lucceius35 und nutzt den inhaltlichen Briefaufhänger sowie die intertextuelle Bezugnahme gekonnt, um seine Rolle selbst in historiographischer Form zu tradieren.36 Eine vornehmlich egoistische Intention nehmen einige Interpreten auch bezüglich der sogenannten Vesuvbriefe an (epist. 6,16 bzw. 6,20) und deuten diese als kritische Reaktionen auf eine in den ‚Historien‘ eventuell zu knapp ausgefallene, nicht zufriedenstellende Berichterstattung über die letzten Stunden von Plinius’ Onkel und dessen eigenem Verhalten beim Vesuvausbruch.37 Doch unabhängig 33

Plin. epist. 7,33,1 f. auguror nec me fallit augurium, historias tuas immortales futuras; quo magis illis (ingenue fatebor) inseri cupio; vgl. zum selbstverständlichen Bezug auf die ‚Historien‘ Sherwin-White (1966), S. 444, Wellesley (1989), S. 183, Borzsák (1968), Sp. 391 sowie Sp. 444, Rutledge (1998), S. 142, Schmidt (1993), S. 181, Griffin (1999), S. 140, Kraus/Woodman (1997), S. 88, Woodman (1988), S. 179, und demgegenüber auf die opera minora Ash (2006), S. 77. Gemäß diesem Zeugnis Plinius’ bezeichnet jedoch erstmalig Vertranius Maurus (1569) Tacitus’ erstes großes, ohne Titel überliefertes Geschichtswerk in der Neuzeit als historiae; vgl. Röver/Till (1962), S. 12, Poghirc (1964), S. 149, Suerbaum (2015), S. 14 sowie S. 434–436, Kraus/Woodman (1997), S. 92, und Schmal (2011), S. 50, der diesen Titel für authentisch hält. 34 Vgl. Vielberg (1987), S. 18, bzw. (1990), S. 177: „Er hat auch nichts Eiligeres zu tun, als sich von dem warmen Regen der Unsterblichkeit eine gehörige Portion zu sichern. Dazu nötigt er Tacitus, eine Anekdote aus seinem Advokatendasein in den Historien zu verewigen.“ Plinius’ Huldigung stellt damit keineswegs ein Erfolgszeugnis für Tacitus’ Schrift dar, wie SherwinWhite (1966), S. 444, Fantham (1998), S. 198, Koestermann (1963), S. 19 sowie S. 48, Woodcock (1939), S. 10, Nickbakht (2005), S. 13, Benario (2012), S. 103, Geisthardt (2015), S. 349, und Schwerdtner (2015), S. 104 Anm. 131, annehmen. Skeptisch sind zu Recht bereits Fabia (1895), S. 2 f., und Haverfield (1916), S. 198. 35 Vgl. Syme (1967), S. 119, Griffin (1999), S. 140, Beck (2014), S. 96–99, und Suerbaum (2015), S. 40. 36 Vgl. Beck (2013b), S. 297, sowie (2014), S. 112–114, besonders deutlich S. 114: „Der an Tacitus gerichtete briefliche Rahmen ist lediglich ein geschickt gewählter Aufhänger, um seine Geschichte zum geschichtswürdigen Beitrag hochzustilisieren und als solchen selbst erzählen zu können.“, und S. 119–121. Vgl. ähnlich Schwerdtner (2015), S. 117 (inkl. Anm. 172): „Auch wenn Plinius in epist. 1,1,1 erklärt: neque enim historiam componebam, […], kann ein Teil der Briefe als Plinius’ Variante verstanden werden, Historiographie zu betreiben.“ bzw. „[…], so findet mithin auch Plinius eine geschickte Möglichkeit, Historiographisches in seine Briefsammlung einfließen zu lassen, ohne eine eigentliche historia zu verfassen.“, und demgegenüber Pausch (2004), S. 52, sowie Schmal (2011), S. 114. 37 Vgl. Beck (2013a), S. 3, S. 9 f., S. 22 f. sowie insbesondere S. 12: „Seine (sc. Tacitus) Frage an Plinius ist präzise und beschränkt; sie betrifft allein den Onkel. Plinius antwortet darauf und sendet den Bericht vom Ausbruch mit, ungefragt erweitert, ausgestaltet zu einem Stück eigener, für sich stehender Historiographie mit der dazu gehörigen Topik.“, und (2014), S. 118 mit der berechtigten Vermutung, Plinius sei durch die Vesuvbriefe auf die Idee gekommen, „den Histo-

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davon, ob der Comer Senator damit wirklich eine Konkurrenzdarstellung anstrebte oder seine vordergründige Stilisierung als Tacitus’ Informationslieferant vollauf aufrichtig ist,38 beinhalten diese Briefe ebenfalls kein belastbares Indiz für dessen literarisches Renommee bei den Zeitgenossen. Außerdem wird in Epistel 9,27 von einem Eklat bei der Rezitation einer Historiographie berichtet, deren erbetener und erzielter Abbruch eine Grundproblematik der Zeitgeschichtsschreibung vor Augen führt, nämlich dass offene Kritik an Personen, die selbst oder deren Angehörige noch am Leben sind, kaum möglich ist.39 Obwohl Plinius den Namen des betreffenden Werks beziehungsweise Schriftstellers nicht nennt, erinnern die situativen Umstände und das Verhalten aller Beteiligten ebenso wie sprachlich-stilistische Gestaltungsaspekte und die kontextuelle Position in der Briefsammlung40 sowie nicht zuletzt das thematische Motiv selbst41 und die weiterführenden Gedanken am Ende der Epistel42 assoziativ an Tacitus. Eine entsprechende Identifikation wird in der riker auch ohne explizite Frage von sich aus mit Material zu versorgen bzw. dies zumindest für den Rahmen eines Briefes vorzugeben“, und habe dies weiterentwickelt und institutionalisiert. Vgl. ferner Ash (2006), S. 63, Schwerdtner (2015), S. 117 mit Anm. 172, und Suerbaum (2015), S. 21 Anm. 10. 38 Plin. epist. 6,16,1 f. petis ut tibi auunculi mei exitum scribam, quo uerius tradere possis. bzw. 6,20,1 ais te adductum litteris quas exigenti tibi de morte auunculi mei scripsi, cupere cognoscere, quos ego Miseni relictus (id enim ingressus abruperam) non solum metus uerum etiam casus pertulerim. 39 Plin. epist. 9,27,1 f. recitauerat quidam uerissimum librum, partemque eius in alium diem reseruauerat. ecce amici cuiusdam orantes obsecrantesque, ne reliqua recitaret. Vgl. dazu Tac. ann. 4,33,4 mit Abschn. 1.4.2 und Momigliano (1978/1998), S. 12, Beck (1998), S. 118, sowie Heldmann (2011), S. 74: „Es liegt auf der Hand, dass eine namentliche Nennung der Akteure eine nicht zu überschätzende Wirkung auf die Leser, denen diese Namen bekannt und vertraut waren, ausüben musste, wobei es nur einen graduellen Unterschied ausmacht, ob die Betroffenen selbst noch lebten oder ob sich ihre nächsten Angehörigen dadurch bloßgestellt sahen. Darin findet die Macht des Historikers über die memoria ihren konkreten Ausdruck.“ 40 Zu erwägen ist insbesondere die Nähe zu Plin. epist. 9,23 über Tacitus’ Prominenz sowie zu 9,19 mit dem anekdotenhaften Dialog zwischen Verginius Rufus und Cluvius Rufus, Tacitus’ Quellenautor, der geradezu auf einen aktuellen Vorfall zu rekurrieren scheint. 41 Vgl. Whitton (2012), S. 350–352, der treffend bemerkt, dass auch in Tacitus’ Werken Konsulatskollegen, Bekannte oder Angehörige von Freunden mit Tadel bedacht werden. Zwar sei Plinius d. J. nicht mehr am Leben gewesen, als Tacitus in den Nerobüchern (13,31,1, 15,53,3 sowie Anm. 24 [Kap. 2]) die Polemik gegen Plinius’ Onkel, dessen literarisches Schaffen dieser in Epistel 3,5 gelobt hatte, und die unrühmliche Rolle des Großvaters von Plinius’ dritter Gemahlin, Calpurnius Fabatus (16,8,3), dem zweithäufigsten Adressaten in der Briefsammlung, im Kontext der Verurteilung des L. Silanus verfasste. Aber die in den ‚Historien‘ geäußerte Kritik an Plinius’ Förderer, Verginius Rufus, von dem durchaus noch einige Verwandte leben und bei einem Vortrag intervenieren konnten, könne dem Epistolographen bekannt gewesen sein (v. a. hist. 1,8,2, 1,52,4, 2,68,4, Plin. epist. 2,1, 6,10, 9,19). Bezüglich Verginius Rufus erscheint dies insbesondere prekär, weil Tacitus im Jahre 97 n. Chr. als Konsul dessen öffentliche laudatio funebris gehalten hatte; vgl. Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 438, SherwinWhite (1966), S. 502 f., Koestermann (1968), S. 349, und Syme (1967), S. 120, S. 177 Anm. 6 sowie S. 301 f. 42 Plin. epist. 9,27,2 incitantur enim homines ad noscenda quae differuntur und vgl. bezüglich der Schriften des Cremutius Cordus Tac. ann. 4,35,4 libros per aediles cremandos censuere patres, et manserunt occultati et editi bzw. des Fabricius Veiento 14,50,2 … et libros exuri iussit, con-

1.2 Rezeptionsanalytische Ansätze zu Tacitus’ Œuvre

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Forschung folglich zwar schon lange erwogen,43 bleibt letztlich jedoch ungesichert und ausschließlich spekulativ. In Plinius’ Briefen sucht man somit vergeblich nach handfesten Belegen für Tacitus’ literarischen Erfolg, vom Publikum besonders positiv aufgenommene Passagen oder begeisterte Reaktionen bei stark besuchten Rezitationen, die zumindest dessen frühem Schaffen eine bemerkenswerte Wirksamkeit empirisch beimessen könnten.44 Zu sehr ist der Autor aus Comum aufgrund seiner pathologischen Fixierung auf die eigene Person damit beschäftigt, sich selbst ins rechte Licht zu rücken, als dass ihm auch nur ansatzweise eine lautere Beurteilung der Historiographie seines Freundes ein Anliegen wäre.45 Dennoch gewähren dessen Episteln nebenbei wertvolle Einblicke in das ausgeprägte literarische Netzwerk zwischen Angehörigen der römischen Oberschicht, in welchem Lesungen von Manuskripten ebenso wie ein reger gegenseitiger Austausch von Schriften stattfanden.46 Innerhalb dieser quisitos lectitatosque, donec cum periculo parabantur: mox licentia habendi obliuionem attulit. Vgl. dazu Zimmermann (1999), S. 23, Suerbaum (1971), S. 95, Sailor (2008), S. 298, und Fabia (1895), S. 9. 43 Vgl. Haase (1855), S. 20 Anm. 70: „Cui epistulae non tempero mihi quin nullam aliam occasionem fuisse coniciam quam partem aliquam historiarum a Tacito recitatam; atque ipse Tacitus videri potest eiusdem recitationis eventum in mente habuisse cum scripsit ea, quae leguntur Ann. IV, c. 33 extr.“, Fabia (1895), S. 8 f., Christes (1990), S. 142, Schmidt (1993), S. 182, Borzsák (1968), Sp. 444 f., Beck (1998), S. 118, Suerbaum (2015), S. 585, Whitton (2012), S. 363 f., und Heldmann (2011), S. 75: „Die übliche Annahme, dass es sich bei diesem Historiker um Tacitus handelt, dürfte zutreffen.“ Eher skeptisch äußern sich Sherwin-White (1966), S. 509 f., Oliver (1977), S. 292 Anm. 12, und Pausch (2004), S. 83. 44 Vgl. hingegen Plin. epist. 1,13,3 bezüglich des Historiographen Servilius Nonianus und Kraus (2000), S. 173, Fantham (1998), S. 203, Klingner (1958), S. 200, sowie Sánchez Vendramini (2010), S. 380. 45 Kritisch gegenüber Plinius sind u. a. Beck (2013b), S. 305: „Plinius brilliert dagegen in seinen Briefen mit gesuchter Selbstdarstellung, ja Selbstinszenierung, wie es in der modernen Forschung mit entsprechenden Titeln immer wieder als Charakteristikum seiner Sammlung herausgestellt wird.“, Geisthardt (2015), S. 186: „Die Figur des Plinius also ist es, auf die der Fokus dieser Sammlung gerichtet ist, Clarus und all die anderen Adressaten sind mehr oder weniger auf ihre Funktion als Reflektorfiguren für die plinianische Selbstdarstellung reduziert.“, wie auch S. 217 f., und Koestermann (1963), S. 27: „[…] Plinius, der sich in der glücklichen Gegenwart im Besitz eines ungestörten Gewissens sonnte und ohne Selbstkritik seine eigene Rolle unter Domitian nachträglich zu heroisieren versuchte.“, sowie (1965b), S. 167: „Aber der Briefschreiber ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass er Tacitus, […], die notwendige Aufmerksamkeit schenkt.“ Vgl. des Weiteren Fabia (1895), S. 3, Müller (2003), S. 180, Fögen (2015), S. 27, Pausch (2004), S. 51 sowie S. 53 f. 46 Vgl. dazu an den Adressaten Tacitus gerichtet besonders Plin. epist. 7,20,1 f. librum tuum legi et, quam diligentissime potui, adnotaui, … o iucundas, o pulchras uices! sowie 8,7,1… librum misisti. Während Syme (1967), S. 98 sowie S. 117, sogar schon hinter Epistel 5,8 zumindest gerüchteweise Plinius’ Kenntnisse von Tacitus’ ‚Historien‘ vermutet, ist in der Forschung eine exakte Zuordnung, um welche Schriftstücke es sich in epist. 7,20 bzw. 8,7 jeweils handelt, umstritten; vgl. Sherwin-White (1966), S. 427, S. 444 sowie S. 456, Mendell (1935/1969), S. 469, Syme (1967), S. 672, Borzsák (1968), Sp. 391, Potter (1991), S. 289, Griffin (1999), S. 143, Beck (2014), S. 115, und Koestermann (1963), S. 17. Vgl. zum Kulturbetrieb allgemein Plin. epist. 1,10,1 si quando urbs nostra liberalibus studiis floruit, nunc maxime floret und ferner Starr (1987), S. 213–215, Sánchez Vendramini (2010), v. a. S. 369–396, Krasser

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gehobenen Kreise war es offenbar möglich, seine Werke auf Eigeninitiative47 oder auf Weiterempfehlung und Nachfrage mithilfe professionalisierter Vervielfältigungsverfahren privater oder kommerzieller Kopisten einem wohlhabenden interessierten Publikum in Rom und den Provinzen zur Verfügung zu stellen.48 Demnach scheint zwar eine verhältnismäßig große Leserschaft für den Historiographen erreichbar und, wie Krasser und Johnson eingehend darlegen, die Begeisterung für Literatur gerade in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts n. Chr. auf einem Höhepunkt angelangt sowie sogar von sozialer Bedeutung gewesen zu sein.49 Allerdings existieren in der unmittelbaren Folgezeit für Tacitus’ Œuvre abgesehen von einem einzigen Rezeptionshinweis bei dem christlichen Schriftsteller Tertullian, der diesen unter ausschließlicher Bezugnahme auf die ‚Historien‘ abfällig als ille mendaciorum loquacissimus (nat. 1,11,3; apol. 16,3) bezeichnet,50 bis gegen Ende des vierten Jahrhunderts n. Chr. keine weiteren Zeugnisse für dessen Nachwirkung.51 (1999), S. 64, Flower (2011), S. 280 f., Pausch (2004), S. 53, Kenney (1982), S. 10 f., Harris (1989), S. 225 f., Fögen (2015), S. 24 sowie S. 38, Woodman (2009), S. 35, Whitton (2012), S. 350, und White (1975), der das Beziehungsgeflecht ansatzweise zu rekonstruieren versucht, sowie v. a. S. 299: „The letters disclose about fifty of Pliny’s associates who can be described as ‚literary friends‘, because they receive letters whose subject is chiefly literary, or because they write some form of prose or poetry or are otherwise known to have taken an interest in the literature of their day.“ 47 Plin. epist. 4,7,2; vgl. Birt (1882), S. 351 f., Sánchez Vendramini (2010), S. 402, Wiseman (1981), S. 386, und Fantham (1998), S. 3. 48 Vgl. zur Verbreitung literarischer Werke und zu Vorformen eines noch defizitären Buchhandels Starr (1987), S. 215 f. sowie S. 219–223, White (2009), Krasser (1995), S. 83 f., sowie (1999), S. 62, Harris (1989), S. 224 f., Sánchez Vendramini (2010), S. 347 sowie S. 400– 410, Momigliano (1978/1998), S. 1, Hedrick (2011), S. 180–187, Kenney (1982), S. 20 f., Fantham (1998), S. 13 f., Martin (1969), S. 117, Pitcher (2009), S. 66 f., Pausch (2004), S. 6, und Geisthardt (2015), S. 98 f. 49 Vgl. Krasser (1995), S. 88, sowie (1999), S. 59: „In der bildenden Kunst wie in der Literatur spiegelt sich eine Gesellschaft, in der kulturelle Kompetenz wesentlicher Bestandteil des Sozialprestiges ist.“, Johnson (2009), S. 321–329, und zudem Christ (2006), S. 96, sowie Kraus (2000), S. 167 sowie S. 170. 50 Tert. nat. 1,11,2 … Cornelius Tacitus … in quarta Historiarum suarum … bzw. apol. 16,1 f. … Cornelius Tacitus … in quarto Historiarum suarum …; vgl. Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 422, v. Albrecht (1997), S. 903, Wellesley (1989), S. 183, Rühl (1901), S. 514, Suerbaum (2015), S. 39, Haase (1855), S. 24, Röver/Till (1962), S. 13, Oliver (1951), S. 259 f., Haverfield (1916), S. 198, Lowe (1929), S. 258, Zecchini (1991), S. 340, Tenney (1935), S. 343, Schmal (2011), S. 169, Pausch (2004), S. 7 f., und Hanslik (1963), S. 100. 51 In der Spätantike wird eine Benutzung und Kenntnis der taciteischen Schriften bei folgenden vier Autoren greifbar: Hieronymus comm. in Zach. 3,14 (Anm. 846 [Kap. 4]), Flavius Vopiscus HA Aurel. 2,1, HA Prob. 2,7 sowie HA Tac. 10,3 inklusive des anachronistischen Berichts über die Vervielfältigungsanordnung von Tacitus’ Werk unter der Regentschaft des gleichnamigen Kaisers (275/276 n. Chr.), Sulpicius Severus 2,29,5, 2,30,3 sowie 2,30,6 und Orosius 7,3,7, 7,9,4–9, 7,10,3 f., 7,19,4 sowie 7,34,5. Zudem knüpft die stilistische und strukturelle Gestaltung von Ammianus Marcellinus’ Geschichtswerk implizit an diejenige Tacitus’ an; vgl. Wellesley (1989), S. 181 f., Tenney (1935), S. 334 sowie S. 344–346, Zecchini (1991), S. 342– 344 sowie S. 349 f., Haverfield (1916), S. 199, Schmal (2011), S. 169 f., Oliver (1951), S. 259 f., Haase (1855), S. 66, Koestermann (1965b), S. 176 f., Lowe (1929), S. 258, Hohl

1.2 Rezeptionsanalytische Ansätze zu Tacitus’ Œuvre

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Grenzen eines rezeptionsorientierten Zugangs Angesichts des skizzierten Mangels an zuverlässigen Belegen für eine zeitnahe Rezeption des taciteischen Schrifttums ist es kaum verwunderlich, dass die heutige Forschung Tacitus’ literarischem Werk in der betrachteten Zeitspanne mehrheitlich keine große Publikumsresonanz zuspricht.52 Daraus jedoch weitere Rückschlüsse auf die Beschaffenheit und Qualität von dessen Œuvre zu ziehen, wäre nicht nur übereilt, sondern vollauf verfehlt. Denn erstens bedeutet es nicht, dass jedes Buch, welches zum Bestseller wird, auch höchsten künstlerischen sowie literarischen Ansprüchen genügt, sondern zwischen beiden Parametern ist eher ein umgekehrt parabelförmiger Zusammenhang anzunehmen.53 Wie Juvenals Zitat nahelegt,54 ist zweitens der Zeitgeschmack der Rezipienten ein wichtiger Bedingungsfaktor, der steter Veränderung unterworfen ist. Denn der staatliche Wandel zur Prinzipatsherrschaft führte einerseits dazu, dass aufgrund abnehmender politischer Bewährungsmöglichkeiten ästhetischer Genuss und Bildung zunehmend zu Surrogaten für eine gesellschaftliche Klassenbildung sowie soziale Repräsentanz wurden. Dies resultierte in einem Verlangen des Publikums nach leicht zugänglicher, prägnanter und kondensierter Präsentation von Information in Epitomisierungen sowie Gesamtund Überblicksdarstellungen,55 welchem Komposition und Umfang von Tacitus’ (1911), S. 290 Anm. 4, sowie (1920), S. 300 f., Goodyear (1982), S. 642, und Marincola (1997), S. 240 sowie S. 254. 52 Vgl. Haase (1855), S. 65, Schanz/Hosius (1935), S. 639 f., Syme (1967), S. 503, Schmal (2011), S. 168, Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 424, Martin (2009), S. 241, Zimmermann (1999), S. 46, Goodyear (1982), S. 642, Martin (1981), S. 236, Rüpke (1997), S. 154, Zecchini (1991), S. 339, Whitton (2012), S. 349, Römer (2016), S. 255, Lowe (1929), S. 258: „Tacitus seems to have been little appreciated by his immediate posterity.“, und Classen (1988), S. 93: „Tacitus was one of the greatest historians, though not very influential in antiquity.“ Skeptisch sind Haverfield (1916), S. 197: „Still, Tacitus was not so little read during the Roman empire as is sometimes asserted.“, Mendell (1935/1969), S. 495, und Tenney (1935), S. 342, wohingegen Leo (1896/1969), S. 3, Fabia (1895), S. 4 f., Vielberg (1987), S. 18, Geisthardt (2015), S. 350, S. 356 sowie S. 361, und Flaig (2001), Sp. 1213, eine gänzlich gegenteilige Ansicht vertreten: „Die Gesch.-Werke wurden anscheinend schon in der Ant. stark rezipiert.“ 53 Vgl. Willand (2014), S. 229, und Oliver (1977), S. 293: „Tacitus was never a popular author: he demands in his readers concentrated attention, a very high degree of intellectual power, and, what is even rarer, the fortitude to face a world of unpleasant realities instead of comforting oneself with hallucinogenic fairy tales or drugs.“ 54 Vgl. Anm. 27. 55 Vgl. Krasser (1995), S. 80, S. 85–87 zur politischen Propagierung und Institutionalisierung eines Bildungsideals durch das Trajansforum, sowie (1999), S. 65, über Plinius d. J.: „Ihm ist Bildungseifer und Kunstbesitz mehr als nur selbstverständlicher Bestandteil oberschichtlichen Lebensstils. Beschäftigung mit Literatur und Kunst gewinnt bei ihm die Dimension historischer Reflexion und Selbstvergewisserung. Er sieht in ihr angesichts beschränkter Ruhmesmöglichkeiten auf anderen Feldern, zumal der Politik, eine Möglichkeit, die von ihm als schmerzlich empfundene Kluft zur Wertewelt der Vergangenheit zu überwinden.“ Vgl. zudem Marincola (2009), S. 14 f., Steinmetz (1982), S. 145, Fantham (1998), S. 190 sowie S. 208, Fabia (1895), S. 10, Perl (1984), S. 573, Connors (2000), S. 493, Harris (1989), S. 185, Sánchez Vendramini (2010), S. 364, S. 420, S. 443 sowie S. 446 f., Zimmermann (1999),

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1. Autor und Publikum einer frühkaiserzeitlichen Historiographie

Geschichtsschreibung widerstrebten. Andererseits konfligierte die darin vermittelte Anspruchshaltung einer verantwortungsbewussten und selbstkritischen Aufarbeitung der eigenen Historie möglicherweise mit der aufgrund der jüngst durchlittenen politischen Wirren ausgelösten allgemeinen Sehnsucht, die Vergangenheit auf sich beruhen zu lassen, und dem damit verbundenen „Wunsch nach kollektiver Amnestie“,56 was sich eventuell indirekt in einer allseitigen Verdrossenheit bezüglich der Zeitgeschichte äußerte.57 Drittens kann die überaus lückenhafte Überlieferungssituation empirischer Rezeptionszeugnisse ein verzerrtes Bild suggerieren, sodass es auf dieser Basis schließlich unmöglich ist, der Güte eines literarischen Textes gerecht zu werden und eine valide Einschätzung seiner historischen Leserwirksamkeit zu erzielen.58 Deshalb verwerfen selbst zahlreiche Rezeptionsforscher, darunter Willand, diesen Ansatz für ältere Texte und sprechen sich stattdessen für eine hermeneutische Werkanalyse aus:59 „Und genau anhand dieser materialgegebenen Grenze lässt sich auch das Verhältnis der Rezeptionsanalyse zur Hermeneutik bestimmen, das sich dadurch konstituiert, dass die Rezeptionsanalyse gewissermaßen als sekundärtextbezogenes Quellenstudium der hermeneutischen (sowie sozialgeschichtlichen usw.) Arbeit ein argumentatives Fundament zu gießen vermag, auf dem sich interpretative Aussagen formulieren lassen, die als notwendig historisch adäquat gelten können, weil sie in dieser Form bereits von Zeitgenossen formuliert worden sind. Eine rein hermeneutische Interpretation von Texten, wie sie beispielsweise bei den genannten antiken Autoren gezwungenermaßen angesetzt werden muss, kann auf diese Begründungsform für ihre interpretativen Aussagen nicht zurückgreifen und bleibt daher in einem gewissen Rahmen zumindest bezüglich der historischen Adäquatheit ihrer Aussagen immer ungesichert.“60

Wenn folglich der Schwerpunkt der nachstehenden Analysen auf werkimmanente Elemente verlagert wird – ein Vorgehen, welches Weinrich und Ackermann bei antiken Texten ausdrücklich begrüßen –,61 so ist diese Herangehensweise der vorS. 46, Christes (1975), S. 235 sowie S. 241, Pausch (2004), S. 14–16 sowie S. 62, Kraus (2000), S. 171, Flach (1973b), S. 230, Momigliano (1978/1998), S. 10, und Geisthardt (2015), S. 219 sowie S. 358. 56 Geisthardt (2015), S. 37, unter Rekurs auf das Begehren der Senatoren in Plin. epist. 9,13,8 ‚salui simus, qui supersumus.‘ Vgl. Sherwin-White (1966), S. 494, und demgegenüber insbesondere die explizite wiederholte Verantwortungsübernahme in Tacitus’ ‚Agricola‘ (Anm. 142). 57 Agr. 1,1 … incuriosa suorum aetas … bzw. ann. 2,88,3 …, dum uetera extollimus recentium incuriosi. Vgl. Suerbaum (2015), S. 43 Anm. 26 und v. a. S. 330: „[…] die Römer seien an recentia, an ihrer neueren Geschichte, kaum interessiert. Wahrscheinlich ist dies eine Klage des Schriftstellers in eigener Sache: Er selber gehört ja zu denen, die recentia darstellen.“ 58 Vgl. bezüglich der desolaten Quellenlage zu Plinius’ ‚Panegyricus‘ ähnlich Geisthardt (2015), S. 137. 59 Vgl. die kritischen Bemerkungen Jauss’ (1975), S. 329–334, und Isers (1994), S. 52, hierzu und ebenso zur Unmöglichkeit einer empirischen Rezeptionsforschung in der klassischen Philologie Schmitz (2002), S. 102, Langer (2008), S. 23, und Klauk/Köppe (2014), S. 25. Vgl. zudem Fludernik (2006), S. 30 f., Martínez/Scheffel (2007), S. 151 f., und Bonheim (1982), S. 49. 60 Willand (2014), S. 26 f. 61 Vgl. Weinrich (1971), S. 28: „Darüber hinaus wird es aber notwendig sein, die Leserschaft eines literarischen Werkes nicht nur auf empirischem Wege zu erforschen, sondern auch mit den Methoden der literarischen Interpretation jene Leserrolle zu beschreiben, die in dem Werk selber enthalten ist. Jedes literarische Werk enthält das Bild seines Lesers. Der Leser ist, so

1.3 Narratologie und antike Historiographie

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liegenden Arbeit nicht nur theoretisch angebracht, sondern sogar die einzige Option, die Leserrolle und -wirksamkeit der ‚Annalen‘ zu erfassen. Bei der Interpretation sollen textexterne Erwartungshaltungen, die der Rezipient a priori mit dieser traditionellen Gattung in Verbindung bringt, aber keineswegs außer Acht gelassen werden.62 Conte macht nämlich deutlich, dass solche genrespezifischen Antizipationen bereits in der Antike existierten und Leser somit gewisse Annahmen zu Form sowie Inhalt eines als Historiographie ausgewiesenen Werkes besaßen. Dabei hebt er hervor, dass sich die vielfältigen literarischen Gattungen nicht durch absolute Setzungen, sondern durch wechselseitige Absetzungen zu grundlegend differenten Textsorten konstituieren.63 Inwiefern allerdings bei dem gewählten hermeneutischen Zugang der Transfer aktueller narratologischer und spannungstheoretischer Modelle, welche die Identifikation, Analyse und Interpretation von Diskurselementen, die das Rezeptionsverhalten beeinflussen, methodisch unterstützen können, auf die römische Geschichtsschreibung adäquat ist, wird im nachstehenden Abschnitt zu klären sein. 1.3 NARRATOLOGIE UND ANTIKE HISTORIOGRAPHIE Eine Anwendung moderner Literaturtheorien auf ältere Sprachgegenstände unterliegt zwar stets einem reflexionsbedürftigen, diachronen Spannungsfeld, dessen asymmetrisches Entstehungsverhältnis während der gesamten Untersuchung zu berücksichtigen ist.64 Aber eine derartige Vorgehensweise birgt angesichts der Verfügbarkeit eines fortentwickelten und ausdifferenzierten terminologischen und methodischen Instrumentariums ungeahnte wechselseitige Erkenntnispotenziale bezüglich der jeweiligen antiken Schriftzeugnisse wie auch hinsichtlich einer fortschreidürfen wir sagen, eine Person dieses Werkes.“, und Ackermann (2008), S. 43: „Was aber wenn wir über keinerlei Informationen über die Rezeptionssituation und die Erwartungshaltung des Publikums verfügen, weil wir nicht einmal wissen, wie sich dieses Publikum zusammensetzte, welche Bildung und welches Vorwissen es mitbrachte und unter welchen Modalitäten sich die Rezeption vollzog? […] In einem solchen Fall bleibt tatsächlich nur die Möglichkeit, sich an die spannungsauslösenden Mechanismen im Text selbst zu halten.“ 62 Vgl. Weinrich (1971), S. 30, und Jauss (1970), S. 173 f.: „Die Analyse der literarischen Erfahrung des Lesers entgeht dann dem drohenden Psychologismus, wenn sie die Aufnahme und Wirkung eines Werkes in dem objektivierbaren Bezugssystem der Erwartungen beschreibt, das sich für jedes Werk im historischen Augenblick seines Erscheinens aus dem Vorverständnis der Gattung, aus Form und Thematik zuvor bekannter Werke und aus dem Gegensatz von poetischer und praktischer Sprache ergibt“. Vgl. auch Booth (1961/1974a), S. 131, Silk (2012), S. 849, Becher (1989), S. 8, Martínez/Scheffel (2007), S. 136, Ackermann (2008), S. 37 f., Langer (2008), S. 29, Pfister (2001), S. 68 f., Woodman/Powell (1992), S. 207, und Schmitz (2002), S. 102. 63 Vgl. Conte (1992), S. 107 sowie S. 113: „By this time the system of genres has become a fully constituted reality, which contemporaries have begun to recognize“; aufgegriffen von Schmitz (2002), S. 53, und vgl. Kraus (2000), S. 166, sowie Fantham (1998), S. 16. 64 Wie Silk (2012), S. 845–848, prägnant darstellt, betrifft diese Problematik v. a. die Literaturtheorien des 20. Jahrhunderts, da diese nahezu unbeeinflusst und losgelöst entstanden. Warnend äußern sich auch Ihrig (2007), S. 435, und Woodman/Powell (1992), S. 258 Anm. 14.

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tenden literarischen Modellbildung.65 Sofern sich gegenwärtige Textanalyseverfahren nämlich zur Beschreibung und Auslegung klassischer Literatur eignen oder hierbei möglicherweise deren Unzulänglichkeiten und Grenzen ersichtlich werden, werden nicht nur diese sukzessive validiert und optimiert. Vielmehr eröffnet dies den obersten Zielen jeder Literaturwissenschaft gemäß basale Einsichten in transhistorische und interkulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede respektive in einen etwaigen diachronen Transformationsprozess in Bezug auf wesentliche textuelle Objektcharakteristika und deren Gestaltungsformen sowie Funktionsaspekte.66 Zudem können mittels eines spezifizierten Untersuchungsinventars bisher unentdeckte Nuancen bekannter Phänomene, neuartige Diskursfacetten als auch implizite Darstellungstechniken eines antiken Werks systematisch isoliert und erkannt, angemessen beschrieben und klassifiziert sowie vor dem theoretischen Hintergrund gedeutet und in dessen übergreifendes Schema integriert werden. Damit ist die Komplexität eines literarischen Werks trotz punktueller analytischer Fokussierung einzelner Bestandteile insgesamt umfassend, fundiert und planvoll zu erfassen, zu bewerten und ein Beitrag zu dessen Verständnis zu leisten.67 Diesen Prämissen folgt die anschließende Betrachtung der Nerobücher mithilfe moderner narratologischer und spannungstheoretischer Ansätze – ein Desiderat, welches bereits Flach und McCulloch monieren sowie neuerdings Dészpa und Fox wiederholen.68 Die hybride Ontologie der Geschichtsschreibung Grundlegend für den skizzierten Zugang ist die Zuordnung der antiken Historiographie zur erzählenden sowie fiktionalen Literatur, was mit heutigen Vorstellungen von seriöser Geschichtsschreibung unvereinbar erscheint. Dass die taciteische Darstellung von einer rein faktualen Erzählung jedoch weit entfernt ist, wurde von der Forschung bereits hinreichend, wenn oftmals auch eher instinktiv richtig als theoretisch reflektiert artikuliert, wobei die Positionen Leos, Reitzensteins, Goodyears, Quinns, Hampls und Malitz’ stellvertretend die Urteile vieler Philologengenerationen illustrieren.69 Richtlinien einer angemessenen Einschätzung von Taci65 66 67 68 69

Vgl. Arni (2007), S. 60. Vgl. Silk (2012), S. 849 f., und Arni (2007), S. 65–68. Vgl. Fuhrmann (1983), S. 19, Genette (1972/1998), S. 190, und Kindt/Müller (2003), S. 211 f. Vgl. Flach (1973b), S. 49 Anm. 224, McCulloch (1991), S. 2945, Dészpa (2011), Abs. 5, und auch Fox (2014), S. 552. So bemerkt schon Leo (1896/1969), S. 11: „Tacitus war ein Dichter, einer der wenigen großen Dichter, die das römische Volk besessen hat.“, Reitzenstein (1926), S. 16: „Ein Kunstwerk wollte er schaffen, er ist nicht eigentlich Historiker, sondern Dichter, allerdings der größte Dichter der späteren Zeit.“, Goodyear (1970), S. 22: „Dramatic elements are certainly present here, and elsewhere: development of tension to a climax, conflict of protagonists, περιπέτεια. But any schematic division is contradicted by the complexity of the events Tacitus recounts and the variety of his treatment. What emerges from all this work is that ‚pictorial-dramatic‘ presentation is a most important part of Tacitus’ style, a manner of writing in which he excels and which he will gladly use if he can find opportunity.“, sowie S. 23: „More modern analogies can

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tus’ historischem Œuvre müssen deshalb vielmehr die in der Antike gültigen Regularien der historiographischen Gattung sein, deren Charakter der flavische Rhetorikprofessor Quintilian treffend umschreibt: est enim proxima poetis, et quodam modo carmen solutum est, et scribitur ad narrandum, non ad probandum (inst. 10,1,31).70 Indem Pausch jüngst von dieser Grundeigenschaft der antiken Geschichtsschreibung ausgeht und auf die zahlreichen offensichtlich fiktiven Einlagen im livianischen Werk verweist, schreibt er der römischen Historiographie zu Recht eine Doppelnatur zwischen Wirklichkeit und Fiktion zu, deren Grundtendenz romanhafte Züge trägt.71 In eine ähnliche Richtung zielen auch Heldmanns Überlegungen, der die „Wahrscheinlichkeit als literaturästhetische Kategorie“72 postu-

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also be illuminating. For instance, the constant variation of tempo in Tacitus’ narrative and the way close-up changes to panorama and vice versa strongly suggest the technique of the cinema.“, Quinn (1963), S. 113: „Tacitus uses words as a poet does, to suggest a cohering intuition of life’s complexities, rather than as a rational, analytic historian.“, Hampl (1979), S. 283: „Nicht um die historische Wahrheit ist es diesem in erster Linie zu tun, sondern um die schriftstellerische Wirkung und darum, dem Leser ein Bild von den handelnden Persönlichkeiten aufzuoktroyieren, das seiner geistigen und seelischen Veranlagung und seinen Absichten am besten entspricht.“, und, S. 287, merkt er an, „daß dieser gewaltige Meister der Sprache allzusehr rein literarische Gesichtspunkte auf Kosten der Grundprinzipien jeder Geschichtsschreibung für sich bestimmend sein ließ.“, sowie Malitz (1990), S. 347: „Geschichtsschreibung blieb eben immer ein Zweig der Literatur.“ Vgl. zudem Graf (1931), S. 76, Rademacher (1975), S. 45, Hommel (1936), S. 116 f., Flach (1973a), S. 88 Anm. 2 mit weiterer Literatur, (1973b), S. 48, Kloch-Kornitz (1961), S. 162, Perl (1984), S. 570, Hilpert (1947), S. 47, Mehl (2001), S. 130 f., Borzsák (1973), S. 67, Sinclair (1991), S. 2797 f., Nickbakht (2005), S. 3, Woodman (2007), S. 143, Dench (2009), S. 394, Schmitzer (2005), S. 355 f., Schmal (2008), S. 105 mit weiterer Literatur Anm. 2, sowie (2011), S. 102 f., Hausmann (2009), S. 2, Laird (1999), S. 116, Künzer (2015), Sp. 1, Batstone (2009), S. 28, Petersmann (1993), S. 18, und Mehl (2001), S. 15. Wie Meister (1964/1991), S. 214, demgegenüber zur Ansicht gelangt, das taciteische Werk sei der „Höhepunkt der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung“, ist ebenso wenig nachvollziehbar wie die kategorische Zuordnung von Tacitus’ Werk zur faktualen Literatur, die Geisthardt (2015), S. 25 sowie S. 324, ohne Beachtung der voranstehenden Forschungsmeinungen sowie des abweichenden antiken Gattungsverständnisses vornimmt, diese Aussage jedoch selbst, S. 222, teilweise revidiert. Während Quintilian damit die Geschichtsschreibung auf stofflicher Ebene in die Nähe der Dichtung rückt und durch das Charakteristikum der ungebundenen Sprache von dieser differenziert, widerspricht er gewissermaßen Aristoteles’ Auffassung, der den grundlegenden Unterschied zwischen Dichtung und Historiographie nicht so sehr formalen Elementen zuschreibt, sondern vielmehr in inhaltlichen Aspekten verankert sieht: poet. 1451b ὁ γὰρ ἱστορικὸς καὶ ὁ ποιητὴς οὐ τῷ ἢ ἔμμετρα λέγειν ἢ ἄμετρα διαφέρουσιν (εἴη γὰρ ἂν τὰ Ἡροδότου εἰς μέτρα τεθῆναι, καὶ οὐδὲν ἧττον ἂν εἴη ἱστορία τις μετὰ μέτρου ἢ ἄνευ μέτρων)· ἀλλὰ τούτῳ διαφέρει, τῷ τὸν μὲν τὰ γενόμενα λέγειν, τὸν δὲ οἷα ἂν γένοιτο. Vgl. dazu eingehend Hose (1996) sowie ferner Martínez/Scheffel (2007), S. 11 f., Schmid (2008), S. 28 f., Rösler (2014), S. 380 f., White (1978/1986), S. 120, und zu Quintilians Begriff der Geschichtsschreibung Ax (1990), S. 151 f., Flach (1973b), S. 44, sowie Perl (1984), S. 566. Zum ambivalenten Wesen der Historiographie vgl. auch Plin. epist. 5,8,9 habet quidem oratio et historia multa communia, sed plura diuersa in his ipsis, quae communia uidentur, Fantham (1998), S. 197 f., und Woodman (1988), S. 99 f. Vgl. Pausch (2011), S. 9, Kraus (2000), S. 178, und Fuhrmann (1983), S. 19 f. Heldmann (2011), S. 32; vgl. Hommel (1936), S. 119, zur „oft unfaßbaren Spannung zwischen Darstellung und Wahrheit.“, Späth (2000), S. 273 f.: „Denn das Undenkbare findet nicht Ein-

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liert. Dies ergebe sich seiner Ansicht nach aus der Notwendigkeit einer passgenauen Ergänzung und Erweiterung des historischen Quellenmaterials durch den Autor unter den literarischen Zielvorgaben des prodesse et delectare73 und nach Plausibilitätskriterien – wie es auch Plinius der Jüngere Tacitus als Historiographem einräumt.74 Der Geschichtsschreiber sei also wie der Redner bei seiner inuentio dazu verpflichtet, seine Faktensammlung in ein schlüssiges, überzeugendes und glaubwürdiges, aber nicht unbedingt real existentes Kausalverhältnis zu überführen,75 „wozu neben der analytisch-kombinatorischen Qualität des Detektivs auch ein hohes Maß an Anschauungskraft und Phantasie, an durchaus (re)konstruktiver gang in eine Geschichtsdarstellung, deren Gattungsregeln die Wahrscheinlichkeit des Erzählten verlangen.“, Gehrke (2015), S. 231, und skeptisch Suerbaum (2015), S. 47 sowie S. 52, den Künzer (2015), Sp. 3, kritisiert. 73 Hor. ars 333 f. aut prodesse uolunt aut delectare poetae,/aut simul et iucunda et idonea dicere uitae, Cic. fin. 5,51 nec uero sum nescius esse utilitatem in historia, non modo uoluptatem und vgl. auch Liv. praef. 5, Quint. inst. 12,11,17 sowie Lukian. hist. conscr. 9. Vgl. des Weiteren Vogt (1957/1960), S. 132, Häussler (1965), S. 190, Pausch (2011), S. 64, Krasser (2002), Sp. 1006 f., Näf (2010), S. 47, Flach (1973b), S. 22, Momigliano (1978/1998), S. 3, Malitz (1990), S. 330 sowie S. 339, Ash (2006), S. 61, Mehl (2001), S. 22, Wiseman (1981), S. 381, S. 384 sowie (1993), S. 139, Graf (1931), S. 6, Woodman (2012b), S. 9 mit Anm. 25, und Heldmann (2011), S. 21: „In der Antike hat ein Geschichtswerk ebenso wie ein Werk der Dichtkunst die doppelte Aufgabe, für die Leser nützlich zu sein und sie zu erfreuen.“ 74 Plin. epist. 7,33,10 haec, utcumque se habent, notiora clariora maiora tu facies; quamquam non exigo ut excedas actae rei modum. nam nec historia debet egredi ueritatem, et honeste factis ueritas sufficit. 75 Cic. inv. 1,9 inuentio est excogitatio rerum uerarum aut ueri similium, quae causam probabilem reddant; vgl. Woodman (2012b), S. 12 f., sowie Heldmann (2011), S. 32–38, v. a. S. 33 f.: „In der literarischen Praxis ist das Ziel der Wahrscheinlichkeit dann erreicht, wenn die dargestellten Zusammenhänge, die causae rerum, unmittelbar einleuchtend sind. Dafür muss der Historiker dem Leser durch eine geschickte Erzählstrategie vorführen, dass und wie die einzelnen Ereignisse sich zu einem Gesamtgeschehen zusammenfügen und wie […] sich das eine aus dem anderen ergibt.“, S. 51: „Das Wahrscheinlichkeitsgebot kann aber, wenn sich der tatsächliche Hergang und die historischen Fakten nicht mehr eindeutig ermitteln lassen, auch ersatzweise für das Wahrheitsgebot eintreten. In diesem Fall muss der Historiker, um die inneren Zusammenhänge des Geschehens deutlich machen zu können, das Wahrscheinliche durch systematische Schlussfolgerungen ermitteln.“, und S. 53: „Die von dem Historiker gegebene Darstellung ist dem Wahrscheinlichkeitsgebot unterworfen und muss deshalb nicht nur insgesamt, sondern auch im Einzelnen glaubhaft nach dem Maßstab von Lebens- und Wirklichkeitserfahrung sein.“ Vgl. zu Heldmanns Aufassung Gehrke (2015), S. 229, und Pausch (2012), S. 381. Vgl. des Weiteren Walker (1952), S. 146: „The historian should present not so many bare and disconnected facts, but an ordered whole, artistically composed in outline and in detail.“, Wiseman (1981), S. 389: „So too with his historical inventio: what he had to ‚find‘ was material that would turn the bare annals into a narrative that was morally exemplary, politically significant, or just dramatic and exciting for an audience to listen to. He found it in his own head, but it was not free invention; he was restricted by probability.“, und White (1978/1986), S. 104 sowie S. 113: „Die Geschichtsschreibung lebt von der Entdeckung all der möglichen Plotstrukturen, die herangezogen werden können, um den Ereignisfolgen verschiedene Bedeutungen zu verleihen. Und unser Verstehen der Vergangenheit nimmt in genau dem Maße zu, wie es uns gelingt festzustellen, inwieweit diese Vergangenheit den Verfahren der Sinnstiftung entspricht, die sich in ihren reinsten Formen in der Literatur finden.“ Vgl. auch Woodman (1988), S. 92 f. sowie S. 101, Näf (2010), S. 50, S. 97 sowie S. 151, McCulloch (1991), S. 2936, Schmitzer

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Kreativität gehört.“76 Da es sich hierbei ebenfalls um fiktive, wenn auch nach dem Geschichtsverständnis eines Autors optimal adaptierte Zugaben handelt, betont diese Auffassung den erzählenden Habitus des taciteischen Werks.77 Unberücksichtigt bleibt von Heldmann allerdings eine auktoriale Äußerung, die gerade die Implikation einer Grauzone zwischen offensichtlich erdichteten und als wahr zu bekräftigenden Inhalten rechtfertigt: ut conquirere fabulosa et fictis oblectare legentium animos procul grauitate coepti operis crediderim, ita uulgatis traditisque demere fidem non ausim (hist. 2,50,2).78 Vorab schließt Tacitus nichts Überliefertes von einer Erwähnung aus und weist an gewissen Stellen die Glaubwürdigkeitsfrage einfach unbeantwortet von sich. So finden bei der Plotauswahl und -zusammenstellung tradierte Elemente, deren Faktizität oder Fiktivität der Urheber aufgrund seines individuellen Erfahrungshorizontes nicht bestimmen kann oder angesichts ihrer Unterhaltsamkeit für den Rezipienten nicht zuordnen will, Eingang in eine Erzählung, die sich folglich aus einer Mischung von faktualen und fiktiven Materialien zusammensetzt79 und in der es „mehr auf (historische) Wahrheiten als auf Tatsachen an(kommt).“80 (2005), S. 356, Nickbakht (2005), S. 84, und zum korrespondierenden Fiktionalitätsempfinden des Lesers Zipfel (2014), S. 108 f., sowie Groeben/Christmann (2014), S. 342. 76 Gehrke (2015), S. 226. 77 Vgl. dazu Demandt (1986), S. 60: „Die Füllung der Überlieferungsmaschen ist das Geschäft des historischen Romans. Er ergänzt unser fragmentarisches Bild von der Vergangenheit durch die Phantasie des Dichters. Auch sie läßt sich nach Plausibilitätskriterien beurteilen und unterscheidet sich von der wissenschaftlichen Konjektur bisweilen nur in der Menge der Mutmaßungen und durch die Darbietung im Erzählstil. […] Im günstigsten Falle entsteht aus dem Torso der Überlieferung ein ganzes Bild davon, wie der Gegenstand einmal ausgesehen haben könnnte.“, und Fludernik (2006), S. 72 f. 78 Ein Vorgehen in diesem Sinne legen auch die folgenden beiden Stellen nahe: 4,10,1 in tradenda morte Drusi, quae plurimis maximaeque fidei auctoribus memorata sunt, rettuli, sed non omiserim eorundem temporum rumorem, ualidum adeo, ut nondum exolescat. bzw. 11,27 sed nihil compositum miraculi causa, uerum audita scriptaque senioribus tradam. Vgl. dazu Näf (2010), S. 97, Goodyear (1970), S. 19, Pöschl (1956/1991), S. 184, Ries (1969), S. 180 f., Leeman (1973/1985), S. 325, und Büchner (1964), S. 49, der unter ueritas bereits die objektive und subjektive Wahrheit subsummiert, und darin gewissermaßen von Heldmann (2011), S. 53, bestärkt wird. Dieser weist zudem, S. 55, mit Bezug auf Cic. de orat. 2,36 darauf hin, dass „lux veritatis nichts anderes heißen (kann), als dass die Geschichtsschreibung die Realität zu erhellen vermag, dass sie Licht auf die Wirklichkeit wirft.“ 79 Änhlich lauten die Schlussfolgerungen Goodyears (1970), S. 31: „That in general, by selection and arrangement of material and by numerous devices of style, Tacitus conveys impressions which the bare facts do not warrant, and for which he takes no explicit responsibility.“, Develins (1983), S. 69: „His expression does not guarantee the truth of the story, but there is no suggestion of its falsity.“, und Schmals (2011), S. 105: „Heraus kommt eine Mischung aus Wirklichkeit, Überlieferung und ebenfalls traditionsbedingter Voreingenommenheit.“ Damit orientiert sich Tacitus aber vollkommen am zeitgenössischen Verständnis von Historiographie, wie es sich anhand von Quintilians Definition fassen lässt, und entspricht gerade nicht Aristoteles’ Differenzierung. Vgl. Anm. 70, Timpe (1988/2007), S. 257 f., Marincola (1997), S. 124 f., Suerbaum (2015), S. 303 f., sowie zur begrifflichen Scheidung von Fiktionalität und Fiktivität Hölscher (2003), S. 30 f., und Klauk/Köppe (2014), S. 6 Anm. 5. 80 Pöschl (1968), S. XI.

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Dies steht einerseits im Einklang mit einer grundlegenden Forderung an die Geschichtsschreibung, die im ciceronischen Dialog de oratore (2,62) formuliert ist: nam quis nescit primam esse historiae legem, ne quid falsi dicere audeat? deinde ne quid ueri non audeat?81 Andererseits wird aber nicht derselbe Freiraum beansprucht, der den Rhetoren zugebilligt wird, die in der Tat die Geschichte verfälschen dürfen, um ihre Zuhörer zu überzeugen: quoniam quidem concessum est rhetoribus ementiri in historiis, ut aliquid dicere possint argutius (Cic. Brut. 42).82 Vielmehr entspricht das Vorgehen vollends dem Postulat, nichts Wahres – oder auch das, was wahr sein könnte – auszulassen, das heißt das, was weder verifiziert noch falsifiziert werden kann, der Entscheidung des Lesers zu überantworten, wobei ja schließlich nichts falsch sein müsse, nur weil es nicht als wahr erwiesen werden könne.83 Derartige Angaben können dann aber weder als Wahrheit noch als Lüge, vor allem aber nicht als vorsätzliche Täuschung bezeichnet werden und genügen somit vollauf dem, was Catulus in Ciceros de oratore als römischen Grundsatz der Historiographie, satis est non esse mendacem (2,51), propagiert, und Morgan heutzutage unter Fiktion versteht: „The defining condition of any fiction is that it is an untruth which does not intend to decieve. Fiction is neither truth nor lie: both sender and recipient recognize it for what it is.“84 Dass indes gerade die Implementation dieser nicht stichhaltigen Fakten später als rhetorisch-dramatische Ausgestaltung, zu der sie nach der oben zitierten Historienstelle 2,50,2 zweifellos dienen, und gelegentlich als unwahre Zugabe empfunden wird, lässt die Schlussfolgerung zu, dass in der Erzählung reale und nicht-reale Elemente vermischt werden.85 Auch 81

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Vgl. dazu treffend Hahn (1979/1991), S. 394: „Dieser Anspruch beinhaltet lediglich zwei Kriterien: erstens, daß der Autor die Tatsachen selbst nicht willkürlich verfälschen soll; und zweitens, daß ihn in seinem Urteil kein persönlicher Haß und keine persönliche Gunst, […], motiviert.“ Beides unternehme Tacitus nicht und sei somit nach diesen Maßstäben objektiv, wie Hahn (1979/1991), S. 395, schließt. Vgl. Wiseman (1981), S. 387 f., und (1993), S. 126 f., Borzsák (1973), S. 57, Walker (1952), S. 146, Woodman (1988), S. 74 sowie S. 82 f., Marincola (2009), S. 18 f., Mendell (1935/1969), S. 487, und Leeman (1973/1985), S. 324. Vgl. auch Lukian. hist. conscr. 7 und ferner Heldmann (2011), S. 41, Perl (1984), S. 565, Wiseman (1993), S. 133, Walker (1952), S. 145, Rawson (1985), S. 215, und Römer (1999), S. 311: „So setzt er oft sehr subjektive Akzente, ohne aber bis zu nachweisbaren Fälschungen zu gehen, die seine Glaubwürdigkeit als Historiker beeinträchtigen würden.“ 15,51,4 haud falsa esse etiam quae uera non probabantur. Vgl. dazu Lukians Ratschlag hist. conscr. 60 Καὶ μὴν καὶ μῦθος εἴ τις παρεμπέσοι, λεκτέος μέν, οὐ μὴν πιστωτέος πάντως, ἀλλʼ ἐν μέσῳ θετέος τοῖς ὅπως ἂν ἐθέλωσιν εἰκάσουσι περὶ αὐτοῦ·σὺ δʼ ἀκίνδυνος καὶ πρὸσ οὐδέτερον ἐπιρρεπέστερος. Vgl. zu dieser Textstelle Näf (2010), S. 94. Morgan (2007), S. 555; vgl. Wiseman (1993), S. 130: „[It] approximates to our idea of fiction.“, Köppe (2014a), S. 35 f., Rösler (2014), S. 364, Groeben/Christmann (2014), S. 341, die von einem Fiktionsvertrag zwischen Autor und Leser sprechen, zum Begriff der Fiktion Gabriel (2003), S. 594–598, Schmid (2008), S. 26 f., Heldmanns Auseinandersetzung (2011), S. 49, mit Polybios’ Differenzierung von fahrlässigen und vorsätzlichen Täuschungen, und Martínez/Scheffel (2003), S. 232 f. Vgl. HA Prob. 2,6 f. …, et mihi quidem id animi fuit, ‹ut› non Sallustios, Liuios, Tacito‹s›, Trogos atque omnes disertissimos imitarer uiros in uita principum et temporibus disserendis, sed Marium Maximum, Suetonium Tranquillum, Fabium Marcellinum, Gargilium Martialem, Iulium Capitolinum, Aelium Lampridium ceterosque, qui haec et talia non tam diserte quam uere memoriae tradiderunt. bzw. Aurel. 2,1 …, me contra dicente neminem scriptorum, quan-

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wenn aus heutiger literaturtheoretischer Sicht nicht zu Unrecht eine Geschlossenheit der Ontologie gefordert wird, gemäß der der Diskurs durch die Aufnahme einzelner fiktiver Bestandteile insgesamt zur Fiktivität tendiere,86 ist dennoch eben dieser Hybridcharakter nach antiken Maßstäben als spezifisches Merkmal der römischen Historiographie anzusehen.87 Damit trifft hierauf wie inbesondere auf Tacitus’ Geschichtsschreibung Whites allgemeine Wertung zu, diese seien „sprachliche Fiktionen (verbal fictions), deren Inhalt ebenso erfunden wie vorgefunden ist, und deren Formen mit ihren Gegenstücken in der Literatur mehr gemeinsam haben als mit denen in den Wissenschaften.“88 Aufgrund dieser Befundlage aus Primär- und Sekundärliteratur erscheint es angemessen, auf die Nerobücher der ‚Annalen‘ Theorien anzuwenden, die vorwiegend am modernen historischen Roman entwickelt wurden, der sich ebenfalls aus faktualen und fiktiven Segmenten zusammensetzt.89

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tum ad historiam pertinet, non aliquid esse mentitum, prodente quin etiam, in quo Liuius, in quo Sallustius, in quo Cornelius Tacitus, in quo denique Trogus manifestis testibus conuincerentur, …; vgl. ferner Heldmann (2011), S. 63 Anm. 162 sowie S. 64 Anm. 166, Haase (1855), S. 65 Anm. 337, Zecchini (1991), S. 338, Wiseman (1993), S. 125 sowie S. 134, Mehl (2001), S. 32 sowie S. 152, Pausch (2009), S. 120, und zudem Barthes (1968), S. 180, Batstone (2009), S. 27, De Jong (2004), S. 8: „Just as non-narrative texts may contain narratives, narrative texts may contain non-narrative elements.“, sowie Morgan (2007), S. 563: „Nevertheless, in practice space was often conceded to non-deceptive untruths within works that were generically historiography.“ Vgl. Schmid (2008), S. 37–41, v. a. S. 40: „Im fiktionalen Werk sind also alle thematischen Elemente der erzählten Welt fiktiv: Personen, Räume, Zeiten, Handlungen, Reden, Gedanken, Konflikte usw. Gegen die in der Fiktionalitätstheorie verbreitete Auffassung, in der Fiktion könnten neben fiktiven Objekten auch reale Gegenständlichkeiten (reale Personen, Orte oder Zeiten) erscheinen (mixed-bag conception), soll hier davon ausgegangen werden, dass die fiktive Welt des Erzählwerks eine homogene Ontologie hat, dass alle in ihr dargestellten Gegenständlichkeiten, gleichgültig wie eng sie mit real existierenden Objekten assoziiert werden, grundsätzlich fiktiv sind.“, und Jannidis (2004), S. 129 Anm. 44. Vgl. Köppe (2014a), S. 46: „Autoren können es darauf absehen, Texte zu produzieren, die Grenz- oder Mischfälle darstellen und deren Klassifikation schwierig ist. […] So kann ein Autor seine Leserschaft beispielsweise belehren wollen, indem er eine fiktionale Geschichte erzählt. Der Autor verlässt sich in diesem Fall darauf, dass seine Adressaten die fiktionale Geschichte zum Anlass nehmen, nach einschlägigen Bezügen zur Wirklichkeit zu suchen.“, sowie S. 46: „Es steht allerdings zu vermuten, dass die Redeweise von Graden der Fiktionalität (zumindest oft) etwa dahingehend zu interpretieren ist, dass fiktionale Texte mehr oder weniger stark von der Wirklichkeit inspiriert sind oder mehr oder weniger zuverlässige Annahmen über die Wirklichkeit nahelegen können.“ Zu einer Relativierung der Begriffe Fiktion und Fakt sowie einer „weit reichende(n) Auflösung des traditionellen historischen Wirklichkeitsverständnisses“ vgl. auch Hölscher (2003), S. 30 f. sowie S. 59 zum Verständnis des historischen Ereignisses „als seltsamer Zwitter zwischen Realität und Fiktion“, und des Weiteren Gehrke (2006), S. 395, sowie Klauk/Köppe (2014), S. 19. White (1978/1986), S. 102, und vgl. S. 64: „Eine historische Erzählung ist von daher notwendigerweise eine Mischung von ausreichend und unzureichend erklärten Ereignissen, eine Anhäufung von erwiesenen und erschlossenen Fakten, zugleich eine Darstellung, die Interpretation ist, und eine Interpretation, die als Erklärung des gesamten in der Erzählung widergespiegelten Prozesses gilt“, sowie S. 77. Vgl. Gehrke (2015), S. 226, und Woodman (1988), S. 197. Vgl. Genette (1991/1992), S. 65–68 sowie S. 92, Petersmann (1993), S. 9: „Geht man vom Standpunkt einer umfassenden Narratologie aus, […], mögen die Unterschiede zwischen fiktionalem und faktischem Diskurs nur marginal sein.“, White (1978/1986), S. 36, S. 145 sowie

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1. Autor und Publikum einer frühkaiserzeitlichen Historiographie

Bestimmungsversuch eines Leserkonzepts Die literarische Kommunikationssituation, für die gegenwärtig teils äußerst differenzierte Interpretationsmodelle vorgeschlagen werden,90 war laut Goody und Watt in vornehmlich von Mündlichkeit geprägten Gesellschaften, zu denen die römische Antike zählt, gerade durch die Direktheit ihrer Interaktion zwischen narrativer sowie rezipierender Instanz geprägt. Indem das Geschriebene als Abbild des Gesprochenen galt, wurde der Akt des Lesens noch nicht als einsame Aktivität empfunden, sondern die Denk-, Gefühls- und Handlungsmuster der sozialen Interaktion wirkten sich auf das lesende Individuum aus.91 Demzufolge besaß einerseits der Schöpfer einer Schrift ein klares, facettenreiches und an der Realität orientiertes Bild des intendierten Adressatenkreises, andererseits hatte die Menge der potenziellen Rezipienten zumindest römischer Provenienz konkrete persönlichkeitsbezogene Vorstellungen bezüglich des vermeintlichen Produzenten.92 Während anhand von Rezeptionszeugnissen zu Tacitus’ Werk wie dargelegt kaum eine explizite Leserschaft einzugrenzen ist,93 verheißt ein textimmanenter Ansatz über die Gesamtheit der Vorurteile, die in ‚Annalen‘ und ‚Historien‘ gegenüber bestimmten Volksgruppen bestehen, ebenfalls einen lediglich zweifelhaften

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S. 146: „In dieser Hinsicht ist die Geschichtsschreibung nicht weniger eine Form der Fiktion, als der Roman eine Form historischer Darstellung ist.“, Rawson (1985), S. 217: „In a society in which there was a limited amount of prose fiction […] some historiography probably presented the best light reading available.“, und Schmitz (2002), S. 68: „Genettes narratologisches System darf man heute als das wichtigste bezeichnen, weil selbst diejenigen Narratologen, die es nicht akzeptieren, häufig von seinen Klassifizierungen ausgehen.“ Vgl. Rüpke (1997), S. 30, Fuhrmann (1983), S. 19–21, Pausch (2010b), S. 38, Lendon (2009), S. 41 f., De Jong (2004), S. 8, Nünning (1990), S. 255–257, Weixler/Werner (2015), S. 4 f., Suerbaum (2015), S. 89: „Das Werk des Tacitus ist eine Art historischer Roman.“, und kritisch Martínez/Scheffel (2003), S. 227 f., sowie Porod (2007), S. 137: „Es ist an der Zeit, einseitige moderne Einschätzungen der Gattung Geschichtsschreibung und der innerhalb dieser anerkannten Forschungsmethoden mit Blick auf den eindeutigen Befund einschlägiger antiker Zeugnisse, welche die Vorstellung einer innerhalb der Historiographie als legitim erachteten Fiktionalität nicht kennen, zu korrigieren.“ Vgl. Weinrich (1971), S. 8 f., sowie S. 23 f., Genette (1972/1998), S. 183 f., Becher (1989), S. 7 f. sowie S. 18, De Jong (2004), S. 4, Schmid (2008), S. 107, und Martínez/Scheffel (2007), S. 17–19. Vgl. Goody/Watt (1981), S. 48, S. 80 sowie S. 92, Woodman/Powell (1992), S. 205, die ebenfalls von „a much more intimate and immediate relationship between author and public“ sprechen, Busch (2002), S. 15, Fantham (1998), S. 15, Rüpke (2000), S. 32, Geisthardt (2015), S. 26 sowie S. 324, Schmitz (2002), S. 113 sowie S. 115, und Pausch (2011), S. 41 sowie S. 65, der eine Veränderung der grundlegenden Kommunikationssituation konstatiert, die sich mit zunehmender Professionalisierung der Historiographie von einem konkreten Adressatenbezug abwendet. Vgl. dazu auch die Hinweise Ackermanns (2008), S. 37, und zu den Besonderheiten der Kommunikationssituation beim Lesen Iser (1980), S. 108 f., sowie Meyer-Kalkus (2006), S. 376–379. Vgl. Weinrich (1971), S. 24 sowie S. 27, und zum Postulat einer Konzeption von Autor und Leser für Tacitus’ ‚Annalen‘ Dészpa (2011), Abs. 6. Vgl. Jauss (1975), S. 339, der unter einem expliziten Leser den „historisch, gesellschaftlich und auch biographisch differenzierten Leser“ versteht, und Kap. 1.2.

1.3 Narratologie und antike Historiographie

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Erfolg zur Konstruktion eines aufschlussreichen impliziten Leserbildes. Denn das einfache Volk wird verachtet, Juden und Christen kein Verständnis entgegengebracht, Frauen, Griechen und Orientalen werden gering geschätzt und gegenüber extremen Opportunisten der jeweiligen Kaiserhäuser besteht eine offene Abneigung.94 Letztlich bleibt eine sehr kleine, überaus elitäre senatorische Gruppe von römischen Patrioten mit konservativen Werthaltungen, höchsten literarischen Ansprüchen und der speziellen Absicht übrig, aus der Lektüre von Geschichtsdarstellungen politische Kompetenz zu erwerben, wozu ihnen der Prinzipat im täglichen Leben jegliche Möglichkeit verwehrte.95 Dieses Resultat überrascht indessen in zweifacher Hinsicht nicht: Zum einen entspricht eine Widmung an eine äußerst exquisite und gesellschaftlich sehr angesehene Gruppe, zu der jeder aus subjektiver Sicht gehören möchte, nach Fantham einer von Beginn der Literatur an entwickelten, geschickt angewandten und effektiven Topik, um den Leseanreiz eines Werks zu steigern.96 Zum anderen wendet sich der Autor neben einem zeitgenössischen Publikum mittels dieser bewussten Distanzierung und im Rahmen seiner Vorstellungskraft, die freilich in der römischen Geisteswelt verhaftet ist, einer ihm noch unbekannten, nicht weiter spezifizierten Idealleserschaft der Zukunft zu, um für diese die geschichtliche Erinnerung zu erhalten. Der Identifikation einer konkret fassbaren Rezipientenschaft steht somit nicht nur das Unmittelbarkeitsempfinden einer antiken textuellen Kommunikationssituation entgegen, sondern auch eine sorgfältige Betrachtung der im Diskurs enthaltenen adressatenbezogenen Merkmalsattributionen erweist sich insgesamt als zu wenig informativ. Außerdem ist das Konzept des impliziten Lesers als die „dem 94

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Vgl. die negativen Äußerungen über das Volk 14,14,2, 15,46,1, 15,64,2, hist. 1,4,3, 4,37,1 sowie zur Konnotation des Begriffs uulgus bei Tacitus Seiler (1936), Stegner (2004), S. 201– 203, Schmal (2011), S. 139 f., und Newbold (1976), v. a. S. 89, weiterhin zu Kommentaren über die Juden hist. 5,2,1–5,5 sowie über die Christen 15,44,2–4 und gegenüber Frauen 3,33 f., 14,4,1, 15,54,4 sowie v. a. Späth (2011), S. 139–144, und Schmal (2011), S. 143–146. Vgl. auch Hoffmeister (1831), S. 130 f., Reitzenstein (1926), S. 10, Lowe (1929), S. 258, Walker (1952), S. 27 sowie S. 244, Bauer (1957), S. 503, Shatzman (1974), S. 552 f., Syme (1967), S. 512 f. sowie S. 534, (1970), S. 9, Flaig (2001), Sp. 1213, Friedrich (1970), S. 35, Heldmann (2013), S. 330 f., Koestermann (1963), S. 19 f. und (1968), S. 30, S. 283 sowie S. 342. Wie wenig aussagekräftig und topisch die durch den senatorischen Standpunkt erzwungene Haltung gegenüber dem einfachen Volk jedoch ist, erläutert Hahn (1979/1991), S. 383: „Den weitgehend aristokratischen Charakter unserer gesamten historiographischen Tradition müssen wir vor Augen haben, wenn wir die grundlegend negative Charakteristik des athenischen demos und der römischen plebs urbana bei Thukydides, bei Sallust, bei Appian, bei Tacitus lesen. Das düstere Bild über den städtischen Pöbel, der, politisch vollkommen unzuverlässig, nur seine unmittelbaren Interessen erkennt und jedem heuchelnden Demagogen zugänglich ist, nirgends arbeiten will, sondern überall nur die staatlichen Zuwendungen der Misthophorie bzw. der annona civilis fordert – dieses Bild wurde von der zeitgenössischen Aristokratie geprägt, von Moralisten, Philosophen und Komödiendichtern in literarische Form gegossen und von Historikern verewigt.“ Demgegenüber schließt Marincola (2009), S. 15, weibliche Leser der taciteischen Schriften explizit ein. Vgl. Mehl (2001), S. 18, Luce (1991), S. 2915, Marincola (1997), S. 23, S. 31, sowie (2009), S. 13, Rutledge (1998), S. 141, Ihrig (2007), S. 3, Heldmann (2011), S. 107, und Geisthardt (2015), S. 342. Vgl. Fantham (1998), S. 12.

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1. Autor und Publikum einer frühkaiserzeitlichen Historiographie

Roman eingezeichnete Leserrolle“97 in der Theoriediskussion der Narratologie nicht unumstritten und kann ferner nicht zur Lösung der aus den veränderten Rezeptionsumständen resultierenden Problematik hinsichtlich der Adressatenfigur beitragen.98 Willand merkt sogar an, dass „mit der methodologischen Entscheidung für ein bestimmtes Lesermodell bereits historische Adäquatheitsvorstellungen mit eingeschlossen sein können.“99 Deshalb wird in der vorliegenden Untersuchung auf eine differenzierte Modellierung der Adressatenrolle verzichtet und stattdessen ein einheitliches Leserkonzept angelegt.100 Dieses ist zwischen Willands theoretisch relativ neutralen, ontologischen Kategorien „realer Leser“ und „probabilistischer Leser“101 zu verorten und weist nach Jannidis die drei substanziellen mentalen Fähigkeiten Gedächtnis, Wissen und Inferenzbildung auf.102

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Jauss (1975), S. 339; vgl. Schmid (2008), S. 106, und Fludernik (2006), S. 37. Vgl. dazu Kap. 1.2. Willand (2014), S. 28, sowie vgl. S. 257. Vgl. Iser (1976/1994), S. 60–67, Eco (1979/1990), S. 61–76, der, wie Jannidis (2004), S. 30, erklärt, dasselbe Phänomen als „Modell-Leser“ bezeichnet, De Jong (2004), S. 5 f., Junkerjürgen (2002), S. 13 sowie S. 23 f., Schmid (2008), S. 64–72 sowie S. 103, und Schmitz (2002), S. 103, sowie zur Kritik an Isers Modell des impliziten Lesers, S. 105. Kritisch ist auch Genette (1972/1998), S. 187: „Der extradiegetische Erzähler hingegen kann nur auf einen extradiegetischen narrativen Adressaten zielen, der hier mit dem virtuellen Leser zusammen fällt, mit dem sich dann jeder reale Leser identifizieren kann.“, S. 280: „Denn der extradiegetische Adressat ist nicht, wie der intradiegetische, eine ‚Zwischenstation‘ zwischen dem Erzähler und dem virtuellen Leser: er ist mit dem virtuellen Leser (mit dem der reale Leser sich identifizieren kann oder auch nicht) absolut eins. Mit anderen Worten, was der Erzähler zu seinem extradiegetischen Adressaten sagt, kann der reale Leser unmittelbar auf sich beziehen, […]“, und S. 284. Eine Übersicht über die zahlreichen Lesermodelle in der Forschung bietet Willand (2014), S. 48 f., der zudem, S. 228, die rein textbasierte Rekonstruktion des implizierten Lesers Booths infrage stellt und, S. 290 sowie S. 295 f., das Modell des impliziten Lesers Isers heftig kritisiert. Zur generellen Problematik der Identifizierung eines antiken Leserkreises vgl. Pausch (2011), S. 2 f., Krasser (2002), Sp. 1006 f., Arand (2002), S. 35, Jannidis (2004), S. 9, Geiser (2007), S. 294–297, Suerbaum (2015), S. 49 Anm. 37, und Marincola (2009), S. 12: „The Roman historians are usually silent on the subject“. 101 Willand (2014), S. 68, der seine Lesertypen charakterisiert als „das bereits bekannte Modell des (historisch) realen Lesers, der einen direkten Bezug zwischen relevantem Kontextwissen, das er selbst vermittelt, und Primärtext, bzw. einzelnen Textmerkmalen dieses Primärtextes, herzustellen vermag.“ bzw. „das Modell des probabilistischen Lesers, das eine nicht-reale Modellannahme dieses (historisch) realen Lesers ist. Sein Bezug zu dem historischen Kontextwissen ist kein direkt-vermittelnder, sondern ein bereits reflektierter, abstrahierter oder schematisierter, […].“, und vgl. dazu auch S. 60. 102 Vgl. Jannidis (2004), S. 137, S. 185 sowie S. 237, Willand (2014), S. 96 f., sowie zu dem Problem, dass der reale Leser immer nur ein mentales Konstrukt, eine modellartige Vorstellung sein kann, da er ja vom Hermeneut expliziert wird, S. 223–225, und auch die Überlegungen Ihrigs (2007), S. 38.

1.3 Narratologie und antike Historiographie

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Differente leserseitige Gattungswahrnehmung In die Überlegungen zum narrativen Adressaten ist unter Rekurs auf den letzten Satz von Morgans Fiktionsdefinition103 weiterhin einzubeziehen, dass nach Bareis’ Ansicht „die Auffassungen darüber, was als Fiktion gilt, sowohl soziokulturell als auch historisch variabel (sind), während das Phänomen selbst historisch sowie soziokulturell stabil erscheint.“104 Mit dem Genre Geschichtsschreibung assoziiert der heutige Rezipient nämlich intuitiv eine faktuale Erzählung, deren angenommenen Grenzen die augenfällige dramatische Freiheit der antiken Gattungsform widerstrebt. Ob der zeitgenössische Leser allerdings ein vergleichbares Spannungsverhältnis zwischen paratextueller Ankündigung und tatsächlicher Umsetzung empfand, ist fraglich und macht auf einen zentralen leserseitigen Unterschied zwischen damaliger und moderner Fiktionalitätswahrnehmung aufmerksam.105 Nach Contes Meinung dürfte einem Rezipienten in der Antike schon angesichts gewisser Vorstellungen, die nachweisbar mit einigen Genres verknüpft waren,106 sowie der heterogenen historiographischen Diskursspezifika bewusst gewesen sein, welche Richtlinien für die Darstellung galten. Als Geschichtswerk ausgewiesen wurde ein Text einerseits durch konkrete Titel wie libri ab urbe condita oder libri ab excessu diui Augusti,107 die als thematische Titulaturen wohl weniger eine Verlockungs- als vielmehr eine reine Bezeichnungsfunktion erfüllten sowie den Inhalt angaben.108 Andererseits dienten hierzu die einhelligen topischen Objektivitätsversprechen in den Proömien geschichtlicher Werke, die Leeman zutreffend als „extended titles, insofar as they too contain information on the author and the subject,“109 bezeichnet.110 Für den Leser waren beide Elemente vermutlich 103 „Fiction is neither truth nor lie: both sender and recipient recognize it for what it is.“ (Anm. 84). 104 Bareis (2014), S. 61; vgl. dazu Zipfel (2014), S. 104. 105 Vgl. zu paratextuellen Elementen Genette (1991/1992), S. 89 f., Schmid (2008), S. 33 f., Lämmert (1980), S. 143 f., Silk (2012), S. 848, und Zipfel (2014), S. 98 sowie S. 118. Vgl. zur Metaspannung und zum Lektüre determinierenden Charakter paratextueller Elemente Fill (2007), S. 59–61, Deupmann (2008), S. 113, Onea (2014), S. 71, Groeben/Christmann (2014), S. 342, Jaeger (2015), S. 379, und Fludernik (2006), S. 27, S. 34 f. sowie S. 74: „Ein Buch, dessen Untertitel ‚Roman‘ lautet bzw. das sich in der Buchhandlung oder im Katalog in der Rubrik ‚Geschichte‘ anfindet, wird dementsprechend gelesen.“ 106 Vgl. Anm. 63, Pitcher (2009), S. 12, Treu (1984), S. 458, und Pomeroy (2012), S. 147 f. 107 Vgl. zur Frage des Originaltitels der ‚Annalen‘ OLIVER (1951), S. 258 sowie S. 260, und (1977), S. 290 Anm. 5, Koestermann (1963), S. 55, SYME (1967), S. 253 Anm. 1 sowie S. 687, BORZSÁK (1968), Sp. 442, Schmal (2011), S. 62, Martin (1990), S. 1504 Anm. 15, Sage (1990), S. 953 f., Zecchini (1991), S. 347 f., Pitcher (2009), S. 2 f., und MURGIA (2012), S. 19 f., sowie allgemein zu Funktionen von Titulaturen Genette (1987/1992), S. 41 sowie S. 66. 108 Vgl. Genette (1987/1992), S. 77 sowie S. 82, und Jannidis (2004), S. 65. 109 Leeman (1973/1985), S. 317, und vgl. Mendell (1935/1969), S. 434: „Es ist recht deutlich, daß der Topos vom Interesse des Gegenstandes wie der vom praktischen Wert der Geschichte und auch die Versicherung absoluter Wahrheitstreue dazu dienen sollen, Interesse und Vertrauen des Lesers zu gewinnen.“, sowie demgegenüber die unpassende Bewertung Nickbakhts (2005), S. 24. 110 Vgl. Genette (1987/1992), S. 200, Pitcher (2009), S. 28, Vogt (1936/1969), S. 43 f., Näf (2010), S. 146, Leeman (1973/1985), S. 318, Heldmann (2011), S. 46, und zum Charakter des

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bereits ein Rezeptionssignal von mehreren dafür, dass er im Folgenden eben paradoxerweise keine ausschließlich faktische – ein Authentizitätsanspruch, den die amtliche Form der annales äußerlich theoretisch evozieren könnte –, sondern eine faktisch-fiktive Erzählung zu erwarten hatte.111 Dies steht Lendons Behauptung entgegen, der aus dem Fehlen regelmäßiger Quellenverweise in der antiken Historiographie schließt, diese seien nicht notwendig gewesen, da der zeitgenössische Leser a priori wusste, dass alles Nachstehende die Wahrheit abbilde.112 Umgekehrt sind diese aber genauso entbehrlich, wenn der Rezipient das Gegenteil annimmt.113 Je nach Fall besteht für den Autor also die Möglichkeit, durch die Integration beteuernder Quellen lokal das Faktische vom Fiktiven abzuheben oder vice versa auch Fiktives durch scheinbare Quellenangaben als Fakten auszugeben – ein Vorgehen, welches Seneca der Jüngere in seinen naturales quaestiones als gängige Methode der Geschichtsschreiber benennt.114

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Proömiums als vorstrukturierendem Element auch Lämmert (1980), S. 147: „Durchweg handelt es sich bei solchen Einführungen um ein unmittelbares Zwiegespräch zwischen dem Erzähler und seinen Zuhörern, unmittelbarer jedenfalls als ihre Korrespondenz während des zu erzählenden Handlungsverlaufs.“ Vgl. Petzold (1993), S. 155: „Die amtliche Form sollte demnach einen Wahrheitsanspruch dokumentieren, der durch den Inhalt nicht gegeben war.“, sowie S. 156, Petersmann (1993), S. 11 f., Pausch (2010a), S. 199 f., (2010b), S. 48: „Verständnis der Geschichtsschreibung als einer primär literarischen Gattung“, Mehl (2001), S. 29 f.: „Daher war ihm (sc. dem Leser) der Wahrheitsanspruch der Historiographie als literarisch-rhetorisch begründet und dabei als Eigenheit einer literarischen Gattung in Unterscheidung von einer anderen Gattung, der Dichtung, bekannt.“, White (1978/1986), S. 121 sowie S. 144, Allgeier (1957), S. 1, Walter (2006), S. 41 f., Perl (1984), S. 564, Pfister (2001), S. 68–72, und demgegenüber Geisthardt (2015), S. 25, sowie Martínez/Scheffel (2003), S. 230 f. Ergänzend merkt Zipfel (2014), S. 102 f., an, dass „bei der konkreten Textrezeption die Fiktionalität eines Textes gewöhnlich nicht an einem Signal festgemacht (wird), sondern an einem Zusammenspiel verschiedener Signale, und die Einordnung eines Textes als fiktional […] in der Regel auf einer vom Rezipienten mehr oder weniger reflektiert vorgenommenen Bewertung von verschiedenen textuellen und paratextuellen Phänomenen beruhen (wird).“ Vgl. dazu Groeben/Christmann (2014), S. 345. Vgl. Lendon (2009), S. 55: „Historians took it for granted that their readers would accept nearly everything they said as true without needing to argue it. The elementary business of the Latin (or Greek, after Herodotus) historian is to relate a series of events without telling his reader where he got the information about them, or stopping to say why his reader should believe him: a convention that only works if the reader already accepts that the truthfulness of what he is being told is pre-emptively vouched for the genre of the work he is reading. Otherwise, every statement the historian made would have to be supported by evidence and eyewitness testimony, or argued for […]“. Vgl. Demandt (1986), S. 60, der angibt, dass der Leser gerade in einem historischen Roman nicht erfährt, „an welchen Stellen der Autor die Quellen ergänzt und aus welchen Gründen er das so und nicht anders tut“, und Suerbaum (2015), S. 252 f., der betont, dass „wohl kaum ein Leser nach seiner (sc. Tacitus’) Quelle fragt und schon gar nicht nach der Vertrauenswürdigkeit dieser Quelle. Das eben ist die Wirkung, wenn ein Autor scheinbar schlicht Fakten vorbringt, ohne zu erkennen zu geben, woher er sie kennt.“ Sen. nat. 4,3,1 aut quod historici faciunt et ipse faciam: illi cum multa mentiti sunt ad suum arbitrium, unam aliquam rem nolunt spondere, sed adiciunt: ‚penes auctores fides erit.‘ Vgl. Wiseman (1993), S. 135, Flach (1973b), S. 73, Suerbaum (2015), S. 250, Mehl (2001), S. 32

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Zudem belegen diesen paradoxen Gebrauch topischer Phrasen in historiographischen Proömien gerade die ironischen Einleitungen zu Senecas ‚Apokolokynthosis‘ und zu Lukians ‚Wahren Geschichten‘,115 die unter Angabe dieses paratextuellen Elements als Geschichtsschreibung gelesen werden wollen.116 Ebenso ist Quintilians Diktum weniger als Entbehrlichkeit der Prüfung des historischen Wahrheitsgehalts als vielmehr als Prüfungsverbot zu verstehen,117 da die Lesefreude abhanden käme, wenn die Gattung entgegen ihres grundlegenden Erzählcharakters rezipiert würde. Das Entfallen einer von zeitgenössischen Lesern vorgenommenen Authentizitätsprüfung ist somit gleichfalls kein Zeichen für die absolute Verlässlichkeit des Texts, sondern für eine stille Übereinkunft zwischen Autor und Leser über die faktisch-fiktive Ausgestaltung des Diskurses und für eine damit einhergehende Rezeptionsempfehlung.118

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sowie S. 151, der dies außerdem als typisches Vorgehen der Autoren der ‚Historia Augusta‘ beschreibt, und die treffende Anmerkung Martens (2015), S. 168: „Unlike fictional narratives, non-fictional narratives can in principle be subjected to fact-checking. However, the mere possibility of fact-checking non-fictional narrative does not imply that people actually take advantage of this possibility. Hybrid text genres like docu-fictional novels successfully disturb the ability to discern between fact and fiction.“ Vgl. Sen. apocol. 1,1 f. und Lukian. VH 1,4 mit Georgiadou/Larmour (1998), S. 1 f., S. 29, S. 51 sowie S. 57 f. Vgl. Flach (1973b), S. 69: „Die eigene Wahrheitsliebe zu beteuern, war längst zu einem festen Bestandteil des historischen Proöms geworden. Wie wenig solche Beteuerungen von einem gebildeten Leser der frühen Kaiserzeit in ihrem vollen Wortsinn ernst genommen wurden, verrät Senecas hintergründiger Spott über diesen Historikergebrauch.“, Vogt (1936/1969), S. 44, Kierdorf (1978), S. 25, Malitz (1990), S. 348, Ammerbauer (1939), S. III, Wiseman (1993), S. 123, Woodman (2012b), S. 11 f., Nickbakht (2005), S. 25, Schmal (2011), S. 105, Leeman (1973/1985), S. 338, Genette (1987/1992), S. 161, und Morgan (2007), S. 554 f., der gerade dies als Beglaubigungsstrategie des Romans benennt, dessen Ursprung er in einer entarteten Geschichtsschreibung erblickt. Vgl. zu dieser Entstehungsthese auch Jaeger (2000), S. 326, Effe (1975), S. 137, Holzberg (1986), S. 43 sowie S. 45, Treu (1984), S. 456–459, Momigliano (1978/1998), S. 16, und Bachtin (1975/1979), S. 255. Vgl. zum Verständnis einer Gattungsnennung als Leseanweisung Genette (1987/1992), S. 17: „Roman bedeutet nicht ‚dieses Buch ist ein Roman‘, eine definitorische Behauptung, über die man kaum frei verfügen kann, sondern eher: ‚Betrachten Sie bitte dieses Buch als Roman‘.“, und Zipfel (2014), S. 120. Vgl. Quint. inst. 10,1,31 mit Anm. 70. Der Auffassung im Sinne eines ‚muss nicht geprüft werden‘, auf der Lendons (2009) Argumentation, S. 55, letztendlich beruht, ist gewiss das gängigere Verständnis eines verneinten prädikativen Gerundivs, ‚darf nicht geprüft werden‘, vorzuziehen; vgl. dazu Ax (1990), S. 139. Damit wiederum gegen Lendon (2009), S. 55: „The lack of proving in Latin historical works shows that author and reader knew perfectly well that they were engaged in something quite different from forensic rhetoric, that history was an undertaking where both parties took the essential veracity of what was being related for granted.“ Gegen die Entfremdung der Historiographie von der zum Forum gehörenden Rhetorik spricht freilich die ciceronianische Bezeichnung der Geschichtsschreibung als opus … unum hoc oratorium maxime (leg. 1,5) wie auch Quintilians Urteil, historia quoque alere oratorem quodam uberi iucundoque suco potest (inst. 10,1,31), wobei bei beiden Empfehlungen literaturästhetische Gesichtspunkte im Vordergrund stehen; vgl. White (1978/1986), S. 92 sowie S. 152, Gehrke (2015), S. 227, Pausch (2011), S. 4 f., Woodman (1988), S. 198 f., Steinmetz (1982), S. 144, Ax (1990), S. 147, Perl (1984), S. 565, Vogt (1957/1960), S. 134, Mehl (2001), S. 24, und Heldmann (2011), S. 30 f., sowie (2013), S. 347 f., der von einem „Konsens mit den Lesern (spricht), die, da sie

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Aufgrund seiner paratextuellen Signale wird das taciteische Werk folglich zwar zu jeder Zeit als Geschichtsschreibung deklariert, die hiermit verknüpften genrespezifischen Konventionen und leserseitigen Assoziationen unterliegen jedoch einer grundlegenden kulturgeschichtlichen Veränderung. Während die erläuternden Angaben das Verständnis eines heutigen Rezipienten behindern können, wenn er sich ihrer diachronen Transformation nicht bewusst ist, sollten sie den antiken Leser optimal auf eine Lektüre mit faktisch-fiktivem Gehalt einstimmen. Das Beispiel der Historiographie widerlegt demzufolge Martínez’ und Scheffels Aussage, dass paratextuelle Elemente Epochen und Nationalliteraturen übergreifend einen Text einheitlich als fiktiv ausweisen müssen.119 1.4 IDENTITÄT UND ERWARTUNGEN DER NARRATIVEN INSTANZ 1.4.1 Tacitus als Erzähler Autor- vs. narratorbezogene Interpretation Auch wenn in der narratologischen Forschung eine Differenzierung der produzierenden Instanz in Autor und Erzähler streng vorgenommen wird und methodisch grundsätzlich plausibel sowie sinnvoll ist,120 erscheint die Anwendung einer solchen konzeptuellen Trennung auf antike Literaturverhältnisse und deren jeweils eigenen Gesetzmäßigkeiten folgenden Gattungen aufgrund verschiedener Aspekte diskussionswürdig. Ihre interpretative Zweckmäßigkeit wird nämlich offensichtlich durch die generell desolate Informationslage bezüglich damaliger Autoren enorm begrenzt, da deren heute noch greifbare Lebensdaten vielfach überwiegend aus einer biographischen Lesart ihrer Werke gewonnen werden.121 Würden beispielsweise all diejenigen Eigenschaften, die mangels alternativer Quellen zur Rekonstruktion der historischen Persönlichkeit Cornelius Tacitus herangezogen werden, die Fiktion selbstverständlich durchschauen und ihnen das literarische Verfahren wohlvertraut ist, zu Komplizen des Autors werden.“ 119 Vgl. Martínez/Scheffel (2007), S. 16, Petersmann (1993), S. 9, der den Gegensatz zwischen Faktischem und Fiktionalem erst ab dem 19. Jahrhundert erkennt, und dazu Willand (2014), S. 33, White (1978/1986), S. 147–149, Woodman (1988), S. 197, Hölscher (2003), S. 12, Schmitzer (2005), S. 356, sowie Heldmann (2011), S. 15: „Der Großzügigkeit, mit der man immer wieder implizit und explizit die Geschichtsschreibung von zweieinhalb Jahrtausenden auf einen Nenner zu bringen glaubt, kann gar nicht entschieden genug widersprochen werden.“ 120 Vgl. De Jong (2004), S. 1: „It is an important principle of narratology that his narrator cannot automatically be equated with the author, even when he bears the same name; rather, he is a creation of that author.“, und Booth (1961/1974a), S. 80: „Mit ‚Erzähler‘ wird gewöhnlich das ‚Ich‘ eines Werkes bezeichnet, doch ist das ‚Ich‘ selten, wenn überhaupt, identisch mit dem Bild, das das Werk vom Künstler vermittelt.“ Vgl. auch die Ausführungen Fluderniks (2006), S. 69–72, und zur Problematik des Erzählerbegriffs Scheffel (2006), S. 94 f., Jannidis (2004), S. 24, sowie Cohn (1990), S. 794. 121 Vgl. dazu Scheidegger Lämmle (2016), S. 16: „Hier ist das Lebenswerk nichts anderes als ein Substrat von Texten. Es ist der Text selbst, der auf den Status des Autors als einer historischen Figur pocht.“, S. 62 sowie dessen Kritik am Biographismus S. 52 f.

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auf den Erzähler seiner Schriften projiziert, schwände das vorhandene Wissen über die reale Person und deren gesellschaftlich-kulturelle Situierung merklich. Übrig blieben dann lediglich wenige Angaben aus den Briefen Plinius’ des Jüngeren, einer Inschrift über Tacitus’ prokonsularische Statthalterschaft in der Provinz Asia und einer fragmentarisch erhaltenen, bei der Via Nomentana aufgefundenen und ihm zugewiesenen Grabplatte.122 Falls dabei zusätzlich sogar noch das hypothetische Konstrukt eines impliziten Autors, das Genette und Nünning berechtigt infrage stellen,123 berücksichtigt werden sollte, wäre zwar eine methodisch präzise Zergliederung erreicht. Angesichts der Diffusion der spärlichen Informationen auf die heterogenen Subjekte fielen diese jedoch jeweils de facto der Bedeutungslosigkeit anheim, sodass daraus kaum ein Mehrwert für die vorliegende Untersuchung zu erkennen ist. Außerdem fehlen in der klassischen Antike zumindest nach aktueller Überlieferungslage fundierte literaturtheoretische Reflexionen über die Ambivalenz der Sprecherinstanz und ebenso sind Textstellen, die diesbezüglich ein implizites Bewusstsein offenbaren, rar sowie jeweils fallspezifisch. Denn die Hinweise hierauf in Catulls carmen 16, in dem die Zulässigkeit eines Rückbezugs der erotischen Verse auf den Autor strikt verneint wird,124 und in einem Passus von Ovids ‚Tristien‘, in der sich das lyrische Ich selbst einen größeren Gestaltungsfreiraum als dem Verfasser zubilligt,125 zeugen von einer vorrangig an der je kontextbezogenen Argumentationsabsicht orientierten Bestimmung der auktorialen Verhältnisse, die nicht verallgemeinerbar ist. Dies unterstreicht insbesondere, dass Ovid an anderer 122 Vgl. Griffin (1999), S. 141 sowie S. 157 f., Röver/Till (1962), S. 7, und zu Tacitus’ Leben allgemein Reitzenstein (1926), S. 7, Schanz/Hosius (1935), S. 603 f., Walker (1952), S. 162 f., Woodcock (1939), S. 1–3, Pöschl (1968), S. IXf., Schmal (2011), S. 14–18, Suerbaum (2015), S. 22 f., Mehl (2001), S. 119, Martin (1981), S. 26–30, Shotter (1989), S. 1 f., Borzsák (1968), Sp. 376–399, Syme (1962), S. 251, (1967), S. 58–74 sowie S. 535, und Koestermann (1963), S. 11–15, sowie speziell zu Tacitus’ Herkunft ders. (1965b), Syme (1967), S. 611–624, und Nickbakht (2005), S. 65 f. Vgl. zu biographischen Angaben, zur Zuweisung sowie zur Rekonstruktion der Grabinschrift Alföldy (1995). 123 Vgl. Genette (1983/1998), S. 285 f. mit der Schlussfolgerung S. 286: „Eine Fiktionserzählung wird fiktiv von ihrem Erzähler produziert und faktisch von ihrem (realen) Autor; zwischen ihnen wird kein Dritter aktiv, und jegliche textuelle Performanz kann nur dem einen oder anderen zugeschrieben werden, je nachdem, welche Ebene man wählt.“, sowie S. 288: „So gesehen ist der implizierte Autor der authentische reale Autor.“ Nünning (1998), S. 13, bezeichnet das Konzept des impliziten Autors sogar als „undefinierte Verlegenheitsformel“, und sieht, S. 14, insgesamt den Verdacht bestätigt, „daß der implied author als Sammelbecken für all jene Aspekte dient, die die Erzähltheorie nicht ohne weiteres im Rahmen eines kohärenten Modells integrieren kann.“ Vgl. zum impliziten Autor Booth (1961/1974a), S. 156, den er allerdings als implizierten Autor bezeichnet, Bal (1997), S. 18, Fludernik (2006), S. 24, De Jong (2004), S. 4, und Jannidis (2004), S. 21. Auf die Diskussion verweisen ausführlich Schmid (2008), S. 46 sowie S. 51–64, der ihn abstrakten Autor nennt, und knapp Zeller (2003a), S. 503. 124 Catull. 16,3–6, 12 f. …/, qui me ex uersiculis meis putastis,/quod sunt molliculi, parum pudicum./nam castum esse decet pium poetam/ipsum, uersiculos nihil necesse est;/…/uos, quod milia multa basiorum/legistis, male me marem putatis? …; vgl. dazu auch Sailor (2008), S. 7, und Scheidegger Lämmle (2016), S. 201 mit Anm. 23. 125 Ov. trist. 2,355 f. …/magna pars mendax operum est et ficta meorum:/plus sibi permisit compositore suo.

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Werkposition mit der als autobiographische Sphragis stilisierten Briefelegie 4,10 ebenso wie schon in den ‚Amores‘ oder der ‚Ars‘ eine persönliche Bezugnahme hingegen explizit anstrebt,126 was mit Verweis auf Horaz’ berühmtes carmen 3,30 in der Poesie offenbar nicht unüblich war. Abgesehen von diesen Passagen aus der Dichtung, deren künstlerische Gepflogenheiten nur eingeschränkt mit denjenigen der Historiographie gleichsetzbar sind, vermeidet zudem gerade der Erzähler in Caesars Commentarii, die unter einem erweiterten Gattungsbegriff als Geschichtsschreibung bezeichnet werden können, bekanntlich nicht nur jegliche Identifikation mit der Person des historischen Feldherrn. Vielmehr werden beide Figuren durch diese geschickt gewählte Präsentationsstrategie sorgfältig voneinander geschieden, um suggestiv eine notwendige Distanz zum Geschehen herzustellen und den Bericht zu objektivieren.127 Aus den voranstehenden Referenzstellen wird folglich keine systematische Unterscheidung von realem Urheber und textuellem Sprecher, sondern lediglich deren intuitive, zweckgebundene Anwendung evident, um kritische Aussagen nachträglich zu relativieren oder eine gewisse Darstellungsdistanz zu erzielen. Darüber hinaus legen die von Catull und Ovid empfundene Notwendigkeit zur ausdrücklichen Betonung dieser Ambivalenz sowie die von Caesar zu deren Erzeugung narrativ aufgebotenen Bemühungen im Umkehrschluss sogar nahe, dass Textmedien sonst nach gängiger leserseitiger Wahrnehmung direkt auf den Autor bezogen wurden.128 Dies ist zum einen ein wesentliches Charakteristikum der damaligen literarischen Kommunikationssituation129 und stimmt mit Marincolas diesbezüglicher Annahme überein: „Where moderns might speak of a narrator or implied narrator, the ancients spoke of the man himself.“130 Zum anderen ist eine derartige auf die Person des Verfassers rekurrierende Rezeptionsauffassung speziell bei der senatorischen Geschichtsschreibung zu erwarten, da deren aufrichtige Berichterstattung vornehmlich durch die erfahrungsreiche Autorität ihres kulturell affinen, politisch verdienten und gesellschaftlich ehrwürdigen Urhebers legitimiert wird.131 Diese Sichtweise ist mit Genettes moderner Definition narrativer Identität zwar insofern vereinbar, dass für eine Ausdifferenzierung der Sprecherinstanz 126 Ov. ars 2,744 … Naso magister erat. und 3,812 … Naso magister erat. bzw. am. 1,1 f. qui modo Nasonis fueramus quinque libelli,/tres sumus; … und 2,1,2 ille ego nequitiae Naso poeta meae. Vgl. dazu auch Scheidegger Lämmle (2016), S. 178 f., S. 195–197 sowie S. 201: „Vielmehr arbeitet Ovid der Gleichsetzung von Dicher und Werk aktiv zu.“ 127 Besonders deutlich tritt diese Spannung zwischen Autor- und Erzählerfigur exemplarisch an folgenden beiden Stellen hervor: Gall. 4,17,1 Caesar his de causis, quas commemoraui, Rhenum transire decreuerat bzw. 7,17,1 castris ad eam partem oppidi positis Caesar, quae intermissa a flumine et a paludibus aditum ut supra diximus angustum habebat, aggerem apparare, … coepit. Demgegenüber wirkt es natürlicher, wenn der Erzähler des achten Buchs des bellum Gallicum, der sich als Caesars Gefolgsmann Aulus Hirtius ausgibt, über den historischen Caesar in der dritten Person spricht. Vgl. Barthes (1968), S. 175, Marincola (1997), S. 175, Genette (1991/1992), S. 82, und Pelling (2009a), S. 507. 128 Vgl. dazu auch Scheidegger Lämmle (2016), S. 61. 129 Vgl. Anm. 91. 130 Marincola (1997), S. 132. 131 Vgl. ausführlich Marincola (1997), S. 128–174, und diesen aufgreifend Pausch (2011), S. 11.

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„nicht die numerische Identität im Sinne des Personenstands, sondern die ernsthafte Beglaubigung einer Erzählung durch den Autor, der für ihren Wahrheitsgehalt bürgt,“132 ausschlaggebend sei. Als problematisch ist daran unter heutigem narratologischen Blickwinkel allerdings zu erachten, dass der historische Schöpfer Tacitus trotz aller Wahrheitsbeteuerungen unmöglich für alle von ihm erwähnten Einzelheiten persönlich einstehen konnte.133 Dies betrifft beispielsweise eingelegte Reden, subjektive Gedankengänge, abenteuerliche Gerüchte, dramatisierte Sterbeszenen oder unheilkündende Prodigien134 und auch in auktorialen Kommentaren wiedergegebene Emotionen, die nicht mit dessen realer Gefühlslage während des Schreibakts übereinstimmen mussten.135 Während die Betrachtung eines derart aus faktualen und fiktiven Elementen bestehenden Diskurses aus derzeitiger literaturtheoretischer Perspektive eine separate Erzählerfigur mit allwissendem Kenntnisstand miteinbezieht,136 beeinflusste dessen hybride Ontologie trotz bereits existenter Kritik an offensichtlich fiktiven Textbestandteilen wie referierter Personenrede und -gedanken137 die ausschließlich autorbezogene Wahrnehmung der Geschichtsschreibung in der Antike nicht. Um das damalige Rezeptionsverhalten hinreichend zu würdigen und trotzdem narratologische Ansätze adäquat zu beachten, wird die Aussageinstanz der taciteischen Werke in den nachstehenden Analysen mit dem Historiographen identifiziert und dementsprechend als Tacitus bezeichnet, dabei aber stets dessen textuelle Funktion als Erzähler fokussiert.138 Da dieser in den Nerobüchern bereits auf eine 132 Genette (1991/1992), S. 85, und vgl. Scheidegger Lämmle (2016), S. 52: „Die Autorschaft eines Werkes geht aus diesem selbst nicht notwendig hervor (oder, wie wir sehen werden: sie geht aus ihm selbst notwendig nicht hervor). Es bedarf ihrer externen Beglaubigung […].“, sowie S. 58: „Die Beglaubigung von Autorschaft bleibt im Text aber notwendig mangelhaft; niemals wird sie absolut den Zusammenhang von Werkstruktur und realhistorischem ‚Leben‘ verbürgen können.“ 133 Vgl. Genette (1991/1992), S. 80 f. sowie S. 87 f. 134 Vgl. Abschn. 3.4.3, Abschn. 3.4.2, Abschn. 3.3.2 bzw. Abschn. 4.3.3, Abschn. 4.3.2 und Abschn. 2.5.2 sowie Morgan (2007), S. 558: „It is clear that many writers of ‚history‘ in antiquity included in their texts material that they must have known to be factually untrue.“ 135 Vgl. Booth (1961/1974a), S. 89: „Daß zwischen den Empfindungen eines Autors und irgendeiner erforderlichen Technik oder dem Grad der Vollkommenheit seines Werkes keine Beziehung besteht, darauf deutet die Tatsache, daß wir ohne äußere Beweise niemals mit Sicherheit feststellen können, ob ein Autor sein Werk empfunden oder mit kühler Distanz geschrieben hat.“, sowie S. 90. 136 Vgl. Genette (1991/1992), S. 80 sowie S. 84 f., Cohn (1990), S. 792, sowie (1995), S. 110, und Jaeger (2000), S. 332. 137 Vgl. dazu eingehend Abschn. 3.4.1 sowie insbesondere Anm. 337 f. 138 Vgl. Syme (1962), S. 254, sowie (1970), S. 10: „The writer and the man are not always the same person.“, Geisthardt (2015), S. 325: „Das taciteische Selbstbild in den Annalen, das in der Konzeption der Erzählerfigur zum Ausdruck kommt, ist also nur ein Teil eines Entwurfs einer spezifischen persona, die sich in einem äußerst limitierten Bereich sozialer Praxis konstituiert. […] Kurz gesagt: Man darf den Tacitus der Annalen und seine Äußerungen nicht unmittelbar mit der Rekonstruktion eines historischen Akteurs und seinen Meinungen gleichsetzen, […].“, Genette (1991/1992), S. 86: „Der Autor […] ist mit […] dem Erzähler […], selbst wenn sie einige (nicht alle) biographische Züge gemeinsam haben, nicht funktional identisch, […]“, Sailor (2008), S. 8, Suerbaum (2015), S. 384 Anm. 243 inklusive der diesbezüglichen Kritik

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eigene Narrationsgeschichte und -erfahrung zurückblickt und aufgrund seiner rhetorischen Gewandtheit eine überlegte, langfristige Gestaltung von Einführung und Auftreten des personalisierten Sprechers sowie seiner Intentionen anzunehmen ist,139 sollen im Folgenden wesentliche diesbezügliche Aspekte vorwiegend anhand der Proömien der Schriften mit historischem Inhalt skizziert werden. Konsistente Identitätskonstruktion eines Autorerzählers Deutlich geprägt von seinen Erlebnissen unter Domitians Schreckensregime und der gegenwärtigen Aufbruchsstimmung zu Beginn des Adoptivkaisertums unter Nerva und Trajan140 tritt Tacitus im autographen Proömium seines literarischen Erstlings ‚Agricola‘ als homo- und extradiegetischer Erzähler auf.141 Er stellt sich selbst als Agricolas Schwiegersohn vor und berücksichtigt vor allem in Einleitung und Schluss zahlreiche autobiographische sowie womöglich exkulpatorische Elemente,142 die beim Rezipienten keinen Zweifel an der personellen Identität der

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von Künzer (2015), Sp. 1, und zum Verhältnis von Autor sowie Erzähler bei Herodot, Thukydides und Xenophon De Jong (2004), S. 9, sowie bei Livius Pausch (2011), S. 11. Vgl. Büchner (1964), S. 55: „Tacitus rechnet mit einem Publikum, das sein gesamtes Schaffen verfolgt, das jeweils das Frühere gelesen hat.“, und Scheidegger Lämmle (2016), S. 55. Agr. 2,3–3,1 dedimus profecto grande patientiae documentum; et sicut uetus aetas uidit quid ultimum in libertate esset, ita nos quid in seruitute, adempto per inquisitiones etiam loquendi audiendique commercio. memoriam quoque ipsam cum uoce perdidissemus, si tam in nostra potestate esset obliuisci quam tacere. nunc demum redit animus; et quamquam primo statim beatissimi saeculi ortu Nerua Caesar res olim dissociabiles miscuerit, principatum ac libertatem, augeatque cotidie felicitatem temporum Nerua Traianus, nec spem modo ac uotum securitas publica, sed ipsius uoti fiduciam ac robur adsumpserit, …; vgl. zum Einfluss derartiger Erfahrungen auf das individuelle Geschichtsbild einer Generation Hölscher (2003), S. 51 sowie S. 56, Pöschl (1962/1969), S. 166, Koestermann (1963), S. 15 f., Leeman (1973/1985), S. 343, v. Albrecht (1988), S. 59, Beck (1998), S. 17, Gehrke (2006), S. 386, Müller (2003), S. 197 f., Mehl (2001), S. 123 f., und kritisch Timpe (1988/2007), S. 247 f. Vgl. zu den Begrifflichkeiten Genette (1972/1998), S. 175 sowie S. 163, (1987/1992), S. 173, Martínez/Scheffel (2007), S. 83 f., und Schmitz (2002), S. 71, bzw. zu deren Existenz auch in faktualen Erzählungen Genette (1991/1992), S. 79 sowie S. 83, und hingegen kritisch Schmid (2008), S. 88 f. Agr. 1,1–3,3 … nostris quidem temporibus … narraturo mihi … petissem … legimus … dedimus … nos … perdidissemus … in nostra potestate … corpora nostra … ut ‹sic› dixerim … nostri superstites sumus … uenimus … soceri mei …, 9,6 consul egregiae tum spei filiam iuueni mihi despondit ac post consulatum collocauit, …, 45 f. … nostrae duxere Heluidium in carcerem manus; nos … nos … suspiria nostra … sed mihi filiaeque eius … excepissemus … figeremus … noster hic dolor, nostrum uulnus, nobis … colamus … praeceperim … putem … amauimus, quidquid mirati sumus, …; vgl. Büchner (1964), S. 27, der das Proömium des ‚Agricola‘ für sehr persönlich hält: „Kann sich der Geschichtsschreiber während der eigentlichen Geschichtserzählung in die Situation des Lesers versetzen und von ihr aus formulieren, ist das noch leichter im Proömium möglich, wo diese Beziehung zum Leser fast briefartig eng ist.“, Leeman (1973/1985), S. 342: „There may be an implied ‚autobiographical‘ aspect in his biography“, sowie S. 347, Schmal (2011), S. 27, Walker (1952), S. 188, Geisthardt (2015), S. 24, S. 27 f., S. 44 sowie S. 79, und Ash (2006), S. 25, wobei Röver/Till (1962), S. 29, sowie (1969), S. 14, einer allzu starken Exegese autobiographischer Elemente eher skeptisch gegen-

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auktorialen Sprecherfigur aufkommen lassen.143 Diese reiht indes nicht nur die vorliegende enkomiastische Schrift, die keineswegs Anspruch auf eine objektive Darstellung erhebt, in die Tradition römischer Biographien ein,144 sondern legt bereits ein eindeutiges literarisches Programm dar.145 Dieses fokussiert auf Ursachen für den Niedergang eines aufrichtigen öffentlichen Diskurses sowie des Verlusts der politischen Freiheit beziehungsweise Möglichkeiten zu einer würdevollen senatorischen Existenz unter dem Prinzipat,146 sodass Büchner nicht unpassend bemerkt: „Mit diesen Gedanken und dem daraus entspringenden Urteil über die Zeit steht Tacitus im Wesentlichen seiner Geschichtsauffassung, nicht nur dem Bewußtsein seiner Absichten, fertig vor uns da.“147 Darauf nimmt der Autor im Proömium der ‚Historien‘ ebenso wie später der ‚Annalen‘ jeweils explizit Bezug und fügt ein ähnlich lautendes, dem Anlass und der Gattungstradition der Historiographie verpflichtetes Objektivitätsversprechen hinzu.148 Um dieses zu unterstreichen und zugleich seine Glaubwürdigkeit sowie

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überstehen. Ebenso merkt auch Woodman (2012c), S. 270, mit Verweis auf Tacitus’ Abwesenheit von Rom zum Zeitpunkt von Agricolas Tod vorsichtig an: „His absence at the time allows the inference that his own morality was not compromised by the two murders; and this moral superiority allows him now to participate in ‚a passionate confession of collective guilt‘, confident in the knowledge that he was absent and that his readers know he was absent.“ In ähnlicher Weise vgl. Suerbaum (2015), S. 588 f. mit Anm. 419 sowie S. 593. Vgl. Genette (1972/1998), S. 152: „[…] andererseits identifiziert man die narrative Instanz mit der ‚Schreib‘-Instanz, den Erzähler mit dem Autor und den Adressaten der Erzählung mit dem Leser des Werkes. Eine Vermengung, die vielleicht berechtigt ist im Fall einer historischen Erzählung oder einer wirklichen Autobiographie, nicht aber, wenn es sich um eine Fiktionsliteratur handelt, […].“ Agr. 1,3 f. ac plerique suam ipsi uitam narrare fiduciam potius morum quam adrogantiam arbitrati sunt, nec id Rutilio et Scauro citra fidem aut obtrectationi fuit: … at nunc narraturo mihi uitam defuncti hominis uenia opus est, …, 2,1 …, cum Aruleno Rustico Paetus Thrasea, Herennio Senecioni Priscus Heluidius laudati essent, … bzw. 3,2 hic interim liber honori Agricolae soceri mei destinatus, professione pietatis aut laudatus erit aut excusatus. Vgl. Beck (1998), S. 63–65 sowie (2013), S. 3, und zur Eigenständigkeit der Gattung Biographie Momigliano (1978/1998), S. 15. Vgl. Büchner (1964), S. 34, der einen doppelten Aussagegehalt erkennt, nämlich „den Plan der künftigen Geschichtsschreibung zu begründen und den gegenwärtigen Anlaß zu erklären, eine Biographie des Schwiegervaters Agricola zu schreiben.“, und Heldmann (2011), S. 83. Agr. 1,2 … sine gratia aut ambitione bonae tantum conscientiae pretio …, 2,2 … uocem populi Romani et libertatem senatus et conscientiam generis humani aboleri arbitrabantur, … 2,3 et sicut uetus aetas uidit quid ultimum in libertate esset, ita nos quid in seruitute, … 3,1 … res olim dissociabiles …, principatum ac libertatem, … 3,3 … non tamen pigebit uel incondita ac rudi uoce memoriam prioris seruitutis ac testimonium praesentium bonorum composuisse. Büchner (1964), S. 39, und vgl. ders., S. 51, sowie Heldmann (2011), S. 71, S. 75–77, und besonders S. 77: „Als Grundsatzproömium muss dieses Proömium deshalb verstanden werden, weil es durch allgemeine Erwägungen über Probleme und Aufgaben der Geschichtsschreibung bestimmt ist, aus denen Tacitus das historiographische Programm ableitet, das er nach Fertigstellung dieses Interimswerkes verwirklichen will.“ Hist. 1,1,1–4 initium mihi operis Seruius Galba iterum Titus Vinius consules erunt. … neque amore quisquam et sine odio dicendus est. quod si uita suppeditet, principatum diui Neruae et imperium Traiani, ubiorem securioremque materiam, senectuti seposui, rara temporum felicitate, ubi sentire quae uelis et quae sentias dicere licet. bzw. ann. 1,1,3 inde consilium mihi

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Autorität als verdienstvoller Senator zu begründen beziehungsweise zu steigern, zeigt Tacitus im fortwährenden Wissen um die eigene Involvierung in das zu erzählende Geschehen der ‚Historien‘ skizzenhaft seine Ämterlaufbahn unter und sein Verhältnis zu den einzelnen Kaisern auf.149 Damit entledigt er sich zudem des potenziellen Vorwurfs, den er im Proömium der ‚Annalen‘ selbst gegen andere erheben wird, nämlich dass nach dem Ende einer Dynastie oftmals mit neuem Hass über diese geschrieben wird.150 Indem anschließend biographische Informationen zum Autor und sogar zu dessen geschätztem und damals politisch aktivem Schwiegervater fehlen,151 liegt eine konsequent heterodiegetische Gestaltung der Erzählung vor. Diese trägt zusätzlich zum leserseitigen Eindruck seriöser, parteiloser Geschichtsschreibung bei, obgleich überlieferungsbedingt freilich nicht abschließend zu klären, aber angesichts des ausdrücklichen Rückbezugs auf das eigene Quindecimvirat und die Prätur im Jahr 88 n. Chr. im elften Buch der ‚Annalen‘ zumindest anzuzweifeln ist,152 dass Tacitus im Bericht über die domitianische Zeit weiterhin auf persönliche Angaben verzichtet. Ein derartiger biographischer Zugang zum geschichtlichen Stoff der libri ab excessu diui Augusti ist hingegen nahezu verwehrt und eine heterodiegetische Erzählhaltung angesichts des deutlich nachzeitigen, für annalistische Darstellungen charakteristischen Narrationszeitpunkts, auf den die Basishandlung zuläuft, ohne ihn zu erreichen, vorgegeben.153 Zur größeren zeitlichen Distanz passend ist zwar

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pauca de Augusto et extrema tradere, mox Tiberii principatum et cetera, sine ira et studio, quorum causas procul habeo. Vgl. dazu neben Anm. 146 Büchner (1964), S. 31 f., S. 37 sowie S. 57 mit der Ergänzung, „daß die Proömien in Beziehung stehen, aufeinander antworten, Rücksicht aufeinander nehmen.“, Dihle (1971), S. 28, Leo (1896/1969), S. 5, Leeman (1973/ 1985), S. 323, S. 328 sowie S. 338, Marincola (1997), S. 114, sowie (1999), S. 392 f., Raaflaub (2010), S. 191, Heldmann (1991), S. 208 f., sowie (2011), S. 83 f., Pitcher (2009), S. 32, und Geisthardt (2015), S. 330 f. mit Anm. 182 sowie S. 333. Zur Objektivität in den ‚Historien‘ sowie zu Parallelen zwischen dem Anfang von ‚Historien‘ und ‚Agricola‘ vgl. auch Heubner (1963), S. 12–14. Zur Tradition des Objektivitätsversprechens in der antiken Geschichtsschreibung vgl. Goodyear (1970), S. 29 mit besonderer Hervorhebung des taciteischen: „Tacitus’ profession of honesty and truth sounds sincere.“, und demgegenüber kritisch Kierdorf (1978), S. 33. Hist. 1,1,3 mihi Galba Otho Vitellius nec beneficio nec iniuria cogniti. dignitatem nostram a Vespasiano inchoatam, a Tito auctam, a Domitiano longius prouectam non abnuerim. 1,1,2 …, postquam occiderant, recentibus odiis compositae sunt; vgl. dazu Marincola (1997), S. 6, S. 9, S. 144 sowie S. 166, Röver/Till (1962), S. 34, (1969), S. 90, Vogt (1936/1969), S. 42, Büchner (1964), S. 55, Syme (1970), S. 2, Dihle (1971), S. 28–30, Goodyear (1982), S. 648, Kierdorf (1978), S. 32, Syme (1957a), S. 160 sowie S. 162, Leeman (1973/1985), S. 328, Geisthardt (2015), S. 325, Suerbaum (2015), S. 249, Mehl (2001), S. 109 f., Heldmann (2011), S. 101 f., Beck (1998), S. 109 sowie S. 112, Alföldy (1995), S. 263, Koestermann (1956b), S. 215 f. Anm. 5, Pausch (2011), S. 26 f., sowie (2013a), S. 206, und Levick (2012), S. 263. Vgl. Pöschl (1968), S. XI: „Aber alle ausdrücklichen persönlichen Bezüge werden diskret verschwiegen.“, Beck (1998), S. 113 sowie S. 120, und Suerbaum (2015), S. 66. 11,11,1 nam is (sc. Domitianus) quoque edidit ludos saeculares, hisque intentius adfui sacerdotio quindecimuirali praeditus ac tunc praetor. Vgl. Scholz (1994), S. 66 sowie S. 70, und Genette (1972/1998), S. 154, S. 157 sowie S. 159 mit der Bemerkung, dass die Narration in einem „unzeitliche(n) Raum der Erzählung als Text“

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das persönliche Moment, das in den Proömien des ‚Agricola‘ und der ‚Historien‘ deutlich zu vernehmen ist, an der entsprechenden Stelle der ‚Annalen‘ auffällig reduziert,154 sodass von Anfang an ein Eindruck ungezwungener Objektivität geschickt erweckt, am Ende des Proömiums sogar betont wird.155 Die Parallelität nicht nur der Ausdrucksweise, sondern vor allem der grundlegenden Gedankenwelt ist jedoch unverkennbar, wie Kierdorf treffend hervorhebt,156 und macht laut Beck eine explizite Anpreisung sowie Zuordnung des Werks zum in literarischen Kreisen mittlerweile als glaubwürdiger Historiograph etablierten, anerkannten und geschätzten Exkonsul Tacitus entbehrlich.157 Seinen konsequent verfolgten, tiefsinnigen geschichtstheoretischen Gestaltungsabsichten gemäß und in stolzer Gewissheit des andauernden narrativen Akts wendet sich dieser nämlich entgegen seines zu Beginn des ‚Agricola‘ wie auch der ‚Historien‘ geäußerten Vorhabens, die Regierungen Nervas und Trajans zu behandeln, sukzessive einer entfernteren Vergangenheit zu.158 Dementsprechend bezeich-

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existiert und „von dem Paradox (lebt), daß sie zugleich eine zeitliche Stelle hat (in bezug auf die vergangene Geschichte) und ein unzeitliches Wesen, da sie über keine eigene Dauer verfügt.“ Vgl. auch Abschn. 2.5.2, Schmid (2008), S. 280, Barthes (1968), S. 173, Lämmert (1980), S. 67 f., Martínez/Scheffel (2007), S. 69 sowie S. 81, De Jong (2004), S. 2 f., Zeller (2003a), S. 502 f., Schmitz (2002), S. 70, Weixler/Werner (2015), S. 11, und Suerbaum (2015), S. 68. 1,1,3 inde consilium mihi …, quorum causas procul habeo; vgl. dazu Leeman (1973/1985), S. 331: „Reeding the three prologues in chronological sequence gives the curious sensation that the man Tacitus fades away and escapes us.“, Beck (1998), S. 120, der feststellt, dass das Proömium der ‚Annalen‘ „gegenüber dem der ‚Historien‘ und erst recht dem des ‚Agricola‘ noch nüchterner, unpersönlich zurückhaltender und nun gänzlich ohne ein Eingehen auf die eigene Person oder Gegenwart verfaßt ist.“, Koestermann (1963), S. 8 f. sowie S. 98: „Er vermeidet hier wie sonst in den Annalen alle persönlichen Anspielungen.“, Geisthardt (2015), S. 326 mit Anm. 167, und Marincola (1997), S. 264 sowie S. 273, allgemein zum Umgang römischer Historiographen mit persönlichen Angaben. Vgl. Kierdorf (1978), S. 26: „Tacitus steht zu den in den Annalen berichteten Ereignissen in beträchtlicher Distanz, und der Abstand sichert ihm die Unbefangenheit des Urteils.“ Vorsichtiger äußert sich hingegen Levick (2012), S. 263: „The phrase here does not mean simply that Tacitus, through his late date of birth, happened not to be burdened with the same problems as his predecessors in the field.“ Vgl. Kierdorf (1978), S. 30 f., und Raaflaub (2010), S. 192 f. Vgl. Beck (1998), S. 115: „Zusätzlich zur Lektüre (sc. der ‚Annalen‘) zu animieren, sein Werk attraktiv zu machen, hat er, mit den ‚Historien‘ längst zum anerkannten, hochgeschätzten Geschichtsschreiber geworden, offenbar nicht mehr nötig.“ Agr. 3,3 … memoriam prioris seruitutis ac testimonium praesentium bonorum …, hist. 1,1,4 quod si uita suppeditet, principatum diui Neruae et imperium Traiani, ubiorem securioremque materiam, senectuti seposui, …; vgl. Seel (1937), S. 42 f., Vogt (1957/1960), S. 139, Klingner (1958), S. 206, Syme (1962), S. 258, Borzsák (1968), Sp. 395 f. sowie Sp. 443, Leeman (1973/1985), S. 328 f. sowie S. 338, Sage (1990), S. 949, Beck (1998), S. 109–111, Rutledge (1998), S. 153, und Davies (2004), S. 149. Vgl. ferner zur sogenannten Verdüsterungshypothese, die an Tacitus’ scheinbarer Aufgabe seines ursprünglichen Plans ansetzt, den Überblick über die ältere Forschung, die mehrheitlich eine Verdunklung annimmt, bei Borzsák (1968), Sp. 397, und unter zusätzlichem Einbezug jüngerer Literatur bei Beck (1998), S. 102–105, der auf Basis dieser wie auch eigener Überlegungen eine Resignation des Tacitus zurückweist. Von einem starken Pessimismus, der das

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net er sich in den ‚Annalen‘ einerseits in einem metadiegetischen Rückblick, der die eigene Erzählhistorie als textübergreifendes und sein Schrifttum strukturierendes Narrativ einbezieht, als Autor eines zeitgeschichtlichen Werks über Domitians Herrschaft, das schon im Proöm des ‚Agricola‘ angekündigt und schließlich Inhalt der ‚Historien‘ ist.159 Andererseits zieht er zukunftsgerichtet sogar eine Hinwendung zu Augustus’ Regentschaft in Erwägung und stellt bei hinreichender Lebenszeit eine Fortsetzung seines historiographischen Schaffens in Aussicht.160 Daraus figuriert eine Vorstellung einheitlicher Urheberschaft, „die sich über das einzelne Werk hinaus auf einen Werkzusammenhang erstreckt und diesen zum Leben des Autors in Beziehung setzt: Das […] leistet nichts Geringeres als die Konstitution des (taciteischen) Œuvres als eines Lebenswerks“,161 wie sich Scheidegger Lämmles Konzept antiker Werkpolitik analog auf Tacitus übertragen lässt.162 Tacitus’ geschichtsbezogene Schriften sind folglich sowohl durch dessen früh formuliertes, zielstrebig umgesetztes literarisches Programm, das zwischen diesen evidente Bezüge schafft, als auch die personenbezogene Identität ihres Autorerzählers unverwechselbar miteinander verknüpft.163 In dieser spiegelt sich zudem ein schrittweiser Professionalisierungsprozess wider:164 Anfangs greift ein unmittelbar in das alltägliche Staatsgeschehen involvierter Senator aus subjektiv-biographischer Motivation,165 aus ethnographischem Interesse, das ein konkreter tagespolitischer Anlass befeuert,166 oder aus spezifischer Begeisterung für gewisse rhetorische Themen an einen einzelnen Widmungsempfänger wie Fabius Iustus beziehungs-

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taciteische Werk durchzieht und sich gegen Ende steigert, sprechen neuerdings jedoch wieder Stegner (2004), S. 18 sowie S. 180, Nickbakht (2005), S. 34, Schmal (2011), S. 131 mit Anm. 60, und Suerbaum (2015), S. 547 f., wogegen sich Heldmann (2011), S. 120, und Künzer (2015), Sp. 2, zu Recht kritisch positionieren. 11,11,1 …, satis narratis libris, quibus res imperatoris Domitiani composui. Vgl. Scheidegger Lämmle (2016), S. 31, S. 41: „Der Autor indes bleibt distanzierter Souverän seines Œuvres.“, sowie S. 59, und zum rollenbewussten Erzählen auch Booth (1961/1974a), S. 160. 3,24,3 sed aliorum exitus, simul cetera illius aetatis memorabo, si effectis, in quae ‹te›tendi, plures ad curas uitam produxero. Vgl. Walker (1952), S. 243, Koestermann (1963), S. 20 f., Leeman (1973/1985), S. 338, Kierdorf (1978), S. 33 f., Kraus/Woodman (1997), S. 91 f., Beck (1998), S. 115 f., Mehl (2001), S. 121, Suerbaum (2015), S. 550, S. 553 sowie S. 560, Geisthardt (2015), S. 331, und Marincola (1997), S. 167, sowie (1999), S. 402, zu Tacitus’ Möglichkeit, das Ende von Livius’ Werk 9 v. Chr. aufzugreifen. Scheidegger Lämmle (2016), S. 15. Vgl. Scheidegger Lämmle (2016), S. 18 sowie S. 57 f. Vgl. Scheidegger Lämmle (2016), S. 16: „Die Beziehungen zwischen den Werken des Œuvres verbürgen die Einheit der Autorschaft; umgekehrt fundiert und beglaubigt der Rekurs auf den Autor den Zusammenhang der Werke im Œuvre.“, S. 56 sowie S. 251. Vgl. Leeman (1973/1985), S. 333, der diese als „the distance between the literary man of A. D. 98 and that of A. D. 115“ umschreibt, Sage (1990), S. 953, der nicht unpassend von einem „internal growth of Tacitus as a historian“ spricht, und allgemein zu einem derartigen Interpretationsansatz Scheidegger Lämmle (2016), S. 62 f. Vgl. Anm. 140, Anm. 142 und Anm. 144 sowie Beck (1998), S. 71 mit dem treffenden Urteil, dass „das Persönliche für den Verfasser in allererster Linie im Vordergrund zu stehen (scheint).“, bzw. S. 113. Vgl. Beck (1998), S. 59 f.

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weise begrenzten zeitgenössischen Adressatenkreis gewandt zur Schreibfeder.167 Während der schriftstellerischen Tätigkeit erkennt dieser sodann eine standessowie erfahrungswürdige Aufgabe darin und gewinnt nach Beendigung seines erfolgreichen cursus honorum scheinbar auch eine gewisse Befriedigung daraus, geschichtliche Ursachen, Vorgänge und Zusammenhänge möglichst unvoreingenommen, systematisch sowie grundlegend aufzuarbeiten und zu präsentieren. Mit sachlicher, aber keineswegs teilnahmsloser Abgeklärtheit und gewachsenem Selbstbewusstsein eines durch frühere Werke rezipientenseitig bereits namhaften Historiographen168 wendet er sich nun einem breiten, weitgehend anonym bleibenden Publikum sowie über die Gegenwart hinaus vor allem der literarischen Nachwelt zu.169 Überzeitliche leserseitige Autorität gewinnt er hierbei einerseits gemäß antikem Rezeptionsempfinden aus einer identifikatorischen Rückbindung an den historischen Konsular Cornelius Tacitus. Andererseits trägt dazu im Spätwerk sowie insbesondere den Nerobüchern und unter narratologischer Perspektive dessen durch vorangegangene Schriften erzieltes Renommee als objektiver, akkurater und zuverlässiger Berichterstatter bei.170 1.4.2 Auktoriale Rezeptionsvorstellungen und -empfehlungen Angesichts eines offenkundig gesteigerten zeitgenössischen Publikumsinteresses an literarischen Kleinformen, die sich durch manierierte Ausarbeitungen auszeichnen, diverse Gattungselemente neuartig und gekonnt kombinieren oder sich dem Leben sowie Sterben bedeutender Persönlichkeiten widmen,171 verfehlten Tacitus’ 167 Dial. 1,1 saepe ex me requiris, Iuste Fabi, …; vgl. Beck (1998), S. 108, und zur in der Forschung allgemein akzeptierten taciteischen Autorschaft der kleinen Schrift dialogus de oratoribus Beck (2001), S. 159 Anm. 2, und Schmal (2011), S. 42, je mit weiterführender Literatur. 168 Vgl. Beck (1998), S. 113: „An die Stelle des mitleidenden, mitfühlenden Zeitzeugen und politisch motivierten Autors ist vorgeblich ein streng sachlich vorgehender, nüchterner Geschichtswissenschaftler getreten.“, sowie S. 114: „[…] vergleicht (man) die Eingänge von ‚Historien‘ und ‚Annalen‘, ist […] eine gewisse Zunahme seines schriftstellerischen Selbstbewusstseins spürbar.“ 169 Vgl. Pausch (2011), S. 65, zu dieser allgemeinen Tendenz in der römischen Historiographie. 170 Vgl. Sailor (2008), S. 34: „(There is) a close relationship between the historical Tacitus and the narrator of his texts.“, und Scheidegger Lämmle (2016), S. 58: „Verbürgte Autorschaft bleibt damit eine persuasive Fiktion, die des Vertrauens und der Akzeptanz des Lesers bedarf: Erst in der Wechselbeziehung von Textstruktur und vertrauender Lektüre wird Autorschaft operativ wirksam und entfaltet ihre wirkungsgeschichtliche Relevanz, indem sie nämlich als der realgeschichtliche Ursprung eines Textes angenommen wird.“, den von Schmid (2008), S. 96, definierten dritten Erzählertyp sowie Abschn. 4.4.1. 171 Vgl. die Hervorhebung von Arulenus Rusticus und Herennius Senecio in Agr. 2,1, dazu ann. 16,26,4 mit Koestermann (1968), S. 390, Tenney (1935), S. 342, sowie Sage (1990), S. 1016 f., und ferner Plinius’ Episteln über Corellius Rufus (1,12), Silius Italicus (3,7), Arria und Caecina Paetus (3,16) sowie die Erwähnungen eines solchen Schaffens C. Fannius’ 5,5,3 …, scribebat tamen exitus occisorum aut relegatorum a Nerone et iam tres libros absoluerat subtiles et diligentes et Latinos atque inter sermonem historiamque medios, ac tanto magis reliquos perficere cupiebat, quanto frequentius hi lectitabantur. bzw. Titinius Capitos 8,12,4 scribit exitus inlustrium uirorum, …; vgl. Pausch (2004), S. 94, Syme (1967), S. 92, Gnilka

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opera minora, insbesondere der ‚Agricola‘,172 den damaligen Zeitgeschmack gewiss nicht. Bezüglich der Historiographie fand jedoch zunehmend eine biographisch, unkritisch und tendenziell optimistisch ausgerichtete Gestaltungsform mit einer an kaiserlichen Herrschaftszeiten orientierten Strukturierung bei den Rezipienten Anklang, wie sie der nur wenig später wirkende Sueton schließlich etablierte.173 Vor diesem literaturgeschichtlichen Hintergrund sind die freilich bis zu einem gewissen Grad rhetorisch fundierten, aber auffälligerweise mit Tacitus’ Hinwendung zur Geschichtsschreibung einsetzenden auktorialen Kommentare, in denen er besorgt vermeintliche Reaktionen einer potenziellen Leserschaft erwägt, vor einer eingehenden Diskursanalyse abschließend betrachtenswert. Didaktisches Erkenntnispotenzial Während in den ‚Historien‘ lediglich eine Passage erhalten ist,174 bergen die ‚Annalen‘ sogar drei Stellen,175 an denen Tacitus anzunehmende Interessen, mögliche Erwartungshaltungen und lektürebedingte emotionale Stimmungen aufseiten der Rezipienten reflektiert und in seine theoretischen, methodischen und kompositorischen Überlegungen miteinbezieht. Indem daraus trotz aller plotbasierten und narrativen Herausforderungen ein offenkundiges Bemühen des Verfassers um eine anregende, fortlaufend an den Befindlichkeiten des Publikums orientierte Gestaltung der Erzählung und angemessene Wirkung seines Werks hervorgeht,176 widersprechen diese metadiegetischen Äußerungen einerseits Barthes’ Ansicht, „im historischen Diskurs fehl(t)en gemeinhin Zeichen für sein Auf-einen-EmpfängerGerichtetsein.“177 Andererseits entkräften sie eindeutig Hampls Unterstellung ausschließlich egoistischer Motive, nämlich „daß es diesen Mann (sc. Tacitus) zunächst einfach reizte, seine überragende Darstellungskunst an Themen glänzen zu lassen,

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(1979), S. 5, Fögen (2015), S. 23, S. 37–39 v. a. mit Anm. 59, sowie S. 47, Sailor (2008), S. 23 Anm. 51, Müller (2003), S. 55 sowie S. 117, Suerbaum (1971), S. 97: „Aus dem Agricola-Proömium wird deutlich, daß Männer wie die freimütigen Biographen Arulenus Rusticus und Herennius Senecio für Tacitus Vorbild oder doch Ansporn zur eigenen Geschichtsschreibung gewesen sind.“, und (2015), S. 296. Vgl. zum Gattungscharakter des ‚Agricola‘ inklusive den unterschiedlichen Forschungsperspektiven Beck (1998), S. 66–69, Schmal (2011), S. 23, Geisthardt (2015), S. 45, und Suerbaum (2015), S. 564. Vgl. Schanz/Hosius (1935), S. 639, Heinz (1948), S. 7, Daitz (1960), S. 31, Röver/Till (1962), S. 13, Martin (1981), S. 36–38, Marincola (1997), S. 32, Schmal (2011), S. 168 f., Pausch (2004), S. 12 sowie S. 70, Sage (1990), S. 853, Power (2014), S. 217, Fantham (1998), S. 180, Syme (1967), S. 88 f., S. 97 sowie S. 502 f., Hose (1994), S. 3, Geisthardt (2015), S. 350, Teltenkötter (2017), S. 25, und Perl (1984), S. 573. Hist. 2,50,2. 4,33,3 f., 6,7,5 sowie 16,16,1. Zusammenstellungen dieser drei Passagen finden sich bereits bei Luce (1991), S. 2908, Kraus/Woodman (1997), S. 110, Marincola (2003), S. 311 f., und teilweise bei Suerbaum (2015), S. 69, allerdings jeweils ohne ausreichende Diskussion von deren Gemeinsamkeiten. Vgl. Becher (1989), S. 9 f., und Marincola (1997), S. 7. Barthes (1968), S. 174.

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die seiner geistigen und seelischen Verfassung am meisten zusagten.“178 Da sich große Erzählwerke nach Booth gerade durch derartige Kontaktaufnahmen mit dem Leser auszeichneten,179 sollten diese zudem, auch wenn sie bereits seit Thukydides eine gattungsgeschichtliche Tradition besitzen,180 dennoch nicht leichtfertig als künstlerische Unvollkommenheiten, topische Bestandteile und letztlich bedeutungslose Floskeln abqualifiziert werden. Davor warnen ebenfalls Heldmann und Vielberg, zumal antike Schriftsteller entsprechende Topoi nicht unüberlegt übernahmen, sondern adäquat und spezifisch anzuwenden verstanden.181 Dies unterstreichen Malitz’ und Flachs Befunde, welche ferner darauf aufmerksam machen, dass beispielsweise Herodot oder Sallust dem Bedürfnis ihrer Rezipienten demgegenüber keinerlei Ausdruck verleihen.182 In dem schon anlässlich von Tacitus’ individuellem Gattungsverständnis erwähnten Passus aus den ‚Historien‘183 hadert dieser damit, dass die genrespezifischen formalen Vorgaben dieses Werks eine Erwähnung von völlig Fiktivem, das die Gemüter der Rezipienten besonders erfreuen könnte, nicht gestatten. Bei der planvollen Plotselektion und -strukturierung werden also bewusst optionale Arrangements in Hinblick auf ein anzustrebendes Rezeptionsvergnügen erwogen und gemäß dieser Intention nicht klar als faktual oder fiktiv einzustufende, aber ansprechende Informationen keineswegs kategorisch aus der Erzählung ausgeschlossen. Vielmehr werden diese entgegen der bezüglich ihrer Faktizität geäußerten Bedenken, die allerdings keinesfalls Ausdruck auktorialer Ratlosigkeit sind, wie Pöhlmann zu Unrecht behauptet, sogar gezielt zur Attraktivitätssteigerung in die Darstellung integriert.184 Ihre jeweiligen Inhalte besitzen nämlich einen eigenständigen Unterhaltungswert und ihr hervorgehobener, ungewisser ontologischer Status fungiert außerdem als involvierende, die Aufmerksamkeit des Rezipienten fokussierende und dessen kognitive Teilhabe evozierende textuelle Leerstelle.185 Des Weiteren werden die Bedürfnisse der Leser vor allem im vierten Buch der ‚Annalen‘ anlässlich einer umfassenden metanarrativen Digression, die formal 178 Hampl (1979), S. 286. 179 Vgl. Booth (1961/1974a), S. 104. 180 Vgl. Heldmann (2011), S. 26, Pausch (2011), S. 72, Vielberg (1987), S. 108 Anm. 479, Luce (1991), S. 2905 v. a. Anm. 2, Malitz (1990), S. 332 f. sowie S. 337 f. mit dem Hinweis auf entsprechende Stellen bei Polybios, und Heinz (1975), S. 18, der gar von „virtuoser Montage literarischer Topoi“ spricht. 181 Vgl. Heldmann (2011), S. 88 Anm. 236, und Vielberg (1990), S. 170. 182 Vgl. Malitz (1990), S. 327, und Flach (1973b), S. 45. 183 Vgl. Anm. 78. 184 Vgl. Pöhlmann (1910), S. 38 f., sowie demgegenüber Schmidt (1914), S. 8: „Nam unus quisque scriptor, cuius lectores delectare intererat, fabellas aliaque condimenta rebus gestis inserebat.“ 185 Vgl. Iser (1980), S. 110 f. sowie S. 118, und (1976/1994), S. 45 f. sowie 284 f., der unter Leerstellen alle Lücken im Text begreift, die erst durch die konstruierende Aktivität des Lesers geschlossen werden. Vgl. auch Schmitz (2002), S. 104, Eco (1979/1990), S. 63 f., Fludernik (2006), S. 51 f., Palmer (2003), S. 326, Jannidis (2004), S. 70, Willand (2014), S. 272, Löschnigg (2000), S. 221 f., und Schmid (2008), S. 270. Vgl. ferner zur Spannung generierenden Funktion von Unbestimmtheitsstellen Fill (2007), S. 78, und zur Funktion von Leerstellen in Fiktionalitätstheorien Bareis (2014), S. 56.

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paradoxerweise gerade zur Ergötzung dienen sollte, direkt thematisiert und nachvollziehbare Zweifel hinsichtlich Anziehungskraft und Wirkung der präsentierten Geschichte auf das Publikum artikuliert:186 Pleraque eorum, quae rettuli quaeque referam, parua forsitan et leuia memoratu uideri non nescius sum, sed nemo annales nostros cum scriptura eorum contenderit, qui ueteres populi Romani res composuere (4,32,1). In diesem Erzählerkommentar werden vorausblickende Überlegungen und konkrete Hypothesen bezüglich einer potenziellen Aufnahme, Bewertung sowie Reaktion seitens der Rezipienten offenbar und insbesondere scheint Tacitus der Eindruck seines Werkes vor der umfassenden Gattungstradition keineswegs unwichtig zu sein. Dabei mag die maßvolle Zurückhaltung und bemerkbare Verunsicherung, wie Flach treffend anführt, tatsächlich aus der skizzierten Veränderung der allgemeinen Rezeptionsumstände unter dem Prinzipat resultieren und unterschwellig durchaus eine gewisse, die Veröffentlichung begleitende Aufregung selbst aufseiten eines erfahrenen Urhebers spürbar werden lassen.187 Zugleich schmeichelt die vermittelte Attitüde dem Rezipienten durch die suggerierte Abhängigkeit des Gelingens der Erzählung von dessen individuellem Urteil und setzt die diesbezüglichen leserseitigen Erwartungen bescheiden herab – ein auktorialer Gestus, in dem Booth eine substanzielle Voraussetzung für literarischen Erfolg erkennt.188 Indem ferner äußerst verhalten eine wichtige Eigenheit des Diskurses angedeutet wird, beeinflusst die obige Stellungnahme das Rezeptionsverhalten jedoch diskret. Denn einerseits ist eine Fokusverlagerung auf parua et leuia nicht notwendigerweise als ein Darstellungsdefizit zu erachten, andererseits induziert doch gerade das topische Verbot eines Vergleiches mit den republikanischen Schriftstellern beim Leser derartige gedankliche Gegenüberstellungen und verortet das taciteische Werk damit indirekt in deren Nachfolge.189 Zwar wird in den ‚Annalen‘ nach Tacitus’ eigenen Angaben nicht wie bei früheren Geschichtsschreibern von gewaltigen Expansionskriegen, unglaublichen Heldentaten und anderen zumindest auf den ersten Blick bedeutenden Vorfällen berichtet.190 Zugleich drängt sich aber implizit die Frage auf, welchen Nutzen deren Kenntnis für den Rezipienten birgt, sofern er nicht 186 Vgl. McHugh (2004), S. 395, Sailor (2008), S. 293, Suerbaum (2015), S. 437, Moles (1998), S. 102 f., und Wille (1983), S. 431. 187 Vgl. Flach (1973b), S. 230. 188 Vgl. Booth (1961/1974b), S. 129, und des Weiteren Genette (1987/1992), S. 192, Marincola (1997), S. 248, Geisthardt (2015), S. 335 f. sowie S. 342, und Pitcher (2009), S. 35, der völlig zu Recht feststellt: „A statement of method is also a piece of self-promotion, an assertion of singularity.“ 189 Zur Konventionalität solcher Vergleiche mit literarischen Vorgängern vgl. Wiseman (1993), S. 139, Sailor (2008), S. 40, Döpp (1989), S. 94, Näf (2010), S. 195, Moles (1998), S. 128, Woodman (1988), S. 183, und (1995/1998), S. 93 f. Freilich ist es a priori Tacitus’ unausgesprochener Anspruch, wie Martin (1990), S. 1576, feststellt, „that he has a pride in his own work and a consciousness that he stands firmly in the tradition of magna illa ingenia (hist. 1,1,1)“, was von Marincola (1997), S. 252, bestätigt wird. 190 4,32,1 ingentia illi bella, expugnationes urbium, fusos captosque reges, aut si quando ad interna praeuerterent, discordias consulum aduersum tribunos, agrarias frumentariasque leges, plebis et optimatium certamina libero egressu memorabant.

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um deren Ursachen weiß. Der Verfasser invertiert also das topische Element der inhaltlichen Relevanz, mit dem seine Vorläufer die exklusive Qualität ihrer jeweiligen Historiographien bewerben, gibt sich unprätentiös und verschiebt geschickt das Tertium Comparationis:191 Er bietet ein tiefgründigeres Verständnis der Geschichte, das nur eine bewusste mentale Durchdringung des historischen Stoffes und eine zielgerichtete Fokussierung der oftmals unscheinbaren, jedoch wirklich wesentlichen Ereignisse gewähren kann, aus denen die geschichtsträchtigen Geschehnisse schließlich hervorgehen.192 Damit wird der etwas anders gelagerte Mehrwert seiner sinnreichen Präsentationsweise konkretisiert, welche die oberflächliche Darstellung literarischer Vorgänger zweifelsohne an Akkuratesse übertrifft, was bereits Livius in seiner Präfatio als grundlegendes Rechtfertigungsmotiv einer stetigen Revision und Neuauflage von Geschichtswerken anerkennt.193 Zudem korrespon191 Vgl. Mendell (1935/1969), S. 434, Marincola (1997), S. 34: „The most common call to history, as the historians present it, is the subject matter itself.“, sowie S. 62: „They most often emphasise the greatness of the deeds and the seriousness of their subject.“, Sailor (2008), S. 263: „And while by lamenting the inferiority of his material Tacitus may seem from one perspective to rank Annals below its Republican competition, from another he elevates it above the vain game of glory-seeking and situates it instead in the realm of serious business.“, und Geisthardt (2015), S. 335: „Die scheinbare Belanglosigkeit seines Stoffes wird also wieder zurückgenommen, womit sogar eine gewisse Superiorität gegenüber seinen republikanischen Vorgängern suggeriert wird.“ 192 4,32,2 non tamen sine usu fuerit introspicere illa primo aspectu leuia, ex quis magnarum saepe rerum motus oriuntur. Vgl. Mendell (1935/1969), S. 450, Röver/Till (1962), S. 131, Blänsdorf (1994), S. 762, O’Gorman (2000), S. 102, McHugh (2004), S. 395 f., Grethlein (2013), S. 177, Suerbaum (2015), S. 56, S. 60 sowie S. 62 f., Schulz (2015), S. 174 f. Anm. 59, Dészpa (2016), S. 419, Schmal (2006), S. 252, Keitel (2009), S. 137, Moles (1998), S. 106–108 mit einem Rückverweis auf Xenophon, Joseph (2012), S. 373–375 mit einem treffenden Rückbezug auf Vergil, und Sailor (2008), S. 262: „As a treasury of ‚what has happened to others‘, Annals here promises to offer that guidance; in order to receive it, to gain ‚relevant‘ (in rem) knowledge, you must correctly interpret the apparently ‚small things‘ it contains.“ Damit wendet sich die obige Auffassung explizit gegen die Ansichten Ammerbauers (1939), S. 103 sowie S. 142, Symes (1967), S. 374, Koestermanns (1965a), S. 112 f., die hier eine Klage des Tacitus über seinen geschichtlichen Stoff und eine pessimistische Grundeinstellung erkennen wollen, und gegen die Auslegung Bergens (1962), S. 44 sowie v. a. S. 54, der behauptet, Tacitus nähme solche Kleinigkeiten nur aus Mangel an besserem Material auf. Zur scheinbar physischen Nähe des Autors an dieser Stelle vgl. Damon (2010), S. 357 f. Vgl. hierzu ferner den bereits im Proömium der ‚Historien‘ formulierten auktorialen Vorsatz hist. 1,4,1 …, ut non modo casus euentusque rerum, qui plerumque fortuiti sunt, sed ratio etiam causaeque noscantur und zu dessen Verständnis Büchner (1964), S. 40, Flach (1973b), S. 50 sowie S. 88, Pöhlmann (1910), S. 11, Häussler (1965), S. 378–381, Suerbaum (1976/1993), S. 78, Finley (1965/1991), S. 34, Walker (1952), S. 194, Pöschl (1968), S. XXXII, und Heinz (1975), S. 23 f. Seinem thukydideischen Anspruch scheint Tacitus nach Goodyear (1970), S. 43, gerecht zu werden: „He is not satisfied with superficial and easy explanations; he understands the importance of mass trends and deep-lying influences; he recognizes the irrational element in history.“ Genau das Gegenteil behauptet demgegenüber unverständlicherweise Flaig (2001), Sp. 1212 f. 193 Liv. praef. 2 …, dum noui semper scriptores aut in rebus certius aliquid allaturos se aut scribendi arte rudem uetustatem superaturos credunt. Zur Veränderung des Schreibstils vgl. Abschn. 4.1.1.

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diert die vertiefte Betrachtungsweise der Historie mit dem grundlegenden didaktischen Gehalt der Geschichtsschreibung194 und bewirkt eine kognitive Involvierung des Lesers, sodass ein vermeintliches Unterhaltungsdefizit dadurch größtenteils aufgewogen würde,195 und zwar insbesondere, wenn der Rezipient dem von Booth beschriebenen, beinahe speziell taciteisch anmutenden Typus ähnelt.196 Darüber hinaus wird gegen Ende dieser metadiegetischen Digression, die geradezu als ausführliche Empfehlung eines optimalen Rezeptionsverhaltens aus Erzählersicht verstanden werden kann,197 auf eine potenzielle Lesergruppe eingegangen, welche die Geschichtsdarstellung als versteckte Zeitkritik auffassen, sich selbst angegriffen fühlen und diese deshalb ablehnen könnte.198 Der Anlass zu dieser persönlichen Reflexion über ein Risiko, dem ein Autor bis zu einem gewissen Grad 194 3,65,1 exsequi sententias haud institui, nisi insignes per honestum aut notabili dedecore, quod praecipuum munus annalium reor, ne uirtutes sileantur, utque prauis dictis factisque ex poste­ ritate et infamia metus sit. bzw. 4,33,2 …, quia pauci prudentia honesta ab deterioribus, utilia ab noxiis discernunt, plures aliorum euentis docentur. Vgl. zur ersten Stelle Goodyear (1970), S. 29: „[…] individuals are presented as exemplifying virtue, vice, or a mode of conduct of general relevance. To pass judgement, favourable or adverse, on men and their actions is an exceptionally important part of the kind of history Tacitus writes.“, Suerbaum (1971), S. 89, zu Maternus’ analoger Intention im ‚Dialogus‘, sowie (2015), S. 298, Luce (1991), S. 2913 f., sowie Schmal (2011), S. 119, über die Seltenheit der Implikation abschreckender Beispiele in die Geschichtsschreibung, Kirchner (2001), S. 62–64 sowie S. 153, Gärtner (1996), S. 144, mit exemplarischem Verweis auf hist. 1,16,2 sit ante oculos Nero Gowing (2016), S. 53, und allgemein Becher (1989), S. 8: „Ein jedes Schreiben von Geschichte ist im Kern didaktisch.“ Vgl. dazu auch Barthes (1968), S. 178 f., Heldmann (2011), S. 74 sowie S. 111 f., Reitzenstein (1926), S. 19 f., Flach (1973b), S. 56, Perl (1984), S. 567 f., Koestermann (1965a), S. 115, Levick (2012), S. 265, Klingner (1958), S. 201, Grethlein (2013), S. 172, Suerbaum (2015), S. 33 f., Martin (1981), S. 22 f., van den Berg (2012), S. 204 f., Hose (1994), S. 33 f., Geisthardt (2015), S. 336 sowie S. 342, Moles (1998), S. 161 f. und S. 165, sowie Woodman (1995/1998), S. 89 f., mit Hinweis auf die entsprechende Rechtfertigung des didaktischen Nutzens der Historiographie bei Liv. praef. 10. Kritisch äußern sich Hampl (1979), S. 286 f., der in der Angabe von sittlich-erzieherischen Motiven nur eine vorgeschobene, nachträgliche Rechtfertigung der schriftstellerischen Tätigkeit sieht, und Kraus/Woodman (1997), S. 109, die diese Passage lediglich als Apologie für eine allzu monotone Berichterstattung auffassen. 195 Vgl. Luce (1991), S. 2916, und Heldmann (2011), S. 45: „Statt dessen [sic!] rechtfertigt er sich damit, dass er mit seinen Annalen Nutzen stiften und dass der Nutzen des Lesers Vorrang vor dem Lektürevergnügen haben müsse.“ 196 Vgl. Booth (1961/1974a), S. 128: „Wir sind – oder können dazu angeregt werden – äußerst wißbegierig in bezug auf ‚die Tatbestände‘, die wahre Interpretation, die wahren Gründe, die wahren Ursachen, die wahren Motive oder die Wahrheit über das Leben selbst.“ 197 Vgl. O’Gorman (2000), S. 102: „In his digression of book 4 Tacitus represents this reading practice as one turned upon his own writing.“, und Genette (1987/1992), S. 191. 198 4,33,4 at multorum, qui Tiberio regente poenam uel infamias subiere, posteri manent, utque familiae ipsae iam extinctae sint, reperies, qui ob similitudinem morum aliena malefacta sibi obiectari putent. Vgl. Vogt (1936/1969), S. 55, O’Gorman (2000), S. 102, Timpe (1988/ 2007), S. 252, Perl (1984), S. 565, Suerbaum (2015), S. 57 sowie S. 77, Vielberg (1987), S. 75 f., Geisthardt (2015), S. 343, Sage (1990), S. 952, Koestermann (1965a), S. 116 f., der die auktoriale Argumentationsweise treffend zusammenfasst, und Anm. 419 (Kap. 2). Dass Tacitus’ Besorgnis nicht unbegründet ist, zeigen auch die Erfahrungen des Dichters Maternus mit seinem ‚Cato‘ (dial. 3,1–3) sowie Juvenals vorsichtiger Vorsatz, nicht über lebende Personen spotten zu wollen (1,170 f.); vgl. Syme (1967), S. 499, und Müller (2003), S. 119.

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ohnmächtig gegenübersteht, mag dabei zum einen durchaus auf entsprechenden Vortragserfahrungen beruhen. Damit ist diese nicht ausschließlich als Gattungstopik oder rhetorischer Versuch zu werten, schriftstellerische Autonomie sowie schonungslose Unvoreingenommenheit gegenüber allen Personen zu bekunden sowie die Unparteilichkeit des Berichts zu suggerieren.199 Zum anderen merken Sailor und Pelling zu Recht an, dass dieser Passus noch deutlicher als zuvor dazu diene, die Aufmerksamkeit des individuellen Rezipienten durch die direkte Anrede mittels der zweiten Person Singular reperies (4,33,4) zu erregen und dessen Verhalten mit demjenigen des hypothetischen Publikums zu kontrastieren, welches zu missgünstigen Interpretationen neige. Dies fördert die identifikatorische und emotionale Bindung zwischen Sprecher und Adressat, weil beide von demselben moralisch überlegenen Standpunkt und derselben imaginierten Bedrohungssituation aus eine solche Lektüreform zwar offenbar negieren. Wie Sailor zutreffend fortfährt, initiiert allerdings gerade dieser explizite Hinweis, dass Anstoß erweckende Parallelisierungen zwischen den referierten Geschehnissen und der eigenen Lebenszeit keinesfalls intendiert seien, derartige Überlegungen beim Rezipienten.200 Nur vordergründig wird somit die unter Umständen gezielt als literarisches Modell konstruierte Gruppe derjenigen Leser gerügt, die Aspekte der historischen Darstellung auf die gegenwärtige Lebenswelt bezieht. Vielmehr soll die ausdrückliche Zurückweisung dieses Vorgehens hierfür sensibilisieren, sodass eine kritisch reflektierende, analysierende und das Vergangene aktualisierende Leserschaft als ideales Publikum zu erachten ist. Dies wird zuletzt auch durch die markante Kontextualisierung dieses auktorialen Kommentares unterstrichen. Dieser wird nämlich nur durch die knappe überleitende Phrase sed a‹d i›ncepta redeo (4,33,4), die, ohne den fortlaufenden Gedankengang zu unterbrechen, lediglich eine formale Rückwendung zum eigentlichen Inhalt ankündigt, von dem Prozess gegen den Historiker Cremutius Cordus getrennt, dessen besondere Bedeutung für die geschichtliche Aussageabsicht und Verbindung zu Tacitus’ Person in der Forschung seit langem diskutiert wird.201 Keineswegs ist also eine entweder positiv oder negativ nuancierte Präsentation eines weit zurückliegenden Geschehens als ein „Akt historischer Wertung ohne Aktualitätsbezug“202 aufzufassen, sondern die leserseitige Fähigkeit zur Abstrak199 Plin. epist. 9,27 sowie 5,8,13 mit Suerbaum (1971), S. 90 Anm. 76, zudem Plin. paneg. 53,5 mit Steidle (1965), S. 110 f., Borzsák (1968), Sp. 398, Koestermann (1965a), S. 117, Rutledge (1998), S. 144 sowie S. 152, Sailor (2008), S. 42, S. 47 sowie S. 271 f., Flach (1973b), S. 63, Syme (1967), S. 229, Pausch (2004), S. 82–84, und McCulloch (1991), S. 2931. 200 Vgl. Sailor (2008), S. 271, Pelling (2009b), S. 154, Ash (2006), S. 81, und Geisthardt (2015), S. 343 f. 201 Vgl. dazu ausführlich Sailor (2008), S. 250–313, worauf Geisthardt (2015), S. 339, kritisch eingeht, Moles (1998), v. a. S. 138 sowie S. 151 f., Suerbaum (1971), S. 89 f., Müller (2003), S. 233, und Grethlein (2013), S. 173 mit Anm. 123. 202 Suerbaum (1971), S. 86, mit Bezug auf 4,35,2. Zudem weist dieser, S. 87, zu Recht darauf hin, dass eine gegenwartsbezogene Auslegung historischer Abläufe keineswegs so absurd ist, „da es […] ja ein gängiges Mittel nicht nur des antiken Historikers (sei), die politischen Kämpfe der Gegenwart verhüllt in der Darstellung der vergangenen abzuspiegeln.“ Vgl. dazu auch Heldmann (1991), S. 211.

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tion einer fortwährend eingeflochtenen Paraebene zu den berichteten Vorkommnissen ist eine wesentliche Voraussetzung für ein vollkommenes Funktionieren der literarischen Kommunikation. Diese adressatenseitigen anspruchsvollen Interpretationsleistungen sind jedoch massiv von zahlreichen Faktoren der individuellen Leserpersönlichkeit abhängig und demgegenüber vom Urheber nur bedingt anzustoßen sowie zu kontrollieren, sodass bei Überschreiten eines sinnvollen Maßes das Lektürevergnügen auch geschmälert werden kann.203 Eine breitenwirksame Aufbereitung der geschichtlichen Vorgänge ist folglich keinesfalls auf dieses exquisite intellektuelle Verlockungspotenzial zu beschränken. Paradoxe Plotattraktivität Auch wenn die didaktische Komponente unter kognitiver Schwerpunktsetzung einen exklusiven Leseanreiz verspricht und keine geringen Erwartungen evoziert,204 verlässt sich Tacitus nicht gänzlich auf den Nützlichkeitsaspekt als hinreichende Lektüreanregung, die nach Flach von den meisten antiken Geschichtsschreibern per se als angemessenes Motiv ihres Schaffens und dessen Rezeption erachtet werde. Ebenso wenig vertraut er auf die Überzeugung, die intrinsische Motivation, die von historischen Stoffen ausgehe, genüge, um Gefallen zu erwecken, wie Vitruv und Plinius der Jüngere beschreiben.205 Dementsprechend betrachtet er den inhärenten Unterhaltungswert seiner Erzählung äußerst skeptisch: ceterum ut profutura, ita minimum oblectationis adferunt (4,33,3). Aufgrund der thematischen Plotbeschaffenheit, die ihm im Vergleich zu den großen Ereignissen, über die frühere Historiographen berichteten, viel weniger Gelegenheiten bietet, eine brillante Darstellungskunst zu exponieren, befürchtet er, weder Aufmerksamkeit noch Interesse aufseiten der Leser hervorrufen beziehungsweise aufrechterhalten zu können.206 In topischem Sinne drückt der Autor damit zwar sein Missfallen über die zu behan203 Vgl. Sailor (2008), S. 274: „No matter what he says, hostile readers will find criticism he may not have intended.“, und McHugh (2004), S. 396: „However, he is well aware of the psychological effect created by his histories […]. The problem is that writing about it is an activity fraught with danger for the author.“ 204 Vgl. Booth (1961/1974a), S. 132 zur Erzeugung einer solchen Erwartungshaltung durch das Versprechen besonderer Lektürequalitäten, und Heldmann (2011), S. 21 zur Parallelität dieser belehrenden Funktion in der heutigen und damaligen Historiographie. 205 Vitr. 5 praef. 1 historiae per se tenent lectores; habent enim nouarum rerum uarias exspectationes. bzw. Plin. epist. 5,8,4 orationi enim et carmini parua gratia, nisi eloquentia est summa: historia quoquo modo scripta delectat. sunt enim homines natura curiosi, et quamlibet nuda rerum cognitione capiuntur, ut qui sermunculis etiam fabellisque ducantur. Vgl. Näf (2010), S. 16: „Geschichte gilt als interessant und unterhaltsam, und es besteht ein großes Bedürfnis, diesen Unterhaltungswert maximal auszubeuten.“, Flach (1973b), S. 45 sowie S. 230, und auch Hose (1994), S. 25, Pausch (2011), S. 59, Luce (1991), S. 2905, Woodman (2012a), S. 232 mit Anm. 14, sowie Wiseman (1981), S. 387. 206 4,33,3 nam situs gentium, uarietates proeliorum, clari ducum exitus retinent ac redintegrant legentium animum: nos saeua iussa, continuas accusationes, fallaces amicitias, perniciem innocentium et easdem exitii causas coniungimus, obuia rerum similitudine et satietate. bzw. vgl. dazu auch 6,7,5 sowie 16,16,1. Vgl. zudem Flach (1973b), S. 54, Koestermann (1965a),

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delnde Materie sowie sein Einfühlungsvermögen in möglicherweise erschütternde, abstoßende Empfindungen bei der Lektüre aus und wirbt dadurch trotz vielfältiger, potenziell nicht erheiternder Vorkommnisse bei deren geschichtlicher Aufarbeitung um eine besondere Nachsicht und solidarisierende Mitwirkung des Rezipienten.207 Hiervon abgesehen birgt die prima facie bedrohlich wirkende Ankündigung, dass sich die bedrückenden Zustände nicht bessern werden, aber vor allem einen speziellen Neugier stiftenden Anreiz. Denn wie Weinrich treffend darlegt, lebt die abendländische Literatur von einem gewissen Maß an Schwarzgalligkeit, wobei „die essentiell melancholische Rollenhaltung der Autoren […] der essentiell heiteren Rollenhaltung des Publikums komplementär ist“.208 Diese Heiterkeit aufseiten der Leserschaft betrachtet er „als adäquaten Modus der Rezeption“,209 die „für den Hörer/Leser die Freiheit, den Text nicht als Handlungsanweisung lesen zu müssen und sich jederzeit von ihm abwenden (das Buch zuklappen, das Theater verlassen) zu können“210 bedeutet. Die verheißene Andersartigkeit und Tristesse des Plots übt somit dadurch, dass der Leser imaginär den Gefahren des Geschehens beiwohnen, jedoch keinen Schaden erleiden kann und sich stets in Sicherheit befindet, eine ungeahnte Faszination aus. Er fühlt sich von den unbekannten, beunruhigenden sowie Mitleid erregenden Situationen und Thematiken angezogen,211 wie dies schon Cicero formuliert, als er sich mit der Bitte um ein Geschichtswerk über sein Konsulat an Lucceius wendet.212 nihil est enim aptius ad delectationem lectoris quam temporum uarietates fortunaeque uicissitudines. quae etsi nobis optabiles in experiendo non fuerunt, in legendo tamen erunt iucundae; habet enim praeteriti doloris secura recordatio delectationem; ceteris uero nulla perfunctis propria molestia, casus autem alienos sine ullo dolore intuentibus, etiam ipsa misericordia est iucunda. quem enim nostrum ille moriens apud Mantineam Epaminondas non cum quadam miseratione delectat? (Cic. fam. 5,12,4 f.) Nichts ist nämlich zur Unterhaltung des Lesers besser geeignet als die Unstetigkeit der zeitlichen Verhältnisse und die Wechselfälle des Schicksals. Auch wenn diese für uns, als wir sie

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S. 115 f., Häussler (1965), S. 191, Hose (1994), S. 35, Suerbaum (2015), S. 56 sowie S. 439, und Hampl (1979), S. 279. Vgl. Booth (1961/1974b), S. 39, der dies als „Vergnügen der Zusammenarbeit“ beschreibt, und Geisthardt (2015), S. 326. Weinrich (1971), S. 19; vgl. S. 13: „Es scheint, daß Klage und Trauer den Autoren, und zwar den Autoren aller Zeiten, zuträglicher sind als die Freude und Seligkeit elysischer Gefilde.“ Weinrich (1971), S. 10. Weinrich (1971), S. 10 sowie vgl. S. 17 und Groeben/Christmann (2014), S. 349. Vgl. Weinrich (1971), S. 16: „Was nun die erwähnte Affinität der Literatur zur Negativität betrifft, so ist sie ganz aus der Perspektive des Autors gesehen: der Autor leidet (‚melancholisch‘) unter dieser Negativität. Vom Leser (oder im weiteren Verstande vom Publikum) her gesehen, stellt sich aber alles anders dar. Der Leser bewahrt nämlich gegenüber dem literarischen Werk eine unaufhebbare Freiheit.“, Wenzel (2004), S. 185, und Ash (2006), S. 89: „Entering Tacitus’ world is not straightforwardly pleasurable, but it does have a certain compulsion and fascination to it, as the audience becomes steeped in the guilty pleasures of watching a disaster narrative world.“ Vgl. dazu auch Krasser (2002), Sp. 1007, Lendon (2009), S. 50, Marincola (2005), S. 306, Keitel (2010), S. 332 f., Pausch (2011), S. 59 f., Flach (1973b), S. 30 f., Hose (1994), S. 27, und McDonald (1975/1991), S. 227.

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1. Autor und Publikum einer frühkaiserzeitlichen Historiographie erlitten, nicht wünschenswert waren, werden sie dennoch bei der Lektüre amüsant sein. Die gefahrlose Erinnerung an eine vergangene schmerzliche Empfindung hat nämlich einen Reiz an sich. Gerade für die anderen aber, die am eigenen Leib keine Pein erfahren haben, jedoch fremde Unglücksfälle schmerzlos betrachten, ist sogar schon die Anteilnahme etwas Vergnügliches. Denn wem von uns beschert jener Epaminondas, der bei Mantinea im Sterben liegt, nicht einhergehend mit einem gewissen Bedauern Kurzweil?

Auch Aristoteles hebt gerade diese bemerkenswerte Anziehungskraft Furcht erregender und bemitleidenswerter Elemente213 auf das Publikum der Tragödie hervor und Ovid bringt es in seinen ‚Tristien‘ gewissermaßen präzise auf den Punkt: est quaedam flere uoluptas (4,3,37).214 Dabei dokumentieren diese Zeugnisse zugleich implizit den von Iser postulierten Doppelaspekt textimmanenter Strukturen in der antiken Literaturtheorie: „Der verbale Aspekt steuert die Reaktion und verhindert ihre Beliebigkeit; der affektive Aspekt ist die Erfüllung dessen, was in der Sprache des Textes vorstrukturiert war.“215 Zu diesen textbasierten Faktoren treten als Lektüremotive rezipientenseitig eine allzu ausgeprägte menschliche Neugier, eine enorme Sensationslust und eine beträchtliche Schadenfreude am Unglück anderer sowie eine anzunehmende besondere Ergötzung des zeitgenössischen Lesers an brachialen Szenen und Phantasien hinzu, wie sie auch die römischen Spielstätten zu bieten hatten. Vor diesem Hintergrund sind die auktorialen Kommentare über eine andauernde Unerfreulichkeit sowie Makaberkeit seiner Darstellung also zu bewerten, sodass es kaum verwundert, wenn Tacitus schon zu Beginn der historiae ein einzigartiges Gespür für dieses spezielle Interesse seiner Leserschaft an schockierender Berichterstattung demonstriert, dieses zu erregen versucht und zu steigern versteht. Die mit gezielter Unbestimmtheit im Plural gehaltenen, affektbesetzten, überhöhten und paradoxen Formulierungen sowie der schiere Umfang der Enumeration bevorstehender Grausamkeiten enttarnt die Wenigkeit der bona exempla nämlich gnadenlos und lässt diese lediglich als pikante Beigaben der Erzählung erscheinen, die sogleich wieder vom viel leserwirksameren Eindruck der unheilvollen Prodigien überlagert werden.216 Mit einer solchen schemenhaften Vorausschau, 213 Aristot. poet. 1453b … φοβερὸν καὶ ἑλεεινὸν …; vgl. Weinrich (1971), S. 18, wobei sein Verweis, S. 13, auf das Zitat Aristoteles’ bei Cicero, Tusc. 1,80 Aristoteles quidem ait omnis ingeniosos melancholicos esse, semantisch inkorrekt ist. Vgl. ferner Levene (1997), S. 129: „For Roman historians, however, pity is almost always a positive trait.“, sowie S. 135, und Marincola (2003), S. 287 sowie S. 302, wo er hervorhebt, dass die Fülle an hervorgerufenen Emotionen nicht auf ‚pity‘ und ‚fear‘ zu beschränken ist, denn „the best writers were expected to make use of all of them“, was er, S. 315, noch einmal betont: „The world with its full complement of emotions needed to be presented as a historical reality.“ 214 Vgl. Weinrich (1971), S. 18. 215 Iser (1976/1994), S. 40. 216 Vgl. zu den Absonderlichkeiten hist. 1,2,1–3 (17 Teubnerzeilen), zu den erfreulichen Ereignissen hist. 1,3,1 (5 Teubnerzeilen) und über die Prodigien hist. 1,3,2 (4 Teubnerzeilen). Vgl. hierzu Schmidt (1993), S. 184 f., und Heubner (1963), S. 19: „Das Schlimme überwiegt auch in der nun einsetzenden Aufreihung von Einzelheiten“, sowie S. 20: „Rückgängig gemacht wird die kurze Aufhellung, die mit den bona exempla eingetreten war, durch die Einbeziehung des übernatürlichen Bereichs.“ Zum exempla-Denken bei Tacitus vgl. Hauser (1967), S. 29, demgegenüber Luce (1991), S. 2911, und zur Bedeutung von Vorbildern für den antiken Leser Pöschl (1956/1991), S. 190, sowie Drexler (1954), S. 172. Vgl. auch Flach (1973b), S. 53,

1.4 Identität und Erwartungen der narrativen Instanz

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aus der der Rezipient bereits eine katastrophale, aber schließlich vorübergehende historische Entwicklung antizipieren kann, wird dieser auf die anschließende Handlung eingestimmt und eine spannungsvolle Erwartungshaltung erzeugt, die den Leser durch die ‚Historien‘ trägt.217 Der eindringliche Effekt dieser vermeintlichen Inhaltsübersicht haftet analog den in den ‚Annalen‘ iteriert vorkommenden Passagen an, die vordergründig eine Unzufriedenheit mit dem Plot zum Ausdruck bringen. An neuralgischen Punkten des Berichts, nach dem Wüten Sejans oder Neros Mordserie unmittelbar nach der Pisonischen Verschwörung,218 wenn einen vernünftigen Rezipienten das Gefühl beschleicht, die Menge der Grausamkeiten sei unübertrefflich und keine Steigerung der Abscheulichkeiten mehr möglich, laufen Erzähl- und Lesefluss aufgrund gesunkener Erwartungshaltungen nämlich Gefahr zu verlangsamen und zu stagnieren. Doch gerade an diesen Stellen kündigt der Autor, während er sich augenscheinlich einfühlsam zeigt, wohlüberlegt eine weitere unvorstellbare Stufe des Grauens und der Irrationalität des Geschehens an, sodass eine Fortsetzung des Erzähl- und Lektürevorgangs „auf einer erfolgreichen Umkehrung dessen (beruht), was viele Leser ‚instinktiv‘ als eine angemessene Reaktion ansähen.“219 Eigentlich müsste die Verheißung derartiger Gräuel zu einer Betroffenheit des Publikums führen, die „die Negation seiner Heiterkeit oder wenigstens der Anfang der Negation (ist); denn wenn die Betroffenheit total wäre, hörte auch das Publikum zu existieren auf“,220 wie Weinrich anmerkt. Dass es aber nicht soweit kommt, liegt zum einen an der paradoxerweise dadurch vermehrten Neugierde des Lesers,221 zu erfahren,

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Suerbaum (2015), S. 378 f., Miller (1977), S. 14, Geisthardt (2015), S. 233–236, Ash (2006), S. 65 sowie S. 68 f., und mit einer unzureichenden Erschließung Mehl (2001), S. 126. Woodman (1988), S. 165 f., erkennt Parallelen zwischen Ciceros Forderungen einer ausgewogenen Geschichtsdarstellung in dessen Brief an Lucceius sowie dem Proöm der ‚Historien‘ und Ammerbauers (1939) Vergleich, S. 163, mit Juvenals programmatischer erster Saitre ist ebenfalls durchaus treffend. Vgl. Ash (2006), S. 66: „The syntax and subject-matter creates a breathtaking sense of speed and dynamism, so that almost before you know it, you are completely immersed in the story, hungry for the next detail.“, Beck (1998), S. 115, und Suerbaum (2015), S. 376. 6,7,5 neque sum ignarus a plerisque scriptoribus omissa multorum pericula et poenas, dum copia fatiscunt, aut quae ipsis nimia et maesta fuerant, ne pari taedio lecturos adficerent, uerentur: nobis pleraque digna cognitu obuenere, quamquam ab aliis incelebrata. bzw. 16,16,1 etiam si bella externa et obitas pro re publica mortes tanta casuum similitudine memorarem, me ipsum satias cepisset aliorumque taedium exspectarem, quamuis honestos ciuium exitus, tristes tamen et continuos aspernantium: at nunc patientia seruilis tantumque sanguinis domi perditum fatigant animum et maestitia restringunt. Besprechungen dieser Passage finden sich bei Koestermann (1968), S. 365 f., Luce (1991), S. 2908–2911, Hauser (1967), S. 94 f., die allerdings allesamt offen lassen, weshalb hier überhaupt eine Hinwendung an die Leser erfolgt, und Schunk (1955), S. 14 f., der die auktorialen Äußerungen zu wörtlich nimmt. Booth (1961/1974a), S. 121, und vgl. auch Graf (1931), S. 74: „In künstlerischer Beziehung nun ist das wesentliche Charakteristikum dieses Aufbaus die überall deutlich erkennbare Tendenz der Steigerung. Sie erst verleiht dem Ganzen die dramatische Wucht und Spannung.“ Weinrich (1971), S. 20. Vgl. zum Phänomen Neugierde Martínez/Scheffel (2007), S. 152 f., Fuchs (2000), S. 36, und Brewer (1996), S. 112 f., sowie zum Spannungspotenzial solch kataphorischer Elemente Fill (2007), S. 49–52.

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1. Autor und Publikum einer frühkaiserzeitlichen Historiographie

was so neuartig und unerhört ist, dass man daran keinen Gefallen finden könne und es dem Erzähler die letzte Kraft raube, zum anderen an der trägen Grundhaltung der Leserschaft, ihrer „heitere(n) Unerreichbarkeit und fröhliche(n) Dickfelligkeit“222 gegenüber allen Beunruhigungsversuchen. Auch dieser Gedanke einer unangreifbaren Fröhlichkeit des Rezipienten ist bereits implizit in der Fortsetzung von Ciceros Epistel an Lucceius enthalten: at uiri saepe excellentis ancipites uariique casus habent admirationem, exspectationem, laetitiam, molestiam, spem, timorem; si uero exitu notabili concluduntur, expletur animus iucundissima lectionis uoluptate (fam. 5,12,5).223 Wenn also gerade prominente Persönlichkeiten und Wechselfälle des Schicksals das stoffliche wie emotionale Interesse des Lesers wecken, und zwar vor allem dann, wenn sie von einem exitus notabilis mit einer ergreifenden Peripetie beschlossen werden, erscheinen Tacitus’ Befürchtungen in Bezug auf die Nerobücher gegenstandslos. Denn deren Plot birgt wahrlich eine Fülle an charakteristischen, gesellschaftlich hochstehenden Personen und leidvollen Schicksalsschlägen, die diese sowie den römischen Staat ereilen.224 Weder die Brutalität noch die Abnormalität der Vorkommnisse bedingt folglich eine Schmälerung der Lektürebereitschaft und des -vergnügens des Rezipienten. Nachdem die erste Faszination an der unvorstellbaren Misanthropie der einzelnen Kaiser verflogen ist, wird dieser zwar sicherlich angesichts der hohen Opferzahlen und des rücksichtslosen Vorgehens der Herrschenden mit klarem Verstand das enorme Ausmaß entsprechender Situationen erkennen, davor erschaudern und über die erbarmungslose Tatenlosigkeit der damaligen Senatoren ebenso wie der Autor entsetzt sein. Er wendet sich deshalb aber gewiss nicht von der Lektüre ab, da dies ja bedeuten würde, dass „das Publikum sich durch pathetische Appelle und überstarke Schockmittel um seine Heiterkeit bringen ließe.“225 Vielmehr besteht die ebenfalls von Tacitus problematisierte Gefahr, dass die Berichterstattung von einer allzu großen Ähnlich- oder gar Gleichartigkeit geprägt ist, eine ununterbrochene Monotonie ohne inhaltliche Variation zwischen den Einzelfällen sowie ohne episodeninterne beziehungsweise -übergreifende Spannungskurven eintritt und die Handlung somit zu einem langweiligen, unansprechenden sowie schleppenden Referat verkommt.226 Einer solchen Entdynamisierung, die sogar einen per se 222 Weinrich (1971), S. 22. Vgl. dazu auch Junkerjürgen (2002), S. 31. 223 Vgl. McDonald (1975/1991), S. 227, Keitel (2010), S. 332 f., Pausch (2011), S. 61, Classen (1988), S. 95, und zudem das Fazit Junkerjürgens (2002), S. 25, aus seiner Metaanalyse der empirischen Forschung zur Spannungstheorie, welches zahlreiche Übereinstimmungen mit Ciceros Ansicht beinhaltet: „Resümiert man diesen Überblick, so wurde Spannung als Leserreaktion beschrieben als Ungeduld, Neugierde, Interesse, Engagement, elementares Gebanntsein, Fortgerissen-Werden, Überraschung, Angst, Hoffnung, Katharsis der Emotionen, Warten, Schock und Erwartung.“ Eine geringe emotionale Wirkung weist hingegen Seneca d. J. der Historiographie in dial. 4,2,3–5 zu, was jedoch seiner speziellen Aussageabsicht geschuldet sein kann; vgl. Marincola (2003), S. 290 Anm. 13 sowie S. 292. 224 Vgl. Marincola (2009), S. 21: „Tacitus is also aware of this expectation, when he apologizes for the monotony of murder in his narrative of court intrigue.“, und hierzu v. a. Abschn. 4.3.2. 225 Weinrich (1971), S. 22. 226 4,33,3 …, obuia rerum similitudine, 6,7,5 …, dum copia fatiscunt, … und 16,16,1 … tanta casuum similitudine …; vgl. Schmidt (1914), S. 14: „Quae in annalium libri IV c. 33 legimus,

1.4 Identität und Erwartungen der narrativen Instanz

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ansprechenden Plot uninteressant machen, die Konzentration des Lesers reduzieren und zum Lektüreabbruch führen kann, ist vom Verfasser durch eine jeweils adäquate und abwechslungsreiche Anwendung heterogener narrativer sowie spannungsgenerierender Elemente und Strategien entgegenzuwirken. Dass dieser jenen Herausforderungen hierbei keineswegs völlig hilf- und planlos gegenübersteht, wie Heldmann zu Unrecht behauptet, ist nachstehend zu zeigen.227 Obzwar Marincola a priori gewiss uneingeschränkt zuzustimmen ist, dass „the ancient historians used all the tools at their disposal to make a convincing and persuasive portrait of the deeds they chose to narrate, and to teach their readers by suggesting an appropriate interpretation of those deeds“,228 sind dennoch die konkreten Maßnahmen, mit denen einer unattraktiven Monotonisierung der Erzählung entgegengewirkt wird, phänomenspezifisch zu identifizieren und systematisch zu analysieren. Wie versucht Tacitus, den „höchsten literarischen Ansprüchen eines verwöhnten Lesepublikums bei der Auswahl, der Anordnung und der formalästhetischen Gestaltung seines Stoffes (zu) genügen?“229 Welche narrativen Möglichkeiten nutzt er zu einem planvollen Perspektivenarrangement und zu einer facettenreichen Distanzeintellung, um die Geschehnisse variationsreich, empathiefördernd und kognitiv involvierend zu beleuchten? Welche differenten textuellen Ebenen und darstellungsbezogenen Formen einer überlegten Spannungsarchitektur und -entwicklung tragen zu einer fortwährenden Leseraktivierung bei, mittels der möglichst viele Rezipienten bis zum Ende an die Erzählung gebunden werden können, da nur auf diese Weise die didaktischen Ziele voll entfaltet werden? Eine Untersuchung dieser und damit verbundener Fragestellungen gewährt unterschiedliche substanzielle Einblicke in die diegetische Anlage des Diskurses der Nerobücher, fokussiert dessen rezipientenseitiges Wirkungspotenzial und beschreibt letztlich, weshalb die taciteische Historiographie fernab von forschungsbasierter oder philologisch motivierter Lektüre auch heute noch lesenswert ist.

Tacitus, non quo revera sibi tot exitus describendos esse aegre ferret, sed ut similitudinem rerum enarratarum excusaret, conscripsit“, O’Gorman (2000), S. 145 f., Koestermann (1968), S. 365, und Suerbaum (2015), S. 292 f. sowie S. 440. 227 Vgl. Heldmann (2011), S. 43: „Tacitus dagegen sieht sich vor ein Problem gestellt, das sich durch keine noch so geschickte Disposition der behandelten Gegenstände lösen ließ, weil diese selbst es sind, die allein durch ihre Behandlung zwangsläufig bei seinen Lesern zu einem Missvergnügen führen müssen, so dass ihm nichts anderes übrig bleibt, als sie um Nachsicht dafür zu bitten, dass er von dem berichtet, was berichtet werden muss.“ 228 Marincola (2003), S. 315. 229 Heldmann (2011), S. 24, der dies für eine wesentliche Komponente des delectare hält, und vgl. Morris (1969), S. 22.

2. ZEIT, THEMA UND RAUM IN DER ERZÄHLUNG 2.1 STRUKTURELLE RAHMENBEDINGUNGEN Einen ersten Ansatzpunkt für die grundlegenden Gliederungsprinzipien der ‚Annalen‘ gewähren sicherlich die von Werkbeginn an kontinuierlich aus dem Text hervortretenden formalen und inhaltlichen Aspekte. Abgesehen von ihrem Einstieg mit dem Tod des Augustus wird nämlich schon an der sukzessiven jahrweisen Datierung des Geschehens mittels der Angabe der eponymen consules ordinarii sowie der annähernden Koinzidenz von Jahresbeginnen sowie -schlüssen und Buchanfängen sowie -enden auf der kompositionellen Ebene das annalistische Schema, dessen Vorstellung heute hauptsächlich auf der Analyse von Livius’ Werk basiert und das als grundlegender Idealtypus jeder römischen Geschichtsschreibung verstanden wird, als dominierendes temporales Aufbauprinzip der taciteischen Erzählung erkennbar.1 Besondere sachliche Akzente und Zäsuren, die nach Suerbaum enger gefasste, abgerundete Einheiten und Buchübergänge spüren ließen, wenn der Text in Codexform verfasst wäre,2 setzt zudem eine durchgängige Ausgestaltung der jeweils ersten und letzten Buchkapitel mit thematischen Höhe- und Wendepunkten. Denn nicht nur wird am Ende des zweiten Buches der Tod des Germanicus referiert und seinem langjährigen Kontrahenten Arminius ein für einen Barbaren ungewöhnlich ausladender Nachruf zugebilligt,3 sondern Germanicus’ Begräbnisfeier bildet zugleich den Auftakt des dritten Buches, das von Iunias Bestattung beschlossen wird, bei der gerade das politisch erzwungene Fehlen von Brutus’ und Cassius’ Ahnenbildern öffentliches Aufsehen erregt.4 Dies markiert nach der ersten Triade einen symbolischen Einschnitt in Tiberius’ Prinzipat, zumal zu Beginn des vierten Buches der ruchlose Protagonist Sejan die Handlungsbühne betritt und prompt Drusus, der Sohn des Kaisers, unter ungeklärten Umständen

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Vgl. Pfordt (1998), S. 18: „Nach der Nennung der eponymen Konsuln, d. h. der Angabe des Jahres, wurden die wichtigsten innenpolitischen Geschehnisse berichtet, es folgten Kriege und andere außenpolitische Geschehnisse; große Feste, Naturerscheinungen und Prodigien sowie die berühmten Todesfälle des betreffenden Jahres schlossen den Bericht ab.“, Graf (1931), S. 4, Walker (1952), S. 13, Walter (2006), S. 56, Griffin (2009), S. 182, Adams (1974), S. 323 f., Ginsburg (1981), S. 6 f., Suerbaum (2015), S. 341, Sage (1990), S. 975, und zur Genese des annalistischen Schemas in der römischen Geschichtstradition Petzold (1993), S. 151–181, Pausch (2011), S. 46–53 sowie zur innerjährlichen Ordnung der Geschehensfolge S. 82 f., und Rich (2009), S. 119 zum annalistischen Standardschema, S. 128 mit Hinweis auf die beschränkte Geltung dieser Struktur selbst für das livianische Werk sowie S. 142 über das Fehlen eines adäquaten historiographischen Vergleichsmaterials. Vgl. Suerbaum (2015), S. 324. 2,72 bzw. 2,88,2 f.; vgl. Schanz/Hosius (1935), S. 635, und Gingras (1992), S. 241. 3,76; vgl. McCulloch (1984), S. 56: „The closing words of the book are an ominous portent of things to come in Ann. 4–6.“, Moore (1923), S. 9, und Gingras (1992), S. 241 sowie S. 244.

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2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

verstirbt.5 Der Anfang von Buch 5 wird von Iulia Augustas Tod überschattet,6 nach deren Ableben Tiberius und Sejan ihre letzten Hemmungen fallen lassen. Diese staatliche Misere endet erst mit dem Verscheiden des Gardepräfekten am Ende von Buch 5 oder zu Beginn von Buch 6, was aufgrund der lückenhaften Tradierung nicht mit Sicherheit zu bestimmen ist, und mit dem Tod des Kaisers selbst am Schluss des sechsten Buches.7 Indessen kann die Entwicklung dieses augenscheinlichen Anordnungsschemas zwischen den Tiberius- und den Nerobüchern wegen des überlieferungsbedingten Verlusts der Abschnitte über Caligulas Regime sowie großer Teile von Claudius’ Herrschaft nur in Ansätzen nachvollzogen und beurteilt werden. Zwar fällt mit dem Ende des elften Buches immer noch eine Jahresgrenze annähernd zusammen8 und dominieren mit dem Mord an Messalina sowie Claudius’ Vergiftung und Tod weiterhin ausdrucksstarke thematische Abschlüsse.9 Doch schon mit dem Einsetzen des neronischen Prinzipats zu Beginn des 13. Buches deutet sich eine Verschiebung der annalistischen Struktur zugunsten einer stärkeren Inhaltsorientierung an, da Neros Herrschaftsantritt mit einem Buch-, jedoch nicht mit einem Jahresanfang koinzidiert. Auch wenn Claudius bereits im Oktober des Jahres 54 n. Chr. verschied und so eine Zeitspanne von nahezu drei Monaten ausgelassen werden müsste, wäre ein solcher zeitlicher Einstieg mit Verweis auf die kompletive Analepse zu Beginn der ‚Historien‘10 nicht unmöglich, da diese beinahe ein halbes Jahr von Galbas Regentschaft retrospektiv betrachtet, um einen annalistischen Werkanfang zu realisieren. Bewusst wird also bei Neros Thronbesteigung auf eine Übereinstimmung von Jahres- und Buchgrenze verzichtet und stattdessen eine ausschließlich inhaltliche Zäsur am Bucheinschnitt gesetzt. Wie in diesem Fall bleiben sodann, abgesehen vom Übergang zwischen 13. und 14. Buch, sämtliche Jahreswechsel an den Grenzen der nachfolgenden Bücher konsequent aus, wohingegen thematische Akzente wie die Morde an Agrippina und Octavia, ein abrupter Wechsel in die armenische Außenpolitik, die Aufdeckung der Pisonischen Verschwörung oder Neros skurrile Suche nach dem Schatz der Dido regelmäßig an diesen markanten Positionen gesetzt werden.11 In beiden Buchgruppen wird somit eine Strukturierung nach exponierten Ereignissen und mechanischen Einschnitten sichtbar, aber 5 6 7 8 9 10 11

4,1,1 bzw. 4,8,1; vgl. zur kontrafaktorischen Stellung der beiden Protagonisten Mehl (2001), S. 128, Moore (1923), S. 9, und auch McCulloch (1984), S. 32–36. 5,1–3; vgl. Moore (1923), S. 9, Barrett (2001), S. 171, und Mehl (2001), S. 127. 6,50,5; vgl. Moore (1923), S. 9, Schunk (1955), S. 130, Syme (1967), S. 267, Griffin (2009), S. 182, und Flach (1973b), S. 50. Das Jahr 49 n. Chr. wird erst in 12,5,1 eingeleitet. 11,38,1–4 und 12,66,1–67,2; vgl. Moore (1923), S. 9. Vgl. zum Begriff der Analepse Genette (1972/1998), S. 22 f. sowie 25: „Mit Analepse (bezeichnen wir) jede nachträgliche Erwähnung eines Ereignisses, das innerhalb der Geschichte zu einem früheren Zeitpunkt stattgefunden hat als dem, den die Erzählung bereits erreicht hat.“ Vgl. Graf (1931), S. 104: „Am deutlichsten sehen wir das am Anfang und am Ende des 15. Buches, wo beide Male Jahreseinschnitt und Bucheinschnitt nicht zusammenfallen, dafür aber neuer Darstellungskomplex und Bucheinschnitt.“ Unverständlich ist demgegenüber die Kritik Suerbaums (2015), S. 328, an den Buchanfängen von 15 und 16, von der aber auf S. 453 f. nichts mehr zu spüren ist.

2.1 Strukturelle Rahmenbedingungen

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die Bucheinheit in den Tiberiusbüchern letztendlich stets nach dem zeitlichen Kriterium eines Jahresendes definiert, wohingegen diese systematische temporale Unterbrechung in den Nerobüchern einer vornehmlich nach inhaltlichen Kriterien erfolgenden Bucheinteilung weicht.12 Dadurch verliert nicht nur die an dem jahrweisen Wechsel der republikanischen Beamten orientierte chronologische Ordnung an Bedeutung für den Gesamtaufbau der Erzählung, sondern McCulloch behauptet zu Recht, dass die tradierte Gliederungseinheit eines Jahres für die neue literaturästhetische Form des liber aufgegeben werde.13 Grundsätze der Darstellungskomposition Aus der formalen Gestaltung des Diskurses werden bereits erste Hinweise auf einen Dualismus zwischen einer anfänglich vorherrschenden annalistischen Zeitstruktur und einem sachlichen Anordnungsprinzip augenscheinlich, das sich im Werkverlauf zunehmend durchsetzt. Eine Betrachtung auktorialer Stellungnahmen zu Auswahl- und Gliederungsschemata soll die Identifikation wesentlicher Einflussfaktoren auf die Erzählstruktur ergänzen und deren reflektierte Anwendung unterstreichen. Denn zum einen wird durch die wiederholte und ausdrücklich rhematische Etikettierung als annales aufseiten der Leser ein Verständnis der Erzählung als jahrweise fortschreitende Berichterstattung evoziert,14 zum anderen legt der Autor explizit Zeugnis über seine Kenntnis der Restriktionen ab, die eine derartige Anlage eines Großwerkes mit sich bringt. 12

Vgl. Koestermann (1963), S. 45, der betont, dass in den Tiberiusbüchern noch jedes Buch mit der Namhaftmachung der eponymen Konsuln beginne, während die Nerobücher „stärker miteinander verzahnt“ seien, und (1968), S. 10, wo er bestärkt, „daß die Annalen ihren eigentlichen annalistischen Charakter in weit höherem Maß als früher eingebüßt haben.“ Vgl. auch Hirschfeld (1890), S. 363 f., Moore (1923), S. 6, Graf (1931), S. 16 f., Seel (1937), S. 48, Allgeier (1957), S. 3, Syme (1967), S. 266 sowie S. 269, Shotter (1989), S. 5 f., Grethlein (2013), S. 168 f., Suerbaum (2015), S. 323, Rademacher (1975), S. 164 f., Morford (1990), S. 1597, Sage (1990), S. 980 f. sowie S. 984, Ginsburg (1981), S. 2, Pigón (1999), S. 208, und McCulloch (1984), S. 138. 13 Vgl. McCulloch (1984), S. 139: „What I wish to show is that the very thematic concerns that resulted in a violation of annalistic tenets in the report of a given year or over a series of years, were ultimately related to Tacitus’ concern for a much more significant unit than the annalistic year, namely, the liber – the transition between books and the thematic grouping of books.“, Martin (1990), S. 1578: „The largest unit discernible for the reign of Nero is the individual book.“, Suerbaum (2015), S. 323: „Die Bücher der Annales sind aber von Tacitus darüber hinaus als inhaltliche Größen konzipiert.“, Moore (1923), S. 8 f., Walker (1952), S. 37, Wille (1983), S. 348, Schmal (2011), S. 61, und Bartera (2012), S. 180. 14 Vgl. 3,65,1, 4,32,1 sowie 13,31,1; auf diese drei selbstreferenziell gebrauchten Stellen verweist auch Suerbaum (2015), S. 43 f. mit Anm. 26 f. und benennt sechs weitere Passagen, an denen die Bezeichnung annales allerdings weder werk- noch gattungsspezifisch verwendet ist. Vgl. zudem Haase (1855), S. 25, Syme (1967), S. 253 Anm. 1, (1970), S. 1, Pfordt (1998), S. 18, Koestermann (1963), S. 55, S. 546, sowie (1967), S. 294, Shotter (1989), S. 161 f., und Genette (1987/1992), S. 87. Vgl. zur Differenzierung von annales und historiae Scholz (1994) und Suerbaum (2015), v. a. S. 25 und S. 29.

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2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung Ni mihi destinatum foret suum quaeque in annum referre, auebat animus antire statimque memorare exitus, quos Latinius atque Opsius ceterique flagitii eius repertores habuere, … uerum has atque alias sontium poenas in tempore trademus (4,71,1). Wenn ich nicht den festen Beschluss gefasst hätte, jedes Ereignis auf sein jeweiliges Jahr zu beziehen, so lechzte mein Sinn danach, vorauszueilen, und sofort die Schicksale, die Latinius sowie Opsius und die übrigen Urheber dieser Schandtat erlitten, zu erwähnen, […]. Aber wir werden diese und andere Strafen der Schuldigen zu gegebener Zeit überliefern.

Gewiss ist in diesem Erzählerkommentar der Unmut über die Beschränkungen der traditionsreichen Form unüberhörbar, die nach Syme und Suerbaum in einer Zergliederung inhaltlicher, kausaler Sequenzen und einer daraus resultierenden Enumeration zusammenhangsloser Fakten bestehen.15 Denn wenn innerjährliche Umstellungen, die der annalistische Aufbau durch sein Kategoriensystem problemlos gewährt, nicht genügen, sondern die darzustellende Thematik die Herstellung jahresübergreifender Zusammenhänge erfordert, ist ein Ausgleich zwischen einer ausdrucksstarken inhaltlichen und einer stimmigen chronologischen Strukturierung nicht möglich.16 Ein ausgeprägtes Bewusstsein eben dieser Problematik spiegelt sich in der obigen auktorialen Äußerung wider, sodass die hier beklagte Dominanz des jahrweisen Prinzips über die stoffliche Komponente nur ein Vorwand zu sein scheint, unter dem ein Vorzug der annalistischen Darstellungspraxis zwar unausgesprochen belassen, aber zugleich geschickt angewandt wird.17 Wie schon Graf richtig erläutert und Pigón sowie Suerbaum wieder aufgreifen, liegt dieser Vorteil vor allem in einer absichtlichen Zergliederung zusammengehöriger Erzähleinheiten zugunsten einer langfristigen, konsekutiven Spannungsgenerierung und nachhaltigen Leserbindung. Durch die explizite Ankündigung einer Berichterstattung zu einem späteren zukunftsgewissen Zeitpunkt, in tempore, wird nämlich das Interesse am Vorfall geweckt und die Neugierde des Rezipienten gesteigert. Dieser ist dazu angehalten, mit der Lektüre fortzufahren, bis der Ereignisstrang in Paragraph 6,4,1 mittels des Rückgriffs ut rettuli, der die aufgebaute Erwartungshaltung auflöst, fortgesetzt und abgeschlossen wird.18 Einen reflektierten Umgang mit diesen gat15

Vgl. Syme (1967), S. 305, Suerbaum (2012), S. 236 f., (2015), S. 339 sowie S. 344, Haase (1855), S. 65, Hirschfeld (1890), S. 363, Flach (1973b), S. 228, und demgegenüber Shotter (1989), S. 199: „This is less a real objection on Tacitus’ part to the restrictions imposed by the annalistic formula […] than a way of emphasising his personal disgust at the conduct he had just had to recount.“ 16 Vgl. Suerbaum (2012), S. 247, sowie (2015), S. 341, Schanz/Hosius (1935), S. 634 f., Damon (2010), S. 356 zur vermittelten Präsenz des Autors, und ausführlich Pigón (2004), S. 11–18 sowie S. 168. 17 Vgl. dazu Suerbaum (2012), S. 249, Ginsburg (1981), S. 30: „There is little reason to believe, moreover, that Tacitus found his chosen medium restrictive.“, sowie S. 97, und Pigón (2004), S. 168: „However, it would be wrong to speak about an irreconciliable conflict between the obligations of the annalistic historian and the freedom of the author to shape the time framework of his story in his own individual way. […] Tacitus is by no means constrained by the annalistic format which he manages to use for the benefit of his presentation of Roman imperial history.“ 18 Vgl. Graf (1931), S. 19, Pigón (2004), S. 13 f., Suerbaum (2012), S. 248 sowie S. 253 f., und (2015), S. 347. Vgl. auch Koestermann (1943), S. 158, (1965a), S. 208, Hartke (1959), S. 183, und Wille (1983), S. 346 sowie S. 444.

2.1 Strukturelle Rahmenbedingungen

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tungsbedingten Vorgaben legen ebenso vier vergleichbar verwendete auktoriale Anmerkungen19 sowie die unkommentierten Verstöße gegen das Prinzip der jahrweisen Berichterstattung bei der Verbindung dreier zeitlich eigentlich getrennter Ereignisse nahe. Dies betrifft die Tode Germanicus’, der am 10. Oktober 19 n. Chr. verschied, und Arminius’, der wohl erst zwei Jahre später starb, sowie den Prozess gegen Germanicus’ vermeintlichen Mörder Piso und dessen Suizid im Dezember 20 n. Chr. Denn dadurch werden die Erzählsequenzen der jeweiligen Kontrahenten nicht nur simultan abgeschlossen, sondern die Bedingungen ihres Ablebens wie auch ihr Lebenswerk gewissermaßen inhaltlich-kontrastiv gegenübergestellt.20 Wird anhand dieser Passagen also bereits ein Konflikt zwischen den beiden konkurrierenden Strukturprinzipien Zeit und Thema sowie ein situationsspezifischer, planvoller Umgang mit diesen ersichtlich, hebt folgender Erzählerkommentar noch eine dritte Facette hervor: Haec, quamquam a duobus Ostorio Didioque pro praetoribus plures per annos gesta, coniunxi, ne diuisa haud perinde ad memoriam sui ualerent: nunc ad temporum ordinem redeo (12,40,5). Obwohl diese Taten von zwei Proprätoren, Ostorius und Didius, über mehrere Jahre hinweg vollbracht wurden, verband ich sie, damit sie nicht getrennt überliefert einen geringeren Beitrag zu ihrem Gedenken leisten. Jetzt kehre ich zur zeitlichen Reihenfolge zurück.

Neben einem deutlichen Bewusstsein für die Überschreitung der zeitlichen Rahmenbedingungen des Werks lässt diese methodische Erläuterung bei der Zusammenziehung mehrerer außenpolitischer Berichte eine absichtlich gewählte Dominanz einer räumlichen Anordnung über die annalistische Gliederung erkennen. Diese wird in ähnlicher Weise noch zwei weitere Male expliziert: quae duabus aestatibus gesta coniunxi, quo requiesceret animus a domesticis malis (6,38,1) und quae in alios consules egressa coniunxi (13,9,3).21 Die Abweichungen vom zugrunde liegenden temporalen Schema werden einerseits darin begründet, kleinteilige und verstreute Nachrichten, die gefährdet sind, der Vergessenheit anheimzufallen, zu historisch relevanten und für den Leser attraktiven Erzählsträngen zusammenzufassen, sodass die Tragweite geschichtlicher Geschehnisse durch eine eigenständige Kumulation hinsichtlich örtlicher Aspekte verändert wird.22 Dadurch werden nach Tacitus’ Meinung andererseits längere, abwechslungsreiche Erholungsphasen für den Rezipienten geschaffen und die Plotstrukturierung nach den antizipierten Lektürebedürfnissen ausgerichtet.23 19 20

21 22 23

1,58,6 …, in tempore memorabo, 2,4,3 …, in loco reddemus, 6,22,3 … in tempore memorabitur, … bzw. 11,5,3 … in tempore memorabo, …; vgl. dazu Ginsburg (1981), S. 2 f. Vgl. Graf (1931), S. 20, dazu Koestermann (1943), S. 158, (1963), S. 415, Hirschfeld (1890), S. 365, Sage (1990), S. 980, Borzsák (1970), S. 290, Ginsburg (1981), S. 38, Cueva (2000), S. 18, Grethlein (2013), S. 147, Nickbakht (2005), S. 8, S. 107–111, S. 132 sowie S. 140, und Suerbaum (2015), S. 330, S. 348 f. mit Anm. 221 sowie S. 535. Vgl. auch den parenthetischen Einschub in hist. 2,27,2 (neque enim rerum a Caecina gestarum ordinem interrumpi oportuerat) und dazu Nickbakht (2005), S. 134 f., Pigón (2004), S. 16 Anm. 17, sowie Suerbaum (2015), S. 348. Vgl. Graf (1931), S. 95, Pigón (2004), S. 16 Anm. 16 f., Suerbaum (2012), S. 250, und (2015), S. 350. Vgl. Suerbaum (2015), S. 350 f.

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2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

Wenn folglich auch ein artifizieller und leserorientierter Einsatz der Strukturkomponenten zugunsten einer ansprechenden Stoffanordnung und alternativer Gestaltungsintentionen evident ist, führt dies dennoch niemals zu einer völligen Aufgabe des prävalenten annalistischen Aufbauprinzips. Dies demonstriert vor allem die Beibehaltung des Jahres 57 n. Chr. trotz seiner inhaltlich irrelevanten Ereignisse und der Polemik des Autors gegenüber erwähnensunwürdigen, künstlich aufgewerteten Faktenberichten. Nerone iterum L. Pisone consulibus pauca memoria digna euenere, nisi cui libeat laudandis fundamentis et trabibus, quis molem amphitheatri apud campum Martis Caesar exstruxerat, uolumina implere, cum ex dignitate populi Romani repertum sit res inlustres annalibus, talia diurnis Vrbis actis mandare (13,31,1). Unter dem zweiten Konsulat Neros und dem des L. Piso ereignete sich wenig Erinnerungswürdiges, außer es bereitet jemandem Vergnügen, durch Lobreden auf Grundmauern und Stützbalken, auf denen der Kaiser das große Gebäude des Amphitheaters beim Marsfeld erbauen lassen hatte, Buchrollen zu füllen. Denn es wurde aus der Würde des römischen Volkes heraus begründet, bedeutende Ereignisse den Geschichtswerken, solches dem täglichen Stadtanzeiger zu überlassen.

Mit dieser Invektive gegen eine geschichtliche Konkurrenzdarstellung vermutlich Plinius’ des Älteren, die freilich den eigenen Zugang zur Historiographie dezidiert von dessen Werk absetzen und als überlegen ausweisen soll,24 eröffnet Tacitus dem Leser hier einen distanzreduzierenden Seitenblick auf methodische Aspekte seines Plotarrangements und den Akt der Narration.25 Er erkennt nämlich einen Mehrwert seiner Präsentation darin, dass er, obgleich ihm durchaus reichhaltigeres Quellenmaterial vorliege, dieses nicht unselektiert darbiete, sondern eher einen kurzen Jahresbericht wie 57 n. Chr. mit einem Umfang von nur drei Kapiteln akzeptieren als seine Erzählung mit Nichtigkeiten grundlos ausweiten wolle.26 Denn diese erfüllen nicht das basale thematische Auswahlprinzip eines memoria dignum – eine Leitlinie, die für die Geschichtsschreibung allgemein Gültigkeit besitzt, aber die insbesondere Tacitus immer wieder betont.27 Zudem kommt dessen literarischer 24

Vgl. Kegler (1913), S. 18, Perl (1984), S. 570, Suerbaum (2015), S. 302, Koestermann (1963), S. 43 sowie S. 294, Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 193, und Whitton (2012), S. 350 f. Vgl. zum gegenseitigen Umgang antiker Historiographen Lendon (2009), S. 54, Marincola (1997), S. 106, S. 221, S. 236 sowie S. 251, Näf (2010), S. 181, und Pitcher (2009), S. 36 sowie S. 80. Syme (1967), S. 292, verweist darauf, dass an Plinius d. Ä. im Rahmen einer Invektive gegen die flavischen Schriftsteller bereits in den ‚Historien‘ (2,101,1) indirekt Kritik geübt worden war. 25 Vgl. Potter (2012), S. 126: „For Tacitus, self-conscious and public selectivity was a way of expanding the message of the text, connecting with the audience and maintaining what he saw to be the dignity of the subject.“, und Suerbaum (2015), S. 301. 26 Vgl. Ginsburg (1981), S. 86: „Tacitus’ particular approach to his material within the annalistic framework is not merely a question of the subject matter available to him, but of his attitude toward it.“, Pigón (2003), S. 151, und Suerbaum (2015), S. 300. 27 Agr. 1,2 sed apud priores ut agere digna memoratu pronum magisque in aperto erat, …, hist. 2,24,1 crebra magis quam digna memoratu proelia, …, hist. 2,50,2 procul grauitate coepti operis, ann. 6,7,5 nobis pleraque digna cognitu obuenere, …, sowie negativ formuliert 4,32,1 …, parua forsitan et leuia memoratu uideri non nescius sum, … und 15,70,2 …, nullo facto dictoue memorando. Vgl. zur Dignität der Historiographie Plinius’ Äußerung, epist. 6,20,20

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Anspruch, eine tiefgründige und ernsthafte Historiographie zu verfassen, darin zum Ausdruck, 28 dass sich diese deutlich vom Niveau der Tagespresse, diurna Vrbis acta, deren Benutzung als ergänzendes Quellenmaterial jedoch nicht ausgeschlossen ist,29 unterscheiden, sich aufgrund größerer Akkuratesse wesentlich von früheren Geschichtswerken abheben und sogar bisher unveröffentlichtes Material berücksichtigen soll.30 Die bewahrten Jahresberichte 56 und 57 n. Chr. Die gesuchte Polemik gegen eine Ausschmückung kaum berichtenswerter Fakten und die Setzung derartiger Maßstäbe täuschen an der obigen Stelle aber zugleich mit rhetorischer Raffinesse über eigene Defizite hinweg. In einer Präteritio negiert Tacitus nämlich zuerst die Darlegung von Belanglosigkeiten und nimmt sich von dieser Praxis expressis verbis aus. Im direkten Anschluss knüpft er dann jedoch einige für die derzeitige Handlung irrelevante Beschlüsse Neros sowie Senatsentscheidungen mit einem beiläufigen ceterum an, sodass diese zunächst lediglich ex negativo bedeutend erscheinen und von einem unkritischen Leser unhinterfragt aufgenommen werden.31 Die adynamischen Berichte aus den Jahren 56 und 57 n. Chr. schaffen einen Ruhepunkt innerhalb der Erzählung, der durch eine Auswahl vorwiegend senatsbezogener Aktivitäten und nicht zuletzt durch die überwiegende

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haec nequaquam historia digna …, und Heldmann (2011), S. 67–69, v. a. S. 68 f.: „In der historiographischen Praxis wurde die Deutungshoheit des Historikers über die memoria dadurch realisiert, dass er mit der Abfassung seines Werkes darüber entscheid, was zum Gedächtnis der Gesamtheit gehörte und was nicht, […]. Mithin bestand seine Aufgabe nicht wie die des modernen Historikers in einer Rekonstruktion von Vergangenheit, sondern in einer Gestaltung von Vergangenheit.“ Vgl. auch Vielberg (1990), S. 171 f., Suerbaum (2015), S. 61 sowie S. 300, und Schmid (2008), S. 268 f.: „Erst vor dem Hintergrund des Nicht-Gewählten erhält das Gewählte seine Identität und seine Sinnfunktion. Eine Geschichte als sinnhaftes Ganzes zu erfahren heißt: die Logik ihrer Selektivität zu erschließen.“ 4,53,2 id ego a scriptoribus annalium non traditum repperi in commentariis Agrippinae filiae, … 6,7,5 neque sum ignarus a plerisque scriptoribus omissa multorum pericula et poenas, …: nobis pleraque digna cognitu obuenere, quamquam ab aliis incelebrata. Vgl. Walker (1952), S. 84: „Tacitus’ intention is to omit nothing.“, kritisch Koestermann (1953), S. 517, (1965a), S. 255, Ginsburg (1981), S. 8 f., Suerbaum (2015), S. 276, Marincola (1997), S. 116, und Luce (1991), S. 2921 f. 3,3,2 matrem Antoniam non apud auctores rerum, non diurna actorum scriptura reperio ullo insigni officio functam, …; vgl. Koestermann (1963), S. 422, v. Albrecht (1988), S. 54, Sailor (2008), S. 258, und Sage (1990), S. 1009 f. Vgl. des Weiteren die Bitterkeit der juvenalischen Worte in Anm. 27 (Kap. 1) und zur Form sowie Benutzung der acta diurna und acta senatus Marx (1925), S. 82–90, Koestermann (1963), S. 422, Syme (1967), S. 278–286, Nickbakht (2005), S. 5 f., Shotter (1989), S. 29, Schmal (2011), S. 108–110, Suerbaum (2015), S. 600 f. Anm. 438, Martin (1981), S. 201, und Vielberg (1990). Vgl. Marincola (1997), S. 115, und Martin (1969), S. 121. Vgl. Koestermann (1967), S. 295: „Der Aufzählung cap. 31ff. fehlt der rote Faden; es werden ganz heterogene Geschehnisse lose aneinandergereiht.“, Syme (1967), S. 296, der daraus auf eine Benutzung der acta senatus schließt, und Suerbaum (2015), S. 304–306.

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2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

Einhaltung traditioneller Anfangsklauseln in diesen beiden sowie dem Vorjahr32 lokal den Anschein eines Wiederauflebens republikanischer Traditionen vermittelt: manebat nihilo minus quaedam imago rei publicae (13,28,1).33 Die Darstellung der ersten Regierungsphase Neros zeichnet also einerseits gewissermaßen das Bild der zeitgenössischen Propaganda einer Wiederkehr des augusteischen Zeitalters nach und wird andererseits der späteren Vorstellung eines quinquennium Neronis gerecht.34 Die daraufhin berichteten nächtlichen Ausschweifungen des Kaisers in Rom demonstrieren demgegenüber unmissverständlich, wie weit die geschichtliche Realität von dieser Idealvorstellung entfernt war.35 Die möglicherweise kurzzeitig beim Leser geweckten Erwartungen einer Rückkehr zu republikanischen Werten erweisen sich somit als Irrtum, dem auch die damalige römische Bevölkerung angesichts der anfänglichen wirtschaftlichen und kulturellen Blütezeit unter dem neuen Prinzeps erlegen sein mag. Zudem fungieren die Jahre 56 und 57 n. Chr mit ihren scheinbar zusammenhangslos präsentierten Ereignissen als narrative Gelenkstellen. Dies zeigt sich zum einen darin, dass zuvor schon erwähnte Themen und Personen wie die Theaterwache, Celer und Plautius sowie dessen Ehefrau Pomponia Graecina wieder aufgegriffen werden.36 Zum anderen werden personelle und inhaltliche Grundlagen für das spätere Geschehen geschaffen, was vom Leser oftmals erst rückwirkend erkannt werden kann. Beispielsweise betrifft dies die Personen Antistius Sosianus, Cossutianus Capito und Epirus Marcellus,37 gilt aber auch für kleinere korrespondierende Inhalte wie die Verwaltung von Kolonien und Steuern.38 Der vorbereitende Charakter dieser Jahresberichte wird jedoch vor allem bei der Problematik des Umgangs mit Freigelassenen und Sklaven deutlich. Dieser ist nicht nur eine Senatsdebatte über die Undankbarkeit gewisser Freigelassener gegenüber ihren Herren in indirekter Rede gewidmet, was die besondere Gewichtung dieser Thematik zum Ausdruck bringt, sondern mit ihr befasst sich auch ein summarisch referier32 33

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13,11,1 Claudio Nerone L. Antistio consulibus, 13,25,1 Q. Volusio P. Scipione consulibus bzw. 13,31,1 Nerone iterum L. Pisone consulibus. Vgl. Morford (1990), S. 1603, Sage (1990), S. 991 f., und Bartera (2012), S. 165 f., der zu Recht darauf hinweist, dass diese formal gleichrangigen Konsulatsangaben nicht darüber hinwegtäuschen können, dass de facto dem Kaiser umfassendere Kompetenzen zufielen, sodass das Kollegialitätsprinzip entkräftet war. Aur. Vict. 5,2 …, quinquennium tamen tantus fuit, …, uti merito Traianus saepius testaretur procul differre cunctos principes Neronis quinquennio; vgl. Wöhrmann (1956), S. 36, Morris (1969), S. 71, Koestermann (1967), S. 7, S. 236 sowie S. 349, Syme (1967), S. 262, Tresch (1965), S. 74, Flach (1973b), S. 176, Martin (1981), S. 188, Wille (1983), S. 542, Blänsdorf (2015), S. 324, Borzsák (1968), Sp. 476, McCulloch (1984), S. 130 sowie S. 161, und Pfordt (1998), S. 148. Demgegenüber meint Ammerbauer (1939), S. 53, in Tacitus’ Darstellung fehle jegliche Spur einer solchen glücklichen Herrschaftsphase, und Suerbaum (2015), S. 179, verlegt das quinquennium Neronis unverständlicherweise auf die Jahre 51–56 n. Chr. Vgl. Bartera (2012), S. 167. 13,24,1, 13,25,4; 13,1,2, 13,33,1; die mit 13,32,2 korrespondierende Stelle ist nicht erhalten. 13,28,1, 14,48,1, 16,14,1, 16,21,2; (11,6,3), 13,33,2, 14,48,1, 16,17,5, 16,21,3–22,6, 16,28,1, 16,33,2; (12,4,3), 13,33,3, 16,22,6, 16,28,1–3, 16,33,2. Vgl. dazu auch Suerbaum (2015), S. 306. 13,31,2, 14,27,2 f.; 13,31,2, 13,50,1–3.

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ter Senatsbeschluss, der bei der Ermordung eines Patrons durch einen seiner Unfreien die Todesstrafe auch für alle testamentarisch freigelassenen, aber noch im Haus lebenden Sklaven vorsieht.39 Denn zweifelsohne stehen beide Erläuterungen mit der später erzählten Tötung von Pedanius Secundus und C. Cassius’ Verurteilungsrede in engster gedanklicher, thematischer und darstellerischer Verbindung.40 Indem nebenbei und ohne offensichtlichen Verstoß gegen die selbst auferlegten Selektionskriterien zumindest gegenwärtig nachrangige Facetten integriert werden, führt die polemische Präteritio hier folglich weniger zu einer pragmatischen Längung des vorliegenden Jahresberichts als vielmehr überhaupt erst zur Beibehaltung dieser annalistischen Einheit.41 Angesichts einer insgesamt freieren Handhabung des temporalen Aufbauschemas in den Nerobüchern ist dies jedoch nicht in einer mechanischen Umsetzung obsoleter Gattungsnormen, sondern in einem offenkundigen auktorialen Gestaltungswillen sowie einer angestrebten Rezipientenorientierung zu begründen.42 Denn die Wirkung einer temporalen Taktung durch selbstreferenzielle Werte ist zwar heutzutage kaum nachzuempfinden, war aber für einen zeitgenössischen römischen Leser bedeutsam, weil eine an seine kulturellen Traditionen angepasste Zeiteinteilung, wie sie der jährliche Wechsel der obersten Beamten in Rom bot, laut Walter ein essenzieller subjektiver Anhaltspunkt und ein relatives Abstandsmaß sei, um Geschehnisse in ein chronologisches Raster einordnen zu können.43 Dabei seien die Namen der jeweiligen Beamten zweitrangig, da eine korrekte Datierung der Konsulatszeiten aus dem Stegreif wohl auch für einen römischen Rezipienten nicht möglich gewesen sei.44 Wesentlich sind hingegen der regelmäßige Turnus sowie äquidistante Unterbrechungen, die der Erzählung eine einheitliche Rhythmik verleihen, zumal die lektürebegleitenden Angaben der Konsulate eine temporale und bei entsprechender formaler Herausarbeitung vielleicht auch eine visuelle Orientierung im Werk bieten konnten.45 Eine Auslassung dieser Referenzwerte könnte jedoch dazu führen, dass die Chronologie, wenn auch nur 39 40 41 42 43 44

45

13,26,1–27,3 bzw. 13,32,1. 14,42,1–44,4; vgl. auch Suerbaum (2015), S. 305, und Keitel (1991), S. 2781 sowie S. 2794, die für die Historienerzählung vorwiegend solche thematischen Verbindungslinien zwischen den Reden feststellt. Vgl. Koestermann (1967), S. 295: „Anscheinend diente auch die Kritik an Plinius mit dem Zweck [sic!], den sonst sehr kargen Jahresbericht etwas aufzufüllen.“, und Pitcher (2009), S. 36 sowie S. 39. Etwaige Möglichkeiten zur Auslassung eines Jahresberichts nennt Suerbaum (2015), S. 319. Vgl. Walter (2006), S. 41: „Zeit wird sozial konstruiert“, S. 47 f. sowie S. 52, Rich (2009), S. 120, Allgeier (1957), S. 3, Koestermann (1967), S. 294, und Finley (1965/1991), S. 27, der darauf verweist, dass den Griechen hierzu die Olympiadenrechnung diente. Vgl. Walker (1952), S. 13, und Feeney (2009), S. 147: „The paired consulship is an office which makes orientation in time possible when part of a series, but we should be careful about the implications of saying that Quintus Fabius Rullianus and Publius Decius Mus equals 297 BCE.“ Eine These, die sich leider aufgrund des Überlieferungszustandes nicht erhärten lässt, da die Konsulnamen, die im Mediceus II, der von Rostagno (1902) als photographischer Nachdruck ediert wurde, durchweg nicht vom Text abgehoben sind und somit keinen Rückschluss auf das Originalmanuskript zulassen. Vgl. zu einem ähnlichen Verfahren bei Livius Pausch (2011), S. 113.

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2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

eine individuell empfundene, für den Rezipienten lediglich schwer nachzuvollziehen wäre und sich bei der Lektüre ein Gefühl der Orientierungslosigkeit, der Unsicherheit sowie des Unbehagens einstellen würde. Fazit Bei einer Zusammenschau der augenscheinlichen Gliederungselemente und der auktorialen Kommentare ist ein ambivalentes Fazit zu ziehen. Mit zunehmender Nähe zu den Nerobüchern ist eine Vernachlässigung des annalistischen Schemas festzustellen, die diesbezüglich keine generelle Abwendung des Verfassers indiziert, sondern dessen Einsicht in die Problematik einer Unvereinbarkeit von jahrweise fortschreitender und zugleich thematisch kohärenter Plotgliederung geschuldet ist. Außerdem bringt diese formale Entwicklung die mangelnde Passung und Oppositionalität des gewöhnlichen Aufbauschemas vor dem Hintergrund einer veränderten historischen Lebenswelt zum Ausdruck. Denn das Geschehen wird nicht mehr von Amtswechsel und -handlungen republikanischer Institutionen bestimmt, sodass deren Erwähnung nachrangig geworden ist. Stattdessen dominieren die den Kaiserhof und den Prinzeps betreffenden Ereignisse das kulturelle Leben in Rom wie infolgedessen auch die temporale Anlage und Berichterstattung über diese Epoche.46 Dies wird ferner an dem starken Erzähleinschnitt durch den Herrschaftsantritt Neros sowie anhand der gelegentlich verwendeten Alternativdatierungen nach der Anzahl von dessen Regierungsjahren deutlich, was nach Walter die im Prinzipat gängige Zeitordnung gemäß der wahren politischen Verhältnisse widerspiegle.47 Die Reduzierung der annalistischen Norm, die sich durch ihre jahresüber46

Vgl. Syme (1967), S. 269 f., Ginsburg (1981), S. 11 sowie S. 17: „to place another event in a temporal context“, Wille (1983), S. 353 sowie S. 357, Pfordt (1998), S. 200, Sage (1990), S. 997, Mehl (2001), S. 126 f., Perl (1984), S. 570, Grethlein (2013), S. 169, Walter (2006), S. 57, Rich (2009), S. 120, Bartera (2012), S. 162 f., McCulloch (1984), S. 157: „Tacitus saw no need to continue the fiction that Republican practices still counted for something, and, accordingly, began to depart from the annalistic format – the symbol of Rome’s early glory.“, mit Bezug auf religiöse Einrichtungen Davies (2004), S. 144: „The operation of the cultus deorum is fundamentally shaped by the contemporary political and social situation. As the integrity of politics ‚declined‘, so too did religious appointments and the authority of the senate.“, und Classen (1988), S. 115, der drastisch, aber treffend zusammenfasst: „[…] but facing the reality that persons like Livia or Agrippina and their whims were of greater relevance to the course of events than a decision of the senate or a victory in the East.“ Vgl. zudem Klingner (1958), S. 198, Heinz (1948), S. 3 sowie S. 6, und Timpe (1988/2007), S. 245, die darauf hinweisen, dass auch ohne jede ausdrückliche oppositionelle Aktivität schon in der senatorischen Geschichtsschreibung und Standesethik ein Konfliktpotenzial zur Prinzipatsordnung bestand. Weiterhin korrespondiert Tacitus’ Aufweichung des annalistischen Schemas in der Kaiserzeit gewissermaßen mit dessen Implikation erst nach der Königszeit bei Livius; vgl. Feeney (2009), S. 145 sowie S. 148 f., und Rich (2009), S. 126. Wie eng Konsulat und Freiheit nämlich für Tacitus zusammengehören, veranschaulicht das Proömium der ‚Annalen‘, libertatem et consulatum (1,1,1), worauf McDonald (1975/1991), S. 229, aufmerksam macht. 47 Vgl. Walter (2006), S. 48, bestätigt durch 4,1,1 nonus Tiberio annus am Anfang des vierten Buchs und Senecas Äußerung zu Beginn seines Rücktrittgesuchs an Nero 14,53,2 … octauus

2.1 Strukturelle Rahmenbedingungen

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greifende Vergleichbarkeit auszeichnet, lenkt darüber hinaus die Aufmerksamkeit des Rezipienten besonders auf die die traditionellen Inhalte substituierenden Elemente. Die ungewohnte Abwechslung lockert das strenge Schema auf und lässt gewisse Themen entgegen der üblichen Darstellungspraxis an exponierte Stellen innerhalb eines Jahresberichts treten, wodurch diese unerwartete Bedeutungsnuancen hinzugewinnen.48 Diese Tendenz führt jedoch nicht soweit, dass auf die jahrweise Anordnung oder ein ganzes Berichtsjahr gänzlich verzichtet wird, zumal ein basales chronologisches Raster zur Verortung der verschiedenen Erzählstränge unverzichtbar ist. Dieses leistet nämlich einen wesentlichen Beitrag zur zeitlichen Orientierung des Lesers und gibt theoretisch eine regelmäßige Taktung des Geschehens vor, dessen variable Schwerpunktsetzung und Rhythmisierung aber schon aus den differierenden Textumfängen der einzelnen Jahresberichte ersichtlich wird. Auch wenn folglich in den Nerobüchern weiterhin das annalistische Schema die diegetische Grundordnung bildet, konkurriert diese lokal mit einer thematischen und geographischen Gliederung, sodass die Gesamtstruktur einem dreifaktoriellen Spannungsfeld aus jahrweisem Darstellungsprinzip, thematischer Kohärenz und räumlicher Anordnung entspringt. Diese drei Dimensionen werden hierbei reflektiert, ungezwungenen sowie situationsadäquat berücksichtigt und ihre Gewichtung intentional variiert, um beispielsweise Spannung zu erzeugen, Kontraste zu etablieren oder erwähnenswerte Ereignisse sowie intermittierende Erholungsphasen zu schaffen. Tacitus wird dadurch bei der Komposition also nicht eingeschränkt, sondern vielmehr vor narrative Herausforderungen gestellt,49 deren unterschiedliche rezipientenorientierte Lösungsansätze ebenso wie das damit verknüpfte wechselseitige Verhältnis der drei Anordnungsprinzipien im Verlauf des zweiten Kapitels noch genauer zu analysieren sein werden.

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(sc. annus), ut imperium obtines. Vgl. ferner Syme (1970), S. 4, Duncan-Jones (1977/1981), S. 400, Feeney (2009), S. 150, Bartera (2012), S. 180, Suerbaum (2015), S. 325, S. 327 sowie S. 363, und Sage (1990), S. 975: „The largest compositional unit that Tacitus uses in the ‚Annals‘ is the natural one of individual reigns.“ Vgl. Conte (1992), S. 122: „By comparing and contrasting – the reader can recognize what is new, and at the same time perceive the specificity of the individual text which is offered to him“, Schmitz (2002), S. 36, Bartera (2012), S. 162: „[…], placing first an event to which the historian decides to assign a special significance.“, Classen (1988), S. 107: „However, there are considerable differences as regards details, for the historian is anxious not to bore his readers by ever recurrent patterns.“, sowie S. 115, Jannidis (2004), S. 65, und Martínez/ Scheffel (2007), S. 136. Vgl. Goodyear (1970), S. 24: „That does not mean he accepted the annalistic framework as a strait-jacket. He could usually work within it, but, if stylistic or historiographical reasons make that difficult, then he breaks away from it.“, Suerbaum (2015), S. 387, und Pfordt (1998), S. 19.

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2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

2.2 INSZENIERTE LINEARITÄT Innerjährliches temporales Arrangement Abgesehen vom annalistischen Rahmenaufbau wird auch innerhalb der Jahreseinheiten durch den geschickten Einsatz von Zeitabverbialien eine sinnvolle Chronologie erzielt, die eine jahreszeitliche Struktur nachgestaltet und Ereignisse sowie Entwicklungen in eine sukzessive Abfolge bringt. Verweise auf die winterliche Jahreszeit gehen dabei entweder mit dem strategisch unsinnigen Vorgehen eines Feldherrn50 oder dem regulären Ende sowie der üblichen Pause militärischer Aktionen einher.51 Als der armenische Handlungsfaden mit dem Ausrücken der römischen Truppen aus den Winterlagern, die sie nach einer vorläufigen Einigung mit den Parthern bezogen hatten, wieder aufgegriffen wird, lässt zudem die Formulierung principio ueris eine authentische temporale Einordnung des Geschehens zu.52 Ebenso bildet der Einschub eius anni principio gleich zu Jahresbeginn einen geeigneten zeitlichen Übergang zur Außenpolitik und die Stammesfehden zwischen Hermunduren und Chatten finden in den für kriegerische Auseinandersetzungen adäquaten Sommermonaten, aestate, statt.53 Weiterhin ist der Ausdruck fine anni54 meist korrekt am Ende eines Jahresberichts positioniert, kündigt einen in Kürze anstehenden Jahreswechsel an und unterstützt damit die intratextuelle sowie chronologische Orientierung des Lesers.55 Die temporale Logik wird ferner oftmals mittels erläuternder Angaben erzeugt, die das zeitliche Verhältnis einzelner Vorkommnisse innerhalb einer Jahreseinheit konkretisieren und dem Rezipienten eine stringente chronologische Verortung der Vorfälle ermöglichen. Dies ist gerade dann notwendig, wenn von einem Handlungsstrang in einen anderen übergeleitet wird und die temporale Struktur aus dem vorausgehenden oder nachfolgenden Geschehen nicht von selbst ersichtlich ist. Hierzu dient ein breites Spektrum an verschiedenen, in der nachstehenden Anmerkung vollständig gelisteten Ausdrücken wie eodem anno, isdem consulibus oder inter quae, welche die Simultanität, beziehungsweise postero die, exim oder deinde, welche die Sukzessivität des anschließenden Handlungsverlaufs bezeichnen können.56 Diese werden in hoher Frequenz verwendet und häufig sogar lokal kumu50 51 52 53 54 55 56

15,6,2 hibernauisse, 15,7,2 bzw. 15,8,1 hibernaculis, 15,8,2 hieme, 15,10,3 hibernis. 13,8,2 hiemabant, 13,35,3 hieme, 14,38,2 hibernaculis, 15,17,2 hibernauit. 15,17,2 bzw. 15,24,1. 13,34,2 und 13,57,1. 13,6,1, 13,24,1, 14,28,2, 15,47,1. Vgl. Moore (1923), S. 6, und Ginsburg (1981), S. 31. Das sukzessive respektive simultane chronologische Verhältnis von Ereignissen, wobei sämtliche Stellen erfasst sind, an denen diese Funktionen vorherrschen, unterstreichen: eodem anno 13,10,1, 50,1, 58,1, 14,27,1, 40,1, 65,1, 15,32, 16,13,3, idem annus 13,33,1, 15,32, eo anno 13,45,1, 14,47,1, 47,2, isdem consulibus 13,30,1, 48,1, 14,46,1, 15,22,2, inter quae 14,22,1, 32,1, 15,24,1, interea 15,1,1, 30,2, 45,1, 16,4,1, interim 13,36,1, 41,1, 14,6,3, 8,1, 15,3,2, 9,1, 11,3, 15,1, 34,1, 51,1, 53,3, 57,1, 64,3, 69,3, 71,1, 16,3,1, 30,1, sub idem tempus 14,17,1, 15,7,1, per idem tempus 13,26,1, 44,1, 15,46,1, id temporis 16,15,1, ea tempestate 13,53,2, 15,19,1, ueris principio 15,24,1, eadem aestate 13,57,1, is dies 14,41, idem dies 16,33,1, pridie

2.2 Inszenierte Linearität

77

liert, sodass innerhalb weniger Kapitel der Eindruck einer stark verdichteten, fein gesponnenen und durchkomponierten temporalen Ordnung entsteht. Dies betrifft beispielsweise die Abschnitte 14,46 und 14,47, da an isdem consulibus (14,46,1) sofort zweimalig eo anno (14,47,1; 14,47,2) angeschlossen wird.57 Andererseits ist die Abfolge sowohl der Kapitel 15,19 bis 24, in denen nacheinander die Zeitadverbialien ea tempestate (15,19,1), exim (15,20,1), iisdem consulibus (15,22,2), Memmio Regulo et Verginio Rufo consulibus (15,23,1) und ueris principio (15,24,1) stehen, als auch die Sequenz der Abschnitte 15,45 bis 48 auffällig, die mithilfe der Zeitangaben interea (15,45,1), per idem tempus (15,46,1), nec multo post (15,46,2), fine anni (15,47,1), ineunt deinde consulatum Silius Nerua et Atticus Vestinus (15,48,1) untergliedert werden. Während hier die Häufung und Positionierung der Temporalangaben zwar teilweise redundant wirkt, aber dennoch eine sinnvolle, eindeutige Zuordnung des Geschehens erlaubt, evoziert der massierte Einsatz derartiger Konnektoren an anderen Passagen doch Unstimmigkeiten. Denn auch wenn Tacitus die Überschreitung der Jahresgrenze in 13,9,3 mit quae in alios consules egressa coniunxi expliziert, um Datierungsunklarheiten zu vermeiden, so ist die direkte Anknüpfung mit eodem anno (13,10,1) bei flüchtiger Lektüre missverständlich, da sich diese sowohl auf den Ausgangs- als auch auf den in der Prolepse dargestellen Zeitpunkt beziehen kann.58 Zwar mag ein mit den Erzählgepflogenheiten vertrauter Rezipient aus der obigen Phrase, die das Ende des Vorgriffs und die Rückkehr zur Basishandlung markiert, erkennen, dass das Nachstehende als Ergänzung noch zum Jahr 54 n. Chr. gehört, aber eine gewisse Unsicherheit bleibt dennoch zurück, zumal in Paragraph 13,6,1 mit fine anni schon der Jahresabschluss angekündigt wurde.59 Diese Unre15,54,1, primus dies 15,57,1, propinquo die 13,15,1, postera/­o die 13,44,4, 15,30,2, 57,1, in diem posterum 15,14,3, illis diebus 13,13,4, 15,35,1, 16,19,1, isdem diebus 14,22,4, 15,35,1, per illos dies 16,2,1, sexto die 14,57,4, 15,40,1, paucos post dies 15,37,4, paucis interiectis diebus 14,64,1, 15,29,2, paucos intra dies 16,17,1, propinquis tenebris 13,40,3. Zu demselben Zweck finden sich auch: exim 13,18,1, 14,48,1, 60,1, 61,1, 15,12,1, 17,2, 20,1, 29,1, 64,4, 70,1, 16,14,3, dein(de) 13,6,1, 12,2, 15,5, 16,2, 21,1, 25,2, 28,3, 29,1, 41,1, 42,1, 51,1, 56,3, 57,3, 14,5,3, 17,1, 30,2, 38,1, 55,3, 62,2, 15,9,2, 10,2, 12,2, 18,3, 29,2, 44,4, 48,1, 54,1, 56,1, 67,1, 16,18,2, tunc 15,10,3, 16,9,1, 11,2, tum 13,4,2, 13,2, 29,2, 39,2, 39,3, 43,4, 14,7,2, 7,6, 45,2, 62,4, 15,14,2, 25,2, 26,3, 29,1, 35,2, 56,1, 56,3, 60,4, 61,2, 63,2, 68,1, 72,1, 74,1, 16,10,4, 25,1, 31,1 34,1, 35,1, nec/neque/haud multo post 13,27,3, 14,24,4, 42,1, 15,36,1, 46,2, 16,17,6. Zur annalistischen Formelhaftigkeit derartiger Wendungen vgl. Graf (1931), S. 16, Wille (1983), S. 346, Rich (2009), S. 122, und zur Bedeutung der Zeitbestimmung in der Erzählung vgl. Fludernik (2006), S. 54 f. 57 Vgl. Wille (1983), S. 555 f. 58 Vgl. zum Begriff der Prolepse Genette (1972/1998), S. 25: „Mit Prolepse bezeichnen wir jedes narrative Manöver, das darin besteht, ein späteres Ereignis im voraus [sic!] zu erzählen oder zu evozieren.“ 59 Vgl. Pfordt (1998), S. 192, der behauptet, dass auch in 14,40,1 und 15,32 ein solcher Verstoß vorläge. Dabei berücksichtigt er aber nicht, dass Boudiccas Aufstand, wie Koestermann (1968), S. 84, angibt, wahrscheinlich bis ins Jahr 61 n. Chr. fortgesetzt wurde und es ebenfalls bei der Beendigung der Kämpfe gegen Vologaeses keinen Anlass dazu gibt, von einem Vorgreifen auf das nächste Jahr auszugehen. Demgemäß sind die jeweiligen Überleitungen mit eodem anno korrekt, da der Leser die anschließenden innenpolitischen Ereignisse ausschließlich auf das zugehörige Berichtsjahr beziehen kann.

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2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

gelmäßigkeit ist allerdings weniger als ein narratives Versehen in der temporalen Jahresgestaltung als vielmehr als geschickte spannungstektonische Verzögerung aufzufassen, wie ein Vergleich mit einer weiteren Passage der Nerobücher zeigt. Nach der Schilderung des Prozessverlaufs und -ausgangs gegen den ehemaligen Delator Suillius60 wird mit per idem tempus (13,44,1) Octavius Sagittas Verbrechen und im darauffolgenden Kapitel mit eo anno (13,45,1) Poppaeas Charakteristik angefügt. Da das Jahr 58 n. Chr. anschließend zuerst mit isdem consulibus (13,48), dann mit der Präteritio non referrem uulgarissimum senatus consultum (13,49,1), der eben doch eine ausführliche Darlegung dieser Senatssitzung folgt, die für die gegenwärtige Handlung unbedeutend ist, jedoch offenbar einen später relevanten Protagonisten vorstellt,61 und letztlich wiederum mit eodem anno (13,50,1) fortgeführt wird, wirkt der Jahresbericht überaus langatmig.62 Obwohl der erfahrene Leser aufgrund der Nachrangigkeit sowie der Aufzählung der präsentierten Inhalte schon im thematischen Bereich der Varia angekommen zu sein scheint und längst das Jahresende antizipiert, weitet sich der Fokus im Anschluss durch einen elliptischen Hinweis auf die ruhige Lage in Germanien noch einmal: quietae ad id tempus res in Germania fuerant (13,53,1). Hierbei wird die mangelnde Spezifität der Zeitangabe ea tempestate (13,53,2) aus den wiederholten Provinzstatthalterwechseln und aus der iterierten Inanspruchnahme desselben römischen Ackerlandes durch verschiedene germanische Volksgruppen deutlich63 sowie mittels einer Verlagerung des zeitlichen Anordnungsschemas auf die örtliche Ebene, eosdem agros (13,55,1), überspielt.64 Die in sich abgeschlossene Erzählung über die Vorgänge an der Rheingrenze führt den Leser erst wieder sukzessive in den Sommer des eigentlichen Jahresberichts, eadem aestate (13,57,1), zurück, bevor das Jahr 58 mit einer wiederholten Setzung von eodem anno (13,58) im letzten Kapitel endlich schließt. Diese scheinbar endlose Aneinanderreihung diverser Einzelereignisse erzeugt somit absichtlich eine gewisse Langatmigkeit gegen Ende des 13. Buches und eine gekonnte Verzögerung des Jahresschlusses, um das nächste 60 61 62 63

64

13,42,1–43,5. Vgl. Schmich (1960), S. 36: „Stärker konnte die überraschende Erscheinung dieses Mannes schon bei seinem ersten Auftreten in den Annalen gar nicht hervorgehoben werden, der Leser horcht unwillkürlich auf.“ Vgl. zu dieser dramatischen Technik Mendell (1935/1969), S. 445 sowie S. 463. 13,54,2 …, cum Duuius Auitus, accepta a Paulino prouincia, minitando uim Romanam, nisi abscederent Frisii ueteres in locos aut nouam sedem a Caesare impetrarent, perpulit Verritum et Malorigem preces suscipere. und 13,55,1 eosdem agros Ampsiuarii occupauere, …; vgl. Koestermann (1967), S. 337, der die Jahre 56–58 n. Chr. zugrunde legt, Furneaux/Pelham/ Fisher (1907), S. 222, Hirschfeld (1890), S. 365, Syme (1967), S. 451, Wille (1983), S. 541, und Röver/Till (1969), S. 43. Vgl. Pfordt (1998), S. 140. Den vorausgehenden Ort bzw. Inhalt aufgreifende Episodenüberleitungen werden relativ selten gewählt: 14,41 pari ignominia, 14,50,1 haud dispari crimine, 15,10,1 ibi, 15,60,1 proximam necem bzw. 15,68,1 proximum … exemplum. Insbesondere wird, als kein Ende der Mordserie nach der Pisonischen Verschwörung abzusehen ist, der Konnektor eodem agmine (16,17,1) zeitlichen Kriterien vorgezogen, um die Kontinuität der Massenmorde, der dort gleich vier Personen zum Opfer fallen, adäquat auszudrücken, wobei diese Wortwahl gerade nach der auktorialen Äußerung in 16,16,1 f. nur schwerlich zufällig erfolgt. Vgl. auch Bellardi (1974), S. 135, und Hauser (1967), S. 98.

2.2 Inszenierte Linearität

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Buch umso erschütternder mit Agrippinas Ermordung beginnen zu lassen.65 Zudem belegt die differenzierte Betrachtung die fehlende Präzision der unterschiedlichen Zeitangaben, sodass die von diesen suggerierte temporale Struktur oberflächlich ist, nur selten die absolute Fixierung eines Vorfalls innerhalb eines Jahresberichts zulässt und dem Leser lediglich zu einer relativen Datierung des Geschehens verhelfen kann. Daraus ist einerseits abzuleiten, dass die linear fortschreitende Chronologie der Vorkommnisse hauptsächlich durch die textuelle Abfolge in Verbindung mit der annalistischen Gesamtanlage des Werks simuliert wird.66 Andererseits werden Aspekte des Umgangs mit narrativ anspruchsvollen, gleichzeitigen Handlungsverläufen offenbar, die in eine lineare Erzählung zu überführen sind, wobei meist ein Spannungsverhältnis zwischen vorgezogenem und nachgeholtem Handlungsstrang bestehen bleibt.67 Während Cousin hervorhebt, „daß die bei Cäsar und besonders bei Livius beliebte Formel dum haec … geruntur usw. in den Annales überhaupt nicht begegnet“,68 dient hierzu nämlich die soeben beschriebene Unschärfe der Temporaladverbialien. Denn vielfach verwendete Phrasen wie eo anno, eodem anno, idem annus oder iisdem consulibus sind eher als Ausdrücke für ‚irgendwann in eben diesem Jahr‘ zu verstehen,69 sodass Episoden, die erst später im Jahresbericht vorkommen, bereits an früherer Stelle einsetzen, sich parallel zum zuvor und im Anschluss Referiertem abspielen oder währenddessen sogar schon abgeschlossen sein können. Paradebeispiele für solche anachronischen Erwähnungen am Jahresende sind gewiss die Todesfälle, der von Nero veranlasste Bau sowie der Brand eines Gymnasiums und die diversen Anklagen, Prozesse, Schuldsprüche sowie Senatsbeschlüsse.70 Daran schließt sich als weitere Option an, auftretende Parallelhandlungen in aneinander anschließende Einzelstränge aufzulösen. Dies erfolgt mittels der oben ebenfalls gelisteten Adverbien wie interim und interea und Phrasen wie sub idem tempus und inter quae. Die Umsetzung einer solchen Linearisierungstechnik lässt sich exemplarisch anhand der Pisonischen Verschwörung aufzeigen, da während dieser der Fokus abwechselnd auf die unterschiedlichen Aktionen der jeweiligen Parteien zu richten ist, die sich simultan abspielen und letztlich auf einen gemeinsamen Zielpunkt, die Aufdeckung und dramatische Katastrophe, zulaufen.71 65 66 67 68 69

70 71

Vgl. Pfordt (1998), S. 139, und dazu ausführlich Abschn. 4.5.3. Vgl. Wille (1983), S. 353, und Walker (1952), S. 52: „Time is treated as similarly elastic.“ Vgl. Rüpke (1997), S. 34, Lämmert (1980), S. 85, Pitcher (2009), S. 132 f., Flach (1973b), S. 17, und Pausch (2011), S. 86. Cousin (1951/1969), S. 107. Vgl. Ginsburg (1981), S. 35: „Tacitus also concludes the year’s narrative with items which are introduced by more general rubrics (eodem anno, eo anno, isdem consulibus) and thus designated merely as taking place in the year in question.“, sowie S. 98 f., und (1993), S. 97, sowie Nickbakht (2005), S. 134. In obiger thematischer Reihenfolge durch Semikola getrennt: 13,30,2, 14,19, 14,47,1; 14,47,2, 15,22,2; 13,10,1 f., 13,24,1 f., 13,30,1 f., 13,33,1–3, 14,18,1–3, 14,27,1–28,1, 14,46,1 f., 15,32, 16,12,1–13,3. Vgl. zur Häufigkeit entsprechender Ausdrücke im Textpassus der Pisonischen Verschwörung (15,48,1–74,3) Anm. 56 und auch Anm. 75.

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2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

Ebenso wird bei komplexeren außenpolitischen Einlagen wie den Kämpfen gegen Boudicca oder dem militärischen Konflikt zwischen Paetus, Corbulo und Vologaeses auf eine Hintereinanderschaltung zurückgegriffen, um die zeitlich und inhaltlich vergleichbaren Maßnahmen der Heerführer gegenüberzustellen.72 Im zweiten Beispielfall betont das am Anfang des 15. Buches exponierte Wort interea sogar die Gleichzeitigkeit zwischen den innenpolitischen Freveltaten Neros und den zugleich geschehenen, aber nachfolgend berichteten außenpolitischen Ereignissen der Jahre 61 sowie 62 n. Chr. und stößt damit einen einmaligen, jahresübergreifenden und kontrastiven Vergleich an.73 Ganz ohne Konnektoren wird außerdem die Simultanität der Handlungsstränge kurz vor Octavias Ermordung deutlich. Denn am Anfang des Kapitels 14,61 berichtet Tacitus von der Zurückberufung von Claudius’ Tochter und dem damit verbundenen Freudentaumel sowie der Aggression des Volkes gegenüber den Standbildern Poppaeas, die nur durch ein Einschreiten der Soldateska zu zügeln ist. Daran knüpft Poppaeas emotionaler Appell an Nero an, er solle sich um ihre und seine eigene Sicherheit bemühen. Ihre akuten Ängste und demütigen Bitten erscheinen jedoch zum Zeitpunkt der Unruhen auf dem Palastvorplatz plausibler als nach bereits erfolgter Beseitigung des Aufruhrs.74 Indem die Gleichzeitigkeit allerdings aufgelöst und Poppeas Bittgesuch als Reaktion auf Octavias Popularität inszeniert wird, invertiert der Autor den temporalen Ablauf und ändert die Kausalfolge, da Poppaeas Hetzrede somit nicht nur Ursache für das relativ belanglose Einschreiten des Militärs gegen die Demonstranten ist, sondern zum letzten Ansporn für Octavias Ermordung wird. Tagesangaben und tageszeitliche Abläufe Doch über die bisher betrachtete innerjährliche Zeitstrukturierung und eine sukzessive oder simultane chronologische Fixierung einzelner Ereignisse hinaus werden zum Teil bis auf Tagesebene präzise Terminierungsangaben des Geschehens geboten.75 So wird nicht nur bei besonders markanten Vorkommnissen wie im Zusammenhang mit Britannicus’ Vergiftung, festis Saturno diebus, bei Agrippinas Ermordung, Quinquatrium festos dies, oder im Plan der Pisonischen Verschwörer, circen72

Vgl. auch hier Anm. 56 und Anm. 75 für entsprechende Adverbialien in den Textabschnitten 14,29,1–39,3 und 15,1,1–31 sowie Hölscher (2003), S. 42. 73 Vgl. dazu Anm. 133. 74 14,60,5–61,4; vgl. Holztrattner (1995), S. 81. 75 Zur Angabe von konkreten Tagen dienen festis Saturno diebus 13,15,2, Quinquatrium festos dies 14,4,1, circensium ludorum die, qui Cereri celebratur 15,53,1, und für Tageszeiten: una die 13,39,5, 15,16,3, medio diei 14,2,1, per medium diei 14,59,2, intra tertium diei partem 13,39,4, uergente iam die 13,38,4, uesperascente iam die 16,34,1, propinqua uespera 15,60,4, luce orta 13,21,1, coepta luce 15,55,1, postera luce 16,27,1, nox 13,25,2, 44,3, 14,4,3, noctem 13,20,3, 14,5,1, per noctem 13,38,4, 15,50,4, nocte 13,41,1, nox eadem 13,17,1, nocte eadem 14,9,1, prouecta nox 13,20,1, prouecta nocte 15,69,3, reliquo noctis 14,10,1, tenebrae 15,37,3, per tenebras 13,25,2. Erwähnt sind nur Stellen, an denen die Ausdrücke einen tatsächlichen und nicht einen hypothetischen (vgl. z. B. 14,20,5 und 21,3) zeitlichen Bezug herstellen.

2.2 Inszenierte Linearität

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sium ludorum die, qui Cereri celebratur, das jeweilige Datum konkretisiert. Vielmehr besticht die große Raffinesse bei der Nachgestaltung tageszeitlicher Schemata zur temporalen Situierung schicksalhafter Vorfälle. Tages- und Nachtzeiten werden nämlich einerseits erwähnt, um Corbulos militärisches Genie aufgrund von dessen Rücksichtnahme auf diese natürlichen Faktoren bei strategischen Überlegungen zu unterstreichen,76 andererseits die letzten neun überlieferten Kapitel des 16. Buchs sogar durch eine tageszeitliche Struktur eingefasst. Diese setzt mit der Einberufung des Senats in den Tempel der Venus Genetrix und den Agitationen der Deklamatoren gegen Thrasea Paetus bei Sonnenaufgang, postera luce, ein und schließt nach einem lang dauernden, dramatischen Interludium, das die Verurteilung Soranus’ und seiner Tochter bringt, unter Hervorhebung dieser zeitlichen Kontiguität noch an demselben Tag, idem dies, mit dem Selbstmord des oppositionellen Stoikers in der Abenddämmerung, uesperascente iam die.77 Weiterhin wird mit einem Gegensatz der Tageszeiten effektvoll gearbeitet, als Nero nachts, prouecta nox, durch Paris von einem angeblichen Komplott seiner Mutter mit Rubellius Plautus gegen ihn erfährt, in Rage die Ermordung beider fordert und erst am folgenden Morgen, luce orta, zur Besonnenheit zurückkehrt.78 Ebenso bringt jeweils der nachfolgende Tag Octavius Sagittas in der Nacht verübten Mord beziehungsweise die obskuren Pläne der Pisonischen Verschwörung ans Licht,79 sodass eine gewisse Licht- und Enthüllungsmetaphorik gezielt angewandt wird und einen eigenen Beitrag zur Spannungsdynamik leistet. Demgemäß ist es keineswegs überraschend, dass die ausschweifenden Feierlichkeiten und Untaten des Kaisers vorwiegend in nächtlichen Szenerien stattfinden, die hierfür eine adäquate, schlüpfrige Stimmung garantieren.80 Auch Neros Muttermord umgibt eine solch düstere Atmosphäre, dessen Darstellung nicht zuletzt aufgrund einer sorgfältig ausgearbeiteten und künstlerisch angelegten Verteilung tageszeitlicher Elemente beeindruckt: Damit nach Einbruch der Dunkelheit der schreckliche Plan ausgeführt werden und unbemerkt bleiben kann, ac tum inuitata ad epulas erat, ut occultando facinori nox adhiberetur, wird Agrippina erst zum Abendessen geladen. Doch vor dem Hintergrund einer sternenklaren Nacht, noctem sideribus inlustrem, einer idyllisch gestalteten Szene, die im schärfsten Kontrast zu der alsdann hereinbrechenden Katastrophe steht,81 wird der erste erfolglos verlaufende Mordplan vollzogen, was Verzweiflung und Angst bei 76 77 78 79 80

81

13,38,4, 13,39,4 f. bzw. 13,41,1. 16,27,1–34,1; vgl. dazu auch Wittrich (1972), S. 168. 13,20,1–21,1; vgl. Wöhrmann (1956), S. 42–45. 13,44,3 und 13,44,4 respektive 15,54,1 und 15,55,1. So exempli causa Neros nächtliche Streifzüge, 13,25,2 in modum captiuitatis nox agebatur; … per tenebras, die besondere Hervorhebung der nächtlichen Gefahren während der Neronia vonseiten der Veranstaltungsgegner, 14,20,5 noctes quoque dedecori adiectas, ne quod tempus pudori relinquatur, sed coetu promisco, quod perditissimus quisque per diem concupiuerit, per tenebras audeat, gegenüber der toleranteren Haltung der Befürworter, 14,21,3 laetitiae magis quam lasciuiae dari paucas totius quinquennii noctes, quibus tanta luce ignium nihil illicitum occultari queat., oder die Feier des Tigillinus mit Neros und Pythagoras’ Hochzeit, 15,37,3 postquam tenebrae incedebant, … Vgl. Koestermann (1968), S. 33.

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2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

Nero auslöst und letztlich die gewaltsame Beseitigung Agrippinas durch Anicetus und seine Gehilfen unumgänglich macht. Sowohl dies wie sogar die Verbrennung der Leiche findet noch in derselben Nacht, nocte eadem, statt, um zu verhindern, dass ihr Begräbnis eine ähnliche öffentliche Anteilnahme erhält wie das ihres Vaters Germanicus.82 Obwohl aufgrund dieser Ereignisfülle realiter die Zeitspanne einer Nacht längst überschritten zu sein scheint, steht Nero aber in der Erzählung nichtsdestotrotz noch eine lange, unruhige Phase voller Gewissensbisse und Schreckgespinste bevor, bis das Licht und die Salutatio der Prätorianer am nächsten Morgen dem Prinzeps die Angst nehmen.83 Diese unnatürlich lange Dauer wird einem Rezipienten allerdings lediglich zum Anstoß gereichen, wenn dieser wie Dawson jenen Aspekt analytisch fokussiert.84 Denn zwar sind dessen Anmerkungen und Überlegungen zur Rekonstruktion eines realen Zeitverlaufs unstrittig, aber sie zeugen zugleich von einem unkonventionellen Lektüreverhalten, das den ahistorischen, literarischen und dramatischen Charakter der vorliegenden Szene verkennt.85 Wer diese Passage unter der Prämisse einer Vermischung von faktualen und fiktionalen Elementen liest, wird die Überstrapazierung der nächtlichen Zeitspanne, wenn überhaupt, nur am Rande bemerken, die Darstellungsbreite im Moment größtmöglicher Retardation in vollen Zügen genießen und sich von der Faszination des nächtlichen Ambientes, das immer wieder bewusst eingesetzt wird, um zwielichtige Situationen effektvoll aufzuladen, in den Bann ziehen lassen. Dies veranlasst wohl auch Wöhrmann zur gesonderten Betrachtung der Nachtschilderungen in Tacitus’ Werk, obgleich er diese Facette bei seinen Untersuchungen zu deren kompositorischem Beitrag und Verhältnis zur historiographischen Tradition beziehungsweise Epik eher vernachlässigt.86 Folglich wird von ihm zu wenig berücksichtigt, dass die Suggestion spezifischer Tageszeiten eine einzigartige mitreißende Wirkung auf den Rezipienten ausübt, indem die stimmungsvolle Veranschaulichung und szenische Aufbereitung eines Geschehens wesentlich gefördert wird.87 Fazit Insgesamt ist also ein auktoriales Bestreben festzuhalten, auch innerhalb jährlicher Einheiten eine chronologisch plausible Reihenfolge thematisch variierender, disparater Vorkommnisse und den Eindruck eines linearen Zeitablaufs herzustellen, der durch das übergreifende annalistische Schema sowie die textuelle Ereignisabfolge äußerlich vorgegeben ist. Hierzu wird vor allem an Stellen, an denen die Handlung 82 83 84

14,4,1–9,3; vgl. Luke (2013), S. 219. 14,10,1 f.; vgl. dazu auch Wöhrmann (1956), S. 45–54. Vgl. Dawson (1969), S. 256, Koestermann (1968), S. 43, der ebenfalls Kritik äußert, Piecha (2003), S. 123, und Luke (2013), S. 224. 85 Vgl. zu falschen Lektüreprämissen Martínez/Scheffel (2007), S. 15, und Piecha (2003), S. 123. 86 Vgl. Wöhrmann (1956), S. 55–62. 87 Vgl. Blänsdorf (1994), S. 765.

2.2 Inszenierte Linearität

83

zwischen Einzelsträngen und Schauplätzen wechselt oder aus Details besteht, sodass für einen Rezipienten eine evidente zeitliche Einordnungsmöglichkeit nicht gegeben ist, auf eine subtile, mehrschichtige temporale Situierung des Geschehens geachtet. Diese erfolgt zum einen gelegentlich durch die Simulation eines jahreszeitlichen Verlaufs, der aufgrund seiner Relevanz für militärische Kontexte besonders dort zu finden ist, zum anderen an ausgewählten Erzählhöhepunkten sogar durch konkrete Tagesangaben und der Generierung einer tageszeitlichen Struktur, wobei ein interdependentes Verhältnis zur dramatischen Geschehensentwicklung ersichtlich ist. Außerdem kann eine Vielzahl an temporalen Konnektoren identifiziert werden, deren teilweise massierter Einsatz zwar die zeitliche Logik und lineare Stringenz der Erzählung garantieren soll, aber zugleich oftmals eine mangelnde Spezifität erkennen lässt. Doch gerade die Unschärfe der verwendeten Ausdrücke begünstigt die Umsetzung der notwendigen Hintereinandererzählung zeitlich paralleler Vorkommnisse, sodass die Simultanität von Vorfällen durch entsprechende einleitende Adverbien oder Phrasen markiert und daran deutlich wird, dass Tacitus die narrative Herausforderung zeitgleich verlaufender Handlungsstränge geschickt zu lösen versteht. Abgesehen von dieser aus historischer Perspektive fragwürdigen chronologischen Präzision führt dies jedoch beim Rezipienten zum erwünschten kontinuierlichen Zeiterleben von Jahresanfang bis -ende und der Illusion einer vollkommenen Transparenz der temporalen Struktur, die ihm jederzeit – wenn auch nur vermeintliche – Ansatzpunkte zur Orientierung bietet. Zudem erweckt die auktoriale Fähigkeit zu einer derart klaren Anordnung der Geschichte den Anschein eines auf sorgfältiger Recherche beruhenden, detailgenauen und umfassenden Wissens und verleiht dem Verfasser aufgrund seiner beeindruckenden Faktenkenntnis unanzweifelbare Autorität. Die metaphorische Verwendung von Hell-Dunkel-Kontrasten in einzelnen Episoden berücksichtigt ferner weniger die Argumente der zeitlichen Logik als vielmehr die Prämisse der temporalen Einheit des Dramas, womit die Erzeugung einer situationsadäquaten Atmosphäre sowie einer engmaschigen, spannungsgeladenen Handlungssequenz einhergeht. Etwaige nicht realistische Zeitabfolgen, die jedoch nie gänzlich unwahrscheinlich erscheinen, sind folglich das Resultat einer abschnittsweisen Priorisierung der Unterhaltungsfunktion der Historiographie unter bewusstem Verzicht auf die geschichtliche und temporale Genauigkeit. Dies rechtfertigt zwar hinreichend die Überlängen sowohl einiger Jahresberichte als auch der ein oder anderen Nachthandlung, schärft aber zugleich den Blick für weitere Unstimmigkeiten im als grundlegend angenommenen linearen Zeitschema.

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2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

2.3 RHYTHMISCHE DISKONTINUITÄT Ein Missverhältnis zwischen erzählter Zeit und Erzählzeit88 scheint bei einem historischen Werk a priori unabdingbar zu sein, das sich mit Neros Herrschaft beschäftigt, wenn für dessen Lektüre nicht utopische 14 Jahre aufgewendet werden sollen. Unter der Prämisse eines annalistischen Rahmens ist also eine Darstellung zu erwarten, die jedem Jahresbericht denselben äquivalent verkürzten und summarisch aufbereiteten stofflichen Umfang und dieselbe Erzähldauer zuweist, sodass ein gleich verteilter, einfach strukturierter, aber recht monotoner Diskurs mit zeitlich äquidistanten Unterbrechungen und gleichmächtigen jährlichen Erzähleinheiten entstünde. Dass dies nicht der vorliegenden Praxis entspricht, offenbaren augenscheinlich die differierende Anzahl an Jahren, die jeweils zu einem Buch gehören, und die überaus großen Schwankungen im Umfang der jeweiligen Textblöcke pro Jahresbericht. Beispielsweise füllen allein die letzten drei Monate des Jahres 54 n. Chr. auf vier Seiten ganze zehn Kapitel, wohingegen dem gesamten Jahr 56 nur 2,5 Seiten und sechs Kapitel, dem vollständigen Jahr 57 sogar nur drei Kapitel auf einer Seite gewidmet sind. Demgegenüber finden sich aber auch äußerst umfangreiche Jahresberichte, die wie das Jahr 65 bis zu 40 Kapitel auf 17,5 Seiten belegen.89 Während solche formal-ästhetischen Strukturierungselemente nach Lämmert bereits auf die Wahrnehmung des Lesers einwirken, lassen sich in der individuellen Stoffaufteilung noch am deutlichsten die Reaktionen des Schriftstellers auf fluktuierende Materialumfänge sowie dessen ordnende Hand als wesentliche Einflussfaktoren bei der Textkonstitution erkennen.90 Auf derartige quantitative Unregelmäßigkeiten pro Jahreseinheit wird der Leser in der oben zitierten Textpassage 13,31 anlässlich des materialarmen Jahres 57 sogar explizit hingewiesen und somit auf in der Erzählung enthaltene Geschwindigkeitsvariationen und Rhythmuseffekte auf88

Vgl. zu den Begriffen Stocker (2003b), S. 511, Lämmert (1980), S. 23 sowie S. 32, Fludernik (2006), S. 44, Weixler/Werner (2015), S. 9 f., Martínez/Scheffel (2007), S. 39–44, mit Berufung auf Genette (1972/1983/1998), S. 21 f., S. 61 f. sowie S. 213 f.: „Eine Erzählung kann auf Anachronien verzichten, ohne Anisochronien aber oder […] Rhythmuseffekte kommt sie nicht aus“, sowie ders. (1991/1992), S. 74, und Löschnigg (2000), S. 220 zur Übertragbarkeit der Kategorie auf faktuale Erzählungen. 89 Dies ergibt sich aus nachstehender Verteilung: Buch 13: 4,5 Jahre, Buch 14: 3,5 Jahre, Buch 15: 3,5 Jahre, Buch 16: 3 Jahre. Die Jahre in den Nerobüchern verteilen sich nach der textkritischen Ausgabe von Wellesley (1986) folgendermaßen: Jahresende 54: 4 Seiten (10 Kapitel), Jahr 55: 6 Seiten (14 Kapitel), Jahr 56: 2,5 Seiten (6 Kapitel), Jahr 57: 1 Seite (3 Kapitel), Jahr 58: 12 Seiten (25 Kapitel), Jahr 59: 8 Seiten (19 Kapitel), Jahr 60: 4 Seiten (9 Kapitel), Jahr 61: 7,5 Seiten (19 Kapitel), Jahr 62: 17 Seiten (40 Kapitel), Jahr 63: 3 Seiten (10 Kapitel), Jahr 64: 6 Seiten (15 Kapitel), Jahr 65: 17,5 Seiten (40 Kapitel), Anfang Jahr 66: 8,5 Seiten (22 Kapitel). Vgl. auch Walker (1952), S. 14, und Suerbaum (2015), S. 319–323, zu einer alternativen Erfassungsmethode nach Wort- und Zeichenanzahlen, deren scheinbar größere Exaktheit allerdings keinen Erkenntnisgewinn bringt. Hingegen spricht sich Genette (1972/1998), S. 61 f., für eine Messung der Erzähldauer mittels Seitenzahlen aus, was von Weixler/Werner (2015), S. 10, diskutiert wird. Vgl. zu Auswirkungen auf die Spannungskurve Junkerjürgen (2002), S. 51 f., und ferner Pfordt (1998), S. 190, sowie Koestermann (1968), S. 265. 90 Vgl. Lämmert (1980), S. 79 sowie S. 81.

2.3 Rhythmische Diskontinuität

85

merksam gemacht.91 Gewiss stand dem Urheber nämlich nicht für jeden Zeitraum dieselbe Menge an erwähnenswerten Ereignissen zur Verfügung und unterschieden sich die einzelnen Vorkommnisse hinsichtlich ihrer historischen Tragweite stark voneinander. Auch die Schwierigkeit der Informationsbeschaffung erhöhte sich, umso weiter die darzustellende Vergangenheit zurücklag oder umso repressiver ein Kaiser gegen die Verbreitung potenzieller Quellenzeugnisse vorging und umso weniger er die Einsichtnahme in Archivalien gestattete.92 Bereits aufgrund stofflicher Grundlagen, deren Quantität und Qualität sich heutzutage überlieferungsbedingt kaum rekonstruieren lassen, können sich also deutliche Schwankungen in der Erzähldauer ergeben.93 Doch die interne Rhythmisierung und Organisation der Erzählung unterliegt nicht nur der inhaltlichen Komponente, sondern auch das Eigeninteresse, der subjektive Gestaltungswille sowie die geschichtsdidaktischen Intentionen des Autors bestimmen die Taktung der Darstellung.94 Denn freilich kann die Relation von „erzählte(r) Zeit und Erzählzeit […] in der Makrostruktur des Textes Konvergenzpunkte bilden, die ihrerseits unübersehbare Interpretationssignale für das Textver-

91 92

Vgl. dazu auch Pausch (2011), S. 106. Vgl. Gibson (1998), S. 124–126, Flach (1973b), S. 230 f., sowie Marincola (1997), S. 88, mit Verweisen auf Cass. Dio 53,19 Pitcher (2009), S. 51–54, Schanz/Hosius (1935), S. 629 f., Timpe (1988/2007), S. 251 f., Nickbakht (2005), S. 22, Suerbaum (2013), S. 8, (2015), S. 53 sowie S. 80–83, und Mehl (2001), S. 108: „So hat der Kaiser ein Informationsmonopol. Weiter werden gerade die bedeutenden Gegenstände nicht mehr im Senat und in der Volksversammlung und damit in allgemein zugänglicher Weise, sondern in der Abgeschiedenheit des kaiserlichen Kabinetts und Consiliums beraten und beschlossen.“ Vgl. speziell zur Quellendiskussion der ‚Annalen‘: Schanz/Hosius (1935), S. 631 f., Koestermann (1963), S. 40–45, Borzsák (1968), Sp. 479–484, Tresch (1965), S. 15–70, Goodyear (1970), S. 25–28, sowie (1982), S. 648 f., Shotter (1989), S. 26–30, Pitcher (2009), S. 79 f., Marincola (1999), S. 400, Morford (1990), S. 1587–1597, Suerbaum (2015), S. 269–272, Sage (1990), S. 997–1017, Potter (2012), S. 125–138, Heldmann (2011), S. 94, Mehl (1979), v. a. S. 236–239, aber eher kritisch ders. (2001), S. 125: „Wenn Tacitus für sein Wissen über das Römische Reich von der neuen Lage profitierte, dann nicht so sehr durch die Principats-Freiheit, sondern durch seine persönliche Nähe zu den Regenten Nerva und Trajan und durch seine sich daraus ergebende Teilhabe am Informationsfluß innerhalb des engsten Machtzirkels. Das betraf erstens fast nur die Gegenwart und die nächste Zukunft […]. Für die Vergangenheit hätte Tacitus nur aus dem Zugang zu den Archiven Vorteil ziehen können; das aber war und ist in Meinungsfreiheit nun wahrlich nicht inbegriffen.“ Demgegenüber geht Alföldy (1995), S. 267 f., davon aus, dass Tacitus gerade unter Titus oder Domitian als Vertrauensmann zumindest für ein Jahr tiefen Einblick in die Entscheidungen und Dokumente des Kaiserhauses besaß, da er seiner Meinung nach das Amt des quaestor Augusti ausübte. Auch Syme (1957a), S. 164 sowie S. 166, schließt zumindest temporär auf ein enges Verhältnis Tacitus’ zu den inneren Zirkeln um Kaiser Domitian. 93 Vgl. Hidber (1999), S. 155, und Rich (2009), S. 129. Mit der Ereignisarmut des quinquennium Neronis begründet Wöhrmann (1956), S. 36 f., die Zusammenfassung von fünf Jahren zum 13. Buch. Vgl. auch Pfordt (1998), S. 125, und Löschnigg (2000), S. 217 f., der unter Berufung auf Cohn (1990), S. 783, sowie (1995), S. 108, auf die konstitutive Bindung historiographischer Texte an Quellen verweist. 94 Vgl. Rademacher (1975), S. 47, Pausch (2011), S. 105 f., und Suerbaum (2015), S. 292.

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2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

ständnis aussenden“,95 wie Petersmann richtig festhält. Demzufolge ist es wenig verwunderlich, dass gerade Passagen, an denen weitgehend eine Äquivalenz von erzählter Zeit und Erzählzeit vorherrscht, sowohl beim allgemeinen Publikum als auch unter dem Begriff der „Bildkunst des Tacitus“96 bei Interpreten wie Hommel oder Rademacher gesteigerte Beachtung finden. Letzterer greift Hommels Ansatz auf und versucht, das Charakteristische dieser Stellen, die er als Bilder bezeichnet, mit einem breiteren methodischen und terminologischen Instrumentarium zu erfassen. Hierzu teilt er die seiner Meinung nach für die taciteische Geschichtspräsentation relevanten Gestaltungsformen erstmals nach dem Verhältnis von erzählter Zeit zu Erzählzeit ein und benennt die entstehenden Kategorien mit Bericht, szenischer Darstellung und eben Bild.97 Dabei sind Rademachers Begrifflichkeiten aber zum einen mit der Terminologie Genettes nur bedingt vereinbar, zum anderen bleibt der für die Historiographie spezifische Fall der Ellipse unberücksichtigt.98 Aus diesem Grund sollen die diskursimmanenten Variationen der Erzähltempora mithilfe der exhaustiven Klassifikation Genettes und unter hervorgehobener Berücksichtigung der von Rademacher übergangenen Ellipsen anfänglich auf makroskopischer sowie abschließend exemplarisch auf mikroskopischer Ebene untersucht werden, da nach Genette eine erschöpfende Detailanalyse nur einen begrenzten Erkenntniswert verspricht.99 Insbesondere soll indes die Wirkung des wechselnden Rhythmus auf die Suggestion zeitlicher Linearität berücksichtigt werden. Globale Dynamik mit retardierten Momenten Historiographisches Allegro Das raffende und summarische Erzählen, das als die prototypische Darstellungsform der Geschichtsschreibung anzusehen ist und bei dem der Handlungsverlauf vorzugsweise im historischen Perfekt, das zugleich eine relative temporale Erzähl95 96 97 98

99

Petersmann (1993), S. 16. Vgl. Lämmert (1980), S. 89, und Goodyear (1970), S. 23, der von einer „constant variation of tempo“ spricht, ohne dies jedoch zu belegen. Hommel (1936), S. 116. Vgl. Rademacher (1975), S. 46 f. Unter Bericht versteht Rademacher (1975), S. 48–50, eine raffende bzw. summarische Erzählform im Sinne Genettes (1972/1998), S. 67 f., und auch sein Terminus der szenischen Darstellung deckt sich mit demjenigen Genettes. Obwohl Rademachers Definition eines Bildes als rein deskriptives Element offensichtlich dem Begriff der narrativen Pause nach Genette ähnelt, gehören jedoch nahezu sämtliche Beispiele, die Rademacher unter dieser Kategorie anführt, nach Genette zur Form der szenischen Darstellung, da dieser, S. 68 sowie S. 71, darauf hinweist, dass in einer Pause die Handlung vollständig zum Erliegen käme. Genettes Einteilung folgend sind somit Rademachers „Einschaltbilder“ (S. 51) oder „bewegte Bilder“ (S. 59) lediglich mittels einiger schildernder oder extranarrativer, kurzer Einlagen und einer Fülle an Details maximal retardierte szenische Darstellungen, bei denen jedoch die Handlung niemals gänzlich zum Stillstand kommt. Vgl. Genette (1972/1998), S. 62: „Eine detaillierte Analyse dieser Effekte wäre zermürbend und obendrein fehlte es ihr an jeder echten Strenge, da diegetische Zeit fast nie mit der Genauigkeit, die hierzu vonnöten wäre, angegeben (oder erschließbar) ist. Aussagekräftig wird die Untersuchung hier nur auf der makroskopischen Ebene.“

2.3 Rhythmische Diskontinuität

87

distanz zum Geschehen ausdrückt, gestaltet ist, bildet erwartungskonform den Grundrhythmus auch der taciteischen Historiographie. Es fungiert als unersätzlicher Verbundstoff zwischen einzelnen Szenen und deskriptiven Pausen, die sich erst vor diesem Hintergrund abheben und per se nicht zum Standardrepertoire einer nüchternen Berichterstattung zählen,100 sondern als diskussionswürdige Geschwindigkeitsabweichungen gelten können.101 Während die Raffung als proportionale Verkürzung der Erzähldauer prinzipiell keinen Einfluss auf die Linearität der erzählten Zeit besitzt, kann es jedoch vorkommen, dass summarisch referierte Anaund Prolepsen die chronologische Ordnung durchbrechen. Dies verdeutlichen zum Beispiel der geraffte Rückblick auf Suillius’ früheres Leben und der retrospektive Einschub von Tigranes’ Jugendzeit in Rom oder die knappe Vorausdeutung auf das Schicksal von Agrippinas Grabstätte sowie die antizipierte Fertigstellung von Neros domus aurea.102 Pausenarme Narration Erzählpausen, bei denen die Zeit der Handlung stillsteht und eine achronische Deskription oder Kontemplation eines Gegenstandes sowie Sachverhaltes erfolgt,103 sind hingegen innerhalb der Annalistik vorab vorwiegend auf topographische Schilderungen, Exkurse oder metanarrative Kommentare beschränkt. Doch geographische Beschreibungen werden nur äußerst sparsam verwendet und beschränken sich auf wesentliche Informationen104 und die in den Nerobüchern enthaltenen Exkurse dienen aufgrund ihres retrospektiven Charakters zwar zur rhythmischen Unterbrechung, aber nicht zur Pausierung der Handlung. Denn als eng in die fortlaufende Basiserzählung eingebundene summarische Partien über die wechselnde Verantwortlichkeit für das öffentliche Schuldbuch respektive über die Etablierung und Entwicklung der Theatertradition in Rom fallen sie aus der Zeitlichkeit der Geschichte nicht heraus.105 Demgegenüber sind ausschließlich die beiden längeren metadiegetischen Apostrophen an den Leser in den Abschnitten 14,64,3 und 16,16, 100 Vgl. Genette (1972/1998), S. 69, und Rademacher (1975), S. 48 sowie S. 53 f. 101 Vgl. Genette (1972/1998), S. 67–69, Lämmert (1980), S. 83 f., Stocker (2003b), S. 511, Rüpke (1997), S. 34 f., Fludernik (2006), S. 44–46, und Martínez/Scheffel (2007), S. 40 sowie S. 43 f. 102 13,42,1 und 14,26,1 mit Abschn. 2.5.1 bzw. 14,9,1 und 15,42,1 mit Abschn. 2.5.2; vgl. für einen vollständigen Überblick über alle Ana- und Prolepsen Anhangstabelle 1 bzw. Anhangstabelle 2. 103 Vgl. zur Beziehung zwischen Deskription und Narration Genette (1983/1998), S. 223: „Wenn die Beschreibung bloß dazu diente, ‚wirklichkeitsgetreuer‘ oder auch nur ‚anmutiger‘ zu machen, so wäre dies schon nicht nichts. […] Nicht jede Beschreibung, […] ist ein Wirklichkeitseffekt, und umgekehrt ist nicht jeder Wirklichkeitseffekt zwangsläufig deskriptiver Natur.“, Schmid (2008), S. 7: „Obwohl die Textmodi narrativ und deskriptiv eine klare Opposition bilden, sind die Grenzen zwischen narrativen und deskriptiven Texten fließend und ist die Zuordnung von Texten zu den beiden Kategorien oft eine Frage der Interpretation.“, Lämmert (1980), S. 88, Fludernik (2006), S. 67 f., und Dennerlein (2009), S. 136 f. 104 Da dies unter dem Gesichtspunkt der narrativen Räumlichkeit noch eigens aufgegriffen werden soll, möge hier ein Verweis auf Anm. 524 genügen. 105 13,28,3–29,2 bzw. 14,20,2–21,3. Vgl. dazu Genette (1972/1998), S. 71, und demgegenüber Suerbaums (2015), S. 364, nicht theoriegeleitete Klassifikation von Exkursen als deskriptive Partien.

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2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

an denen das Geschehen zeitweilig scheinbar ausgeblendet wird, als Ruhepunkte der erzählten Zeit aufzufassen.106 Dieses Fehlen umfangreicherer Erzählpausen trägt in Verbindung mit dem bereits konstatierten Gesichtspunkt einer gattungstypischen raffenden Darstellung zu einer erhöhten Taktung und Geschwindigkeit der Erzählung bei, mit der die Historie durchmessen und der geschichtliche Zeitablauf adäquat auf eine rezipierbare Dauer reduziert wird. Elliptische Geschehensauslassung, ­anknüpfung und ­akzentuierung Um ein gesteigertes Erzähltempo zu erreichen, genügen proportionale Verkürzungen und Verdichtungen der Geschichte jedoch nicht, sodass temporale Ellipsen angesichts der immensen behandelten Zeitspanne und Materialfülle unersetzlich zum narrativen Instrumentarium gehören. Vorzugsweise finden sich derartige Auslassungen indes mit einer speziellen Aussageabsicht einhergehend an den exponierten Jahresanfängen, wie folgende Exempla veranschaulichen. Das Jahr 59 n. Chr. und zugleich das 14. Buch setzen direkt mit Agrippinas Ermordung als thematischem Höhepunkt ein, dessen mitreißende Inszenierung die Aufmerksamkeit des Rezipienten schon im Vorfeld dieses Erzählkomplexes fokussiert, sodass die vorliegende chronologische Diskrepanz unauffällig überspielt wird. Denn zwar stimmt gemäß annalistischer Manier ein Jahresanfang mit dem Beginn des zweiten Buches über Neros Herrschaft überein, aber dessen erstes Ereignis ist nicht am Neujahrstag, sondern unvermittelt an den Festtagen zu Ehren Minervas zwischen dem 19. und 23. März 59 situiert.107 Auch wenn der Autor die entstehende temporale Lücke mit Poppaeas Hetzrede gegen die Kaisermutter und Ocatvia, einer eingeschobenen Quellendiskussion über Agrippinas sexuelle Verfehlungen sowie einzelnen Phasen von Neros Planfindung und Anicetus’ Schiffbau zu füllen versucht, die vorausgehenden zweieinhalb Monate werden in der erzählten Zeit mittels einer impliziten Ellipse schlichtweg übergangen. Ein dadurch angeregter, ganzheitlicher Blick auf alle Jahresbeginne innerhalb der Nerobücher offenbart ferner, dass ein Jahreseinstieg mit einem zeitlich verzögerten Ereignis tendenziell sogar die Regel ist.108 Lediglich die ersten Abschnitte der Jahre 55 sowie 58 n. Chr. beziehen sich nämlich unmittelbar auf die Amtsantritte der jeweiligen Konsuln. Die Geburt von Neros Tochter, die auf den 21. Januar 63 zu datieren ist, eröffnet die Berichterstattung chronologisch nahezu regulär, obwohl in einer expliziten Prolepse sogleich schon deren Tod vier Monate später ergänzt wird,109 sodass der thematische Zusammenhang eine zeitliche Vorwegnahme evoziert und hier lokal als Gliederungsprinzip überwiegt. Damit ist aber gerade an dieser Passage ansatzweise eine Strukturierungstendenz erkennbar, die nicht nur ebenfalls für die Ermordung der Kaisermutter, sondern auch für die ersten 106 Vgl. Genette (1972/1998), S. 72. 107 14,4,1 … quando Quinquatrium festos dies apud Baias frequentabat. Vgl. Furneaux/Pelham/ Fisher (1907), S. 236, Koestermann (1968), S. 29, Dawson (1969), S. 257, Woodcock (1939), S. 87, und Scott (1974), S. 111. 108 Vgl. zu einem ähnlichen Ergebnis in den Tiberiusbüchern Ginsburg (1981), S. 21 sowie S. 97. 109 13,11,1 f., 13,34,1 bzw. 15,23,1–4; vgl. zur Datierung der Geburt Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 346, und Koestermann (1968), S. 205 mit Verweis auf CIL 6,2043.

2.3 Rhythmische Diskontinuität

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Kapitel zahlreicher weiterer Jahre ein dominierendes Kompositionskriterium darstellt. Im Sinne einer artifiziellen Übersteigerung der annalistischen Gepflogenheit, die hervorgehobenen Stellen von Jahres- und Buchanfängen sowie -schlüssen besonders zu gestalten, wird ein Ereignis wider die temporale Ordnung dorthin gesetzt, falls es als äußerst bedeutungsträchtig und aussagekräftig angesehen wird, wesentlichen Einfluss auf die historischen Geschehnisse hat oder gesellschaftliche, politische beziehungsweise protagonistenbezogene Entwicklungen und Atmosphären trefflich widerspiegelt.110 Außer den auffälligen Anachronien der beiden bereits genannten Beispiele ist im Jahr 61 n. Chr. nach der Konsulnennung eine nahezu elliptische, summarische Rückblende bis zu A. Didius’ Statthalterschaft eingefügt und sogar die anschließende Eroberung der Insel Mona durch Suetonius wohl eigentlich in das Jahr 60 zu datieren, bis der Abfall der Provinz Britannien vermeldet wird.111 Das analeptische Einsetzen des Jahres 65 mit der Genese der Pisonischen Verschwörung täuscht beim flüchtigen Lesen zudem darüber hinweg, dass die Aufdeckung und Verfolgung der Konspiration zwar an primärer Position berichtet wird, aber erst im April desselben Jahres stattfand, wie aus verschiedenen Hinweisen in den Kapiteln 15,53,1, 15,70,1 sowie 15,74,1 unmissverständlich hervorgeht.112 Dabei ist die exponierte Stellung der Rückeroberung Britanniens und der Pisonischen Verschwörung zum einen in der folgenschweren Tragweite der Geschehnisse begründet. Zum anderen tritt jeweils ein gewisser Überraschungseffekt hinzu, der aus dem unvermittelten Wiederaufgreifen des britannischen Kriegsschauplatzes respektive aus dem abrupten Einstieg in die Erzählung der Konspiration um die Person Pisos resultiert, auf welche trotz Ankündigung am Ende des 14. Buches bis zu den Prodigien des Vorjahres jede weitere Anspielung vermieden wird.113 Zu Beginn des Jahres 56 n. Chr. legt Tacitus, wobei die außenpolitischen Vorkommnisse in einer expliziten Ellipse übergangen werden, mit Neros nächtlichen Streifzügen einen eindeutigen Schwerpunkt auf die innenpolitische Berichterstat110 Vgl. Martin (1990), S. 1557, Moore (1923), S. 10, Rademacher (1975), S. 203, Pigón (2008), S. 288, Bartera (2012), S. 168, Ginsburg (1981), S. 26, S. 30 sowie S. 79, Sage (1990), S. 985: „The beginnings and endings of years also duplicate the practice of the earlier books with events of significance for the imperial house und the development of the princeps.“, und allgemein Jannidis (2004), S. 64: „Einschlägiger wohl ist die Verwendung der Position eines Textelements, um es hervorzuheben: Anfang und Ende des Textes oder von Untereinheiten, z. B. Kapiteln sind besonders einschlägig.“ 111 14,29,1–30,3 und 12,40,5; vgl. Koestermann (1968), S. 84, Suerbaum (2015), S. 349 f., Syme (1967), S. 361, S. 391: „A serious difficulty arises: the events as recounted seem to exceed the compass of a single year. The revolt must have broken out in 60, not in 61.“, S. 742, S. 748 sowie S. 765, und zur plausiblen Chronologie Hammond (1934), S. 96–98. Dabei ist Martins Feststellung (1981), S. 173, zur Darstellung von Boudiccas Aufstand, „Tacitus gives no hint in his narrative that the events he describes must surely have extended over more than one year“, in ihrer Absolutheit nicht haltbar, da aus dem narrativen Episodenaufbau hervorgeht, dass nicht alle Ereignisse realiter in das Jahr 61 n. Chr. zu datieren sind. 112 15,48,1; vgl. Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 380, S. 387, S. 408 sowie S. 414, und Bartera (2012), S. 179. 113 14,65,2 unde Pisoni timor, et orta insidiarum in Neronem magna moles et improspera.

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tung.114 Diese wird von dessen Umtrieben beherrscht, die sich aufgrund der mangelnden zeitlichen Bestimmbarkeit sowie der strukturellen Hervorhebung der referierten Ereignisse über das ganze Berichtsjahr hinzuziehen sowie das einzige staatliche Problem dieser Phase zu sein scheinen. In ähnlicher Weise benennt die anachrone erste Nachricht des folgenden Jahres, der Bau eines hölzernen Amphitheaters auf dem Marsfeld, 115 nicht nur das sich über diesen Zeitraum erstreckende Prestigeprojekt des Kaisers, sondern zeichnet gewissermaßen metaphorisch dessen charakterliche Fehlentwicklung an prominenter Stelle fort. Diese deszendente Tendenz wird mit der am Anfang des Jahres 60 hervorgehobenen Diskussion und dem deutlich zeitlich vorgezogenen Bericht über die erstmals, allerdings de facto im Herbst stattfindenden Neronia wieder aufgegriffen und damit die gesellschaftliche Stimmung unter der neronischen Regierung exemplifiziert.116 Diese Linie komplettiert sodann das Jahr 64, das zu Beginn auf die schauspielerischen Ambitionen des Prinzeps rekurriert und diese wiederum als dessen Hauptinteresse und -sorge ausweist,117 ohne dass zwingende temporale Gründe vorlägen, diese Pläne Neros in das Frühjahr 64 beziehungsweise vor den Ausbruch des Rombrandes am 19. Juli zu verlegen. Hierzu bilden sie allerdings als Surrogat für andere Erzählinhalte der ersten Jahreshälfte ein vorzügliches, ausdrucksstarkes Präludium.118 Entgegen der Chronologie wird weiterhin die Wiedereinführung der Majestätsprozesse am Anfang des Jahres 62 n. Chr. exponiert119 und als Pendant der das Jahr 66 einleitende Majestätsprozess gegen Anteius und Ostorius wiederum als Anachronie positioniert, da der frühere Beklagte und Verurteilte Antistius nun selbst als Delator auftritt.120 Damit dokumentieren diese Majestätsprozesse nicht nur einen weiteren Schritt, sondern werden geradezu zum Symbol für die fortschreitende moralische Dekadenz in der Gesellschaft und fungieren als Auftakt einer langen Serie von Verfahren wegen Majestätsbeleidigung, die den überlieferten Teil des 16. Buches prägen. Unter Einsatz zeitlicher Ellipsen und zugunsten einer intentionalen Reihenfolge, die aussgekräftigen und für den Erzählverlauf signifikanten Ereignissen eine präponderierte Stellung zuweist, wird also eine stringente temporale Ordnung an den Jahresanfängen überwiegend aufgegeben. Die sorgfältig selektierten Elemente antizipieren oder thematisieren das bedeutungsträchtigste Vorkommnis eines Jahres und werfen häufig einen schlaglichtartigen Blick auf die Entwicklung des kaiserlichen Charakters sowie der gesellschaftlichen Moral. Zugleich überraschen sie den Leser durch eine temporal variable Positionierung der Inhalte, erregen dessen Aufmerksamkeit und lassen den anschließenden Jahresbericht unter einer jeweils adäquaten Atmosphäre anheben. 114 115 116 117 118

13,25,1 f. … otium foris, foeda domi lasciuia, qua Nero … 13,31,1 und zur einjährigen Bauzeit des Theaters Koestermann (1967), S. 294. 14,20,1–21,3; vgl. Marx (1925), S. 89, und Bartera (2012), S. 170. 15,33,1–35,3. Vgl. zur Datierung, Darstellung und den unmittelbaren Folgen der Brandkatastrophe 15,38,1– 45,3 Koestermann (1968), S. 235, und v. a. Abschn. 3.2.1, Abschn. 3.3.1 sowie Abschn. 4.4.2 mit Anm. 570. 119 14,48,1 f.; vgl. Marx (1925), S. 89, und Bartera (2012), S. 170. 120 16,14,1–3; vgl. Koestermann (1968), S. 361.

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Des Weiteren sind zeitliche Ellipsen zu identifizieren, die einzelne für die Handlung bedeutende Protagonisten teilweise für längere Zeit ausblenden, ohne dass der Leser etwas über deren zwischenzeitlichen Aufenthalt erfährt. Weil beispielsweise Agrippinas Schicksal zwischen den Jahren 56 und 58 n. Chr. nicht erwähnt wird, bleibt die weitere Entwicklung des angespannten Verhältnisses zwischen ihr und Nero unklar.121 Auch Burrus ist trotz seiner machtvollen Position als Prätorianerpräfekt über einen Zeitraum von drei Jahren zwischen seinem unwilligen Verhalten bei den Iuvenalia und seinem Tod nicht am politischen Geschehen beteiligt und ebenso ist der politische Rückzug Senecas implizit durch dessen nahezu dreijährige Handlungsabsenz textuell nachgestaltet.122 Explizit benennt Cossutianus Capito hingegen Thraseas schon drei Jahre dauernde Abwesenheit von jeglichen Senatssitzungen, die sich auf Erzählebene mit seinem zuvor referierten letzten Auftritt als Senator in Jahre 63 deckt.123 Sogar die Hauptfigur Nero verschwindet nach einem Bad in der heiligen Quelle der Aqua Marcia krankheitsbedingt für ein Jahr beinahe vollständig von der Bühne.124 Mittels teilweise ausgedehnter im- oder expliziter Ellipsen werden die Handlungsstränge dieser Personen somit jeweils bewusst unterbrochen, sodass dies zu Sprüngen in der erzählten Zeit sowie zu einer enormen Verkürzung der Erzähldauer führt und die Aufnahme thematisch variierender Vorkommnisse ermöglicht, ohne durch eine allzu voluminöse Berichterstattung die Lesbarkeit zu beeinträchtigen. Die elliptische Darstellung kann dazu dienen, den Rezipienten in eine beunruhigte, erwartungsvolle Ungewissheit hinsichtlich des Weitergangs des figurenspezifischen Geschehensverlaufs zu versetzen, was an späterer Stelle aufzugreifen sein wird.125 Darüber hinaus werden temporale Ellipsen regelmäßig bei außenpolitischen Abschnitten eingesetzt,126 da diese einerseits aufgrund militärischer Winterpausen ereignisarme Monate, andererseits bei temporär und lokal stabilen Verhältnissen kaum Erwähnenswertes umfassen. Dem begegnet der Autor in 13,9,3 durch eine Überschreitung des annalistischen Schemas sowie eine Zusammenfassung über mehrere Jahre verteilter Nachrichten von der armenischen Front, ohne jedoch die Reichweite seines Vorgriffs genau zu bestimmen. In dem Fehlen dieses außenpolitischen Bereichs in den Folgejahren, der unscharfen Umschreibung mollibus adhuc initiis (13,34,2), mit der im Jahr 58 n. Chr. ein direkter Bezug zum letzten Stand aus Armenien hergestellt und auf die übergangene zwischenzeitliche Fortentwicklung verwiesen wird, sowie in dem chronologischen Neuansatz des armenischen Geschehens mit eius anni principio (13,34,2) wird sodann die Ellipse explizit.127 121 13,22,1–14,1,1. 122 14,16,1–14,51,1 bzw. 14,57,1–15,60,2 mit lediglich kurzen passiven Interludien in 14,65,2, 15,23,4 bzw. 15,45,3. 123 15,23,4–16,22,1, insbesondere 16,22,1 … triennio non introisse curiam. 124 14,22,4–14,47,1 mit einem knappen Interludium in 14,45,2. 125 Vgl. Abschn. 4.4.3 mit einer vollständigen Liste aller betreffenden Beispiele. 126 13,7,1–9,3, 34,2–41,3, 53,1–57,3, 14,23,1–26,2, 29,1–39,3, 15,1,1–17,3, 26,1–31. 127 Vgl. Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 112, Koestermann (1967), S. 252 f., Graf (1931), S. 24, Wille (1983), S. 530 sowie S. 536 f., Genette (1972/1998), S. 76 f., Martínez/Scheffel (2007), S. 43, und Pfordt (1998), S. 138, der behauptet, dass dieser Exkurs (13,34–41) die Ereignisse aus den Jahren 55 bis 58 oder 59 n. Chr. zusammenfasst. Der Beginn im Jahre 55

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Doch da sich das ins Jahr 58 datierte Geschehen wie in den Vorjahren vorwiegend auf Disziplinierungs- sowie Kriegsvorbereitungsmaßnahmen konzentriert und wenig ergiebig sowie ansprechend ist, wird schon in Paragraph 13,35,3 durch die Anspielungen auf den harten Winter ein Jahresübergang angedeutet,128 der sich spätestens mit donec uer adolesceret (13,36,1) vollzieht. Damit gehört der Löwenanteil dieses außenpolitischen Exkurses, obwohl er im Jahr 58 referiert wird, eigentlich dem Jahr 59 an, was insbesondere erkennbar wird, wenn man das absichtlich verklausuliert beschriebene miraculum (13,41,3) bei der Zerstörung Artaxatas mit eben jener Sonnenfinsternis, sol repente obscuratus (14,12,2), die sich am 30. April 59 ereignete, identifiziert.129 Nach diesem göttlichen Wunderzeichen kehrt die Erzählung über die Ehrenbezeugungen gegenüber dem Kaiser, da der Sieg unter dessen Auspizien errungen wurde, noch innerhalb des Vorgriffs, wie Marx treffend anmerkt, in die Innenpolitik des Jahres 59 zurück, was sich zugleich mit der Zeit, die die Überbringung von Nachrichten aus Armenien nach Rom benötigt, deckt.130 Damit ist dieses Exempel ein singuläres Zeugnis einer ausgefeilten Überleitungstechnik, bei der Risse in der temporalen Gestaltung zugunsten eines thematisch-kausalen Zusammenhangs und mittels eines gezielten Einsatzes unscharfer Zeitadverbialien unkommentiert übergangen werden, da die nächste Episode über Suillius nicht ausdrücklich in das Jahr 58 zurückdatiert, sondern gar schlicht mit deinde (13,42,1) angeschlossen wird. Während die Fortsetzung des armenischen Handlungsfadens im Jahresbericht 60 n. Chr. mit post deleta Artaxata (14,23,1) auf einen eindeutigen Anknüpfungspunkt Bezug nimmt,131 evoziert das zu Beginn von Buch 15 exponiert gesetzte Zeitadverb interea (15,1,1) eine strenge Gleichzeitigkeit der nachfolgenden Vorkommnisse an der armenischen Grenze zum vorausgehenden innenpolitischen Geschehen des Jahres 62, sodass anscheinend auf eine strikte Einhaltung der Chronologie verzichtet wird und die Ereignisse des parthischen Schlachtfelds im Jahr 61 a priori ausgelassen zu sein scheinen. Die militärischen Vorfälle liegen daraufhin allerdings zum einen allzu abundant vor, um sich nur einem Jahr zuordnen zu lassen, zum anderen markiert die Erwähnung von Winterquartieren zu zwei verschiedenen Zeitpunkten132 zweifelsfrei und entgegen der Ansicht Grafs deutlich, dass in diesem Bericht von der armenischen Front mehrere Kriegsjahre, nämlich 61 und 62, zusammengefasst sind. Das grundlegende lineare Zeitschema wird hier also durch eine Ellipse wie auch durch eine implizite Analepse unterbrochen und die

128 129 130 131 132

erscheint aber aufgrund der vorherigen expliziten Überschreitung der Jahresgrenze unwahrscheinlich. 13,35,3 retentusque omnis exercitus sub pellibus, quamuis hieme saeua adeo, ut obducta glacie nisi effossa humus tentoriis locum non praeberet. Vgl. Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 207 sowie S. 247, und zur Deutung dieses Omens Koestermann (1967), S. 314 f., Davies (2004), S. 156 f., und Kröger (1940), S. 17 sowie S. 61. Vgl. Marx (1925), S. 76, Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 112, und Syme (1967), S. 392. Vgl. Hammond (1934), S. 90 f., Hirschfeld (1890), S. 372, Marx (1925), S. 76, Graf (1931), S. 24, Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 112, S. 200 f. sowie S. 262, Geiser (2007), S. 52, Wille (1983), S. 551, und Koestermann (1968), S. 70. 15,6,2 hibernauisse, 15,7,2, 15,8,1 hibernaculis, 15,10,3 hiberna bzw. 15,17,2 hibernauit.

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Erzählung durch die Zusammenziehung der Vorgänge verdichtet sowie ihre Dauer verkürzt.133 Neben den Begebenheiten in Armenien betrifft die elliptische Darstellungsweise insbesondere die unter Neros Prinzipat relativ ereignisarmen Grenzregionen Germanien und Britannien. Zu Beginn des einzigen Berichts aus Germanien innerhalb der Nerobücher zeigt nämlich die Formulierung quietae ad id tempus res in Germania fuerant (13,53,1), mit der dieser relativ unvermittelt im Jahr 58 n. Chr. anhebt, eine explizite Ellipse der dortigen Vorkommnisse seit der letzten Erwähnung des Rhein-Donau-Raumes in Kapitel 12,30 an.134 Dort wird zudem zwischen den beiden ähnlichen Vorfällen einer Besetzung von römischem Versorgungsland durch unterschiedliche germanische Völker, zuerst die Friesen, daraufhin die Ampsivarier, die Aussparung einer gewissen, notwendigerweise dazwischen liegenden Zeitspanne ersichtlich.135 Außerdem wird der weitgehende Ausschluss der Vorfälle auf der britannischen Insel, die sich seit der vorausweisenden Bemerkung im Jahr 50 ereigneten, anhand der äußerst summarischen Analepse im Jahr 61 evident, wobei dieses Exempel schon im Rahmen der anachronen ersten Jahresberichte auffiel, da die Eroberung der Insel Mona trotz der textuellen Zuordnung zu 61 in das vorausgehende Jahr zu datieren ist.136 Auslassungen und Verbindungen mehrerer Jahre werden im außenpolitischen Kontext also einerseits mittels konkreter Bezüge wie mollibus adhuc initiis (13,34,2), post deleta Artaxata (14,23,1) respektive der namentlichen Nennung früherer Statthalter im Falle Germaniens und Britanniens markiert. Andererseits tragen logische inhaltliche Strukturen wie die Erwähnung von Winterlagern, Vologaeses’ Resümee über den strategischen Status quo, in dem Tigranes’ Ankunft explizit thematisiert wird, die Aufhebung der militärischen Interimslösung, während der Corbulo nach Ummidius’ Tod die Verwaltung Syriens wie auch Armeniens oblag, oder Caesennius Paetus’ Prokonsulat im Anschluss an dessen Amtszeit als oberster römischer Magistrat zu einer Klärung der Zeitverhältnisse bei.137 Für einen aufmerksamen Rezipienten, der konzentriert auf alle textuellen Signale achtet, ist folglich zumindest eine grobe zeitliche Koordination und relative Terminierung der jeweiligen Teilstränge möglich. Dies schließt nur die erste Erwähnung des armenischen Schauplatzes innerhalb der Nerobücher aus, weshalb 133 Vgl. Koestermann (1968), S. 159, Geiser (2007), S. 81, Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 111, S. 319 sowie S. 325, Holztrattner (1995), S. 77, Hammond (1934), S. 93 f., Morford (1990), S. 1612, und Graf (1931), S. 24, S. 96 sowie S. 97: „Die Berichte der zwei Jahre sind deshalb so ineinander verschmolzen, daß sich eine genaue chronologische Uebersicht als unmöglich herausstellt.“ 134 13,53,1–57,3. 135 13,54,1–56,3. 136 Vgl. Anm. 111 und Goodyear (1970), S. 24, Suerbaum (2012), S. 250, und zur Nähe der Ellipse zur stark gerafften Summary Genette (1972/1998), S. 76. 137 14,26,1 … cum aduenit Tigranes … und 14,26,2 Corbulo in Syriam abscessit, morte Vmmidii legati uacuam ac sibi permissam. 15,1,1 … regemque alienigenam Tigranen Armeniae impositum, … und 15,3,1 … scripseratque Caesari proprio duce opus esse, … bzw. 14,29,1 Caesennio Paeto et Petronio Turpiliano consulibus … und 15,6,3 … et aduentare Caesennius Paetus audiebatur; vgl. Koestermann (1968), S. 172, und Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 269.

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hier die Verbindung einer mehrjährigen außenpolitischen Handlung und der damit einhergehende Bruch des annalistischen Schemas eigens vermerkt ist.138 Unter dem Aspekt der temporalen Erzählordnung decken die voranstehenden Beispiele allerdings klare Irregularitäten in der chronologischen Kontinuität auf und stellen somit das eingangs postulierte linear fortschreitende Zeitschema infrage. Außerdem dokumentieren sie hinsichtlich der temporalen Erzähldauer den massiven Einsatz einer elliptischen Gestaltungsweise, die aufgrund ihrer Vereinfachungs- und Reduktionsfunktion für eine überschau- und rezipierbare Präsentation geschichtlicher Geschehnisse gewissermaßen unumgänglich ist. Aus den zahlreichen Auslassungen, der betont summarischen Darstellungsform sowie aus der konstatierten Abstinenz von Erzählpausen resultiert schließlich die gattungsspezifisch hohe Dynamik. Inszenierung narrativer Höhepunkte Dieser Lebendigkeit steht eine regelmäßige Implikation szenischer Partien prinzipiell nicht entgegen, obgleich in diesen die Geschwindigkeit aufgrund einer inhaltlichen Detailfülle zu Protagonisten sowie Handlungsräumen und -abläufen, die aus auktorialer wie figuraler Perspektive genannt werden, lokal retardiert wird. Illustrativ für eine solche breit angelegte Szene ist die Senatssitzung im Anschluss an das tödliche Attentat eines Sklaven auf Pedanius Secundus, in der Cassius in einer ungefähr 300 Wörter umfassenden wörtlich referierten Rede, die der Aufmerksamkeit des Lesers nicht entgehen kann, die Bestrafung der gesamten familia des Stadtpräfekten fordert.139 Trotz ihrer etwas geringeren Umfänge sind zudem Agrippinas Verteidigungsrede140 und Thrasea Paetus’ Äußerung beim Prozess gegen Claudius Timarchus wesentliche Bestandteile eindrucksvoller Szenen,141 zumal die stilistische Ausarbeitung des letzten erfolgreichen politischen Auftritts des Stoikers mit der ebenfalls in oratio recta präsentierten, mitreißenden Anklagerede Cossutianus Capitos gegen den Oppositionsführer korrespondiert.142 Meisterlich ist weiterhin zweifelsohne Senecas Abdankungsszene bei Nero und sein Rücktritt als dessen Lehrer und Berater in einem mehr als 500 Wörter einnehmenden, direkt wiedergegebenen Dialog gestaltet.143 Auch unabhängig von orationes rectae finden sich raffinierte szenische Darbietungen wie Suillius’ Verurteilung, Octavius Sagittas Gewalttat, Boiocalus’ Entrüstung über den Hochmut der Römer,144 die militärischen Auseinandersetzungen zwischen Boudicca und Suetonius Paulinus, Vologaeses’ Kriegsrat, Tigillinus’ nächtliche Gelage, der Brand Roms oder die Auftritte des Kaisers an den zweiten Neronia.145 Ferner erfahren die Episoden um Britannicus’, Agrippinas, Octavias, Senecas 138 139 140 141 142 143 144 145

13,9,3; vgl. dazu auch 6,38,1 sowie 12,40,5 und Pfordt (1998), S. 131 sowie S. 184. 14,43,1–44,4. 13,21,2–5. 15,20,3–21,4. 16,22,2–5. 14,53,2–54,3 bzw. 14,55,1–56,2. 13,42,1–43,5, 13,44,1–5, 13,55,1–56,1. 14,35,1–36,3, 15,1,1–2,4, 15,37,1–4, 15,38,1–44,5, 16,4,1–5,3.

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oder Thraseas Ermordung,146 aber ebenso kleinere Sterbefälle wie die Tode Plautus’, Subrius Flavus’, Vestinus’, Petrons oder Barea Soranus’ aufgrund einer jeweils unterschiedlich nuancierten, ausgefeilten Darstellungsweise eine retardierte Behandlung.147 Als vollendetes Beispiel hierfür kann Agrippinas Ermordung in ihrer Villa angeführt werden, bei der gerade durch eine exakte zeitliche und räumliche Fixierung des Geschehens, die namentliche Explikation aller Akteure, das Ineinander von detailreichen Schilderungen aus der Perspektive der beteiligten Personen, die Implikation von indirekter sowie direkter Rede und lediglich minimale Handlungsimpulse eine einzigartige Szenerie bis hin zur Nachahmung der realen Zeitverhältnisse angestrebt wird.148 Bei Senecas Sterbeszene wird ansatzweise sogar eine Zeitdehnung, bei der die Erzählzeit die erzählte Zeit zu übertreffen scheint, erkennbar. Denn durch den Bericht über den von Nero verhinderten Suizid der Ehefrau Paulina wird die Erwähnung der Leiden Senecas geschickt unterbrochen, dessen Tod verzögert und so das andauernde, qualvolle und vom Leser mitzuerleidende Ableben des Stoikers nachgestaltet.149 Bei all diesen szenenartigen Passagen entsteht mittels einer Vielfalt narrativer Techniken, die nach Genette Anzeichen für Fiktionalität sind,150 näherungsweise eine Isochronie von erzählter Zeit und Erzählzeit, die sich zum Teil über mehrere Kapitel erstreckt und einem zeitdeckenden Erzählen im Sinne Lämmerts entspricht.151 Dies bewirkt an den jeweiligen Stellen eine alternative Rhythmisierung des Plots wie auch eine gezielte textimmanente Akzentsetzung, da sie sich von den summarisch berichteten Passus abheben. Diese Fälle, von denen Blänsdorf in den ‚Annalen‘ über 40 ausmacht und die seiner Meinung nach „ein Interesse des Historikers an Skandal und Klatsch zu verraten (scheinen), das nicht weit von dem Suetons abliegt“,152 sind jedoch nicht nach einem regelmäßigen, ausgeglichenen Schema verteilt. Vielmehr stimmen sie vorwiegend mit der textuellen Spannungskurve überein,153 wie ihre vergleichsweise geringe Häufigkeit im 13. Buch, das einen den neronischen Prinzipat einleitenden, die einzelnen Handlungsstränge vorbereitenden Charakter trägt,154 gegenüber ihrer hohen Anzahl in den späteren Büchern belegt. Dort koinzidiert die Darstellungsbreite mit den Interessensschwerpunkten und Aussageabsichten des Verfassers, indem dieser exempli causa nicht nur dem Britannienfeldzug übermäßig viel Raum zugesteht, sondern gerade die mannigfachen Servilitätsbekundungen und Todesberichte von Senatoren stets aufs 146 13,16,1–4, 14,1,1–8,5, 14,63,1–64,2, 15,60,2–64,4, 16,34,1–35,2. 147 14,59,1–3, 15,67,1–4, 15,68,2–69,3, 16,18,1–19,3, 16,30,1–32,2. 148 14,8,2–5; vgl. dazu den umfassenden Kriterienkatalog zur Beurteilung einer historischen Szene bei Blänsdorf (1994), S. 765 f., und Pausch (2011), S. 106. 149 15,60,2–15,64,4; vgl. Hauser (1967), S. 51, und Genette (1972/1998), S. 68. 150 Vgl. Genette (1991/1992), S. 74. 151 Vgl. Lämmert (1980), S. 84, Rademacher (1975), S. 48, und Martínez/Scheffel (2007), S. 40. 152 Blänsdorf (1994), S. 763, und vgl. Schmal (2011), S. 95. 153 Vgl. Fill (2007), S. 81 f., und Fuchs (2000), S. 31 zum Verhältnis zwischen Erzähltempora und Spannung. 154 Vgl. Wille (1983), S. 527, Martin (1990), S. 1556, Sage (1990), S. 990 f., und Morford (1990), S. 1602.

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Neue eindringlich ausstilisiert.155 Blänsdorf ist also darin vollauf zuzustimmen, dass die ausgestalteten Einlagen nicht ausschließlich dem delectare des Lesers zugute kämen, sondern dazu dienten, „mit anderen Mitteln als denen des nüchternen Berichts und der Ursachenanalyse historische Erkenntnis zu vermitteln.“156 Differenzierte lokale Geschwindigkeitsmodulation Aus diesem globalen Überblick ist zwar bereits ein Eindruck des variationsreichen und situationsadäquaten Einsatzes der Erzähltempora sowie der diskontinuierlichen Handlungschronologie zu gewinnen, den Genette für hinreichend hält.157 Dieser Befund soll aber durch eine exemplarische Analyse der Passage über den Aufstand der Königin der britannischen Icener, Boudicca,158 ergänzt werden, um den auktorialen Umgang mit der Erzählordnung und -dauer auch auf lokaler Ebene zu studieren. Denn ein Vergleich mit dem knappen Bericht über denselben Sachverhalt in der enkomiastischen Biographie Agricolas, der die militärischen Abläufe stark gerafft sowie resultatbezogen präsentiert und lediglich den romfeindlichen Gärungsprozess in der britannischen Bevölkerung breiter wiedergibt,159 zeigt die intentionale Ausarbeitung dieser Thematik in den Nerobüchern auf, um daraus eine in sich geschlossene, spannende Einlage für ein unterhaltsames Geschichtswerk zu formen. Unvermittelt schwenkt der Fokus zu Beginn des Jahres 61 n. Chr. aufgrund einer schweren Niederlage zum ersten Mal überhaupt unter Neros Herschaft nach Britannien, grauis clades in Britannia accepta (14,29,1), sodass diese Nachricht den Rezipienten wie eine gerade erst Rom erreichende Eilmeldung überrumpelt. Sie kündigt eine Episode über die britannische Eroberungspolitik an, die eine willkommene, den Erzählfluss auflockernde Abwechslung zum stadtrömischen sowie armenischen Schauplatz bietet. Dabei lenkt die Tatsache, dass eine Bedrohungssituation gemeldet und zugleich der endgültige Ausgang bewusst offen gehalten wird, die Aufmerksamkeit des Lesers direkt von den perversen innenpolitischen zu den scheinbar ebenfalls unglücklichen Zuständen auf der britannischen Insel hin.160 Nach der schon angesprochenen expliziten Ellipse, der die letzte Erwähnung Britanniens in Paragraph 12,40,5 vorausgeht, die ihrerseits in einer hinsichtlich der Reichweite nicht genau bestimmbaren Prolepse die Jahresgrenze überschreitet, schließt eine diese Auslassung abmildernde Übersicht über die vorherigen Statthalter und deren Taten an.161 Daraufhin wird mittels einer knappen Charakterisierung 155 156 157 158

Vgl. dazu Anm. 445 und Abschn. 4.3.2. Blänsdorf (1994), S. 763. Vgl. Anm. 99. 14,29,1–39,3; vgl. zur Königin Boudicca als Person Schürenberg (1975), S. 76 f., und Kehne (2001), S. 275 f. Eine griffige Zusammenfassung der Ursachen und des Verlaufs des Aufstands bietet Bulst (1961). 159 Agr. 14,3–16,2; vgl. zu einer kritischen Gegenüberstellung thematischer Einzelaspekte beider Berichte Du Toit (1977), S. 153–158, Kehne (2001), S. 277, und Syme (1967), S. 763. 160 Vgl. Roberts (1988), S. 118 sowie S. 125: „Military narrative, in this respect, certainly serves as redintegratio animi in the Tacitean sense – a respite from the horrors of Neronian Rome.“ 161 Vgl. Syme (1967), S. 391, der einen Vorgriff bis 54 n. Chr. annimmt, Anm. 111 und Anm. 136.

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des derzeitigen Befehlshabers der bitannischen Truppen, Suetonius Paulinus, eine kurzzeitige Retardation des Erzähltempos erreicht. Ein summarischer Bericht von dessen Eroberung der Insel Mona mit dem Schwerpunkt auf einer Schilderung der Einnahmesituation folgt, die Tacitus’ einzigartige deskriptive Qualitäten erahnen lässt.162 Diese wird allerdings von der Meldung des unerwarteten Abfalls der ganzen Provinz jäh unterbrochen und erst mit dieser Transitio erreicht die Handlung den dem Leser ursprünglich angekündigten Vorfall, sodass die ersten beiden Kapitel der Episode als Präludium fungieren und schrittweise die Vorgeschichte sowie den Hauptprotagonisten auf römischer Seite einführen.163 Nach diesem schnellen Szenenwechsel widmet sich die Erzählung der Gegenseite und gibt in einer nochmals über Jahre zurückgehenden Analepse knapp Boudiccas Motive an, die wohl stellvertretend für ein Gros der provinzialen Bevölkerung als Auslöser des Aufstandes zu verstehen sind. Nachdem weitestgehend zusammenfassend, aber ohne gänzlich auf eine dramatische Ausgestaltung wie auf die beobachteten Omina mit ihrem proleptischen Charakter zu verzichten, anfängliche Erfolge sowie erste Gegenmaßnahmen der römischen Befehlshaber berichtet werden, leitet Suetonius’ aktives und entschlossenes Vorgehen, das hinsichtlich der textuellen Gestaltung, at Suetonius (14,33,1), deutlich abgesetzt und hervorgehoben ist, die Wende ein.164 Während der Truppenpositionierung auf dem Schlachtfeld verlangsamt sich anschließend die Erzählgeschwindigkeit bis zum Kampfbeginn.165 Die Retardation gipfelt in der szenenhaften indirekten Wiedergabe der Feldherrnreden Boudiccas und Suetonius’, sodass in der vorliegenden Textpassage hier die Angleichung von erzählter Zeit und Erzählzeit am ausgeprägtesten ist.166 Mit Schlachtbeginn nimmt das Erzähltempo beständig Fahrt auf und so werden die Kampfhandlungen sowie die unmittelbaren und späteren Konsequenzen dieses militärischen Zusammenstoßes letztendlich stark gerafft dargeboten.167 Dadurch erhält die vorliegende Einzelepisode einen lokalen internen Spannungshöhepunkt und die Variation sowie Rhythmisierung der Erzähltempora vermeidet anhaltende Monotonie und steigert den Lesegenuss. Dem Einwand, dass diesem Beispiel eine einzigartige, nicht für das Gesamtwerk repräsentative Ausgestaltung zuteil geworden sein könnte, weil sich ein besonderes Interesse des Autors an dem Geschehen in Britannien wegen der späteren Bedeutung für den Schwiegervater Agricola, der ja selbst ein contubernalis des Suetonius war, beobachten lässt – wie von der Forschung vielfach angemerkt wird –,168 kann entgegengetreten werden. Denn ein ähnlich variabler, souveräner und subtiler Umgang mit dem Verhältnis zwischen erzählter Zeit und Erzählzeit lässt sich ebenso in den narrativen Einheiten der Ermordungen Agrippinas,

162 163 164 165 166 167 168

14,29,2–30,3; vgl. dazu Rademacher (1975), S. 58, und Roberts (1988), S. 119. Vgl. Wille (1983), S. 553 f. 14,31,1–33,2; vgl. Roberts (1988), S. 125. 14,34,1 f. 14,35,1–36,3; vgl. dazu Adler (2008), S. 178 f. 14,37,1–39,3. Agr. 5,1; vgl. Goodyear (1970), S. 23, Koestermann (1967), S. 297, (1968), S. 98 sowie S. 363, Martin (1981), S. 174, und Syme (1967), S. 301 sowie S. 764.

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Octavias oder Senecas aufzeigen und stellt keinen Einzelfall dar.169 Besonders hervorhebenswert ist hier jedoch, dass sich die Einzelereignisse entgegen ihrer vermittelten bruchlosen Sukzessivität und engen temporalen Kontiguität in Wirklichkeit nicht einmal innerhalb eines Jahres zugetragen haben, sondern geschickt zu einem Berichtsjahr zusammengefasst werden, um daraus eine abgeschlossene, ausgewogene und unterhaltsame Episode zu gestalten, eine Maxime, die vom Verfasser gerade am Ende des letzten Referats aus Britannien propagiert wird.170 Fazit Auch wenn es voranstehend angebracht erschien, zur Vermeidung identischer, redundanter Beispielreihen gegebenenfalls auf Aspekte der Erzähldauer und -ordnung zugleich einzugehen, die nach Genette aufs Engste miteinander verbunden seien,171 sollen die Ergebnisse dieser Betrachtungen dennoch, soweit möglich und theoretisch sinnvoll, separiert präsentiert werden. Aus der globalen wie auch lokalen Analyse der historischen Berichterstattung ist nämlich zu ersehen, dass Schwankungen in der Erzähldauer keinesfalls ausschließlich im Umfang des vorhandenen Quellenmaterials zu begründen sind. Vielmehr werden verschiedene narrative Möglichkeiten zur Gestaltung des Verhältnisses von erzählter Zeit und Erzählzeit gekonnt genutzt, um einen monotonen Erzählgleichschritt zu vermeiden und aus der vorliegenden Faktensammlung einen ansprechenden, da hinsichtlich der Erzähltempora abwechslungsreichen Diskurs zu formen. Dieser beschränkt sich nicht auf eine für die Geschichtsschreibung typische summarisch-raffende Darstellungsweise, vermag deren Dominanz aber auch nicht abzulegen. Gattungsnotwendig sind ferner Ellipsen, deren allgegenwärtige und gezielte Anwendung es ermöglicht, irrelevante oder den Auswahlkriterien nicht genügende Vorkommnisse und Entwicklungen zu übergehen. Dadurch wird der Handlung eine gesteigerte Dynamik verliehen und mittels einer absichtlichen Fokussierung wesentlicher Inhalte deren Attraktivität erhöht. Die zahlreichen szenischen Einlagen bieten aufgrund ihrer Detailfülle und Anschaulichkeit hingegen Retardationsmomente mit einem breiten Variantenreichtum an unterschiedlichen Relationen zwischen Erzählzeit sowie erzählter Zeit. Abgesehen von einzelnen zeitlosen Erzählerkommentaren sind kaum diegetische Pausen zu finden. Daraus resultiert zwar durchschnittlich ein relativ hohes Grundtempo der Erzählung, diese Basisgeschwindigkeit fluktuiert lokal aber durchaus, wie die variierenden Spannweiten der Kapitel- und Seitenzahlen pro Jahresbericht belegen.172 Bei einer buchweisen Betrachtung hebt sich das 13. Buch, das aufgrund geringerer Szenenanzahl und eines umfassenderen Zeitabschnitts pro Gliederungseinheit einen temporeichen Einleitungscharakter trägt, von den übrigen Nerobüchern ab. Deren jeweils enthaltene Zeitspannen bleiben trotz vermehrter szenischer Ausge169 170 171 172

Vgl. dazu später unter dem Aspekt der Spannung Abschn. 4.3.2. 12,40,5; vgl. Kap. 2.1. Vgl. Genette (1972/1998), S. 110. Vgl. Anm. 89.

2.3 Rhythmische Diskontinuität

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staltung nahezu konstant, weil diese zunehmende Episodisierung durch umfangreichere Ellipsen bis hin zur vollständigen Entfernung inhaltlicher Teilbereiche wie der Außenpolitik gegen Ende der ‚Annalen‘ kompensiert wird. Somit ergibt sich auf globaler Ebene zwar keine signifikante Retardation der Erzählgeschwindigkeit, jedoch eine wachsende Diskontinuität der chronologischen Handlungsordnung. Die Relation zwischen Erzählzeit und erzählter Zeit differiert fortwährend von Einzelereignis zu Einzelereignis und von Handlungsstrang zu Handlungsstrang, worin ein gewisses Streben nach Entmonotonisierung, eine lokale Variation sowie reflektierte Disposition der Erzähltempora zwischen spannungvollen und ein- sowie überleitenden Partien evident wird. Mit dieser planvollen Plotrhythmisierung werden die Grenzen einer nüchternen Geschichtsdarstellung deutlich überschritten, sodass die Anwendung einer an fiktionaler Literatur entwickelten Methodik auf die römische Geschichtsschreibung in diesem Punkt jedenfalls begründet erscheint.173 Weder die beständige Alternanz der Erzählgeschwindigkeit noch die hieraus resultierenden Quantitätsunterschiede, anhand derer schon rein äußerlich eine variable Taktung auffällt, sind also Zufallsprodukte. Vielmehr ist bereits in der Kontrastierung umfassender und schlichter annalistischer Jahresberichte ein sensibles Gespür für Peripherie und Exposition von Themen sowie die auktoriale Intention nach abwechslungsreicher, unterhaltsamer Darstellung erkennbar. Daraus entsteht ein Rhythmus, der für die individuelle Erzählung charakteristisch ist und einem Rezipienten konsequent den Takt der Lektüre vorgibt, was letztendlich wesentlich zur Steigerung der delectatio und zu einem bewussten leserseitigen Aufmerksamkeitsmanagement beiträgt.174 Darüber hinaus offenbaren erste Einblicke in die temporale Ordnung, die nachfolgend zu präzisieren sein werden, entgegen Suerbaums Meinung bereits recht deutlich eine zeitliche Diskontinuität.175 Denn die Handlung setzt sich dem annalistischen Prinzip gemäß aus einer Vielfalt an Einzelereignissen, die durch die jährliche Nennung der consules ordinarii lose strukturiert werden, zusammen und erfordert die Überbrückung gewisser Zeitphasen. Sie bildet somit gerade keine chronologisch stringente Geschichte, obgleich ein narratives Bemühen um die Schaffung einer feinen Gliederung und lückenloser Verbindungen unübersehbar ist und sich in einer temporalen Oberflächen- wie auch Tiefenstruktur widerspiegelt, sodass ein ambivalentes Fazit zu ziehen ist. Einerseits wird eine streng chronologisch, insbesondere jahrweise fortschreitende Makrostruktur offenbar, welche meist strikt eingehalten und ohne größere Auslassungen schrittweise abgearbeitet wird.176 Diese wird über weite Textpassagen auf Mikroebene sorgfältig durch Nachbildung eines tages- und eines jahreszeitlichen Schemas ergänzt, sodass sich dem Leser Ansatzpunkte für eine relative Datierung der Ereignisse bieten. Andererseits kann er diese 173 Vgl. Zipfel (2014), S. 110. 174 Vgl. dazu auch Pausch (2011), S. 85 sowie S. 106. 175 Vgl. Suerbaum (2015), S. 348: „Ob er (sc. Tacitus) noch bei anderen Gelegenheiten stillschweigend von der Chronologie abgewichen ist, lässt sich nur in Ausnahmefällen sagen oder vermuten.“, und dazu Pausch (2017), S. 76. 176 Vgl. Ginsburg (1981), S. 55 sowie S. 78, Wille (1983), S. 355, und Sage (1990), S. 982: „Tacitus orders the events of the year in rough chronological order.“

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2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

zeitliche Terminierung aber nicht verabsolutieren, da die zahlreichen Ellipsen und thematisch sowie geographisch bedingten kompositionellen Umstellungen der Geschehnisse diese meist von ihrem tatsächlichen zeitlichen Kontext losgelöst präsentieren,177 weshalb die unter der Diskursoberfläche verborgene temporale Struktur bei genauer Analyse sehr bruchstückhaft und unzuverlässig ist. Damit ist Pfordts Einschätzung, eine chronologische Übersichtlichkeit und eine relative Vollständigkeit seien Vorteile der annalistischen Darstellungsform, für sich betrachtet ebenso wenig richtig wie Tacitus’ völlige Gleichgültigkeit gegenüber der natürlichen Zeitstruktur, die Vogt unterstellt.178 Da jedoch ein kontinuierlich fortschreitendes Zeitarrangement aufgrund der Selektionsnotwendigkeit der Geschichte als große narrative Herausforderung zu erachten ist, erscheint vielmehr die diegetische Meisterschaft bemerkenswert, mit der der Autor auf globaler wie auch lokaler Ebene den Eindruck zeitlicher Kontiguität erzeugt und jeweils unbemerkt vom Beginn zum Ende eines Jahres führt.179 Er demonstriert enorme Umsicht bei der temporalen Anordnung und erreicht so ein außerordentliches literarisches Darstellungsziel. Dem widerspricht nicht, dass einige zeitliche Irregularitäten beispielsweise bei der Vereinigung mehrerer außenpolitischer, in sich streng chronologisch aufgebauter Berichte offensichtlich bestehen bleiben,180 um stattdessen thematische Zusammenhänge, assoziative Übergänge und kontrastreiche Gegenüberstellungen zu betonen. Dies betrifft ebenfalls Jahresberichte wie 58 n. Chr. oder Nachtschilderungen wie bei Agrippinas Mord, die kein Ende nehmen und in denen aus künstlerischen Absichten eine sorgsam gegliederte dramatische Episodenstruktur angelegt, die Erwartung des Lesers maximal aufgeschoben und dieser in höchste innere Unruhe versetzt wird.181 Die temporale Gestaltung steht also in enger Interdependenz mit der Schaffung einer möglichst transparenten und schlüssigen Handlungskette, mit einer thematischen Strukturierung und mit einer sukzessiven Spannungsgenerierung.182

177 Vgl. Benario (2012), S. 115: „His approach is largely annalistic; he generally deals with events chronologically but occasionally goes beyond the bounds of strict chronology to treat a theme coherently.“ 178 Vgl. Pfordt (1998), S. 18, Vogt (1957/1960), S. 142, und Flaig (2001), Sp. 1213. Zu einem ähnlichen Resultat wie dem obigen gelangen auch Rich (2009), S. 122, und Pausch (2011), S. 83, bei ihrer Analyse des livianischen Texts. Zudem ist nach Zipfel (2014), S. 117, die Diskrepanz zwischen vagen jahres- und detaillierten tageszeitlichen Angaben ein Fiktionalitätssignal. 179 Vgl. Pitcher (2009), S. 6: „Like a swan, the narrative of a work of ancient history glides ever forward. But the processes which sustain its momentum remain submerged and invisible.“, und S. 28. 180 Vgl. Walker (1952), S. 35, und Wille (1983), S. 355. 181 Vgl. Flach (1973b), S. 49: „Wenngleich die annalistische Gliederung die dramatische Gestaltung erschwerte, war Tacitus in den Annalen bemüht, größere Erzähleinheiten nach dramatischen Gesichtspunkten anzulegen und abzurunden.“ 182 Vgl. Marx (1925), S. 80, Röver/Till (1969), S. 37, Ginsburg (1981), S. 78, und Wille (1983), S. 355.

2.4 Implizierte thematische Erzähleinheiten

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2.4 IMPLIZIERTE THEMATISCHE ERZÄHLEINHEITEN Angesichts des konstatierten diskontinuierlichen Verlaufs der erzählten Zeit, der aus dem Spannungsverhältnis zwischen annalistischer Jahresstruktur und thematischer Kohärenz resultiert, sowie der variablen Rhythmisierung der Erzählgeschwindigkeit, die auf einem regelmäßigen Wechsel summarisch-temporeich und szenisch-retardiert gestalteter Passagen basiert, verwundert die in der Forschung oft vorgebrachte Kritik kaum, dass die Nerobücher kein einheitliches Ganzes bildeten. Stattdessen scheint die Erzählung in zahlreiche selbstständige Episoden zu zerfallen,183 in denen zeitweilig eine gewisse Anzahl an Protagonisten oder eine bestimmte Handlungsthematik mit einem übersteigerten Detailreichtum unterhaltsam und spannend fokussiert wird.184 Dies bewirkt bei der Mehrheit der Interpreten den intersubjektiven Eindruck einer vorwiegend inhaltlichen Ausrichtung und Abgeschlossenheit derartiger Erzählblöcke, der zudem durch deren vergleichbare, wiederkehrende narrative Strukturierung unterstrichen wird und eine absichtliche, rezeptionsorientierte Anlage solcher Episoden nahelegt. Hervortretende Ereignisüberschriften Im Sinne einer textimmanenten Schlagworttechnik185 setzen Stichworte oder prägnante Einleitungssätze zu Beginn eines neuen Erzählabschnitts das vorausgehende deutlich vom nachstehenden Geschehen ab und weisen zugleich auf Letzteres hin. Dies führt zu einer feinen Untergliederung der enormen historiographischen Textmasse und kann gewissermaßen als antikes Surrogat für das Layout, die Kapiteleinteilung oder die Absatzmarkierung moderner Textausgaben aufgefasst werden – Elemente, die eine werkinterne Orientierung bieten sowie das Lektüreverhalten und -pensum kontrollieren. Da sich allerdings ein antiker Autor bewusst sein musste, dass hinzugesetzte Kapitelüberschriften, deren Aufkommen Mutschmann in die Kaiserzeit datiert,186 wie auch implizierte Haltepunkte allzu leicht durch die hand183 Vgl. Graf (1931), S. 101 sowie S. 103 f., bestätigt von Wöhrmann (1956), S. 53 Anm. 1, Rühl (1901), S. 511, Syme (1967), S. 359 sowie S. 376, Wille (1983), S. 349, Meister (1964/ 1991), S. 215, Koestermann (1963), S. 22, (1968), S. 159 sowie S. 334, Hanslik (1963), S. 92 f., Sage (1990), S. 987, Martin (1981), S. 163, sowie (1990), S. 1578, Pfordt (1998), S. 189 f., Goodyear (1970), S. 25, sowie (1982), S. 647, Walker (1952), S. 16, und mit einem ähnlichen Befund für Livius Pausch (2011), S. 105. 184 Vgl. Walker (1952), S. 16, Rademacher (1975), S. 164, und Blänsdorf (1994), S. 762 f. 185 Darauf macht in anderem Zusammenhang schon Rademacher (1975), S. 111 f., S. 123 sowie S. 162, aufmerksam, wobei seine Behauptung, in den ‚Annalen‘ gebe es nur noch wenige Beispiele, nicht zutrifft. Vgl. auch Wille (1983), S. 3, der von „thematischen Sätzen“ und „Initialstichworten“ spricht. 186 Vgl. Mutschmann (1911), S. 93 f. sowie S. 98, Röver/Till (1962), S. 40, und Oliver (1951), S. 247: „When shorter units, each complete in itself but forming part of a definite series, were contained in a roll, our evidence shows a uniform procedure: the title is written on a separate line indented from the margin at the beginning of the unit, and the end of the unit is indicated only by the title of the following unit.“

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2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

schriftliche Tradierung auszulöschen waren, musste er auf untrennbar mit dem Text verwobene Elemente zurückgreifen. Die Anwendung einer solchen Technik ist indes schon in der ‚Germania‘ erkennbar und wird in den Nerobüchern weiterentwickelt.187 Vor der Wiedergabe geschlossener thematischer Einheiten wird in einem mehr oder minder aphoristischen Ausdruck eine ankündigende und gelegentlich schon präjudizierende Zusammenfassung der nachfolgenden Inhalte gegeben,188 was sich anhand einiger prominenter Textpassagen veranschaulichen lässt.189 Auf die beschriebene Weise werden nicht nur mit ceterum infracta paulatim potentia matris (13,12,1) Agrippinas schrittweise Entmachtung190 und mit scelus diu meditatum (14,1,1) die Episode des Muttermordes, sondern auch Burrus’ Tod – concessit uita Burrus (14,51,1) –, der Rombrand – sequitur clades (15,38,1) –, Senecas Rückzug aus der politischen Verantwortung – mors Burri infregit Senecae potentiam (14,52,1) – sowie dessen Selbstmord – sequitur caedes Annaei Senecae (15,60,2) – und Lukans Tod – exim Annaei Lucani caedem imperat (15,70,1) – jeweils durch eine knappe Überschrift als eigenständige Episoden gewürdigt. Hervor treten ferner die unheilverkündende Einleitung, die der außenpolitischen Episode um Boudicca gewidmet ist – grauis clades in Britannia accepta (14,29,1) –,191 die Überschrift, mit der die Pisonische Verschwörung anhebt – coepta simul et aucta coniuratione (15,48,1)192 und die Schlagzeile, mit der der inhaltliche Abschnitt der letzten erhaltenen Partie des 16. Buches vorab zusammengefasst wird: trucidatis tot insignibus uiris ad postremum Nero uirtutem ipsam exscindere concupiuit interfecto Thrasea Paeto et Barea Sorano (16,21,1).193 Ebenfalls erhalten Neros Neigungen jeweils einen prägnanten Titel, sodass sie sich der Textreihenfolge entsprechend in Wagenlenkerei, curriculo quadrigarum insistere (14,14,1), Schauspielerei, instituit ludos Iuuenalium (14,15,1) und Dichtkunst, carminum quoque studium adfectauit (14,16,1), einteilen lassen sowie später mit cupidine … promiscuas scaenas frequentandi (15,33,1) wieder aufgegriffen werden. Außerdem hebt diese Überschriftentechnik vier kompakte Einzelepisoden signifikant voneinander ab, nämlich die Vorfälle um den Delator Suillius mit uariis deinde casibus iactatus 187 Vgl. Schmal (2011), S. 31: „Sehr oft gibt das erste Wort eines Absatzes […] den Inhalt vor, dient also gleichsam als Zwischenüberschrift.“ 188 Vgl. Lämmert (1980), S. 143 f. sowie S. 163: „Gliedert eine Erzählung ihre Phasen in einzelne überschriftete Teile oder Kapitel auf, so tragen deren Titel im allgemeinen die Teil-Vorausdeutungen für den entsprechenden Erzählabschnitt.“, und Seitz (1958), S. 96. 189 Inklusive der nachfolgend angeführten Beispiele sind Episodenüberschriften an den nachstehenden Stellen zu identifizieren: 13,12,1, 42,1, 44,1, 45,1, 47,1, 14,1,1, 14,1, 15,1, 16,1, 29,1, 49,1, 51,1, 52,1, 57,1, (58,1), 15,33,1, 36,1, 38,1, 48,1, (60,1), 60,2, (65), 67,1, 68,2, 70,1, 16,1,1, 4,1, 7,1, 10,1, 13,1, 17,1, 18,1, 21,1. 190 Vgl. Seitz (1958), S. 94, und Wille (1983), S. 531. 191 Vgl. Allgeier (1957), S. 3 f., der bereits hervorhebt: „Fast bei allen Kriegsdarstellungen, die Tacitus in den Annalen schildert, wird ganz zu Anfang mit einem Satz, gewissermaßen als Überschrift, das Thema der kommenden Kapitel vor den Leser hingestellt.“, und zu diesem Beispiel auch Pfordt (1998), S. 156. 192 Vgl. Seitz (1958), S. 98, und Morris (1969), S. 219. 193 Vgl. Koestermann (1963), S. 31: „Der Prozess gegen Thrasea wird gleichsam durch einen Paukenschlag eröffnet.“, Seitz (1958), S. 89 f., Wille (1983), S. 591, Blänsdorf (2005–2006/ 2015), S. 312, Röver/Till (1969), S. 77, und Morris (1969), S. 261.

2.4 Implizierte thematische Erzähleinheiten

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et multorum odia meritus reus (13,42,1),194 Octavius Sagittas Liebesabenteuer mit per idem tempus Octauius Sagitta plebei tribunus, Pontiae mulieris nuptae amore uecors (13,44,1),195 Poppaeas Vorstellung mit non minus insignis eo anno impudicitia magnorum rei publicae malorum (13,45,1) sowie Neros weitere Entartung unter dem unheilvollen Titel hactenus Nero flagitiis et sceleribus uelamenta quaesiuit (13,47,1). Gerade bei diesen vier aufeinanderfolgenden Einleitungen sind im Mediceus II Spuren einer von der übrigen Textgestalt abweichenden Formatierung festzustellen. Der Anfangsbuchstabe ihres jeweils ersten Wortes ist nämlich in der mittelalterlichen Handschrift groß geschrieben, wohingegen Satzanfänge, wenn sie nicht mit dem Zeilenanfang koinzidieren, üblicherweise mit Kleinbuchstaben beginnen. Überblickt man die Verteilung dieser formalen Variation innerhalb der Nerobücher, so lässt dies vermuten, dass der Schreiber in seiner Vorlage noch einige graphisch hervorgehobene Satzanfänge vorfand, die er auf diese Weise zumindest an wenigen Stellen in seine Abschrift übernahm. Denn in der a priori diffus wirkenden mittelalterlichen Groß- und Kleinschreibung ist insofern eine Regelmäßigkeit zu erkennen, dass Kapitälchen stets mit wesentlichen Sinneinschnitten oder Szenenwechseln zusammenfallen, die oftmals durch Orts- oder Zeitangaben eingeleitet werden. Diesen räumt Genette im Allgemeinen eine gewisse Verselbstständigungstendenz zu Zwischentiteln ein196 und Moore spricht ihnen in einem historiographischen Werk aufgrund ihrer schablonenhaften Wiederkehr eine praktische Orientierungsfunktion für den Rezipienten zu.197 Daneben belegt jedoch die Großschreibung von Mors Burri … (14,52,1) und Trucudatis tot … (16,21,1) im mittelalterlichen Kodex, dass diese offenbar nicht auf lokale oder temporale Adverbialien beschränkt ist. Vielmehr signalisiert ihr Gebrauch fortwährend markante Zäsuren der Erzählung und darf ursprünglich möglicherweise noch an zahlreichen anderen Abschnitten, die von aussagekräftigen Überschriften eingeleitet werden, angenommen werden. Während diese formale Ausarbeitung heute allerdings bis auf wenige vermeintliche Spuren weitestgehend verloren ist, bleibt die auf textueller Ebene implizierte Gliederung für einen Leser mit sensiblem Sprachgefühl wahrnehmbar. Sie erzeugt eine intersubjektiv nahezu identische Empfindung einer potenziellen Handlungsunterteilung in einzelne Episoden, die offensichtlich auch für die überwiegend generisch aus einer Textstruktur hervorgehende Kapiteleinteilung von 1574, die bis heute

194 Vgl. Wille (1983), S. 538, zum Untertitel haud tamen sine inuidia Senecae damnatur (13,42,1). 195 Vgl. Billerbeck (1991), S. 2760 f., zum episodenhaften Charakter dieses Melodramas. 196 Vgl. Genette (1987/1992), S. 283: „Ich füge hinzu, daß manche Orts- oder Zeitangaben, die üblicherweise am Beginn eines Akts oder eines Aufzugs stehen, als eine Art Zwischentitel in die Tradition eingehen können.“, Rademacher (1975), S. 125 f., und Wille (1983), S. 3. Mit Kapitelanfängen heutiger Textausgaben korrespondieren: Per idem tempus 13,26,1, 44,1, 15,46,1; Non minus insignis eo anno 13,45,1; Hactenus 13,47,1; Ne tamen adhuc 14,15,1; Sub idem tempus 14,17,1; Eodem anno 14,27,1; Eo anno 14,47,1; Mox 15,27,1; Eo in tempore 15,39,1; Ergo 15,56,1, 16,11,1; Tunc 16,9,1; Tum 16,35,1. Mit Kapiteleinschnitten in heutigen Textausgaben stimmen hingegen nicht überein: Nec multo post 13,27,3; Fine anni 14,28,2; Quartus decimus annus 14,53,2; Eodem anno 16,13,3. 197 Vgl. Moore (1923), S. 18 f.

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2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

Gültigkeit besitzt,198 maßgeblich ist. Folglich erleichtern diese Elemente die textinterne Orientierung eines Rezipienten und bieten diesem einen selektiven Schnellzugriff nach lokalen, temporalen und thematischen Kategorien, der den Umgang mit der enormen historiographischen Textmenge erheblich vereinfacht, wobei Krasser und Pausch betonen, dass derartige leserfreundliche Maßnahmen den Literaten in der Entstehungszeit von Tacitus’ Werk durchaus nicht unbekannt waren.199 Schematische Komposition der Erzählabschnitte Neben dieser Einleitungstechnik besitzen die monothematischen Episoden des Weiteren einen vergleichbaren inneren Aufbau, der der Struktur einer Tageszeitungsnotiz200 oder der typischen Anlage einer modernen Kurzgeschichte201 nicht unähnlich ist. Denn zum einen werden bereits in den ersten, stets im Erzählerbericht referierten Stichworten einer separaten Handlungseinheit Protagonist, Zeit, Ort und wesentliche Inhalte präsentiert, sodass dem Rezipienten schon nach kurzem Anlesen die Hauptinformationen und eine individuelle interessengeleitete Selektionsoption geboten werden. An diese summarische Vorstellung schließt zum anderen meist eine aufbauende Rückwendung an,202 die in einer analeptischen Darstellung kurz auf die Motive sowie das wichtigste Vorgeschehen bis zum gegenwärtigen Ereignis eingeht, um dem Leser eine umfassende Einordnung des jeweiligen Vorfalls zu ermöglichen und um ihn mit dem zum Verständnis notwendigen Vorwissen zu versehen.203

198 Vgl. Schanz/Hosius (1935), S. 643, Klingner (1955), S. 198, Malloch (2016), S. 233, und Suerbaum (2015), S. 324 Anm. 205. Derselbe setzt diese noch (1976/1993), S. 78, wie auch Martin (2009), S. 243, hingegen erst im 17. Jahrhundert an. Wille (1983), S. 2, weist zudem zu Recht darauf hin, dass nicht alle Kapitelsetzungen in modernen Textausgaben glücklich gewählt sind, und warnt vor Strukturmodellen, die nur auf Kapitelangaben, Seitenzahlen oder Zeilenzahlen basieren, den tatsächlichen Wortlaut aber aus den Augen verlieren. Ähnlich äußert sich Klingner (1955), S. 198, über den Anfang von Kapitel 13,2. 199 Vgl. Krasser (1999), S. 62 mit Anm. 22, der auf die systematische Ordnung nach Oberbegriffen bei Valerius Maximus, welche dem taciteischen Schema m. E. wohl am nächsten kommt, sowie auf die Inhalts- und Quellenverzeichnisse bei Plinius d. Ä. hinweist. Vgl. auch Fantham (1998), S. 177, und zum Einsatz von Gliederungshilfen im Werk des Polybios Pausch (2011), S. 110–113, sowie des Gellius ders. (2004), S. 31 und S. 69. Bezüglich Suetons Biographien merkt Pausch (2013b), S. 47, sogar an, dass die „Anfangsworte im Text sicherlich graphisch hervorgehoben waren, wie man es in dem heute in der Pariser Nationalbibliothek aufbewahrten Codex Memmianus aus dem 9. Jh. noch erahnen kann.“ 200 Vgl. zu dieser journalistischen Form Bonheim (1982), S. 2, und Suerbaum (2015), S. 445, der sich derselben Verschaulichung für die Beschreibung von Tacitus’ Erzähleinheiten bedient. 201 Vgl. zur Gliederung dieser literarischen Gattung Bonheim (1982), S. 91 f., S. 99: „Detailed analysis of the modern short story has shown that report and speech have become the dominant modes of the short story in this century, […].“, sowie S. 109. 202 Vgl. Lämmert (1980), S. 104, und Martínez/Scheffel (2007), S. 36. 203 Vgl. zur entsprechenden Vorgehensweise bei Kurzgeschichten Bonheim (1982), S. 108: „It seems likely that he (sc. the author) used it to bring the reader into the story very quickly, […].“

2.4 Implizierte thematische Erzähleinheiten

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Exemplarisch lässt sich dies am Bericht über den Prozess gegen den ehemaligen Delator Suillius aufzeigen.204 Nachdem der die Episode einleitende, oben bereits angeführte Aufhänger einen Abriss über das Hauptgeschehen und sogar den Ausgang der Affäre gibt, aber geschickt die Namensnennung des Protagonisten vermeidet, um beim Leser Neugier und Aufmerksamkeit zu erregen, wird in dem nachfolgenden Satz ein knapper, erläuternder Rückblick auf Publius Suillius’ Vita eingefügt: imperitante Claudio terribilis ac uenalis et mutatione temporum non quantum inimici cuperent demissus quique se nocentem uideri quam supplicem mallet (13,42,1). Erst danach kommt Tacitus auf den tatsächlichen Vorfall zu sprechen, den er nun auf Basis der vorab präsentierten Informationen eingehender behandeln kann. Ähnlich verfährt er auch bei den Berichten über Domitius Balbus’ Testamentsfälschung und dem von Sklavenhand verübten Mord an Pedanius Secundus. Beide kündigt er im Voraus mit der anhebenden Formulierung insignia scelera, alterum senatoris, seruili alterum audacia (14,40,1)205 verheißungsvoll, da höchste und niedrigste Gesellschaftsschichten betreffend, an, blickt daraufhin auf die Beweggründe der jeweiligen Taten zurück und erwähnt schließlich die damit verknüpften Vorkommnisse detaillierter. Fazit Die vorliegenden Strukturierungsschemata und der Einschub beinahe paratextueller Elemente oder Vorgriffe mit beschränkter Reichweite kommen dem Orientierungs- und Selektionsbedürfnis potenzieller Leser entgegen und gestalten dadurch die Lektüre oder auch den Vortrag angenehmer.206 Denn die möglicherweise ursprünglich formal abgehobenen Zwischenüberschriften markieren einen zeitweiligen Handlungswechsel und nehmen die weitere Entwicklung knapp und präzise vorweg. Die anschließend implizierten aufbauenden Rückwendungen bieten eine inhaltliche Vorentlastung, indem sie nicht nur dem thukydideischen Anspruch einer den Ursachen auf den Grund gehenden Geschichtsschreibung gerecht werden,207 sondern ganz pragmatisch den Rezipienten während seines Lektüreprozesses mit den für ein umfassendes Verständnis notwendigen Hintergrundinformationen versorgen. Leser wie auch Hörer erhalten an diesen Naht- und Übergangsstellen der Erzählung also die Gelegenheit, in den Handlungsverlauf, falls sie zuvor abgelenkt oder unaufmerksam waren, wieder einzusteigen, diesen interessengeleitet und nach Belieben weiterzuverfolgen oder bewusst abzubrechen und werkintern zwischen den Erzählblöcken zu springen. Die Einführung Poppaeas bleibt nämlich beispielsweise auch ohne die vorherige Lektüre der Geschichte Sagittas oder Suillius’ verständlich, obzwar keineswegs infrage zu stellen ist, dass das favorisierte kontinuierliche Lektüreverhalten als Normalform anzusehen ist. Denn oftmals kann ein tiefer gehender Aussagegehalt in einer aufeinander bezogenen Positionierung meherer 204 205 206 207

13,42,1–43,5. Vgl. Wille (1983), S. 554. Vgl. Genette (1972/1998), S. 50, und Erren (1990), S. 118 f. Vgl. Anm. 192 (Kap. 1).

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2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

Episoden liegen, wie dies gerade die Anordnung der drei genannten Partien in einer Klimax demonstriert.208 Deshalb wäre es auch übertrieben und verfehlt, zu behaupten, dieses narrative Verfahren ginge soweit, Textblöcke unverbunden aneinanderzureihen. Im Gegenteil zeigt die Tatsache, dass „der Eindruck der Einheitlichkeit und Zusammengehörigkeit aller Berichte angestrebt wird, […] das Bestreben des Historikers, zwischen den Einzelberichten wie vor allem zwischen den näher zusammengehörigen größern [sic!] Gruppen von Ereignissen jede spürbare Zäsur sorgfältig zu vermeiden.“209 Die Schaffung einer „Menge von farbenreichen, wirkungsvollen Einzelerzählungen“210 hebt die zeitliche Makrostruktur keineswegs auf. Vielmehr ist eine „Emanzipation vom annalistischen Prinzip als […] Merkmal der neuen Technik“211 zu beobachten, bei der sich thematische Erzähleinheiten an passenden Stellen in das basale Zeitgefüge einordnen und narrative Zentren in einer zusammenhängenden Erzählung bilden. In dieser bleibt der jahrweise fortschreitende Grundcharakter erhalten und es entsteht keine rubrizierende, ausschließlich thematisch geordnete Darstellung, wie sie in Suetons Kaiserviten angewandt wird. Inwiefern eine solche Interdependenz von sachlicher und temporaler Struktur indes tatsächlich als taciteische Innovation zu werten ist, kann aufgrund der defizitären Überlieferungslage der historiographischen Literatur früherer Autoren nicht abschließend beurteilt werden, aber zumindest für das Geschichtswerk des älteren Cato ist eine Hybridform aus capitulatim- und chronologischer Anordnung bereits greifbar.212 Die Vielzahl angedeuteter kleinerer Handlungseinheiten ist jedoch darüber hinaus auch als intendierte Polemik gegenüber der Gesellschaft der neronischen Zeit zu verstehen. Sie bildet die Diffusität einer politischen Ordnung ab, die einer starken zentralistischen Instanz beraubt ist, einer Rolle, der Nero in keiner Weise gerecht wird und deren Fehlen sich in den nachfolgenden Bürgerkriegen schmerzlich manifestiert.213

208 Vgl. Koestermann (1967), S. 322 sowie S. 324, und Syme (1967), S. 310. 209 Hauser (1967), S. 125, die damit Lukians Postulat eines sorgfältig aneinander gefügten Geschehensablaufs (hist. conscr. 55) im taciteischen Diskurs bestätigt sieht. Vgl. Walker (1952), S. 16: „These episodes gain in meaning from their context and are consistently related to one another.“ Viel zu kritisch und der Idee einer mangelnden Überarbeitung der Nerobücher verhaftet äußert sich demgegenüber Koestermann (1968), S. 9: „In allen Fällen erweist es sich, daß es dem Historiker nur unvollkommen geglückt ist, divergierende Versionen in einem einheitlichen Gesamtbilde überzeugend zusammenzufassen: Die Nahtstellen sind vielmehr überall zu erkennen, während demgegenüber die erste Hexade einen weit geschlosseneren und harmonischeren Eindruck hinterläßt.“ 210 Graf (1931), S. 104. Vgl. dazu Koestermann (1943), S. 158. 211 Graf (1931), S. 104. 212 Vgl. Petzold (1993), S. 168 f., Martin (1981), S. 24, und Luce (1991), S. 2907, sowie Woodman (2012c), S. 283 f., die auf die Ähnlichkeit der historiographischen Anfänge verweisen: clarorum uirorum atque magnorum non minus otii quam negotii rationem exstare oportere (fr. 1 Peter), weshalb Sages (1990), S. 974, Negation eines Einflusses Catos d. Ä. zu pauschal ausfällt. 213 Vgl. Koestermann (1963), S. 22.

2.5 Narrative Verknüpfungstechniken

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2.5 NARRATIVE VERKNÜPFUNGSTECHNIKEN Die ambivalente Disposition der Erzählung nach zeitlichen und inhaltlichen Kriterien regt eine Analyse diskursinhärenter Anachronien an, die keine Erfindung der modernen Romanliteratur, sondern ein traditionelles Mittel der literarischen Narration sind. Aufgrund ihres grundlegend achronologischen Charakters begünstigen diese diegetischen Elemente nämlich eine temporale Diskontinuität im Geschehensverlauf und können für einen episodenhaften Eindruck mitverantwortlich sein. Dementsprechend sollen sie primär unter Verwendung von Genettes Terminologie als Analepsen und Prolepsen identifiziert werden, die von interner oder externer, kompletiver oder repetitiver sowie partieller oder kompletter Art sein können.214 Während die Zuordnung dieser technischen Attribute ohne spezifischen Nachweis direkt aus der Ästhetik des Textes hervorgeht,215 ist vorab einschränkend darauf hinzuweisen, dass Anachronien, deren Referenzpunkt nicht innerhalb der Nerobücher, die hier als eigener Erzählkomplex angesehen werden,216 liegt respektive anzunehmen ist, als extern bezeichnet werden sollen. Sekundär werden in Anlehnung an Lämmert exponierte Kontextualisierungen anachronischer Elemente vermerkt,217 dessen heuristisches Schema mit demjenigen Genettes kompatibel ist und dieses hinsichtlich differenter Aspekte vorteilhaft ergänzt.218 Obwohl der Untersuchungsfokus auf die phänomenologische Vielfalt von Anachronien gerichtet wird, die im Anhang vollständig dokumentiert ist,219 bietet sich eine unmittelbar auf der reichhaltigen Befundlage basierende Klassifizierung von Analepsen und Prolepsen nach funktionalen Formen an. Die hierbei angelegten Kategorien sind nicht disjunkt konzipiert, um fallspezifische sowie systematische Gestaltungsweisen und Verwendungskombinationen anachronistischer Elemente uneingeschränkt erfassen zu können. Sie werden im Folgenden für beide Anachronietypen separat durch jeweils sinnfällige Exempla illustriert und diese rubrizierenden Betrachtungen für die anawie auch die proleptischen Elemente je durch einen quantitativen Überblick über deren absolute Häufigkeiten und buchweise Verteilung abgeschlossen.

214 Vgl. zu den entsprechenden Begriffspaaren bei Ana- und Prolepsen Genette (1972/1998), S. 32 bzw. S. 46, S. 34 sowie S. 36 bzw. S. 48, S. 42 bzw. S. 53, und ders. (1991/1992), S. 73, mit dem Hinweis: „Fiktionale und faktuale Erzählung unterscheiden sich grundlegend weder durch den Gebrauch von Anachronien, noch durch die Weise, sie zu bezeichnen.“, sowie Anm. 10 bzw. Anm. 58. Vgl. dazu auch Martínez/Scheffel (2007), S. 32–39. 215 Vgl. zum Vorwurf der Willkürlichkeit seiner Klassifikation Genette (1983/1998), S. 206. 216 Vgl. Kap. 1.1. 217 Vgl. Lämmert (1980), v. a. S. 104–112 bzw. S. 143–175, und Pigón (2004), S. 96, S. 101 sowie S. 170. 218 Vgl. Genette (1983/1998), S. 211. 219 Vgl. Anhangstabelle 1 bzw. Anhangstabelle 2.

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2.5.1 Gestaltungs- und Funktionsvariabilität analeptischer Elemente Inhaltlich informierende Analepsen Im Rahmen voranstehender Überlegungen zum augenfälligen thematischen Arrangement einzelner Erzählabschnitte wurde bereits eine grundlegende Verwendungsweise von Retrospektionen erkennbar. Mit überwiegend sachbezogenen Informationen operierende Analepsen finden sich nämlich häufig als aufbauende Rückwendungen unmittelbar nach einem einleitenden aussagekräftigen Titel am Episodenanfang,220 ohne dass ihr Gebrauch jedoch auf diese betonte textuelle Position eingeschränkt wäre. Als geradezu prototypisch für diese Analepsenkategorie sind die summarischen Bezugnahmen auf frühere Ereignisse zu Beginn von außenpolitischen Berichterstattungen anzusehen, wo sie von besonderer Relevanz sind, wenn die Handlungsstränge der jeweiligen Grenzregionen in den Nerobüchern erstmalig aufgegriffen werden. Demgemäß wird bezüglich der andauernden militärischen Auseinandersetzungen in Armenien der Status quo der vorausgehenden Entwicklungen in einer knappen Rückschau explizit wiederholt221 und auch nach jeder weiteren Unterbrechung dieses ortsspezifischen Ereignisverlaufs werden klare interne und repetitive Verknüpfungen bei dessen Fortsetzung hergestellt. Mit mollibus adhuc initiis prolatatum … bellum (13,34,2) wird so im Jahre 58 n. Chr. präzise auf die Vorkommnisse, die mit tamquam different bellum (13,7,2) ausgeblendet worden waren, rekurriert und im Bericht des Jahres 60 erinnert der schlichte partielle Hinweis post deleta Artaxata (14,23,1) an die zuletzt erwähnte Zerstörung dieser Stadt, Artaxatis ignis immissus deletaque et solo aequata sunt (13,41,2). Zudem nehmen Vologaeses’ resümierende Reflexionen am Anfang des 15. Buches direkt die Vertreibung der Parther aus Armenien sowie die dortige Einsetzung von Tigranes als neuen König wieder auf.222 Mit recht umfangreichen, kompletiven und kompletten Rückblicken werden ferner ebenfalls die Geschehnisse aus Germanien wie auch Britannien eröffnet, zumal deren ehemalige Berücksichtigung jeweils schon länger zurückliegt. Die Analepse anlässlich des Berichts aus Germanien reicht demnach mehrere Jahre zurück und die Rückwendung, mit der Boudiccas Aufstand in Britannien anhebt, knüpft sogar ausdrücklich an A. Didius’ vergangene Statthalterschaft an.223 Dass diese inhaltlich informierenden Retrospektionen auch außerhalb des außenpolitischen Bereichs sowie teils für Detailaspekte verwendet werden, legen nicht nur die konkreten Beispiele des partiellen Hinweises auf Rufrius Crispinus’ frühere Ehe und gemeinsames Kind mit Poppaea, der weit zurückreichenden kompletiven Anmerkungen zu den Tempelstiftungen in der römischen Frühzeit oder der rückblickend komplett präsentierten Entstehungsgeschichte der Pisonischen Verschwö-

220 221 222 223

Vgl. Kap. 2.4. 12,51,1 bzw. 13,6,1. 14,26,1 f. bzw. 15,1,1 f. 12,30,2 und 13,53,1 bzw. 12,40,5 und 14,29,1; vgl. Bretschneider (1905), S. 17, Graf (1931), S. 22–24, Syme (1967), S. 391, und Morris (1969), S. 52.

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rung nahe.224 Vielmehr unterstreicht die enorme Anzahl von insgesamt 141 dieser Kategorie zuzuordnenden Analepsen deren häufigen Einsatz und große strukturelle Relevanz für die Erzählung. Denn indem diese zeitliche, thematische sowie schauplatzspezifische Anknüpfungspunkte aufgreifen und Verbindungen über zum Teil größere Distanzen herstellen, ermöglichen sie dem Rezipienten eine historische sowie chronologische Verortung der gegenwärtig referierten Vorfälle und unterstützen ihn bei der geistigen Rekonstruktion und retrospektiven Systematisierung narrativ getrennter Handlungsstränge. Sie aktualisieren gezielt dessen geschichtliches Vorwissen oder ergänzen dieses gegebenenfalls um noch unerwähnte Vorkommnisse, die zum derzeitigen Zustand führen beziehungsweise diesen erhellen. Die analeptischen Verweise auf Sachinformationen tragen somit wesentlich zur substanziellen Orientierung über bisherige Vorkommnisse, zum darauf fußenden Verständnis des fortschreitenden Geschehensverlaufs sowie vor allem zur textuellen Kohärenzbildung bei. Personenbezogene Analepsen Handlungsbegleitende Charakterisierung Am zahlreichsten treten Analepsen im Zusammenhang mit Protagonisten auf, wobei die sich daraus konstituierende umfassende Kategorie in drei graduell verschiedene funktionale Ausprägungen zu differenzieren ist. Erstens klären 102 retrospektive Elemente sowohl bei der erstmaligen Einführung als auch kontinuierlich bei späteren Auftritten von Akteuren rasch über deren bisheriges Leben und Wirken auf und dienen zu einer zukunftsweisenden, handlungsbestimmenden Charakterisierung sowie einer zügigen Einordnung dieser Person in die aktuelle Figurenkonstellation. Beispielsweise werden anlässlich von Poppaeas erstem Erscheinen deren frühere spezielle Lebensweise und extravagante Gepflogenheiten in einer ausführlichen Persönlichkeitsbeschreibung kompletiv dargelegt, zumal die genannten Eigenschaften ihre spätere Verhaltensweise und -absichten entscheidend begründen und beeinflussen.225 Auch Tigranes wird unmittelbar bei seiner primären Nennung, als er als neu eingesetzter König nach Armenien einzieht, retrospektiv als eine vom luxuriösen Lebensstil in Rom verwöhnte und verweichlichte Figur gezeichnet, sodass eine mangelnde Akzeptanz und ein fehlender Rückhalt für den von außen oktroyierten Herrscher in der armenischen Bevölkerung sowie die kurze Dauer und Erfolglosigkeit von dessen Regentschaft für den Leser sogleich antizipierbar sind.226 Bei ihren jeweils ersten Erwähnungen in den Nerobüchern werden zudem das Schicksal Pomponia Graecinas unter Messalina wegen des überlieferungsbedingten Textausfalls zumindest für den heutigen Leser kompletiv sowie der Werdegang des unter Tiberius bereits verbannten, unter Claudius aber umso einflussreicheren Delators Suillius repetitiv beleuchtet.227 Demgegenüber wird erst kurz vor 224 225 226 227

13,45,4, 15,41,1, 15,48,1. 13,45,1–4. 14,26,1 f. bzw. 15,1,1 f., 15,4,1–3; vgl. Koestermann (1968), S. 75. 13,32,3 bzw. 4,31,3, 11,1,1–7,4, 13,42,1; vgl. zu Suillius Morford (1990), S. 1585.

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2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

der Ermordung Octavias unerfreulicher Lebensweg in einer eingehenden Analepse reflektiert, die nacheinander die zentralen Stationen ihres Elends thematisiert.228 Agrippinas Wesenszüge werden sogar noch nach ihrem Tod durch eine deutlich früher zu datierende Anekdote über die Weissagung der Chaldäer sowie ihre schnippische Antwort darauf hervorgekehrt.229 Außerdem wird ihr politisches Wirken retrospektiv diskreditiert, indem Nero die Bestrafungen zahlreicher Personen aufhebt, die von seiner Mutter teilweise energisch erstrebt worden waren. Während dabei für den Leser einige Namen klar auf referierte Vorfälle zu beziehen sind, wird die Zahl der nun vermeintlich zu Unrecht Verurteilten ferner durch eine kompletive Analepse vermehrt, unter denen zwei ehemalige Prätoren zum ersten Mal angeführt werden, die auf Agrippinas Veranlassung aus dem Senat entfernt worden waren, was auf diese nachträglich ein noch dunkleres Licht wirft.230 Würdigende Nekrologe Eine posthume Charakterisierung mithilfe einer analeptischen Darstellungsweise, wie sie an Octavias und Agrippinas Beispielen ersichtlich wird, steht den nach annalistischer Manier jeweils am Jahresende positionierten Nachrufen auf prominente Todesfälle phänomenologisch sehr nahe.231 Auch wenn die Zugehörigkeit dieser Sterbefälle zum jeweiligen Jahresbericht offensichtlich ist, wird dennoch auf eine exakte innerjährliche Datierung des realen Ablebenszeitpunktes stets verzichtet. Stattdessen werden die Nekrologe unter Wahrung des Erzähltempus, chronologisch unpräzise und gesammelt am Jahresschluss ergänzt, sodass derartige Passagen nach Pausch per se eine anachrone Ausrichtung aufweisen.232 Dies zeigt sich an den kompletiven Nachrufen auf Domitius Afer und Servilius Nonianus, die mit einem schlichten sequuntur achronologisch am Jahresende positioniert werden, wohingegen ihr jeweiliger Lebenslauf im Plusquamperfekt erläutert

228 14,63,2 f.; vgl. Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 312. 229 14,9,3 nam consulenti super Nerone responderunt Chaldaei fore ut imperaret matremque occideret; atque illa ‚occidat‘ inquit, ‚dum imperet.‘ mit Bezug auf 6,22,4 quippe a filio eiusdem Thrasulli praedictum Neronis imperium in tempore memorabitur, …; zu den Astrologen vgl. Davies (2004), S. 166–168. 230 14,12,3 f.; vgl. zu Agrippinas Opfern Iunia Calvina (12,4,1, 12,8,1), Calpurnia (12,22,3), Lollia Paulina (12,1,2, 12,22,1–3), Iturius und Calvisius (beide 13,19,3, 13,21,2, 13,22,2), Iunia Silana (11,12,2, 13,19,2, 13,21,2, 13,22,2); nur hier erwähnt werden Valerius Capito und Licinius Gabolus. Vgl. auch Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 248, Flach (1973a), S. 94 Anm. 24, und Woodcock (1939), S. 100. 231 Gattungstypische Nachrufe finden sich in den Nerbüchern lediglich an den Stellen 13,30,2, 14,19 sowie 14,47,1; vgl. Syme (1958), S. 22, Moore (1923), S. 7, und Suerbaum (2015), S. 297 mit Anm. 191. 232 Vgl. Pausch (2011), S. 97, Suerbaum (2015), S. 328, und Graf (1931), S. 74. Weiterhin benennt Pausch Referate von Triumphzügen als typisch analeptische Darstellungsorte, was jedoch an den Stellen, an denen innerhalb der Nerobücher überhaupt auf Feierlichkeiten nach außenpolitischen Erfolgen hingewiesen wird (13,41,4, 15,18,1), nicht der Fall ist; Berichte über reguläre Triumphzüge sind nach Suerbaum (2015), S. 368 Anm. 230, abgesehen von 2,41,2 in den ‚Annalen‘ nicht enthalten. Vgl. zum Charakter annalistischer Sterbeberichte Syme (1967), S. 312 f., Gingras (1992), S. 251, und Cueva (2000), S. 15.

2.5 Narrative Verknüpfungstechniken

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wird.233 Ebenso wird auch Memmius Regulus’ Tod unvermittelt mit eo anno mortem obiit als vorletztes Geschehnis an den Jahresbericht angeschlossen, bevor sich die Darstellung einem zeitlich noch weiter zurückliegenden Einzelereignis in dessen Leben zuwendet.234 Zwar erfährt die anachrone Stellung der Todesfälle im Berichtsjahr, die sich ferner besonders am Beispiel des L. Volusius ablesen lässt,235 jeweils keine Korrektur und bleibt oftmals implizit, aber in den Nachrufen der beiden ersten Exempel wird zumindest zwischen naher und entfernter Vergangenheit differenziert. In einem retrospektiven Überblick passieren also bedeutsame Vorkommnisse oder Taten der Verstorbenen Revue, wodurch eine temporale und thematische Variation der annalistischen Erzählstruktur erzielt wird.236 Zudem merkt Murgatroyd an, dass gerade der Nekrolog auf Domitius Afer und Servilius Nonianus neben deren Würdigung zugleich zur kurzen Pausierung des turbulenten Geschehens zu Beginn des 14. Buches diene. Die lobenswerten Fähigkeiten der Verstorbenen, vor allem deren eloquentia und ingenium, würden nämlich mit den vorausgehenden dilettantischen Versuchen des Kaisers kontrastiert und ein inhaltlicher Übergang zu den anschließend stattfindenden Neronia erwirkt.237 Analepsen mit nekrologischer Funktionsfacette, die in insgesamt 22 Passagen hervortritt, können folglich sogar bewusste Vergleiche zwischen Protagonisten initiieren und dadurch spezifische Aussageabsichten bergen.238 Verhaltensbegründende Motive Bezüglich der personenbezogenen analeptischen Elemente ist des Weiteren eine dritte Verwendungsnuance zu erkennen, die zwar indirekt auch zur Charakterisierung von Protagonisten beiträgt, aber vorwiegend deren gegenwärtige Handlungen als Resultate zurückliegender, in der Erzählung nachzutragender Vorfälle ausweist. Diese Einsatzform von Retrospektionen wirkt also entweder unmittelbar motivierend oder nachträglich begründend. Die ausschließlich im Rückblick berichtete Liebesbeziehung zwischen Nero und Acte wird beispielsweise zum aktuellen Auslöser der zornigen Worte, welche die Kaisermutter an ihren Sohn richtet, auch wenn zwischen den beiden Vorfällen streng genommen keine direkte zeitliche Kontiguität besteht. Vielmehr beschreibt die kompletive und komplette Analepse eine längere Entwicklung in der Vergangenheit, die niemandem am Kaiserhof außer Agrippina verborgen blieb. Die Ursache ihrer Unkenntnis wird indes in einer weiteren kurzen auflösenden Rückwendung nach ihrem Wutausbruch,239 in der die zuvor 233 14,19 sequuntur uirorum illustrium mortes, Domitii Afri et M. Seruilii, qui summis honoribus et multa eloquentia uiguerant, …; vgl. dazu auch Syme (1967), S. 328, mit Verweis auf 4,52,4. 234 14,47,1 eo anno mortem obiit Memmius Regulus, … rogantibus dehinc, in quo potissimum, addiderat in Memmio Regulo. uixit tamen post haec Regulus, … 235 13,30,2 at L. Volusius egregia fama concessit, … 236 Vgl. Syme (1967), S. 313, und Morford (1990), S. 1589. 237 14,14,1–16,2 bzw. 14,20,1–21,3; vgl. Murgatroyd (2006), S. 115 sowie S. 118, Syme (1958), S. 30, (1967), S. 313, Gingras (1992), S. 241: „Tacitus emphasizes or overrides the annual breaks in narrative occasioned by the episodic nature of his annalistic format.“, und zu kritisch Morford (1990), S. 1590. 238 Vgl. Abschn. 4.5.3. 239 Vgl. Lämmert (1980), S. 108, und Martínez/Scheffel (2007), S. 36.

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2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

unerwähnt gebliebene Komplizenschaft Annaeus Serenus’ nachgeholt wird, ergründet und damit zugleich plausibel erläutert, warum sich Nero im Anschluss stärker seinem Lehrer Seneca zuwendet.240 Außerdem geht der Erzählpartie der Pisonischen Verschwörung ein umfassender rückwärtsgewandter Vorspann voraus, der zum einen, wie dargelegt, inhaltlich informativ in einer behutsam anhebenden Einleitung deren Teilnehmer und gesellschaftliche Zusammensetzung präsentiert.241 Zum anderen gewährt er Einblicke in die heterogenen subjektiven Motive, die die Konspiranten hierzu bewegen, wobei ein kritischer Unterton, da nicht ideelle, sondern gerade niedrige persönliche Beweggründe zum geplanten Tyrannenmord veranlassen, unüberhörbar ist. So werden in zwei kurzen Analepsen unter anderem Lukans Hass gegen Nero, der aus einem bereits früher verhängten Dichtungsverbot resultiert, und Quintianus’ Ehrgefühl, das durch ein diffamierendes Gedicht des Kaisers tief verletzt wurde, als private Motive genannt.242 Zudem werden die gespaltene öffentliche Meinung und das geringe Bedauern über Anicius Cerialis’ Suizid mit Blick auf dessen persönliche Vergangenheit und Verrat an der Verschwörung gegen Kaiser Caligula plausibel begründet.243 Diese Exempla unterstreichen somit die sich in 83 Fällen abzeichnende Verwendung analeptischer Einlagen zur biographisch-psychologischen Handlungsmotivierung, durch die implizit gegenwärtige Beweggründe einzelner Akteure erkennbar und derzeitige Entscheidungen sowie Verhaltensweisen – teilweise sogar kausal – auf persönlichkeitsspezifische historische Erfahrungen zurückgeführt werden.244 Digressive Analepsen Nach republikanisch-annalistischer Manier und dem grundlegend didaktischen Habitus der antiken Geschichtsschreibung gemäß werden auch Exkurse in die Erzählung implementiert. Diese sind nach damaliger Auffassung einerseits als unterhaltsame Erholungsphase für den Leser und zur Erzeugung thematischer Variation gedacht, andererseits können sie damit einhergehend zur fundierten Darlegung von Spezialwissen dienen und dadurch in gattungsgenuiner Position Rückblicke in die Vergangenheit eröffnen sowie das aktuelle Geschehen in einem breiten historischen Kontext situieren.245 Aufgrund der abweichenden thematischen sowie 240 13,12,1–13,13,1. 241 15,48,1; vgl. Marx (1925), S. 77, und Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 380. 242 15,49,3 f. Damit ist nach Hauser (1967), S. 17, bereits hier offenkundig, „daß es sich bei den meisten der Verschwörer nicht um ehrliche Kämpfer um das Wohl des Staates handelt.“ Ihr Urteil trifft indes gewiss zu, da als einzigem Lateranus amor rei publicae unterstellt wird; vgl. Gärtner (1996), S. 145, Walker (1952), S. 134, Morris (1969), S. 222 f., Suerbaum (1976/ 1993), S. 87 f., und Keitel (1984), S. 319. 243 16,17,6. 244 Vgl. Suerbaum (1976/1993), S. 78, und zum handlungsbeeinflussenden Gebrauch von Figureninformationen Jannidis (2004), S. 223–227 sowie S. 242. 245 Liv. 9,17,1 … et legentibus uelut deuerticula amoena et requiem animo meo quaererem, Cic. inv. 1,27 …, quod delectationis causa non inutili cum exercitatione dicitur et scribitur, Brut. 322 … delectandi gratia digredi parumper a causa, …, de orat. 2,311 …, digredi tamen ab eo,

2.5 Narrative Verknüpfungstechniken

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insbesondere zeitlichen Verortung ihres Gegenstandes heben sich entsprechende Passagen in unterschiedlichem Grad von der Basiserzählung ab und nehmen so oftmals eine exponierte Stellung mit kompositioneller Tragweite ein. Das daraus resultierende grundsätzliche Spannungsverhältnis zwischen Exkurs und Haupthandlung steigert sich dabei zusätzlich, falls die Inhalte von Digression und Basiserzählung nicht nur direkt in Verbindung stehen, sondern auf einem abstrakten Niveau interferieren.246 Gerade eine solche Beziehung ist dem ersten von zwei umfassenden analeptischen Exkursen in den Nerobüchern inhärent, dessen externe Reichweite den zeitlichen Rahmen der Haupthandlung ein wenig überschreitet. Gegen Ende des Jahres 56 n. Chr., als Nero die Verwaltung des öffentlichen Schuldbuchs den kaiserlichen Präfekten anvertraut, wird nämlich mit uarie habita ac saepe mutata eius rei forma (13,29,1) nahezu fließend in eine Digression übergeleitet, die auf den wiederholten Wechsel der Zuständigkeiten für diese Aufgabe eingeht und so für den Rezipienten ein Hintergrundwissen zu dieser staatsrechtlichen Detailfrage erschließt, das Neros Entscheidung verständlich machen soll.247 Dieser gattungsgeschichtlich als festes annalistisches Element per se republikanisch gefärbte Rekurs in die früh-augusteische Zeit fügt sich indes zum einen allzu perfekt in das an der vorliegenden Stelle vermittelte politische Stimmungsbild ein, das wenig vorher mit manebat nihilo minus quaedam imago rei publicae (13,28,1) umschrieben wird. Andererseits werden dort auch mit spöttischem Unterton die Rivalitäten zwischen den republikanischen Beamten zur Kaiserzeit hervorgehoben, die bis zur Lähmung des Staatsapparates führen können,248 sodass die in einem formal adäquaten Exkurs sachlich richtig explizierte Bedeutung republikanischer Institutionen zu einer kontrastreichen Folie für den Verfall eben dieser alten Organisationsformen während der Kaiserzeit wird.249 Der Seitenblick auf die bezeichnende Entwicklung der für das öffentliche Schuldbuch verantwortlichen Verwaltungspositionen während des Prinzipats unterstreicht also die Vernünftigkeit von Neros regulierender Maßnahme und eröffnet dem Leser eine differente Sichtweise auf den Basistext sowie eine Gelegenheit zur eigenen Bewertung der historischen Realität.250 Folglich wird es weder der Thema-

246 247 248 249 250

quod proposueris atque agas, permouendorum animorum causa saepe utile est; vgl. dazu Syme (1967), S. 309, Woodman (1988), S. 106 Anm. 51, Beck (1998), S. 10, Heldmann (2011), S. 39 sowie S. 42, Pausch (2011), S. 91 sowie S. 103, Suerbaum (2015), S. 314–316 mit Verweis auf Pol. 38,6, S. 399, S. 429, S. 436 und der sowohl S. 286 f. Anm. 179 als auch S. 401 einen Überlick über alle Exkurse in den ‚Annalen‘ bietet, Graf (1931), S. 74, Näf (2010), S. 128, Walker (1952), S. 46 sowie S. 67, und Hahn (1933), S. 75, sowie Anm. 212 (Kap. 1). Vgl. Suerbaum (2015), S. 429. 13,29,1 f.; vgl. Hahn (1933), S. 49 f. sowie S. 89 zur Einmaligkeit eines Exkurses zu einem solchen Thema in der römischen Historiographie und demgegenüber Suerbaum (2015), S. 286 f., S. 401 f. sowie S. 432 f. 13,28,1–3. Vgl. Syme (1967), S. 311. Vgl. dazu auch 1,74,5 manebant etiam tum uestigia morientis libertatis, 1,77,3 … silente Tiberio, qui ea simulacra libertatis senatui praebebat, 3,60,1 sed Tiberius, uim principatus sibi firmans, imaginem antiquitatis senatui praebebat, … bzw. hist. 1,16,1 si immensum imperii corpus stare ac librari sine rectore posset, dignus eram a quo res publica inciperet mit Hoffmeister (1831), S. 64, sowie Ginsburg (1981), S. 91. Auch Maternus schildert in seiner zwei-

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2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

tik noch der Stellung dieser analeptischen Einlage gerecht, wenn sie lediglich als pragmatische stoffliche Ergänzung für das nicht allzu materialreiche Jahr 56 aufgefasst wird, welches sich vor allem aufgrund der enthaltenen Digression vom Folgejahr abhebt, das sogar nur drei Kapitel umfasst.251 Vielmehr trägt dieser Exkurs unter dem Anschein einer sachlichen Materialsammlung und Informationsquelle – eine Funktion, die Walker hier zu sehr in den Vordergrund rückt –252 wesentlich zur textbasierten Erzeugung einer pseudorepublikanischen Atmosphäre bei, die auch von der kaiserlichen Propaganda in der Frühphase von Neros Prinzipat inszeniert wurde, und hinterfragt zugleich kritisch den ideellen Wert dieser traditionellen Fassade. Darüber hinaus entwickelt sich der Exkurs über die sukzessive Etablierung des Theaterwesens in Rom unmittelbar aus der Haupthandlung heraus, indem anonyme Vertreter beider Konfliktparteien zu intradiegetischen Sprechern für beziehungsweise wider die feste Einrichtung eines quinquennale ludicrum (14,20,1) werden. Ihre Argumentationen bergen jeweils kompletive Rückblicke in die römische Geschichte, die die Zeitspanne des Basisgeschehens deutlich verlassen. Dabei vermittelt die überwiegend analeptische Darstellungsweise einerseits den Eindruck einer Digression, andererseits ist diese aufgrund der nachgezeichneten Diskussionssituation so sehr in die Haupterzählung eingebettet, dass sie diese gleichsam substituiert.253 Diese narrative Symbiose aus Exkurs und Handlung dient Tacitus erstens als Surrogat für berichtenswerte innere Vorkommnisse, derer das Jahr 60 n. Chr. offensichtlich entbehrt, weil keine anderen stadtrömischen Ereignisse ten Rede im ‚Dialogus‘ (36–41) die teilweise chaotischen Zustände der ausgehenden Republik, die zwar einen fruchtbaren Nährboden für die Beredsamkeit böten, aber der gesitteten Ordnung unter dem Prinzipat nicht vorzuziehen seien. Folglich sind die obige und die hier angeführten Stellen Belege für Büchners (1964) richtige Aussage über Tacitus, S. 41, „[…] mit seinem Herzen, nicht mit seinem historischen Verstande lebt er in der alten Zeit der res publica.“, wie auch Jens’ (1956) Feststellung, S. 41, „die Zeit der libertas, die res publica als konkrete historische Epoche war keine Idealzeit. Mit den Vorzügen der Republik sind auch die Nachteile untrennbar verbunden.“ Vgl. Walker (1952), S. 173, Petersmann (1993), S. 14, Döpp (1989), S. 81 f., Müller (2003), S. 100 f., Schmal (2006), S. 237, (2011), S. 130, S. 154 f., S. 161 f. sowie S. 194, Flach (1973b), S. 199 sowie S. 210, Mehl (2001), S. 130, v. Albrecht (1988), S. 56, und Rüpke (1997), S. 154. Damit liegt obiger Passage aber weder „ein hohes Lob“, wie Tresch (1965), S. 95, behauptet, noch ein pessimistischer Unterton zugrunde, wie Koestermann (1967), S. 287, angibt, und auch die Einschätzungen Mendells (1935/1969), S. 483, Tacitus glaube an die Überlegenheit der Republik und sei ein unnachgiebiger Feind des Imperialismus, Heinz’ (1948), S. 6, Tacitus habe Sehnsucht nach der Republik, Köhnkens (1973), S. 33 sowie S. 50, Tacitus sei ein resoluter Kritiker des Prinzipats, Vogts (1936/1969), S. 51, Tacitus’ politische Werte seien in der Republik stecken geblieben, und Griffins (1999), S. 156, Tacitus verschließe vor der Realität die Augen und hänge alten römischen Topoi nach, treffen nicht zu. 251 Eine gewisse Spannung zwischen diesem eher trockenen Exkurs und der recusatio-Topik in 13,31,1 bleibt nichtsdestotrotz bestehen; vgl. Kap. 2.1 und Petersmann (1993), S. 14. 252 Vgl. Walker (1952), S. 67. 253 14,20,1–21,3; vgl. Hahn (1933), S. 75, S. 100 sowie S. 102, und Leidl (2010), S. 247, der als besondere Eigenheit einer expliziten, beide Seiten berücksichtigenden Argumentation erkennt, dass „der Aspekt, dass die Reden auch Teil der Handlung des Geschichtswerkes sind, in den Hintergrund tritt.“

2.5 Narrative Verknüpfungstechniken

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referiert werden. Zweitens setzt sich die Digression zwar vordergründig mit der Tradition des römischen Theaterwesens auseinander, ist aber angesichts ihres außerordentlichen Umfangs und ihrer akzentuierten Positionierung, die den nachfolgenden Jahresbericht entgegen der geringen historischen Bedeutung der Neronia gewissermaßen unter den Übertitel quinquennale ludicrum stellt,254 als Beleg und auktorialer Kommentar zur Ausweitung von Neros öffentlichen Umtrieben zu verstehen, die schon im vorausgehenden Jahr nach dem Mord an der Kaisermutter mit Wagenrennen und ersten Theaterauftritten begannen. Dies suggeriert eine von Neros Leidenschaften beherrschte Innenpolitik, die in schärfstem Kontrast zu Corbulos anschließend referierten Erfolgen in Armenien steht. Drittens wird die Aufmerksamkeit des Lesers hier nicht nur von der Nichtigkeit innenpolitischer Ereignisse ab- und auf die weitere charakterliche Entartung des Prinzeps hingelenkt, sondern der Rückblick auf die Tradition des römischen Theaterwesens soll bewusst als taciteische aemulatio zu Livius’ Version wahrgenommen werden. Diese intertextuelle Komponente ordnet die vorliegende in eine Reihe literarischer Bearbeitungen dieses Themas ein und schafft zwischen diesen eine Vergleichbarkeit, die den anspruchsvollen Erwartungen des Literaturpublikums entgegenkommt.255 Zu dieser kognitiv aktivierenden Lektüreform trägt zudem der diskursive Aufbau des Exkurses bei, da zumindest theoretisch die Option zur selbstständigen Beurteilung der institutionellen Neuerungen besteht, obgleich die auktoriale Haltung durch den Kontext nach Ansicht einiger Interpreten klar vorgezeichnet sein mag.256 Die beiden dargelegten, analeptisch geprägten Digressionen sind somit jeweils narrativ akkurat eingepasst, sodass sie sich aufgrund ihres unaufdringlichen, fugenlosen stilistischen Einbezugs „organisch mit der Haupthandlung zu verbinden oder gar zu verschmelzen“257 scheinen, wodurch beim Rezipienten das Gefühl eines besonders unvermittelten, natürlichen Erzählens entsteht. Dies zielt aber nicht, wie Hahn annimmt, darauf ab, „den Leser über den exkursartigen Charakter der Mitteilungen hinweg[zu]täuschen und ihn im Glauben [zu] erhalten, daß der Rahmen der fortlaufenden Hauptdarstellung nicht unterbrochen wird.“258 Vielmehr wird der 254 Diese fanden insgesamt nur zweimal statt und wurden unmittelbar nach Neros Tod abgeschafft; vgl. Suerbaum (2015), S. 405, und Anm. 116. 255 Vgl. bezüglich des Verhältnisses des taciteischen zum livianischen Theaterexkurs im siebten Buch von ab urbe condita (7,2,1–13) Hahn (1933), S. 75, und Woodcock (1939), S. 109. Unverständlich ist hingegen, wie Suerbaum (2015), S. 425 f., zu dem Schluss gelangt, „dass Tacitus Exkurse nur dann einlegt, wenn es für das darin behandelte Thema noch keine lateinische Quelle gibt. In der Tat hat man für keinen der Exkurse in den Historiae und Annales […] eine Parallele oder gar ein Vorbild nachweisen können.“ Vielmehr ist angesichts eines zunehmenden Interesses an Literaturgeschichte, das sich beispielsweise sogar in der Historiographie des Militärs Velleius Paterculus abzeichnet, anzunehmen, dass zwischenzeitlich mehrere, heute verlorene kaiserzeitliche Geschichtswerke ähnliche Exkurse enthielten. 256 Vgl. Hahn (1933), S. 104: „Es ist ein entscheidendes und wichtiges Merkmal der Taciteischen Exkurse, daß sie dazu dienen, den Leser zur Urteilsbildung gegenüber der Geschichte zu erziehen, und zwar zur Urteilsbildung im Sinne des Historikers.“, Flach (1973b), S. 173, und Heldmann (2013), S. 345. 257 Suerbaum (2015), S. 430. 258 Hahn (1933), S. 78, und vgl. dazu Koestermann (1943), S. 162, und auch Lämmert (1980), S. 118.

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genuin digressive Charakter gewahrt, indem der Abschluss stets auf den Anfang Bezug nimmt,259 und die bedeutungsschwere Thematik der Exkurse, die das historische Verständnis entschieden bereichern kann, tritt trotz eines ungestörten Erzählflusses akzentuiert hervor. Wenn auch abgesehen von diesen beiden in den Nerobüchern offenbar gänzlich auf vergleichbar umfangreiche Digressionen verzichtet wird, lassen sich darin unter Berücksichtigung dieser raffinierten Integrationstechnik dennoch sechs weitere externe und kompletive Analepsen identifizieren, die zumindest einen exkursartigen Gehalt und ein komparables Funktionspotenzial besitzen.260 Analytisch komparative Analepsen Das vermehrte Vorkommen anachroner Erläuterungen zu Beginn von Neros Prinzipat, die auf bereits in vorausgehenden Annalenbüchern thematisierte und einem Rezipienten bei kontinuierlicher Lektüre hinreichend vertraute Angelegenheiten sowie Personen rekurrieren, wird in der Forschung kontrovers diskutiert. Als Erklärungsansätze werden einerseits eine mangelnde Überarbeitung der Nerobücher oder eine Veränderung der Hauptquelle,261 andererseits eine separate Publikation dieser durch eine spürbare formale Zäsur abgesetzten Werkpartie erwogen.262 Eine hiervon angeregte Betrachtung der Eingangskapitel des 13. Buches vermag jedoch nicht nur erste Indizien für eine alternative narrative Deutung dieser temporalen Ordnungsauffälligkeiten zu bieten, sondern leitet zugleich zu einer weiteren speziellen Verwendungsweise analeptischer Elemente über. Denn obwohl sie jeweils bereits in geschichtsträchtige Vorkommnisse unter Claudius’ Herrschaft involviert sind, werden zahlreiche dort schon hinreichend charakterisierte Protagonisten wie Narcissus, Seneca, Burrus, Pallas, Octavia, Locusta oder sogar Agrippina bei ihrer ersten Erwähnung im neronischen Werkabschnitt bemerkenswert ausführlich mittels retrospektiver Einlagen vorgestellt.263 Zwar wird diese gezielte Reintegrations259 13,28,3 dein princeps curam tabularum publicarum a quaestoribus ad praefectos transtulit und 13,29,2 igitur Nero praetura perfunctos et experientia probatos delegit sowie 14,20,1 quinquennale ludicrum und 14,21,4 id spectaculum; vgl. auch Hahn (1933), S. 100. 260 Vgl. Abschn. 3.4.3. 261 Vgl. Tresch (1965), S. 30, Syme (1958), S. 24, sowie (1967), S. 743, und demgegenüber skeptisch Adams (1974), S. 223 sowie S. 332 f. 262 Vgl. Bretschneider (1905), S. 16: „Totum igitur libri XIII prooemium ita compositum est, ut ab eo nova operis pars incipere possit.“, sowie S. 68: „Liber XIII et qui eum sequuntur unam efficient partem.“, Reitzenstein (1926), S. 30, Syme (1958), S. 23, sowie (1967), S. 261, Tresch (1965), S. 71, Röver/Till (1969), S. 39, Koestermann (1963), S. 21, sowie (1967), S. 232, Oliver (1977), S. 295, und Martin (1990), S. 1551. 263 Vgl. zu Narcissus 11,29,1, v. a. 12,57,2 bzw. 12,65,1 f., 13,1,3 mit Bretschneider (1905), S. 14, und Wille (1983), S. 528, sowie zu Burrus und Seneca 12,8,2, 12,42,1, 13,2,1 mit Koestermann (1967), S. 235: „Daß diese beiden Männer, […], alsdann näher charakterisiert werden, als ob sie zum ersten Mal in der Erzählung in Erscheinung treten, ist gewiß dadurch bedingt, daß nach B. 12 ein starker Einschnitt gemacht worden ist.“, Syme (1958), S. 23, sowie (1967), S. 262, Tresch (1965), S. 71, Wille (1983), S. 528, Sage (1990), S. 990, und Morford (1990), S. 1602. Vgl. ferner zu Pallas 12,1,2, 12,25,1, 12,53,1, 12,65,2, 13,2,2, zu Octavia

2.5 Narrative Verknüpfungstechniken

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technik, wenn auch weniger massiert und augenscheinlich als zu Beginn, über den Verlauf des 13. Buches hinweg fortgesetzt264 und korrespondiert mit schemenhaften bis facettenreichen Ersteinführungen vielzähliger Neben- und Hauptprotagonisten der Nerobücher, die deren Handlung regelmäßig wiederkehrend über eine längere Spanne begleiten.265 Besonders markant ist an deren Anfang allerdings, dass in Paragraph 13,2,3 analog zu 12,69,3 wiederum von einem Senatsbeschluss bezüglich Claudius’ Bestattung auf Staatskosten und dessen baldiger Vergöttlichung berichtet wird.266 Daraufhin kehrt die Erzählung gar zum Tag der Leichenfeier zurück, an dem Nero eine von Seneca verfasste laudatio funebris auf seinen Adoptivvater hält, sodass in dieser Passage zeitliche Unregelmäßigkeiten offensichtlich sind. Wäre hierbei am Ende des zwölften Buches nicht eindeutig die Rede von einer erfolgten Ehrung des vormaligen Kaisers mit caelestes honores und Agrippinas enormen Pomp bei der bereits vollzogenen öffentlichen Leichenfeier, ließe sich der Widerspruch womöglich auflösen. Die beiden Morde an Silanus und Narcissus könnten nämlich in der kurzen Zeitspanne zwischen Claudius’ Ableben und der Durchführung des Staatsbegräbnisses verübt worden sein, was speziell Agrippinas rasches, erbarmungsloses Handeln und skrupellosen Machthunger unterstreichen würde. Obgleich dies angesichts der Positionierung der Ermordungen zu Buchbeginn durchaus auch in der vorliegenden Version eine gewollte Suggestion ist, bleibt der anschließende eingehende Rekurs auf das vergangene, längst dargestellte Leichenfest aber merkwürdig. Die kritischen Fragen Morris’, „did the prima mors take place before or after the funeral? And when did Narcissus die?“,267 sind also vollauf nachvollziehbar, aufgrund der unpräzisen temporalen Verortung letztendlich historisch jedoch kaum exakt zu beantworten. Bezieht man zudem mit ein, dass wenig später durch das implizite Geständnis der wütenden Kaisermutter skizzenhaft nachgetragen wird, wie es überhaupt zu Neros Bevorzugung vor Britannicus, Claudius’ Tod und der Machtübernahme des Stiefsohns kam,268 scheinen die ersten von Analepsen durchzogenen Kapitel über Neros Prinzipat neben einem ausdrucksstarken Auftakt mit leitmotivischer Thema-

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12,9,1, 12,58,1, 13,12,2, 13,16,4, zu Locusta 12,66,2, 13,15,3 mit Röver/Till (1969), S. 39, und Wille (1983), S. 532, sowie zu Agrippina v. a. 13,1,1, 13,2,2, 13,5,1 f., 13,14,3 mit Anm. 259 (Kap. 4) und Bretschneider (1905), S. 14–16, sowie Betensky (1978), S. 422 f. Vgl. zu Sulla 12,52,1, 13,23,1, zu Suillius 4,31,3, 11,1,1–7,4, 13,42,1 mit Bretschneider (1905), S. 34 f., und zu Rufrius Crispinus 11,1,3, 12,42,1, 13,45,4, 15,71,4, 16,17,2 mit Bretschneider (1905), S. 35 f. Vgl. z. B. in der Reihenfolge ihrer Erstnennungen Rubellius Plautus (13,19,3), Antistius Sosianus (13,28,1), Cossutianus Capito (13,33,2), Epirus Marcellus (13,33,3), Sabina Poppaea (13,45,1) respektive Thrasea Paetus (13,49,1) wie auch Abschn. 4.2.3, Anm. 37 (Kap. 2), Anm. 232 oder Anm. 293 (je Kap. 4). 12,69,3 caelestesque honores Claudio decernuntur et funeris sollemne perinde ac diuo Augusto celebratur, aemulante Agrippina proauiae Liuiae magnificentiam bzw. 13,2,3–3,1 decreti …, simul Claudio censorium funus et mox consecratio. die funeris laudationem eius princeps exorsus est, …; vgl. Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 155, Koestermann (1967), S. 237, Bretschneider (1905), S. 11 f., Tresch (1965), S. 28, und Martin (1990), S. 1551. Morris (1969), S. 42, und vgl. Wille (1983), S. 529. 13,14,2 f.; vgl. zur Textstelle Abschn. 3.4.2.

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2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

tik allerdings eine spezifische Funktion zu erfüllen. Angesichts eines wiederholten Aufgreifens wichtiger Protagonisten wie auch unmittelbar vorausgehender Geschehnisse reduzieren diese zum einen die notwendigen Vorkenntnisse eines Lesers. Zum anderen gewähren sie ihm, falls er sich wegen einer längeren Lektürepause nicht ausreichend daran erinnert oder möglicherweise erst an diesem inhaltlichen Einschnitt einsetzt, einen raschen informationsreichen Überblick über die derzeitige Personenkonstellation und die letzten innenpolitischen Vorgänge. Einem Rezipienten wird somit nach Symes Ansicht ein hinreichendes Verständnis der daraus resultierenden, an Intrigen und unerwarteten Wendungen reichen nachfolgenden Handlung ohne allzu spezielles Vorwissen oder umfangreiches Zurückblättern sowie Nachlesen ermöglicht und dadurch eventuell eine Option zur selektiven Lektüre angelegt.269 Während diese Beobachtung unter Berücksichtigung weiterer Befunde zu analeptischen Elementen am Ende des vorliegenden Abschnitts wieder aufzunehmen ist, erfolgt direkt nach den beschriebenen einleitenden Passus eine Hinwendung zum Hauptakteur dieses Werkteils, Kaiser Nero, was eine entsprechende Fokusverlagerung ausdrückt. War dieser am Ende des zwölften Buchs ausschließlich auf Agrippinas ausschweifendes Verhalten gerichtet, steht nun bei dem in einer kompletiven Rückwendung geschilderten Bestattungszeremoniell eine Charakterisierung des Prinzeps sowie insbesondere von dessen rednerischen Fähigkeiten im Vordergrund.270 Um eine möglichst verbürgte Bewertung zu erreichen, wird hierzu einem Teil der damaligen Ohrenzeugen, nämlich der Gruppe der seniores, eine kurz gefasste diachrone Abhandlung über die deszendente Entwicklung der Eloquenz der einzelnen julisch-claudischen Kaiser überantwortet,271 die dem zeitgenössischen, auch leserseitigen Interesse an Rhetorik entsprach. Die seniores werden hierbei zu intradiegetischen Erzählern mit einem eigenständigen Modus der Geschichtsbetrachtung,272 uetera et praesentia contendere (13,3,2), sodass Vergleiche zwischen Vergangenheit und Gegenwart, die didaktisches Vermittlungsziel der Historiographie sind, nicht nur in impliziter Form provoziert werden, wie Ginsburg meint, sondern offensichtlich in der Erzählung vorzufinden sind.273 Aufgrund ihres Alters und ihrer methodischen Herangehensweise stehen die seniores sogar in einem besonderen Verhältnis zum historischen Autor,274 der als altgedienter Politi269 Vgl. Syme (1967), S. 261: „The author insists that his narrative shall at once be self-explicatory, without too much knowledge presupposed, or the need for many references backwards.“, Tresch (1965), S. 28 und S. 71, Koestermann (1967), S. 263, Bretschneider (1905), S. 12 f., Wille (1983), S. 526, und auch Miller (1977), S. 16, zu einer vergleichbaren Charakterinklusion zu Beginn der ‚Historien‘. Damit wird gerade nicht vorausgesetzt, wie Reitzenstein (1926), S. 30, behauptet, „daß dem Leser jede eingeführte Nebenperson in Erinnerung ist.“ 270 12,69,3 bzw. 13,3,1 f. mit dem von Agrippina zu Nero überleitenden Paragraphen 13,2,3. 271 13,3,2 adnotabant seniores, quibus otiosum est uetera et praesentia contendere, primum ex iis, qui rerum potiti essent, Neronem alienae facundiae eguisse. 272 Vgl. Marincola (1997), S. 281, und Koestermann (1968), S. 245. 273 Vgl. Ginsburg (1993), S. 87: „Allusions to the maiores and their institutions also make possible direct comparisons between past and present.“, und Suerbaum (2015), S. 400 f. Anm. 255. 274 Vgl. Hahn (1933), S. 76, die jedoch unpräzise uulgus und seniores gleichsetzt und somit der besonderen Bedeutung der seniores nicht gerecht werden kann, und sich an deren Ergebnisse

2.5 Narrative Verknüpfungstechniken

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ker den cursus honorum vollständig durchlaufen hat.275 Daneben indizieren dies auch inhaltliche Aspekte wie die treffende und kompetente Beurteilung der von Seneca verfassten Leichenrede sowie die daran anknüpfende exkursartige Theoriedebatte über den Verfall der Beredsamkeit als stoffliche Reminiszenz an die kleine Schrift dialogus de oratoribus.276 Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass gerade das Konsulat des M. V. Messala Corvinus, des Urenkels des gleichnamigen berühmten Redners augusteischer Zeit, das zweite Auftreten der senes evoziert. Diese blicken ausgehend von dessen Beispiel auf den Niedergang so vieler ehemals hoch angesehener Patrizierfamilien – eine ebenfalls im ‚Dialogus‘ verhandelte und kontinuierlich in den Nerobüchern präsente Thematik – zurück und ziehen hierfür wiederum gemäß ihrer Eigenart aussagekräftige Parallelen zwischen zwei unterschiedlichen Epochen.277 Auch anlässlich der enormen öffentlichen Anteilnahme am Mord an der unschuldigen Octavia, der die Sprecherinstanz zu einer erregten Apostrophe veranlasst, wird deren Schicksal von einer alterserfahrenen anonymen Gruppe diachron reflektiert.278 Ferner wird die differenzierte Schadensbilanz nach dem Rombrand wie auch der detaillierte Vergleich zwischen ehemaligem und zeitgenössischem Stadtbild, der dem Rezipienten den tragischen Verlust unzähliger Kulturschätze aufzeigt, teils explizit, teils suggestiv dieser Personengruppe zugeordnet.279 Hierbei implizieren das Tempus von meminerint und das fokalisiert gesetzte nunc ein Fortwirken bis in die Zeit der Narration, wodurch der betagte Autorerzähler imaginär unter die seniores subsummiert wird, zumal eine derartige Gegenüberstellung ebenso noch zu dessen Lebenszeit vorgenommen und durchaus dessen eigener Erfahrung entsprechen kann.280

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anschließend Suerbaum (2015), S. 400 f. Anm. 255. Vgl. zudem Syme (1958), S. 30, sowie (1967), S. 228, und Pelling (2009b), S. 158 f.: „Paradoxically, a personal voice can sometimes be sensed when it is someone else speaking.“ Vgl. Anm. 122 sowie Anm. 150 (je Kap. 1). 13,3,1 …, quamquam oratio a Seneca composita multum cultus praeferret, ut fuit illi uiro ingenium amoenum et temporis eius auribus accommodatum; vgl. Syme (1967), S. 334, und Ker (2012), S. 318. 13,34,1 Nerone tertium consule simul iniit consulatum Valerius Messala, cuius proauum, oratorem Coruinum, diuo Augusto, abauo Neronis, collegam in eo magistratu fuisse pauci iam senum meminerant. bzw. mit entsprechender Thematik auch 13,18,2 und 14,14,3. Vgl. Koestermann (1967), S. 300, Syme (1958), S. 29, sowie (1967), S. 323, Suerbaum (2015), S. 198, und Anm. 354. 14,63,3 f. non alia exul uisentium oculos maiore misericordia affecit. meminerant adhuc … 15,41,1 …, ut quamuis in tanta resurgentis Vrbis pulchritudine multa seniores meminerint, quae reparari nequibant. bzw. 15,43,5 erant tamen qui crederent ueterem illam formam salubritati magis conduxisse, quoniam angustiae itinerum et altitudo tectorum non perinde solis uapore perrumperentur: at nunc patulam latitudinem et nulla umbra defensam grauiore aestu ardescere; vgl. Koestermann (1968), S. 242 f., der das Ausmaß der wahren Schäden etwas relativiert. Erinnerungen an den Rombrand wären dem damals sieben- bis zehnjährigen Tacitus sicherlich geblieben, sofern er sich bereits dort aufhielt; vgl. zu derartigen gegenstandsbasierten Bezügen auf die Zeit der Narration neben Anm. 338 v. a. Anm. 417. Vgl. des Weiteren Häussler (1965), S. 262, Geisthardt (2015), S. 221, und Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 369, die hierzu

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Angesichts dieser geistigen Verwandtschaft fungieren die seniores neronischer Zeit folglich als involvierendes literarisches Mittel, wie Suerbaum mit Rücksicht auf die biologisch mögliche Lebenserwartung etwaiger beglaubigender Zeitzeugen etwas relativiert,281 um Roms vergangene Pracht, die erinnerungsträchtigen Denkmäler der Frühzeit, die Stein gewordene Geschichte des Römertums, die durch die Brandkatastrophe unwiederbringlich ausgelöscht wurde, für die Nachwelt abzubilden. Diese fließend eingebundenen, analeptischen Betrachtungen vermeintlicher Augenzeugen aus der Vergangenheit gewähren dem Rezipienten virtuelle Einblicke in die Stadtgeschichte, die nach Näf eine besondere Faszination ausübten. Denn ein „touristisches Interesse an der historischen Identität eines Ortes“282 sei gleichsam ein basaler menschlicher Wesenszug, der bis heute zu Reisen und zu Besichtigungen beeindruckender historischer Stätten veranlasse, auch wenn deren Bauwerke längst vergangen sind. Die zu einem festen Diskursbestandteil gewordenen Erinnerungen dieser speziellen Altersgruppe sichern also zweifellos den immateriellen, geistigen Fortbestand von kulturellem Wissen und Gut, das sonst für spätere Generationen verloren wäre, für die es oftmals gerade ein Gegenstand von gesteigertem Interesse ist.283 Insbesondere besteht eine hervortretende Gemeinsamkeit dieser fünf Beispiele in einem stets kontrastiven gedanklichen Vergleich zwischen Gegenwart und Vergangenheit, bei dem die seniores als Experten modellhaft das auktorial intendierte Grundprinzip einer analytisch-komparativen Geschichtsbetrachtung anwenden. So werden für den Rezipienten nicht nur weitere Handlungshintergründe und nach Morris’ Ansicht eine „characteristic dimension of temporal expansiveness“284 eröffnet. Vielmehr werden die senes neben dem Urheber selbst, der mit dieser Gruppe sympathisiert, zu Exempeln zweiter Ordnung für eine fruchtbringende, überlegte Auseinandersetzung mit der Historie. Als didaktisches Konstrukt sollen sie den Leser methodisch anleiten und ihm diese nachahmenswerte, ideale Rezeptionsform bei weiteren 26 ähnlich gestalteten, analeptischen Elementen anempfehlen.285 Anzumerken ist schließlich auch, dass die in den Analepsen der seniores oftmals klischeehaft erfolgende, überzogene Glorifizierung der Werte vergangener Zeiten nicht unkritisch übernommen, sondern fallspezifisch reflektiert wird. Dies legt der auktoriale Grundsatz nec omnia apud priores meliora (3,55,5) prägnant nahe und merkt Ginsburg korrekt an: „While the past is often invoked in the Annals as a standard against which to measure the present, it is not an absolute standard; nor is the view that the past was better than the present the only perspective we are given.“286

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bemerken, „that the seniores are those still living when Tacitus wrote, when so much more had been done to beautify and adorn Rome.“ Vgl. Suerbaum (2015), S. 198. Näf (2010), S. 15. Vgl. Keitel (2010), S. 351 f.: „Tacitus does fix in memory some of what was lost. […], the seniores remembered much that could not be replaced (15.41.1).“ Morris (1969), S. 214. Vgl. auch Abschn. 4.1.3. Ginsburg (1993), S. 87, und vgl. Anm. 553 (Kap. 3).

2.5 Narrative Verknüpfungstechniken

121

Deiktische Analepsen Die letzte Kategorie bilden von einem expliziten metadiegetischen Hinweis begleitete repetitive Analepsen, bei denen die Erzählung geradezu deiktisch auf ihre eigene Vergangenheit rekurriert und eine planvoll ordnende Aktivität des Verfassers direkt wahrnehmbar ist.287 Vornehmlich werden mit ut memoraui oder ut rettuli, ohne dass eine funktionale Differenzierung hinsichtlich des Gebrauchs dieser beiden Verba ersichtlich wäre, nach heutigen Maßstäben recht unpräzise vorausgehende Referenzstellen benannt, wobei die Gesamtverteilung der 17 entsprechenden Passagen über die Nerobücher relativ gleichmäßig und ihre textuelle Einbindung stets mittels fließender Übergänge erfolgt.288 Die Reichweiten dieser Querverweise variieren jedoch, sodass sie diesbezüglich differenziert betrachtet werden können. Zur ersten Teilrubrik sollen die neun analeptischen Elemente mit geringer Distanz zusammengefasst werden, die auf Ereignisse, die nur wenige Kapitel entfernt sind, und auf Referenzen innerhalb eines Buchs rekurrieren. Hierzu gehört die Bezugnahme auf Subrius Flavus und Sulpicius Asper, zwei Teilnehmer an der Pisonischen Verschwörung, welche die wenige Zeilen vorher schon integrierten Namen wieder aufgreift. Dadurch werden die Militärs en bloc unter den Konspiranten angeführt und diese Enumeration verleiht ihrer Anzahl eine ernstzunehmende Schlagkraft.289 Zudem wird auf Caesennius Paetus, dessen Eintreffen in Armenien mit einem Rückbezug auf Corbulos Forderung eines eigenen militärischen Anführers für das Gebiet Armeniens im Vorjahr verknüpft ist,290 wie auch auf Vologaeses’ Boten mit Nachdurck hingewiesen, die zusammen mit Paetus ohne Verhandlungserfolg aus Rom zurückkehren.291 Weiterhin ist ein kleines Detail, nämlich Scaevinus’ Dolch, unmittelbar als Beweisstück des Milichus sowie später als Basis für die vorausweisende Anspielung auf Iulius Vindex so bedeutend, dass durch die zweite Erwähnung innerhalb nur weniger Zeilen mit de quo supra rettuli (15,54,1) ein deutlicher Akzent auf dieses Requisit, dem in der Erzählung gewissermaßen ein symbolträchtiger Charakter zukommt, gelegt und der Rezipient darauf aufmerksam gemacht wird.292 Ähnlich werden die schweren Verluste in Britannien, der Straftatbestand 287 Vgl. Genette (1972/1998), S. 36: „Diese zurückgreifenden Analepsen sind vom Textumfang her natürlich meist klein: es sind eher Anspielungen der Erzählung auf ihre eigene Vergangenheit.“, und Lämmert (1980), S. 122 f. 288 Vt memoraui 13,33,1, 14,29,1, 33,2, 40,3, 48,1, 62,2, 15,7,1, 16,21,1, ut rettuli 13,1,3, 19,2, 32,2, 14,17,1, 15,6,3, 50,3, 54,1, 67,3, ut dixi: 16,14,1; vgl. dazu auch Bretschneider (1905), S. 5 f. 289 15,50,3 adscitae sunt super Subrium et Sulpicium, de quibus rettuli, militares manus … und bereits zuvor 15,49,2 promptissimos Subrium Flauum tribunum praetoriae cohortis et Sulpicium Asprum centurionem extitisse constantia exitus docuit. Vgl. Koestermann (1968), S. 271. 290 15,6,3 nam, ut rettuli, proprium ducem tuendae Armeniae poposcerat, … und 15,3,1 … scripseratque Caesari proprio duce opus esse, qui Armeniam defenderet: …; vgl. Geiser (2007), S. 88. 291 15,7,1 sub idem tempus legati Vologaesis, quos ad principem missos memoraui, reuertere irriti … und 15,5,4 …, missurum ad imperatorem Romanum legatos super petenda Armenia et firmanda pace respondet. Vgl. Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 326. 292 15,53,2 … Scaeuino, qui pugionem templo Salutis in Etruria siue, ut alii tradidere, Fortunae Frentano in oppido detraxerat gestabatque uelut magno operi sacrum., 15,54,1 …, promptum

122

2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

des Antonius Primus und der Mord an Iunius Silanus durch einen unmittelbaren Rekurs darauf hervorgehoben,293 um die jeweils referierten Missstände deutlich zu brandmarken. Auch Subrius Flavus’ letzte Worte werden in direktem Anschluss betont, um ihnen stärkeren Nachdruck zu verleihen.294 Ferner unterstellt Anicetus’ ausdrückliche Bezeichnung als uisus idoneus maternae necis patrator Anicetus, classi apud Misenum, ut memoraui, praefectus, (14,62,2) mit der exponierten Stellung von ut memoraui zwischen dem Hyperbaton classi … praefectus dem Leser nicht, sich nicht mehr an diesen skrupellosen Schergen erinnern zu können, sondern zielt darauf ab, die Ringkomposition des 14. Buchs zu markieren und eine gedankliche Gegenüberstellung der Tode Octavias und Agrippinas zu veranlasssen.295 Diese Analepsen mit geringer Reichweite werden also stets dazu eingesetzt, die leserseitige Aufmerksamkeit explizit auf individuelle Personen sowie präkere Einzelheiten zu lenken, diese in grellem Licht erstrahlen zu lassen und tief im Bewusstsein des Rezipienten zu verankern. Damit sind diese buchinternen Rückverweise als für das Handlungsverständnis wie auch die Interpretation höchst relevante, textuelle Marker aufzufassen.296 Hingegen besitzen die drei Rückgriffe der zweiten Art eine größere Reichweite, die sich über mehrere Bücher zu Neros Regime erstreckt, aber auf diese Werkpartie beschränkt ist. Als Antistius Sosianus zum wiederholten Male die Handlungsbühne betritt, verweist die strukturierende Angabe ut dixi (16,14,1) eindeutig auf seine zuvor referierte Verurteilung wegen Schmähgedichten auf den Kaiser, was dem Leser diesen Prozess wieder ins Gedächtnis ruft.297 Dort wird mit memoraui (14,48,1) unmissverständlich auf Antistius’ Kompetenzüberschreitung als Volkstribun, von der in Kapitel 13,28 berichtet wurde, rekurriert, sodass gezielt die interne Kohäsion der Nerobücher steigernde Verbindungslinien hergestellt werden.298 Dieses narrative Vorgehen zeigt sich ebenfalls bei Thrasea Paetus, da vor dessen Prozess mit einem klaren ut memoraui (16,21,1) seine Anfeindung erregenden Auftritte in diesem Werkabschnitt aufgezählt werden. Hierbei wird sogar erst dessen großes Engagement in der auch später noch auf enormes öffentliches Interesse stoßenden Verurteilung Cossutianus Capitos in einer inneren kompletiven Analepse ergänzt und Thrasea nach Hausers Ansicht so eine klare Mitschuld an seiner Ermordung

293

294 295 296 297 298

uagina pugionem, de quo supra rettuli, …, 15,55,1 … telum quoque in necem eius paratum ostendit … bzw. 15,74,2 … ipse eum pugionem apud Capitolium sacrauit inscripsitque Ioui Vindici. Vgl. Woodman (1993), S. 111. 14,33,1 f. … inter hostes Londinium perrexit, … eadem clades municipio Verulamio fuit, … ad septuaginta milia ciuium et sociorum iis, quae memoraui, locis cecidisse constitit, 14,40,2 f. … subdidit testamentum … tabulas ascitis quos memoraui …, und 13,33,1 nam Celer interfecto, ut memoraui, Silano pro consule magnitudine sceleris cetera flagitia obtegebat. sowie 13,1,1 prima nouo principatu mors Iunii Silani … 15,67,2 f. … ipsa rettuli uerba, … Vgl. für weitere Indizien einer Ringkomposition des 14. Buchs Anm. 636 (Kap. 4). Vgl. Pelling (2009b), S. 152: „Still, Tacitus’ ‚I‘-language is interesting, often lending emphasis to passages where a strong response is expressed.“ Vgl. Pigón (2003), S. 148. Vgl. Morford (1990), S. 1618 f.

2.5 Narrative Verknüpfungstechniken

123

zugewiesen.299 Beiden Beispielen haftet also aufgrund der jeweils expliziten Bezugnahmen eine konnektive Wirkung an, die dem Rezipienten in einer geistigen Rückschau die Zusammenordnung der einzelnen durch die annalistische Gliederung getrennten Szenen der Protagonisten erleichtert. Diese bilden für sich stehende Erzählstränge, die nach Bartera gewissermaßen in den großen historischen Rahmen eingelegte Biographien der entsprechenden Figuren darstellen.300 Indem deren Auftritte aber lediglich in den Nerobüchern enthalten sind, unterstreicht dies deren enge Zusammengehörigkeit, sorgfältige innere Komposition und weitgehende inhaltliche Abgeschlossenheit. Zu einer dritten Gruppe von Analepsen mit auktorialem Kommentar werden zudem die fünf zusammengefasst, deren Reichweite Neros Herrschaftszeit überschreitet und die an Ereignisse aus Claudius’ Prinzipat anschließen. Bezüglich der Gründe für Narcissus’ rasche Beseitigung, deren wiederholte Nennung gerade angesichts ihrer textuellen Nähe bei kontinuierlicher Lektüre redundant erscheint,301 wie auch der Eheauflösung zwischen C. Silius und Iunia Silana wird nämlich prägnant konklusiv auf eine frühere Stelle zurückverwiesen.302 Ebenso wird die Ovation von Pomponia Graecinas Ehemann Plautius, über die wohl im überlieferungsbedingt verlorenen Mittelteil der ‚Annalen‘ vollständig berichtet wurde, in einer retrospektiven Notiz kurz erwähnt.303 Weiterhin sind hierzu ein konstatierender Rückgriff auf die Entfernung des Livineius Regulus aus dem Senat, dessen Referenzpunkt ebenfalls nicht erhalten ist,304 und ein Rekurs auf die britannischen Geschehnisse unter dem Legaten A. Didius zu zählen, der in der Mitte des 14. Buchs einen inhaltlichen Bogen bis zu Kapitel 12,40 zurückspannt.305 Bemerkenswerterweise ist dies allerdings der letzte derartige Rückverweis im neronischen Werkabschnitt, sodass deren Vorkommen ausschließlich auf die ersten eineinhalb Bücher beschränkt ist, obwohl auch in späteren ausreichend Gelegenheiten wie bei Servilius Nonianus’ und Domitius Afers Würdigung, bei Anicius Cerialis’ Ermor-

299 16,21,1–3 und dazu 13,33,2, 14,12,2, 14,48,3–49,3, 15,23,4, 16,6,2 bzw. Quint. inst. 6,1,14 sowie Iuv. 8,93; vgl. Hauser (1967), S. 110, Koestermann (1967), S. 299, und Pigón (2003), S. 151, Martin (1981), S. 169, Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 455, Morford (1990), S. 1620 f., Mayer (2010b), S. 288, Heldmann (1991), S. 213 f., Pigón (2003), S. 144 sowie S. 151, und Koestermann (1963), S. 31, (1967), S. 299, sowie (1968), S. 379. 300 Vgl. Bartera (2012), S. 174, der schlussfolgert, dass dies „may also be an indication of Tacitus’ alert to his readers that imperial historiography can be read not only as annalistic history but also as ‚lives of individuals‘.“ Darüber hinaus wird auch L. Antistius Vetus viermal (13,11,1, 13,53,2 14,58,3, 16,10,1) in den Nerobüchern erwähnt, wobei seine Auftritte nicht durch deiktische Analepsen verbunden sind. 301 13,1,3 … Narcissus Claudii libertus, de cuius iurgiis aduersus Agrippinam rettuli, … und dazu 12,57,2 sowie 12,65,1 f. 302 13,19,2 … Iunia Silana, quam matrimonio C. Sili a Messalina depulsam supra rettuli, … und dazu 11,12,2. 303 13,32,2 …, Plautio, quem ouasse de Britannis rettuli, …; vgl. Bretschneider (1905), S. 17, Wille (1983), S. 536, und Malloch (2016), S. 241. 304 14,17,1 …, quod Liuineius Regulus, quem motum senatu rettuli, …; vgl. Koestermann (1968), S. 58. 305 14,29,1 … A. Didius legatus, ut memoraui, … und dazu 12,40,5.

124

2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

dung oder bei Barea Soranus’ Verurteilung gegeben wären.306 Zwar erinnern also diese äußerst sporadisch verwendeten analeptischen Elemente einen Leser, der dem Geschehen fortlaufend folgt, mittels präziser Hinweise an betreffende vergangene Vorfälle und stellen über den Regierungswechsel hinweg zumindest einige gedankliche und stoffliche Verbindungen her. Eine Kohärenz stiftende und Verständnis sichernde Wirkung entfalten sie jedoch insbesondere bei Berücksichtigung einer selektiven Lektüreoption einzelner Herrschaftszeiten, was ihr spärliches, begrenztes Auftreten in den ersten beziehungsweise baldiges Ausbleiben in späteren Nerobüchern erläutern kann.307 Denn einem erst mit diesen beginnenden Leser werden für das gegenwärtige und nachfolgende Geschehen relevante Aspekte stichpunktartig nachgereicht, in wenigen Worten auf bedeutende Vorgeschichten eingegangen und möglicherweise indirekt daran ein eigenes Interesse geweckt. Ein solches Rezeptionsverhalten könnte außerdem durch eine separate Veröffentlichung der letzten vier Bücher – wie von einigen Forschern angenommen –308 begünstigt worden sein, sodass die fünf deiktischen Analepsen auf frühere Werkteile eventuell als sichtbare Spuren einer sparsam gebrauchten narrativen Technik gelten können, um zwei ursprünglich getrennte Publikationseinheiten nachträglich aufeinander zu beziehen. Analeptische Elemente in den Nerobüchern – ein quantifizierender Überblick Diese bisher an qualitativen Beispielen orientierte Betrachtung analeptischer Formen in den Nerobüchern soll abschließend zu einer quantitativen Analyse ausgeweitet werden, die die Repräsentativität der angeführten Kategorien unterstreicht. Hierzu werden die absoluten Häufigkeiten aller Analepsenarten Genettes und ihrer spezifischen kontextuellen Positionierungen nach Lämmert buchweise wie auch insgesamt in Tabelle 1 erfasst, wobei diesbezüglich zumindest paarweise disjunkte Einordnungen möglich sind.309 Da gerade eine technisch nicht strikt auflösbare, variable Kombination mehrerer funktionaler Aspekte einer Analepse einen einzigartigen ästhetischen Gehalt verleiht, sodass in Nekrologen zugleich charakterisierende respektive handlungsbegründende oder in einer exkursartigen Abweichung analytisch komparative Elemente enthalten sein können, wird keine Exklusivität der abgeleiteten formal-funktionalen Kategorien angestrebt. Trotz in Einzelfällen 306 Servilius Nonianus 14,19 bzw. 6,31,1, Domitius Afer 14,19 bzw. 4,52,1 und 4,66,1, Anicius Cerialis 16,17,6 mit der Möglichkeit eines Verweises auf dessen potenziell dargestellten Verrat unter Caligula, Barea Soranus 16,30,1–32,2 bzw. 12,53,2; vgl. Suerbaum (2015), S. 268. 307 Vgl. zur Anlage separater Lektüreeinheiten im livianischen Werk Pausch (2011), S. 121. 308 Vgl. Bretschneider (1905), S. 25: „Res Neronis uno eodemque corpore Annalium expositae erant Claudii res alio corpore continebantur.“, Eriksson (1934), S. 108 aufgrund sprachlicher Unterschiede, dazu Borzsák (1968), Sp. 497, Koestermann (1968), S. 10 zu einer posthumen Nachlassedition, dies aufgreifend Oliver (1977), S. 298 Anm. 32 sowie S. 314, und Sailor (2008), S. 308 mit Verweis auf Plin. nat. praef. 20 und Livius’ Bücher 121–142. Vgl. ferner Anm. 262. 309 Vgl. Anm. 214 und Anm. 217 f.

125

2.5 Narrative Verknüpfungstechniken

möglicher Mehrfachnennungen stellt eine überwiegend eindeutige Zuweisung dennoch ein Ziel dar, das mit Blick auf statistische Kennwerte auch erreicht wird.310 Tabelle 1: Absolute Häufigkeiten analeptischer Elemente nach Analysekategorien und Buchzugehörigkeit getrennt Kategorie

Buch 13 58 Kapitel

Buch 14 65 Kapitel

Buch 15 74 Kapitel

Buch 16 35 Kapitel

Gesamtanzahl 232 Kapitel

intern

28

62

86

30

206

extern

38

24

27

14

103

kompletiv

45

50

76

30

201

repetitiv

21

36

37

14

108

partiell

24

41

64

27

156

komplett

42

45

49

17

153

Jahres-/Episodenbeginn

21

18

30

14

83

Jahres-/Episodenende

10

9

5

4

28

Innenpolitik

51

68

82

42

243

Außenpolitik

15

18

31

2

66

inhaltlich informierend

29

40

60

12

141

charakterisierend

Analepsenarten

Kontextuelle Positionen

Funktionale Formen 23

30

34

15

102

nekrologisch

5

10

4

3

22

begründend

83

15

19

29

20

digressiv

3

3

2

0

8

analytisch komparativ

7

7

13

4

31

deiktisch Gesamtanzahl Durchschnitt pro Kapitel (Standardabweichung)

4

6

5

2

17

66

86

113

44

309

1,14 (0,94)

1,32 (0,89)

1,53 (1,01)

1,26 (1,17)

1,33 (0,99)

Den Systematisierungen nach Analepsenarten und kontextuellen Positionen sowie den Gesamtanzahlen pro Buch liegen paarweise disjunkte Kategorisierungen zugrunde. Bei funktionalen Formen sind Mehrfachnennungen möglich.

Wie Tabelle 1 zu entnehmen ist, können bei einfacher Zählung insgesamt 309 analeptische Elemente in den Nerobüchern identifiziert werden, die eine breite 310 Eine ausreichende Trennschärfe der Kategorien unterstreichen statistische Analysen, die abgesehen von kleinen Korrelationen zwischen den sich thematisch nahestehenden, personenbezogenen Analepsenformen charakterisierend und begründend (r = 0,22, p < 0,01) bzw. charakterisierend und nekrologisch (r = 0,16, p < 0,01) keine signifikant positiven Zusammenhänge aufweisen.

126

2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

Varianz sowohl hinsichtlich der Reichweite als auch des Umfangs der Rückblicke aufweisen.311 Einerseits erstreckt sich die Reichweite nämlich von Ereignissen, die sogar von der fokussierten Zeitspanne der ‚Annalen‘ nicht mehr abgedeckt werden – wie der Gründung Karthagos unter der Königin Dido – bis zu wenigen Minuten bei einem Verweis der Erzählung auf ihre eigene Vergangenheit während der Berichterstattung über die militärischen Erfolge der aufständischen Britannier.312 Andererseits beträgt der Umfang der Analepsen zwischen drei Seiten anlässlich der retrospektiven Schilderung außenpolitischer Vorfälle in Armenien, die entgegen ihrer annalistischen Verortung dem Geschehen des Jahres 61 n. Chr. angehören, und wenigen Worten, wie bei analytisch komparativen Anspielungen.313 Die differenten buchweisen Häufigkeiten bezüglich der jeweiligen Aspekte und insbesondere die scheinbar tendenziell ansteigende Gesamtanzahl an Analepsen pro Buch, die aus Tabelle 1 hervorgeht, legen ferner nahe, diese numerischen Schwankungen im Hinblick auf den in der Forschung vielfach diskutierten Ausarbeitungsstand der letzten Annalenbücher zu analysieren.314 Da die absoluten Angaben aufgrund unterschiedlicher Umfänge der einzelnen Bücher, die über Kapitelrespektive Seitenanzahlen gemessen werden können, beziehungsweise des überlieferungsbedingten Textabbruchs nach dem 35. Kapitel des 16. Buchs einen direkten Vergleich erschweren, werden buchweise die Durchschnittswerte analeptischer Elemente pro Kapitel betrachtet.315 Deren gegenseitige Abweichungen von bis zu 0,39 erweisen sich jedoch in Post-hoc-Tests einer einfaktoriellen Varianzanalyse, bei denen für die heterogenen Buchkapitelanzahlen korrigiert wird, als nicht signifikant.316 Bestehen also zwischen den mittleren Analepsenanzahlen pro Buch keine 311 Vgl. Genette (1972/1998), S. 31: „Eine Anachronie kann sich, in Richtung Vergangenheit oder Zukunft, mehr oder weniger weit vom ‚gegenwärtigen‘ Augenblick entfernen, d. h. von dem Augenblick der Geschichte, wo die Erzählung unterbrochen wird, um ihr Platz zu machen: Wir werden diese zeitliche Distanz die Reichweite der Anachronie nennen. Diese kann wiederum eine mehr oder weniger lange Dauer der Geschichte abdecken: was wir ihren Umfang nennen werden.“, und Martínez/Scheffel (2007), S. 35. 312 16,1,2 bzw. 14,33,2; vgl. dazu auch Neros Verweis auf die trojanische Abstammung der Römer (12,58,1) und Murgatroyd (2002), S. 131–133, sowie Suerbaum (2015), S. 287. 313 15,1,1–6,4 bzw. 13,34,2; vgl. Anm. 133. 314 Vgl. Syme (1967), S. 253 Anm. 1, S. 361: „Perhaps the Annales lacked the final revision. […] Yet the author, terminating the third hexad, may not have lived long enough to impress upon his text a Tacitean perfection comparable to the earlier books.“, S. 473 sowie S. 687, und (1970), S. 7, Koestermann (1963), S. 23, (1965b), S. 207 f., (1968), S. 10 sowie S. 409 f., Wille (1983), S. 595, Oliver (1977), S. 305 sowie S. 314, Wellesley (1989), S. 183, Goodyear (1970), S. 18, McCulloch (1984), S. 171, Schmal (2011), S. 85 f., Sailor (2008), S. 315– 318, und Suerbaum (2015), S. 327 sowie S. 360. 315 In der kritischen Textausgabe von Wellesley (1986) besitzt das 13. Buch einen Umfang von 26 Teubnerseiten, das 14. Buch von 28 Teubnerseiten, das 15. Buch von 31 Teubnerseiten und das 16. Buch von 13 Teubnerseiten. Obgleich die numerischen Ergebnisse differieren, erweist sich die Gesamtaussage als davon unabhängig, ob Kapitel- oder Seitenangaben als Berechnungsgrundlage verwendet werden. 316 In diese Varianzanalyse geht die Anzahl der Analepsen als abhängige, die Buchzugehörigkeit als unabhängige Variable ein [F(3,228) = 1,78, p = 0,15], wobei aufgrund leicht differierender Stichprobenanzahlen, aber vorliegender Varianzgleichheit die Post-hoc-Prozedur nach Gabriel angewandt wird; vgl. dazu Field (2013), S. 458 f.

2.5 Narrative Verknüpfungstechniken

127

auffälligen Differenzen, die nicht auf zufallsbedingte Fluktuationen zurückgeführt werden können, vermögen entsprechende Analysen für alle Einzelkategorien ebenfalls lediglich sachlogische und erwartungsgemäße Unterschiede in der Verwendung retrospektiver Elemente aufzuzeigen.317 Darüber hinaus sind auf dieser Basis lokal sechs Textpassagen zu erkennen, in denen keine respektive unterdurchschnittlich wenige Analepsen den Handlungsfortgang unterbrechen und verzögern, da die Spannung wie vor Caesennius Paetus’ militärischer Niederlage, dem Rombrand beziehungsweise der Verurteilung Thraseas und Soranus’ entweder unmittelbar auf einen Höhepunkt zuläuft oder dort, wie bei Agrippinas erstem Dissens mit ihrem Sohn, deren Ermordung respektive dem Abdankungsdialog zwischen Nero und Seneca, bereits angelangt ist.318 Folglich zeigt sich ein gleichmäßiger, zufälligen wie auch gestalterisch intendierten Abweichungen unterliegender Einsatz analeptischer Formen in den Nerobüchern, wobei sich aus dieser quantitativen Analyse insbesondere keine manifesten Indizien für eine mangelnde Überarbeitung einzelner Bücher oder Buchteile ergeben. Fazit Während analeptische Elemente in der gesamten Erzählung über Neros Prinzipat zu finden sind und ihre globale Verteilung keinen statistisch bedeutsamen Schwankungen unterliegt, sind lokal wiederkehrende textuelle Positionen wie Jahres- oder Episodenanfänge beziehungsweise -enden zu identifizieren, an denen diese regelmäßig eingesetzt werden. Ebenso erweist sich dieses narrative Mittel als genuin für die Nachrufe sowie die beiden besprochenen Digressionen, wird jedoch in spannungsvollen Passagen, in denen die leserseitige Konzentration auf das aktuelle Geschehen gerichtet werden soll, gemieden. Die analeptischen Partien fügen sich ferner überwiegend gleitend sowie ohne Bruchkanten in die Basiserzählung ein und besitzen neben variierenden Reichweiten sowie Umfängen ein mannigfaltiges Formund Funktionsspektrum, das sich in einem repräsentativen, flexible und kunstvolle Kombinationen berücksichtigenden Klassifikationsschema widerspiegelt. Inhaltlich informierende Analepsen setzen gerade am Anfang von Episoden oder außenpolitischen Berichterstattungen das nachfolgende vom vorausgehenden Geschehen ab, aktualisieren das Vorwissen der Rezipienten oder reichen fehlende zwischenzeitliche Entwicklungen nach und tragen so zu einer Verständniserleichterung bei. Falls eine schauplatz- oder protagonistenbezogene Handlung auf mehrere 317 Wie im Falle der Kategorie interner Analepsen, von denen das 13. signifikant weniger als alle anderen Nerobücher beinhaltet (p < 0,05), dieses Resultat aber wesentlich auf die gewählte Definition von intern zurückzuführen ist, unterstreichen zwar auch die übrigen Veränderungen aufgrund ihrer Erwartungskonformität die Analysesensitivität, erscheinen jedoch im Hinblick auf die obige Forschungsfrage nicht aussagekräftig. Denn es werden jeweils nur einzelne Vergleiche zwischen überwiegend unterschiedlichen Buchpaaren in Post-hoc-Tests signifikant, nämlich zwischen den Anteilen partieller (13. vs. 15.), innenpolitischer (15. vs. 16.), inhaltlich informierender (15. vs. 16.) und personenbezogen-begründender (14. vs. 16.) Rückblicke. 318 15,7,2–9,2, 15,35,1–37,1, 16,23,2–26,5 bzw. 13,19,3–24,1, 14,1,1–8,5, 14,50,1–55,1; vgl. Anhangstabelle 1.

128

2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

Einzelpassagen zergliedert ist, werden über größere temporale Distanzen ebenfalls direkte Zusammenhänge hergestellt und dadurch die textinterne Kohärenz gesteigert. Außerdem werden Analepsen im personenbezogenen Kontext unter drei differenzierbaren Facetten verwendet. Erstens begleiten retrospektive Elemente häufig die Einführung und weiteren Auftritte von Handlungsfiguren, um deren biographischen wie gesellschaftlichen Hintergrund summarisch zu beleuchten und dem Leser ein rasches Urteil über die neuen Akteure sowie deren schnelle Einordnung in die bestehende Figurenkonstellation zu ermöglichen. Zweitens gewähren Analepsen anlässlich von Todesfällen analog zu einer laudatio funebris zusammenfassende Überblicke über Leben und Wirken individueller Personen, die nicht selten als Folie oder Maßstab für das Verhalten noch lebender Protagonisten dienen. Drittens decken analeptische Einlagen mit einer Motivations- und Begründungseigenschaft geschichtliche Hintergründe zu gegenwärtigen Entscheidungen und Taten von Handlungsfiguren auf. Diese werden dem Rezipienten nicht nur plausibilisiert und aufgrund der subjektiv attribuierten Erfahrungen sowie Wesenszüge eventuell sogar vorsichtige Schlüsse auf den Geschehensweitergang zugelassen, sondern speziell im Sinne eines tief gehenden Geschichtsverständnisses die oftmals kleinen Beweggründe, die große Ereignisse auslösen, offenbart. Die anachronen digressiven Elemente sollen dem Leser Erholungspausen und unterhaltsame inhaltliche Variation bieten, tragen aber auch wesentlich zur Erzeugung situativer Atmosphären bei und eröffnen ungeahnte Perspektiven auf die Basiserzählung. Denn sie können für das römische Staatswesen vermeintlich sekundäre Problemfelder wie die Entwicklung des Verwaltungsapparats oder der Theaterkultur zu zentralen Themen eines Jahresberichts erheben, kontrastive Elemente betonen und intertextuelle Bezüge enthalten, die die transhistorische Dimension des Stoffs erst vollends aufzeigen.319 Ein derart kritisch reflektierender Umgang mit der historischen Materie auf Basis einer analysierend-komparativen Interpretation der Geschichte wird den Lesern zudem durch das modellhafte Verhalten der Gruppe der seniores, zu der Tacitus in einem besonderen Verhältnis steht, als optimale Lektüremethode anempfohlen und mittels entsprechend gestalteter analeptischer Passagen ohne deren explizites Auftreten evoziert. Bei metanarrativen deiktischen Rückgriffen wird dem Rezipienten durch den Gebrauch der ersten Person Singular der Akt der Narration vergegenwärtigt und auf den kontinuierlichen Kommunikationsprozess Bezug genommen.320 Dies unterstreicht deren grundlegendes, aufmerksamkeitsfokussierendes und kohärenzstiftendes Potenzial, das buchintern und -übergreifend angewandt wird, um separierte Handlungslinien sowie Themenstränge geistig zu rekonstruieren.321 Dadurch leisten diese intratextuellen Referenzen, die eine planvolle, in sich geschlossene Anlage der Nerobücher erkennen lassen, einen bedeutenden Beitrag zur retrospektiven Strukturierung des Diskurses, unterstützen die mentale Durchdringung der 319 Vgl. Suerbaum (2015), S. 430 sowie S. 433. 320 Vgl. Pelling (2009b), S. 153: „These, then, seem to be ‚buttonholing‘ I’s, drawing attention to the communicative process at times when it is important that a voiceprint should be heard.“ 321 Vgl. Graf (1931), S. 18 sowie S. 21, und Wille (1983), S. 4.

2.5 Narrative Verknüpfungstechniken

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Geschichte und dienen einer verbesserten textuellen Orientierung des Lesers.322 Obgleich in der Regel von einer autor- und leserseitigen Bevorzugung einer kontinuierlichen Rezeptionshaltung mit Blick auf das Gesamtwerk auszugehen ist, die mitunter auch durch die Inpraktikabilität eines antiken Schriftstücks bedingt ist, indizieren insbesondere die deiktischen Analepsen von mittlerer und größerer Reichweite eine ansatzweise Berücksichtigung selektiver Lektüreoptionen. Diese können interessierte Leser zumindest innerhalb kleinster vor dem Hintergrund der damaligen Rezeptionsumstände konzipierter Einheiten zur zeitweiligen Unterbrechung der Lektüre und zum Nachschlagen veranlassen sowie gegebenenfalls eine stofflich oder personell ausgerichtete, gezielte Stellenauswahl ermöglichen,323 deren Auffinden eventuell durch eine implementierte Schlagworttechnik erleichtert wurde.324 Das von zahlreichen Analepsen geprägte, narrativ raffinierte Arrangement zu Beginn des 13. Buchs legt ferner die Gelegenheit für einen unkomplizierten, transparenten Lektürequer- oder -wiedereinstieg mit Neros Herrschaftsantritt nach einer etwaigen längeren Pause oder Unterbrechung nahe, was vor allem bei etwaig separater Publikation dieses letzten Werkabschnitts denkbar ist.325 Einen solchen auftaktartigen Neueinsatz begünstigen nämlich unter anderem eine bewusste Analogisierung von Tiberius’ und Neros Machtübernahme, eine geschickte Recharakterisierungsmethode bereits etablierter beziehungsweise sorgfältige Einführungstechnik neuer zentraler Protagonisten,326 aufbauende Rückwendungen bei erstmaligen Fortsetzungen außen- wie auch innenpolitischer Handlungsstränge und ein ausschließlich auf die ersten eineinhalb Nerobücher beschränktes Vorkommen werkabschnittsübergreifender deiktischer Analepsen, die wegen des unhandlichen antiken Buchformats auf ein notwendiges, zweckdienliches Minimum begrenzt sind. Die angeführten Elemente nivellieren leserseitige Vorwissensunterschiede, schaffen einen einheitlichen verständnissichernden Kenntnisstand bezüglich der komplexen Figurenkonstellation und gewähren zügig einen informationsreichen Überblick über den Status quo des gegenwärtigen Geschehens mit punktuellen Rückverweisen auf dessen schon früher referierte Vorgeschichte. Damit erscheint eine wesentliche Voraussetzung für ein bis zu einem gewissen Grad individuell gestaltbares, partielles Lektüreverhalten gegeben zu sein, was den vielfältigen Lesebedürfnissen sowie heterogenen Vorlieben eines Literaturpublikums der römischen Kaiserzeit sicherlich entgegenkam. Angesichts der konstatierten Systematik und der beeindruckenden Bandbreite funktionaler Formen, die den Analepsen in den Nerobüchern zukommen, wirkt die Einschätzung Symes, die sprunghafte temporale Gestaltung sei ein Zeichen für die 322 Vgl. Bretschneider (1905), S. 4, Mutschmann (1911), S. 95 f., Fludernik (2006), S. 75, und Pausch (2011), S. 118–122. 323 Vgl. zu einer interessengeleiteten historischen Wahrnehmung Cic. fin. 5,51 …, et quid historia delectet, quam solemus persequi usque ad extremum; praetermissa repetimus, inchoata persequimur. 324 Vgl. Kap. 2.4. 325 Vgl. Bretschneider (1905), S. 4 sowie S. 16: „[…] ita describit, ut lector, etiamsi priora non legerit, facile sequentia intellegat.“ 326 Vgl. dazu weiterführend Abschn. 4.1.3 und Abschn. 4.2.2.

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Unfertigkeit dieses Werkabschnitts, vollauf verfehlt.327 Vielmehr ist abschließend mit Lämmert zu resümieren, dass jede analeptische Darstellungsart dem Leser einerseits ausreichend Informationsmaterial biete, um den Handlungsverlauf aus erhabener Perspektive verfolgen zu können. Andererseits fördert sie dessen kognitive Aktivierung, da dieser dazu angehalten werde, die separiert und nachträglich präsentierten Handlungsstränge retrospektiv und gedanklich in ein chronologisches Raster zu integrieren, wodurch der erfüllende vergnügsame Eindruck entstehe, die Handlungsspanne mehrfach durchlaufen zu haben.328 2.5.2 Formen- und Anwendungspalette proleptischer Einschübe Inhaltlich informierende Prolepsen An die Betrachtung analeptischer Diskurselemente schließt eine Untersuchung von Prolepsen an, die die temporale Geschehensabfolge durch vom augenblicklichen Erzählzeitpunkt aus zukünftige Einlagen unterbrechen und zu einer diskontinuierlichen Zeitstrukturierung führen. Dies kann durch schlichte, anspielungshafte Vorgriffe auf spätere Vorkommnisse wie auch umfangreiche Vorwegnahmen in sich geschlossener künftiger Ereignisverläufe erfolgen, die jeweils eine schlaglichtartige Antizipation weiterer Entwicklungen beziehungsweise möglicher Ausgänge gegenwärtiger geschichtlicher Handlungsstränge und bisweilen sogar Ausblicke bis zum Zeitpunkt der Narration erlauben. Analog zur Kategorisierung von Analepsen bietet sich auch zur Erfassung prospektivischer Einschübe in den Nerobüchern eine gemeinsame Rubrizierung der mit 81 Elementen recht zahlreich vertretenen inhaltlich informierenden Prolepsen an.329 Hierzu gehören zum einen die schlichten, regelmäßig gesetzten sowie thematisch orientierten Schlagzeilen am Anfang von Episoden, die als interne, iterative und partielle Ankündigungen mit lokal begrenzter Reichweite jeweils Ablauf und Ende unmittelbar nachstehender Vorfälle einleitend, treffend und schemenhaft vorstrukturieren, bevor deren detaillierte Darlegung anhebt.330 Zum anderen korrespondiert in außenpolitischen Kontexten die inhaltlich informierende Verwendung proleptischer mit der aufgezeigten Verknüpfungstechnik entsprechender analeptischer Bestandteile. Dies veranschaulichen Formulierungen wie tamquam differrent bellum (13,7,2) nach den anfänglichen militärischen Interventionen in Armenien zu Neros Herrschaftsbeginn und dilata prorsus arma (15,6,2) nach dem vorläufigen Waffenstillstand zwischen Corbulo und Vologaeses, die in beiden Fällen dem Rezipienten verdeutlichen, dass der Krieg mit den Parthern noch nicht ausgestanden ist, sondern eine Fortsetzung folgt.331 Zudem steht das den Britanniern unterstellte, subjektive Motiv ihres brutalen Vorgehens, tam327 328 329 330 331

Vgl. Syme (1967), S. 361, und dazu Morris (1969), S. 21. Vgl. Lämmert (1980), S. 116, und Genette (1972/1998), S. 33. Vgl. hierzu auch Pigón (2004), S. 83–88, S. 92–95 sowie S. 170. Vgl. Kap. 2.4 und Martínez/Scheffel (2007), S. 37, sowie Pigón (2004), S. 88 f. und S. 170. Vgl. Pfordt (1998), S. 128, und Geiser (2007), S. 42.

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quam reddituri supplicium (14,33,2), in diesem Moment in absolutem Widerspruch zu ihrer militärischen Situation.332 Denn die derzeit überlegenen Britannier antizipieren mit einer solchen Gewissheit ihre Bestrafung, dass ihre schlimmsten Befürchtungen zugleich mit den größten Hoffnungen eines römischen Publikums auf Satisfaktion für das von diesen begangene Blutbad übereinstimmen. Dies resultiert aufseiten der intradiegetischen Sprecher wie auch der extradiegetischen Rezipienten in einer vergleichbaren Erwartung einer die Verhältnisse klärenden Entscheidungsschlacht, wobei die Zukunftsgewissheit selbst der Feinde, dass ihre Taten nicht ungesühnt bleiben werden, für die Leser einen prospektivischen Hinweis auf einen letztlich für die Römer glücklichen Ausgang der Angelegenheit darstellt. Die proleptischen Einlagen während außenpolitischer Auseinandersetzungen gewähren dem Rezipienten also Anhaltspunkte bezüglich des weiteren militärischen Konfliktverlaufs und verbinden die durch die jahrweise Berichterstattung separierten Handlungsabschnitte mittels direkter, mental präfigurierender Bezüge untereinander. Daneben sind auch in der Innenpolitik themenbezogene interne Vorverweise zu identifizieren, die den künftigen Geschehensgang über eine kürzere oder längere temporale Distanz fortzeichnen können. Exempli causa bereitet die unvermittelte Erwähnung von Poppaeas Mutter deren Handlungseintritt vor333 und Sullas Schicksal steht nach seiner Arrestierung in Massilia unter keinem guten Vorzeichen, sodass ein fatales Ende seines Lebens zu erwarten ist.334 Octavias Versetzung auf die unglückseligen Güter des schon verstorbenen Burrus und des ermordeten Plautus ist ebenfalls als eindeutiges Indiz für ihr widriges Lebensende anzusehen.335 Wenngleich ferner Atticus Vestinus’ acre ingenium (15,52,3) nicht zur trägen Grundhaltung der übrigen Konspiranten passt, wird er dem Vorwurf einer Beteiligung an der Pisonischen Verschwörung, wie Tacitus vorab kommentiert, dennoch ausgesetzt sein, weil Nero diesen als Vorwand gebrauchen wird, um wegen einer alten Feindschaft gegen Vestinus vorzugehen. Dieses proleptische Element, das an der vorliegenden Stelle per se die Rivalität zwischen Piso und Vestinus sowie Vestinus’ Desinteresse an einem solchen Komplott begründen soll, nimmt so nicht nur den späteren Mord am Konsul, sondern auch den erfolglosen Ausgang der Konspiration vorweg.336 Außerdem wird nach dem Rombrand in einer bemerkenswerten internen Prolepse die Errichtung und Fertigstellung der domus aurea antizipiert. Das neue prunkvolle kaiserliche Gebäude ist suggestiv sogar schon vollendet, während die öffentlichen Aufräumarbeiten andauern und das zivile Ausmaß der Katastrophe noch nicht abzusehen ist.337 Hinzu tritt die Erwähnung eines äußerst ehrgeizigen, 332 Vgl. Friedrich (1958), S. 135 f. 333 13,43,2 …, Iuliam Drusi filiam Sabinamque Poppaeam ad mortem actas …; vgl. Holztrattner (1995), S. 8. 334 13,47,3 … et Massiliensium moenibus coerceri iubetur. 335 14,60,4 … domumque Burri, praedia Plauti infausta dona accipit; vgl. Murgatroyd (2008), S. 267. 336 15,48,1, 15,52,3, 15,68,2–69,3; vgl. Hauser (1967), S. 22 sowie S. 62. 337 15,42,1 bzw. 15,41,1 f. und 15,43,1–5; vgl. Dawson (1969), S. 263, der die reale Bauzeit auf 64 bis 68 n. Chr. datiert. Demgegenüber spricht Koestermann (1968), S. 278, bereits neun Monate später von einer teilweisen Fertigstellung.

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aber letztlich nicht realisierbaren Kanalbauprojekts vom Averner See zu den Ostia Tiberina, dessen Spuren sich bis in die Gegenwart des Autors erhalten haben: … manentque uestigia irritae spei (15,42,2).338 Diese beiden vorausweisenden Einschübe vermitteln also den Eindruck, dass die träumerischen und überheblichen Bauvorhaben des Prinzeps Vorrang vor allen Hilfsmaßnahmen besäßen und schon umgesetzt wären, bevor mit der drängenden Beseitigung der Schäden in der Hauptstadt überhaupt begonnen werde. Dies trägt zum einen wesentlich zu Neros Diskreditierung bei,339 zum anderen ist die Fertigstellung der domus aurea eine gedankliche Voraussetzung für Pisos anachronistische Äußerung, Nero sei in seinem Neid erregenden und durch den Blutzoll der Bürger errichteten Haus umzubringen.340 Abgesehen von diesen einfachen prospektivischen sind weiterhin auch mehrstufige Verbindungen zwischen Ereignissen zu erkennen. Bei diesen wird überwiegend gegen Ende einer Episode angemerkt, dass der jeweils gegenwärtige Vorfall beziehungsweise eine aktuell einsetzende Entwicklung für eine oder mehrere der beteiligten Personen zukunftssicher unangenehme Konsequenzen haben wird, wie dies Rubellius Plautus’ fatales Schicksal illustriert. Nachdem sich der Vorwurf eines Komplotts zwischen Agrippina und Plautus mit dem angeblichen Ziel, die Herrschaft zu erlangen, als falsch erwiesen hat, schließt die Aufarbeitung der Angelegenheit mit Plautus ad praesens silentio transmissus est (13,22,2). Die Formulierung ad praesens birgt dabei eine vorausdeutende, bedrohliche Nuance, sodass über Plautus von nun an geradezu ein Damoklesschwert zu schweben und der nächste Konflikt zwischen ihm und dem Kaiser unmittelbar bevorzustehen scheint. Als der Pöbel die Erscheinung eines Kometen als Omen eines baldigen Herrscherwechsels auslegt, wird eine direkte Konfrontation vorläufig vermieden, da sich Plautus auf Neros Befehl auf seine Besitzungen in Asien zurückzieht.341 Doch dass er der Gefahr durch seinen Gehorsam nicht entkommt, ist für einen aufmerksamen Leser daraus zu ersehen, dass dessen Figur entgegen gängiger narrativer Verfahrensweise bei vorzeitigen Handlungsaustritten nicht anhand einer externen Prolepse auf ein 338 Derartige gegenstandsbasierte Bezüge auf die Erzählergegenwart sind nicht so selten, wie Suerbaum (2015), S. 73, annimmt; vgl. dazu neben 2,60,4, 2,61,2, 2,88,3, 4,1,1, 6,22,4, 11,14,1, 11,14,3, 12,40,5, 12,42,2, 12,43,2 für die Nerobücher v. a. Anm. 417. Vgl. ferner Suerbaum (2015), S. 74–76, S. 288, S. 424 Anm. 269 sowie S. 556–558, Pigón (2004), S. 73 mit Anm. 24, und Schneider (2015), S. 136. 339 Zur einseitigen Darstellung der Bauvorhaben Neros vgl. Blänsdorf (2015), S. 327 f., Teltenkötter (2017), S. 48 mit Anm. 210, und Koestermann (1968), S. 246–250, mit dem würdigenden Fazit, S. 250: „Man mag zu Nero stehen wie man will, aber die Tatsache, daß er es verstanden hat, sich mit tüchtigen Ratgebern zu umgeben, und daß er alles mit größter Energie in die Wege geleitet hat, spricht einmal eindeutig zu seinen Gunsten.“ 340 15,52,1 melius apud Vrbem in illa inuisa et spoliis ciuium exstructa domo uel in publico patraturos …; vgl. Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 386: „Tacitus appears to forget that the building of the new palace could only just have been commenced. Nero was residing, at the time of the intended attack, in the Servilian Gardens.“ Die Kommentatoren merken zudem auf S. 388 an, dass auch der Tempel der Ceres im Plan der Verschwörer (15,53,3) implizit als unbeschädigt vorausgesetzt wird. 341 14,22,1–3; vgl. dazu auch Koestermann (1967), S. 271, sowie (1968), S. 68, Walker (1952), S. 68, Tresch (1965), S. 92, Mayer (2010b), S. 284, und Martin (1981), S. 166.

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weiteres ruhiges Leben ausgeblendet wird.342 Stattdessen bleibt sein Schicksal solange ungeklärt, bis Tigillinus erneut gegen ihn hetzt und seine Ermordung veranlasst, weshalb dieses Ende für einen Rezipienten bis zu einem gewissen Grad zu erwarten ist.343 Die Handlungslinie um Thrasea Paetus ist ebenfalls mittels mehrerer prästrukturierender Prolepsen verbunden. Denn dieser kündigt einerseits anlässlich seiner Einführungsszene seine Mitarbeit an allen nachfolgenden Senatssitzungen an, was auf seine weitere Präsenz in der Erzählung hinweist.344 Andererseits spitzt sich dessen Schicksal durch das provokante Verlassen der Kurie nach Agrippinas Ermordung, durch dessen resolutes Auftreten im Senat345 sowie insbesondere durch die Tatsache, dass er nach der Geburt von Neros Tochter beim Kaiser in Ungnade fällt, zunehmend auf seinen Untergang zu, praenuntiam imminentis caedis contumeliam (15,23,4). Obwohl der Schlussakt noch ausbleibt, ist die sich kontinuierlich steigernde Gefährdung von Thraseas Leben für einen Rezipienten offensichtlich, sodass über intermittierende Einlagen hinweg eine Anspannungssituation aufgebaut, aufrechterhalten und intensiviert wird.346 Vor allem wird, nachdem die Thematik des Muttermordes zum ersten Mal mit parricidii exemplum (13,16,4) angeklungen ist, während Agrippinas Auftritten wiederholt auf die Möglichkeit einer derart entsetzlichen Untat vorausgedeutet und diese in den Wiederaufnahmen matrem … interficere (13,20,1) sowie Nero trepidus et interficiendae matris auidus (13,20,3) respektive nach längerer Pause mittels der pseudoprodigialen Elemente am Ende des 13. Buchs sukzessive konkretisiert. Dabei ordnet die „gegebene spannungsreiche anschauliche Atmosphäre […] die Schilderungen in der Vorstellung des Lesers unwillkürlich zusammen“347 und versetzt diesen, bis letztlich die Realisierung des Verbrechens zu Beginn des 14. Buchs erfolgt, diu meditatum scelus non ultra Nero distulit (14,1,1), in eine ähnliche emotionale Lage wie Agrippina. Denn dieser wurde ihre Ermordung durch den eigenen Sohn ebenfalls im Voraus angekündigt, sodass, wie Friedrich treffend anmerkt, das zukünftige gewissermaßen bereits im gegenwärtigen Geschehen enthalten sei.348 Ferner vollzieht sich Neros deszendente Charakterentfaltung in einem aufeinander bezogenen, proleptischen Dreischritt, bei dem jede vorherige Stufe auf die nächste vorausweist und den nachstehenden Entwicklungsschritt vorab kommentiert. Das Adverb adhuc in der Formulierung abditis adhuc uitiis (13,1,3) nimmt nämlich sogleich am Anfang von dessen Herrschaft eine moralische Verschlechte-

342 Vgl. dazu die nächste funktionale Rubrik. 343 14,57,1–3 bzw. 14,58,1–59,3. Ob sich jedoch tatsächlich aufgrund der Ermordung des Stoikers Plautus bereits Thrasea Paetus’ Ende antizipieren lässt, wie Morford (1990), S. 1606, anmerkt, ist sehr fraglich. 344 13,49,1–4; vgl. Schmich (1960), S. 42. 345 14,12,1 bzw. 14,49,3 f. 346 Vgl. Koestermann (1968), S. 206, Städele (1990), S. 117 sowie S. 121, Morris (1969), S. 208, Pigón (2003), S. 150, Martin (1981), S. 177, und Schmich (1960), S. 100: „Wie ein Blitz aus heiterem Himmel trifft diese Mitteilung den Leser.“, sowie S. 101 f. 347 Wöhrmann (1956), S. 53. 348 14,9,3 bzw. 6,22,4 mit Anm. 229; vgl. Friedrich (1958), S. 142, und Tresch (1965), S. 76 Anm. 4.

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rung vorweg349 und ebenso ist aufgrund von hactenus Nero flagitiis et sceleribus uelamenta quaesiuit (13,47,1) zu antizipieren, dass der charakterliche Verfall des Kaisers noch nicht an seinem Gipfelpunkt angelangt ist. Erst mit Agrippinas Ermordung und angesichts des servilen Verhaltens des Senats im Anschluss erreicht der Prinzeps den absoluten Zenit seiner sittlichen Entartung, was Tacitus mit se in omnes libidines effudit (14,13,2) in Worte fasst.350 Plautus’ und Neros voranstehende Beispiele für mehrstufige, inhaltlich informierende Ankündigungen dokumentieren darüber hinaus dadurch, dass mittels einer adverbialen Bestimmung explizit Anfang respektive Ende einer Sequenz thematisch oder situativ vergleichbarer Ereignisse gekennzeichnet wird, eine besondere Gebrauchsweise iterativer und äußerst partieller Prolepsen.351 Durch die anspielungshafte Angabe eines ersten oder letzten Males einer Serie ähnlicher Vorkommnisse werden nämlich bereits indirekt mitzudenkende und erwartungsevozierende Informationen bezüglich einer, wenn auch vorläufig möglicherweise latenten, Kontinuität einer Handlungslinie preisgegeben sowie weitreichende Verbindungen zwischen inhalts- oder personenbezogenen Episoden hergestellt. Eine solche bedeutungsvolle Prolepse wird sogleich zu Beginn des 13. Buchs verwendet, indem mit der einen Neuanfang markierenden, exponierten Formulierung prima nouo principatu mors (13,1,1)352 ein unmissverständlicher Wink hinsichtlich des schicksalhaften und unabwendbaren folgenden Handlungsverlaufs gegeben wird. Denn eine prima mors impliziert unausgesprochen auch eine secunda, tertia etc. mors, das heißt weitere Vorfälle dieser Art, sodass ein Leitthema der Nerobücher gewissermaßen von Anfang an konkret benannt ist.353 Auch auf das Aussterben der alten Patriziergeschlechter als einen andauernden Prozess wird lediglich einmal explizit Bezug genommen, nomina et uirtutes nobilium, qui etiam tum supererant (13,18,2). Vom Leser ist allerdings dem damaligen, tum, gedanklich ein späterer Zeitpunkt kontrastiv gegenüberzustellen, an dem nahezu keine Nachfahren der früheren Patrizierfamilien mehr existieren. Dies demonstriert den iterativen und proleptischen Charakter der Passage und, dass diese latente Entwicklung angesichts der Mordlust des Kaiserhauses als permanente leitmotivische Folie für Neros Herr349 Vgl. Klug (1979), S. 275. 350 Vgl. dazu Koestermann (1967), S. 232, S. 235 sowie S. 329, (1968), S. 50, Scott (1974), S. 106, Segal (1973), S. 108, Holztrattner (1995), S. 25, Walker (1952), S. 68, Flach (1973b), S. 178, Häussler (1965), S. 268, und Heldmann (2013), S. 316 sowie S. 326 f. Dabei weist Petersmann (1993), S. 18, auf die Modellhaftigkeit des allgemeinen Kaiserbildes hin, das sich stets aus einer Phase des Verbergens zu einer offenen Zurschaustellung des eigentlich böswilligen Charakters hin entwickle. Vgl. zum Rückbezug auf Sallusts Geschichtsbild Koestermann (1965a), S. 17, Vielberg (2000), S. 185, Schmal (2011), S. 131–134, Heinz (1975), S. 51, Schmidt (1982), S. 285, Dészpa (2016), S. 412, und Römer (1999), S. 310: „Der enge Zusammenhang von Vernichtung des Gegners und eigener Depravation ist für uns bei Sallust am deutlichsten greifbar, und dessen Bedeutung für Tacitus steht außer Zweifel.“ Vor diesem Hintergrund ist allerdings nicht nachvollziehbar, wie Suerbaum (2015), S. 182, zu der Ansicht gelangt, es gäbe „bei Tacitus selber kein entsprechendes Enthüllungskonzept für Nero.“ 351 Vgl. Genette (1972/1998), S. 49 f. sowie S. 83, und Martínez/Scheffel (2007), S. 46. 352 Vgl. Morford (1990), S. 1582, und Bartera (2012), S. 164 Anm. 19. 353 Vgl. Fögen (2015), S. 40 mit Anm. 66, und zum Gebrauch von primum bei Tacitus Knoke (1925), S. 10 f.

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schaftszeit fungiert.354 Zudem wird Poppaea bei ihrer Einführung als personifiziertes magnorum rei publicae malorum initium (13,45,1) bezeichnet, sodass ihr erster Auftritt zu einem Auftakt einer Reihe von Untaten wird, die mit ihr in Verbindung zu bringen sind.355 Die Anwesenheit der Augustiani wird ebenfalls nur einmal ausdrücklich erwähnt, ist aber fortan bei allen öffentlichen künstlerischen Vorstellungen des Kaisers regelmäßig anzunehmen.356 Außerdem werden die Majestätsprozesse mittels einer iterativen Prolepse, tum primum reuocata ea lex (14,48,2), wiederaufgenommen, was in Paragraph 6,47,1 bereits kryptisch angedeutet worden war.357 Dass die Erneuerung dieses Gesetzes als entscheidender Schritt in der moralischen Dekadenz des neronischen Regimes und als werkeigene Leitthematik zu verstehen ist,358 zeigen somit nicht nur die exponierte Stellung dieses Berichts zu Beginn des Jahres 62 n. Chr. und die prominente Person des Anklägers, Cossutianus Capito, Tigillinus’ Schwiegervater, der erst kurz zuvor von diesem als Senator rehabilitiert worden war.359 Vielmehr ist durch das auf weitere Prozesse vorausweisende primum für den Leser schon hier abzusehen, dass es von nun an, unabhängig davon, wie Antistius Sosianus’ Präzedenzfall ausgeht, immer wieder zu derartigen Scheinverhandlungen kommen wird. Auch wenn Antistius durch Thrasea Paetus’ persönliches Engagement noch relativ glimpflich davonkommt, wird geradezu folgerichtig sogleich im nächsten Majestätsprozess gegen Fabricius Veiento entschiedener geurteilt.360 Passend hierzu vermeldet sodann die Einleitung zu Burrus’ Tod, grauescentibus in dies publicis malis (14,51,1), eine sukzessive Zunahme aller staatlichen Missstände und von Neros Exzessen. In Nymphidius, dem angeblichen Sohn einer Freigelassenen mit Kaiser Caligula beziehungsweise nach einem alternativen Gerücht sogar mit einem Gladiator, findet dieser am Ende des 15. Buchs zumindest vorläufig einen neuen Unterstützer, wobei eine künftige Involvierung des Prätorianerpräfekten in Neros Schandtaten durch das iterative primum ersichtlich wird.361 Ferner zeichnet sich C. Cassius’ Verderben, da die Geste des Prinzeps, dem Rechtsgelehrten die Teilnahme an der Leichenfeier Poppaeas zu verweigern, unmissverständlich ein primum indicium mali (16,7,1) genannt wird, zukunftsgewiss im Voraus ab und versetzt den 354 Vgl. zum auktorialen Interesse am sukzessiven Verschwinden der republikanischen Nobilität 13,34,1 und 14,14,3 mit Anm. 277 sowie Walker (1952), S. 68, Syme (1958), S. 26, und mit einem demographischen Befund Sánchez Vendramini (2010), S. 360. 355 Vgl. Holztrattner (1995), S. 10. 356 14,15,5 tuncque primum conscripti sunt … 357 6,47,1 interim Romae futuris etiam post Tiberium caedibus semina iaciebantur; vgl. Rademacher (1975), S. 78 sowie S. 189. 358 Vgl. Walker (1952), S. 20 f. sowie S. 109 f., wo sie aber hervorhebt: „The total picture differs from that of I–VI in that Nero acts directly and not by legal fictions.“, und Rademacher (1975), S. 200. 359 Vgl. Bartera (2012), S. 171, und Tresch (1965), S. 122. 360 14,50,1 f.; vgl. Koestermann (1968), S. 120, und zur Person des Fabricius Veiento Syme (1967), S. 633. 361 15,72,2 de Nymphidio, quia nunc primum oblatus est, …; vgl. zu dessen Abstammung Little/ Ehrhardt (1994), S. 39 sowie S. 54 f., Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 412, Koestermann (1968), S. 327, Bretschneider (1905), S. 74, und Schanz/Hosius (1935), S. 624.

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Rezipienten in innere Unruhe.362 Schließlich wird die vom Kaiser beabsichtigte Griechenlandtournee zwar nicht in praesens (15,36,1) umgesetzt, dieses iterative Element weist jedoch unmissverständlich auf eine nicht mehr erhaltene Partie der Nerobücher hin.363 Im Gegensatz zu diesen Beispielen, die den Beginn einer Reihe vergleichbarer Vorkommnisse und deren Kontinuität im Erzählhintergrund ausdrücken, wird mit ad postremum mehrfach explizit auf den Abschluss einer Abfolge ähnlicher Ereignisse oder einer Entwicklung hingewiesen. Nach kleineren Liebesrivalitäten wird Otho mit ad postremum (13,46,3) aus der Handlung der Nerobücher ausgeschlossen sowie P. Anteius das ganze Amtsjahr daran gehindert, in die Provinz Syrien zu reisen, und in Rom zurückgehalten, bevor er bei seiner erneuten Erwähnung ein Opfer der neronischen Willkür wird.364 Deutlich markiert die Eliminierung der uirtus ipsa (16,21,1), Thraseas und Soranus’ Tötung, einen Höhepunkt der langen Mordserie nach der Pisonischen Verschwörung, der zugleich, ad postremum (16,21,1), als temporärer Schlussstrich unter dem kaiserlichen Wüten anzusehen ist.365 Eine vermeintliche thematische Fokusverlagerung im Anschluss ist zwar aufgrund des Textausfalls nicht mit letzter Gewissheit zu überprüfen,366 aber durch die ausdrückliche Datierungsangabe der Anklage gegen Soranus wird zumindest kurzfristig eine inhaltliche Fortsetzung mit Tiridates’ Ankunft in Rom prospektivisch indiziert.367 Der Diskurs enthält damit eine Fülle an anspielungshaften bis expliziten wie auch ein- oder mehrstufigen, gezielt vorwärts gerichteten Bezügen auf künftige Geschehnisse und sogar auf den Akt der Narration, die im Anhang vollständig gelistet sind.368 Darin wird eine feine planvolle Durchstrukturierung der Erzählung und ein auktoriales Streben nach einer schlüssigen sowie transparenten Handlungsführung erkennbar. Der Rezipient wird vorab auf potenzielle thematische Fortset362 Vgl. Martin (1981), S. 185, Tresch (1965), S. 174, und Holztrattner (1995), S. 129. 363 Vgl. Koestermann (1968), S. 158 sowie S. 229. 364 13,46,3 bzw. 13,22,1 sowie 16,14,1–3. Vgl. zu den Gründen von Anteius’ Verbleib in Rom Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 181, Koestermann (1967), S. 278, und Martin (1981), S. 166, die anführen, dass dieser ein Parteigänger Agrippinas war, sodass der mächtige Statthalterposten Syriens in dessen Händen für Nero politisch gefährlich sein konnte. 365 Vgl. Hauser (1967), S. 124, und Sailor (2008), S. 21: „Likewise Tacitus’ transition from the other deaths to those of Thrasea and Barea Soranus presents the later ones as a natural progression from the former, not a change of course.“ 366 Vgl. Rademacher (1975), S. 195, Seitz (1958), S. 89, Koestermann (1968), S. 377, und zum potenziellen Handlungsweitergang ausführlich Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 473–484, aber auch Wölfflin (1886), S. 157, Bretschneider (1905), S. 69, Koestermann (1963), S. 22, Syme (1967), S. 263–266 sowie S. 687, und (1970), S. 21, Borzsák (1968), Sp. 477 f., Wille (1983), S. 597 f., McCulloch (1984), S. 170 f., Pfordt (1998), S. 202 f., Geiser (2007), S. 31, Morford (1990), S. 1598, Sage (1990), S. 965, Heldmann (2013), S. 326 Anm. 29. Von diesen wird v. a. das Fehlen von Tiridates’ angekündigtem Rombesuch, des Judenkriegs, von Corbulos Selbstmord (vgl. hist. 2,76,3), von Neros Griechenlandtour und Tod, von Vindex’ Erhebung sowie eines hinreichenden Epilogs moniert. 367 16,23,2 tempus damnationi delectum, quo Tiridates accipiendo Armeniae regno aduentabat, …; vgl. Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 473: „The arrival of Tiridates in Rome must have been coincident with the trial of Thrasea and Soranus.“ 368 Vgl. Anhangstabelle 2.

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zungen eingestimmt, zu einer geistig antizipierenden Zusammenordnung entsprechender Passagen befähigt, seine werkimmanente Orientierung dadurch erleichtert und eine innerliche Anspannungs- und Erwartungshaltung bezüglich des präfigurierten Weitergangs induziert. Indem gewisse iterative Ankündigungen Anfangswie auch Endpunkte kontinuierlich hintergründiger Ereignisfolgen und unterschwelliger Trends zum Ausdruck bringen, dienen sie nicht nur der Disposition, sondern erschließen eine punktuell greifbare Parallelebene des Diskurses. Diese bildet zu den Vorfällen der Basishandlung eine fortlaufende, kontrastreiche Folie und erzeugt den Eindruck, dass das Hauptgeschehen permanent von Leitmotiven durchzogen werde. Zudem legen einige der angeführten Exempla zumindest eine skizzenhafte Existenz weiterer, heute verlorener Kapitel der ‚Annalen‘ nahe und aus Pisos anachronistischer Äußerung wird bereits ansatzweise evident, wie sehr Figurenreden sowie der protagonistenspezifische Erfahrungshorizont gelegentlich von der Erzählerperspektive dominiert werden können.369 Personenbezogene Prolepsen Exklusive Ausblicke Eine erste Verwendungsfacette personenbezogener prospektivischer Darstellungen, bei der vornehmlich ein oftmals weitreichender summarischer Ausblick auf das zukünftige Leben von Protagonisten gewährt wird, die temporär oder endgültig aus der Erzählung ausscheiden, umfasst 15 Einzelelemente. Beispielsweise wird Pomponia Graecina im Anschluss an eine gegenwärtige Verhandlung mittels einer externen Prolepse auf ihre 40 Jahre währende Trauer definitiv aus der Erzählung der ‚Annalen‘ ausgeschlossen370 und auch Suillius’ Zukunft sowie dessen unerwartet komfortabler Aufenthalt als Exilant auf den Balearen werden nach seiner Verurteilung abschließend vorausblickend beleuchtet.371 Indes geht hinsichtlich beider Figuren diesem pro- unmittelbar ein analeptischer Einschub, auf den bereits hingewiesen wurde,372 bei ihrer erstmaligen Erwähnung voraus, sodass sich daran vortrefflich das komplementäre Zusammenwirken dieser anachronen Gestaltungselemente zeigt, mit deren Hilfe der Leser mit wenigen Worten umfassend über einzelne Protagonisten informiert werden kann. Außerdem erzeugt Anicetus’ zukünftiges Glück einen intensiven Kontrast zum brachialen Mord an Octavia, was eigentlich jegliche göttliche Gerechtigkeit infrage stellen muss,373 und die Vorwegnahme von Pompeius Silvanus’ langem Leben bietet eine ironische Brechung der erb369 Vgl. dazu auch Kap. 3.1. 370 13,32,3 longa hinc Pomponiae aetas et continua tristitia fuit. … per quadraginta annos non cultu nisi lugubri, non animo nisi maesto egit; …, mox ad gloria uertit; vgl. Walker (1952), S. 36. 371 13,43,5 … in insulas Baleares pellitur, non in ipso discrimine, non post damnationem fractus animo; ferebaturque copiosa et molli uita secretum illud tolerauisse. Bei seiner ersten Verbannung (4,31,3) wird Suillius ähnlich ausgeblendet; vgl. Enghofer (1961), S. 117, und Geisthardt (2015), S. 337. 372 Vgl. Anm. 227. 373 14,62,4 tum Sardiniam pellitur, ubi non inops exilium tolerauit et fato obiit.

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schleicherischen Absichten seiner schmeichlerischen Unterstützer, wodurch ein Hauptlaster der Kaiserzeit exemplarisch angeprangert wird.374 Augenfällig ist weiterhin die proleptische Einlage hinsichtlich Paulinas späterem Dasein innerhalb der Sterbeszene Senecas. Diese widerlegt mit Verweis auf deren lobenswerte zukünftige Lebensführung die Gerüchte, die ihren Todeswillen in Zweifel ziehen, blendet die Haupthandlung zwischenzeitlich aus und retardiert sie geschickt.375 Einen dieser Prolepsenkategorie ebenfalls zuzuordnenden Spezialfall, der nicht auf das weitere Leben, sondern auf das posthume Andenken einer Person gerichtet ist, bildet die antizipatorische Erwähnung, dass Agrippinas Grab unter Neros Herrschaft nie verschlossen und erst nach dessen Tod von einem leichten Erdhügel bedeckt werden sollte, wobei auf diesen späteren Zustand schon im folgenden Kapitel mit tumulus anachronistisch Bezug genommen wird.376 Die handlungsexklusiven personenbezogenen Prolepsen können also mit teilweise großer Reichweite über die Annalenhandlung hinausgehen und eine Persönlichkeit mit Blick auf deren späteres Leben bis zum Tod abseits des Plots charakterisieren und würdigen. Damit kommen sie dem grundlegenden leserseitigen Interesse an Individualschicksalen entgegen, das gerade gegenüber Protagonisten besteht, die zuvor wesentlich an der Handlung beteiligt waren, einen bemerkenswerten Auftritt hatten oder skurrile Eigenschaften besitzen.377 Ihre Implikation erhöht die Komplexität der Erzählung, indem im Hauptgeschehen kurze Retardierungen sowie Pausen entstehen, minimale Handlungslinien eröffnet und kontrastreiche Gegenüberstellungen voller dramatischer Ironie zwischen den künftigen Lebensverläufen unterschiedlicher Akteure expliziert werden.378 Allusive Vorhalte Gewissermaßen als fließender phänomenologischer Übergang von der voran- zur nachstehenden Subkategorie personenbezogener Prolepsen ist die Passage über Othos Versetzung in die Provinz Lusitania, da Nero diesen in Rom als Konkurrenten um Poppaeas Gunst fürchtet, und über dessen weiteren Verbleib als dortiger Statthalter zu erachten. Othos Handlungsabsenz dauert jedoch nicht bis zu seinem Tod, sondern wird bis zu einem bestimmten zukünftigen Zeitpunkt begrenzt, ad

374 13,52,2 Siluanum magna uis accusatorum circumsteterat poscebatque tempus euocandorum testium; reus ilico defendi postulabat. ualuitque pecuniosa orbitate et senecta, quam ultra uitam eorum produxit, quorum ambitu euaserat; vgl. Syme (1967), S. 450. 375 15,64,2 cui (sc. uitae) addidit paucos postea annos, laudabili in maritum memoria et ore ac membris in eum pallorem albentibus, ut ostentui esset multum uitalis spiritus egestum; vgl. Morris (1969), S. 189 sowie S. 239, Fögen (2015), S. 43, und Wille (1983), S. 561 sowie S. 580. 376 14,9,1 …, neque dum Nero rerum potiebatur, congesta aut clausa humo. mox domesticorum cura leuem tumulum accepit, … bzw. 14,10,3 … planctusque tumulo matris audiri …; vgl. Morris (1969), S. 112, und Woodcock (1939), S. 96. 377 Vgl. Walker (1952), S. 35 f., und Pigón (2004), S. 71–73 sowie S. 169 f. 378 Vgl. dazu auch Bonheim (1982), der auf S. 135 f. sowie S. 139 darauf hinweist, dass Kurzgeschichten mehrheitlich auf diese Weise enden, und auf S. 156 u. a. ergänzt: „Irony is a special form of rhetorical heightening, which we have already identified as a story-closing signal.“

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ciuilia arma (13,46,3).379 Dessen Figur scheint lediglich zwischenzeitlich und absichtlich ausgeblendet zu werden, um, wie der geschichtskundige Rezipient aufgrund der zweifellosen Bekanntheit des Namens vorausahnen kann, ad ciuilia arma wieder in die Erzählung zurückzukehren.380 Damit ist mittels dieser Prolepse ein optionaler Anknüpfungspunkt für eine Lektürefortsetzung mit den ‚Historien‘ geschaffen und bereits im ersten Buch über Neros Prinzipat möglicherweise implizit sowie äußerst unpräzise der thematische Abschluss der Annalenhandlung benannt, in der Otho offenbar keine Rolle mehr spielen sollte. Dieses Exempel leitet also eine Reihe prominenter Persönlichkeiten ein, deren Namen als vorausdeutende Anspielungen in den ‚Annalen‘ bereits schlaglichtartig erwähnt werden, obwohl sie erst in den ‚Historien‘ von größerer Handlungsrelevanz sind.381 Diese bilden nach Genette eine eigene Klasse kontextarmer allusiver Vorgriffe, die bei einem aufmerksam auf das Geschehen zurückblickenden Rezipienten aufgrund seines historischen Vorwissens spannungsvolle Antizipationen bezüglich der vielfältigen, mit den Namen der berühmten Männer verknüpften geschichtsträchtigen Ereignisse evozieren.382 Hierzu zählen neben dem späteren Prinzeps Otho auch die Vorhalte auf die künftigen Kaiser Aulus Vitellius, Cocceius Nerva und Flavius Vespasian, dessen maius fatum ausdrücklich angeführt wird,383 ebenso wie die knappen Nennungen namhafter Männer wie Petronius Turpilianus, Antonius Primus, Cingonius Varro, Verginius Rufus oder Helvidius Priscus.384 Prononciert wird insbesondere die Person des Prätorianerpräfekten Nymphidius mit einer klaren Anspielung auf dessen bevorstehenden Beitrag zur Machtübernahme Galbas und auf das selbstverachtende, devote und schmachvolle Verhalten des Senats in dieser Situation als zukünftige Steigerung misslicher clades im römischen Staatswesen eingeführt: nam et ipse

379 13,46,3 deicitur familiaritate sueta, post congressu et comitatu Otho, et ad postremum, ne in Vrbe aemulatus ageret, prouinciae Lusitaniae praeficitur; ubi usque ad ciuilia arma non ex priore infamia, sed integre sancteque egit, procax otii et potestatis temperantior. 380 Vgl. Holztrattner (1995), S. 24, und Tresch (1965), S. 76 Anm. 3 sowie S. 173 Anm. 55. 381 Vgl. Sage (1990), S. 969: „Personages who will later be important in the ‚Histories‘, like A. Vitellius, receive no annotation.“ 382 Vgl. Genette (1972/1998), S. 50 f., und Pigón (2004), S. 82 f. sowie S. 170. 383 Vitellius 14,49,1 (als Konsul bereits 11,23,1), Nerva 15,72,1 sowie Vespasian 16,5,3 (auch schon 3,55,4 und 6,20,2). Vgl. zur ersten Stelle Baldwin (1977), S. 141, der den Sinn der Implikation des Kapitels 14,49 lediglich in der verächtlichen Deskription des Vitellius erkennt. Vgl. auch das bedeutungsträchtige Wiederaufgreifen der obigen Formulierung in melius fatum (hist. 3,1,1) mit Koestermann (1968), S. 344, Heldmann (2013), S. 354 f., Seel (1937), S. 52, und Tresch (1965), S. 172 f. Anm. 55. 384 In obiger Reihenfolge jeweils die Erstnennungen: 14,29,1, 14,40,2, 14,45,2, 15,23,1, 16,28,1. Des Weiteren sind Cluvius Rufus 13,20,2, Epirus Marcellus 13,33,3, Vibius Crispus 14,28,2, Suetonius Paulinus 14,29,2, Petilius Cerialis 14,32,3, Trebellius Maximus 14,46,2, Fabricius Veiento 14,50,1, Musonius Rufus 14,59,1, Marius Celsus 15,25,3, Vatinius 15,34,2, Arulenus Rusticus 16,26,4, Egnatius Celer 16,32,2 und Demetrius Cynicus 16,34,1 zu nennen. Vgl. für einen statistischen Überblick über die Anzahl der Nennungen dieser Männer in den ‚Historien‘ Suerbaum (2015), S. 380.

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pars Romanarum cladium erit (15,72,2).385 Eine absolute Vorkommenshäufigkeit von 22 solchen externen Prolepsen auf zentrale Handlungsträger der Historienerzählung trotz ihrer geringen Bedeutung für die gegenwärtige Geschichte legt entgegen Borzsáks Ansicht eine gezielte Integration nahe,386 zumal diese beiläufigen Vorhalte gewichtiger Namen bereits beeindruckende Leistungen und berüchtigte Verfehlungen dieser Personen ankündigen.387 Dies bewirkt in einer Art Namedropping eine unterschwellige inhaltliche Vorstrukturierung des Texts, steigert Neugier und Konzentration des Lesers und initiiert bei diesem spezifische Erwartungshaltungen. Durch den Einsatz personenbezogener proleptischer Elemente mit werkübergreifender Reichweite werden dessen Gedanken eventuell schon auf die Handlung der ‚Historien‘ gelenkt und deren Rezeption im Anschluss an die ‚Annalen‘ als reizvolle Lektürefortsetzung anempfohlen. Prodigiale und pseudoprodigiale Prolepsen Nach annalistischer Manier lassen vorwiegend an Jahresenden, Buchanfängen sowie -schlüssen wiederkehrende oder vor entscheidenden innen- beziehungsweise außenpolitischen Situationen positionierte und an diesen exponierten Stellen vom Leser antizipierte Prodigienberichte eine turnusmäßige Aufnahme proleptischer Elemente erwarten.388 Bei diesen handelt es sich, wenn sie auch einen weitreichenden Ausblick auf das zukünftige Geschehen ermöglichen, dennoch überwiegend um innere Vorausdeutungen, denen als religiös fundierte traditionelle Gattungselemente ein warnender, unheilvoller Unterton wie auch eine bis zu einem bestimmten Grad zukunftsgewisse, ihre Bedrohlichkeit potenzierende Komponente anhaftet.389 Da diese Eigenschaften Prodigien aufgrund ihrer Gattungszugehörigkeit zukom385 Der Vorverweis ist damit auf die Ereignisse im unmittelbaren temporalen Zusammenhang mit Neros Suizid (Tac. hist. 1,5,1, Plut. Galba 2,2 bzw. 8,3–5, Suet. Nero 47,3, Cass. Dio 63,2,3 bzw. 63,27,2b) und nicht, wie Koestermann (1968), S. 327, annimmt, auf die für das Staatswesen bedeutungslosen Umstände von Nymphidius’ tragischem Untergang zu beziehen (v. a. Plut. Galba 14, aber auch Tac. hist. 1,5,2, 1,25,2, 1,37,3, Suet. Galba 11, 16,1). Vgl. dazu Koestermann (1956b), S. 220, Heubner (1963), S. 31, Hauser (1967), S. 72, Morris (1969), S. 245, Syme (1967), S. 265, Wille (1983), S. 582, Bretschneider (1905), S. 73, Seel (1937), S. 50, Sage (1990), S. 969, Oliver (1977), S. 291, Reitzenstein (1926), S. 25, Furneaux/Pelham/ Fisher (1907), S. 411, und Borzsák (1968), Sp. 478. 386 Vgl. Borzsák (1968), Sp. 484. 387 Vgl. Syme (1967), S. 301: „Tacitus introduces certain characters not so much for any word or deed as for their prominence in subsequent history.“, S. 479: „but perhaps the names evoked persons of rank and dignity in the society of his own day“, sowie S. 544: „Other characters destined for prominence in the later narrative are likewise brought on the scene for a brief moment, insidiously.“, Koestermann (1968), S. 103 sowie S. 344, und Pigón (1999), S. 209. 388 Vgl. zur begrifflichen Unterscheidung von prodigium, portentum, ostentum, omen und monstrum Krauss (1930), S. 31–34, der zu dem Ergebnis gelangt, dass diese nahezu synonym zu gebrauchen sind, und ebenso Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 358, sowie Khariouzov (2013), S. 29. 389 Vgl. Lämmert (1980), S. 142 f., Martínez/Scheffel (2007), S. 37, Genette (1972/1998), S. 33, und kritisch Junkerjürgen (2002), S. 58.

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men und diese laut Krauss, Walker und McCulloch von Tacitus’ theologischer Überzeugung unabhängig sind,390 schränkt dessen ambigue Haltung gegenüber prodigialen Elementen die diegetische Bedeutung dieser nicht ein.391 Vielmehr ist ihre Präsenz in den Nerobüchern trotz etwaiger auktorialer Vorbehalte und angesichts ihres spärlichen Vorkommens in früheren Annalenbüchern bemerkenswert.392 Dies kann weder darin hinreichend begründet werden, dass laut McCulloch Neros grundsätzlicher Hang zu Wunderzeichen in den Vordergrund gestellt werden soll,393 noch, dass nach Shotter eine gesellschaftliche Atmosphäre zunehmender Verunsicherung sowie Abergläubigkeit als spezielles Lebensgefühl dieser Epoche literarisch abgebildet werden soll.394 Das plötzliche Vorhandensein von Omina ist nach Davies aber auch nicht auf deren unreflektierte, mechanische Übernahme aus zugrunde liegenden Quellen zu einer annalistisch-republikanischen Rahmung atypischer, dieser Strukturform widerstrebender Themen oder auf eine mangelnde Überarbeitung dieses Werkabschnitts zurückzuführen. Denn deren textuelle Positionierungen sowie eine vergleichende Gegenüberstellung mit Suetons Darstellung machen eine intentionale Selektion evident395 und deuten auf eine planvolle Verwendung hin, die die herkömmliche Facette einer bloßen Protokollierung übernatürlicher Vorzeichen hinter die narrativen Funktionen dieser tradierten proleptischen Elemente zurücktreten lässt. Als Beispiele eines reflektierten Prodigiengebrauchs sind diejenigen Omen anzuführen, die zu Beginn von Boudiccas Aufstand und bei Paetus’ Überquerung 390 Vgl. Krauss (1930), S. 29, Walker (1952), S. 246: „In general Tacitus seems to regard portents, if genuine, as signs of an immutable will which proceeds to its destined end whether the signs are observed by men or not.“, McCulloch (1984), S. 162 sowie 208: „The issue is not whether Tacitus did or did not believe that such prodigies had an influence on the operation of the natural world. Instead, within his narrative they have a portentous significance.“, und Davies (2004), S. 154, S. 159 sowie S. 222. Vgl. ferner Schmal (2011), S. 123, Pigón (2004), S. 69 f., Griffin (2009), S. 171, und Pausch (2011), S. 91. 391 Vgl. Krauss (1930), S. 27–29 mit hist. 1,86,1 sowie ann. 12,64,1, 14,12,4, 15,47,1 bzw. 16,13,1. Vgl. zu Tacitus’ vermeintlich divergenter Weltanschauung Pöhlmann (1910), S. 9 zum Dissens der älteren Forschung sowie S. 63 f., Koestermann (1963), S. 32, sowie (1968), S. 404 mit einem knappen Forschungsüberblick, Kroymann (1952/1969), Schanz/Hosius (1935), S. 633, Borzsák (1968), Sp. 494–496, Hoffmeister (1831), S. 100, Segal (1973), S. 114, Syme (1967), S. 526, Schmal (2011), S. 120, Goodyear (1982), S. 653 f., Dihle (1971), S. 41, Walker (1952), S. 252–254, Woodcock (1939), S. 99, Flach (1973b), S. 51 sowie S. 234, Vielberg (1987), S. 25, v. Albrecht (1988), S. 58 f. sowie S. 62, und McCulloch (1991), S. 2938–2941. 392 Vgl. Schanz/Hosius (1935), S. 633 Anm. 4, Walker (1952), S. 248, Kroymann (1952/1969), S. 155, McCulloch (1984), S. 158 sowie S. 162, Pöhlmann (1910), S. 45, Syme (1967), S. 312 sowie S. 523, Shotter (1989), S. 8, und Dickison/Plympton (1977), S. 183. 393 Vgl. McCulloch (1984), S. 162 Anm. 22: „I can only suggest that the absence of such notices in the Tiberian books reflects Tiberius’ disdain for superstition, while their appearance in the Neronian books reflects Nero’s tolerance of, and, indeed, fascination for, prodigies.“ 394 Vgl. Shotter (1989), S. 9 f., und Marincola (1997), S. 95. 395 Vgl. Davies (2004), S. 162 f. mit Anm. 64, und demgegenüber Syme (1967), S. 523: „The reason is plain: a stock device in the old annalistic tradition which Tacitus needed all the more because his subject now defied the fabric and canons of the ‚res publica‘.“, und Suerbaum (2015), S. 434.

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des Euphrat in die Erzählung integriert sind.396 Beide Passagen sind nämlich innerhalb einer außenpolitischen Partie auf bewährte historiographische Weise vor einer militärisch entscheidenden Situation platziert, die sie unter ungünstige Vorzeichen stellen. Ihre unheilvollen Andeutungen greifen der Basishandlung vor und gewähren dem Leser einen nebulösen Ausblick auf die unmittelbare Zukunft. Dadurch wird nicht nur eine auflockernde Variation der Erzählordnung erzielt, sondern aufgrund der fraglichen Zukunftssicherheit sowie der mangelnden inhaltlichen Präzision der sinistren Ankündigungen bleibt der weitere Geschehensverlauf letztlich doch schleierhaft, sodass vorrangig eine bedrohliche Atmosphäre geschaffen wird, die den Leser in Besorgnis versetzen, ihm aber dennoch nicht jede Hoffnung auf ein glückliches Ende nehmen soll.397 Dieses dramatische Paradigma dient somit als adäquates „Hilfsmittel seiner Stimmungs- und Situationsmalerei“,398 die die Aufmerksamkeit und Neugier des Rezipienten wirksam auf die folgenden brisanten Vorfälle lenkt. Zwar wird der nachstehende Handlungsfortgang eingeschränkt, jedoch erscheinen unverhoffte Wendungen trotz der antizipierbaren katastrophalen und schmachvollen Niederlagen römischer Armeen weiterhin möglich und werden durch die erfolgreichen Interventionen Suetonius’ respektive Corbulos auch tatsächlich eingeleitet. Einmalig in den Nerobüchern sind die Prodigien am Ende des Jahres 64 n. Chr. Denn auch wenn diese mit knappen analeptischen Einlagen an frühere Motive anknüpfen, sind sie aufgrund ihres prodigialen Charakters und ihrer traditionellen Position am Jahresschluss prospektivisch ausgerichtet, sodass sie gewissermaßen eine Gelenkfunktion einnehmen. Fine anni uulgantur prodigia imminentium malorum nuntia: uis fulgurum non alias crebrior, et sidus cometes, sanguine inlustri semper Neroni expiatum; bicipites hominum aliorumue animalium partus abiecti in publicum aut in sacrificiis, quibus grauidas hostias immolare mos est, reperti. et in agro Placentino uiam propter natus uitulus, cui caput in crure esset; secutaque haruspicum interpretatio, parari rerum humanarum aliud caput, sed non fore ualidum neque occultum, quia in utero repressum aut iter iuxta editum sit (15,47,1 f.). Am Jahresende wurden allgemein Wunderzeichen als Vorboten drohender Misstände bekannt: eine niemals größere Häufigkeit von Blitzen und ein Komet, der von Nero immer mit dem Blut eines berühmten Mannes gesühnt wurde. Zweiköpfige Missgeburten von Menschen oder anderen Lebewesen wurden an öffentlichen Plätzen ausgesetzt oder bei Opfern für Götter gefunden, denen gewöhnlich trächtige Tiere geschlachtet werden. Auf dem placentinischen Land wurde neben einem Weg sogar ein Kälbchen geboren, das den Kopf am Bein hatte. Daraufhin erfolgte als Auslegung der Priester, dass ein anderes Oberhaupt der irdischen Welt bereitet werde, dieses aber nicht mächtig und nicht verborgen sein werde, weil es noch im Mutterleib erdrückt beziehungsweise neben dem Weg geboren worden sei.

Bei kontinuierlicher Lektüre erinnert die Analepse sanguine inlustri semper Neroni expiatum den Leser gewiss an die Abschiebung Rubellius Plautus’ wegen eines Kometen nach Asien sowie dessen dortigen Tod399 und die Umschreibung rerum 396 14,32,1 bzw. 15,7,2; vgl. Koestermann (1968), S. 88, Krauss (1930), S. 66, S. 93, S. 124, S. 162 sowie S. 178, Geiser (2007), S. 92 f., und Kröger (1940), S. 66. 397 Vgl. Kröger (1940), S. 59, und Miller (1969), S. 109. 398 Pöhlmann (1910), S. 46. 399 14,22,3 bzw. 14,59,2.

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humanarum aliud caput, sed non fore ualidum neque occultum greift zweifellos den prospektivischen Abschluss des 14. Buchs orta insidiarum in Neronem magna moles et improspera (14,65,2) wieder auf, wo auch bereits Pisos Name fällt. Zugleich weisen die präzise gewählten Anspielungen angesichts der per se proleptischen Eigenart von Prodigien zwar verklausuliert und summarisch, aber dennoch unmissverständlich auf eine Konspiration hin, die für den Leser mithilfe der erwähnten vorausgehenden Stelle oder aufgrund seines geschichtlichen Vorwissens als die Pisonische Verschwörung zu identifizieren ist. In sibyllinischer Form werden sogar wesentliche Stationen dieser Erhebung vorweggenommen, in deren Verlauf sich die unheilvollen Ankündigungen einstellen, obgleich ihre Reihenfolge von der hier genannten abweicht, wie retrospektiv zu erkennen ist:400 die Ohnmacht und Trägheit (non ualidum) sowie die Unfähigkeit der Verschwörer, ihren Plan geheimzuhalten (neque occultum), das Scheitern des beabsichtigten Staatsstreiches (aliud caput) und schließlich die nachfolgende Mordserie prominenter Persönlichkeiten (sanguine inlustri semper Neroni expiatum). Gemäß der proleptischen Ausrichtung der obigen Passage beginnt das Jahr 65 im Anschluss deutlich akzentuiert durch eine invertierte Angabe der consules ordinarii und sofort mit der Hauptthematik: coepta simul et aucta coniuratione (15,48,1). In diesem Prodigienbericht werden also zwei schon vorgezeichnete Motive analeptisch aufgegriffen, aktualisiert und eine geschickte Überleitung zum nachfolgenden Geschehen initiiert. Dem Leser ist es anhand der expliziten und folgenschweren Prolepse schemenhaft möglich, die Handlung des gesamten Folgejahres zu überblicken, wobei diese Transparenz einen wesentlichen Beitrag zu „einer Vorstrukturierung des Textes und damit dem Aufbau und dem Wachhalten des Leserinteresses“ 401 leistet. Die enge textuelle Kontiguität zwischen der Antizipation eines an äußersten Gefahrenmomenten reichen Komplotts und dessen Erzählung offenbart zudem das enorme Erregungspotenzial einer perniziösen Vorausdeutung, das den Rezipienten in eine affektive und kognitive Erwartungshaltung versetzt. Gerade diesen dramatisierenden Aspekt erkennt auch Häussler fernab der ursprünglich religiösen Motivik von Prodigien als narrativ entwickelte bewusste Funktion an: „Mag sein, daß Tacitus sich von diesen religiösen Grundlagen gelöst hat – ihre Wirkung kennt er, solche Stimmungsfaktoren für den künstlerischen Aufbau seines Werkes sind ihm hochwillkommen; methodisch baut er sie aus […]; der Leser soll möglichst rasch in jene vibrierende Spannung geraten, die ihm sagt ‚Das kann kein gutes Ende nehmen‘.“402 Zwar erweist sich Agrippinas letzter Wunsch, eine Durchbohrung ihres Bauches solle symbolisch auch Nero als ihre eigene Leibesfrucht schädigen, als nichtig 400 Vgl. Krauss (1930), S. 120 sowie S. 130, Kröger (1940), S. 59, Syme (1967), S. 312, Davies (2004), S. 159 f., Hauser (1967), S. 10, Graf (1931), S. 101, Gärtner (1996), S. 143, Grethlein (2013), S. 165, und Koestermann (1968), S. 263. 401 Junkerjürgen (2002), S. 60. 402 Häussler (1965), S. 370; vgl. die hingegen unzutreffende Auslegung Morris’ (1969), S. 217: „Just before his account of the clumsy, ambitious attempt to replace Nero, Tacitus warns us to have no illusions about its success; his longest set piece is a monotonous record of failure, without hope, without surprise.“

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und deren ungesühnte Ermordung lässt Tacitus scheinbar die Bedeutsamkeit der Prodigien des Jahres 59 n. Chr., deren unkonventionelle Positionierung weder am Anfang oder Ende eines Jahresberichts noch unmittelbar vor dem zentralen Ereignis zudem die Perversion grundlegender Normen unterstreicht, berechtigt verwerfen. Dennoch birgt gerade die Negation ihrer Relevanz eine explizite Prolepse: quae adeo sine cura deum eueniebant, ut multos postea annos Nero imperium et scelera continuauerit (14,12,2).403 Mittels dieses gegenüber der Existenz einer göttlichen Fürsorge skeptischen, jedoch unmissverständlichen Ausblicks auf Neros weitere Herrschaft sowie zahlreiche gewissenlose Verbrechen wird dem Leser einerseits eine kontinuierliche, mehrjährige und spannungsreiche Fortsetzung der Erzählung im Anschluss an den lokalen Höhepunkt des Muttermordes angekündigt, die auch künftig aufgrund vielfacher unvorstellbarer Skrupellosigkeiten des Prinzeps attraktiver und mitreißender Geschehensinhalte nicht entbehrt. Andererseits stellt die vermeintliche Entwertung dieser Prodigien gekonnt die gattungsgenuin anzunehmende, grundlegende Zukunftsgewissheit aller nachstehend referierten Omina infrage, sodass der Rezipient angesichts deren suggerierter Unzuverlässigkeit an der prinzipiellen Vorhersehbarkeit des Handlungsverlaufs zweifelt und in einen Zustand erwartungsvoller Verunsicherung gebracht wird. An der vorliegenden wird also ein wesentlicher Ansatzpunkt für den Spannungsaufbau nachfolgender Passagen geschaffen. Mit diesen vier Stellen sind die klar proleptisch orientierten Prodigien innerhalb der Nerobücher bereits vollständig erfasst, die jeweils zu kurzzeitigen Variationen in Erzählordnung und -rhythmus führen, den Leser bei der Vorstrukturierung des Textes unterstützen und verheißungsvolle Atmosphären erzeugen. Daneben enthält der Diskurs jedoch 20 Elemente, die zum einen zwar wie die Omen am Ende des Jahres 65 ausdrücklich als Prodigien bezeichnet werden, aber ihre prospektivische Ausrichtung offensichtlich verloren haben oder wie die Mirabiliensammlung am Schluss des Jahres 62 trotz eines rätselhaften Gehaltes zumindest prima facie nicht prodigial gebraucht werden.404 Zum anderen lassen sich narrative Formen identifizieren, die sich gattungskonform an der textuellen Position prodigialer Passagen befinden und deren proleptische Orientierung übernehmen, allerdings keinen typisch ominösen Inhalt besitzen. Dies betrifft nicht nur Sterbefälle sowie Neros Olivenölspende an den Senatoren- und Ritterstand an einigen Jahresenden, sondern auch die außergewöhnliche Salzgewinnungsmethode der Germanen, den Brand Kölns sowie den kryptischen Ausblick auf das spätere Wiederaufleben der ficus Ruminalis gegen Ende des 13. oder den expliziten Vorgriff mit den Namen Senecas und Pisos am Schluss des nächsten Buches.405 Gerade am Ende von Buch 15 befinden sich mit einem Vorhalt auf Neros letzte Gemahlin, Statilia Messalina, sowie einem Vorgriff auf die Rolle des Prätorianerpräfekten Nymphidius, einer expliziten 403 Vgl. Krauss (1930), S. 70 sowie S. 113 f., Kröger (1940), S. 14, Walker (1952), S. 250, und Pigón (2004), S. 70. Bemerkenswert ist die mutmaßliche Schlangengeburt einer Frau, da diese Tiere angeblich Nero als Kind umgaben (11,11,3), was einen impliziten Rückbezug zu Agrippinas Niederkunft schafft. 404 16,13,1 f. bzw. 15,22,2; vgl. dazu auch Abschn. 4.5.3. 405 13,30,2, 14,19, 14,47,1 f., 13,57,1–58 bzw. 14,65,2.

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Prolepse auf Iulius Vindex’ Aufstand, der Verhandlung über eine vorzeitige Vergöttlichung des Kaisers im Senat und der Erwähnung der Rückkehr politisch Verfolgter nach Neros Tod eine Reihe von Anspielungen auf zukünftige Ereignisse,406 die bereits auf die letzten Tage des Prinzeps sowie die unmittelbare Zeit danach vorausweisen. Diese regelmäßigen Ankündigungen an den jeweiligen Buchenden mittels als pseudoprodigial zu bezeichnender Elemente richten den Blick des Rezipienten bewusst auf wesentliche Themen anschließender Werkteile. Sie gewähren ihm einen Überblick über inhaltliche Schwerpunkte der nachfolgenden Handlung, etablieren zugleich bestimmte Erwartungen und versetzen ihn in eine Anspannungshaltung. Auf diese Gestaltungsformen, die in ihrer Funktionsweise klassischen Prodigienberichten nicht nachstehen, wird daher noch gesondert einzugehen sein.407 Subjektiv nuancierte Prolepsen Prolepsen sind des Weiteren feste Bestandteile sowohl gedachter als auch kommunizierter zukunftsbezogener Figurenwahrnehmungen sowie insbesondere individueller Pläne.408 Dies zeigt Neros Abwägen verschiedener Mordvarianten für seine Mutter, die jedoch alle angesichts Anicetus’ Vorschlag, ein sich von selbst auflösendes Schiff zu bauen, verworfen werden.409 Der Leser kann hierbei aus der schlichten Bemerkung placuit sollertia (14,4,1) sowie den mehrfachen Hinweisen auf ein auffällig dekoriertes Schiff in der Bucht von Bauli den Beschluss des Vorhabens sowie dessen Umsetzung erkennen. Dieses ist überraschenderweise sogar schon fertiggestellt, ohne dass jemals ein Baubeginn oder eine zwischenzeitliche Konstruktionsphase erwähnt wird, um die Heimlichkeit der Aktion zu unterstreichen und die Aufmerksamkeit nicht von der verstellungsreichen Szene des Zusammentreffens Neros und Agrippinas abzulenken.410 Während der Rezipient aber wie Nero bezüglich des wahren Verwendungszwecks genau Bescheid weiß, offenbaren das unbedarfte Verhalten der Kaisermutter und der Fehlschlag dieses ersten Mordversuchs eindeutig die subjektive Nuancierung sowie die Unsicherheit dieser Zukunftsvorstellung.411 Ebenso wird im Plan der Pisonischen Konspiranten, Nero zu beseitigen, ein potenzieller Handlungsverlauf virtuell vorgezeichnet und mit dessen Ausführung von einigen Beteiligten bereits tatkräftig begonnen, bevor noch gewisse Details wie die Rolle von Claudius’ Tochter Antonia überhaupt abschließend geklärt sind.412 Der Leser erwartet neben der vorgesehenen Durchführung des Vorhabens von der 406 15,68,3, 15,72,2, 15,74,2, 15,74,3, 15,73,2; vgl. zur Person Statilia Messalina Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 66 sowie S. 406, und Koestermann (1968), S. 317. 407 Vgl. Abschn. 4.5.3. 408 Vgl. Pausch (2011), S. 96, und für eine separate Betrachtung aller enthaltenen Reden Kap. 3.4. 409 14,3,1–3 …, hactenus consultans, ueneno an ferro uel qua alia ui. … ergo nauem posse componi docet, cuius pars ipso in mari per artem soluta effunderet ignaram: … 410 14,4,1–4, v. a. 14,4,3 stabat inter alias nauis ornatior, tamquam id quoque honori matris daretur: … 411 14,5,1–3, v. a. 14,5,2 nec dissolutio nauigii sequebatur, … 412 15,53,1–4; vgl. Grethlein (2013), S. 158.

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weiteren Erzählung auch eine Aufklärung aller im Plan offen gebliebenen Einzelheiten. Demgegenüber können jedoch gerade die Konfusion unter den Verschwörern, ihre selbstständigen Vorstöße und die mangelnde Abgestimmtheit ihrer Aktionen – für den Ablauf der Pisonischen Verschwörung insgesamt bezeichnende Merkmale – einen Rezipienten mit sensiblem Gespür schon schemenhaft die Erfolglosigkeit und den letztlich konzeptlosen, katastrophalen Ausgang erahnen lassen. Ihm eröffnen sich also zwei konkurrierende Zukunftsvorstellungen des Geschehensfortgangs, was zu einer kognitiven Dissonanz führt, die lediglich durch die Fortsetzung der Lektüre aufzulösen ist. Von den voranstehenden beiden Beispielen unterscheidet das Mordansinnen an Britannicus seine erfolgreiche Umsetzung wie auch narrative Gestaltung. Im vorausgehenden Kapitel wird nämlich prospektivisch bereits in einem für die damaligen Verhältnisse im Kaiserhaus symptomatischen Bild, da das Gift direkt neben dem kaiserlichen Schlafgemach zubereitet wird,413 darauf hingewiesen, dass Claudius’ leiblicher Sohn vergiftet werden soll. Die Schilderung der List, talis dolus repertus est (13,16,1), koinzidiert allerdings mit deren Anwendung in der Mordszene.414 Damit entfällt der proleptische Charakter von Plänen hier und ein repetitiver, redundanter und nahezu identischer zweiter Bericht über den ohnehin korrekten Verlauf der Beseitigung wird geschickt vermieden. Dies vereinfacht die Erzählstruktur und nutzt aus einer solchen erzählzeitsparenden Verbindung resultierende Überraschungsmomente, die die Schnelligkeit der Giftwirkung hervorheben. Mittels dieser Kategorie fokalisierter Prolepsen, der innerhalb der Nerobücher 30 Elemente zuzuordnen sind, kann der Leser durch attraktive Rollenübernahme sowie Introspektion in den eingeschränkten Wissens- und Wahrnehmungshorizont historischer Personen die bevorstehenden Ereignisse unter der anregenden surrealen Vorstellung einer polyvalenten Ergebnisoffenheit der Geschichte antizipieren. Dies ermöglicht eine virtuelle Explikation potenzieller Geschehensverläufe, die aufgrund der geringen Zukunftsgewissheit dieser vorwiegend internen und iterativen Vorausdeutungen, was auf ihrem speziellen Darstellungsmodus beruht, anderen Vorverweisen widersprechen und den Leser letztlich bezüglich des tatsächlichen Handlungsausgangs kurzfristig verunsichern können.415 Eine systematische Integration subjektiv nuancierter Prolepsen, deren Inhalt lediglich selten wie präfiguriert eintritt, vermag also angesichts einer mentalen Erzeugung verlockender alternativer Zukunftsannahmen und -modelle wie auch deren zweifelhafter Sicherheit eine intensive kognitive Auseinandersetzung mit historischen Situationen und ein beträchtliches Spannungsempfinden aufseiten des Rezipienten hervorzurufen.416 413 13,15,5 …, cubiculum Caesaris iuxta decoquitur uirus cognitis antea uenenis rapidum. 414 13,16,2 innoxia adhuc ac praecalida et libata gustu potio traditur Britannico; dein, postquam feruore aspernabatur, frigida in aqua adfunditur uenenum, quod ita cunctos eius artus peruasit, ut uox pariter et spiritus raperentur. 415 Vgl. Pigón (2003), S. 145: „It is obvious that most of the prolepses made directly by the narrator are true, whereas those presented through the medium of his characters may prove, in due course, false (unless characters are granted some superhuman power to foretell future events.“, und ders. (2004), S. 168. 416 Vgl. Abschn. 4.5.1.

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Deiktische Prolepsen Analog zu analeptischen wird auch bei proleptischen Darstellungen mehrfach mit einem metadiegetischen Kommentar in der ersten Person oder mittels eines auf die Zeit der Narration verweisenden Adverbs beziehungsweise einer entsprechend gebrauchten Fomulierung auf später eintretende Ereignisse respektive sogar den Augenblick des konstituierenden Akts der Erzählung hingedeutet. Bei diesen 21 deiktischen Prolepsen sind also Gegenwart wie auch Aspekte der Stimme der Sprecherinstanz zwar in unterschiedlichen Intensitäten, aber stets offenkundig wahrnehmbar.417 Auf lokaler Ebene wird beispielsweise eine strukturierende Erzählerpräsenz, nunc, bei Nymphidius’ exkursartiger Einführung sowie bei Petrons Suizid evident, wobei in beiden Fällen die turbulente Basishandlung durch die Prolepse kurzzeitig unterbrochen und durch die explizite auktoriale Anmerkung sowie die Art und Weise der geschlossenen Präsentation die charakterlichen Besonderheiten der Protagonisten unterstrichen werden.418 Zudem ist es als ein auf den gesamten Diskurs generalisierbares Selektionskriterium anzusehen, wenn sich Tacitus von der namentlichen Wiedergabe unschuldig in Not geratener Nachfahren der republikanischen Nobilität distanziert: quos fato perfunctos ne nominatim tradam, maioribus eorum tribuendum puto (14,14,3). Hierzu veranlasst ihn nämlich keineswegs Rücksicht auf die Nachkommen dieser Persönlichkeiten oder die Gefahr einer Auslegung als Kritik an deren Verhalten, wie er an anderer Stelle betont.419 Vielmehr fühlt er sich gemäß der römischen Erinnerungskultur zur Achtung der edlen Vorfahren verpflichtet, sodass sich in dieser Pietät gegenüber früheren Generationen einerseits der gemeinsame kulturelle Rahmen zwischen Autor und Rezipient, andererseits ein moralisches Verantwortungsbewusstsein des Verfassers für seine Geschichtsschreibung und seine darauf beruhende Urteilsmacht widerspiegelt, das nicht alle antiken Historiker besitzen.420 Der proleptische Gehalt dieser Passage verschwindet somit nahezu völlig hinter der metanarrativen Komponente, die dem Leser einen vertrauensstiftenden Einblick in den diegetischen Produktionsakt gewährt, der von Sensibilität und Besonnenheit im Umgang mit historischen Fakten zeugt. Daneben überrascht die übersteigerte Emotionalität zweier weiterer, proleptisch geprägter Textstellen, an denen sich Tacitus gewissermaßen in die Gefühlswelt des Lesers hineinversetzt und die offenbar einzig möglichen Rezeptionsreaktio417 Vgl. Genette (1972/1998), S. 48, und Pigón (2004), S. 63–65 sowie S. 68 Anm. 11. Die erste Person wird verwendet in 13,9,3, 49,1, 14,14,3, 59,3, 64,3, 15,37,1, 49,1, 53,4, 63,3, 72,2, 16,6,1, 16,1 f., 18,1, nunc in 15,43,5, 72,2, 16,16,1, tum bzw. tunc in 13,1,1, 18,2, 14,39,2, 15,73,2 und manere in 13,51,2, 15,42,2 sowie docere in 14,16,1. Vgl. für entsprechende Stellen außerhalb der Nerobücher Anm. 338. 418 15,72,2 de Nymphidio, quia nunc primum oblatus est, pauca repetam: nam et ipse pars Romanarum cladium erit bzw. 16,18,1 de C. Petronio pauca supra repetenda sunt. Vgl. Pigón (2004), S. 78 f., Rankin (1965), S. 233 f., und Hauser (1967), S. 100. 419 Vgl. Anm. 198 (Kap. 1) und Marincola (2009), S. 22, sowie Moles (1998), S. 145. 420 Der griechisch schreibende Cassius Dio teilt diese altrömische Frömmigkeit hingegen keineswegs, sondern führt die Namen der beteiligten Personen ungeniert an; vgl. Heldmann (2013), S. 339 mit Anm. 77, Suerbaum (2015), S. 77 sowie S. 301, und Koestermann (1968), S. 53.

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nen präfiguriert. Die erste dieser Passagen findet sich im Nachgang der Ermordung der jugendlichen Octavia. Dona ob haec templis decreta quem ad finem memorabimus? quicumque casus temporum illorum nobis uel aliis auctoribus noscent, praesumptum habeant, quotiens fugas et caedes iussit princeps, totiens grates deis actas, quaeque rerum secundarum olim, tum publicae cladis insignia fuisse. neque tamen silebimus, si quod senatus consultum adulatione nouum aut patientia postremum fuit (14,64,3). Dass deshalb (sc. für den Mord an Octavia) für die Tempel Weihgaben beschlossen wurden, zu welchem Zweck werden wir dies noch erwähnen? Wer auch immer die Unglücksfälle jener Zeiten durch uns oder andere Schriftsteller kennenlernen wird, soll sich im Voraus bewusst sein, dass, wie oft der Kaiser Verbannungen und Morde befahl, so oft den Göttern Dank abgestattet wurde und dass einstige Kennzeichen glücklicher Zustände, damals Ausdruck der staatlichen Misere waren. Aber dennoch werden wir nicht schweigen, wenn irgendein Senatsbeschluss hinsichtlich seiner Schmeichelei neuartig oder seiner Unterwürfigkeit das Letzte war.

„Here he is so deeply involved that his indignation breaks out in a violent crescendo of emotion“,421 beschreibt Goodyear den empörten Aufschrei treffend, der keineswegs zu der Unerreich- und Unbeirrbarkeit einer epikureischen Grundhaltung passt, die Dihle Tacitus unterstellt.422 Stattdessen beendet dieser in einem Ausdruck maximaler Entrüstung schlagartig die Darstellung von Octavias Tod und zeigt damit eine Reaktion, die nach diesem ungeheuren und brutalen Willkürakt des Kaisers von jedem einzelnen Senator wie auch dem kompletten Senat zu Neros Zeit zu erwarten wäre. Dieser wird aufgrund seiner übersteigerten Dankesbekundungen und Lobpreisungen sowie vor allem wegen der Unterlassung jeglicher Interventionsmaßnahmen und absoluten Passivität mitverantwortlich gemacht. Die Verärgerung über die Schuld, die das höchste aristokratische Organ durch dieses Verhalten auf sich geladen hat, lässt sich im Pathos der rhetorischen Frage fassen. Auch die Verbformen in der ersten Person Plural als Plurales maiestatis sind markant und vertreten zwar sicherlich den Sprecher, der jedoch den Plural bei auktorialen Einschüben – wie anhand voranstehender Exempel zu deiktischen Rück- und Vorgriffen ersichtlich wird – sonst nicht wählt.423 Der Leser wird hier also gezielt miteinbezogen, der doch bei seiner Lektüre, wie ausnahmslos jeder, der sich mit diesen Ereignissen beschäftigt – quicumque casus temporum illorum nobis uel aliis auctoribus noscent –, über diesen Verlauf der Geschichte sowie die Lethargie der Protagonisten beschämt und entrüstet sein muss.424 421 Goodyear (1970), S. 24; vgl. auch Marx (1937), S. 95, Koestermann (1968), S. 155, Heinz (1948), S. 35, und Morford (1990), S. 1610. 422 Vgl. Dihle (1971), S. 33, S. 37 sowie S. 43, und demgegenüber ablehnend Kierdorf (1978), S. 26. 423 Vgl. Walker (1952), S. 188, die ebenfalls eine differenzierte Verwendung der ersten Person Singular und Plural annimmt und Anm. 288 sowie Anm. 417. 424 Dabei besteht eine gewisse Verwandtschaft dieser Passage zu den Aussagen im ‚Agricola‘, wo Tacitus seine eigene Mitschuld an Domitians Schandtaten eingesteht, aber auch auf den Rezipienten diese Kollektivschuld überträgt: 2,3 dedimus profecto grande patientiae documentum; et sicut uetus aetas uidit quid ultimum in libertate esset, ita nos quid in seruitute, …, 3,2 …, pauci et, ut ‹sic› dixerim, non modo aliorum sed etiam nostri superstites sumus, exemptis e media uita tot annis, quibus iuuenes ad senectutem, senes prope ad ipsos exactae aetatis termi-

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Da sich die Wahrnehmung einer Scheidelinie zwischen Narrationsakt und Erzählung schon bei früheren Historiographen nachweisen lässt, ist auch bei Tacitus von einer absichtlichen Integration dieses emphatischen auktorialen Kommentares in Form einer narrativen Metalepse auszugehen.425 Denn seine Indignation gewinnt, indem sie mithilfe dieses erzählerischen Mittels ansatzlos und unvermittelt auf den Leser eindringt, an Vehemenz und Intensität. Auch wenn die Empörung freilich einen zwar auf Nachdruck abzielenden, aber nur rhetorisch überformten Gefühlsausdruck darstellt und keineswegs zuverlässige Rückschlüsse auf das tatsächliche Innenleben des Autors zulässt, wird dem Adressaten durch die Appellstruktur dennoch eine ideale Rezeptionshaltung suggeriert, wobei ein vergleichbarer Emotionalisierungsgrad von Urheber und Rezipient beiderseits zur Schaffung einer engen Kommunikationsbeziehung beiträgt.426 Diese kann gewissermaßen als Basis einer gemeinsamen Auseinandersetzung mit den folgenden und nach auktorialer Aussage mühsamen sowie wenig attraktiven Ereignissen dienen. Damit ist Tacitus ein völlig anderes Movens zur Geschichtsbetrachtung als Livius zu eigen, der seine Tätigkeit als willkommene, ergötzliche Fluchtmöglichkeit aus dem sorgenbehafteten Alltag ansieht.427 Stattdessen kann es der kaiserzeitliche Historiograph ebensowenig wie Juvenal, der aus Überdruss über das miserable zeitgenössische Rezitationswesen und die gesellschaftliche Morallosigkeit Satiren verfasste,428 unterlassen, die sich steigernde Servilität des Senats und die zunehmende Verkehrung der Werte ins rechte Licht zu rücken. Demgemäß nimmt er allerdings erstens „gegenüber den Charakteren und Begebenheiten seiner Geschichte (keine) unbe-

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nos per silentium uenimus? sowie 45,1 f. mox nostrae duxere Heluidium in carcerem manus; nos Maurici Rusticique uisus ‹adflixit,› nos innocenti sanguine Senecio perfudit. …, cum suspiria nostra subscriberentur, …; vgl. Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 314, zur rhetorischen Technik Cousin (1951/1969), S. 124, und ‚Wir-Erzählung‘ Fludernik (2006), S. 42. Eine Überschreitung des Narrationsakts und direkte Einmischung der Aussageinstanz in die Erzählung werden von Velleius Paterculus expressis verbis thematisiert, den auch ein Gefühl der Indignation nicht mehr an sich halten lässt: Vell. 2,66,3 nihil tamen egisti, M. Antoni, (cogit enim excedere propositi formam operis erumpens animo ac pectore indignatio), nihil inquam egisti mercedem caelestissimi oris et clarissimi capitis abscisi numerando auctoramentoque funebri ad conseruatoris quondam rei publicae tantique consulis (sc. Ciceronis) incitando necem. Vgl. zu Erzählerkommentar und Metalepse Zeller (2003b), S. 505, Genette (1972/ 1998), S. 168, und Martínez/Scheffel (2007), S. 79. Vgl. Schmid (2008), S. 107, Hausmann (2009), S. 80 sowie S. 143 f., welcher auf die manipulatorische Wirkung dieser Emotionalität verweist, und Marincola (2003), der S. 306–308 aufzeigt, wie es einem Geschichtsschreiber mit einer freundlichen oder feindlichen Haltung zu Objekten seiner Geschichte gelinge, eine ähnliche Disposition beim Publikum zu erzielen. Vgl. auch Kröger (1940), S. 9 f., Christes (1990), S. 140, und Hölscher (2003), S. 47. Liv. praef. 5 ego contra hoc quoque laboris praemium petam, ut me a conspectu malorum quae nostra tot per annos uidit aetas tantisper certe dum prisca illa tota mente repeto, auertam, omnis expers curae quae scribentis animum, etsi non flectere a uero, sollicitum tamen efficere posset. Iuv. 1,1 semper ego auditor tantum? bzw. Iuv. 1,30 f. …, difficile est saturam non scribere. nam quis iniquae/tam patiens urbis, tam ferreus, ut teneat se,/…; vgl. zum Verhältnis beider Literaten sowie ihrer Darstellungen Anm. 27 (Kap. 1) sowie zu einer möglicherweise gegenseitigen Befruchtung Syme (1979), S. 277: „Indeed, for a part of their production, Tacitus may run parallel with the first poems of Juvenal.“

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wegte oder leidenschaftslose Haltung“429 ein, was Keane folglich zu Unrecht als wesentlichen Unterschied zwischen der taciteischen und juvenalischen Darstellung ansieht.430 Zweitens verstößt er auch nicht gegen eine Grundanforderung von Objektivität,431 da eine solche emotionale Präsenz des Sprechers, wie Genette darlegt, zwar Ausdruck eines persönlichen Verhältnisses zur Erzählung sei, er aber dadurch, dass er dem Leser seine wahre Gefühlslage beim Wachrufen der Erinnerungen vermittle, an Sympathie, Ehrlichkeit und letztlich Glaubwürdigkeit gewinne.432 Drittens setzt diese narrative Metalepse nach Octavias Ermordung einen Akzent, der das 14. Buch beinahe abschließt, und die affektive Impulsivität sowie unvermittelte Präsenz verleihen der Passage einen über den Kontext hinausweisenden auftaktartigen Charakter, der einen deutlichen Gliederungseinschnitt am Ende des zweiten Buches über die Herrschaft Neros markiert. Diese Funktion lässt sich in Anbetracht der mehrschichtigen Parallelität zu Kapitel 3,65 sogar noch präzisieren, welches Koestermann als Präludium zur zweiten Triade der tiberianischen Herrschaftszeit und metadiegetische Erläuterung des Kompositionsprinzips anerkennt.433 Denn darin schreibt Tacitus sein Verständnis des didaktischen Nutzens der Historiographie nieder und überlässt den empörten Aufschrei über die sklavische Haltung des Senats noch zurückhaltend sowie vordergründig dem Kaiser Tiberius, obwohl dessen Figurenäußerung nach Koestermann sowie Röver und Till ohne Zweifel der auktorialen Gedanken- und Gefühlswelt sehr nahekommt.434 Diesen Eindruck unterstreicht, dass der Ausspruch 429 Booth (1961/1974a), S. 88. 430 Vgl. Keane (2012), S. 409: „There is a striking contrast between the historian’s mandate and the satirist’s apparent strategy of unapologetic indignatio and burning hatred.“ 431 Vgl. Booth (1961/1974a), S. 88. 432 Vgl. Genette (1972/1998), S. 184, Booth (1961/1974a), S. 93, und Fludernik (2006), S. 75 f.: „Dabei unterstreichen metanarrative Kommentare des Erzählers seine Glaubwürdigkeit, weil sie seine Schwierigkeiten mit der Eruierung der wahren Vorgänge oder seine Probleme, die richtigen Worte zu finden, als Authentifizierungsstrategien begreifen lassen: der Erzähler weiß zwar nicht alles, aber er bemüht sich redlich, dem Leser einen adäquaten Bericht zu liefern.“ 433 Vgl. Koestermann (1963), S. 546: „Wenn der Historiker seine programmatischen Betrachtungen gerade an dieser Stelle eingeschoben hat, so präludiert er damit der weiteren Entwicklung unter Tiberius, die nach seiner Überzeugung von nun an immer dunklere Züge aufwies: Das ganze Kapitel dient wesentlich dem Zweck, den scharfen Einschnitt, den er zwischen dem 3. und 4. Buch vorgenommen hat, dem Verständnis zu erschließen.“, Woodman (1995/1998), S. 95, und Moles (1998), S. 158 (mit irriger Kapitelangabe). 434 Vgl. Anm. 194 (Kap. 1) sowie 3,65,2 f. ceterum tempora illa adeo infecta et adulatione sordida fuere, ut non modo primores ciuitatis, quibus claritudo sua obsequiis protegenda erat, sed omnes consulares, magna pars eorum, qui praetura functi, multique etiam pedarii senatores certatim exsurgerent foedaque et nimia censerent. memoriae proditur Tiberium, quotiens curia egrederetur, Graecis uerbis in hunc modum eloqui solitum: ‚o homines ad seruitutem paratos!‘ Vgl. zur Parallelität der moralischen und emotionalen Komponente Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 313, Koestermann (1963), S. 546 f., sowie (1968), S. 155, Schmal (2011), S. 154, und Röver/Till (1962), S. 121: „Jedes Wort dieses (Schluß-)Satzes ist von T prägnant gewählt und gestellt, in Gram und Ingrimm darüber, daß an die Stelle von libertas und virtus mehr und mehr die adulatio and das servitium der nobiles trat. Der menschenverachtende Ausspruch des Tiberius ist zugleich Ausdruck seiner eigenen Entrüstung.“ Vgl. zudem Morford (1990),

2.5 Narrative Verknüpfungstechniken

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des Prinzeps eben nicht original in griechischer Sprache, sondern trotz direkter Rede auf Lateinisch wiedergegeben und so ein narrativ vermittelndes Eingreifen evident wird. Folglich ähneln sich Pathos und emotionale Gegenwart, das thematische Versprechen, das niederträchtige Verhalten des Senats künftig nicht zu verschweigen, der proleptisch-vorstrukturierende Grundtenor und die exponierte Positionierung beider Passagen. Dementsprechend kann das Kapitel 14,64 entgegen Sages Meinung, der behauptet, die Nerobücher enthielten keinen vergleichbaren Einschnitt,435 analog als hinsichtlich des Buchendes etwas vorgezogenes Zwischenproöm der Bücher 13 bis 16 postuliert werden.436 Jenes teilt diese in zwei gleich große, eventuell auch layoutspezifisch hervorgehobene Diaden auf437 und weist bezüglich seiner inhaltlichen Programmatik klar auf die ausstehende Erzählung voraus. Ein Impetus der Entrüstung treibt zur weiteren Berichterstattung über Neros Regime an und lenkt den Fokus auf fugae et caedes sowie die servile Haltung des Senats – Themenschwerpunkte, die sich anschließend ebenfalls in dem konkreten Ausblick auf den inhaltlichen Höhepunkt des nächsten Buchs abzeichnen: unde Pisoni timor, et orta insidiarum in Neronem magna moles et improspera (14,65,2).438 Doch entgegen dieser verheißungsvollen Antizipation wird der Handlungsverlauf zu Beginn des 15. Buchs übergangslos und unvermutet geographisch von Rom nach Armenien wie auch thematisch in die Außenpolitik verlagert. Durch diese geschickte Aussetzung des Erzählstrangs auf unbestimmte Zeit kehrt in die zuletzt turbulente Ereignisfolge zwar formal ein wenig Ruhe ein, eine erwartungsvolle leserseitige Anspannungshaltung bleibt jedoch erhalten.439

435 436

437

438 439

S. 1605, Tresch (1965), S. 133, Borzsák (1968), Sp. 483, Vielberg (1987), S. 102, und Luce (1991), S. 2907. Vgl. Sage (1990), S. 966. Vgl. dazu Lämmert (1980), S. 174: „Auch Phasen und Abschnitte schließen häufig mit solchen Erörterungen, mahnenden Ausrufen oder Wünschen, und es lohnt, solche Stellen des Erzählerraisonnements unter dem Gesichtspunkt ihrer dynamischen Wirkung auf frühere oder spätere Phasen zu beurteilen.“, und Hauser (1967), S. 72. Vgl. Morris (1969), S. 75, Wille (1983), S. 563, Sage (1990), S. 964 sowie S. 968: „The triads cannot be extended beyond the Tiberian books.“, und mit einem differierenden Gliederungsansatz Koestermann (1963), S. 23, (1967), S. 8 sowie S. 349, und (1968), S. 334 – teilweise bestätigt von Wille (1983), S. 544. Martin (1990) erwägt, S. 1577 f., eine Triadenstruktur, stellt aber selbst fest, S. 1568: „Arguments of a possible hexad for Nero’s reign derive no support from the overall structure of the surviving books.“ Ferner macht ein Größenvergleich der Initialen der Nerobücher in der photographisch reproduzierten Edition von Rostagno (1902) deutlich, dass diejenigen des 13. und 15. Buchs etwas erhabener als diejenigen des 14. und 16. Buchs sind. Die bedeutenden Zäsuren in der Vorlage des Mediceus II könnten also vielleicht sogar formal aufgewertet gewesen sein, der Abschreiber dies jedoch aus mangelndem Verständnis lediglich abgeschwächt übernommen haben. Vgl. Martin (1990), S. 1567. Vgl. Morris (1969), S. 73 f.: „But, unlike the opening of the fourteenth book, that of the fifteenth dissipates the ominous force of the narrative and changes both subject and scene: […] There is actually less connection between these books than between the thirteenth and fourteenth.“

152

2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

Nach der Entstehung, dem Verlauf und dem Scheitern der Pisonischen Verschwörung überkommt Tacitus aufgrund einer endlosen Serie an Opfern des arglistigen und willkürlichen Wütens des Kaisers eine Gefühlsmischung aus Überdruss und Trauer, die er zu Beginn des Jahres 66 n. Chr. zum Ausdruck bringt. Etiam si bella externa et obitas pro re publica mortes tanta casuum similitudine memorarem, me ipsum satias cepisset aliorumque taedium exspectarem, quamuis honestos ciuium exitus, tristes tamen et continuos aspernantium: at nunc patientia seruilis tantumque sanguinis domi perditum fatigant animum et maestitia restringunt. neque aliam defensionem ab iis, quibus ista noscentur, exegerim, quam ne †oderim† tam segniter pereuntes. ira illa numinum in res Romanas fuit, quam non, ut in cladibus exercituum aut captiuitate urbium, semel edito transire licet. detur hoc inlustrium uirorum posteritati, ut, quo modo exsequiis a promiscua sepultura separantur, ita in traditione supremorum accipiant habeantque propriam memoriam (16,16,1 f.). Auch wenn ich auswärtige Kriege und Todesfälle um des Staates willen mit einer so großen Ähnlichkeit der Schicksale berichten würde, hätte mich selbst eine Übersättigung gepackt und ich würde Überdruss bei anderen erwarten, die auch von noch so ehrenhaften, aber traurigen Lebensenden von Mitbürgern dennoch nicht ununterbrochen hören wollen. Nun aber erschöpfen sklavische Unterwürfigkeit und so viel in der Heimat verschwendetes Blut den Geist und beklemmen ihn mit Traurigkeit. Aber keine andere Entschuldigung möchte ich bei diesen, die dies zur Kenntnis nehmen werden, anführen, als dass ich diejenigen, die so widerstandslos zugrunde gingen, nicht hasse. Von jener Art war der Zorn der göttlichen Mächte gegen das römische Staatswesen, dass er nicht wie bei Niederlagen von Heeren oder der Eroberung von Städten nach einmaliger Erwähnung übergangen werden darf. Von den berühmten Männern soll dieser Aspekt der Nachwelt übergeben werden, dass sie, wie sie sich hinsichtlich ihres Begräbnisses von einer gewöhnlichen Bestattung unterscheiden, so in der Überlieferung ihrer letzten Augenblicke ein eigenes Andenken erhalten und haben sollen.

„È un momento di intensa passionalità“,440 wie Bellardi die emotionale Präsenz des Autors, die sich vor allem in den Verbformen der ersten Person Singular und in dem auf die Zeit der Narration bezogenen nunc widerspiegelt, an der vorliegenden Stelle beurteilt. Während diese gefühlsbetone Gegenwart gewiss mit derjenigen in Kapitel 14,64 korrespondiert und so eine affektive Querverbindung schafft, erinnert die thematische Komponente besonders an ähnliche Inhalte in den Paragraphen 4,33,3 und 6,7,5. Obwohl Morris die Variante einer Parallelität der Passagen 4,33,3 und 16,16 favorisiert, da die eine im vierten Buch über Tiberius’ Herrschaft, die andere im vierten Nerobuch zu finden sei, worin er ein Indiz für einen ebenfalls hexadischen Aufbau der Nerobücher erkennen möchte, ist dieser Schluss dennoch keineswegs zwingend.441 Denn angesichts des obigen Befundes, der Kapitel 14,64 als Zwischenproöm identifiziert, könnte diese narrative Metalepse ebenso analog zu 6,7,5 platziert sein, sodass die letzten Bücher der jeweiligen Herrschaftsperioden korrespondierten, und zwar sogar in etwa an derselben intratextuellen Position, wenn man berücksichtigt, dass ein Teil des Anfangs des 6. Buchs verloren ist. In beiden Fällen deutet die inhaltliche sowie die kompositionelle Übereinstimmung 440 Bellardi (1974), S. 136; vgl. zum obigen locus desperatus Suerbaum (2015), S. 295 f. mit Anm. 188. 441 Vgl. Morris (1969), S. 252 f., und auch Heldmann (2013), S. 351 f., Wille (1983), S. 525 sowie S. 584, und Morford (1990), S. 1616: „It is very unlikely that book 16 was meant to mark a division in the reign analogous to that at the beginning of Book 4.“

2.5 Narrative Verknüpfungstechniken

153

auf eine planvolle Anlage und bewusste rhetorische Gestaltung hin, weshalb die beabsichtigte leserseitige Wirkung dieser Unzufriedenheitsbekundung, zumal diese so überzeugend ausgearbeitet ist, dass sogar die Kommentatoren Koestermann sowie Röver und Till sich davon blenden ließen,442 wie auch ihr prospektivischer Gehalt eingehender zu betrachten sind. Nach Ansicht des Erzählers führt nämlich die Kombination einer stetigen Gleichförmigkeit des Geschehens, die zugleich der Hauptauslöser seines eigenen Überdrusses ist, und einer überwältigenden Tristesse der Ereignisse zum Erliegen jeglicher Lesefreude. Damit verleiht er wider besseres Wissen und e contrario nicht nur einem hypothetischen Empfinden der Rezipienten Ausdruck, sondern spricht dem Leser implizit seine Bewunderung für die bisher aufgebrachte Lektüreanstrengung und dessen Durchhaltevermögen aus.443 Daraus entsteht die Suggestion einer gewissen Leidensgemeinschaft beider Kommunikationsinstanzen, aus der ein vorzeitiges Ausscheiden nicht vorgesehen ist, weshalb ein Lektüreabbruch trotz der angeführten Strapazen letztlich mit keinem Wort in Erwägung gezogen wird. Während Livius jedoch in einer respektvollen Würdigung der ununterbrochenen Standhaftigkeit der historischen Personen im Krieg seine eigene Leidensfähigkeit und die des Lesers begründet,444 passt Tacitus diese Art von Apostrophe seinen Plotspezifika an. Nicht mehr die im langjährigen Krieg erlebten Mühsale dienen als Tertium Comparationis, sondern aufgrund veränderter Umstände verschiebt sich der Referenzpunkt auf die unermessliche Geduldigkeit der Protagonisten, deren persönlicher Würde und deren Ansehen es der Autor wie auch der Leser schulden, die unvorstellbaren Gräueltaten pietätvoll mitzuertragen. Obgleich also anfangs ein gewisser Eindruck übertriebender Bescheidenheit und endgültiger Resignation diese Passage beherrscht, wird daraus, dass der Urheber dennoch sein grundlegendes Darstellungsziel, detur hoc inlustrium uirorum posteritati, nicht aus den Augen verliert, welches er bereits seit dem Proömium des ‚Agricola‘ verfolgt,445 deutlich, dass er hier einen rhetorisch-psychologischen 442 Vgl. Koestermann (1968), S. 9: „Auch im 16. Buch ist es in der Hinsicht keineswegs zum Besten bestellt, und die eher berüchtigte als berühmte Digression cap. 16 ist so wenig in sich ausgeglichen, daß es auf den Betrachter beunruhigend wirkt: Die Emotion ist so mit Tacitus durchgegangen, daß er den Boden unter den Füßen verloren hat.“, sowie ders., S. 365 f., Röver/Till (1969), S. 75 f., Morris (1969), S. 253, Müller (2003), S. 194, und Suerbaum (2015), S. 440. 443 Vgl. Marincola (1997), S. 150 f., und auch Pausch (2011), S. 133, ähnlich über Livius: „Er bedient sich damit einer auch sonst von ihm in der Kommunikation mit dem Leser angewandten Strategie, die darin besteht, daß er seine eigene Mühe bei der Abfassung des Werkes betont, um auf diese Weise die Motivation des Rezipienten zur Lektüre zu steigern.“ 444 Liv. 10,31,15 quinam sit ille quem pigeat longinquitatis bellorum scribendo legendoque quae gerentes non fatigauerunt? Vgl. zur Livius-Stelle Pausch (2011), S. 73, und Morford (1990), S. 1594. 445 Als Pendant aus dem Proömium des ‚Agricola‘ 1,1 clarorum uirorum facta moresque posteris tradere, … sowie der ‚Historien‘ 1,1,1 … neutris cura posteritatis … bzw. 1,3,1 supremae clarorum uirorum necessitates, fortiter toleratae et laudatis antiquorum mortibus pares exitus. Vgl. Luce (1991), S. 2911: „Tacitus’ focus is as much retrospective as it is prospective: the moral excellence of men of the past must be brought to light and receive a place of honor in a memorial whose own high qualities will ensure its survival in future ages.“, und zum Auftrag

154

2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

Kunstgriff vollzieht. Vom Impuls einer kommemorativen Aussageabsicht angetrieben hebt er nach dieser kurzen Atempause noch ein letztes Mal an und stellt dem Rezipienten mit einer Fülle darstellungswürdiger Individualschicksale einhergehend eine erneute Steigerung der Ungeheuerlichkeit und Abnormalität der Vorfälle in Aussicht, die der Erzählung eine paradoxe Attraktivität verleiht. Dabei stiftet „das Ineinanderverwobensein von nahegebrachtem Geschehen und distanzschaffendem Kommentieren […] (ein) Wechselbad der Stimmungen und Empfindungen“,446 wie Christes hervorhebt. Aufgrund differierender Motive sind Sprecher und Rezipient demgemäß an einer Fortsetzung der Erzählung interessiert: Die innere Zerrissenheit zwischen einer totalen Ablehnung sowie Freudlosigkeit an der Thematik und einer pflichtbewussten Erfüllung der gefassten Intention einerseits korrespondiert gewissermaßen mit der Diskrepanz einer durch die auktorialen Einschübe evozierten rationalen Verurteilung der Ereignisse und einer dennoch davon ausgehenden Faszination andererseits. Zugleich wird ein abstrakter, programmatischer Ausblick auf den weiteren Handlungsverlauf des 16. Buchs gegeben. Denn die abwechslungsreich inszenierten und stilistisch ausgefeilten weiteren Ermordungen wie Annaeus Melas, Petrons, Barea Soranus’ sowie von dessen Tochter Servilia und Thrasea Paetus’ lassen nicht nur einen steten Drang nach Erhöhung der Dramatik erkennen und verstehen anhand ihrer anschaulichen Brutalität und Unmenschlichkeit die Aufmerksamkeit des Lesers immer von Neuem zu binden, sondern erzeugen auch individuelle und memorable Situationen.447 Folglich ist die obige, in die rhetorische Form einer excusatio propter infirmitatem gekleidete Apostrophe als inhaltlicher Vorverweis zu erachten,448 der das möglicherweise letzte Buch über Neros Prinzipat einleiten, die Leserbindung noch einmal straffen sowie insbesondere gekonnt einem potenziellen Unmut über die Hauptdarstellungsthematik zuvorkommen soll. Unter dieser kritischen Sichtweise schwindet der emotionale Anstrich eines unreflektierten Gefühlsausbruchs und das narrative Kalkül wird erkennbar, nach dem Tacitus die Gliederung seiner Erzählung, sein Einfühlungsvermögen in die Psyche des Rezipienten und seine emotionale Präsenz planvoll bemisst.

sowie der Macht der cura posteritatis vgl. auch Plin. epist. 5,8,2, Quint. inst. 10,1,31 bzw. Lukian. hist. conscr. 39 sowie 61, Luce (1991), S. 2916–2922, Woodman (2012a), S. 231, Geisthardt (2015), S. 347, Suerbaum (2015), S. 574, und Heubner (1963), S. 12. 446 Christes (1990), S. 140. 447 Demgegenüber berücksichtigt Suerbaum (2015), S. 441, den Unterhaltungswert dieser Passagen bei seiner Besprechung von 16,16 nicht, weil er von einem zu positiv geprägten und damit eingeschränkten Unterhaltungsbegriff ausgeht. In den von ihm angeführten Exempla ergötzlicher Textstellen fehlen folglich tragische Passagen wie die Morde an Britannicus, Agrippina, Octavia, Seneca etc. Dass jedoch gerade derartige Stoffe bei den Rezipienten auf ein gesteigertes Interesse stoßen, zeigt ein Blick auf bevorzugte Themen nicht nur der antiken Theaterkultur, sondern auch der modernen Filmindustrie. 448 Vgl. Genette (1987/1992), S. 201.

2.5 Narrative Verknüpfungstechniken

155

Proleptische Elemente in den Nerobüchern – ein quantifizierender Überblick Die voranstehenden, auf spezifischen illustrativen Beispielen basierenden Darlegungen zu unterschiedlichen Prolepsenformen schließt eine quantitative Betrachtung ab. Die narrativen Vorgriffe sind ebenfalls hinsichtlich Genettes exklusiven Rubriken sowie in Anlehnung an Lämmert nach kontextuellen Positionen und gemäß dem vorgestellten funktionalen Klassifikationsschema systematisch erfasst.449 Weil die erzählerische Bedeutung eines proleptischen Einschubs gerade unter einer singulären Kombination heterogener Aspekte zu erklären ist, indem beispielsweise inhaltlich informierende mit personenbezogenen oder subjektiv nuancierten Prolepsen einhergehen, sind die Kategorien funktionaler Formen nicht disjunkt konzipiert und Mehrfachzuweisungen möglich. Da diese auf Einzelfälle beschränkt bleiben, beeinträchtigt dies die Zuordnungsselektivität wie auch Repräsentativität der Klassen jedoch nicht.450 Obwohl sich bei einfacher Zählung nur ungefähr halb so viele Pro- wie Retrospektionen in den Nerobüchern identifizieren lassen, sind angesichts einer Gesamtanzahl von 168 proleptischen Elementen und einem Durchschnittswert von ungefähr zwei Vorausdeutungen je drei Kapitel, wie aus Tabelle 2 zu erkennen ist, dennoch Grethleins und Suerbaums Einschätzungen, proleptische Geschehnisse seien eher Ausnahmeerscheinungen in den Annalen, eindeutig zu negieren.451 Ihre Reichweite variiert zwischen wenigen Augenblicken bei lokal die Erzählung strukturierenden inhaltlichen oder deiktischen Vorverweisen und spätesten heute noch datierbaren Fakten, wie den Toden Pomponia Graecinas oder Pompeius Silvanus’ jeweils im Jahre 83 n. Chr.452 Werden allusive Vorgriffe berücksichtigt, erstreckt sie sich bis zu Nervas Prinzipat respektive, falls metadiegetische Prolepsen miteinbezogen werden, bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Narration.453 Der Umfang prospektiver Einlagen kann sich auf wenige Anspielungen und prägnante Hinweise beschränken oder bis zu eine halbe Textseite, beispielsweise anlässlich der kontroversen Diskussion von Thrasea Paetus’ hypothetischen Verhaltensmöglichkeiten nach Neros Anklage, erreichen.454 449 Vgl. Anm. 214 und Anm. 217 f. Eine vollständige rubrizierende Auflistung aller Prolepsen ist Anhangstabelle 2 zu entnehmen. 450 Dies unterstreichen statistische Analysen, die zwischen den sechs formalen Prolepsenklassen keine positiven Zusammenhänge aufweisen. 451 Vgl. Grethlein (2013), S. 178, der zu Unrecht das annalistische Schema als Hindernis für die Integration von Prolepsen benennt, und Suerbaum (2015), S. 384, der zu diesem Resultat aufgrund seiner vorab verengten, theoretisch nicht fundierten Auffassung proleptischer Elemente gelangt. Denn dieser berücksichtigt auf S. 385–391 zwar deren Erfüll- und Unerfüllbarkeit in Lämmerts Sinne, erfasst aber letztendlich nur explizite Vorgriffe. 452 Vgl. hierzu z. B. Anm. 330 oder Anm. 417 bzw. Anm. 370 oder Anm. 374 mit Eck (1972), S. 273, und Suerbaum (2015), S. 305. Eine exakte Bestimmung, welche externe historische Prolepse die größte Reichweite besitzt, kann im Allgemeinen freilich nur unter dem Vorbehalt erfolgen, dass von vielen Protagonisten heutzutage nichts über das konkrete Todesdatum bekannt ist. 453 Vgl. Anm. 383 bzw. 14,64,3 oder 16,16,1 f. 454 Vgl. Anm. 383 oder Anm. 417 bzw. 16,25,1–26,3.

156

2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

Tabelle 2: Absolute Häufigkeiten proleptischer Elemente nach Analysekategorien und Buchzugehörigkeit getrennt Kategorie

Buch 13 58 Kapitel

Buch 14 65 Kapitel

Buch 15 74 Kapitel

Buch 16 35 Kapitel

Gesamtanzahl 232 Kapitel

33

39

44

14

130

Prolepsenarten intern extern

9

16

8

5

38

kompletiv

15

28

24

7

74

iterativ

27

27

28

12

94

partiell

38

53

50

17

158

4

2

2

2

10

komplett Kontextuelle Positionen Jahres-/Episodenbeginn

9

14

15

8

46

Jahres-/Episodenende

20

21

13

2

56

Innenpolitik

35

48

43

19

145

Außenpolitik

7

7

9

0

23

26

23

24

8

81

Funktionale Formen inhaltlich informierend handlungsexklusiv

6

6

3

0

15

allusiv

2

10

5

5

22

(pseudo-)prodigial

7

7

9

1

24

subjektiv nuanciert

6

8

13

3

30

deiktisch Gesamtanzahl Durchschnitt pro Kapitel (Standardabweichung)

5

5

8

3

21

42

55

52

19

168

0,72 (0,77)

0,85 (0,87)

0,70 (0,86)

0,54 (0,61)

0,72 (0,81)

Den Systematisierungen nach Prolepsenarten und kontextuellen Positionen sowie den Gesamtanzahlen pro Buch liegen paarweise disjunkte Kategorisierungen zugrunde. Bei funktionalen Formen sind Mehrfachnennungen möglich.

Da wiederum der große Textverlust im 16. Buch und die differierenden Buchumfänge für direkte Gegenüberstellungen der absoluten Prolepsenanzahlen inadäquat sind, erscheinen ausschließlich Vergleiche unter Rücksicht auf die buchweisen Kapitelzahlen zulässig. Mittels hierzu im Rahmen einer einfaktoriellen Varianzanalyse angewandter Post-hoc-Tests lässt sich zeigen, dass die Mittelwertunterschiede von bis zu 0,31 zwischen einzelnen Büchern nicht signifikant sind. Das heißt, dass zwischen diesen keine überzufälligen Schwankungen bezüglich der durchschnittlichen Anzahl an Vorausblicken pro Buch existieren.455 Ebenso sind trotz etwaig auffälliger absoluter Häufigkeiten in Tabelle 2 auch hinsichtlich aller erfassten 455 In diese Varianzanalyse geht die Anzahl der Prolepsen als abhängige, die Buchzugehörigkeit als unabhängige Variable ein [F(3,228) = 1,10, p = 0,35], wobei aufgrund leicht differierender

2.5 Narrative Verknüpfungstechniken

157

Arten,456 Positionierungen und funktionalen Kategorien mithilfe einer entsprechenden statistischen Vorgehensweise keine signifikanten Veränderungen festzustellen. Des Weiteren liegen lokal 19 Textpassagen vor, die aus einer unmittelbaren Folge von vier oder mehr Kapiteln bestehen, die unterdurchschnittlich wenige oder keine Vorausdeutungen enthalten. In solch reduzierter Anzahl finden sich diese während handlungsreicher außenpolitischer Berichterstattungen wie Suetonius Paulinus’ Kampf gegen die britannische Königin Boudicca, in Abschnitten, die vorwiegend analeptisch geprägt sind wie der Beginn des 15. Buchs, oder an szenischen Spannungshöhepunkten wie der Aufdeckung der Pisonischen Verschwörung und insbesondere, wenn diese drei Aspekte koinzidieren.457 Ein Abgleich mit denjenigen Stellen, an denen Analepsen rar sind,458 offenbart zudem eine wechselseitige Ergänzung und sukzessive Anlage entsprechender Partien, sodass eine planvoll gestaltete, dem narrativen Spannungsaufbau dienende Anordnung vorausweisender und zurückblickender Einschübe evident wird. Eine quantitative Betrachtung proleptischer Elemente bildet folglich einen abwechslungsreichen Darstellungsrhythmus ab, aus dem sowohl auf globaler als auch lokaler Textebene nicht auf eine unzureichende Fertigstellung einzelner Bücher oder Buchabschnitte über Neros Prinzipat zu schließen ist. Fazit Die qualitativ wie auch quantitativ orientierten Analysen zu proleptischen Elementen in den Nerobüchern zeigen deren erheblichen Variationsreichtum hinsichtlich Gestaltungsformen, textuellen Positionierungen, Reichweiten und Umfängen wie auch Funktionen auf. Inhaltlich informierende Prolepsen geben als vorausweisende Episodeneinleitungen einen knappen Überblick über das anschließende Geschehen und tragen so zu einer örtlichen Kohäsionsbildung bei. Sie verhelfen dem Leser teils als einstufige, teils als mehrstufige Vorausblicke sowohl im außen- als auch innenpolitischen Kontext und oftmals über mehrere Jahresberichte hinweg zu einer antizipatorischen Verknüpfung und mentalen Vorstrukturierung von durch das annalistische Schema separierten protagonisten- oder themenspezifischen Handlungssträngen, deren Fortsetzung erwatungsvoll präfiguriert wird. Dadurch sind derartige Prolepsen hinsichtlich ihrer Stellung wie auch Verwendungsfacetten nicht nur als narrative Komplemente entsprechend eingesetzter Analepsen zu erachten, sondern gewähren in Einzelfällen sogar thematische Ausblicke auf nicht erhaltene Teile der ‚Annalen‘. Daneben ist ein systematischer Gebrauch iterativer Elemente Stichprobenanzahlen, aber vorliegender Varianzgleichheit die Post-hoc-Prozedur nach Gabriel angewandt wird; vgl. Anm. 316. 456 Auch Genette (1972/1998), S. 53, konstatiert eine relative Seltenheit kompletter Prolepsen. 457 13,34,1–37,2, 13,38,1–41,3, 13,53,1–56,2, 14,23,1–28,1, 14,34,1–39,1, 15,8,1–14,2, 13,25,4– 30,1, 14,18,1–21,4, 15,1,1–4,3, 15,18,1–22,1, 16,7,2–15,2 bzw. 14,4,1–8,5, 14,40,3–45,1, 15,29,2–32,1, 15,38,2–41,2, 15,43,5–46,2, 15,54,1–63,2, 16,1,1–5,2, 16,28,2–32,1; vgl. hierzu Anhangstabelle 2. 458 Vgl. Anm. 318.

158

2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

zu konstatieren, welche kontinuierliche sowie sich implizit wiederholende Parallelhandlungen initiieren oder beenden und damit den weiteren Verlauf der Erzählung vorauszeichnen sowie permanent latente leitmotivische Folien zu den konkretisierten Vorfällen bieten. Figurenbezogene Anachronien werden einerseits regelmäßig bei Handlungsaustritten von Protagonisten als vornehmlich externe Ausblicke auf deren weiteres Leben abseits des Plots eingebunden, die die Basiserzählung um mehrere Jahre überschreiten und dadurch eigene kleine Geschehensstränge eröffnen können. Diese personenspezifischen Zukunftsbiographien en miniature korrespondieren mit der kompletiven Charakterdarstellung analeptischer Textbestandteile und kommen speziellen leserseitigen Interessen an Einzelschicksalen entgegen. Häufig werden sie ebenfalls zu kontrastreichen sowie Zweifel an einer göttlichen Theodizee erregenden Gegenüberstellungen von unterschiedlichen Konsequenzen historischer Ereignisse für Täter und Opfer genutzt. Andererseits werden zahlreiche informationsarme Vorhalte auf berühmte Persönlichkeiten, obwohl diese für die gegenwärtige Handlung lediglich von geringer Relevanz sind, gezielt integriert. Durch diese allusive Nennung der wohlbekannten, klangvollen Namen wird der Rezipient punktuell auf deren geschichtsträchtige Verwicklungen in das nachfolgende Geschehen der ‚Historien‘ aufmerksam gemacht, werden diesbezüglich vielversprechende Erwartungen geschürt und somit bewusste Anreize für eine der Publikationsreihenfolge entgegengesetzte, kontinuierliche Lektüre der beiden historischen Schriften geschaffen. Als gattungsgenuine Positionen für repetitive Prolepsen sind ferner Prodigienberichte anzusehen, deren Omina verklausuliert und verheißungsvoll überwiegend zeitnahe künftige Vorkommnisse ankündigen, ohne diese aufgrund ihrer reduzierten Zukunftsgewissheit absolut zu determinieren. Da also alternative bedrohliche Handlungsszenarien weiterhin möglich erscheinen, generieren sie stets sinistre Atmosphären und ein beunruhigendes Anspannungsempfinden aufseiten des Rezipienten. Auch können sie durch eine Mischung aus retro- und prospektivischen Anteilen als thematische Überleitungen fungieren, welche das leserseitige Vorwissen hinsichtlich eines bevorstehenden Vorfalls zugleich aktualisieren und diesen andeutungsweise vorwegnehmen. Diesselben Funktionen können pseudoprodigiale Elemente übernehmen, denen, obgleich sie keine typisch ominösen Inhalte bergen, aufgrund ihres Kontexts und ihres kryptischen Gehalts eine stimmungsgenerierende Komponente und vorausdeutende, schicksalhafte Tragweite anhaftet. Zukunftsbezogenen Figurenvorstellungen und -äußerungen sind außerdem Antizipationen späterer Vorkommnisse mit einer ausgeprägten subjektiven Nuancierung und einer recht zweifelhaften Zuverlässigkeit der explizierten Zukunftsmodelle inhärent. Dadurch gewähren gerade diese Formen Gelegenheiten, abweichende individuelle Ereignisverläufe hypothetisch zu erwägen und kontrastiv gegenüberzustellen. Aus diesen konkurrierenden potenziellen Versionen resultiert ein kognitiv anregender Dissonanzeffekt, der den Leser nicht nur zur eigenen Auseinandersetzung mit der Historie und geistigen Vorwegnahme möglicher geschichtlicher Weitergänge anhält, sondern ihn sogar kurzfristig hinsichtlich

2.5 Narrative Verknüpfungstechniken

159

seines historischen Vorwissens verunsichern und dessen Interesse sowie Konzentration für die tatsächliche Entwicklung schärfen kann. Des Weiteren ist der Beurteilung Hartkes, die metadiegetischen Vorgriffe stellten „oberflächliche Symptome eines viel tiefer reichenden künstlerischen Verfahrens“459 dar, vollauf zuzustimmen. Denn als akzentuierte, prästrukturierende Textelemente bieten diese lokal begrenzte Überblicke über monothematische Bereiche wie Biographien460 oder benennen direkt weitreichende leitmotivische Schwerpunkte der nachfolgenden Erzählung. Dadurch vermitteln sie den Eindruck einer stringenten und überlegten Diskursgliederung,461 erleichtern sie die textinterne Orientierung des Lesers, fokussieren sie gezielt dessen Aufmerksamkeit und geben sie geradezu konkrete Rezeptionshinweise. Zudem werden gleichsam Einblicke in den produzierenden Narrationsakt gestattet, aufgrund persönlicher emotionaler Kommentare sowie eines vergleichbaren kulturellen und ideellen Horizontes die Beziehungsdistanz zwischen Autor und Rezipient verringert sowie damit eine vertrauensvolle virtuelle Gemeinschaft geschaffen. Kompositionelle Stellung, suggerierte Intensität und aufgezeigtes Wirkungspotenzial der eindringlichen metaleptischen Appelle legen zudem eine intendierte, markante Zäsursetzung und eine impulsive, für die anschließende Berichterstattung aussagekräftige Programmatik in Kapitel 14,64 nahe, sodass dieses als Binnenproömium der Nerobücher zu erachten ist. Diese summarische Zusammenstellung der variablen textuellen Kollokationen und speziellen Verwendungsweisen proleptischer Elemente macht letztlich vor allem auf drei grundlegende Funktionen aufmerksam. Erstens setzen sie die Basishandlung regelmäßig aus und erzeugen eine individuelle Rhythmisierung sowie abwechslungsreiche Dynamik, die die jahrweise fortschreitende, monotone Zeitgliederung der Erzählung temporär aufhebt. Dies beeinflusst das Lektürevergnügen insbesondere dann positiv, wenn die Unterbrechungen an spannungstektonisch kritischen Stellen erfolgen, um differenziert auf derzeitige Nebensächlichkeiten einzugehen und den Geschehensverlauf gezielt zu retardieren. Zweitens kommt Prolepsen eine vorstrukturierende Funktion zu, die nicht auf die Facette einer gezielten Manipulation leserseitiger Einstellungen gegenüber Personen und Ereignissen zu reduzieren ist.462 Vielmehr leisten diese einen essenziellen Beitrag zur Verknüpfung von Handlungssträngen, die durch die annalistische Ordnung getrennt werden, und stellen chronologische und thematische Verbindungen her.463 Sie verweisen den Rezipienten auf eine Fortsetzung des jeweiligen Geschehens und verhelfen ihm nicht nur zu einer vorausblickenden Orientierung im Werk, sondern wecken dessen Interesse und Neugierde am Handlungsweitergang. Dies leitet zu einer dritten basalen Verwendungsweise proleptischer Elemente über, die Junkerjürgen folgendermaßen beschreibt: „Auch wenn Vorausdeutungen [nämlich] nicht zu den spannungsdefinierenden Elementen gehören, übernehmen sie eine wichtige Rolle in der 459 460 461 462 463

Hartke (1959), S. 183. Vgl. Suerbaum (2015), S. 388, der Ähnliches für die Vorgriffe in den ‚Historien‘ konstatiert. Vgl. Suerbaum (2015), S. 375 sowie S. 384. Vgl. Welskopf (1961), S. 362, und Hausmann (2009), S. 145. Vgl. Suerbaum (2015), S. 375 sowie S. 384.

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Vorbereitung des Lesers auf Spannung. Sie fungieren als Aufmerksamkeitsinstruktionen für den Rezipienten, indem sie seine Konzentration auf eine mögliche oder bestimmte Gefahr fokussieren. Dadurch erhöhen sie seine Beteiligung und bereiten ihn optimal auf einen Affekthöhepunkt vor.“464 Diese narrative Technik erweist sich indes als besonders effektiv, wie Pausch festhält, „wenn die Vorverweise wiederholt erfolgen und mit einer schrittweisen Präzisierung der drohenden Gefahr einhergehen“,465 was gerade anhand der prodigialen und pseudoprodigialen Elemente oder mehrstufigen Vorausdeutungen zu erkennen ist. Als wesentliches narratives Gestaltungsmittel führen Prolepsen neben kontextspezifischen Funktionen folglich zu einer auflockernden Rhythmisierung sowie einer kognitiv aktivierenden Komplexitätssteigerung des von einem Netzwerk anachroner Elemente durchzogenen Diskurses und zur Erzeugung von ausgeprägten Erwartungshaltungen sowie Zuständen innerer Unruhe aufseiten des Rezipienten. Demgemäß und unter Beachtung der ontologischen Hybridform der Geschichtsschreibung muss Seels und Friedrichs Kritik an vorausdeutenden Einlagen, die vom historischen Standpunkt der Protagonisten aus unmöglich und vielmehr Kennzeichen einer fiktionalen Literatur seien, die einer seriösen, faktualen Historiographie nicht anstünden,466 schließlich als unzutreffend und überholt gelten. 2.6 SINGULATIVE AKZENTUIERUNG UND ITERATIVE SIMPLIFIZIERUNG Bei der Betrachtung von Anachronien war in mehreren Einzelfällen bereits ein repetitiver oder iterativer Umgang mit Erzählinhalten, die sich auf einem gewissen Abstraktionsniveau wiederholen, zu konstatieren, was dem Diskurs nach Zipfel tendenziell einen fiktiven Status verleiht.467 Vor allem die Analyse der Textstellen 14,65 und 16,16 legte dar, dass diese als iterative Vorgriffe neben einem prädisponierenden auch einen programmatischen Charakter besitzen, indem sie auf unterschiedliche zentrale Themen der nachstehenden Handlung vorausweisen. Diese ersten Befunde initiieren eine darauf fußende, eigenständige und nicht ausschließlich auf anachrone Passagen beschränkte Untersuchung des Aspekts der Frequenz in der Erzählung. Dieser soll im Folgenden durch einige sinnfällige Beispiele illustriert werden, wohingegen eine vollständige, an Genettes Kriterien orientierte Indizierung singulativ respektive iterativ präsentierter Ereignisse im Anhang einzusehen ist.468 464 Junkerjürgen (2002), S. 59; vgl. dazu ders., S. 55–60, und Suerbaum (2015), S. 375 sowie S. 384. 465 Pausch (2011), S. 225; vgl. auch ders., S. 236. 466 Vgl. Seel (1937), S. 39, und Friedrich (1958), S. 135. 467 Vgl. Zipfel (2014), S. 111, und Genette (1972/1998), S. 82 f. 468 Vgl. zur Begrifflichkeit der Singulativität, Iterativität, generalisierenden bzw. externen Iteration, zusammenfassenden bzw. internen Iteration, Determination, Spezifikation und Extension Genette (1972/1998), S. 82 f., S. 85 bzw. S. 91 f., zur Übertragbarkeit auf faktuale Erzählungen ders. (1991/1992), S. 75, Martínez/Scheffel (2007), S. 45–47, und Anhangstabelle 3.

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Eindringliche regelmäßige Wiederholungen Um das Fehlverhalten der Senatorenschaft gemäß der angekündigten Darstellungsintention, die unermessliche adulatio (14,64,3) und seruilis patientia (14,64,3, 16,16,1) aufzuzeigen,469 durch die absolute Häufigkeit der Vorfälle prononciert herauszustellen, werden die jeweiligen Szenen senatorischer Servilität von nun an, aber ohne abschließende Determination, singulativ wiedergegeben.470 Dies führt dem Leser die Ausmaße der depravierten Haltung unkaschiert vor Augen und dokumentiert eindrucksvoll den selbstverschuldeten Niedergang dieser ehemals bedeutenden staatlichen Institution, wobei sich die Absurdität der Auswüchse kontinuierlich steigert und sich gewissermaßen eine ununterbrochene Aufwärtsspirale stets neuartiger Fälle abzeichnet: neque tamen silebimus, si quod senatus consultum adulatione nouum aut patientia postremum fuit (14,64,3).471 Obwohl das knechtische Verhalten des Senats also als ein unter der Spezifikation quotiens – totiens (14,64,3) regelmäßig wiederkehrendes Diskurselement zu erachten ist, schmälert dies den Unterhaltungswert nicht, da dieses thematische Motiv fortwährend variiert sowie erweitert wird und der Leser besorgt die jeweils nächste Verfallsstufe der senatorischen Dignität antizipieren kann. Indem Tacitus dadurch „einen scheinbar unaufhaltsamen historischen Prozess mit besonderem erzählerischen Raffinement (stilisiert), so dass die Nero-Bücher der Annales zum Musterbeispiel dafür geworden sind, wie dank der tätigen Mitwirkung des Senates aus dem virtuellen ein wirklicher malus princeps wird“,472 resultiert aus dieser speziellen inhaltlichen Fokussierung zugleich ein didaktischer Mehrwert, der dessen Geschichtsschreibung von derjenigen seiner Vorgänger abhebt.473 Angesichts der grenzen- und erbarmungslosen Grausamkeit, mit der Nero wiederholt Todesbefehle ausspricht sowie ausführen lässt, wird ebenfalls die Möglich469 Vgl. Walker (1952), S. 26 sowie S. 220 f., Hauser (1967), S. 70 f., Oakley (2009a), S. 188, Wittrich (1972), S. 150 f., Kröger (1940), S. 9, Vielberg (1987), S. 107 f., Schmal (2006), S. 245, Ginsburg (1981), S. 92, Städele (1990), S. 110, Suerbaum (2015), S. 293 mit Anm. 185, und Heldmann (2013), S. 328 f.: „Aber obwohl die These, dass der eigentliche Grund für die Übermacht des Prinzeps in der Selbstentmachtung des Senats zu suchen sei, seine gesamte Darstellung der Kaiserzeit bestimmt, hat Tacitus die letzte Konsequenz daraus erst in den Nero-Büchern gezogen.“ 470 Vgl. Genette (1972/1998), S. 82, und Martínez/Scheffel (2007), S. 45. Exempel für diese Thematik sind außer in Paragraph 14,64,3 an folgenden Stellen gegeben: 13,8,1, 41,4; 14,12,1, 59,4; 15,18,1, 23,1–3, 73 f.; 16,4,1, 11,3, 16,1. Dabei betont Vielberg (1987), S. 107, dass dieser Sachverhalt demgegenüber an keiner Stelle in den ‚Historien‘ zu finden sei. 471 Welch würdevolle Stellung der Senat hingegen in scharfem Kontrast zu seiner gegenwärtigen erbärmlichen Lage einnehmen sollte, drücken Othos Worte prägnant aus, hist. 1,84,4 aeternitas rerum et pax gentium et mea cum uestra salus incolumitate senatus firmatur. hunc auspicato a parente et conditore Vrbis nostrae institutum et a regibus usque ad principes continuum et immortalem, sicut a maioribus accepimus, sic posteris tradamus; vgl. dazu Schmich (1960), S. 118 f., und Allgeier (1957), S. 207 f., der sogar einen werkübergreifend fortschreitenden moralischen, kulturellen und gesellschaftlichen Niedergang ausmacht. 472 Heldmann (2011), S. 118; vgl. Luce (1991), S. 2912 f., Ginsburg (1981), S. 88, und dies. (1993), S. 102. 473 Vgl. Vielberg (1987), S. 112.

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keit einer kumulierten Erwähnung verworfen und stattdessen eine streng singulative, durch non, …, semel edito transire licet (16,16,2) spezifizierte, zeitlich undeterminierte narrative Vorgehensweise gewählt.474 Denn obzwar viele Opfer der neronischen Willkür sich im Leben nicht an den gepriesenen Idealen modestia und obsequium orientierten475 und allzu widerstandslos verschieden, sieht es Tacitus als moralische und gesellschaftliche Pflicht an, jeder Person mittels einer singulativen Darstellungsweise einen rechtmäßigen Platz in der Geschichte und ein persönliches Andenken, propriam memoriam (16,16,2), bei der Nachwelt zu sichern.476 Dies soll verhindern, dass diese hinsichtlich ihrer Lebensführung – davon abgesehen – untadeligen und ehrwürdigen Staatsbürger in der absurden Menge der Todesfälle und hinter den Irrlichtern vermeintlicher Helden in Vergessenheit geraten.477 „Im Histo474 Vgl. dazu entsprechend hist. 3,51,2 sed haec aliaque ex uetere memoria petita, quotiens res locusque exempla recti aut solacia mali poscet, haud absurde memorabimus; vgl. Kroymann (1952/1969), S. 154, Damon (2010), S. 355, Suerbaum (2015), S. 294 sowie S. 408 f., und Gowing (2016), S. 52. 475 Agr. 42,4 sciant, quibus moris est inlicita mirari, posse etiam sub malis principibus magnos uiros esse, obsequiumque ac modestiam, si industria ac uigor adsint, eo laudis excedere, quo plerique per abrupta sed in nullum rei publicae usum ambitiosa morte inclaruerunt. und 4,20,3 unde dubitare cogor, fato et sorte nascendi, ut cetera, ita principum inclinatio in hos, offensio in illos, an sit aliquid in nostris consiliis, libeatque inter abruptam contumaciam et deforme obsequium pergere iter ambitione ac periculis uacuum. Vgl. dazu ausführlich Classen (1988), S. 97–104, der zusammenfasst: „Indeed, one cannot separate the two aspects, and should see the standards by which the historian (or biographer) judges together with the criteria which he applies in selecting and arranging his material.“, zu dessen Auffassung Beck (1998), S. 89, und zum taciteischen Ideal im Frühwerk Vielberg (1987), S. 29–31, S. 44 sowie zu dem Begriffsfeld zu obsequium S. 130–134. Vgl. ferner Jens (1956), S. 334 f., Schmich (1960), S. 15 f., Syme (1962), S. 250, Rüpke (1997), S. 153, v. Albrecht (1988), S. 57, Oakley (2009a), S. 193, Timpe (1988/2007) S. 249 f., Heldmann (1991), S. 227, sowie (2011), S. 114 f., Schmal (2011), S. 154 sowie S. 160 f., Morford (1990), S. 1624, Geisthardt (2015), S. 58 f., Suerbaum (2015), S. 591 f. sowie S. 604 f., Bellardi (1974), S. 130, Häussler (1965), S. 402, Reitzenstein (1926), S. 8 f., und Müller (2003), S. 194 f. 476 Vgl. Luce (1991), S. 2910: „The victims of a despot’s cruelty do not represent a class of people that one should devalue or scorn; rather, they deserve to be honored.“, Blänsdorf (2005–2006/ 2015), S. 301: „Dass Geschichte auch ein zur Pietät verpflichtendes Vermächtnis ist und Menschen allein schon deswegen geschichtswürdig werden, weil sie Opfer staatlicher Gewalt geworden sind: so hatte noch niemand vor Tacitus die Aufgabe des Historikers gesehen.“, Schunk (1955), S. 12, Morford (1990), S. 1594, Fögen (2015), S. 47 mit Anm. 92, und Suerbaum (2015), S. 69, S. 295 f. sowie S. 574. 477 Vgl. neben 16,16,2 auch 3,65,1 … praecipuum munus annalium reor, ne uirtutes sileantur, utque prauis dictis factisque ex posteritate et infamia metus sit sowie 15,67,3 …, nec minus nosci decebat militaris uiri sensus incomptos et ualidos. Die memoria (16,16,2) besitzt dabei immer noch die Bedeutung, die Büchner (1964), S. 36, so treffend für diesen Begriff im Proömium des ‚Agricola‘ herausgearbeitet hat: „memoria ist Wesen des Menschen und Garant für Fruchtbarkeit der Geschichte, die verdorrt, wenn großem und rechtem Handeln nicht die Anerkennung, und sei es nur durch den Geschichtsschreiber und in der memoria, winkt.“ Vgl. Hommel (1936), S. 136, Griffin (2009), S. 174, Pausch (2004), S. 25, Koestermann (1963), S. 546, Beck (1998), S. 95, Vogt (1957/1960), S. 148, Kloch-Kornitz (1961), S. 159 f., Gowing (2016), S. 44–47, Keitel (2009), S. 137, Sailor (2008), S. 22, Timpe (1988), S. 250, und Pöschl (1956/1991), S. 188, der es als Hauptaufgabe der römischen Geschichtsschreibung ansieht, „Ehre und Schande zu verleihen.“

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riker siegt (somit) nicht das Gefühl des Hasses, sondern das Erbarmen für seine Römer, weswegen er trotz der tadelnswerten patientia seruilis einem jeden der Sterbenden in seinem Geschichtswerk ein ehrenvolles Denkmal setzen will“,478 wie Hauser diese Passage treffend interpretiert. Außerdem fügt sie hinzu, dass zu Neros Zeit das tatenlose Massensterben für den römischen Staat von so großer Bedeutung gewesen sein müsse, dass dieses den Lesern zur Kommemoration immer wieder vor Augen zu führen sei. Dadurch werde zugleich die vom Autor gegenüber den Toten erwiesene altrömische Pietät, ein genuin sympathischer Wesenszug, eindringlich unterstrichen.479 Die singulative Aufzählung detailliert gestalteter Sterbeszenen, die für die letzten beiden Bücher der ‚Annalen‘ charakteristisch sind, unterliegt somit einer speziellen historiographischen Absicht, die von der enkomiastischen Tendenz der exitus-Literatur beeinflusst ist480 und eine politisch-moralische wie auch eine dokumentarisch-kommemorative Funktion besitzt.481 Daneben stellt die jährliche Nennung der consules ordinarii, die wegen der wechselnden Amtsinhaber nicht iterativ, sondern singulativ erfolgt, die auffälligste regelmäßige Wiederholung von punktueller Dauer in einem annalistischen Werk dar. In ihrer Analyse zu Form und Verwendung dieser gattungsspezifischen Jahreseinleitungen in den Tiberiusbüchern konstatiert Ginsburg, dass dort nicht dieselbe Flexibilität und derselbe Variantenreichtum wie bei Livius angewandt und die Konsulatsangabe hauptsächlich im Ablativus absolutus angeführt werde. Dies garantiere größere Gestaltungsfreiheit zur Implementierung von Episoden am Jahresanfang, da die Magistrate von der eigentlichen Handlung losgelöst und nur zu Datierungszwecken eingefügt würden.482 Während die Mehrzahl der Jahresanfänge in den Nerobüchern diesen Befund bestätigt, weichen die Formulierungen in den Jahren 58 – Nerone tertium consule simul iniit consulatum Valerius Messala (13,34,1) – und 65 n. Chr. – ineunt deinde consulatum Silius Nerua et Atticus Vestinus (15,48,1) – von diesem Standard ab. Dadurch wird ihnen nach Ginsburgs Ansicht die besondere Aufmerksamkeit des gemeinen Rezipienten wie auch des interpretierenden Literaturwissenschaftlers zuteil.483 Obwohl die unscheinbaren Geschehnisse des Jahres 58 eine solche Hervorhebung nicht erfordern, da Nero ein noch weitgehend von seinen Beratern reguliertes, humanes Regiment führt, fällt dennoch ein grelles Licht auf das alleinige Subjekt der einleitenden Phrase, Valerius Messala, dessen stetig deszendente Familiengeschichte und finanzielle Abhängigkeit vom Prinzeps den ersten Erzählabschnitt des neuen Jahres ausfüllt. Dieses Mächte478 Hauser (1967), S. 97, und demgegenüber Schanz/Hosius (1935), S. 632. Vgl. auch Luce (1991), S. 2910, O’Gorman (2000), S. 146, und das Diktum Demandts (1986), S. 116: „Für den Nachruhm eines Staatsmannes ist kein Zufall wichtiger als der seines Todes. Ein anderer Tod – ein anderer Mensch.“ 479 Vgl. Hauser (1967), S. 96 f., sowie auch Büchners (1964) Gedanken zum Proömium des ‚Agricola‘, S. 32, und zum Thema der libido moriendi (epist. 24,25) bei Seneca Fögen (2015), S. 29 f. 480 Vgl. Schunk (1955), S. 3, und Fögen (2015), S. 39 f. sowie S. 47. 481 Vgl. zum ersten Aspekt Drexler (1954), S. 168, zum zweiten Genette (1987/1992), S. 193, und demgegenüber Pausch (2004), S. 85, sowie Müller (2003), S. 196. 482 Vgl. Ginsburg (1981), S. 11, S. 18 sowie S. 98. 483 Vgl. Ginsburg (1981), S. 29.

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ungleichgewicht verkehrt allerdings die syntaktische Satzstruktur völlig und konterkariert die frühere Souveränität sowie das Standesverständnis der obersten Staatsbeamten zur Zeit der Republik.484 Außerdem berücksichtigt eine abwechselnde Formulierung zur Vermeidung einer unmittelbar aufeinander folgenden Wiederholung identischer Phrasen bei der Konsulnennung innerhalb von neun Kapiteln auch ästhetische Ansprüche.485 Zwar verwirft Bartera diesen Grund allzu schnell als unzureichend, jedoch verweist er zudem darauf, dass die differierende Jahreseinleitung in einer Exposition der wiederkehrenden Thematik der Degeneration der alten Patriziergeschlechter und in einer betonten Anspielung auf das gemeinsame Konsulat beider Vorfahren, Augustus und Messala Corvinus, im Jahre 31 v. Chr. begründet sei, da hierduch eine Ringkomposition von Jahren mit republikanischem Anstrich erzielt würde.486 Die Variation der eponymen Konsulatsangabe im Jahre 65 n. Chr. ist hingegen nach den vorausgehenden, sinistren Omen eindeutig als weiterer Hinweis auf das schicksalhafte Geschehen der Pisonischen Verschwörung zu beziehen. Bereits zu Jahresbeginn, der sich unmittelbar mit der Genese der Konspiration beschäftigt, werden die republikanischen Institutionen scheinbar in ihren Grundfesten erschüttert, zumal sogar der amtierende Konsul, der folgerichtig als Subjekt auftritt, unter der Zahl ihrer Opfer sein wird.487 Die singulativen Erwähnungen der consules ordinarii dienen somit neben dem grundlegenden Datierungszweck einer spezifischen Akzentsetzung, die den Leser auf diskrepante Zustände oder auf markante Handlungsentwicklungen im nachfolgenden Jahr aufmerksam machen soll. Wiederholte punktuelle Ereignisse können schließlich ebenfalls innerhalb eines beschränkten Handlungskontextes mehrfach berichtet werden. Als Paetus und dessen Heer in höchster Gefahr schweben, sendet dieser zweimal Nachrichten mit der Bitte um Unterstützung an Corbulo.488 Durch dieses iterierte Vorgehen und die an Nachdrücklichkeit gewinnende sprachliche Gestaltung erhöht sich die Brisanz der misslichen Lage, sodass dem Leser das Ausmaß der Gefahrensituation voll bewusst wird, obgleich er im Gegensatz zu den eingeschlossenen Soldaten den Grund für Corbulos verzögerte Ankunft kennt.489 Unter dem Ziel einer Bedrohlichkeitssteigerung lassen sich ferner die jeweils zweifach, das heißt singulativ explizierten, wenn auch intern per se iterativ gestalteten Berichte von inzestuösen Verhältnissen zwischen Nero und seiner Mutter, den nächtlichen Umtrieben des Kaisers in Rom und den auf einem gewissen Abstraktionsniveau komparablen, 484 Vgl. Anm. 33. 485 Vgl. Ginsburg (1981), S. 13: „In several instances, in fact, Livy’s employment of one formula or another would appear to be a matter of stylistic preference or the desire for variation.“, sowie S. 16. 486 Vgl. Bartera (2012), S. 175–178 mit Hinweis auf 2,48,3, und Koestermann (1967), S. 300. 487 Vgl. Moore (1923), S. 8, Morris (1969), S. 218 f., und Bartera (2012), S. 175. 488 15,10,4 …, Paetum aegre compulsum ferunt, ut instantem Corbuloni fateretur sowie 15,11,3 …, missis iterum ad Corbulonem precibus, ueniret propere, …; vgl. Koestermann (1968), S. 181: „Das erneute […] Hilfegesuch des Paetus ist in hohem Maß charakteristisch durch larmoyante Wendungen gezeichnet.“ 489 15,10,5 nec a Corbulone properatum, quo gliscentibus periculis etiam subsidii laus augeretur gegenüber 15,13,2 …, et alii propria ignauia aut Corbulonem opperientes, …

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emotionalen Appellen Poppaeas an den Prinzeps subsummieren.490 Die singuläre Darstellung hebt hierbei also geschickt die zunehmende Brisanz der unterschiedlichen Entwicklungen hervor und trägt dadurch zu einer fortschreitenden Handlungsmotivierung sowie vor allem zu einer inneren Beunruhigung des Rezipienten und zur Spannungsgenerierung bei. Komprimierte Geschichtspräsentation Während mit den voranstehenden Textstellen abgesehen vom trivialen Normalfall des singulären Vorkommens eines historischen Ereignisses491 alle Passagen, an denen Geschehnisse absichtlich genauso oft erzählt werden, wie sie eintreten, bereits erschöpfend erfasst sind, finden sich zur Gestaltung der narrativen Frequenz ferner zahlreiche iterative Formen. Diese werden gezielt eingesetzt, um die Erzähldauer des Geschehens durch zusammenfassende oder gar generalisierende Raffungen zu verkürzen und der Problematik einer aus allzu häufigen Wiederholungen resultierenden Handlungsmonotonie sowie -redundanz zu begegnen. Auf morphologischer und syntaktischer Ebene geschieht dies durch die Integration von Adverbien, Verba iterativa sowie einen planvollen Tempusgebrauch, um regelmäßig und fortwährend implizit im Hintergrund stattfindende Vorkommnisse kenntlich zu machen.492 So wird durch Spezifikation mittels saepe und des iterativen Verbs dictitare (13,46,1), ohne dass diese Szenen mehrfach erwähnt werden müssten, deutlich, dass Otho seine neue Gemahlin Poppaea zu lautstark und zu oft bei Festivitäten am Hof rühmte. Dabei verleiht das iterative Arrangement diesem punktuellen Bericht eine größere Anschaulichkeit und zugleich eine geschlossene Handlungsstruktur, als ob Poppaea bereits unmittelbar nach Othos einmaligem Lob zu Nero überwechselte, was ihren opportunistischen Charakter betont.493 Ebenso hebt das iterative Verb frequentabat (14,4,1) die alljährliche, aber bisher nicht angeführte und deshalb über diese Einzelszene hinausweisende Gewohnheit Neros, am Quinquatrusfest in Baiae teilzunehmen, hervor und kündigt dem Leser schon die Einzigartigkeit dieses, für Agrippina letzten Besuchs an.494 Außerdem legt die Imperfektform uocabantur (13,5,1) in einer generalisierenden Iteration die wiederholte Praxis dar, 490 13,13,2 und 14,2,1, 13,25,1–3 sowie 13,47,2 bzw. 14,1,1 f. und 14,61,2–4; vgl. zum grundsätzlich iterativen Aspekt einiger dieser Stellen Genette (1972/1998), S. 84: „Wie die Beschreibung steht die iterative Erzählung im traditionellen Roman im Dienst der ‚eigentlichen‘, d. h. der singulativen Erzählung.“ 491 Vgl. Genette (1972/1998), S. 82: „Diese Erzählform, in der die Singularität der narrativen Aussage der Singularität des erzählten Ereignisses entspricht, ist offensichtlich die bei weitem geläufigste.“ 492 Vgl. zur Benutzung iterativer Verbformen allgemein Eriksson (1934), S. 34 f., und Anhangstabelle 3. 493 Vgl. zum gegenseitigen Verhältnis von Poppaea, Otho und Nero auch Plut. Galba 19,2–9 und ferner Holztrattner (1995), S. 27 sowie S. 37, Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 214, Morford (1990), S. 1587, Dawson (1969), S. 259, Tresch (1965), S. 51, und Sage (1990), S. 969. 494 Vgl. Wilsing (1964), S. 108.

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Senatssitzungen im Kaiserpalast abzuhalten, damit Agrippina daran im Verborgenen teilnehmen konnte, wobei dies gerade im Kontrast zu dem im Perfekt referierten Einzelfall augenscheinlich wird, bei dem die Senatoren trotz des Widerstands der Kaisermutter an ihren Beschlüssen festhielten, obtinuere (13,5,1).495 Weiterhin unterstreichen die zahlreichen Imperfektformen einerseits prototypisch zusammenfassend Corbulos mehrfaches strenges Einschreiten gegen Deserteure bei seinen Disziplinierungsmaßnahmen,496 andererseits in einer externen Iteration das allabendliche Stattfinden und die Normalität des Abendessens am Kaiserhof bis zu dem Zeitpunkt, an dem Britannicus stirbt.497 Diese repräsentative Auswahl an Exempla, die narrativ verhältnismäßig schlicht, aber äußerst wirkungsvoll auf Wort- oder Satzebene operieren, lässt sich indes um viele weitere Passagen aus den Nerobüchern wie Neros regelmäßige private Trinkgelage, seine nächtlichen Streifzüge durch Roms Gassen oder Poppaeas Vorwürfe gegenüber dem Kaiser vermehren, die vollständig im Anhang gelistet sind.498 Tacitus versteht es somit, mit funktionalen, Erzählzeit sparenden Mitteln den Handlungshintergrund zu weiten sowie auf wiederkehrende Vorgänge und insbesondere protagonistenspezifische Gewohnheiten hinzuweisen, die sich kontinuierlich und parallel zur Basishandlung abspielen und in dieser jeweils an relevanten Stellen expliziert werden. Durch die Verwendung iterativer Darstellungsweisen kann zudem an sich einzigartigen Vorfällen eine exemplarische Geltung sowie größere Tragweite verliehen und eine enorme inhaltliche Verdichtung erzielt werden, wie der Erzählabschnitt über die Exekutionen der Zenturionen der Prätorianergarde verdeutlicht. Dem Rezipienten wird zuerst die Ermordung des Tribunen Subrius Flavus ausdrücklich als Muster römischer Standhaftigkeit vor Augen geführt und eben diese Eigenschaft auch bei Sulpicius Asper lobend hervorgehoben.499 Das vorbildliche Verhalten beider wird sodann dadurch überhöht, dass sich der Leser die Beseitigungen der übrigen Zenturionen iterativ nach deren prototypischem Ablaufschema vorzustellen hat,500 womit eine gesonderte Berichterstattung womöglich jedes Einzelfalls umgangen wird. Dies ergäbe zwar eine eindrucksvolle Aufzählung der militärischen Opfer der neronischen Willkür, wäre aber aufgrund der allzu großen Ähnlichkeit für den Leser ab einem gewissen Punkt äußerst redundant, monoton und ermüdend. Die gewählte Präsentationsweise überzeugt also, lediglich das feige Verhalten des Präfekten Faenius Rufus von dem der Zenturionen markant durch ein at (15,68,1) abzusetzen und knapp separat zu referieren, um dessen Niederträchtigkeit und Würdelosigkeit mit der Charakterstärke der übrigen Militärs zu kontrastieren.501 495 13,5,1 quod quidem aduersante Agrippina, tamquam acta Claudii subuerterentur, obtinuere patres, qui in Palatium ob id uocabantur, ut adstaret abditis a tergo foribus uelo discreta, quod uisum arceret, auditus non adimeret; vgl. Ihrig (2007), S. 385 mit Anm. 125. 496 13,35,4 … abnuebant deserebantque …, prosequebatur … luebat. 497 13,16,1 … habebatur … explorabatur … omitteret … proderetur. 498 13,20,1, 13,25,1–3, 14,1,1; vgl. darüber hinaus Anhangstabelle 3. 499 15,67,1–4 und 15,68,1 proximum constantiae exemplum Sulpicius Asper centurio praebuit, … 500 15,68,1 nec ceteri centuriones in perpetiendis suppliciis degenerauere. 501 Vgl. Hauser (1967), S. 61, Gärtner (1996), S. 156, Koestermann (1968), S. 312 sowie 315 f., und Woodman (1993), S. 123, der in Rufus’ Verhalten das literarische Motiv des miles gloriosus erkennt.

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Geschickt wird eine zusammenfassende Raffung der Erzählung erzielt, ohne dass diese an Aussagekraft verliert, und durch die hiermit erreichte unmittelbare Aufeinanderfolge der Gegensatz zwischen Subrius Flavus’ und Faenius Rufus’ Gebaren absichtlich geschärft. Darüber hinaus steht bei der Wiedergabe von Tigillinus’ mit übermäßigem Pomp zelebrierten Exzessen expressis verbis der stellvertretende, exemplarische Charakter eines Vorkommnisses im Vordergrund, das zwar nur ein einziges Mal im Sommer des Jahres 64 n. Chr. erwähnt wird, aber zugleich die hohe Frequenz solcher Geschehnisse indiziert: et celeberrimae luxu famaque epulae fuere, quas a Tigillino paratas ut exemplar referam, ne saepius eadem prodigentia narranda sit (15,37,1). Hierfür wird nicht, wie Suerbaum annimmt, „eine besonders spektakuläre und berüchtigte (Party)“502 ausgewählt. Vielmehr generiert der Bericht dieser Orgie aufgrund des Detail- und Facettenreichtums, wobei sogar der Name des von Nero geheirateten Eunuchen Pythagoras sowie eine Vielzahl singulärer Vorfälle genannt wird, ein Maximum an Anschaulichkeit sowie Eindringlichkeit und vermittelt den Eindruck einer absichtlichen Kumulation und Verschmelzung mehrerer, ursprünglich bei getrennten Festivitäten begangener Verfehlungen.503 Damit ist der Ekel über Tigillinus’ Verschwendungssucht jedoch nur ein gesuchter Vorwand, um auf ein wiederholtes Aufgreifen dieser Thematik zu verzichten.504 Anstatt nämlich mehrfach dem Leser lediglich mäßig interessante Vorfälle zu referieren, wird mit einem konzentrierten, generalisierenden iterativen Einzelbericht, einer „zusammenziehenden Vereinfachung[en] geschichtlicher Vorgänge zu einem einzigen Ereignis,“505 ein ausdrucksstarkes Bild der kaiserlichen Verdorbenheit erzeugt. Diese wird als übersteigertes Exempel eines moralischen Fehlverhaltens des Prinzeps in unmittelbare chronologische wie auch kausale Nähe zum großen Rombrand desselben Jahres gerückt.506 Anhand der Berichte über Neros künstlerische Ambitionen ist diese narrative Strategie ebenfalls zu belegen. Denn obwohl bereits in Paragraph 13,3,3 Neigungen beim jungen Prinzeps offenbar werden, die einem römischen Kaiser nicht anstehen, bleiben diese bis nach der Ermordung seiner Mutter über immerhin fast fünf Herrschaftsjahre in der Erzählung unberücksichtigt. In der Abwesenheit entsprechender Angaben scheint sich also Senecas und Burrus’ erzieherischer Einfluss zu manifestieren, die der Meinung sind, den Kaiser mit kleineren Zugeständnissen einigermaßen in Zaum halten zu können.507 Den bescheidenen Erfolg ihrer Maßnahmen verrät allerdings die Kapitelfolge im Anschluss an Agrippinas Tod, in der zwar die Geschehnisse aufgrund ihres Kontexts vordergründig als plötzliche Eskapaden des Kaisers präsentiert werden, bei genauerer Betrachtung aber ihr iterativer Charakter evident wird. Darauf weisen nicht nur der Einleitungssatz des Kapitels 14,14, der 502 503 504 505 506 507

Suerbaum (2015), S. 294. 15,37,1–4. Vgl. Haase (1855), S. 51, Tresch (1965), S. 149, und Suerbaum (2015), S. 293. Hommel (1936), S. 124, und vgl. Woodman (1992), S. 176. Vgl. Waddell (2013), S. 486–488, und Anm. 570 (Kap. 4). 13,2,1 …, iuuantes in uicem, quo facilius lubricam principis aetatem, si uirtutem aspernaretur, uoluptatibus concessis retinerent; vgl. dazu Heldmann (2013), S. 335 f.

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2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

den Bogen zu Paragraph 13,3,3 zurückspannt, und die Imperfektformen erat und memorabat hin, die das permanente Vorhandensein dieser Triebe beim Prinzeps ausdrücken,508 sondern vor allem nachstehend wird die summarische Raffung eines Entwicklungsprozesses mit einzelnen Etappen erkennbar: So zeichnet sich doch recht bald das Scheitern der pädagogischen Taktik beider Minister ab, indem mit dem Bau einer Rennbahn im Vatikanischen Tal sowie der schrittweisen Hinzuziehung der Öffentlichkeit zu Neros Fehltritten einzelne Stufen von dessen moralischer Entartung greifbar werden, ohne dass deren anachrone Situierung hier deutlich markiert wäre.509 Vielmehr ist ihr analeptischer, iterativer Aspekt aus der zeitlichen Logik zu erschließen, da sich eine solche Fülle an sukzessive aneinander anschließenden Vorkommnissen inklusive Bau-, Trainings- und Gewöhnungsphasen über eine längere, weiter zurückreichende Zeitspanne erstrecken muss.510 Demgemäß wird durch Zusammenziehung vergleichbarer und sich wiederholt abspielender Geschehnisse in nuce ein kontinuierlicher, charakterlicher Dekadenzprozess mit dem vorläufigen Höhepunkt von Neros Auftritt bei den Iuvenalia nachgezeichnet.511 Dessen Bühnenpremiere bildet eine adäquate thematische Variation zum vorausgehenden Mordbericht sowie nach Heldmann zugleich eine „tiefe Zäsur in der moralischen Entwicklung Roms“,512 die an darstellerischer Intensität und leserseitiger Wirkung nicht zu übertreffen sei.513 Außerdem wird durch die textuelle Position des unvermittelten Ausbruchs der kaiserlichen Leidenschaften nach Agrippinas Beseitigung ein Kausalnexus zwischen diesen beiden Erzählkomplexen hergestellt, der in der Geschichte nicht angelegt ist. Die individuelle Plotstrukturierung führt zur augenfälligen Parallelisierung von Tiberius’ und Livias sowie Neros und Agrippinas Verhältnis und konkretisiert die grundlegende historische Aussageabsicht einer zunehmenden, verhängnisvollen Entartung des Prinzeps.514

508 14,14,1 uetus illi cupido erat curriculo quadrigarum insistere, nec minus foedum studium cithara ludicrum in modum canere. curru certare et equis regium et antiquis ducibus factitatum memorabat, … und 13,3,3 caelare pingere, cantus aut regimen equorum exercere; vgl. Heldmann (2013), S. 337. 509 14,14,2 f.; vgl. Heldmann (2013), S. 338. 510 Vgl. auch Heldmann (2013), S. 337: „Denn wenn Nero sich in diesem Moment allen Leidenschaften hingibt, die er bislang aus Rücksicht auf seine Mutter mehr schlecht als recht unterdrückt hatte, dann setzt das voraus, dass sie auch vor diesem Moment eine gewisse Rolle gespielt haben müssen.“ 511 14,15,4 postremus ipse scaenam incedit, multa cura temptans citharam et praemeditans adsistentibus phonascis. 512 Heldmann (2013), S. 343. 513 Vgl. Heldmann (2013), S. 342–344. 514 Vgl. 5,3,1, 14,13,2 und ebenfalls Suet. Nero 27,1 sowie Heldmann (2013), S. 337 f. und S. 340: „Aber nur, indem er das historische Material, das chronologisch überwiegend in die Vorgeschichte gehört, auf diesen einen Moment bezog, konnte er den Wendepunkt in Neros Prinzipat mit dem Beginn seiner unsäglichen Künstlerkarriere zusammenfallen lassen.“

2.6 Singulative Akzentuierung und iterative Simplifizierung

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Fazit Trotz einer basalen auktorialen Tendenz, durch mehrmalige Berichte desselben Geschehens entstehende Redundanzen weitestgehend zu vermeiden, wird eine gezielte singulative Aufbereitung bewusst gewählter Darstellungsschwerpunkte und leitmotivischer Themen wie der adulatio und patientia seruilis des Senats oder der dokumentarischen Verpflichtung zu einer pietätvollen römischen Erinnerungskultur erstrebt. Dies trifft auch auf gattungsspezifisch regelmäßig wiederkehrende Elemente wie die jahrweisen Konsulnennungen zu, die vor allem zur intentionalen Akzentuierung vom werkeigenen Standard abweichen und den Leser auf den Machtverlust dieser republikanischen Institution aufmerksam machen. Anhand Caesennius Paetus’ mehrfacher Bittgesuche und vergleichbar singulativ präsentierter Passagen wird weiterhin ersichtlich, inwiefern dadurch die Bedrohlichkeit und Brisanz einer Situation suggeriert und handlungsmotivierende Spannungsmomente erzeugt werden können. Demgegenüber wird mithilfe einfacher, aber wirkungsvoller Gestaltungsmittel wie iterativen Verben, Adverbien oder Tempora auf kontinuierliche, überwiegend unerwähnt bleibende Parallelhandlungen verwiesen, ein reichhaltiger Handlungshintergrund geschaffen und die Mehrschichtig- sowie Tiefgründigkeit der Erzählung erhöht. Durch planvolle Zusammenziehung sich wiederholt abspielender Ereignisse zu einem prototypischen Vorfall wird schließlich nicht nur eine Kürzung, Entmonotonisierung und Vereinfachung der Handlungskomplexität erreicht. Die inhaltliche Verdichtung führt ebenfalls zu einer generalisierenden Aufwertung des Geschehens, indem es zwar nur einmal, aber dafür in erwähnenswerter, komprimierter und beeindruckender Form berichtet wird. Dieses Vorgehen kann bei entsprechender Kontextualisierung, die aufgrund der Iterativität relativ flexibel wählbar ist, situationsadäquate Kontrastfolien erzeugen, latente Entwicklungen punktuell aufzeigen und zeitliche oder kausale Verbindungen simulieren. Die mannigfachen Einsatzmöglichkeiten sowie Funktionen verdeutlichen somit einen variablen Umgang mit der narrativen Frequenz, der fortwährend von spezifischen Darstellungsabsichten wie einer Erfüllung der historischen Dokumentationspflicht einerseits und von rezeptionsorientierten Prinzipien wie der Schaffung einer unterhaltsamen, nuancen- sowie variationsreichen Lektüre ohne störende Wiederholungen und unnötige Unterbrechungen des Leseflusses andererseits geprägt ist.

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2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

2.7 RÄUMLICHE DISPOSITION Die Untersuchung der Erzählstruktur, die bisher vorrangig dem interdependenten Verhältnis von Zeit und Thema gewidmet ist, soll abschließend um die Facette des narrativen Raumes ergänzt und erweitert werden.515 Denn zum einen bekundet Tacitus selbst an den Stellen 6,38,1, 12,40,5 und 13,9,3 ein bewusstes Arrangement des historischen Stoffes nach Schauplätzen,516 zum anderen sind örtliche Aspekte traditionelle Gliederungselemente der annalistischen Geschichtsschreibung. In dieser werden die jährlichen Geschehnisse gemäß einer Containerraumvorstellung, die „immer dort zutage tritt, wo es darum geht, soziale oder politische Grenzen zu definieren, Identifikationsangebote und Ordnung herzustellen, wo also ein eindeutiges Hier und Dort, ein Drinnen und Draußen benötigt wird,“517 nach stadtrömischitalischen und provinziellen Ereignissen in die Ressorts Innen- und Außenpolitik differenziert. Deren textuelle Abfolge ist normalerweise mit res internae – res externae – res internae dem Wechsel der Aufenthaltsorte der obersten römischen Amtsinhaber während eines Jahres nachgestaltet und verstärkt so zugleich den Eindruck eines realzeitlichen Jahresverlaufs.518 Ein Blick auf die geographische Makrostrukturierung der einzelnen Berichtsjahre zeigt jedoch, dass das reguläre Anordnungsschema, obwohl es nach Ginsburg in der ersten Hexade über Tiberius’ Herrschaft abgesehen von einigen Variationen vorherrscht,519 in den Nerobüchern mit lediglich vier Fällen, nämlich den Jahren 54, 60, 62 und 63 n. Chr., nachrangig geworden ist. Sieben Jahresberichte beschränken sich teils explizit, otium foris, foeda domi (13,25,1), teils unausgesprochen ausschließlich auf die res internae,520 was im Vergleich zu den drei bei der Innenpolitik verbleibenden Jahren in den Tiberiusbüchern und in Anbetracht der kürzeren Regierungszeit Neros bemerkenswert ist. Diese veränderte Akzentuierung drückt auf räumlicher Ebene den anhand zeitlicher Kriterien bereits konstatierten Bedeutungsverlust republikanischer Institutionen und Organisationsstrukturen aus, da der Fokus der Handlung nicht mehr den turnusmäßigen Bewegungen der Staatsbeamten folgt, sondern oftmals auf das Geschehen im Milieu des Kaiserhauses, das vorwiegend in Rom und dessen Umgebung stattfindet, beschränkt bleibt.

515 Vgl. De Jong (2012), S. 1: „Space is here understood in the wide sense of the setting of the action of a story, other localities that are referred to, e. g. in memories or dreams, and objects (‚props‘).“, Bal (1997), S. 135: „The filling in of space is determined by the objects that can be found in that space. Objects have spatial status.“, und Dennerlein (2009), S. 70: „Erst die Funktionalisierung als Umgebung einer Figur macht diese Objekte zum Raum.“ 516 Vgl. Anm. 21. 517 Schmidt-Hofner/Ambos/Eich (2016), S. 14, und vgl. Redepenning (2016), S. 30–33. 518 Vgl. Ginsburg (1981), S. 53, Schmal (2011), S. 61 Anm. 35, Kraus/Woodman (1997), S. 93, Pomeroy (2012), S. 145, Pausch (2011), S. 84, Wille (1983), S. 354 f., und Graf (1931), S. 5. 519 Vgl. Ginsburg (1981), S. 54, die folgende Strukturen mit jeweils absoluter Häufigkeit ihres Vorkommens angibt: Int.-Ext.-Int.: 8 (Jahre 17, 20, 21, 22, 24, 25, 28, 36); Ext.-Int.: 7 (Jahre 15, 16, 19, 26, 27, 34, 35); Int.: 3 (Jahre 23, 32, 33); Ext.: 1 (Jahr 18). 520 Dies betrifft die Jahre 55, 56, 57, 59, 64, 65 und 66 n. Chr.; vgl. dazu auch Anhangstabelle 4.

2.7 Räumliche Disposition

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Zudem weisen zwei weitere Jahre eine einzigartige ortsbezogene Sequenzierung auf. Wie erwähnt wird im Jahr 61 die Revolte unter der Königin Boudicca in Britannien präsentiert, sodass aufgrund der daraus resultierenden, vereinfachten Aufteilung des Jahresberichts in res externae (14,29,1–39,3) beziehungsweise res internae (14,40,1–47,2) diese letztlich glücklich verlaufende außenpolitische Episode nicht nur eindeutig der inneren Misere unter Nero voran- sowie gegenübergestellt wird. Vielmehr rückt diese Einlage dadurch möglichst nahe an ihren gedanklichen Referenzpunkt, Corbulos Erfolge in Armenien (14,23,1–26,2), und stellt den Feldherrn Suetonius Paulinus als dessen größten Wetteiferer, Corbulonis concertator (14,29,2), dar. Die lokale Gestaltung stützt ferner die in der zeitlichen Analyse des Jahres 58 beobachtete Langatmigkeit, da die klassische Reihenfolge hier zu dem Schema Innenpolitik (13,34,1) – Außenpolitik (13,34,2–41,3) – Innenpolitik (13,41,4–52,2) – Außenpolitik (13,53,1–57,3) – Innenpolitik (13,58) verdoppelt wird.521 Nachdem die Erzählung im Anschluss an Neros und Messalas Konsulatsantritt in Rom über eine ausgedehnte armenische Berichterstattung bei einer umfangreichen Schilderung stadtrömischer Ereignisse um Suillius, Seneca, Octavius Sagitta, Poppaea, Otho, Thrasea Paetus und natürlich den Kaiser angelangt ist, scheint das Berichtsjahr daraufhin von Neuem zu beginnen, indem nun auf provinzielle Vorkommnisse in Germanien eingegangen wird. Erst nach einer hinlänglichen Darlegung dieser Geschehnisse leitet eine Erwähnung der ficus Ruminalis abrupt in die Hauptstadt zurück, wo im nächsten Buch schlagartig das Folgejahr eröffnet wird. Neben der temporalen wird also auch die räumliche Strukturierung gezielt dazu eingesetzt, die Erwartungen des Lesers zeitweilig in die Irre zu führen und den antizipierten Fortgang der Haupthandlung geschickt zu verzögern. Die innerjährliche Verteilung der Schauplätze lässt ein absichtsvolles narratives Arrangement erkennen, in dem sich ein Bedeutungsverlust republikanischer Traditionen widerspiegelt und das auch für bewusste Kontrastierungen sowie zur gezielten, spannungsinitiierenden Retardation des Erzählverlaufs dient. Aus der globalen Raumkomposition wird eine dominierende Fixierung des Geschehens auf Rom und dessen Umgebung ersichtlich, zu der innerhalb der Nerobücher lediglich die unregelmäßige Berichterstattung aus Armenien ansatzweise ein Pendant bildet,522 wohingegen die Grenzregionen Germanien und Britannien sogar jeweils nur einmal erwähnt werden.523 Kritik an der globalen Raumgestaltung und deren tiefsinnige Ordnung In dieser raren, unausgewogenen Berücksichtigung verschiedener außenpolitischer Schauplätze sowie in oberflächlichen, mit allzu wenigen Informationen versehenen geographischen Beschreibungen erkennen einige Altertumsforscher Defizite.524 521 522 523 524

Vgl. Kraus/Woodman (1997), S. 93. 13,6–9, 13,34–41, 14,23–26, 15,1–17 und 15,26–31; vgl. dazu Woodman (2009), S. 41. 13,53–57 bzw. 14,29–39. Vgl. Mommsen (1886), S. 165 Anm. 1, Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 108 f., S. 118 sowie S. 139, Wellesley (1969), S. 74–77, Schmal (2011), S. 163, Walker (1952), S. 189

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2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

Zur Bestätigung ihrer Kritikpunkte führen sie meist zwei auktoriale Reflexionen über einen vermeintlichen Mangel an attraktiven, außenpolitischen Stoffen an und urteilen auf deren Basis die militärischen Berichterstattungen aus den Grenzgebieten generell ab.525 Einer solchen Auslegung widerstreben drei Überlegungen: Erstens entspricht bei einer differenzierten Betrachtung der Referenzstellen die Negation großer berichtenswerter Außenpolitik nicht nur einer topisch simulierten Zurückhaltung und Bescheidenheit hinsichtlich des historischen Stoffes, sondern vor allem Tacitus’ Programm, einen Darstellungsschwerpunkt auf Kleinereignisse, die Auslöser großer historischer Vorfälle sein können, zu legen.526 Dies etabliere zudem nach Levene einen niedrigen Erwartungshorizont für die erwähnenswerten Kampfhandlungen, der anschließend leicht übertroffen werden könne, woraus Überraschungseffekte resultierten. Zugleich sei, indem es in der Republik eine größere Anzahl an bedeutenden militärischen Bewährungsmöglichkeiten für einen Senator als in der hier negativ konnotierten pax Augusta während des frühen Prinzipats gegeben habe, ein systemkritischer Unterton enthalten.527 Weiterhin offenbaren Levenes und Suerbaums korrekte Hinweise, dass für den Zeitraum der ‚Annalen‘ genügend ansprechende Kriegsverläufe zur Verfügung stünden und im Anschluss umfangreiche Frontberichte eingeschoben würden. Diesen werde sogar explizit das Potenzial zu eingängiger Unterhaltung zugeschrieben, quo requiesceret animus a domesticis malis (6,38,1),528 sodass an den obigen Stellen keineswegs ein abwertendes Pauschalurteil über alle außenpolitischen Partien fomuliert wird. Vielmehr werden die Erzählinhalte einzelfall- sowie situationsspezifisch ausgewählt und nach eigenen Prinzipien gezielt gestaltet. Dies schließt zweitens eine wissentliche und vollständige Unterlassung einer raffinierten, erzähltechnisch überzeugenden Aufbereitung dieser besonderen Einlagen aus. Das von heutigen Altertumswissenschaftlern kritisierte Fehlen geographischer und strategischer Details resultiert nämlich lediglich daraus, dass moderne Standards an den antiken Text angelegt werden, die damals gattungstheoretisch nicht gefordert waren, wie ein Vergleich mit dem literarischen Vorbild Sallust und

525

526 527 528

sowie S. 192, Friedrich (1970), S. 26 f., Pitcher (2009), S. 126, Suerbaum (2015), S. 463 Anm. 299, Koestermann (1953), S. 517, und (1967), S. 302: „Demgegenüber treten die sachlichen Angaben über den Verlauf des Feldzuges überall in den Hintergrund. Man darf darauf verweisen, daß in 47 Kapiteln […], deren Mittelpunkt Corbulo ist, insgesamt nur 5 geographische Punkte genannt werden, die für eine Rekonstruktion seiner Märsche ausgewertet werden können.“ 4,33,3 bzw. 16,16,1; vgl. Pfordt (1998), S. 11, Pomeroy (2012), S. 158, sowie demgegenüber Stockhammer (2007), S. 68, der im Kontext literarischer Kartierungsversuche zu Recht bemerkt: „Wenn sich beim Versuch die Hölle (sc. Dantes) zu zeichnen, Unstimmigkeiten ergeben, so ist es besser, Gründe für diese Unstimmigkeiten vorzuschlagen, als schlicht davon auszugehen, dass ein Dichter es mit solchen Dingen eben nicht so genau nehme.“, und dazu auch Ryan (2003b), S. 340 f. Vgl. Anm. 192 (Kap. 1). Vgl. Levene (2009b), S. 233 f., Suerbaum (2015), S. 55 sowie S. 361, und Pfordt (1998), S. 15. Vgl. Levene (2009b), S. 226 f., und Suerbaum (2015), S. 350 f. sowie S. 428.

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ein Blick in Lukians Ratschläge zum Verfassen einer Historiographie zeigen.529 Demgegenüber wäre eher zu befürchten, dass Rezipienten, die in der Antike zwar eine gewisse Vorliebe für ausgreifende geographische Exkurse besaßen, allzu umfassende fremdländische Örtlichkeitsbeschreibungen bei jeder noch so unbedeutenden militärischen Auseinandersetzung dennoch als unnötige Lektürehemmnisse empfinden. Denn diese könnten, wie Timpe annimmt, deskriptive Details ohnehin nur schwerlich in ihr geistiges Weltbild integrieren. Ein über oftmals stark vereinfachte Darstellungen hinausgehendes Interesse an Weltkenntnis sei bei einem stadtrömischen Publikum so gering gewesen, dass der Lesefluss durch zu zahlreiche, eintönige und überwiegend gleichlautende Landschaftsskizzen unnötig aufgehalten sowie die Phantasie bei der virtuellen Konstruktion der Handlungsorte zu sehr beschnitten würde.530 Diese Einschätzungen Timpes werden durch die aus einer empirischen Studie zur mentalen Repräsentation geographischer Angaben aus Erzähltexten gewonnenen Erkenntnisse Ryans unterstrichen, welche sich mit wenigen Einschränkungen für ein überzeitliches Publikum generalisieren lassen. Ryan konnte darin nicht nur darlegen, dass die in kontinuierlichen Bottom-up-Prozessen entworfenen virtuellen Karten sehr von standardisierten kulturellen Örtlichkeitsvorstellungen wie auch von der subjektiven Erfahrungswelt der Leser geprägt531 und aufgrund der begrenzten Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses äußerst selektiv, tendenziell handlungsbezogen sowie assoziativ strukturiert sind.532 Insbesondere stehen diese bei einem nicht instruierten und vorab unfokussierten Lektüreverhalten keineswegs im Vordergrund und sind selbst für einen Modell-Leser überaus diffzil zu rekonstruieren.533 Außerdem hebt Levene hervor, dass die enthaltenen geographischen und militärischen Einzelheiten stets mit Bezug auf die referierten Ereignisse gewählt, ja sogar Schlachtenverläufe vereinfacht und a priori auf die jeweils siegreiche Partei ausgerichtet seien. In diesem Auswahlprozess manifestiere sich also gerade eine intentionale Vermeidung überflüssiger, für den Ausgang unerheblicher und für den 529 Vgl. Lukian. hist. conscr. 57, der gerade ein besonderes Maßhalten bei geographischen Deskriptionen postuliert, und Flach (1973b), S. 36, der auch bei Tacitus’ Vorbild Sallust eher Kürze und Prägnanz in den Ortsbeschreibungen verwirklicht sieht. Vgl. weiterhin Syme (1967), S. 395, S. 443 sowie S. 764, und auf diesen Bezug nehmend Dench (2009), S. 397, Wellesley (1969), S. 63, Pfordt (1998), S. 14 sowie S. 190, und Woodman (1998), S. 236, die die taciteische Kriegsberichterstattung ganz der antiken historiographischen Tradition verpflichtet sehen. 530 Vgl. Timpe (1988/2007), S. 256, Syme (1967), S. 392 sowie S. 764, Röver/Till (1969), S. 37, Levene (2009b), S. 237, Ryan (2003a), S. 219: „How many of us can honestly say that we never skip descriptions?“, und auch Shotter (1989), S. 10: „Place-names (which would have been meaningless to a Roman audience) are largely omitted.“ Demgegenüber schreibt Wellesley (1969), S. 64 sowie S. 73, den damaligen Rezipienten (vielleicht allzu) gute Kenntnisse der Geographie des imperium Romanum zu. 531 Vgl. Ryan (2003a), S. 219, S. 225 sowie S. 237, und dies aufgreifend Dennerlein (2009), S. 180 f. 532 Vgl. Ryan (2003a), S. 235 f. 533 Vgl. Ryan (2003a), S. 218 sowie S. 238: „People read for the plot and not for the map, unless they are literary cartographers.“, und dies trotz Skepsis, S. 104–106, bestätigend Dennerlein (2009), S. 108 f.

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Durchschnittsleser wenig interessanter Informationen.534 Somit gelingt Tacitus’ Darstellung, die auf ein allgemeines Literaturpublikum abzielt,535 eine anerkennenswerte narrative Balance, eben weil wir zwar nicht immer wissenschaftlich exakt wissen, „wo die Truppen standen und wo die Schlachten geliefert wurden, […], dafür aber von Zeichen und Wundern genug und leere Worte nur zuviel.“536 Deren reflektierte, auf den jeweiligen Erzählanlass fein abgestimmte Integration verfolgt eine durch eine rein sachlich-historische Analyse freilich nicht zu erfassende Absicht, nämlich die Rezipienten mit ausdrucksstarken, dramatischen Szenen, plötzlichen Peripetien und stimmungsvollen Atmosphären zu unterhalten, wie dies gerade die von Mommsen so sehr getadelte Episode über Boudiccas Aufstand mustergültig aufzeigt.537 Drittens berücksichtigt die althistorische Kritik die implizierte Kontrastfunktion außenpolitischer Partien zu wenig.538 Denn Berichte von grenznahen Konflikten werden vornehmlich dazu benutzt, den moralischen Niedergang im hauptstädtischen Milieu Neros der bewussten Wahrung altrömischer Werte durch die erfolgreichen Feldherrn Corbulo und Suetonius Paulinus gegenüberzustellen, sodass jeweils ein gedanklicher Zusammenhang zwischen narrativen Räumen und dort agierenden Figuren besteht.539 Dabei wird eine unmittelbare Kontrastierung des Öfteren dadurch erwirkt, dass der Übergang zwischen innenpolitischem und außenpolitischem Geschehen abrupt vollzogen und die Auffindung einer gedanklichen Verbindung ergebnisoffen dem Leser überlassen wird.540 Hierzu wird ein adversatives at541 ver534 Vgl. Levene (2009b), S. 230 f. sowie S. 237, Schneider (2015), S. 153, Suerbaum (2015), S. 429: „Man kann darum sagen, dass Tacitus in den Annales auf geographische Exkurse, im Gegensatz zu seiner früheren eigenen Praxis, geradezu verzichtet hat.“, Ryan (2003a), S. 219, die das beschriebene Vorgehen als typische narrative Praxis ausweist: „But the most widely practiced alternative is to unfold the map gradually, by linking the disclosure of spatial information to the actions of characters or by interleaving short descriptions with the report of narrative events.“, Dennerlein (2009), S. 111: „Oft werden Positionsangaben für andere Mitteilungsabsichten funktionalisiert.“, und Stockhammer (2007), S. 72 f. 535 Vgl. Miller (1969), S. 108 f. 536 Mommsen (1886), S. 165 Anm. 1. 537 Vgl. dazu Kap. 2.3 und Röver/Till (1969), S. 37, sowie Levene (2009b), S. 227: „In most of the military campaigns in the Annals heavily abridged battle descriptions are the norm, and the bulk of the narrative is occupied with quite different matters.“ 538 Vgl. zu dieser Verwendung unterschiedlicher Handlungsräume Bal (1997), S. 137: „Often, one space will be the other’s opposite.“, De Jong (2012), S. 15: „Mirror-descriptions can offer solace […] or anticipate the plot, or shed another light on it“, McCulloch (1984), S. 59, Waddell (2013), S. 473, und auch Classen (1988), S. 108. 539 Vgl. Dennerlein (2009), S. 69: „Räume, die zur Umgebung von Figuren werden, charakterisieren diese oftmals. Die in ihnen gegebenen Bedingungen können darüber hinaus handlungsbestimmend sein, und denjenigen Bereichen, in denen die Handlung spielt, kommt offenbar ein besonderer Status zu.“ 540 Vgl. dazu Graf (1931), S. 76 sowie S. 99, Sullivan (1976), S. 324, Allgeier (1957), S. 90 f., Voss (1963), S. 70, S. 79 sowie S. 82, Vogt (1936/1969), S. 50, Ginsburg (1981), S. 72 sowie S. 79, und Segal (1973), S. 114 sowie S. 118 f. 541 Als Stellen, an denen at die Simultanität des außen- und innenpolitischen Geschehens unterstreicht und den Schauplatz wechselt, lassen sich identifizieren: 14,23,1, 15,18,1, 26,1; vgl. auch Anm. 568 und zur kontextuellen Einbettung Anhangstabelle 4.

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wendet, das zugleich die zeitliche Simultanität der jeweiligen, notwendigerweise nacheinander referierten Geschehensverläufe ausdrückt und dem Rezipienten gewissermaßen die Existenz zweier Parallelwelten suggeriert.542 Besonders markant ist hierfür der Übergang zwischen den Kapiteln 15,17 und 15,18, da das durch Corbulos Intervention gerade noch glimpflich ausgegangene militärische Versagen und Paetus’ blamable Niederlage in Armenien gezielt mit den überschwänglichen, aber auf nichtigen Gründen beruhenden, zeitgleich stattfindenden Siegesfeierlichkeiten in Rom kontrastiert werden, um die Verdorbenheit sowie Weltfremdheit des Kaisers und der servilen Majorität der Senatorenschaft hervorzukehren.543 Die anschließende Rückwendung nach Armenien erfolgt ebenfalls über ein nuanciertes at Corbulo (15,26,1).544 Auch an anderer Stelle wechselt die Berichterstattung mittels eines schnellen Übergangs, wenngleich ohne explizit gesetztes at, weil hier keine temporale Simultanität besteht, von dem langsamen Aussterben der patrizischen Geschlechter zum Erhalt altrömischer Tugenden im Heer und weiterhin treffen die Erwähnung der von Corbulo vollbrachten Taten sowie des dem Prinzeps für eben diese zuerkannten Lobpreises in schärfstem Kontrast aufeinander.545 Nach Neros Entweihung der Aqua Marcia ist zudem die Überleitung auf die derzeitigen Aktivitäten des Feldherrn in Armenien bemerkenswert, da zwar das vorangehende secutaque anceps ualitudo iram deum adfirmauit (14,22,4) als ‚Fadeout‘ den Schauplatzwechsel vorbereitet, dieser aber lediglich mit einer Adversativpartikel und einem Initialstichwort, at Corbulo (14,23,1),546 vollzogen wird. Dadurch werde der Vorstellung des Rezipienten absichtlich Freiraum gegeben, wie Morris und Pfordt zu Recht betonen. Das weitere Schicksal des Kaisers werde nämlich vorläufig im Ungewissen gelassen und die Fortsetzung eines wenig zuvor etablierten Gedankenganges angestoßen, der zum einen darauf basierte, dass das römische Volk das Erscheinen eines Kometen und den Einschlag eines Blitzes in Neros Speisetisch als Vorzeichen eines Herrschaftswechsels betrachte und in Plautus den neuen Prinzeps sähe. Zum anderen schwenke nach dessen Verbannung und Neros Krankheit nun der Fokus schlagartig auf Corbulo, der im Osten eine große Truppenmacht befehlige. Die Parallelität zu Vespasian und die verlockende Vorstel542 Vgl. Geiser (2007), S. 144–147 sowie S. 291 f., v. a. aber S. 146: „Letztendlich erzielt Tacitus also wiederum einen Kontrast – allerdings nicht direkt zwischen Personen und Charakteren, sondern er läßt den Leser vielmehr den Gegensatz zwischen den beiden Welten und der jeweiligen Atmosphäre spüren.“ 543 Vgl. Pfordt (1998), S. 173, Graf (1931), S. 97, Geiser (2007), S. 113, Tresch (1965), S. 181, Allgeier (1957), S. 84, Waddell (2013), S. 480 f., und Miltsios (2009), S. 500. 544 Vgl. Pfordt (1998), S. 179, und Geiser (2007), S. 121. 545 13,34,1 f. sowie 13,41,3 f.; vgl. dazu Pfordt (1998), S. 133, S. 137: „Auf diese Art und Weise – durch das enge kommentarlose Anschließen – gelingt es Tacitus, den Kaiser in krassen Gegensatz zu Corbulo zu stellen.“, S. 137 f.: „So erscheint neben Corbulo auch C. Cassius in positivem Licht, während dagegen Nero – und das ist wichtig, herausgehoben zu werden –, ohne daß Tacitus ihn expressis verbis kritisiert, allein durch seine Komposition in Kontrast zu dem positiven Helden Corbulo gestellt wird und damit negativ erscheint.“, sowie S. 186: „Auf jeden Fall war Tacitus frei in seiner Quellenauswahl und Komposition und hat damit bewußt einen Gegensatz Nero – Corbulo geschaffen.“ 546 Vgl. Wille (1983), S. 551, und Pfordt (1998), S. 151.

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lung eines Kaisers Corbulo seien dabei für einen aufmerksamen Leser nach Pfordts und Morris’ Meinung unübersehbar sowie bewusst angelegt, um die Phantasie des Rezipienten anzuregen.547 Außerdem führe das beständige latente Vorhandensein dieses Vergleichs, wie Classen treffend bemerkt, zu einer gegenseitigen Charakterisierung der beiden historischen Protagonisten: „It is adulation, violence and crimes that Tacitus wishes his reader to associate with Nero, when he attributes any activity to him at all, not bravery on the battlefield or military success, let alone leadership.“548 Darüber hinaus bietet die breite Darstellung des erfolgreichen militärischen Vorgehens Corbulos für einen kritisch-analysierenden Leser mit dem Hintergrundwissen um Trajans Partherfeldzüge, für die dieser im Jahr 116 n. Chr. den Ehrentitel Parthicus erhielt und Münzen mit dem Titel Parthia capta prägen ließ, unausgesprochene, jedoch aufmerksamkeitsfokussierende und reflexionswürdige transhistorische Analogien.549 Abgesehen von diesen sprunghaften, kontrastreich konnotierten Übergängen zwischen Innen- und Außenpolitik finden sich auch gleitende, eng verbundene Schauplatzwechsel.550 In Kapitel 13,6 unterbrechen überraschend in der Hauptstadt eintreffende Meldungen, die Parther seien in römisches Gebiet eingedrungen, das innenpolitische Geschehen und richten das Augenmerk des Lesers mithilfe dieser gekonnten Überleitung auf die Ereignisse an der armenischen Grenze.551 Von dort führt die Bitte um Schlichtung der Kompetenzstreitigkeiten der beiden Feldherrn Ummidius Quadratus und Corbulo die Handlung wieder zurück zu Nero.552 Nach dem Sieg über Boudicca gelangt die Wahrnehmung des Rezipienten zudem mit Iulius Classicianus’ Amtsbericht aus Britannien, der Inspektionsreise des kaiserlichen Freigelassenen Polyclitus und einer knapp gefassten, kompletiven Prolepse auf Petronius Turpilianus’ unspektakuläre, ereignisarme Statthalterschaft in die römische Hauptstadt, wo die Erzählung im Anschluss fortgesetzt wird.553 Weiterhin transferiert L. Antistius Vetus’ Warnung an seinen Schwiegersohn Plautus die Handlung für einige Kapitel nach Griechenland auf dessen Besitzungen, von wo sie 547 14,22,1–4; vgl. dazu Pfordt (1998), S. 151 Anm. 594 sowie S. 192, Morris (1969), S. 139, Tresch (1965), S. 146 f., Krauss (1930), S. 44, und Segal (1973), S. 114. 548 Classen (1988), S. 109; vgl. De Jong (2012), S. 16, die auf die „characterizing function“ narrativer Räume verweist, Hausmann (2009), S. 96 f., und Waddell (2013), S. 478–480, die ähnliche Techniken bezüglich des Verhältnisses zwischen Germanicus und Tiberius bemerken. 549 Vgl. Woodman (2009), S. 41, und Schneider (2015), S. 138. 550 Vgl. zu korrelativen Formen der Handlungsstrangverknüpfung Lämmert (1980), S. 52 f., und Fludernik (2006), S. 57. Zur reflektierten Betrachtung von Schauplatzwechseln fordert Pausch (2011), S. 52, auf. 551 13,6,1 … turbidis rumoribus prorupisse rursum Parthos et rapi Armeniam adlatum est, …; vgl. Wille (1983), S. 530, Pfordt (1998), S. 127 sowie S. 131, und Koestermann (1967), S. 243. 552 13,9,3 unde discordia inter duces, … Nero quo componeret diuersos, sic euulgari iussit: …; somit erfolgt dieser Übergang nicht so abrupt und unverbunden, wie Pfordt (1998), S. 132, annimmt. Geiser (2007), S. 50, merkt an, dass Vologaeses’ umstrittene Geiselstellung keineswegs ein begehrenswerter militärischer Erfolg war, sondern der Partherkönig die Gelegenheit geschickt nutzte, um Personae non gratae aus seinem Königreich zu entfernen, sodass diese Affäre für die römischen Feldherrn zur Farce wird. 553 14,38,3–39,3; vgl. Morris (1969), S. 146, und Miller (1969), S. 111. Erst in 15,72,1 wird erwähnt, dass Petronius wieder in Rom anwesend ist.

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nach Plautus’ Tötung zusammen mit dessen Kopf und Mördern wieder nach Rom zurückkehrt.554 Ankunft und Forderungen von Vologaeses’ Legaten erinnern den Leser außerdem an die unerfreulichen Geschehnisse in Armenien und leiten so gedanklich von Rom zu jenem Schauplatz über, der mit einer erneuten Absendung von Botschaften des Vologaeses an Nero verlassen wird.555 Aber der Blick des Rezipienten erreicht in diesem Fall nicht unmittelbar, sondern erst nach einem Zwischenhalt bei den Bewohnern der Alpes maritimae Rom, denen das ius Latii und das besondere auktoriale Interesse am Ende des Jahres 63 n. Chr. zufallen.556 Ebenso folgt der Handlungsfokus an anderer Stelle zuerst Corbulos Abzug aus Armenien, um daraufhin in Laodicea, Puteoli, Tarent und Antium Station zu machen, bevor er rechtzeitig, eodem anno (14,27,1), zu den Komitien wieder in der Hauptstadt eintrifft. Dort verweilt er nur kurz, weitet sich sogleich anlässlich eines Repetundenprozesses und tendiert anschließend in Richtung Britannien.557 Einmalig und aussagekräftig für Tacitus’ narrative Qualitäten ist darüber hinaus die geschickte, wenn auch das annalistische Schema verletzende Überleitung zwischen Außen- und Innenpolitik nach der Eroberung Artaxatas, die von Pfordt zu Unrecht kritisiert wird.558 Da sämtliche Feldzüge der römischen Befehlshaber nämlich unter den Auspizien des Prinzeps geführt wurden,559 ist es nach kaiserzeitlicher Vorstellung nur folgerichtig, den militärischen Erfolg wie auch die positiven göttlichen Omen nach der Einnahme der armenischen Hauptstadt auf Nero zu beziehen, ob haec consalutatus imperator Nero (13,41,4), und dadurch das geistige Auge des Lesers in die stadtrömische Sphäre zurückzulenken. Während Gerüchte, Nachrichten oder Gesandtschaften also häufig als narrative Mittel dienen, um einen Schauplatzwechsel fließend zu vollziehen,560 existieren gelegentlich auch kulturelle Verbindungen oder Zwischenhalte beim Übergang von einem zum anderen Handlungsort. Die sukzessive Abfolge von Stationen unterstützt zumindest ansatzweise die Entstehung einer „weiter ausgreifenden mental map im Kopf des Lesers“561, in die er virtuell die suggerierte Reiseroute eines Boten oder den Übertragungsweg einer Mitteilung eintragen kann, sodass vom 554 14,58,3 … et mandata L. Antistii soceri attulit. bzw. 14,59,3 caput interfecti relatum. 555 15,24,1 inter quae ueris principio legati Parthorum mandata regis Vologaesis litterasque in eandem formam attulere bzw. 15,30,2 obsidem interea filiam tradit litterasque supplices ad Neronem. Vgl. Pfordt (1998), S. 178, und Allgeier (1957), S. 86. 556 15,32; vgl. Pfordt (1998), S. 182. Angesichts ihrer überleitenden Funktion sind diese kleinen Nachrichten aus den Provinzen aber keineswegs „signs of incompleteness“, wie Syme (1967), S. 742 f., behauptet. 557 14,26,2–29,1; vgl. Pfordt (1998), S. 155: „Tacitus hat hier mit einigen kleinen annalistischen Versatzstücken ein kurzes Zwischenspiel geschaffen, das den Blick des Lesers zwischen zwei außenpolitischen Berichten nach Rom und wieder von Rom weg schweifen läßt.“ 558 13,41,3 f.; vgl. Pfordt (1998), S. 137, und auch Anm. 129. 559 Vgl. Suerbaum (2015), S. 367 Anm. 230. 560 Dies gilt an folgenden Stellen: 13,9,1, 9,3, 19,4, 38,1, 48, 54,3, 54,4, 14,6,3, 8,1, 10,3, 17,1, 30,3, 38,3, 39,1–3, 57,4, 58,3 f., 59,3, 64,2, 15,1,1, 5,1, 5,4, 8,2, 10,5, 11,3, 13,3, 14,1–3, 17,3, 24,1, 25,3, 30,2, 60,4–61,3, 16,2,1, 9,2, 10,4, 11,1, 14,2, 14,3, 15,1, 19,3, 24,1, 34,1; vgl. zur kontextuellen Einbettung Anhangstabelle 4. Ohne anschließenden Schauplatzwechsel werden Botenabgänge in den nachstehenden Passagen genannt: 14,22,3, 49,1 f., 59,4, 15,3,1, 27,2. 561 Pausch (2011), S. 130, und vgl. dazu auch Ryan (2003b), S. 342.

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Rezipienten zum einen der „ungegliederte[n] Raum der antiken Oikumene innerhalb des Textes durchaus narrativ“562 im Sinne eines Netzwerkraumes563 rekonstruiert werden kann, zum anderen ein vorherrschender „panoramic standpoint“564 des Autors deutlich wird, wie Pausch entsprechende Erzählstrategien in Livius’ Werk interpretiert.565 Die gleitenden Übergänge, die auf eine enge Kohärenz sowie stringente Gedankenführung zwischen außen- und innenpolitischen Bereichen abzielen und deren Ausgestaltung diegetische Raffinesse wie auch Kreativität im Umgang mit dem historischen Stoff belegt, bieten damit ein Pendant zu den sprunghaften Gegenüberstellungen, deren besonderer Reiz vor allem in ihrer großen Dynamik, ihrer andeutungsvollen Lückenhaftigkeit und ihrem ausdrucksstarken Kontrastreichtum besteht.566 Bedeutungsträchtige und vielfältige lokale Geschehensschauplätze Neben Überleitungen zwischen res externae und res internae, die gewiss die augenfälligsten Anwendungssituationen sind, verlangt die räumliche Disposition nach denselben narrativen Techniken bei Schauplatzwechseln innerhalb eines Ressorts. Während der außenpolitischen Episode zu Beginn des 15. Buchs geht der Fokus analog zur Briefkorrespondenz zwischen den beiden Feldherrn mehrmals von Caesennius Paetus auf Corbulo über567 und in den Paragraphen 15,11,1 sowie in 15,13,2 werden die in beiden Kriegslagern gleichzeitig stattfindenden Geschehnisse mit einem bloßem at gegenübergestellt.568 Diese rhythmisierenden Wechsel zwischen konträren Charakteren und deren Handlungsfeldern finden sich besonders in komplex strukturierten innenpolitischen Partien wie der Darstellung der Pisonischen Verschwörung oder der Rivalitäten zwischen Nero und Agrippina und ermöglichen eine alternierend berichtende, aber kontinuierliche Erzählung umfangreicher simultaner Ereignisstränge, die der filmischen „Technik der schnellen Schnitte“569 562 563 564 565 566

Pausch (2011), S. 131. Vgl. dazu Redepenning (2016), S. 33–35, und Schmidt-Hofner/Ambos/Eich (2016), S. 14. De Jong (2012), S. 11. Vgl. Pausch (2011), S. 130 f. Vgl. Iser (1976/1994), S. 304, sowie (1980), S. 112: „These sudden changes are often denoted by new chapters and so are clearly distinguished; the object of this distinction, however, is not separation so much as a tacit invitation to find the missing link.“, Waddell (2013), S. 488: „By placing images in quick succession without coordinating them in relation to each other, Tacitus compels the reader to infer a connection between the two.“, und Bal (1997), S. 136: „In many cases, however, space is ‚thematized‘: it becomes an object of presentation itself, for its own sake. Space thus becomes an ‚acting place‘ rather than the place of action.“ 567 15,10,4 f. ut instantem Corbuloni fateretur. nec a Corbulone properatum, … und 15,11,3–12,1 …, missis iterum ad Corbulonem precibus, … ille interritus et … 568 Als Stellen, an denen at die Simultanität des Geschehens unterstreicht und den Schauplatz innerhalb der res externae und res internae wechselt, lassen sich identifizieren: 13,16,3, 16,4, 18,2, 30,2, 37,1, 40,1, 14,7,1, 23,1, 25,1, 27,1, 33,1, 34,2, 49,1, 53,1, 63,1, 15,11,1, 13,2, 18,1, 26,1, 57,1, 64,1, 68,1, 73,3, 16,9,2, 17,5, 20,2, 23,1, 27,1; vgl. zu einer kontextuellen Einbettung Anhangstabelle 4. 569 Pausch (2011), S. 87.

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gleicht. Im zweiten Beispiel kommt der räumlichen Distanz, die durch die Trennung der domus Agrippinae vom Kaiserhof entsteht und gerade anhand der Nachricht über Agrippinas und Plautus’ angebliche Verschwörung evident wird, die sich von der Initiatorin dieser Intrige, Iunia Silana, erst über die Vermittlerkette Iturius und Calvisius, Adimetus sowie Paris schrittweise von Agrippinas Türschwelle bis zu Neros Ohren verbreiten muss,570 sogar ein symbolischer Gehalt zu, der die zunehmende Entfremdung beider hervorhebt. Eine solche Funktionalisierung, die die räumliche Gestaltung zur Trägerin einer textuellen Aussage macht, ist nach Agrippinas Ermordung auch in der Sprunghaftigkeit des Handlungsfokus erkennbar, der für einige Kapitel zwischen den Schauplätzen Kampanien und Rom hin und her pendelt und nicht mit dem Rechtfertigungsschreiben direkt von Bauli in die Hauptstadt zurückführt. Darin spiegelt sich gewissermaßen das unentschlossene und verunsicherte Verhalten des zwischenzeitlich in Neapel weilenden Prinzeps wider.571 Weiterhin dienen Parkanlagen offenbar gerade dann als Handlungsorte, wenn die Lage für einen Protagonisten bedrohlich wird, wie die jeweiligen Passagen von Messalinas Tod, Cornelius Sullas Verbannung, der Denuntiation der Pisonischen Verschwörung durch Milichus oder Thrasea Paetus’ Sterbeszene belegen.572 Ihre schattige und halböffentliche Atmosphäre bietet den idealen Ort für die oftmals zwielichtigen Vorgänge, während die reale Existenz dieser Stätten nach Stackelberg einen positiven Beitrag zur Glaubwürdigkeit der dortigen dubiosen Vorgänge leiste.573 Hingegen besticht das von Caesellius Bassus beschriebene Traumbild einer unterirdischen karthagischen Schatzkammer, in der Didos Gold versteckt sei, als figurale Raumwahrnehmung durch seine subjektive Irrealität.574 Dessen Vision sowie Neros Bergungsversuche dieses Schatzes bilden geradezu ein virtuelles Surrogat für reale außenpolitische Erfolge im Jahr 65 n. Chr.,575 sodass dieser Passus einerseits in einem Kontrastverhältnis zum Auftakt des 15. Buchs steht und die Skurrilität der Situation die gesteigerte Weltfremdheit des Kaisers meisterhaft zum Ausdruck bringt.576 Andererseits überschreitet diese phantastische Geschichte, die aufgrund ihres mythischen, vorgeschichtlichen Inhalts wie auch wegen des gewählten Darstellungselementes eines Traumes episch anmutet, den geistigen Vorstellungshorizont jedes Lesers und strahlt auf ihn dadurch eine ungeahnte Faszination 570 13,18,3–20,1. 571 14,10,3–13,2; vgl. dazu auch Morris (1969), S. 118. 572 11,37,1–38,4, 13,47,1–3, 15,55,1–4 bzw. 16,34,1–35,2; vgl. zur Bedeutung des Gartenmotivs bei Messalinas Tod ausführlich v. Stackelberg (2009). 573 Vgl. v. Stackelberg (2009), S. 596 sowie S. 606: „A core tenet of ancient historiography was that geographical descriptions should add psychological plausibility to the events described.“ 574 Vgl. zu dieser narrativen Form der Raumwahrnehmung, die sich durch ihre Subjektivität, Standortabhängigkeit und Aktualität auszeichnet, Dennerlein (2009), S. 146. 575 16,1,1–3,2, insbesondere 16,1,1 f. … expromit repertum in agro suo specum altitudine immensa, quo magna uis auri contineretur, non in formam pecuniae, sed rudi et antiquo pondere. lateres quippe praegraues iacere, adstantibus parte alia columnis; … 576 Vgl. Koestermann (1968), S. 340, Woodman (1993), S. 127 f., Suerbaum (2015), S. 454, der jedoch auf S. 457 zu Unrecht behauptet, die vorliegende Episode stehe isoliert, und Heldmann (2013), S. 352: „Die Erzählung ist ein Kabinettstück der Erzählkunst, voller beziehungsreicher Einzelzüge und mit einem Akteur im Mittelpunkt, der sich aus der Realität verabschiedet hat.“

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aus, die deren exponierte Stellung am Buchanfang als gezielter Aufmacher auch abgesehen von Kontrastierungsabsichten begründet.577 Die fehlende Präzision der Angaben gestaltet die sehr begrenzte Erinnerbarkeit einer nächtlichen Vision, nocturnae quietis imaginem (16,1,1), nach und garantiert dem Rezipienten einhergehend mit der vorliegenden Virtualität und zahlreichen offenen Leerstellen mannigfache Gelegenheiten zur individuellen Imagination und Immersion.578 Eine mentale Rekonstruktion erfordern allerdings nicht nur dem Rezipienten unbekannte außenpolitische oder virtuelle Handlungsschauplätze, sondern dieses kognitiv aktivierende Potenzial bergen prinzipiell alle zur Verortung des Geschehens benannten sowie besonders die unbestimmten „settings“.579 Denn zwar kann die Detailliertheit räumlicher Angaben aufgrund des Strebens nach Variation, der Dramatisierung, der Generierung einer gewissen, realitätsnahen Atmosphäre, der vom Verfasser antizipierten Bekanntheit oder der etwaigen Handlungsbedeutung eines Ortes in unterschiedlichen Abstufungen vorliegen, die deskriptiven Hinweise vermögen dennoch niemals, die lokale Umwelt vollständig abzubilden.580 Vielmehr können die knapp bemessenen Anhaltspunkte durch logische raumreferenzielle Schlussprozesse eines Lesers, falls die fiktionale räumliche Gegebenheit den Gesetzmäßigkeiten der aktualen Welt folgt, nur zu einer an Schemata bekannter und vergleichbarer Lokalitäten orientierten, jedoch stets imaginären Vorstellung von Örtlichkeiten führen.581 Das Repertoire der in den Nerobüchern enthaltenen Hand577 Vgl. De Jong (2012), S. 4, die solche irrealen Orte der Erzählung als „frames“ bezeichnet, Stockhammer (2007), S. 65, zum narrativen Nebeneinander realer und fiktiver Orte, und Martin (1981), S. 224, mit Verweis auf Caecinas Traum in Paragraph 1,65,2 sowie allgemein zum Traummotiv in der Historiographie. 578 Vgl. Ash (2015), S. 283: „Readers loved such stories – and they also had great potential to fulfil the moralizing agenda of ancient historiography, as Tacitus saw.“ 579 De Jong (2012), S. 4: „setting, i. e. the location where the action takes place.“ Vgl. Dennerlein (2009), S. 43, S. 83: „Sobald ein Ereignis erzählt wird, ist eine räumliche Gegebenheit impliziert, an/in der sich ein Ereignis abspielt, sei sie auch noch so unbestimmt. Aus diesem Grund kann eine Textstelle oftmals ohne Nennung einer räumlichen Gegebenheit oder nur mit spärlichen Angaben auskommen.“, und S. 128 f. 580 Wellesley (1969), S. 85: „The invariable description of the terrain is, […], generally couched in terms that admit of no very precise reconstruction in the visual imagination of the reader.“ Wegen der Lückenhaftigkeit der literarischen Dartellung schlägt de Jong (2012), S. 2 f., sogar eine Unterscheidung in Lokalitäten der Geschichte und der Erzählung vor: „We may distinguish between fabula-space and story-space: the fabula-space would be a (theoretically) complete depiction of the location(s) of a narrative, while the story-space is the actual space as the text presents it to us.“ 581 Vgl. De Jong (2012), S. 3, Fludernik (2006), S. 53, Ryan (2003a), S. 222 sowie S. 225, (2003b), S. 344, Dennerlein (2009), S. 83: „Der Raum liegt im Text nicht in Form eines festen Codes vor, sondern entsteht aus dem Zusammenspiel von textuellen Informationen und Schlussprozessen. Die Erzeugung von Raum durch raumreferentielle Ausdrücke muss folglich um Schlussprozesse eines Lesers ergänzt werden, der eine Alltagsvorstellung von Raum hat und diese zur Ergänzung der textuellen Informationen heranzieht.“ sowie S. 92 f., Martínez/ Scheffel (2007), S. 149, die mit Verweis auf kognitionspsychologische Studien urteilen: „Was der (intendierte) Leser erschließen kann, läßt der Autor unausgesprochen, um nicht redundant zu erscheinen.“, Schmitz (2002), S. 104: „Erzählungen lassen Selbstverständliches fort und schaffen dadurch Lücken, die vom Leser ausgefüllt werden“, v. Stackelberg (2009), S. 607:

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lungsorte ist, wie im Anhang vollständig dargelegt wird,582 abwechslungsreich und umfasst neben den Grenzgebieten und Provinzorten des imperium Romanum583 auf italischem Boden Schauplätze wie Neapel, Nuceria, Pompeji oder den Golf von Baiae.584 Die vorherrschende Stätte des Geschehens ist allerdings Rom, wo angesichts einer anzunehmenden Ausrichtung an einem mit der stadtrömischen Topographie und Architektur vertrauten Publikum oftmals bloße Nennungen öffentlicher Plätze und Gebäude wie der Kurie, des Kaiserpalasts, des Stadtdomizils Agrippinas, des Pompeiustheaters, der Milvischen Brücke, der Sallustianischen Gärten, des Circus Maximus oder unterschiedlicher Tempelanlagen zur ausreichenden geistigen Lokalisation genügen.585 Demgegenüber erhalten Privathäuser und -räume beziehungsweise entlegene Landgüter sowie abgeschiedene Aufenthaltsorte, die einem breiten Publikum unzugänglich, aber handlungsrelevant sind, regelmäßig eine explizite Darstellung, sodass der Leser bei Plautus’ Ermordung auf dessen Besitzungen in Asien gegenwärtig sein und in einer plastischen Szene sogar dem Tod von dessen Angehörigen im familieneigenen Dampfbad beiwohnen kann.586 Weiterhin beeindrucken die eingehende Beschreibung von Agrippinas verborgenem Aufenthaltsort bei Senatsverhandlungen587 und die meisterlich gestaltete Abfolge einzelner Ortsangaben, die vor ihrer Ermordung geradezu ihren Gang auf das Schafott nachzeichnen: der Treffpunkt am Strand, die Sitzordnung beim gemeinsamen Abendessen, die nächtliche Szenerie der Bucht und auf dem Schiff, die bei der Suche nach der Kaisermutter wieder aufgegriffen wird, die einzigartige Stimmung im düsteren Schlafzimmer ihres Landhauses am Lukriner See, in dem sie ermordet wird, und schließlich sogar die exakte Lagebestimmung ihres Grabhügels.588 Mit vergleichbarer Ausführlichkeit werden ebenso die lokalen Umstände

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„The lack of specificity focuses the reader’s attention on this gap in the narrative.“, und v. Albrecht (1988), S. 54: „Die Ahnungslosigkeit künftiger Leser brauchte Tacitus nicht zu kümmern.“ Vgl. Anhangstabelle 4. Vgl. zu den außenpolitischen Exkursen Anm. 522 f. und zu konkreten Orten z. B. Massilia 13,47,3, 14,57,4, Laodicea 14,27,1, Lugdunum 16,13,3 sowie die Alpes maritimae 15,32. In obiger Reihenfolge mit Semikola nach Handlungsorten getrennt: 14,10,3, 15,33 f., 16,10,4; 13,31,2; 14,17,1; 14,4,1–10,2, 15,52,1. Für eine vollständige Übersicht über alle Handlungsorte vgl. Anhangstabelle 4. In obiger Reihenfolge mit Semikola nach Handlungsorten getrennt: 13,4,1, 14,12,1, 16,27,1; 13,5,1, 14,61 f., 15,39,1, 15,72,1; 13,18,3 f.; 13,54,3, 14,20,2, 16,4,3; 13,47,2; 15,38,2. Zur knappen Beschreibung des Ausbruchsorts des Rombrands im Jahre 64 n. Chr. vgl. Koestermann (1968), S. 235, und demgegenüber Hanslik (1963), S. 93. Vgl. zudem Sonnabend (2002), S. 177, der bei Sueton ein ähnliches Vorgehen identifiziert, und Mehl (2001), S. 21, der Rom als Hauptentstehungsort und -leseort der römischen Geschichtsschreibung ansieht. 14,59,1 f. sowie 16,11,2. 13,5,1 …, ut adstaret abditis a tergo foribus uelo discreta, quod uisum arceret, auditus non adimeret; vgl. dazu Koestermann (1967), S. 242: „Die Szene ist von drastischer Anschaulichkeit.“, und Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 159. 14,4,2–4 uenientem dehinc obuius in litora (nam Antio aduentabat) … ducitque Baulos. id uillae nomen est, quae promuntorium Misenum inter et Baianum lacum flexo mari alluitur. stabit inter alias nauis ornatior, …: comiter excepta superque ipsum collocata., 14,5,1 noctem sideribus inlustrem et placido mari quietam … nec multum erat progressa nauis, … Crepereius Gallus haud procul gubernaculis adstabat, Acerronia super pedes cubitantis reclinis …,

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2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

der letzten Augenblicke Senecas und Thrasea Paetus’589 geschildert, sodass bei diesen drei Exempeln das Ineinandergreifen von detaillierter Örtlichkeitsbeschreibung und weiteren Faktoren zur Erzeugung einer unmittelbaren Darstellung wesentlich zu einer Retardation des Erzähltempos sowie zu einer gesteigerten Eindringlichkeit und Dramatik beiträgt.590 Fazit Aus Tacitus’ methodischen Reflexionen wie auch den voranstehenden Befunden wird evident, dass das Element des narrativen Raumes neben zeitlichen und thematischen Strukturprinzipien als eine dritte bedeutende Gliederungskomponente anzusehen ist. Denn zum einen setzt sich der Autor bei der Anordnung von außen- und innenpolitischen Textpartien mehrmals explizit über die Chronologie hinweg, um geographisch Zusammengehöriges en bloc zu berichten. Zum anderen wird die an lokalen Kriterien orientierte Grobeinteilung in res internae und res externae grundsätzlich beibehalten. Doch da sich die Abfolge beider Kategorien nicht mehr nach dem annalistischen oder einem anderen festen Schema richtet, verleiht diese jahrweise variable, von intentionalen Kriterien geleitete Disposition der zwischen den großen Ressorts wechselnden Erzählung einen arhythmischen und werkspezifischen Charakter, wirkt sich zugleich positiv auf die Spannungsentwicklung aus und begünstigt die gezielte Integration kontrastreicher Gegenüberstellungen. Diese werden häufig durch das vehemente Aufeinandertreffen zweier verschiedener Handlungsorte, die lediglich ein adverbiales at trennt, erzeugt. Diese sprunghaften Übergänge regen das kritisch-analytische Bewusstsein eines aufmerksamen Rezipienten dazu an, einzelfallabhängige gedankliche Verbindungen durch komparatistische Überlegungen herzustellen, die sich insbesondere zwischen Nero und Corbulo anbieten. Zudem ermöglicht diese elementare Form der Koordination die Wiedergabe simultan verlaufender Handlungsstränge sowie schnelle Wechsel zwischen diesen, was gerade in komplexeren Erzählsituationen vonnöten ist und die Darstellungsdynamik wesentlich steigert. Alternativ leitet die Erwähnung von Gerüchten, 14,8,1–3 …, decurrere ad litus. hi molium obiectus, hi proximas scaphas scandere; … Anicetus uillam statione circumdat refractaque ianua obuios seruorum abripit, donec ad fores cubiculi ueniret; … cubiculo modicum lumen inerat …, 14,9,1 mox domesticorum cura leuem tumulum accepit, uiam Miseni propter et uillam Caesaris dictatoris, quae subiectos sinus editissima prospectat. Vgl. dazu Quinn (1963), S. 123. 589 15,60,4 … ex Campania remeauerat quartumque apud lapidem suburbano rure substiterat, 15,63,3 …, suadet in aliud cubiculum abscedere, 15,64,4 … stagnum calidae aquae introiit, … exim balneo inlatus … bzw. 16,34,1 … in hortis agentem …, 16,35,1 progressus in porticum illic a quaestore reperitur, … in cubiculum inducit. Vgl. zur besonderen Bedeutung von Gärten als gesellschaftliche und wirtschaftliche Prestigesymbole v. Stackelberg (2009), S. 601: „Horti and imperial power were therefore a well-established conceptual dyad by the mid-first century C.E.“ 590 Vgl. zur Interdependenz von Örtlichkeitsbeschreibungen und dem Spannungsempfinden Kinzel (2008).

2.7 Räumliche Disposition

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Gesandtschaften oder eines Briefwechsels den Fokus des Lesers fließend und gelegentlich sogar sukzessive über einzelne Zwischenstationen von einer zur anderen Lokalität, sodass bei dieser raffinierten Strategie eine enge Verknüpfung der Handlungsfäden und eine stringente Gedankenführung im Vordergrund stehen. Außerdem zielt dies darauf ab, dem Leser zumindest ansatzweise eine Vorstellung von der beeindruckenden Ausdehnung des imperium Romanum zu vermitteln und diesen Raum schemenhaft mental zu strukturieren. Da sich diese Methode nämlich auf die Nennung größerer Regionen und namhafter Städte beschränkt, entspricht dies dem ebenfalls weitestgehend skizzenhaften Charakter von geographischen Angaben bei Feldzugsberichten. Daraus wird die ausschließlich inhaltsbezogene, sparsame Verwendung deskriptiver Details und zugleich die bewusste Vermeidung von für ein römisches Literaturpublikum uninteressanten, kleinteiligen räumlichen Erläuterungen, die kaum in ein individuelles Weltbild einzuordnen und oftmals ohnehin topisch wären, ersichtlich. Weiterhin genügen konkrete Hinweise auf stadtrömische und stadtnahe Lokalitäten, deren enorme Vielfalt den beklagten Mangel an situs gentium (4,33,2) in Hinblick auf das Lesevergnügen aufhebt,591 vollkommen zur dortigen Handlungssituierung, da bei einem Großteil der intendierten Rezipientenschaft eine Vertrautheit mit Roms Topographie und Architektur anzunehmen ist. Im Gegensatz dazu werden der Allgemeinheit unzugängliche, aber relevante private, ja sogar ausschließlich virtuelle Orte eingehender vorgestellt, sodass sich die Portionierung der jeweiligen Angaben am antizipierten Kenntnisstand und Interesse des Zielpublikums orientiert. Quinn ist also zuzustimmen, der das ausgewogene Verhältnis und die Ökonomie bei geographischen Beschreibungen lobt: „When we start looking for detail we realize Tacitus’ economy: all that is needed to build up the picture, nothing to detract from its clarity, nothing to satisfy idle curiosity.“592 Die notwendigerweise unvollständigen literarischen Abbilder geschichtlicher Stätten erfordern somit allenfalls bei einer eigenständigen mentalen Raumimagination die kognitive Aktivität des Lesers sowie dessen Bereitschaft, sich mit dem Berichteten gedanklich auseinanderzusetzen und sich geistig involvieren zu lassen. Die auf diese Weise virtuell entworfenen Schauplätze besitzen teils einen symbolischen Gehalt, teils generieren sie eine bedeutungsschwere Hintergrundstimmung, was in einem interdependenten Verhältnis zur Handlungsentwicklung und -dramatik steht. Schließlich wird aus der bloßen Anzahl an und der sorgfältigen Gestaltung von narrativen Räumen sowie dem variantenreichen und kreativen Einsatz diverser kohäsionsbildender Strategien zwischen diesen einerseits eine überlegte und aufeinander abgestimmte Komposition evident, bei der die jeweiligen Erzählblöcke niemals isoliert nebeneinander stehen.593 Andererseits deutet diese Souveränität im Umgang mit narrativen Räumen, die sogar mythische Stätten aus Träumen umfasst, 591 Vgl. v. Stackelberg (2009), S. 606 sowie S. 607: „Tacitus’ subversion of heroic geography is accompanied by a corresponding glorification of domestic topography.“ 592 Quinn (1963), S. 122. 593 Vgl. Pfordt (1998), S. 183 f., obgleich seine Erläuterungen wenig überzeugen, da er sich selbst, S. 191, widerspricht, um auf S. 198 wieder seine erste Position zu bestärken, und Allgeier (1957), S. 10.

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2. Zeit, Thema und Raum in der Erzählung

eine globale Nullfokalisierung594 an, die Effe zu pauschal als typische Form der antiken Erzählliteratur ansieht,595 und begründet im Folgenden eine differenzierte und werkspezifische Untersuchung der Fokalisierungsstruktur des Diskurses.

594 Vgl. Genette (1972/1998), S. 134 bzw. S. 136: „Ebenso lässt sich bisweilen nur schwer zwischen variabler Fokalisierung und Nullfokalisierung unterscheiden, da die unfokalisierte Erzählung sehr häufig als eine ad libitum multifokalisierte Erzählung betrachtet werden kann, […]“, sowie Schmid (2008), S. 120, Martínez/Scheffel (2007), S. 64, Rüpke (1997), S. 31, De Jong (2012), S. 9, Schmitz (2002), S. 69, und Stockhammer (2007), S. 80 f. 595 Vgl. Effe (1975), S. 138, S. 140 sowie S. 145, Cohn (1990), S. 787 f., Jaeger (2000), S. 327, Hidber (1999), S. 161, Fuhrmann (1983), S. 20, und Stocker (2003d), S. 57.

3. PERSPEKTIVENSTRUKTUR UND NARRATIVE DISTANZ Da eine Analyse der Perspektivenstruktur, wie Genette erläutert, bis zu einem gewissen Grad niemals von dem gewählten Betrachtungsniveau unabhängig erfolgen kann, sondern stets als zu diesem relational zu erachten ist,1 setzen die nachfolgenden Untersuchungen zuerst auf globaler Werkebene an, indem zentrale Ergebnisse des voranstehenden Abschnitts teilweise wiederaufzugreifen und in weiterführende Überlegungen zu integrieren sind. Daraufhin verjüngt sich der Analysefokus auf jeweils lokal beschränkte, unterschiedlich nuancierte und prototypische Textabschnitte mit speziellen Fokalisierungsmustern, deren sukzessive Komplexitätssteigerung als primäres Anordnungsprinzip dient. Nach emotional eindrucksvoll, aber überwiegend monoperspektivisch gestalteten Darstellungen zu Beginn wendet sich die Exemplareihe nämlich schrittweise einer verstärkt kognitiv involvierenden, auf verschiedenen narrativen Ebenen operierenden Multiperspektivität einzelner Szenen zu. Diese wechselt zu einer grundlegenden Betrachtung der werkinhärenten Polyphonie mit einem Akzent auf den heterogen ausgeprägten und variabel eingesetzten Formen der Erzähldistanz über. Zugleich unterliegt dieser Progression der selektierten Textstellen sekundär eine bewusste Modifikation des heuristischen Schwerpunkts, und zwar von einer anfänglichen Hervorhebung des Unterhaltungswerts zu einer zunehmenden Betonung der didaktischen Intention antiker Historiographie, wobei die variierende Priorisierung keineswegs ein konträres Verhältnis der beiden simultan sowie ubiquitär zu identifizierenden Facetten des delectare und prodesse suggerieren soll. 3.1 DIE RÖMISCH-SENATORISCHE ORIGO DER ERZÄHLUNG Wenn Zimmermann bemerkt, dass „die inhaltlichen Anforderungen an historiographische Werke nicht allein durch abstrakt-formale Gattungstraditionen bestimmt wurden, sondern auch durch die politische Konstellation und den Standort des Autors“,2 sowie Walter erläutert, dass das annalistische Ordnungsschema „weder bloße Konvention noch äußere Form (sei, sondern) vielmehr […] eine charakteristische und eminent politische Weltsicht ab(bilde), in der Zeit, Raum und Erfahrung aufeinander bezogene Größen darstellten“,3 so wird in beiden Äußerungen eine Wechselwirkung zwischen auktorialer Gestaltungsintention und gatttungsbedingter Normativität evident, die sich hinsichtlich zweier Aspekte widerspiegelt: Einerseits wurde Tacitus’ reflektierter und kunstvoller Umgang mit temporalen 1 2 3

Vgl. Genette (1972/1998), S. 136: „Der Fokalisierungstyp erstreckt sich also nicht immer über ein ganzes Werk, sondern eher über ein bestimmtes narratives Segment, das mitunter sehr kurz sein kann.“ Zimmermann (1999), S. 21 f. Walter (2006), S. 56.

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

sowie lokalen Prinzipien der römischen Annalistik und seine gezielte Wahl sowie Weiterentwicklung dieses Schemas zu einer einzigartigen Kompositionsstruktur der historischen Ereignisse in den vorausgehenden Kapiteln dargelegt. Andererseits geht mit der Entscheidung für die annalistische Darstellungsform, wie Zimmermann und Walter voranstehend ausführen, auch eine gewisse globale Perspektivierung als zentraler Aspekt der Erzählstimme einher. Dieser ist näher zu beschreiben und insbesondere sind Indizien für ein intentionales und werkspezifisches Arrangement der auktorialen Fokussierung unter Rücksicht auf Gattungsmaximen der antiken Historiographie zu identifizieren. Zeitlich­kultureller Horizont Treffend hebt Becher hervor, dass „das Ergebnis historischer Forschung keine Abbildung vergangener Wirklichkeit, sondern ihre Rekonstruktion durch den Historiker ist, die ihrerseits ohne die lebensweltlichen Voraussetzungen, Erfahrungen und Deutungsmuster nicht gedacht werden kann.“4 Diese schaffen „die Optik, die Wertmaßstäbe, auch die analytischen Kriterien, mit denen er seinen Stoff untersucht[e], kritisch durchforscht[e] und schließlich in sprachliche Form (bringt),“5 was nach Booths Ansicht selbst unter größter Anstrengung unausweichlich ist.6 Demgemäß werden nicht nur das Ideal einer absoluten historischen Objektivität sowie das Konzept einer globalen Nullfokalisierung in der Forschung kritisch diskutiert.7 Vielmehr ist eine Beibehaltung der dem Autor zugeschriebenen Nationalität, seines gesellschaftlichen Status sowie kulturellen Milieus weniger als Subjektivierung oder Einschränkung einer globalen Perspektivierung,8 sondern eher als 4 5 6

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Becher (1989), S. 7; vgl. Jaeger (2015), S. 375 f. Eck (2000), S. 193. Vgl. Booth (1961/1974a), S. 78: „Wie unpersönlich er auch zu sein versucht, sein Leser wird sich unweigerlich ein Bild von dem offiziellen Schreiber konstruieren, der auf diese Art und Weise schreibt – und natürlich wird dieser offizielle Schreiber niemals neutral gegenüber allen Werten sein.“ Vgl. Booth (1961/1974a), S. 86, Jaeger (2000), S. 344, sowie (2015), S. 375, Barthes (1968), S. 175, Martin (1990), S. 1501, Pausch (2010a), S. 202 f., Becher (1989), S. 7, Hölscher (2003), S. 16 f.: „Deshalb findet unter Kulturwissenschaftlern heute vielfach die Vermutung Gehör, dass es eine geschichtliche Wirklichkeit als realen Ereigniszusammenhang gar nicht gibt, dass die Geschichte vielmehr in Wahrheit nichts weiter als ein Konstrukt, eine Fiktion von begrenzter Reichweite ist und deshalb mehr mit der Kreativität literarischer Werke und der Willkürlichkeit der sozialen Praxis zu tun haben könnte als mit der Gegebenheit natürlicher Objekte.“, und Schmid (2008), S. 120 f.: „Auch ein allwissender Erzähler, dessen ‚Gesichtsfeld‘ im Sinne Genettes nicht im geringsten eingeschränkt ist, erzählt mit einer bestimmten Perspektive.“ Vgl. Heldmann (2011), S. 15, der behauptet, dass Tacitus sogar „das Grundprinzip einer bewusst subjektiven Darstellung der Geschichte verfolgt und dieses Grundprinzip mit der Fomulierung sine ira et studio klar und bündig auf den Begriff gebracht hat.“ Vgl. speziell dazu Pausch (2012), S. 380, und ferner Becher (1989), S. 9: „Die notwendige Perspektive historischer Aussagen ist keine Einschränkung ihrer Objektivität, sondern deren notwendige Voraussetzung.“, Reitzenstein (1926), S. 29: „Das gibt seiner Geschichte die Subjektivität, aber auch

3.1 Die römisch-senatorische Origo der Erzählung

187

essenzielle Definition sowie Fixierung eines personalen und raum-zeitlichen Orientierungszentrums in der erzählten Welt anzusehen.9 Diese vom individuellen Standpunkt des antiken Verfassers nicht notwendigerweise bewusst erfolgende Übertragung des Referenzrahmens10 weist die Erzählung als Geschichtsschreibung unter römisch-senatorischem Blickwinkel aus, deren gattungsgemäß implizierte Grundhaltungen und -elemente übernommen werden.11 Hierzu ist ein von aristokratischer Arroganz gefärbtes Gesellschaftsbild mit streng hierarchischer Ordnung, einer standesbezogenen altrömischen Beurteilung von Sittlichkeit und Moral sowie einer vorurteilsbehafteten Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen zu zählen. Dies spiegelt sich in einem generellen Verdikt über fremdländische Kulte und diverse philosophische Tendenzen wider, die mit der olympischen Götterwelt und Religion republikanischer Zeit sowie mit traditionellen Wertvorstellungen konkurrieren12 und wirkt sich ebenfalls auf die personelle sowie thematische Verteilung der referierten Reden aus. Diese werden nämlich vorwiegend von Senatoren gehalten und konzentrieren sich abgesehen von wenigen Ausnahmen internationaler oder innenpolitischer Inhalte anderer Staaten hauptsächlich auf Aspekte der Stadtpolitik Roms.13 Dadurch beeinflusst diese immanente aristokratische Weltsicht partiell auch die räumliche Werkstrukturierung, die zusammen mit der gewählten temporalen Gliederung die auktoriale Perspektive wesentlich prägt und eingrenzt.14 Denn schon das der historiographischen Erzählung zugrunde gelegte annalistische Format erzeugt eine subjektiv gefärbte Fokussierung des Geschehens, indem das Zeitsystem der römischen Kulturwelt inklusive des pausierenden, genuin römischen Konsulatswechsels normativ und unabhängig vom reellen Handlungsschauplatz zur temporalen Verortung sämtlicher Ereignisse angewandt wird.15 Obgleich alternative Datierungsansätze nicht gänzlich fehlen, beschränken sie sich dennoch

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die wunderbar ergreifende Kraft.“, Raaflaub (2010), S. 193, Eck (2000), S. 193 sowie S. 206, und Booth (1961/1974a), S. 90. Vgl. Dennerlein (2009), S. 131, White (1978/1986), S. 92 sowie S. 154, Hölscher (2003), S. 46: „Jede soziale Gruppe entwirft sich ihre eigene Vergangenheit und Zukunft.“, Heldmann (2011), S. 70 f., Fludernik (2006), S. 12, Sonnabend (2002), S. 9, Flaig (2001), Sp. 1211, und Arand (2002), S. 34. Vgl. dazu auch Booth (1961/1974a), S. 81: „Der ‚implizierte Autor‘ bestimmt bewußt oder unbewusst, was wir lesen; wir sehen in ihm eine ideale, literarische, gestaltete Version des wirklichen Menschen; er ist die Summe seiner eigenen Entscheidungen.“ Vgl. Hahn (1979/1991), S. 369 f., der darauf hinweist, dass die meisten antiken Geschichtsschreiber den senatorischen Standpunkt vertreten, und auf S. 388 hinzufügt, dass diese Sichtweise notwendig determiniert sei, sowie auch Rüpke (1997), S. 147, und Wiseman (1981), S. 379 f. Vgl. Schmal (2011), S. 138 f., und Anm. 94 (Kap. 1). Vgl. Miller (1964), S. 288 f., Adams (1973), S. 125, Schmal (2011), S. 135, sowie Walker (1952), S. 255, und Abschn. 3.4.1. Vgl. Pausch (2011), S. 129: „Die Wahrnehmung historischer Ereignisse durch den Leser wird bei ihrer Anordnung im annalistischen Schema zunächst vor allem durch die spezifische zeitliche und räumliche Struktur beeinflußt.“ Vgl. Feeney (2009), S. 147: „One originally local time rhythm is now the dominant rhythm of the world, and eventually anything that cannot be accommodated to it falls out of history,

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

auf wenige Einzelfälle: Einer im frühen Prinzipat gängigen Datierungsmethode gemäß dienen im vermeintlichen Werktitel ab excessu diui Augusti,16 bei der undifferenzierten Themenangabe im Proömium Tiberii Gaique et Claudii ac Neronis res (1,1,2) sowie zusätzlich zur eponymen Konsulatsangabe zu Beginn des vierten Buchs, nonus Tiberio annus (4,1,1), kaiserliche Herrschaftszeiten respektive Todesdaten als chronologische Fixpunkte. Auch Seneca beziffert in seinem Rücktrittsgesuch die Phase seiner Mentorentätigkeit am Kaiserhof in Bezug auf seine eigene Ernennung sowie den Herrschaftsantritt des Prinzeps exakt: quartus decimus annus est, Caesar, ex quo spei tuae admotus sum, octauus, ut imperium obtines (14,53,1).17 Daneben werden markante historische Ereignisse zur relativen Datierung herangezogen wie die Schlacht von Philippi bei Iunias Tod,18 die gleiche Anzahl an Tagen, Monaten und Jahren zwischen der geschichtlichen Eroberung sowie Brandschatzung der Hauptstadt durch die Gallier und deren gegenwärtigem Brand unter Nero19 oder Romulus’ und Remus’ mythologischer Geburtszeitpunkt zur Altersbestimmung der ficus Ruminalis.20 Konkurriert dieser letzte Ansatzpunkt gewissermaßen mit der gewöhnlichen Datierung ab urbe condita, so ist deren gänzliches Fehlen in den ‚Annalen‘ noch bemerkenswerter als der völlige Verzicht auf externe chronologische Systeme wie die durchaus in der Literatur verbreitete Olympiadenrechnung. Eine Privilegierung der römischen Kulturtradition bei der Auswahl temporaler Referenzpunkte ist also augenfällig, wobei der flexible und souveräne Gebrauch gelegentlich eingestreuter alternativer Datierungsansätze dem Urheber eine beachtenswerte, autoritätsspendende Kompetenz hinsichtlich seiner geschichtlichen Kenntnisse sowie im Umgang mit verschiedenen Terminierungsmodi zuspricht, die nach Näf in der Antike nicht selbstverständlich war.21 Zudem zielt eine derartige inhaltliche Selektion historischer Fakten vorwiegend auf einen römisch sozialisierten Adressatenkreis mit einem fundierten Wissen über eine gemeinschafts- und identitätsstiftende Vergangenheit ab,22 sodass aufgrund des gewählten chronologischen Rahmens das Geschehen global eindeutig aus römischem Blickwinkel wahrgenommen wird.

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becoming unassimilable.“, Hölscher (2003), S. 21, Scholz (1994), S. 65, Timpe (1988/2007), S. 250 f., und Pausch (2011), S. 81. Vgl. Anm. 107 (Kap. 1). Vgl. Pomeroy (2012), S. 144 f., Cancik-Lindemaier/Cancik (1986), S. 25, Davies (2004), S. 216, sowie Gingras (1992), S. 248, und Anm. 47 (Kap. 2). 3,76,1 et Iunia sexagesimo quarto post Philippensem aciem anno supremum diem expleuit, … 15,41,2 alii eo usque cura progressi sunt, ut totidem annos mensesque et dies inter utraque incendia numerent. Vgl. zu dieser Datierung Koestermann (1968), S. 245, und Murgatroyd (2005b), S. 51 f. 13,58 … Ruminalem arborem …, quae octingentos et triginta ante annos Remi Romulique infantiam texerat, … Vgl. Näf (2010), S. 175 f. Vgl. Näf (2010), S. 51 sowie S. 125–127, v. Albrecht (1988), S. 54, Ihrig (2007), S. 37 f., und auch Syme (1970), S. 6. Beispielsweise wird in der ‚Germania‘ (11,1) die Zeiteinteilung der Germanen nach Nächten statt Tagen erwähnt, was deren kulturelle Rückständigkeit zum Ausdruck bringt.

3.1 Die römisch-senatorische Origo der Erzählung

189

Lokal­patriotisches Kolorit mit Vorbehalten Eine subjektive Nuancierung der auktorialen Perspektive legt auch die Betrachtung der räumlichen Erzählstruktur nahe, indem gleich zu Beginn des Gesamtwerks geradezu programmatisch ein Akzent auf die Hauptstadt, urbs Roma (1,1,1), gesetzt wird. Diese ist gattungskonform der Hauptgeschehensort,23 zumal sich hier die Senatorenschaft sowie der Kaiser mit seinem Hofstaat vorwiegend aufhalten und die wesentlichen politischen Entscheidungen treffen.24 Die lokale Monopolstellung Roms können die einzelnen Exkurse in den orbis terrarum trotz ihrer durch die enorme geographische Ausdehnung des imperium Romanum erschlossenen, multivalenten Erfahrungswelt nicht durchbrechen,25 da sie aufgrund der evidenten taciteischen Interessenlage nicht als Kompensationsoption der durch die kaiserliche Dominanz zeitweilig ausgelösten innenpolitischen Monotonie anerkannt werden. Stattdessen hält dieser ungeachtet einer zunehmend pluralistischen sowie desorientierten Realität weiterhin an der annalistischen Romfixierung fest und nimmt das historische Geschehen primär von diesem Standpunkt aus wahr.26 Dementsprechend manifestiert sich ein ausgeprägtes Bewusstsein einer nationalrömischen Zugehörigkeit in der Verwendung des Personal- beziehungsweise Possessivpronomens in der ersten Person Plural. Denn abgesehen von denjenigen Textstellen, an denen diese Pronomina von einer Handlungsfigur in einer Rede oder dem Autor in einer Apostrophe an den Rezipienten respektive bei der Sondierung der Quellenlage unmittelbar selbstreferenziell gebraucht werden,27 benutzt Tacitus wie bereits Cato der Ältere nos und noster zur Bezeichnung der römischen Seite in Abgrenzung zu externen Völkerschaften.28 Er nennt den erfolgreichen Feldherrn 23

Vgl. Syme (1967), S. 445, Ammerbauer (1939), S. 142, Schmal (2011), S. 162, Vogt (1957/ 1960), S. 131: „Die römischen Historiker verstanden die Geschichte immer als römische Geschichte, […]: Rom war und blieb für sie die Welt (urbs – orbis).“, und Kap. 2.7. 24 Vgl. Morford (1990), S. 1602, Walker (1952), S. 255, Schmal (2011), S. 163, Syme (1967), S. 445, (1970), S. 9: „Rome is still the seat of power, however much the Palace, the bureaucrats and the managers of secret influence may tend to supplant the Senate and the senatorial order.“, Sage (1990), S. 1018: „The focus of the ‚Annals‘ is on Emperor and his court, the Senate and the city. The provinces appear only when they become relevant to Roman affairs.“, Reitzenstein (1926), S. 3: „Kaum ein Werk ist jemals weniger Weltgeschichte gewesen als das des Tacitus.“, und Schmidt-Hofner/Ambos/Eich (2016), S. 11: „Raum ist notwendigerweise immer Produkt soziopolitischer Ordnung, zugleich aber einer ihrer Konstituanten.“ 25 Vgl. Goodyear (1970), S. 31, v. Albrecht (1988), S. 64, Breebaart (1966/1991), S. 51, und Mehl (2001), S. 19. 26 Vgl. Röver/Till (1962), S. 21, Timpe (1988/2007), S. 256, Schanz/Hosius (1935), S. 632, und Gehrke (2006), S. 397, der zu Recht anmerkt, dass die vorliegende lokale Präponderierung eher von der heutigen Geschichtsforschung als von zeitgenössischen Rezipienten als beschränkend wahrgenommen wird. 27 In Figurenreden finden sich nos bzw. noster in 13,55,1, 56,1, 14,43,2, 44,3, 56,1, 15,2,1, 14,2, 56,1 und 16,22,5, in Anreden an die Leserschaft 14,64,3 sowie 16,16,1 und zur Quellendiskussion 13,20,2 sowie 15,53,4. 28 Alle entsprechenden Belegstellen sind: 13,37,1, 37,3, 39,1 (2x), 40,1, 41,2, 55,1, 57,3, 14,27,1, 31,4, 38,2, 39,2, 15,4,3, 15,1, 15,3, 27,3, 31. Zum Gebrauch von noster in der antiken Historiographie vgl. Marincola (1997), v. a. S. 193 f., S. 197 f. sowie S. 287.

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

Corbulo während der Auseinandersetzungen mit den Armeniern im 13. Buch stolz dux noster, als dieser Tiridates’ Listenreichtum zuvorkommt, und erkennt die römischen Soldaten im 14. Buch erst nach gewonnenem Kampf gegen die aufständischen Britannier als nostri an.29 Auch in dem großen Armenienkonflikt zu Beginn des 15. Buchs nimmt der Verfasser offenkundig am Schicksal der römischen Sache teil, indem er in caesarianischer Manier wiederholt die römischen Soldaten nostri (15,4,3, 15,15,1) heißt, sich von der schmachvollen Niederlage des römischen Heeres, cladem nostram (15,15,3), wie auch der raschen Illoyalität einiger Stämme, primi a nobis defecerant (15,27,3), getroffen zeigt und Tiridates mittels einer chiastischen Wendung die Kenntnis römischer Verhaltensweisen abspricht: externae superbiae sueto non inerat notitia nostri (15,31). In zwei Fällen führt diese Form der prorömischen Perspektivenübernahme sogar so weit, dass trotz vorliegender Fokalisierung auf eine Handlungsfigur, in deren indirekte Rede nicht auf den intra-, sondern den extradiegetischen Sprecher zu beziehende Pronomina eindringen. Neben seinen gegenüber dem römischen Volk schon erbrachten Verdiensten stellt der Ampsivarierführer Boiocalus nämlich zum einen in Aussicht, dass er seinen Stamm der römischen Herrschaft unterstelle – quod gentem suam dicioni nostrae subiceret (13,55,1). Zum anderen antwortet der parthische Vorsteher der Reiterei Vasaces auf Caesennius Paetus’ prahlerische Worte, nur die trügerische Vorstellung, Armenien zu behaupten oder zu verschenken, besäßen die Römer, die faktische Macht dazu die Parther – imaginem retinendi largiendiue penes nos, uim penes Parthos memorat (15,14,2). Auch wenn sich der Einsatz dieser Personal- und Possessivpronomina gerade im außenpolitischen Kontext zur einfachen Differenzierung der Parteien anbietet, ist es demgegenüber äußerst bemerkenswert, dass sich keine einzige auf den Autor beziehbare entsprechende Verwendung dieser Pronomina im Zusammenhang mit innenpolitischen Ereignissen findet. Tacitus scheint eine persönliche Identifikation mit den amoralischen, von senatorischer Servilität, kaiserlicher Willkür und luxuriösen Ausschweifungen geprägten Zuständen in Rom bewusst zu vermeiden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass er den innenpolitischen Ereignissen zu Neros Herrschaftszeit gleichgültig gegenübersteht, sondern soll seine Indignation über die zahlreichen Missstände, der er an anderer Stelle emotionalen Ausdruck verleiht,30 und seine daraus resultierende Entfremdung unterstreichen. Zugleich lehnt er damit implizit eine Verantwortungsübernahme für die perversen Verbrechen unter dem neronischen Regime, die hingegen im ‚Agricola‘ für die domitianische Ära gezielt angestrebt wird,31 für sich wie auch den Rezipienten ab, der sich mithilfe grammatikalischer Formen der ersten Person Plural stets angesprochen fühlt. Zwar ist für beide schließlich angesichts einer überwiegend erfolgreichen Außenpolitik und schillernder Feldherrnfiguren wie Suetonius oder Corbulo bei externer Bedrohung des imperium Romanum, des gesellschaftlichen Wohlergehens und somit der individuellen zukünftigen Existenz ein transhistorischer Patriotismus durchaus angezeigt. Aber vom Autor wird in einer der Vergangenheit enthobenen, oppositionellen 29 30 31

13,40,1 bzw. 14,38,2. Vgl. 14,64,3 sowie 16,16,1 f. mit Abschn. 2.5.2 und Kap. 2.6. Vgl. hierzu Anm. 142 (Kap. 1).

3.1 Die römisch-senatorische Origo der Erzählung

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Gemeinschaft mit dem Leser eine reflektierte Distanz zu den widrigen historischen Ereignissen und skrupellosen Protagonisten aus der Innenpolitik hergestellt.32 Fazit Bei der notwendigen Konkretisierung eines sprachlichen, gesellschaftlichen, räumlichen und zeitlichen Orientierungszentrums der Erzählung koinzidieren folglich ethnische Herkunft und soziale Stellung des Verfassers sowie gattungsbedingte Darstellungstraditionen und wirken zur basalen römisch-senatorischen Perspektivierung der Historie wechselseitig zusammen. Denn temporale und geographische Strukturierungstechniken des annalistischen Schemas fixieren einen auktorialen Blickwinkel, dessen dominante Rombezogenheit trotz alternativer zeitlicher und räumlicher Referenzmöglichkeiten nicht grundlegend infrage gestellt wird. Diese subjektiv nuancierte Wahrnehmung des Geschehens wird insbesondere im Rahmen außenpolitischer Auseinandersetzungen deutlich, wenn sich Tacitus aufgrund von Frömmigkeit und Nationalgefühl – übergeordnete Beweggründe, die nach Heldmann in der antiken Geschichtsschreibung Verstöße gegen eine parteilose Darstellungsnorm rechtfertigen können –33 als patriotischer Anhänger der römischen Sache offenbart. Hinzu treten zwar die gattungsinhärente standesbezogene Weltsicht einer distinguierten Senatorenschaft, sodass eine Ausrichtung auf ein römisches Publikum aristokratischer Provenienz naheliegend ist, allerdings auch eine mangelnde Identifikationsbereitschaft mit den referierten Vorkommnissen und Akteuren der Innenpolitik. Eine „Perspektive der am historischen Geschehen beteiligten senatorischen Oberschicht“34, wie Ihrig vorschlägt, ist somit als unpräzise Verallgemeinerung des Darstellungsmodus abzulehnen. Diese berücksichtigt nämlich weder die von kritischer Distanz geprägte Eigenwertigkeit der auktorialen Erzählweise noch differenziert sie im Sinne Genettes exakt zwischen der narrativen Stimme, die sich an dem beschriebenen römisch-senatorischen Weltbild orientiert, und einer Wahrnehmungseinschränkung auf Handlungsfiguren.35 Eine derartige diegetische Perspektivierung schließt eine lokal variable Fokalisierung auf einzelne oder mehrere Protagonisten heterogener gesellschaftlicher Status und nationaler Zugehörigkeiten hingegen keineswegs aus. Vielmehr ist im Folgenden 32

33 34 35

Vgl. Sailor (2008), dessen Befund allerdings nur für die Innenpolitik gültig ist, S. 318: „Tacitus’ work too constructs an imagined community, but it is a community forged in rejection of, not participation in, the world of the narrative.“, bzw. S. 320: „It separates its author out from the society of the Principate and associates him intimately with his reader at an outside vantage point.“ Vgl. auch Pausch (2011), S. 133–135, mit einer entsprechenden Betrachtung für den livianischen Erzähler, der „diese Pronomen ausschließlich in Bezug auf das Rom der eigenen Gegenwart, nicht aber für die im Werk dargestellte Vergangenheit der Stadt und ihrer Bewohner (verwendet).“ Vgl. Heldmann (2011), S. 53, sowie ders., S. 12, zum entsprechenden Verständnis des programmatischen Diktums sine ira et studio, und Pausch (2011), S. 125 f. Ihrig (2007), S. 3 sowie vgl. S. 37. Vgl. Genette (1972/1998), S. 132, dazu auch Nünning/Nünning (2000b), S. 11 sowie S. 16 f., und Lagoni (2016), S. 30 f.

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

zu analysieren, inwiefern und mit welchen Effekten individuelle, möglicherweise konfligierende Blickwinkel von Akteuren trotz dieser prävalenten Erzählersicht in den geschichtlichen Diskurs integriert sowie multiperspektivisch entfaltet und synthetisiert werden. 3.2 FOKALISIERUNGSHETEROGENITÄT UND -VARIABILITÄT Ein Bewusstsein für die von Genette eingeführte und in der literaturwissenschaftlichen Forschung etablierte Unterscheidung zwischen einer auktorialen Werkperspektive der Sprecherinstanz und einer handlungsfigurenbezogenen Begrenzung des Blickwinkels und Wissensstandes, einer Fokalisierung,36 wird, wenn auch nicht als Aspekt einer umfassenden narratologischen Theorie, sowohl bei Velleius Paterculus als auch bei Quintilian greifbar. Einerseits tadelt nämlich der Historiograph zu Beginn seiner ‚Historia Romana‘ seine Schriftstellerkollegen sowie insbesondere die Tragiker am Beispiel eines anachronistischen Nomenklaturgebrauchs für ihre nachlässige Fokalisierung bei ihren Schilderungen.37 Andererseits hebt der flavische Rhetorikprofessor unter Rekurs auf das leserwirksame Konzept der ἐνάργεια respektive euidentia mehrfach das kognitive Involvierungspotenzial einer durch eine günstige Perspektivierung der Handlung erzeugten realitätsnahen Plastizität der geschichtlichen Szenerie hervor, bei der der Leser das Gefühl hat, selbst unmittelbar einem historischen Ereignis aus dem Blickwinkel eines Augenzeugen beizuwohnen.38 Derartige aufmerksamkeitserregende Irregularitäten bezüglich der Geschehenswahrnehmung, wie sie auch in den Nerobüchern an vier Stellen zu finden sind,39 und eindrucksvolle Gestaltungsmomente setzen zwischen einzelnen Textsegmenten variierende subjektspezifische Fokalisierungen voraus. Deren häu36

Vgl. Genette (1972/1998), S. 132 mit seinen berühmten Fragen ‚Wer spricht?‘ und ‚Wer sieht?‘, S. 134 sowie selbstkritisch S. 235 sowie S. 241, Scheffel (2006), S. 94, Martínez/ Scheffel (2007), S. 63 f., Fludernik (2006), S. 49 f., Schmid (2008), S. 117 f., Bal (1997), S. 142–160, Pausch (2011), S. 140, Nünning (1990), S. 249–255 mit Betonung der größeren Trennschärfe des Fokalisationsansatzes, Stocker (2003d), S. 55 f., und Schmitz (2002), S. 69. 37 Vell. 1,3,2 quo nomine mirari conuenit eos qui Iliaca componentes tempora de ea regione ut Thessalia commemorant. quod cum alii faciant, tragici frequentissime faciunt, quibus minime id concedendum est; nihil enim ex persona poetae sed omnia sub eorum qui illo tempore uixerunt dicenda sunt. 38 Quint. inst. 4,2,63–65, 6,2,32–35 sowie 8,3,61–69 und v. a. 6,2,32 insequentur enargeia, quae a Cicerone inlustratio et euidentia nominatur, quae non tam dicere uidetur quam ostendere, et adfectus non aliter quam si rebus ipsis intersimus sequentur. Vgl. dazu Hidber (1999), S. 163, Woodman (1988), S. 25, Ihrig (2007), S. 34 f., Damon (2010), S. 354, Leeman (1974/1985), S. 306, und Wiseman (1993), S. 140: „Then there are the visual media, which achieve what the Greek and Roman historians always strove for, the vividness […], which could bring a scene to life in the imagination of the audience, or the reader.“, sowie zu einer ausführlichen Besprechung des antiken ἐνάργεια- bzw. euidentia-Konzepts Wiseman (1993), S. 145 f., Rademacher (1975), S. 39–43, Leidl (2010), S. 247, und Pausch (2011), S. 210–212. 39 Vgl. die in Abschn. 3.1 angeführten Figurenreden des Boiocalus (13,55,1) bzw. des Vasaces (15,14,2) und die chronologischen Unstimmigkeiten bezüglich der Fertigstellung der domus aurea in Pisos Rede (15,51,1) sowie der Zerstörung des Ceres-Tempels im Plan zur Pisoni-

3.2 Fokalisierungsheterogenität und -variabilität

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fige Alterationen40 und Introspektionen in die Gedanken sowie Empfindungen mannigfacher Protagonisten via ein und derselben narrativen Instanz vermitteln global den Eindruck einer für die antike Historiographie typischen Nullfokalisierung,41 einer privilegierten extradiegetischen Position des olympischen Erzählers sowie des Adressaten42 und einer Fiktionalität des Texts.43 Trotz des nonverbalen Charakters des Phänomens wird für den Rezipienten wie den Analytiker ferner an minimalen Verstößen gegen die Fokalisierung sowie regelmäßig, wenn ein Wechsel des Blickwinkels von einer auf eine andere Person vollzogen wird, eine auktoriale Intervention erkennbar, wobei „vor allem Eigennamen, Personalpronomen der dritten Person Singular und Verben der Wahrnehmung, des Denkens und solche, die Gefühls- und Bewußtseinszustände ausdrücken, […] als Indikatoren für die personale Zuordnung des Geschehens, Empfundenen oder Gedachten zu einer Figur (dienen).“44 Eine entsprechende Untersuchung der Bücher 13 bis 16 zielt nicht auf eine vollständige Identifikation aller fokalisierten Passagen, sondern vielmehr auf eine phänomenologische Deskription heterogener diegetischer Techniken, Strukturen und leserseitiger Wirkungsangebote von intentional auf einzelne Handlungsfiguren oder -gruppen bezogenen Wahrnehmungen ab. Hierzu werden zunächst monofokalisierte Diskurselemente unterschiedlicher Textumfänge anhand je eines sinnfälligen Beispiels pro Buch über Neros Prinzipat sowohl aus der Innen- als auch Außenpolitik illustriert, wohingegen der Beitrag mehrerer divergierender Sichtweisen auf dasselbe Geschehen zur polyperspektivischen Geschichtsbetrachtung im nachfolgenden Kapitel 3.3 thematisiert wird.

schen Verschwörung (15,53,3), bei denen die Erzählerstimme die jeweilige figurale Fokalisierung durchdringt; vgl. Anm. 340 (Kap. 2). 40 Vgl. Genette (1972/1998), S. 138 f., zum Begriff der Alteration als isoliertem Verstoß innerhalb eines kohärenten dominanten Modus. 41 Vgl. Anm. 594 f. (Kap. 2). 42 Vgl. Sailor (2008), S. 318, und Schulz (2015), S. 158. 43 Vgl. Booth (1961/1974a), S. 25: „[…] wird die Gegenwart des Autors jedesmal deutlich spürbar, selbst wenn er sich mit einer seiner Figuren identifiziert oder sich von ihr distanziert“, S. 26: „Das reale Leben gewährt solche inneren Einblicke nicht. Allein die Tatsache, ihnen in der Erzählkunst Raum zu geben, bedeutet eine Einmischung des Autors.“, sowie Anm. 13: „Woher beziehen die Autoren diese intimen Kenntnisse?“, Rüpke (1997), S. 25, Genette (1991/1992), S. 78, Willand (2014), S. 290, Rademacher (1975), S. 51, Neumeister (1985/ 1986), S. 195, Lagoni (2016), S. 31, Cohn (1990), S. 886, sowie (1995), S. 109 f., Löschnigg (2000), S. 220 f., Ryberg (1942), S. 385: „This assumption of insight into the real intentions under the hypocritical exterior, the real character under the mask, is a feature of Tacitus’ technique which has been most damaging to his credit as an historian.“, Schmid (2008), S. 35: „In einem faktualen, historiographischen Text wäre eine solche Inszenierung des Innenlebens eines Staatsmannes undenkbar und nicht zulässig. Es sind nicht einmal Quellen vorstellbar, die dem Historiker erlauben, entsprechende Mutmaßungen anzustellen.“, und Jaeger (2000), S. 324, der dadurch eine „Überlagerung von Literatur und Geschichtswissenschaft, Roman und Wirklichkeit bzw. Fiktion und Fakt“ feststellt. 44 Nünning (1990), S. 261.

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

3.2.1 Spezifische Blickwinkel im innenpolitischen Handlungskontext Als Augenzeuge bei Britannicus’ Vergiftung Ein erstes anschauliches Beispiel für eine ausgefeilte Fokalisierungstechnik bietet die Ermordung des Britannicus mit ihrem „sorgfältigen optischen Arrangement“.45 Mos habebatur principum liberos cum ceteris idem aetatis nobilibus sedentes uesci in adspectu propinquorum propria et parciore mensa. illic epulante Britannico, quia cibus potusque eius delecti ministri gustu explorabatur, ne omitteret institutum aut utriusque morte proderetur scelus, talis dolus repertus est. innoxia adhuc ac praecalida et libata gustu potio traditur Britannico; dein, postquam feruore aspernabatur, frigida in aqua adfunditur uenenum, quod ita cunctos eius artus peruasit, ut uox pariter et spiritus raperentur. trepidatur a circumsedentibus, diffugiunt imprudentes: at quibus altior intellectus, resistunt defixi et Neronem intuentes. ille ut erat reclinis et nescio similis, solitum ita ait per comitialem morbum, quo prima ab infantia adflictaretur Britannicus, et redituros paulatim uisus sensusque. at Agrippinae is pauor, ea consternatio mentis, quamuis uultu premeretur, emicuit, ut perinde ignaram fuisse atque Octauiam sororem Britannici constiterit: quippe sibi supremum auxilium ereptum et parricidii exemplum intellegebat. Octauia quoque, quamuis rudibus annis, dolorem caritatem, omnes adfectus abscondere didicerat. ita post breue silentium repetita conuiuii laetitia (13,16,1–4). Es bestand die Sitte, dass die Kinder der kaiserlichen Familie mit den anderen gleichaltrigen Adeligen beim Essen an einem eigenen sowie sparsamer gedeckten Tisch im Blickfeld der Angehörigen zusammensaßen. Während Britannicus dort speiste, erfand man, weil dessen Essen und Trinken von einem ausgewählten Diener vorgekostet wurde und um diese Gewohnheit nicht aufzugeben oder den Frevel durch den Tod beider zu verraten, folgende List. Ein noch nicht vergiftetes, aber zu heißes, vorgekostetes Getränk wurde Britannicus gereicht; daraufhin goss man, nachdem es, weil es zu heiß war, verschmäht wurde, im kalten Wasser ein Gift hinzu, welches alle seine Glieder so durchdrang, dass ihm Stimme und Lebensatem zugleich geraubt wurden. Seine Tischgenossen wurden in ängstliche Unruhe versetzt, auseinander flohen die Ahnungslosen; diejenigen jedoch, die tieferen Einblick besaßen, blieben regungslos stehen und schauten auf Nero. Jener, zurückgelehnt wie er war und einem, der von nichts wusste, ähnlich, äußerte, so sei dies gewöhnlich während einer Epilepsie, an der Britannicus seit frühster Kindheit leide, und Sehkraft sowie Bewusstsein würden allmählich wiederkehren. Aus Agrippina hingegen stachen eine solche Angst, eine solche Bestürzung hervor, obwohl dies durch ihre Mimik unterdrückt wurde, dass feststand, dass sie davon ebenso wenig gewusst hatte wie Octavia, die Schwester des Britannicus: Freilich verstand sie, dass ihr nun der letzte Rückhalt geraubt war, und das warnende Beispiel für den Muttermord. Auch Octavia, gleichwohl noch jung an Jahren, hatte schon gelernt, Schmerz, Liebe, alle Gefühlsregungen zu verbergen. So kehrte nach kurzem Schweigen die Fröhlichkeit des Gastmahls zurück.

Als typisches szenisches Darstellungselement wird bereits im einleitenden Satz mit in adspectu propinquorum der Blickwinkel definiert, aus dem der Rezipient das nachfolgende Geschehen erlebt.46 Nicht aus einer internen Fokalisierung47 auf den Kaiser, dessen Mutter oder Britannicus selbst, der nur die passive Nebenrolle des Mordopfers verköpert, wird er Zeuge des unmittelbar bevorstehenden Unglücks, 45 46 47

Schmitzer (2005), S. 346. Vgl. auch Billerbeck (1991), S. 2763. Vgl. Blänsdorf (1994), S. 766: „Der Leser wird auch durch Verba des Sehens und Hörens in die Ereignisse hineingezogen.“ Vgl. Genette (1972/1998), S. 134 f., Schmid (2008), S. 120, Martínez/Scheffel (2007), S. 64, und Schmitz (2002), S. 69.

3.2 Fokalisierungsheterogenität und -variabilität

195

sondern durch die Augen eines in der „Öffentlichkeit der höfischen Gesellschaft“,48 die nach Emmott für den Leser durch den situativen Kontext evoziert wird,49 anonymisierten propinquus. Von diesem Standpunkt aus ersteht vor ihm geistig die Szenerie der Mordtat, die anfangs durch ein exponiert gestelltes mos habebatur, die anschließenden deskriptiven Imperfekta und eine klare Raumaufteilung wie ein statisches Abbild eines von friedvoller Alltäglichkeit geprägten, familiären Abendessens im Kaiserhaus wirkt. Auch als dieses Stillleben voll trügerischer Eintracht am dramatischen Scheitelpunkt, der Anwendung der Mordlist, durch dynamische historische Perfekt- respektive Präsensformen belebt wird,50 als ob die Handlung gerade im Moment des Erzählakts vor den Augen des Lesers einsetze, ist dieser weiterhin unmittelbar beim Geschehen gegenwärtig, verfolgt dieses aber aus einer sicheren, distanzierten Beobachterposition, wie die zahlreichen unpersönlichen Verbalformen indizieren.51 Ohne Informationsvorsprung kann er zwar wie die propinqui erahnen, dass Britannicus durch Gift sterben könnte,52 der konkrete Plan ist jedoch auch ihm bis zuletzt unbekannt, weil dessen tatsächliche Umsetzung mit seiner Schilderung zusammenfällt. Dadurch wird die intendierte, augenblicklich hinwegraffende Wirkung des Gifts und die überraschende Plötzlichkeit der Ereignisse unterstrichen.53 Aufgrund der Immensität des begangenen Frevels fallen die Reaktionen der anwesenden Personen unterscheidlich aus: Die Unverständigen sind bestürzt und fliehen in alle Richtungen, eine andere Gruppe, der auch der Fokalizer zuzurechnen ist, zeichnet sich durch ein tieferes Situationsverständnis aus und richtet den schockierten Blick auf Nero, Neronem intuentes. Dementsprechend beschränkt sich die scheinbar direkte Wahrnehmung auf das rein äußerliche Verhalten des unaufgeregt auf seiner Liege verweilenden Kaisers, dessen inadäquate sowie normwidrige Verletzung sozialer Umgangsformen eine moralische Charakterbewertung impliziert.54 Sein sermo corporis stellt als unverzichtbare 48 49 50

51

52 53 54

Schmitzer (2005), S. 343; vgl. ders. S. 346 f., und Blänsdorf (1994), S. 765: „Historische Szenen dieser Art finden meistens vor einer größeren Öffentlichkeit statt, die meist lebhaften Anteil an den Ereignissen nimmt.“ Vgl. Emmott (2003), S. 317: „The minor characters here are of little significance to the plot as individuals, but as a group they embody public opinion.“ Vgl. Wöhrmann (1956), S. 39 sowie S. 41, zum Tempusgebrauch Hommel (1936), S. 121 f., Syme (1967), S. 347, Schmal (2011), S. 95 f., Blänsdorf (1994), S. 766, Rademacher (1975), S. 58–60 sowie S. 128, und zur Tischsitte im Kaiserhaus Schmitzer (2005), S. 346, knapp und aufschlussreich. Habebatur, explorabatur, proderetur, repertus est, libata, traditur, aspernabatur, adfunditur, raperentur, trepidatur, adflictaretur, premeretur. Ein Vergleich mit Vestinus’ Ermordung (v. a. 15,69,2) ist lohnenswert, da auch dieser bei der Exekution nie Subjekt ist, was nach Hauser (1967), S. 63 f., „für die Wehrlosigkeit des Opfers, zugleich aber auch die Willkür und Grausamkeit von Neros Vorgehen“ spricht. 13,15,3–5. Vgl. Wöhrmann (1956), S. 39, und Effe (1975), S. 151: „Es ist deutlich, daß die Erzählung ganz auf den Spannungs- und Überraschungseffekt aus ist und daß dieser durch die perspektivische Erzähltechnik erreicht wird.“ Vgl. Ihrig (2007), S. 64: „Der Autor kann dadurch als Erzähler zurücktreten, indem er nur das sichtbare Verhalten seiner Figuren beschreibt, das von den Lesern anhand der römischen Vorstellungen vom normgerechten, angemessenen Verhalten und Auftreten beurteilt wird und

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Hintergrundfolie das notwendige Komplement zu seinen gefühlskalten Worten dar, sodass ein eindrucksvolles Zeugnis von Neros Skrupellossigkeit sowie inszenierter Selbstbeherrschung gegeben wird und der Gesamtgestus laut Schmitzer ostentativ hervorkehre, wer unbestrittener Herr der Situation sei.55 Sprunghaft wechselt der Fokus sodann auf Agrippinas und Octavias Reaktionen, doch auch deren wirkliche Gedanken und Gefühle bleiben unter der gewählten Fokalisierung für den Rezipienten verborgen. Lediglich aus ihrem Gebaren, quamuis uultu premeretur respektive omnes adfectus abscondere dedicerat, wird auch für einen externen Betrachter mehr als deutlich, emicuit und constiterit, dass dieser Mord ohne ihr Wissen geschah und dass sie nur noch mit Mühe das angemessene Hofzeremoniell einzuhalten vermögen.56 Freilich, quippe, kann dieser zudem ebenso geistesgegenwärtig wie Agrippina selbst antizipieren, was dies für die Betroffene bedeutet: supremum auxilium ereptum et parricidii exemplum. Durch die hier eingesetzte Wahrnehmungsfixierung auf eine am Hauptgeschehensort anwesende, aber unbeteiligte Figur gelingt es, den Rezipienten an Britannicus’ Ermordung unmittelbar teilnehmen und ihm annähernd die Zeitdauer des breue silentium mit stockendem Atem nachempfinden zu lassen. Vor den Augen des stummen Fokalizers wird eine eindrucksvolle und plastische Szene mit einem breiten Angebot an reizvollen Details erzeugt, die dem Leser aufgrund der externen Fokalisierung57 ideale Voraussetzungen für eine Herausarbeitung der Gegensätze zwischen den beiden Kaisersöhnen wie auch der Parallelen zwischen den Morden an Claudius und dessen leiblichem Sohn bietet. Denn dass eine solche Gegenüberstellung der beiden Mordberichte intendiert zu sein scheint, legt auch deren explizite Beiordnung in einer werkinternen Analepse nahe, erepto per uenenum patre et statim fratre (14,63,3).58 Bezüglich der Darlegung von Britannicus’ Tod ist also Koestermanns Beurteilung vollauf zuzustimmen: „Die Schilderung des Mordes und seiner Begleitumstände ist anschaulich, farbig und von größter Präzision, insgesamt auch kompositionell ein Höhepunkt in der Erzählung des Tacitus.“59 Mit Nero in banger Erwartung Einen hervorragenden Eindruck davon, welch intensives Gefühl beklommener Anspannung dem Leser durch eine gezielte Beschränkung des Blickwinkels vermittelt werden kann, gewährt ferner nachstehende Textpassage, die thematisch an ihnen eine selbständige Meinungsbildung über den moralischen Wert dieser Person erlaubt.“, und Vogt (2015), S. 146. 55 Vgl. Schmitzer (2005), S. 349. 56 Vgl. Wittrich (1972), S. 152, Pöschl (1968), S. XVII, und Schmitzer (2005), S. 349 f. 57 Vgl. zu diesem Begriff Genette (1972/1998), S. 135, und Martínez/Scheffel (2007), S. 64. 58 Vgl. Murgatroyd (2005a), S. 97–100, sowie Billerbeck (1991), S. 2764, mit exzellenten Vergleichen der Ermordungen Claudius’ und Britannicus’ sowie Rademacher (1975), S. 186, zu Tacitus’ genereller Intention, dass der Leser ähnlich aufgebaute Szenen geistig zusammenordnen solle. 59 Koestermann (1967), S. 264 sowie weiter S. 265: „Die Schilderung ist von höchster Prägnanz und großem psychologischen Einfühlungsvermögen.“

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die Auseinandersetzung zwischen Nero und seiner Mutter anknüpft. Diese gipfelt schließlich in einem Mordversuch an Agrippina mithilfe eines inszenierten Schiffsunglücks, über dessen Ausgang der Prinzeps Nachrichten in banger Erwartung ersehnt. At Neroni nuntios patrati facinoris opperienti adfertur euasisse ictu leui sauciam et hactenus adito discrimine, ne auctor dubitaretur. tum pauore exanimis et iam iamque adfore obtestans uindictae properam, siue seruitia armaret uel militem accenderet, siue ad senatum et populum peruaderet, naufragium et uulnus et interfectos amicos obiciendo: quod contra subsidium sibi? nisi quid Burrus et Seneca? *expergensque eos* statim acciuerat, incertum an et ante gnaros (14,7,1 f.). Jedoch Nero, der Nachrichten über die vollzogene Untat erwartete, wurde gemeldet, sie (sc. Agrippina) sei durch einen leichten Schlag verwundet und einer Lebensgefahr so weit ausgesetzt entkommen, dass kein Zweifel hinsichtlich des Urhebers bestünde. Daraufhin war er vor Schreck von Sinnen und beteuerte, sie werde sich mit der Rache beeilend jeden Augenblick da sein, sei es, dass sie ihre Sklavenschaft bewaffne oder die Soldatenschaft aufhetze, oder sei es, dass sie zu Senat und Volk durchdringe, um ihm Schiffbruch, Verwundung und Ermordung der Freunde vorzuwerfen. Welche Unterstützung hätte dagegen er? Wenn nicht Burrus und Seneca irgendetwas – und sofort hatte er diese wecken sowie herkommen lassen, wobei unsicher ist, ob sie schon vorher Bescheid wussten.

Lediglich mithilfe eines überleitenden adversativen at wechselt die Fokalisierung von den ängstlichen Reflexionen der Kaisermutter über das Attentat, deren Schilderung dieser Szene vorausgeht, schlagartig auf Nero, wobei sogleich im ersten Satz ein kontrastiver Akzent auf dessen furchtvolle, nervöse und passive Haltung sowie seinen subjektiven Wissenshorizont gesetzt ist. Denn im Gegensatz zur betroffenen Agrippina und den durch die alternierend dargestellten Blickwinkel informierten Leser60 besitzt der Prinzeps anfänglich noch keine Kunde vom missglückten Mordanschlag auf Agrippina, ihrer Flucht, bei der sie leicht verletzt wurde, und ihrem derzeitigen Aufenthaltsort, sondern erfährt dies erst durch einen in eben diesem Augenblick eintreffenden Boten. Da er aus seiner eingeschränkten Sicht weiterhin nicht wissen kann, dass diese ihrerseits beschlossen hat und hofft, ihrem Schicksal durch eine defensive Verstellungstaktik zu entkommen, antizipiert er völlig verängstigt, regungslos und in surrealen Phantasien die verschiedensten brutalen Reaktionen sowie sein eigenes gewaltsames Ende. Zusammen mit der zum Inhalt kongruenten, syntaktischen Gestaltung dieser Textstelle erzeugt dies eine unbewegte, ausdrucksstarke Szene von bildhafter Plastiziät und Wirkungsmächtigkeit.61 Zugleich hebt sich der Kenntnisstand des Kaisers ebenfalls von Senecas und Burrus’ scheinbarer Ahnungslosigkeit bezüglich der gegenwärtigen Vorgänge ab, sodass ein sorgfältiges, realitätsnahes Arrangement heterogener Informationsstände der beteiligten Protagonisten evident wird. Dieses spiegelt sich auch in einer variablen, der Erzäh60 61

Vgl. Tab. 3. Vgl. Reitzenstein (1926), S. 23, der über diese Passage urteilt: „Es gibt wohl in der gesamten Geschichtsschreibung wohl keine Stelle, in der das unterdrückte Pathos einer rein sachlichen Erzählung die Seele des Lesers mächtiger ergreift.“, Wittrich (1972), S. 158: „Am bedeutungsvollsten ist die Szene geworden, in welcher Tacitus den Kaiser selbst vorführt“, und Uden (2003), S. 6: „Not only are events presented with psychological vividness as a result, but the essential power struggle between the two main players is centred and accentuated.“

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

lung über Agrippinas Ermordung zugrunde liegenden Fokalisierungsalteration wider, welche in Tabelle 3 knapp nachgezeichnet ist. Tabelle 3: Übersicht über Fokalisierungsinstanzen in 14,1,1 bis 14,8,5 Textpassage Geschehen und jeweilige Fokalisierungsinstanz (hervorgehoben) 14,1,1 f.

Poppaeas affektgeleitete Schelte gegen Nero (vgl. Abschn. 3.4.1)

14,1,3

Reaktionen und Einschätzung der amici principis

14,2

Multiperspektivisch strukturiertes Erzählen (Quellendiskussion; vgl. Abschn. 3.3.3)

14,3,1 f.

Neros Überlegungen bezüglich der Beseitigung Agrippinas (vgl. Abschn. 3.4.2)

14,3,3

Anicetus’ Vorschlag eines inszenierten Schiffsunglückes

14,4,1–4

Einladung Agrippinas nach Bauli, Empfang durch Nero und gemeinsames Gastmahl

14,5,1–3

Versuchter Anschlag auf Agrippina (z. T. Nullfokalisierung)

14,6,1–3

Agrippinas Reflexionen über den Vorfall und ihr weiteres Verhalten (vgl. Abschn. 3.4.2)

14,7,1 f.

Ängstliche Erwartungshaltung Neros

14,7,3 f.

Unterredung zwischen Nero, Seneca, Burrus und Anicetus (vgl. Abschn. 3.4.2)

14,7,5 f.

Agermus’ simuliertes Attentat auf Nero

14,8,1 f.

Suche der Bevölkerung nach Agrippina und Anicetus’ Mordtrupp (Nullfokalisierung)

14,8,3–5

Agrippinas Ermordung (vgl. Abschn. 3.4.2)

Das betreffende Geschehen wird in den jeweiligen Passagen vorwiegend von der hervorgehobenen Fokalisierungsinstanz wahrgenommen. Spezifische Stellen werden in den in Klammern angegebenen Abschnitten gesondert diskutiert.

Eine derartige exemplarische Aufgliederung belegt eine vielfältig gestaltete Figurenwahrnehmung, die innerhalb der Kapitelsequenz, in welche die obige interne Fokalisierung auf den Prinzeps eingebunden ist, zwischen verschiedenen Instanzen, insbesondere aber mehrfach zwischen dem Kaiser und seiner Mutter wechselt. Neben einer unterhaltsamen Variation der Perspektive ermöglicht dies dem Rezipienten, die Ereignisse abschnittsweise aus individuellen Blickwinkeln zu betrachten und diese ergänzend zusammen- oder kontrastiv gegenüberzustellen. Dadurch wird ein Bewusstsein für die Standortgebundenheit subjektiver Sichtweisen vermittelt, was in Einzelfällen einer gewissen dramatischen Ironie nicht entbehrt, wenn nämlich beispielsweise Agrippinas Einschätzung und Entschluss, sich zu verstellen, oder Neros Befürchtung, seine Mutter könne gegen ihn opponieren, aus der figurenbezogenen Wahnehmung plausibel sowie begründet, mit Kenntnis des fremden Blickwinkels jedoch inadäquat und überzogen erscheint. Aus solchen, durch eine wechselseitige Fokalisierung für den Leser ersichtlichen Fehleinschätzungen resultiert zudem eine erhöhte Handlungs- wie auch Spannungsdynamik, indem der Konflikt zwischen den heterogenen Ansichten und den darauf basierenden potenziellen Geschehensweitergängen nur durch ein entsprechendes Verhalten der Prota-

3.2 Fokalisierungsheterogenität und -variabilität

199

gonisten beziehungsweise eine umittelbare Lektürefortsetzung des Rezipienten aufzulösen ist. Opfer einer zivilen Katastrophe Der Bericht des Rombrandes im Jahr 64 n. Chr. beginnt mit einer unfokalisierten, überblickshaften Einleitung, in der die Entstehung und Ausbreitung des Infernos nicht nach chronologischen, sondern topographischen Aspekten präzise strukturiert wird.62 Besitzt die Schilderung dieser Katastrophe aufgrund ihres materiellen Zerstörungsausmaßes bereits eine bedrohliche Wirkung, so steigert sich deren Eindringlich- und Anschaulichkeit, sobald sich die Erzählung im nachstehenden Textstück dem furchtbaren Schicksal der Zivilbevölkerung sowie deren entsetzlichem Leid und Elend zuwendet.63 Ad hoc lamenta pauentium *feminarum et senum fessa aetate aut rudis pueritiae anxietas*, quique sibi quique aliis consulebant, dum trahunt inualidos aut opperiuntur, pars mora, pars festinans, cuncta impediebant. et saepe, dum in tergum respectant, lateribus aut fronte circumueniebantur, uel si in proxima euaserant, illis quoque igni correptis, etiam quae longinqua crediderant in eodem casu reperiebant. postremo, quid uitarent quid peterent ambigui, complere uias, sterni per agros; quidam amissis omnibus fortunis, diurni quoque uictus, alii caritate suorum, quos eripere nequiuerant, quamuis patente effugio interiere. nec quisquam defendere audebat, crebris multorum minis restinguere prohibentium, et quia alii palam faces iaciebant atque esse sibi auctorem uociferabantur, siue ut raptus licentius exercerent seu iussu (15,38,4–7). Dazu die Klagen der verängstigten Frauen und die Furcht der altersschwachen Greise oder der kleinen Kinder, und Leute, die sowohl für sich als auch für andere sorgten, während sie Kranke wegschleppten oder auf diese warteten, teils saumselig, teils hastig, behinderten alles. Und oft, während sie sich nach hinten umsahen, wurden sie von den Seiten oder von vorne (sc. vom Feuer) umzingelt oder, falls sie an nächstgelegene Orte entkommen waren, fanden sie, weil auch jene vom Feuer ergriffen worden waren, sogar diejenigen, die sie für weit entfernt gehalten hatten, in demselben Unglück wieder. Zuletzt erfüllten sie unsicher, was sie meiden, was sie erstreben sollten, die Straßen, breiteten sich über die Felder aus; manche kamen, weil sie ihr ganzes Vermögen verloren hatten, sogar den täglichen Lebensunterhalt, andere aus Liebe zu den Ihren, die sie den Flammen nicht entreißen hatten können, um, obwohl ein Fluchtweg offenstand. Und niemand wagte, das Feuer zu bekämpfen, weil sich die Drohungen vieler Personen, die Löschmaßnahmen verhinderten, häuften und andere unverhohlen Brandfackeln warfen sowie laut riefen, dass sie einen Auftraggeber hätten, sei es, um die Plünderungen noch dreister zu betreiben, oder sei es, auf Befehl.

Wenn Koestermann in seinem Kommentar zu dieser Passage bemerkt, „die Erzählung (sei) so lebendig wie der dokumentarische Bericht eines Augenzeugen“,64 so beschreibt er damit implizit, aber zu Recht eine im Übergang zwischen erstem 62 63

64

15,38,1–3. Vgl. dazu auch Teltenkötter (2017), S. 29 f. sowie S. 43 f. Vgl. Koestermann (1968), S. 237, Murgatroyd (2005b), S. 50, und Teltenkötter (2017), S. 33: „Auf diese Weise wird der Leser in eine ähnliche Lage gebracht wie die im weiteren Verlauf der Erzählung beschriebenen Flüchtenden, denn auch diese werden von den willkürlichen Launen des Feuers überrascht.“ Koestermann (1968), S. 237, und wieder aufgegriffen von Teltenkötter (2017), S. 35.

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

und zweitem Abschnitt des vorliegenden Kapitels vollzogene Veränderung in der Geschehenswahrnehmung. Zwar erstreckt sich der narrative Fokus weiterhin über die ganze Stadt Rom und erfasst heterogene Ereignisse auf deren Plätzen und in deren Gassen, aber diese Omnipräsenz resultiert nicht mehr aus einer olympischen Allwissenheit, sondern einem Fokalisierungskollektiv auf die überall gegenwärtigen, notleidenden Menschenmassen, aus denen jeweils prototypische Repräsentanten gewählt werden.65 Dementsprechend ist die souveräne auktoriale Übersicht über den Brandverlauf, die im ersten Kapitelteil vorherrscht, verschwunden. Stattdessen wird der Leser durch die deskriptiven Imperfektformen sowie die Fokalisierung auf die leidtragende Bevölkerung imaginär mitten in den Tumult auf Roms Straßen versetzt, er vernimmt unmittelbar die Klagerufe der Frauen, Alten und Kinder und irrt wie diese ausweglos durch die verwinkelten Gassen der Stadt. Auf seiner eigenen hastigen Flucht erhält er als Element der fokalisierten Menge im Vorübereilen, was in vortrefflicher Manier durch asyndetische, kurze Parataxen, die keine Atempause zulassen, nachgeahmt ist, weitere schlaglichtartige Impressionen des Chaos: Leute, die versuchen, andere oder sich selbst zu retten, auf Verwandte warten oder sich nach vermeintlich gelungenem Entkommen, sobald sie sich in alle Richtungen umsehen, in demselben Dilemma wiederfinden, wobei das unüberlegte Agieren aller zusätzliche Hindernisse schafft und so die allgemeine Notlage verschärft.66 Mittels dieser internen Fokalisierung erlebt der Rezipient die völlige Ratlosigkeit und Verzweiflung der Opfer, was zu meiden respektive was zu erstreben sei – gerade darum weiß Tacitus jedoch in der obigen Einleitung –, und kann die Resignation nach dem Verlust des ganzen Vermögens oder aller Angehöriger, die in Einzelfällen bis zur Selbstaufgabe führt, nachvollziehen. Zuletzt begegnen sogar Personen, die die Löschmaßnahmen behindern oder absichtlich zur Ausbreitung des Feuers beitragen. Allerdings ist die Authentizität von deren Rufen und Motiven aus der eingeschränkten Sicht der von der Katastrophe betroffenen Einwohner ebenso wenig abschließend zu evaluieren wie aus der inhärenten auktorialen Perspektive, womit neben einem Übergang zum nächsten Kapitel auch ein Rückbezug zur Szeneneinleitung geschaffen und die bisher unbeantwortete Schuldfrage pointiert wieder aufgegriffen wird.67 Der geschickte fließende Fokalisierungswechsel auf den begrenzten Blickwinkel eines Personenkollektivs, für das die brennende Hauptstadt ein unentrinnbares Labyrinth voller Gefahren ist, ermöglicht somit eine facettenreiche, zum historischen Geschehen scheinbar simultane und mitreißende Präsentation der vielfältigen Notsituationen der Bevölkerung.68 Dies zielt auf eine realitätsnahe geistige Aktualisierung des Geschehens und dessen Ergänzung um unausgesprochene Details auf Basis des eigenen Erfahrungshorizonts durch den Rezipienten

65 66 67 68

Vgl. Cohn (1990), S. 789. Vgl. Teltenkötter (2017), S. 36 f. Vgl. Teltenkötter (2017), S. 42. Vgl. Murgatroyd (2005b), S. 50: „Tacitus shifts the focus to the people affected, to bring out the human face of tragedy (so that we identify and really feel the seriousness of the situation from early on).“

3.2 Fokalisierungsheterogenität und -variabilität

201

ab,69 sodass eine solche kognitive Übernahme der Perspektive der Opfer das Empathieempfinden erhöht.70 Zudem macht Keitel darauf aufmerksam, dass die voranstehende literarische Darstellung hinsichtlich ihrer gesamten Anlage, einzelner Elemente und der beabsichtigten leserseitigen Wirkung offenkundig das von Quintilian im Rahmen seines euidentia-Konzepts entfaltete urbs capta-Motiv aufgreift.71 Suizid im privaten Dampfbad Eine besondere Theatralik unterliegt auch der Todesszene von Rubellius Plautus’ Angehörigen,72 und zwar nicht nur, weil diese nicht, wie von Plautus durch seinen widerstandslosen Suizid erhofft,73 Neros Verfolgung entgehen, sondern der Rezipient ihnen durch eine entsprechende, im Unterschied zu den vorausgehenden beiden Beispielen recht kurze Fokalisierungsdauer bis ins private Dampfbad folgen kann. Tunc eodem in cubiculo, eodem ferro abscindunt uenas, properique et singulis uestibus ad uerecundiam uelati balneis inferuntur, pater filiam, auia neptem, illa utrosque intuens, et certatim precantes labenti animae celerem exitum, ut relinqueret suos superstites et morituros. seruauit ordinem fortuna ac seniores prius, tum cui prima aetas extinguuntur (16,11,2). Dann schnitten sie sich in derselben Kammer mit demselben Messer die Adern auf und wurden eilends sowie in je ein einzelnes Kleidungsstück aus Schamgefühl gehüllt in das Bad gebracht. Dabei sah der Vater die Tochter, die Großmutter die Enkelin sowie jene die beiden an und um die Wette erbaten sie ein schnelles Ende für das entschwindende Leben, um die Ihrigen lebendig und doch todgeweiht zurückzulassen. Das Schicksal hielt die Reihenfolge ein und so starben zuerst die Älteren, dann die Jüngste.

Während die aktive Verbalform abscindunt sowie die wirkungsvolle Anapher eodem in cubiculo, eodem ferro noch unfokalisiert die bewundernswert einmütige Selbstbestimmtheit und familiäre Verbundenheit von Plautus’ Angehörigen sogar im Angesicht des Todes hervorheben, wird das Geschehen, sobald diese gemeinsam in das abgeschiedene Bad gebracht werden, inferuntur, aus dem wechselseitigen 69

70

71 72 73

Vgl. zur exemplarischen Wirkung der Schilderung auf einen Rezipienten des 20. Jahrhunderts Koestermann (1968), S. 237: „In Erinnerung an die Feuerschläge des zweiten Weltkrieges wird man sich das Elend der verzweifelt einen Ausweg suchenden Menschen nur mit Schaudern vergegenwärtigen.“, bzw. S. 239: „Daß es bei Feuersbrünsten von solch gewaltigem Umfang zu umfangreichen Plünderungen kommt, ist eine Erfahrung, die nicht auf die jüngste Gegenwart beschränkt ist. Und daß die Marodeure sich duch provozierende Äußerungen zu decken suchten, ist auch nicht weiter verwunderlich.“ Vgl. Junkerjürgen (2002), S. 37: „Bei der Empathie werden die Rezipienten lediglich als indirekt betroffene Zeugen einer fiktiven Situation angesehen. Die einzige Illusion, der sie dabei verfallen, ist der Eindruck, selbst in der jeweiligen Situation als Beobachter anwesend zu sein.“, Jannidis (2004), S. 231–233 sowie v. a. Anm. 71 zum gesteigerten Empathieerleben durch Perspektivübernahme, van Holt/Groeben (2006), S. 122, und Groeben/Christmann (2014), S. 348–350. Quint. inst. 8,3,67–69 mit Anm. 38 und vgl. ferner Keitel (1984), S. 308, (2010), S. 337 f. sowie S. 342–345, Flach (1973b), S. 46, und Teltenkötter (2017), S. 35. Vgl. Marx (1937), S. 90, und Seitz (1958), S. 102. 14,59,1 … an amore coniugis et liberorum, quibus placabiliorem fore principem rebatur nulla sollicitudine turbatum.

202

3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

Blickwinkel der Sterbenden dargelegt. In einer durch ausschließlichen Partizipiengebrauch in sich ruhenden Szene fokussiert der Vater die Tochter, die Großmutter die Enkelin und diese ihre beiden Vorfahren, wobei sie alle den identischen ungewissen Wunsch hegen, die jeweils anderen nicht überleben zu müssen. Der ergreifende Einblick in die diesen drei Personen verbleibenden Minuten endet der Textreihenfolge gemäß mit dem Tod von Plautus’ jüngster Angehörigen, womit die interne Charakterfokalisierung folgerichtig aufgehoben ist. Durch die Wahl einer personenbezogenen Perspektive eröffnet sich für den Leser also kurzzeitig ein Zugang sowohl zu den privaten Gemächern dieser Familie als auch zu deren letzten Empfindungen und Wünschen. Dies schafft eine adäquate dramatische Atmosphäre für die Familientragödie und dient dadurch auch einer stärkeren emotionalen Involvierung des Rezipienten.74 Darüber hinaus scheint Tacitus gerade bei Plautus’ Angehörigen, Seneca und seiner Gattin oder auch Lateranus und dessen Kindern bestrebt zu sein, ein inniges, familiäres Verhältnis hervorzukehren, um die leserseitige Sympathie für diese von ihren Familien geliebten Protagonisten zu steigern.75 Demgegenüber trägt das unzüchtige Verhalten von Pisos Gattin zu dessen negativer Charakteristik bei76 und in ihrer Todesstunde offenbart Agrippinas völlige Verlassenheit ihr ganzes, trotz ihrer verwerflichen Persönlichkeit bemitleidenswertes Elend.77 Wie schon Wittrich feststellt, steht die Gemeinschaft und Solidarität der zivilen Opfer sowie ihrer Angehörigen somit der furchtbaren Einsamkeit und Lähmung, mit der am Kaiserhof gestorben wird, gegenüber, sodass zwischen den jeweiligen Szenen eine scharfe, direkte Kontrastwirkung vorliegt.78 3.2.2 Fokalisierungsinstanzen fremdländischer Provenienz In den bisher geschilderten Situationen werden innenpolitische Vorkommnissse gemäß der jeweiligen Fokalizer, die der Kaiserfamilie, der Senatorenschicht oder der Stadtbevölkerung angehören, abschnittsweise vom Standpunkt unterschiedlicher gesellschaftlicher Schichten wahrgenommen. Hierzu komplementär stellen die 74 75

76 77

78

Vgl. Koestermann (1968), S. 355: „So hat er denn auch den heroischen Lebensausgang der drei jüngsten Opfer Neros mit tiefer Anteilnahme bis in die Einzelheiten nachgezeichnet.“ In obiger Reihenfolge 16,11,1 f., 15,63,1 f. sowie 15,60,1; vgl. Hauser (1967), S. 38, S. 49, wo sie Senecas Abschiedsszene besonders treffend als einen „Denkstein hingebungsvoller, aufopfernder Liebe und edelster menschlicher Regung“ beschreibt, dessen Wirkung sie, S. 51, hervorhebt: „In der Abschiedsszene müssen Senecas philosophische Gelassenheit wie seine dennoch menschliche Regung und vor allem seine von Tacitus besonders hervorgehobene Liebe zur Gattin sowohl die Sympathie wie das starke Mitgefühl des Lesers für Seneca und dessen Gattin wecken.“ Vgl. auch Gärtner (1996), S. 150 sowie S. 153. 15,59,5. Damit hebt sich Agrippinas Tod von Messalinas Ableben ab, bei dem immerhin noch deren Mutter zugegen war; vgl. 11,37,3 sowie 14,8,4 mit Billerbeck (1991), S. 2770, sowie Rademacher (1975), S. 203–206. Einen Vergleich dieser beiden Kaiserinnen bietet Schürenberg (1975), S. 39 f. Vgl. Wittrich (1972), S. 160 f.

3.2 Fokalisierungsheterogenität und -variabilität

203

folgenden vier Textpassagen entgegen der im römischen Kulturkreis verhafteten Erzählerperspektive Beispiele für die Integration germanischer, britannischer sowie parthischer Blickwinkel auf außenpolitische Ereignisse, soziale Verhältnisse und rituelle Elemente der römischen Sphäre dar. Friesische Gesandte zu Gast im Pompeiustheater Der Besuch einer friesischen Gesandtschaft in Rom ist als einzigartiges unterhaltsames Intermezzo in die außenpolitische Berichterstattung über Germanien gegen Ende des 13. Buchs eingebunden. Eine strikte Fokalisierung auf die Friesen macht hierbei zahlreiche Eindrücke der Hauptstadt des imperium Romanum mit ihren repräsentativen Bauten, ihren regelmäßig zelebrierten Großereignissen und ihrer hierarchisch organisierten Sozialstruktur auf fremdländische Gastfreunde erfahrbar, die der gewohnheitsbedingt selektiven Wahrnehmung eines stadtrömischen Publikums entrückt sind.79 Profectique Romam, dum aliis curis intentum Neronem opperiuntur, inter ea, quae barbaris ostentantur, intrauere Pompei theatrum, quo magnitudinem populi uiserent. illic per otium (neque enim ludicris ignari oblectabantur) dum consessum caueae, discrimina ordinum, quis eques, ubi senatus, percunctantur, aduertere quosdam cultu externo in sedibus senatorum: et quinam forent rogitantes, postquam audiuerant earum gentium legatis id honoris datum, quae uirtute et amicitia Romana praecellerent, nullos mortalium armis aut fide ante Germanos esse exclamant degrediunturque et inter patres considunt (13,54,3). Sie brachen nach Rom auf und, während sie auf Nero, der mit anderen Verpflichtungen beschäftigt war, warteten, betraten sie neben den übrigen Sehenswürdigkeiten, die Fremden gezeigt werden, das Theater des Pompeius, um die große Volksmenge zu sehen. Während sie sich dort in aller Ruhe – durch die Spiele wurden sie nämlich nicht unterhalten, da sie mit ihnen nicht vertraut waren – nach der versammelten Zuschauerschaft, den Unterschieden in den Sitzreihen, auf welchen Plätzen die Ritterschaft, wo der Senat säße, erkundigten, bemerkten sie einige in fremdländischer Tracht auf den Sitzen der Senatoren. Und nachdem sie auf die Frage hin, wer diese denn seien, gehört hatten, dass diese Ehre den Gesandten derjenigen Völker zuteil werde, die sich durch Tapferkeit und Freundschaft gegenüber Rom auszeichneten, riefen sie aus, dass kein Sterblicher die Germanen an Waffengeschick und Treue übertreffe. Daraufhin stiegen sie hinab und ließen sich unter den Senatoren nieder.

Zwar wird nur mit wenigen Worten das Programm tangiert, welches bei Staatsbesuchen scheinbar routiniert vorgezeigt wurde und dessen Inhalt sowie Ablauf dem zeitgenössischen Rezipienten offenbar bekannt war.80 Jedoch weitet sich vor dessen geistigem Auge durch die kollektive Raumwahrnehmung der friesischen Gesandten das große Rund des Pompeiustheaters mit der dort zusammengekommenen Menschenmenge, deren äußerlicher und standesbezogener Heterogenität als Abbild der gesellschaftlichen Ordnung die Friesen eine größere Aufmerksamkeit

79 80

Vgl. Schmitz (2002), S. 74. Vgl. Koestermann (1967), S. 340: „Anscheinend gab es für die fremden Gäste ein festes Besuchsprogramm, eine Tatsache, die fast modern anmutet.“, und Schmal (2011), S. 79, der von einem „touristische(n) Programm“ spricht.

204

3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

als den Schauspielen entgegenbringen.81 Die Darstellungsabsicht erschöpft sich allerdings nicht in der Imagination dieser beeindruckend wie detailreich gestalteten Szenerie, welche sich den Friesen bietet und sie dazu veranlasst, auf der Stelle einen erlesenen Platz in dieser Zuschauerschaft einzufordern. Vielmehr rückt die interne Fokalisierung auf die fremdländischen Besucher, die durch den beschränkten Wissenshorizont, die zahlreichen Verben der sensualen und kognitiven Wahrnehmung und die klar strukturierte Blickbewegung indiziert wird, Roms großstädtische Atmosphäre und einzigartige Faszination aufgrund dieser Fremdheitserfahrung wieder ins Bewusstsein der mit dieser alltäglichen Umgebung vertrauten Rezipienten und intensiviert durch das singuläre Erlebnis eines virtuellen touristischen Stadtrundgangs den Lektüregenuss. Damit wird zudem die Erfahrung vermittelt oder erneuert, welch nachhaltigen Eindruck die Stadt am Tiber mit ihren stattlichen Profan- und Sakralbauten einerseits auf jemanden besitzt, der diese erstmalig betritt, und andererseits welch überwältigende Wirkung die dargelegten Ansichten auf diejenigen Leser haben, die selbst noch nicht in Rom waren. Gerade für sie entwirft die innere Fokalisierung der friesischen Gesandten die attraktive Vorstellung einer glanzvollen Metropole von monumentaler Größe, grenzenloser Machtfülle und Ehrfurcht gebietender Überlegenheit. Folglich gelingt eine narrative Transformation der sich in der hauptstädtischen Topographie und Architektur widerspiegelnden römischen Hegemonialstellung, sodass die obige Textpassage gewissermaßen zum propagandistischen Medium einer imperialistischen Anspruchshaltung, die mit der auktorialen Perspektivierung der Geschichte übereinstimmt, avanciert.82 Britannisches Freiheitsverständnis Einen kurzen kritischen Seitenblick eröffnet ferner eine Fokalisierung auf die britannische Bevölkerung, bei der das Eintreffen und die Kompetenzbefugnisse des nach Boudiccas Aufstand von Nero nach Britannien entsandten Freigelassenen Polyclitus zu einer hohnvollen Beurteilung der Gesellschaftsverhältnisse der römischen Eroberer führen. Sed hostibus inrisui fuit, apud quos flagrante etiam tum libertate nondum cognita libertinorum potentia erat; mirabanturque, quod dux et exercitus tanti belli confector seruitiis oboedirent (14,39,2). Aber den Feinden diente er (sc. Polyclitus) zum Gespött, bei denen damals noch ein Freiheitswille loderte und deshalb die Macht der Freigelassenen noch nicht bekannt war; und sie wunderten sich, dass ein Feldherr und ein Heer, die einen so großen Krieg beendeten, der Sklavenschaft gehorsam seien. 81

82

Vgl. Schmidt-Hofner/Ambos/Eich (2016), S. 12: „Versammlungen und Zeremonien manifestieren durch regulierte Anordnungen von Menschen soziale und politische Ordnungen und waren gerade in institutionell schwächer entwickelten Gesellschaften zugleich ein wichtiger Ort, sie im Akt der räumlichen Anordnung zu reproduzieren und zu stabilisieren.“, und auch Redepenning (2016), S. 32 f. Vgl. Connors (2000), S. 510: „geographical stories communicate imperial aspirations“, sowie S. 513.

3.2 Fokalisierungsheterogenität und -variabilität

205

Da den Britanniern arrogantes Auftreten und präpotente Stellung ehemaliger Sklaven im politischen System Roms bisher nicht vertraut sind, wie Tacitus konzediert, wird der Umgang mit einem siegreichen Heer und dessen Feldherr von diesen mit spöttischer Verwunderung wahrgenommen sowie als Herabwürdigung empfunden. Gerade die beschränkte externe Perspektive eines noch nach Freiheit strebenden, vermeintlich weniger kultivierten Volkes scheint sich hierbei für eine punktuell kontrastive Fremdheitserfahrung anzubieten, um den Rezipienten auf den sozialen Missstand der übermächtigen Freigelassenen im Prinzipat, der von den römischen Zeitgenossen erduldet wird, aufmerksam zu machen. Indem diese Gesellschaftskritik aus Sicht der Britannier erfolgt, bleibt zudem formal eine gewisse Distanz zur auktorialen Haltung gewahrt, auch wenn Polyclitus’ negative Charakterisierung, die kompositorische Einbettung dieser Erwähnung sowie eine entsprechend tadelnde Gegenüberstellung in der ‚Germania‘83 beim Verfasser eindeutig eine ähnliche Meinung gegenüber dieser Problematik nahelegen.84 Vologaeses’ zögerliche Reflexionen Die letzte Berichterstattung über die militärischen Auseinandersetzungen mit den Parthern in Armenien wurde nach Tigranes’ Machtübernahme und Cobulos Abzug nach Syrien, um dort die Nachfolge des verstorbenen Ummidius Quadratus anzutreten, geradezu mittels eines ‚Fade-outs‘ unter römischem Blickwinkel ausgeblendet.85 Hierauf rekurriert der Beginn des 15. Buchs „als dramatisches Vorspiel“86 und stellt dieselben Ereignisse hingegen aus der spezifischen fremdländischen Perspektive des parthischen Herrschers Vologaeses dar.87 Interea rex Parthorum Vologaeses, cognitis Corbulonis rebus regemque alienigenam Tigranen Armeniae impositum, simul fratre Tiridate pulso spretum Arsacidarum fastigium ire ultum uolens, magnitudine rursum Romana et continui foederis reuerentia diuersas ad curas trahebatur, cunctator ingenio et defectione Hyrcanorum, gentis ualidae, multisque ex eo bellis inligatus. atque illum ambiguum nouus insuper nuntius contumeliae exstimulat: quippe egressus Armenia Tigranes Adiabenos, conterminam nationem, latius ac diutius quam per latrocinia uastauerat, idque primores gentium aegre tolerabant: eo contemptionis descensum, ut ne duce quidem Romano incursarentur, sed temeritate obsidis tot per annos inter mancipia habiti (15,1,1 f.). 83

Germ. 25,2 liberti non multum supra seruos sunt, raro aliquod momentum in domo, numquam in ciuitate, exceptis dumtaxat iis gentibus quae regnantur. ibi enim et super ingenuos et super nobiles ascendant; apud ceteros impares libertini libertatis argumentum sunt. 84 Vgl. Pfordt (1998), S. 162: „Und wenn man bei Tacitus (das) liest, […], dann hat man das Gefühl, daß er ganz ähnlich wie diese empfindet.“, Koestermann (1968), S. 101: „Mit wenigen Strichen hat Tacitus ein eindrucksvolles Bild von den üblen Elementen entworfen, die nunmehr unter Nero weithin das Geschehen beherrschten.“, Roberts (1988), S. 128, Du Toit (1977), S. 156, und Anm. 560. 85 14,26,1 f. …, cum aduenit Tigranes a Nerone ad capessendum imperium delectus, …; Corbulo in Syriam abscessit, morte Vmmidii legati uacuam ac sibi permissam. Vgl. Koestermann (1968), S. 159. 86 Vgl. Wille (1983), S. 565. 87 Vgl. Geiser (2007), S. 81, Koestermann (1968), S. 159, und Pausch (2011), S. 61 f.

206

3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz Als inzwischen Vologaeses, der König der Parther, weil er von den Maßnahmen Corbulos sowie davon erfahren hatte, dass der fremdländische König Tigranes in Armenien eingesetzt und zugleich mit der Vertreibung seines Bruders Tiridates die Hoheit der Arsakiden verachtet worden war, zur Rache schreiten wollte, wurde er andererseits aufgrund der römischen Größe und aus Achtung vor dem fortwährenden Bündnis zu ganz anderen sorgenvollen Überlegungen veranlasst. Zudem war er von Natur aus ein Zauderer und durch den Abfall der Hyrkaner, eines mächtigen Volksstammes, und vielen daraus entstandenen Kriegen gebunden. Jenen unentschlossenen erregte darüber hinaus noch eine neue, schmachvolle Nachricht: Denn Tigranes war aus Armenien ausgerückt und hatte das Gebiet der Adiabener, eines angrenzenden Volkes, weitläufiger und länger als bei einfachen Raubzügen verwüstet, und dies ertrugen die führenden Männer der Stämme nur mit großem Unmut: So tief sei man in der Achtung gesunken, dass man nicht einmal unter einem römischen Anführer angegriffen werde, sondern durch die Unbesonnenheit eines Menschen, der als Geisel so viele Jahre lang unter Sklaven gehalten worden war.

Eine interne Fokalisierung auf Vologaeses wird eingangs sogleich durch die konkrete Nennung seines Namens sowie Bezeichnungen der persönlichen Willensbekundung, des gedanklichen Abwägens und der sinnlichen Wahrnehmung evident. Deren bewusste semantische Auswahl sowie Diathesengestaltung unterstreichen die charakteristische nachdenkliche und zögerliche Haltung des Königs, auf den eine Fülle besorgniserregender Informationen sowie äußerer Eindrücke einzuwirken scheint. Mit Vologaeses gemeinsam rekapituliert der Rezipient den Status quo der bilateralen Beziehungen zwischen Römern und Parthern am Anfang der wiedereinsetzenden Handlungslinie und reflektiert die Bedeutung des vorausgehenden Geschehens unter dessen Blickwinkel. Aus selbst für einen römischen Leser nachvollziehbaren Gründen ist dieser einerseits über die Vertreibung seines Bruders und die Einsetzung eines fremden Herrschergeschlechtes in Armenien, was als besonderer Affront gegenüber der eigenen würdevollen Machtstellung empfunden wird, sowie über Tigranes’ Plünderungen im Gebiet der verbündeten Adiabener empört, deren Geringschätzung des neuen armenischen Fürsten von Vologaeses unverändert geteilt wird. Denn bezeichnenderweise ist Tigranes’ Niederträchtigkeit und Führungsinkompetenz sogar den Feinden bekannt, wodurch das vorherige Urteil aus der Erzählerperspektive diachron sowie von externen, vermeintlich unabhängigen Beobachtern bestätigt wird.88 Andererseits spiegeln die Argumente, die den parthischen König von einer sofortigen militärischen Gegenreaktion abhalten, nicht nur die römische Selbstwahrnehmung aus fremdem Blickwinkel wider. Vielmehr bescheinigen sie Vologaeses unter Berücksichtigung der militärischen Stärke des Gegners, des bestehenden Bündnisses sowie der inneren Unruhen im eigenen Land ein weitreichendes strategisches und diplomatisches Kalkül. Auf Basis dieser Introspektion in die Gedankenwelt wird der parthische König also nicht als jähzorniger und unüberlegt agierender Barbar, sondern als besonnen und reflektiert die Lage beurteilender, pflichtbewusster Realpolitiker dargestellt, dem die Verantwortung für das von ihm regierte parthische Großreich wie auch für seine Familienangehörigen obliegt. Diese ausgewogene Charakteristik begründet zugleich, weshalb er im 88

14,26,1 …, Cappadocium e nobilitate, regis Archelai nepos, sed quod diu obses apud Vrbem fuerat, usque ad seruilem patientiam demissus, 15,1,1 … regemque alienigenam Tigranen Armeniae impositum, … 15,1,2 … temeritate obsidis tot per annos inter mancipia habiti.

3.2 Fokalisierungsheterogenität und -variabilität

207

Tabelle 4: Übersicht über Fokalisierungsinstanzen in 15,1,1 bis 15,17,3 Textpassage Geschehen und jeweilige Fokalisierungsinstanz (hervorgehoben) 15,1,1 f.

Vologaeses’ Reflexionen über den Status quo der Auseinandersetzungen mit den Römern

15,1,3

Monobazus’ Beschwerde über die gegenwärtige Situation (vgl. Abschn. 3.3.1)

15,1,4

Provozierende Klagen des Tiridates (vgl. Abschn. 3.3.1)

15,2

Einlenkende Rede des Vologaeses

15,3

Corbulos Reaktionen und Kriegsvorbereitungen

15,4

Angriff des Monaeses auf Tigranes (z. T. Nullfokalisierung)

15,5,1 f.

Gesandtschaft Corbulos an Vologaeses

15,5,3 f.

Vologaeses’ strategische Überlegungen und Rückzug des Monaeses

15,6,1–3

Ambivalentes kritisches Zwischenfazit unterschiedlicher Meinungsgruppen

15,6,3 f.

Handlungseintritt Paetus’ (z. T. Nullfokalisierung)

15,7 f.

Angriff des Paetus und erste Scheinerfolge (z. T. Nullfokalisierung)

15,9

Corbulos defensive Sicherungsmaßnahmen an der syrischen Grenze

15,10,1–4

Paetus’ und Vologaeses’ Aufeinandertreffen; Paetus’ Rückzug und Hilfegesuch

15,10,5

Corbulos abwägendes Zögern

15,11,1

Vologaeses’ Angriff auf Paetus

15,11,2 f.

Verzweiflung in Paetus’ Lager und zweites Hilfegesuch an Corbulo

15,12

Corbulos Aufbruch und Marsch zur Entsatzung des römischen Heeres

15,13,1

Intensivierung der Offensive durch Vologaeses

15,13,2

Verzagte Äußerungen von Paetus’ Soldaten

15,13,3

Paetus’ hochmütige Forderung nach einem Waffenstillstand

15,14,1

Ausweichende Antwort des Vologaeses

15,14,2

Paetus’ überhebliche Verhandlungsposition und abgeklärte Reaktion des Vasaces

15,14,3

Verhandlungsergebnisse (Nullfokalisierung)

15,15

Demütigung des römischen Heeres aus Sicht beider Kriegsparteien (z. T. Nullfokalisierung)

15,16,1–3

Multiperspektivisch strukturiertes Erzählen (Quellendiskussion; vgl. Abschn. 3.3.3)

15,16,4

Stimmung in Corbulos Heer

15,17,1 f.

Kühles Zwiegespräch zwischen beiden römischen Feldherrn

15,17,3

Rückzug und Vereinbarungen zwischen Corbulo und Vologaeses (z. T. Nullfokalisierung)

Das betreffende Geschehen wird in den jeweiligen Passagen vorwiegend von der hervorgehobenen Fokalisierungsinstanz wahrgenommen. Spezifische Stellen werden in den in Klammern angegebenen Abschnitten gesondert diskutiert.

Anschluss den planlos handelnden römischen Feldherrn Caesennius Paetus in ernsthafte Schwierigkeiten bringen kann, jedoch nicht aufgrund erster Erfolge übermütig auf eine militärische Entscheidung pocht, sondern zusammen mit dem

208

3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

angesehenen Corbulo eine diplomatische Lösung entwirft.89 Vologaeses’ Figur gewinnt somit dadurch, dass sie trotz ihrer fremdländischen Zugehörigkeit nicht dem literarischen Klischee eines ungestümen Barbaren entspricht, an Individualität sowie Tiefgründigkeit und erweckt aufseiten des Rezipienten Interesse sowie Sympathie. Pausch stellt dazu treffend fest, dass „dieses Angebot an den Leser, für gewisse Zeit sozusagen in die Rolle des historischen Gegners zu schlüpfen, […] neben der generellen Aussage auf inhaltlicher Ebene, daß es sich auch bei den Gegnern um Menschen handelt, für den antiken Rezipienten wohl zudem eine erhebliche Steigerung der mit der Lektüre verbundenen Unterhaltung zur Folge (hatte).“90 Darüber hinaus bietet sich gerade der in den nachstehenden Kapiteln ausführlich geschilderte Konflikt zwischen Vologaeses, Corbulo und dem zur Handlung zwischenzeitlich hinzutretenden Caesennius Paetus an, die Fokalisierungsvariabilität innerhalb eines außenpolitischen Kontexts mithilfe eines vereinfachten Geschehensverlaufs aufzuzeigen. Die aus Tabelle 4 erkennbare, sorgfältig arrangierte und vornehmlich zwischen den individuellen Standpunkten der Kriegsgegner alternierende Darstellung der Ereignisse induziert eine Perspektivierungsrhythmik, die im Detail so konsequent umgesetzt wird, dass die Römer bei Vologaeses’ Einnahmeversuch von Paetus’ Heerlager aus der Sicht der Parther sogar als hostes (15,13,1) bezeichnet werden.91 Dies ist innerhalb der Nerobücher ein einzigartiger Gebrauch dieses Substantivs, das sonst seiner Semantik gemäß nur auf römische Staatsfeinde bezogen wird. Ferner vermeidet die variable Fokalisierung eine monotone Präsentation der Vorkommnisse und treibt aufgrund des inhärenten Prinzips von Aktion und Reaktion die Handlungsentwicklung spannungsreich voran. Dazwischen finden sich jedoch auch ruhigere Abschnitte, in denen diskursiv das bisher Geschehene evaluiert wird (15,6,1–3, 15,16,1 f.),92 dramatische Stimmungen und Effekte durch Fokalisierungen auf Kollektive erzeugt und verstärkt (15,13,2, 15,16,3) oder Handlungszwischenstände ohne spezifischen Blickwinkel zusammengefasst werden (15,14,3, 15,17,3). Tiridates als Betrachter eines militärischen Zeremoniells Nach weiteren kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Parthern und Römern um die Vorherrschaft in Armenien im Verlauf des Jahres 63 n. Chr. gelangt diese außenpolitische Handlungslinie anlässlich der Feierlichkeiten aufgrund eines zwischen Corbulo und Vologaeses sowie dessen Bruder Tiridates vereinbarten Waffenstillstandes letztlich zu einem vorläufigen Abschluss. Dieser bietet einen

89 90 91 92

15,7,1–15,17,3; vgl. Koestermann (1968), S. 213: „Mit seinem Appell zur Mäßigung stieß Corbulo naturgemäß bei Vologaeses, der einen klaren Blick für die Realitäten besaß, auf geneigte Ohren.“ Pausch (2011), S. 152. Vgl. Kap. 3.1 mit 13,55,1 und 15,14,2 und zu einem solchen Phänomen bei Livius Pausch (2011), S. 138. Vgl. Geiser (2007), S. 86 f., und Tresch (1965), S. 67.

3.2 Fokalisierungsheterogenität und -variabilität

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geeigneten Rahmen, um traditionelle Elemente und Gepflogenheiten unter einem externen Blickwinkel wiederzugeben. Addidit gloriae Corbulo comitatem epulasque; et rogitante rege causas, quotiens nouum aliquid aduerterat, ut initia uigiliarum per centurionem nuntiari, conuiuium bucina dimitti et structam ante augurale aram subdita face accendi, cuncta in maius attollens admiratione prisci moris adfecit (15,30,1 f.). Diese Ruhmesstunde ergänzte Corbulo um ein heiter gestimmtes Gastmahl und, da der König (sc. Tiridates) nach den Gründen fragte, sooft er irgendetwas Neues bemerkt hatte, wie zum Beispiel, dass jeweils der Beginn der Nachtwachen durch einen Zenturio gemeldet, das Gastmahl durch ein Hornsignal entlassen oder der vor dem Feldherrnzelt errichtete Altar mithilfe einer Fackel entzündet würde, erfüllte ihn Corbulo, indem er alles noch überhöhte, mit Bewunderung für die alte Sitte.

Die Fokalisierung auf den interessierten und merklich beeindruckten Tiridates93 eröffnet eine ungewohnte, reizvolle Perspektive auf ein gängiges römisches Militärzeremoniell unter besonderer Hervorhebung einzelner Details, die für einen unwissenden Beobachter fremdartig und erklärungsbedürftig sind. Erst durch eine solche Wahrnehmungsverlagerung wird eine differenzierte Betrachtung der eigenen vertrauten Welt und deren scheinbar selbstverständlicher Spezifika möglich,94 auf welche Tiridates’ konkrete Fragen abzielen. Deren explizite Beantwortung ist demgegenüber angesichts eines vorwiegend römischen Publikums, das zumindest während des obligatorischen Militärdiensts entsprechende Erfahrungen gemacht haben sollte, freilich obsolet. Dem Leser soll vielmehr konform zur ethischen Ausrichtung des Autors und via der gewählten Fokalisierung ein altrömisches Sitten- und Pflichtbewusstsein, wie es sich in dem militärischen Festakt widerspiegelt, als basale Tugend für imperiale Größe und imponierende Prachtentfaltung vergegenwärtigt werden.95 Der vom Rezipienten übernommene, von fremdkultureller Neugier sowie Aufgeschlossenheit bestimmte persönliche Blickwinkel des Tiridates kennzeichnet diesen zudem als weltoffenen, gewandten und sympathischen Menschen, der als Kandidat für die Herrschaft über Armenien seitens der Parther wie auch der Römer unterstützungswürdig ist. Fazit (zu 3.2.1 und 3.2.2) Aus dieser prototypischen Betrachtung von Einzelfokalisierungen anhand von je vier der Innen- respektive Außenpolitik zugehörigen Beispielen, die jeweils figurenbezogene Sichtweisen auf historische Ereignisse bieten, und deren struktureller Organisation werden unterschiedliche Aspekte der narrativen Gestaltung sowie verschiedene leserseitige Effekte gezielter Wahrnehmungseinschränkungen evident. 93 94 95

Vgl. Geiser (2007), S. 131. Vgl. dazu Schmitz (2002), S. 35: „Wir sehen unsere alltägliche Umwelt in neuem Licht, wenn wir sie aus der Sicht eines Außenstehenden beschrieben finden, […]. Die verfremdende Perspektive bewirkt, dass wir unsere automatisierte Wahrnehmung neu überdenken.“ Vgl. dazu auch Koestermann (1968), S. 220: „Die ganze Schau mitsamt den Erläuterungen Corbulos war also klug auf die Wesensart des Parthers abgestimmt.“, und Syme (1967), S. 493.

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

Mittels einer sorgfältigen fließende Überleitungen aufweisenden Perspektivenalteration, die mustergültig anhand der Kapitelsequenzen über Agrippinas Ermordnung respektive des armenischen Krieges zwischen Vologaeses, Tiridates, Caesennius Paetus und Corbulo veranschaulicht werden kann, wird die Monotonität der Nullfokalisierung, welche in stark gerafften Erzählsegmenten darstellungsbedingt vorherrscht,96 in retardierten, szenisch anmutenden Passagen von variablem Umfang unterbrochen. Insbesondere findet sich neben dem dominanten Erzählerstandpunkt, der als synthetisierender Rahmen einer äußerlich geschlossenen Perspektivenstruktur dient, ein abwechslungsreicher Einsatz interner wie auch externer Fokalisierungen auf Handlungsfiguren im Sinne einer monologischen Multiperspektivität,97 sodass für die Historiographie eine breitere Palette an differierenden Blickwinkeln anzunehmen ist, als von Effe behauptet wird.98 Als Fokalizer fungieren einerseits an den Vorkommnissen beteiligte, andererseits außenstehende, eine Beobachterposition einnehmende und heterogenen römischen wie auch fremdländischen Gesellschaftsgruppen angehörende Einzelpersonen oder Kollektive, deren gemeinsamer Blickwinkel durch mehrere individuelle Repräsentanten exponiert sein kann.99 Die Markierung ihrer begrenzten, subjektiven Perspektive erfolgt durch die nominelle Bezeichnung eines bestimmten Fokalisationsstandpunktes, die Verwendung von Ausdrücken der sinnlichen und geistigen Perzeption sowie eine akribisch komponierte Wissensfixierung auf einen personellen Erfahrungshorizont, wird jedoch auch aus einem bewussten Semantik-, Diathesen-, Tempus- und Modusgebrauch der eingesetzten Formulierungen deutlich. Durch ein geschicktes Arrangement entsteht dabei temporär die Suggestion einer selektiven Simultanwahrnehmung, die es dem Rezipienten je nach Fokalisierungstyp ermöglicht, die Ereignisse aus einem gegenwärtigen, aber ungefährdeten externen Blickwinkel detailliert zu verfolgen und aufgrund dieser informationsreichen Distanziertheit thematisch ähnliche Situationen mental zusammenzuordnen und zu kontrastieren. Interne Fokalisierungen gewähren zudem reizvolle Einblicke in Gedanken, Gefühle sowie Motive einzelner Protagonisten und bieten somit bei bedeutenden historischen Geschehnissen eine unmittelbare Miterlebensperspektive. Dies unterstreicht nicht nur deren Atmosphäre und Plastizität, sondern marginalisiert sogar den Inhalt, wie Billerbeck konstatiert: „Stärker nämlich als das Ereignis selbst rückt er (sc. Tacitus) dessen Wirkung auf die Beteiligten in den Vordergrund und erzeugt so eine Spannung, zu deren Gunsten er die eigentlichen Handlungsabläufe rafft.“100

96 97

Vgl. Cohn (1990), S. 789. Vgl. Nünning/Nünning (2000a), S. 61: „[…] der Begriff der monologischen Multiperspektivität (kann) definiert werden als eine Erzählform, die sich trotz der Vielfalt von Perspektiven durch eine dominante ‚Stimme‘ auszeichnet und die eine geschlossene Perspektivenstruktur aufweist. Im Falle einer monologischen Multiperspektivität fügen sich die Perspektiven somit zu einem Gesamtbild zusammen.“, und Surkamp (2000), S. 130. 98 Vgl. Effe (1975), S. 147. 99 Vgl. Nünning/Nünning (2000a), S. 53. 100 Billerbeck (1991), S. 2759, und vgl. Borzsák (1973), S. 67.

3.3 Drei multiperspektivische Darstellungstechniken

211

Außerdem trägt die imaginierte Rollenübernahme zu einer tiefgründigen, facettenreichen Charakterzeichnung bei, welche die literarischen Figuren gedanklich zu sym- oder antipathischen Persönlichkeiten avancieren lässt. Dadurch wird die Empathiefähigkeit gesteigert und dem Rezipienten eine attraktive Fremdheitserfahrung vermittelt, die ein Bewusstsein für die Subjektivität sowie die Relativität des eigenen und ein Verständnis für die Standpunkte anderer Personen sowie Kulturen schärft.101 Dies impliziert vor allem auch einen ungetrübten, selbstreferenziellen und kritischen Blick auf römische Gepflogenheiten und Zustände, der die auktoriale Perspektivierung der Erzählung jedoch niemals essenziell infrage stellt. Neben einer Steigerung der Dramatisierung, die durch den Antagonismus zweier diskrepanter Wahrnehmungen mit einer ironischen Nuance versehen sein kann, regen gezielt gesetzte, abschnittsweise wechselnde Fokalisierungen folglich eine aufmerksame Durchdringung sowie innerliche Aktualisierung der referierten Vorkommnisse an und bewirken so eine intensive kognitive sowie affektive Involvierung des Rezipienten und eine Handlungsdynamik von kurzweiligem Unterhaltungswert. 3.3 DREI MULTIPERSPEKTIVISCHE DARSTELLUNGSTECHNIKEN Im Vordergrund standen bisher Identifikation und Deskription der auktorialen Perspektivierung des Geschehens sowie deren Abgrenzung und wechselseitiges Verhältnis zu einer lokal variablen Figurenfokalisierung anhand beispielhafter Textsegmente, deren Darstellung vorwiegend unter einem einzigen Blickwinkel erfolgt. Während hierbei bereits wesentliche narrative Funktionen planvoller Wahrnehmungseinschränkungen aufgezeigt werden, sollen diese Befunde im Folgenden um eine Analyse von Passagen erweitert werden, in denen „dasselbe Geschehen alternierend oder nacheinander aus der Sicht bzw. dem Blickwinkel von zwei oder mehreren Fokalisierungsinstanzen bzw. Reflektorfiguren wiedergegeben wird.“102 Der Fokus liegt also nicht auf der Repetitivität des Berichteten zu möglicherweise unterschiedlichen Erzählzeitpunkten,103 sondern auf damit verbundenen Fokalisierungsvariationen, die zu differierenden Präsentationen von Handlungsverläufen und -bewertungen führen können, weshalb Nünning und Nünning je nach Anzahl der Fokalizer von Bi- oder Multi- beziehungsweise Polyperspektivität sprechen.104 Indem nämlich dieselben historischen Vorkomnisse aus heterogenen auktorialen wie auch protagonistenspezifischen Blickwinkeln beleuchtet werden, wie bereits 101 Vgl. Nünning (2015), S. 102: „Being immersed in the thoughts and world-views […], following their thoughts and perhaps even sharing their feelings, readers practice empathy with others who are radically different from themselves. They experience alterity; they see the other in his or her difference.“, und zur gezielten Standortverlagerung in der Historiographie auch Gärtner (1990), S. 112 f. 102 Nünning/Nünning (2000b), S. 18. 103 Vgl. hierzu Kap. 2.6. 104 Vgl. Nünning/Nünning (2000a), S. 42, Nünning/Nünning (2000b), S. 18, Wolf (2000), S. 86, sowie Surkamp (2000), S. 119 f.

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

von Lukian in seiner Schrift πῶς δεῖ ἱστορίαν συγγράφειν gefordert wird,105 verlagert sich für den Leser „der Akzent vom erzählten Geschehen auf den Modus der Wirklichkeitserfahrung.“106 Denn für diesen wird mittels der daraus resultierenden Notwendigkeit einer mentalen Alternanz, Kontrastierung, Hierarchisierung und Synthetisierung unterschiedlicher textimmanenter Perspektiven die standortabhängige Pluralität und widerspruchsreiche Komplexität der menschlichen Perzeption zum geschichtlichen Ereigniszeitpunkt erfahrbar.107 Dabei bewirken gerade erhebliche Dissonanzen zwischen mehreren individuellen gleichrangigen oder narrativ privilegierten Fokalisierungen eine kognitive Aktivierung und Involvierung,108 sodass „die Perspektivenstruktur eines Textes kein feststehendes Textmerkmal oder Merkmalbündel, sondern ein Phänomen (ist), das erst im Rezeptionsprozeß aktualisiert wird.“109 Zwar seien infolgedessen sowie aufgrund zahlreicher von der jeweiligen Rezipientenpersönlichkeit abhängiger Variablen wie dem Vorwissensstand, der Lektüreerfahrung oder Anzahl an -wiederholungen des Lesers Aussagen über Effekte und Rezeptionsreaktionen abgesehen von den manifesten Positionen der Sekundärliteratur als empirischer Basis nur begrenzt wissenschaftlich konkretisierbar, wie Nünning und Nünning weiter ausführen. Aber dennoch heben die Autoren die Möglichkeiten einer theoretischen Modellierung und textbasierten, klaren sowie nachvollziehbaren Erfassung der Wirkungs- und Funktionspotenziale von Multiperspektivität hervor, da diese bis zu einem gewissen Grad in den Diskurs eingeschrieben seien.110 In Anlehnung an die drei von Nünning und Nünning postulierten Grundformen der narrativen Vermittlung von Perspektivenvielfalt111 und unter Rückgriff auf deren deskriptives Analyseinstrumentarium zur Auswahl und Gestaltung der Einzelperspektiven wie auch deren Relationierung112 sollen nachstehend unterschiedliche textuelle Angebote zur multiperspektivischen Geschehenswahrnehmung in den Nerobüchern eruiert werden. Hierzu werden zuerst Ereignisse, die aus dem Blickwinkel von mindestens zwei intradiegetischen Fokalizern oder mehreren inneren Fokalisierungs- respektive der extradiegetischen Erzählinstanz geschildert werden (Abschn. 3.3.1), daraufhin Tacitus’ spezifische Narrationstechnik, regelmäßig Motiv- und Handlungsalternativen anzugeben (Abschn. 3.3.2), sowie die textinhärenten Diskussionen literarischer Vorlagen (Abschn. 3.3.3) unter dem 105 Vgl. Lukian. hist. conscr. 49 mit Pausch (2010b), S. 41 f., Pausch (2011), S. 128 f., und Nünning/Nünning (2013), S. 547 f. 106 Nünning/Nünning (2000b), S. 3 f. 107 Vgl. Nünning/Nünning (2000b), S. 12 f., und Surkamp (2000), S. 113: „Durch die Auffassung von Text als einem Gebilde, das aufgrund der ‚mentalen Aktivität‘ der Figuren aus mehreren unterschiedlichen Welten besteht, wird der Subjektivität textuell dargestellter Wahrnehmungs- und Erkenntnisprozesse Rechnung getragen.“ 108 Vgl. Nünning/Nünning (2000b), S. 19 sowie S. 33. 109 Nünning/Nünning (2000a), S. 70. 110 Vgl. Nünning/Nünning (2000b), S. 22 sowie S. 27 f., und dies. (2000a), S. 70. 111 Vgl. Nünning/Nünning (2000b), S. 18, und dies. (2000a), S. 42, wobei Abschnitt 3.3.1 dieser Arbeit deren Typ 2 sowie partiell Typ 1, Abschnitt 3.3.2 Typ 1 und Abschnitt 3.3.3 Typ 3 zuzuordnen ist. 112 Vgl. hierzu Nünning/Nünning (2000a), v. a. S. 54 und S. 60.

3.3 Drei multiperspektivische Darstellungstechniken

213

Aspekt der Erzeugung von Bi- und Multiperspektivität betrachtet. Der entsprechende Beitrag der im Diskurs enthaltenen Redepartien zur Polyphonie wird aufgrund der engen Verschränkung von deren Untersuchung mit dem Kriterium der narrativen Distanz in einem gesonderten Kapitel (3.4) präsentiert. 3.3.1 Polyperspektivische Fokalisierungsstrukturen Neros umstrittene Bühnenkunst Als der Prinzeps anlässlich der zweiten Neronia in Rom zum ersten Mal vor einem größeren öffentlichen Publikum die Theaterbühne betritt, wird diese Situation unter Einbezug von vier unterschiedlichen, gesellschaftlich gestreuten, jedoch jeweils hinreichend detailliert konkretisierten und mengenmäßig ausgewogen dargelegten Blickwinkeln sowie eines auktorialen Kommentars zwar bezüglich der informativen Aussage kongruent, aber inhaltlich additiv bis korrelativ beleuchtet. Während nämlich der Senat den entwürdigenden Auftritt des Kaisers vorab durch eine Zuerkennung aller Auszeichnungen zu verhindern versucht,113 lehnt Nero selbst dies mit Verweis auf seinen künstlerischen Ehrgeiz und seine Konkurrenzfähigkeit ab.114 Diesen feiert die plebs urbana und fordert ihn zur Fortsetzung seiner Vorführung auf,115 wohingegen die aus den Provinzen zu diesem Spektakel angereiste Bevölkerung daran keinen Gefallen findet.116 Indem diese individuellen und kollektiven Sichtweisen, die an demselben Ort sowie zu demselben Zeitpunkt geäußert werden und alle als glaubwürdig anzusehen sind, sukzessive berichtet werden, verleihen die Anfangs- respektive die Endposition den negativen Beurteilungen des Senats und der Landbewohner gemäß dem Primacy- beziehungsweise Recency-Effekt einen besonderen Nachdruck.117 Auch die auktoriale Stellungnahme, die normativ äquivalent zur Einschätzung der Senatorenschaft ist,118 wertet das Verhalten der Stadtbevölkerung ab und unterstreicht den Ekel der moralisch unverdorbenen plebs rustica. Folglich liegt ein hierarchisch übergeordnetes multiperspektivisches Erzählen vor, bei dem Tacitus nicht nur explizit seine eigene autoritative Erzählerperspektive119 in das Geschehen einbringt, sondern auch zwischen den subordinierten 113 16,4,1 …, ut dedecus auerteret, offert imperatori uictoriam cantus adicitque facundiae coronam, qua ludicra deformitas uelaretur. 114 16,4,2 sed Nero nihil ambitu nec potestate senatus opus esse dictitans, se aequum aduersum aemulos et religione iudicum meritam laudem adsecuturum, … 115 16,4,3 mox, flagitante uulgo ut omnia studia sua publicaret (haec enim uerba dixere), … 16,4,4 et plebs quidem Vrbis, histrionum quoque gestus iuuare solita, personabat certis modis plausuque composito. 116 16,5,1 sed qui remotis e municipiis seueraque adhuc et antiqui moris retinenti Italia, quique per longinquas prouincias lasciuia inexperti officio legationum aut priuata utilitate aduene­ rant, neque aspectum illum tolerare neque labori inhonesto sufficere, … 117 Vgl. Nünning/Nünning (2000a), S. 56 f. sowie S. 72. 118 16,4,4 crederes laetari, ac fortasse laetabantur per incuriam publici flagitii. 119 Vgl. zum Begriff der Erzähler- in Abgrenzung zur Erzählperspektive Nünning/Nünning (2000a), S. 49 f.

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

figuralen Blickwinkeln interveniert und diese zueinander in Beziehung setzt. In diesem Fall ist also eine integrationsfördernde Perspektivensteuerung mit einer geschlossenen Struktur gegeben, die mit einer symphonischen Harmonie, monologischen Multiperspektivität und geringen Synthetisierungsleistungen aufseiten des Rezipienten einhergeht.120 Da an diesem einleitenden Beispiel zudem alle von Nünning und Nünning ausgewiesenen Kriterien zur Selektion und Gestaltung sowie zur Relationierung von Einzelperspektiven grundlegend und exemplarisch vorgeführt sowie sinnvoll belegt werden können, erscheinen diese einerseits auf einen historiographischen Text der Antike analog übertrag- und anwendbar,121 andererseits im Folgenden vor allem von dieser Textstelle abweichende Aspekte und spezifische Variationen zu fokussieren zu sein. Höfischer Machtkampf um Einfluss auf den Prinzeps Beim überwiegend biperspektivischen Bericht über Neros Affäre mit der Freigelassenen Acte wird der individuelle Standpunkt des realiter unmündigen Kaisers nicht konkretisiert und lediglich aus dem Kontext in amorem (13,12,1) ersichtlich. Stattdessen werden die Positionen der Freunde des Prinzeps, die dessen Liebschaft aus pragmatischen Gründen befürworten, sowie Agrippinas, die sich zuerst dagegen widersetzt und sich daraufhin aufgrund ihres drohenden Machtverlusts zu Beschimpfungen herablässt, in ansatzweise alternierender Reihenfolge gegenübergestellt.122 Die Informationsstände beider Parteien sind vergleichbar, jedoch widersprechen sich deren moralische und fallbezogene Ansichten, sodass unabhängig davon, welcher Perspektive der Rezipient tendenziell zuneigt, für diesen eine unauflösliche Anspannung und ein offener Konflikt bemerkbar sind. Vor diesem Hintergrund wird die auktoriale Perspektive, die zwar hierarchisch übergeordnet ist, aber angesichts der angeblich inzestuösen Bestrebungen der eigenen Mutter Unglaubwürdiges berichtet,123 durch Neros wiederum kaum greifbare passive Haltung wie auch die additive Sichtweise der engsten Angehörigen synchron bestätigt,124 sodass die polyfokale Auffächerung hier eine Beglaubigungsfunktion 120 Vgl. Nünning/Nünning (2000a), S. 62 sowie S. 64 f. 121 Vgl. Anm. 112 wie auch Nünning/Nünning (2000a), S. 76, und (2000b), S. 14 sowie v. a. S. 36: „Dabei stellen sich zum einen die Fragen, in welchen Gattungen und Genres […] multiperspektivisches Erzählen bevorzugt verwendet wird und welche Funktionen es dabei jeweils erfüllt. Zum anderen ist eine Erforschung der Verwendung von Multiperspektivität in anderen Gattungen als in Romanen oder Dramen […] ein weiteres Desiderat.“ 122 13,12,1 …, ignara matre dein frustra obnitente, 13,12,2 …, ne senioribus quidem principis amicis auersantibus mulierculam nulla cuiusquam iniuria cupidines principis explentem, …, metuebaturque, ne in stupra feminarum inlustrium prorumperet, si illa libidine prohiberetur, 13,13,1 sed Agrippina libertam aemulam, nurum ancillam aliaque eundem in modum muliebriter fremere, neque paenitentiam filii aut satietatem opperiri, quantoque foediora exprobrabat, acrius accendere, …; vgl. Koestermann (1967), S. 257. 123 13,13,2 und vgl. dazu auch 14,2,1 f. mit Abschn. 3.3.3. 124 13,13,3 quae mutatio neque Neronem fefellit, et proximi amicorum metuebant orabantque cauere insidias mulieris semper atrocis, tum et falsae.

3.3 Drei multiperspektivische Darstellungstechniken

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besitzt. Entgegen der von Nero angestrebten Aussöhnung, indem er Agrippina seiner Einschätzung nach die wertvollsten Schmuck- und Kleidungsstücke überbringen lässt, steigert sich die Konfrontation zwischen beiden noch, weil diese dessen Geste in konträrer Wahrnehmung als Unterschlagung des übrigen Vermögens interpretiert,125 ohne dass zwischen beiden Blickwinkeln vermittelt wird. Daran schließt eine alternierende Fokalisierung des Geschehens an, die angesichts der eingeschränkten Wissensverhältnisse und differenten Interessenlagen der beteiligten Protagonisten deren unterschiedliche Motive und parallele Aktivitäten berücksichtigt.126 Auf Basis der jeweils multiperspektivischen Darstellung wird also eine dynamische Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Nero und seiner Mutter vorgezeichnet, die über den Interimsmord an Britannicus bereits spannungsvoll auf eine Eskalation mit deren gewaltsamer Beseitigung hinausweist.127 Zugleich werden absichtliche Provokationen, kurzsichtige Fehleinschätzungen und aus unaufrichtiger Kommunikation resultierende Missverständnisse innerhalb des Kaiserhauses als vermeintlich banale Entstehungshintergründe einer für das ganze Staatswesen folgenschweren familiären Auseinandersetzung artikuliert, was dem intendierten methodischen Ansatz einer subtilen historischen Ursachenforschung entspricht.128 Ambivalente Deutungen eines Unglücks Ferner geht der Erwähnung des Theatereinsturzes in Neapel unmittelbar nach einem Auftritt des Prinzeps eine biperspektivische Darlegung sogar voraus und verlagert den Akzent von der nüchternen Berichterstattung auf die kontroverse Wahrnehmung dieses Vorfalls.129 Während nämlich das nicht näher konkretisierte Kollektiv der plerique in diesem verständlicherweise ein unheilvolles Omen erkennt, hebt die Gegenseite hervor, dass bei dieser Katastrophe wie durch ein göttliches Wunder kein Personenschaden entstand. Wenn diese positive Sichtweise auch explizit Nero zugeschrieben wird, so dient dies gewiss in Übereinstimmung mit Tacitus’ abwertender Haltung gegenüber den schauspielerischen Ambitionen des Kaisers zum Ausdruck seiner Weltfremdheit sowie verzerrten Denkweise und als Mittel einer konsistenten indirekten Charakterzeichnung. Gerade angesichts der anschließend öffentlichkeitswirksam zelebrierten Dankfeste130 scheint daraus je125 13,13,4 …, delegit uestem et gemmas misitque donum matri, nulla parsimonia, cum praecipua et cupita aliis prior deferret. sed Agrippina non his instrui cultus suos, sed ceteris arceri proclamat et diuidere filium, quae cuncta ex ipsa haberet. 126 Vgl. zur nachstehenden indirekten Rede Agrippinas in 13,14,2 f. Abschn. 3.4.2, zu Neros Reflexionen in 13,15,1 f. Abschn. 3.4.2 und schließlich zu Britannicus’ Tod Abschn. 3.2.1. 127 Vgl. Koestermann (1967), S. 259: „Infolgedessen trat statt einer Entspannung der Lage eine weitere Verschärfung ein.“, und zur Spannung erzeugenden Funktion von Multiperspektivität Nünning/Nünning (2000b), S. 29. 128 Vgl. Anm. 192 (Kap. 1). 129 15,34,1 illic, plerique ut arbitrabantur, triste, ut ipse, prouidum potius et secundis numinibus euenit: nam egresso qui adfuerat populo uacuum et sine ullis noxa theatrum collapsum est. 130 15,34,1 ergo per compositos cantus grates dis atque ipsam recentis casus fortunam celebrans.

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doch zugleich eine überlegt sowie offiziell kommunizierte Auslegungsvariante des Unglücks abzuleiten zu sein, die nicht den individuellen Standpunkt des Prinzeps, und zwar unabhängig von dessen realer Auffassung sowie Gefühlslage zum damaligen Zeitpunkt, widerspiegelt. Vielmehr fungiert dessen Figurenperspektive als stellvertretendes Sprachrohr einer Communis Opinio und als Normrepräsentant für die größere, mit dem Kaiserhaus eng assoziierte soziale Gruppe,131 die durch eine geschickte Interpretation der Fakten ihre eigene wie auch Neros gesellschaftliche Stellung vor im Volk aufkommenden, abergläubischen Zweifeln zu bewahren und durch eine alternative ideologische Bewertung zu stärken versucht. Neben einer vor allem bei flüchtiger Lektüre suggerierten persönlichen Diskreditierung des Prinzeps wird somit durch eine unbewertete, synchrone Gegenüberstellung zweier bezüglich des Informationsgehalts kongruenter, aber hinsichtlich der inhaltlichen Erläuterung dissonanter Fokalisierungen desselben Geschehens eine kritische leserseitige Evaluation evoziert. Als didaktisches Angebot zur skeptischen Reflexion heterogener ideeller Sichtweisen führt dies dem Rezipienten anhand dieses schlichten Beispiels den effektiven Mechanismus einer gezielten günstigen Umdeutung widriger Ereignisse vor und eröffnet ihm dadurch einen Blick hinter die Fassade der kaiserlichen Öffentlichkeitsarbeit sowie in die Funktionsweise politischer Propaganda.132 Brandstiftung in Rom Eine multiperspektivische Auffächerung liegt weiterhin in Bezug auf die Schuldfrage am verheerenden Brand Roms des Jahres 64 n. Chr. vor, die in monolokaler, überwiegend synchroner und alternierender Form aus unterschiedlichen Blickwinkeln heterogener gesellschaftlicher Gruppen sowie der hierarchisch privilegierten Erzählerfigur beleuchtet wird. Der einleitende Kommentar, sequitur clades, forte an dolo principis incertum (15,38,1),133 fokussiert diesen Aspekt gleich zu Beginn des Berichts ergebnisoffen, an dessen Ende durch die Behauptung, dass es einen bestimmten Auftraggeber für das Inferno gäbe, zwar der Kaiser als Anstifter suggeriert, jedoch nicht expressis verbis benannt wird. Diese Äußerung besitzt zudem aufgrund der Fokalisierung auf die skrupellosen Nutznießer der Katastrophe eine reduzierte Glaubwürdigkeit.134 Hierzu korellativ verhält sich einerseits die aus auktorialer Perspektive geschilderte Tatsache, dass Nero zu dieser Zeit in sicherer Entfernung in Antium verweilt und erst nach Rom aufbricht, als sein Eigentum durch 131 Vgl. Nünning/Nünning (2000a), S. 53. 132 Vgl. Raaflaub (2010), S. 194: „The ‚ulterior motive‘ of Tacitus, […], might then be defined as a desire to unmask ideology, to de-ideologise history, to re-orient the readers’ perspective and to convey to them a deeper, ‚true reality‘ and a profoundly ‚real truth‘.“, und Nünning/Nünning (2000b), S. 30. 133 Vgl. dazu auch Abschn. 3.3.2. 134 15,38,7 … esse sibi auctorem uociferabantur, siue ut raptus licentius exercerent seu iussu. Vgl. Murgatroyd (2005b), S. 50, Borgo (2009), S. 31 f., Röver/Till (1969), S. 64, und Blänsdorf (2015), S. 326.

3.3 Drei multiperspektivische Darstellungstechniken

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das Feuer bedroht wird, andererseits seine unverzüglich eingeleiteten, volksfreundlichen und sinnvollen Hilfsmaßnahmen, die den Vorwurf seiner Urheberschaft dieser unmenschlichen Tat eher entkräften. Auf seine Verantwortlichkeit deutet dagegen das innerhalb der notleidenden Menge kursierende Gerücht hin, der Prinzeps verwende das Unglück der Hauptstadt für schauspielerische Inszenierungen, obwohl dessen Zuverlässigkeit ebenfalls fraglich ist.135 Zusätzlich bringt die von Tacitus angeführte Stimmungslage und das Gerede der Bevölkerung, das Feuer sei erneut in Tigillinus’ Besitzungen ausgebrochen und Nero plane eine neue, nach ihm benannte Stadt zu erbauen,136 den Kaiser in Verruf. Zum Anfangsverdacht treten also additiv kongruente Informationen hinzu, die allerdings weiterhin nicht als eindeutige Nachweise einer befohlenen Brandlegung gelten können. Während dem Prinzeps eine solche absichtsvolle Zerstörung der Stadt zugunsten privater Bauvorhaben außerdem mittels einer chronologisch invertierten Darstellung implizit unterstellt wird,137 werden dessen zentral sowie überlegt organisierte und finanziell großzügig geförderte Wiederaufbaumaßnahmen uneigennützig durchgeführt. Auch die Kritik einiger Stadtbewohner richtet sich nicht gegen den engagierten Herrscher, sondern ausschließlich gegen die veränderte architektonische Raumgestaltung in Rom.138 Neros Beteiligung an der Katastrophe wird schließlich nicht explizit autorisiert, sondern lediglich wiederum als unverbürgtes, diffamierendes Gerücht im Volk kategorisiert, welches das überharte Vorgehen des Kaisers gegen die christliche Minderheit als Schuldeingeständnis wertet.139 Ebenso wenig ist aufgrund der situationalen Umstände, der subjektiven Fokalisierung auf Subrius Flavus’ eitle Persönlichkeit sowie der Möglichkeit, dass dieser schlichtweg die in der Bevölkerung vorherrschende Meinung ebenfalls ohne konkretere Indizien oder ein spezifisches Wissen teilte, die diachron ergänzte Anschuldigung des Militärs, der dem Kaiser ausdrücklich Brandstiftung vorwirft, ein verlässliches Zeugnis.140 Die uneindeutige Beurteilung, ob Nero den Brand Roms initiieren ließ, resultiert somit zum einen aus der bewussten Auswahl sowie Gestaltung, zum anderen aus der narrativen Relationierung der Einzelperspektiven und ist nicht zwangsläufig 135 15,39,1–3 …, quia peruaserat rumor ipso tempore flagrantis Vrbis inisse eum domesticam scaenam et cecinisse Troianum excidium, praesentia mala uetustis cladibus adsimulantem. Vgl. Murgatroyd (2005b), S. 49, zu Tacitus’ besonderem Interesse an Hilfsmaßnahmen nach großen Zerstörungen Keitel (2010), S. 336, und zur Ausbildung des Gerüchts, dass Nero während des Brands den Fall Trojas besungen habe, Scheda (1967), S. 111–115, Yavetz (1975), S. 193, und Teltenkötter (2017), S. 46 f. Anm. 202. 136 15,40,2 plus infamiae id incendium habuit, quia Tigillini Aemilianis proruperat uidebaturque Nero condendae urbis nouae et cognomento suo appellandae gloriam quaerere. Vgl. zu diesem Gerücht Koestermann (1968), S. 241 f., und Murgatroyd (2005b), S. 51. 137 15,42,1 ceterum Nero usus est patriae ruinis exstruxitque domum, …; vgl. Anm. 339 (Kap. 2). 138 15,43,1–5. 139 15,44,2 sed non … decedebat infamia, quin iussum incendium crederetur. ergo abolendo rumori Nero subdidit reos …, 15,44,5 unde quamquam aduersus sontes et nouissima exempla meritos miseratio oriebatur, tamquam non utilitate publica, sed in saeuitiam unius absumerentur. Vgl. dazu auch Anm. 579 (Kap. 4). 140 15,67,2 … confessionis gloriam amplexus … odisse coepi, postquam parricida matris et uxoris, auriga et histrio et incendiarius extitisti; vgl. Pagán (2004), S. 85 f., Mayer (2010a), S. 141, und Abschn. 3.4.3.

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

auf eine Benutzung differierender Quellen zurückzuführen, wie Hanslik meint.141 Denn die jeweiligen intradiegetischen Sichtweisen werden mit Subrius Flavus’ Ausnahme nicht konkretisiert sowie individualisiert und vertreten als innerhalb eines Kollektivs kursierende Gerüchte, deren historische Glaubwürdigkeit nicht überprüfbar, aber deren exzellenter Beitrag zu einer gesellschaftlichen Polyphonisierung an diesem Beispiel evident wird,142 zwar überwiegend eine tendenziöse Wahrnehmung. Doch die hierarchisch übergeordnete, als zuverlässig anzusehende Erzählerperspektive vermeidet jede klare Stellungnahme.143 Die alternierende, ausgewogene Präsentation der heterogenen Blickwinkel, die sich additiv bis korrelativ zueinander verhalten und keine einzelne Ansichten disqualifizierenden Widersprüche aufweisen, wie auch die Zurückhaltung der privilegierten Sprecherinstanz führen bei der Synchronisation der augenscheinlich offenen Perspektivenstruktur zu einer Verunsicherung des Rezipienten, inwiefern die figural fokalisierten oder die auktorialen Darlegungen gegenseitig sowie insbesondere mit der historischen Realität übereinstimmen.144 Sofern sich der Leser dabei nicht von der suggestiven Attraktivität der Sichtweisen der intradiegetischen Fokalizer, die univok Nero für das Feuer verantwortlich machen, leiten lässt,145 sondern die Alternativen kritisch auf Basis konkreter Anhaltspunkte abwägt, wird durch die vorliegende Multiperspektivität eine kriminalistische Spannung generiert146 und Einsicht in den Prozess der historischen Wahrheitsfindung gewährt.147

141 Vgl. Hanslik (1963), S. 94 f. sowie S. 98, Flach (1973b), S. 180, Michelfeit (1966), S. 514 f., und Teltenkötter (2017), S. 44 f. Anm. 192. 142 Zur Erzeugung von Multiperspektivität dienen Gerüchte in folgenden Passagen der Nerobücher: 13,6,1–4, 17,1, 18,1, 14,11,3, 20,1–21,3, 29,2, 51,1, 52,2–4, 58,2 f., 65,1, 15,6,1 f., 10,2, 15,2, 15,3, 34,1, 38,7, 39,3, 40,2, 41,2, 43,5, 44,2, 44,5, 46,1, 52,3, 73,1, 16,17,6. Vgl. zu weiteren Funktionen und zugehörigen Belegstellen von Gerüchten auch Abschn. 3.3.3 und Abschn. 4.3.3. 143 Vgl. dazu Tresch (1965), S. 149 f., Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 363, und Morford (1990), S. 1614, der mit Blick auf die Parallelüberlieferung konstatiert: „He alone did not make Nero definitely responsible for the fire.“, Heinz (1948), S. 43–46, v. a. S. 43: „Als gewissenhafter Historiker wagt er gerade in dieser fundamentalen Frage keine bestimmte Entscheidung.“, Ryberg (1942), S. 399, Sullivan (1976), S. 320 f., Keitel (2009), S. 138, Whitehead (1979), S. 492, Develin (1983), S. 90: „We may applaud the avoidance of straight accusation of Nero found in other sources; Tacitus knew there was no proof.“, Hanslik (1963), S. 96: „Tacitus behauptet das nicht, glaubt es wahrscheinlich selbst auch gar nicht.“, Bauer (1957), S. 497: „Tacitus selber zweifelt.“, und Michelfeit (1966), S. 514. 144 Vgl. Vogt (2015), S. 141. 145 Vgl. Murgatroyd (2005b), S. 49, der über das narrative Vorgehen urteilt: „He does not state unequivocally that Nero was responsible for the fire (which means that he seems even-handed, and we are more inclined to accept his overall negative thrust).“ 146 Vgl. dazu Abschn. 4.4.2. 147 Vgl. Nünning/Nünning (2000b), S. 30.

3.3 Drei multiperspektivische Darstellungstechniken

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Agrippinas eindeutige Todesumstände Im Gegensatz zur voranstehend beschriebenen, ambiguen Erzählerhaltung wird dem von Seneca für Nero verfassten öffentlichen Rechtfertigungsschreiben, das nicht nur einen polylokalen und diachronen Blickwinkel auf Agrippinas Todesumstände, sondern auch auf einige weitere Ereignisse aus deren Leben enthält, eine klare auktoriale Bewertung zuteil.148 Denn der darin explizierte Geschehensablauf erweist sich zwar als inhaltlich kongruent zu den konkretisierten Verleumdungsabsichten und Vertuschungsplänen des Kaisers sowie seines Umfelds,149 jedoch als absolut diskrepant zur vorherigen Berichterstattung.150 Ist deshalb die Glaubwürdigkeit des offiziellen Schreibens an den Senat bereits berechtigt anzuzweifeln, wird dessen nach Luke in dieser politischen Situation einzig mögliche proneronische Ereignisdarstellung151 gerade durch die vorweggenommene Beurteilung der Vorwürfe als crimina longius repetita (14,11,1) sowie durch die explizite rhetorische Frage, die als Erzählerkommentar das fokalisierte Referat abschließt – quis adeo hebes inueniretur, ut crederet? (14,11,2) –, aus extradiegetisch übergeordneter Perspektive disqualifiziert.152 Aufgrund der dominanten, eindeutigen Bewertung zeigt sich hier eine hierarchisch gestufte monologische Form von Multiperspektivität, die dem Rezipienten angesichts der geschlossenen Perspektivenstruktur kaum Interpretationsspielraum zu einer eigenständigen Evaluation gewährt.153 Immerhin berücksichtigt sie aber Neros offenbar noch zu Quintilians Lebzeiten einsehbare Benachrichtigung an den Senat als alternative Version,154 die sich wegen ihrer evidenten Konstruiertheit und Unzuverlässigkeit als didaktisches Beispiel zur Demonstration sowie Dekonstruktion propagandistischer Mechanismen gezielter, öffentlichkeitswirksamer Informationssteuerung eignet.155 Heterogene Beurteilungen militärischer Situationen Im außenpolitischen Kontext können mittels einer polyperspektivischen Zusammenschau von machtpolitischen Interessen einzelner Kriegsparteien sowie von differenten Motiven ihrer jeweiligen Anführer Ausgangslagen und Entstehungs148 14,10,3–11,3. 149 14,3,3, 7,6, 10,3 und 11,2. 150 U. a. 12,69,1 f., 13,5,1 f., 14,3, 14,3,3, 5,1–3, 6,2, 8,3–5 sowie 10,3–11,2 und vgl. Vogt (2015), S. 141: „[…], conflicting worlds are not only helpful to describe the fictional universe […] but also serve as signals for the reader to question the narrator’s account or focalizer’s perception of the narrative world.“ 151 Vgl. Luke (2013), S. 214: „The best he and his court could do was justify her death as a defensive move against her own attempt on her son’s life, which, like matricide, was a cultural taboo.“ 152 Vgl. Koestermann (1968), S. 45 f., und Luke (2013), S. 222. 153 Vgl. Nünning/Nünning (2000a), S. 61. 154 Quint. inst. 8,5,18 …, qualis est Senecae in eo scripto quod Nero ad senatum misit occisa matre, …; vgl. Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 247. 155 Vgl. Anm. 92 (Kap. 2).

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

umstände militärischer Konflikte beleuchtet werden. Während zu Beginn einer erneuten Auseinandersetzung um Armenien für Vologaeses die Vertreibung seines Bruders vom armenischen Thron respektive dessen Herrschaftsabhängigkeit vom Willen der Römer nicht zu ertragen sind, veranlasst Corbulo sein soldatischer Ehrgeiz dazu, keine Gebietsverluste hinzunehmen, wohingegen die Armenier aus Unentschlossenheit, welcher Seite sie sich anschließen sollen, regelrecht in einen Krieg hineingleiten.156 In einer bemerkenswerten quantitativen Ausgewogenheit werden dem Leser die konkreten synchronen, aber polylokalen Standpunkte der verschiedenen Parteien sukzessive dargelegt, die im Falle der Feldherrn nicht als individuelle, sondern für ihre Völkerschaften stellvertretende Positionen aufzufassen sind. Bei der Wiederaufnahme dieser Handlungslinie wird so ein additiver Überblick über den Status quo vermittelt und über die unterschiedlichen Beweggründe reflektiert, die ohne auktoriale Intervention gleichrangig kontrastiert werden. Dies gilt auch anlässlich der diplomatischen Verhandlungen, zu welchen die beiden Hauptantagonisten nach ersten kleineren Gefechten zurückkehren. Dabei sind aus parthischer Sicht trotz ihrer jüngsten Plünderungen und Einfälle die Römer als Aggressoren anzusehen, da diese Anspruch auf das urparthische Territorium Armeniens erheben, und es lediglich aufgrund von Vologaeses’ sowie Tiridates’ Friedenswillen noch nicht zu ernsthafteren kriegerischen Aufeinandertreffen gekommen ist. Demgegenüber bietet Corbulos gelassene Antwort eine konträre Einschätzung der Situation,157 sodass der Rezipient durch diese Biperspektivität sowie besonders Tiridates’ und Corbulos’ divergierende Sichtweisen einerseits zu einer Gegenüberstellung heterogener Wahrnehmungen angeregt wird. Andererseits kann er die inadäquate Realitätsverzerrung des parthischen Standpunkts, die sich nur mittels einer mehrdimensionalen Betrachtung aufdecken lässt, erkennen.158 Außerdem merkt Geiser hier wie auch bei Corbulos souveränem Umgang mit Tiridates’ Hinterhalt oder dessen strategischen Erwägungen bezüglich der Eroberungen der Städte Artaxata oder Tigranocerta an, beim Leser würde das Gefühl evoziert, er könne zusammen mit dem römischen Feldherrn die Hintergedanken des Feindes antizipieren und darauf vorzeitig wie aus überlegener Position reagieren.159

156 13,34,2 …, quia nec Vologaeses sinebat fratrem Tiridaten dati a se regni expertem esse aut alienae id potentiae donum habere, et Corbulo dignum magnitudine populi Romani rebatur parta olim a Lucullo Pompeioque recipere. ad hoc Armenii ambigua fide utraque arma inuitabant, situ terrarum, similitudine morum Parthis propiores conubiisque permixti ac libertate ignota illuc magis ad seruitium inclinantes. Vgl. Pfordt (1998), S. 133. 157 13,37,4 f.; vgl. Geiser (2007), S. 58. 158 Vgl. Bergmann (2008), S. 56, und Nünning/Nünning (2000b), S. 30. 159 13,38,1–4, 13,41,1 bzw. 14,23,1; vgl. Geiser (2007), S. 59, S. 67 sowie S. 71.

3.3 Drei multiperspektivische Darstellungstechniken

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Im parthischen Kriegsrat Im Anfangskapitel des 15. Buchs wird die auf Vologaeses fokalisierte Reflexion mit Tigranes’ diachron wiederholter, sachlich kongruenter Charakterisierung, die bereits angemerkt wurde,160 zu einem deskriptiven Resümee der gegenwärtigen militärischen Lage unter parthischem Blickwinkel erweitert. Neben einem Stimmungsbild bei den Fürsten der Adiabener sind in dessen Überlegungen nämlich explizit die an seinen Schutzherrn gerichteten Beschwerden des Monobazus, des Anführers der Adiabener, und die Klagen seines eigenen Bruders Tiridates eingebettet.161 Denn durch die Zusammenschau der quantitativ relativ ausgewogen und sukzessive präsentierten individuellen Ansichten dieser drei gleichzeitig an demselben Ort versammelten führenden Männer des Partherreichs wird ein inhaltlich additiv bis korrelativ verbundenes Meinungsbild bezüglich der letzten Kriegsereignisse sowie der nun anstehenden Aktionen projiziert, das an dieser exponierten kontextuellen Position für den Rezipienten die wesentlichen thematischen Hinweise zum armenischen Handlungsschauplatz zusammenstellt. Gemäß der Autoritätshierarchie der intradiegetischen Fokalizer fungiert hier Vologaeses in seiner anschließenden direkten Rede als integrierende Instanz der einzelnen Standpunkte, sodass eine geschlossene, eher konstatierende Perspektivenstruktur vorliegt.162 Diese erfordert vom Leser lediglich geringe Synchronisierungsleistungen, bietet ihm jedoch eine einheitliche, zuverlässige Informationsbasis. Ferner ermöglicht es die Übernahme der attraktiven Sichtweise der außenpolitischen Gegner, die Motive der Mitglieder des parthischen Kriegsrates zur Kenntnis zu nehmen, ihre Entscheidungsprozesse nachzuvollziehen und hypothetisch potenzielle Handlungsalternativen zu erwägen. Eine solche Auseinandersetzung erhöht die Sensibilität für fremde Standpunkte als didaktischen Mehrwert und vergegenwärtigt die Komplexität geschichtlicher Abläufe.163 Caesennius Paetus’ zweifelhafte Erfolge Die Figurenfokalisierung in der außenpolitischen Handlungspartie des 15. Buchs alterniert regelmäßig zwischen Cobulo, Vologaeses und Paetus, deren jeweilige Blickwinkel hierarchisch beigeordnet, quantitativ vornehmlich ausgewogen, stark konkretisiert und individuell ausgeprägt sind.164 Daraus resultiert eine sukzessive multiperspektivische Betrachtung zahlreicher Facetten, von denen die mehrfachen Bewertungen von Paetus’ militärischen Unternehmungen aufgrund ihrer augenfälligen Diachronie, Polylokalität, inhaltlichen Dissonanz und kontradiktorischen Relation hervorzuheben sind. Obwohl Paetus nämlich gemäß seines eingangs 160 Vgl. Anm. 226 (Kap. 2) bzw. Anm. 88. 161 15,1,1 f. Vologaeses (inklusive der Fürsten der Adiabener), 15,1,3 Monobazus bzw. 15,1,4 Tiridates; vgl. Koestermann (1968), S. 165, und Abschn. 3.2.2. 162 15,2,1–3; vgl. Nünning/Nünning (2000a), S. 62. 163 Vgl. dazu Nünning/Nünning (2000b), S. 29, und Vogt (2015), S. 148. 164 Vgl. Tab. 4.

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

gezeigten hochmütigen Verhaltens, das seine Glaubwürdigkeit schmälert,165 schon nach anfänglichen, in der auktorialen Berichterstattung als unbedeutend ausgewiesenen Erfolgen prahlerische, das Kriegsende verkündende Nachrichten an Nero verfasst, wird er vom Partherkönig eingekesselt und sein Heer in größte Bedrängnis gebracht.166 Trotz dieser aus Paetus’ Sicht in zweimaligen Hilfegesuchen an Corbulo wie auch aufgrund der dramatischen Verzweiflung unter den Soldaten als eindeutig desaströs gekennzeichneten Lage167 fordert Paetus entweder aus völliger Fehleinschätzung seiner Situation oder in rhetorisch beabsichtigter, dreister Hyperbolik von Vologaeses einen Frieden auf Augenhöhe und beruft sich auf die glorreichen römischen Feldherrn zur Zeit der Republik.168 Der Partherkönig zeigt sich davon allerdings unbeeindruckt und lässt seinen Reiteroberst Vasaces die faktischen Machtverhältnisse richtigstellen.169 Diese werden ebenfalls durch den referierten schmachvollen Abzug des römischen Heeres und aus Corbulos Blickwinkel bestätigt, auch wenn Paetus im abschließenden Zwiegespräch mit diesem die strategische Lage wiederum realitätsfern als ausgeglichen und offen ausweist.170 In stärkstem Kontrast zur tatsächlichen militärischen Situation werden den ursprünglichen Botschaften Paetus’ gemäß Siegesfeierlichkeiten in Rom berichtet, wobei dieser anachronische Wissensstand durch die benötigte Übermittlungsdauer von Mitteilungen aus dem Nahen Osten zu erklären ist.171 Dementsprechend erreicht auch Vologaeses’ Gesandtschaft, die schließlich für dessen Bruder Tiridates die Herrschaft über Armenien fordern soll, Rom erst im nächsten Jahr und konfrontiert wie zuvor den extradiegetischen Rezipienten, nun Nero und die damalige römische Führungsschicht als intradiegetische Adressaten mit einer diskrepanten bipolaren Darstellung der Zustände in Armenien.172 Über diese erteilt erst ein die parthischen Gesandten begleitender Zenturio verlässliche Auskunft, offenbart letzt165 15,6,4 … et Paetus, cui satis ad gloriam erat, si proximus haberetur, despiciebat gesta, …; vgl. dazu auch Surkamp (2000), S. 124. 166 15,7,1–8,2 … composuitque ad Caesarem litteras quasi confecto bello, uerbis magnificis, rerum uacuas bzw. 15,10,1–4, 15,11,1–3 sowie 15,13,1 f. 167 15,10,4 …, ut instantem Corbuloni fateretur sowie 15,11,3 …, missis iterum ad Corbulonem precibus, … bzw. 15,13,2. 168 15,13,3 … litteras ad Vologaeses non supplices, sed in modum querentis composuit, quod pro Armeniis semper Romanae dicionis aut subiectis regi, quem imperator delegisset, hostilia faceret: pacem ex aequo utilem. … bzw. 15,14,2 tum Paetus Lucullos, Pompeios et si qua Caesares obtinendae donandaeue Armeniae egerant, … 169 15,14,2 …, Vasaces imaginem retinendi largiendiue penes nos, uim penes Parthos memorat; vgl. Geiser (2007), S. 104 f.: „Ungeschickt wirkt die Argumentation des Paetus nicht, doch macht sie auf Vologaeses, der sich klar in der überlegenen Position weiß, keinen Eindruck.“ 170 15,15,1–17,3 sowie v. a. 15,17,1 ille (sc. Paetus) integra utrique cuncta respondit: conuerterent aquilas et iuncti inuaderent Armeniam abscessu Vologaesis infirmatam. Vgl. Graf (1931), S. 96, und Koestermann (1968), S. 188. 171 15,18,1 at Romae tropaea de Parthis arcusque medio Capitolini montis sistebantur, …; vgl. Koestermann (1968), S. 193. 172 15,24,1 inter quae ueris principio legati Parthorum mandata regis Vologaesis litterasque in eandem formam attulere: … bzw. 15,25,1 talibus Vologaesis litteris, quia Paetus diuersa tamquam rebus integris scribebat, interrogatus centurio, qui cum legatis aduenerat, quo in statu Armenia esset, omnes inde Romanos excessisse respondit.

3.3 Drei multiperspektivische Darstellungstechniken

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lich nicht nur Paetus’ völliges Versagen, sondern auch die Unglaubwürdigkeit von dessen Sichtweise und synchronisiert durch deren Entwertung die heterogenen Infomationsstände zu einem in sich stimmigen Gesamtbild. Gerade die alternierende Gestaltung unvermittelter, widersprüchlicher Positionen induziert somit bis zuletzt eine spannungsreiche Unsicherheit bezüglich des Handlungsausgangs, die den Rezipienten an die Lektüre bindet. Damit gehen kognitive Leseanreize einher, die dessen umfassende und aufmerksame Beteiligung an der Auflösung derartiger, partiell auf ironische Brechungen abzielender Dissonanzen erfordern. Insbesondere wird anhand der unzuverlässigen Fokalisierung auf Paetus und der daraus resultierenden, blamablen außenpolitischen Affäre das potenzielle Risiko einer einseitigen Geschehenswahrnehmung exemplifiziert, deren Authentizität im konkreten Einzelfall wie auch bei der Rekonstruktion der geschichtlichen Wahrheit ausschließlich durch eine multiperspektivische Betrachtung zu bestimmen ist.173 Fazit Anhand der voranstehenden prototypischen Textpassagen, die unterschiedlichen Büchern wie auch Themenbereichen entnommen sind, zeigen sich vielfältige textuelle Arrangements des Rezeptionsphänomens Multiperspektivität. Diese bieten eine facettenartige Auffächerung desselben Geschehens entweder aus den Blickwinkeln von mindestens zwei verschiedenen intradiegetischen Fokalizern oder von den Standpunkten mehrerer intradiegetischer Instanzen und des extradiegetischen Sprechers.174 Ihr Gestaltungsreichtum lässt sich mittels des von Nünning und Nünning vorgestellten Systems zur Deskription von Einzelperspektiven, deren Relationierung und Wirkungspotenzial adäquat erfassen, sodass dieses auf die antike Historiographie anwendbar ist und zwischen dieser und der modernen Romanliteratur keine grundsätzlichen diachronen Transformationen bezüglich polyperspektivischer Darstellungs- und Strukturierungsformen festzustellen sind.175 Durch variable, gesellschaftlich hetero- wie auch homogene Fokalisierungen auf Gruppen und einzelne Figuren gelingt es, differente soziale oder meinungspolitische Stimmungen und Positionen, mannigfache subjektbezogene oder kollektive Entstehungshintergründe und -motive respektive unterschiedliche militärische oder diplomatische Lagebeurteilungen und Zielsetzungen darzulegen. Deren Einbezug beschränkt sich nicht auf eine beeindruckende Bilanzierung der historischen Perspektivenvielfalt, die zumindest zu einer punktuellen Aufhebung der primär aristokratisch-senatorischen Erzählersicht sowie zu einer ansatzweisen Komplettierung eines für die betrachtete Epoche charakteristischen Meinungsbildes führt und die „das Nebeneinander unterschiedlicher Wertvorstellungen und Denkweisen in

173 Vgl. dazu auch Pausch (2011), S. 156 f., und Nünning/Nünning (2000b), S. 29 f. 174 Vgl. Anm. 111. 175 Vgl. zu diesen Fragestellungen Nünning/Nünning (2000a), S. 76, Anm. 112 und Anm. 121, sowie Jaeger (2000), S. 343: „Multiperspektivische Geschichtsschreibung auf der Darstellungsebene nähert sich mit diesen Verfahren zwangsläufig dem Roman an.“

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

einer pluralistischen Gesellschaft unterstreich(t).“176 Vielmehr resultiert aus der oftmals unvermittelten, sukzessiven Abfolge korrelativer bis kontradiktorischer Sichtweisen eine situative oder auch andauernde Anspannung, die teils durch Lektürefortsetzung, teils durch detaillierte Gegenüberstellung der verschiedenen Versionen unter Berücksichtigung der narrativen Hierarchie, personellen Autorität und individuellen Glaubwürdigkeit der jeweiligen Standpunkte aufzulösen ist.177 Die sich aus den divergierenden Blickwinkeln ergebende, kognitive Dissonanz beansprucht eine höhere Konzentrations- sowie Synthetisierungsleistung des Rezipienten und führt zu einer intensiven, kognitiv aktivierenden Auseinandersetzung mit den Sichtweisen historischer Persönlichkeiten.178 Dies fördert das Bewusstsein, dass zum Geschehenszeitpunkt der Geschichtsverlauf noch ergebnisoffen und keine eindeutige Bewertung des gegenwärtigen Ereignisses möglich war,179 und kann so eine gedankliche Erwägung eigener hypothetischer Verhaltensweisen, potenzieller Weitergänge sowie unter Umständen ein simuliertes Probehandeln des Lesers evozieren. Erst dadurch vermag dieser zu einer umfassenden Würdigung des tatsächlich eingetretenen Geschichtsverlaufs zu gelangen und sogar einen realen Kenntniszuwachs zu erzielen,180 zumal „die einstigen Horizonte von anderen zu rekonstruieren, […] intellektuell und moralisch immer eine bedeutende Leistung (ist)“,181 wie Friedrich anmerkt. Außerdem birgt ein polyvalentes textuelles Angebot zu einer involvierenden Perspektivenübernahme, das ungewöhnliche, fremdländische Blickwinkel mit einschließt, die Erfahrung der Standort-, Situations- und Informationsgebundenheit menschlicher Wahrnehmung und Entscheidungsfindung – eine epistemologische, geschichtsdidaktische Funktion von Multiperspektivität, die Surkamp beschreibt: „Die Kontrastierung verschiedener, perspektivisch gebrochener Ansichten der fiktionalen Welt, die weder hierarchisiert noch homogenisiert werden können, zieht die Vorstellung von einer Wirklichkeit radikal in Zweifel und deutet auf die Subjektivität und Partialität von individuellen 176 Nünning/Nünning (2000b), S. 29; vgl. Pelling (2009b), S. 167, Pausch (2011), S. 189 f., Ries (1969), S. 132, S. 174 sowie S. 177, Shatzman (1974), S. 575, Shotter (1989), S. 13, und Miller (1964), S. 289. 177 Vgl. Nünning/Nünning (2000b), S. 29. 178 Vgl. Nünning/Nünning (2000b), S. 20: „Die multiperspektivische Auffächerung der fiktiven Welt verlagert also die Aufmerksamkeit des Rezipienten von der Ebene des Geschehens auf die Subjektivität der Perspektiventräger und veranlaßt ihn dazu, die unterschiedlichen Versionen und Perspektiven einander zuzuordnen.“, und vgl. dies. (2000a), S. 71 f., (2013), S. 548, sowie Pausch (2010b), S. 39–41. 179 Vgl. Friedrich (1958), S. 139, Pausch (2010a), S. 200, und (2010b), S. 45. 180 Vgl. Demandt (1986), S. 18, S. 20: „Wie das Verständnis von Entscheidungssituationen, so ist auch die Feststellung und Gewichtung von Kausalmomenten auf eine Als-ob-Historie angewiesen.“, S. 28: „Wir versetzen uns in die Lage der Handelnden, überschauen ihren Erwartungshorizont und fragen mit ihnen, welchen Grad an Wahrscheinlichkeit die einzelnen Ausblicke besaßen.“, sowie S. 39: „Die nicht eingetretenen Möglichkeiten haben selbst keinen Belang, liefern uns aber die notwendige Folie, vor der wir die Bedeutung des wirklich Geschehenen erst erkennen.“, Jaeger (2015), S. 389, Groeben/Christmann (2014), S. 352, Bergmann (2008), S. 58, Pausch (2010a), S. 201, Friedrich (1958), S. 139, und Nünning/Nünning (2000b), S. 33. 181 Friedrich (1958), S. 139 Anm. 5.

3.3 Drei multiperspektivische Darstellungstechniken

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Wirklichkeitsmodellen bzw. darauf hin, daß Wirklichkeit nicht objektiv wahrnehmbar, sondern nur subjektiv konstruierbar ist. Die multiperspektivische Inszenierung dieser Einsicht hat eine Ambiguisierung der erzählten Welt zur Folge, so daß die im Text angelegte Summe möglicher Lesarten steigt und sich der Bedeutungsspielraum für die Leser als sehr groß erweist.“182

Indem derselbe geschichtliche Sachverhalt aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet wird, soll der Rezipient folglich fortwährend zu einer kritischen Reflexion sowie Evaluation der differenten historischen Versionen angeregt werden, wozu Bereitschaft und Fertigkeit des römischen Publikums laut Pausch im Allgemeinen größer als vielfach angenommen war.183 Die aktive Beteiligung des Lesers an dem seiner individuellen Skepsis unterworfenen Rekonstruktionsprozess der geschichtlichen Wahrheit vermittelt diesem ein Gespür für deren unvermeidliche Relationalität, der letztlich auch das taciteische Werk, und zwar unabhängig von Hausmanns Vorwurf einer möglichen retrospektiven Manipulationsabsicht,184 unterliegt, sodass „Multiperspektivität als Medium metahistoriographischer Selbstreflexion funktionalisiert werden (kann).“185 3.3.2 Monoauktoriale Inszenierung multiperspektivischen Erzählens Partikelbasierte Koordination Die Gegenüberstellung zweier oder mehrerer unterschiedlicher Varianten personenbezogener Handlungsmotive in äußerst knapper syntaktischer Form mittels einschlägiger korrespondierender, disjunktiver oder interrogativer Partikel ist,186 obgleich dieses Gestaltungsmittel von Tacitus nicht neu eingeführt, sondern lediglich dessen Verwendung so sehr intensiviert wird, dass es dessen Darstellung von derjenigen anderer Historiographen abhebt,187 als ein Charakteristikum seines Erzählstils anzusehen. Wie Sullivan und Whitehead hierzu erläutern, werde diejenige Version, die jener zur Erklärung präferiere und er demnach dem Leser suggerieren wolle, oftmals ausführlicher sowie passgenauer expliziert, durch vorausgehende oder nachfolgende Anspielungen vorbereitet sowie meist an der rhetorisch und lesepsychologisch günstigen Endposition einer Aufzählung platziert, was gewiss eine zutreffende Beobachtung bezüglich der Strategie einer gezielten Meinungssteuerung ist.188 Ein solches einheitliches Schema, bei dem stets 182 183 184 185 186

Surkamp (2000), S. 131. Vgl. auch Nünning/Nünning (2000b), S. 30. Vgl. Pausch (2010a), S. 192, sowie (2011), S. 21, und Griffin (2009), S. 176 f. Vgl. Hausmann (2009), S. 144. Nünning/Nünning (2000b), S. 30. Hierzu dienen siue … siue, seu … seu, (utrum) … an, aut … aut, uel … uel oder -ue; vgl. Seitz (1958), S. 43–45, Sullivan (1976), S. 313, Whitehead (1979), S. 476, Develin (1983), S. 66, und Cousin (1951/1969), S. 119, sowie diesen aufgreifend Sinclair (1991), S. 2800 sowie S. 2809. 187 Vgl. Develin (1983), S. 65 f., der entsprechende Strukturen ansatzweise bereits bei Livius und Sallust kenntlich macht, Syme (1967), S. 315, und Marincola (1997), S. 94. 188 Vgl. Sullivan (1976), S. 315, S. 319 f. sowie S. 324, Whitehead (1979), S. 475, Ryberg (1942), S. 389, Daitz (1960), S. 46, Walker (1952), S. 47, Suerbaum (1976/1993), S. 80,

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

die letzte Alternative die beabsichtigte Auslegung darbieten würde, wäre allerdings nicht nur monoton, sondern von einem aufmerksamen Leser rasch durchschaubar, beträchtlich effektiver, wenn die der auktorialen Intention zuwiderlaufenden Informationen gänzlich unterdrückt würden, und verlöre zügig seine allzu offenkundig manipulative Wirkung.189 Demgemäß verwundert es kaum, dass Sullivans und Whiteheads Kategorisierungen entsprechender Textphänomene, in denen sie die Passagen jeweils nach einer überwiegenden Zuneigung des Autors entweder zur ersten oder zur zweiten präsentierten Version oder dessen neutraler Haltung sortieren, was sicherlich eine subjektive, weder trennscharfe noch exklusive Art der Klassifizierung ist,190 eine derart eindeutige und regelmäßige Gestaltung nicht stützen. Denn sogar mehrheitlich sind als neutral einzustufende Textstellen sowie einige Beispiele für eine auktoriale Bevorzugung der ersten Position zu finden.191 Das Konzept der „weighted alternative“ respektive der „loaded alternative“192 ist also vielmehr als simplifizierende Interpretationstendenz zu erachten, die nicht übergeneralisiert werden sollte. Für den Rezipienten ist im konkreten Fall von einer prinzipiellen Deutungsoffenheit und -gleichrangigkeit der dargelegten divergierenden Erklärungsansätze auszugehen, deren jeweilige Plausibilität einer kritischen Eruierung bedarf.193 Demzufolge soll diese spezielle narrative Technik, mehrere alternative und teils sogar widersprüchliche Handlungsmotive von Protagonisten anzugeben, weniger

189

190

191 192 193

(2015), S. 83 sowie S. 110–112, Goodyear (1970), S. 32, Develin (1983), S. 85 f., Hausmann (2009), S. 51, S. 66 sowie S. 142 f., Yavetz (1975), S. 190, Borgo (2009), S. 32 f. sowie S. 39, und Sage (1990), S. 1019: „A series of alternatives are presented that through structure and rhetorical device produce an innuendo, allow the reader to accept the least favorable alternative.“ Vgl. Walker (1952), S. 139: „If Tacitus had intended to impose upon his readers, he would have been a more efficient liar, suppressing completely all that did not suit his purpose, and inventing without troubling to find authority for his inventions.“, Schmal (2011), S. 118: „Man könnte hier von einer besonders durchtriebenen Form der Manipulation sprechen, man kann das Verfahren aber auch als fair und leserfreundlich begreifen. Schließlich präsentiert Tacitus die Fakten so, dass der intelligente Mensch keine Schwierigkeiten damit hat, sich dagegen zu entscheiden, […].“, Grethlein (2013), S. 156, und Suerbaum (2015), S. 93 sowie S. 114. Vgl. Whitehead (1979), S. 477, und Sullivan (1976), S. 314, in leichter Abwandlung, was jedoch die abweichende Kategorisierung einiger Passagen nicht hinreichend erklärt. Eine Auflistung aller relevanten Beispiele aus dem taciteischen Œuvre findet sich bei Whitehead, S. 478–493, und Sullivan, S. 314 Anm. 8–10. Wenig hilfreich ist allerdings der alternative Einteilungsvorschlag von Develin (1983), S. 87. Vgl. Sullivan (1976), S. 314 Anm. 8–10 sowie S. 323: „In sum, a spectrum of degrees of uncertainty has been found in Tacitus, especially in the Annals.“, und Whitehead (1979), S. 478–487 sowie S. 493. In obiger Reihenfolge so bezeichnet im Titel von Sullivan (1976) bzw. Whitehead (1979). Vgl. auch Hausmann (2009), S. 66 sowie S. 143. Vgl. Sullivan (1976), S. 325: „If then, Tacitus does often leave his reader wavering between competing versions of an event, certain means can be found to reduce the degree of this apparent uncertainty, to narrow somewhat the extent of his ambivalence.“, Kirchner (2001), S. 117: „Vielmehr halte der Historiker eine Entscheidung sehr häufig in der Schwebe und überlasse sie seinen Lesern.“, Levick (2012), S. 266: „and above all the notorious leaving of choices open to his reader.“, und Holztrattner (1995), S. 11 sowie S. 22.

3.3 Drei multiperspektivische Darstellungstechniken

227

unter dem Aspekt der Lesermanipulation als vielmehr mit Fokus auf deren Beitrag zur bi- beziehungsweise multiperspektivischen Darstellung, den bereits Develin erkennt,194 betrachtet werden. Die facettenartige Auffächerung eines Ereignisses resultiert hierbei nicht aus heterogenen Blickwinkeln differenter interner Fokalizer oder Erzählinstanzen, sondern aus ambivalenten Haltungen und divergenten Bewertungen bezüglich desselben Geschehens durch den extradiegetischen Sprecher, die trotz ihrer etwaig augenfälligen Diskrepanz jeweils in dessen einzelner, aber diskursiv inszenierter Sichtweise vereinigt sind.195 Obwohl es für den Handlungsverlauf irrelevant erscheint, aus welchem Grund Vologaeses dazu veranlasst wird, den Römern Angehörige der arsakidischen Adelsfamilie als Geiseln zu stellen, werden hierzu zwei potenzielle gegensätzliche Motive erwogen, denen eine vergleichbare Plausibilität zukommt.196 Davon abhängig, welche der beiden Alternativen der Rezipient als gültig erachtet, wird der Partherkönig einerseits als überlegter Taktiker, andererseits als ränkevolles Familienoberhaupt gezeichnet. Ähnlich ambivalent werden von Tacitus heterogene Begründungen angeführt, weshalb sich Otho stets zu lobenden Hervorhebungen Poppaeas vor dem Kaiser verleiten lässt. Diese kehren entweder eine naive oder eine berechnende Persönlichkeitsfacette des späteren Usurpators hervor,197 wobei keine explizite Festlegung auf eine der Varianten erfolgt, sondern die Wahl eines Motives, das der Unbesonnenheit Othos sowie letztlich seiner Versetzung nach Lusitana zugrunde liegt, wiederum der leserseitigen Evaluation überlassen wird. Ebenso bleibt, als Agrippina das von Nero vor ihrer Ermordung arrangierte Gastmahl verlässt, ungeklärt, welche Gefühle die andächtige Haltung des Sohnes bei der fatalen Abreise seiner Mutter auslösen,198 sodass es dem Rezipienten anheimgestellt ist, sich zwischen den beiden vorstellbaren, kontradiktorischen Deutungsvarianten einer bitteren Skrupellosigkeit und einer letzten menschlichen Regung zu entscheiden.199 In allen drei Beispielen wie in der Majorität derartiger Fälle200 wird dem Rezipienten also innerhalb eines klar abgesteckten Rahmens ein biperspektivi194 Vgl. Develin (1983), S. 86: „The usage is widespread and far from innocent. Not only does this practice play a part in leading the reader, it also can serve the purpose, by presenting to the mind a dichotomy of interpretation, of surreptitiously obscuring the possibility of another one.“ 195 Vgl. Typ 1 von „multiperspektivisch erzählten Texten“ nach Nünning/Nünning (2000b), S. 18, und Nünning/Nünning (2000a), S. 42. 196 13,9,1 …, quo bellum ex commodo pararet, an ut aemulationis suspectos per nomen obsidum amoueret, …; vgl. Morris (1969), S. 60, und Whitehead (1979), S. 484. 197 13,46,1 Otho siue amore incautus laudare formam elegantiamque uxoris apud principem, siue ut accenderet ac, si eadem femina potirentur, id quoque uinculum potentiam ei adiceret. Vgl. Whitehead (1979), S. 485. 198 14,4,4 …, artius oculis et pectori haerens, siue explenda simulatione, seu periturae matris supremus aspectus quamuis ferum animum retinebat. 199 Vgl. Tresch (1965), S. 101: „Man weiß nicht mehr, ob der Anblick seiner todgeweihten Mutter nicht doch seinen brutalen Charakter erschüttert. Tacitus entscheidet es nicht, es ist auch in der Konsequenz völlig gleichgültig, und schon die Tatsache, daß diese zwei Verhaltensweisen zur Wahl stehen, ersparen weitere Worte.“, Wilsing (1964), S. 109, Morris (1969), S. 95, Röver/ Till (1969), S. 51, Whitehead (1979), S. 485, und demgegenüber Sullivan (1976), S. 318 f. 200 Vgl. nach Partikeln sortiert: an 13,9,1, 12,2, 14,4,4, 7,3, 15,56,3, 60,4, 69,2, 16,23,2, 30,2; aut 15,13,2, 16,1,2; seu 14,42,1, 15,36,2, 51,2; siue 13,15,4, 39,1, 46,1, 14,4,4, 15,38,7, 56,2, 72,2;

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

scher Interpretationsspielraum bezüglich intimer Beweggründe von Protagonisten, die sich auf die gegenwärtige Handlungssituation beziehen, zugestanden. Zwar besitzen diese nur einen marginalen Einfluss auf den tatsächlichen Geschehensfortgang, da vom Leser mit jeder akzeptierten Ursache ein nachvollziehbares Kausalverhältnis hergestellt werden kann. Dieser wird dadurch aber während der Lektüre in die Rekonstruktion einer kohärenten Geschichte involviert und zu einer eigenständigen Auseinandersetzung mit dieser sowie zu einer subjektiven Nuancierungssetzung bezüglich persönlicher Motive und Charakterisierungen befähigt. Des Weiteren werden zum einen gelegentlich gegenwärtig noch nicht eingetretene, sondern erst antizipierte Alternativen in Erwägung gezogen,201 zum anderen selten auch mehr als zwei Motive benannt.202 Ein Beispiel, welches beide Aspekte mustergültig vereinigt, stellen die drei präsentierten zukunftsbezogenen Überlegungen Rubellius Plautus’ dar, auf einen gewaltsamen Widerstand gegen die Willkür des Kaisers zu verzichten, obgleich eine bewaffnete Gegenwehr angesichts bestehender Kontakte zum Befehlshaber der armenischen Truppen, Corbulo, und der frühzeitigen adhortativen Warnung des Schwiegervaters L. Antistius durchaus aussichtsreich erscheint.203 Die Auffindung des überzeugendsten Grundes für Plautus’ anschließende Passivität wird wiederum dem Rezipienten überantwortet, da Tacitus, dessen Unmut über Plautus’ Trägheit hier unüberhörbar ist,204 keine verlässliche Erklärung bieten kann und um stichhaltige Begründungen zu ringen scheint, auch wenn dies angesichts von dessen tragischem Ende letztlich unerheblich ist. Dadurch, dass mindestens eine der gegebenen Begründungsvarianten ausdrücklich einer anonymen Urheberschaft zugeschrieben wird, zeichnet sich darüber hinaus eine kleine Gruppe alternativer Motivattributionen aus. So sind vom Leser anlässlich von Milichus’ Verrat an seinem Patron Scaevinus zwei unterschiedliche, jeweils plausible Ausgangslagen gegeneinander abzuwägen, wobei die zweite Version durch entsprechende Vermutungen nicht näher spezifizierter plerique unterstrichen wird.205 Die daraus resultierende Ambivalenz verdeutlicht dem Rezipienten einerseits die begrenzte Nachvollziehbarkeit des Kenntnisstands geschichtlicher Figuren und damit zugleich die zu erwartende, typische Atmosphäre beständiger Ungewissheit sowie Intransparenz, welche die Berichterstattung über die Pisonische Verschwörung begleitet, in deren Kapitelsequenz immerhin vier der insgesamt

201 202 203

204 205

uel 13,11,2, 45,3, 14,12,4, 15,52,3. Passagen, in denen die Partikel vom oben beschriebenen Gebrauch abweichend verwendet sind, bleiben hier wie im Folgenden unberücksichtigt. Vgl. nach Partikeln sortiert: an 13,41,1, 50,1, 14,3,2, 7,3, 13,1, 33,1, 15,25,2, 58,4, 60,4, 61,2, 61,3, 16,2,1, 31,1; siue 14,7,2; uel 13,40,1, 41,2, 14,23,1. Hierfür finden sich in den Nerobüchern lediglich drei Stellen mit jeweils inkonzinner Struktur: 14,3,2 an … uel, 14,7,2 siue … uel … siue und 14,59,1 siue … seu … an. 14,59,1 sed Plautum ea non mouere, siue nullam opem prouidebat inermis atque exul, seu taedio ambiguae spei, an amore coniugis et liberorum, quibus placabiliorem fore principem rebatur nulla sollicitudine turbatum. Vgl. dazu Sullivan (1976), S. 317, Seitz (1958), S. 202, und Whitehead (1979), S. 486. Vgl. Koestermann (1968), S. 142. 15,54,3 …, siue gnarum (sc. Milichum) coniurationis et illuc usque fidum, seu nescium et tunc primum arreptis suspicionibus, ut plerique tradidere de consequentibus. Vgl. Whitehead (1979), S. 492, und Morris (1969), S. 228.

3.3 Drei multiperspektivische Darstellungstechniken

229

sieben entsprechenden Passagen enthalten sind.206 Andererseits geht mit der schwachen Autorisierung einer oder beider Varianten durch eine unbestimmte Gruppe ein vermeintlicher Beglaubigungs- und Ponderierungseffekt einher und unabhängig von der Zuverlässigkeit einer solchen ansatzweise personalisierten Referenz wird insbesondere der biperspektivische Charakter der partikelbasiert koordinierten Begründungsversionen als geschichtskritische Debatte en miniature evident, der auf einen collageartig diskursiven Gebrauch von Quellenreferenzen aufmerksam macht.207 Produktive Unbestimmtheitsstellen Nach den vorherigen Betrachtungen wird die für Tacitus spezifische Alternativenstruktur nicht nur zur bi- und multiperspektivischen Gegenüberstellung überwiegend ambivalenter Motivoptionen für das gegenwärtige Verhalten von Handlungsfiguren gebraucht, die vor einer derzeitigen oder zu antizipierenden Situation plausibel erscheinen und gegebenenfalls durch anonyme Quellenzitate bestätigt werden. Vielmehr werden ebenfalls erste Indizien für eine auf nachrangige Details beschränkte diegetische Verunsicherung sowie Zurückhaltung und damit eine partielle Relativierung einer bisher als dominant angesehenen, allwissenden Souveränität der Sprecherinstanz ersichtlich. Dies rückt weiterhin diejenigen Stellen in den Analysefokus, an denen gewisse historische Einzelheiten absichtlich sowie explizit mit dem Adjektiv incertum als ungewiss und ungeklärt markiert werden. Zwar findet dieses Phänomen gerade in der neueren Forschung Beachtung, wird jedoch noch kaum als gezielt gesetztes narratives Mittel verstanden. Auch bezüglich der Belegstellen konzentieren sich Borgo und Suerbaum auf 14 Passagen, in denen auf incertum eine indirekte Doppelfrage folgt, die entweder vollständig oder, wenn die zweite Alternative nur die Negation der ersten ist, verkürzt ist.208 In ihren Zusammenstellungen fehlen somit eine syntaktisch entsprechende, aber deklinierte Verwendung dieses Adjektivs sowie dessen jeweils einmaliger Gebrauch in Kombination mit einer einfachen abhängigen Satzfrage beziehungsweise in substantivierter Formulierung, die in den Nerobüchern neben den fünf Passus mit einer indirekten Doppelfrage zusätzlich zu finden sind.209 Da auf die wohl prominenteste geschichtliche Unklarheit, die prononcierte Frage nach der Verantwortlichkeit für den Brand Roms – forte an dolo principis incertum (15,38,1) –, schon an anderer Stelle hinreichend eingegangen wird,210 206 Vgl. nach Partikeln sortiert: an 14,9,1; aut 15,50,4, 53,4; siue 15,53,2, 54,3; seu 14,2,2, 15,45,3. 207 Vgl. dazu ausführlich Abschn. 3.3.3. 208 Vgl. Develin (1983), S. 66: „His favourite device is the use of incertum.“, Suerbaum (1976/ 1993), S. 80, sowie (2015), S. 107–110, und Borgo (2009), S. 29. Fundstellen für incertum und indirekter Doppelfrage im taciteischen Œuvre sind Agr. 7,3, hist. 1,23,1, 75,2, 4,6,1 und ann. 1,11,4, 5,1,2, 6,50,3, 11,18,3, 22,1, 14,7,2, 9,2, 51,1, 15,38,1, 64,1. 209 13,19,1, 15,36,1 bzw. 15,51,1. An allen weiteren Stellen im taciteischen Œuvre wird das Adjektiv nicht zum Ausdruck der auktorialen Unwissenheit verwendet (sondern z. B. zur Bezeichnung mangelnder Kenntnisse von Protagonisten, vgl. 13,41,1 oder 15,36,4). 210 Vgl. Abschn. 3.3.1 und Abschn. 4.4.2.

230

3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

soll ein kurzer, hierauf rekurrierender Hinweis genügen. Die konstatierte ambigue Erzählerhaltung bezüglich dieser Problematik, deren Sachlage weder evident ist noch von der einleitenden Phrase determiniert wird,211 offenbart sich nämlich vor allem in ihren zahlreichen multiperspektivisch gestalteten Wiederaufnahmen sowie der Vermeidung einer expliziten, zuverlässigen Klärung, was eine über dem Geschehen stehende Allwissenheit vermissen lässt. Hingegen wird eine Neugier erregende auktoriale Ratlosigkeit als literarisches Rätsel gezielt inszeniert, das für den Rezipienten gerade aus der ambivalenten Unergründbarkeit einer eindeutigen Antwort einen besonderen Leseanreiz gewinnt.212 Eine vergleichbare Strategie wird ebenfalls bezüglich der dubiosen Umstände von Burrus’ Ableben verfolgt – incertum ualetudine an ueneno (14,51,1). Denn trotz näherer Erläuterung der beiden dargebotenen Alternativen wird der inhärente Widerspruch nicht konkret aufgelöst, sodass der Tod des sympathischen Gardepräfekten für den Leser zu einem undurchsichtigen, aufmerksamkeitsbindenden Kriminalfall avanciert und diesem absichtlich eine individuelle Abwägung der dargelegten potenziellen Ursachen überantwortet wird.213 Unbestimmt lässt Tacitus ferner Senecas und Burrus’ Wissen um das kaiserliche Mordvorhaben an Agrippina schon vor dessen Durchführung – incertum an et ante gnaros (14,7,2) –, obwohl er sich sonst hinreichend über die Motive beider Staatsminister informiert zeigt. Gewiss können sich dahinter die Intentionen verbergen, einerseits deren schwindenden Einfluss auf den Kaiser auszudrücken, zumal sie in der Situation, als Anicetus Nero seine Beseitigungsvariante empfahl, nicht präsent gewesen zu sein scheinen, andererseits beider Andenken nicht mit einer Teilverantwortung an dieser Schandtat des Prinzeps zu belasten. Im diesem Fall wäre es jedoch unverfänglicher gewesen, ihre Mitwisserschaft gar nicht erst infrage zu stellen oder ausdrücklich zu verneinen, wie die durchaus bipolare Beurteilung der rezipierenden Forschung hinsichtlich Burrus’ und Senecas Nennung in diesem Kontext belegt.214 Durch die doppeldeutige Angabe werden somit bewusst berechtigte Zweifel erregt, wie Morris meint,215 und dem Leser zwei alternative Sichtweisen geboten, die zwar von reduzierter auktorialer Souveränität zeugen, zugleich aber die mangelnde Transparenz der historischen Geschehnisse um Agrippinas Ermordung verdeutlichen. Eben diese obskure Atmosphäre des nächtlichen Geschehens unterstreicht auch die beiläufige Erwähnung, dass sich der Freigelas211 Vgl. Pagán (2004), S. 77, und Teltenkötter (2017), S. 27. 212 Vgl. Abschn. 4.4.2. 213 Vgl. Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 295, Tresch (1965), S. 32, S. 124 sowie S. 136, Morris (1969), S. 165, Heldmann (2013), S. 318, und hingegen eine negative Auslegung bevorzugend Gillis (1963), S. 19, Sullivan (1976), S. 319, Woodcock (1939), S. 137, sowie Whitehead (1979), S. 492. 214 Vgl. Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 64, Ryberg (1942), S. 401, Barwick (1944), S. 373 f., Whitehead (1979), S. 485, Morford (1990), S. 1607, Tresch (1965), S. 104, Borgo (2009), S. 36, Gillis (1963), S. 15 f., Luke (2013), S. 209 f. Anm. 9, und Develin (1983), S. 68, sowie Walker (1952), S. 222, die den beiden zumindest eine Teilschuld anlasten. Kritisch zur Rolle Senecas bei allen Morden Neros sind zudem Schmal (2008), S. 113, Schunk (1955), S. 8, und Ker (2012), S. 320. 215 Vgl. Morris (1969), S. 99.

3.3 Drei multiperspektivische Darstellungstechniken

231

sene Mnester nach der Verbrennung von Agrippinas Leichnam aus sogar dem olympischen Erzähler unbekannten Gründen, incertum caritate in patronam an metu exitii (14,9,2), ins Schwert gestürzt habe. Dies bildet gewissermaßen den Auftakt zu den anschließend in dieser Gegend zu beobachtenden Mysterien,216 deren unheilvolle Stimmung den verängstigten Kaiser schließlich zur Weiterreise nach Neapel bewegt. Wie Mnesters wahre Motive, so bleiben ebenfalls die Kenntnis- und Bewusstseinszustände zweier weiterer Handlungsnebenfiguren im Verborgenen. Diese ungewohnte Einschränkung der auktorialen Wohlinformiertheit bezieht sich bei der Freigelassenen Epicharis nicht nur auf den Ursprung ihres Wissens über die Konspiration, incertum quonam modo sciscitata (15,51,1), sondern wird so konsequent umgesetzt, dass der Leser zu keiner Gelegenheit die Vorgänge aus ihrer Perspektive wahrnehmen kann. Ihre Beziehungen zu den Verschwörern werden diesem vorenthalten und ihre Unterhaltung mit Volusius Proculus, ihre erste Anhörung bei Nero sowie ihre Folterungen erlebt er lediglich aus der externen Fokalisierung auf Epicharis mit.217 Dies führt zur völligen Undurchsichtigkeit ihres Charakters, ihrer tatsächlichen Motive und ihres Wissensstandes, wodurch ihr Verstand und ihre Emotionen für den Rezipienten ebenso unzugänglich sind wie für die Folterknechte des Kaisers. Neben Epicharis wird auch Senecas Gattin Paulina ausschließlich unter wechselnder Außenansicht präsentiert, indem der Philosoph ihren Wunsch zu sterben vernimmt sowie beantwortet und befiehlt, sie aus dem Zimmer zu bringen, damit ihr unerschütterlicher Todeswille nicht durch den Anblick ihres gegenseitigen Leidens gebrochen würde.218 Daraufhin wird das Ableben der vielleicht schon Ohnmächtigen, incertum an ignarae (15,64,1), von den Dienern verhindert. Obwohl die Standhaftigkeit der Gattin noch stärker exponiert wäre, wenn ihre Bewusst- und Wehrlosigkeit überhaupt nicht angezweifelt würde, wird dieses Detail als durch eine gezielte Begrenzung des Wissenshorizonts evozierte Leerstelle der Vorstellung des Rezipienten überlassen. Die externe Fokalisierung erzeugt also einerseits den Eindruck eines Abhängigkeitsverhältnisses sowie der Passivität Paulinas, andererseits steigert gerade die Informationsreduktion das Interesse des Lesers an ihr. Ferner sind angesichts der Widersprüchlichkeit des Verhaltens einiger Anhängerinnen, die Agrippina trotz ihres einsetzenden Machtverlusts weiterhin aufsuchen, vom Rezipienten die Plausibilitäten kontradiktorischer Motive zu erwägen, amore an odio incertas (13,19,1). Obgleich Tacitus zuerst das intime Verlangen des Kaisers, auf Griechenlandtournee zu gehen, sowie dessen Beweggründe hierfür präzise kennt,219 erscheint es zudem, damals wie gegenwärtig unbegreiflich, weshalb Nero seinen Plan letztlich nicht durchführt: causae in incerto fuere (15,36,1). Stattdessen wird der Vorfall im Tempel der Vesta, der eigentlich primär als Rechtfertigung für eine abgesagte Reise durch die Provinzen des Ostens und Ägypten dient, sekundär als Ursache für den zeitweiligen Aufschub der schauspielerischen 216 217 218 219

14,10,3; vgl. Borgo (2009), S. 35. 15,51,1–3, 15,51,4 und 15,57,1 f. 15,63,1 und 15,63,3. Vgl. ferner zur Person Paulina Schürenberg (1975), S. 63 f. 15,33,2.

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

Ambitionen in Griechenland suggeriert.220 Diese kalkulierte Ungereimtheit spiegelt außerdem die Zwielichtigkeit der geschilderten Ereignisse im Vestatempel und Irrationalität des Benehmens sowie der sprunghaften, nicht nachvollziehbaren Gedankengänge des Prinzeps adäquat wider, die das zeitgenössische öffentliche Leben in Rom bestimmen.221 Fazit Die voranstehenden Ausdrücke der Ungewissheit, sei es durch die Präsentation alternativer Erklärungsvarianten, sei es mittels des textuellen Markers incertum, beziehen sich stets auf unergründliche psychologische Motive oder Kenntnis- und Bewusstseinszustände individueller Protagonisten.222 Durch regelmäßig wiederkehrende syntaktische und semantische Hervorhebungen werden diese vom Erzählerstandpunkt aus absichtlich bi- respektive multiperspektivisch als kognitiv reizvolle textuelle Unbestimmtheitsstellen inszeniert. An diesen wird einem kritisch reflektierenden Rezipienten punktuell eine autonome Entscheidungsfindung zwischen zwei oder mehreren potenziellen Versionen überantwortet, „um mehr hören zu lassen, als er (sc. Tacitus) sagt, und vom Leser mehr finden zu lassen, als er Mut und Absicht hat, ihm in aller Klarheit zu offenbaren. Der Leser soll die Interpretation geben; ihm fällt die Aufgabe zu, die Wahrheit zu suchen und zu finden, die hinter den Worten verborgen ist.“223 Während Demandt bereits den dadurch veranlassten hypothetischen Erwägungen an sich einen hohen heuristischen Wert zuspricht,224 lassen diese dem Rezipienten zugleich anhand von Details das komplexe Wahrscheinlichkeits- und polyperspektivische Objektivierungsprinzip eines diskursiven geschichtlichen Rekonstruktionsprozesses bewusst werden.225 Obwohl dieser beispielhaft innerhalb eines vom Autor als professionellen Historiker 220 15,36,1–3. Vgl. dazu auch Heldmann (2013), S. 348: „Die Begründung, die Tacitus dafür angibt, könnte ein fiktionaler Erzähler nicht besser formulieren.“, Pöhlmann (1910), S. 60: „[…] dem Leser (wird) freie Wahl gelassen, welche von den verschiedenen Kausalerklärungen, die natürliche oder die übernatürliche, die Deutung aus Zufall, Fatum oder Götterwillen er vorziehen will!“, und Blänsdorf (2015), S. 325. 221 15,36,4 senatus et primores in incerto erant, procul an coram atrocior haberetur. 222 Vgl. zur partikelbasierten Alteration Anm. 200–202 sowie 206 und für incertum Borgo (2009), S. 30 sowie S. 43, und Suerbaum (2015), S. 107 f. sowie S. 113, dessen angesichts geringer Fallzahlen kaum repräsentative Differenzierung zugunsten einer dualen vollständigen Kategorisierung aufgegeben ist: psychologische Motive Agr. 7,3, hist. 1,75,2, 4,6,1, ann. 1,11,4, 6,50,3, 11,22,1, 13,19,1, 14,9,2, 51,1, Kenntnis- oder Bewusstseinszustände hist. 1,23,1, ann. 5,1,2, 11,18,3, 14,7,2, 15,36,1, 38,1, 51,1, 64,1. 223 Cousin (1951/1969), S. 125; vgl. Schmal (2011), S. 118: „De(r) Leser (ist) über ein kompliziertes Deutungsgeflecht an der Meinungsbildung immerhin beteiligt.“ 224 Vgl. Demandt (1986), S. 39: „Bei der Suche und Begründung von Alternativen treten sonst übersehene Fakten zutage. Wir fördern Unterströmungen, Begleiterscheinungen und Ansätze ans Licht, die durch die Dominanz des Fortgangs verschüttet worden sind.“, und auch Marincola (1997), S. 93. 225 Vgl. Jaeger (2000), S. 323, sowie (2015), S. 389, Bergmann (2008), S. 60, und Nünning/ Nünning (2000b), S. 33.

3.3 Drei multiperspektivische Darstellungstechniken

233

abgesteckten, aber dennoch ergebnisoffenen Rahmens stattfindet und eine exakte Auflösung der jeweiligen Mehrdeutigkeiten für den übergreifenden Handlungszusammenhang irrelevant ist,226 werden hierbei jedoch auch die Grenzen historischer Erkenntnismöglichkeiten evident, denen Tacitus offensichtlich ebenfalls unterworfen ist. Denn selbst wenn aufgrund der manipulativen Kraft dieses geschickt vollzogenen Beweislastübertrags an den Leser und des Darstellungskontexts dessen fides nicht ernsthaft gefährdet227 sowie dessen aspektbezogene narrative Unsicherheit ein wenig kaschiert wird,228 ist dennoch eine temporäre Beschränkung der auktorialen Souveränität erkennbar. Die für das antike Epos charakteristische olympische Omniszienz229 ist folglich etwas gemindert und die dominante geht zumindest in eine natürlichere Erzählhaltung über.230 Denn trotz intensiven Quellenstudiums vermag der Verfasser nicht sämtliche Geheimnisse der Geschichte zu lüften respektive intime Gedanken und Motive der Charaktere zuverlässig wiederzugeben, sondern diese lediglich auf Basis von Plausibilitätsschlüssen ambigue zu erwägen. Diese gezielte Reduzierung der narratorbezogenen Allwissenheit drückt sich in abschnittsweisen externen Fokalisierungen aus, zu deren Anwendung sich die zahlreichen intransparenten Ermordungs- und Verschwörungserzählungen anbieten. In Kombination mit skeptischen Alternativerläuterungen spiegelt diese Fokalisierungsart nämlich die nach Tacitus’ Worten schon damals für einen Dritten nicht abschätzbaren Verhältnisse und Absichten konspirativer Unternehmungen jeglicher Form wider,231 macht deren zwielichtige Atmosphäre232 und die in der Kaiserzeit vorherrschende, von Ungewissheit sowie Unsicherheit geprägte öffentliche Stimmungslage für den Rezipienten annähernd erfahrbar.233 Zudem unterstreicht sie die gegenwärtigen Schwierigkeiten eines Historiographen, das obskure Treiben nachträglich zu durchdringen, zu erhellen sowie informationsreich aufzuarbei226 Vgl. Grethlein (2013), S. 163: „Most of these points are of minor relevance and concern only motivation or details of the story.“ 227 Vgl. dazu Rybergs Formulierung (1942), S. 388, einer „alternative for which the historian takes no responsibility“, und diese aufgreifend Sinclair (1991), S. 2803, sowie Levick (2012), S. 267. 228 Vgl. Pagán (2004), S. 124. 229 Vgl. Effe (1975), S. 141: „Der homerische Erzähler […] ist durch die übermenschliche Kraft der Muse inspiriert. Er ist ausführendes Organ von deren umfassender Allwissenheit.“, Pausch (2013a), S. 206, Suerbaum (2015), S. 222, und Marincola (1997), S. 3 f. Gerade diese Erzählhaltung fordert Lukian auch von einem Historiographen (hist. conscr. 49 f.). 230 Vgl. Marincola (1997), S. 94, Borgo (2009), S. 43 f., Levick (2012), S. 278, und Suerbaum (2015), S. 93 sowie S. 114. 231 15,54,1 sed mirum quam inter diuersi generis ordinis, aetatis sexus, dites pauperes taciturnitate omnia cohibita sunt, … 232 Vgl. Grethlein (2013), S. 165: „The ambiguity that pervades Tacitus’ account recreates the clandestine atmosphere of the conspiracy that is highlighted […].“ Vgl. zudem Pagán (2004), S. 77, Marincola (1997), S. 93, Koestermann (1968), S. 310, und Develin (1983), S. 68. 233 Vgl. Whitehead (1979), S. 495, der in entsprechenden Erzählabschnitten den erhöhten Einsatz indirekter Doppelfragen belegt, Cousin (1951/1969), S. 120, und Grethlein (2013), S. 167: „Nevertheless the ambiguity of the narrative makes the reader re-experience the general insecurity of the situation.“

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

ten.234 Nicht zufällig verweist dieser neben den hier vorgestellten sowie einigen von Grethlein indizierten Stellen235 also teils implizit, teils explizit auf eben diese Herausforderung, und zwar insbesondere unmittelbar zu Beginn der Pisonischen Verschwörung, deren Ansätze sowie Ursprünge für den Autor offenbar im Dunkeln liegen.236 Hierzu komplementär sieht er sich aufgrund der Undurchsichtigkeit und des Mangels an handfesten Beweisen am Ende jenes Darstellungskomplexes veranlasst, die historische Existenz der Konspiration zu rechtfertigen und zu negieren, dass es sich bei dieser nur um eine Erfindung der kaiserlichen Propaganda handelte, um Personae non gratae zu beseitigen.237 Damit dienen die voranstehend analysierten Passagen aber nicht dazu, um nach Suerbaum widersinnigerweise die Zuverlässigkeit der eigenen Präsentation zu bezweifeln,238 sondern gerade die überlegte, etwaige Unbestimmbarkeiten aufzeigende und multiperspektivisch ausdeutende Vorgehensweise steigert die narrative Aufrichtigkeit oder suggeriert dem Leser diese Glaubwürdigkeit vermittelnde Haltung zumindest geschickt.239 3.3.3 Heterogene Quellenzeugnisse als collagierte Polyperspektivität Narrative Montage diachroner Gerüchte Zu Beginn des vierten Annalenbuchs erwähnt und kommentiert Tacitus unmittelbar nach seiner eingehenden Berichterstattung über das Ableben sowie die Bestattung von Tiberius’ Sohn Drusus ein inhaltlich konträres Gerücht mit dem diskreditierenden Vorwurf, der Kaiser selbst habe seinen Sohn kaltblütig ermordet.240 Davon abgesehen, dass er damit „zuerst und ganz ohne Vorwarnung eine Version in aller Ausführlichkeit […] erzähl(t), um diese dann erst im Anschluss und auf einer anderen narrativen Ebene zu hinterfragen“,241 womit dieses diegetische Verfahren entgegen Pauschs Urteil nicht als Livius’ Erzählspezifität anzusehen 234 Vgl. Pagán (2004), S. 88, Pelling (2009b), S. 157, und Morford (1990), S. 1615. 235 Vgl. Grethlein (2013), S. 162 f., der auf die Stellen 15,49,1, 50,4, 51,1, 51,2, 52,3, 53,2, 53,4, 54,3, 56,3, 64,2, 69,2 sowie 73,2 eingeht. 236 15,49,1 nec tamen facile memorauerim, quis primus auctor, cuius instinctu concitum sit quod tam multi sumpserunt. 237 15,73,2 ceterum coeptam adultamque et reuictam coniurationem neque tunc dubitauere, quibus uerum noscendi cura erat, et fatentur, qui post interitum Neronis in Vrbem regressi sunt. Vgl. Grethlein (2013), S. 162 f., Pagán (2004), S. 78, Pelling (2009b), S. 157, Bartera (2012), S. 179, Walker (1952), S. 132, Suerbaum (1976/1993), S. 85, sowie (2015), S. 98, und Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 74: „Tacitus has shown the reality of the plot, against the popular rumour which discredited it as a fiction; and for all its details he is practically our sole authority.“ 238 Vgl. Suerbaum (2015), S. 98. 239 Vgl. auch Pagán (2004), S. 71: „Paradoxically, such moments of indeterminacy can also be thought of as the most stable moments of the text. Both author and reader must confront the limits of knowledge.“ 240 4,10,1–11,3; vgl. dazu Suerbaum (2015), S. 74. 241 Pausch (2013a), S. 216.

3.3 Drei multiperspektivische Darstellungstechniken

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ist,242 macht dieser metaleptische Einschub auf drei weitere aufschlussreiche Aspekte bezüglich der Plotgestaltung aufmerksam. Bei der thematischen Auswahl und Zusammenstellung wird erstens eine Berücksichtigung mündlicher Elemente offenbar, die trotz ihrer Entstehung zum Ereigniszeitpunkt, was deren historische Zuverlässigkeit unterstreichen kann, bis in die Gegenwart der Narration überdauert haben.243 Aufgrund dieses Kriteriums ihrer diachronen Existenz unterscheiden sich derartige Überlieferungen jedoch ungeachtet identischer semantischer Bezeichnungen von den meisten derjenigen Gerüchte, die im ersten der Multiperspektivität gewidmeten Abschnitt dieses Kapitels fokussiert werden und die zwar ebenfalls heterogene Alternativen desselben Geschehens bieten, aber lediglich synchron zu diesem denkbar sind.244 Während diese nämlich als intradiegetische, zeitgenössische Fokalisierungen hinsichtlich der geschichtlichen Vorkommnisse fungieren, besitzen jene im Akt der Narration noch den Status von entpersonalisierten extradiegetischen Quellen, die im Sinne einer multiperspektivischen Collage,245 deren Anwendung sich ansatzweise schon im Kontext der partikelbasierten Koordination von Begründungsvarianten zeigte,246 einen differenten Ereignisverlauf enthalten und beitragen können. Dementsprechend erschöpft sich zweitens die Funktion des dreimal explizit angestrebten Vergleichs zwischen mündlicher Tradition und schriftlichen Zeugnissen bezüglich Drusus’ Tod247 nicht in einer dringenden Absicherung der zuerst referierten Version durch Verweise auf die einhellige Quellenlage, wie Hausmann behauptet.248 Vielmehr bildet dieser, obschon eine unzureichende Bezeugung zur Zurückweisung des Gerüchts genügen würde, den Ansatzpunkt für eine umfangreiche diskursive Widerlegung von dessen Inhalt. Der bewusst gesetzte Potenzialis der zweiten Person Singular in refutaueris erweckt dabei gezielt die Leseraufmerksamkeit, welche die anknüpfenden rhetorischen Fragen aufrechterhalten, sodass

242 Vgl. Pausch (2013a), S. 216, gegen dessen These ferner 13,17,2, 15,53,3 f. und unter Einschränkungen auch 15,16,1–3 zu nennen sind (vgl. je Abschn. 3.3.3). Bei Tacitus wird aber die erste nie zugunsten der zweiten Variante revidiert, wie Pausch (2013a), S. 217, in Bezug auf Livius weiter ausführt. 243 4,10,1 in tradenda morte Drusi, quae plurimis maximaeque fidei auctoribus memorata sunt, rettuli, sed non omiserim eorundem temporum rumorem, ualidum adeo, ut nondum exolescat: … 244 Vgl. Abschn. 3.3.1 sowie insbesondere Anm. 142. Für diese synchrone Form der multiperspektivischen Verwendung von Gerüchten sind abgesehen von der Erzählung des Rombrandes (15,38,1–44,5) gerade die Passagen 13,6,1–4, 14,20,1–21,3, 14,52,2–4 oder 15,6,1 f. beispielhaft. 245 Vgl. zum Begriff der multiperspektivischen Collage Nünning/Nünning (2000a), S. 42 sowie S. 45. 246 Vgl. Anm. 206. 247 4,10,1 …, quae plurimis maximaeque fidei auctoribus memorata sunt, …, 4,11,1 haec uulgo iactata super id, quod nullo auctore certo firmantur, prompte refutaueris, …, 4,11,2 … neque quisquam scriptor tam infensus extitit, … 248 Vgl. Hausmann (2009), S. 107, wobei das verbreitete Gerücht auch ebenso wenig „der Vollständigkeit halber“ (S. 108), erwähnt wird, und demgegenüber Martin/Woodman (1989), S. 123.

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

diese weniger ein Ausdruck von Tacitus’ „pathetischer Indignation“249 sind, wie Koestermann meint, sondern nach Ries den Rezipienten eher an der schulmeisterlich geführten refutatio beteiligen sollen.250 Sie verdeutlichen das Fehlen logischer Tatmotive aufseiten des Tiberius und leiten eine Argumentationskette ein, die angesichts ihrer fallbezogenen Spezifität, wie auch Ries und Hausmann betonen, mündlichen Überlieferungen keineswegs generell einen historischen Quellenwert abspricht.251 Diese setzt nämlich an der Schuldunfähigkeit des Prinzeps wegen seiner Hörigkeit gegenüber Sejan an, geht zu den eindeutig den Kaiser entlastenden Geständnissen Apicatas, Eudemus’ sowie Lygdus’ über und ergänzt als letzten triftigen Beweisaspekt, dass Tiberius nicht einmal die feindlich gesinnten Schriftsteller diesen Sohnesmord zutrauen.252 Da durch dieses ausführliche Räsonnement das vornehmlich diffamierende Gerücht, dessen suggestiver Effekt aufgrund der bloßen Erwähnung, trotz Richtigstellung von Sejans alleiniger Verantwortlichkeit und gerade bei flüchtiger Lektüre nicht verfehlt wird sowie als Nebenintention anzuerkennen ist,253 rational vollständig zu falsifizieren ist, scheint auch der Autor ein Rechtfertigungsbedürfnis für dessen Integration zu bemerken. Diese begründet er zum Abschluss dieser einzigartigen methodischen Reflexion folgendermaßen:254 mihi tradendi arguendique rumoris causa fuit, ut claro sub exemplo falsas auditiones depellerem peteremque ab iis, quorum in manus cura nostra uenerit, ‹ne› diuulgata atque incredibilia auide accepta ueris neque in miraculum corruptis antehabeant (4,11,3). Mein Grund, dieses Gerücht zu überliefern und als unhaltbar darzustellen, bestand darin, anhand eines verständlichen Beispiels wahrheitswidrige Gerüchte zu beseitigen und von denjenigen, in deren Hände mein Werk gelangen wird, zu ersuchen, dass sie nicht weitverbreitete Unglaubwürdigkeiten, die gierig aufgenommen werden, einer nicht zur Effekthascherei verkehrten Wahrheit vorziehen.

Dieser metadiegetische Kommentar gewährt dem Leser Einblick in das selektionsbezogene Kalkül während des Narrationsakts und belegt durch die konkrete Antizipation der erwarteten Rezeptionshaltung sowie auftretender Unstimmigkeiten die interaktionistische Ausrichtung des Diskurses. Zwar stellt das geäußerte Bewusstsein für eine die historische Wahrheitsfindung gefährdende, leserseitige Attraktivität unverbürgter und verbreiteter Geschichten, welches sich auch an anderen Passagen offenbart,255 prima facie die Sinnhaftigkeit einer Aufnahme des Gerüchts über 249 Koestermann (1965a), S. 66; vgl. hingegen Shotter (1989), S. 140. 250 Vgl. Ries (1969), S. 186, und Pelling (2009b), S. 154: „The effect of such second-person verbs is usually to draw readers more closely into visualising the events themselves, or to go some way beyond the visual.“ 251 Vgl. Ries (1969), S. 186, sowie Hausmann (2009), S. 110 f. 252 4,11,1–3; vgl. zum Aufbau der Argumentationskette Ries (1969), S. 185, und Suerbaum (2015), S. 200. 253 Vgl. Leo (1896/1969), S. 10 f., Shatzman (1974), S. 560, Walker (1952), S. 142, Martin/ Woodman (1989), S. 124 f., und Hausmann (2009), S. 110. 254 Vgl. Suerbaum (2015), S. 70 f., und Develin (1983), S. 82. 255 Hist. 2,50,2, ann. 4,11,3 bzw. 11,27 je mit Anm. 78 (Kap. 1) und ebenso Plin. epist. 5,8,4; vgl. Martin/Woodman (1989), S. 131, und mit Verweis auf die Sensationslust des Lesers Ries (1969), S. 182 f., der als erläuterndes Beispiel die zwei Varianten der Todesumstände Pisos anführt (3,15,3 bzw. 3,16,1).

3.3 Drei multiperspektivische Darstellungstechniken

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Drusus’ Tod zusätzlich infrage, weil dessen Glaubwürdigkeit auf Basis von Vernunftgründen entschieden zu negieren und gemäß diesem grundsätzlichen Auswahlprinzip dessen Berücksichtigung eigentlich ausgeschlossen ist.256 Gerade die unmissverständliche Bewertung als falsa auditio sowie die damit verbundene, zweifelsfreie Zurückweisung dieser mündlichen Überlieferung legitimiert jedoch ihren Einbezug in diesem Einzelfall unter einer didaktischen Absicht, die als dritter wesentlicher Aspekt aus dem Abschnitt über Drusus’ Tod zu ersehen ist. Tacitus wägt nämlich die alternativen Versionen nicht nur explizit gegeneinander ab und legt dem Leser seine Überlegungen im Sinne eines verbalisierten Denkens dar, um hier, wie Hausmann meint, den Eindruck einer kritisch überprüfenden Unparteilichkeit zu erwecken.257 Vielmehr ist die augenscheinlich appellative Haltung und basale Rezipientenorientierung dieser Stelle zu beachten, gemäß der dem intendierten Adressaten eine exakt an diesem einleuchtenden Demonstrationsbeispiel, claro sub exemplo, orientierte Musterargumentation und -verfahrensweise für einen reflektierten Umgang mit heterogenen Quellenzeugnissen aufgezeigt werden soll.258 Mittels dieses didaktisch-methodischen Exempels, das im vierten Annalenbuch angesichts der darin zahlreich enthaltenen programmatischen Bemerkungen keineswegs zu spät gegeben wird,259 warnt der Autor sein Publikum vor einer unüberlegten Bestimmung der Authentizität differierender mündlicher Überlieferungen ausschließlich nach deren Unterhaltungswert oder gemäß subjektiver Vorurteile,260 obgleich diese als unersetzliche Quellen geschichtlicher Informationen vorab unvoreingenommen beizuziehen sind.261 Stattdessen wird der Rezipient analog zur exemplifizierten Vorgehensweise zu einer eigenaktiven, intensiven Auseinandersetzung mit heterogenen tradierten Geschehensversionen angehalten. Er soll deren jeweilige historische Glaubwürdigkeit sowie deren Erkenntniswert, soweit möglich, durch eine wechselseitige, genau prüfende Kontrastierung262 und

256 Vgl. Anm. 78 (Kap. 1) und auch Ryberg (1942), S. 386, die diesen Widerspruch etwas anders formuliert: „He declares it his policy to record the account found in the best authors, but at the same time he feels that he should not fail to include the rumors that have been survived.“, und Hausmann (2009), S. 110 f., der darauf aufmerksam macht, dass das obige Gerücht der taciteischen Praxis, nur plausible Gerüchte zu integrieren, widerspricht. Vgl. dazu Shatzman (1974), S. 550, S. 553 sowie S. 557 Anm. 28, Ries (1969), S. 184, Martin/Woodman (1989), S. 129, Suerbaum (2015), S. 202, und Marincola (1997), S. 282 f. 257 Vgl. Hausmann (2009), S. 111. 258 Vgl. Koestermann (1965a), S. 68: „Es kam ihm darauf an, claro sub exemplo seine kritische Denkungsart vorzuführen und auch den Leser zu methodischer Selbstbestimmung anzuhalten.“, Shatzman (1974), S. 557 f. mit Anm. 28, und Hausmann (2009), S. 107 sowie S. 109 f. 259 Vgl. neben 4,10 f. auch 4,32 f. sowie 4,71 und demgegenüber Hausmann (2009), S. 111. 260 Vgl. Syme (1967), S. 402: „With this text and example Tacitus exhorted his readers, solemnly and indeed passionately, to keep to authentic history, like his own Annales, abjuring rumour and sensation.“, Shatzman (1974), S. 557, Ihrig (2007), S. 47 f., und Suerbaum (2015), S. 203. 261 Vgl. Martin/Woodman (1989), S. 130: „Rumours and the like, whether true or false, form part of the historical tradition and are thus legitimate material for the historian.“ 262 Vgl. Ries (1969), S. 184: „Im konkreten Fall sollen falsche Versionen zurückgewiesen und damit den Lesern ein Maßstab historischer Kritik an die Hand gegeben werden.“, und Walker

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

insbesondere unter Einbezug der „Wahrscheinlichkeit als Richtschnur menschlichen Ermessens“263 eruieren. Ein vergleichbares Diskurspotenzial aufgrund abweichender oder ergänzender mündlicher Überlieferungsvarianten implizieren auch 13 Stellen in den Nerobüchern,264 an welchen diachron existente Gerüchte, für deren Identifikation neben diesem temporalen Kriterium vor allem semantische und kontextuelle Nuancen zu berücksichtigen sind,265 im Sinne einer collagierten Multiperspektivität in die Erzählung aufgenommen sind. Zur Illustration der zeitlichen Differenz eignet sich die retrospektive Diskussion bezüglich der Frage, ob reell eine Bedrohung durch die Pisonische Verschwörung bestand. Wie die exakte Gestaltung der Verbtempora nahelegt, wurde dies im Anschluss an die Aufklärung der Konspiration zwar im Gerede des Volkes bestritten. Unter denjenigen aber, die sich für die Wahrheit interessierten, gab es schon damals keine Zweifel an der Existenz einer Verschwörung und diese wird noch zur Zeit der Narration von jenen bestätigt, die nach Neros Tod nach Rom zurückkehrten,266 sodass anzunehmen ist, dass in die polyperspektivische Darstellung dieses Details ebenfalls überdauernde mündliche Berichte einbezogen sind. Ferner werden in den Textpassagen über Senecas Beteiligung bei der Wiederversöhnung zwischen Nero und Thrasea sowie den angeblichen Vergiftungsversuch des Kaisers an dem Philosophen, indem diese Ereignisse je additiv mittels zweier aufeinanderfolgender Verben des Überlieferns angeschlossen werden,267 Gerüchte in die Erzählung integriert. Dabei sind die Präsens- beziehungsweise Imperfektformen von ferre hier wie auch an entsprechenden Passus mit einem Infinitiv Perfekt verbunden, um die Vergangenheit des Geschehensinhalts in deutlichem Verhältnis zu dessen mündlichem Tradierungszeitpunkt korrekt auszudrücken.268 Dieser ist offenbar in der Gegenwart respektive zumindest noch in Tacitus’ Jugendzeit anzusetzen und bereichert so die auf den Stoiker bezogene Handlungslinie um eine zusätzliche Sichtweise.269 Außerdem ist eine außergewöhnliche Nachwirkung der angeblich inzestuösen Bestrebungen zwischen Agrippina und ihrem Sohn, deren Urheberschaft polyperspektivisch beleuchtet wird, in der volksnahen Überlieferung

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(1952), S. 141 f., die sogar von einem „admirable example of ‚scientific judgment‘ in an historian“ spricht. Flach (1973b), S. 72; vgl. Pelling (2009b), S. 163, und Martin (1981), S. 212: „Tacitus’ conclusion is drawn on the basis of probability and common sense.“ 13,14,1, 43,5, 14,2,2, 51,1, 59,1, 15,23,4, 43,5, 45,3, 50,4, 64,2, 65, 73,1 f., 16,5,3. Vgl. Schmal (2011), S. 107, und Suerbaum (2015), S. 277. 15,73,1 f. etenim crebro uulgi rumore lacerabatur, tamquam uiros claros et insontes ob inuidiam aut metum extinxisset. ceterum coeptam adultamque et reuictam coniurationem neque tunc dubitauere, quibus uerum noscendi cura erat, et fatentur, qui post interitum Neronis in urbem regressi sunt. 15,23,4 adnotatum est, …, Thraseam prohibitum … excepisse. secutam … ferunt, … gratulatum. bzw. 15,45,3 ferebatur Seneca, …, longinqui ruris secessum orauisse, … bzw. tradidere quidam, … Präsens 14,59,1, 15,23,4 bzw. Imperfekt 13,14,1, 13,43,5, 15,45,3, 15,50,4, 16,5,3. Vgl. dazu 3,16,1 audire me memini ex senioribus … und auch die Gesprächsfiktion in dial. 1,2 … ac non disertissimorum, …, hominum sermo repetendus esset, quos eandem hanc quaestionem pertractantes iuuenis admodum audiui.

3.3 Drei multiperspektivische Darstellungstechniken

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angesichts der unglaublichen Skrupellosigkeit, des Prädikatstempus und der korrespondierenden schriftlichen Quellenangaben zu erwarten.270 Ebenfalls mag sich die alternative, zur vorausgehenden Darstellung diskrepante, aber verbreitete Version, bei einem Erfolg der Pisonischen Verschwörung Seneca als Kaiser einzusetzen, wenigstens solange gerüchteweise gehalten haben, dass der Autor davon noch Kenntnis erlangen konnte.271 Dasselbe ist für das diskreditierende Gerede bezüglich Burrus’ dubioser Todesumstände sowie des unerwarteten Überlebens von Senecas Gattin Paulina anzunehmen, wodurch die jeweiligen Vorfälle aus einer kontradiktorischen Perspektive bewertet werden,272 und zuletzt hinsichtlich der nach dem Rombrand geäußerten Unzufriedenheit mit der neuen Stadtarchitektur wahrscheinlich, die Neros überlegte Wiederaufbaumaßnahmen unter einem ungünstigen Blickwinkel erscheinen lässt.273 Die angesichts der historiographischen Gattung nach Ries’ Ansicht überraschend häufig im Diskurs vertretenen Gerüchte274 spiegeln, wie Timpe erläutert, die gesellschaftliche Atmosphäre der Kaiserzeit wider, in der die Prinzipes die allgemeine Öffentlichkeit aufgehoben hätten, und Geheimhaltung, Gerüchtemacherei, Unsicherheit sowie kontrollierte Informationsweitergabe vorherrschten.275 Den daraus resultierenden Erschwernissen bei einer authentischen Geschichtsdarstellung begegnet Tacitus durch montageartigen Einbezug voneinander abweichender historischer und diachroner mündlicher Zeugnisse in ihrer jeweiligen Form: Einerseits bergen diese nämlich innerhalb kaum konkretisierter, vornehmlich anonymer und volksnaher Gruppierungen kursierende, alternative Meinungen zum gegenwärtigen Geschehen, andererseits bis zum Narrationszeitpunkt existierende, divergierende Varianten. Während die erste bereits pränarrativ literarisierte Ausprägung primär als kollektive Fokalisierungsoption innerhalb der intradiegetischen Perspektivenstruktur eines polyperspektivisch erzählten Texts fungiert,276 ist dem zweiten überwiegend entpersonalisierten Darstellungstyp weiterhin ein spezieller dokumentarischer Charakter zu eigen. Vor allem diese Art leistet damit einen beträchtlichen Beitrag zu einer intensiven, an Plausibilitätskriterien orientierten leserseitigen Auseinandersetzung mit der Historie sowie deren diskursiver Rekonstruktion277 und gleicht darin schriftlichen Vorlagen, auf die nachstehend einzugehen ist. 270 14,2,2 …, et fama huc inclinat, … 271 15,65 fama fuit … 272 14,51,1 plures … inlitum palatum … adseuerabant, et Burrum … respondisse. bzw. 15,64,2 …, non defuere qui crederent, …; cui addidit paucos postea annos, … 273 15,43,5 erant tamen qui crederent …: at nunc …; vgl. Anm. 338 (Kap. 2). 274 Vgl. Ries (1969), S. 7, S. 96 sowie S. 170. 275 Vgl. Timpe (1988/2007), S. 251 f. sowie S. 255: „Während die fassbare Realität schrumpfte, wuchs die Aura der Gerüchte. Im Inneren hat bekanntlich die domus Caesaris und ihr undurchsichtiger Einfluß immer zu Spekulationen und Verdächtigungen Anlaß gegeben.“, Syme (1967), S. 403, Flach (1973b), S. 59, Schmal (2011), S. 152, Newbold (1976), S. 90 f., Zimmermann (1999), S. 25 f. sowie S. 48, Gibson (1998), S. 124–126, mit Verweis auf Cass. Dio 53,19 Suerbaum (2015), S. 80, Eck (2000), S. 205, und Anm. 92 (Kap. 2). 276 Vgl. Anm. 142. 277 Vgl. Schmal (2011), S. 116: „Gleichwohl liefert Tacitus selbst gerne Meinungen und […] Gerüchte […], damit sich der Leser scheinbar seine eigene Meinung bilden kann.“, und Shatz-

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

Diskurspotenzial schriftlicher Quellen Die Tatsache, dass Referenzen auf schriftliche Quellen in den Annalenbüchern über Neros Prinzipat deutlich häufiger als in denjenigen über Tiberius’ und Claudius’ Regime wie auch in den ‚Historien‘ verwendet werden, ist zwar in der Forschung bereits hinreichend belegt.278 Diese begnügt sich jedoch oftmals trotz der mannigfachen Ursachen, die zu dieser Veränderung führen können, einstimmig mit der schlichten Erklärung, das Vorhandensein von Quellenangaben, die in anderen Werkteilen beinahe gänzlich fehlen, sei als Zeichen für eine mangelnde Ausarbeitung der letzten Buchgruppe zu werten, in der an jenen Passagen die jeweiligen Vorlagen noch einmal inhaltlich überprüft und der Text sprachlich-stilistisch geglättet werden sollte.279 Demgegenüber wird allerdings kaum der Versuch unternommen, wie Suerbaum zu Recht kritisiert, die Quellenverweise als beabsichtigte Bestandteile zu verstehen sowie deren kontextuelle Positionierung und narrative Effekte zu analysieren.280 Ein Überblick über die Verteilung aller anonymen und namentlichen Angaben zu schriftlichen Vorlagen führt nämlich zu dem bemerkenswerten Befund, dass diese gerade während der beeindruckendsten und am meisten rezipierten Episoden der Nerobücher wie den anfänglichen Konflikten zwischen Agrippina und ihrem Sohn, der Ermordung der Kaisermutter, dem Rombrand oder der Pisonischen Verschwörung sowie insbesondere Senecas Beseitigung zu finden sind, deren jeweilige Kompositionen überzeugen.281 Ist also bereits angesichts der

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man (1974), S. 560: „He presents a rumour without pronouncing his opinion whether it is false or not.“ Vgl. Schanz/Hosius (1935), S. 629, Pitcher (2009), S. 38, Flach (1973a), S. 93 f., Koestermann (1963), S. 42, sowie (1965a), S. 64, Tresch (1965), S. 27 f., Martin (1981), v. a. S. 189 sowie S. 199 f., Sage (1990), S. 1014, Develin (1983), S. 80 sowie S. 83, Syme (1967), S. 271, und Mehl (2001), S. 31 sowie S. 128 f. In den ‚Historien‘ werden nur drei (Vipstanus Messalla 3,25,2, 3,28; Plinius d. Ä. 3,28), in der ersten Hexade der ‚Annalen‘ lediglich zwei namentliche Quellenangaben (Plinius d. Ä. 1,69,2; Agrippina d. J. 4,53,2) genannt; vgl. Suerbaum (2015), S. 264 sowie S. 269, und zu einem Vergleich des taciteischen Verfahrens mit demjenigen anderer Historiographen Mensching (1967), S. 457–460. Vgl. Koestermann (1968), S. 24, S. 122 sowie S. 234, und Mensching (1967), S. 469: „Wir glauben also, ein Indiz für die Unfertigkeit dieser letzten Buchgruppe vor uns zu haben.“ – ein Urteil, das er, S. 459 f., ebenso über die dritte Dekade des Livius aufgrund der darin enthaltenen Quellendiskussionen fällt. Walker (1952), S. 140, führt diesen Unterschied hingegen auf den wenig wahrscheinlichen und aus heutiger Sicht kaum einschätzbaren Umstand zurück, dass Tacitus für diesen Zeitraum noch zahlreichere und vollständigere Bearbeitungen vorlagen als für Tiberius’ Ära. Vgl. Suerbaum (2015), S. 290, dessen eigene Ansätze einer thematisch orientierten Auswertung, S. 291 f., ergebnislos enden: „Insgesamt ergeben die Hinweise auf konkurrierende anonyme Quellen bei Tacitus ein sehr heterogenes Bild.“ Inklusive der Angabe der jeweiligen Referenz sowie in obiger Episodenreihenfolge durch Semikola getrennt: 13,17,2 scriptores, 13,20,2 Rusticus, Plinius, Cluvius; 14,2,1 Cluvius, 14,2,2 Rusticus, ceteri auctores, 14,4,4 constitit, 14,9,1 sunt qui; 15,38,1 auctores; 15,53,2 alii, 15,53,3 Plinius, 15,54,3 plerique, 15,67,3 constitit; 15,45,3 quidam, 15,61,3 Rusticus; darüber hinaus finden sich Quellennennungen noch während der kaum weniger prominenten Ereignisse der Kämpfe gegen Boudicca 14,33,2 constitit bzw. 14,37,2 sunt qui sowie gegen Vologaeses 15,16,1 f. constitit, Corbulo, 15,16,3 non in obscuro habentur und zu Beginn des 16. Buchs

3.3 Drei multiperspektivische Darstellungstechniken

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offenbar bewussten intratextuellen Platzierung der Quellennennungen die Hypothese, diese seien Ausdruck einer unvollkommenen Darstellung, berechtigt anzuzweifeln, so kann die Kritik an deren Ungewöhnlichkeit durch zwei weitere Einwände eingeschränkt werden: Denn zum einen merkt Schwerdtner an, dass „keine einhellige antike Vorstellung vom Zitat oder eine Theorie des Zitierens (existiert habe), die Allgemeingültigkeit beanspruchen könnte.“282 Zum anderen konstatiert Marincola, dass die generelle historiographische Praxis der Antike weder eine eindeutige Festlegung auf eine Variante erfordere noch eine Implikation und Aufzählung divergierender Positionen literarischer Vorgänger als letzte Option ausschließe, falls für einen Geschichtsschreiber eine eigenständige Untersuchung beziehungsweise Überprüfung eines Faktums oder ein Wahrscheinlichkeitsschluss nach Plausibilitätskriterien unmöglich sei.283 Somit können sich additiv bis korrelativ ergänzende oder kontradiktorische Standpunkte anderer Historiker oder Zeitzeugen, die individuell sowie namentlich oder als anonymes Kollektiv erwähnt werden, in die Erzählung integriert und ihre unterschiedlichen Versionen voneinander abgegrenzt werden, wobei eine klärende Koordination gegebenenfalls unterbleibt.284 Dementsprechend trägt Tacitus, obwohl die Vorgeschichte und die eindringliche Szene von Britannicus’ Ermordung eindeutig, in sich ausgewogen und bereits vollständig dargelegt ist,285 erst nach der Verbrennung von dessen Leiche neben einer gerüchteweisen Bewertung des Geschehens aus Sicht der plebs urbana einen partiell differenten Geschehenshergang nach, nämlich dass Britannicus in seinen letzten Lebenstagen vom Prinzeps sexuell missbraucht worden sei.286 Dieser schwerwiegende Vorwurf erscheint einerseits dadurch, dass diese pikante Zusatzinformation in dem ordentlichen Bericht zuvor offensichtlich bewusst ausgelassen ist, kaum vorstell- sowie haltbar und angesichts der im Annalenproömium gegebenen Warnung vor unter dem frischen Eindruck eines despotischen Regimes verfassten, tendenziösen Geschichtsdarstellungen geradezu als ein derartiges Musterbeispiel.287 Andererseits sind die Bezeugung dieses stuprum durch die zeitgenössischen Historiographen aufgrund der temporalen Kontiguität zu den

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16,3,2 quidam bzw. 16,6,1 quidam scriptores. Demgemäß sind Develin (1983), S. 85: „One cannot dismiss these citations by assuming an incomplete or unrevised text.“, und Martin (1981), S. 263 Anm. 25, zu Recht kritisch. Schwerdtner (2015), S. 18. Vgl. Marincola (1997), S. 67 sowie S. 107, und auch Flach (1973b), S. 72 f. Vgl. Schmal (2011), S. 116: „Selbst die Autorennennungen dienen wohl weniger dazu, die Darstellung der Sache zu legitimieren, als vielmehr im Gegenteil dazu, Deutungsvielfalt zu zeigen und einer expliziten eigenen Position auszuweichen.“ 13,15,1–16,4 mit Abschn. 3.2.1. 13,17,1 bzw. 17,2 tradunt plerique eorum temporum scriptores crebris ante exitium diebus illusisse pueritiae Britannici Neronem, ut iam non praematura neque saeua mors uideri queat, quamuis inter sacra mensae, ne tempore quidem ad complexum sororum dato, ante oculos inimici properata sit in illum supremum Claudiorum sanguinem, stupro prius quam ueneno pollutum. 1,1,2 Tiberii Gaique et Claudii ac Neronis res florentibus ipsis ob metum falsae, postquam occiderant, recentibus odiis compositae sunt.

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

Vorfällen288 sowie der Aspekt, dass dieser Version wenigstens eine anschließende Erwähnung zuerkannt wird, abgesehen von Neros Charakterportrait für den Rezipienten hinreichende Indizien, deren Wahrheitsgehalt zu erwägen. Die individuelle Bewertung der Authentizität dieses abweichenden Blickwinkels ist für den weiteren Handlungsverlauf zwar ebenso wie bei der nachfolgenden quellenbasierten Eruierung der geschichtlichen Detailfrage, ob Nero Burrus anlässlich der angeblichen Staatsaffäre um Plautus seines Amtes entheben wollte oder nicht,289 unerheblich. Allerdings führt die Integration divergierender Standpunkte historiographischer Vorlagen seitens des Lesers zu einer bewussten Auseinandersetzung mit den heterogen präsentierten Versionen des Geschehens und dadurch eventuell zu einer subjektiven Revision von dessen Ablauf.290 Deutet Tacitus schon in Paragraph 13,13,2 inzestuöse Bestrebungen zwischen Agrippina und ihrem Sohn sowie entsprechende Annäherungsversuche der Kaisermutter an, gegenüber denen sich Nero zumindest vorläufig noch verschlossen zeigt,291 so greift er diese Thematik zu Beginn des 14. Buchs und unmittelbar vor der Berichterstattung über Agrippinas Ermordung in einer quellenkritischen Diskussion wiederum auf. Hierbei stellt er ausführlich Cluvius’ und Rusticus’ kontroverse Überlieferungen gegenüber, die beide als hofnahe Quellen vorwiegend bezüglich des undurchsichtigen, intriganten Treibens im Kaiserhaus zitiert werden, und hebt die inhaltliche Übereinstimmung der Positionen weiterer anonym bleibender Autoren, des allgemeinen Geredes sowie der Charakterzüge der Mutter mit Cluvius’ Variante hervor.292 Obwohl also die Mehrheit der Zeugnisse den Prinzeps plausibel nicht als Initiator dieses innerfamiliären Verhältnisses ausweist, erscheint jedoch Rusticus’ singuläre Version besondere Glaubwürdigkeit zuzukommen. Denn dieser könnte in der vorliegenden Angelegenheit als Augenzeuge oder durch seine enge Freundschaft zu Seneca über spezielle Informationen verfügen und schreibt unerwarteterweise Actes geschickte Intervention nicht der Voraussicht des Philoso288 Vgl. zur Praxis antiker Geschichtsschreiber, sich auf Zeitzeugen zu berufen, Marincola (1997), S. 81, und auch Anm. 304. 289 13,20,1 f. mit Abschn. 4.4.1. 290 Vgl. Heinz (1948), S. 25, und Pausch (2011), S. 148. 291 13,13,2 tum Agrippina uersis artibus per blandimenta iuuenem aggredi, suum potius cubiculum ac sinum offere contegendis quae prima aetas et summa fortuna expeterent. … quae mutatio Neronem neque fefellit, …; dabei ist diese Möglichkeit angesichts Agrippinas Charakterisierung keineswegs so absurd wie von Koestermann (1967), S. 259, angenommen. Zur symbolischen Gestik der Passagen vgl. Hartke (1959), S. 186, sowie Betensky (1978), S. 426, und zur krankhaften Sexualität Neros Heinz (1948), S. 73–75. 292 14,2,1 f. tradit Cluuius ardore retinendae Agrippinam potentiae eo usque prouectam, ut medio diei, cum id temporis Nero per uinum et epulas incalesceret, offerret se saepius temulento comptam et incesto paratam; … Senecam contra muliebres inlecebras subsidium a femina petiuisse, immissamque Acten libertam, … Fabius Rusticus non Agrippinae, sed Neroni cupitum id memorat eiusdemque libertae astu disiectum. sed quae Cluuius, eadem ceteri quoque auctores prodidere, et fama huc inclinat, seu concepit animo tantum immanitatis Agrippina, seu credibilior nouae libidinis meditatio in ea uisa est, …; vgl. zu Cluvius’ Person und dessen Wertschätzung durch Tacitus auch hist. 1,8,1 sowie 4,43,1 mit Koestermann (1956b), S. 230 Anm. 55, Syme (1967), S. 293 f., Tresch (1965), S. 49 sowie S. 55–58, Woodcock (1939), S. 9, und Klingner (1958), S. 204.

3.3 Drei multiperspektivische Darstellungstechniken

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phen, dem er sonst zugeneigt ist,293 sondern einer schlauen Finte der Freigelassenen selbst zu. Außerdem ist Senecas oder Actes rasches und entschlossenes Durchgreifen nur gänzlich nachzuvollziehen, wenn Nero wirklich die Bereitschaft zu einer inzestuösen Beziehung besaß.294 Da sich die zwei zeitgenössischen Hauptquellen für das Geschehen im Kaiserpalast offenbar widersprechen, sind die beiden hinsichtlich der situationalen Umstände und Personenkonstellationen aufeinander bezogenen Textpassagen vom Rezipienten zu kontrastieren. Sofern dessen kritischer Verstand nicht a priori der suggestiven Kraft des zweifachen Referats derselben Thematik unter ähnlichen Rahmenbedingungen erliegt,295 ist von ihm dabei zumindest in Erwägung zu ziehen, ob Rusticus vielleicht als einziger einen tieferen Einblick in die Intimitäten des Kaiserhauses hatte.296 Punktuell mit der detektivischen Aufklärungsarbeit eines Historiographen konfrontiert wird dem Leser eine eigenständige Untersuchung der Ereignisse und eine Rekonstruktion der Geschichte nach dem Prinzip der historischen Wahrscheinlichkeit ermöglicht, bei der keine abschließende Gewissheit zu erreichen ist. Wie Tresch richtig anmerkt, stehen somit letztlich nicht die Frage nach der Schuldigkeit, sondern die fatalerweise ähnlichen Anlagen zwischen Mutter und Sohn im Vordergrund.297 Hierzu komplementär wird auch die Authentizität der nachgeschobenen Detailnachricht, Nero habe den Leichnam seiner Mutter lobend angesehen,298 nicht explizit kommentiert und mit flüchtigem Verweis auf die gleichrangigen Quellenzeugnisse dem Leser zur Eigenevaluation überlassen. Obgleich eine gewisse auktoriale Tendenz vernehmbar ist, werden also aus Tacitus’ Darstellung im Gegensatz zur Parallelüberlieferung verschiedene Blickwinkel auf die Inzestproblematik zwischen Agrippina und Nero evident,299 sodass eine polyperspektivische Sichtweise der familiären Beziehung und Ansätze zu einer metahistorischen Reflexion textuell angelegt sind. Während nach Suetonius Paulinus’ Kämpfen gegen die Britannier eine anonyme Quellenreferenz lediglich das enorme Ausmaß von deren Verlusten unterstreicht,300 wird die Brisanz der militärischen Lage, in der sich Caesennius 293 13,20,2 sane Fabius inclinat ad laudes Senecae, cuius amicitia floruit. Vgl. zu Fabius Rusticus’ Person Syme (1967), S. 293. 294 Vgl. Ihrig (2007), S. 408. 295 Vgl. Hartke (1959), S. 186: „Diese Parallelität führt die Gedanken des Lesers von 14,2 nach 13,13 zurück. Die beim ersten Lesen scheinbar eindeutigen Worte cubiculum und sinus erhalten rückblickend eine schauerliche Bedeutung.“ 296 Vgl. Flach (1973a), S. 100: „Fabius wusste als einziger von zwei Vorfällen zu berichten, die seinen Gönner Seneca betrafen.“, und Suerbaum (2015), S. 256 Anm. 164: „Man könnte auch schlicht vermuten, dass Fabius Rusticus als Freund Senecas, der mit Burrus zusammen damals praktisch die Regierung bildete, über Interna besser informiert war als Plinius maior und Cluvius Rufus.“ 297 Vgl. Tresch (1965), S. 44, S. 46 sowie S. 53, und auch Morris (1969), S. 86. 298 14,9,1 haec consensu produntur. aspexeritne matrem exanimem Nero et formam corporis eius laudauerit, sunt qui tradiderint, sunt qui abnuant. 299 Vgl. Tresch (1965), S. 32, Morris (1969), S. 106, Hartke (1959), S. 186, der von einer recht nüchternen Erörterung spricht, Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 244, Suerbaum (2015), S. 289 f., und Heinz (1948), S. 30 sowie S. 32, die die gewohnt taciteische Skepsis betonen und gerade auf die mangelnde Übereinstimmung mit der Parallelliteratur aufmerksam machen. 300 14,37,2 quippe sunt qui paulo minus quam octoginta milia Britannorum cecidisse tradant, …

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

Paetus befindet, als er von Vologaeses belagert wird, aus der Rückschau zwar ambivalent beleuchtet, die Erläuterungen des römischen Feldherrn Corbulo jedoch ausdrücklich als übertrieben zurückgewiesen.301 Bemerkenswert ist hierbei einerseits die Verwendung von constitit zum Ausdruck eines übereinstimmenden Befundes schriftlicher Quellen, wie die Gegenüberstellung zu den Commentarii Corbulos und eine Betrachtung dreier entsprechender Belegstellen innerhalb der Nerobücher nahelegen.302 Andererseits benennt Tacitus mit der Benutzung von Corbulos Memoiren nicht nur dessen literarische Tätigkeit, um nach Mensching dessen Charakteristik zu komplettieren.303 Vielmehr wird aus narrativ privilegierter Position zwischen den inhaltlich gegensätzlichen Überlieferungsvarianten vermittelt, indem Corbulos Darlegung vehement kritisiert und als Primärquelle disqualifiziert wird, obschon diese aufgrund der Autorität ihres Verfassers und dessen Eigenschaft als Augenzeuge eigentlich ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit besitzen sollte.304 Dieses Beispiel zeigt also ansatzweise auf, dass die Zuverlässigkeit einer Quelle unabhängig von der persönlichen Würde ihres Urhebers zu beurteilen ist, und macht den Leser konkret auf das Risiko einer über die natürliche Wahrnehmungssubjektivität hinausgehenden, bewusst verzerrenden Berichterstattung aufmerksam, von der auch vorliterarische Textsorten wie die Commentarii eines Feldherrn nicht ausgenommen sind. Im Sinne einer metanarrativen Selbstreflexivität wird somit implizit auf die daraus resultierenden Herausforderungen bei der Erstellung einer auf verlässlichen Vorlagen basierenden, objektiven Historiographie verwiesen.305 Außerdem dient zum einen die anonyme Quellenreferenz zu Beginn der Episode über den Rombrand, wie erwähnt, vorrangig der Exposition und Begründung der expliziten Fragestellung nach der Verantwortlichkeit für die Katastrophe, die von früheren Geschichtsschreibern unterschiedlich beantwortet wird.306 Zum 301 15,16,1–3 ceterum obsessis adeo suppeditauisse rem frumentariam constitit, ut horreis ignem inicerent, contraque prodiderit Corbulo Parthos inopes copiarum et pabulo attrito relicturos oppugnationem, neque se plus tridui itinere afuisse. adicit …; quae ut augendae infamiae composita, sic reliqua non in obscuro habentur, … 302 Da abgesehen von 4,10 f. stets gleichartige Quellen kontrastiert werden, ist constitit in 15,16,1 im Wechsel mit Corbulos Memoiren als Verweis auf schriftliche Zeugnisse zu verstehen. Eine solche Verwendung deutet auch der Gebrauch von constitit in 14,33,2 in Kombination mit einer konkreten Zahlenangabe an. Denn diese werden in 14,37,2 (vgl. Anm. 300) klar einer schriftlichen Referenz entnommen und wären als Nebenaspekte in der mündlichen Überlieferung wohl kaum erhalten geblieben. Weiterhin findet sich constitit in 15,67,3 vielleicht in Bezug auf die reichhaltige exitus-Literatur sowie in 14,4,4. 303 Vgl. Mensching (1967), S. 462. 304 Vgl. dazu Geiser (2007), S. 15: „Einig ist man sich allerdings inzwischen darüber, daß sowohl Tacitus wie auch Cassius Dio die Memoiren bzw. Commentarii Corbulos – ob aus erster Hand oder aber bereits in einer Bearbeitung ist wiederum strittig – für ihre Darstellung benutzt haben.“, und zu Konsequenzen dieser Zurückweisung von Corbulos Version für dessen Charakterisierung S. 109. Die Ablehnung ist v. a. bemerkenswert, da in der antiken Geschichtsschreibung die Augenzeugeneigenschaft allgemein als verlässlichste Quelle galt; vgl. Martin/ Woodman (1989), S. 125, und Marincola (1997), S. 86. 305 Vgl. Nünning/Nünning (2000a), S. 30. 306 15,38,1 … forte an dolo principis incertum (nam utrumque auctores prodidere) …; vgl. dazu Abschn. 3.3.1 wie auch Abschn. 3.3.2.

3.3 Drei multiperspektivische Darstellungstechniken

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anderen wurde der Beitrag der zahlreichen Verweise auf literarische Vorlagen während der Pisonischen Verschwörung zur Erzeugung einer Atmosphäre von Unsicherheit, Ungewissheit und Intransparenz der damaligen Vorgänge und der damit verbundenen Schwierigkeiten einer retrospektiven Aufarbeitung schon unter dem Aspekt der partikelbasierten Koordination vermerkt.307 Im Rahmen der hierzu jeweils angewandten multiperspektivischen Auffächerung des Geschehens mithilfe unterschiedlicher Blickwinkel differierender Quellenzeugnisse ist insbesondere im Anschluss an den Plan der Konspiranten, in dem auch die Herkunft von Scaevinus’ handlungsrelevantem Dolch konträr erörtert wird,308 Tacitus’ entschiedene Intervention gegen Plinius’ Überlieferungsvariante hervorzuheben.309 Denn analog zur exemplarischen Plausibilitätsprüfung des Gerüchts über Tiberius’ Beteiligung an Drusus’ Tod dient ihm Plinius’ vollständig referierte Version des Plans als Grundlage einer gezielt gegen Einzelheiten polemisierenden, sich auf historische Wahrscheinlichkeiten berufenden Argumentation. Neben der Suggestion eines Bemühens um Objektivität und Nachvollziehbarkeit beim Selektionsprozess soll diese beispielhafte Auseinandersetzung dem Leser ein erkenntnisreiches kritisches Rezeptionsverhalten illustrieren sowie dessen kognitive Mitarbeit und eigenständige Bewertung heterogener Zeugnisse evozieren. Zudem verweist der Einbezug des kontradiktorischen auktorialen Standpunkts auf ein der Erzählung vorausgehendes intensives Quellenstudium sowie deren Fiktionalität und leistet einen Beitrag zur geschichtlichen Perspektivenvielfalt sowie zu einem metahistorischen Diskurs. Abgesehen von der ambivalenten Berichterstattung über Caesellius Bassus’ Lebensende310 werden die bisher aufgezeigten Verwendungsaspekte von Quellenreferenzen abschließend vor allem anhand der unterschiedlichen Überlieferungspositionen bezüglich der Ursache von Poppaeas Tod evident.311 Da weder eindeutig zu beweisen noch zu widerlegen ist, ob die schwangere Poppaea durch einen Fußtritt Neros oder Gift umkam, führt Tacitus beide Versionen an, auch wenn er aus seiner narrativ präponderierten Sicht die vom ihm präferierte Variante klar hervorkehrt. Diese von der Überlieferung abweichende Perspektive begründet er durch die Unzuverlässigkeit einiger Schriftsteller aufgrund deren persönlicher Rachemotive – odio magis quam ex fide – und als erfahrener Historiker mittels eines subjektiven Plausibilitätsschlusses – crediderim (16,6,1). Diesen zieht er dem Charakter des Prinzeps und dessen vermeintlicher Kinder- und Gattinnenliebe gemäß,312 ohne jedoch einen ersichtlichen Grund für den plötzlichen Wutausbruch zu benen307 15,45,3, 53,2, 53,3, 54,3, 61,3 bzw. 67,3 mit Abschn. 3.3.2. 308 15,53,2 … Scaeuino, qui pugionem templo Salutis in Etruria siue, ut alii tradidere, Fortunae Frentano in oppido detraxerat … 309 15,53,4 …, quod Plinius memorat. nobis quoquo modo traditum non occultare in animo fuit, quamuis absurdum uideretur …; vgl. Koestermann (1968), S. 280. 310 16,3,2 …, pudorem et metum morte uoluntaria effugit. quidam uinctum ac mox dimissum tradidere ademptis bonis in locum regiae gazae. 311 16,6,1 … Poppaea mortem obiit, fortuita mariti iracundia, a quo grauida ictu calcis afflicta est. neque enim uenenum crediderim, quamuis quidem scriptores tradant, odio magis quam ex fide: quippe liberorum cupiens et amori uxoris obnoxius erat. 312 Vgl. die ausdrücklichen Gefühlsbeteuerungen des Kaisers in 13,46,2 sowie 14,1,1 und auch Ihrig (2007), S. 417, sowie Koestermann (1968), S. 13: „An seiner Gattin Poppaea und an

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

nen.313 Darüber hinaus kann der Rezipient, sofern er die Alternativen selbstständig und ergebnisoffen abwägt sowie das auktoriale Urteil anzweifelt, darin, dass Poppaeas Leiche nicht verbrannt, sondern einbalsamiert wird, ein verstecktes Indiz entdecken. Dieses Detail zielt zwar auch auf die Verkommenheit der römischen Sitten ab, wie Hauser und Heldmann annehmen,314 die Mumifizierung der Kaiserin widerspricht aber der These eines Giftmords, dessen Anzeichen nach antiker Vorstellung innerhalb kürzester Zeit an der Leiche sichtbar wären.315 Fazit Aus kontextueller und narrativer Sicht sind die voranstehend analysierten Quellenangaben, von denen 13 auf diachrone mündliche Traditionen beziehungsweise sechs auf namentliche und 15 auf anonyme schriftliche Vorlagen zurückgehen,316 keineswegs als unredigierte Stellen, sondern vielmehr als funktionale Darstellungselemente mit eigenem Wirkungspotenzial zu erachten. Unter Verweis auf abweichende, gleichrangig präsentierte oder via seiner privilegierten Autorität hierarchisierte alternative Blickwinkel unterschiedlichster Zeugnisarten beleuchtet Tacitus das historische Geschehen im Sinne einer heteromorph strukturierten Vielstimmigkeit.317 Wie Jaeger bemerkt, wird nämlich „Geschichtsschreibung […] auf der Darstellungsebene erst multiperspektivisch, wenn einerseits die integrative Position des Historiographen (als Stimme oder Perspektive) relativiert wird, andererseits weitere eigenständige, also sprachfähige Stimmen oder Perspektiven den Text prägen.“318 Mit den bestehenden Überlieferungsvarianten setzt sich der Autor stellenweise sogar modellhaft kritisch auseinander und bildet damit eine skeptische Geschichtsdiskussion auf metadiegetischer Ebene ab, welche die leserseitige Aufmerksamkeit auf die konstituierende Erzählillusion sowie insbesondere auf eine sorgfältige Quellenforschung, -auswahl und -aufbereitung

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seiner früh wieder verstorbenen Tochter hing er mit echter Zuneigung und Liebe, und ihr Verlust hat ihn schwer getroffen.“ Vgl. Mayer (1982), S. 248 f., Pelling (2009b), S. 154, Holztrattner (1995), S. 130 f., und Heldmann (2013), S. 320. 16,6,2 corpus non igni abolitum, ut Romanus mos, sed regum externorum consuetudine differtum odoribus conditur …; vgl. Hauser (1967), S. 83, Heldmann (2013), S. 323, Koestermann (1968), S. 345, und McCulloch (1984), S. 127. Vgl. dazu 2,73,4, 13,17,3 sowie Suet. Tib. 1,2. Vgl. Anm. 281; hierbei unberücksichtigt bleiben bloße Anspielungen auf Dokumente, die keine inhaltlichen Geschehensvarianten einbringen, aber deren Nennung als Authentifizierungsstrategie anzusehen ist, wie Senecas Reden 13,3,1, 13,11,2, 14,11,3, 15,63,3, Neros Dichtung 14,16,1, Antistius Sosianus’ Schmähungen 14,48,1, Veientos Werk 14,50,2, Lukans Epos 15,70,1, die acta senatus 15,74,3 sowie diurna 16,22,3, nicht spezifizierte uolumina (vermutlich Plinius’ d. Ä.) 13,31,1, kaiserliche Edikte und Rechtfertigungsschriften 13,17,3, 13,20,2, 13,43,3, 14,45,2, 14,63,1, 15,36,1, 15,73,1 oder Testamente 14,6,3, 14,29,1, 15,54,1, 15,59,5, 15,64,4, 15,68,1, 16,14,3, 16,17,5, 16,19,3. Vgl. Nünning/Nünning (2000a), S. 45, sowie (2000b), S. 30. Jaeger (2000), S. 342.

3.3 Drei multiperspektivische Darstellungstechniken

247

lenkt.319 Das hierbei gezeigte, souverän gewichtende, nicht autoritär restriktive Vorgehen steigert die historische Glaubwürdigkeit der Sprecherinstanz, was De Jong als ein Spezifikum der antiken Erzählliteratur anerkennt.320 Im Rezeptionsakt wird zudem anlässlich der angeführten multiperspektivischen Referenzen exemplarisch ein historiographischer Wahrheitsfindungs- und Rekonstruktionsprozess bezüglich einzelner nachrangiger Geschehensaspekte angeregt, bei dem die „Standortgebundenheit bzw. Perspektivität menschlicher Wahrnehmung und historischer Erkenntnis“321 hervortritt.322 Denn wie bereits am Anfang der ‚Annalen‘ problematisiert und leitmotivisch mehrmals aufgegriffen, sind gerade die Berichte derjenigen, die aufgrund ihrer zeitlichen Nähe zum Geschehen als Augen- respektive Ohrenzeugen fungieren oder höchste Dignität besitzen, oftmals unzuverlässig und teils deutlich verzerrt.323 Ihre tendenziösen Positionen werden aber dennoch als zeitgenössische Laien- respektive Expertenurteile berücksichtigt,324 denen sich der Leser begründet anschließen oder die er bewusst verwerfen kann, da diesen keine Interpretationshoheit über die geschichtlichen Fakten zukommt.325 In gewissen Passagen sind somit eine prüfende Rezeptionweise, eine koordinierende Reflexion sowie ein „Synthetisierungsakt verschiedener Perspektiven“326 als wesentliche kognitive Involvierungsstrategie angelegt.327 Diese leitet einen kompetenten Umgang mit polyphonen Quellen an328 und lässt ohne grundlegende Störung des Handlungsverlaufs den Einbezug alternativer Ereignisversionen sowie eine individuelle Schwerpunktsetzung zu. Neben einem autonomen Lesegenuss wird dem Rezipienten dadurch die Gelegenheit gegeben, 319 Vgl. Jaeger (2000), S. 323, Nünning/Nünning (2000a), S. 42, Näf (2010), S. 107, Schmal (2011), S. 116 f., Pausch (2013a), S. 204 f., und Suerbaum (2015), S. 254 f., S. 263 sowie S. 277. 320 Vgl. De Jong (2009), S. 115: „A major difference between modern and ancient examples of metalepsis is that the latter are for the most part serious (rather than comic) and are aimed at increasing the authority of the narrator and the realism of the narrative (rather than breaking the illusion).“, was Pausch (2013a), S. 209, anhand von Livius’ Geschichtswerk bestätigt. Vgl. auch Nünning/Nünning (2000a), S. 30, und zur autoritätsstiftenden Funktion von Originalzitaten Schwerdtner (2015), S. 19 mit Quint. inst. 1,8,10–12. 321 Nünning/Nünning (2013), S. 548. 322 Vgl. Nünning/Nünning (2000a), S. 49, Surkamp (2000), S. 116, White (1978/1986), S. 64 sowie S. 77, Cohn (1990), S. 781 f., sowie (1995), S. 108, und Löschnigg (2000), S. 219. 323 Vgl. Anm. 287 und hierzu ebenfalls Heldmann (2013), S. 317. 324 Vgl. Schmal (2011), S. 115 f.: „Er nutzt Primärquellen, er berücksichtigt die Neigungen und Schwächen seiner Autoren, er vergleicht unterschiedliche Varianten anhand der Plausibilität des Sachverhalts.“ 325 Vgl. dazu auch v. Stackelberg (2009), S. 605: „Tacitus’ disclaimer abdicates his authorial responsibility while deferring the veracity of his claim to unspecified traditional authorities, and to the judgement of the reader.“, Develin (1983), S. 83, und demgegenüber Martin (1981), S. 211. 326 Jaeger (2000), S. 323, sowie vgl. ders. (2015), S. 387, und Nünning/Nünning (2000b), S. 33. 327 Vgl. Jaeger (2000), S. 324 sowie S. 328: „Der Historiker kann etwas von seiner Autorität und Kompetenz dem Leser überlassen oder seinen Figuren, die dann selbst erzählen, suchen, entdecken und urteilen.“, und demgegenüber Flach (1973b), S. 180, der Tacitus’ stärkere Auseinandersetzung mit Quellen wünscht. 328 Vgl. Nünning/Nünning (2000a), S. 45.

248

3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

das präsentierte Geschichtsmodell mit der erforderlichen kritischen Distanz zu betrachten, selbstständig zu bewerten und scheinbar mit zu gestalten.329 Darüber hinaus wird an späterer Stelle auf den essenziellen Beitrag schriftlicher Referenzen zur Dramatik einzugehen und unter Rücksichtnahme auf alle quellenbezogenen Ergebnisse eine Fortentwicklung dieser narrativen Technik sowie der auktorialen Haltung gegenüber konkurrierenden Geschichtsschreibern darzulegen sein.330 3.4 VERWENDUNGS- UND WIRKUNGSFORMEN VON REDEN 3.4.1 Ontologischer Status und werkinterne Verteilung der Redepartien Sprecherbezogene Ambiguität und historische Authentizität Während bisher überwiegend unterschiedlich gestaltete Ausprägungen und strukturelle Arrangements der narrativen Perspektive vorrangig anhand dinglicher Ereignisse betrachtet wurden, verlagert sich der Untersuchungsfokus im Folgenden verstärkt auf den Aspekt der narrativen Distanz. Dadurch rücken erzählerische Wiedergabeformen sprachlicher Objekte in den Vordergrund,331 die „sowohl auf den Gegenstand der Rede, wie das gewöhnliche Wort, als auch auf ein anderes Wort, auf eine fremde Rede gerichtet (sind).“332 Damit besitzen sie zwar „unmittelbar gegenstandsbezogene Bedeutung“, so Bachtin weiter, „lieg(en) jedoch nicht auf derselben Ebene wie die Rede des Autors, sondern gleichsam in einiger perspektivischer Entfernung von ihr. Sie (werden) nicht nur vom Standpunkt ihres Gegenstandes aus verstanden, sondern (sind) selbst, als charakteristische[s], typische Wort(e) mit einer ganz bestimmten Färbung Gegenstand einer Intention.“333 In der daraus resultierenden Zweistimmigkeit334 werden feine graduelle Abstufungen hinsichtlich der Distanziertheit der Erzählerstimme sowie der korrespondierenden Unmittelbarbeit der Figurenstimmen deutlich wahrnehmbar, wobei schon Platon die beiden Pole einer diegetischen und mimetischen Narration im dritten Buch 329 Vgl. Nünning/Nünning (2000a), S. 45, sowie (2000b), S. 30. 330 Vgl. Abschn. 4.4.1. 331 Vgl. zur Unterscheidung Genette (1972/1998), S. 117 f.: „Aber trotz solcher Wirklichkeitseffekte ist die Erzählung von Ereignissen, in welchem Modus auch immer, stets Erzählung, d. h. Umsetzung von Nichtsprachlichem in Sprachliches: Ihre Mimesis ist also immer nur eine Mimesis-Illusion, die wie jede Illusion von einer höchst variablen Beziehung zwischen Sender und Empfänger abhängt.“ Vgl. auch Bachtin (1975/1979), S. 220, und Martínez/Scheffel (2007), S. 49. 332 Bachtin (1929/2002), S. 128. 333 Bachtin (1929/2002), S. 129, und vgl. ders. (1975/1979), S. 205. 334 Vgl. Bachtin (1929/2002), S. 132 f. sowie S. 138: „Fremde Worte, die in unsere Rede übernommen werden, nehmen unweigerlich etwas Neues in sich auf: unser Verständnis und unsere Bewertung, d. h. sie werden zweistimmig.“, und ders. (1975/1979), S. 213: „Das Wort einer solchen Rede ist ein zweistimmiges Wort. Es dient gleichzeitig zwei Sprechern und drückt gleichzeitig zwei verschiedene Intentionen aus: die direkte Intention der sprechenden Person und die gebrochene des Autors. In einem solchen Wort sind zwei Stimmen, zwei Sinngebungen […] und zwei Expressionen enthalten.“

3.4 Verwendungs- und Wirkungsformen von Reden

249

seiner Politeia335 anhand der Literaturgattungen des Dramas als rein mimetische Form und der Epik sowie der Historiographie als ein Hybrid aus diegetischen und mimetischen Elementen benennt.336 Ferner werden bereits in methodischen Reflexionen der griechischen wie auch lateinischen Historiographie die mit dem Einsatz stark mimetisch geprägter, dramatischer Redepartien verknüpfte inhaltliche Fiktionalität und die darstellungsbezogene Rhetorisierung kontrovers diskutiert. Dies lassen Thukydides’ Ausführungen zu seiner beabsichtigten Vorgehensweise, Polybios’ grundsätzliche Kritik an Timaios’ fingierten, schulmeisterlich gestalteten Figurenreden oder auch Trogus’ genereller Tadel an Sallusts und Livius’ Verwendung der direkten Rede erkennen.337 Zwar dürften sich also die antiken Autoren und Leser wohl „keinen Illusionen über die Authentizität des Wortlautes, ja in vielen Fällen sogar über die Faktizität der Rede als solcher hingegeben haben.“338 Gerade aus heutigem Blickwinkel ist jedoch hervorzuheben, dass sogar in denjenigen Fällen, in denen dies theoretisch durch dokumentarische Aufzeichnungen möglich gewesen wäre,339 der ursprüngliche Inhalt und Wortlaut keineswegs akribisch reproduziert wird. Obgleich nämlich Figurenreden – wie von der Forschung zum Teil für Cassius’ und Senecas Äußerungen angenommen – in eingeschränktem Maße eine individuelle sprachlich-stilistische Kolorierung aufweisen können,340 erfordert dennoch bereits die 335 Plat. rep. 392c–394b; vgl. zur Platonstelle aus narratologischer Sicht Genette (1972/1983/ 1998), S. 116–122 sowie S. 220, Pausch (2010b), S. 36 Anm. 8, Martínez/Scheffel (2007), S. 47 f., Pfister (2001), S. 19 f., Schmid (2008), S. 154, Fludernik (2006), S. 47 sowie S. 78 f., und Rüpke (1997), S. 32. 336 Vgl. darüber hinaus zu den einzelnen facettenartigen Abstufungen zwischen Diegese und Mimesis Bachtin (1975/1979), S. 209, Stocker (2003c), S. 593, Genette (1972/1983/1998), S. 122 f., S. 228 f. sowie eine separate Kategorisierung von Gedanken verneinend S. 234, Pausch (2010b), S. 38, Laird (1999), S. 87–101, Martínez/Scheffel (2007), S. 51–63, und Palmer (2003), S. 323. 337 Thuk. 1,22,1, Pol. 12,25a, Iust. 38,3,10; vgl. dazu Pausch (2010b), S. 45–48, und (2011), S. 160–167, Suerbaum (2015), S. 227 f., Walker (1952), S. 148, Treu (1984), S. 456, Laird (1999), S. 143 f., und zu deren mangelnder Nachwirkung Heldmann (2011), S. 16 sowie S. 36, und Mehl (2001), S. 30. 338 Pausch (2010b), S. 36, und vgl. (2011), S. 157, Levene (2009a), S. 213, der ebenfalls der Meinung ist, „that an attentive ancient reader, familiar with actual speeches, would have been aware of the artificiality of their historical representation.“, und Suerbaum (2015), S. 221. 339 Vgl. zu dokumentarischen Quellen in den Nerobüchern Anm. 316 und Lagoni (2016), S. 33, die anmerkt, dass diese einem Historiographen theoretisch sogar eine faktuale inhaltliche Basis für Introspektionen bieten könnten, die somit oftmals zu pauschal als Fiktionalitätskriterium angesehen werden. 340 14,43,1–44,4 bzw. 14,53,2–54,3. Während v. a. die ältere Forschung Senecas Abdankungsrede für stilecht hält, negiert dies die neuere; vgl. z. B. Koestermann (1968), S. 127: „Die Rede, die durchaus die Gedankenwelt Senecas widerspiegelt und auch im Ausdruck sich bisweilen mehr oder weniger an ihn anlehnt […], unterscheidet sich jedoch grundsätzlich von dem für den Philosophen charakteristischen rhythmischen Stil.“, S. 128: „Die pompöse und gewiß auch ein wenig theatralische Ausdrucksweise des Philosophen hat Tacitus auch hier meisterhaft getroffen.“, Adams (1973), S. 126 f., Taylor (2010), S. 215, hingegen kritisch Abel (1991), S. 3162, und Woodman (2010), S. 297–306 mit weiterer Literatur. Vgl. zudem ders., S. 107, zu Cassius’ Rede und v. Albrecht (1995), S. 187 f.: „Wenn Tacitus trotzdem die Reden in seinem

250

3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

gattungsspezifische Prämisse einer einheitlichen Werkdiktion eine großzügige Adaption mündlicher beziehungsweise schriftlicher Vorlagen.341 Daneben stehen einem Historiographen zahlreiche Bearbeitungsoptionen offen, die von ihm mit Rücksicht auf heterogene Adressatengruppen sowie gemäß den Rezeptionsumständen, die zwischen historischen, zu überzeugenden Zuhörern und an einer unterhaltsamen Lektüre interessierten Lesern differieren, adäquat auszuwählen sind.342 Meist sind derartige Veränderungen aufgrund der fehlenden Dokumentation des zugrunde liegenden Ereignisses in der Antike oder der defizitären Überlieferungssituation heutzutage nicht nachvollziehbar. In Bezug auf Tacitus’ Berichterstattung bieten sich jedoch anlässlich der Entdeckung mehrerer Bronzetafeln in der Provinz Sevilla, die den Senatsbeschluss gegen Cn. Calpurnius Piso nach Germanicus’ Ermordung tradieren,343 sowie insbesondere hinsichtlich des narrativen Umgangs mit historischen Reden angesichts einer bei Lyon gefundenen Inschrift über Claudius’ Plädoyer, der Gallia Narbonensis das römische Bürgerrecht zuzuerkennen, erkenntnisreiche Vergleichsgelegenheiten.344 Ohne dass nach Brock eine leserseitige Gegenüberstellung der inschriftlich bezeugten und der literarischen Version von Claudius’ Rede in irgendeiner Weise vom Tacitus intendiert ist,345 hält Goodyear nach einem solchen Abgleich neben der evidenten sprachlich-stilistischen Umgestaltung folgende inhaltliche und argumentative Aspekte fest: „Tacitus allows himself great liberty, and (i) drastically reduces the speech’s size, (ii) rearranges the arguments, (iii) excises material subsidiary to the main argument or merely of contemporary relevance, and (iv) strengthens some of the arguments.“346 Indem anhand dieses Einzelfalls der potenzielle Umfang künstlerischer Überarbei-

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Geschichtswerk etwas anders stilisiert als die historische Erzählung selbst, so ist der Abstand zu einer wirklich gehaltenen Rede, […], weit erheblicher als die werkimmanente Stildifferenz.“ Cic. de orat. 2,184, Quint. inst. 10,1,101 sowie Lukian. hist. conscr. 58 und vgl. zu dieser Imitationsebene Bachtin (1929/2002), S. 130, Pausch (2010a), S. 204, (2010b), S. 49 f., sowie (2011), S. 164, Genette (1972/1998), S. 131, Suerbaum (1971), S. 66, sowie (2015), S. 238, O’Gorman (2000), S. 151, Petersmann (1993), S. 13, Schmid (2008), S. 278, Brock (1995), S. 217, Mayer (2010a), S. 130, Miller (1975), S. 45, Goodyear (1970), S. 40, und Mehl (2001), S. 30 f. Vgl. Nörr (1983), S. 215. 2,41,2–43,6, 2,53,1–61,2, 2,69,1–83,4 sowie 3,1,1–19,2 und vgl. hierzu v. a. Ecks (2000) Besprechung der aufgefundenen Bronzetafeln, die das offizielle senatus consultum in Pisonem aus dem Jahre 20 n. Chr. enthalten und eine Gegenüberstellung von Tacitus’ Darstellung mit derjenigen dieser zeitgenössischen Dokumente ermöglichen, wie sie von Nickbakht (2005), S. 70–106, mit teilweise zweifelhaftem Erfolg durchgeführt wird. Vgl. Griffin (2009), S. 177– 180, Näf (2010), S. 107 f., und Suerbaum (2015), S. 273. 11,23,1–25,1 bzw. CIL XIII 1668; vgl. dazu ausführlich v. Albrecht (1995), S. 164–189, Nickbakht (2005), S. 39–70, Suerbaum (2015), S. 272 f. sowie S. 512–546, Goodyear (1970), S. 39 f., Martin (1981), S. 231 f., Griffin (2009), S. 180 f., Brock (1995), S. 209, Pausch (2011), S. 164, Gowing (2016), S. 61 f., Adams (1973), S. 127 f., Kajanto (1969), S. 48, Flach (1973b), S. 172, Allgeier (1957), S. 191, Hose (1994), S. 39, Mayer (2010a), S. 130, und Laird (1999), S. 134. Vgl. Brock (1995), S. 210 f., Kraus/Woodman (1997), S. 99, Woodman (2010), S. 306, sowie Steidle (1965), S. 106, und Riess (2003), S. 212 f. sowie S. 239. Goodyear (1970), S. 39, und vgl. Syme (1967), S. 317–319, Riess (2003), S. 220–222, Nickbakht (2005), S. 61–70, sowie v. Albrecht (1995), S. 172–176.

3.4 Verwendungs- und Wirkungsformen von Reden

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tungen aufzuzeigen ist und an anderer Stelle auf diesen zum Teil tief greifenden pränarrativen Prozess mit dem auf Senecas Äußerungen bezogenen Terminus inuertere angespielt wird,347 ist also selbst bei historisch verbürgten Reden von einem hohen Grad literarischer Anpassung auszugehen. Diese sind eher als fingierte sowie ästhetische als als faktisch fundierte Objekte der Erzählung anzusehen, sodass „die Grenze von einer wissenschaftlichen Darstellung zu einem historischen Roman überschritten (ist).“348 Diese Feststellung gilt offensichtlich vor allem dann, wenn private Gespräche verschiedener Protagonisten mit auktorialer Selbstverständlichkeit referiert werden, die mit Blick auf ihre situationalen Bedingungen, Emotionalität und Intimität gewiss nicht aufgezeichnet werden konnten. Unter Beachtung ihrer geschichtlichen Plausibilität werden sie dort in die Handlung eingebunden, wo eine verbale Äußerung einer historischen Figur über dieses oder jenes Thema wahrscheinlich erscheint, wobei der Inhalt der Rede auf die individuelle Persönlichkeit sowie Psyche, auf die spezifischen damaligen Umstände wie auch die strukturelle Werkkomposition abgestimmt wird.349 Die diegetische Mittelbarkeit wird letztlich auch durch regelmäßig gesetzte Verben und Substantive, die eine nachstehende mündliche oder schriftliche Äußerung einleiten,350 sowie gerade durch die bei antiken Historikern beliebten pronominalen oder adverbialen Formulierungen wie haec atque talia351 deutlich, die die 347 15,63,3; vgl. Kegler (1913), S. 57, Walker (1952), S. 147, sowie Courtney (2010), S. 271– 274. Außerdem sei auf die lateinischen Komödiendichter verwiesen, die unter uertere ebenfalls nicht nur eine bloße Übersetzung des griechischen Originals in die lateinische Sprache, sondern umfassende strukturelle und handlungsbezogene Überarbeitungen verstanden, z. B. Plaut. Asin. 11, Trin. 19 bzw. Ter. Eun. 7. 348 Pausch (2010b), S. 36. Vgl. dazu auch Piecha (2003), S. 124. 349 Vgl. Pausch (2011), S. 168: „[…], zeigt sich, daß die Zeitgenossen bei der Verwendung der Reden in der Geschichtsschreibung weniger mit der Frage beschäftigt waren, wie groß die Übereinstimmung mit dem Wortlaut des Originals ist, sondern ob die vom Autor verfasste Version sowohl plausibel in Hinsicht auf die historische Situation als auch so eigenständig im Vergleich mit dem übrigen Text ist, daß sie dem Leser erlaubt, mit ihrer Hilfe für kurze Zeit die Blickrichtung und den Standpunkt einer anderen Person einzunehmen. […] Zugleich darf aber die Wahrnehmung der Reden als Stimme des Autors nicht soweit gehen, daß ihr Charakter als fremde Stimme ganz verloren geht.“, wie auch Walker (1952), S. 148, Levene (2009a), S. 212, und Demandt (1986), S. 59. 350 In den Nerobüchern werden hierzu v. a. folgende Substantive und Verben verwendet: dicta 15,55,4; litterae 14,10,3, 22,3, 59,4, 15,8,2, 13,3, 24,1; uerba 13,43,1, 14,36,3, 59,3, 15,25,4, 65, 67,3, 16,4,3, 32,1; addere 13,28,2, 56,1, 14,29,1, 41, 15,20,2, 64,4, 16,17,6; ait 13,16,3, 15,66,1, 67,4, 69,3, 16,9,2; clamare 14,5,3, 15,10,2, 16,10,4, 28,1; dicere 13,38,1, 49,1, 14,47,1, 48,2, 15,74,3, 16,4,2; dictitare 13,19,2, 46,1, 46,2, 53,3, 14,4,1, 60,1, 15,6,4, 20,1, 36,2, 55,1, 16,4,2; disserere 13,6,3, 21,6, 27,1, 41,4, 14,13,1, 42,2, 48,3, 15,63,1, 16,7,2, 25,1; exclamare 13,54,3, 14,8,5; incipere 14,53,1; inquit 13,21,2, 14,9,3, 59,3, 15,63,2, 67,1, 67,4, 16,22,2, 31,1, 35,1; interrogare 13,55,3, 15,25,1, 56,1, 61,2, 61,3, 16,31,1; loqui 16,32,1; ordiri 15,2,1, 26,3, 51,3, 55,2, 16,30,1; proclamare 13,13,4, 16,32,1; proloqui 14,8,4, 16,34,1; respondere 13,23,2, 38,3, 49,4, 56,1, 14,7,4, 9,3, 18,3, 45,1, 47,1, 51,1, 55,1, 60,3, 15,5,4, 17,1, 25,1, 55,2, 60,3, 61,1, 68,1; rogare 14,47,1, 15,63,1; scribere 13,27,3, 36,1, 14,31,1, 15,3,1, 25,3, 16,14,2; uocare 13,55,3, 15,73,3; uociferari 15,38,7. 351 Nachstehende Pronomina und Adverbien finden sich: ferme 14,55,1, 15,25,4; haec 13,15,1, 19,4, 43,1, 56,1, 14,22,3, 56,3, 58,3, 15,2,1, 20,2, 52,2, 59,4, 61,2, 16,4,3, 30,2; haec atque

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

ontologische Autonomie von Figurenreden einschränken.352 Diese können als absichtlich integrierte Fiktionalitätssignale verstanden werden, ohne dass aus deren zufälligem Fehlen allerdings auf einen höheren Authentizitätsgrad zu schließen wäre.353 Die enthaltenen Reden sind folglich keinesfalls als zuverlässige Belege von Augenzeugen oder als erstrangige geschichtliche Dokumente, sondern als gezielte literarische Artefakte zu erachten, die einen substanziellen Beitrag zur indirekten Charakterisierung, zum kurzweiligen Perspektivenwechsel und zur personellen Introspektion sowie unter dem Eindruck einer unmittelbaren Handlungsinvolvierung zur Dramatisierung des Geschehens und Spannungsgenerierung leisten.354 Duales Wirkungspotenzial auf intra­ und extradiegetische Adressaten Indem die Erzählung vom Autor für eine bestimmte Zeitspanne einer intradiegetischen Sprecherinstanz überantwortet wird, entsteht eine bemerkenswerte Rezeptionssituation. In dieser tritt nach Leidl der extradiegetische Adressat seine Rolle als direkter Empfänger der Äußerung formal an den textimmanenten Rezipienten ab, sodass mit einem impliziten Wechsel der Sprecherebene zugleich eine verstärkte Hinwendung zu einem intradiegetischen Publikum erfolgt.355 Durch die Übernahme der Perspektive des historischen Zuhörers können Inhalt und Pathos einer Rede zwar weiterhin unmittelbar vom extradiegetischen Rezipienten wahrgenom-

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talia 13,7,1, 46,2, 14,1,3, 49,3, 15,12,3, 36,4, 63,1, 16,29,1; in hunc modum 14,42,2; in eandem formam 15,24,1; ita 14,53,1, 15,2,1; sic 13,9,3, 14,55,1; vgl. dazu auch Koestermann (1968), S. 119: „Die abundierende Phrase haec atque talia ist bei Tacitus sehr beliebt.“, und Röver/ Till (1969), S. 62. Vgl. Genette (1983/1998), S. 229, und Martínez/Scheffel (2007), S. 51, die unter autonomer Wiedergabe verstehen, dass „Figurenrede wörtlich, ohne Kommentare eines Erzählers, ohne verba dicendi […] und womöglich sogar ohne distanzierende Anführungszeichen präsentiert wird.“ Hierfür finden sich in den Nerobüchern zwar bezüglich der direkten, selbst im Kontext der kurzen ultima uerba (Abschn. 3.4.3), keine, aber hinsichtlich der indirekten Rede einige Beispiele (Abschn. 3.4.2). Vgl. dazu Laird (1999), S. 123–126, v. a. S. 124: „The presence or absence of such an expression in connection with presentations of speech in historiography is really no criterion at all for the faithfulness of the rendering to anything that might have been originally uttered. It has everything to do with a historical narrator’s rhetoric and virtually nothing to do with the truth of the case.“ Vgl. Reitzenstein (1926), S. 23 f., Suerbaum (2015), S. 225 sowie S. 242, und Pausch (2011), S. 165: „Vielmehr war es offenkundig ihr Anliegen, durch weitgehende Umformulierung, durch den demonstrativen Verzicht auf die Aufnahme bereits publizierter Reden und durch die Verwendung von Einleitungen wie in hunc modum locutus fertur, die die Fiktionalität des Wortlautes zusätzlich betonen, dem Leser zu verdeutlichen, daß diese Partien auch als ihre eigene Stimme und als Teil der historiographischen Darstellung verstanden werden wollten.“ Vgl. Heldmann (2011), S. 36, Petersmann (1993), S. 13, Martin (1981), S. 233, Mayer (2010b), S. 293, Laird (1999), S. 121, Mehl (2001), S. 25, Pausch (2010b), S. 39, S. 57 sowie (2011), S. 159 f., Syme (1967), S. 317, Miller (1975), S. 46, Allgeier (1957), S. 191 f., Lämmert (1980), S. 204, Rüpke (1997), S. 20, und De Jong (2004), S. 9. Vgl. Leidl (2010), S. 237 sowie S. 253.

3.4 Verwendungs- und Wirkungsformen von Reden

253

men, die zugehörigen Passagen jedoch auch ganzheitlich als eigenständige geschichtliche Ereignisse mit einem inhärenten Reiz-Reaktions-Schema aufgefasst werden. Neben einer Auseinandersetzung mit den Worten des Sprechers selbst ist die narrative Aufmerksamkeit nämlich ebenso auf das anschließende Verhalten des intradiegetischen Publikums gerichtet, das der Intention des Redners entweder entsprechen kann oder nicht, sodass abgesehen von einer impliziten Bewertung des Gesprochenen nicht selten schon der nächste Handlungsschritt initiiert wird.356 Eine solche Fokusverlagerung vom Thema und der Darbietungsform auf die Gesamtsituation und Wirkung der Rede bei den historischen Rezipienten liegt beispielsweise zu Beginn des 13. Buchs anlässlich des kursorischen Redeberichts von Neros laudatio funebris auf seinen Stiefvater Claudius vor. Denn anfangs lauschen die Zuhörer gespannt, intentus, und mit großer Zuneigung, pronis animis, den Ausführungen des jungen Prinzeps, brechen dann aber entgegen der angemessenen Trauerstimmung in Lachen aus, nemo risui temperare (13,3,1), wohingegen diese erste öffentliche Ansprache des Kaisers die zweite Adressatengruppe der seniores unpassenderweise dazu veranlasst, dessen eloquentia zu beurteilen. Durch diese Akzentuierung der intradiegetischen Publikumsreaktionen wird einerseits eine redundante Wiederholung der mit diskreditierenden, sarkastischen Anspielungen auf Claudius versehenen Inhalte der Leichenrede vermieden, die sich wohl stark an die ‚Apokolokynthosis‘ Senecas, dem Urheber beider Schriftstücke, anlehnten und bei zeitgenössischen wie späteren Rezipienten aufgrund deren Publikation als ohnehin bekannt vorauszusetzen sind.357 Andererseits wird dem extradiegetischen Leser unter Fokalisierung auf die damaligen Adressaten eine exemplarische Antworthaltung vermittelt, die ihm die transhistorische Möglichkeit gewährt, „seine Reaktion auf die Rede mit derjenigen der Rezipienten im Text zu vergleichen“.358 Zudem fungieren die textuellen Bewertungen der Redesituation und -fähigkeit als Kohärenz stiftende, narrative Handlungsüberleitungen zu den künstlerischen Neigungen des jugendlichen Prinzeps. Intradiegetische Publikumsreaktionen werden weiterhin auch bei der Verlesung des kaiserlichen Rechtfertigungsschreibens explizit präsentiert, das Nero bezüglich der Todesumstände seiner Mutter an den Senat übersendet. Dieses endet nämlich zum einen mit der deliberativen, rhetorischen Frage quod fortuitum fuisse, quis adeo hebes inueniretur, ut crederet? (14,11,2). Zum anderen wird auf die große Empörung der Senatoren sowohl über die Untaten des Prinzeps als auch über die Dreistigkeit des Philosophen verwiesen, eine solch unverschämt konstruierte, geradezu als Geständnis zu deklarierende Erklärung an die höchste Körperschaft des 356 Vgl. Leidl (2010), S. 239 f.: „Sie bewirken Handlungen, die ihrerseits im Geschichtswerk berichtet werden. Unter diesem Blickwinkel betrachtet sind Reaktionen der Hörer selbst Handlungen, die dazu beitragen, die Abfolge der Ereignisse zu erklären.“, sowie S. 252. 357 13,3,1 …, quamquam oratio a Seneca composita multum cultus praeferret, ut fuit illo uiro ingenium amoenum et temporibus eius auribus accomodatum. Vgl. zum Bezug auf Senecas ‚Apokolokynthosis‘ Koestermann (1967), S. 238, Seif (1973), S. 295 f., Ker (2012), S. 317, Suerbaum (2015), S. 275, Wittrich (1972), S. 148, und Pausch (2010b), S. 49, der dies als narrative recusatio bezeichnet. 358 Pausch (2011), S. 147.

254

3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

Staates verfasst zu haben.359 Damit werde hier nach Lukes und Pellings Meinung die einzige in einer derartigen Situation vorstellbare Reaktion einer zeitgenössischen Adressatenschaft fingiert, auch wenn diese wohl in keiner geschichtlichen Quelle dokumentiert war, um beim Leser eine vergleichbare emotionale Haltung sowie eine gegenüber Seneca negativ konnotierte Interpretation dieses Vorkommnisses anzuregen. Daraus resultiere die Suggestion einer ähnlichen Entrüstung von Autor, intra- sowie extradiegetischem Adressaten und einer univoken Verurteilung von Neros Gräueltat sowie deren öffentlicher Kommunikation.360 Zugleich steht diese anzunehmende Reaktion jedoch in schrillem Kontrast zu den im Anschluss referierten Adulationsbestrebungen des Senats, sodass dieser vehemente Übergang die in sich widersinnige Verhaltensweise der senatorischen Oberschicht sowie die in jener Zeit vorherrschende Doppelmoral unmissverständlich zum Ausdruck bringt. In diesen beiden prominenten Textpassagen werden die Reaktionen intradiegetischer Adressaten wie an kaum einer anderen Stelle der Nerobücher veranschaulicht und so der Darstellungsschwerpunkt von der Redewiedergabe auf das dadurch ausgelöste Verhalten verlagert. Damit entstehe nach Leidls Ansicht ein besonderer Rezeptionsmodus, bei dem der textimmanent geschilderte Respons der Handlungsfiguren für den Leser eine modellhafte Funktion erhalte. Wenn die knappe summarische Form eines Redeberichts auch die Illustration einer solchen Akzentverschiebung vom Inhalt und der rhetorischen Gestaltung der Äußerungen auf deren leserseitige Wirkung sowie Handlungsevokation zusätzlich begünstigt, um dieses narrative Phänomen vorab gesondert zu betrachten, so kann dieses theoretisch durch jede Form eines Wechsels der diegetischen Instanz von einer über- auf eine untergeordnete Ebene erzielt werden. Die Angaben können historisch verbürgte und plausibel zu erwartende Verhaltensweisen des jeweiligen zeitgenössischen Publikums, die zur Sprecherintention konform oder konträr ausfallen können, beschreiben wie auch gänzlich unterbleiben.361 Dies tritt insbesondere dann ein, wenn Aussageund nachfolgendes Handlungssubjekt identisch sind, wie bei Neros knapp referiertem Rechtfertigungsedikt bezüglich Britannicus’ übereilter, schmuckloser Bestattung, sodass die nachstehende Aktion des Sprechers dessen eigene Antwort auf 359 14,10,3–14,11,3; vgl. dazu Borgo (2009), S. 37, und Ker (2012), S. 321, der auf die innere Polyphonie dieser Äußerung hinweist, die in Neros Namen von Seneca geschrieben ist und im Senat durch einen Dritten vorgetragen wird. 360 Vgl. Luke (2013), S. 220: „We cannot be certain, of course, that the letter’s report of the shipwreck was somehow inherently unbelievable to its senatorial audience.“, S. 221: „Thanks to Tacitus, the reader is liable to believe that the Neronian Senate had thus criticized Seneca, because Tacitus has already shaped his readers’ interpretation of the letter’s contents.“, sowie S. 222: „Tacitus’ treatment of Seneca’s letter leads the reader to misrecognize its genre and context.“, und Pelling (2009b), S. 149: „The answer is probably not to be found in his source material but in the power of his intelligent imagination to re-create how people must have reacted, just as he reacts himself and we are led to react too. A circle of author, reader and historical onlooker is constructed, all assumed to be reflecting on the scene and all speaking with the same ‚voice‘.“ 361 Vgl. dazu auch das Gesamtverzeichnis aller Redepartien in den Anhangstabellen 5 bis 7, in denen etwaige Reaktionen ebenfalls berücksichtigt werden.

3.4 Verwendungs- und Wirkungsformen von Reden

255

seine Rede ist.362 Ein subtiler Gestaltungsreichtum sowie ein emotionales und handlungsmotivierendes duales Wirkungspotenzial von Redepassagen auf intrawie auch extradiegetische Rezipienten wird somit ersichtlich, das gewissermaßen komplementär zur zuvor diskutierten, sprecherseitigen Aussageambivalenz von Erzähler- und Figurenstimme ist. Demgemäß wird eine klare Bezeichnung sowie gezielte Verwendung von Publikumsreaktionen auch in den auf einen quantitativen Überblick folgenden Einzelbetrachtungen trotz eines thematisch variierenden Analysefokus stets als Nebenfacette zu berücksichtigen sein. Überblick über die Verteilung unterschiedlicher Redeformen in den Nerobüchern Entgegen Suerbaums Anspruch, zwar nicht „überhaupt der Erfinder einer RedenStatistik für einen römischen Historiker zu sein“,363 eine solche Übersicht jedoch erstmals in Bezug auf Tacitus’ Geschichtswerke vorzulegen,364 geht ein früher Ansatz zu einer systematischen Erfassung der Redepartien aller Annalenbücher bereits auf Walker zurück.365 Diese unterscheidet orationes rectae und obliquae, berücksichtigt in ihrer tabellarischen Zusammenstellung allerdings ausschließlich zentrale, kompositionell besonders hervortretende sowie eindrucksvolle Textpassagen, ohne hierfür ein konkretes Selektionskriterium oder Umfangsangaben zu benennen, sodass ihr Überblick lediglich als eine erste qualitative Orientierung anzusehen ist. Demgegenüber bietet Miller eine detailliertere Analyse von Reden bei Tacitus, beschränkt seinen Fokus aber einerseits auf eine Textauswahl aus dessen historischen Schriften, in der unter anderem die Annalenbücher 13 bis 15, nicht jedoch das 16. Buch enthalten sind.366 Andererseits schließt er die schlichte Wiedergabeform des Rede- und Gedankenberichts explizit aus seiner Betrachtung der dramatischen Rede aus, was zu einer gewissen definitorischen Unschärfe bei der Auswahl betreffender Elemente und zu einer deutlichen Reduzierung von deren Anzahl führt.367 Die identifizierten Fälle kategorisiert Miller jeweils unabhängig von oratio recta oder obliqua nach rhetorischen Typen, inhaltlichen Aspekten, indi362 13,17,3 festinationem exsequiarum edicto Caesar defendit, id a maioribus institutum referens, subtrahere oculis acerba funera neque laudationibus aut pompa detinere. Vgl. zu Exempla aus den ‚Historien‘ Leidl (2010), S. 239 Anm. 13 und S. 241: „Dies ist besonders der Fall, wenn der Handelnde auch der zuvor Redende ist. Rede und Handlung sind hier als Einheit vorgestellt, die Handlung setzt das Gesagte fort.“ 363 Suerbaum (2015), S. 233 Anm. 148, wo er lediglich auf einen entsprechenden Ansatz zu Livius verweist. 364 Vgl. Suerbaum (2015), S. 233: „Solche Zahlenangaben waren mir bisher nicht bekannt.“ 365 Vgl. Walker (1952), S. 259–262. 366 Vgl. Miller (1964), S. 280. 367 Vgl. Miller (1964), S. 280: „By ‚dramatic speech‘ in these books is meant all quotations, long and short, in oratio recta, and the majority of those in oratio obliqua. Within the category of or. obl. the same problem arises with Tacitus as with Livy, namely to distinguish genuine dramatic speech in oblique form from factual summaries of words and thoughts in the accusative and infinitive construction.“ Während Miller auf S. 285 Anm. 17 insgesamt 67 Stellenangaben für die Annalenbücher 13 bis 15 indiziert, basiert die vorliegende Untersuchung auf 191 Passagen aus demselben Abschnitt bzw. 222 Passus aus allen Nerobüchern; vgl. Tab. 5.

256

3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

viduellen Sprechern sowie situativen Umständen, ohne dass sich die entsprechenden Zuordnungen im Einzelfall als eindeutig beziehungsweise diese schematische Gliederung bei der anschließenden statistischen Auswertung als hinreichend repräsentativ erweisen.368 Dennoch gewährt diese bezüglich der verschiedenen Rubriken einen strukturierten quantitativen Überblick über die absolute Verteilung indirekter und direkter Reden sowie das relative Verhältnis von deren Umfang zur Gesamttextmenge,369 wobei die jeweiligen Größen transparent anhand der standardisierten Zeilenlänge einer gedruckten textkritischen Ausgabe bestimmt werden.370 Obwohl auch Suerbaum in seiner Statistik, die vor allem auf die direkten Reden in allen erhaltenen Büchern der beiden taciteischen Historiographien abhebt, hauptsächlich mit absoluten und relativen Zeilenmengen argumentiert, ist dessen konkrete Bezugsgröße unklar. Denn die Zeilenlängen in der von ihm benannten Internetressource, deren Verwendung angesichts ihrer fraglichen textkritischen Zuverlässigkeit ohnehin äußerst bedenklich ist, lassen sich beliebig skalieren und die dieser Quelle zugrunde liegende, gedruckte Ausgabe wird von ihm nicht explizit benannt sowie benutzt.371 Sind somit einerseits Suerbaums absolute Zeilenangaben nicht nachzuvollziehen sowie die hierdurch zumindest beeinflussten, relativen Verhältnisse zweifelhaft, erscheint andererseits ebenfalls dessen halbautomatisierte Identifizierung direkter Reden via graphischer Textmarkierungen fehleranfällig.372 Demgegenüber basiert die Auszählung von Passagen in oratio obliqua, welche bei ihm auf die ersten drei Annalenbücher beschränkt ist, auf Suerbaums manueller Lektüre einer Druckfassung sowie offensichtlich auf einer breiten, aber 368 Vgl. Miller (1964), S. 282–285. Beispielsweise ist die Einordnung von Senecas Abdankungsrede und Neros Antwort als contio (S. 287) nicht nachzuvollziehen, der Typus formulae erscheint ebenso redundant (S. 287) wie die Umstände in proelio, in concilio und apud legationes (S. 291) sowie die Angabe eines Minimums von pro Specher geäußerter Zeilen (S. 289), das per definitionem stets bei Eins liegt. Hingegen sind der Typus „condensed combinations“, der sowohl die öffentliche Diskussion nach Augustus’ Tod (1,9 f.) als auch Poppaeas emotionale Rede gegenüber Nero (14,1) zu beinhalten scheint (S. 282 f. bzw. S. 287), wie auch die gesamte inhaltliche Aufteilung (S. 287) zu unspezifisch. 369 Vgl. Miller (1964), S. 286–292. 370 Vgl. Miller (1964), S. 285 f. Hierfür wird die Ausgabe von Fisher (1906) benutzt und für unvollständige Zeilen am Absatzende nachkorrigiert. 371 Vgl. Suerbaum (2015), S. 234: „Zugrundegelegt [sic!] sind die Ausgaben der Werke des Tacitus, die in „The Latin Library“ i [sic!] Internet zugänglich ist [sic!].“ Um welche Ausgaben es sich hierbei handelt, wird von Suerbaum jedoch nicht näher spezifiziert. Bei einem Blick auf die Homepage der genannten Internetressource fehlt eine Quellenreferenz für den Text der ‚Historien‘, für denjenigen der ‚Annalen‘ wird auf die Edition von Fisher (1906) verwiesen, die jedoch von Suerbaum realiter nicht verwendet sein kann, da ein Abgleich der von diesem für die einzelnen Bücher angebenen Gesamtzeilenangaben mit denjenigen bei Fisher wie auch bei Miller (1964), S. 292, der schließlich auf derselben Textbasis operiert, zu keiner Übereinstimmung führt. Dementsprechend ist anzunehmen, dass der digitale Text von Suerbaum in ein Officeprogramm übernommen und darin automatisch sowie mit willkürlich festgesetzter Zeilenlänge gezählt wurde, eine Vorgehensweise, die er in anderem Kontext beschreibt (S. 319 f.). 372 Auch wenn sich eine Überprüfung auf die in dieser Arbeit betrachteten Bücher beschränkt, wird schon auf dieser Grundlage evident, dass Suerbaum (2015), S. 236, im 14. Buch eine direkte Rede Agrippinas, die darin insgesamt dreimal spricht (14,8,4, 8,5, 9,3), sowie Neros Diktum über Plautus (14,59,3), im 15. Buch Senecas ultima uerba übersieht (15,63,2).

3.4 Verwendungs- und Wirkungsformen von Reden

257

nicht subtiler differenzierten Definition indirekter Wiedergabe.373 Zudem werden die zuvor für die direkte Form ermittelten Werte bei diesem Durchgang durch den Text weder nachkontrolliert noch angeglichen,374 sodass der Rezipient zum einen mit heterogen fundierten Angaben konfrontiert, zum anderen aufgrund der aufgezeigten methodischen Defizite die Generalisierbarkeit der Befunde Suerbaums zu hinterfragen berechtigt ist. Die vorliegende Untersuchung kombiniert Walkers vornehmlich qualitativ ausgerichteten Ansatz, was sich vor allem in einer nach Redetyp sortierten tabellarischen Auflistung aller erfassten Einzelpassagen im Anhang widerspiegelt,375 und Millers sowie Suerbaums quantitative Zugänge in der Anwendung auf die diesbezüglich bisher unzureichend erschlossenen Nerobücher. Die Analyse basiert dabei auf einer mehrmaligen statarischen Lektüre der aktuellen textkritischen Ausgabe von Wellesley,376 was einerseits eine einheitliche, für unvollständige Zeilen nachkorrigierte Umfangsbestimmung von Reden anhand einer mechanisch normierten Zeilenbreite erlaubt. Andererseits ermöglicht eine kritisch prüfende Inaugenscheinnahme eine abgestufte Einteilung aller Redepassus in drei anstatt zwei verschiedene Grundformen, nämlich Redebericht, indirekte und direkte Rede.377 Denn trotz der weitgehenden grammatikalischen Indifferenz von Redebericht und indirekter Rede im Lateinischen, die eine eindeutige Zuordnung in Einzelfällen erschweren kann, lassen sich diese beiden Darstellungsweisen dennoch jeweils durch die kontextuelle Einbettung, die spezifische gedankliche Verdichtung sowie den Grad der Konkretisierung und Mittelbarkeit voneinander scheiden.378 Demgemäß ist Tabelle 5 ein Überblick über die quantitative Verteilung sämtlicher Redeeinlagen in den Nerobüchern zu entnehmen, wobei die Anzahl der Sprechakte sowie der unterschiedlichen Sprecher, die absolute sowie relative Zeilenzahl pro jeweiligem Textabschnitt und die durchschnittliche Länge einer Äußerung pro Sprechakt buchweise sowie nach den drei Redeformen separiert ausgewiesen werden. Aus Tabelle 5 wird ersichtlich, dass Redeberichte gemäß der Notwendigkeit einer historiographischen Raffung und Verkürzung der zu erzählenden Dauer geschichtlicher Ereignisse zwar hinsichtlich ihrer Fülle an Sprechakten in allen Büchern die häufigste Darstellungsform mit einer variablen Anzahl heterogener Sprecher sind. Im Verhältnis zur ausführlicheren indirekten Rede beanspruchen sie jedoch einen geringeren relativen Anteil an Textmenge pro Buch und besitzen einen 373 Vgl. Suerbaum (2015), S. 237: „Ich selber habe in einer älteren lateinischen Tacitus-Ausgabe […] für ann. I–III alle Passagen markiert, in denen einzelne Wörter oder vor allem längere Passagen in direkter (‚wörtliche Reden‘) oder indirekter Form als Äußerungen anderer Personen, nicht des Autors, referiert oder ‚zitiert‘ werden.“ 374 Vgl. Suerbaum (2015), S. 237, z. B. für das erste Buch: „ann. I 377 ‚fremde‘ Zeilen von 968 = 38,9 % [sic!] (an direkten Reden, wie aufgrund einer Zählung nach einer anderen Ausgabe ermittelt, 5,5 Prozent).“ 375 Vgl. Anhangstabellen 5 bis 7. 376 Vgl. Wellesley (1986) sowie Anm. 7. 377 Vgl. Genette (1983/1998), S. 228. 378 Vgl. dazu auch Miller (1964), S. 280 f., sowie Anm. 367 und die Tatsache, dass die Anzahl der hier für die Annalenbücher 13 bis 15 identifizierten indirekten Reden ungefähr derjenigen der von Miller, S. 286, als „dramatic speech“ bezeichneten Elemente entspricht.

258

3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

Tabelle 5: Quantitative Übersicht über absolute Häufigkeiten von Sprechakten und verschiedenen Sprechern sowie absolute und relative Redenumfänge pro narrativer Form sowie Buch Textabschnitt (Zeilenanzahl)

Buch 13 (820,5 Zeilen)

Buch 14 (863,0 Zeilen)

Redeform

Absolute Anzahl einzelner Sprechakte

Absolute Anzahl verschiedener Sprecher

Bericht

43

20

Indirekt

19

12

Absolute Zeilenanzahl

Relativer Zeilenanteil (pro Textabschnitt) %

Durchschnittliche Länge (pro Sprechakt)

97,0

11,8

2,3 (1,7)

120,5

14,7

6,3 (4,8)

Zeilen

M (SD)

Direkt

2

2

16,0

2,0

8,0 (9,9)

Gesamt

64

24

233,5

28,5

3,6 (3,8)

Bericht

22

9

61,5

7,1

2,8 (2,8)

Indirekt

22

13

131,5

15,2

6,0 (4,4)

Direkt

8

5

85,0

9,8

10,6 (14,2)

Gesamt

52

20

278,0

32,2

5,3 (6,8)

Bericht

44

17

99,0

10,1

2,3 (1,9)

Indirekt

26

15

125,0

12,7

4,8 (2,7)

Direkt

5

4

35,5

3,6

7,1 (8,1)

Gesamt

75

21

259,5

26,4

3,5 (3,3)

Bericht

16

12

27,0

6,5

1,7 (1,0)

Indirekt

12

10

69,5

16,7

5,8 (4,0)

3

3

24,0

5,8

8,0 (7,2)

Gesamt

31

18

120,5

28,9

3,9 (3,9)

Bericht

125

45

284,5

9,2

2,3 (1,9)

Indirekt Nerobücher (3084,5 Zeilen) Direkt

79

33

446,5

14,5

5,7 (4,0)

18

11

160,5

5,2

8,9 (10,6)

Gesamt

222

59

891,5

28,9

4,0 (4,6)

Buch 15 (984,5 Zeilen)

Buch 16 (416,5 Zeilen)

Direkt

Die Zeilenangaben basieren auf der textkritischen Teubnerausgabe von Wellesley (1986); % Prozent; M: arithmetisches Mittel; SD: Standardabweichung.

reduzierten Umfang pro Sprechakt. Auch wenn indirekte Reden tendenziell seltener vorkommen als Redeberichte, ist deren Anzahl unterschiedlicher Aussageinstanzen dennoch kaum geringer sowie jeder Sprechakt im Mittel länger, sodass sie mit durchschnittlich 14,5 Prozent der Zeilenanzahl eines Buchs den größten Textumfang aller Redeformen einnehmen. Bei direkten Reden sind demgegenüber die einzelnen Sprechakte am umfangreichsten und mit Blick auf die absolute Häufigkeit als auch die relative Zeilenmenge ist zudem auffällig, dass diese Darstellungsart mit Ausnahme des 14. Buchs nicht nur verhältnismäßig sparsam eingesetzt wird,379 379 Vgl. dazu auch Miller (1964), S. 292 f., sowie (1975), S. 55, diesen aufgreifend Levene (2009a), S. 213, und ferner Walker (1952), S. 261 f., Hommel (1936), S. 127, sowie Suer-

3.4 Verwendungs- und Wirkungsformen von Reden

259

sondern unter Berücksichtigung der Anzahl verschiedener Sprecher jedem Redner pro Buch meist nur eine einzige direkte Äußerung zuzuweisen ist.380 Die prozentualen Zeilenanteile sowohl der unterschiedlich distanzierten Darstellungsformen als auch der gesamten Redewiedergabe differieren einerseits deskriptiv zwischen den einzelnen Büchern in Abhängigkeit der darin jeweils enthaltenen Thematiken, wie Miller korrekt erläutert.381 Andererseits sind die Abweichungen zwischen den Bucheinheiten jedoch nicht signifikant, wie sich mithilfe univariater Varianzanalysen unter Kontrolle der heterogenen beziehungsweise überlieferungsbedingt verkürzten Buchlängen überprüfen lässt, sodass auf Basis der Redenverteilung keine divergierenden Überarbeitungszustände innerhalb der letzten Partie der ‚Annalen‘ anzunehmen sind.382 Die absoluten Anzahlen von insgesamt 222 Sprechakten und ungefähr 20 heterogenen Sprecherinstanzen je Buch respektive 59 innerhalb der Nerobücher, unter denen trotz eines evidenten Personenschwerpunkts auf römischen Bürgern aus dem Senatorenstand beispielsweise Angehörige unterschiedlichen Geschlechts, verschiedenster Altersstufen oder differenter gesellschaftlicher Status sowie Nationalitäten zu finden sind,383 indizieren ferner bereits numerisch eine ausgeprägte Polyphonie, wobei referierte Reden knapp ein Drittel der Gesamttextmenge ausmachen. Dieser Wert liegt aufgrund der umfassenderen Berücksichtigung von Wiedergabeformen deutlich über Millers Schätzungen,384 aber unter dem von Suerbaum für die ersten drei Annalenbücher konstatierten Durchschnitt von 42,3 %.385 Insofern dieser Befund Suerbaums als zuverlässig zu erachten ist, könnte dies Walkers qualitativ fundierte These unterstreichen, „that speeches are more frequent in Books I–VI, where the narrative is also more rhetorical“,386 wohingegen die Nerobücher überwiegend einen gattungskonform diegetischen Charakter aufweisen.

380 381 382

383 384 385 386

baum (2015), S. 236, dessen relative Anteile direkter Rede am jeweiligen Gesamtumfang der Nerobücher die obigen Resultate approximieren (13. Buch 1,9 %, 14. Buch 9,4 %, 15. Buch 3,4 %, 16. Buch 5,5 %). Als Ausnahmen sind somit lediglich Agrippinas drei sowie Neros zwei Äußerungen im 14. und Subrius Flavus’ zwei knappe Dikta im 15. Buch zu verzeichnen. Vgl. Miller (1964), S. 286 sowie S. 293. Zur Überprüfung wurden einfaktorielle Varianzanalysen mit der Zeilenzahl pro Redeform als abhängiger und der Buchzugehörigkeit als unabhängiger Variable durchgeführt sowie Hochbergs Post-hoc-Prozedur für stark variierende Stichprobenumfänge angewandt; vgl. Field (2013), S. 459. Es ergaben sich keine signifikanten Unterschiede: Redebericht F(3,3080) = 1,25, p = 0,29, indirekte Rede F(3,3080) = 0,16, p = 0,93, direkte Rede F(3,3080) = 0,92, p = 0,43 bzw. insgesamt F(3,3080) = 0,21, p = 0,89. Vgl. dazu auch Millers (1964) deskriptiven Befund, S. 292: „The only thing which is constant is its inconstancy.“ Einen umfassenden Eindruck von der Heterogenität der Sprecherinstanzen vermittelt deren detaillierte tabellarische Auflistung in den Anhangstabellen 5 bis 7. Vgl. Miller (1964), S. 289 f., und (1975), S. 56. Vgl. Miller (1964), S. 292, der für das 13. Buch 13,7 %, für das 14. Buch 22,5 % und für das 15. Buch 11,8 % angibt. Vgl. Suerbaum (2015), S. 237. Walker (1952), S. 262.

260

3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

Tabelle 6: Deskriptive Übersicht über die maximalen Ausprägungen der sprecherbezogenen Redehäufigkeit und des Redeumfangs pro Buch Textabschnitt

Häufigster Sprecher (Anzahl der Sprechakte)

Umfangreichster Sprecher (in Zeilen)

Längster Redebericht (in Zeilen)

Längste indirekte Rede (in Zeilen)

Längste direkte Rede (in Zeilen)

Buch 13

Nero (15)

Senat (45,5)

L. Piso (7)

Senat (21)

Agrippina (15)

Buch 14

Nero (13)

Nero (66)

Nero (12,5)

uulgus (17,5)

Cassius (31,5)

Buch 15

Nero (11)

Vologaeses (36,5)

Nero (10)

adhortatores (12)

Thrasea (20,5)

Buch 16

Nero (5)

Anonyme Gruppen (19)

Ostorius Sabinus (4)

Epirus Marcellus (16)

Cossutianus Capito (16)

Nerobücher

Nero (44)

Nero (147)

Nero (12,5)

Senat (21)

Cassius (31,5)

Die Zeilenangaben basieren auf der textkritischen Teubnerausgabe von Wellesley (1986).

Des Weiteren fasst Tabelle 6 wesentliche deskriptive Merkmale in Bezug auf die Reden in den Büchern 13 bis 16 zusammen, wobei sogleich Neros sprecherische Dominanz bezüglich aller Texteinheiten aufgrund dessen absoluter Anzahl an Äußerungen deutlich wird.387 Obschon er mit 147 Zeilen insgesamt auch der umfangreichste Redner in der somit nicht zu Unrecht nach ihm benannten Buchgruppe ist, entfällt dennoch beinahe die Hälfte dieser auf das 14. Buch. In den übrigen Abschnitten kommen hingegen andere Instanzen ausführlicher zu Wort, sodass ihm angesichts der großen Anzahl unterschiedlicher Sprecher keineswegs ein generelles Redemonopol zu eigen ist388 und nur in einem Fall der häufigste zugleich auch der umfangreichste Redner ist.389 Der Senat besitzt nämlich den größten Anteil im 13. Buch, was den republikanischen Schein der frühen neronischen Regierungszeit unterstreicht,390 und Vologaeses im 15. Buch, obwohl er ausschließlich dort als Sprecher auftritt sowie den außenpolitischen Auseinandersetzungen mit den Parthern lediglich der erste Buchabschnitt gewidmet ist.391 Im 16. Buch 387 Ebenso ist nach Miller (1964), S. 289, Tiberius der häufigste Sprecher in den Büchern eins bis drei. 388 Aufgrund der größeren Grundgesamtheit der betrachteten Fälle (vgl. Anm. 367) liegen die einzelnen Zeilenmengen pro Redner über Millers (1964) Resultaten, der, S. 289, ebenfalls feststellt: „[…], no one speaker is allowed to monopolize any one book. […] Here, as elsewhere, there are many speakers, […].“ 389 Vgl. Miller (1964), S. 290, der dies darin begründet, dass lange Reden auf die Hervorhebung einer speziellen Situation oder eines spezifischen thematischen Aspekts abheben, wohingegen wiederholte knappe Sprechpartien zu einer kontinuierlichen Charakterisierung von Personen beitragen. 390 Vgl. dazu auch Anm. 33 f. (Kap. 2) und demgegenüber zu Unrecht Miller (1964), S. 290: „[…], the longest speech made in each book here considered is made by a Roman and in or. recta.“ 391 15,1–31.

3.4 Verwendungs- und Wirkungsformen von Reden

261

kumulieren sich die referierten Zeilen, die jeweils anonymen Gruppen wie skrupellosen Denunzianten, ergeizigen Ratgebern, falschen Freunden und betroffenen Trauernden zugewiesen werden, und verleihen so einer von Korruption, politischer Verfolgung sowie persönlichen Feindschaften zerrütteten gesellschaftlichen Atmosphäre Ausdruck. Zudem ist augenfällig, dass in diesem Buch die längste berichtete, indirekte und direkte Rede je von einem Ankläger gehalten wird, als ob diese Individuen zu den alleinigen Wortführern im Staat aufgestiegen wären,392 während die Stimmen des Senats sowie seiner Angehörigen, die in den Büchern 13 bis 15 vor allem durch Cassius und Thrasea präsent sind, verstummen. Von den insgesamt 222 erfassten separaten Sprechakten, die im Anhang detailliert und nach Redetypen geordnet einzusehen sind, hält schließlich Cassius die ausführlichste direkte Rede im 14. und der Senat die umfangreichste indirekte Rede im 13. Buch, wohingegen der längste Redebericht in Neros Namen ebenfalls im 14. Buch präsentiert wird.393 Die voranstehenden quantitativen sowie deskriptiven Übersichten über Redeformen und deren Verteilung, die eine bemerkenswerte Polyphonie innerhalb der Erzählung dokumentieren, bieten somit eine geeignete Ausgangsbasis für eine eingehende Betrachtung sowie adäquate Verortung phänomenspezifischer Gebrauchsweisen indirekter und direkter Wiedergabe verbaler Äußerungen. 3.4.2 Funktionale Schattierungen der indirekten Rede Eindrucksvolle und handlungsevozierende Worte Wie sehr die indirekte Redeform eine fugenlose Integration hervorgehobener näherungsweise zeitdeckender Darstellungen mit handlungsmotivierendem Effekt in den Erzählverlauf ermöglicht,394 veranschaulicht sogleich das erste Beispiel. Dieses ist in eine thematisch sowie kompositorisch aufeinander bezogene und hinsichtlich der narrativen Distanz sukzessive abnehmende Sequenz wütender Äußerungen der Kaisermutter eingebunden. Während nämlich deren anfängliche Indignation über Neros Affäre mit der Freigelassenen Acte noch in einem knappen Redebericht zum Ausdruck gebracht wird,395 entfaltet sich ihr Zornesausbruch anlässlich der Absetzung des Pallas bereits in einer pathetischen indirekten Rede, woraufhin sie sich gegen Iturius’ und Calvisius’ Anschuldigungen formal mittels einer direkten Rede erwehrt.396 Die bei der abschließenden persönlichen Aussprache mit Nero von Agrippina angedeuteten beneficia (13,21,6) sind dabei weniger aus der unmittelbar 392 16,30,1 f., 16,28,1–3 bzw. 16,22,2–5. 393 14,43,1–44,4 mit Abschn. 3.4.3, 13,26,2–27,2 bzw. 14,10,3–11,2 und vgl. die Anhangstabellen 5 bis 7. 394 Vgl. Miller (1975), S. 56, der feststellt, dass die indirekte Rede „help to highlight certain aspects of the book without interrupting its exciting narrative too obviously.“, und Walker (1952), S. 262. 395 13,13,1; vgl. Anm. 122. 396 13,21,2–5; vgl. Abschn. 3.4.3.

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

vorangehenden Apologie zu erschließen, sondern im Wesentlichen der indirekt wiedergegebenen Scheltrede zu entnehmen. Diese wird im Folgenden fokussiert und an ihr die eindringliche Wirkung einer oratio obliqua auf die intra- wie auch extradiegetischen Adressaten aufgezeigt. Praeceps posthac Agrippina ruere ad terrorem et minas, neque principis auribus abstinere, quo minus testaretur adultum iam esse Britannicum, ueram dignamque stirpem suscipiendo patris imperio, quod insitus et adoptiuus per iniurias matris exerceret. non abnuere se, quin cuncta infelicis domus mala patefierent, suae in primis nuptiae, suum ueneficium: id solum diis et sibi prouisum, quod uiueret priuignus. ituram cum illo in castra; audiretur Germanici filia, inde debilis rursus Burrus et exul Seneca, trunca scilicet manu et professoria lingua generis humani regimen expostulantes. simul intendere manus, aggerere probra, consecratum Claudium, infernos Silanorum manes inuocare et tot irrita facinora (13,14,2 f.). Daraufhin ließ sich Agrippina blindlings zu erschreckenden sowie drohenden Äußerungen hinreißen und enthielt diese auch den Ohren des Prinzeps nicht vor, um darzulegen, dass Britannicus schon erwachsen sowie der wahre und würdige Nachkomme zur Übernahme der väterlichen Herrschaft sei, die ein untergeschobener Adoptivsohn unter Schmähungen gegenüber der Mutter ausübe. Nicht lehne sie ab, dass alle Missstände des unglückseligen Hauses öffentlich würden, insbesondere ihre Hochzeit, ihre Giftmischerei. Allein von den Göttern und ihr sei dafür gesorgt worden, dass der Stiefsohn lebe. Mit jenem werde sie in das Prätorianerlager gehen. Hören solle man auf der einen Seite die Tochter des Germanicus, auf der anderen den gebrechlichen Burrus und den verbannten Seneca, die freilich teils mit verstümmelter Hand, teils mit schulmeisterlicher Zunge die Herrschaft über das Menschengeschlecht einforderten. Zugleich erhob sie ihre Hände, häufte ihre Beschimpfungen und rief den vergöttlichten Claudius, die Manen der Silani in der Unterwelt wie auch so viele vergebliche Untaten an.

Obwohl Tacitus nach eigenen Angaben auf Agrippinas Memoiren zurückgreifen konnte, erscheint die Existenz einer womöglich sogar eigenhändig verfassten, vorliterarischen Dokumentation dieser Rede angesichts ihrer suggerierten emotionalen Spontaneität sowie der impliziten, retrospektiv eindeutigen Geständnisse der zahlreichen Verbrechen recht unwahrscheinlich.397 Unter Fokalisierung auf Agrippina trägt der Autor hier geschickt die mehrschichtigen Argumente zusammen, mit denen diese den Kaiser bedrohen sowie Seneca und Burrus angreifen konnte, die zwar von ihr als Staatssekretäre eingesetzt worden waren, sich jedoch nach dem Wandel der Machtverhältnisse am Kaiserhof gegen sie stellten.398 Damit bewirkt er nicht nur eine ironisch konnotierte, analeptische Bestätigung der ihr angelasteten Vorwürfe der inzestuösen Hochzeit, der Ermordung ihres Gemahls sowie der absichtlichen Zurückstellung des Britannicus durch sie selbst, sondern beweist psychologisches Einfühlungsvermögen und rhetorische Raffinesse.399 Darüber 397 4,53,2 … repperi in commentariis Agrippinae filiae quae Neronis principis mater uitam suam et casus suorum posteris memorauit; vgl. Syme (1967), S. 316, Kaplan (1979), S. 410, und Tresch (1965), S. 27. 398 Vgl. Koestermann (1967), S. 261, und Ker (2012), S. 311. Diese Stelle widerlegt indes die Bemerkung Römers (1999), S. 305, dass Tacitus „mit keinem Wort […] auf den Frontwechsel der beiden Männer aufmerksam (gemacht habe), geschweige denn dass der Vorwurf des Verrates laut würde.“ 399 Vgl. Koestermann (1967), S. 270: „Tacitus entwickelt ein bemerkenswertes Verständnis auch für die weibliche Psyche. Das gilt insbesondere von den großen Damen, die in der dritten Hexade im Gegensatz zu den Tiberiusbüchern so vielfältig in Erscheinung treten.“, S. 276

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hinaus unterstreichen Agrippinas scheinbar unüberlegte Einräumungen sowie ihre unvermittelten Beschimpfungen des eigenen Sohnes als insitus et adoptiuus, die Herabsetzung Senecas als exul sowie von dessen Beredsamkeit als professoria lingua und Burrus’ abwertende Charakterisierung als debilis sowie trunca manu den cholerischen Ton der zornigen Kaisermutter und die gegenwärtige Wut über ihre Zurücksetzung. Hinzu tritt die ausdrückliche Beschreibung von Agrippinas Gestik, simul intendere manus, deren gekonnter Einsatz und sorgfältige Abstimmung auf die wörtliche Äußerung, wie Ihrig ausführt, eine höhere Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft des Auftritts wie auch eine gesteigerte Nachdrücklichkeit der intendierten Hauptaussage erzielen.400 Dadurch dass in dieser Redesituation ein plastisches Gesamtbild inklusive der verbalen sowie nonverbalen Kommunikation literarisch inszeniert wird, entsteht vor dem geistigen Auge des Rezipienten eine möglichst wirklichkeitsgetreue, ansatzweise mimetische Vorstellung des Ereignisses von höchster visueller und auditiver Eindringlichkeit.401 Dies macht den damaligen Effekt auf den intra- für den extradiegetischen Adressaten nachvollziehbar und entbehrt auch einer sarkastischen Pointe nicht, die durch Agrippinas abschließende leidenschaftliche Beschwörung des vergöttlichten Claudius, der verstorbenen Silanii und ihrer vielfach verübten Untaten hervorgerufen wird. Aus der pathetischen Statik der Redeszene resultiert zudem ein wesentlicher Handlungsimpuls, da der Gefühlsausbruch der Kaisermutter primär zur weiteren Verstimmung des bereits angespannten Verhältnisses mit Nero, turbatus his Nero (13,15,1), und sekundär zu Britannicus’ daraufhin berichteter Ermordung führt. Gerade eine derartige kausal-analytische Verknüpfung von Reiz und Reaktion sei nach Leidls Ansicht letztlich als ein kognitiver Reflexionsappell an die Rezipienten zu verstehen.402 Abgesehen von Agrippina zeichnet sich auch die zweite dominante Frau in Neros Leben, Othos frühere Gemahlin Poppaea, durch eine emotionale Impulsivität ihrer Auftritte aus, die in ihren beiden orationes obliquae jeweils zum Ausdruck kommt, welche das 14. Buch rahmen. Zu dessen Beginn entwickelt sich die erste von diesen aus einem summarischen Redebericht heraus und gewinnt aufgrund dieser formalen Klimax sowie der Aufzählung zahlreicher rhetorischer Fragen, die schließlich in der hypothetischen Androhung der Scheidung und ihrer Rückkehr zu Otho gipfeln, an Brisanz.

sowie S. 325: „(Es sind) vorzugsweise drei Frauen, die die Einbildungskraft des Lesers gefangen nehmen, Messalina, Agrippina und Poppaea. Alle drei sind von Tacitus mit feinstem psychologischen Einfühlungsvermögen geschildert worden, sodaß sie als unterschiedliche Individualitäten klar hervortreten.“ 400 Vgl. Ihrig (2007), S. 53. 401 Vgl. Röver/Till (1969), S. 38. 402 Vgl. Leidl (2010), S. 249, Koestermanns (1967) entsprechende Bewertung dieser Passage, S. 261: „Aber, aufs Ganze gesehen, scheint er dem Tenor der Ausführungen der Agrippina doch gerecht geworden zu sein, da seine Wiedergabe mit ihrer Sinnesart übereinstimmt. Auf jeden Fall wird man einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dieser unglaubwürdigen Szene und dem Meuchelmord an Britannicus nicht in Abrede stellen können.“, und auch Schmitzer (2005), S. 343.

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz …, quae (sc. Poppaea) sibi matrimonium et discidium Octauiae incolumi Agrippina haud sperans crebris criminationibus, aliquando per facetias incusare principem et pupillum uocare, qui iussis alienis obnoxius non modo imperii, sed libertatis etiam indigeret. cur enim differri nuptias suas? formam scilicet displicere et triumphales auos, an fecunditatem et uerum animum? timeri ne uxor saltem iniurias patrum, iram populi aduersus superbiam auaritiamque matris aperiat? quod si nurum Agrippina non nisi filio infestam ferre posset, reddatur ipsa Othonis coniugio: ituram quoquo terrarum, ubi audiret potius contumelias imperatoris quam uiseret periculis eius immixta. haec atque talia lacrimis et arte adulterae penetrantia nemo prohibebat, … (14,1,1–3). Poppaea erhoffte sich eine Heirat mit Nero sowie dessen Scheidung von Octavia nicht, solange Agrippina lebte, beschwerte sich mittels regelmäßig wiederholter Anschuldigungen, bisweilen mit Sticheleien beim Prinzeps und nannte ihn ein Mündel, das von fremden Weisungen abhängig nicht nur der Herrschaft, sondern sogar der persönlichen Willensfreiheit entbehre. Denn warum würde ihre Hochzeit aufgeschoben? Missfielen ihm nämlich ihr Aussehen sowie ihre Vorfahren im Triumphgewand oder ihre Fruchtbarkeit und Ehrlichkeit? Befürchte man, dass sie als Gattin wenigstens die Schmähungen der Senatoren, den Zorn des Volkes über den Hochmut und die Habgier der Mutter aufdecke? Wenn Agrippina aber nur eine Schwiegertochter, die ihrem Sohn feindlich gesinnt sei, ertragen könne, solle sie selbst in die Ehe mit Otho zurückgegeben werden. Wohin auch immer in der Welt werde sie gehen, wo sie die Beleidigungen gegen den Kaiser eher nur anhören, als sie mit dessen Gefahren verbunden ansehen müsse. Diese und solche Äußerungen, die durch Tränen und buhlerisches Geschick Eindruck machten, verhinderte niemand.

Mit haec atque talia wird hier expressis verbis auf die Fingiertheit und Beispielhaftigkeit dieser indirekten Rede verwiesen, für welche keine überlieferte sowie einem senatorischen Historiographen zugängliche Originalaussage Poppaeas als dokumentarische Vorlage anzunehmen ist. Vielmehr entspringen die kumulierten, potenziellen Vorwürfe gegen den Geliebten Tacitus’ schöpferischem Genius, an einer adäquaten Handlungsposition eine fein durchstilisierte und an die weibliche Psyche angepasste Argumentationskette gemäß immanenter Wahrscheinlichkeitsprinzipien zu gestalten.403 Angesichts der indirekten Wiedergabeform, die „offensichtlich den color des vertrauten Gesprächs wahren soll und dem Leser die Illusion des direkten Zuschauens vermittelt“,404 verfehlt diese ihre intendierte Wirkung auf den Rezipienten nicht. Diesem wird neben der auditiven Komponente durch lacrimis et arte adulterae abermals die visuell wahrnehmbare Mimik und Gestik geschildert, sodass er die eindrucksvolle Szene ganzheitlich imaginieren kann, „bei der es die Buhlerin an nichts fehlen läßt, um den Kaiser zu bestricken.“405 Abgesehen von diesen kompositionellen Ähnlichkeiten zu Agrippinas Scheltrede vor Britannicus’ Ermordung dient Poppaeas verärgerte Äußerung ebenfalls zur Handlungsmotivierung, indem sie Neros Beseitigungspläne seiner Mutter wesent403 Vgl. Holztrattner (1995), S. 49, und Schürenberg (1975), S. 44: „Er stellt sie als geistreich und redegewandt dar und betont ihre Verstellungskunst.“ 404 Piecha (2003), S. 124. 405 Koestermann (1968), S. 24, und vgl. de Libero (2009), S. 225: „These women (sc. Lepida, Agrippina, Poppaea) underpin their crying either with intimate cajolery, with bitter reproach face-to-face or an open accusation in front of a large theatrical audience.“, sowie S. 229 mit dem nachstehenden Fazit über den Einsatz von Tränen bei Tacitus: „Due in part to the conditions of imperial society, his protagonists, male as well as female, often use their tears to feign feelings, to bring ruin and death.“

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lich vorantreibt. Denn auch wenn Stimmung und Inhalt dieser Redepassage manchen Interpreten eher den Bedürfnissen des Jahres 62 n. Chr. zu entsprechen scheinen,406 ist der raffinierten und intelligenten Persönlichkeit der Poppaea einerseits eine solche langfristig berechnende Zielstrebigkeit nicht nur zuzutrauen, sondern eine bedeutsame, schon bei ihrer Einführung betonte Charakterfacette, die dadurch indirekt ausdifferenziert wird.407 Andererseits ist deren temperamentvolle Rede bewusst als Auftakt des 14. Buchs sowie vor Agrippinas Ermordung platziert, um in der fatalen Formulierung matrimonium et discidium Octauiae incolumi Agrippina haud sperans das thematische Programm dieses Werkabschnitts mit den gewaltsamen Toden der Mutter zu Beginn und der offziellen Gattin gegen Ende zu entfalten, was eine kunstvolle und ausgewogene Plotanlage sowie -strukturierung unterstreicht.408 Konform zu diesem dem 14. Buch inhärenten, personenbezogenen Spannungsbogen tritt Poppaea vor Octavias Beseitigung mit einer weiteren, umfangreichen oratio obliqua als Sprecherin auf. Aus deren beeindruckender Emotionalität wird nach Holztrattner deutlich, dass die kaiserliche Geliebte vom Aufruhr des Volkes sowie der Schändung ihrer öffentlichen Ehrenmäler persönlich tief getroffen und verängstigt ist.409 Quae (sc. Poppaea) semper odio, tum et metu atrox, ne aut uulgi acrior uis ingrueret aut Nero inclinatione populi mutaretur, prouoluta genibus eius: non eo loci res suas agi, ut de matrimonio certet, quamquam id sibi uita potius, sed uitam ipsam in extremum adductam a clientelis et seruitiis Octauiae, quae plebis sibi nomen indiderint, ea in pace ausi, quae bello euenirent. arma illa aduersus principem sumpta; ducem tantum defuisse, qui motis rebus facile reperiretur: omitteret modo Campaniam et in Vrbem ipsam pergeret, ad cuius nutum absentis tumultus cierentur. quod alioquin suum delictum? quam cuiusquam offensionem? an quia ueram progeniem penatibus Caesarum datura sit? malle populum Romanum tibicinis Aegyptii subolem imperatorio fastigio induci? denique, si id rebus conducat, libens quam coactus acciret dominam, uel consuleret securitati. iusta ultione et modicis remediis primos motus consedisse: at si desperent uxorem Neronis fore Octauiam, illi maritum daturos. uarius sermo et ad metum atque iram adcommodatus terruit simul audientem et accendit (14,61,2–62,1). Poppaea, die stetig wegen ihres persönlichen Hasses, damals auch aus Furcht aufgebracht war, dass entweder die Gewalt vonseiten des Pöbels noch heftiger hervorbreche oder sich Neros Meinung durch die Zuneigung des Volkes ändere, warf sich ihm zu Füßen: Nicht insofern würden ihre Angelegenheiten verhandelt, dass sie um ihre Ehe kämpfe, obgleich ihr diese lieber als das Leben sei, sondern ihr eigenes Leben sei in äußerste Gefahr gebracht von Octavias Anhängern und Sklavenschaft, die sich den Decknamen der Plebs gegeben und das im Frieden gewagt hätten, was im Krieg geschehen würde. Jene Waffen seien gegen den Kaiser ergriffen worden; es habe lediglich an einem Anführer gefehlt, der, wenn erst ein Aufruhr entstanden sei, leicht gefunden werde. Sie müsse nur Kampanien verlassen und sich selbst in die Stadt 406 Vgl. Dawson (1969), S. 254, Piecha (2003), S. 123, Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 64, Syme (1967), S. 376, und Schürenberg (1975), S. 43. 407 Vgl. zu Poppaeas charakterlichen Attributen 13,45,2–4, und zwar insbesondere …, unde utilitas ostenderetur, illuc libidinem transferebat sowie ihr langfristiger Heiratsgrund mit Otho quia flagrantissimus in amicitia Neronis habebatur; vgl. dazu auch Koestermann (1967), S. 326. 408 Vgl. Wille (1983), S. 543 sowie S. 561, Holztrattner (1995), S. 50–55, und Martin (1981), S. 178. 409 Vgl. Holztrattner (1995), S. 81.

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz aufmachen, auf deren Wink hin trotz Abwesenheit Unruhen erregt würden. Was sei sonst noch ihre Verfehlung? Worin bestehe ein Anstoß gegenüber irgendjemandem? Etwa, weil sie dem Haus der Caesaren tatsächlich einen Nachkommen schenken werde? Wolle das römische Volk lieber, dass der Sprössling eines ägyptischen Flötenspielers auf den kaiserlichen Thron geführt werde? Schließlich solle er, wenn dies zielführend sei, eher freiwillig als gezwungen seine Herrin herbeirufen oder für seine Sicherheit sorgen. Durch eine gerechte Bestrafung und moderate Gegenmaßnahmen hätten sich die ersten Unruhen gelegt. Wenn sie jedoch die Hoffnung darauf fahren ließen, dass Octavia Neros Gattin sein werde, würden sie jener einen anderen Ehemann geben. Diese facettenreiche Rede, die zur Erzeugung von Angst sowie Zorn geeignet war, erschreckte und erzürnte den Zuhörer zugleich.

Poppaeas indirekte Rede erlangt ihre rhetorische Kraft aus einer geschickten, wohlüberlegten Argumentationstechnik, Octavia zu einer unmittelbaren Bedrohung für Neros Herrschaft und Leben zu stilisieren sowie den Prinzeps vor die endgültige Entscheidung einer Ehe mit ihr oder Octavia zu stellen. Die vorwurfsvoll formulierten, vehement vorgetragenen Fragen dringen auf den Kaiser als intradiegetischen Zuhörer, audientem, sowie angesichts dieser Identifikationsoption ebenfalls auf den Leser ein.410 Möglichst anschaulich und lebendig vergegenwärtigen die vorliegende Situation und intendierte Wirkung der Äußerungen klare Hinweise auf Poppaeas Ausdruck und Verhalten, welche den eigentlichen Redepassus einsäumen – semper odio, tum et metu atrox, prouoluta genibus eius beziehungsweise uarius sermo et ad metum atque iram adcommodatus. Zugleich fungiert diese adhortative Rede als vortreffliche handlungsmotivierende Überleitung von den Unruhen im Volk zum anschließenden unrechtmäßigen Vorgehen des Kaisers gegen Octavia, das in deren brutaler Ermordung gipfelt,411 sodass beide rednerischen Auftritte Poppaeas schließlich jeweils zum Tod ihrer Gegenspielerinnen führen.412 Anzumerken ist ferner, dass schon unmittelbar nach ihrem Handlungseintritt ihre in summarischer oratio obliqua artikulierten, frivolen Sticheleien gegen Nero genügen, um ihren eigenen Ehemann und kaiserlichen Vertrauten Otho aus dessen Gesellschaft entfernen zu lassen und sie offenbar auch an den Inquisitionen im Anschluss an die Pisonische Verschwörung maßgeblich beteiligt ist.413 Daraus wird evident, dass es Poppaea einerseits einzigartig versteht, sich „Neros Charakter, seine unreflektierten und irrationalen Ängste zunutze (zu machen).“414 Indem sie dadurch eine nahezu uneingeschränkte Macht über den Prinzeps auszuüben scheint, 410 Vgl. Holztrattner (1995), S. 84 f., der Koestermanns (1968), S. 150, Bewertung der Rede zu Recht kritisiert, und Murgatroyd (2008), S. 269: „She has the gall to represent herself as innocent and the victim of a plot and a dangerous attack by Octavia.“ 411 Vgl. Holztrattner (1995), S. 84. 412 Vgl. dazu auch Wittrich (1972), S. 152 Anm. 2, und Koestermann (1968), S. 23: „Die Kaisermutter hatte nach dem Tod des Britannicus auch Octavia in ihr gefährliches Spiel miteinbezogen […], so daß die Schmähungen der Poppaea trotz der Passivität der unglücklichen Octavia nicht völlig des realen Untergrundes zu ermangeln schienen.“ 413 13,46,2 f. primum per blandimenta et artes ualescere, imparem cupidini et forma Neronis captam simulans; mox acri iam principis amore ad superbiam uertens, … bzw. 15,61,2; vgl. Ammerbauer (1939), S. 65, Koestermann (1967), S. 328, Martin (1981), S. 170, sowie (1990), S. 1563, Heinz (1948), S. 38, Morris (1969), S. 186, Sage (1990), S. 993, und Morford (1990), S. 1606. 414 Holztrattner (1995), S. 42 sowie vgl. S. 64.

3.4 Verwendungs- und Wirkungsformen von Reden

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wird andererseits Neros sklavische Abhängigkeit von seiner Geliebten in den Vordergrund gerückt und damit deren Einfluss zu Recht als wichtiger historischer Faktor anerkannt,415 der von der Parallelüberlieferung nicht berücksichtigt wird, weshalb Nero dort die alleinige Verantwortung für die jeweiligen Untaten zufällt.416 Nach exakt demselben narrativen Schema wird die indirekte Rede, um gerade deren handlungsauslösendes Potenzial abschließend anhand von sechs weiteren Beispielen knapp zu verdeutlichen, auch bei der erfolgreichen Aufforderung des Gardepräfekten Tigillinus an Nero verwendet, Sulla und Plautus zu beseitigen,417 wobei dieser ebenfalls die pathologische Furchtsamkeit des Kaisers ausnutzt.418 Während der Delator Suillius mittels seiner gegen Seneca gerichteten, invektiven oratio obliqua ironischerweise selbst die eigene Verbannung initiiert,419 führen die Denuntiationen des Schauspielers Paris immerhin beinahe und diejenigen des Freigelassenen Milichus beziehungsweise seiner Frau unmittelbar zu einer Mordserie.420 Außerdem durchbricht Epicharis’ mutige indirekt referierte Initiative, Volusius Proculus mit dessen bei Misenum stationierten Marinesoldaten für die Pisonische Verschwörung zu gewinnen,421 die unter den Konspiranten vorherrschende Trägheit, die als Krebsschaden des ganzen Staatswesens Neros Regentschaft erst ermöglichte und als Ursache des missglückten Umsturzplans suggeriert wird.422 Halblaute Zeit­ und Gesellschaftskritik Als halbtonale Abstufung der Erzähldistanz ist der indirekten Rede eine besondere Autorisierungsambivalenz des gesprochenen Wortes zu eigen, die zwischen der Stimme einer privilegierten extra- und derjenigen einer subordinierten intradiegeti415 Vgl. Schmal (2006), S. 222, und Ihrig (2007), S. 412. 416 Vgl. Heinz (1948), S. 35, Morford (1990), S. 1606 f., Holztrattner (1995), S. 27, S. 46 sowie S. 86, und Mayer (2010b), S. 287. 417 14,57,1–3; vgl. Morford (1990), S. 1607, Mayer (2010b), S. 287, und Koestermann (1968), S. 137, der Tigillinus’ intrigantes Treiben, dem später sogar Petron zum Opfer fällt (16,18,3), prägnant und treffend als „unterirdische Wühlarbeit“ bezeichnet. 418 14,57,1 …, metus eius rimatur; compertoque Plautum et Sullam maxime timeri, …; vgl. zu Neros Ängstlichkeit 14,7,2 pauore exanimis et iam iamque adfore obtestans, 15,36,2 numquam timore uacuus, 15,58,1 magis magisque pauido Nerone, 16,15,1 pauidum semper et reperta nuper coniuratione magis exterritum; vgl. Schmidt (1982), S. 280, Hauser (1967), S. 92, Schmal (2011), S. 151, Walker (1952), S. 31, und Christes (1990), S. 136. 419 13,42 f.; vgl. Mayer (2010b), S. 286. 420 13,20,1 … compositus ad maestitiam, … ita audientem exterret, … bzw. 15,55,1 sowie 15,55,4. 421 15,51,3; vgl. Schürenberg (1975), S. 71 f., und Pagán (2004), S. 68. 422 15,51,1 interim cunctantibus prolatantibusque …; ac postremum lentitudinis eorum pertaesa … 15,52,1 coniuratis tamen metu proditionis permotis placitum maturare caedem … bzw. 15,61,3 … fatali omnium ignauia; vgl. zur inertia der Verschwörer Walker (1952), S. 133, Hauser (1967), S. 19, sowie Koestermanns (1968), S. 275, ungerechtfertigte Kritik an Epicharis’ Verhalten und demgegenüber Morris’ (1969), S. 232, sowie Treschs (1965), S. 103, treffende Diagnose der politischen Lage: „Mangel an Courage und Entschluss, Phlegma dann auch im Senat und in den Provinzen, das war es eigentlich, was Nero endgültig auf den Thron gehoben hatte.“

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

schen Instanz changiert. Diese Dualiät, die eine verbürgende personelle Bezugnahme sowie eine betonte Lesart zwar andeuten kann, aber definitiv unbestimmbar macht, bietet Tacitus die Möglichkeit, in einer relativ ausführlichen und eindrucksvoll gestalteten ‚fremden‘ Rede ohne inhaltlichen Konflikt ganzheitlich oder partiell eine alternative Sichtweise einzufügen.423 Demgemäß ist von einem aufmerksamen Rezipienten – wie Ryberg für die Tiberiusbücher – zu bemerken, dass zahlreiche orationes obliquae vom Historiographen offenbar zur Wiedergabe kritischer Meinungen gebraucht werden, um diese nicht in erster Instanz zu authentifizieren.424 Stattdessen werden hierfür vorwiegend Figuren gewählt, wie Roberts und Schmal ergänzen, die aufgrund ihrer gesellschaftlichen Position, ihres Lebensalters oder ihres Geschlechts mit größerer libertas sprechen könnten.425 Dies trifft in den Nerobüchern unter anderem auf den selbst unter Anklage stehenden sowie seit Generationen verrufenen Denunzianten Suillius zu, der sich angesichts seines hohen Alters zu ungezügelten Vorwürfen gegenüber Seneca hinreißen lässt sowie damit zugleich ein einzigartiges Beispiel der moralisch fragwürdigen und gefürchteten Redegewandtheit damaliger Delatoren präsentiert.426 Gerade mit Blick auf seine geschilderte Biographie und soziale Zugehörigkeit erscheint es allerdings durchaus zweifelhaft, ob Suillius tatsächlich als „truth speaker“,427 wie Roberts vorschlägt, fungieren kann. Denn auch wenn Suillius’ schweren Anschuldigungen durch den lebendigen, einer oratio recta ähnlichen Stil, den Hanssen betont,428 zusätzlicher Nachdruck verliehen wird, mangelt es der von diesem zwar übersteigert vorgebrachten, aber an sich nicht unberechtigten und treffsicheren Kritik an Senecas Person und Lebensweise einerseits angesichts der disqualifizierenden persönlichen Vergangenheit des Delators letztlich an individueller Durchschlagskraft.429 Andererseits muten Suillius’ Vorwürfe jedoch zeitgeschichtlich so begründet und bedeutsam an, dass diese zur expliziten Stellungnahme sowie Widerlegung in dem dem Leser bekannten senecanischen Dialog de uita beata wie auch zum unmittelbaren, konsequenten und raschen Vorgehen gegen 423 Vgl. Bachtin (1929/2002), S. 137. 424 Vgl. Ryberg (1942), S. 388: „In other cases accusations are put into the mouth of some individual.“, Walker (1952), S. 34 sowie S. 147: „Sometimes Tacitus has used the opportunity of a speech to express opinions which are clearly personal to himself.“, Kegler (1913), S. 57: „Tacitus fühlt sich unter der Maske einer redenden Person freier, er glaubt sich in den Reden an sein Gelöbnis sine ira et studio zu schreiben nicht gebunden; so kann er die Zügel, die er bei der rein historischen Berichterstattung seiner heftigen inneren Anteilnahme anlegt oder wenigstens anzulegen bestrebt ist, lockern, kann subjektiv sein ohne den Schein des Objektiven zu zerstören.“, und Ker (2012), S. 307. 425 Vgl. Roberts (1988), S. 130 f., und Schmal (2006), S. 245. 426 13,42,1–4 nec Suillius questu aut exprobratione abstinebat, praeter ferociam animi extrema senecta liber et Senecam increpans …; vgl. Syme (1967), S. 332, Mayer (2010b), S. 286 f., Vielberg (1987), S. 57, Hoffmeister (1831), S. 166, Ryberg (1942), S. 402, und zum Delatorentypus Walker (1952), S. 215 f. 427 Roberts (1988), S. 130, und vgl. auch Schmal (2006), S. 245. 428 Vgl. Hanssen (1933), S. 360. 429 Vgl. Koestermann (1967), S. 316–320, mit ausführlichen Erläuterungen zu den einzelnen Vorwürfen.

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ihren Urheber führten.430 Dessen milde Bestrafung inklusive Neros außerordentlichem Einspruch deutet zudem darauf hin, dass es hinreichendes Primärziel sein musste, den Delinquenten politisch zu isolieren und aus Rom zu entfernen, zumal er offenbar über Kenntnisse und Absichten verfügte, deren öffentliche Verbreitung für die Regierenden nicht ungefährlich war.431 Weiterhin ist die beglaubigungsfähige auktoriale Haltung bezüglich der Beschuldigungen Senecas an dieser wie auch an drei weiteren Passagen bewusst distanziert gestaltet, an denen der Widerspruch zwischen dem Verhalten und den philosophischen Grundsätzen des Stoikers jeweils in schwach autorisierten, indirekten Reden anonymer Gruppen getadelt wird.432 Suillius’ Sichtweise leistet also einen partiellen Beitrag zu einer insgesamt polyphon angelegten Evaluation der umstrittenen Lebensweise des Stoikers. Daneben finden sich gerade im Rahmen außenpolitischer Auseinandersetzungen indirekte Reden von Angehörigen fremder Völker, in denen eine kritische Perspektive auf das römische Selbstverständnis und die kulturellen Verhältnisse eröffnet wird.433 Als sich nämlich Boiocalus, der Anführer der Ampsivarier, mit der Bitte um Freigabe von militärisch besetztem Siedlungsland an den Legionslegaten von Germania inferior, Duvius Avitus, wendet, erhebt er schwere Vorwürfe gegen das überhebliche imperialistische Gebaren der Römer.434 Dieses beschreibt er vor allem mittels der zwei nachhallenden Formulierungen modo ne uastitatem ac solitudinem mallent quam amicos populos (13,55,2) beziehungsweise terrarum ereptores (13,55,3). Doch der Adressat dieser gezielt im Vokabular topischer Herrschaftskritik verhafteten Anschuldigungen, die wesentliche Aspekte der Rede des Calgacus im ‚Agricola‘ wieder aufgreifen,435 ist weniger der handlungsgegenwärtige Legat als vielmehr der extradiegetische Rezipient.436 Dieser ist von den wortreichen Aus430 13,43,1–4; vgl. Walker (1952), S. 223, Koestermann (1967), S. 319, und Martin (1981), S. 168: „It is interesting to note that Tacitus allows his reader to be reminded of the allegations, but puts them in the mouth of a notorious delator. That does not necessarily invalidate them.“ 431 13,43,5; vgl. dazu auch Ammerbauer (1939), S. 99, Schmal (2008), S. 114, sowie das Verfahren unter Tiberius gegen Piso, der sein Entlastungsmaterial nicht zu seiner Verteidigung einzusetzen vermochte; vgl. 3,14,3 bzw. 3,16,1 mit Ries (1969), S. 182. 432 13,18,1 nec defuere qui arguerent …, 14,11,3 …, sed Seneca aduerso rumore erat, … bzw. 14,52,2–4 … et Nero ad deteriores inclinabat. hi uariis criminationibus Senecam adoriuntur, …; vgl. Ryberg (1942), S. 402, Römer (1999), S. 304, Abel (1991), S. 3161, Vielberg (1987), S. 57, Syme (1967), S. 335, sowie (1970), S. 7, Schmal (2008), S. 114 f., sowie (2011), S. 83 Anm. 77, Flach (1973b), S. 179, und Koestermann (1967), S. 268, sowie (1968), S. 125. Vgl. zur Gesamtbewertung des Stoikers Anm. 286 (Kap. 4). 433 Vgl. Roberts (1988), S. 130. 434 13,55,1–3. 435 Agr. 30,4 f. auferre trucidare rapere falsis nominibus imperium atque ubi solitudinem faciunt pacem appellant bzw. raptores orbis; vgl. Wellesley (1969), S. 79, v. Albrecht (1988), S. 56, Syme (1967), S. 529, Bulst (1961), S. 506, Dészpa (2016), S. 396 f. sowie S. 404 f., und Koestermann (1967), S. 342 sowie S. 344, wo er den letzten Worten des Germanen unverständlicherweise Authentizität zuschreibt. 436 Vgl. zu einem solchen Adressatenverhältnis auch Pausch (2011), S. 154, und Leidl (2010), S. 254: „Viele Reden, die im Kontext der historischen Erzählung wirkungslos bleiben, erzielen ihre Wirkung, wenn sie von an den Ereignissen nicht Beteiligten – den Lesern des historischen Werkes – rezipiert werden.“

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führungen und der emotionalen Gestik des sympathischen Boiocalus, der zur tragischen Figur dieses Konflikts avanciert,437 gleichermaßen beeindruckt und wird zu einer Stellungnahme bezüglich der benannten Problematik aufgefordert.438 Avitus’ rasche und unüberlegte Antwort coram publico steht aufgrund ihrer sachlichen Kürze, die nicht einmal eines uerbum dicendi bedarf, in Kontrast zu Boiocalus’ Äußerungen, ist jedoch kaum auf den konkreten Einzelfall bezogen, wie es ein nachvollziehbarer Verweis auf Neros normative Vorgabe anlässlich des entsprechenden Anliegens der Friesen ermöglicht hätte.439 Stattdessen verbleibt die Reaktion des Legaten unvermutet auf einer grundsätzlichen, abstrakten Ebene, sodass seine Worte das römische Sendungsbewusstsein und hochmütige Selbstverständnis einer absoluten, auf göttlichen Willen gegründeten Überlegenheit plakativ widerspiegeln, wie es an einschlägigen Stellen in Vergils Aeneis konstituiert wird.440 Eine Bewertung der Rechtmäßigkeit sowie insbesondere der situativen Angemessenheit einer derart strikten Vorgehensweise wird dadurch allerdings keineswegs determiniert. Sie ist dem Leser im Abgleich mit seinem eigenen hypothetischen Verhalten sowie der anzunehmenden auktorialen Intention überlassen, zumal „die Rede dem antiken Historiker immer zugleich die Möglichkeit der persönlichen Meinungsäußerung gibt, ohne daß eine solche direkt gekennzeichnet wird.“441 Die realpolitische, patriotische Charakterfacette des hier vermeintlich affektiv involvierten Schriftstellers scheint nämlich einerseits Avitus’ entschlossene Entscheidung angesichts des zurückhaltenden anschließenden Berichts über das langsame Verschwinden der Ampsivarier wegen interner Rivalitäten unter den Germanen zumindest nicht zu verurteilen.442 Denn eine solche Zwietracht zwischen rechtsrheinischen Völkerschaften, die in innenpolitischen Krisenzeiten eine ernsthafte Bedrohung für das römische Reich sein konnten, wird schon in der ‚Germania‘ positiv,443 Domitians allzu defensive Außenpolitik im ‚Agricola‘ hingegen

437 13,55,3 solem inde suspiciens et cetera sidera uocans …; vgl. Walker (1952), S. 33, und Benario (1994), S. 256. 438 13,56,1 et commotus his Auitus; vgl. Benario (1994), S. 255. 439 13,56,1 patienda meliorum imperia; id dis, quos implorarent, placitum, ut arbitrium penes Romanos maneret, quid darent quid adimerent, neque alios iudices quam se ipsos paterentur. bzw. 13,54,4 Nero … Frisios decedere agris iussit. 440 Verg. Aen. 1,278 f. bzw. 6,851–853; vgl. Segal (1973), S. 120: „In the Roman commander’s mouth the gods become but an instrument of conquest, a convenient justification for self-interest and imperialism.“, Drexler (1954), S. 173 f., Beck (1998), S. 56, der hinterfragt, „warum […] Tacitus auch weniger vom vergilischen Sendungsbewußtsein erfüllt sein (sollte) als mancher heutige Interpret?“, Röver/Till (1969), S. 45, und Häusslers Hinweis (1965), S. 160, auf das Zensorengebet zu Beginn eines neuen Lustrums. 441 Rademacher (1975), S. 113. 442 13,56,3 quorum terris exacti cum Chattos, dein Cheruscos petissent, errore longo hospites egeni, hostes inualidi, quod iuuentutis erat caeduntur, imbellis aetas in praedam diuisa est. 443 Germ. 33,2 maneat, quaeso, duretque gentibus, si non amor nostri, at certe odium sui, quando urgentibus imperii fatis nihil iam praestare fortuna maius potest quam hostium discordiam; vgl. Koestermann (1967), S. 345, und zur Interpretation sowie zum Forschungsdisput bezüglich dieser Stelle Beck (1998), S. 52 sowie S. 124–146, und Dészpa (2016), S. 427 f.

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missgünstig ausgelegt.444 Andererseits zielt die nachfolgende Darstellung des sukzessiven Untergangs dieses Stammes jedoch auch auf eine philanthropische Gemütsregung mitleidvollen Bedauerns ab, welche die Janusköpfigkeit des Imperialismus in Bezug auf Sieger und Unterlegene zum Ausdruck bringt, wie Schmal bemerkt. Tacitus sei demnach klar, „dass es keine echten allgemeinmenschlichen Ideale und moralischen Argumente für eine Ausbreitung des ‚römischen Wesens‘ im Sinne einer Weltherrschaftsideologie gibt.“445 Darüber hinaus übt auch die britannische Icenerkönigin Boudicca, die nicht nur aufgrund ihrer fremdländischen Nationalität und ihrer hohen sozialen Stellung, sondern auch wegen ihres Geschlechts als zügellosere und aufrichtigere intradiegetische Sprecherin eingeführt werden kann,446 vor der Entscheidungsschlacht zwischen dem britannischen und römischen Heer scharfe Kritik an der Provinzialpolitik. In einer oratio obliqua prangert sie als Gründe des Aufstands die ausbeuterische Willkür der römischen Besatzungsmacht im Umgang mit ihrem Besitz sowie deren gewaltsame Vergehen an ihr, an ihren Familienangehörigen und an der icenischen Bevölkerung mit sich steigernder pathetischer Eindringlichkeit an.447 Trotz der situativen Dramatik, der Subjektivität und der rhetorischen Übersteigerung dieser Feldherrnrede besteht für den Rezipienten jedoch kein Anlass, an der Begründetheit und dem Wahrheitsgehalt ihrer Vorwürfe zu zweifeln. Denn zum einen werden dieselben Gräueltaten und negativen Auswüchse des römischen Imperialismus zuvor in einer aufbauenden analeptischen Raffung zwar teilnahmslos und ausschließlich konstatierend, aber als Erzählerbericht dennoch in eindeutig auktorial autorisierter Form als Auslöser der Erhebung erwähnt.448 Zum anderen übergeht der römische 444 Vgl. Woodcock (1939), S. 8 f., Schmal (2011), S. 26, Levene (2009b), S. 231, und Ries (1969), S. 34. Darüber hinaus erkennt Pfordt (1998), S. 163, ebenfalls in Kapitel 14,29 eine Kritik an einer zu zurückhaltenden Eroberungspolitik der Kaiser, sodass er, S. 167, zu der Schlussfolgerung gelangt, Tacitus habe es verstanden, den römischen Leser mit einem unbefriedigenden Gefühl zurückzulassen. 445 Schmal (2011), S. 167. Vgl. Hoffmeister (1831), S. 67: „Dieser Antheil, das Mitgefuehl, womit er die Lage der Ueberwundenen schildert, zeigt, daß er die Sache der Sieger nicht billigt, […]“, Koestermann (1967), S. 342: „Vorher sprach der Mensch Tacitus, jetzt der Imperialist.“, S. 343: „Unzweifelhaft empfindet Tacitus Mitgefühl mit ihnen. Aber im Grunde steht er den Vorgängen ratlos gegenüber, da auch er im Bann der imperialistischen Staatsauffassung keinen anderen Ausweg sieht.“, ders. (1968), S. 217, Benario (1994), S. 253 sowie S. 257 f., und Röver/Till (1969), S. 45. Vgl. Wellesley (1969), S. 80, Mehl (2001), S. 124, v. Albrecht (1988), S. 55 f., mit einer zu einseitigen Sichtweise, und Kehne (2001), S. 277, der einen vergleichbaren Zwiespalt nach Suetonius Paulinus’ Erfolg über Boudicca vernimmt, sowie Beck (1998), S. 58, der ähnliche Gefühlsmomente in der ‚Germania‘ lokalisiert. 446 Vgl. Schmal (2006), S. 245, und Roberts (1988), S. 131. 447 14,35,1 …, sed tunc non ut tantis maioribus ortam regnum et opes, uerum ut unam e uulgo libertatem amissam, confectam uerberibus corpus, contrectatam filiarum pudicitiam ulcisci. eo prouectas Romanorum cupidines, ut non corpora, ne senectam quidem aut uirginitatem impollutam relinquant. 448 14,31,1 quod contra uertit, adeo ut regnum per centuriones, domus per seruos uelut capta uastarentur. iam primum uxor eius Boudicca uerberibus adfecta et filiae stupro uiolatae sunt; praecipui quique Icenorum, quasi cuncta regio muneri accessissent, auitis bonis exuuntur, et propinqui regis inter mancipia habebantur. Vgl. zu den Übergriffen auf das Königshaus Koestermann (1968), S. 86, Allgeier (1957), S. 194, und Schmal (2011), S. 164–166.

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Kontrahent Suetonius Paulinus in seiner Schlachtansprache die handfesten Anschuldigungen bezüglich des begangenen Unrechts kommentarlos und rekurriert nur auf den zweiten Teil von Boudiccas Ausführungen. Ohne dass dies angesichts der begeisterten Reaktion seiner Soldaten auf dessen rednerische Fähigkeiten zurückzuführen wäre,449 bleibt also zwischen den quantitativ gleichwertigen Feldherrnreden trotzdem ein gewisses argumentatorisches Ungleichgewicht bestehen. Nicht unpassend urteilt Schmal somit, es gäbe „im erhaltenen Werk des Tacitus kaum eine Passage, in der der Historiker sich derartig kritisch gegen den römischen ‚Imperialismus‘ stellt.“450 Boudiccas Vorwürfe rufen durch den inhärenten Perspektivenwechsel beim Rezipienten figurenbezogene Empathie wie auch ein exemplarisches Verständnis für die generelle Situation unterworfener Völkerschaften hervor, wenn sie auch aufgrund dreier Aspekte beträchtlich an Nachdruck einbüßen: Mit Blick auf vergleichbare Anschuldigungen im ‚Agricola‘ wird nämlich erstens die rhetorische Vorprägung und gattungsbedingte Topik einer solchen Imperialismuskritik deutlich, die deren spezifische Authentizität relativiert.451 Zweitens wandelt sich Boudiccas Charakterbild mit fortschreitender Narration schrittweise von der anfänglich als uxor bona stilisierten Icenerkönigin zum Typus einer rasenden Barbarenfürstin, die ein römisches Publikum „durch das hohe Maß ihrer Politisierung und […] in ihrer Maskulinität, Enthemmtheit, Grausamkeit und ihrem Barbarismus schockieren (musste).“452 Die Gestaltung ihrer Persönlichkeit ist also nicht nur dazu angetan, Späths These zu belegen, den Figuren werde in der Erzählung durch die beschriebenen Handlungen und Verhaltensweisen eine Identität im Spektrum der Geschlechtsvorstellungen zugewiesen.453 Vielmehr unterstreicht die entsprechende Zuschreibung maskuliner Attribute den enormen Freiheitswillen des aufbegehrenden Barbarenvolkes, erhöht die von diesem ausgehende Gefährlichkeit und so implizit auch den zukünftigen Ruhm eines siegreichen Feldherrn als Kulturund Zivilisationsbringer.454 Drittens tangieren Boudiccas Äußerungen, wie Roberts hervorhebt, mit dem Verhältnis von libertas und seruitium ein zentrales 449 14,36,3; vgl. Leidl (2010), S. 242. 450 Schmal (2006), S. 243. 451 Agr. 19,4 namque per ludibrium adsidere clausis horreis et emere ultro frumenta ac luere pretio cogebantur. diuortia itinerum et longinquitas regionum indicebatur, ut ciuitates proximis hibernis in remota et auia deferrent, donec quod omnibus in promptu erat paucis lucrosum fieret., 21,2 paulatimque discessum ad delenimenta uitiorum, porticus et balineas et conuiuiorum elegantiam. idque apud imperitos humanitas uocabatur, cum pars seruitutis esset. bzw. 31,1 coniuges sororesque etiam si hostilem libidinem effugerunt, nomine amicorum atque hospitum polluuntur. Vgl. Kehne (2001), S. 281 f., Miller (1969), S. 110, Rutherford (2010), S. 329, Syme (1967), S. 763, Pausch (2011), S. 176, und Suerbaum (2015), S. 245: „Insgesamt aber sind das nur die topischen, auf die Alternative ‚Freiheit oder Sklaverei‘ zugespitzten Argumente in Barbaren-Reden gegen eine römische Herrschaft, wie sie sich auch und gerade ein römischer Schriftsteller am heimischen ‚Schreibtisch‘ zurechtlegen konnte.“ 452 Kehne (2001), S. 283; vgl. zur Maskulinität taciteischer Frauenbilder Kaplan (1979), S. 412, Schmal (2011), S. 146, und Späth (2011), S. 121, der feststellt, „dass kaum eine weibliche oder männliche Figur der Erzählung eindeutig nach diesen Normen (seien sie positiv oder negativ gewertet) ausgestaltet ist.“ 453 Vgl. Späth (2011), S. 123. 454 Vgl. Flach (1973b), S. 209, und Schmal (2006), S. 227.

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Thema von Tacitus’ Historiographie,455 sodass deren Schicksal und Figur insgesamt bewusst dafür verwendet werden, zwar formal aus externer Sicht, aber dennoch vor dem stets präsenten Zerrspiegel der interpretatio Romana die grundsätzliche Problematik außen- wie auch innenpolitischer Herrschaft zu beleuchten. Die Rede der Icenerkönigin ist weniger an das kampfbereite britannische Heer als an ein potenzielles Lesepublikum adressiert,456 von dem im Rezeptionsakt unter Rücksicht auf den Erzählerbericht und Suetonius’ Erwiderung die evozierten Dissonanzen durch intensive kognitive Auseinandersetzung und analytisch vergleichende Erwägung der verschiedenen Blickwinkel aufzulösen sind.457 Insbesondere ist es dem rhetorisch versierten, interessierten Leser überlassen, auf die trotz des faktischen militärischen Sieges der Römer weiterhin unwiderlegte Kritik Boudiccas eine adäquate argumentative und ethische Antwort zu finden. Intime Einblicke Nach Geisers Ansicht zeichne eine psychologisierende Darstellungsweise die taciteische Erzählung aus und verleihe ihren Charakteren eine enorme Lebendigkeit: „Sie suggeriert dem Leser, der sich mit ihr konfrontiert sieht, daß Tacitus die (geheimsten) (Hinter-)Gedanken einer Person und die hinter ihren Handlungen verborgenen Motive kenne und diese dem Leser gleichsam als bekannte Tatsachen mitteile.“458 Damit ist ein als eindeutiges Fiktionalitätsindiz zu bewertender Reiz verbunden, in romanhafter Manier sowie temporär verblüffend detaillierte Einblicke in die Gedanken- und Gefühlswelt sowie pseudokausalen Handlungsmotive von realiter für einen gewöhnlichen Rezipienten unnahbaren historischen Persönlichkeiten zu erhalten. Mittels innerer figuraler Reflexionen wird zudem in indirekter Charakterisierung deren jeweiliges Selbstbild entworfen, das zur direkten Beschreibung ihrer Merkmale durch den auktorialen oder aus protagonistenspezifischen Blickwinkeln in Relation zu setzen ist.459 Vor allem werden in den nachstehenden Textpassagen aber abschnittsweise subtile Abstufungen der narrativen Dis455 14,31,2 … alii nondum seruitio fracti resumere libertatem … bzw. 14,35,1 f. … ut unam e uulgo libertatem amissam, …: uiuerent uiri et seruirent und vgl. den diesem Thema gewidmeten ersten Satz der ‚Annalen‘ 1,1,1 urbem Romam a principio reges habuere, libertatem et consulatum L. Brutus instituit. Vgl. Roberts (1988), S. 127 sowie S. 129, Schmal (2006), S. 243, Kehne (2001), S. 277 f., Welskopf (1961), S. 362 f., Häussler (1965), S. 200 sowie S. 251 f., Leigh (2013), S. 452–454, Geisthardt (2015), S. 328, zu Tacitus’ Begriff der libertas Jens (1956), Schmal (2011), S. 156–158, und Vielberg (1987), S. 159. 456 Vgl. Kehne (2001), S. 278, S. 282 sowie S. 284, und Adler (2008), S. 180 f., der die Rombezogenheit der einzelnen Argumente vortrefflich herausstellt. 457 Vgl. dazu auch Pausch (2010a), S. 191. 458 Geiser (2007), S. 24 f. Vgl. dazu auch Palmer (2003), S. 338: „One of the most important functions of contextual thought report is to present explanations for behavior, reasons for action, the causal networks that are present behind apparently simple action descriptions.“, Tresch (1965), S. 186: „Dieses Ausbreiten der Gedanken und innersten Regungen der beteiligten Personen statt einer sachlichen Erzählweise ist einer der Hauptunterschiede zwischen Tacitus’ Darstellungen und denen der Parallelberichte.“, und Neumeister (1985/1986), S. 194. 459 Vgl. Daitz (1960), S. 44.

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tanz ersichtlich, die zwischen diegetischem und mimetischem Modus changieren, wobei die Erzählerstimme umso mehr hinter diejenige der Figuren zurücktritt, je unmittelbarer erzählt wird.460 Als Nero nach Agrippinas beeindruckender Scheltrede Britannicus’ Ermordung ins Auge fasst, hat der Leser beispielsweise an dessen verdorbenen Gedanken teil, die assoziativ von einem zum anderen Aspekt übergehen.461 Dessen subjektive Erinnerung wird einerseits durch die anhebende Formulierung secum uolutare (13,15,1) eingeleitet und demgemäß im Konjunktiv auf den prekären Vorfall zwischen den beiden Prinzen in jüngster Vergangenheit hingewiesen. Dass auch während dieser Rückwendung der Modus einer persönlichen Reminiszenz nicht verlassen wird, legt zudem die klare Markierung als Gedankengang des Kaisers durch Nero intellecta inuidia (13,15,3) am Ende dieser Passage nahe, obschon die inhaltliche Darlegung zwischenzeitlich im Indikativ erfolgt und sich der Prinzeps selbst als Nero bezeichnet respektive in der dritten Person agiert.462 Obwohl für den Leser die Mittelbarkeit der Erzählung also deutlich wahrnehmbar ist, gelingt es mithilfe dieses erlebten Bewusstseinsberichts, eine Retrospektion auf das Saturnalienfest des Jahres 54 n. Chr. nicht nur übergangslos in den Kontext einzufügen, sondern zugleich aus der attraktiven Sicht Neros darzustellen. Anlässlich der Erwägungen bezüglich einer effektiven, jedoch unauffälligen Beseitigungsmethode Agrippinas ist ferner für den Rezipienten eine Einsicht in die intimen Gedanken des Prinzeps möglich.463 Denn die Verbalformen ratus und constituit weisen darauf hin, dass der Entscheidungsprozess vorwiegend in Neros Innerem stattfindet, obgleich consultans die Beteiligung weiterer Personen per se nicht ausschließt.464 Doch die folgenden Überlegungen sind in knappen Parataxen referiert, die sich teils sprunghaft, teils assoziativ anschließen und deren vokales Aussprechen angesichts der enthaltenen heiklen Zugeständnisse wie Britannicus’ Mord sowie der nicht expliziten Anwesenheit eines Gesprächspartners kaum vorstellbar ist. Vielmehr deuten diese syntaktischen, semantischen und situativen Indizien darauf hin, dass auch hier ein indikativischer Bewusstseinsbericht benutzt wird, um dem Leser die skurrilen Pläne des Kaisers zügig zu eröffnen, weshalb das vorangehende consultans mit Blick auf seine Partizipialform reflexiv zu verstehen ist. Diese diegetisch geprägte Darstellungsweise einer indirekten Gedankenwiedergabe erlaubt es, den Weitergang der Handlung unmittelbar anzuknüpfen. Anicetus drängt sich regelrecht in die verlegenen Reflexionen des Kaisers hinein und sich ihm auf, 460 Vgl. Genette (1983/1998), S. 228 f. zu den „‚Mimetismus‘-Stufen“, und Jannidis (2006), S. 152 f. 461 13,15,1 f. 462 Vgl. dies bereits als narrative Vorstufe zu Anm. 468. 463 14,3,1 f. 464 Vgl. Woodcock (1939), S. 87. Erklärungsbedürftig empfindet diese Szene bereits Koestermann (1968), S. 27, und Morris (1969), S. 92, merkt an: „Once again we are left to wonder how Tacitus (or his sources) could have known this and whether he is conjecturing after the fact.“ Demgegenüber gelangt Holztrattner (1995), S. 141, wohl aufgrund der zahlreichen Passivformen sowie des textkritisch umstrittenen metuebant (14,3,2) zu dem Schluss, dass Tacitus hier „die Vertrauten Neros (ohne Seneca und Burrus) zusammentreten läßt, um Mordpläne zu diskutieren.“

3.4 Verwendungs- und Wirkungsformen von Reden

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was in der exponierten Stellung von obtulit (14,3,3) zum Ausdruck kommt.465 Zusammen mit der vorausgehenden exemplifiziert diese Passage somit die Existenz sowie Verwendung eines fein schattierten Kontinuums bezüglich der narrativen Distanz zwischen reiner Diegese und indirekter Reden- respektive Gedankenwiedergabe sowie deren bruchloses Ineinandergreifen zu einer gezielt variationsreichen Präsentation des historischen Geschehens. Aufgrund der bemerkenswerten Unmittelbarkeit und leserwirksamen Eindringlichkeit ist außerdem Agrippinas Nachsinnen nach dem versuchten Schiffsattentat, dem sie glücklich und lediglich leicht verletzt entkommt, phänomenspezifisch separat zu betrachten. In ihrer Villa am Lukriner See lässt sie das Geschehene vor ihrem inneren Auge Revue passieren. Illic reputans ideo se fallacibus litteris accitam et honore praecipuo habitam, quodque litus iuxta, non uentis acta, non saxis impulsa nauis summa sui parte ueluti terrestre machinamentum concidisset, obseruans etiam Acerroniae necem, simul suum uulnus aspiciens, solum insidiarum remedium esse ‹sensit›, si non intellegerentur; misitque libertum Agermum,… (14,6,1). Dort erwog sie, dass sie deshalb mit einem trügerischen Brief herbeigeholt sowie in besonderer Ehre gehalten worden war und, dass das Schiff in der Nähe der Küste sowie, ohne dass es von Stürmen getrieben und auf Felsen gestoßen war, vom Verdeck aus gleichsam einer Theatermaschine auf dem Land zusammengefallen war. Sie reflektierte auch den gewaltsamen Tod Acerronias, betrachtete zugleich ihre Verwundung und bemerkte, dass das einzige Mittel gegen den Hinterhalt sei, ihn nicht anzuerkennen. Und sie entsandte den Freigelassenen Agermus.

Die Fokalisierung ist gänzlich auf das Empfinden der Kaisermutter gerichtet. Der Schock, der ihr aufgrund der Lebensgefahr noch in den Gliedern steckt, hemmt das ganze Satzgerüst und lässt ausschließlich ein stilles Nachdenken zu, was durch die drei bewegungslos sinnierenden Partizipien reputans, obseruans und aspiciens unterstrichen wird.466 Mangels finiter Verbform entbehrt diese Szene einer konkreten zeitlichen Terminierung, sodass sie unveränderlich in sich zu ruhen und atemporal bis in die Gegenwart des Rezipienten fortzudauern scheint. Die Syntax besteht aus einem einzigen gewichtigen Satz, der sich sukzessive und assoziativ der Abfolge der Gedanken gemäß weiterentwickelt sowie insbesondere bei der mentalen Betrachtung der Vorkommnisse verharrt. Mit der Entsendung eines Boten an Nero, misit, welches das erste tradierte Prädikat in diesem Textabschnitt ist, unternimmt Agrippina erst weitere Schritte, um die zerfahrene Situation wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Gerade diesen Gegensatz zwischen der bedächtigen Wahrnehmung im Sinne eines Gedankenstroms und der langsam einsetzenden Aktivität der Agrippina akzentuiert indes die überlieferte Lesart ohne uerbum dicendi adäquater als die Konjektur sensit, die auch Wöhrmann zu Recht verwirft.467 Das wechselseitige Zusammenwirken der einzelnen sprachlich-stilisti465 Vgl. dazu auch 16,32,1 loquentis adhuc uerba excipit Soranus …; vgl. außerdem Uden (2003), S. 3, Wilsing (1964), S. 107 f. sowie S. 113, und Christes (1990), S. 135, der in der Spitzenstellung des Prädikates einen Ausdruck von Mündlichkeit erkennt. 466 Vgl. Scott (1974), S. 107, und Rademacher (1975), S. 64: „Der Eindruck, den das Partizip vermittelt, ist statisch.“ 467 Vgl. Wellesley (1986) ad loc., Wöhrmann (1956), S. 49 Anm. 1, Hanssen (1933), S. 361, und Woodcock (1939), S. 91.

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

schen, syntaktischen und perspektivischen Gestaltungselemente generiert den Eindruck einer außerordentlichen Umittelbarkeit dieser Szene, die lediglich durch den selbstreflexiven Gebrauch der dritten Person für Agrippina vermeintlich gestört wird. Dies entspricht der narrativen Darstellungsart des erlebten inneren Monologs, der nach Martínez und Scheffel besonders dazu geeignet ist, „physische Zustände und Vorgänge von Figuren wiederzugeben, die sich sozusagen am Rande der Sprachlichkeit bewegen.“468 Dem Leser wird hier also letztlich eine Empathie erzeugende und das Leseerlebnis begünstigende Teilhabe an den intimsten Gedanken der Kaiserin gewährt.469 Ähnlich wird die narrative Darbietungsdistanz bei Agrippinas Ermordung reduziert, indem der diegetische Sprecher scheinbar vollkommen aus der Erzählung zurücktritt und ihre halblauten Gedanken – nicht ihr Appell an die treulose Magd – in der nachstehenden, kurzatmig wirkenden Szene unmittelbar ohne uerbum dicendi präsentiert werden.470 Cubiculo modicum lumen inerat et ancillarum una, magis ac magis anxia Agrippina, quod nemo a filio ac ne Agermus quidem: aliam fore laetae rei faciem; nunc solitudinem ac repentinos strepitus et extremi mali indicia. abeunte dehinc ancilla ‚tu quoque me deseris?‘ prolocuta respicit Anicetum, trierarcho Herculeio et Obarito centurione classiario comitatum: ac, si ad uisendum uenisset, refotam nuntiaret, sin facinus patraturus, nihil se de filio credere; non imperatum parricidium (14,8,3 f.). Im Schlafgemach war nur dämmriges Licht und eine einzige Magd. Agrippina war mehr und mehr verängstigt, weil niemand von ihrem Sohn und nicht einmal Agermus zurückkäme; einen anderen Anschein besäße eine glückverheißende Entwicklung; nun seien Verlassenheit und plötzlicher Lärm Anzeichen sogar eines äußersten Unheils. Als hierauf die Magd wegging, sprach sie „Auch du verlässt mich?“ und erblickte Anicetus hinter sich, der von dem Galeerenkapitän Herculeius und dem Marineoffizier Obaritus begleitet wurde. Und wenn er zu einem Besuch gekommen wäre, solle er melden, sie sei genesen. Wenn er aber ein Verbrechen vollbringen wolle, halte sie es nicht für vom Sohn veranlasst; ein Muttermord sei nicht befohlen worden.

Der Einleitungshalbsatz cubiculo … ancilla una ist noch eindeutig der übergeordneten Erzählerperspektive zuzuweisen und lenkt die Leseraufmerksamkeit auf einzelne möglichst präzise sowie ausdrucksstark geschilderte, symbolhafte Details, um die Stimmung des Handlungsraums zu spezifizieren.471 Mit der Namensnen468 Martínez/Scheffel (2007), S. 58, und vgl. Miller (1975), S. 55, Jannidis (2006), S. 157 f., Lämmert (1980), S. 236 f., Fludernik (2006), S. 95 f., Schmid (2008), S. 196, S. 207 f. sowie S. 215, Genette (1972/1998), S. 124, und Stocker (2003a), S. 500. 469 Vgl. dazu auch Koestermann (1968), S. 35: „Tacitus läßt die dämonische und todgeweihte Frau sich noch einmal zu ihrer vollen Größe aufrichten. Beeindruckend ist, mit welcher Präzision und zugleich stilistischer Eleganz er ihre Bemühungen, Klarheit zu gewinnen, nachzeichnet, aus denen dann der einzig noch übrige Ausweg erwächst.“, und Piecha (2003), S. 124. 470 Vgl. Hanssen (1933), S. 361, Laird (1999), S. 124, der irrtümlich behauptet, bei der direkten Äußerung stünde kein uerbum dicendi, wohingehen prolocuta allerdings lediglich nachgestellt sowie eindeutig auf diese direkte Rede zu beziehen ist. Dies bestätigt Christes (1990), S. 137, räumt aber ein, dass das Prädikat respicit die Wirkung von prolocuta sofort annulliert. 471 Vgl. Uden (2003), S. 6, Martin (1981), S. 171: „The scene within the villa is brilliantly described.“, und Morris (1969), S. 84: „Throughout the narrative of Agrippina’s murder, light and darkness have their function.“

3.4 Verwendungs- und Wirkungsformen von Reden

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nung der Kaisermutter wechselt die Fokalisierung auf diese über, sodass dem Rezipienten die exakte Situation quod nemo … indicia sowie insbesondere die enthaltene Zeitangabe nunc zweifellos aus deren Sicht beschrieben wird.472 Bewusst unklar bleibt jedoch die Art der Wiedergabe, ob hierbei das Geschehen von Agrippina geistig stumm wahrgenommen wird, sie diese Worte mit gedämpfter Stimme vor sich hin murmelt oder vernehmbar an die im Hintergrund Anwesenden richtet. Vor allem deren ungewöhnlich anmutende, syntaktische Form indiziert eine Auslegung als unvermittelt einsetzende erlebte Rede, die unbewusst und für die Umstehenden nicht bemerkbar Agrippinas lautem Denken entspringt.473 Assoziativ und asyndetisch reihen sich ihre Überlegungen aneinander und vermitteln dem Leser die völlige Verunsicherung und tiefe Angst der Kaisermutter. Sie lassen ihn auch an dem gedanklichen Erkenntnisprozess teilhaben, der stufenweise im Bewusstsein der Kaiserin voranschreitet sowie im sprichwörtlich letzten Atemzug die für eine Mutter unvorstellbare, grausame Einsicht bringt, dass ihr eigener Sohn tatsächlich ihr Mörder ist.474 Durch eine stringente interne Fokalisierung auf Agrippina spielt sich das Geschehen somit nahezu unvermittelt vor den Augen des Rezipienten ab. Dadurch zeugt die vorliegende Passage nicht nur wiederum von der virtuosen Narrationstechnik, dem Leser singuläre historische Atmosphären sowie subjektive Gefühlsmomente eindrucksvoll nachempfinden zu lassen. Vielmehr belegt diese wie auch die vorherige Textstelle, dass im Lateinischen die erlebte Rede zur nahbaren Präsentation von Figurenbewusstsein sprachlich ebenfalls umsetzbar ist, deren modaler Hybridstatus aus indirekter und direkter Wiedergabe die „Möglichkeit eines nahtlosen Übergangs von Erzählerbericht und erlebter Rede […] (sowie) überdies besonders schnelle Wechsel zwischen Figuren- und Erzählersicht und damit eine große Beweglichkeit des Erzählers (erlaubt).“475 Durch den Einsatz unkonventioneller grammatikalischer sowie syntaktischer Strukturen, die nach Gärtners und Kenneys Meinung schon die Aufmerksamkeit eines zeitgenössischen Lesers erregten476 und diesen Passus für heutige Rezipienten teilweise obskur und schwer verständlich erscheinen lassen,477 wird also die narrative Distanz zum Geschehen verringert und dessen Irrationalität sowie Bestialität in einer ebenso bizarren Form widergespiegelt. Vor diesem Hintergrund ist abschließend die Passage, an der Nero über die Erfolglosigkeit des Schiffsattentats informiert wird und daraufhin verzweifelt 472 Vgl. Laird (1999), S. 141. 473 Vgl. dazu Quinn (1963), S. 119: „a pathetic, illogical collapse into basic words and syntax“, Pagán (2004), S. 21, Woodcock (1939), S. 94, Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 243, Laird (1999), S. 141, und Koestermann (1968), S. 41: „Inhalt und Form vertragen sich besser mit der or. obliqua.“ 474 Vgl. Wittrich (1972), S. 158, Christes (1990), S. 137, und Grethlein (2013), S. 132. 475 Martínez/Scheffel (2007), S. 58 f. Vgl. Lämmert (1980), S. 235 f., Fludernik (2006), S. 81–83, und Ries (1969), S. 159 f., der Tiberius’ Gedankengang in Paragraph 2,40,1 ebenfalls als erlebte Rede auslegt. 476 Vgl. Gärtner (1990), S. 104, und Kenney (1982), S. 30. 477 Vgl. Röver/Till (1969), S. 54, und zu Auflösungen der Ellipsen Christes (1990), S. 138: „si ad visendum (sc. se) venisset, (sc. iussit) refotam (sc. se esse) nuntiaret (sc. iussit), sin facinus patraturus (sc. venisset), nihil se de filio credere […] non imperaturum (sc. esse) parricidium.“

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Seneca sowie Burrus herbeirufen lässt, wiederaufzugreifen.478 Deren vielfach, aber ohne befriedigendes Resultat textkritisch betrachtete Syntax,479 deren Wiedergabemodus wiederum suspekt und vermeintlich noch von dem vorausgehenden statischen Partizip obtestans (14,7,2) abhängig ist, beschreibt Koestermann nämlich nicht unpassend als einen „Telegrammstil […], wie er sich häufiger findet, wenn der Historiker die innere Erregung von Menschen darstellt.“480 Denn als Nero wegen des missglückten Mordversuchs in Panik gerät und schon die absurdesten Racheszenarien seiner Mutter antizipiert, wendet er sich vor Furcht außer sich und völlig überstürzt, was nach Uden in der elliptischen, parataktischen und teilweise invertierten sprachlichen Gestaltung zum Ausdruck kommt,481 an seine beiden Minister. Von diesen, die unerwartet aus dem Schlaf gerissen werden, durch das vorausgehende Gastmahl, an dem ihre Anwesenheit anzunehmen ist, übermüdet und angesichts ihrer bisherigen Unwissenheit überrumpelt sind, ist jedoch zunächst während einer langen Phase schlaftrunkenen Schweigens die gegenwärtige Lage zu erfassen. Der völlig verängstigte Kaiser einerseits sowie dessen verschlafene, augenblicklich überforderte Berater andererseits gewähren dem Rezipienten nicht nur einen höchst absurden, einer humorvollen Nuance nicht entbehrenden Eindruck des obersten imperialen Exekutivgremiums. Vielmehr sind Neros telegrammartige Reflexionen zu Beginn dieses Passus abermals als erlebte Rede zu verstehen, die einen bruchlosen Übergang der in der dritten Person dargelegten, fokalisierten Gedanken und Äußerungen des Kaisers zum anschließenden Erzählerbericht ermöglicht. Dieser wird mit der Formulierung expergens quos implizit vollzogen, die als Lectio difficilior und unter Verweis auf Barwicks triftige Argumente482 beizubehalten ist. Fazit Die voranstehende Analyse verschiedener Erscheinungs- und Verwendungsformen indirekter Redewiedergabe setzt zuerst an den umfangreichen Passagen von Agrippinas überstürztem Geständnis und Poppaeas intimen Appellen an Nero an. Diese sind jeweils in kritische Stellen des Geschehensverlaufs integriert und erzielen durch eine interne Fokalisierung auf eine historische Figur sowie deren Übernahme einer intradiegetischen Sprecherrolle temporär eine Handlungsretardation mit einer annähernd zeitdeckenden Präsentation fremder Äußerungen. Die bewusste Verrin478 Vgl. Abschn. 3.2.1 sowie insbesondere 14,7,2 quod contra subsidium sibi? nisi quid Burrus et Seneca? *expergensque eos* statim acciuerat, incertum an et ante gnaros. 479 Vgl. Wellesley (1986), ad loc. sowie S. 152, Woodman (2005), S. 327, Furneaux/Pelham/ Fisher (1907), S. 241, Nipperdey/Andresen (1908), S. 173, Woodcock (1939), S. 92, Walter (1943), Sp. 143, und für einen Überblick über die ältere Forschung Barwick (1944), S. 370. 480 Koestermann (1968), S. 37. 481 Vgl. Uden (2003), S. 6: „[…] psychology is played out strikingly in the grammar here, and a feeling of panic is created.“ 482 Vgl. Barwick (1944), S. 370–372, der sowohl für die Verwendung des dichterischen Wortes expergens als auch für die Invertierung des Relativpronomens Parallelstellen in der lateinischen Literatur anführt.

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gerung der narrativen Distanz geht mit einem erhöhten Grad an Detailreichtum sowie Anschaulichkeit einher, wozu es Tacitus nach Rademacher nicht versäumt, dem Rezipienten „dort, wo es möglich ist, zur Steigerung des dramatischen Eindrucks lebendige Geste, hauptsächlich in der Verbindung von Bewegung und Wort, vor Augen zu führen.“483 Dies fördert eine mentale Imagination der situativen Umstände des zugehörigen geschichtlichen Redeereignisses und einen involvierenden Wirklichkeitseffekt, der für den Leser die Eindringlichkeit und Pathetik des zugrunde liegenden Sprechakts unmittelbar erfahrbar macht. Zudem merken Hommel und Rademacher an, dass gemäß antiker Mnemotechniktheorien durch die planvolle Aufnahme zusätzlicher Einzelheiten sowie eine stärker ausgeprägte Plastizität auch die Erinnerbarkeit einer Szene zunehme.484 Obschon die geschichtliche Authentizität aller drei Passagen anzuzweifeln ist, beweist der Autor ferner ein exzellentes Einfühlungsvermögen in die weibliche Psyche, das die Individualität der jeweiligen Sprecherin adäquat berücksichtigt, und fingiert deren Äußerungen angesichts plausibler persönlicher Motive an historisch wahrscheinlichen sowie entscheidenden Positionen.485 An diesen lösen jene ebenso wie zahlreiche randständige, weniger ausstilisierte orationes obliquae von Nebenakteuren, die eigens für diesen narrativen Impuls eingesetzt zu sein scheinen, den nächsten Handlungsschritt aus und erhalten damit eine spannungsgenerierende Funktion.486 Darüber hinaus werden indirekte Reden zweitens aufgrund ihrer Gemeinsamkeit fokussiert, dass sie zu einer „Inszenierung der sozialen Redevielfalt […] durch eine entsprechende Privilegierung marginalisierter Stimmen als Medium der Zeitund Gesellschaftskritik dienen.“487 Hierzu wird einerseits innenpolitischen Randgruppen das Wort erteilt, andererseits erfolgt eine Wahrnehmung, Hinterfragung und Bewertung der römischen Verhältnisse aus der ungewöhnlichen Sicht außenpolitischer Gegner, wobei bereits die Fokalisierungsübernahmen und regelmäßigen -wechsel kognitive Lektüreanreize bieten. Neben einer optionalen subjektiven Fremdheitserfahrung vor allem im Kontrast zur dominanten römisch-senatorischen Erzählerperspektive bergen diese Verlagerungen des Blickwinkels auch das Erkenntnispotenzial, dass Geschichte mehrheitlich aus dem Fokus sozial oder militärisch überlegener Gruppierungen verfasst wird.488 In einen derartigen Diskurs 483 Rademacher (1975), S. 29; vgl. Hommel (1936), S. 127 f.: „Wo er aber zur unmittelbaren Wiedergabe von Gesprochenem greift, da fehlt selten das Herausstellen des Bildes, das der Sprechende nach Haltung und Geste bietet.“, Koestermann (1967), S. 279, und in nachstehenden Abschnitten angeführte Beispiele. 484 Vgl. Hommel (1936), S. 143 f., und Rademacher (1975), S. 31 f. sowie S. 37. 485 Vgl. Koestermann (1968), S. 150 f., und Miller (1964), S. 285: „A more difficult problem is that caused by Tacitus’ characteristic use of or. obl. to present dramatically the motives and deliberations before action of an individual – the psychological obliqua speech.“, sowie S. 287. 486 Vgl. Mayer (2010b), S. 293: „But many of the speeches in the Annals are much more securely butted into the narrative structure, and indeed perform something of a narrative function themselves.“, sowie auch den Redenüberblick im Anhang. 487 Nünning/Nünning (2000b), S. 30, und vgl. dazu auch Ryberg (1942), S. 388, sowie Bergmann (2008), S. 59 f., der von „stummen historischen Gruppen“ spricht. 488 Vgl. Nünning/Nünning (2000b), S. 33, Näf (2010), S. 138, Bergmann (2008), S. 57, und Pausch (2010a), S. 204.

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

eingelegte Figurenreden, „die […] über eine mehr oder weniger große verbalsemantische Selbstständigkeit verfügen, einen eigenen Horizont haben, können gleichfalls, da sie fremde Rede in einer fremden Sprache sind, die Autorintentionen brechen und daher in gewissem Grade die zweite Sprache des Autors sein.“489 Dies trifft insbesondere auf die beiden referierten Barbarenreden zu, die jeweils eine innere Dialogisierung im Sinne Bachtins aufweisen: „In ihnen ist ein potentieller, unentwickelter und konzentrierter Dialog zweier Stimmen, zweier Weltanschauungen, zweier Sprachen angelegt.“490 Die diesen eigene Ambiguität wird bei der Lektüre als inhärente Widersprüchlichkeit und intradiegetisch implizierte Kritik an dem auktorialen Wertesystem empfunden, was eine umfassende leserseitige Reflexion, Diskussion und Synthetisierung heterogener Eigen- sowie Fremdvorstellungen anregt.491 Können hierbei auch gewichtige, nachvollziehbare Argumente und alternative Einsichten gefördert werden, die dem etablierten imperialen Sendungsbewusstsein und außenpolitischen Hegemonialprinzip widerstreben,492 so ist aus diesem interindividuell, kulturell und diachron verschieden geprägten Aktualisierungsprozess im Rezeptionsakt letztlich nicht auf eine weltanschauliche Überzeugung des Autors zurückzuschließen.493 Denn zwar kann sich dieser als weltoffener, rhetorisch geschulter und intelligenter Schriftsteller brillant sowie verständnisvoll in die subjektiven Gefühle sowie historischen Situationen sogar fremdländischer Personen versetzen,494 um seinem Publikum durch eine Polyphonisierung der Geschichte einzelne Impulse zur mentalen Horizonterweiterung zu gewähren. Zugleich ist er jedoch weit davon entfernt, seine römisch-aristokratische Identität konsequent zugunsten eines externen Standpunkts abzulegen, was nach Symes Ansicht die Möglichkeiten eines antiken Historiographen übersteigen würde,495

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Bachtin (1975/1979), S. 205. Bachtin (1975/1979), S. 213. Vgl. dazu auch Pausch (2011), S. 187 f. Vgl. Schmal (2011), S. 166, der negiert, dass „Tacitus im Ernst noch eine römische ‚Mission‘ oder ‚Idee‘ für die Welt im Sinne von Livius, Vergil und anderen gesehen hätte.“, und gerade angesichts der Vorfälle in Britannien zutreffend Allgeier (1957), S. 196, der die Barbarenreden als Beweis dafür anerkennt, „daß Tacitus nicht imperialistisch dachte – Eroberungen um jeden Preis –, sondern daß sein Denken wahrhaft imperial war, orientiert an den Idealen der augusteischen Zeit, denen er sich als echter Römer nicht verschließen konnte. Das debellare superbos billigte er, das parcere subiectis sah er nicht erfüllt.“ 493 Vgl. Adler (2008), S. 178: „Still, it would be foolhardy to assume that the sentiments in these compositions necessarily reflect their authors’ opinions on the topic of Roman imperialism.“, sowie S. 194 f., und Pausch (2011), S. 188. 494 Vgl. Adler (2008), S. 178, Flach (1973b), S. 210, und Suerbaum (2015), S. 226 Anm. 140 sowie S. 240. 495 Vgl. Syme (1967), S. 443: „[…] Roman writers […] were incompetent to take the further step, to stand outside their own nationality and depict the Roman people in its behaviour, structure, and institutions.“, Schmal (2011), S. 167: „Tacitus ist kein ausgesprochener Freund der Barbaren, in erster Linie ist er natürlich Römer, wenn auch ein kritischer.“, und Benario (1994), S. 256: „[…] in disagreements of any sort between Romans and barbarians Tacitus is a blunt supporter of Rome’s civilizing mission, […]. But sympathy and understanding are not necessarily excluded.“

3.4 Verwendungs- und Wirkungsformen von Reden

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respektive, wie Schmal bemerkt, gesellschaftliche Randfiguren zu symbolischen Vorkämpfern politischer Freiheit zu erheben.496 Angesichts spezieller Schattierungen der narrativen Distanz ist drittens Laird zuzustimmen, dass die zwei groben Wiedergabekategorien direkte und indirekte Rede dem Potenzial der lateinischen Sprache nicht gerecht werden.497 Anhand entsprechender Passagen wird nämlich zum einen eine gezielte Verwendung eines indikativischen Bewusstseinsberichts aufgezeigt, durch den Überlegungen und Motive von Protagonisten in der fortlaufenden Erzählung kurz gefasst, aber dennoch unter figurenbezogener Perspektivierung vermittelt werden können. Zum anderen finden sich eindeutige Belege für den Gebrauch erlebter Rede, und zwar zum atonalen, monologischen Ausdruck von inneren Erwägungen sowie Gefühlen wie auch zur halblauten, für Dritte partiell vernehmbaren Äußerung erregter Situationswahrnehmungen und -stimmungen. Soweit dies heute aufgrund der verlustreichen und konjekturanfälligen Überlieferung des taciteischen Texts zu ermessen ist, greift dessen Verfasser hierzu nicht nur auf die gewöhnlichen grammatikalischen und syntaktischen Sprachregister zurück, sondern verändert und entwickelt diese mit kreativer Schöpfungskraft weiter, welche aus seiner Gestaltungsintention einer engen Interdependenz von Inhalt und Form entspringt.498 Dadurch gelingt ihm gerade an Spannungshöhepunkten die Suggestion einer unmittelbaren Beteiligung am Geschehen sowie eine direkte Nachvollziehbarkeit handlungsimmanenter Atmosphären und emotionaler Erregungen, was die kognitive Immersion und affektive Involvierung des Lesers in die historischen Ereignisse steigert.499 3.4.3 Konstellationsgebundene Einsatzformen der direkten Rede Während die oratio obliqua äußerst häufig und facettenreich verwendet wird, ist das Vorkommen der direkten Rede innerhalb der Nerobücher nicht nur verhältnismäßig spärlich,500 sondern auf die drei situativen Bereiche von zehn Äußerungen von ultima uerba beim Tod eines Protagonisten,501 vier Unterhaltungen im privaten Umfeld führender Politiker502 und drei Untersuchungen vor dem Senat 496 Vgl. Schmal (2006), S. 246. 497 Vgl. Laird (1999), S. 133 f. sowie S. 138–143, und auch Wöhrmann (1956), S. 49 f. 498 Vgl. Barwick (1944), S. 373, Syme (1967), S. 358: „Tacitus took possession of the Latin language, bent it to his will, and pushed to the utter limits all that it knew or promised of energy, gravity, and magnificence.“, Woodman (1998), S. 228: „One has the impression of a writer who consistently challenges the conventions of language and pushes against the boundaries of literary expression.“, Bruun (1987), S. 137, und Gärtner (1990), S. 110. 499 Vgl. dazu ebenfalls Miller (1975), S. 56, und Christes (1990), S. 139. 500 Vgl. Tab. 5 und Anm. 379. 501 13,56,1, 14,8,4, 8,5, 9,3, 51,1, 15,63,2, 67,2, 67,4, 16,35,1. Hierzu ist ebenfalls 14,59,3 zu zählen, auch wenn Nero nachträglich über den verstorbenen Plautus urteilt, wobei dessen exakter Wortlaut überlieferungsbedingt verloren ist. Die drei oben angeführten, inhaltlichen Zuordnungen entsprechen den Kategorien dicta, in senatu und inter priuatos Millers (1964), S. 282 bzw. S. 284 f. 502 13,21,2–5, 14,53,2–54,3 und 14,55,1–56,2, 15,2,1–3, 16,22,2–5.

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begrenzt.503 Durch diesen bewusst selektiv eingesetzten Darstellungsmodus heben sich die jeweiligen Passagen markant von der übrigen Erzählung ab und besitzen über die ästhetische Komponente hinaus angesichts der phänomenspezifischen Distanzreduktion ein eigenes Funktions- sowie potenzielles Effektspektrum während der leserseitigen Rezeption.504 Dieses soll zunächst anhand der im Kontext der politischen Morde Neros integrierten letzten Worte, die den Sterbenden vor ihrem Verscheiden in direkter Wiedergabe in den Mund gelegt sind, behandelt werden. Letzte Worte vor dem Lebensende In der Ermordungsszene der Kaisermutter lassen ihre zwei prägnanten, verzweifelten und schrillen Schreie ‚tu quoque me deseris?‘ (14,8,4) sowie ‚uentrem feri‘ (14,8,5) den Rezipienten erschaudern und durchbrechen die die Episode dominierende, ungewisse Beklemmung. In Kombination mit der expliziten Beschreibung ihrer Körpersprache – prolocuta respicit (14,8,4) und protendens uterum (14,8,5) – erfüllen sie zudem die angespannte, kühle Atmosphäre mit unvermittelter Lebendigkeit, welche die anfängliche Statik, wenn auch mit einem bitteren Ende für Agrippina, auflöst. Nach Hommels Ansicht verschiebe sich dabei sogar die Gewichtung zwischen Sprechakt und Deskription, sodass die Äußerung zur Bildbeischrift werde und vorwiegend der Erläuterung der ausdrucksstarken Präsentation diene.505 Außerdem drängen die beiden Ausrufe die Geschichte der julischclaudischen Dynastie auf engstem Raum zusammen, indem der erste eindeutig auf Caesars letzte Worte an seinen Mörder M. Iunius Brutus anspielt, der zweite mit der symbolischen Aufforderung zum Stich in das Körperteil, aus welchem Nero geboren wurde, auf dessen tatsächlichen Tod vorausweist.506 Damit zielt Agrippinas Sterbeszene aber keineswegs lediglich auf den Aspekt der Charakterisierung ab, wie Wittrich zu Recht Schunks eindimensionale Auslegung kritisiert,507 obgleich in dem analeptisch ergänzten, griffigen Ausspruch ‚occidat‘ inquit, ‚dum imperet.‘ (14,9,3) zweifelsohne „noch einmal die Mentalität des Mörders und seines Opfers 503 14,43 f., 15,20,3–21,4, 16,31,1 f.; vgl. Miller (1964), S. 291, Syme (1967), S. 359, und Brock (1995), S. 218. 504 Vgl. Miller (1964), S. 293: „Tacitus is clearly regulating the amount of dramatic speech used, so that it shall be a factor in the total presentation of his material, not an occasional decoration.“, und zur suggestiven Unmittelbarkeit der direkten Rede Genette (1972/1998), S. 123. 505 Vgl. Hommel (1936), S. 126 und S. 128, Billerbeck (1991), S. 2769, Schmidt (1914), S. 50 f., sowie zum Verhältnis des taciteischen Berichts zur Aufbereitung bei Cassius Dio und in der pseudosenecanischen Tragödie ‚Octavia‘ Hind (1972), S. 204–209, Taylor (2010), S. 208 f., und Dawson (1969), S. 262 f. 506 Vgl. Hind (1972), S. 204, der anmerkt, dass Tacitus annehme, sein Leser verstehe diese Symbolik, wohingegen Cassius Dio eine zusätzliche Erläuterung gibt. Ihrig (2007), S. 340 sowie S. 402–405, weist zudem darauf hin, dass angesichts des zeitlichen Einsatzes der Kaiserbiographien Suetons schon ein Bewusstsein für den Beginn der julisch-claudischen Herrschaft mit Iulius Caesar existierte. 507 Vgl. Wittrich (1972), S. 157 Anm. 4, und Schunk (1955), S. 141: „Die Sterbeszene steht in keinem anderen funktionalen Zusammenhang zum Ganzen als dem, zur Charakterisierung des Claudius, der Agrippina, Neros etc. zu dienen, […].“

3.4 Verwendungs- und Wirkungsformen von Reden

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komprimiert“508 und in einer im Ohr des Rezipienten nachhallenden Formulierung ausgedrückt wird.509 Zur Steigerung der textuellen Dramatik wird auch Seneca während der kunstvollen Inszenierung seines erzwungenen Lebensendes eine letzte direkte Rede zuteil. Ergreifend und hingebungsvoll wendet sich der Philosoph an seine Ehefrau, wobei seine Worte in der Klarheit ihrer Gedankenführung, ihrem geschliffenen Tonfall sowie der inhärenten Todesverachtung und Anerkennung von Paulinas Willen das Wesen eines sapiens abschließend noch einmal in nuce widerspiegeln: ‚uitae‘ inquit ‚delenimenta monstraueram tibi, tu mortis decus mauis: non inuidebo exemplo. sit huius tam fortis exitus constantia penes utrosque par, claritudinis plus in tuo fine‘ (15,63,2). „Die Linderungsmittel für das Leben“, sagte er, „hatte ich dir gezeigt, doch du willst lieber die Zier des Freitods. Nicht werde ich dir dein modellhaftes Verhalten missgönnen. Möge die Standhaftigkeit zu diesem so tapferen Abgang bei uns beiden gleich sein, größeren Glanz besitzt dein Lebensende.“

An dramatischer Intensität und Wirkung auf den Leser kann diese direkt an die Gattin gerichtete Äußerung schwerlich übertroffen werden, wie Hauser angemessen interpretiert, sodass es „Hauptaufgabe der Rede (ist), der Abschiedsszene besonderes Pathos, besondere Wärme und Innigkeit zu verleihen.“510 Mittels derselben Attribute kann ferner Thrasea Paetus’ nicht zürnende, sondern um das zukünftige Wohl des jungen konsularischen Quästors bekümmerte Aufforderung, der ihm den Suizidbefehl überbringt, beschrieben werden.511 Die letzten Augenblicke beider Stoiker sind für den Rezipienten also unmittelbar sowie empathievoll mitzuerleben und ordnen sich in dessen geistiger Vorstellung angesichts der bis in den Tod geübten, philosophisch fundierten Unerschütterlichkeit, Offenheit und Menschenfreundlichkeit des jeweiligen persönlichen Gemüts zusammen. Mit schneidender Präzision fasst Subrius Flavus’ vorpreschendes Geständnis die charakterliche Fehlentwicklung des Prinzeps seit dem glücklichen quinquennium Neronis bis zu dessen vollständiger Entartung in den verbleibenden Herrschaftsjahren aus der Perspektive einer beteiligten historischen Figur zusammen. In dessen knappen Worten manifestiert sich somit die innerliche Abkehr eines Großteils der militärischen und politischen Führungselite vom Kaiser. ‚oderam te‘ inquit, ‚nec quisquam tibi fidelior militum fuit, dum amari meruisti: odisse coepi, postquam parricida matris et uxoris, auriga et histrio et incendiarius exstitisti‘ (15,67,2). „Ich hasste dich“, sagte er, „und doch war dir kein Soldat treuer ergeben, solange du geliebt zu werden verdientest. Ich begann, dich zu hassen, nachdem du als Mörder deiner Mutter und Gattin, als Wagenlenker und Schauspieler sowie als Brandstifter aufgetreten warst.“ 508 Wilsing (1964), S. 114. 509 Vgl. Kröger (1940), S. 46, Friedrich (1958), S. 142: „Daß sie hingegen den Untergang in Kauf nimmt, gibt ihrer Gestalt Größe und ihrem Leben, soweit der Historiker davon Kenntnis nimmt, Geschlossenheit.“, und zu den intertextuellen Bezügen des Ausspruchs Taylor (2010), S. 216, sowie Morris (1969), S. 109. 510 Hauser (1967), S. 48; vgl. Zimmermann (2005), S. 265, Koestermann (1968), S. 304, kritisch Schmal (2008), S. 117, und mit Bezug auf Senecas Konsolationsliteratur Ker (2012), S. 325. 511 16,35,1 ‚libamus‘ inquit ‚Ioui liberatori. specta, iuuenis; et omen quidem dii prohibeant, ceterum in ea tempora natus es, quibus firmare animum expediat constantibus exemplis.‘

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

Der Leser empfindet hier die Genugtuung des überführten Attentäters nach, eine einmalige Gelegenheit gefunden zu haben, dem Tyrannen die Wahrheit ins Gesicht zu schleudern, was sein Verhalten als einzigartig auszeichnet, wie Tacitus betont – nihil in illa coniuratione grauius auribus Neronis accidisse constitit (15,67,3). Sein standhafter Tod könnte für den Rezipienten nicht bedauernswerter dargestellt werden als durch das Referat seiner eigenen Worte, zu denen noch die höhnischsarkastischen Bemerkungen ‚ne hoc quidem‘ inquit ‚ex disciplina.‘ und ‚utinam ait tu tam fortiter ferias!‘ (15,67,4) bei seiner Exekution hinzutreten. Deren pointierte Kürze steht nach Schmal in scharfem Kontrast zu Senecas vorausgehenden langatmigen Beteuerungen vor dem Ableben512 und stellt Subrius in eine Reihe mit weiteren tapferen Militärs wie Boiocalus und Burrus, die im Angesicht des Todes ebenfalls ihre aufrichtige Unbestechlichkeit, entschlossene Charakterstärke und persönliche Dignität wahren sowie in denkwürdiger Weise zum Ausdruck bringen.513 Auch wenn die Frage nach der Authentizität dieser direkten Zitate, welche die Sterbefälle zahlreicher bedeutender Persönlichkeiten zieren, oder nach deren Abhängigkeit von dokumentarischen Vorlagen letztlich nicht hinreichend zu beantworten ist,514 zeichnen sie sich dennoch durch ihre umfassende textuelle Funktionalität aus. Neben aussagekräftigen finalen Würdigungen und erstrahlenden Abschlusscharakteristiken der verscheidenden Handlungspersonen in unübertreffbarer Prägnanz515 markieren sie durch ihr kunstvolles Arrangement stets spannungsreiche lokale Gestaltungshöhepunkte und beenden eine Einzelszene oftmals unter besonderer Akzentsetzung. Teils unterstreicht diese die vorherrschende Ernsthaftigkeit und Dramatik der Situation, teils birgt sie auch eine ironische bis sarkastische, die Grundstimmung konterkarierende Nuancierung.516 Die planvolle Berücksichtigung letzter Worte verleiht den jeweiligen Sterbeepisoden also eine pointierte Tiefgründigkeit und eine den ästhetischen Lektüregenuss erhöhende Anschaulichkeit, sodass der Rezipient wie bei einem Monolog vor dem Lebensende einer antiken Dramenfigur hier en miniature zum unmittelbaren Zuschauer wird.517

512 Vgl. Schmal (2008), S. 119. 513 13,56,1 ‚deesse nobis terra *in qua uiuamus*: in qua moriamur, non potest.‘ bzw. 14,51,1 ‚ego me bene habeo.‘ 514 Vgl. Schmidt (1914), S. 9: „[…] concludendum nobis esset ea ut condimenti causa addita non maiore fide digna esse reliquis fabellis.“, Rademacher (1975), S. 154, Martin (1981), S. 233, und Anm. 387 f. (Kap. 4). 515 Vgl. Miller (1964), S. 286: „They tend to illuminate the character.“ 516 Vgl. Kegler (1913), S. 61: „Aus dem Umstand, daß nahezu zwei Drittel sämtlicher Zitate bei Tacitus ironisch oder sarkastisch gefärbt sind, ist man versucht zu schließen, daß Tacitus nicht zuletzt der Ironie und des Sarkasmus wegen die Zitate in sein Werk aufgenommen hat.“ 517 Vgl. Fögen (2015), S. 34.

3.4 Verwendungs- und Wirkungsformen von Reden

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Teilnahme am kaiserlichen Gesprächskreis Abgesehen von Vologaeses direkter Ansprache an seine Höflinge zu Beginn des 15. Buchs, in der er die Herrschaft des Arsakidengeschlechts über die Parther und deren Anspruch auf Armenien fundiert,518 finden drei umfangreichere, in oratio recta referierte Gespräche im privaten Umfeld des römischen Kaisers statt. Als prominenteste dieser Unterhaltungen ist gewiss der mit meisterlicher Raffinesse gestaltete Dialog zwischen Nero und Seneca anlässlich dessen Entlassungsgesuch anzusehen, dem in der Forschung demgemäß bereits viel Aufmerksamkeit zuteil wurde.519 Neben zahlreichen wertvollen und facettenreichen Einzelbeobachtungen wird dabei nicht nur vermerkt, dass die an dieser Stelle vorliegende Gegenüberstellung zweier direkter Reden innerhalb der ‚Annalen‘ einzigartig ist, sondern auch, dass Nero mit Ausnahme seines durch einen Textausfall korrumpierten, spöttischen Kommentares über Plautus’ abgetrennten Kopf520 nur hier eine Äußerung in oratio recta zugewiesen wird. Dadurch werde nach Meinung einiger Interpreten zum einen implizit Senecas gänzliches und möglicherweise dessen eigener Eitelkeit geschuldetes Versagen bezüglich der rhetorischen Ausbildung des daran angeblich unzureichend interessierten Kaisers kritisiert. Zum anderen werde insbesondere nach Scotts Ansicht Neros sprecherische Abhängigkeit von einer fremden Eloquenz, die dieser während seiner Unterhaltung mit dem Philosophen in einer ironisch überspitzten Captatio benevolentiae selbst einräumt,521 und aufgrund des Stimmverlusts dessen moralische Entmenschlichung angedeutet.522 Obgleich diese Forschungspositionen erwägenswert sind, sollten sie dennoch mit Blick auf die globale Redenverteilung nicht überinterpretiert werden. Denn bezüglich dieser ist Nero als Hauptfigur hinsichtlich der Anzahl an einzelnen Sprechakten wie auch an insgesamt geäußerten Zeilen der dominante Redner.523 An direkten Wiedergaben übertrifft den Prinzeps lediglich Agrippina mit vier Sprechakten und Thrasea, Seneca sowie Subrius ergreifen ebenso oft wie dieser das Wort, wohingegen alle übrigen Protagonisten nur eine oder keine direkte Redepartie erhalten.524 Erscheint Nero, um dieses Verhältnis analog zu Scott auszulegen, also nur seiner Mutter verbal unterlegen und sind neben ihm die genannten Persönlichkeiten als oppositio518 15,2,1–3; vgl. zum Beginn des 15. Buchs Abschn. 3.2.2. 519 Vgl. z. B. Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 297–302, Syme (1967), S. 335 f., Goodyear (1982), S. 652, Martin (1981), S. 232, Morris (1969), S. 172–176, Taylor (2010), S. 217 f., O’Gorman (2000), S. 151, Koestermann (1968), S. 126–137, dazu Potter (2012), S. 128, und Ker (2012), S. 322–324. 520 14,59,3; vgl. Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 306, und Anm. 501. 521 14,55,1 quod meditatae orationi tuae statim occurram, id primum tui muneris habeo, … bzw. 13,3,2, 13,11,2 sowie 14,11,3; zu Neros rednerischer Abhängigkeit von Seneca und dessen etwaigem Scheitern vgl. Scott (1998), S. 13, Betensky (1978), S. 430, Suerbaum (2015), S. 266 Anm. 168, Hoffmeister (1831), S. 165, Ker (2012), S. 317 sowie S. 319, Taylor (2010), S. 213, und Schmal (2008), S. 112. 522 Vgl. Scott (1998), S. 8 sowie S. 12–15, Martin (1981), S. 177 sowie S. 232, und O’Gorman (2000), S. 149. 523 Vgl. Tab. 6 und Abschn. 3.4.1. 524 Vgl. Anhangstabelle 7.

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

nelle, ideelle sowie militärische Meinungsführer zu erachten, so ist darüber hinaus bemerkenswert, dass ebenso viele direkte Reden im engeren kaiserlichen Konsil wie vor dem Senat stattfinden.525 Zu diesen gehören abgesehen vom schon angeführten Dialog zwischen Nero und Seneca Agrippinas Rechtfertigungsrede gegen Iturius’ und Calvisius’ Vorwürfe sowie Cossutianus Capitos Anklage gegen Thrasea,526 die hinsichtlich ihrer Anlage und Wirkung kurz gemeinsam zu betrachten sind. Denn indem Redebericht, indirektes und direktes Referat bei Agrippina über mehrere Kapitel verteilt, bei Cossutianus unmittelbar aufeinanderfolgen,527 weisen beide Fälle eine sukzessive Reduzierung der formalen Darstellungsdistanz auf, sodass das historische Geschehen zunehmend verlebendigt wird. Dadurch steigert sich der Involvierungsgrad des Lesers stufenweise und es entsteht ein lokaler Spannungshöhepunkt,528 der einerseits die völlige Eskalation eines innerfamiliären, politisch höchst brisanten Konflikts, andererseits den Impetus zu einer persönlich motivierten Intrige gegen einen lästigen staatlichen Oppositionellen markiert. Der Rezipient kann Agrippinas beziehungsweise Capitos orationes rectae scheinbar in der geschichtlichen Redesituation mitverfolgen und sorgfältig die Plausibilität sowie Überzeugungskraft der vorgetragenen Argumente prüfen. Er stellt die individuellen Sichtweisen der Sprecher denjenigen ihrer jeweiligen Kontrahenten gegenüber und fällt eigenständig ein abschließendes Urteil, solange der historische Ausgang der offiziellen Anhörung unter Burrus’ Vorsitz respektive der gezielten Agitation des Delators vor Nero noch nicht berichtet ist. Somit liegt zum einen temporär die Möglichkeit zu einer ergebnisoffenen kognitiven Auseinandersetzung mit den Inhalten und der rhetorischen Gestaltung der zitierten Reden vor. Zum anderen gewährt die jeweils explizite Darlegung der vehementen Hörerreaktionen529 einen anschaulichen und für den Rezipienten modellhaften Eindruck von deren affektiver Wirksamkeit auf die zeitgenössischen Adressaten.530 Imaginär wird der Leser also nicht nur mit Agrippinas schlagfertiger Verteidigung, einem „masterpiece of sarcasm and aggressive self-justification“,531 konfrontiert, sondern gemeinsam mit Burrus und Seneca zum erhabenen Richter über deren Schicksal

525 Vgl. auch Miller (1964), S. 292: „The much higher proportion of speech inter privatos in the Neronian books shows once again the nature of the material reflected in the dramatic speech.“ sowie Anm. 502 f. 526 13,21,2–5 bzw. 16,22,2–5. 527 13,13,1, 14,2 f., 21,2–5 bzw. 16,21,3, 22,1, 22,2–5; vgl. auch Abschn. 3.4.2. 528 Vgl. Koestermann (1967), S. 275. 529 13,21,6 commotis qui aderant ultroque spiritus eius mitigantibus, … bzw. 16,22,6 extollit ira promptum Cossutiani animum Nero adicitque Marcellum Epirum acri eloquentia. Vgl. Koestermann (1967), S. 275: „Die Erwiderung der Kaiserin auf die von Burrus in drohendem Ton vorgetragene Anklage ist ein rhetorisches Meisterwerk. Durch ihr leidenschaftliches Auftreten und die überzeugende Kraft ihrer Argumente riß sie das gewiß zunächst widerstrebende Auditorium mit sich fort, so daß man am Ende bemüht war, sie zu besänftigen.“ 530 Vgl. zu dieser narrativen Technik auch Pausch (2010a), S. 188, Leidl (2010), S. 244 mit Verweis auf Cic. Brut. 200, und Mayer (2010b), S. 284. 531 Morford (1990), S. 1603.

3.4 Verwendungs- und Wirkungsformen von Reden

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beziehungsweise zum ohnmächtigen Ohrenzeugen der fatalen Redefertigkeit des Delators Cossutianus. Durch größtmögliche Minderung der diegetischen Distanz erzeugt die umfangreiche Wiedergabe direkter Reden am Kaiserhof folglich eine enorme Geschehensretardation und suggeriert eine temporale Synchronie zwischen Erzähl- und erzählter Zeit von kompositioneller Bedeutung. Zudem entsteht ein einzigartiger Realitätseffekt, der den Leser die fingierten Gesprächsumstände miterleben lässt und für ihn die rhetorischen Fähigkeiten der intradiegetischen Sprecher wie auch deren Wirkungspotenzial auf die historische Zuhörerschaft unmittelbar erfahrbar macht. Neben einer Zunahme an Anschaulichkeit sowie Dramatik evoziert dies vor allem eine geistige Reflexion der jeweiligen Argumentationsgänge sowie ein emotional eindringliches Lesevergnügen. Rhetorische Vielgestaltigkeit vor dem Senat Während sich viele der anlässlich von Reden im kaiserlichen Konsil analysierten Aspekte auf Äußerungen vor dem Senat übertragen lassen, wie sich nachstehend zeigt, werden dort, obwohl der situative Rahmen für eine diskursive Darlegung mehrerer konträrer Ansichten in oratio recta bestens geeignet wäre, und trotz entsprechender historiographischer Vorlagen532 polyperspektivische Kontroversen ausschließlich in indirekter Wiedergabe referiert.533 Damit unterscheiden sich diese jedoch weder formal noch quantitativ von ausführlich und ambivalent geschilderten Meinungsbildern im Volk wie anlässlich der angeblichen militärischen Offensive der Parther in Armenien oder der Einführung der Neronia als regelmäßiger Spiele nach griechischem Vorbild in Rom.534 Dies weist bereits auf eine qualitative Entwertung des Senats auf das Niveau einer institutionalisierten Schwatzbude hin, deren oftmals belanglose Debatten vor allem während des quinquennium Neronis im 13. Buch noch den Anschein einer republikanischen Ordnung pflegen.535 Die ausbleibende Berichterstattung über zweiseitige Diskussionen in späteren Büchern wie auch die Negation einer breiten Gestaltung in direkter Rede, die demgegenüber allein im Umfeld des Kaisers vorzufinden ist, unterstreichen also den fortschreitenden realpolitischen Bedeutungs- und Einflussverlust des Senats, den Levene und Ginsburg hervorheben.536 Gerade vor diesem Hintergrund und aufgrund ihrer 532 Als kanonisches Beispiel ist hier freilich das berühmte und umfangreiche, direkte Redenpaar Caesars und Catos im bellum Catilinae von Tacitus’ literarischem Vorbild Sallust anzuführen (Sall. Catil. 51,1–52,36); vgl. ebenfalls Heldmann (2013), S. 345. 533 Eine biperspektivisch indirekte Darstellung liegt in 13,26,1–27,2, 13,49,2–4, 13,41,4 sowie 14,48,2–4 vor. Darüber hinaus finden sich zwei monoperspektivisch indirekte Reden in 13,50,2 f. sowie 15,19,2 und weitere knappe Redeberichte (vgl. Anhangstabelle 5). 534 13,6,1–4 bzw. 14,20,1–21,3; vgl. zudem Anm. 244 wie auch Häussler (1965), S. 334, Syme (1967), S. 516, und Tresch (1965), S. 119. 535 13,28,1 manebat nihilo minus quaedam imago rei publicae; vgl. Anm. 250 (Kap. 2). 536 Vgl. Levene (2009a), S. 214: „The obvious explanation for this change in balance from earlier literature is that it mirrors Tacitus’ picture of the structure of power at Rome: […] There is less need for him to report public speeches or senatorial debates, since it is not primarily through

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

kompositorischen Sonderstellung erscheinen somit die drei zwar jeweils monoperspektivischen, aber in oratio recta wiedergegebenen Redepartien Cassius’, Thraseas und Servilias bezüglich ihrer textuellen Funktionen und ihres leserseitigen Wirkungsvermögens separat betrachtenswert.537 Diachrones Diskussionspotenzial in Cassius’ Rede Anlässlich des Prozesses wegen der Ermordung des renommierten Stadtpräfekten Pedanius Secundus hält der Rechtsgelehrte C. Cassius vor dem Senat die längste direkte Rede innerhalb der Nerobücher,538 deren Wiedergabe mit dem Fiktionalitätssignal in hunc modum (14,42,2) eingeleitet wird.539 Abgesehen von der offenkundigen Verletzung des Patronatsverhältnisses birgt das zugrunde liegende Delikt besondere sozialpolitische Brisanz, weil der Stadtpräfekt, der als oberste Beschwerdeinstanz aller Sklaven gegen ihre römischen Herren diesen ein Mindestmaß an Schutz garantieren sollte, von einem der eigenen Haussklaven ermordet wurde. Dieser Aspekt steigert das Ausmaß des gesellschaftlichen Affronts und verleiht diesem den Status eines richtungsweisenden Präzedenzfalls, sodass Cassius aufgrund dieser immensen Autoritätsmissachtung ein hartes Vorgehen gegen Pedanius’ gesamte Sippschaft von 400 Sklaven fordert.540 Sein in sallustianischer Manier und mit deutlichen Anklängen an Catos Rede541 gehaltenes Plädoyer mit stringentem Argumentationsgang polemisiert gerade durch seine konservative Grundhaltung mit reaktionärer Hyperbolik. Denn angesichts der Schwierigkeiten schon Germanicus’ wie später auch Galbas, die römischen Legionen zu disziplinieren, entspricht es in neronischer Zeit unter anderem einer anachronistischen Machtvorstellung, sich auf die Strafe der Dezimierung im Heer zu berufen.542 Ebenso beurteilt auch Syme die geäußerten moralischen Ansichten mit seiner für die Kaiserzeit zutreffenden Einschätzung als realitätsfern, dass „die alte Republik […] jetzt nur noch eine

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such debates that decisions of consequence are being made.“, Ginsburg (1981), S. 95: „Tacitus’ selection of senatorial items for the annual account reflects his concern to demonstrate that there was a basic difference between government by the senate and annually elected magistrates, as in the days of Republic, and a public administration shared by the senate and an emperor whose power had no annual limits.“, und dies. (1993), S. 103. 14,43 f., 15,20,3–21,4, 16,31,1 f. Vgl. Nörr (1983), S. 191, der ausschließt, dass Tacitus „eine besondere rednerische Weitschweifigkeit des Juristen charakterisieren will“, sodass „die Länge der Rede als Indiz für ihre Bedeutung angesehen werden (muss).“, Martin (1990), S. 1558, Ginsburg (1993), S. 97, und Miller (1964), S. 290. Zum Verhältnis der literarischen Rede zur Originaläußerung Cassius’ vgl. Nörr (1983), S. 215 f., und Kajanto (1969), S. 49: „But the core of the speech surely goes back to Cassius.“ Zur historisch-juristischen Dimension der Angelegenheit vgl. Bellen (1982) und Nörr (1983). Sall. Catil. 52,2–36. Vgl. v. a. den Gipfel der Unruhen in Blaesus’ Lager mit der Vertreibung und Ermordung zahlreicher Zenturionen (1,23) und Germanicus’ Rehabilitation als Feldherr durch den angedrohten Auszug seiner Familie (1,41) wie auch Galbas Vorgehen, der wegen seiner altrömischen Sittenstrenge in großen Heeresteilen auf erheblichen Widerstand stieß (hist. 1,5). Deshalb zweifeln Koestermann (1968), S. 111, Nörr (1983), S. 198, und Ginsburg (1993), S. 101, Cassius’ letztes Argument berechtigt an.

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Erinnerung an längstvergangene Zeiten, verklärt, gepriesen und ungefährlich (war).“543 Diese übertrieben antiquierte Tendenz ist allerdings subtil auf Cassius’ vorausgehende Chrarakteristik abgestimmt und wirkt aus dessen Mund aufrichtig und authentisch. Dessen Sittenstrenge wird nämlich vorab im militärischen wie auch im zivilen Bereich als überzogen gekennzeichnet544 und Cassius selbst empfindet zu Beginn seiner Äußerungen ein Rechtfertigungsbedürfnis für seine reaktionäre Haltung.545 Neben dieser gezielt gesetzten, sprecherbezogenen Einleitung wird dessen Rede zudem von den situationsspezifischen Bewertungen des Volkes und des Senates gerahmt. Während sich die plebs jeweils schützend vor die ihrer Ansicht nach unschuldigen Sklaven stellt,546 bedauert zwar ein Teil der Senatoren kleinlaut und resigniert deren Schicksal, jedoch wagt keiner der intradiegetischen Adressaten öffentlich als deren Fürsprecher aufzutreten und sich Cassius’ Antrag zu widersetzen.547 Damit wird dessen durchsetzungsfähiger Auftritt sowie die vehemente Pathetik seiner Worte unterstrichen und die eindringliche Szene letztlich mit den damaligen Publikumsreaktionen ausgeblendet, um die Exekution der Sklaven im Anschluss möglichst objektiv und teilnahmslos darzustellen.548 Das einer derartigen figurenbezogenen und auktorialen Kontextualisierung inhärente Wirkungspotenzial beschreibt Bachtin indes folgendermaßen: „Das die fremde Rede abbildende und einrahmende Autorwort gibt ihr eine Perspektive, verteilt Schatten und 543 Syme (1962), S. 252, und vgl. Schmal (2011), S. 155. 544 12,12,1 …, reuocare in priscum morem, exercitare legiones, … 13,48 quia seueritatem eius non tolerabant, … bzw. 14,42,2 … nimiam seueritatem …; vgl. dazu D’Arms (1975), S. 156, Ginsburg (1993), S. 96 f. sowie S. 99, Koestermann (1968), S. 106, Tacitus’ Urteil über Kaiser Galba hist. 1,18,3 nocuit antiquus rigor et nimia seueritas, cui iam pares non sumus, und Nörr (1983), S. 189, S. 203 f. sowie S. 208–213 zum gegenseitigen Verständnis der Begriffe seueritas und grauitas, sowie demgegenüber Kajanto (1969), S. 50. Vgl. ferner Morris (1969), S. 35 sowie S. 149 f., Syme (1967), S. 354 f., Bellen (1982), S. 451, Häussler (1965), S. 247 sowie S. 281–283, Heubner (1964), S. 135 f., v. Albrecht (1988), S. 61, Martin (1990), S. 1558 f., und Geiser (2007), S. 283: „Dieser letztgenannte Begriff (sc. seueritas) bezeichnet keineswegs nur einen […] individuellen Charakterzug, sondern steht vielmehr für eine dem vetus mos verpflichtete Grundhaltung, deren oberstes Prinzip das Gemeinwohl bildet.“ 545 14,43,1 neque sum aduersatus, non quia dubitarem, super omnibus negotiis melius atque rectius olim prouisum et quae conuerterentur in deterius mutari, sed ne nimio amore antiqui moris studium meum extollere uiderer. Vgl. Nörr (1983), S. 202: „Gerade die leicht selbstironische Färbung des Prooemiums kennzeichnet dieses als ein den Kunstregeln entsprechendes Produkt.“ Im Streben nach überspitzter Polarisierung zwischen modernen und tradierten Maßstäben liegt begründet, weshalb sich Cassius nicht auf die neuere Rechtslage beruft (13,32,1), sondern auf die frühere Praxis verweist, obwohl die Reform ein deutlich härteres Vorgehen zulässt. Vgl. zudem Koestermann (1967), S. 296, Syme (1967), S. 563 f., Furneaux/Pelham/ Fisher (1907), S. 287, und Kajanto (1969), S. 44–47. 546 14,42,2 …, concursu plebis, quae tot innoxios protegebat, usque ad seditionem uentum est … bzw. 14,45,1 …, conglobata multitudine et saxa ac faces minanter. 547 14,42,2 … senatuque in ipso erant studia nimiam seueritatem aspernantium, pluribus nihil mutandum censentibus. bzw. 14,45,1 sententiae Cassii ut nemo unus contra ire ausus est, ita dissonae uoces respondebant numerum aut aetatem aut sexum ac plurimorum indubiam innocentiam miserantium. 548 14,45,2; vgl. Hahn (1979/1991), S. 370 sowie S. 386, und Koestermann (1968), S. 108.

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

Licht, erzeugt eine Situation und die Voraussetzungen für ihre Artikulierung, durchdringt sie schließlich von innen heraus, trägt seine Akzente und seine Ausdrücke in sie hinein und schafft ihr einen dialogisierenden Hintergrund.“549 Zum einen wird somit unabhängig vom faktischen Ausgang der Senatsverhandlung aufgrund des spezifischen Präludiums sowie angesichts des rhetorisierten Auftakts und der in den ‚Annalen‘ einmalig überzeichneten Gestaltung von Cassius’ Vortrag550 eine diskursive Ambivalenz erzeugt, die den extradiegetischen Zuhörer zu einer Reflexion der Äußerungen anregt.551 Die absichtliche Auslassung der zu erwartenden, ordentlichen Gegenrede provoziert als textuelle Leerstelle insbesondere bei einem zeitgenössischen Leser, der aufgrund eigener Ausbildungskenntnisse in der hypothetischen Erwägung desselben Sachverhalts unter heterogenen Blickwinkeln erfahren war, ein solches Rezeptionsverhalten sowie eine potenzielle Erwiderung aus sicherer Distanz.552 Darin können weitere aus einer intensiven Auseinandersetzung mit der Geschichte gewonnene und vor einem umfassenderen historischen Horizont gespiegelte Einsichten der kategorischen Rigorosität der Sprecherfigur gegenüberstehen.553 Zum anderen offenbaren gerade das beredte Schweigen der Senatoren wie auch der stumme Protest des Volkes als Reaktionen auf Cassius’ Rede, dass neben der in diesem singulären Fall opportunen Meinung des Rechtsgelehrten eine sekundäre, aufgrund ungünstiger Machtverhältnisse im Prinzipat öffentlich nicht diskursfähige Position existierte. Dadurch gelingt es Tacitus, wie Schulz vor allem an Passagen in der tiberianischen Hexade aufzeigt, „im Nachhinein (zu) rekonstruieren, was 549 Bachtin (1975/1979), S. 243 sowie vgl. S. 227: „Der das fremde Wort einfassende Kontext schafft einen dialogisierenden Hintergrund, dessen Einfluß sehr groß sein kann. Mit Hilfe der Verfahren der Einrahmung kann man eine genau wiedergegebene fremde Äußerung wesentlich verändern.“, und Surkamp (2000), S. 124. 550 Vgl. Ginsburg (1993), S. 101: „No other debate in the Annals is so decidedly one-sided.“, und Nörr (1983), S. 220: „So ist severitas an sich eine altrömische Tugend, aber infolge des Verfalls nicht mehr zeitgemäß.“ 551 Vgl. van Holt/Groeben (2006), S. 118–120, und auch McCulloch (1984), S. 189. 552 Vgl. Miller (1969), S. 102: „Both the historian and his readers had an education based on rhetoric, and were trained in the production of speeches for and against the same point. When faced with an assessment of this kind, therefore, they naturally saw it in terms of prosecution and defence, and expected to have the case presented with full rhetorical treatment.“, und Martin/Woodman (1989), S. 124. 553 Vgl. hierzu 3,55,5 nisi forte rebus cunctis inest quidam uelut orbis, ut quem ad modum temporum uices, ita morum uertantur, nec omnia apud priores meliora, sed nostra quoque aetas multa laudis et artium imitanda posteris tulit. bzw. die Quintessenz von Maternus’ Rede im ‚Dialogus‘, jede Zeit besitze ihre eigenen Maßstäbe (41,5), und dazu Ginsburg (1993), S. 98 f., Perl (1984), S. 571, Häussler (1965), S. 230, S. 233–235 sowie S. 283, und Timpe (1988/ 2007), S. 250. Ferner konstatiert schon Velleius Paterculus 2,92,5 quod ego factum cuilibet ueterum consulum gloriae comparandum reor, nisi quod naturaliter audita uisis laudamus libentius et praesentia inuidia, praeterita ueneratione prosequimur et his nos obrui, illis instrui credimus, wobei sich dieser Grundgedanke auch in Agr. 1,1 incuriosa suorum sowie in Ann. 2,88,3 …, dum uetera extollimus recentium incuriosi findet. Vgl. Döpp (1989), S. 80: „Daß die eigene Zeit als Phase der Dekadenz betrachtet wird, begegnet in fast allen Perioden der Geschichte.“, Kajanto (1969), S. 50 sowie S. 58 f., Martin (1981), S. 175, Syme (1967), S. 533, und Bellen (1982), S. 450.

3.4 Verwendungs- und Wirkungsformen von Reden

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trotz oberflächlichen Schweigens (in der ersten Schicht) tatsächlich gedacht worden ist, und somit auf die zweite verborgene, inoffizielle Schicht von Kommunikation (zu) führen. Tacitus stellt sich selbst als jemanden dar, der das Ungesagte offenlegt“,554 sodass für den Rezipienten, der außerhalb der Historie steht, ein impliziter Subtext vernehmbar wird. Dieser ermöglicht ihm erst eine vollständige geistige Erfassung und ganzheitliche Bewertung der geschichtlichen Ereignisse, was das textuelle Immersions- und Imaginationspotenzial anhebt.555 Eine entsprechende Identifikation mit den Adressaten von Cassius’ Rede sowie eine mentale Aufarbeitung von deren inhaltlicher Problematik ist darüber hinaus „aufgrund partieller Analogien zwischen der eigenen Lebenswelt und der im Geschichtswerk dargestellten Welt“556 gerade bei einem Rezipienten zur Entstehungszeit der ‚Annalen‘ anzunehmen. Denn ab der Mitte des ersten Jahrhunderts n. Chr. scheint es zumindest in gehobenen Kreisen eine Debatte über das alltagsrelevante Thema des Umgangs mit Sklaven und Freigelassenen gegeben zu haben,557 die sich unter anderem in Senecas berühmten Sklavenbrief fassen lässt558 und angesichts der Zeugnisse Plinius’559 sowie der Wiederkehr dieses Motivs in der taciteischen Erzählung auch zu Beginn des zweiten Jahrhunderts noch ungeklärt war.560 Gewissermaßen entfremden sich Cassius’ Worte also von ihrem historisch 554 555 556 557

Schulz (2015), S. 184. Vgl. Leidl (2010), S. 241. Leidl (2010), S. 248 und vgl. S. 245. Vgl. Koestermann (1967), S. 283: „Fest steht, daß die gleichen Fragen die Gemüter der Zeitgenossen unter Hadrian stark beschäftigten.“, Scott (1998), S. 14: „Tacitus introduces a moral issue and seems himself to be sympathetic to the rebellious faction who want to spare the slaves.“, und Keitel (1991), S. 2772, die konstatiert, dass Tacitus oft Reden zur Beleuchtung von zeitkritischen Fragen verwendet. 558 Sen. epist. 47; vgl. v. a. zum in Cassius’ Rede verherrschenden Motiv Sen. epist. 47,5 totidem hostes esse quot seruos, aber demgegenüber auch epist. 31,11 quid est enim eques Romanus aut libertinus aut seruus? nomina ex ambitione aut iniuria nata. Vgl. zudem Schmitz (1955), S. 431 f., der Tacitus’ Kenntnis der ‚Epistulae morales‘ voraussetzt, Koestermann (1968), S. 106 zur Frage, warum der in seinen Briefen für einen moderaten Umgang mit Sklaven plädierende Seneca sich in der vorliegenden Verhandlung nicht stärker engagierte, und analog Städele (1990), S. 117, zu Thrasea Paetus’ überraschender Zurückhaltung. 559 Plinius d. J. zeigt sich einerseits noch jähzorniger als Cassius und durch die Beseitigung der Sklaven, die Larcius Macedo ermordeten, befriedigt (Plin. epist. 3,14,4). Andererseits präsentiert er sich gegenüber Sabinas ehemaligem Sklaven Modestus (epist. 4,10,4) sowie Afranius Dexters Freigelassenen nachgiebig (epist. 8,14,12 f.) und stellt seinen humanen Umgang mit den eigenen Sklaven zur Schau (epist. 8,16). Vgl. Syme (1967), S. 447 f., Nörr (1983), S. 194 sowie S. 197, Abel (1991), S. 3165, und Ker (2012), S. 315. 560 Vgl. 13,26,1–27,2, 13,32,1, 14,39,2 sowie die zahlreichen Akteure in den Nerobüchern, die dem Stand der Freigelassenen angehören und oftmals als skrupellose sowie arrogante Opportunisten handeln, darunter besonders der Vollstrecker von Agrippinas Ermordung Anicetus (14,3,3), der seinem Patron Scaevinus treulose Milichus (15,54,4), aber u. a. auch Helius (13,1,2), Acte (13,12,1), Pallas (13,2,2), Paris (13,19,4), Graptus (13,47,1), Pelago (14,59,2), Doryphorus (14,65,1), Pythagoras (15,37,4), Phoebus (16,5,3) und Fortunatus (16,10,2). Daneben wird die Stellung Freigelassener auch in Germ. 25,2 (vgl. Anm. 83) ausgiebig sowie mit Blick auf die römischen Zustände problematisiert. Vgl. ferner Koestermann (1968), S. 282, Syme (1967), S. 447 f. sowie S. 744, Martin (1981), S. 233, Tresch (1965), S. 182 f., Hoffmeister (1831), S. 51, und Walker (1952), S. 215 sowie S. 262: „It will be seen […] that the

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

fingierten Sprecher und Kontext, sodass neben dessen beständig die Stimme des Autors hörbar sowie trotz der formalen Ausrichtung der fokalisierten Figurenrede auf eine interne Zuhörerschaft aufgrund der verhandelten Thematik auch das auktorial intendierte Zielpublikum in einer impliziten Metalepse erkennbar wird.561 Derart ambivalente, sachlich orientierte Bezüge auf die Lebenswelt zum Zeitpunkt der Geschichte und der Narration zeigen sich auch für die in indirekter Rede referierte Senatsdiskussion über den Missbrauch sozialpolitischer Privilegien, die ausschließlich Personen mit Elterneigenschaft zustehen,562 und können sich bei Grundsatzfragen wie gesellschaftlicher Gleichstellung oder der Wahrung von Menschenrechten bis in die Gegenwart erstrecken. Denn bei jedem Rezeptionsakt erfolgt die Betrachtung eines historischen Gegenstands nicht nur in der Vergangenheit, sondern dieser kann diachron hinsichtlich des subjektiven Lektürezeitpunkts aktualisiert werden.563 Zusätzlich zur suggerierten Darstellungsnähe, die generell eine konkrete Identifikation der jeweiligen Sprecher- und Adressateninstanz erschwert,564 steigert die unvermeidbare Zeitbezogenheit rezipientenseitiger Blickwinkel auf historische Redewiedergaben folglich deren spannungsreiche Mehrdeutigkeit565 und steht nach Syme deren zuverlässiger Auslegung entgegen.566 Thrasea Paetus’ direkter Redeexkurs Neben Cassius ist Thrasea Paetus der einzige namentlich erwähnte Senator in den Nerobüchern, dessen individuelle Äußerungen vor dieser höchsten staatlichen Körperschaft direkt wiedergegeben werden,567 was die Handlungsrelevanz beider

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most forceful and elaborate speeches […] can contribute directly to the main themes running through the work.“ Vgl. Leidl (2010), S. 237 sowie S. 248, und Schmich (1960), S. 28, der im Allgemeinen feststellt, „daß sich Reden in gewisser Weise von ihren Sprechern lösen können, daß Personen über sich hinauswachsen, ja daß durch die Rede sogar der Ablauf der Handlung gestört werden kann.“ 15,19,1 f.; vgl. Koestermann (1968), S. 196, und zur Problematik der Kinderarmut in Italien 14,27,2 sowie selbstreflexiv Germ. 19,2 und die Erwähnung staatlicher sowie privater Maßnahmen zu deren Bekämpfung bei Plin. paneg. 26 f., epist. 1,8,10–13 bzw. 7,18,2 f., aber auch deren sinnwidrige Verwendung epist. 10,2 bzw. 10,94 f. Vgl. van Holt/Groeben (2006), S. 115 f., zum kognitiven Übertrag fiktionaler Vorfälle auf die gegenwärtige Realität. Vgl. Pausch (2010b), S. 37, S. 55, wo er einschränkt, dass eine solche Polyphonie nur solange wahrgenommen werden kann, „wie ‚fremde‘ Stimmen auch als solche erscheinen.“, sowie (2011), S. 11 f., Röver/Till (1969), S. 79, v. Albrecht (1988), S. 63: „Tacitus scheut direkte Stellungnahmen. Oft glaubt man, seine Stimme aus den Reden seiner Gestalten herauszuhören, aber wer gibt uns da letzte Gewissheit?“, und kritisch gegenüber einer Aufspaltung dissonanter textueller Stimmen Zymner (2006). Vgl. Lämmert (1980), S. 196: „In der direkten Personenrede tritt diese Spannung am offensten zutage. Der Erzähler erzählt den Gesprächsakt wie ein anderes Geschehen des äußeren Vorgangs. […] Diese Spannung zwischen der Aktstruktur und der Aussagestruktur des gesprochenen Wortes bewirkt die Mehrschichtigkeit des Erzählvorgangs in allen Bereichen der Personenrede.“ Vgl. Syme (1962), S. 256. 15,20,3–21,4.

3.4 Verwendungs- und Wirkungsformen von Reden

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Persönlichkeiten unterstreicht.568 „In a speech splendidly evoking old Roman standards“569 wird Thrasea als ebenfalls tendenziell konservativer, aber pragmatischer Realpolitiker charakterisiert. Doch während der eigentliche Rechtsfall des Angeklagten Claudius Timarchus und der diesbezügliche Strafantrag des Stoikers in einem knappen Redebericht, der dem Leser einen raschen Überblick über die Faktenlage gewährt, referiert wird, wechselt die indirekte Schilderung lediglich mittels eines eingeschobenen uerbum dicendi in die oratio recta über.570 Diese Variation der narrativen Distanz ist dabei sowohl aus formal-ästhetischen als auch inhaltlich-kompositorischen Aspekten betrachtenswert. Erstens wird nämlich durch die sukzessive Verringerung der Mittelbarkeit von der diegetischen zur mimetischen Darstellung Thraseas letzter imposanter Auftritt im Senat analog zu dessen eigener Anklage durch Cossutianus Capito vor Nero inszeniert, bei der sich der Delator geradezu stufenweise in seine Anschuldigungen hineinzusteigern scheint. In beiden formal aufeinander bezogenen Passagen erhöht der fließende Übergang von indirekter zu direkter Rede, der in den Nerobüchern nur an diesen beiden Stellen zu finden ist,571 nach Hilpert die Lebendigkeit der Gesprächssituation und, „statt daß der Leser sich in der gewohnten Distanz von den Dingen befindet, stehen diese durch die Kunst des Verfassers oftmals unvermittelt groß und gegenwärtig vor Augen. Aus Bildern treten einzelne Figuren plastisch hervor, geistiger Raum und Stimmung werden anschaulich.“572 Diese szenische Bildhaftigkeit stimuliert die imaginäre Teilhabe des Rezipienten an der jeweiligen Redesituation, vergrößert deren Einprägsamkeit sowie Erinnerbarkeit und schafft durch die Handlungspausierung einen lokalen Spannungshöhepunkt. Zweitens weicht Thrasea in seiner direkt wiedergegebenen Äußerung inhaltlich vom spezifischen Prozessanlass ab und stellt die historische sowie gegenwärtige Praxis in der Provinzialverwaltung allgemein gegenüber.573 Diese analeptische Betrachtungsweise einer diachronen Entwicklung von Institutionen erinnert einer568 Vgl. Koestermann (1968), S. 198. 569 Oakley (2009a), S. 191; vgl. Städele (1990), S. 119 f., der darin die auktoriale Grundhaltung erkennt. 570 15,20,1 f. exim Claudius Timarchus Cretensis reus agitur, …: una uox eius usque ad contumeliam senatus penetrauerat, quod dictitasset in sua potestate situm, an pro consulibus, qui Cretam obtinuissent, grates agerentur. quam occasionem Paetus Thrasea ad bonum publicum uertens, postquam de reo censuerat prouincia Creta depellendum, haec addidit: ‚usu probatum est, …‘. 571 16,22,1–5; vgl. Koestermann (1968), S. 381, der anmerkt, dass in Tacitus’ Werk neben hist. 4,42,2 f. nur hier eine Anklagerede in oratio recta übergeleitet wird, und dazu Anm. 527 sowie Röver/Till (1969), S. 79, Müller (2003), S. 265, Levene (2009a), S. 212, und Blänsdorf (2005–2006/2015), S. 314. 572 Hilpert (1947), S. 48. 573 Vgl. Schmich (1960), S. 95: „Die Person des Claudius Timarchus interessiert ihn (sc. Thrasea) dabei verständlicherweise nur am Rande. Nachdem er für ihn die Verbannung aus Kreta gefordert hatte, versucht er in einer ausführlichen Betrachtung, das Geschehene in einen größeren Zusammenhang einzuordnen, geht dann auf die tiefer liegenden Ursachen ein, […].“ Die angeführten historischen Beispiele beziehen sich nach Schmich (1960), S. 96, auf die lex Cincia, die lex Iulia de ambitu und die lex Calpurnia repetundarum. Vgl. hierzu auch Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 343.

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

seits thematisch an den Exkurs über die Verantwortlichkeit für die öffentlichen Rechnungsbücher, der ebenfalls von einem Gerichtsverfahren ausgeht.574 Andererseits besteht eine gewisse Ähnlichkeit zur Digression über das Theaterwesen in Rom, die als informelles Stadtgespräch mit zwei konträren, in oratio obliqua vorgetragenen Standpunkten fugenlos in die Haupthandlung integriert ist.575 Indem Hahn diese Präsentationsweise, in der deskriptive Beschaffenheit und didaktischer Gehalt eines Exkurses mit der Darstellungsform einer Rede kombiniert werden,576 treffend als taciteische Neuerung der narrativen Technik der Historiographie anerkennt,577 deutet sie bereits ein alternatives kompositionelles Verständnis von Thraseas Stellungnahme an. Denn der Stoiker beginnt zuerst mit einem informativen geschichtlichen Überblick über zentrale, innenpolitische Maßnahmen gegen die Willkür heterogener Personenkreise und knüpft daran unmittelbar einen lehrreichen historischen Rückblick bezüglich der Provinzialverwaltung mit einer abschließenden Empfehlung für die gegenwärtige Lage an. Die Eindeutigkeit der in der Rede verhandelten Thematik und die univoke Reaktion des intradiegetischen Publikums578 bieten dem Rezipienten weniger eine Diskussionsgrundlage als vielmehr durch die enorme Retardation der erzählten Zeit eine exkursartige Handlungsund Erholungspause. Diese kommt dem Leser als protagonistenspezifisches Interludium zwischen den beiden turbulenten Berichterstattungen aus Armenien der Jahre 62 und 63 n. Chr. zugute,579 die mit einem Rückzug der Römer aus den besetzten Gebieten und den hierzu diskrepanten Siegesfeierlichkeiten in Rom zwischenzeitlich ausgeblendet werden.580 Thraseas abschweifende Äußerungen halten also die außenpolitische Anspannung, welche die aus römischer Sicht desolate militärische Situation und die divergenten Informationsstände auslösen, über die bewusste innenpolitische Unterbrechung hinweg aufrecht, bis in Kapitel 15,24 Vologaeses’ Botschaften über das wahre Kräfteverhältnis in Armenien eintreffen. Zudem umrahmen die Auftritte des Stoikers das Jahr 62 und verzahnen dieses mit dem Anfang des darauffolgenden Jahresberichts,581 wodurch die ansatzlose Darlegungsausführlichkeit des Prozesses gegen Claudius Timarchus geschickt den Weitergang des armenischen Erzählstrangs verzögert und diese sowie die Handlungslinie der Leitfigur Thrasea Paetus’ spannungsgenerierend ineinander verwoben sind. Um die leserseitigen Erwartungen einer ästhetisch, affektiv und kognitiv ansprechenden Lektüre zu bedienen, vereinigt Tacitus somit grundlegende darstel574 13,29,1 f. mit Abschn. 2.5.1. 575 14,20,1–21,3 mit Abschn. 2.5.1. 576 Vgl. Schmid (2008), S. 8: „Ausschlaggebend für den deskriptiven oder narrativen Charakter des Textes ist nicht die Menge statischer oder dynamischer Segmente, sondern ihre Gesamtfunktion im Zusammenhang des Werkes. Und diese Funktionalität kann durchaus hybrid sein.“ 577 Vgl. Hahn (1933), S. 78: „[…], ist die Erfüllung dieser kombinierten überkommenen Formen mit den Materialien eines Exkurses Tacitus allein zuzuschreiben und eine derartige Einkleidung neu.“ 578 15,22,1 magno adsensu celebrata sententia. 579 15,1,1–17,3 bzw. 15,24,1–31. 580 15,17,3–18,1 f. 581 14,48,3, 15,20,2 bzw. 15,23,4; vgl. Pigón (2003), S. 149.

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lerische sowie gattungstraditionelle Elemente kunstvoll zu der neuartigen narrativ gelenken Hybridform eines Redeexkurses. Neben einer kontextuell strukturstiftenden Funktion trägt dieser vor allem zur Steigerung der Handlungsdramatik und des textuellen Immersionspotenzials bei, sodass kreative Anlage und planvoller Gebrauch dieses Gestaltungsmittels letztlich eine Korrektur von Koestermanns und Symes Ansichten, nach dem 14. Buch fehlten Exkurse und dies sei als ein Zeichen unzureichender Fertigstellung zu erachten, empfehlen.582 Servilias theatralischer Auftritt Wie sehr durch die direkte Rede die narrative Distanz minimiert und vor den Augen des Lesers eine äußerst ergreifende, plastische Szene erzeugt werden kann, veranschaulicht schließlich kaum eine Passage wirkungsmächtiger als der vor dem Senat verhandelte Prozess um Barea Soranus und seine Tochter Servilia, bei dem „in erschütternder Weise die liebevolle Beziehung dieser beiden Menschen zueinander zum Ausdruck (kommt).“583 Igitur accita est in senatum, steteruntque diuersi ante tribunal consulum grandis aeuo parens, contra filia intra uicesimum aetatis annum, nuper marito Annio Pollione in exilium pulso uiduata desolataque, ac ne patrem quidem intuens, cuius onerasse pericula uidebatur. Tum interrogante accusatore, an cultus dotales, an detractum ceruici monile uenum dedisset, quo pecuniam faciendis magicis sacris contraheret, primum strata humi longoque fletu et silentio, post altaria et aram complexa ‚nullos‘ inquit ‚impios deos, nullas deuotiones, nec aliud infelicibus precibus inuocaui, quam ut hunc optimum patrem tu, Caesar, uos, patres, seruaretis incolumem. sic gemmas et uestes et dignitatis insignia dedi, quo modo si sanguinem et uitam poposcissent. uiderint isti, antehac mihi ignoti, quo nomine sint, quas artes exerceant: nulla mihi principis mentio nisi inter numina fuit. nescit tamen miserrimus pater, et si crimen est, sola deliqui.‘ Loquentis adhuc uerba excipit Soranus proclamatque non illam in prouinciam secum profectam, non Plauto per aetatem nosci potuisse, non criminibus mariti conexam: nimiae tantum pietatis ream separarent, atque ipse quamcumque sortem subiret. simul in amplexus occurrentis filiae ruebat, nisi interiecti lictores utrisque obstitissent (16,30,3–16,32,1). Also wurde sie in den Senat gerufen und auf verschiedenen Seiten standen vor dem Tribunal der Konsuln der hochbejahrte Vater, gegenüber die Tochter im 20. Lebensjahr, die kürzlich dadurch, dass ihr Gatte Annius Pollio in die Verbannung getrieben worden war, verwitwet und vereinsamt war. Nicht einmal den Vater blickte sie an, für den sie die Gefahren vermehrt zu haben schien. Als sie der Ankläger dann verhörte, ob sie nicht den Brautschmuck, ob sie nicht die vom Hals abgenommene Kette verkauft habe, um Geld für magische Kulthandlungen aufzubringen, warf sie sich zuerst unter langem Weinen und Schweigen zu Boden. Daraufhin umfasste sie den Opferaufsatz des Brandaltares und sagte: „Keine bösen Dämonen rief ich an, keine Verwünschungen aus und auch nichts anderes erflehte ich mit unseligen Bitten, als dass du, Caesar, und ihr, Senatoren, diesen besten Vater unversehrt bewahrt. So gab ich Edelsteine, Kleider und die Kennzeichen meiner Stellung hin, wie wenn man Blut und Leben gefordert hätte. Diese da, die mir zuvor unbekannt waren, mögen zusehen, welchen Ruf sie haben, welche Künste sie ausüben. Ich erwähnte den Kaiser ausschließlich unter den göttlichen Mächten. Doch weiß der äußerst unglückliche Vater nicht davon und, wenn es ein Verbrechen ist, habe ich es allein begangen.“ 582 Vgl. Koestermann (1967), S. 290, sowie (1968), S. 63, und Syme (1967), S. 359. 583 Hauser (1967), S. 119; vgl. Marx (1937), S. 92, und Koestermann (1968), S. 400.

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz Die Worte der noch Sprechenden griff Soranus auf und schrie laut, dass jene nicht mit ihm in die Provinz aufgebrochen sei, mit Plautus aufgrund ihres Alters nicht bekannt werden hätte können und nicht in die Vorwürfe gegen ihren Ehemann verwickelt sei. Als Angeklagte nur einer allzu großen Frömmigkeit gegenüber dem Vater sollten sie ihren Prozess abtrennen, er selbst würde jedes beliebige Schicksal auf sich nehmen. Zugleich hätte er sich in die Umarmung der entgegeneilenden Tochter gestürzt, wenn nicht die Liktoren dazwischen getreten und beiden im Weg gestanden wären.

Der meisterliche Entwurf dieser singulären Szene, die sich durch einen Rückgriff auf die vermutlich dürftigen Senatsprotokolle beziehungsweise eventuell aus den Erinnerungen des Schwiegervaters Agricola theoretisch rekonstruieren ließ,584 und diese wohlgestaltete Rede, welche die noch nicht 20-Jährige vor dem versammelten Senat hält, veranlassen den Rezipienten zur Imagination einer detailreichen Bühne voll pathetischer Faszination für die folgende Handlung. Dieser befindet sich, wenn auch nicht in der Kurie, so doch an einem ihm wohlbekannten Ort, nämlich dem Tempel der Venus Genetrix,585 sitzt in den Reihen der Senatoren und muss zur völligen Passivität gezwungen die erschütternde Familientragödie aus einer durchgehend extern fokalisierten Miterlebensperspektive betrachten.586 Auf der einen Seite steht der greise Vater Soranus, grandis aeuo, auf der anderen durch das Tribunal der Konsuln getrennt die blutjunge Tochter, intra uicesimum aetatis annum. Auch diese wird expressis verbis mit ihrem Namen Servilia benannt,587 ihr trauriges Schicksal mittels einer summarischen Analepse verdeutlicht und Einblick in ihren verzagten, schuldbewussten Gemütszustand gewährt, um aufseiten des Rezipienten die Identifikationsbereitschaft, die Sensibilität und das Empathieerleben gegenüber ihrer Figur zu steigern, was sich positiv auf die Glaubwürdigkeit ihrer Rede auswirkt.588 Auf die Frage des Anklägers Ostorius nimmt der Leser in nahezu stillstehender, szenischer Darstellung zuerst Servilias Zusammenbruch, strata humi, sowie Wehklagen, longo fletu,589 wahr und kann verfolgen, wie sie langsam und noch ohne ein Wort ihre Fassung wiederfindet, silentio, um sich auf den Altar gestützt zum Schwur aufzurichten, post altaria et aram complexa.

584 Vgl. zu den vermeintlichen Quellen speziell bezüglich dieses Vorfalls Koestermann (1968), S. 400–402. 585 16,27,1. 586 Vgl. zu diesem Modus enormer Anteilnahme van Holt/Groeben (2006), S. 118–120, Köppe (2014b), S. 308, und Groeben/Christmann (2014), S. 346. 587 16,30,2 acciderat sane pietate Seruiliae (id enim nomen puellae fuit) … 588 Vgl. zum Effekt detaillierter Einführungen Blänsdorf (1994), S. 765, Pausch (2011), S. 216, sowie Surkamp (2000), S. 124: „Eine Figurenwelt, die aus der privilegierten Stellung eines übergeordneten Erzählers von vornherein als subjektiv verzerrte, nur mögliche Welt präsentiert wird, spielt bei der Suche der Leser nach einer adäquaten Deutung des Geschehens eine untergeordnete Rolle. Wirbt ein Erzähler hingegen um Zuneigung, Wohlwollen oder Anteilnahme für eine Figur, kann er die Glaubwürdigkeit dieser Figur und damit auch den Stellenwert der von ihr entworfenen Welten positiv beeinflussen.“ 589 Einen Überblick über alle Passagen in Tacitus’ Geschichtswerk, in denen weinende Protagonisten auftreten, bietet de Libero (2009), S. 222 f., wobei sich Servilias Tränen insofern von denjenigen anderer Figuren unterscheiden, dass diese zeitlich passend, nicht geheuchelt, aber erfolglos sind.

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Die dargelegte Plastizität des öffentlich-religiösen Verhandlungsraums, die lebensechte Schilderung der Gestik und des Verhaltens wie auch die annähernde Synchronie zwischen erzählter und Erzählzeit lassen dem Leser den Atem stocken, ihn um das Leben der Tochter bangen, während alles übrige, sogar Soranus scheinbar kurzzeitig gezielt ausgeblendet ist. Servilias direkte Rede vermittelt den Eindruck von Unsicherheit, aber von Aufrichtigkeit, von kindlicher Naivität und Furcht um den Vater, jedoch zugleich von dem unumstößlichen und beachtenswerten Willen, ihm beizustehen – wiederum ein ausgezeichnetes Testimonium von Tacitus’ psychologischem Einfühlungsvermögen.590 Doch sie kann ihre Ausführungen nicht beenden, da fällt ihr Soranus, der fürchtet, sie belaste sich selbst zu sehr mit ihrer Aussage, ins Wort, was sprachlich durch die Spitzenstellung des Partizips loquentis nachgeahmt wird, und übertönt sie. Mit diesem abrupten Handlungsimpuls, obgleich Tacitus seine Charaktere sonst immer aussprechen lässt, kehrt in das Standbild eine gewisse Dynamik zurück und vor den Augen des Rezipienten versuchen Vater und Tochter, sich gegenseitig in die Arme zu fallen, was die Liktoren gewaltsam unterbinden. In der Präsentation des Prozesses gegen Barea Soranus und dessen Tochter wird der Wille erkennbar, „das Geschehen in Bildern von zuweilen überwältigender Kraft vorüberziehen zu lassen und alle Einzelheiten farbig und lebendig nachzuzeichnen.“591 Die einzigartige, unterkühlte sowie beklemmende Atmosphäre der Senatssitzung ist für den Leser unmittelbar nachzuempfinden, die Bewertung der Charaktere eindeutig auktorial vorgeprägt und auch die affektiven Reaktionen von intrasowie extradiegetischem Publikum, nämlich einer Mischung aus tiefstem Mitgefühl für die unschuldigen Opfer und ohnmächtiger Wut gegenüber skrupellosen Anklägern sowie bestechlichen Zeugen, sind identisch.592 Eine emotionale Involvierung des Rezipienten sowie Herstellung realitätsnaher Anschaulichkeit stehen hier also offenbar im Vordergrund und gehen mit einer Herabsetzung des rationalen Urteilsvermögens einher.593

590 16,30,2 …, quae caritate erga parentem, simul imprudentia aetatis, …; vgl. Koestermann (1963), S. 10, sowie (1968), S. 12, und Kegler (1913), S. 58. 591 Koestermann (1968), S. 11; vgl. Christes (1990), S. 132: „(Die Reden) entfalten dennoch eine ungemeine Lebendigkeit und bringen dem Leser den jeweiligen Sprecher kaum weniger plastisch nahe, als wenn er auf einer Bühne vor ihm agierte.“ 592 16,32,2 et quantum misericordiae saeuitia accusationis permouerat, tantum irae P. Egnatius testis conciuit. cliens hic Sorani, et tunc emptus ad opprimendum amicum, … 593 Vgl. dazu Booth (1961/1974a), S. 114: „Aber für den Leser ist so lange nichts real, bis der Autor es realisiert, und es ist der Leser, um dessentwillen der Autor beschließt, diese Szene so eindringlich wie möglich zu gestalten.“, Hauser (1967), S. 120, Hausmann (2009), S. 143: „Tacitus versteht es zudem, den Leser geschickt auf der Gefühlsebene anzusprechen und somit dessen rationales Urteilsvermögen herabzusetzen.“, und dazu auch Teltenkötter (2017), S. 43.

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3. Perspektivenstruktur und narrative Distanz

Fazit Den in den Nerobüchern enthaltenen direkten Reden unterliegt insgesamt kein vordefiniertes, eindimensionales Wirkungs- beziehungsweise Rezeptionsschema, sondern diese werden gemäß ihres geschichtlichen Plausibilitätsstatus kontextspezifisch eingesetzt. Hierzu zählt zum einen eine akzentuierte Selbstcharakterisierung einiger Protagonisten anlässlich ihres dramatisch inszenierten Lebensendes durch pointierte persönliche Dikta, deren zunehmendes Auftreten in den Nerobüchern594 nach Schmidt und Mayer womöglich eine stärkere Berücksichtigung zeitgenössischer Literaturtendenzen und Leserneigungen wie den damals florierenden Gattungen der Biographie oder der exitus illustrium uirorum-Literatur andeutet.595 Zum anderen suggerieren ausführlich gestaltete reizvolle Redepartien dem Rezipienten, zu den intimsten Vertrauten sowie dem innersten Beraterstab des Kaisers zu gehören. Sie lassen ihn die gefühlserregende und kognitiv aktivierende Rhetorik beinahe unmittelbar sowie in szenischer Echtzeit miterleben und indizieren insbesondere einen Wechsel der faktischen politischen Entscheidungsgewalt vom Senat auf das kaiserliche Konsil. Der Wirkungsaspekt einer eigenen intensiven Reflexion über die verhandelten Inhalte tritt vor allem in Cassius’ tendenziöser und überzeichneter Rede anlässlich des Senatsprozesses aufgrund Pedanius Secundus’ Ermordung hervor, zumal deren diachrone thematische Relevanz eine geistige Aktualisierung im Rezeptionsakt geradezu evoziert. Bei Thraseas Strafantrag werden dessen kompositorische Bedeutung in Bezug auf heterogene Handlunglinien wie auch die künstlerisch-narrative Innovativität dieses Redeexkurses über eine verwaltungsrechtliche Entwicklung evident. Servilias Verteidigung vor dem Senat verdeutlicht hingegen das bravouröse psychologische Einfühlungsvermögen des Verfassers sowie die literarisch brillante Schaffung einer wirklichkeitsnahen Plastizität und eindringlichen Atmosphäre. Dies zielt vorrangig auf eine emotionale Involvierung des Rezipienten ab und lässt ihn gemäß Quintilians euidentia-Konzept imaginär an historischen Ereignissen als Augenzeuge teilhaben.596 Zur Erzeugung dieser enormen Anschaulichkeit dient in allen Textbeispielen neben der relativ unvermittelten Wiedergabe von Figurenrede einerseits eine spezielle Fokalisierung des Geschehens. Andererseits zeigt sich an Servilias Auftritt wie schon im vorherigen Abschnitt bei einigen orationes obliquae, dass gerade eine Erwähnung von Mimik und Gestik das Realitätsempfinden wesentlich erhöht. Hierfür genügen schon wenige illustrative Hinweise auf die Körpersprache, da der Rezipient durch sein umfassendes Kulturwissen, seine eigene Lebenserfahrung sowie seine mentale Vorstellungskraft zur 594 Vgl. Kegler (1913), S. 65, der konstatiert, „daß Tacitus in die Annalen mehr als noch einmal soviel Zitate eingeflochten hat als in die Historien“, und ebenfalls innerhalb der ‚Annalen‘ eine Weiterentwicklung bemerkt, sodass „in den Büchern 14 bis 16 […] nahezu noch einmal soviel Zitate als in den Büchern 1–6“ enthalten seien. In Livius’ Geschichtswerk fehlen derartige Apophthegmata hingegen gänzlich. 595 Vgl. Schmidt (1914), S. 39: „Maior pars ultimorum verborum, quae condimenti causa ficta sunt, in operibus biographicis similibusque invenitur.“, Mayer (2010a), S. 133–138, Schmal (2008), S. 118, und Anm. 171 (Kap. 1). 596 Vgl. Anm. 38.

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Komplettierung der fragmentarischen Situationsbeschreibungen imstande ist,597 wie Ihrig treffend konstatiert: „Die Darstellung des Körpers und der nonverbalen Verhaltensweisen einer Person dienen somit als literarisches Mittel, den Immersionsgrad des Erzählten zu heben, in dem der Leser nicht mehr nur unbeteiligter Zuschauer und Empfänger einer vorgegebenen Aussage ist, sondern eine deutlich aktivere Rolle erhält, da er ins Geschehen hineingezogen und durch sein Mitdenken und Miterleben maßgeblich an der Charakterisierung der Figuren beteiligt ist. Besonders bei der Schilderung atmosphärischer Stimmungen spielt die Beschreibung körpersprachlicher Verhaltensweisen eine wichtige Rolle, wenn es Tacitus weniger an einer Vermittlung objektiver Fakten gelegen ist als daran, sein Publikum in eine den historischen Akteuren vergleichbare Gefühlslage zu versetzen und die emotionale Wirkung der Ereignisse nachspüren zu lassen. Wie die Hörer einer Rede am ehesten zu den Affekten und Emotionen hingerissen werden, die sie auch beim Redner zu erkennen glauben, so werden auch die Leser eines narrativen Textes am wirkungsvollsten in die Stimmung der Akteure oder deren Zuschauer versetzt, wenn die literarische Schilderung vor ihrem inneren Auge ein Bild der Situation entstehen lässt.“598

Die empfundene Handlungsunmittelbarkeit und die dadurch initiierte intensive Verarbeitung der geschilderten Affekte ist nach Groeben und Christmann des Weiteren als eine zentrale Grundlage für die leserseitige Identifikation oder Distanzierung und damit für die Sympathielenkung bezüglich der intradiegetischen Protagonisten anzusehen, die positiv mit dem ästhetischen Lektüregenuss sowie der Aufmerksamkeitsspanne eines Rezipienten korreliert.599 Zuletzt wird nicht nur durch die Berücksichtigung von direkten Reden mit figuralen Sprecherinstanzen unterschiedlichen Geschlechts, differierender Altersstufen und verschiedener gesellschaftlicher Status sowie politischer Interessen eine Polyphonisierung der geschichtlichen Darstellung erreicht. Vielmehr vermittelt die Integration von Reaktionen des intradiegetischen Publikums, selbst wenn keine ausformulierte Antwort, sondern nur knappe summarische Hinweise darauf referiert werden, dem externen Adressaten ein modellhaftes Rezeptionsverhalten sowie neben dem offiziellen historisch tradierten ansatzweise auch einen inoffiziellen zeitgeschichtlichen Diskurs.600

597 Vgl. Ihrig (2007), S. 65 f., Jannidis (2004), S. 233 f., Hommel (1936), S. 126: „Aber Geste allein, noch so lebhaft in dramatische Bewegung gebracht, schüfe nur Pantomime, nicht Drama, und es ist klar, daß des Tacitus Darstellungskunst Bewegung und Wort verbindet, um dramatischen Effekt zu erzielen.“, und Walker (1952), S. 193: „Action and gesture are introduced as complements to the direct statements and forceful metaphors which express the minds of the characters.“ 598 Ihrig (2007), S. 64 f., und vgl. Blänsdorf (1994), S. 765 f. 599 Vgl. Groeben/Christmann (2014), S. 348. 600 Vgl. Schulz (2015), S. 182: „In seinem Narrativ beschreibt Tacitus nämlich einerseits einen offiziellen Diskurs. Hier äußern alle Kommunikatoren […] Inhalte, die von ihnen entsprechend den Regeln der herrschenden Machtverhältnisse erwartet werden. Zusätzlich inszeniert Tacitus aber durch die Erwähnung von Ungesagtem und Unsagbaren, nur Gedachtem und absichtlich nicht Ausgedrücktem einen inoffiziellen Diskurs.“

4. TEXTINHÄRENTE STRATEGIEN DER LESERAKTIVIERUNG Konkrete Zeugnisse zu Reaktionen zeitgenössischer Rezipienten auf die Lektüre der ‚Annalen‘ fehlen und in der Sekundärliteratur sind Berichte subjektiver Lektüreerlebnisse rar. Angesichts eines veränderten interkulturellen, anachronistischen sowie meist heuristisch fokussierten Textzugangs erlauben diese zudem nur eine näherungsweise, beispielhafte Einschätzung von Empfindungen und Reflexionsprozessen, die von der Darstellung über Neros Prinzipat induziert werden können.1 Das Wirkungspotenzial zur Erzeugung und Erhaltung einer leserseitigen Gemütshaltung affektiver Erregung und kognitiver Dissonanz ist also textbasiert aus Tacitus’ diesbezüglichen Äußerungen abzuleiten wie auch als diskursimmanente narrative Strategie zu beschreiben und zu analysieren.2 Die auktorialen Kommentare erscheinen insbesondere vor dem von Pausch aufgezeigten Hintergrund bemerkenswert, dass es für die Kategorie der Spannung zur Zeit der späten römischen Republik zwar keinen adäquaten Begriff sowie keine ausformulierte Theorie gebe. Eine Vorstellung von deren Bedeutung lasse sich aber aus dem spezifischen Wortfeld und den Bemerkungen zur exspectatio und curiositas sowie zur Bindung, tenere, des Lesers eines Geschichtswerks erschließen.3 Denn Tacitus invertiert das von Pausch vorgestellte semantische Spektrum an drei eingangs erwähnten Textpassagen gezielt und beklagt geradezu antonymisch überspitzt die ermüdende Fülle ähnlicher Vorfälle, fatiscere/fatigare beziehungsweise similitudo, die Langeweile, satietas, sowie das Überdrussempfinden, taedium.4 Im Gegensatz zu Livius strebt er jeweils explizit eine metanarrative Diskussion des natürlichen Spannungspotenzials seines zugrunde liegenden geschichtlichen Plots an,5 das er mit demjenigen seiner Geschichtsschreiberkollegen kontrastiert. Abge1

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Vgl. z. B. Vogt (1957/1960), S. 147: „Zumal in den letzten Büchern der Annalen, die das frevelhafte Treiben Neros auf dem Höhepunkt zeigen, werden unsere Nerven auf eine harte Probe gestellt.“, und insbesondere Kap. 1.2 sowie zu den Herausforderungen einer experimentellen historischen Spannungsforschung Ackermann (2008), v. a. S. 35–38. Vgl. Pfister (2001), S. 142, Ackermann (2008), S. 43, und Pausch (2011), S. 193. Vgl. Pausch (2011), S. 61 sowie S. 193 je mit Verweis auf Cic. fam. 5,12,5, Vitr. 5 praef. 1 bzw. Plin. epist. 5,8,4 (hier: Anm. 205 sowie Anm. 223 [je Kap. 1]). Zu berücksichtigen sind ferner Cic. part. 73 adhibendaque frequentius etiam illa ornamenta rerum, siue [quae] admirabilia siue nec opinata siue significata monstris prodigiis et oraculis …; omnis enim exspectatio eius qui audit et admiratio et improuisi exitus habent aliquam in audiendo uoluptatem., wie auch mit Fuchs (2000), S. 160 f., Quint. inst. 9,2,22 sed non numquam communicantes aliquid inexpectatum subiungimus, …, ut in Verrem Cicero: … deinde, cum diu suspendisset iudicum animos, subiecit quod multo esset improbius. hoc Celsus sustentationem uocat. 4,33,3, 6,7,5 bzw. 16,16,1 mit Anm. 206 sowie Anm. 218 (je Kap. 1). Vgl. Pausch (2011), S. 194: „Zwar fehlt bei ihm (sc. Livius) – wie auch in den Fragmenten der Historiker aus der Zeit der Republik – eine explizite Auseinandersetzung mit diesem Konzept als Teil der Darstellung, doch kann seine Verwendung leicht aus dem Text erschlossen werden.“

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4. Textinhärente Strategien der Leseraktivierung

sehen vom reizvollen Effekt einer proleptischen Ankündigung tragischer sowie fataler Geschehnisse offenbart er damit ein Bewusstsein für dessen aufmerksamkeitserregenden und -festigenden Gehalt.6 Außerdem wird neben zahlreichen Einzelergebnissen zur temporalen und lokalen Erzählordnung sowie zur Perspektivenstruktur und diegetischen Distanz vor allem in der narrativen Intervention anlässlich des Aufschubs der Bestrafung von Titius Sabinus’ Anklägern ein wohlbedachtes Spannungsmanagement auf Darstellungsebene erkennbar.7 In der neuzeitlichen Forschung gilt die Rezeptionserscheinung Spannung als „vielschichtiges, schwer zu fassendes Phänomen, das seine Wirkung in verschiedener Form und auf den verschiedensten Ebenen eines Werkes entfaltet“,8 wird als polyvalenter Oberbegriff für unterschiedlichste Varianten der Leseraktivierung verwendet und demgemäß mittlerweile äußerst heterogen und facettenreich konzeptualisiert, wie Junkerjürgen systematisch darlegt.9 Dabei bietet sich eine Differenzierung in eine „statische, auf Gegensätzen fußende Spannung“,10 die im englischen Sprachgebrauch häufig als ‚tension‘, und eine „dynamische, auf den Handlungsverlauf bezogene Spannung“11 an, die analog als ‚suspense‘ bezeichnet wird.12 Gerade die zweite für Erzähltexte spezifische Art wird einheitlich auf ein differenziell gestaltbares, leserseitiges Informationsdefizit zurückgeführt und je nach dessen strukturellem und narrativem Arrangement in verschiedene Spannungstypen untergliedert.13 Die daraus resultierenden theoretischen Kategorisierungen lassen sich trotz autorenindividueller Definitionen sowie Benennungen laut Ackermann überwiegend zwei differenten methodischen Zugängen zuweisen: Einerseits finde unter dem Leitkriterium des Informationsvorbehalts eine Unterscheidung in eine ‚Was-‘ beziehungsweise ‚Wie-Spannung‘,14 andererseits nach der Art und Weise der Informationsvermittlung in einen unvermittelten Überraschungseffekt (‚surprise‘), eine auf ein vorausgehendes Ereignis bezogene Rätselspannung (‚mystery‘) respektive eine auf zukünftiges Geschehen abzielende Erzählspannung (‚suspense‘) statt.15 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

Vgl. Abschn. 1.4.2. 4,71,1 und vgl. Kap. 2.1 insbesondere mit Anm. 18 f. Wenzel (2004), S. 181, und vgl. Wulff (1993), S. 97, sowie Ackermann (2008), S. 37. Vgl. Junkerjürgen (2002), S. 25 f., und Wulff (1993), S. 97: „Man begibt sich in ein Gewirr von inkompatibel scheinenden Bestimmungsstücken, die von verschiedensten Autoren benannt werden, wenn sie Spannung zu definieren versucht haben.“ Wenzel (2004), S. 181, und vgl. Fuchs (2000), S. 25 f., sowie Langer (2008), S. 17 f. Wenzel (2004), S. 181. Vgl. zu den Begriffen ‚tension‘ und ‚suspense‘ Fill (2007), S. 15 f. sowie S. 70 f., Wenzel (2004), S. 181, Langer (2008), S. 18, Brewer (1996), S. 113 f., Pfister (2001), S. 142, Fuchs (2000), S. 19, und Pausch (2011), S. 193 Anm. 11. Vgl. Martínez/Scheffel (2007), S. 151, Langer (2008), S. 12 f. sowie 25 f., Fill (2007), S. 16 sowie S. 78, und Wulff (1993), S. 97. Vgl. Ackermann (2008), S. 43 mit Verweis auf alternative Terminologien, Junkerjürgen (2002), S. 15 f., und ebenfalls Pausch (2011), S. 197. Vgl. Ackermann (2008), S. 43 f. wiederum unter Bezugnahme auf abweichende Ansätze, Wenzel (2004), S. 186 f. sowie S. 194, und Martínez/Scheffel (2007), S. 151–153. Die mit englischen Begriffen in Klammern angegebenen Konzepte nehmen hier definitorisch auf drei der vier Grundformen der Leseraktivierung nach Junkerjürgen (2002), S. 61–74, Bezug, wobei die vierte von diesem benannte Kategorie lediglich eine Kombination aus ‚mystery‘ und

4. Textinhärente Strategien der Leseraktivierung

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Da somit unbeeinflusst von der Wahl eines konkreten terminologischen Modells16 offensichtlich alle handlungsbezogenen Spannungsfacetten im Wesentlichen auf Basis des subjektiven Kenntnisstandes des Rezipienten operieren, ist das Spannungspotenzial von Erzählungen mit geschichtlichem Inhalt vorab fragwürdig. Denn das historische Geschehen und dessen Ausgänge sind beim zeitgenössischen römischen Publikum aufgrund seiner nachzeitlichen realen Existenz insbesondere bezüglich außenpolitischer Kriege, bei diesen wie auch neuzeitlichen Adressaten angesichts ihrer geschichtlichen Vorkenntnisse zumindest hinsichtlich zentraler und wirkmächtiger Ereignisse, wenn auch in heterogener Detailliertheit, so dennoch als skizzenartig bekannt anzunehmen.17 Abhängig vom persönlichen Wissenshorizont besteht demzufolge aufseiten des Lesers meist weniger Unklarheit darüber, was und mit welchem Resultat etwas geschehen ist, sondern vor allem Interesse daran, wie es zu den jeweiligen Vorfällen kam beziehungsweise wie der Geschichtsschreiber diese zueinander relationiert und deren Abfolge literarisch inszeniert. Eine solche Fokusverlagerung von der ‚Was-Spannung‘ auf die ‚WieSpannung‘ respektive damit einhergehend von der Makro- auf die Mikroebene sowie vornehmlich die Subtilitäten eines textuellen Diskurses,18 was als Rezeptionseffekt gerade bei mehrfacher Lektüre regelmäßig zu beobachten ist, führt jedoch weder zu einem gänzlichen Verlust noch einer eklatanten Reduzierung des leserseitigen ‚suspense‘-Empfindens. Dies legen psycholinguistische Studien mit Verweis auf unterschiedliche affektive und kognitive Erklärungsansätze nahe wie eine prinzipielle Wiederholbarkeit der latent ablaufenden empathischen Prozesse beziehungsweise der emotionalen Beziehungen zwischen Leser und Akteuren, eine subjektive Imaginierbarkeit der Ungewissheit des Handlungsausgangs, eine willentliche respektive unbewusste Suspendierung sowie eine partielle Erinnerbarkeit etwaiger Vorkenntnisse oder eine Substitution der Spannungs- durch alternative Erwartungshaltungen.19

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‚surprise‘ darstellt (S. 70–72) und entsprechend ihre Grund- und Eigenständigkeit mit Ackermann (2008), S. 46, anzuzweifeln ist. Wenn auch eine terminologische Gleichsetzung der drei modernen Begriffe mit den von Cicero in part. 73 verwendeten zu weit geht, erscheint eine phänomenologische Ähnlichkeit zwischen ‚surprise‘ und improuisi exitus, ‚mystery‘ und admiratio sowie ‚suspense‘ und exspectatio dennoch nicht zu negieren zu sein. Vgl. zu deren multivalenter Heterogenität sowie jeweiligen Ordnungs- und Synchronisierungsversuchen v. a. die Arbeiten von Junkerjürgen (2002), Fill (2007) und Ackermann (2008). Vgl. ebenso Pausch (2011), S. 195 f. Vgl. Langer (2008), S. 14 f., Wenzel (2004), S. 182 Anm. 3, Pfister (2001), S. 147, Ackermann (2008), S. 43, und Pausch (2010a), S. 196: „Möchte der Leser doch nicht nur wissen, wie sich etwas zugetragen hat, sondern das Bedürfnis nach kognitiver Erkenntnis geht Hand in Hand mit einem ästhetischen Interesse daran, wie es der Autor, dessen Version der Geschichte man gerade liest, wohl schildern wird.“, sowie ders. (2011), S. 198. Vgl. dazu grundlegend Brewer (1996), Carroll (1996), Gerrig (1989a), (1989b) sowie (1996) mit dem Hinweis auf diesen Effekt auch in nichtfiktionaler Literatur, und Köppe (2008). Vgl. insbesondere den zusammenfassenden Überblick von Junkerjürgen (2002), S. 63–65, ebenfalls Wenzel (2004), S. 185 f., ansatzweise van Holt/Groeben (2006), S. 123, Fuchs (2000), S. 43 f., S. 73 f. sowie S. 144 f., Grethlein (2013), S. 15, und mit Bezug auf die historischen Suasorien Senecas d. Ä. (1 f., 4–7) sowie Quintilian (inst. 3,8,17) Pausch (2011), S. 198 f. Vgl. zur Frage, wie emotionale Reaktionen auf fiktionale Erzählungen überhaupt zu

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4. Textinhärente Strategien der Leseraktivierung

Zum einen mindert eine etwaige Bekanntheit des Handlungsfort- oder geschichtlichen Ausgangs das textuelle Potenzial zur Evozierung von vorwärts gewandter ‚suspense‘ also lediglich geringfügig, das abgesehen von gelegentlich überraschenden und rätselhaften Effektnuancierungen als die grundlegende handlungsdynamische Form der Leseraktivierung in der römischen Historiographie anzusehen ist. Zum anderen wird nach den Maßstäben des antiken Konzeptverständnisses eine auktoriale Intention zu einer spannungsvollen Komposition der Erzählung deutlich.20 Demgemäß sollen nachstehend unter einer jeweils adäquaten phänomenologischen Terminologie spezifische Faktoren und narrative Strategien einer textbasierten Spannungsgenerierung untersucht werden. Zuerst werden unter dem statischen ‚tension‘-Begriff darstellungsbezogene Besonderheiten der Schilderung (Abschn. 4.1),21 dann Aspekte der Figurencharakterisierung fokussiert, die teilweise schon der ‚suspense‘ erzeugenden Technik einer identifikatorischen Perspektiven- beziehungsweise Empathieübernahme zuzuordnen sind (Abschn. 4.2).22 Daraufhin wendet sich die Betrachtung einer am themenspezifischen Vorwissen und leserseitigen Interesse orientierten Plotselektion anlässlich einer im Diskurs verbleibenden inhaltsbezogenen Rezipientenaktivierung zu (Abschn. 4.3). Eine Verlaufsspannungsanalyse der planvollen Strukturierung unter den technischen Gestaltungsmitteln der Retardation (Abschn. 4.4) und Antizipation (Abschn. 4.5) schließt dieses Kapitel ab.23 4.1 STATISCHES SPANNUNGSPOTENZIAL AUF DARSTELLUNGSEBENE 4.1.1 Leserseitige Effekte des sprachlichen und stilistischen Arrangements Als statische, handlungsferne Spannungsform, die schon von der phonologischen Ebene ausgelöst werden kann, ist ‚tension‘ zwar bis zu einem gewissen Grad in jedem Text zu entdecken und deren Wahrnehmung vom Rezipienten nur teilweise intentional steuerbar.24 Gerade angesichts einer durch das subjektive Vorwissen erklären sind, des Weiteren Farran (2014) sowie zum Verhältnis von Narratologie und kognitionswissenschaftlichen Ansätzen Eder (2003). 20 Vgl. dazu auch Pausch (2011), S. 197 sowie S. 199, und zur ebenfalls nicht inhalts-, sondern verlaufsbezogenen Grundspannung des vergilianischen Epos Fill (2007), S. 71. 21 Vgl. van Holt/Groeben (2006), S. 120 f., und Junkerjürgen (2002), S. 26. 22 Vgl. zum Konzept der Identifikation mit den beiden leserseitigen Wirkungsebenen der Distanzierung und Emotionalisierung als Spannungsfaktoren Pfister (1978), S. 21, Junkerjürgen (2002), S. 36–38 sowie S. 61, van Holt/Groeben (2006), S. 122, und Wenzel (2004), S. 183. 23 Vgl. Wenzel (2004), S. 182: „[…] Spannung (ist) ein Phänomen, das sowohl auf der Ebene der story als auch auf der Ebene des discourse angesiedelt ist.“, Junkerjürgen (2002), S. 11: „[…] mittlerweile ist es jedoch gelungen, Spannung sowohl als Leserreaktion zu definieren als auch als Textstrategie über inhaltliche, strukturelle und zeitliche Merkmale zu beschreiben.“, Fill (2007), S. 73, Wulff (1993), S. 98, und Pausch (2011), S. 191 f., der Retardation, Empathie und Antizipation als drei grundlegende Strategien der Spannungserzeugung ansieht. 24 Vgl. Wenzel (2004), S. 181, und Fill (2007), S. 21–23.

4.1 Statisches Spannungspotenzial auf Darstellungsebene

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reduzierten Finalspannung eines Geschichtswerks sowie der basalen Rhetorisierungstendenz der antiken Historiographie ist aber die sprachlich-stilistische Gestaltung als wesentliche Einflussfacette einer potenziellen Leseraktivierung zu erwägen. Dieser qualitativ-ästhetischen Komponente eines literarischen Werks könne nach Booth nämlich ein besonderes rezipientenseitiges Interesse und sogar ein vehementes Bestreben entgegenkommen, „jedes Muster oder jede Form vollendet zu sehen, oder aber das Verlangen, eine Weiterentwicklung von Qualitäten der verschiedensten Art zu erfahren.“25 Indem auch Fill feststellt, „Spannung in der Sprache (habe) mit Kreativität, mit Abweichung, mit Seltenheit und Markiertheit zu tun, damit auch mit Mangel an Natürlichkeit“,26 wird ein Verständnis der mannigfachen sprachlich-stilistischen Eigentümlichkeiten und artifiziellen Ausarbeitung von Tacitus’ Erzählung als werkinhärente Darstellungsstrategie anempfohlen. Deren leserbindenden Effekt deutet Plinius der Jüngere in einem seiner Briefe an Lupercus an27 und deren Wirkung fassen van Holt sowie Groeben unter dem Schlagwort „Artefakt-Emotionen“.28 Weil der faszinierende taciteische Sprach- und Stilgebrauch bereits Gegenstand vielfältiger, umfassender Einzeluntersuchungen ist,29 kann das Augenmerk von einer eigenständigen differenzierten Identifikation ungewöhnlicher Elemente und Figuren einerseits auf eine Beschreibung von deren spezifischem statischen Spannungsgehalt sowie Beitrag zur Erzeugung von ‚Artefakt-Emotionen‘ verschoben werden. Dies greift andererseits auch ein von Klingner wie auch Hartke formuliertes Desiderat auf,30 nämlich wie „das Wesen der Sprache eines Autors mit dem Wesen seiner Darstellung zu einer Einheit verbunden (ist).“31 Dabei ist die von der Forschung teilweise angenommene Stilentwicklung über das literarische Schaffen hinweg bezüglich der vorliegenden effektbezogenen Fragestellung zu vernachlässigen. Denn auch wenn spezielle Abweichungen zwischen einzelnen Werken sowie -abschnitten hinsichtlich der Verwendung gewisser Wörter und Konstruktio-

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Booth (1961/1974a), S. 129. Fill (2007), S. 16. Plin. epist. 2,5,7 adnisi certe sumus, ut quamlibet diuersa genera lectorum per plures dicendi species teneremus, … Van Holt/Groeben (2006), S. 120 f.; vgl. Groeben/Christmann (2014), S. 348, und zur Bedeutung der sprachlichen Basis historiographischer Werke auch White (1978/1986), S. 129 f. Dennoch ist trotz aller plausiblen Wirkungspotenziale keineswegs auszuschließen, dass einige Rezipienten die sprachliche Gestaltung einer Historiographie als anstößig empfinden, wie dies Dionysios’ von Halikarnass vehementes Urteil über Polybios belegt (comp. 4,30); vgl. dazu Malitz (1990), S. 337, und Pausch (2011), S. 54 f. Grundlegende und facettenreiche Detailergebnisse bieten Eriksson (1934), Sörbom (1935), Seitz (1958), Kuntz (1962), Sirker (1871), Draeger (1874), Knoke (1925), Heubner (1964), Kohl (1959), Enghofer (1961), Borzsák (1991) und v. Albrecht (1995), S. 182– 189. Überblicksartig äußern sich Haase (1855), S. 64, Koestermann (1963), S. 45–48, Syme (1967), S. 340–352, Borzsák (1968), Sp. 496–504, Oakley (2009b), S. 195–211, Goodyear (1970), S. 35–42, Martin (1981), S. 214–235, Morford (1990), S. 1625, Sage (1990), S. 1024–1028, und Schmal (2011), S. 88–95 sowie S. 190–192. Vgl. Klingner (1955), S. 188, und Hartke (1959), S. 181. Hartke (1959), S. 181.

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4. Textinhärente Strategien der Leseraktivierung

nen auffällig sein mögen,32 ist die Diktion der Nerobücher insgesamt nicht nur weiterhin als hinreichend elaboriert und taciteisch,33 sondern mit Adams als Ausdruck von „Tacitus’ desire to maximize the effectiveness of his language“34 anzusehen. Lexikalische, grammatische und figurale Spannungsfaktoren Gemäß einer für die Silberne Latinität charakteristischen Tendenz nach erlesener Variation und bewusster sprachlicher Divergenz wird unter anderem eine poetische Ausdrucksweise mit epischem Kolorit, die sich vor allem an Vergil und Lukan anlehnt, keineswegs gemieden35 und vorzugsweise entlegene, nicht durch allzu häufigen Gebrauch abgegriffene Wörter eingesetzt.36 Dies äußert sich insbesondere in einer Zurückweisung präziser Bezeichnungen für republikanische Einrichtungen und einer generellen Abneigung gegenüber lateinischen Abstrakta, technischen, politischen sowie philosophischen Bezeichnungen und Gräzismen.37 Präferiert werden hingegen Verbalsubstantive und Nomina mit dumpf tönenden Endungen auf -tor, -men, -mentum sowie -tudo, und uerba simplicia.38 Falls composita vorkommen, wird – soweit heute überlieferungsbedingt nachvollziehbar – vielfach auf 32

Vgl. für einen knappen Überblick Eriksson (1934), S. 3–7 sowie S. 104–108, Syme (1967), S. 358–362, S. 723, S. 725 sowie S. 738–742, Koestermann (1965a), S. 28 f., Walker (1952), S. 158, Rademacher (1975), S. 232 f., Suerbaum (2015), S. 564, Woodcock (1939), S. 4 sowie S. 11–14, Löfstedt (1948/1969), S. 89–103, Sage (1990), S. 1028 f., kritisch Sörbom (1935), S. 135 f., und Adams (1972) mit einer kurzen Übersicht, S. 350, sowie dem Fazit, S. 373 wie auch (1974), S. 323, dass die von der älteren Forschung postulierte Stilveränderung auf Grundlage eigener Untersuchungsergebnisse in einem solchen Maße nicht nachweisbar ist. Gegen die Annahme eines stilistischen Verfalls sprechen zudem die Befunde Kohls (1959), S. 119, Rademachers (1975), S. 237 sowie S. 243, und Kirchners (2001), S. 53. 33 Vgl. Koestermann (1968), S. 11: „Tacitus ist in der Beziehung so ‚taciteisch‘ geblieben, wie das in den früheren Teilen der Annalen der Fall war.“, und Benario (2012), S. 115: „The Latin of these books, therefore, is much simpler. We must not, however, claim a return to Ciceronian standard, for this is not the case.“ 34 Adams (1972), S. 351. 35 Vgl. Rademacher (1975), S. 34 sowie S. 69 f., Syme (1967), S. 142 f., S. 346 sowie S. 357, Kuntz (1962), S. 62–65, Draeger (1874), S. 114, Enghofer (1961), S. 155, Schanz/Hosius (1935), S. 636, Walker (1952), S. 74 f., Koestermann (1963), S. 47, Sage (1990), S. 1026, Joseph (2012), S. 370 f., und Goodyear (1970), S. 39. Vgl. zum Einbezug poetischer Formulierungen ferner dial. 20,5 … siue locus exquisito et poetico cultu enituit. exigitur enim iam ab oratore etiam poeticus decor, non Acci aut Pacuui ueterno inquinatus sed ex Horati et Vergili et Lucani sacrario prolatus. 36 Vgl. Goodyear (1970), S. 36: „He requires dignity, economy, and sometimes novelty: whatever seems flat or commonplace is, if possible, excluded. His vocabulary is an amalgam of traditional and modern elements, the product of endless experiment.“, und die konträren Empfehlungen Lukians hist. conscr. 44 f. 37 Vgl. Koestermann (1963), S. 47, Syme (1967), S. 343 f., Goodyear (1970), S. 36 f., Reitzenstein (1926), S. 5, Riess (2003), S. 221, Schmal (2011), S. 91, Walker (1952), S. 62, und Kuntz (1962), S. 66 sowie S. 106. 38 Vgl. Kuntz (1962), S. 108–118, Eriksson (1934), S. 11–13 sowie S. 35 f., Draeger (1874), S. 9 f., Syme (1967), S. 341, Schmal (2011), S. 91, Seitz (1958), S. 12–15, und Koestermann (1963), S. 48.

4.1 Statisches Spannungspotenzial auf Darstellungsebene

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Binnenassimilationen verzichtet und die Konjunktiv Imperfektformen der Kopula esse werden regelmäßig, wenn auch in den Nerobüchern etwas seltener, durch forem etc. ersetzt.39 Hinzu treten verschiedene grammatikalische Irregularitäten im Vergleich zum Kasusgebrauch der klassischen Prosa.40 Indem diese beispielhaft angeführten lexikalischen und morphologischen Eigentümlichkeiten mit ihrer abwechslungsreichen Andersartigkeit den gewöhnlichen sprachlich-stilistischen Normen widerstreben, tragen sie nach Quintilian einerseits zu einer Vermeidung von leserseitigem Überdruss bei.41 Andererseits erzeugt und steigert eine absichtlich sowie passend angewandte, gesuchte Diktion mit poetischen Anklängen nach Ciceros Meinung die würdevolle Sublimität der Darstellung,42 die Plinius der Jüngere als spezifisches Merkmal auch der rednerischen Auftritte seines senatorischen Freundes betont.43 Zudem spiegelt sich darin nicht nur deutlich der stilistische Einfluss des historiographischen Vorbilds Sallust, der als rerum Romanarum florentissimus auctor (3,30,2) gepriesen wird,44 sondern trotz des von Quintilian rehabilitierten, in der flavischen und trajanischen Epoche vorherrschenden klassizistischen Ideals das Fortwirken eines unterschwelligen Archaismustrends wider. Dieser kehrt „das Einfache und Ungekünstelte, das Herbe und Kraftvolle archaischer Werke (hervor), was gerade in einer Zeit verfeinerter Kunst und umfassend ausgebildeter technischer Vorschriften seine Wirkung nicht verfehlte“45 und dem Zeitgeschmack des Literaturpublikums entgegenkam.46 Ferner erkennt O’Gorman in der bewussten Ablehnung korrekter Termini republikanischer Institutionen und deren konsequenter, oftmals umständlicher Umschreibung, die einem zeitgenössischen Adressaten aufgrund seiner lebensweltlichen Vertrautheit nicht verborgen bleiben konnte, versteckte Hinweise auf deren 39 40 41 42

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Vgl. Seitz (1958), S. 29, Schmal (2011), S. 90, Goodyear (1970), S. 41, und Suerbaum (2015), S. 564. Vgl. Eriksson (1934), S. 21–31, und Draeger (1874), S. 17–33. Quint. inst. 10,1,31 ideoque et uerbis remotioribus et liberioribus figuris narrandi taedium euitat. Cic. de orat. 3,153 tria sunt igitur in uerbo simplici, quae orator adferat ad inlustrandam atque exornandam orationem: aut inusitatum uerbum aut nouatum aut translatum. inusitata sunt prisca fere ac uetustate ab usu cotidiani sermonis iam diu intermissa, quae sunt poetarum licentiae liberiora quam nostrae; sed tamen raro habet etiam in oratione poeticum aliquod uerbum dignitatem. … aut alia multa, quibus loco positis grandior atque antiquior oratio saepe uideri solet. Plin. epist. 2,11,17 respondit Cornelius Tacitus eloquentissime et, quod eximium orationi eius inest, σεμνῶς. Vgl. Flach (1973b), S. 44 f., Oakley (2009b), S. 196, Benario (2012), S. 116, Koestermann (1963), S. 47, sowie (1968), S. 11, Sage (1990), S. 1024, Walker (1952), S. 74, Rüpke (1997), S. 147, Reitzenstein (1926), S. 5, Hartke (1959), S. 181, Schanz/Hosius (1935), S. 635 f., Tenney (1935), S. 342, Röver/Till (1962), S. 10 f., Syme (1967), S. 342, S. 351 f., S. 502 sowie S. 733, Kuntz (1962), S. 159, Schmal (2011), S. 89, Adams (1972), S. 353, Woodman (1988), S. 168, Holztrattner (1995), S. 12, und Goodyear (1970), S. 37 f., sowie (1982), S. 650 f. Steinmetz (1982), S. 29. Vgl. Ax (1990), S. 146: „[…] – im Einklang mit dem literarischen Geschmack seiner Zeit, in der sich kein Geringerer als Tacitus anschickte, Geschichte im Stil des Sallust zu schreiben.“, Steinmetz (1982), S. 28 f., und Kraus (2000), S. 175.

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4. Textinhärente Strategien der Leseraktivierung

sukzessive Entwertung sowie mangelnde definitorische Passung hinsichtlich veränderter gesellschaftlicher und politischer Umstände.47 Auf diesen von der Wortwie auch Satzebene ausgehenden Spannungseffekt macht ebenfalls McCulloch im Zusammenhang seiner Betrachtung inkonzinner Bezeichnungen und Syntagmen aufmerksam, wobei er urteilt: „The world is out of synch, and his (sc. Tacitus’) use of inconcinnitas both comments on this state of affairs and serves to wrench the reader out of normal modes of thought and into one in which the linguistic and syntactic gyrations recreate the chaotic events of the times. By incongruous, and often jolting, expressions, Tacitus thus demonstrates ‚how things happened‘ in history.“48

Angemerkt wird von mehreren Interpreten außerdem, dass vor allem in szenischen Textpassagen, denen ihrer Meinung nach aufgrund eines unvorstellbaren geschichtlichen Detailreichtums und einer überzogenen persönlichen Intimität eine geringere Faktizität zuzuschreiben sei, eine abundantere sprachlich-stilistische Ausarbeitung vorliege, um deren offensichtliche Fingiertheit zu überdecken. Im absichtlich gelenk und prägnant angelegten, summarischen Erzählerbericht seien rhetorische Mittel Lukians Empfehlung gemäß hingegen kaum zu finden.49 Diese zu Recht beobachtete Spannung zwischen der durch eine reichhaltige formale Gestaltung suggerierten und der tatsächlichen Historizität begreift Walker als Authentifizierungsstrategie.50 Demgegenüber gelingt es Rademacher, diese unter zusätzlicher Bezugnahme auf die jeweiligen narrativen Modi exakter als gegensinnige Bewegung zwischen dem Ausprägungsgrad der sprachlichen Sublimität und der durch spezielle Perspektivierungs- sowie Erzählverfahren vermittelten Distanz zu beschreiben und fruchtbar als Verfremdungstechnik zu interpretieren. Seiner Ansicht nach führe dies dazu, dass die geschilderten Ereignisse aufgrund einer gesteigerten Sprachmächtigkeit ihrer geschichtlichen Gebundenheit enthoben würden und den Charakter des Exemplarischen erhielten, wodurch implizit eine basale historiographische Intention verwirklicht werde.51 Damit legt Rademacher für den tacite47 48 49

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Vgl. O’Gorman (2000), S. 20 f.: „Tacitus portrays a new state from which the old values are absent and in which the vocabulary of the republic is perverted to a new use.“, Goodyear (1970), S. 37, sowie (1982), S. 652, und Sörbom (1935), S. 16. McCulloch (1991), S. 2947, und vgl. Syme (1967), S. 347, Kraus/Woodman (1997), S. 111, Oakley (2009b), S. 198, sowie O’Gorman (2000), S. 14. Lukian. hist. conscr. 44; vgl. Walker (1952), S. 55 f., Flach (1973b), S. 28 f., Näf (2010), S. 120, Koestermann (1963), S. 46: „Von frivolem Wortgeklingel ist bei ihm nichts zu spüren, und von den rhetorischen Figuren hat er – abgesehen von Antithesen, Chiasmus und Assonanz, mit denen er stärkste Wirkungen erzielt – nur sparsamen Gebrauch gemacht.“, und Rademacher (1975), S. 68: „Auch hat Tacitus nur einen kleinen Kreis rhetorischer Figuren häufiger verwendet, nämlich Anapher, Alliteration, Chiasmus, Asyndeton. Untersuchen wir die einzelnen Erzählteile auf deren Vorkommen, so muß festgestellt werden, daß im Bericht weitgehend auf sie verzichtet wird, nicht aber in der szenischen Darstellung und vor allem nicht im Bild.“ Vgl. Walker (1952), S. 160: „His technique always becomes most elaborate where his facts are weakest. Where he is on certain grounds his style becomes direct, terse, and forceful, and though he may introduce some rhetorical or poetic colouring this is done straightforwardly, without eccentricity.“ Vgl. Rademacher (1975), S. 70, und auch Joseph (2012), S. 370: „The poeticus decor that Tacitus brings into his writing is seldom mere decoration.“, Syme (1967), S. 345: „[…] vivid or

4.1 Statisches Spannungspotenzial auf Darstellungsebene

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ischen Diskurs ansatzweise das Prinzip einer systematischen Entautomatisierung des sprachlichen Schemas dar, einem ‚Foregrounding‘ im Sinne van Holts und Groebens, das zwei scheinbar gegenläufige Tendenzen zu vereinigen vermag. Zwar wird dem Rezipienten an entsprechenden Passagen die Literarizität und Fiktivität des Texts ins Bewusstsein gerückt. Dies führt aber nicht zu einer Minderung der Lektüreattraktivität, sondern bewirkt, dass einzelne Stellen wegen ihres reichen statischen Spannungsgehalts als auffälliger und affekterregender erlebt werden, was positiv mit deren Erinnerbarkeit korreliert.52 Spezifische narrative Dreigliedrigkeit Auch wenn gattungsgemäß im Allgemeinen eine Zurückhaltung im Gebrauch rhetorischer Figuren zu konstatieren ist, wird dennoch eine auffällige Dreigliedrigkeit im neronischen Werkabschnitt deutlich erkennbar, bisher allerdings nicht diskutiert.53 Dies betrifft keineswegs die Frage einer möglichen Buchkomposition in Triaden, sondern die Figur des Trikolons soll als regelmäßig und auf verschiedenen Ebenen operierende narrative Struktur aus drei gedanklich zusammenzuordnenden Elementen verstanden werden. Hiermit steht nicht die oftmals rein ornative Verwendungsweise derartiger mehrgliedriger Stilmittel im Vordergrund, über die sich Seneca der Ältere amüsiert, obgleich diese in der Rhetorik der frühen Kaiserzeit als beliebt und publikumswirksam galten.54 Vielmehr finden sich neben vornehmlich als Wortfiguren schmuckreichen, poly- oder asyndetischen dreifaktoriellen Aufzählungen55 auch Formen der Dreigliedrigkeit auf syntaktischer beziehungsweise struktureller Ebene, die die Erzählaussage weiten und -tektonik stützen. Ein dreiteiliges Schema wird zur facettenreichen direkten Charakterisierung von Personen angewandt, wie bei Vatinius’ abrupter Einführung oder auch anlässlich von Subrius Flavus’ beschuldigendem Ausruf, in dem er Nero in einer Klimax der Niederträchtigkeit als Verwandtenmörder, Bühnenkünstler und Brandstifter beschimpft.56 Auch bei Handlungsbegründungen von Protagonisten werden exakt unusual words for dramatic effect in the narration, but a much quieter vocabulary in the speeches.“, sowie S. 350: „The most direct and easy form of the Tacitean discourse is found in the speeches.“, und Adams (1973), S. 124: „But probably in speeches, both direct and indirect, that Tacitus most diverges from his normal narrative style.“ 52 Vgl. van Holt/Groeben (2006), S. 127 f., Schmitz (2002), S. 35, Groeben/Christmann (2014), S. 345, und Rademacher (1975), S. 35 sowie S. 70. 53 Vgl. Anm. 49, wobei weder Koestermann noch Rademacher das Trikolon überhaupt erwähnt. 54 Sen. contr. 9,2,27 et illud tetracolon: seruiebat forum cubiculo, praetor meretrici, carcer con­ uiuio, dies nocti. nouissima pars sine sensu dicta est, ut [in] impleretur ‹numerus›; quem enim sensum habet ‚seruiebat dies nocti‘? hanc ideo sententiam rettuli, quia et in tricolis et in omnibus huius generis sententiis curamus, ut numerus constet, non curamus, an sensus; vgl. Adams (1972), S. 354. 55 Vgl. z. B. für polysyndetische Trikola 14,3,1, 3,3, 7,2, 17,1, 15,41,1, 57,2, 58,1, 16,24,2, 26,3, 31,2 bzw. für asyndetische 13,57,3, 14,6,1, 47,1, 15,19,2, 48,1, 54,1, 57,1, 58,2, 71,1, 16,13,1, 28,3. 56 15,34,2 bzw. 15,67,2; vgl. Hauser (1967), S. 58.

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4. Textinhärente Strategien der Leseraktivierung

drei potenzielle Motive erwogen, und zwar beispielsweise für Othos Heirat mit Poppaea oder auch Plautus’ Überlegungen, sich der bevorstehenden Ermordung durch die vom Kaiser entsandten Schergen nicht zu widersetzen.57 Weiterhin finden sich dreistufige Ereignisfolgen, die eine Figur einerseits wie bei Othos angeordneter Versetzung in die Provinz Lusitania schrittweise und deeskalierend aus dem Geschehensmittelpunkt entschwinden,58 andererseits einem Handlungsziel sukzessive und mit bewusst spannungserzeugenden Retardationen näherkommen lassen. So dringt der Freigelassene Milichus, nachdem er zuerst von den Wächtern, daraufhin von Epaphroditus aufgehalten worden ist, erst in dritter Instanz zu Nero vor, um bei diesem die geplante Verschwörung anzuzeigen.59 Resultiert die Dreigliedrigkeit hier jeweils aus einer relativ unmittelbaren Verbindung einer entsprechenden Anzahl an Syntagmen, so lassen sich des Weiteren zahlreiche kompositionelle Trikola in der Erzählung identifizieren. Der Kaisermutter werden während der ersten Konfrontationen mit Nero genau drei wörtliche Äußerungen in formaler Klimax zugewiesen,60 wohingegen mit ihrem Tod wie auch mit Subrius Flavus’ Ermordung je drei direkte Aussprüche verknüpft sind.61 Ferner erhalten Sulla und Plautus exakt drei Auftritte, wobei jeweils ihr letzter mit ihrer gewaltsamen Beseitigung endet.62 Gemäß dieser Analogie erscheint es folgerichtig, dass beide ebenso wie Octavia nach ihrem Ableben brutal enthauptet und die drei Köpfe nach Rom zum Kaiser gebracht werden,63 dessen absteigende Charakterentwicklung zudem drei konkret benennbare Stufen aufweist.64 Schließlich folgen mit Suillius’ Prozess, Octavius Sagittas Liebesaffäre und Poppaeas Handlungseinführung zum einen, Sullas Verbannung, Cassius’ vehementem Vorgehen in Puteoli und Thraseas unnachgiebiger Haltung bezüglich der Anfrage der Syrakusaner zum anderen je drei markante und in sich abgeschlossene Einzelepisoden direkt aufeinander.65 Angesichts dieser nicht erschöpfend, aber prototypisch angeführten Exempla scheint die häufige Verwendung der Dreizahl – zumindest in zahlreichen Einzelfällen – nicht ausschließlich in einem unbewussten Streben nach harmonischer Komposition begründet zu sein. Vielmehr wird der Leser durch diese eingängige narrative Gliederungstechnik dazu angehalten, Parallelen zwischen vergleichbaren Ereignissen und ähnlichen Verläufen aufzudecken sowie geschichtliche Zusammenhänge herzustellen. Wird die Dreigliedrigkeit von diesem als implizite Anordnungsstrategie wahrgenommen, kommt ihr zugleich ein latentes Spannungspotenzial zu. 57 58 59 60 61 62 63 64 65

13,45,4 bzw. 14,59,1. 13,46,3. 15,55,1; vgl. dazu Koestermann (1968), S. 284: „Tacitus verschmäht keine Einzelheit, um dem dramatischen Charakter des Geschehens gerecht zu werden.“ 13,13,1, 13,14,2 f., 13,21,2–5; vgl. Anm. 396 (Kap. 3). 14,8,4 f., 14,9,3 bzw. 15,67,2, 15,67,4; vgl. Abschn. 3.4.3 und Koestermann (1968), S. 41–43. 13,23,1, 13,47,1–3, 14,57,4 bzw. 13,19,3–22,2, 14,22,1–3, 14,58 f.; vgl. Pfordt (1998), S. 150 f. 14,57,4, 14,59,2, 14,64,2; vgl. Pfordt (1998), S. 149, Scott (1982), S. 43, Holztrattner (1995), S. 89, und Murgatroyd (2008), S. 266. Vgl. Anm. 350 (Kap. 2). 13,42 f., 13,44, 13,45 bzw. 13,47, 13,48, 13,49.

4.1 Statisches Spannungspotenzial auf Darstellungsebene

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Denn unabhängig davon, ob die etwaige Suggestion einer analogen Situation oder Fortsetzung erfüllt beziehungsweise enttäuscht wird, versetzt die diesbezügliche Ungewissheit den Rezipienten in einen kognitiven Erwartungszustand, steigert dessen Interesse für den Handlungsweitergang und festigt die Lektürebindung. Mikrospannungsfacetten syntaktischer breuitas Während Plinius der Jüngere in einem an Tacitus gerichteten Brief66 wie auch Quintilian mit Bezug auf Sallusts Geschichtswerk67 das Stilkriterium der breuitas für eine Rede als ungeeignet erachten, bietet sich dieses jedoch nach beider Meinung als gefällige Gestaltungsform für eine Historiographie an.68 Dabei hat laut Voss „der Verzicht auf Entbehrliches […] zur Folge, daß die übrig bleibenden Begriffe näher aneinanderrücken und aufeinanderstoßen, ohne daß Vermittelndes dazwischentritt“,69 und Hanssen ergänzt, dass breuitas vom „Leser eine Konzentration derjenigen des Verfassers entsprechend und eine rege Aufmerksamkeit für die kleinsten Eigentümlichkeiten des Stiles fordert, wenn er die ganze Summe davon, was in diesen ebenso kurzen wie inhaltsschweren und ausdrucksstarken Perioden zusammengedrängt ist, greifen will.“70 Die Zitate der zwei Literaturwissenschaftler heben zum einen den kognitiven Reibungseffekt, der durch ein vehementes Aufeinandertreffen heterogener Wortgruppen oder Satzteile evoziert wird, zum anderen die enorme syntaktische Kondensierung der thematischen Aussage hervor, die den Rezipienten zu einer verständnisorientierten und gradatim -entwickelnden, gesteigerten geistigen Aktivität veranlasst. Bezüglich der unverwechselbaren taciteischen breuitas, die durch den regelmäßigen Ausfall sämtlicher Kopulae und sogar anderer Prädikatsformen begünstigt wird,71 zeigt sich der erste Aspekt unter anderem in einer prägnanten und spannungsvollen Wiedergabe augenblicklicher Gemütsstimmungen und grundlegender Charakterzüge. Mit antithetischer Schärfe wird beispielsweise in der Formulierung maerens Burrus ac laudans (14,15,4) Burrus’ unbefriedigende Gefühlslage, zu Neros bösem Spiel eine gute Miene machen zu müssen, erfasst72 und auch Agrippi66 67

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Plin. epist. 1,20, der vollständig diesem Thema gewidmet ist, wie der Briefanlass erkennen lässt: frequens mihi disputatio est cum quodam docto homine et perito, cui nihil aeque in causis agendis ut breuitas placet. Quint. inst. 4,2,45 quare uitanda est etiam illa Sallustiana (quamquam in ipso uirtutis optinet locum) breuitas et abruptum sermonis genus: … bzw. 10,1,32 itaque, ut dixi, neque illa Sallustiana breuitas, qua nihil apud aures uacuas atque eruditas potest esse perfectius, apud occu­ patum uariis cogitationibus iudicem et saepius ineruditum captanda nobis est, … Plin. epist. 1,16,4 idem tamen in historia magis satisfaciet uel breuitate uel luce uel suauitate uel splendore etiam et sublimitate narrandi. Voss (1963), S. 43, und vgl. Moore (1903), S. 5 f., sowie Hartke (1959), S. 184. Hanssen (1933), S. 348. Vgl. Draeger (1874), S. 97–101, Moore (1903), S. 7, Sörbom (1935), S. 151–160, Enghofer (1961), S. 102, Syme (1967), S. 347, Oakley (2009b), S. 198, und Steinmetz (1982), S. 134. Vgl. Woodcock (1939), S. 104: „Notice the inimitable literary skill with which Tacitus, by means of these two epithets attached to Burrus, a decent man, manages to characterize Nero

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nas innerliches Befinden nach Britannicus’ Ermordung in einem unmittelbaren Kontrast zum Ausdruck gebracht – quamuis uultu premeretur, emicuit (13,16,4). Zudem kann Faenius Rufus nach seiner plötzlichen Enttarnung durch Scaevinus weder sprechen noch schweigen, non uox aduersum ea Faenio, non silentium (15,66,2), sowie das Wechselbad der Gefühle in Octavius Sagittas und Pontias letzter Liebesnacht am treffendsten mit schroffen Gegensatzpaaren beschrieben werden: ut adsolet in amore et ira, iurgia preces, exprobratio satisfactio (13,44,3).73 Mit einem diese Exemplareihe abschließenden Verweis auf Poppaeas Handlungseinführung ist Voss darin also zuzustimmen, dass parallel strukturierte, zweigliedrig-antithetische Anordnung, asyndetische Reihung knapper, vielfach pointierter Aussagen gerade zur direkten Charakterisierung angewandt werden.74 Die aus einer derartigen Darstellungstechnik entstehende Spannung strebt nach passgenauer, nuancierter Auflösung in der Vorstellung des Rezipienten und schafft einen intellektuellen Leseanreiz. Zweitens wird durch eine dominante Verwendung von Partizipialkonstruktionen unter Favorisierung des Ablativus absolutus eine stilistische breuitas der Berichterstattung intendiert, die zugleich eine augenfällige Vielschichtig- und Mehrdeutigkeit des Geschehens unterstreicht.75 Hierdurch kann der Handlungsverlauf in äußerst knapper, geraffter und kurzweiliger Form fortgesetzt oder auch mit wenigen eindrucksvollen Worten rasch abgeschlossen werden. Seitz und Kohl konstatieren dabei eine stärkere Ausprägung des Nachtragstils, „dem Grundelement der taciteischen Satzbildung und Wesensmerkmal eines neuen Stils“,76 in „lebhaft analysierend erzählenden“ sowie in „charakterisierend und analysierend erzählenden“77 Textpartien und demgegenüber eine Marginalisierung dieses sprachlichen Phänomens in indirekter und direkter Rede.78 Dies legt einen gezielten, erzählökonomisch plausiblen Einsatz dieser verkürzenden Präsentationsweise in eher narrativen Kontexten nahe, wohingegen tendenziell mimetisch geschilderte Passagen nahezu keine Satznachträge aufweisen, was ihnen eine vom Leser wahrnehmbare, formal exponierte Stellung sowie größere Sublimität hinsichtlich der Diktion verleiht.79

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and his times in such a way that there is no more to be said.“, und Koestermann (1968), S. 56: „Die Kopula bezeichnet weit eindrucksvoller seine widerstreitenden Gefühle als eine Adversativpartikel.“ Vgl. Koestermann (1967), S. 323. 13,45,1–3; vgl. Voss (1963), S. 75, der allerdings das obige Beispiel übergeht. Vgl. Enghofer (1961), S. 1, S. 99 sowie S. 103, Seitz (1958), S. 51 f., Rademacher (1975), S. 65, Schmal (2011), S. 92, und Koestermann (1967), S. 264: „Das Vordringen des Abl. abs. in allen seinen Abarten gehört zu den auffälligsten sprachlichen Erscheinungen des 13. Buches […]. Dem Bedürfnis des Tacitus nach Komprimierung des Ausdruckes kam diese syntaktische Form wie keine andere entgegen.“ Seitz (1958), S. 53. Kohl (1959), S. 106, sowie vgl. S. 8 und Seitz (1958), S. 56. Vgl. Seitz (1958), S. 56, Kohl (1959), S. 106 f. sowie S. 113, und Enghofer (1961), S. 10 sowie S. 99. Diese unabhängige Beobachtung stimmt mit den Positionen der Sekundärliteratur in Anm. 50 f. überein.

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Außerdem ist häufig entgegen sprachlicher Konventionen sogar eine Verschiebung der Kernaussage einer Periode in die gedanklich subordinierte und strukturell nachfolgende Partizipialkonstruktion zu bemerken, wobei die „Hinterlastigkeit des taciteischen Satzes Schicht um Schicht des Hintergrundes eines Ereignisses oder einer Tat freilegt.“80 Die ungewohnte Gewichtung des Satzschlusses wird nicht nur geschickt dazu eingesetzt, um die Aufmerksamkeit des Lesers mit Nachdruck auf den Inhalt dieser Nachträge zu lenken. Vielmehr zeichnet ein assoziativ sowie stufenweise verlaufender Gedankengang einen kontinuierlichen Enthüllungs- und Verständnisprozess nach, den der Rezipient mitverfolgen kann und durch den er temporär in einen Anspannungszustand versetzt wird, zumal die Nachträge nicht selten unvorhersehbare Reaktionen von Protagonisten, unerwartete Handlungsperipetien oder pointierte auktoriale Kommentare bergen können.81 Mangels einer in der Antike festgeschriebenen Interpunktion wahrt die resultierende innere Spannungsdynamik ferner unter Anwendung einer jeweils an semantischen Sinneinheiten orientierten Taktung und Geschwindigkeitsvariation durch überlegt eingeschobene Atempausen sowie einer gekonnten Akzentsetzung eine mündliche Vortragsoption.82 Dieser steht die regelmäßige, bewusste Vermeidung klassischer Klauseln an Periodenschlüssen nicht entgegen, sondern entspricht einerseits dem von Quintilian und Lukian angeratenen, flüssigen Sprachduktus einer Historiographie.83 Andererseits rhythmisieren eigenwillige Betonungen sowie originelle Invertierungen gewöhnlicher Muster Tacitus’ Prosa markant und verlangen nach einer erhöhten Konzentrationsleistung aufseiten des Zuhörers.84

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Klug (1979), S. 270; vgl. dazu Draeger (1874), S. 90 f., Woodcock (1939), S. 12, Kohl (1959), S. 117, Enghofer (1961), S. 40, Koestermann (1963), S. 48, O’Gorman (2000), S. 4, und Christes (1990), S. 135, der darin ein Mündlichkeitselement erkennt, das Nähe zwischen Autor und Leser suggerieren soll. 81 Vgl. Klingner (1955), S. 190–193, Morris (1969), S. 27 f. sowie S. 31, Syme (1967), S. 367, O’Gorman (2000), S. 6, Seitz (1958), S. 54: „Der Leser geht auf einer Geraden, ohne zu wissen, wann und wo diese endet.“, sowie S. 203, und Kohl (1959), S. 117: „Manchmal sind die Sätze so angelegt, daß der Leser nach dem eigentlichen Satz dessen Aussage noch nicht verstehen kann und gewissermaßen vor einem Rätsel steht, dessen Auflösung dann erst die Nachträge bringen. Im Nachtrag findet sich dann besonders gern pointierte oder sarkastische Diktion.“, sowie S. 119 f. 82 Vgl. Kohl (1959), S. 119 Anm. 1 mit Verweis auf umgangssprachliche Einflüsse, ähnlich Hartke (1959), S. 191, der aber dennoch eher mit Lesern rechnet, Meyer-Kalkus (2006), S. 359 und mit Überlegungen zur Lautstilistik S. 372 f., Näf (2010), S. 117, und Heldmann (2011), S. 27: „Da Literatur in der Antike in der Regel mit der Stimme gelesen, also auch akustisch rezipiert wurde, waren die sprachlichen und stilistischen Mittel so einzusetzen, dass der ‚Text‘ ebenso wie bei einer Rede nicht nur als intellektuelles, sondern auch akustisches, und sinnliches Vergnügen, ja musikalische Harmonie genossen werden konnte.“ 83 Quint. inst. 9,4,18 sowie Lukian. hist. conscr. 46; vgl. Näf (2010), S. 114. 84 Vgl. Koestermann (1963), S. 56, Borzsák (1968), Sp. 504 f., Sage (1990), S. 1026: „There appears to be studied avoidance of Ciceronian phraseology and rhythms in the historical works.“, und McDonald (1975/1991), S. 231: „To destroy the regular rhythm was to throw a reader off his balance.“ Vgl. zur Musikalisierung von Prosa auch Meyer-Kalkus (2006), S. 361 sowie S. 363.

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Fazit Die auf Wort- und Satzebene aufgezeigten Charakteristika des Sprachgebrauchs sowie die stilistische Gewandtheit vermögen den Rezipienten mittels ihrer artifiziellen Erhabenheit und entfalteten Ästhetik zu begeistern. Diese typisch taciteische Kunstprosa zeichnet sich nach Koestermann durch „Pathos, Ernst und Würde mit einer stark rhetorischen Färbung“85 und laut Kraus als „dazzling, challenging Latin that demands repeated readings“86 aus. Trotz überlieferungsbedingt eingeschränkter Nachvollziehbarkeit87 überwindet diese singuläre sprachlich-stilistische Gestaltung gewiss die rudem uetustatem88 der literarischen Vorläufer, sodass sie damals wie heute als intentionale Innovation anzusehen ist, „a development of all the potentialities of words to startle, impress, fascinate and move the listener.“89 Ihre einzigartige Unverwechselbarkeit dient nicht nur als formaler Rechtfertigungsgrund und zur bewussten Abgrenzung des eigenen gegenüber früheren Geschichtswerken, sondern für den Adressaten insbesondere als augenblickliches und eindeutiges Erkennungskriterium der spezifischen Autorschaft. Ferner regt die stete Interdependenz zwischen den gewählten Oberflächenstrukturen und dem zugrunde liegenden semantischen Gehalt eine intensive, kognitiv und affektiv involvierende Auseinandersetzung an.90 Diese führt „zu einer Durchbrechung von Verarbeitungsroutinen, zu erhöhter Aufmerksamkeit und zu einer veränderten emotionalen Textverarbeitung“,91 um jeweils das spannungsvolle Verhältnis verständnisfördernd zu dekonstruieren und dessen mehrschichtige und tiefgründige Bedeutungshaftigkeit adäquat zu erschließen.92 Durch ein wohl 85

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Koestermann (1963), S. 48; vgl. Eriksson (1934), S. 2: „Der im Vergleich mit dem ciceronianischen Latein kurze und zugleich pathetische, durch eine Menge kühner Konstruktionen und Neubildungen charakteristische, rhetorische Stil, der uns besonders in den Ann. begegnet, verdient ganz und gar den Namen taciteisch.“ Kraus (2000), S. 180; vgl. Benario (2012), S. 118: „There is no question but that Tacitus’ style is hard and frequently difficult to understand; even many Romans must have found it so.“, sowie Kenney (1982), S. 30, zu Rezeptionsschwierigkeiten eines Lesers in der Antike. Vgl. Tarrant (2016), S. 69, Martin (2009), S. 242: „In view of these circumstances readers may wonder how sure they can be that the modern Latin text that faces them reproduces the author’s ipsissima uerba.“, und zur desolaten Überlieferungslage der kaiserzeitlichen Historiographie allgemein auch Klingner (1958), S. 195, sowie Sage (1990), S. 1025. Liv. praef. 2 (vgl. Anm. 193 [Kap. 1]). Walker (1952), S. 53; vgl. Goodyear (1970), S. 35: „Tacitus created a very personal and uniquely powerful medium of expression, and yet his creation is in no way outlandish or merely idiosyncratic, but largely formed by further extension of possibilities of brevity, pregnancy, and expressiveness developed by his predecessors.“ Vgl. O’Gorman (2000), S. 21: „The difficulty of Tacitus’ text exhorts the reader to try harder, and to fight for the legitimation of her reading.“, Gehrke (2006), S. 396: „Wir haben es mit einer Diktion zu tun, mit Sätzen und Formulierungen, über die man stolpert, die einen zum Nachdenken zwingen, auch dazu, noch einmal zu lesen und jedenfalls ganz genau hinzusehen.“, und Rademacher (1975), S. 149. Van Holt/Groeben (2006), S. 129. Vgl. auch Heubner (1964), S. 133 sowie S. 148, und Blänsdorf (2005–2006/2015), S. 299: „Sein oft eigenwilliger und schwieriger Stil ist […] direkter Ausdruck seines historischen Erkennens, das nicht den schnellen, sondern den langsamen, nachdenklichen Leser sucht.“

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komponiertes Maß an obscuritas, zu der oftmals abrupte und unverbundene gedankliche Übergänge innerhalb wie auch zwischen einzelnen Perioden beitragen, werden die entstehenden und aufzufüllenden Leerstellen nach Schanz und Hosius „der Phantasie des Lesers […] überlassen, (um) die dem Gemälde fehlenden Striche zu ergänzen, was einen eigentümlichen Reiz ausübt.“93 Zwar können hierbei auch „Komplexvorstellungen, Assoziationen und Affekte erzeugt (werden), die das Urteilsvermögen überrumpeln und ohne vernünftige Prüfung (die) vom Redner gewünschten Vorstellungen“94 hervorrufen. Diese suggestive Technik, der sich scheinbar kein Rezipient entziehen kann, sollte aber nicht ausschließlich eingleisig als Komponente zur gezielten Meinungsmanipulation, sondern eher als offenbar überaus effektive, basale Erzählstrategie einer mentalen Leseraktivierung und -beteiligung angesehen werden.95 Indem bei dieser „die Dramatik des Stils […] Ausdruck der inneren Dramatik (ist)“,96 wie Klingner und Klug zu Beginn des 13. Buchs darlegen,97 besitzt die immanente Spannung das Potenzial zu einem besonderen Rezeptionsanreiz, einem exquisiten Lesegenuss sowie einer andauernden Lektürebindung. Die taciteische Prosa sei somit „für offene und gebildete Ohren das Vollkommenste, brauche freilich Zeit und Ruhe für das Verständnis (und sei) für ein Geschichtswerk […] gerade das Rechte“,98 wie Hartke schließlich nicht unpassend Quintilians Bewertung des sallustianischen Stils auf denjenigen Tacitus’ überträgt. 4.1.2 Vielsagende Zwischentöne Humor, Ironie und Sarkasmus als Aspekte einer ausgewogenen Unterhaltungsdistanz Zu den schon betrachteten sprachlich-stilistischen Eigenschaften der Erzählung treten regelmäßig spezifische Nuancierungen hinzu, die eine Reichweite von einem deutlich spöttischen Unterton bis zu blankem Zynismus aufweisen und nicht selten zu einer pointierten Wendung verarbeitet sein oder einen didaktisierenden sentenziösen Charakter besitzen können. Die jeweiligen Elemente bergen eine situationsbezogene, statische Spannung zwischen ihrem wörtlichen semantischen Gehalt und einem spezifisch konnotierten Beigeschmack respektive möglicherweise sogar einer kontradiktorischen Sinngebung, deren Intention sich gelegentlich erst aus 93 94 95 96 97 98

Schanz/Hosius (1935), S. 635; vgl. Woodcock (1939), S. 13, Waddell (2013), S. 484, sowie Woodman/Powell (1992), S. 213. Welskopf (1961), S. 361. Vgl. Ryberg (1942), S. 390, diese aufgreifend Sinclair (1991), S. 2803, Welskopf (1961), S. 361 f., Walker (1952), S. 65 f. sowie S. 158, Hausmann (2009), S. 144, und kritisch Fox (2014), S. 553. Klingner (1955), S. 199. Vgl. Klingner (1955) und Klug (1979), dazu Koestermann (1963), S. 48, und Martin (1981), S. 226. Hartke (1959), S. 182; vgl. Anm. 67.

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4. Textinhärente Strategien der Leseraktivierung

dem Kontext, bei aufmerksamer Lektüre der Passage oder retrospektiv vom Rezipienten vernehmen lässt.99 Bemerkenswert ist vor allem eine überwiegend dunkel gefärbte Humorisierung des Geschehens, die zwischen latenter Ironisierung und bitterem Sarkasmus changiert. Beispielsweise wird der Terminus technicus der feierlichen Niederlegung eines integer geführten öffentlichen Amtes, eiurare (13,14,1), im Zusammenhang mit Pallas’ von Nero angeordneter Entlassung aus dessen Funktion als a rationibus ironisiert verwendet.100 Auch bei Pallas’ späterer Anklage erzeugt dessen Rechtfertigung, niemals ein Wort mit seinen Hausangehörigen zu wechseln, sondern sich nur mittels Hand- oder Schriftzeichen mit diesen zu verständigen, beim Leser eine überaus skurrile, aber unterhaltsame Vorstellung von dessen Privatleben.101 Weiterhin enthält die auktoriale Feststellung manebat nihilo minus quaedam imago rei publicae (13,28,1) aufgrund ihrer kontextuellen Einbettung in die überwiegend von Nichtigkeiten ausgehenden Streitreden im Senat eher einen parodierenden als anerkennenden Unterton.102 Ebenso zielt Cassius’ Kommentar vorrangig auf eine milde, geistvolle Pervertierung der weltfremden, überzogenen Vorschläge seiner Kollegen ab, als der Jurist die Adulationsbestrebungen des Senats ad absurdum führt, indem er aufzeigt, dass ein ganzes Kalenderjahr nicht für die enorme Anzahl an gebührenden Dankfesten ausreichen könne.103 Suillius trägt demgegenüber abgesehen von einer ausdrucksstarken Metapher für Senecas umfangreiche Geldgeschäfte mit einer maßlosen Untertreibung seiner Erwerbstätigkeit sowie finanziellen Verhältnisse zur Erheiterung bei.104 Ferner ist Poppaeas Gewohnheit, bei jedem Verlassen des Hauses ihr Gesicht teilweise zu verhüllen, damit die Männer nicht genug von ihr bekämen, ebenso abwegig105 wie Neros Idee, der ganzen Welt Abgaben und Steuern zu erlassen. In dieser Szene herrscht zudem ein zynischbissiger Grundton anlässlich der Weltfremdheit des Prinzeps wie auch der schmeichlerischen und lächerlichen Reaktion des Senats vor.106 Außerdem sind die finalen Worte von Agrippinas Verteidigungsrede vor der erlauchten Untersuchungskommission um den Prätorianerpräfekten Burrus mit 99 100 101 102 103

104 105 106

Vgl. Fill (2007), S. 109–111, umfassend zu Ironie und Sarkasmus bei Tacitus Kegler (1913), und O’Gorman (2000), S. 11 zu einer begrifflichen Bestimmung von Ironie. Vgl. des Weiteren Köhnken (1973), S. 33, Baldwin (1977), S. 128, sowie McCulloch (1991), S. 2947 f. Vgl. Koestermann (1967), S. 259, und Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 169. 13,23,2 …, respondit nihil umquam se domi nisi nutu aut manu significasse, uel, si plura demonstranda essent, scripto usum, ne uocem consociaret; vgl. Flach (1973b), S. 170, und zur Person Pallas auch Plin. epist. 7,29 sowie 8,6. Vgl. Anm. 250 (Kap. 2) sowie Walker (1952), S. 91. 13,41,4 …, utque inter festos referretur dies, quo patrata uictoria, quo nuntiata, quo relatum de ea esset, aliaque in eandem formam decernuntur, adeo modum egressa, ut C. Cassius de ceteris honoribus adsensus, si pro benignitate fortunae dis grates agerentur, ne totum quidem annum supplicationibus sufficere disseruerit, …; vgl. Nörr (1983), S. 218, Kegler (1913), S. 44, und Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 208. 13,42,4 Romae testamenta et orbos uelut indagine eius capi, Italiam et prouincias immenso faenore hauriri: at sibi labore quaesitam et modicam pecuniam esse. 13,45,3 rarus in publicum egressus, idque uelata parte oris, ne satiaret aspectum, uel quia sic decebat. 13,50,1–3; vgl. Schmal (2008), S. 111, sowie (2011), S. 94.

4.1 Statisches Spannungspotenzial auf Darstellungsebene

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Kenntnis ihrer später vom Sohn veranlassten Ermordung persifliert. Dadurch haftet ihnen insbesondere angesichts der Endposition beim letzten Auftritt der Kaisermutter vor deren temporärer Handlungsabsenz und Beseitigung gewissermaßen eine prospektivische, fatale Komponente an.107 Agrippinas Meldung, die sie von dem Boten Agermus an ihren Sohn überbringen lässt, benignitate deum et fortuna eius euasisse grauem casum (14,6,2), strotzt ebenfalls vor sarkastischer Zweideutigkeit, weil sie gerade durch das persönliche Glück des Kaisers errettet sein will, mit dessen Hilfe sie nach Anicetus’ Ansicht hätte ermordet werden sollen – nihil tam capax fortuitorum quam mare (14,3,3).108 Die leserseitige Imagination von dessen triumphalem Einzug als publici seruitii uictor (14,13,2) nach dem Muttermord ist letztlich eine herbe Parodie sämtlicher moralischer Grundsätze par excellence109 und entbehrt in konservativen zeitgenössischen Leserkreisen ebenso wenig einer zynischen Vorstellung und Bewertung wie die die Vorurteile der sonst gräkophoben Römer bewusst verkehrende Erwähnung, ganz Rom trage während der ersten Neronia griechische Tracht.110 Resignierter Sarkasmus ist darüber hinaus den Berichten über Sullas und Plautus’ posthume Entfernung aus dem Senat und der Verurteilung von Plautus’ Angehörigen nach ihrem Tod zu entnehmen.111 Bei diesen wird nämlich „die ironische Gegenüberstellung der faktischen Verhältnisse und der offiziellen Ausdrucksweise[,] (zu) eine(r) Gegenüberstellung von enthüllender Wirkung“,112 wie Köhnken treffend konstatiert. Hingegen ist bei der beleidigenden Antwort einer Magd Octavias an Tigillinus auch für den Rezipienten eine zynische Genugtuung zu verspüren.113 Der sich darin widerspiegelnde Hohn steht dem der sarkastischen, beinahe schadenfreudigen auktorialen Umschreibung der Geburt von Neros Tocher als mortale gaudium (15,23,1) nicht nach, zumal wenig später tatsächlich der Tod des

107 13,21,5 ‚…, sed ea crimina obiciant, quibus nisi filio absolui non possim.‘ und vgl. 14,8,4 …, sin facinus patraturus, nihil se de filio credere; non imperatum parricidium. 108 Vgl. Koestermann (1968), S. 36, Woodcock (1939), S. 91, Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 240, Wilsing (1964), S. 110 Anm. 40, und Luke (2013), S. 218 mit Verweis auf Anklänge an die offizielle Terminologie auch bei Sueton (Nero 34,3). Zum Verständnis der fortuna bei Tacitus vgl. allgemein Pöhlmann (1910), S. 15 f., Kroymann (1952/1969), v. a. S. 141 f., Schanz/Hosius (1935), S. 633, Cousin (1951/1969), S. 110, Kröger (1940), S. 38 f., Walker (1952), S. 46, S. 245 sowie S. 249, Flach (1973b), S. 51 f., Davies (2004), S. 170–176, Schmal (2006), S. 250, Vielberg (2000), S. 179, und mit Bezug auf 6,22 Häussler (1965), S. 385 sowie S. 387–389, und Kroymann (1952/1969), S. 148 f. 109 14,13,2; vgl. Kegler (1913), S. 46, Kröger (1940), S. 23, Scott (1974), S. 110, Luke (2013), S. 208, und Baldwin (1977), S. 136. 110 14,21,4 Graeci amictus, quis per eos dies plerique incesserant, tum exoleuerunt; vgl. Baldwin (1977), S. 138, und Schmitzer (2005), S. 338: „Rom ist unter dem Principat zum Theater geworden.“ 111 14,59,4 bzw. 16,11,3; vgl. Marx (1937), S. 90, und Hauser (1967), S. 87, die ebendies als Indiz „der fortschreitenden Grausamkeit und Entmenschlichung des Tyrannen Nero“ bezeichnet. 112 Köhnken (1973), S. 35, und vgl. Schmal (2008), S. 111. 113 14,60,3 …, plures perstitere sanctitatem dominae tueri; ex quibus una instanti Tigillino castiora esse muliebria Octauiae respondit quam os eius.

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4. Textinhärente Strategien der Leseraktivierung

Säuglings vermeldet wird.114 Ein für die Zeitumstände bezeichnendes und eine vernünftige menschliche Existenz gewissermaßen gezielt karikierendes Paradoxon stellt es schließlich dar, wenn nach Meinung des Autors ein pestbedingtes vorzeitiges Verscheiden einem freudlosen Dasein unter Neros Regime vorzuziehen ist.115 Zwar zielt diese Exemplareihe nicht auf Vollständigkeit ab, die angesichts der Vorwissensbedingtheit und interindividuellen Abhängigkeit des subjektiven Komik- und Ironieempfindens nicht zu erreichen ist, und sind einzelne Abstufungen der jeweiligen Zwischentöne nach Keglers Ansicht aufgrund der Verschriftlichung anders als beim gesprochenen Wort nicht mit letzter Präzision zu differenzieren.116 Aber dennoch wird evident, dass die Palette der in der Erzählung enthaltenen Schattierungen von einer urbanen Witzigkeit über eine oftmals bedeutungsträchtige Ironie bis zu einem derben, parodierenden Zynismus reicht. Nach Schmals zutreffender Einschätzung dient diese dazu, mit feinem Gespür die „allzu triviale Realität aufzulockern, Hintergründe aufzutun, die Phantasie zu beschäftigen (und eine) kritische Distanz zum Geschehen einzunehmen.“117 Der letzte Aspekt gilt vor allem für eine deutliche Abgrenzung des an den Einzelfall adaptierten auktorialen Esprits von Neros geschmackloser und pervertierter Albernheit, der Sullas und Plautus’ abgeschlagene Häupter auf niedrigstem Niveau verspottet und sich dadurch selbst mehr als die Ermordeten diskreditiert. Bezüglich der verschiedenen Nuancierungen erkennt Booth zudem ein einheitliches, besonders leserwirksames Effektpotenzial darin, dass der Rezipient eine Identifikation von etablierten Zwischentönen anstrebe, die seiner Meinung nach anderen Lesern verborgen blieben. Falls er diese aufgefunden habe, fühle er sich aufgrund seines tieferen Verständnisses der Geschichte einer symbolischen, metanarrativen Gemeinschaft zugehörig, in der er sich von denjenigen, welche die impliziten Indizien vermeintlich nicht auslegen können, mit einem wohligen Gefühl der geistigen Überlegenheit sowie des persönlichen Erkenntnisgewinns abhebe.118 Die integrierten spannungsreichen Schattierungen stiften also insgesamt neben ihrem Unterhaltungswert eine autoreflexive Darstellungsdistanz und intensivieren die Lektürebindung. Pointierte Kommentierung der Geschichte Als zugespitzte Formulierungen mit einer unerwarteten gedanklichen Wendung und häufig spöttisch-aggressiver Tendenz bergen die für die frühkaiserzeitliche Literatur typischen Pointen, die vor allem in der diesem Aspekt gewidmeten Arbeit von Voss eingehend betrachtet werden, aufgrund ihrer sprachlichen Struktur und 114 15,23,1–3; vgl. Kegler (1913), S. 47 sowie S. 51 f., Bartera (2012), S. 172, und zur terminologischen Bezugnahme des uterus der Poppaea auf denjenigen der Agrippina Ihrig (2007), S. 356. 115 16,13,2 equitum senatorumque interitus, quamuis promiscui, minus flebiles erant, tamquam communi mortalitate saeuitiam principis praeuenirent. 116 Vgl. Kegler (1913), S. 4. 117 Schmal (2011), S. 94. 118 Vgl. Booth (1961/1974b), S. 41 sowie S. 53.

4.1 Statisches Spannungspotenzial auf Darstellungsebene

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ihres korrespondierenden semantischen Gehalts ein außerordentliches Spannungspotenzial.119 So berichtet der Schlusssatz von Kapitel 13,5, ita specie pietatis obuiam itum dedecori, einerseits pointiert die geschickte Vermeidung eines diplomatischen Affronts durch Senecas rasche Intervention. Andererseits enthält er mit Blick auf das verbreitete geschichtliche Vorwissen, dass Nero seine Mutter zu töten und deren gewaltsame Beseitigung mittels pietätvoller Gesten zu verbergen beabsichtigt,120 eine sarkastische vorausweisende Komponente. Diese wird durch poetisches Kolorit, eine prägnante Ausdrucksweise sowie artifizielle Wortstellung unterstrichen, sodass Betensky treffend zusammenfasst: „It reflects the ambiguity of the relationship with her, bringing out the incongruity between the friendly gesture and the underlying hostility, between the victory and defeat that take place in the encounter and the hugs und kisses that mask them.“121 Zudem wird nicht nur die bedrückende Atmosphäre bei Britannicus’ Ermordung mit dem finalen Wort des entsprechenden Kapitels laetitia (13,16,4),122 sondern auch nach dem Schiffsattentat auf Agrippina deren einziges Interesse trotz größter Lebensgefahr, nämlich sich Acerronias Testament überschreiben zu lassen, mit dem wertenden Zusatz id tantum non per simulationem (14,6,3) konterkariert.123 Ebenfalls sind Burrus’ Doppelrolle als Angeklagter und Richter in einer Person,124 die retrospektive Feststellung, die mangelhafte Disziplinierung des eigenen Heeres sei für Corbulo eine größere Herausforderung als die Treulosigkeit der Feinde,125 und die Beurteilung der posthumen Senatsausschlüsse von Sulla und Plautus als pointierte Schilderungen historischer Umstände zu verstehen.126 Hingegen wird Poppaeas Charakterisierung, modestiam praeferre et lasciuia uti (13,45,4), in dieser antithetischen Verbindung zur ironischen Selbstparodie127 und anlässlich von Neros Eheschließung mit Pytha119 Vgl. Voss (1963), hier v. a. S. 12 sowie S. 114: „Neben der Freude an der Pointierung spielt natürlich auch der Wunsch, Spannung zu erwecken, hinein.“, und ferner Kirchner (2001), S. 9 f., S. 31 f., S. 44 sowie S. 170, der eine eigene Untersuchung von Pointen aufgrund mangelnder terminologischer Präzision ablehnt, was er v. a. S. 36–41 begründet und worauf ebenfalls Stegner (2004), S. 7, Bezug nimmt. 120 14,3,3 additurum principem defunctae templum et aras et cetera ostentandae pietati; vgl. Chapman (1947), S. 87, Baldwin (1977), S. 132, Wilsing (1964), S. 108, und Scott (1974), S. 105. 121 Betensky (1978), S. 421 und vgl. S. 424. Vgl. zudem Voss (1963), S. 34 f. sowie S. 107, Pfordt (1998), S. 126, Schmal (2011), S. 93, Koestermann (1967), S. 243, und Billerbeck (1991), S. 2759. 122 Vgl. Rademacher (1975), S. 200, der zu Recht darauf aufmerksam macht, dass Freude und Leid sowohl an dieser Stelle, beim Triumphzug Neros nach Rom nach der Ermordung seiner Mutter (14,13) als auch bei Tigillinus’ Fest und dem Brand Roms (15,37 f.) kontrastiv zusammengerückt werden. 123 Vgl. Wöhrmann (1956), S. 49, Röver/Till (1969), S. 52, Rademacher (1975), S. 108, Koestermann (1967), S. 266, sowie (1968), S. 36, wo er anmerkt, es ginge zu weit, auaritia hier noch als beherrschenden Beweggrund Agrippinas anzusehen, und Späth (2000), S. 269 allgemein zu deren Motiven. 124 13,23,2 Burrus quamuis reus inter iudices sententiam dixit. 125 13,35,1 sed Corbuloni plus molis aduersus ignauiam militum quam contra perfidiam hostium erat; vgl. Voss (1963), S. 115. 126 14,59,4 …, utque Sulla et Plautus senatu mouerentur, grauioribus iam ludibriis quam malis. 127 Vgl. Voss (1963), S. 21.

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goras durch die dezidiert gewählte Hochzeitsterminologie wie auch den angehängten Zynismus, cuncta denique spectata, quae etiam in femina nox operit (15,37,4), die volle Verwerflichkeit und Weltfremdheit des Kaisers128 sowie ein fortgeschrittenes Stadium von dessen symbolischer Entmännlichung artikuliert.129 Durch ihre Verbindung von äußerst knapper Diktion und kontraintuitivem Gedankenverlauf bietet sich der Einsatz von Pointen offenbar gerade gegen Ende von Einzelszenen an, um diese mittels einer inhaltlich gedrängten, spannungsreichen Wendung kompositorisch akzentuiert und aufmerksamkeitserregend abzuschließen.130 Deren paradoxer Gehalt führt zu einer amüsanten bis satirischen Brechung zuvor erwähnter Handlungsdetails, ermöglicht jedoch neben einer impliziten Distanzierung von dem jeweils beschämenswerten Treiben auch eine deutliche auktoriale Kommentierung des historischen Geschehens unter karikativem Blickwinkel. Die integrierten Pointen zielen also auf ästhetisches Vergnügen, da sie sich nach Voss durch ihre Eindringlich-, Erinnerbar- und Zitierbarkeit auszeichneten und bezüglich Form sowie Funktion Sentenzen ähnlich seien,131 und eine intellektuell ansprechende Unterhaltung ab, indem sie oftmals das einzige adäquate Medium für Tacitus seien, um zu vermitteln, wie sehr die erzählte Welt aus den Fugen geraten sei.132 Sentenzen als didaktische Ornamente Im Sinne einer γνώμη, „eine(s) allgemeingültigen Ausspruch(s), der eine für das Leben und Handeln der Menschen gültige Einsicht mit häufig normativem Charakter aufzeigt“,133 sind an betonten Stellen der Erzählung Sentenzen zu finden, deren bewusste Verwendung in der antiken Literatur Kirchner anhand seiner eingehenden Besprechung der diesem linguistischen Phänomen gewidmeten Partie von Quintilians institutio oratoria aufzeigt.134 Aufgrund ihres vornehmlich rhetorischen Charakters würden diese Denksprüche, wie Kirchner weiterhin ausführt, weniger in streng diegetische Passagen als vielmehr in Figurenreden sowie insbesondere die

128 Vgl. dazu Waddell (2013), S. 486, Woodman (1992), S. 177, S. 180 f. mit Verweis auf Sen. epist. 122,7 sowie S. 187 f., und Koestermann (1968), S. 232: „Die Schilderung der Orgien läßt nichts an Deutlichkeit zu wünschen, obwohl Tacitus das Ganze noch schamhaft in einem Schleier verhüllt.“ 129 Vgl. Späth (2011), S. 135. 130 An folgenden acht Stellen in den Nerobüchern werden Pointen angenommen: 13,5,2, 16,4, 23,2, 35,1, 45,4, 14,6,3, 59,4, 15,37,4. 131 Vgl. Voss (1963), S. 23, S. 82 f. sowie S. 90. 132 Vgl. Voss (1963), S. 87: „Der intellektuelle Reiz, der mit der Tatsache der Beurteilung in solcher Schärfe und auf so engem Raum gegeben ist, erhöht die Wirkung weiter.“ 133 Kirchner (2001), S. 9 sowie vgl. S. 44: „Eine Sentenz ist allgemein (universalis, infinit), läßt sich dank ihrer Abgeschlossenheit aus dem Kontext exzerpieren und ist laudabilis, da sie eine für das Handeln und Leben der Menschen relevante Norm aufzeigt.“ Vgl. dazu auch Stegner (2004), S. 7. 134 Vgl. Kirchner (2001), S. 20–32, und mit Bezug darauf Stegner (2004), v. a. S. 9–12.

4.1 Statisches Spannungspotenzial auf Darstellungsebene

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gedrängte Form der oratio obliqua integriert,135 was eine gesonderte Betrachtung der in den Nerobüchern enthaltenen Fälle zumindest ansatzweise unterstreicht.136 Zudem seien die sentenziösen Ausdrücke laut Kirchner von einer in Redetheorie und -praxis überwiegend umfassend gebildeten, zeitgenössischen Adressatenschaft deutlich vernehmbar, obwohl die Aphorismen gerade in diesem Werkabschnitt stärker in der umgebenden Syntax verankert und wegen dieser engen Kontextualisierung schwieriger zu identifizieren seien.137 Dies weist sie jedoch als feste, nicht nachträglich ergänzte Bestandteile einer durchkomponierten Darstellung aus. Bemerkenswert ist beispielsweise die gnomische auktoriale Apposition bezüglich der singulären Einmütigkeit der regierenden Minister, Seneca und Burrus, zu Beginn der neronischen Herrschaft. Mit dieser Bewertung wird eine allgemeingültige Wahrheit auf die spezielle politische Konstellation während der ersten Prinzipatsphase übertragen, diese als einzigartiger Glücksfall der Geschichte markiert sowie die einträchtige Kooperation eines Philosophen und eines Militärs als näherungsweise Idealform der Staatslenkung zumindest vorläufig unter gute Vorzeichen gestellt.138 Demgegenüber wird Agrippinas zunehmender Einflussverlust mit dem exklamatorischen Denkspruch skizziert, dass eine hervorgehobene gesellschaftliche Machtposition stets einer eigenen stabilen Basis bedarf. Dieser zieht ein Fazit aus dem vorausgehenden Geschehen und präludiert das folgende, indem beim Leser eine Erwartungshaltung hinsichtlich einer zusätzlichen Steigerung des Konflikts zwischen Mutter und Sohn hervorgerufen wird.139 Nachdem die Verschwörung gegen Nero bereits von Milichus verraten ist, führt die anonyme Menge, die Piso dazu drängt, wenigstens im letzten Augenblick noch die erfolgversprechende Initiative zu ergreifen, sogar drei generalisierende Dikta in ihrer oratio obliqua an, um ihrer Aufforderung größeren Nachdruck zu verleihen.140 Ferner stützen diejenigen, die Thrasea Paetus durch ihre adhortative, indirekte Rede zu einem letzten kämpferischen Auftritt und einer persönlichen Verteidigung in der Kurie ermuntern wollen, ihre Ansicht auf eine wegen ihrer auffälligen Assonanz nachhallende Sentenz.141 Angesichts ihres abschreckenden Erfahrungswerts kann diese in einer Doppelfunktion als spezifische Begründung der vorgeschlagenen

135 Vgl. Kirchner (2001), S. 49 sowie S. 67, und Voss (1963), S. 92 f. sowie S. 98. 136 In diegetischen Partien liegen fünf, in mimetischen zehn Sentenzen, davon fünf in indirekter und fünf in direkter Rede, vor, wobei insgesamt acht besonders pointiert sind: 13,2,1, 19,1, 14,23,3, 15,53,4, 16,32,2; indirekt: 15,1,4, 59,1, 59,2, 59,3, 16,25,2; direkt: 13,56,1, 14,44,4, 15,20,3 (2x), 21,3. In Anbetracht des Verhältnisses zwischen Mimesis und Diegese von ca. einem Drittel (vgl. Tab. 5) sind Denksprüche in mimetischen Abschnitten, und zwar unabhängig von der Redeform, auffällig häufig vertreten. 137 Vgl. Kirchner (2001), S. 81 sowie S. 177. 138 13,2,1 hi rectores imperatoriae iuuentae et, rarum in societate potentiae, concordes, diuersa arte ex aequo pollebant, …; vgl. Kirchner (2001), S. 177. 139 13,19,1 nihil rerum mortalium tam instabile ac fluxum est quam fama potentiae non sua ui nixae; vgl. dazu Koestermann (1967), S. 269 f., und Kirchner (2001), S. 96 sowie S. 126. 140 15,59,1 magnamque motae rei famam, quae plurimum in nouis consiliis ualeret. … 15,59,2 etiam fortes uiros subitis terreri, … 15,59,3 cruciatui aut praemio cuncta peruia esse. 141 16,25,2 segnes et pauidos supremis suis secretum circumdare: …

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4. Textinhärente Strategien der Leseraktivierung

Widerstandshaltung wie auch als vehementer Appell, dieser aktiv nachzukommen, verstanden werden.142 Darüber hinaus legitimiert Cassius in seiner oratio recta den Vorschlag zu einem harten Vorgehen gegen Pedanius Secundus’ familia schließlich in einem der allgemeinen Erfahrung entspringenden Sinnspruch konservativer Nuancierung, die zu seiner Person passt. Dadurch verleiht er seinen Äußerungen einen pathetischen Ausklang und reduziert durch einen expliziten Transfer auf die gemeinsame Erfahrungswelt aller intradiegetischen Zuhörer auch die Angreifbarkeit seiner argumentativen Position.143 Mit dem benannten Grundsatz der Staatsräson tangiert er zudem eine basale Frage des sozialen Zusammenlebens, die auf eine gedankliche Reflexion derartiger Statute aufseiten des Rezipienten hinwirkt.144 Analog verhandelt Thrasea Paetus’ direkte Rede ein notwendiges Prinzip staatlicher Gesetzgebungspraxis, nämlich dass einem noch so guten Strafgesetz notwendigerweise meist dennoch zuvor erstmalig ein unmoralisches Verbrechen vorausgeht.145 Neben einem abstrakten, aber lockeren thematischen Einstieg in den Prozess bieten die beiden zweifellos mehrheitsfähigen Auftaktsentenzen adäquate Ausgangspunkte für eine bewusste Wahrnehmung gängiger staatsrechtlicher Vorgänge durch den Leser, die von Thrasea im unmittelbaren Anschluss mithilfe einiger historischer Exempla veranschaulicht werden.146 Die brillant und schlagkräftig formulierten, sentenziösen Wendungen,147 die in der antiken Rhetorik nicht unpassend als Glanzlichter, lumina, bezeichnet werden,148 tragen also zu einer stilistischen breuitas und strukturellen Klarheit bei, indem sie zur Einleitung, Begründung, Illustration oder zum Abschluss einer Handlungsepisode eingesetzt werden.149 Doch steigern diese damit nicht nur den ästhetischen Wert und evozieren beim Rezipienten als statische Spannungsmomente in besonderer Weise schlaglichtartige Artefaktemotionen zum Zwecke der delectatio.150 Vielmehr manifestiert sich trotz gelegentlich möglicher Dissonanzen zwi142 Vgl. Kirchner (2001), S. 105 sowie S. 154. 143 14,44,4 habet aliquid ex iniquo omne magnum exemplum, quod contra singulos utilitate publica rependitur; vgl. Kirchner (2001), S. 108, Bellen (1982), S. 456, Nörr (1983), S. 190, und Abschn. 3.4.3. 144 Vgl. Kirchner (2001), S. 140 f. 145 15,20,3 …, leges egregias, exempla honesta apud bonos ex delictis aliorum gigni. … nam culpa quam poena tempore prior, emendari quam peccare posterius est; vgl. Kirchner (2001), S. 102. 146 Vgl. Kirchner (2001), S. 109, und Abschn. 3.4.3. 147 Vgl. neben Anm. 136 auch die Übersichten bei Kirchner (2001), S. 50, S. 67 f. sowie S. 72 f., und zu den ‚Historien‘ Stegner (2004), S. 20–179. 148 Vgl. Kirchner (2001), S. 33 f. mit Verweis auf Quintilians treffende Metapher inst. 8,5,34 ego uero haec lumina orationis uelut oculos quosdam esse eloquentiae credo. Vgl. dazu auch Apers Kritik an Ciceros frühen Reden in dial. 22,3 pauci sensus apte et cum quodam lumine terminantur. 149 Vgl. Kirchner (2001), S. 36, S. 100 sowie S. 132–134. 150 Vgl. Kirchner (2001), S. 85 mit Rhet. Her. 4,17,24 huiusmodi sententiae simplices non sunt inprobandae, propterea quod habet breuis expositio, si rationis nullius indiget, magnam delectationem. bzw. 4,17,25 …, multum adferent ornamenti., Stegner (2004), S. 8 f. mit Quint. inst. 12,10,48 ceterum hoc, quod uulgo sententias uocamus, …? feriunt animum et uno ictu frequen-

4.1 Statisches Spannungspotenzial auf Darstellungsebene

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schen der Gelehrsamkeit der Gnomen und deren jeweiligen kontextuellen Stimmungen in der Breite der behandelten Sachverhalte und in der „intellektuellargumentative(n) Funktion der Sentenzen“151 gemäß historiographischem Anspruch ein didaktischer Mehrwert, sodass „das Gespräch mit dem Leser […] hier zur reinen Belehrung über zeitlose Thesen und Werte (wird).“152 Fazit Mit einem engmaschigen Netz diskursinhärenter Phänomene operiert diese statische Spannungsform folglich teils auf dem facettenreich konnotierten, semantischen Spektrum betreffender Wörter und Syntagmen, teils auf der ästhetischen Komponente stilistischer Darstellungsfiguren. Ihr Wirkungspotenzial ist dabei zwar vom künstlerischen Interesse sowie vorwissensbedingten Wahrnehmungsvermögen des individuellen Rezipienten, jedoch grundsätzlich nicht von der Beschaffenheit des zugrunde liegenden Plots abhängig. Denn eine auf derartige Spannungsmomente abzielende artifizielle Ausarbeitung richtet die Aufmerksamkeit des Lesers vorrangig auf die kompositionelle Werkgestaltung und strebt die kognitiv aktivierende Entschlüsselung eines mehrfach aufgeladenen Sinngehalts gelungener sprachlicher Wendungen, mit der ein tiefer gehender Erkenntnisgewinn verbunden sein kann, sowie letztlich die umfassende Erzeugung gefälliger, unterhaltsamer Artefaktemotionen an. Dadurch besäße, wie Deupmann erläutert, prinzipiell sogar ein programmatisches Handlungsdefizit einen freilich recht speziellen, aber dennoch singulären Leseanreiz,153 der den Rezipienten zu einer kontinuierlichen Lektüre unter ästhetischen Aspekten veranlassen könnte, sodass nach dessen Meinung die Eigenschaft der Spannungslosigkeit hinsichtlich eines literarischen Texts letztlich nicht existiere.154 Wie weit die Berichterstattung über Neros Prinzipat allerdings von dieser hypothetisch erwägbaren, extremen Erzählweise entfernt ist, vermögen nachstehende Untersuchungen zu weiteren vielfältigen Spannungsfaktoren aufzuzeigen. 4.1.3 Tiefgründige Parallelisierung des Geschehens Absichtlich in die Berichterstattung eingelegte Handlungsanalogien und hintergründige Darstellungselemente erwecken beim Rezipienten abhängig von dessen literarischem und historischem Vorwissen sowie ohne inhaltliche Eigenwertigkeit die Erinnerung beziehungsweise zumindest den Verdacht versteckter Bezugnah-

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ter inpellunt et ipsa breuitate magis haerent et delectatione persuadent., und Sinclair (1991), S. 2801. Kirchner (2001), S. 35, vgl. S. 100 sowie zur thematischen Auffächerung der Sentenzen S. 152. Lämmert (1980), S. 88; vgl. Kirchner (2001), S. 34 f., und Onea (2014), S. 74. Vgl. Deupmann (2008), S. 112 f., und demgegenüber die auktorialen Kommentare Anm. 4. Vgl. Deupmann (2008), S. 113 und S. 118–121.

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4. Textinhärente Strategien der Leseraktivierung

men auf ihm potenziell vertraute, dem aktuellen Ereigniszeitpunkt vorausgehende Kontexte,155 sodass sie gewissermaßen lediglich gedanklich sowie allusiv zu einer analeptischen Inversion der Erzählordnung führen.156 Durch diese jeweils konkreten oder symbolischen Assoziationen werden heterogene Paraebenen zum Geschehen evoziert, in denen der betreffende Aussagegehalt jedoch nicht wie bei einer Ironisierung in ihr Gegenteil verkehrt ist. Vielmehr könne diese Ambiguität laut Quintilian dazu verwendet werden, Aspekte, deren offene Äußerung zu gefährlich oder nicht schicklich sei, lediglich schemenhaft zu formulieren respektive um durch eine ungewöhnliche, abwechslungsreiche und mehrdeutige Ausdrucksweise exquisite Leseanreize zu schaffen.157 Die Wahrnehmung textinhärenter Doppelbödigkeiten erfordert nämlich eine kurzweilige, höchst konzentrierte Lektüreform, die an auffällig empfundenen Passagen innehält, um die vermeintlich identifizierten, verdeckten Hinweise vor dem Hintergrund subjektiver Kenntnisse auszulegen, den dadurch erweiterten Bedeutungshorizont geistig zu erfassen sowie das erregte statische Spannungsverhältnis zwischen ex- und impliziter Darstellung aufzulösen.158 Die nachfolgenden, derart aufgeladenen Beispiele gliedern sich in werkinterne historische Analogien und werkexterne mythologische beziehungsweise geschichtliche Parallelen.

155 Vgl. McCulloch (1984), S. 13: „Tacitus constantly draws parallels between events or persons, […]“, Walker (1952), S. 68: „A less direct form of ‚prophecy‘ is used when Tacitus compares an event with some other well-known event whose consequences are familiar to the reader.“, Hartke (1959), S. 183 f., Hausmann (2009), S. 143 unter dem Prinzip der „Doppelbödigkeit der Darstellung“, Schmitz (2002), S. 98, der unter Doppelbödigkeit v. a. intertextuelle Referenzen versteht, und Foubert (2010), S. 350 ebenfalls unter dem Begriff der Intertextualität sowie zum gegenwärtigen Forschungsstand. 156 Vgl. dazu auch Genette (1972/1998), S. 51, der, obwohl er ein entsprechendes Pendant bei partiellen Analepsen nicht explizit formuliert, bezüglich Prolepsen konstatiert: „[…], was man lieber Vorhalte […] nennen sollte, die ohne etwas zu antizipieren, sei es auch nur allusiv, bloß eine Erwartung wecken sollen.“ 157 Quint. inst. 9,2,65 f. iam enim ad id genus quod et frequentissimum est et expectari maxime credo ueniendum est, in quo per quandam suspicionem quod non dicimus accipi uolumus, non utique contrarium, ut in εἰρωνείᾳ, sed aliud latens et auditori quasi inueniendum. quod, ut supra ostendi, iam fere solum schema a nostris uocatur, et unde controuersiae figuratae dicuntur. eius triplex usus est: unus si dicere palam parum tutum est, alter si non decet, tertius qui uenustatis modo gratia adhibetur et ipsa nouitate ac uarietate magis quam si relatio sit recta delectat. Vgl. Foubert (2010), S. 350: „An author, however, rarely makes the comparison explicit.“, und allgemein zur oratio figurata Hillgruber (2000). 158 Vgl. Fill (2007), S. 58: „Intertextualität, die im weitesten Sinn als Bezugnahme eines Textes auf einen anderen definiert wird, erzeugt Lese-Spannung, die umso größer ist, je weiter die Texte voneinander entfernt sind und je schwieriger die Textbeziehung zu erkennen ist. […], denn das ist ja das Wesen von Zitaten, Anspielungen, Verfremdungen, Parodien, die alle auf Intertextualität beruhen: zwischen zwei zeitlich, sprachlich, textsortenspezifisch etc. entfernten Texten wird Spannung hergestellt, deren Auflösung der Leserin Spaß macht!“

4.1 Statisches Spannungspotenzial auf Darstellungsebene

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Werkinterne Darstellungsanalogien zwischen Tiberius’ und Neros Prinzipat Geradezu ausgehend von einer suggestiven Namensähnlichkeit beider Kaiser159 werden zahlreiche klare Parallelen zwischen Ereignissen und Personen während Tiberius’ und Neros Prinzipat hergestellt. Abgesehen von einer jeweils vorausgehenden, mutmaßlich gewaltsamen Beseitigung des Thronvorgängers sowie einer nach nahezu analogem Prozedere durchgeführten, scheinbar zurückhaltenden Machtübernahme160 ist nämlich schon die einleitende Phrase prima nouo principatu mors (13,1,1) eine beinahe wörtliche Wiederaufnahme von primum facinus noui principatus (1,6,1). Die Opfer, hier Iunius Silanus, dort Agrippa Postumus, sind je potenzielle Thronprätendenten,161 wobei sich Tiberius’ scheinbare Unbescholtenheit in Neros Unwissen wiederfindet.162 Wenn auch Agrippina der Jüngeren das kennzeichnende Charakterattribut ihrer Mutter, semper atrox, vererbt wird,163 spiegelt sich unter expliziter Bezugnahme anlässlich von Claudius’ Begräbnis anfangs dennoch vor allem die Figur der machthungrigen, ihren leiblichen Sohn skrupellos begünstigenden Livia in Agrippinas Rolle als Neros Mutter und Britannicus’ Stiefmutter wider.164 Auf diese Analogie heben die staatlichen Ehrun159 Vgl. die auf Tiberius bezogenen Namensnennungen Tiberius Nero (1,3,1) und Nero solus (1,3,3) mit der typischen Bezeichnung für den Sohn Agrippinas d. J. sowie dazu Nickbakht (2005), S. 76. 160 Vgl. ausführlich Ammerbauer (1939), S. 71 f., zu einem Vergleich von 1,3,3 und 12,9,2, 1,5,1 und 13,1,1, 1,5,4 und 12,68,3, 1,7,7 und 12,25,1 bzw. 4,57,3 und 13,14,2, Hedrick (2016), S. 163, und ferner 1,7,3 nam Tiberius cuncta per consules incipiebat, tamquam uetere re publica et ambiguus imperandi. bzw. 13,4,2 discretam domum et rem publicam. teneret antiqua munia senatus, … 161 Vgl. Walker (1952), S. 70, Syme (1967), S. 261 sowie S. 307, Pfordt (1998), S. 125, Klug (1979), S. 268, Heldmann (2013), S. 333 Anm. 59, Classen (1988), S. 106, Koestermann (1967), S. 232, Nickbakht (2005), S. 76, Morris (1969), S. 28, Martin (1969), S. 138, (1981), S. 162, sowie (1990), S. 1551, Bartera (2012), S. 165, und Bretschneider (1905), S. 12. Zudem besonders zur Staatsaffäre in 1,6 vgl. Hohl (1935), S. 350–355, und Suerbaum (2013), S. 7 f. 162 1,6,3 nuntianti centurioni, ut mos militiae, factum esse quod imperasset, neque imperasse sese et rationem facti reddendam apud senatum respondit. bzw. 13,1,1 … ignaro Nerone …; vgl. Koestermann (1967), S. 232, S. 234 sowie S. 298, mit Hinweis auf den vermeintlichen Widerspruch zu 13,33,1, Enghofer (1961), S. 120 f., und Hohl (1935), S. 355, der von Tiberius’ Unschuld überzeugt ist, sodass zwischen den Wissensständen der Prinzipes kein Unterschied besteht, wie Schürenberg (1975), S. 41, behauptet. 163 4,52,2, 13,13,3; vgl. Kaplan (1979), S. 413, und Mayer (2010b), S. 284. 164 12,69,3 caelestesque honores Claudio decernuntur et funeris sollemne perinde ac diuo Augusto celebrantur, aemulante Agrippina proauiae Liuiae magnificentiam; vgl. Schürenberg (1975), S. 40 f., und O’Gorman (2000), S. 126 f. sowie S. 130 f. Zur literarischen Vorprägung der Rolle der böswilligen Stiefmutter vgl. Goodyear (1970), S. 32, Barrett (2001), v. a. S. 172, Welskopf (1961), S. 366 f., und Gray-Fow (1988), v. a. S. 743 sowie S. 746 f. mit Verweis auf Iuv. 6,628 …, iam iam priuignum occidere fas est. Vgl. ferner zum Motiv des hinterlistigen Onkels McCulloch (1984), S. 93–100. McCulloch behauptet auf S. 67 sogar, dass „the themes developed by Tacitus in the narrative treating the relationship between Tiberius and Germanicus reveal larger concerns that have significance for his later treatment of the reign of Nero. In fact, the progression of Nero’s behavior into the role of a Hellenistic king, much like Marc Antony, is anticipated by the actions of Germanicus in the early books of the Annals.“, sowie

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4. Textinhärente Strategien der Leseraktivierung

gen ab, die Livia von Tiberius verweigert worden waren, Agrippina aber von ihrem Sohn zugesprochen werden.165 Deren ähnlich dominante Stellungen lassen einen feinfühligen Rezipienten zudem angesichts dieser deutlichen Anklänge und, obgleich zwischen den entsprechenden Werkteilen bei kontinuierlicher Lektüre zwölf Bücher liegen, in Neros ebenso wie in Tiberius’ Hofstaat eine angespannte Familiensituation mit einer großen Gefährdung der nicht leiblichen Kinder der Kaisermütter erwarten. Dieses Konfliktpotenzial führt in beiden Handlungslinien zur Tötung eines Thronkonkurrenten, nämlich zu Germanicus’ Ermordung, bei der über Tiberius’ indirekte Beteiligung spekuliert wird, und in leichter Abwandlung zur von Nero veranlassten Vergiftung des Britannicus, in deren Gestaltung sarkastischerweise einzelne Details des Lebensendes von dessen Vater Claudius eingehen.166 Durch die Abkühlung des Verhältnisses zwischen Tiberius und Livia wird ferner ansatzweise schon Neros schrittweise Abkehr von Agrippina vorweggenommen, auf deren brutale Beseitigung aus dieser Parallelisierung zwar nicht zu schließen ist. Diese wirkt aber zu ihren Lebzeiten ebenso wie Livia mäßigend sowie kontrollierend auf ihren Sohn ein und ist als bedeutender Einflussfaktor mit einer wesentlichen gesellschaftlichen Schutzfunktion anzusehen,167 zumal durch beider Ableben jeweils das letzte Hindernis bezüglich einer völligen moralischen Entartung ihrer Söhne ausgeräumt zu sein scheint.168 Zudem ist Agrippinas trauriges Schicksal auch mit demjenigen ihrer eigenen Mutter unter Tiberius’ Regime gedanklich verbunden. Auf die besondere weibliche Fruchtbarkeit beider, die das Überleben der genealogischen Linie des Germanicus sowie indirekt derjenigen des Augustus sicherte, wird mittels der wörtlichen Reminiszenz uterus gezielt angespielt, sodass die auf ihren Leib gerichteten Gesten der Damen symbolisch Anfang und Ende der julisch-claudischen Dynastie umspannen, deren letzten Vertreter Agrippina die Jüngere gebar.169

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S. 108–113, und vgl. dazu Borzsák (1970), S. 279 sowie S. 287 f. Zu durch solche Kategoriensysteme angeblich bedingten, stereotypen Wesenszügen vgl. Hausmann (2009), S. 145. 1,14,2 … ne lictorem quidem ei decerni passus est … bzw. 13,2,3 decreti et a senatu duo lictores, …; vgl. Koestermann (1967), S. 237, und Morris (1969), S. 81. Vgl. Morris (1969), S. 30: „In a matter of lines we know indelibly the nature of the coming principate, and we know who means to rule.“, sowie S. 37: „Names and details change, but the meaning of imperial history for Tacitus remains constant.“, Ash (2006), S. 88: „We are left with the unavoidable feeling that although the personnel may have changed, the corrupt imperial system lurches along in the same old way.“, Wittrich (1972), S. 151, und Murgatroyd (2005a), S. 97–100. Vgl. Schmal (2006), S. 239, und (2011), S. 146. 5,3,1 nam incolumi Augusta erat adhuc perfugium, quia Tiberio inueteratum erga matrem obsequium neque Seianus audebat auctoritati parentis antire: tunc uelut frenis exoluti proruperunt … bzw. 14,13,2 … seque in omnes libidines effudit, quas male coercitas qualiscumque matris reuerentia tardauerat. Vgl. Ammerbauer (1939), S. 73, Walker (1952), S. 70, KlochKornitz (1961), S. 162, Tresch (1965), S. 73 sowie S. 86, McCulloch (1984), S. 122 Anm. 40, und Wittrich (1972), S. 153 f., wohingegen die Wende in Neros Verhalten aufgrund dieser evidenten Analogie nicht ausschließlich auf die servilen Reaktionen der Senatoren zurückgeführt werden sollte, wie Heldmann (2013), S. 327, vorschlägt. 1,40,3 diu cunctatus aspernantem uxorem, cum se diuo Augusto ortam neque degenerem ad pericula testaretur, postremo uterum eius et communem filium multo cum fletu complexus, ut

4.1 Statisches Spannungspotenzial auf Darstellungsebene

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Die bewusst aufeinander bezogene Komposition von Tiberius’ und Neros Herrschaftsphasen beschränkt sich allerdings nicht auf Personen sowie Ereignisse der kaiserlichen Familie, sondern eine gewisse Doppelbödigkeit der Darstellung ruft unter anderem die Überreichung einer goldenen Krone hervor, die den erfolgreichen Feldherrn Corbulo sinnbildlich dem beliebten Germanicus gegenüberstellt, aber womöglich auf dessen ebenfalls unglückliches Ende im Osten des Reiches hindeutet.170 Außerdem ist Petrons Charakterbild sehr an dasjenige des Sallustius Crispus angelehnt, wie Hauser in einem entsprechenden Vergleich vorzüglich herausarbeitet,171 so „daß der Leser gezwungen ist, das von Tacitus über Crispus gefällte Urteil auf Petron zu übertragen.“172 Denn schließlich verstünden es beide, ihre Tatkraft so in der Vortäuschung von Lastern zu verhüllen, dass ihnen daraus keine Lebensgefahr erwachse.173 Zugleich ist Petrons Suizid gerade vor demjenigen Senecas als Karikatur zu erachten, vor dessen vorgeprägtem Sterbeschema auch Vestinus’ und Thraseas Ermordungen als geschichtliche Parallelen erscheinen.174 Die etablierten, spannungsreichen Analogien begünstigen also das sorgfältige, den Lesefluss retardierende Auffinden sowie Abwägen historischer Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufseiten des Rezipienten sowie eine darauf fußende Antizipation ähnlicher Handlungsverläufe. Extratextuelle mythologische und historische Analogien Zahlreiche Anknüpfungspunkte für gedankliche Vergleiche sowie Assoziationen zwischen Elementen aus den ‚Annalen‘ und aus Werken anderer Autoren sind nach Walkers Feststellung in den Text einbeschrieben175 und nach Woodmans Ansicht werden häufig doppelsinnige mythisch oder historisch aufgeladene Wortbedeutungen verwendet.176 Damit enthält der Diskurs mehrdeutige und symbolhafte Bestand-

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abiret, perpulit. bzw. 14,8,5 … protendens uterum uentrem feri exclamauit …; vgl. zudem 4,52,2 und Ihrig (2007), S. 71, S. 341, S. 343, S. 356, S. 366 sowie zur Parallelität der Ermordungen Iulius Caesars und Agrippinas S. 402–405, Foubert (2010), S. 351, und zur Intertextualität von Agrippinas Ausspruch Schmitzer (2005), S. 353 f., Taylor (2010), S. 210 f., sowie Anm. 506 (Kap. 3). 2,57,4 …, cum apud regem Nabataeorum coronae aureae magno pondere Caesari et Agrippinae, … offerrentur. bzw. 14,24,4 simul hospitale donum, coronam auream, tradebant; vgl. Pfordt (1998), S. 153 sowie S. 191, und zur Suggestivität des Germanicus-Bildes umfassend Hausmann (2009), S. 80–97. 3,30,2 f. bzw. 16,18,1 f.; vgl. Hauser (1967), S. 101, und Syme (1967), S. 538 Anm. 6. Hauser (1967), S. 101. Vgl. Hauser (1967), S. 102, und Koestermann (1968), S. 371. In genannter Reihenfolge 16,19,1–3, 15,60,2–64,4, 15,68,2–69,3 bzw. 16,34,1–35,2; vgl. Anm. 414. Vgl. Walker (1952), S. 71. Vgl. Woodman (1998), S. 222: „Cumulative evidence such as this leaves little doubt that Tacitus habitually plays on names and is in no way immune to the fascination which names and their significance have for Greek and Latin authors, including historians.“, S. 224 f. sowie exemplarisch zu Kapitel 15,37 aufgezeigt von demselben (1992), S. 178 f. Vgl. Walker (1952), S. 71, und Rademacher (1975), S. 96.

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teile, deren Hintergründigkeit zu einem intensiveren Leseerlebnis, zu einer kognitiv reizvollen Auseinandersetzung sowie bei erfolgreicher Entschlüsselung zu einem erweiterten Verständnis beitragen kann. Neben der mit Verweis auf einige mythologische beziehungsweise geschichtliche Bruderzwiste fundierten Rechtfertigung von Britannicus’ Ermordung177 lässt sich dies exemplarisch anhand von Agrippinas Mordschauplatz Misenum sowie dem daran anschließenden Gerücht darlegen. Aus deren Grab seien nämlich Klagelaute und aus den umliegenden Anhöhen Trompetensignale zu hören, wobei diese Details von der Forschung bisher wenig beachtet und als lediglich rhetorischer Schmuck abqualifiziert werden.178 Doch wie Misenus, Aeneas’ Gefährte, auf dessen Irrfahrt das letzte von den Göttern geforderte Opfer ist, um in Latium eine neue Herrschaft zu begründen, so gelangt Kaiser Nero als entfernter Nachfahre von Aeneas’ Sohn Ascanius, erst durch Agrippinas Tod zu eigenständiger und freier Befehlsgewalt, derer er zuvor nach Poppaeas Meinung entbehrt.179 Dem beiläufig erwähnten Gerede wird somit vor der Folie der bekannten vergilianischen Erzählung über das traurige Schicksal des tapferen, für diesen Erdteil bis heute namensgebenden Trompeters nicht nur eine bedeutungstragende und sinnfällige Einordnung sowie Auslegung zuteil.180 Vielmehr erzeugt die spannungsvolle Doppelbödigkeit des Gerüchts eine geheimnisvolle, mythische und bedrohliche Atmosphäre, die prompt zu Neros Weiterreise nach Neapel führt. Weiterhin zeigt sich in der Passage über Didos Schatzfund eine literarisch allusive Verarbeitung der vergilianischen Vorlage, aus der nach Rimell, Blänsdorf und Ash gezielt Plotelemente aufgegriffen und integriert werden.181 Für den Rezi177 13,17,1 …, antiquas fratrum discordias et insociabile regnum aestimantes. Vgl. zum Motiv des Brüderstreits McCulloch (1984), S. 101–103 sowie S. 115, der primär auf Roms Gründungssage mit dem Zwist zwischen Romulus und Remus, weiterhin noch auf die Brüderpaare Germanicus und Drusus, Arminius und Flavus sowie Drusus Caesar und Nero Caesar, Germanicus’ Söhne, hinweist. Schmitzer (2005), S. 352, nimmt der narrativen Struktur des Mythos gemäß eher die Brüderpaare Thyestes und Atreus oder Eteocles und Polyneices an, wohingegen wegen des geschichtlichen Kontexts auch Flachs (1973b) Vorschlag plausibel ist, S. 177, eine Parallele zu Caligula und Gemellus zu ziehen. Vgl. Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 174, Röver/Till (1969), S. 41, und Koestermann (1967), S. 266. 178 14,10,3 … et erant qui crederent sonitum tubae collibus circum editis planctusque tumulo matris audiri …; vgl. Develin (1983), S. 77, und Martin (1981), S. 172: „The visions and sounds that were reported to have troubled his (sc. Nero’s) guilty conscience can be ignored as rhetorical embellishment.“, und allgemein zur symbolischen Bedeutung von Handlungsschauplätzen De Jong (2012), S. 15. 179 14,1,1 …, aliquando per facetias incusare principem et pupillum uocare, qui iussis alienis obnoxius non modo imperii, sed libertatis etiam indigeret. Vgl. Scott (1974), S. 110 f., Taylor (2010), S. 212, und Späth (2000), S. 271 sowie S. 275. 180 Verg. Aen. 6,162–178, v. a. 174 f. …/inter saxa uirum spumosa immerserat unda./ergo omnes magno circum clamore fremebant,/… bzw. 177 f. …/haud mora, festinant flentes aramque sepulcri/congerere arboribus … 181 16,1,1–3,2; vgl. hierzu die zum Teil ausführlichen Analysen Rimells (2015), S. 67–72, Blänsdorfs (2015), S. 331, und Ashs (2015), S. 279 f. mit einem Verweis auf Verg. Aen. 1,359 …, ignotum argenti pondus et auri bzw. 1,362 f. sowie der Bemerkung: „If Nero has succumbed to Bassus’ story, then that also reflects the talents of the story-teller. We might even read the rude … pondus of Bassus’ gold symbolically as raw material ripe for reshaping through literary creativity.“

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pienten entsteht dadurch zwischen Aeneas, dem ehrwürdigen Nationalhelden Roms, und Nero, dessen letztem, in jeder Hinsicht verdorbenem Nachkommen, ein schriller Kontrast. Dieser macht insbesondere die naive Leichtgläubigkeit des Kaisers bei dessen arglosem Vertrauen auf die sprichwörtliche Punica fides des Bassus wie auch dessen charakterliche Degeneration, die durch eine Herrschaftsclique ohne Anstand und Moral zusätzlich begünstigt wird, derart augenfällig,182 dass die mythische Verwandschaft zwischen diesen Persönlichkeiten zur absoluten Farce wird.183 Die angeführten Beispiele unterstreichen einerseits die fundierte auktoriale Kenntnis des vergilianischen Werks, die ebenfalls für die damaligen Leser anzunehmen ist, welche die beabsichtigte Mehrdeutigkeit also durchschauen konnten,184 andererseits den besonderen Wert des Epikers für die Gestaltung geistreicher, karikierender Nuancierungen und passender, eindringlicher und emotionaler Atmosphären.185 Darüber hinaus können an Einzelpassagen durch schlagwortartige Bezugnahmen auf prominente Persönlichkeiten sowie Geschehnisse aus der vorwiegend römischen Geschichte aufmerksamkeitserregende, reflexionsbedürftige und erkenntnisförderliche historische Analogien angedeutet werden. So argumentieren die Befürworter einer militärischen Aktion gegen die Parther angesichts der Jugendlichkeit des Prinzeps mit Pompeius’ oder Octavians glorreichen Taten in jungen Jahren und stellen damit große Ansprüche an ihn als obersten Feldherrn wie auch an die nachfolgenden Kriegsereignisse. Doch obwohl diese aufgrund des raschen Rückzugs der Parther sogleich enttäuscht werden und sich historischer Anspruch sowie Wirklichkeit evident unterscheiden,186 vermittelt dieser Vergleich eventuell einen Eindruck von der kaiserlichen Propaganda und hoffnungsvollen Stimmung in dessen ersten Prinzipatsjahren, wie sie sich auch in der Regierungsantrittserklärung widerspiegeln.187 Zudem wird an dessen Verhalten eine spezifische, allerdings auf die ersten beiden Nerobücher beschränkte Folie wiederholt als Beurteilungsmaßstab angelegt.188 Angesichts ihrer militärischen Erfolge im kleinasiatischen Raum werden ferner Pompeius’ geschichtliches Beispiel ebenso wie L. Lucullus’ legendärer Name häufig als Parallelen für die gegenwärtig referierten Ereignisse in Armenien herangezo182 Vgl. Ash (2015), S. 278 sowie S. 282, Rimell (2015), S. 70, und de Libero (2009), S. 229. 183 Vgl. Murgatroyd (2002), S. 132 f. 184 Vgl. Hedrick (2011), S. 171, und Schwerdtner (2015), S. 12: „Nicht nur berühmte Persönlichkeiten, sondern alle Angehörigen der Oberschicht, die das römische Bildungssystem durchlaufen hatten, verfügten über einen mehr oder weniger großen literarischen Fundus, auf den sie in verschiedensten Situationen spontan zurückgreifen konnten.“ 185 Vgl. Syme (1967), S. 357, Joseph (2012), S. 373, Walker (1952), S. 73, Ash (2015), S. 281, und kritisch Goodyear (1982), S. 651, der solche Anspielungen unverständlicherweise als unbedeutend erachtet. 186 13,6,1–7,2, v. a. 13,6,3 …, cum octauo decimo aetatis anno Cn. Pompeius, nono decimo Caesar Octauianus ciuilia bella sustinuerint? 187 13,4,1 f. mit Heinz (1948), S. 30, Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 158, Koestermann (1967), S. 245, Manning (1975), S. 167, und Blänsdorf (2015), S. 332. 188 Der Name Augustus’ erscheint in 13,3,2, 6,3, 29,1, 34,1, 14,15,2, 53,3 bzw. 55,2 f. und Pompeius’ in 13,6,3, 54,3 bzw. 14,20,2 in Verbindung zu Nero.

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gen. Zwar fühlt sich dementsprechend Corbulo schon früh und nicht unpassend zu deren Nachfolger berufen, was beim Rezipienten enorme Erwartungen in Bezug auf dessen Person sowie auf bedeutsame und spannungsvolle kriegerische Konflikte erweckt.189 Die Gegenüberstellung von Caesennius Paetus’ misslicher Lage und den beachtlichen Leistungen von Männern wie Pompeius und Lucullus oder verschiedener Kaiser wirkt jedoch anmaßend, dreist sowie realitätsfern und offenbart schonungslos sowie in bezeichnendem Kontrast Paetus’ völliges Versagen als römischer Heerführer.190 Dieses und die damit einhergehende Inadäquatheit einer solchen Analogiebildung kehren insbesondere die zugleich von dessen Soldaten erinnerten, unrühmlichen geschichtlichen Vorbilder191 und die anschließende Tatsache hervor, dass Corbulo wegen Paetus’ Verlusten ausdrücklich mit außerordentlicher imperialer Gewalt wie einst Pompeius ausgestattet wird, um die östlichen Reichsteile auf Lucullus’ Spuren zurückzuerobern und zu reorganisieren.192 Neben dieser kontinuierlich angelegten, republikanisch geprägten Vergleichsebene ist für den zeitgenössischen Leser, wie Syme anmerkt, zusätzlich als interessante Parallele die Besetzung der armenischen Gebiete auf demselben geographischen Weg im Jahre 114 n. Chr. unter Trajan bemerkbar.193 Des Weiteren wird der Ausbruch einiger Gladiatoren durch eine geschickte Bezugnahme auf den Sklavenaufstand unter Spartacus, zu dessen Ausmaß das berichtete Ereignis realiter in keiner Relation steht, überhöht und suggeriert dadurch zumindest punktuell eine potenzielle Gefahrensituation.194 Außerdem eröffnet die explizite Erwähnung des Vergiftungsmittels, durch das Sokrates umkam, einen aussagekräftigen Hintergrund zu Senecas Todesdarstellung. Der Rezipient wird bei dessen Suizid dazu angehalten, in einem abschließenden Rückblick das Leben und Wirken der zwei Philosophen gleichrangig nebeneinanderzustellen sowie Parallelen und Differenzen zu erkennen.195

189 13,34,2 … et Corbulo dignum magnitudine populi Romani rebatur parta olim a Lucullo Pompeioque recipere. 190 15,14,2 tum Paetus Lucullos, Pompeios et si qua Caesares obtinendae donandaeue Armeniae egerant, Vasaces imaginem retinendi largiendiue penes nos, uim penes Parthos memorat. Vgl. Pfordt (1998), S. 175, Geiser (2007), S. 104, und Allgeier (1957), S. 62. 191 15,13,2 … prouisis exemplis *pacis Caudinae Numantinaeque; neque eandem uim Samnitibus aut Celtico populo quam Parthis*, Romani imperii aemulis. Vgl. Woodman (1992), S. 184, und Levene (2009b), S. 229. 192 15,25,3 …, in eum ferme modum aucta potestate, quem populus Romanus Cn. Pompeio bellum piraticum gesturo dederat. bzw. 15,27,1 … mox iter L. Lucullo quondam penetratum, …; vgl. Pfordt (1998), S. 179 f., Tresch (1965), S. 185, Pomeroy (2012), S. 150, Furneaux/Pelham/ Fisher (1907), S. 333, und Geiser (2007), S. 124. 193 Vgl. Syme (1967), S. 495, und Geisthardt (2015), S. 83. 194 15,46,1 …, iam Spartacum et uetera mala rumoribus ferente populo, …; vgl. Classen (1988), S. 113. 195 15,64,3 …, orat prouisum pridem uenenum, quo damnati publico Atheniensium iudicio exstinguerentur, promeret. Vgl. Anm. 470.

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Fazit Aus dieser exemplarisch-phänomenologischen, systematisierenden Erfassung werkinterner historischer sowie -externer geschichtlich-mythologischer Analogien wird evident, dass diese durch eine schlagwort-, plot- und darstellungsbasierte Assoziationstechnik mit einzelnen bewusst eingesetzten, allusiven Elementen erzeugt werden. Sie verweisen auf frühere, dem Leser abhängig von seinem historischen und literarischen Vorwissen bekannte Personen oder Sachverhalte, welche überwiegend dem römischen Kulturkreis zuzuordnen sind. Wie einerseits Marincola zu Recht betont, sind hierbei oftmals schon die bloße Suche nach wie auch das ausschließliche Auffinden von etwaig vorliegenden Anspielungen oder gegebenenfalls alternativen Bearbeitungen und Adaptionen vertrauter Stoffe sowie Motive reizvoll und erzielen ein gesteigertes Lektürevergnügen, ohne dass der jeweilige Doppelsinn noch entschlüsselt werden müsse.196 Andererseits wird der Rezipient nach Booth durch das andeutungshafte Wiederaufgreifen ähnlicher Begriffe, Handlungssequenzen und Stimmungen zu einer konzentrierten, geistigen Auseinandersetzung mit dem Diskurs angehalten, die neben einer bilanzierenden, deskriptiven Wahrnehmung von Gemeinsamkeiten sowie Unterschieden zwischen gegenwärtiger und referenzierter Schilderung, wie Foubert annimmt, insbesondere auf eine subjektive Hypothesenbildung bezüglich des rätselhaften Gehalts der evozierten Parallelen abhebt.197 Auch wenn diese nämlich erstens durch die angestoßenen Figurenvergleiche einen entscheidenden Beitrag von möglicherweise suggestiver Kraft zur Übertragung spezifischer Wesenszüge und differenzierten Charakterisierung leisten,198 erschöpft sich deren Funktion keineswegs in einer stereotypen Persönlichkeitsgestaltung zur Manipulation des Leserurteils bezüglich einzelner Protagonisten.199 Vielmehr bieten die Analogien zweitens Gelegenheiten zur diachronen Geschichtsbetrachtung, indem sie eine oder mehrere mentale Paraebenen als Folien zum berichteten Geschehen eröffnen, die zu diesem vorab in einem unbestimmten, statischen Spannungsverhältnis stehen. Bei dessen Auflösung können unter der Erzähloberfläche verborgene geschichtliche Details, plausible Erklärungen sowie ungeahnte Erkenntnisse, korrelative respektive kontrastive Blickwinkel, unausgesprochene Kritik oder spezielle Bewertungsmaßstäbe hervortreten. Dies dient einer relativierenden Einordnung der augenblicklich referierten Ereignisse sowie Personen in einen erweiterten historisch-mythologischen Bezugsrahmen, sodass „die Analogie […] (nicht nur) eines der wichtigsten Verfahren zur Rekonstruktion geschehener Geschichte“200 ist, sondern den Aufbau eines reflexionsbasierten, 196 Vgl. Marincola (1997), S. 16, und O’Gorman (2000), S. 9. 197 Vgl. Booth (1961/1974b), S. 41, der anmerkt, dass „die Entschlüsselung von Anspielungen und subtilen Bemerkungen nur eine Form der aktiven Mitarbeit des Lesers ist“, und Foubert (2010), S. 350: „Parallelisms between two ore more passages invite the reader to compare these, to look for similarities or differences between the two subjects at stake.“ 198 Vgl. Tresch (1965), S. 183. 199 Vgl. Hausmann (2009), S. 111 sowie S. 145. 200 Demandt (1986), S. 57.

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4. Textinhärente Strategien der Leseraktivierung

kohärenten und tief gehenden Geschichtsverständnisses begünstigt. Drittens steigern allusive Verweise auf prominente Akteure und Vorkommnisse der Vergangenheit die Erwartungs- und Anspannungshaltung aufseiten des Rezipienten, inwiefern ein vergleichbar attraktiver, brisanter oder dramatischer Verlauf mit ähnlichem Ausgang zu antizipieren ist und sich die derzeitigen Protagonisten hinsichtlich ihrer Worte sowie Taten als den ihnen gegenübergestellten Vorbildern ebenbürtig erweisen. Obzwar die regelmäßig wiederkehrenden, narrativen Parallelstrukturen viertens nach Zipfel eine planvolle Komposition, den auktorialen Schöpfungsakt und damit den Fiktionalitätsstatus des Diskurses deutlich erkennen lassen,201 wird dadurch weder der Unterhaltungswert noch der geschichtsdidaktische Darstellungsgehalt geschmälert. Dieser wird fünftens daraus ersichtlich, dass der Leser durch die Analogien zwischen historischen Persönlichkeiten sowie Geschehnissen modellhaft zu einem exempla-Denken sowie zu einer analytisch-komparativen Betrachtungsweise angeleitet wird. Diese kehrt die geschichtliche Iterativität typischer Vorgänge hervor und ermöglicht dadurch eine erfahrungsbasierte, prospektivische Bewertung entsprechender Entwicklungstendenzen in der Gegenwart des Rezipienten, sodass der Historiographie bis heute ein einzigartiger Wert als magistra uitae zuteil wird.202 4.2 FIGURENZENTRIERTE STRATEGIEN DER LESERINVOLVIERUNG Die empathische Identifikation mit einem Haupt- oder einem der handlungstragenden Nebenprotagonisten ist in jeder fiktiven sowie faktualen Erzählung als unentbehrliche Determinante einer engen Leserbindung und gelungenen Spannungsentwicklung anzusehen.203 Der Rezipient kann abhängig von seinem subjektiven Vorstellungsvermögen und Wertesystem die individuelle Perspektive einer Figur auf das historische Geschehen übernehmen oder sich von dieser bewusst distanzieren beziehungsweise sich in deren fingiertes Schicksal unter sym- oder antipathischer Empfindung und emotionaler Teilhabe einfühlen.204 Denn „jedes literarische 201 Vgl. Zipfel (2014), S. 109. 202 Vgl. Cic. de orat. 2,36 und Petersmann (1993), S. 17: „Geschichte wiederholt sich, Formen und Strukturen kehren wieder, wenn bestimmte Konstellationen wiederkehren.“ 203 Vgl. Wenzel (2004), S. 183, Brewer (1996), S. 109 f., Pausch (2011), S. 209, Fuchs (2000), S. 113 f., Groeben/Christmann (2014), S. 347, Jannidis (2004), S. 6 sowie S. 108: „Die Identifikation mit der Hauptfigur ist sicherlich das wichtigste Mittel, um das Interesse des Lesers am Text zu wecken und zu halten.“, Pfister (2001), S. 144: „Ein Faktor, der unmittelbar die Spannung beeinflußt, ist der Grad der Identifikation des Rezipienten mit der fiktiven Figur, die das Subjekt der folgenden Handlungssequenzen ist.“, und van Holt/Groeben (2006), S. 115 sowie S. 117 f. 204 Vgl. Pfister (1978), S. 21: „Der Begriff der ‚Sympathielenkung‘ umgreift damit zwei Ebenen der Rezeption: (1) die ästhetische Einstellung des Publikums den fiktiven Figuren und Geschehensabläufen gegenüber, die zwischen den Polen der Identifikation und des Engagements und einer neutralen oder kritischen Distanz variiert, und (2) die ganzheitliche, gefühlsmäßige moralisch wertende und intellektuelle Momente integrierende Reaktion des Publikums auf die Dra-

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Werk mit irgendeiner Aussagekraft – ob es sein Autor nun in Gedanken an seine Leser verfasst hat oder nicht – ist eigentlich ein kunstvolles System, mit dem Anteilnahme und Distanz des Lesers gelenkt werden“,205 wie Booth bemerkt. Ebenso weist Fuchs die Kategorie rezipientenseitiger Emotionen als spannungsbegründend aus und Junkerjürgen auf die enorme Bedeutung charismatischer Protagonisten sowie deren Kapazität, beim Leser empathische Reaktionen auszulösen, in seiner Metastudie bezüglich spannungserzeugender Textelemente hin,206 auf die ein narratologischer Analyseansatz notwendigerweise zu beschränken ist.207 Jannidis’ Behauptung, „die identifikatorische Lektüre (sei) weitgehend ein Phänomen der Neuzeit“,208 ist jedoch mit Verweis auf ein Rezeptionszeugnis aus Ciceros Rede für M. Claudius Marcellus zu widerlegen, in dem der homo nouus aus Arpinum ein vergleichbares Lektüreverhalten beim antiken Rezipienten beschreibt.209 In Anlehnung an Pfisters Klassifikation sollen folglich verschiedene Einflussfaktoren auf das Potenzial zur empathischen Identifikation des Lesers mit Handlungsfiguren aufgezeigt werden.210 Die hierzu ausgewählten Beispiele dienen vorrangig zur Illustration unterschiedlicher Darstellungsfacetten und zielen, auch wenn sie überwiegend die Hauptakteure in den Nerobüchern betreffen, weder auf eine vollständige Erfassung aller Einzelelemente noch auf eine ganzheitliche Präsentation eines figurenspezifischen Charakterbildes ab, welche in der Forschung bereits zahlreich vorliegen.211

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menfiguren, die sich in ein Spektrum von uneingeschränkter Sympathie bis zu uneingeschränkter Antipathie abstufen läßt.“, und van Holt/Groeben (2006), S. 122: „Gemeinsam ist allen Konzeptionen, daß sie den Aspekt, der Rollen- bzw. Perspektivenübernahme, der Einfühlung in andere Personen bzw. literarische Figuren oder der Übernahme von Figurenemotionen beinhalten. […] Unter Identifikation als empathischer Rezeptionshaltung ist also eine Haltung der Bereitschaft zur Perspektivenübernahme und zur Einfühlung in fiktive Figuren zu verstehen.“ Booth (1961/1974a), S. 127 sowie vgl. S. 129 und S. 132. Vgl. zudem Jannidis (2004), S. 229: „Leser bewundern und verabscheuen Figuren, sie fühlen mit ihnen und sie imitieren sie im wirklichen Leben.“ Vgl. Fuchs (2000), S. 31, und Junkerjürgen (2002), S. 34 sowie S. 61 f. Vgl. dazu auch Langer (2008), S. 22 f., Ackermann (2008), S. 37, Wenzel (2004), S. 183, sowie Van Holt/ Groeben (2006), S. 115. Vgl. Jannidis (2004), S. 231: „Wie auch immer man aber Identifikation als Prozeß auffaßt, auf jeden Fall handelt es sich um die psychischen Prozesse von Lesern – und dazu kann die Narratologie als textzentrierte Theorie offensichtlich nichts beitragen. Allerdings kann sie einen genuinen Beitrag leisten, wie der Text die Beziehung des Lesers zum Protagonisten bestimmt.“, und Pfister (1978), S. 21 f., der von „rhetorisch-strategische(n) Kategorien“ bzw. „den vom Autor intendierten und in den Strukturen des Textes konkretisierten Strategien der Sympathielenkung“ spricht, „über die der Autor die Textrezeption, die Einstellung des Rezipienten den Figuren gegenüber steuert.“ Jannidis (2004), S. 230. Cic. Marcell. 9 at uero cum … audimus aut legimus, quo studio incendimur, non modo in gestis rebus sed etiam in fictis ut eos saepe quos numquam uidimus diligamus! Vgl. zudem Pfisters (1978) Hinweis, S. 23, auf die von Aristoteles geforderte, affektive Publikumswirkung des antiken Dramas. Vgl. Pfister (1978), S. 27–31. Vgl. für die entsprechende Sekundärliteratur z. B. hinsichtlich Nero Anm. 283 f., Seneca Anm. 286, Burrus Anm. 290, Cassius Anm. 291, Thrasea Anm. 296, Corbulo Anm. 297, Agrip-

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4.2.1 Geschichts- und handlungsbasiertes Identifikationspotenzial Literarische Vorprägung und Originalität von Persönlichkeiten Die leserseitige Identifikationsbereitschaft wird nach Pfister schon durch vorherige literarische und außerliterarische Bearbeitungen desselben Geschehens vorgeprägt, wobei seiner Meinung nach diesem Kriterium „eine besondere Bedeutung dann zu(kommt), wenn der Text selbst durch Zitate oder Anspielungen darauf verweist, daß die Kenntnis dieser früheren Fassungen vorausgesetzt wird.“212 Elementare Kenntnisse der zwar nicht explizit erwähnten Schriften Senecas sowie der pseudosenecanischen Tragödie ‚Octavia‘, sofern deren in der Forschung umstrittene Frühdatierung zutrifft, können beim Rezipienten gewiss subjektive Einstellungen gegenüber einzelnen Protagonisten der Nerobücher prädisponieren.213 Vor allem sind diesbezüglich aber die ausdrücklichen anonymen sowie namentlichen Referenzen auf historiographische Vorläufer in Betracht zu ziehen. Wie mit Verweis auf deren Analyse unter dem Aspekt einer multiperspektivischen Auffächerung der Geschichte ersichtlich wird,214 modellieren nicht nur die partikelbasiert koordinierten Quellenzeugnisse durch alternative Zuschreibungen von persönlichen Handlungsmotiven und -zielen stets Charaktereigenschaften von Protagonisten. Vielmehr verhandeln abgesehen von den beiden Detailangaben zu militärischen Verlustzahlen215 sämtliche Quellenbezüge individuelle Persönlichkeitsfacetten vor dem Hintergrund der Überlieferung. Daraus sind insbesondere die vier Passagen hervorzuheben, an denen sich Tacitus deutlich gegen tradierte Personenbewertungen stellt: Er distanziert sich nämlich von Senecas allzu positiver Würdigung durch Fabius Rusticus, relativiert Corbulos Kritik an Caesennius Paetus und erhellt dadurch indirekt dessen eigene Persönlichkeit. Zudem widerspricht er Plinius dem Älteren in Bezug auf Pisos und Antonias geplante Rollen bei der Pisonischen Verschwörung, wodurch auf beide ein etwas günstigeres Licht fällt, und entlastet Nero von dem diskreditierenden Vorwurf, Poppaea willkürlich getötet zu haben, was ihm frühere Historiographen unterstellen.216 Ein darüber hinausgehender philologischer Vergleich ist zwar aufgrund des überlieferungsbedingten Verlusts entsprechender literarischer Vorlagen über den neronischen Prinzipat nicht möglich. Gerade die Figur der Poppaea zeigt aber einerseits durch die Orientierung ihres Portraits am Vorbild der sallustianischen Sempronia auf,217 wie sehr die Charakteristiken der Protagonisten gattungsbedingt

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pina Anm. 315 sowie Anm. 322, und Poppaea Anm. 217 sowie Anm. 321. Vgl. ferner die Ausführungen Krohns (1934), S. 8–31, Koestermanns (1956), S. 191–206, sowie Geisers (2007), S. 153–282, die dem Charakter des Kaisers Galba gewidmet sind. Pfister (1978), S. 28. Vgl. zum Verhältnis zwischen den ‚Annalen‘ und den Werken Senecas bzw. der Praetexta Octavia Anm. 346–349 bzw. Anm. 360. Vgl. Abschn. 3.3.3. 14,33,2 bzw. 14,37,2. 13,20,2, 15,16,1–3, 15,53,4, 16,6,1 je mit Abschn. 3.3.3. 13,45,1–3 bzw. Sall. Catil. 25; vgl. Bruns (1898/1961), S. 44 sowie S. 70, Mendell (1935/ 1969), S. 462, Syme (1967), S. 353, Schürenberg (1975), S. 42 Anm. 2, Martin (1990),

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vorgeprägt oder unter den künstlerischen Innovationsprinzipien der imitatio und aemulatio bewusst nachgestaltet sein können.218 Andererseits unterscheidet sich Poppaeas Darstellung bei Tacitus nach einhelliger Forschungsmeinung hinsichtlich ihrer einzigartigen aktiven Handlungsrolle deutlich von deren Persönlichkeitszeichnung in der Parallelüberlieferung.219 Diese kennt zudem die Rollen Agermus’, Epicharis’, Subrius Flavus’, Octavias, Thraseas oder Senecas nicht beziehungsweise richtet diese wesentlich anders aus.220 Daraus wird zusammen mit den angeführten heterogenen Quellenreferenzen eine intentionale Akzentverlagerung möglicherweise sympathiefördernder respektive -hinderlicher Charaktermerkmale sowie Handlungsmomente hinreichend evident221 und „dem implizierten Rezipienten (werden) Veränderungen an der Geschichte und den Figuren als pointierte Strategien der Sympathielenkung bewußt gemacht.“222 Sympathielenkung durch Handlungskontexte Weil Figuren mit spezifischen Situationen, anlässlich derer sie eingeführt werden oder in denen sie agierend und eventuell wiederholt vorkommen, nachhaltig assoziiert werden, beeinflusst der schlichte Handlungsverlauf das empathische Identifikationspotenzial grundlegend.223 So wird Nero zum einen mehrfach mit amourösen Abenteuern, die er mit der Freigelassenen Acte, Rufrius Crispinus’ sowie Othos früherer Gemahlin Poppaea und Vestinus’ Ehefrau Statilia Messalina, in inszestuösen Bestrebungen mit der eigenen Mutter oder als homosexuelle Liebesbeziehung mit dem Eunuchen Pythagoras verbringt, während er seine ordentliche Gattin Octavia zurückweist, in Verbindung gebracht.224 Zum anderen werden dessen spezielle Privataktivitäten und künstlerische Neigungen vielfach thematisiert225 und ihm da-

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S. 1560, Walker (1952), S. 46 sowie S. 75, Koestermann (1967), S. 324 f., Kraus/Woodman (1997), S. 97, McCulloch (1984), S. 122 mit zusätzlichem Hinweis auf Parallelen zum Handlungseintritt Sejans (4,1,1), und Holztrattner (1995), S. 16: „Diese Ähnlichkeit läßt sich auf eine formale Abhängigkeit einzelner Passagen reduzieren; inhaltlich bietet Tacitus eine ganz andere Charakteristik.“ Vgl. zur Intertextualität von Personenbeschreibungen in der antiken Historiographie O’Gorman (2009), S. 238 f., obwohl diesbezüglich laut Marincola (1997), S. 14, besser die antiken Konzepte zugrunde gelegt werden sollten, sowie zu weiteren Anspielungen auf literarische Werke, die nicht denselben geschichtlichen Zeitraum wie die Nerobücher behandeln, Abschn. 4.3.1. Vgl. Anm. 416 (Kap. 3) sowie Abschn. 3.4.2. Vgl. Koestermann (1967), S. 236: „Tacitus bekundet wenig Neigung, die dunklen Seiten im Wesen Senecas allzusehr hervorzuheben, die Dio so giftig anprangert, obwohl sie ihm keineswegs verborgen geblieben sind“, Schmal (2008), S. 110, Taylor (2010), und v. a. Abschn. 4.3.1 sowie Anm. 360 f., Anm. 364 f. und Anm. 433. Vgl. Pfister (1978), S. 28. Pfister (1978), S. 28. Vgl. Pfister (1978), S. 27. In obiger personeller Reihenfolge mit Semikola getrennt: 13,12,1, 14,2,1; 13,46,2, 14,1,1, 14,60,1; 15,68,3; 13,13,2, 14,2,1 f.; 15,37,4; 13,12,2, 14,59,3, 14,60,1. 13,3,3, 13,25,1–4, 13,47,2, 14,14,1–16,2, 15,33,1–34,2, 15,49,3, 16,4,1–4.

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neben eine skrupellose Täterschaft bei mannigfachen Morden angelastet.226 Angesichts der fortwährenden Involvierung in moralisch verwerfliche Handlungskontexte erscheint eine insgesamt positive Beurteilung des Kaisers seitens des Lesers kaum möglich, sondern eher eine von Antipathie geprägte kritische Distanzhaltung angemessen, obgleich der konkurrenzlose Hauptprotagonist Nero wegen seiner dominanten Auftritts- sowie Redehäufigkeit und innerhalb des fokussierten Werkabschnitts überlegenen Handlungspräsenz als Identifikationsfigur per se prädestiniert wäre.227 Zu dieser Entfremdung kann zudem die historisch abstrahierende, intratextuelle Iterativität und Parallelisierung geschichtlicher Situationen beitragen, die sich in Bezug auf Ereignisse und auf Personencharakteristiken wie diejenigen Neros und Agrippinas erkennen lässt,228 welche sodann den Eindruck einer überzeichneten Stilisierung erwecken können.229 Das empathische Identifikationspotenzial wird auch bei seltener agierenden Figuren mittels spezifischer Handlungskontexte bestimmt, wie sich an dem mit konstantem außenpolitischen Erfolg und souveräner Kriegsführung verknüpften Namen Corbulos zeigt.230 Ebenso erregen Nebenakteure wie Octavia, die überwiegend als passiver Spielball und machtpolitischer Trumph der jeweiligen Kaiserinnen fungiert sowie wehrlos und zurückhaltend die Kapriolen ihres Gatten erduldet,231 oder Sulla und Plautus durch ihren kontinuierlichen Gehorsam, ihre Inaktivität sowie ihr konfliktvermeidendes Verhalten aufseiten des Lesers emotionale Nähe, Mitleid und Sympathie für ihr Schicksal.232 Zu prototypischen Vertretern der Senatorenschaft avancieren Thrasea und Cassius durch ihre regelmäßigen Ansprachen sowie überlegten Aktionen vor diesem Gremium, wobei sie teils als reflektierte Erneuerer, teils als konservative Bewahrer republikanischer Traditionen und des moralischen Wertebewusstseins auftreten, denen der Rezipient seine Zuneigung nicht entziehen kann.233 Während zahlreiche Personen durch freches 226 Z. B. 13,15,3–16,4, 14,51,1, 14,57,4, 14,59,2, 14,64,1 f., 15,44,4 f., 15,60,1, 15,61,2, 15,69,1, 16,6,1, 16,21,1. 227 Vgl. Pfister (1978), S. 29: „Die Tatsache, daß eine Figur besonders häufig und lange ‚on stage‘ ist und daß sie sich in besonders vielen und umfangreichen Repliken selbst darstellen kann, beeinflußt bereits das Engagement des Rezipienten für diese Figur, und dies meist im Sinne einer positiven Sympathielenkung, da dadurch ja ihr Selbstverständnis in überzeugenderer und differenzierterer Weise vermittelt werden kann, als dies bei nur wenigen und kurzen Auftritten möglich wäre.“ Vgl. zum Redeanteil Neros Abschn. 3.4.1 und allgemein zur Problematik, den Helden eines Textes zu bestimmen, Bal (1997), S. 131 f. 228 Vgl. Kap. 2.6 und Abschn. 4.1.3. 229 Vgl. Pfister (1978), S. 27. 230 13,6–9, 13,34–41, 14,23–26, 15,1–17, 15,26–31. 231 Octavia wird zuerst von Messalina (11,32,2, 11,34,2), zwischenzeitlich von Narcissus als Gegenargument gegen Paetina (12,2,1), von Agrippina (12,3,2, 12,9,1 f., 12,58,1, 12,68,3, 13,12,2, 13,16,4, 13,18,2) und zuletzt von Poppaea (14,59,3–64,2) benutzt. Vgl. Schürenberg (1975), S. 46: „Man kann sagen, daß wohl keine andere Frauengestalt des frühen Prinzipats so oft und in einer so extremen Weise zum Spielball und Instrument dynastischer und politischer Zielsetzungen anderer geworden ist wie gerade Octavia. Sie ist die passive Heldin par excellence.“, Murgatroyd (2008), S. 265, und Ihrig (2007), S. 412. 232 Sulla 13,23,1, 14,47,1–3, 14,57,4; Plautus 13,19,3–20,1, 13,22,2, 14,22,1–3, 14,58,1–59,3. 233 Thrasea 13,49,1–4, 14,12,1, 14,48,3 f., 15,20,2–21,4; Cassius 13,41,4, 14,43 f.

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Gebaren als gewissenlose Denunzianten, bestechliche Zeugen und infame Ankläger höchst abstoßend erscheinen,234 wird vor allem diesen, die völlig unverschuldet in Not geraten wie Octavia, Sulla, Plautus, Vestinus, Antistius Vetus’ Angehörigen und Barea Soranus mit seiner Tochter Servilia, höchste affektive Anteilnahme im Moment ihrer ungerechten Verurteilung sowie insbesondere ihrer gewaltsamen Ermordung zuteil.235 Dies gilt auch bezüglich derjenigen, die für ihre Gefährdung durch ein provozierendes Verhalten selbst verantwortlich sind wie Agrippina, Burrus, Seneca, Cassius oder Thrasea.236 Die häufigen Prozess- und Mordszenen inklusive ihrer typischen Opferrolle fungieren also qua grundlegendem Handlungsmuster, wie Tacitus zu Recht resümiert, stets als gefühlserregendes narratives Schema, das jedoch weniger Ekel und Überdruss beim Leser,237 sondern eher dessen gesteigertes Empathieempfinden und emotionale Nähe zu den Protagonisten hervorruft. Fazit Durch gezielte Gestaltung und kreative Nuancierung in der geschichtlichen Tradition vorgegebener personeller Wesenszüge ebenso wie durch überlegte Plotselektion und -strukturierung in thematisch spezifischem Bezug zu Auftritten von Protagonisten werden diesen somit spezielle Charaktereigenschaften sowie eine eigene Handlungsbedeutung zuteil. Der leserseitige Effekt dieser elementaren narrativen Techniken zur Sympathiesteuerung beruht weniger auf einer prävalenten Präsenz von Figuren, zumal der Typus eines dominanten, absolut charismatischen und ausnahmslos positiv attribuierten Helden in den Nerobüchern fehlt, sondern vorrangig auf singulärer Darstellungsqualität und -intensität. Dies gilt vor allem bei Erzählpartien mit indirekter und direkter Rede, die wie bereits dargelegt238 durch „besonders sinnfällige und sinnaufgeladene Gestik, (durch) eine poetisch besonders dicht strukturierte Sprache und (durch) eine persuasive Rhetorik […] der antiken ‚ethos‘Strategie entsprechend ein besonders bewegendes ‚image‘ des Sprechers präsentier(en).“239 Zwar ist also schon im geschichtlichen Stoff ein gewisses Maß an empathischem Identifikationspotenzial angelegt. Dieses vermögen jedoch erst eine reflektierte kunstvolle Bearbeitung sowie eine geschickte personen- und situationsorientierte, quantitative oder qualitative Schwerpunktsetzung vollends zu entfalten 234 Z. B. Paetus 13,23,1, Suillius 13,42,1, Cossutianus Capito 14,48,1, 16,21,3, Tullius Geminus 14,50,1, Eucaerus 14,60,2, Anicetus 14,62,3 f., Fortunatus und Claudius Demianus 16,10,2, Antistius Sosianus 16,14,1, Epirus Marcellus 16,22,6, Ostorius Sabinus 16,23,1, P. Egnatius 16,32,2. 235 In obiger Reihenfolge: 14,59,3–64,2, 14,57,4, 14,58,1–59,3, 15,69,2, 16,10 f., 16,21,1–33,1. 236 In obiger Reihenfolge: 14,4,1–8,5, 14,51,1, 15,60,2–64,4, 16,7,1–9,1, 16,21,1–35,2. Vgl. dazu auch Pfister (1978), S. 27: „Eine Figur in einer schlimmen Situation, die sie selbst nicht, oder nur teilweise, zu verantworten hat, wird nicht nur Mitleid erregen, sondern, über dieses Mitleid vermittelt, auch eine weitergehende sympathetische Identifikation, während umgekehrt ein nicht oder nicht völlig verdientes Reüssieren der Figur Sympathie entziehen kann.“ 237 Vgl. Anm. 4. 238 Vgl. Kap. 3.4 bzw. auch Abschn. 4.1.1. 239 Pfister (1978), S. 29.

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und das rezipientenseitige kognitive sowie emotionale Engagement gegenüber einer Handlungsfigur wesentlich zu beeinflussen. 4.2.2 Charakterbezogene Darstellungstechniken Direkte extradiegetische Kommentierung Obzwar eine enorme Detailfülle sowie eine reichhaltig inszenierte Individualität literarischer Figurenbeschreibungen den Aufbau einer engen affektiven Beziehung zwischen extradiegetischem Adressat und textueller Persönlichkeit begünstigt, kann angesichts der Erzählökonomie nicht allen Protagonisten eine vergleichbar umfassende Charakterisierung zugewiesen werden. Diese ist neben quellen- und plotspezifischen sowie intentionalen Aspekten vorrangig nach deren jeweiliger Handlungsrelevanz auszurichten.240 Hierzu bietet die narrative Technik der direkten auktorialen Charakterisierung, bei der das kommentierende Subjekt außerhalb der Erzählung zu verorten ist,241 eine angemessene Variationsbreite. Denn einerseits können Persönlichkeitseigenschaften von lediglich einmal in den Vordergrund tretenden Randfiguren mit wenigen präzisen Strichen, aber dennoch auf die jeweilige Einzelszene sowie die beabsichtigte Bewertung ihres Wesens abgestimmt und so effektvoll gezeichnet werden, dass sie zugleich „die Eigenart der Hauptpersonen unterstreichen helfen.“242 Dies wird beispielsweise darin ersichtlich, dass die Giftmischerin Locusta knapp, zweckgebunden und implizit auch Nero diskreditierend anlässlich von Britannicus’ Ermordung erwähnt wird.243 Analog wird Otho auf seine Beteiligung an den Ausschweifungen des Prinzeps sowie Rolle als Poppaeas persönlicher Wegbereiter in den Palast reduziert244 und Vatinius ausschließlich als Veranstalter eines Gladiatorenspiels bei Beneventum sowie äußerst verworfenes Element des kaiserlichen Zirkels präsentiert.245 Andererseits können Personen, denen offensichtlich Tacitus’ besonderes Interesse sowie gesteigerte Aufmerksamkeit zukommt, trotz ihres Vorkommens in nur einer einzigen Handlungspassage mittels der direkten Methode ein differenziertes und facettenreiches Charakterportrait erhalten.246 Dies trifft auf den römischen 240 Vgl. Geiser (2007), S. 12 f. 241 Vgl. Pfister (1978), S. 30, und Geiser (2007), S. 24: „Zur direkten Methode zählen demnach nur Äußerungen über eine Person seitens des Autors, etwa Kommentare und wertende Bemerkungen sowie die Beschreibung einer Person in einer regelrechten Charakterskizze, einer Art Kurzportrait, […].“ 242 Krohn (1934), S. 94; vgl. Koestermann (1943), S. 205. 243 13,15,3 …, cuius cura attinebatur damnata ueneficii nomine Locusta, multa scelerum fama. 244 13,45,4 …, Otho … iuuenta ac luxu et quia flagrantissimus in amicitia Neronis habebatur. 245 15,34,1 f. … apud Beneuentum …, ubi gladiatorium munus a Vatinio celebre edebatur. Vatinius inter foedissima eius aulae ostenta fuit, sutrinae tabernae alumnus, corpore detorto, facetiis scurrilibus; primo in contumelias adsumptus, dehinc optimi cuiusque criminatione eo usque ualuit, ut gratia pecunia ui nocendi etiam malos praemineret. 246 Vgl. Jannidis (2004), S. 92 sowie S. 220, der diese vermeintliche Statik mit der kurzen Präsenz dieser Personen begründet, die für eine dynamische Charakterentfaltung nicht genüge.

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Ritter Annaeus Mela, den Vater des Schriftstellers Lukan, und den Literaten C. Petronius, den vermeintlichen Autor des ‚Satyricon‘ zu,247 sodass diese Darstellungsweise keineswegs auf einige schlichte Bemerkungen zu figuralen Wesenszügen beschränkt ist. Zwar eignet sie sich augenscheinlich vor allem zur einmaligen, überraschenden Personenintegration, was ferner ebenfalls die detaillierten Angaben bezüglich Poppaeas, Tigillinus’, Faenius Rufus’ und Pisos Gemütsarten anlässlich von deren primärer Nennung unterstreichen.248 Deren längere Handlungsbeteiligung und abschnittsweise zentrale Bedeutung verdeutlichen aber ebenso wie die zur Klärung der Personenkonstellation wieder aufgegriffenen, wesentlichen Merkmale Senecas, Burrus’, Agrippinas, Pallas’, Neros oder Corbulos zu Beginn des 13. Buchs oder die dreistufige moralische Entwicklung des Prinzeps einen weiteren Verwendungsaspekt der direkten Methode.249 Diese kann offenbar auch zur beiläufigen und kontinuierlichen Kommentierung, Entfaltung und Präzision von Charakterbildern eingesetzt werden. Damit trägt sie nach Pfisters Ansicht nicht nur dazu bei, aus verbindlicher, übergeordneter und auktorialer Perspektive die textinhärente Wertehierarchie zu bestimmen und den Personen abhängig von deren individuellem Grad, in dem sie dieser entsprechen, Sym- und Antipathie zu verleihen, sondern steht in enger Interdependenz mit indirekten Verfahren.250 Indirekte intradiegetische Merkmalsattributionen Unter der Technik der indirekten Charakterisierung sei nach Geiser gemeinhin die Enthüllung der Persönlichkeitseigenschaften einer bestimmten Figur in den Gedanken, den Äußerungen und dem Verhalten seitens der darzustellenden Person selbst zu verstehen. Hierzu gehöre aber auch die Wahrnehmung sowie Bewertung von deren wesenseigenen Handlungen und Reden aus dem Blickwinkel anderer Protagonisten,251 sodass sich diese Präsentationsmethode offenbar mit den Begriffen der internen sowie externen Fokalisierung auf intradiegetische Instanzen beschreiben lässt.252 Demzufolge sind die in vorherigen Kapiteln zur monofokalisierten oder polyperspektivischen Darstellungsweise aufgezeigten Elemente, insofern sie nicht unpersönliche geschichtliche Ereignisse, sondern individuelle Prota247 16,17,3 f. bzw. 16,18,1 f.; vgl. zur allgemeinen Annahme, dass dieser C. Petronius mit dem Urheber des ‚Satyricon‘ identisch sei z. B. Rankin (1965), S. 233 mit weiterführender Literatur in Anm. 1, Syme (1967), S. 387 sowie S. 538 je mit Anm. 6, und Suerbaum (2015), S. 136. 248 13,45,1–3, 14,51,2 f., 15,48,2 f. 249 13,2,1–3 bzw. 13,8,3 sowie Anm. 350 (Kap. 2). 250 Vgl. Pfister (1978), S. 30, und zum Einfluss textinterner Wertungen auf das Identifikationspotenzial einer Figur Jannidis (2004), S. 234 f. Vgl. ferner Daitz (1960), S. 46, Geiser (2007), S. 23–27, Schmal (2011), S. 98, Römer (1999), S. 309, zur historischen Entwicklung dieser Charakterisierungstechniken Bruns (1898/1961), S. 18 bzw. S. 43 f., zu deren Einsatz in den Tiberiusbüchern ders., S. 69–71, Blänsdorf (2007/2015), S. 146 f., und Suerbaum (2015), S. 129–133. 251 Vgl. Geiser (2007), S. 23 f. 252 Vgl. dazu auch Pfister (1978), S. 29 f., der demgemäß von Informationsvergabe, Perspektive sowie insbesondere Innen- und Außenschau spricht.

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gonisten oder gesellschaftliche Kollektive fokussieren,253 als abwechslungsreiche und vielfältige Zeugnisse für die mannigfachen Gestaltungs- sowie Verwendungsmöglichkeiten indirekter Charakterisierungen zu erachten. Diese werden um die Ausführungen zu Formen und Funktionen von Reden in den Nerobüchern inklusive der in diesem Kontext diskutierten Exempla bereichert.254 Aufgrund dieses hinreichenden illustrativen Apparats können sich die nachstehenden Erläuterungen auf spezifische Wirkungsaspekte bezüglich des empathischen Identifikationspotenzials beschränken, die anhand von vier teils bekannten, teils ergänzten Textpassagen beispielhaft hervorgehoben werden. Während der Leser bereits weiß, dass das geplante Schiffsattentat auf Agrippina missglückt ist und diese ihrem unheilvollen Schicksal durch gespielte Verstellung sowie Zurückhaltung zu entgehen hofft, wartet Nero immer noch auf Nachrichten bezüglich des Ausgangs dieses Mordversuchs. Nach der Meldung, dass seine Mutter lediglich leicht verletzt entkommen sei, antizipiert er in seiner Phantasie deren schlimmste Racheaktionen gegen ihn.255 Gemäß dieser Fokalisierung ist der Informations- temporär auf den Kenntnisstand des Kaisers reduziert, sodass neben dessen inszenierter Innenperspektive auch eine offensichtliche Diskrepanz zwischen dem figurenbezogenen und dem leserseitigen Wissensniveau vorliegt. Mithilfe dieser beiden Darstellungsaspekte, die Pfister als typische Kriterien der Empathielenkung anerkennt,256 wird einerseits Neros emotionaler Zustand als konsterniert und völlig verängstigt, einer der basalen Charakterzüge des Prinzeps, beschrieben.257 Andererseits wird aufgrund von dessen Informationsdefizit sowie der realitätsfernen Einschätzung der gegenwärtigen Lage das an sich sympathieförderliche Potenzial der inneren Fokalisierung in eine Distanz schaffende, Neros subjektive Verblendung aufzeigende Form dramatischer Ironie verzerrt. Diese mindert aufseiten des Publikums die Verständnisbereitschaft für dessen brutale Vorgehensweise und evoziert eine affektive Oppositionshaltung gegenüber dem weltfremden, die moralischen Grundwerte verachtenden Täter. Die beiden Einblicke in Agrippinas Gedanken und Gefühle, die in den Bericht ihrer Ermordung eingebunden sind, kehren hingegen ihre körperliche sowie seelische Verletzlichkeit, bemitleidenswerte Verlassenheit und mittellose Ohnmacht hervor,258 was in scharfem Kontrast zu ihrem Einflussreichtum, Machthunger sowie abschreckenden Auftreten zu Beginn der Nerobücher steht.259 Am Tiefpunkt 253 254 255 256 257 258 259

Vgl. Kap. 3.2 sowie Kap. 3.3. Vgl. Kap. 3.4. 14,7,1 f. mit Abschn. 3.2.1. Vgl. Pfister (1978), S. 29 f. Vgl. Anm. 418 (Kap. 3). 14,6,1 bzw. 14,8,3 f. mit Abschn. 3.4.2. 13,2,2 f., 13,5,1 f., 13,13,1–4, 13,14,2 f., 13,18,2 f., 13,21,1–6; vgl. Ammerbauer (1939), S. 41: „Mit dem Verlust der Macht tritt mit einem Schlage ein Bruch in der Charakterzeichnung ein: die vitia treten in den Hintergrund und können mitunter sogar durch virtutes ersetzt werden.“, sowie S. 49 f., und zum Machtstreben als basaler Eigenschaft Agrippinas Schürenberg (1975), S. 30–35, die ebenfalls von einer zweiphasigen Figurenkonzeption ausgeht, aber den Umbruch anlässlich von Neros Herrschaftsantritt erkennen möchte, sowie ferner Klug (1979), S. 278 f., und Daitz (1960), S. 51.

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ihres persönlichen Machtverlusts erscheinen ihre durch die einmalige Gefahrensituation ausgelösten, menschlichen Gemütsregungen der Verzweiflung und Angst nachvollziehbar und nahbar, sodass sie höchstes Potenzial dafür bergen, Mitgefühl zu erzeugen und sich emotional in das tragische Schicksal der Mutter hineinzuversetzen.260 Durch dieses Unmittelbarkeitserleben und die empathische Identifikationsmöglichkeit leisten die zwei präsentierten inneren Monologe einen wesentlichen Beitrag zu einer planvoll angelegten Charaktertransformation gegen Lebensende,261 die sich auch in einigen auktorialen Bemerkungen widerspiegelt,262 ohne die vorherige Persönlichkeitszeichnung jedoch völlig aufzuheben.263 Obgleich die Kaisermutter nicht unverschuldet in diese brisante Lage gerät, so erfährt die zuerst unliebsame Protagonistin gegenläufig zu ihrem Stellungsverlust als Opfer der neronischen Willkür eine Steigerung an Anteilnahme und Sympathie, eine narrativ intendierte, vermeintlich paradoxe affektive Leserreaktion, wie Booth treffend zusammenfasst: „[…] dann reichen unsere Gefühle für die Übeltäter von unbekümmertem Vergnügen bis zu allergrößtem Entsetzen, von mitleidvollem Verzeihen bis zu Haß, was primär nicht von irgendeiner natürlichen Beziehung zwischen den Ereignissen als solchen und unserer Reaktion abhängig ist, sondern vielmehr davon, wie der Autor sich dazu stellt.“264 Bezüglich der Attribution von Charaktermerkmalen durch externe Fokalisierungen auf Personen ist erstens die beleidigende Aussage einer Magd Octavias, die sie trotz Folterungen Tigillinus entgegenschleudert, dass ihre Herrin keuscher als dessen Mund sei, besonders bemerkenswert.265 Denn diese unterstellt Tigillinus nicht nur gewisse sexuelle Dienste, auf denen möglicherweise dessen Machtposition gründet, sondern beschreibt Octavia als treue, unbefleckte Ehefrau, die scheinbar einen derart menschenfreundlichen Umgang mit ihren Dienerinnen pflegt, dass die Mehrheit dieser selbst unter Einwirkung körperlicher Gewalt nicht dazu bereit 260 Vgl. Pfister (1978), S. 30: „Einer solchen Innenschau kommt meist, […], eine verständnisund sympathiefördernde Funktion zu.“ 261 Vgl. Pfister (1978), S. 30: „So werden Sympathieumschwünge in Bezug auf eine Figur meist dadurch eingeleitet, daß sie aus dominanter Innenschau in dominante Außenschau oder umgekehrt gerückt wird.“ 262 14,4,1 …, facili feminarum credulitate ad gaudia, 14,4,4 satis constitit extitisse proditorem, et Agrippinam auditis insidiis, an crederet ambiguam, gestamine sellae Baulos peruectam. bzw. 14,13,2 …, seque in omnes libidines effudit, quas male coercitas qualiscumque matris reuerentia tardauerat. Vgl. Schürenberg (1975), S. 109, die über Agrippinas Beweggründe urteilt: „Damit erweckt der Bericht den Eindruck, daß der Motivation für Agrippinas Verhaltensweise vielmehr ihre charakterlichen Schwächen als verstandesmäßige Überlegungen zugrunde lagen.“, Röver/Till (1969), S. 51, die anmerken, dass es Tacitus verstehe, „in diesem Kapitel den Leser Agrippinas verbrecherische Untaten angesichts des ihr vom eigenen Sohn […] bereiteten gräßlichen Endes vergessen zu lassen.“, und zudem Hommel (1936), S. 125, sowie Betensky (1978), S. 428 f., die treffend auf die Symbolhaftigkeit der geschilderten Gestik eingehen. 263 14,2,1 f., 14,4,3 f., 14,6,3. 264 Booth (1961/1974a), S. 118 f.; vgl. bestätigend Fludernik (2006), S. 93. 265 14,60,3 actae ob id de ancillis quaestiones, et ui tormentorum uictis quibusdam, ut falsa ad­ nuerent, plures perstitere sanctitatem dominae tueri; ex quibus una instanti Tigillino castiora esse muliebria Octauiae respondit quam os eius. Vgl. auch Koestermann (1968), S. 146.

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ist, wahrheitswidrig gegen jene auszusagen. Zugleich spiegelt diese standhafte und ehrliche Haltung unter den gegenwärtigen Umständen eine Glaubwürdigkeit erzeugende, positive Bewertung auf die Sprecherin zurück, sodass deren schlagkräftiger Vorwurf in diesem Moment eine wechselseitige Beurteilung von drei Figuren bietet. Während Octavia also vornehmlich zwar eine passive, aber dennoch gewinnende Wesensart zugeschrieben wird,266 sind zweitens die Haltungen anderer Akteure gegenüber Nero aufgrund dessen ausgeprägter Handlungspräsenz ebenso facettenreich wie kontrovers, was die Interaktionen zwischen diesen und dem Prinzeps beleuchten: Nach Poppaeas Ansicht, die hofft, mit ihren spöttischen Zänkereien Neros Trennung von Octavia und die eigene Heirat mit diesem zu erreichen, ist dieser beispielsweise nicht nur nicht herrschaftsfähig, sondern sogar persönlich unfrei und fremden Autoritäten hörig.267 Subrius Flavus, der sich nach anfänglich erfolglosen Leugnungsversuchen doch noch als tapferer Soldat erweist, bezeichnet den Prinzeps als einen Verwandtenmörder, Bühnenkünstler und Brandstifter,268 wohingegen Petron seiner Persönlichkeit gemäß zynisch dessen private Obszönitäten detailliert schriftlich niederlegt und ihm diese per versiegeltem Brief zustellt.269 Zudem fehlt den Konsuln oftmals die Bereitschaft, den Willen des Senats gegenüber Nero zu vertreten, was eine servile Unterwürfigkeit jener, die ihrer Amtswürde nicht ansteht, zum Ausdruck bringt und diesem den Wesenszug eines despotischen Herrschers verleiht.270 Bei der breiten Volksmasse erfreut sich der Kaiser allerdings, wenngleich nicht hinsichtlich jeder Aktion, so dennoch überwiegend großer Beliebtheit271 und in seinen intimen Überlegungen gebärdet er sich als ränkevolles Staatsoberhaupt.272 Die zahlreichen, bewusst hinsichtlich ihrer Positionierung in der Erzählung, bezüglich gesellschaftlicher Individuen oder Kollektive sowie mit Blick auf thematische Anlässe verteilten Wertungen Neros legen zum einen die der indirekten Methode inhärente, ambivalente Charakterisierungswirkung dar, die schon aus der vorausgehenden punktuellen Eigenschaftsbetrachtung Octavias ersichtlich wird. Zum anderen demonstrieren sie die textuelle Kontinuität wie auch die teils mit Gegensätzen operierende Komplexität von Merkmalsattributionen, aus 266 267 268 269

Vgl. Anm. 231. 14,1,2; vgl. Abschn. 3.4.2. 15,67,2 mit Anm. 140 (Kap. 3). 16,19,3 …, sed flagitia principis sub nominibus exoletorum feminarumque et nouitatem cuiusque stupri perscripsit atque obsignata misit Neroni. 270 14,49,1 at consules, perficere decretum senatus non ausi, de consensu scripsere Caesari. bzw. 15,22,1 non tamen senatus consultum perfici potuit abnuentibus consulibus ea de re relatum. mox auctore principe sanxere, … 271 11,11,2 … L. Domitius adoptione mox in imperium et cognomentum Neronis adscitus, fauor plebis acrior in Domitium loco praesagii acceptus est, 15,44,5 unde quamquam aduersus sontes et nouissima exempla meritos miseratio oriebatur, tamquam non utilitate publica, sed in saeuitiam unius absumerentur, 16,4,3 f. mox flagitante uulgo ut omnia studia sua publicaret (haec enim uerba dixere), … et plebs quidem Vrbis, histrionum quoque gestus iuuare solita, personabat certis modis plausuque composito. crederes laetari, ac fortasse laetabantur per incuriam publici flagitii. bzw. hist. 1,4,3 plebs sordida et circo ac theatris sueta, simul deterrimi seruorum, aut qui adesis bonis per dedecus Neronis alebantur, maesti et rumorum auidi. 272 13,15,1 f. bzw. 14,3,1 f. mit Abschn. 3.4.2.

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denen vom Rezipienten integrativ je ein figurenbezogenes Persönlichkeitsmodell zu konstruieren ist. Fazit Zur knappen oder ausführlichen Einführung von Akteuren sowie sukzessiven konformen beziehungsweise kontradiktorischen Präzisierung, Ergänzung und Veränderung von Charakteraspekten werden fortlaufend direkte und indirekte narrative Verfahren angewandt. Über die damit jeweils gleichermaßen verbundenen Optionen zur textbasierten Sympathielenkung hinaus leistet gerade die indirekte Methode einen beträchtlichen Beitrag zur Leseraktivierung und -involvierung. Aus einer inneren Fokalisierung auf einen Akteur kann nämlich mit entsprechend eingeschränkter Informationsvergabe dramatische Ironie resultieren, die dessen Wahrnehmung als weltfremd ausweist und in einer spannungsvollen Distanz in Bezug auf den Geschehens- wie auch den Wissensstand des Rezipienten erscheinen lässt. Dies begünstigt ein verständnis- und empathieloses, oppositionelles Verhältnis zwischen Handlungsperson und Leser. Durch die suggerierte Transparenz subjektiver Gedanken und Gefühle sowie unter adäquater Berücksichtigung der jeweils situativen Umstände eignet sich die Innensicht allerdings ebenfalls zur Erzeugung und Steigerung des Einfühlungsvermögens, sodass die Wirkung dieses Darstellungsmittels keineswegs vorab determiniert ist.273 Insbesondere zeigt sich dies bei der Anteilnahme sowie Sympathie einfordernden Umbewertung einzelner Protagonisten durch vor ihrem Lebensende eingelegte, emotionale Nähe schaffende Introspektionen. Diese können deren frühere Verhaltensweisen unter verändertem Blickwinkel darbieten und bisher ungenannte Wesenszüge enthüllen, sodass die gesamte Charakterzeichnung nach Jannidis aufgrund ihrer unvermittelten Erwartungsinkonformität entkategorisiert und vielschichtiger wird.274 Des Weiteren erweist sich jede auf eine Handlungsfigur fokalisierte Einschätzung der Persönlichkeit eines anderen Akteurs zugleich als reflexiv. Dies bedeutet, dass die getroffene Aussage nicht nur in Hinblick auf den Charakter des Kommentators relativiert wird, sondern neue Facetten bei diesem wie auch beim kommentierten Protagonisten aufgedeckt, bei beiden unterschiedliche zuvor etablierte Eigenschaften verändert oder weitere ergänzt werden können. Das sym- oder antipathische Potenzial ist also jeweils wiederum zu taxieren und der Fokalizer gibt möglicherweise mehr über sich selbst als über die betrachtete Person preis.275 Über den gesamten Textverlauf hinweg entsteht somit ein engmaschiges, wechselseitiges Bestimmungsnetz indirekter, auf Subjekt und Objekt einer Wahrnehmung gerichteter, charakterisierender Hinweise. Deren situations-, themen- und figurenbezogene Diversität erfordert aufseiten des Rezipienten eine kontinuierliche Integrationsleistung, rege kognitive Evaluationstätigkeit sowie eine stets revisionsfähige Empathiebereitschaft gegenüber den Protagonisten. Hierbei kann der textinhärente Komple273 Vgl. Pfister (1978), S. 29 f. 274 Vgl. Jannidis (2004), S. 182. 275 Vgl. Pfister (1978), S. 30.

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xitätsgrad der systematisch einzubeziehenden, abzuwägenden und auszugleichenden Informationen vom Autor bewusst so hoch ausgeprägt und keineswegs widerspruchsfrei gestaltet sein, „daß die Sympathielenkung in eine kontrollierte Unbestimmtheit umschlägt.“276 4.2.3 Kontrastive Figurenkonzeption und -konstellation Intrapersonelle Charakteranlage und ­dynamik Wie in der sallustianischen Historiographie277 werden durch das Zusammenwirken direkter und indirekter Charakterisierungstechniken die identitätsstiftenden Wesenszüge auch der taciteischen Akteure zwar als konstante Elemente überwiegend schon bei deren ersten Auftritten in der Erzählung angelegt, jedoch unter beharrlicher Bezugnahme weiterentwickelt, verfeinert und komplettiert. Dies bedingt eine Vielfalt an markanten Eigenschaften inklusive gradueller personenspezifischer Nuancierungen278 und nach Vielbergs Meinung, dass sich die individuellen Persönlichkeitsmodelle je aus einem situationsabhängig differenzierten Spannungsfeld von ingenium und mores ergäben.279 Bei dieser „mit Gegensätzen operierende(n) taciteische(n) Charakterschilderung, die sich von Personen und Situationen nicht trennen läßt“,280 sind deshalb intrafigurale Unausgewogenheiten und sogar Widersprüche nicht nur bis zu einem gewissen Grad beabsichtigt,281 sondern ein teils kontradiktorischer Facettenreichtum ist bei Figuren, die über einen längeren Zeitraum an der Handlung beteiligt sind, als ein wesentliches Kompositionsprinzip an276 Pfister (1978), S. 30; vgl. dazu auch Abschn. 4.2.3. 277 Vgl. zur Charakterdarstellung bei Sallust Blänsdorf (2007/2015), S. 139: „Die eigentliche Besonderheit, die offenbar Schule machte, ist die Gliederung in einen schildernden (statischen; Catil. 5,1–5) und einen erzählenden (dynamischen) Teil (cap. 5, 6ff.). Im schildernden Teil werden die wichtigsten Wesenszüge in Antithesenketten aufgezählt, aber nicht eigentlich erklärt, im erzählenden Teil wird die wenigstens mit einem Datum gestützte Geschichte seiner Entwicklung zum Verschwörer berichtet.“, S. 145 in Bezug auf Sulla sowie zusammenfassend S. 147: „Die literarische Form der Personencharakteristiken weist eine fast regelmäßige Zweiteilung in einen statischen und einen dynamischen Abschnitt auf, die sich auch durch die Hervorhebung der besseren und schlechteren Charakterzüge unterscheiden. Einige der Charakteristiken sind in mehrere Abschnitte zerlegt, die den Entwicklungsphasen entsprechen.“ 278 Vgl. Bruns (1898/1961), S. 74 f.: „Das Ausschlaggebende ist, dass die erhaltenen neun Zehntel der taciteischen Darstellung zur Evidenz beweisen, dass sie principiell auf eine Vertheilung, nicht auf eine Zusammenfassung des charakterisirenden Stoffes zielte.“, Daitz (1960), S. 35: „It is Tacitus’ constant emphasis on personality which in large measure gives such vivacity to his characters.“, Schmich (1960), S. 103 f. sowie S. 108, der einen solchen Wandel in der Darstellung Thraseas aufzeigt, und Ker (2012), S. 305, der von „snapshots of Seneca“ spricht, die dem Leser dessen Person sukzessive näherbringen. 279 Vgl. Vielberg (2000), S. 188, und demgegenüber auch den Ansatz Ammerbauers (1939), S. 54, die davon ausgeht, dass die Charakterzeichnung vom jeweiligen Machtbesitz abhängig sei. 280 Borzsák (1970), S. 288 f.; vgl. Häussler (1965), S. 336, und analog zu Sallust Blänsdorf (2007/2015), S. 142 f. 281 Vgl. Koestermann (1963), S. 38, und (1965a), S. 16.

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zusehen.282 Dementsprechend ist es kaum verwunderlich, dass die Gesamtbeurteilungen der Forschung hinsichtlich der Darstellung einzelner Protagonisten in Abhängigkeit von der jeweiligen Akzentsetzung differieren. Denn beispielsweise werden Neros bedenkliche Neigungen zu Beginn seines Prinzipats durch Senecas und Burrus’ moderierendes Eingreifen in die Staatsgeschäfte sowie durch eine geschickte Umstrukturierung der dargebotenen Fakten einerseits verschleiert oder uminterpretiert, wie Heldmann darlegt, sodass im ersten quinquennium durchaus positive Aspekte erkennbar sind.283 Andererseits entartet dieser durch die Servilität seiner Untertanen, den verfrühten Verlust seiner zuverlässigen Berater, den zunehmend verderblichen Einfluss eines veränderten Milieus am Kaiserhof und die uneingeschränkten Möglichkeiten seiner Herrschaftsausübung stufenweise zu einem realitätsfernen Tyrannen.284 Dadurch veranschaulicht sein Lebensgang gewissermaßen prototypisch, wie sehr eine allzu große Machtfülle auf Dauer unausweichlich korrumpiert.285 Auch eine eindeutige Verortung der fingierten literarischen Figur Senecas zwischen einem seriösen, genügsamen Staatsmann und einem machthungrigen, den eigenen philosophischen Idealen zuwiderhandelnden Stoiker gelingt der dieser Fragestellung zugewandten Forschung nicht, die sogar grundsätzlich darüber uneins ist, ob dessen Gestaltung insgesamt als positiv oder negativ zu erachten ist.286 Während dieser gerade in den ersten beiden Nerobüchern äußerst ambivalent beurteilt wird, werden ihm seine anerkennenswerten Charakterzüge, die ihn für den Rezipienten nahbar machen, analog zu Agrippina287 vorwiegend erst anlässlich seiner gewaltsamen Beseitigung 282 Vgl. Geiser (2007), S. 23, S. 143 sowie S. 298, und zu den auf antithetischer Darstellung fußenden Charakterisierungen lediglich einmalig erwähnter Protagonisten Abschn. 4.2.2. 283 Vgl. Heldmann (2013), S. 335–337. 284 Vgl. Fögen (2015), S. 39: „Nero wird darin als ein außer Kontrolle geratener Gewaltherrscher gezeichnet, dessen heftiges Wüten (saeuitia) nicht einmal vor seiner eigenen Mutter Agrippina Halt macht (Ann. 14.3–13), wenngleich auch diese bei Tacitus als eine in ihrer Hemmungslosigkeit und Grausamkeit extrem negative Figur erscheint und persönlich für den gewaltsamen Tod zahlreicher Menschen verantwortlich ist.“, Morford (1990), S. 1610, der von einer schrittweisen Enthüllung eines vorgefassten Nerobildes ausgeht, und auch Anm. 350 (Kap. 2) mit weiterführender Literatur zu diesem Aspekt. 285 Vgl. Jannidis (2004), S. 6: „Die Figur trägt zur Bedeutung eines literarischen Textes bei. Sie kann dies sehr direkt in Form der Personifikation tun, viel häufiger aber exemplifiziert die Figur durch ihre Eigenschaften und ihr Handeln in einer bestimmten Konstellation ein Moment einer umfassenderen Problemformulierung.“ 286 Vgl. Koestermann (1967), S. 236: „Zu einer eindeutigen Bewertung seiner Persönlichkeit ist er jedoch nicht gelangt, er war unfähig, ihn in eine bestimmte Charaktergruppe einzuordnen.“, S. 255, S. 316 f. zu Suillius’ Rede, und ders. (1968), S. 14 sowie S. 302. Ein deutlich negativ konnotiertes Bild Senecas erkennt Walker (1952), S. 222–225, deren Interpretation Gillis (1963), S. 10–12, vehement entgegentritt. Vgl. ferner Hauser (1967), S. 39–44, die von einer Abschwächung der Defizite des Politikers sowie einer Hervorhebung der Positiva des Privatmanns Seneca spricht, ähnlich Ker (2012), S. 306–309, Schunk (1955), S. 7–10, Ryberg (1942), S. 400–403, Abel (1991), Hoffmeister (1831), S. 165 f., Heinz (1948), S. 42, Wittrich (1972), S. 163 f., Schmal (2008), v. a. S. 120 f., sowie (2011), S. 83 f., Zimmermann (2005), S. 267, Develin (1983), S. 91, Fögen (2015), S. 42, Römer (1999), S. 304–306, und Müller (2003), S. 239 f., S. 245 f. sowie S. 250. 287 Vgl. dazu Abschn. 4.2.2 sowie zum Empathiepotenzial von Mordszenen Abschn. 4.2.1.

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im 15. Buch zuteil.288 Dort tritt er nach langer Erzählabstinenz als mutmaßliches Opfer eines noch erfolglosen Giftanschlags respektive daraufhin der Pisonischen Verschwörung auf,289 wobei seine standhafte Gemütsruhe, bewahrte Unschuldigkeit und gegenüber den Familienangehörigen demonstrierte herzliche Zuneigung, die mit Neros blinder Wut kontrastiert, aufseiten des Lesers persönliches Mitgefühl und Sympathie erregen. Trotz einer vergleichsweise geringeren Handlungspräsenz und, wenngleich liebenswerte Aspekte tendenziell überwiegen, wird ebenfalls der Charakter von Senecas Kollegen Burrus, dessen Tod aus ungeklärten Ursachen wiederum eine erhöhte Aufmerksamkeit zukommt, uneinheitlich bewertet.290 Abgesehen von den benannten Mitgliedern des Kaiserhofs werden außerdem vor allem die mehrdeutigen Persönlichkeitszeichnungen von drei Senatoren, die das in den Nerobüchern präsentierte Geschehen fortwährend begleiten, kontrovers diskutiert. Erstens vertritt und bewahrt C. Cassius zwar aufrichtig sowie mit der ungebrochenen Dignität seines Standes die moralischen Werte und die ehrwürdige Tradition der Republik, aber gerade dieser rigorose Konservativismus, nach dem er seine subjektiven Ideale und Ziele überzeichnet und unreflektiert ausrichtet, stellt nicht nur dessen Sinn für realpolitische Erfordernisse infrage. Vielmehr schmälert er die Authentizität seiner Person, ohne dass deren innere Zwiespältigkeit und Wirklichkeitsferne jedoch das Sympathie- und Identifikationspotenzial einschränken.291 Während sich zweitens Thrasea Paetus mit den Gegebenheiten des Prinzipats zu arrangieren und zugleich die altrömischen Ideale konsequent zu verteidigen versucht, werden ihm eine Überbewertung von Nichtigkeiten und bei Antistius Sosianus’ Anklage als niedriges Motiv der vehementen Intervention die eigene Eitelkeit angelastet.292 Zudem unterliegen seine provokanten Auftritte stets dem Verdacht einer dem Staatswesen wenig nützlichen, lediglich zur Steigerung des eigenen Nimbus inszenierten Aufopferung.293 Diese steht in scharfem Kontrast

288 Vgl. Schunk (1955), S. 7–10 zur Wende in Senecas Beurteilung nach dessen Abdankung, Koestermann (1967), S. 236: „Anscheinend werden diese uitia bei ihm überschattet durch die Leistungen in den ersten Jahren der Regierung, und sodann vor allem durch seine honesta mors.“, und auch Abschn. 3.4.2. 289 15,45,3 und 15,56,2 bzw. 15,60,2–64,4. Davor wird er zuletzt beiläufig in 14,65,2 genannt. 290 Vgl. zur Person Burrus’ 12,42,1, 13,2,1, 13,6,3, 13,14,3, 13,20,2–21,1, 13,23,1 f., 14,7,2, 14,15,4, 14,51,1 f. und Gillis (1963), v. a. S. 20: „Burrus was a clever soldier, a man of experience who adapted himself to conditions and met challenges to his power with courage and skill. He was not at all ‚static‘, but a masterly improviser.“, und damit gegen Walker (1952), S. 222, die Burrus zu sehr diskreditiert. 291 Vgl. zur Person Cassius’ 12,11,3–12,1, 13,41,4, 13,48, 14,43 f., 15,52,2, 16,7,1 f. sowie Anm. 544 f. (Kap. 3) und Nörr (1983), S. 221, der zu dem Fazit gelangt, „daß es unmöglich ist, aus dem Cassius des Tacitus einen eindeutigen Charakter zu destillieren. Seine Gestalt schwankt zwischen der wahren Würde alten senatorischen Römertums und einer Mischung von Hypokrisie, Anachronismus, Anpassung und Grausamkeit, die Aspekte des taciteischen Tiberius aufweist.“ 292 13,49,2 cur enim, si rem publicam egere libertate senatoria crederet, tam leuia consectaretur? bzw. 14,49,3 … ne gloria intercideret. 293 Vgl. zu allen Auftritten Thraseas 13,49,1–4, 14,12,1, 14,48,3–49,3, 15,20,2–21,4, 15,23,4, 16,21,1–35,2.

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zum im ‚Agricola‘ propagierten, maßvollen obsequium294 und hallt im auktorialen Kommentar ne †oderim† tam segniter pereuntes (16,16,2) wider,295 sodass dessen Gesamtcharakteristik geradezu von kritischer Ambivalenz geprägt ist.296 Dies trifft drittens ebenfalls auf Corbulo zu, dessen Persönlichkeit Tacitus trotz herausragender militärischer Führungskompetenz und kriegerischer Erfolge bezüglich einzelner Aspekte distanziert gegenübersteht,297 wie den bezeichnenden Formulierungen uerbis magnificis und specie inanium ualidus (13,8,3) zu entnehmen ist. Auch dessen disziplinarische Strenge, hinsichtlich der er Cassius ähnelt, ist phasenweise überzogen und die Notwendigkeit der brutalen Zerstörung Artaxatas zumindest

294 Vgl. dazu ausführlich Anm. 475 (Kap. 2). 295 Vgl. zum Verständnis dieser Phrase Luce (1991), S. 2908–2910. 296 Zu überschwänglich und einseitig über Thrasea äußern sich Kröger (1940), S. 25, und Koestermann (1963), S. 9: „Der ganze Abschnitt bis zum Ende des Werkes enthält kein Wort der Kritik an Thrasea, dessen ebenso mannhaftes wie zugleich maßvolles Auftreten unzweifelhaft seine (sc. Tacitus’) volle Zustimmung findet.“, sowie S. 30, (1967) S. 334 und (1968), S. 15 f. sowie S. 119. Zur Existenz sowie zum taciteischen Verhältnis zu einer stoischen Senatsopposition um illustre Männer wie Rubellius Plautus, Seneca, Lukan, Barea Soranus und Thrasea Paetus vgl. Schmich (1960), S. 3, Koestermann (1965b), S. 169 sowie S. 191, Schmal (2011), S. 121 sowie S. 159 f., Vogt (1936/1969), S. 56, Syme (1957a), S. 163, sowie (1962), S. 247, und Müller (2003), v. a. S. 102–112. Kritisch stehen Thrasea Paetus Furneaux/Pelham/ Fisher (1907), S. 247, Reitzenstein (1926), S. 24, Woodcock (1939), S. 136, Walker (1952), S. 229 f., Martin (1990), S. 1570–1574, Baldwin (1977), S. 141, und Hauser (1967), S. 106–109 mit dem Fazit auf S. 109, gegenüber, dass „neben der offensichtlichen Sympathie für den mutigen Kämpfer einer größern [sic!] libertas senatoria in den Hinweisen auf die teilweise allzu heftige Opposition, die fast allzu selbstherrliche Haltung und die Thraseas Handeln zu stark mitbestimmende cupido gloriae zugleich ein leiser Tadel des Tacitus mit enthalten war.“ Dabei kommt Hauser nach einem Vergleich mit der an Agricola gelobten Haltung, S. 112–114, zu dem Ergebnis, S. 115, dass Thraseas Abweichen vom Weg der moderaten Opposition hin zu einer extremen Provokation gegen Ende gerügt werde. Ausgewogener sind hingegen die Betrachtungen Jens’ (1956), S. 348 f., Schmichs (1960), Rövers/Tills (1969), S. 78, Pigóns (2003), S. 152, Schmals (2008), S. 116, Müllers (2003), S. 260 sowie S. 262 mit Anm. 330, Morris’ (1969), S. 161–163, Heldmanns (1991), der v. a. auf den S. 218–227 auf die von der Forschung vorgebrachten Einwände Bezug nimmt, und Suerbaums (2015), S. 596–605, der in Anm. 432 zudem einen Überblick über die Sekundärliteratur zur Figur Thrasea Paetus’ vorlegt. 297 Vgl. zur Person Corbulos 13,8,1–9,3, 13,34,2–41,3, 14,23,1–26,2, 15,1,1–17,3, 15,26,1–31 und Hammond (1934), v. a. S. 83–88, Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 322, Allgeier (1957), S. 64, S. 85 sowie S. 91, Martin (1990), S. 1554, Mehl (1979), S. 228, Koestermann (1967), S. 250: „Die Charakteristik Corbulos enthält starkes Lob, gleichzeitig aber unüberhörbar auch Kritik.“, S. 302, wo er betont, dass es darauf ankomme, „Corbulo als Exponenten einer zielbewußten Eroberungspolitik zu schildern, Einblick in seine Überlegungen und die daraus resultierenden Entschlüsse zu verleihen und ein abgerundetes Bild seiner Persönlichkeit zu vermitteln.“, S. 305, (1968), S. 71, S. 190 f. sowie S. 214, Morris (1969), S. 58 f., und Pfordt (1998), S. 135–137, sowie Tresch (1965), S. 146, die beide Corbulos Charakteristik nur Positiva entnehmen. Hingegen meint Walker (1952), S. 29: „He is shown as boastful, quarrelsome, and self-seeking, and, Tacitus also implies, fraudulent in the composition of his memoirs.“ Vgl. zudem zu den jeweiligen Textstellen Geiser (2007), S. 46, S. 49, und zusammenfassend, S. 133–139, die eine wesentliche Wende von einer positiven zu einer negativen Bewertung des Feldherrn ab Kapitel 15,3 feststellt.

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diskutabel.298 Zudem verhindert er aus egoistischen, machtpolitischen Motiven, nämlich seinen Oberbefehl nicht zu verlieren, eine rasche Lösung des Armenienkonflikts.299 Die betrachteten Charakterbilder dieser Hauptprotagonisten zeichnen sich also nicht durch innere Einheitlichkeit und harmonische Ausgewogenheit aus,300 sondern deren Faszination speist sich gerade aus einer kontrastreichen Vielschichtigkeit sowie verhaltensbezogenen Inkonsequenz, wie auch Sinclair bemerkt: „Typical of Tacitus’ technique of character-depiction is his use of paradox to convey the contradictory and unexpected behavior of individual historical figures, […]. He is content to leave such paradoxes and contradictions unresolved.“301 Neben diesen intrapersonellen Gegensätzen findet sich zudem regelmäßig eine maßvolle Auslassung oder bewusste Ambiguisierung konkreter akteurspezifischer Handlungsmotive und -ziele.302 Daraus werden einerseits vorrangig enigmatische Figurenkonzeptionen offenbar, die durch die jeweilige Auflösungsnotwendigkeit ihrer spannungsreichen Elemente einen wesentlichen Beitrag zur kognitiven Aktivierung des Rezipienten leisten sowie insbesondere identifikationsfördernd wirken.303 Andererseits spiegelt sich in diesen ambivalenten Charakteranlagen nach Bruns die Vorstellung wider, dass der Mensch kein stabiles Wesen sei und ihn abwechselnd private, soziale sowie politische Faktoren unvermeidbar in heterogener Richtung beeinflussten.304 Damit gelingt eine eindrucksvolle Abbildung der Ganzheitlichkeit, Tiefgründigkeit und Entwicklungsdynamik des menschlichen Daseins mit all seiner immanenten Zerrissenheit, Asymmetrie sowie Irrationalität, welche die in den Rhetorenschulen gelehrte, schematische und starre Typisierung von Persönlichkeiten qualitativ übertrifft.305 Die informations- und interferenzbasierten sowie textgene298 299 300 301

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13,35,1–4, 13,36,3, 15,12,2 bzw. 13,41,2 f. 15,3,1 quippe bellum habere quam gerere malebat. Vgl. Geiser (2007), S. 23, S. 143 sowie S. 298. Sinclair (1991), S. 2814; vgl. Römer (1999), S. 297 sowie S. 307, Daitz (1960), S. 36, Schmal (2008), S. 115, sowie (2011), S. 49, Syme (1967), S. 545: „Tacitus is glad to produce mixed characters or variegated careers.“, und Bergen (1962) mit exemplarischen Verweisen auf Tiberius’ Darstellung, S. 63 f. sowie S. 17: „Sein stilistisches Hauptmittel ist – wie es ja auch die Natur der Sache fordert – die Antithese.“ Vgl. dazu Abschn. 3.3.2. Vgl. Pfister (1978), S. 27 f.: „Identifikationsfördernd ist dagegen, […], eine enigmatische Figurenkonzeption, das Aussparen von Motivationslücken, wodurch der Rezipient ‚sogartig‘ in die Figur hineingezogen wird, da er ihr Enigma gleichsam von innen verstehend auflösen will; allzu große Motivationslücken und -widersprüche können freilich auch in ein Mittel der Distanzierung umschlagen, […].“, und Junkerjürgen (2002), S. 41. Vgl. Bruns (1898/1961), S. 95, Schmal (2011), S. 101, und Blänsdorf (2007/2015), S. 139 sowie S. 147. Vgl. Geiser (2007), S. 11 f., Schmal (2011), S. 97 sowie S. 100, Pöschl (1962/1969), S. 174, sowie (1968), S. XIX, Römer (1999), S. 307 f., Gehrke (2006), S. 396, Kraus/Woodman (1997), S. 104, Koestermann (1953), S. 518, die Walkers (1952) Ansatz, S. 47 sowie S. 204–234, teilweise vehement kritisieren, wobei Vielberg (2000), S. 189, besonders treffend formuliert: „Die Bipolarität von ingenium und mores verursacht […] keine Brüche in der Personenbeschreibung, sondern erlaubt Tacitus die Aufdeckung von Tiefenschichten bei nuancierter Darstellung aller Facetten menschlicher Charaktere, so daß auch Walkers Typentheorie zu undifferenziert und daher verfehlt erscheint.“ Demgegenüber bestärken gerade neuerdings

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rierten Charakterkonzepte erscheinen vielmehr wirklichkeitsnah, facettenreich sowie originell, vermitteln eine plastische Persönlichkeitsillusion und besitzen so einen hohen Eignungsgrad als Identifikationsfiguren und Sympathieträger.306 Dies begünstigt ferner, dass die Personenkonzeption „nicht zu weit über das Maß des allgemein Menschlichen hinausschießt und sich nicht in einem Gigantismus absoluter Positivität oder absoluter Negativität versteigt.“307 Indem stets lobens- und tadelnswerte Züge hervortreten, bietet die vermeintliche Natürlichkeit der Charaktere dem Rezipienten attraktive, dessen Auseinandersetzung und Engagement anregende Reibungsflächen.308 Hiervon sind augenscheinlich exzentrische Persönlichkeiten wie Nero, Agrippina oder Tigillinus nicht ausgeschlossen, zu denen der Leser laut Booth eine verantwortungslose Identifikationsbeziehung herstellen kann309 und die, „selbst wenn sie […] in sich moralisch eher negativ (sind), Sympathie für (sich) gewinnen und den Zuschauer engagieren, da sie ihm stellvertretend die Erfahrung einer Durchbrechung seiner Inhibitionen vermittel(n).“310 Demgegenüber kann ebenfalls ein ausgeprägtes Distanz- sowie Antipathieempfinden Spannung erzeugen und zu einem Gefühl von Genugtuung sowie transzendenter Gerechtigkeit führen, wenn ungeliebten Protagonisten wie dem Kaiser oder dem Prätorianerpräfekt jeweils durch ihre Entmachtung und Ermordung ihr vermeintlich verdientes Schicksal widerfährt.311 Der sorgfältig und dynamisch arrangierten Figurenkonzeption ist folglich ein einzigartiges Empathiepotenzial mit heterogenen publikumsbezogenen Wirkungsweisen inhärent, das zusätzlich aus den nachstehend fokussierten Relationen und Interaktionen zwischen den Akteuren profitiert. Dramatische Antagonismen Indem die Charaktermerkmale der Protagonisten bei deren Wahrnehmung und Verhalten innerhalb der geschichtlichen Lebenswelt kontinuierlich zu anderen Handlungspersonen in Beziehung gesetzt werden, ergeben sich zwischen diesen reziproke Korrespondenz- und Kontrastverhältnisse.312 Diese liegen aufgrund der impliziten, unmittelbaren Vergleiche heterogener und ausdrucksstarker Persönlichkeitseigenschaften, wie sie laut Reitzenstein gerade in den Nerobüchern besonders zahlreich aufeinandertreffen, der Gestaltung textueller Figurenkonstellationen

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Hausmann (2009), S. 12 sowie S. 145, Foubert (2010), S. 349, und Raaflaub (2010), S. 191, Walkers These einer charakterlichen Stereotypisierung. Vgl. Jannidis (2004), S. 87, S. 106 sowie S. 193, der hervorhebt, dass unter anderem die Tatsache, dass sich eine literarische Figur verändere, sie einer natürlichen Person ähnlicher mache. Pfister (1978), S. 27. Vgl. dazu Junkerjürgen (2002), S. 39 sowie S. 41 f. Booth (1961/1974a), S. 134, und vgl. Nünning (2015), S. 102. Pfister (1978), S. 28, und vgl. Pomeroy (2012), S. 147: „Modern readers may often be attracted to Tacitus because of his portrait of tyrannical emperors.“ Vgl. Miltsios (2009), S. 504: „Nor need the characters be positive in order to win the reader’s empathy. It has been brought out that stories involving a potential negative outcome for negative characters develop in a crescendo of suspense too“, und Brewer (1996), S. 115. Vgl. Pfister (1978), S. 28.

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zugrunde, prägen mögliche Handlungskonflikte sowie -verläufe vor313 und veranlassen damit akteur- oder gruppenspezifische Sympathiezuweisungen.314 Demgemäß erhält der Rezipient gleich zu Beginn jenes Werkabschnitts Auskunft über die sich im Kaiserhaus gegenüberstehenden Lager, wobei Neros Erzieher sowie Staatssekretäre Seneca und Burrus mit dessen herrschsüchtiger Mutter Agrippina, zu deren Unterstützern der mächtige Freigelassene Pallas zählt, um die Einflussnahme auf den Kaiser wettstreiten.315 Während dieser anfangs noch zwischen den beiden Parteien steht und erst nach einigen Vorfällen Seneca zuneigt,316 erwächst aus dem Ringen um die Macht, dessen Darstellung zwischen diesseitiger Aktion und gegenseitiger Reaktion pendelt, eine spannungsvolle Handlung mit offenem Ausgang und variierender Empathieverteilung.317 Die Anteilnahme fällt vor allem dem tragischen Opfer dieses Dualismus, Neros Stiefbruder Britannicus, jedoch ansatzweise auch schon der zunehmend isolierten Agrippina zu, obwohl sie Octavia für sich gewinnen kann.318 Als Gegenbewegung zu Agrippinas Machtverlust und mit fortschreitender Erzählung entfernt sich der Kaiser schrittweise von seinen früheren Tutoren und erschließt sich während seiner charakterlichen Fehlentwicklung einen Zirkel aus den verworfensten Persönlichkeiten um ihn als neue Zentralfigur.319 Zu diesem gehört neben Acte, Anicetus, Tigillinus oder Vatinius insbesondere Poppaea,320 „der intellektuelle Typ der raffinierten Frau, die kaltblütig und mit souveränem Geschick

313 Vgl. Reitzenstein (1926), S. 17: „Der Charakter des Handelnden muss in dem Mittelpunkt stehen, aus ihm die Handlung sich ergeben. Das hat schon Kallisthenes von dem Historiker gefordert und sucht Tacitus durchzuführen.“, und Walker (1952), S. 46: „Character is the motive force behind events throughout the history.“ 314 Vgl. Pfister (1978), S. 28: „Diese Korrespondenz- und Kontrastbezüge innerhalb von Figurenkonstellationen werden häufig noch dadurch aktualisiert, daß die Figuren selbst bereits aufeinander sympathetisch oder antipathetisch reagieren.“ 315 13,2,1 ibaturque in caedes, nisi Afranius Burrus et Annaeus Seneca obuiam issent. hi rectores imperatoriae iuuentae et, rarum in societate potentiae, concordes, … 13,2,2 certamen utrique unum erat contra ferociam Agrippinae, quae cunctis malae dominationis cupidinibus flagrans habebat in partibus Pallantem, …; vgl. zu Agrippinas Konflikt mit Seneca und Burrus auch Schürenberg (1975), S. 37. 316 13,13,1 …, donec ui amoris subactus exueret obsequium in matrem seque Senecae permitteret, … 317 Vgl. Wöhrmann (1956), S. 37: „Die Kap. 12–15 schildern Neros wachsende Feindseligkeit der Agrippina und dem Britannikus gegenüber, bis dann in Kap. 16 mit der nächtlichen Vergiftung dieses seines Halbbruders der erste Höhepunkt erreicht ist. Die Spannung fällt mit nachtragartigen Bemerkungen (Kap. 17) und steigt dann wieder mit dem Bericht über Agrippina (Kap. 18) und über die gegen sie ersonnene Anklage (Kap. 19), deren nächtliche Überbringung an Nero in Kap. 20 zusammen mit der glänzenden Verteidigung der Agrippina in Kap. 21 den zweiten Höhepunkt bildet.“, Classen (1988), S. 106: „the tension between the emperor and his mother“, und Martin (1990), S. 1552: „the manner in which Nero, abetted by Burrus and Seneca, emancipates himself from his mother is the basic motif of the first section of Book 13.“ 318 13,16,1–4 bzw. v. a. 13,18,2–19,1. 319 Vgl. schließlich zum Tod Agrippinas 14,8,5, demjenigen Burrus’ 14,51,1, zur Abdankung Senecas 14,53 f. und zur negativen Charakterentwicklung des Prinzeps Anm. 350 (Kap. 2). 320 In obiger Reihenfolge 13,12,1, 14,3,3, 14,51,2, 15,34,2 und 13,46,2.

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ihre Netze auswirft.“321 Diese wird allerdings nicht als Agrippinas Antagonistin eingeführt, obgleich sie den letzten Impuls zu deren Ermordung gibt, weil ihr diese bei Neros Vereinnahmung im Weg steht.322 Vielmehr ist die rechtschaffene, passive Octavia ihre Gegenzeichnung,323 weshalb Poppaea nach deren Beseitigung abgesehen von knappen Erwähnungen anlässlich der Geburt ihres Kindes und ihres Todes ebenfalls ganz aus der Handlung verschwindet, als ob sich ihre Funktion in den beiden großen Hetzreden zu Beginn und gegen Ende des 14. Buchs erschöpft.324 Nach Burrus’ Ableben kommt Tigillinus der Widerpart zu Faenius Rufus zu, zumal die beiden Gardepräfekten nicht unterschiedlicher veranlagt sein könnten, und im Zuge der Pisonischen Verschwörung wird gerade Subrius Flavus’ Verhaltensweise zur individuellen Messlatte für Rufus’ Gebaren.325 Neben dem militärischen innen- basiert vor allem das außenpolitische Geschehen auf unterschiedlichen Antagonismen: So steht in Germanien Duvius Avitus den Anführern der Friesen wie auch der Ampsivarier gegenüber und in Britannien entwickelt sich der Konflikt zwischen Suetonius Paulinus und der Icenerkönigin Boudicca.326 Auf dem armenischen Schauplatz muss sich Corbulo einerseits gegen die römischen Befehlshaber Ummidius Quadratus und Caesennius Paetus durchsetzen, mit denen er jeweils um die Führungsrolle konkurriert und die beide kurzzeitig den kriegerischen Erfolg bei den Auseinandersetzungen mit den Parthern gefährden.327 Andererseits hat sich Corbulo im Kampf mit den Feinden anfangs überwiegend Tiridates, dem Bruder des Königs, dann Vologaeses selbst zu widersetzen.328 Zugleich bilden die außenpolitischen römischen Heerführer und insbesondere Corbulo durch ihre disziplinarische und moralische Integrität permanente Kontrapunkte zum sittenwidrigen und beschämenswerten Verhalten Neros.329 321 Koestermann (1967), S. 325, und vgl. ders. (1968), S. 346: „Das Bild, das er insgesamt von Poppaea zeichnet, ist wenig angetan, Sympathien zu erwecken.“, sowie Walker (1952), S. 24: „Her characterisation shows great psychological subtlety and dramatic skill.“ 322 14,1,1 … sibi matrimonium et discidium Octauiae incolumi Agrippina haud sperans …; vgl. ferner zum offensichtlichen auktorialen Interesse an den starken Frauen des Kaiserhauses Walker (1952), S. 24 sowie S. 234, Schmal (2011), S. 143 f., Milnor (2009), S. 285, sowie Späth (2011), S. 151, und zu deren intratextuellem Machtgefüge Holztrattner (1995), S. 12: „Agrippina nimmt eine Mittelposition zwischen dem Gefühlsmenschen Messalina und dem kalten Verstandesmenschen Poppaea ein.“ 323 13,12,2, 13,45,1–4 mit Anm. 231; vgl. Murgatroyd (2008), S. 264, und Mendell (1935/ 1969), S. 462. 324 15,23,1 f. und 16,6,1 f. bzw. 14,1,1 f. und 14,61,2–4 mit Abschn. 3.4.2; vgl. Holztrattner (1995), S. 125 f. 325 14,51,2 f. mit Daitz (1960), S. 50, bzw. 15,49,2, 15,50,3, 15,58,3 f., 15,65, 15,67,1–4. 326 13,54,1–56,3 bzw. 14,29,1–39,3. 327 13,8,2–9,3 mit Geiser (2007), S. 47, bzw. 15,6,3–17,3 mit Pfordt (1998), S. 174: „Wer so von Tacitus eingeführt wurde, daß er gleich erst einmal die Taten des bisherigen Helden Corbulo verachtete und nicht hinter diesem zurückstehen wollte, der konnte natürlich nicht mit den Sympathien der Leser rechnen.“ Vgl. Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 117, Geiser (2007), S. 93 sowie S. 114 f., Morford (1990), S. 1613, Tresch (1965), S. 142, Allgeier (1957), S. 90, und Ammerbauer (1939), S. 127 f. sowie S. 135. 328 13,34,2–13,41,3 sowie 14,23,1–26,2 bzw. 15,1,1–17,3 und 15,26,1–31. 329 Vgl. dazu Kap. 2.7.

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4. Textinhärente Strategien der Leseraktivierung

Dazu passt, dass nach Agrippinas und Octavias Beseitigung sowie während der umfassenden Armenienepisode des 15. Buches in der Innenpolitik kein individueller Kontrahent des Kaisers auftritt, zumal diese Rolle von hierfür vermeintlich geeigneten Protagonisten wie Cassius keineswegs hinreichend, von Thrasea lediglich teilweise übernommen werden kann.330 Wenngleich Piso ebenfalls als keine ernst zu nehmende Alternative anzusehen ist, so initiiert dennoch das Kollektiv der nach ihm benannten Verschwörung wiederum über einen längeren Zeitraum eine ausgeprägte Handlungsbrisanz.331 Diese resultiert aus dem vehementen Widerstreit der treuen Anhänger Neros und der Konspiranten, als deren Exponenten sich nach Woodman zumindest temporär Milichus’ Gattin sowie Epicharis gegenüberstehen.332 Im Anschluss an die Aufdeckung und Niederschlagung der Verschwörung sind zwar die Prozesse sowie Verurteilungen Barea Soranus’ und Thraseas als lokale Höhepunkte zu erachten,333 dem letzten Buch fehlt jedoch ein ebenbürtiger Antagonist zu Nero, zu dem vielleicht kurzzeitig Corbulo vor seinem Suizid oder Vindex anlässlich seiner Erhebung stilisiert worden sein könnten. In Hinblick auf diese sukzessiven Handlungsaustritte der Gegner des Prinzeps sowie auf Mendells Feststellung, dass Tiberius in der taciteischen Darstellung nicht viel länger lebte als seine Opposition,334 ist bezüglich Nero ein ähnliches narratives Arrangement anzunehmen, wodurch dessen baldiges Ende gewissermaßen schon vorgezeichnet ist.335 Unter Berücksichtigung aller zentralen Protagonisten unterstreicht dieser Überblick eine kontrastreiche Anlage der Figurenkonstellation. Tacitus stellt stets zwei Persönlichkeiten, deren gesellschaftliche sowie politische Machtposition ähnlich ist und die sich abgesehen von wenigen ressortübergreifenden Vergleichen meist an ungefähr demselben Handlungsort befinden, gegenüber, um aus den aufeinandertreffenden, intersubjektiv differierenden, ausdrucksstarken Charaktermerkmalen die Erzählung geradezu kausal zu entwickeln.336 Denn „gerade dort, wo starke Antagonisten einander gegenüberstehen, wird das Geschehen besonders lebendig, die Handlung mit einer gewissen psychologischen Zwangsläufigkeit vorangetrieben“,337 wie Schmal dieses narrative Verfahren beschreibt. Dieses wird von

330 331 332 333 334 335 336

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Vgl. Anm. 291 bzw. 293. 15,48,1–71,5. Vgl. Woodman (1993), S. 115. 16,21,1–35,2; vgl. Hauser (1967), S. 111: „Nero betrachtet Thrasea also tatsächlich als seinen eigentlichen Gegenspieler.“ Vgl. Mendell (1935/1969), S. 447. Vgl. Walker (1952), S. 50: „Particularly in his characterisation, and in his manipulation of ‚entrances‘ and ‚exits‘, Tacitus is dramatist and rhetorician simultaneously.“ Vgl. Krohn (1934), S. 95: „Die Personen und ihre Darstellung stehen bei Tacitus im Mittelpunkt. In den untersuchten Abschnitten ergab sich ja alles das, was zur Handlung gehört, erst auf der Gegensätzlichkeit der Personenauffassung.“, Geiser (2007), S. 12: „Geschichtliche Prozesse sind für ihn das Ergebnis von Handlungen der politisch Verantwortlichen, und diese Handlungen lassen sich wiederum aus dem Charakter der Betreffenden erklären.“, Daitz (1960), S. 47 f., und Jannidis (2004), S. 217. Schmal (2011), S. 101.

4.2 Figurenzentrierte Strategien der Leserinvolvierung

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Goodyear mit dem Begriff „dramatic contrast“338 bezeichnet und von der Forschung als basale Technik der taciteischen Geschichtsschreibung anerkannt.339 Neben der grundlegenden Spannung zwischen heterogenen Charakterbildern ergibt sich aus dieser planvollen Gegensätzlichkeit eine einzigartige Dynamik, die nicht so sehr auf das jeweilige Ende, sondern vielmehr auf die Ursachen, den Verlauf und die Konsequenzen eines personellen Konflikts gerichtet ist, was sich gerade anhand von Auseinandersetzungen mit dem Prinzeps offenbart, deren Ausgang sogar bei geringen historischen Vorkenntnissen absehbar ist. Zudem begünstigt die jeweils markante Bipolarität zwischen den Wesenszügen der Widersacher nach Daitz und Geiser die leserseitige Memorierbarkeit von Figuren und Ereignissen, ohne dass jedoch die individuellen Charakterzeichnungen der Protagonisten zu schablonenhaften Schwarz-Weiß-Skizzen vereinfacht würden.340 Letztlich trägt eine solch klare Positionierung und Relationierung der Akteure auch zu einer vorstrukturierten Sympathielenkung bei, die den Rezipienten gezielt auf Einzelpersonen sowie Kollektive aufmerksam macht und für diese sowie diejenigen, die mit jenen über persönliche Beziehungen verbunden sind, der jeweils attribuierten Eigenschaften, Wertvorstellungen und Handlungsmotivationen entsprechend Zu- oder Abneigung erregt.341 Fazit Figureninventar wie auch -konstellation der Nerobücher werden wesentlich von der narrativen Technik des Kontrasts bestimmt. Einerseits prägen intrapersonelle, auf Eigenheiten bezogene Gegensätze die vielfältigen ambivalenten Charakterzeichnungen, deren gezielt einbeschriebene statische Spannung individuelle Entwicklungsdynamiken widerzuspiegeln vermag, die nicht nur konstanten, eindimensionalen Typenbeschreibungen entgegensteht. Vielmehr strebt diese nach leserseitiger Auflösung, die dem jeweiligen Protagonisten ein realitätsnahes, facettenreiches und empathie- sowie identifikationsförderliches Gepräge zuteil werden lässt.342 Ande338 Goodyear (1970), S. 32, und vgl. Koestermann (1956a), S. 203, sowie Häussler (1965), S. 334: „Wenn wir […] die Fälle von heterogenen Charakteren bei Tacitus kurz überblicken, werden wir immer wieder das Vibrieren lebendiger Spannung gewahren.“ 339 Vgl. Mendell (1935/1969), S. 458, Krohn (1934), S. 31, S. 79 sowie S. 93, dessen Ergebnis würdigend Ammerbauer (1939), S. 98, Koestermann (1943), S. 205, Hauser (1967), S. 29, Bergen (1962), S. 23, Römer (1999), S. 309, Billerbeck (1991), S. 2768, Geiser (2007), S. 26, und Waddell (2013), S. 480. 340 Vgl. Daitz (1960), S. 49, und Geiser (2007), S. 12 sowie S. 27. 341 Vgl. Pfister (1978), S. 28, und zur emotionalen Suggestivität Hausmann (2009), S. 143 f. 342 Vgl. Reitzenstein (1926), S. 4: „Aber gerade hier zeigt sich der Unterschied zwischen unseren sonstigen Darstellungen und der seinigen (sc. Tacitus’). Jene bleiben für uns vollkommen tot, wecken keinerlei Teilnahme, diese reißt uns mit sich fort, erweckt jede Empfindung, die der Schriftsteller erwecken will, zwingt uns völlig in ihren Bann. Und nicht uns Laien nur.“, sowie zu ähnlichen Würdigungen der ausgesprochenen Anschaulichkeit taciteischer Charakteristiken Bretschneider (1905), S. 30, Krohn (1934), S. 50, Daitz (1960), S. 30, Geiser (2007), S. 12 sowie S. 24, Koestermann (1956a), S. 200, Syme (1967), S. 314, Hausmann (2009), S. 11, Hauser (1967), S. 12, und Schmal (2011), S. 99.

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4. Textinhärente Strategien der Leseraktivierung

rerseits bewirken regelmäßige kompositorische Gegenüberstellungen von Akteuren mit differierenden oder gar konträren Wesenszügen eine spannungsvolle Handlungsentfaltung und eine an speziellen interpersonalen Verhältnissen orientierte Sympathieverteilung. Angesichts aller dargelegten figurenzentrierten Strategien resultiert die überaus reizvolle Lebendigkeit taciteischer Charaktere schließlich gerade aus dem beachtlichen Zusammenwirken sorgfältig aufeinander abgestimmter, variabler und vielschichtiger Darstellungsmethoden. Denn diese veranlassen, indem einem Rezipienten die Beurteilung von Protagonisten anhand heterogener, hierarchisch strukturierter intra- sowie extradiegetischer Fokalisierungen selbstständig überantwortet wird, mentale Meinungsbildungsprozesse über fingierte Persönlichkeiten, die laut kognitionswissenschaftlicher Forschung der Wahrnehmung realer Personen gleichen.343 Mittels zahlreicher hierbei ablaufender, aber nicht bewusstseinsfähiger bottom-upProzesse und abduktiver Inferenzschlüsse sind die mannigfachen akteurbezogenen Informationen für den Leser sukzessive in protagonistenspezifische, ganzheitliche Charaktermodelle integrierbar, diese fortwährend modifizierbar und die interfiguralen Beziehungen jederzeit evaluierbar.344 Neben seiner zentralen Bedeutung für die Disposition des Handlungsverlaufs leistet das bemerkenswerte dynamische Personenarrangement somit via einer abwechslungsreichen Sympathie- und Identifikationslenkung einen essenziellen Beitrag zur kognitiven Aktivierung und affektiven Involvierung des Rezipienten. 4.3 INTERESSENORIENTIERTE INHALTLICHE SELEKTION 4.3.1 Thematische Attraktivität dies- und jenseits literarischer Kanonisierung Obwohl aufgrund einer etwaigen leserseitigen Bekanntheit des geschichtlichen Ausgangs die hierauf gerichtete Komponente der ‚Was-Spannung‘ in einer Historiographie gemindert sein kann, wird davon deren elementare inhaltsbezogene Anziehungskraft sowie der szenenbasierte Unterhaltungswert nur unwesentlich beeinflusst. Diese sind durch eine geschickte, die Vorlieben des Zielpublikums berücksichtigende sowie ansprechende Auswahl des historischen Stoffs aufrechtzuerhal343 Vgl. Jannidis (2004), S. 184, und Ker (2012), der diese Vorgehensweise an Seneca exemplifiziert, S. 308: „Instead, Tacitus’ entire narrative on Seneca exhibits the tendency toward an ‚audience-based‘ portrait […], incorporating the conflicting judgments of several internal audiences.“ bzw. S. 309: „At the same time, however, Tacitus does much to frame the incongruities themselves in terms that allow the reader to take Seneca’s measure as a single historical agent whose discrete acts can be correlated and compared with one another in the reader’s memory (and implicitly in the Roman collective memory) […].“ 344 Vgl. Emmott (2003), S. 305, und Jannidis (2004), S. 182, S. 197–199, S. 206, S. 209 f. sowie S. 242: „Ob solche Inferenzen überhaupt gebildet werden und wieweit das Prozessieren der Inferenzen reicht, wird durch die Regeln der narrativen Welt einschließlich der Gattungsregeln und die kommunikative Intention bestimmt. Eine entscheidende Rolle bei der Bildung von Inferenzen spielen die figuralen Schemata, also figuren- oder personenbezogene Regelmäßigkeitsannahmen, die historisch und kulturell variieren.“

4.3 Interessenorientierte inhaltliche Selektion

355

ten, wozu zum einen auf möglicherweise geläufige und beliebte, auch in anderen Literaturzweigen dargestellte Personen sowie Themen Bezug genommen werden kann. Durch deren anspielungshafte Erwähnung können nämlich subjektive Neigungen der Rezipienten bedient und deren entsprechendes Vorwissen zu einer eigenaktiven kreativen Ergänzung der jeweiligen textuellen Leerstellen einbezogen werden. Andererseits erwecken abhängig vom persönlichen Wissensstand des Lesers, der zwar freilich interindividuell wie auch diachron variiert, aber von Fuchs dennoch als zentraler anregungsdeterminierender Faktor anerkannt wird,345 gerade selten berichtete, ihm unbekannte sowie fremdartige Erzählgegenstände ein besonderes Interesse und besitzen eine spannungsförderliche sowie lektürebindende Wirkung. Geschichtliche Hintergründe bekannter literarischer Stoffe Zahlreiche ereignisgebundene Berührungspunkte weist der Diskurs mit Senecas Reden und Schriften auf, obgleich diese oft via Nero als formaler Sprecherinstanz vermittelt werden. Denn der einen gattungsgemäßen Nachruf auf Claudius ersetzende Bericht über die vom Stoiker verfasste, aber vom Kaiser vorgetragene entwürdigende laudatio funebris auf dessen Stiefvater gewinnt gerade dann an denkwürdiger Attraktivität und trägt zur Erheiterung des intra- wie auch extradiegetischen Rezipienten bei, wenn dieser den peinlichen öffentlichen Vorfall mit seiner Kenntnis der in diesem Kontext entstandenen ‚Apokolokynthosis‘ Senecas in Verbindung bringen sowie die unausgesprochene Ursache des allgemeinen Gelächters nachvollziehen kann.346 Die Aufmerksamkeit des Rezipienten erwecken auch Neros Regierungsantrittsreden, in denen Ideale aus dem senecanischen Fürstenspiegel de clementia anklingen,347 Suillius’ vehemente Anschuldigungen gegenüber Seneca, auf welche dieser in seinem Dialog de uita beata reagiert,348 und ebenfalls Neros Rechtfertigungsschreiben an den Senat nach Agrippinas Ermordung.349 Für diese bei einem zeitgenössischen Leser wohlbekannten Schriftstücke wird damit nämlich ein historischer Hintergrund entfaltet und deren konkrete Benennung scheint angesichts ihrer allgemeinen Geläufigkeit ebenso redundant zu sein wie eine explizite Anführung von Senecas letzten Worten, quae in uulgus edita eius uerbis inuertere supersedeo (15,63,3). Analog wird eine vermutlich mit den hinreichend verbreiteten Beschreibungen Plinius’ des Älteren konkurrierende Berichterstattung über den Bau eines hölzernen Amphitheaters auf dem Marsfeld vermieden350 und ferner werden Neros augenscheinlich noch kursierende, schrift345 Vgl. Fuchs (2000), S. 31. 346 13,3,1; vgl. Heinz (1948), S. 141, Seif (1973), S. 297 f., Abel (1991), S. 3159, Flach (1973b), S. 163, sowie Schmal (2008), S. 112, und Anm. 357 (Kap. 3). 347 13,4,2 bzw. 13,11,2; vgl. Syme (1967), S. 296, Martin (1981), S. 164 f., O’Gorman (2000), S. 150, Ker (2012), S. 319, Suerbaum (2015), S. 276, und Abel (1991), S. 3160. 348 13,42,2–4; vgl. Koestermann (1967), S. 319. 349 14,10,3–11,2 mit Anm. 154 (Kap. 3). 350 13,31,1 mit Anm. 24 (Kap. 2).

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4. Textinhärente Strategien der Leseraktivierung

stellerische Produktionen mit einer knappen vernichtenden Wertung übergangen.351 Außerdem wird literaturbeflissenen Lesern, falls diesen die zugehörige Referenzstelle nicht unmittelbar präsent ist, durch die Anspielung auf eine dem damaligen Publikum wohl überwiegend geläufige Partie aus Lukans Epos, die dieser bei seinem Ableben zitiert,352 eine kleine Denkaufgabe gegeben. Gleichfalls ist C. Petronius’ explizite Identifikation als Urheber des ‚Satyricon‘ womöglich vernachlässigbar,353 wohingegen auf Fabricius Veientos Autorschaft und auf den konkreten Titel sowie summarisch das Thema von dessen schon in Vergessenheit geratenem Werk ausdrücklich hingewiesen wird.354 Die Gültigkeit des in Bezug auf Seneca geäußerten auktorialen Kommentars, keine Aussage zu wiederholen, die der Leserschaft des zweiten Jahrhunderts n. Chr. laut Abel und Ker ohnehin vertraut gewesen sei sowie eine wörtliche Wiedergabe aufgrund ihrer Vollkommenheit nach Gestalt und Gehalt nicht ermöglichte,355 beschränkt sich also nicht auf diesen Einzelfall. Vielmehr wird darin ein bewusst angewandtes Kriterium artikuliert, das auf einem kollektiven, identitätsstiftenden Literaturwissen von Autor und Publikum fußt sowie die inhaltliche Auswahl und Präsentation bestimmt,356 um durch Verzicht auf die Integration angeblich wohlbekannter Äußerungen, Reden und Werke jegliche Form von aemulatio mit nicht geschichtsbezogenen Originalen zu vermeiden.357 Dies verallgemeinert Brocks Feststellung, „that ancient historians as a general rule avoided treating in direct speech those orations which were accessible to the reading public.“358 Zudem konnte trotz Auslassung der literarischen Zeugnisse selbst eine Berichterstattung über deren historische Entstehungskontexte weiterführende geschichtliche Hintergrundinformationen zu offenbar rezipierten Schriften sowie deren Autoren bieten. Dies kam zumindest punktuell speziellen Interessen eines Literaturpublikums entgegen, die gerade mit Blick auf eine einschlägige Fachschriftstellerei wie Suetons de uiris illustribus nicht zu bestreiten sind.

351 14,16,1; vgl. Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 253 f., Syme (1967), S. 296, Schmal (2011), S. 115, Power (2014), S. 214, sowie Koestermann (1968), S. 57 mit dem Hinweis auf die hingegen lobende Äußerung Suet. Nero 52. 352 15,70,1; vgl. für Lukans Beliebtheit beim damaligen Publikum u. a. Martial. 15,194 und ferner Schmidt (1914), S. 31, Koestermann (1968), S. 320, der eine Bezugnahme auf die Verse Lucan. 3,635–646 vermutet, und zu Lukans Tod Tucker (1987) sowie Wilson (1990). 353 16,18,1 f. mit Anm. 247. 354 14,50,1 f. …, quod multa et probrosa in patres et sacerdotes composuisset iis libris, quibus nomen codicillorum dederat. … et libros exuri iussit, conquisitos lectitatosque, donec cum periculo parabantur: mox licentia habendi obliuionem attulit; vgl. zu Fabricius Veiento auch Anm. 360 (Kap. 2). 355 Vgl. Abel (1991), S. 3162, Ker (2012), S. 312 sowie S. 324 f.: „Tacitus, then, avoids competing with this manifestation of Seneca’s own dying voice to which his readers have independent access and instead focuses on other details of the scene that are revealing in their own right.“, Syme (1967), S. 336, Fögen (2015), S. 41, und kritisch Schmal (2011), S. 84. 356 Vgl. Schwerdtner (2015), S. 38. 357 Vgl. Röver/Till (1969), S. 73, Pausch (2011), S. 165, Suerbaum (1971), S. 66, und Brock (1995), S. 218. 358 Brock (1995), S. 209 und vgl. S. 211 sowie S. 219.

4.3 Interessenorientierte inhaltliche Selektion

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Intentionale Selektion und einfallsreiche Genese beeindruckender Handlungsträger Neben dieser auf der leserseitigen Literaturkenntnis basierenden Wissbegierde ist bei einer breiten Adressatenschaft eine gesteigerte Neugier bezüglich einiger aufgrund ausgefallener oder dramatischer Lebensgeschichten ansprechender, durch mehrfache Inszenierungen schon vertrauter Persönlichkeiten aus der Zeit des neronischen Prinzipats nachweisbar, deren hinreichende Berücksichtigung auf Plotebene wertvolle Lektüreanreize schafft. Dies wird abgesehen von der prägenden Gestalt des Kaisers, dem zentralen Thema der entsprechenden Biographie Suetons, beispielsweise an Octavius Sagitta, dessen Verbrechen an Pontia schon Lukan einen attraktiven Stoff für ein Redenpaar bot,359 sowie Claudius’ Tochter und Neros Ehefrau Octavia ersichtlich, deren tragisches Schicksal die Grundlage für die immerhin einzige, vollständig überlieferte Praetexta bildet.360 Doch auch die Geschehnisse um Thrasea Paetus, der offenbar zur Symbolfigur des oppositionellen Widerstands gegen eine tyrannische Herrschaft avanciert,361 oder dessen skrupellosen Ankläger Cossutianus Capito, dem Musterbeispiel eines verrufenen Delators,362 besitzen für die nachfolgenden Generationen angesichts ihrer geschichtlichen Prominenz eine gewisse Strahlkraft. Außer diesen großen Namen der Historie, die zwar ein essenzielles Interesse des Lesers hervorrufen können, aber ebenso in vielfachen Parallelberichten zu finden sind, werden auch randständige, detailliertes Vorwissen erfordernde Akteure einbezogen und aufgewertet. Diese verleihen der Berichterstattung eine attraktive Lebendigkeit, eine spezifische Originalität sowie einen singulären Informationswert und erzeugen in nuce eine protagonistenbezogene Inhaltsspannung. Hierfür sind ausländische, dem römischen Leser vermeintlich weitgehend unbekannte Figuren mit bewegenden persönlichen Momenten wie Boiocalus aufgrund seines verdienstvollen Werdegangs und seiner deshalb ungerecht erscheinenden Zurückweisung, Boudicca angesichts ihres tragischen privaten Schicksals sowie ihrer nachvollziehbar gegen Rom gerichteten Wut oder Tiridates mit Blick auf dessen militärische Besonnenheit und emotionale Familienbindung geeignet.363 Darüber hinaus merkt Wilsing an, dass wohl auch die Nebenrolle des Agermus bei Agrippinas Ermordung aus Neros offiziellem Rechtfertigungsschreiben an den Senat nach359 13,44,1–5 und hist. 4,44,2 f.; vgl. dazu Martin (1981), S. 168 f., Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 213, Syme (1967), S. 296 Anm. 8, sowie Koestermann (1967), S. 322: „Die Skandalgeschichte um den Tribun Octavius Sagitta, der in einem Anfall von Liebesraserei und Verzweiflung seine Geliebte tötete, hat die Gemüter der Zeitgenossen heftig bewegt.“ 360 Vgl. zu ihren Auftritten Anm. 232 und zum Verhältnis zwischen der taciteischen Historiographie und der pseudosenecanischen Tragödie zusammenfassend Syme (1967), S. 296 Anm. 8, Holztrattner (1995), S. 125, sowie Taylor (2010), S. 221 f., der diese als Quelle anerkennt. 361 Vgl. zu dessen Auftritten Anm. 293 und Nachwirkung Agr. 2,1, Suet. Dom. 10,3 sowie Schmich (1960), S. 36 f.: „Für den römischen Leser aber war wohl eine nähere Beschreibung gar nicht nötig, zu bekannt war seine legendäre Gestalt.“ 362 Vgl. zu dessen Auftritten Anm. 37 (Kap. 2). 363 In obiger Personenreihenfolge mit Semikola getrennt: 13,55,1–56,1; 14,31,1 f., 14,35,1 f.; 15,29,3, 15,30,2.

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4. Textinhärente Strategien der Leseraktivierung

gebildet sowie als aufregendes Handlungsintermezzo aufgenommen ist.364 Ähnlich zeigt Hauser durch einen Vergleich mit Cassius Dio sowie unter Rücksichtnahme auf die differierenden Kompositionsprinzipien beider Schriftsteller schlüssig auf, „daß die wichtige Stellung und Bedeutung der Epicharis eine persönliche Schöpfung des Tacitus ist.“365 Ihr Profil gewährt nach Späth einen einzigartigen Einblick in das narrative Vorgehen sowie die Vielfalt bei der Konstruktion einer Geschlechtsidentität und ihre Implikation ist teils laut Pagán in dem literarischen Motiv der weiblichen Konspirantin, teils nach Kajanto in dem rhetorischen Sujet der bis zuletzt treuen Freigelassenen begründet.366 Sie besitzt keinen Charakterzug, der genuin dem antiken Frauenklischee entspricht, da sie wider Erwarten übelsten Misshandlungen standhaft trotzt und ihr aktives, mannhaftes sowie edelmütiges Verhalten die rasche Kapitulation der Aristokraten Natalis und Scaevinus kontrastiert. Dies ist gemäß einiger Interpreten als offenkundige Inversion der Geschlechterrollen und als Allegorie für die Degeneration der römischen Männerschaft zu verstehen.367 Des Weiteren ist im Verlauf der Pisonischen Verschwörung Subrius Flavus’ Rolle näher zu betrachten.368 Während dessen finalem Auftritt wird nämlich mit explizitem Rekurs auf und in Übereinstimmung mit dem auktorialen Kommentar zur Auslassung von Senecas letzten Worten die Aufnahme derjenigen des Prätorianertribunen dadurch gerechtfertigt, dass diese bisher nicht gebührend verbreitet seien: ipsa rettuli uerba, quia non, ut Senecae, uulgata erant, nec minus nosci decebat militaris uiri sensus incomptos et ualidos (15,67,3). Mustergültige Etablierung eines vergessenen Helden Auch wenn angesichts der dürftigen Überlieferungslage Tacitus’ Anspruch, als erster Subrius’ Äußerung anzuführen, nur eingeschränkt überprüfbar ist,369 erscheint es dennoch bemerkenswert, dass Sueton trotz der zu den Nerobüchern ungefähr gleichen Abfassungszeit seiner Kaiserviten den Militär überhaupt nicht erwähnt. 364 365 366 367

14,6,2, 14,7,6, 14,10,3; vgl. Wilsing (1964), S. 111 sowie S. 114. Hauser (1967), S. 34. Vgl. Späth (2011), S. 153, Pagán (2004), S. 16, und Kajanto (1969), S. 58. 15,57,2; vgl. Späth (2011), S. 151 f., Milnor (2009), S. 280, Hauser (1967), S. 28, Graf (1931), S. 102, Koestermann (1968), S. 289 f., Woodman (1993), S. 119, Schürenberg (1975), S. 71 sowie S. 117, Schmal (2006), S. 234 sowie S. 246, Gärtner (1996), S. 150, Suerbaum (1976/1993), S. 72, und Pagán (2004), S. 15 zum literarsoziologischen Gegensatz zwischen Männ- und Weiblichkeit: „For instance, in most texts ‚women‘ is a definitional tool that operates as the opposite of ‚man‘. Woman’s actions and behavior are always contrasted to man’s and are usually found wanting.“, S. 16: „Conspiratorial women are anomalies both sexually and morally, and the irregularities serve as symbolic frameworks for identifying and denigrating the fundamental nature of conspiracy.“, bzw. S. 80 f. 368 Vgl. Walker (1952), S. 135: „The brief but vivid account of Epicharis’ death, together with that of the soldier Subrius Flavus, are perhaps the most memorable incidents in the whole story.“ 369 Vgl. dazu Suerbaum (2015), S. 318 f. sowie S. 493 f., der das Ausmaß des Verlusts veranschaulicht.

4.3 Interessenorientierte inhaltliche Selektion

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Demgegenüber kennt diesen der erst später wirkende Cassius Dio zwar, weist ihm aber, soweit die Darstellung trotz Epitomisierung greifbar ist, insgesamt keinen vergleichbaren Rang zu, sondern rückt eher Seneca sowie Faenius Rufus in das Zentrum der Verschwörung.370 Gleichwohl kommt der Tribun auch bei ihm in ähnlicher Weise zu Wort, ohne dass eine direkte Abhängigkeit zwischen Dios und Tacitus’ Präsentation erkennbar wäre, sodass beide zumindest Subrius’ Diktum in schon existierenden und auch noch Dio verfügbaren schriftlichen Primärquellen vorfanden, die einen prinzipiell überprüfbaren, aber vermeintlich vorliterarischen und unbedeutenderen Veröffentlichungsstatus besaßen.371 Dadurch besteht insofern kein Anlass, an der Aufrichtigkeit des auktorialen Kommentars non uulgata zu zweifeln, da dieser einerseits lediglich die Forderung erhebt, die letzten Worte des Militärtribuns erstmalig einem breiteren Publikum bekannt zu machen.372 Andererseits zeigt Subrius’ reduzierte Rolle bei Dio, wie unkanonisiert und von der Schwerpunktsetzung des jeweiligen Schriftstellers abhängig die Geschichte der Pisonischen Verschwörung noch bis in dessen Zeit war.373 Zudem konnte Tacitus mit Blick auf die gesamte Inszenierung des Militärs offenbar auf zusätzliches Material zurückgreifen, von dem nur wenige Kenntnis besaßen und das vorwiegend mündlich tradiert wurde.374 Demgemäß kann dessen Bericht bezüglich Subrius’ Beteiligung an der Konspiration durchaus bisher nicht publizierte Aspekte enthalten, die deren Ablauf um originelle und spannungsvolle Szenen bereichert. Zweimal durch die textuelle Position akzentuiert, indem er unmittelbar nach Piso und vor allen anderen Verschwörern sowie insbesondere an der Spitze der involvierten Militärs genannt wird, bei deren Aufzählung er sogar dem Prätorianerpräfekt Faenius Rufus voransteht,375 wird das Augenmerk des Lesers gleich zu Be370 Cass. Dio 62,24,1 f.; vgl. Flach (1973a), S. 102, Hauser (1967), S. 57, welche die taciteische Originalität von Flavus’ letzten Worten zu erweisen versucht, und zum paarweisen Quellenverhältnis der Berichte Tacitus’, Suetons und Cassius Dios Heinz (1948), S. 2, S. 134–136, S. 137 sowie S. 139, Hilpert (1947), S. 46–48 sowie S. 158–161, Syme (1967), S. 271, S. 688 sowie S. 781 f., Tresch (1965), S. 10–13 sowie S. 15, Sage (1990), S. 998–1004, Klingner (1958), S. 195 f., Mehl (1979), S. 227, Flach (1973b), S. 125 sowie S. 174, Borzsák (1968), Sp. 479 f., Power (2014), S. 207 f., S. 216 sowie S. 218 f., und Anm. 26 (Kap. 1). 371 Vgl. Schmidt (1914), S. 33 f., Heinz (1948), S. 48, Tresch (1965), S. 170, Woodman (1993), S. 125, Mayer (2010a), S. 138: „[…] we have seen that he used the his verbis formula as much to guarantee quotation from a controllable text as for the reproduction of ‚actual words‘.“ 372 Vgl. Marx (1937), S. 93: „Dem Subrius Flavus dagegen hat Tacitus selbst zu einer laudatio funebris verholfen, denn er veröffentlicht zuerst, wie er (XV,67) hervorhebt, die kühnen Worte des wackeren Soldaten vor Nero und den mit der Hinrichtung betrauten Prätorianern.“ 373 Vgl. Hilpert (1947), S. 47: „Dagegen trat Tacitus als Rivale der Hauptquelle auf, die er zu überwinden hoffte. Er hat inhaltlich das Meiste aus ihr entnommen, aber das Entnommene stark umgeformt.“, Schunk (1955), S. 13, der davon ausgeht, „daß Tacitus in weit geringerem Maße von seinen Quellen abhängig ist; er formt sie stärker nach seinen Absichten.“, und Woodman (1993), S. 124. 374 Vgl. Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 405, Koestermann (1968), S. 314, Mayer (2010a), S. 133 sowie S. 142, Syme (1967), S. 300, und Marx (1937), S. 93: „Zweifellos schöpft Tacitus dabei aus unveröffentlichten Aufzeichnungen oder mündlichen Mitteilungen.“ 375 15,49,2 promptissimos Subrium Flauum tribunum praetoriae cohortis et … bzw. 15,50,3 adscitae sunt super Subrium et …

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4. Textinhärente Strategien der Leseraktivierung

ginn des Berichts über die Konspiration auf dessen Person gerichtet. Während seine Teilnahme daran also unumstritten ist, wird Subrius’ vorpreschende Bereitschaft, den Kaiser auf offener Bühne oder in dessen Privathaus zu ermorden,376 lediglich als Gerücht überliefert, vermittelt aber zugleich die große Gefahrensituation, in der sich der Kaiser augenblicklich befindet, und legt wenigstens fiktiv eine aussichtsreiche Handlungsoption der noch äußerst träge agierenden Verschwörer dar. Ebenso wie die erste fällt dem Tribun nach Aufdeckung des konspirativen Treibens auch die letzte Gelegenheit zu, den Prinzeps im Verhör zu beseitigen, wobei die spezifischen Umstände wiederum eher auf einen kolportierten Vorfall hindeuten, der aufgrund seiner einfachen Durchführbarkeit sowie enormen Erfolgschancen die Phantasie des Lesers anregt.377 Ferner wird Subrius Flavus, nicht Faenius Rufus gerüchteweise die Führungsrolle in einer separaten Militärverschwörung zugeschrieben, die darauf abzielt, Piso ebenfalls zu töten und stattdessen Seneca als Kaiser zu proklamieren.378 Dies unterstreicht eine indirekt referierte Aussage des Tribuns,379 die ebenso wie die übrigen Gerüchte über Subrius zwar damals, wie die exakte Tempusgestaltung zeigt, verbreitet war,380 aber offenbar nicht festgehalten wurde und in Vergessenheit geriet. Bezüglich deren Integration besteht also nicht nur kein Widerspruch zum benannten Selektionskriterium, sondern vielmehr auch die Absicht, der Nachwelt Subrius’ nicht mehr bekannte Äußerungen zu erhalten.381 Gemäß dieser mutmaßlich bedeutungsvollen Rolle erhält Subrius Flavus, der „nach der Taciteischen Darstellung als einziger Verschwörer gewisse heldenhafte Züge“382 trägt und geradezu zur geheimen und tragischen Gestalt der missglückten Konspiration stilisiert wird,383 eine breit angelegte, dramatische Überführungsund Exekutionsszene.384 Diese nimmt nach Hauser sowie Heldmann einen kompositorischen Höhepunkt ein, an dem dessen letzte Worte, die durch den auktorialen Vermerk als ipsa uerba ausgewiesen werden, die geradlinige und tapfere Sinnesart

376 15,50,4 et cepisse impetum Subrius Flauus ferebatur in scaena canentem Neronem adgre­ diendi, aut cum absente domo per noctem huc illuc cursaret incustoditus. 377 15,58,4 idem Subrio Flauo adsistenti adnuentique, an inter ipsam cognitionem destringeret gladium caedemque patraret, renuit infregitque impetum iam manum ad capulum referentis. 378 15,65 fama fuit Subrium Flauum cum centurionibus occulto consilio, neque tamen ignorante Seneca, destinauisse, ut post occisum opera Pisonis Neronem Piso quoque interficeretur tra­ dereturque imperium Senecae, quasi insonti et claritudine uirtutum ad summum fastigium delecto. Vgl. Courtney (2010), S. 274, und Hauser (1967), S. 53, die anmerkt, dass Tacitus hier „über das caput coniurationis wie über den ehemaligen Minister Neros nochmals in aller Deutlichkeit sein persönliches Urteil aussprechen (wollte).“ 379 15,65 quin et uerba Flaui uulgabantur, non referre *dedecori* si citharoedus demoueretur et tragoedus succederet (quia ut Nero cithara, ita Piso tragico ornatu canebat). 380 15,50,4 … cepisse … ferebatur, 15,65 fama fuit … destinauisse … uulgabantur …; vgl. auch Koestermann (1968), S. 292 sowie S. 309, Syme (1967), S. 300 f., und Abschn. 3.3.3. 381 15,63,3 bzw. 15,67,3. 382 Hauser (1967), S. 56. 383 Vgl. Suerbaum (1976/1993), S. 82: „In seiner militärischen Geradheit und in seinem Wagemut (ist er) die sympathischte Gestalt unter den Verschwörern.“ 384 15,67,1–4; vgl. Rademacher (1975), S. 198: „Besondere Beachtung wird auch dem Tribunen Subrius Flavus gewidmet, dessen Hinrichtung in einer lebendigen Szene wiedergegeben wird.“

4.3 Interessenorientierte inhaltliche Selektion

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des Militärs unnachahmlich ausdrücken.385 Unabhängig von dem zweifelhaften Ansatz, dass Hervorhebungen der Art ipsa uerba referam nach Mayer tatsächlich prägnante Zitate im Originalwortlaut markierten, die nicht der Diktion des Historiographen ent- und damit der Einheitlichkeit des Stils widersprächen, was hier explizit entschuldigt werde,386 wird dadurch gewiss zumindest ein rhetorischer Eindruck von Authentizität vermittelt, wie Laird treffend feststellt.387 Diese abschließende Suggestion historisch verbürgter Detailkenntnisse, bezüglich deren Exklusivität konkurrierende Geschichtswerke übertroffen werden, bleibt dem Leser zusammen mit dem mitreißenden Abgang der charismatischen Persönlichkeit Subrius’ in nachhaltiger Erinnerung. Damit werden rückwirkend auch die nur auf Gerüchten basierenden Episoden dieses Akteurs gedanklich verifiziert, die untrennbar und handlungsstützend mit dem Bericht über die Pisonische Verschwörung verwoben sind sowie durch ihr Wechselspiel von kurzzeitig aufflammender Hoffnung auf Neros Ermordung und einer jeweils unmittelbaren Enttäuschung über deren grundlose Vereitelung wesentlich zur Spannungsgenerierung beitragen. Wie auch immer Subrius Flavus’ Rolle bei der Konspiration also realiter zu bewerten ist, von dessen fingierter Integration profitiert der literarische Unterhaltungswert maßgeblich, da der Prätorianertribun in der Vorstellung des Rezipienten zu einer tragischen und sympathischen Zentralfigur des Widerstandes avanciert. Fazit Unter Rücksichtnahme auf die defizitäre Überlieferungslage beleuchten die voranstehenden Überlegungen den Umgang mit dem leserseitigen Vorwissen im Hinblick auf die Erzeugung inhaltsorientierter Spannung, die bei einem geschichtli385 15,67,3; vgl. zur Funktion von ultima uerba Abschn. 3.4.3. 386 15,67,3 … militaris uiri sensus incomptos et ualidos; vgl. Mayer (2010a), S. 137: „[…] I have been able to assemble it, that Tacitus was not trying to validate the authenticity of all his recorded discourse. His claim to provide verbatim quotation only applied to a very restricted form of reported speech, the short memorable utterance, the apophthegm, the bon mot.“, und S. 140: „[…] for a brief moment the historian breaks through the homogeneous texture of his narrative, and allows the reader a glimpse of the reality which it records.“ Darüber hinaus finden sich nach Kegler (1913), S. 49, und Mayer (2010a), S. 131, in den Nerobüchern zwei entsprechende Passagen: 14,59,3 … cuius aspectu (ipsa principis uerba referam) ‚cur‘, inquit, ‚Nero ***‘… bzw. 16,4,3 …, flagitante uulgo ut omnia studia sua publicaret (haec enim uerba dixere), … Während bei Neros Spott über Plautus’ Aussehen wegen des Textausfalls keine verlässliche Entscheidung bezüglich der Originalität zu treffen ist, erscheint unklar, weshalb und v. a. wie die in oratio obliqua referierte Aufforderung des gemeinen Volkes anlässlich der Neronia im Jahr 65 n. Chr., die eher stellvertretend für einzelne inhaltlich vergleichbare Zurufe anzusehen ist, authentisch wiedergegeben sein sollte, sodass Mayers Ansatz eher skeptisch zu betrachten ist; vgl. auch Anm. 387. 387 Vgl. Laird (1999), S. 126–131, der aufzeigt, dass unter ipsa uerba keineswegs ein Originalzitat zu verstehen, sondern eher von inhaltlicher Übereinstimmung auszugehen sei, und darin von Schwerdtner (2015), S. 34, bestätigt wird. Vgl. Abschn. 3.4.1 v. a. mit Anm. 338 bzw. demgegenüber Mayer (2010a), S. 129, Adams (1973), S. 125, und Koestermann (1968), S. 145 sowie S. 313 f., der bei der Originalitätszuschreibung von letzten Worten zu euphorisch ist.

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chen Werk vermindert sein kann, vorwiegend anhand der diesbezüglichen auktorialen Kommentare. Einerseits werden dem Publikum wohlbekannte, ahistorische Stoffe bewusst ausgelassen, um nicht nur redundante Wiederholungen sowie eine gattungsungleiche aemulatio zu vermeiden, sondern um die Rezipienten durch gezielte Anspielungen darauf zu einer selbstständigen Ergänzungs- und Reflexionstätigkeit anzuhalten. Umgekehrt bietet die Erzählung allerdings auch interessante Hintergrundinformationen zu referenzierten, offenbar breit wahrgenommenen literarischen Schriften sowie deren Autoren und ordnet sich durch diese extratextuellen Bezüge selbst in das ausgeprägte kulturelle Netzwerk ein. Während die Geläufigkeit verrufener oder tragischer Lebensgeschichten bestimmter Personen per se eine reizvolle und unterhaltsame Lektüre verspricht, kommt andererseits vor allem Figuren, die den Rezipienten nicht oder nur denjenigen mit profunden historischen Vorkenntnissen vertraut sind, das Potenzial zu, eine erhöhte Aufmerksamkeit und eine plotbasierte Spannung zu erregen. Derartige Protagonisten werden trotz einer anzunehmenden Kanonisierung des Geschehens und der Hauptakteure laut auktorialen Angaben, die angesichts des überlieferungsbedingten Verlusts eines Großteils entsprechender Quellen- und Parallelliteratur nicht direkt zu überprüfen sind, aus Tradierungslücken sowie unter Einbezug von sorgfältig recherchiertem, erlesenem Material gewonnen, dessen Authentizität ausdrücklich betont wird. In dieser bewussten Aufnahme, Aufwertung und Ausstilisierung von bisher unauffälligen Randfiguren ist somit ein stetes Streben nach einem gewählten, nicht allzu abgegriffenen Stoff erkennbar, der das Augenmerk des Rezipienten auf sich ziehen und binden kann, indem Tacitus’ Darstellung von derjenigen anderer Historiographen abgehoben, originelle Informationen geboten sowie die Handlungsdynamik und -vielfalt effektvoll bereichert wird. 4.3.2 Sterbefälle illustrer Persönlichkeiten als ansprechendes Sujet Langjährige Verbannungen, gewaltsame Ermordungen und erzwungene Selbsttötungen, die in Neros letzter Herrschaftsphase sowie insbesondere nach Aufdeckung der Pisonischen Verschwörung in der Hauptstadt Rom allgegenwärtig zu sein scheinen,388 fanden nach dem Zeugnis Plinius’ des Jüngeren innerhalb des Genres der exitus illustrium uirorum-Literatur einige leidenschaftliche Bearbeiter. Deren Veröffentlichungen wiesen laut Epistolograph charakteristische Bestandteile der Geschichtsschreibung auf und stießen beim damaligen Publikum auf eine ausgesprochen positive Resonanz.389 Da Tacitus bei der Selektion und Komposition des 388 15,71,1 sed compleri interim Vrbs funeribus, Capitolium uictimis; …, 16,13,1 tot facinoribus foedum annum etiam dii tempestatibus et morbis insigniuere. … bzw. 16,13,2 …, tamquam communi mortalitate saeuitiam principis praeuenirent. Vgl. auch Koestermann (1968), S. 268: „Die Art, wie jemand dem Tode entgegengeht, ist für Tacitus immer ein Gegenstand höchsten Interesses gewesen, das in den letzten Büchern der Annalen nunmehr überall mit fast schmerzhafter Deutlichkeit hervortritt.“ 389 Plin. epist. 5,5,3 bzw. 8,12,4 mit Abschn. 1.4.2 sowie Anm. 171 und vgl. Morford (1990), S. 1593, sowie Sage (1990), S. 1017.

4.3 Interessenorientierte inhaltliche Selektion

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darzustellenden Inhalts auf diese Vorlagen, die mit abnehmender zeitlicher Distanz zu den Vorkommnissen noch zahlreicher existierten, als Quellenmaterial zurückgriff390 und in seinem Werk gezielt Anklänge an diese ihm sowie seinen Lesern vertraute Gattung formuliert und positioniert,391 ist er sich trotz skeptischer Kommentare vollauf des Unterhaltungswerts des zugrunde liegenden geschichtlichen Stoffes bewusst.392 Durch diese Berücksichtigung von Elementen der zeitgenössischen Literaturströmung in der traditionellen Geschichtsschreibung gewinnt diese zusätzlich das Potenzial, mittels einer abwechslungsreichen und ausführlichen Präsentation prominenter Sterbefälle nicht nur keine ernüchterten und abweisenden Rezipientenreaktionen hervorzurufen. Vielmehr kann sie als modernes, kurzweiliges sowie affekterregendes Informationsmedium über diese Persönlichkeiten wahrgenommen werden.393 Nach antiker Auffassung wird nämlich an deren letzten Augenblicken sowie in Notsituationen deren individueller Charakter am deutlichsten erkennbar,394 sodass diese abschließenden personenbezogenen Würdigungen als Surrogate von laudationes funebres anzusehen sind.395 Da „der Herrscher fast immer als der mehr oder weniger direkt Verantwortliche und der Suizident fast immer als dessen wehrloses, ja meist schuldloses Opfer gezeichnet wird“,396 ist ferner einer aufgrund der plotbezogenen Grundähnlichkeit der vielfachen Todesfälle aufkommenden Gefahr von Erzählmonotonie entgegen-

390 Vgl. Marx (1937), S. 89 sowie S. 93, Rankin (1965), S. 239, Schunk (1955), S. 3, Koestermann (1965b), S. 194, Müller (2003), S. 184, Reitzenstein (1926), S. 12, Schmidt (1914), S. 12, und Morford (1990), S. 1594. 391 14,19 uirorum illustrium mortes geradezu als Titel für Nonianus’ und Afers Tode bzw. 16,16,2 detur hoc inlustrium uirorum posteritati im Nachgang der Pisonischen Verschwörung, aber auch Agr. 1,1 clarorum uirorum facta moresque posteris tradere, antiquitus usitatum, ne nostris quidem temporibus quamquam incuriosa suorum aetas omisit, … und 1,3 … narraturo mihi uitam defuncti hominis … 392 Vgl. Anm. 206 bzw. Anm. 218 (je Kap. 1). 393 Vgl. Sailor (2008), S. 22 Anm. 50: „But we should not assume that the experience was so tedious for a Roman readership: after all, the works of Fannius and Capito seem to have contained nothing but deaths (and exils, in the case of Fannius), for books on end, and they were clearly read nonetheless. From this point of view, the deaths were the attraction, the other bits were the filler, and the exitus-genre was the equivalent of a ‚highlight reel‘ of a sports match.“, Syme (1967), S. 298: „The genre became popular.“, und Arand (2002), S. 242. 394 Lucr. 3,55–58 quo magis in dubiis hominem spectare periclis/conuenit aduersisque in rebus noscere qui sit;/nam uerae uoces tum demum pectore ab imo/eliciuntur ‹et› eripitur persona, manet res. bzw. Val. Max. 9,12 humanae autem uitae condicionem praecipue primus et ultimus dies continet, quia plurimum interest quibus auspiciis inchoetur et quo fine claudatur, …; vgl. Schunk (1955), S. 16, Müller (2003), S. 21, Hauser (1967), S. 67, und Vielberg (1987), S. 56. 395 Sen. suas. 6,21 quotiens magni alicuius ‹uiri› mors ab historicis narrata est, totiens fere consummatio totius uitae et quasi funebris laudatio redditur. hoc, semel aut iterum a Thucydide factum, item in paucissimis personis usurpatum a Sallustio, T. Liuius benignus omnibus magnis uiris praestitit. sequentes historici multo id effusius fecerunt. Vgl. dazu Schunk (1955), S. 104, Bruns (1898/1961), S. 55, Ash (2006), S. 70, Pomeroy (2012), S. 156, Fögen (2015), S. 46, und Suerbaum (2015), S. 161 sowie S. 296. 396 Müller (2003), S. 182.

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4. Textinhärente Strategien der Leseraktivierung

zuwirken.397 Hierzu wird diese „Topologie des Sterbens“398 durch variations- und kontrastreiche Kontextualisierungen, punktuelle Akzentsetzungen auf einzelne Facetten sowie eine gegen Werkende zunehmende Detailliertheit aufgelockert, wodurch kein Mordbericht dem anderen gleicht.399 Dies wird im Folgenden zuerst anhand eines knappen Durchgangs durch die Mordserie im Anschluss an die Pisonische Verschwörung bis zum Abbruch des Annalentexts summarisch dargelegt. Daraufhin soll anhand dreier Beispiele die ausgefeilte Gestaltung der Mordszenen mit speziellem Fokus auf deren spannender Anlage und emotional involvierenden, Bewunderung wie auch Mitleid für die Suizidenten auslösenden Mitteln betrachtet werden. Vielfältige Inszenierung einer aufregenden Mordserie Während sich Epicharis trotz schwerer Folterungen, die sie erleiden muss, durch eine selbst gebastelte Konstruktion mit letzter Kraft sowie ungebrochenem Willen erdrosselt, stirbt Piso, dessen Anhänger noch Erfolgschancen bei einer sofortigen Revolte erkennen, durch Öffnen der Pulsadern an den Händen in selbstverschuldeter Passivität. Zusammen mit einem entwürdigenden Testament aus falschen Liebesmotiven hofft er dadurch die ihm längst untreue Gattin vor Neros Rache zu bewahren.400 Dem designierten Konsul Lateranus verbleibt als Opfer kaiserlicher Grausamkeit weder die Möglichkeit zu einer finalen Zusammenkunft mit der ihm innig verbundenen Familie noch zur eigenen Wahl der Todesart.401 Dies sowie die Schnelligkeit von dessen Ermordung, die ihm nicht einmal Gelegenheit zu einer abschließenden Äußerung lässt, bildet einen deutlichen Kontrapunkt zu Senecas qualvollem und sich verzögerndem Ableben im Kreise der Angehörigen sowie Freunde, das er mit stoischer Unerschütterlichkeit und bis zum letzten Atemzug bestechender Eloquenz erträgt, wobei zur eindrucksvollen Dramatik der Szene auch Paulinas im letzten Moment verhinderter Suizid beiträgt.402 Im Gegensatz zur Langatmigkeit des senecanischen Vortrags und Todeskampfes richtet der Tribun Subrius Flavus nur wenige prägnate sowie bissige Worte an die umstehenden Ohrenzeugen und wird zügig durch Enthauptung beseitigt, sodass Lateranus’ und Subrius’ Sterbefälle den Tod des Stoikers als Zentralpunkt des Erzählkomplexes kontrastiv umgeben.403 Von dessen Standhaftigkeit und Tapferkeit weichen zwar auch die übrigen Militärs nicht ab, deren Ermordung gerafft referiert wird, um 397 Vgl. Anm. 226 (Kap. 1). 398 Vgl. Schunk (1955), S. 60. 399 Vgl. Marx (1937), S. 97, Wille (1983), S. 581, Müller (2003), S. 178, S. 183 f., S. 193, S. 254 sowie S. 276, Morris (1969), S. 243: „Tacitus tries to shape the death scenes as variously as possible to keep them from becoming monotonous.“, und damit gegen Walker (1952), S. 218: „The varying circumstances of each case are assimilated to the pattern which Tacitus conceives to be essential in them all.“ 400 15,57,2 bzw. 15,59,4 f. 401 15,60,1; vgl. dazu Anm. 75 (Kap. 3). 402 15,60,2–15,64,4 und vgl. unten. 403 15,67,1–4; vgl. Schmal (2008), S. 119, und Müller (2003), S. 240.

4.3 Interessenorientierte inhaltliche Selektion

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redundante Wiederholungen zu vermeiden, jedoch erscheint Faenius Rufus’ Ende aufgrund seines jämmerlichen Verhaltens gesondert hervorhebenswert.404 Ohne Mitleidsbekundung verscheidet hingegen der Konsul Vestinus, der den Todesbefehl während eines Gastmahls und unter den Blicken seiner Gäste erhält, die dort als Objekte von Neros Spott vorläufig festgesetzt werden.405 Der Dichter Lukan stirbt standesgemäß theatralisch mit einem Zitat aus seinem bellum ciuile auf den Lippen, wohingegen Senecio sowie Quintianus im Tod von ihrer verweichlichten Lebenshaltung abweichen und von den anderen Verschwörern weder eine denkwürdige Tat noch ein überlieferungswerter Ausspruch zu erwähnen ist.406 Diese werden folglich gezielt ausgespart und die übrigen Sterbefälle sowie Verbannungen weniger bekannter Personen und kleinerer Ereignisse im unmittelbaren Nachgang der Konspiration zusammengefasst.407 Nach dem Bericht über die vergebliche Suche nach Didos Goldschatz wird mit dem beiläufig angeführten Suizid des aller seiner früheren Illusionen beraubten Puniers Caesellius Bassus das allgemeine Sterben im 16. Buch fortgeführt und mit Poppaeas tragischem Todesfall unter ungeklärten Umständen die Mordlust des Kaisers von Neuem erregt.408 Während sich Silanus standhaft gegen dessen Schergen zur Wehr setzt, aber letztlich doch überwältigt wird, gibt Ostorius der Aufforderung, sein Leben zu beenden, entgegen seiner bisher im Kampf mit dem Feind erwiesenen Tapferkeit kleinlaut sowie mutlos nach und bedarf beim Vollzug sogar der Beihilfe eines seiner Sklaven.409 Laut Hauser sei dabei Tacitus’ politisch motiviertes Bedauern über die sinnlosen Ermordungen dieser beiden militärischen Hoffnungsträger deutlich zu vernehmen.410 Zudem umrahmen diese zwei Fälle den plastisch geschilderten, emotional mitreißenden Gemeinschaftssuizid von Plautus’ unschuldiger Familie im Dampfbad, dessen Gattin Pollitta Nero zuvor fruchtlos um Amnestie gebeten hatte.411 Mit seinem kurz vor Ableben überarbeiteten Testament versucht Mela als prominentester Vertreter von vier politischen Opfern, die in einem Atemzug genannt werden, noch weitere Personen ins Verderben zu stürzen, wohingegen Petron seine letzten Verfügungen zu einer differenzierten und hohnvollen Bloßstellung der kaiserlichen Verfehlungen nutzt.412 Besonders zeichnet diesen elegantiae arbiter aber seine spielerisch-spöttische, geradezu satirische Haltung aus, mit der er Leben wie Tod verachtet und welche dem anschaulich geschilderten Ende dieses Charakters in der Forschung das Attribut des Antiphilosophentods einbringt. Denn mit dieser einzigartigen Inszenierung eines Suizids entzieht er sein Ableben „dem Programm eines ‚römischen Sterbens‘, zumal wie es in den Exempeln der Stoiker festgelegt war“,413 und parodiert dieses inoffizielle 404 405 406 407 408 409 410 411 412 413

15,68,1. 15,68,2–15,69,3. 15,70,1 f. 15,71,1–74,3. 15,3,2 bzw. 15,6,1 f. 16,9,2 bzw. 16,15,1 f. Vgl. Hauser (1967), S. 85 sowie S. 93 f. mit Bezug auf 16,16,1. 16,10,1–11,3. 16,17,6 bzw. 16,19,3; vgl. Hauser (1967), S. 105, und Koestermann (1968), S. 375. Wittrich (1972), S. 165.

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4. Textinhärente Strategien der Leseraktivierung

Schema.414 Nach einem kurzen Interludium, in dem ein von Tigillinus veranlasster Mord an dem unschuldigen Minucius Thermus ergänzt wird,415 folgt abschließend die ausführliche Berichterstattung über die Schauprozesse gegen Barea Soranus sowie Thrasea Paetus, deren alternierende Darlegung eine kunstvolle Komposition aufweist, und über deren Todesurteile, von denen nur noch dasjenige Thraseas im erhaltenen Werkabschnitt vollstreckt wird. Zwar nimmt auch dieser Stoiker sein Schicksal gelassen sowie während philosophischer Gespräche zur Kenntnis, hindert jedoch trotz aller offensichtlichen Analogien zu Senecas Suizid mit besonnenem Weitblick seine Ehefrau am Selbstmord. Vor allem zeigt er sich erfreut, dass sein Schwiegersohn lediglich mit einer Verbannung aus Italien bestraft wird, sowie gegenüber dem jungen Quästor, der ihm den Befehl zu sterben überbringt, bis zum letzten Augenblick aufrichtig und menschenfreundlich.416 Entgegen O’Gormans Ansicht, die andauernde Serie der Mordszenen nach der Pisonischen Verschwörung sei monoton,417 wird aus diesem auf augenfällige Einzelheiten gerichteten Überblick über die Todesfälle eine facettenreiche Heterogenität der Beschreibungen evident. Bei diesen erstrahlen oftmals nebensächliche Details in grellem Licht oder werden vermeintlich zentral erscheinende Aspekte zurückgestellt.418 Dadurch entstehen wirkungsvolle Kontraste, wird der eigentliche Akt des Sterbens teils vernachlässigt, teils hervorgehoben, und werden in den letzten Stunden bemerkenswerte Züge der individuellen Protagonisten berücksichtigt.419 Trotz vergleichbarer Anlässe werden nämlich nach Hausers Meinung subjektive Hintergedanken und Motive der Opfer stets variabel gestaltet, womit ihrem 414 16,18,1–19,3; vgl. Müller (2003), S. 47, S. 193, S. 257 sowie S. 278 zur „Ausbildung eines Suizidrituals“, Marx (1937), S. 91, Schmal (2008), S. 116, sowie (2011), S. 83 f., Fögen (2015), S. 45 mit Anm. 87, Römer (1999), S. 309, und Hauser (1967), S. 103: „Damit hebt er sich aber von allen bisherigen Opfern des 16. Buches, die ein blinder Gehorsam gegenüber dem Kaiser dazu treibt, möglichst ‚prompte‘ den Tod auf sich zu nehmen, ab!“ Demgegenüber sieht diese aber, S. 104, keine spezielle Konfrontierung zwischen den Todesszenen Senecas und Petrons, sondern im Gegensatz zu Syme (1962), S. 262, sowie (1967), S. 538, zwischen denen Petrons und Thrasea Paetus’, was sie, S. 122 f., wieder aufgreift. Vgl. dazu auch Koestermann (1968), S. 301, S. 374 sowie S. 407–409, Wittrich (1972), S. 161–163, Morris (1969), S. 259, Vielberg (1987), S. 50 f., Suerbaum (2015), S. 136 f., Martin (1981), S. 184, Gnilka (1979), S. 10, Zimmermann (2005), S. 270, und Sailor (2008), S. 15. 415 16,20,2. 416 16,21,1–35,2; vgl. Hauser (1967), S. 120 f., die von einer Zusammenfassung dieser beiden Prozesse, die zeitlich wohl relativ kurz nacheinander stattfanden, zu einem dramatischen Doppelprozeß ausgeht, Bellardi (1974), S. 134, mit einer Würdigung der Todesszene Thraseas, und Mayer (2010b), S. 289. 417 Vgl. O’Gorman (2009), S. 236. 418 Vgl. Heldmann (2011), S. 37 f. mit Cic. Brut. 42 (vgl. Anm. 82 [Kap. 1]): „Damit aber ist gewissermaßen ein Sonderrecht der Rhetoren formuliert, das den Historikern nicht zusteht. Denn ein Historiker darf zwar, um seine Erzählung für seine Leser möglichst attraktiv zu machen, die Schilderung eines Selbstmordes freier ausgestalten, und dafür darf er auch seine Phantasie zu Hilfe nehmen, aber es ist ihm verwehrt, von einem der historischen Akteure wahrheitswidrig zu behaupten, dass er Selbstmord begangen habe.“ 419 Vgl. neben den Anm. 394 f. auch Daitz (1960), S. 40: „a final summary and evaluation in the form of an obituary.“, Müller (2003), S. 187 sowie S. 276, Koestermann (1968), S. 293: „Das alles ist mit einfühlendem Verständnis dargestellt, wobei der Historiker von dem Stilmit-

4.3 Interessenorientierte inhaltliche Selektion

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Ableben retrospektiv unter senatorisch geprägtem auktorialen Blickwinkel oder in Anlehnung an Todesfälle berühmter Philosophen jeweils bestimmte Intentionen und ein tiefer gehender Sinn beigemessen werde.420 Bei dieser „Studie über das Verhalten von Menschen im Scheitern“,421 von der Gärtner gar spricht, gehöre laut Müller eine rationale, emotionslose Entscheidung, ein unerschütterlicher Wille und eine energische Aktivität des Suizidenten zur positiven Darstellung eines Lebensendes.422 Dies ist gemäß Fögen „als Ausdruck der Selbstbehauptung und Bewahrung der persönlichen Würde und Freiheit, als Zeichen von Seelengröße und Heroismus zu interpretieren […], unter Umständen sogar als Sinnbild eines geistigen Widerstandes“423 und vor dem Hintergrund einer an historischen Vorbildern orientierten, im ersten nachchristlichen Jahrhundert etablierten Suizidideologie, die Müller beschreibt, zu verstehen.424 Zudem wird die Reihe der Todesfälle zum einen durch die Senatsbeschlüsse zu Ehren Neros wie auch derjenigen, die an der Aufdeckung der Pisonischen Verschwörung mitwirkten, unterbrochen, bevor das nächste Buch mit der amüsanten, ablenkenden Einlage der kaiserlichen Schatzsuche anhebt.425 Erst Poppaeas Verscheiden kündigt einen „symbolträchtigen Beginn einer neuen, noch despotischeren Phase in der Herrschaft Neros“426 sowie die Fortsetzung erzwungener Suizide an.427 Die Berichterstattung wird allerdings zum anderen schon nach einigen Opfern durch die Ereignisse anlässlich des Jahreswechsels und einen Erzählerkommentar ausgesetzt,428 welche zwar ebenfalls von der beklemmenden Todesthematik durchdrungen sind, aber dem Wüten des Prinzeps zumindest kurzzeitig eine narrative Pause gebieten. Die Mordserie lässt sich also offensichtlich grob in drei Blöcke gliedern, sodass kein „einziger ununterbrochener Toten-

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tel des Kontrastes starken Gebrauch macht.“, und demgegenüber Walker (1952), S. 218 zum Verlust der Identitäten im Tod. Vgl. Hauser (1967), S. 38, Müller (2003), S. 30, und Koestermann (1963), S. 30, der als Aussage der Nerobücher u. a. erkennt, „daß auch Passivität bis fast zur Selbstaufgabe das Verderben nicht abwendet.“ Gärtner (1996), S. 143. Vgl. Müller (2003), S. 186 sowie S. 189. Fögen (2015), S. 46. Vgl. Müller (2003), S. 12: „Diese ‚Suizidideologie‘ besagte, dass der Suizident auf Grund seiner persönlichen Vorzüge wie Abstammung, politischen oder militärischen Fähigkeiten und moralischen Qualitäten den Hass des ihm unterlegenen Princeps herausgefordert habe und dass er deswegen von diesem verfolgt und schliesslich [sic!] zum Suizid gezwungen worden sei. Ein Suizid in dieser Situation war damit nicht mehr Eingeständnis eines Versagens oder Flucht vor unerträglichen Lebensumständen, sondern er war zu einem Beweis der Überlegenheit des Suizidenten und, da es sich um die Überlegenheit gegenüber dem Kaiser handelte, auch zu einem Akt des Widerstands und zu einer politisch bedeutsamen Botschaft geworden.“ 15,72,1–74,3 bzw. 16,1,1–3,2; vgl. Syme (1967), S. 263 sowie S. 310, Heldmann (2013), S. 323 f., und Hauser (1967), S. 79, die hinter dem mutmaßlichen Goldfund das Anzeichen erblickt, dass Neros fortuna, welche ihn noch vor der Verschwörung bewahrte, ein jähes Ende nimmt, sowie S. 83 f. Heldmann (2013), S. 325. 16,6,1 f.; vgl. Tresch (1965), S. 175. 16,13,1–3 bzw. 16,16,1 f.

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4. Textinhärente Strategien der Leseraktivierung

tanz“429 vorliegt, wie Koestermann ursprünglich annimmt, sondern gemäß dessen späterer Richtigstellung „die Anordnung der Todesszenen der einzelnen Opfer nach einem klar erkennbaren Plan erfolgt ist.“430 Spannungsanalytische Merkmale in Todesdarstellungen Abgesehen von dieser sorgfältigen sequenziellen Gliederung unterschiedlich gestalteter Sterbefälle weisen diese im Einzelnen ein überlegtes spannungstektonisches Arrangement bezüglich der narrativen Hinführung auf die jeweiligen Szenen wie auch deren konkreter Schilderung auf. Wie planvoll beim Rezipienten dadurch aufmerksamkeitsfokussierende, auf die Erzeugung von Finalspannung ausgerichtete Eindrücke hervorgerufen werden, kann mittels des von Wenzel modifizierten Konflikt- und Bedrohungsspannungsschemas erfasst und beschrieben werden.431 Hierzu bieten sich exemplarisch die drei illustren Ermordungen Agrippinas, Octavias und Senecas an. Die kaltherzige Beseitigung der Kaisermutter Neben der Ermordung von Neros Stiefbruder offenbart sich das besonders affekterregende und unterhaltsame Potenzial eines Verwandtenmords, das bereits Aristoteles betont,432 anlässlich der Exekutionsepisode der Kaisermutter, deren basales, Verlaufsspannung generierendes Schema trotz der langfristig angelegten und komplexen Handlungsstruktur transparent erfassbar ist.433 Zur Vordisponierung ihrer Bedrohungssituation dienen die zahlreichen proleptischen Hinweise zu Beginn des 13. Buchs, ihr plötzlicher Ausschluss aus dem Geschehen nach dem ersten brisan429 Koestermann (1963), S. 23, und vgl. ders. (1968), S. 335, Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 78: „monotonous list of executions and enforced suicides“, sowie van den Berg (2012), S. 208. 430 Koestermann (1968), S. 293, und vgl. Martin (1981), S. 184, sowie Zimmermann (2005), S. 269 f. 431 Vgl. Wenzel (2004), S. 190–192, der als fünf zentrale Abschnitte die Vordisponierung, die Erweckung von Anteilnahme, das Wechselspiel von Aussichtslosigkeit und Hoffnung, die Retardierung und die Entscheidung anführt, sowie S. 182 f., aufgegriffen von Langer (2008), S. 20, und dazu ebenfalls Junkerjürgen (2002), S. 42 f. sowie S. 61 f. 432 Arist. poet. 1453b; vgl. Flach (1973b), S. 25. 433 Ein alternativer, nicht spannungstheoretisch fundierter Strukturierungsvorschlag findet sich bei Koestermann (1968), S. 21, und wird von Wille (1983), S. 545, aufgegriffen. Schmitzer (2005), S. 339 f., verweist hingegen auf die zahlreichen Forschungsansätze, die diesen Textpassus in Tragödienakte einteilen, ein Prinzip, dessen leichtfertigen Übertrag auf die Historiographie einerseits Mendell (1935/1969), S. 441, kritisiert, dem jedoch andererseits ebenfalls die Spannungstektonik zugrunde liegt. Vgl. ferner die individuellen Zugänge von Wilsing (1964), S. 107–115, Chapman (1947), S. 85–87, Hind (1972), S. 204, und Dawson (1969), S. 258, welche zudem – passim – mittels einer erfrischend scharfsinnigen Lektüre der taciteischen Version und eines Vergleichs mit der Parallelüberlieferung die mangelnde Historizität dieser Episode aufzuzeigen versucht sowie auf diesen Ergebnissen fußend den vorwiegend literarischen Charakter dieser Mordgeschichte erweist. Eine auf diese Erzählpassage bezogene Gegenüberstellung mit Sueton und Cassius Dio bietet außerdem Keitel (2009), S. 130.

4.3 Interessenorientierte inhaltliche Selektion

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ten Konflikt mit ihrem Sohn, bei dem vor allem Burrus als eigens hierfür berufener Untersuchungsrichter interveniert, sowie die verheißungsvollen Prodigien gegen Ende des Jahres 58 n. Chr. und zugleich 13. Buchs.434 Nach diesem spannungserhaltenden Einschnitt hebt das nächste Buch prompt mit Poppaeas aufhetzendem Appell an Nero als dem Auslöseereignis zu Agrippinas unmittelbar nachfolgender Ermordung an, die sukzessive in eine isolierte persönliche Lage sich stetig zuspitzender Ausweglosigkeit gerät. Denn die Angehörigen des Kaiserhauses unterschätzen Poppaeas intrigantes Treiben sowie Einfluss auf ihren Geliebten, der Prinzeps distanziert sich zunehmend von seiner Mutter und findet zuletzt in Anicetus einen gewissenlosen Handlanger für sein perfides Verbrechen, sodass schon möglichst bald ein „minimales Paradigma“435 entsteht, welches Agrippinas Überlebenschancen reduziert. Deren verzweifelte Versuche, ihre macht- und familienpolitische Position durch inzestuöse Bestrebungen mit ihrem Sohn zu behaupten, erscheinen hingegen unbeholfen und aussichtslos. Der durch die eingeschobene Quellendiskussion ausufernde, diesbezügliche Bericht dient somit vorrangig einer ersten Handlungsretardierung sowie dazu, in Erinnerung an Agrippinas frühere sexuelle Ausschweifungen noch einmal deren skrupellose und herrschsüchtige Wesenszüge hervorzukehren.436 Beim Aufeinandertreffen der beiden Hauptkontrahenten verlangsamt sich das Erzähltempo kontinuierlich und die Szenerie des Wiedersehens, des gemeinsamen Gastmahls, der innigen Verabschiedung sowie der nächtlichen Bucht werden dem Rezipienten plastisch vor Augen geführt.437 In Agrippinas Handlungen und Gesten zeichnet sich plötzlich eine zuvor nicht zu vernehmende, ungewohnte Naivität ab, die aufgrund ihrer unvorsichtigen Arglosigkeit ansatzweise Anteilnahme und Mitgefühl erweckt,438 was Wenzel als eigene spannungsförderliche Entwicklungsstufe ansieht. Während Neros simulatio temporär zur Hoffnung ermutigt, dass die Kaisermutter noch einmal davonkommen könne, und deren selbstgewisse Begleiterin Acerronia dies ironischerweise auch annimmt, folgt nun jedoch in einem „Wechselspiel von Aussichtslosigkeit und Hoffnung“,439 der dritten Phase in Wenzels spannungsanalytischer Strukturierung, Schlag auf Schlag.440 Das bildhaft und packend referierte Misslingen des Schiffsattentats, das bezüglich des von der Besatzung offenbarten Dilettantismus einer komischen Nuance nicht entbehrt, sowie Agrippinas glückliches Entkommen und ihre sichere Ankunft in der eigenen Villa am Lukriner See lassen den Leser momentan aufatmen. Dabei wird durch die Präsentation ihrer stillen inneren Reflexionen, während der zwar nur weniges an ihre vormalige Erhabenheit erinnert, aber ihre zu Neros Haltung entgegengesetzte dissi434 13,16,4, 13,20,1, 13,20,3, 13,21,1–6, 13,57,1–58; vgl. Abschn. 2.5.2, Abschn. 3.4.3 bzw. Abschn. 4.5.3. 435 Vgl. Wenzel (2004), S. 182 f., und Uden (2003), S. 2 f. 436 14,1,1–3,3; vgl. Uden (2003), S. 3, und hingegen Wilsings (1964), S. 107, Ansatz der Exposition in 14,3. 437 Vgl. Billerbeck (1991), S. 2758. 438 Vgl. Anm. 262 und Abschn. 4.2.2. 439 Wenzel (2004), S. 192. 440 14,4,1–5,1; vgl. Wittrich (1972), S. 157, Wilsing (1964), S. 110, Rademacher (1975), S. 107, und Uden (2003), S. 5.

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mulatio und vorgespielte Ruhe beeindruckt, zum zweiten Mal ein kurzzeitiger, den Geschehensverlauf unterbrechender Handlungsstillstand erreicht.441 Außerdem beeinflussen diese Einblicke in die Gedanken und Empfindungen der Protagonistin laut Booth die rezipientenseitige Beurteilung einer Person wesentlich und können „selbst für die bösartigste Romanfigur Sympathie entstehen lassen.“442 Demgemäß wird eine verständnisorientierte Umbewertung von Agrippinas Charakter sowie eine gesteigerte Empathie- und Identifikationsbereitschaft mit deren Schicksal aufseiten des Lesers evoziert, die für eine ergreifende, dramatische und publikumswirksame Darstellung ihres Lebensendes unersätzlich ist.443 Durch einen unvermittelten kontrastreichen Szenenwechsel, at Neroni (14,7,1), zum Aufenthaltsort des Prinzeps erlebt der Rezipient dessen unerwartet ausgeprägte Unstetigkeit, surrealen Ängste und inneren Gewissensnöte mit, was im Gegensatz zu dessen Mutter eine weitere Disqualifizierung und negative Ausdifferenzierung von Neros Wesenszügen bedingt.444 Nach diesem gezielt bipolaren Arrangement der Sympathieverteilung reduzieren Anicetus’ Bereitschaft, den Mord mit Waffengewalt durchzuführen, sowie Agermus’ inszenierte Ergreifung und Beschuldigung als angeblicher, von der Mutter entsandter Attentäter die Hoffnung auf deren Errettung zwar auf ein Minimum. Gerade diese kleine zuversichtliche Aussicht erhält jedoch im wieder aufgegriffenen Erzählstrang Agrippinas das Kollektiv der zur Suche der Schiffbrüchigen zwischenzeitlich am Strand zusammengelaufenen Volksmenge, die der Gefährdeten hinreichend Schutz bieten könnte. Zugleich bewirkt die einzigartige visuelle und akustische Darstellung dieser Situation, welche die zahlreichen deskriptiven historischen Infinitive unterstreichen, durch ihre zeitliche Unbestimmtheit sowie ihre eindrucksvolle Detailfülle eine dritte und letzte Retardation während des gleichnamigen vierten Stadiums von Wenzels Spannungsverlaufsschema.445 Die entstandene Verzögerung wird jäh von der schnell vorbeiziehenden Mordschwadron unter Anicetus’ Führung aufgehoben, sodass mit deren Ankunft an Agrippinas Villa wiederum unversehens ein Ortswechsel vollzogen und eine zeitliche Limitierung erreicht wird.446 441 14,5,2–6,3; vgl. dazu Christes (1990), S. 133, Uden (2003), S. 5, Martin (1990), S. 1563, Piecha (2003), S. 128, Baldwin (1977), S. 133, sowie zum Spannungsverhältnis zwischen simulatio und dissimulatio 14,4,4 sowie 14,6,1 f. mit Schulz (2015), S. 177 f., und Cousin (1951/1969), S. 113 sowie S. 117 f. 442 Booth (1961/1974b), S. 111, und vgl. ders., S. 58, S. 110 sowie Anm. 264 dieser Arbeit. 443 Vgl. Levene (1997), S. 149: „He arouses our sympathies in ways that are not primarily related to a reasoned morality at all, by the use of the internal audience and enargeia.“, und Piecha (2003), S. 129. 444 14,7,1–3 (bzw. auch nachfolgend 14,10,1–2); vgl. Baldwin (1977), S. 133, Röver/Till (1969), S. 52, Wilsing (1964), S. 111, und Morris (1969), S. 99. 445 14,7,4–8,1; vgl. Röver/Till (1969), S. 53, Dawson (1969), S. 261, Schunk (1955), S. 98 f., Wilsing (1964), S. 112, Christes (1990), S. 136 mit dem Hinweis, dass „nach sieben deskriptiven Infinitiven die geradezu festliche Stimmung durch den am Schluß stehenden Nebensatz […] abrupt als Illusion erwiesen wird.“, und allgemein zur Funktion des historischen Infinitivs bei Tacitus Rademacher (1975), S. 61–63. 446 14,8,2; vgl. Quinn (1963), S. 123 f. sowie zur Szenengestaltung durch adäquate, spannungsintensivierende Verbformen S. 125–127, Billerbeck (1991), S. 2769, Wittrich (1972),

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Der soeben noch vorherrschenden personellen Quantität sowie räumlichen Weite steht in der Vorstellung des Lesers nun am eindrucksvollen Spannungshöhepunkt, der finalen Entscheidungsphase, die exakt definierte und mittels der selektiven Fokalisierung plastisch geschilderte Umgebung einer kleinen Schlafkammer sowie die erbärmliche und bemitleidenswerte Einsamkeit eines ohnmächtigen Opfers entgegen.447 Dieses kämpft in erschütternder Gutgläubigkeit sowie vielleicht auch unter dem verzweifelten Vorsatz seiner realitätsfernen dissimulatio bis zum letzten Augenblick innerlich gegen den entsetzlichen Gedanken an, dass der leibliche Sohn der Urheber der Mordtat sei. Gleichwohl erscheint diese Einsicht sowie dieser Ausgang angesichts der vorausgehenden Handlungsentwicklung für alle intra- wie extradiegetisch Beteiligten schließlich unabwendbar und wird dementsprechend auch in Agrippinas ultima uerba als bittere Erkenntnis pathetisch zum Ausdruck gebracht.448 Von der Tötung selbst wird letztlich mit enormer Schnelligkeit berichtet, sodass sich die Spannung im Moment größter Dramatik schlagartig auflöst449 und die tragischen Vorfälle mittels einer die Glaubwürdigkeit der emotional aufwühlenden Episode beteuernden, quellenkritischen Betrachtung sowie in einer narrativen Ruhepause während der Leichenbestattung ausklingen.450 Der Bericht von Agrippinas Ermordung wirkt also trotz aller internen Widersprüche, die eine auf die historischen Fakten abzielende, kritische Lektüreform aufdeckt, insgesamt eine einzigartige Faszination auf den Rezipienten aus, wie Dawson treffend konstatiert: „Tacitus’ story of Agrippina’s last hours is […] impossible, but equally we noted that the scenes in it are so vivid and unforgettable, so seemingly ‚real‘, that posterity has unhesitatingly accepted them as authentic.“451 Das mitreißende Ende von Neros Gattin Obwohl die Person von Claudius’ Tochter und Neros Ehefrau im Verlauf der Erzählung vorwiegend ex negativo sowie als Objekt der Handlungen anderer Protagonisten erscheint,452 ist die Passage ihrer Ermordung, in der sie zumindest für einen kurzen Augenblick als sprachfähige Zentralfigur auftritt, aufgrund der außerordentlichen, Autor wie auch Leser ergreifenden, spannungsreichen Theatralik beachtens-

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S. 158, Martin (1981), S. 171, Koestermann (1968), S. 40, und zur zeitlichen Terminierung als spannungssteigerndes Moment Pfister (2001), S. 145. 14,8,3; vgl. zur paradoxen Vertrautheit dieser Szenerie Quinn (1963), S. 117: „The murder of individuals by authority in the middle of the night is something we feel we know about; even though it is something that we, like the majority of Tacitus’ contemporaries, have not in all probability ourselves witnessed or participated in.“ 14,8,4; vgl. Piecha (2003), S. 131: „Durch den überlegten Aufbau, die intensive und packende Schilderung einzelner Szenen sowie den wohlkalkulierten Einsatz direkter und indirekter Rede bietet Tacitus ein dramatisches Glanzstück.“, Wilsing (1964), S. 112, Uden (2003), S. 6, Tresch (1965), S. 104 f., O’Gorman (2000), S. 140, und Grethlein (2013), S. 132. 14,8,5; vgl. Ihrig (2007), S. 348 f.: „In der Tat würde eine über das ventrem feri hinausgehende längere Rede der Szene viel von ihrem Tempo nehmen und damit den Spannungsbogen nicht nur deutlich flacher verpuffen lassen, sondern auch eine signifikante Verschiebung der Textaussage bewirken.“ 14,9,1–3; vgl. Quinn (1963), S. 120, und Morris (1969), S. 105. Dawson (1969), S. 261. Vgl. Anm. 231.

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wert. Indem Poppaea nach Sullas und Plautus’ Exekutionen ihre Bestrebungen hinsichtlich einer baldigen Vermählung mit Nero wieder aufgreift und intensiviert, sind diese als spezifische Auslöseereignisse von Octavias Beseitigung anzusehen, wodurch die Vordisposition abgeschlossen sowie eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit gegeben ist, dass Poppaea ihren Willen auch durchzusetzen vermag.453 Während sich im brutalen Vorgehen des Prinzeps gegen seine offizielle Gattin und deren Gefolge dessen Unmenschlichkeit manifestiert sowie für das unschuldige Opfer der kaiserlichen Willkür zunehmend leserseitige Anteilnahme eingefordert wird, bergen die aufrichtige Loyalität von Octavias Bediensteten und der Aufruhr des Volkes demgegenüber potenzielle Hoffnungsschimmer auf ihre Errettung aus der vermeintlich aussichtslosen Situation, sodass der Rezipient wechselweise zwischen heterogenen Gefühls- und Erregungshaltungen taumelt.454 Dem Einsatz und den Protesten der Anhänger von Claudius’ Tochter bleibt jedoch, wie schon der zusammengelaufenen Volksmenge bei der Suche nach der schiffbrüchigen Agrippina, nicht nur der Erfolg verwehrt, sondern deren Beseitigung wird durch diese in einem Ausdruck dramatischer Ironie sogar beschleunigt, da sich Poppaea immer stärker bedrängt fühlt sowie ihre Position gefährdet sieht.455 Demgemäß richtet Poppaea zwar einen indirekt referierten Appell an ihren geliebten Nero, endlich für klare Verhältnisse zu sorgen, der als expliziter Handlungsimpuls eine endgültige, vergleichbar anschaulich dargelegte Beseitigung Octavias antizipieren lässt.456 Diese wird allerdings einerseits mittels der Einlage der angestifteten Verleumdung durch Anicetus sowie insbesondere der Prolepse auf dessen zukünftiges glückliches Leben, das in schrillem Kontrast zu Octavias elendem Tod steht, verzögert.457 Andererseits retardiert die analeptische Betrachtung einer anonymen Gruppe das Geschehen, in der deren schweres Schicksal in einem intradiegetischen Gedankengang resümiert und demjenigen anderer verbannter Frauen aus dem Kaiserhaus gegenübergestellt wird. Dabei sind der einleitend gewählte, einzigartig involvierende Blickwinkel voller Mitleid, non alia exul uisentium oculos maiore misericordia affecit (14,63,1), und die reflektierende Haltung, meminerant (14,63,2), geradezu als Regieanweisungen an den Rezipienten zu verstehen.458

453 14,57,4, 15,58,2 f. bzw. 14,60,1 f. und vgl. Murgatroyd (2008), S. 264. 454 14,60,3–61,1; vgl. Murgatroyd (2008), S. 263: „There is a subtle and skilful build-up of sympathy for Octavia and an extensive and powerful attack on the emperor and his court.“, sowie S. 267. Vgl. ggf. zur textkritischen Problematik dieser Passage Scott (1982), S. 40–42. 455 Vgl. Murgatroyd (2008), S. 268. 456 14,61,2–4. 457 14,62,1–4. 458 14,63,1–3; vgl. Levene (1997), S. 131: „The hearers are to be encouraged to identify with the emotions experienced by the participants in the events about which they are hearing.“, S. 132: „[…] by persuading them to take over the emotions of a character who is pitying another character.“, sowie S. 142 f. ähnlich zu hist. 3,67,2. Vgl. Jannidis (2004), S. 232, Murgatroyd (2008), S. 264 sowie S. 269 f., Bastomsky (1992), S. 609, Holztrattner (1995), S. 97, Koestermann (1968), S. 153, und de Libero (2009), S. 216, zu einem vergleichbaren Gebrauch des Signalwortes misericordia bei Livius.

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Nach einer hyperbolischen Betonung von Octavias Jugendlichkeit,459 der Schilderung ihres exstatischen Entrückungszustandes und einem herzzerreißenden Anruf ihrer Vorfahren, der den Leser zugleich schlaglichtartig an das beklagenswerte Unglück von Germanicus’ gesamter Familie erinnert, wird der Mord an der ehemaligen Ehefrau des Kaisers unter strikter Fokussierung ihres wehrlosen Leidens mit sehr großer Schnelligkeit dargestellt.460 Dies unterstreicht die gleichsam alltäglich gewordene Routine sowie gefühlslose Brutalität dieser Maßnahme und beendet die angeregte Erzählung am akuten Spannungshöhepunkt ohne etwaig hinauszögerndes Nachspiel abrupt. Die immense innere Aufwallung des Sprechers und des Rezipienten mündet folglich am Scheitelpunkt der Anspannung unmittelbar in einer unübertreffbaren, beide Instanzen kollektiv vereinenden Indignation voller Emotionalität, die eine solidarische Sympathie mit dem unschuldigen Opfer und eine abstoßende Antipathie gegenüber dem grausamen Zirkel des Prinzeps hervorruft sowie den leidenschaftslosen und untätigen Opportunismus der Zeitgenossen heftig verurteilt.461 Der beeindruckende Philosophentod Nachdem mit Senecas offizieller Abdankung und dem Hinweis auf dessen Gefährdung am Ende des 14. Buchs eine unheilvolle, Erwartungen erregende Vordisponierung vollzogen ist,462 tragen der hinterlistige Giftanschlag sowie Natalis’ heimtückische Denuntiation zu einer weiteren Steigerung des Spannungsempfindens bei.463 Denn indem der Stoiker schrittweise in die Opferrolle gerät, wird ihm zunehmend das wohlgefällige Mitgefühl des Lesers zuteil und dieser leidenschaftlich in das tragische Schicksal des Philosophen involviert. Trotz Natalis’ gewichtiger 459 Vgl. Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 312, Koestermann (1968), S. 153, Woodcock (1939), S. 152, und Syme (1967), S. 746, die Tacitus hier alle ein inkorrektes Faktenwissen unterstellen. Allerdings ist nicht anzunehmen, dass diesem das wahre Alter der Kaisertochter unbekannt oder obige Angabe als Fehler zu werten ist, sondern Octavias Altersangabe erscheint absichtlich untertrieben, wie Bastomsky (1992), S. 610, und Murgatroyd (2008), S. 271 Anm. 23, feststellen, um einen größeren Empathieeffekt aufseiten des Lesers zu erzielen, auch wenn Holztrattner (1995), S. 103, gegenüber dieser Sichtweise aufgrund der Primitivität ihrer Suggestion skeptisch ist. Dass die antiken Geschichtsschreiber solch schlichte Manipulationsstrategien dennoch verwendeten, belegen am deutlichsten die stets offensichtlich übersteigerten Verlustangaben nach Schlachtenschilderungen; vgl. dazu Walker (1952), S. 52, und Friedrich (1970), S. 25 f. Zudem wird die beschriebene Technik ebenfalls anlässlich des Prozesses gegen Barea Soranus’ Tochter angewandt, die als filia intra uicesimum aetatis annum (16,30,3) bezeichnet wird, um aufgrund ihrer Jugend ein gesteigertes Mitgefühl zu evozieren. Ferner weist Duncan-Jones (1977/1981), S. 406 f., nach, dass es auch in der Antike eine Tendenz zur Altersabrundung bei Frauen gab. 460 14,64,1 f.; vgl. Morris (1969), S. 193, der auf die zahlreichen passiven Verbformen iubetur, restringitur, exsoluuntur, pressus, enecatur, additur, amputatum, latum hinweist, Murgatroyd (2008), S. 271, O’Gorman (2000), S. 143, und Scott (1974), S. 115. 461 14,64,3; vgl. Pfister (1978), S. 30 f., und Murgatroyd (2008), S. 273: „Clearly Tacitus saw this as a heinous crime, and he employed a wide array of techniques to make it stand out and to impel his readers to view it in the same light.“, sowie v. a. Abschn. 2.5.2. 462 14,53,1–56,3 bzw. 14,65,2. 463 15,45,3 bzw. 15,60,3.

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4. Textinhärente Strategien der Leseraktivierung

Anschuldigung erscheint der Seneca drohende kaiserliche Ermordungsbefehl zuerst durch dessen diplomatische Antwort an Nero, daraufhin aufgrund der angeblich zögerlichen Haltung des Tribunen Silvanus, der mit der Überbringung der Aufforderung zum Suizid beauftragt ist, sowie dessen klärender Rücksprache mit Faenius Rufus jeweils im letzten Augenblick kurzzeitig abwendbar.464 Im Anschluss an dieses handlungsförderliche Wechselspiel von Aussichtslosigkeit und Hoffnung hebt erst der eigentliche Bericht über Senecas Selbstmord an, der nicht nur durch eine annähernde Isochronie von erzählter sowie Erzählzeit als Geschehenshöhepunkt markiert wird. Vielmehr erzeugen der warmherzige, in oratio recta referierte Dialog zwischen dem Stoiker und seiner Gattin Paulina sowie dessen entgegen aller philosophischen Grundsätze deutlich vernehmbare emotionale Schwäche beim Anblick seiner leidenden Ehefrau aufseiten des Rezipienten eine einfühlsame Atmosphäre inniger Menschlichkeit und Sympathie.465 Durch den Einschub der unerwartet erfolgenden Rettung Paulinas sowie der Prolepse auf deren untadeliges späteres Leben, als Senecas Pulsadern bereits geöffnet sind, wird die temporale Komponente von dessen Selbstmorddarstellung sogar noch gedehnt und erfährt so eine Retardation mit expliziter zeitlicher Limitierung, die im durativen Blutfluss begründet ist.466 Weil dieser schließlich zu stocken beginnt, trinkt der Philosoph zusätzlich den Schierlingsbecher, dessen Wirkungslosigkeit als ‚last minute crisis‘ die Spannungsentwicklung in der fünften Phase mit dramatischer Ironie krönt, bevor endlich im Dampfbad die ersehnte Erlösung von den Todesqualen eintritt.467 Neben diesen geschickt zusammenwirkenden Effekten der kompositorischen und inhaltlichen Szenenanlage wird nach Morris’ Meinung auch in sprachlicher Hinsicht eine kunstvolle Ausarbeitung erkennbar, welche die Selbstbestimmung, mit der der Stoiker über sein Ableben verfüge, unterstreiche: „The grammatical smoothness of the narrative, keeping to a minimum abrupt breaks and wrenching transitions, furthers this impression of control.“468 Zwar hält Schmal scharfsinnig gerade diese Souveränitätssuggestion dadurch, dass die ersten Versuche, den eigenen Tod herbeizuführen, scheitern, für ironisch konterkariert.469 Aber die Darstellung des erzwungenen Suizids besitzt dennoch durch die direkte Nachahmung und bewusste Bezugnahme auf diejenige des Sokrates sowie Cato Uticensis470 und den vorhandenen Orientierungsmöglichkeiten an den zahlreich kursierenden Werken 464 15,61,1 bzw. 15,61,3. 465 15,62,1–63,3; vgl. dazu Koestermann (1968), S. 302 f., Müller (2003), S. 244, und Abschn. 3.4.3. 466 15,64,1 f. 467 15,64,3 f.; vgl. Zimmermann (2005), S. 266, Gärtner (1996), S. 154 f., und Koestermann (1968), S. 307: „Erst jetzt wird als selbständiger Bericht das letzte Stadium im Todeskampf Senecas vorgeführt, den Tacitus mit vollendeter Kunst aufgespart hatte.“ 468 Morris (1969), S. 239. 469 Vgl. Schmal (2008), S. 119. 470 Vgl. Billerbeck (1991), S. 2765 f. sowie S. 2766: „So deutlich der Anschluß des Tacitus an das platonische Vorbild sein mag, in der dramatischen Anschaulichkeit schafft der Historiker sein eigenes großartiges Tableau vom Sterben des Philosophen.“, Ronconi (1966), Sp. 1259, Städele (1990), S. 125, Pausch (2004), S. 91, Schmal (2008), S. 106 sowie S. 108 f.,

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der exitus-Literatur471 eine narrativ ausgefeilte, den Rezipienten affektiv mitreißende sowie beim Publikum nachhallende Inszenierung, sodass Woodman sogar eine potenzielle „role-playing performance“472 nicht ausschließt. Fazit Alle drei detailliert analysierten Sterbeszenen besitzen also „den höchsten Grad literarischer Selbständigkeit“473 und zeigen exemplarisch eine einzigartige erzählerische Raffinesse bei der interdependenten Verwendung struktureller, inhaltlicher, temporaler sowie sprachlich-stilistischer Darstellungselemente zur textuellen Spannungserzeugung. Mit seiner daran ansatzweise erkennbaren Vielschichtigkeit ist dieser Prozess auf die Erregung, Fokussierung und Erhaltung einer fesselnden kognitiven Erwartungshaltung bezüglich des Handlungsvor- sowie -ausgangs einerseits und eines involvierenden emotionalen Einfühlungsvermögens in historisch beteiligte Personen andererseits gerichtet. Dadurch wird aufseiten des Rezipienten die Bindung an die Lektüre und deren Unterhaltungswert gesteigert. Bemerkenswert ist hierbei, mit welcher Selbstverständlichkeit mannigfache Aspekte berücksichtigt werden, die nach an der modernen Erzählliteratur entwickelten Kriterien einen positiven Beitrag zur Spannungsgenerierung leisten,474 und die Gesamtkomposition abgestimmt ist, deren implizite Phasenanlage und -abfolge im Wesentlichen derjenigen von Wenzels Konflikt- und Bedrohungsspannungsschema gleicht.475 Zwar bestätigt sich somit der von jenem angeführte Vorzug dieses Strukturierungsansatzes, der vor allem in dessen universeller Gültigkeit bestehe,476 bei einer anachronistischen Anwendung. Die verschiedenen Stufen sind jedoch nicht als unmodifizierbare, disjunkte oder exhaustive Kategorien, sondern bei komplexeren Spannungsverläufen wie Agrippinas Beseitigung „als flexible, ineinandergreifende Systemteile zu verstehen, die sich in konkreten Erzähltexten bisweilen überlappen oder sogar miteinander verschmelzen können.“477 Neben dieser vollendeten spannungstektonischen Ausgestaltung einzelner Mordszenen zeichnet sich das eingangs betrachtete globale Arrangement der unzähligen Todesfälle durch eine fein abgewogene Assoziativität und einen augenscheinlichen Kontrastreichtum aus. Denn durch eine abwechslungsreiche Benennung sowie gezielte Ausarbeitung situations- und personenspezifischer Facetten wird nicht nur eine so große Palette an Varianten des menschlichen Ablebens inszeniert, dass sich die jeweiligen Berichte lediglich hinsichtlich ihrer grundlegenden

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Drexler (1954), S. 176, Grethlein (2013), S. 160, Zimmermann (2005), S. 266, Gnilka (1979), S. 10 f., und Fögen (2015), S. 40–44 mit Anm. 67. Vgl. Schmal (2008), S. 110, Keitel (2009), S. 142, und Marx (1937), S. 87. Woodman (1993), S. 118. Schunk (1955), S. 141. Vgl. Wenzel (2004), S. 182 f., und Junkerjürgen (2002), S. 61 f. Vgl. Wenzel (2004), S. 190–192. Vgl. Wenzel (2004), S. 188. Wenzel (2004), S. 188.

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Plotstruktur ähneln. Vielmehr ist eine der Darbietungsabsichten, „welche die Einbildungskraft des Lesers am stärksten zu beeindrucken u(nd) einen ganzen Lebensablauf gleichsam symbolisch zusammenzufassen vermögen, die Schilderung der (individuellen) Einzelheiten des Todes der betreffenden Persönlichkeit.“478 Zudem wird die Serie der erzwungenen Suizide nach der Pisonischen Verschwörung sorgfältig durch thematisch divergierende Einlagen unterbrochen, um nicht einmal den Verdacht inhaltsbezogener Erzählmonotonie zu erwecken. Unter Vorspiegelung einer bescheidenen exkulpatorischen Erzählweise wird hingegen die Motivmannigfaltigkeit der gegenwärtig beim Publikum beliebten exitus-Literatur in die traditionelle Form der annalistischen Historiographie einbezogen, um den zugrunde liegenden geschichtlichen Stoff mit deren Gestaltungsmitteln ansprechend sowie kurzweilig aufzubereiten.479 In dieser kunstvoll nuancierten Gattungsmischung zeigt sich ebenso wie bereits mit Blick auf den ‚Agricola‘ eine auktoriale Offenheit gegenüber zeitgenössischen Genres.480 Laut Müller bringe diese das Bestreben zum Ausdruck, „sich durch eine analysierende Darstellung des vergangenen ersten Jahrhunderts des Prinzipats über die Bedeutung der Veränderungen der politischen und sozialen Verhältnisse für die römische Gesellschaft und besonders für den Senatorenstand Klarheit zu verschaffen und dadurch dazu beizutragen, die Aufgabe der Oberschicht im Staat in einer fruchtbareren Weise als bisher neu zu definieren.“481 Dies könne nach Booth ferner auf die Darstellungsintention eines literarischen Stückes zurückwirken und dazu führen, dass „eine mögliche Reaktion auf eine zersplitterte Gesellschaft […] der Rückzug in eine Welt privater Werte sein (mag), aber eine andere denkbare Reaktion […] vielleicht die Schaffung von Kunstwerken (wäre), die selbst dazu beitragen würden, einen neuen Konsens zu bilden.“482

478 Ronconi (1966), Sp. 1259; vgl. Schunk (1955), S. 1, Arand (2002), S. 242, Gnilka (1979), S. 5, Suerbaum (1976/1993), S. 99, Vielberg (1987), S. 56, sowie Koestermann (1968), S. 293: „Insgesamt zeigen ihn diese Szenen auf dem Höhepunkt seines künstlerischen Vermögens: An dramatischer Wucht und zugleich innerer Geschlossenheit sucht die Schilderung ihresgleichen.“ 479 Vgl. Wenzel (2004), S. 182: „Denn die Spannung einer Erzählung hängt zum einen vom Potential des zu erzählenden Stoffes ab. Sie hat aber zum anderen in ganz erheblichem Maße auch mit der Art und Weise seiner geschickten erzählerischen Vermittlung zu tun.“, Marx (1937), S. 87 f. sowie S. 98, Römer (1999), S. 306, Wittrich (1972), S. 161, Vielberg (1987), S. 27, Pausch (2004), S. 92, Pomeroy (2012), S. 155, und Ronconi (1966), Sp. 1260. 480 Vgl. zu Gattungsindifferenzen in der Literatur Hidber (1999), S. 166, und Steinmetz (1982), S. 377. 481 Müller (2003), S. 181. 482 Booth (1961/1974b), S. 126. Vgl. auch Petersmann (1993), S. 12 über die enkomiastische Biographie des Schwiegervaters Agricola: „Die angewandten historiographischen Stilformen, der zutage tretende Gattungssynkretismus dienen der bewußten Lesersteuerung nach der eigentlichen Intention des Autors und sind demnach Täuschungsstrategien.“

4.3 Interessenorientierte inhaltliche Selektion

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4.3.3 Die handlungsförderliche Wirkung von Gerüchten Narrative Eigenschaften historiographisch atypischer Elemente Anhand des Gerüchts von Tiberius’ angeblich wissentlicher Vergiftung seines Sohnes Drusus wurde bereits die Aufnahme von mündlich tradiertem Material in den historischen Diskurs, dessen extra- oder intradiegetisch polyperspektivische und didaktische Funktion konstatiert.483 Zusätzlich ist diese Textstelle als ein augenscheinliches Beispiel für die Dauerhaftigkeit sowie Wirkgewaltigkeit einer solchen üblen Nachrede zu erachten, die nach erfolgreicher Etablierung sogar trotz überzeugender gegenteiliger Faktenlage nicht zu tilgen ist.484 Darin offenbart sich Tacitus’ reflektiertes Bewusstsein einer Verantwortung für die historische Sinnbildung, das heißt, welch weitreichende und überdauernde Bedeutung möglicherweise einer von ihm absichtlich oder unabsichtlich vergebenen, falsifizierten beziehungsweise verifizierten Information zukommen kann.485 Er vermittelt dem Rezipienten die Einsicht, dass Gerüchte sowie volksnahe Stimmungen unabhängig von der Tragweite ihres Anlasses oder ihrem Wahrheitswert spätere historische Ereignisse direkt oder mittelbar kausal auslösen oder zumindest beeinflussen können, ein Verständnis, das sich als Kohärenzprinzip in der Präsentationsweise der Geschichte widerspiegelt.486 Denn McCulloch legt in seiner Untersuchung zur Funktionalität von Gerüchten, bei der er seine Beispiele überwiegend aus den ersten Annalenbüchern wählt, dar, dass deren potenzielle Eigenschaft, in der Realität ein gewisses Vorkommnis ursächlich zu veranlassen, in der Erzählung regelmäßig geschickt dazu eingesetzt werde, um diese als Erklärungsansätze für wirkliche Geschehnisse heranzuziehen und so intratextuell zwar schlüssige, aber fiktive Kausalzusammenhänge herzustellen. Diese narrative Vorgehensweise werde dadurch erleichtert, dass Gerüchte als fingierte Äußerungen in der Historiographie lediglich den situativen Plausibilitätsstatus von Reden trügen, zugleich allerdings ihren faktischen Effektcharakter behielten.487 Im vorliegenden ontologisch hybriden Diskurs können Gerüchte somit eine komplexe Handlungsentwicklung wesentlich begünstigen, indem sie zwischen Ereignissen als überleitende, sinnstiftende Verbundelemente fungieren und durch anschauliche Reprojektionen des allgemeinen Stimmungsbilds des fokussierten 483 4,10,1–11,3 mit Abschn. 3.3.3 sowie zu den Textpassagen insbesondere Anm. 142 und Anm. 264. 484 Vgl. dazu ebenfalls 3,19,2 adeo maxima quaeque ambigua sunt, dum alii quoquo modo audita pro conpertis habent, alii uera in contrarium uertunt, et gliscit utrum posteritate. 485 Vgl. Arand (2002), S. 247 f. 486 Vgl. Shotter (1989), S. 13: „Not only that, but such a rumour, even if unsubstantiated, could itself become a causative factor in subsequent events“, dazu Gibson (1998), S. 112 f., und ferner Schmal (2006), S. 251, sowie (2011), S. 116. 487 Vgl. McCulloch (1984), S. 2 f. sowie v. a. S. 3: „Indeed, what in the text becomes a causeand-effect relationship between a rumor and some fact may very well have never existed in real history.“, Timpe (1988/2007), S. 256 f., Ries (1969), S. 171, Ihrig (2007), S. 45, Hausmann (2009), S. 144, Suerbaum (2015), S. 93 sowie S. 194, und Pöhlmann (1910), S. 43–45, dessen Frage, ob Tacitus selbst den Gerüchten Glauben schenke, diesbezüglich vernachlässigbar ist.

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Zeitraums die leserseitigen Immersionsmöglichkeiten erhöhen. Zudem wird die kritische Neugier des Rezipienten in Bezug auf deren Authentizität sowie insbesondere hinsichtlich deren etwaiger Beeinflussung des weiteren Geschehens geweckt, sodass dieser in eine zukunftsgerichtete Anspannungshaltung versetzt wird.488 Gerade dieses leseraktivierende und handlungsmotivierende Potenzial, das in den Nerobüchern auf 17 intradiegetische Gerüchte zutrifft, ist im Folgenden zu betrachten.489 Folgenreiches Gerede in den Nerobüchern Den Auftakt des innenpolitischen Berichts über den neronischen Prinzipat bildet sogleich ein Gerücht, da für Iunius Silanus’ rasche Beseitigung Agrippinas Furcht vor diesem sowie vor allem das volksnahe Gerede, dass dieser als Kaiser ein geeigneterer Thronaspirant als deren Sohn sei, als individuelle Tatmotive der Mutter benannt werden.490 Doch wird diese durch die öffentliche Meinung nicht nur zur Urheberin des im unmittelbaren Anschluss vollzogenen Mordes, sondern später selbst zum Opfer, als sie durch die allgemeine Ansicht, Nero beabsichtige, sich mit ihr auszusöhnen, nach Baiae gelockt wird, um bei einem vorgetäuschten Schiffsunglück getötet zu werden.491 Die Verbreitung dieses Vorfalls bei der in der Nähe siedelnden Bevölkerung initiiert die Suche nach Agrippina und nach deren Erschlagung wird der Prinzeps schließlich durch angebliche Wundererscheinungen zu einer Weiterreise nach Neapel veranlasst.492 Dieser gerät ferner mehrfach durch diskreditierende Gerüchte im Volk unter Druck, die ihn jeweils zum sofortigen Handeln zwingen, um seine uneingeschränkte Machtposition zu erhalten. Die Gefahr eines Aufstands nach dessen Scheidung von Octavia führt nämlich zu deren temporärer Rückberufung493 und die üble Nachrede, dieser habe den verheerenden Rombrand sowie das Unglück der Stadtbewohner für seine private Theaterleidenschaft wie auch persönlichen Bauvorhaben missbraucht, bedingt möglicherweise zuerst die finanziellen sowie materiellen Hilfsmaßnahmen, daraufhin die kultisch-religiösen Zeremonien, um die Bürger der Hauptstadt zu beschwichtigen.494 Weil sich dadurch dessen Ruf nicht hinreichend 488 Vgl. McCulloch (1984), S. 9: „An explicit contemporary explanation may be undermined by the general impression created in the surrounding narrative. This leads to a problem that stands as an obstacle to the narrative outcome.“, und Ihrig (2007), S. 45. 489 13,1,1, 6,1–4, 43,1, 54,1, 14,4,1, 8,1, 10,3, 22,1, 22,2, 52,2–4, 60,5, 15,15,3, 39,3, 40,2, 44,2, 16,2,1, 14,3. 490 13,1,1 …, crebra uulgi fama anteponendum esse uixdum pueritiam egresso Neroni et imperium per scelus adepto uirum aetate composita, insontem, nobilem et, quod tunc spectaretur, e Caesarum posteris. 491 14,4,1 …, quo rumorem reconciliationis efficeret … 492 14,8,1 … uulgato Agrippinae periculo, … bzw. 14,10,3 … et erant qui crederent sonitum tubae collibus circum editis planctusque tumulo matris audiri … 493 14,60,5 inde crebri questus nec occulti per uulgum, … coniugem reuocauit Octauiam. 494 15,39,1–44,1 v. a. 15,39,3 …, quia peruaserat rumor … 15,40,2 plusque infamiae id incendium habuit, …

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verbessert, versucht Nero zuletzt, die Christen für die Katastrophe verantwortlich zu machen, sodass sämtliche Interventionen des Prinzeps vorrangig als eigennützige Reaktionen auf handlungserregende, negative Stimmungen und Tendenzen im Volk erscheinen, um einer Gefährdung der persönlichen Herrschaftsgewalt entschlossen entgegenzuwirken.495 Demgegenüber fördert der Kaiser selbst das Gerücht bezüglich eines Schatzfundes auf Caesellius Bassus’ Gütern und löst damit nach einer allgemeinen Euphorie sowie Verschwendungssucht beinahe einen Staatsbankrott aus.496 Außerdem bildet ein während der ersten Neronia im Jahre 60 n. Chr. aufkommendes Gerede, dass der zu dieser Zeit am Himmel sichtbare Komet ein baldiges Ende von Neros Prinzipat sowie Rubellius Plautus als dessen Nachfolger prophezeie, eine fließende Überleitung zur weiteren Verschlechterung des prekären Verhältnisses zwischen beiden Protagonisten.497 Hierzu trägt zusätzlich ein gerüchteweise bekannt gewordener Blitzeinschlag in den Speisetisch des Kaisers im Gebiet von Tibur bei, woher Plautus väterlicherseits abstammt,498 sodass die große öffentliche Resonanz der zwei Vorkommnisse nicht nur Nero dazu bringt, seinen vermeintlichen Konkurrenten im unmittelbaren Anschluss nach Asien auf dessen Besitzungen zu verweisen. Vielmehr deutet diese Einzelepisode als dramatisches, unheilverkündendes und spannungsinduzierendes Interludium bereits auf Plautus’ fatales Schicksal voraus. Neben Anteius, in dessen Fall schon die öffentliche Verlautbarung einer Prozessinitiierung bewirkt, dass niemand mehr sein Testament zu bezeugen bereit ist,499 wird des Weiteren die prominente Persönlichkeit Senecas zweimal explizit zum Objekt diffamierender Gerüchte, die bei diesem jeweils vehemente Gegenreaktionen und so einen neuen Handlungsschritt provozieren. Denn einerseits begegnet der Philosoph den über ihn verbreiteten Vorwürfen anfänglich repressiv mit einer inszenierten, gegen den Hauptanstifter Suillius gerichteten Anklage, in der er dessen Verbannung aus Rom erzielt. Andererseits wird die permanente sowie zunehmende Kritik später sogar als ein zentraler Grund für den Rückzug des Stoikers aus der Tagespolitik suggeriert.500 495 15,44,2 sed non ope humana, non largitionibus principis aut deum placamentis decedebat infamia, quin iussum incendium crederetur. ergo abolendo rumori Nero subdidit reos et …; vgl. Michelfeit (1966), S. 516: „(Es) bleibt nicht zweifelhaft, daß Tacitus sagen will, Nero tat alles mögliche, um das Gerücht seiner Schuld verstummen zu lassen.“, und Blänsdorf (2015), S. 327 f. Vgl. ferner zur Identifikation der verfolgten religiösen Gruppe als Christen oder als Anhänger des Chrestus Koestermann (1968), S. 10 f. sowie S. 253–257, Fuchs (1950/1969), S. 564 f. Anm. 6, Renehan (1968), S. 368–370, Michelfeit (1966), S. 517 f., Bauer (1957), S. 498, Oliver (1977), S. 303 f., und Hanslik (1963), S. 100 f. 496 16,2,1 …, auget ultro rumorem … 497 14,22,1 inter quae sidus cometes effulsit, de quo uulgi opinio est, tamquam mutationem regnis portendat. … et omnium ore Rubellius Plautus celebratur, … 498 14,22,2 auxit rumorem pari uanitate orta interpretatio fulguris; vgl. Krauss (1930), S. 44 sowie S. 77, und Kroymann (1952/1969), S. 135 sowie S. 158. 499 16,14,3 ac uulgato eius indicio … 500 13,43,1 nec deerant qui haec isdem uerbis aut uersa in deterius Senecae deferrent. bzw. 14,52,2–4 hi uariis criminationibus Senecam adoriuntur, …

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Zudem kann die in einer nach Geschwätz dürstenden Stadt vorherrschende Stimmungslage als narrative Option dienen, fugenlos in die außenpolitische Berichterstattung überzuwechseln. Dies wird anlässlich des Gerüchts über einen Einfall der Parther in Armenien angewandt und dadurch eine allgemeine Diskussion über die militärisch-strategischen Qualifikationen des jungen Prinzeps sowie eine knappe Darlegung der Auseinandersetzungen zwischen Parthern und Römern zu Beginn der neronischen Regierung angestoßen.501 Als gleitender Übergang schließt zwar die irrige Meinung der Friesen, den römischen Legaten sei die Erlaubnis genommen, Angriffskriege zu führen, den statischen Überblick über die ereignislosen Jahre an der germanischen Grenze gedanklich ab.502 Zugleich zieht diese jedoch die beiden folgenden außenpolitischen Konflikte aufgrund einer nach römischem Verständnis illegitimen Inbesitznahme von für die eigene militärische Nutzung ausgewiesenen Flächen direkt nach sich und fungiert als Ansatzpunkt und Ursache dieses Handlungsstrangs.503 Zuletzt lässt sich auch der Partherkönig Vologaeses von der kursierenden Ansicht, die von Paetus’ Soldaten erbaute Brücke halte einer Überquerung nicht stand, beeindrucken und passiert den Fluss Arsania deshalb vorsichtshalber auf dem Rücken eines Elefanten.504 Fazit Analog zu McCullochs Ergebnissen für die Tiberiusbücher, deren Geltung dieser für spätere Werkabschnitte postuliert,505 besitzen folglich auch Gerüchte in der Erzählung über Neros Prinzipat eine vorwiegend handlungsauslösende Funktion, die mit einem etwaigen, zusätzlich polyperspektivischen Gehalt keineswegs konfligiert.506 Während deren impulsgebende sowie kohärenzstiftende Eigenschaft nämlich jeweils an einer textinhärenten Zuordnung von historischen Ursachen und geschichtlichen Reaktionen, weshalb sich diese Elemente auf die intradiegetische Ebene beschränken, deutlich wird, steigert sich die dramatisierende und spannungserregende Komponente der voranstehenden 17 Beispiele gerade vor dem Hintergrund einer abwechslungs- und facettenreichen Verwendung von Gerüchten. Denn gerade dadurch, dass das handlungsevozierende Potenzial, das diesen allen, wie Gibson anmerkt, zu eigen sei, nicht zu jedem Anlass hervortrete,507 ist der jeweilige Einzelfall mit Blick auf die vielfältigen weiteren narrativen Einsatzmöglichkei501 13,6,1–7,2 fine anni turbidis rumoribus prorupisse rursum Parthos et rapi Armeniam adlatum est, … in Vrbe sermonum auida, … haec atque talia uulgantibus, …; vgl. Morris (1969), S. 54. 502 13,53,1–3 sowie 13,54,1 ceterum continuo exercituum otio fama incessit ereptum ius legatis ducendi in hostem; vgl. Gibson (1998), S. 121. 503 13,54,1–57,3. 504 15,15,3 …, quia rumor incesserat pontem cessurum oneri dolo fabricantium; vgl. Gibson (1998), S. 122. 505 Vgl. McCulloch (1984), S. 15: „Indeed, the pattern of narrative cause in the Neronian books is to be understood in light of the pattern of narrative cause established in the Tiberian books.“ 506 Vgl. zur wechselseitigen Einordnung der intradiegetischen Gerüchte Anm. 142 (Kap. 3) und Anm. 489. 507 Vgl. Gibson (1998), S. 123 sowie S. 127–129.

4.3 Interessenorientierte inhaltliche Selektion

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ten von Gerüchten nicht „merely decorative“.508 Stattdessen verunsichert die unregelmäßige sowie unvorhersehbare Abfolge von Gerüchten ohne oder mit einem konkreten Effekt auf den nachfolgenden Handlungsverlauf den Rezipienten, versetzt ihn in eine gesteigerte kognitive Anspannungshaltung und regt ihn zur vermehrten Hypothesenbildung über den Geschehensfortgang an. Zudem wird der Leser durch die Berücksichtigung der gesellschaftlichen Meinung auf diesen bedeutenden politischen Einflussfaktor aufmerksam gemacht, von dem das Verhalten sogar prominenter Persönlichkeiten in höchsten Staatsämtern wie Nero, Vologaeses oder Seneca mehrfach maßgeblich bestimmt wird. Dadurch kann eine möglichst getreue Abbildung der enormen Komplexität und umfassende Bewertung historischer Entscheidungssituationen und -prozesse erst erfolgen.509 Die Etikettierung der angeblichen Äußerungsinhalte als fama, rumor oder opinio uulgi ermöglicht dabei den Einbezug von ungesicherten, unglaubwürdigen und vernunftwidrigen Informationen, die ohne merkliche Schmälerung der historiographischen fides vorrangig einen hohen Unterhaltungswert besitzen.510 Diese vermeintlich trivialen Nebenaspekte vermögen allerdings hinsichtlich der tatsächlichen geschichtlichen Umstände oftmals die unauffälligen Ursprünge sowie nichtigen Beweggründe menschlicher Gedankengänge und Handlungen – illa primo aspectu leuia (4,32,2) – recht treffend widerzuspiegeln.511 Der narrative Gebrauch von Gerüchten erschöpft sich also entgegen dem langjährigen diesbezüglichen Forschungsfokus nicht darin, die Meinung des Lesers zu manipulieren sowie den Charakter eines Akteurs indirekt zu dessen Ungunsten auszudifferenzieren.512 Vielmehr gelingt es, ohne offensichtlichen Authentizitätsverlust alternative, unverbürgte und somit gewissermaßen virtuelle, aber nicht weniger plausible Ursachen sowie Erklärungen für einzelne Vorkommnisse in die Darstellung einfließen zu lassen.513 Der analysierende Historiker erkennt offenbar „mit rationaler Klarheit 508 Gibson (1998), S. 123, und vgl. Abschn. 3.2.1 sowie Abschn. 3.3.3. 509 Vgl. Yavetz (1975), S. 191, Ries (1969), S. 172, Reitzenstein (1926), S. 17, Gehrke (2006), S. 395, und Geiser (2007), S. 80 f.: „Dies zeugt zudem auch davon, daß Tacitus der öffentlichen Meinung auf politischem Gebiet eine nicht zu unterschätzende Rolle zuerkennt.“, sowie S. 106. 510 Vgl. abgesehen von Anm. 255 (Kap. 3) Ryberg (1942), S. 384 sowie S. 386, Ries (1969), S. 178 f., Shatzman (1974), S. 568, Develin (1983), S. 78, und Hausmann (2009), S. 144, der jedoch unverständlicherweise die „Mehrheitsmeinung der Öffentlichkeit“ nicht als Fiktionalitäts-, sondern als Faktizitätssignal erachtet. 511 Vgl. Shatzman (1974), S. 550: „According to Tacitus […] rumours can direct people’s behaviour and actions; viz. they are factors that determine to some extent the direction and momentum of certain historical events. Hence the historian must give them their due part in his historical narrative.“, sowie S. 554 mit dem Hinweis auf hist. 1,89,2 Nero nuntiis magis et rumoribus quam armis depulsus. 512 Vgl. Welskopf (1961), S. 367, Ries (1969), S. 175, Shatzman (1974), S. 570, S. 574: „Rumours as a means of characterizing persons are evidently employed by Tacitus throughout his historical writings.“ sowie zur manipulativen Kraft von Gerüchten S. 578, Gibson (1998), S. 112: „rumour should not be considered solely as a device for unsubstantiated innuendo.“ sowie S. 123: „Rumours in Tacitus can thus be rather more than a mere opportunity for the blackening of character, or even the presentation of contemporary opinions.“, Suerbaum (2015), S. 194 f. sowie S. 277 f., und dazu Pausch (2017), S. 74 f. 513 Vgl. dazu Hausmann (2009), S. 144, Schmal (2011), S. 117, und McCulloch (1984), S. 30.

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und Schärfe, daß in der Geschichte oft irrationale Elemente kausale Funktion haben.“514 4.4 METHODEN DER HANDLUNGSRETARDATION 4.4.1 Quellenreferenzen als Symptome eines narrativen Entwicklungsprozesses Verzögernd positionierte Quellendiskussionen Unter dem Aspekt des narrativen Modus wurde der Einsatz schriftlicher Quellenreferenzen bereits als gezielte Präsentationsstrategie zu einer multiperspektivisch collagierten Auffächerung des Geschehens dargelegt sowie deren wiederholte kompositionelle Stellung im Rahmen zentraler Handlungsepisoden bemerkt.515 Gerade ausgehend von deren textueller Positionierung innerhalb der jeweiligen Erzählpassagen ist im Folgenden deren grundlegender Beitrag zur Erzeugung und Unterstützung der Verlaufsspannung zu analysieren und als ein weiteres Indiz für deren bewusste Verwendung zu beschreiben. Denn offensichtlich lassen sich die Quellenbezüge hinsichtlich ihres relativen thematischen Bezugspunktes in zwei Gruppen einteilen: Einerseits werden sie im unmittelbaren Anschluss an bedeutende Ereignisse eingebunden und bieten dem Leser so eine temporäre Ruhepause zur polyperspektivischen Reflexion vorausgehender Vorfälle, sodass sie insbesondere in ihrem Potenzial zur Herstellung eines pluralistischen Geschichtsbildes vollständig aufgehen.516 Dieses ist andererseits zwar auch bei denjenigen Autorenhinweisen, die wesentlichen Vorkommnissen direkt vorgeschaltet sind, weder qualitativ noch quantitativ gemindert, doch unterbrechen diese zusätzlich den auf ein bestimmtes Handlungsziel ausgerichteten Geschehensverlauf an kritischen Punkten und zögern dessen Fortgang nicht selten durch eine unverhältnismäßig umfangreiche Erörterung von Marginalien hinaus.517 Nachdem Nero durch den Schauspieler Paris von dem mutmaßlichen Komplott zwischen Agrippina und Plautus erfahren hat und sich in seiner Aufwallung zur sofortigen Ermordung seiner Mutter sowie Plautus’ und zudem zu Burrus’ Entlassung hinreißen lässt, diese sogar schon erfolgt sowie ein Nachfolger bestimmt zu sein scheint, wird die brisante Entwicklung kurzerhand nicht weiterverfolgt. Stattdessen wird eine eingehende Diskussion über Burrus’ reale Gefährdung sowie eine methodische Anmerkung über die künftige Zitationstechnik angestoßen, ohne vorläufig den Ausgang der politischen Affäre anzukündigen.518

514 V. Albrecht (1988), S. 60, und vgl. Pöschl (1962/1969), S. 171, Gibson (1998), S. 114, Neumeister (1985/1986), S. 194, Schmal (2006), S. 251 f., sowie (2011), S. 126, und Ries (1969), S. 171. 515 Vgl. Abschn. 3.3.3. 516 13,17,2, 14,9,1, 14,33,2, 14,37,2, 15,67,3, 15,16,1–3, 16,3,2, 16,6,1. 517 13,20,2, 14,2,1, 14,4,4, 15,38,1, 15,45,3, 15,53,2, 15,53,3, 15,54,3, 15,61,3. 518 13,20,1 f.; vgl. zur Bedeutung der auktorialen Bemerkung ausführlich den folgenden Exkurs.

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…, ut non tantum matrem Plautumque interficere, sed Burrum etiam demouere praefectura destinaret, tamquam Agrippinae gratia prouectum et uicem reddentem. Fabius Rusticus auctor est scriptos esse ad Caecinam Tuscum codicillos, mandata ei praetoriarum cohortium cura, sed ope Senecae dignationem Burro retentam: Plinius et Cluuius nihil dubitatum de fide praefecti referunt. sane Fabius inclinat ad laudes Senecae, cuius amicitia floruit. nos consensum auctorum secuturi, si qui diuersa prodiderint, sub nominibus ipsorum trademus (13,20,1 f.). […], sodass er nicht nur seine Mutter und Plautus zu ermorden, sondern auch Burrus als Prätorianerpräfekten abzusetzen beschloss, als ob er nur durch Agrippinas Gunst befördert worden sei und ihr nun eine Gegenleistung erbringe. Fabius Rusticus verbürgt, dass schon ein Handschreiben an Caecina Tuscus, nachdem man ihm das Kommando über die Prätorianerkohorten übertragen hatte, verfasst worden sei, aber Burrus seine Stellung durch Senecas Einfluss erhalten blieb. Plinius und Cluvius berichten hingegen, dass an der Treue des Präfekten keineswegs gezweifelt wurde. Freilich neigt Fabius zu Lobeshymnen auf Seneca, durch dessen Freundschaft er in hohem Ansehen stand. Wir wollen dem übereinstimmenden Zeugnis der Autoren folgen und, wenn irgendwelche Abweichendes überliefern, werden wir es unter deren eigenen Namen weitergeben.

Mit dieser Unterbrechung im Moment größter Bedrohung für die angeblichen Konspiranten steigert sich zweifellos die Ungewissheit und Nervosität des Rezipienten, zumal für diesen bei ungenügendem geschichtlichen Vorwissen oder dessen impliziter Ausblendung der anschließende Geschehensverlauf in keiner Weise abzusehen ist, sodass er um die Schicksale der hinterlistig sowie zu Unrecht Denunzierten bangt. Seine innere Unruhe maximiert die an diesem lokalen Spannungshöhepunkt eingeschobene Quellenreferenz, indem sie die Fortsetzung wie auch die Auflösung des Konflikts mit zwei gegenwärtig nebensächlichen Hinweisen absichtlich retardiert. Erst daraus, dass Burrus daraufhin plötzlich als Handlungssubjekt Nero den Tod Agrippinas versprechen muss, wird für den Leser evident, dass der Prätorianerpräfekt scheinbar unbeschadet aus der Situation hervorgegangen ist.519 Demgegenüber erhöht sich durch dessen Aussage zugleich die Unsicherheit bezüglich des Ausgangs für die Kaisermutter und Plautus, deren finale Aufklärung immerhin zwei weitere Kapitel aufgeschoben wird, sodass eine planvolle Anlage kleinerer Spannungsbögen in diesem Erzählabschnitt deutlich zu erkennen ist.520 Besonders kritisch wird ferner in der Forschung Inhalt wie auch Stellung des breit angelegten Quellendiskurses zu Beginn des 14. Buchs betrachtet, der der nachrangigen Frage gewidmet ist, ob nun von Nero oder Agrippina die Initiative zu inzestuösen Bestrebungen ausging.521 Nach Develin sei dort nämlich die namentliche Erwähnung der Vertreter der unterschiedlichen Sichtweisen wenig sinnvoll, sofern man davon absehe, dass „the addition of name tends to add credence to a version which was clearly not so certain as Tacitus wants us to think.“522 Syme betont, dass der Bericht über das innerfamiliäre Verhältnis zwischen Mutter und Sohn den zu Buchbeginn aufgenommenen Handlungsfaden äußerst störend unterbreche, weshalb er diese Passage angesichts desselben, Agrippina schon früher angelasteten Vorwurfs zu einer chronologisch inkorrekten Wiederholung deklariert, 519 520 521 522

13,20,3. 13,21,6 bzw. 13,22,2. 14,1 f. Develin (1983), S. 84, und vgl. Flach (1973a), S. 102.

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die auf eine fehlende Überarbeitung der Nerobücher hindeute.523 Zwar trifft Symes Einschätzung zu, dass das Kapitel 14,2 unverbunden und recht abrupt an das voranstehende anschließt wie auch auf das nachfolgende überleitet. Jedoch wären zum einen vonseiten Agrippinas inzestuöse Absichten zu diesem Zeitpunkt durchaus nachvollziehbar, wenn man diese nach Ihrigs Meinung als letzte verzweifelte Reaktionen der Kaisermutter gegenüber Poppaeas immer weitreichenderen und intensiver verfolgten Intrigen versteht.524 Zum anderen sollte diese Passage nicht gänzlich auf ihren Inhalt reduziert beurteilt werden, weshalb ebenfalls Menschings Ansatz, der lediglich den speziellen Informationswert von durch namentliche Zitate gestützten Details fokussiert, ins Leere geht,525 sondern die kontextuelle Bedeutung dieses Passus für den Handlungsweitergang beachtet werden. Denn nach mehrmaligen Vorverweisen auf eine gewaltsame Beseitigung der Kaisermutter im 13. Buch, Poppaeas adhortativer Rede sowie der geschilderten Tatenlosigkeit der übrigen Angehörigen des Kaiserhofs526 antizipiert der Leser aufgeregt Agrippinas unmittelbar bevorstehende Ermordung, deren Charakter ihm aus ihren früheren Taten hinreichend vertraut ist, sodass diesen der quellenkritische Einschub thematisch kaum überraschen kann. Vielmehr wirkt die Ausführlichkeit, mit der die differierenden Aussagen über diesen offenbar redundanten Aspekt wiedergegeben werden, ehe mit igitur Nero (14,3,1) endlich das Mordgeschehen einsetzt, angesichts der geschürten Erwartung auf ein derartig schockierendes Ereignis lästig und den Erzählfluss unnötig hemmend. Doch gerade dieser aufhaltende, die Handlungsentwicklung geschickt retardierende und als ungewollte Störung empfundene Effekt ist intendiert, um die unangenehme innerliche Ungeduld sowie die nach Auflösung strebende Anspannung aufseiten des Rezipienten so zu steigern, dass sie ihn zu einer kontinuierlichen Fortsetzung der unterhaltsamen Lektüre anhält.527 Außerdem verzögern Quellenberichte während der Berichterstattung über die Pisonische Verschwörung den Geschehensverlauf. Denn durch Epicharis’ Festnahme sind für den Kaiser zwar schon erste Anzeichen einer verdeckten Konspiration greifbar, die Verschwörer beunruhigt, aber zunächst noch bezüglich einer gemeinsamen Aktion unschlüssig und können sich nur mühsam auf einen koordinierten Plan einigen.528 Dessen Umsetzung folgt jedoch nicht – wie anzunehmen – umso rascher, sondern genau in dieser für beide Konfliktparteien bedrohlichen Situation werden nichtige Einzelheiten des Mordvorhabens erörtert. So werden die voneinander abweichenden Ansichten hinsichtlich der Herkunft von Scaevinus’ 523 Vgl. 13,13,2 und Syme (1967), S. 377 sowie S. 744, Holztrattner (1995), S. 143, und Morris (1969), S. 88 f. sowie S. 91. 524 Vgl. Ihrig (2007), S. 372. 525 Vgl. Mensching (1967), S. 467: „Kurz, in Anbetracht der geringen Bedeutung des Mitgeteilten hätte sich […] entweder ein Verschweigen oder zumindest das anonyme Zitat empfohlen.“, sowie S. 468: „Es läßt sich also – so will es uns scheinen – kein einleuchtender Grund für das Einrücken jener drei Zitate finden.“ 526 13,16,4, 13,20,1, 13,20,3, 14,1,1–3. 527 Vgl. Koestermann (1968), S. 24: „Das scheinbar retardierende Zwischenstück von dem geplanten Inzestvergehen treibt in Wahrheit durch seine Auswirkungen die gefährliche Entwicklung energisch voran.“ 528 15,51,1–52,3.

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Dolch ausdrücklich gegenübergestellt und explizit die Auffassung Plinius’ des Älteren widerlegt, dass Antonia an der Verschwörung beteiligt war.529 Auch woher der Freigelassene Milichus seine Kenntnisse von der Verschwörung bezog, wird hinterfragt, als dessen Verrat bereits absehbar ist.530 Da allerdings weder dem konkreten Ursprungsort des Dolches, der Antonia noch der Quelle von Milichus’ Verdacht irgendein Einfluss auf den gegenwärtigen oder späteren Handlungsfortgang zukommt, dürften diese Aspekte zur bewussten Retardation und Unterbrechung an der vorliegenden Position eingefügt sein. Sie halten die imaginierte Hoffnung auf einen Erfolg der Verschwörung sowie die auf die weitere Entwicklung gerichtete Spannung aufrecht und schieben das darauffolgende Scheitern der Verschwörung ein wenig auf. Schließlich sind ebenfalls die knappen Erwähnungen von Neros angeblichem Giftmordversuch an Seneca und Fabius Rusticus’ alternativem Bericht über die Bedenken des Prätorianertribunen Silvanus, dem Philosophen den Selbstmordbefehl zu überbringen, raffiniert in die Darstellung integriert, um deren Tragik bezüglich Senecas Suizid zu steigern. Zuerst bringt nämlich die kurze Notiz, dass der Stoiker einer Vergiftung lediglich durch seine spartanische Ernährungsweise entgangen sei, diesen nach längerer Abstinenz beiläufig sowie unter höchster Lebensgefahr in die Handlung zurück.531 Daraufhin wird, obwohl Senecas Tod schon angeordnet ist und eigentlich unabwendbar erscheint, durch einen Verweis auf Rusticus’ Version ein für die nachstehende Entwicklung zwar unerhebliches, diese jedoch geschickt retardierendes Moment eingeschoben.532 Dieses birgt eine letzte minimale Rettungsaussicht und lässt den Rezipienten also einen Augenblick länger um Senecas Schicksal bangen. Als eher punktuelle, unmittelbar vor dem Eintritt eines bedeutsamen Unglücksfalls positionierte Verzögerungen sind zudem die Agrippina überbrachte, allerdings von dieser zumindest bei ihrer Rückkehr aus Bauli nicht mehr beachtete Warnung vor einem Mordanschlag sowie die Parenthese nam utrumque auctores prodidere (15,38,1) zu Beginn des Rombrands zu erachten, welche die Ankündigung einer clades spannungsreich von ihrer Ursache per uiolentiam ignium trennt.533 Die diskursinhärenten Quellenreferenzen dienen folglich weder einer beabsichtigten Authentifizierung eines unwesentlichen Details, wie Develin meint,534 noch richtet sich deren Auswahl nach der inhaltlichen Relevanz dieser Einzelheiten für den weiteren Handlungsverlauf, wie Tresch angibt.535 Abgesehen von ihrem grundsätzlichen Potenzial zu einer individuell multiperspektivischen Geschehensreflexion, das bei zentralen Episoden nachgestellten Zeugnissen besonders hervortritt, wird ungefähr die Hälfte aller Autorenbezüge rezeptionswirksamen, szeni529 15,53,1–4; vgl. Pelling (2009b), S. 158, Suerbaum (2015), S. 260 f., und Kirchner (2001), S. 123. 530 15,54,3. 531 15,45,3. 532 15,61,3; vgl. Koestermann (1968), S. 300. 533 14,4,4 bzw. 15,38,1. 534 Vgl. Develin (1983), S. 84. 535 Vgl. Tresch (1965), S. 25.

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schen Erzählabschnitten bewusst vorgeschaltet und gezielt zur Entdynamisierung sowie Dramatisierung der Handlung eingesetzt. Diese sind als intentional verwendete, narrative Gestaltungsmittel zur Erzeugung retardierender Momente während akuter Bedrohungssituationen anzusehen, die einen wesentlichen Beitrag zur Spannungsinitiierung sowie -steigerung leisten und dadurch aufseiten des Lesers die Attraktivität sowie den Unterhaltungswert der Lektüre erhöhen. Exkurs: Das methodische Versprechen ‚sub nominibus ipsorum trademus‘ Aufgrund ihres überlegten Gebrauchs und ihrer vielfältigen Funktionalität sind die enthaltenen Quellenzeugnisse zwar als feste, vollendete Diskursbestandteile anzusehen, doch einige hiermit verknüpfte, von der Forschung häufig diskutierte Aspekte weiterhin ungeklärt. Fraglich bleibt, weshalb diese erst in den Nerobüchern regelmäßig vorkommen, wie der den Umgang mit literarischen Vorlagen erläuternde Erzählerkommentar zu verstehen ist und inwiefern die anschließende Verfahrensweise mit differierenden Überlieferungen dem geäußerten methodischen Ansatz entspricht.536 Diesen benennt Tacitus im Kontext der Quellendiskussion über Burrus’ angebliche Amtsenthebung folgendermaßen:537 nos consensum auctorum secuturi, si qui diuersa prodiderint, sub nominibus ipsorum trademus (13,20,2). Auch wenn der Wortlaut dieser zentralen Passage im Detail textkritisch umstritten ist,538 erscheint für die Forschungsmehrheit dennoch eine sinngemäße Auslegung ihres semantischen Gehalts möglich: Die Berichterstattung folge weitestgehend der Communis Opinio der Quellen, sofern allerdings im Einzelfall voneinander abweichende Versionen vorlägen, würden diese unter Angabe aller Namen der jeweiligen Urheber minutiös angeführt.539 Das futurische trademus verweist hierbei ebenso wie an anderer Stelle beispielsweise memorabimus oder silebimus (14,64,3) klar auf die Zukunft der Narration und auch die Positionierung dieses Passus in relativer Nähe zum Beginn der Nerobücher suggeriert eine programmatische Nuance. Laut Tresch werde damit vom Verfasser geradezu betont, weiterhin sine ira et studio zu 536 Vgl. neben Anm. 278 f. (Kap. 3) auch Syme (1967), S. 290 f. sowie S. 742, Tresch (1965), S. 36, Wille (1983), S. 533, Wöhrmann (1956), S. 43, Suerbaum (2015), S. 260, Schmal (2011), S. 116, und Flach (1973b), S. 71, sowie (1973a), S. 98. 537 13,20,1 f. und vgl. dazu den vorausgehenden Abschnitt. 538 Vgl. bezüglich der heterogenen Lesarten den kritischen Apparat von Wellesley (1986) ad loc. Die Variante secuti wird zugunsten des auch im Mediceus enthaltenen secuturi von Herausgebern und Kommentatoren zu Recht weitgehend abgelehnt; vgl. Wellesley (1986), Fisher (1906), Furneaux/Pelham/Fisher (1907), Koestermann (1967) je ad loc. Demgegenüber wird die u. a. im Mediceus anschließend folgende Lesart qui in den Editionen Fishers (1906), Furneaux’/Pelhams/Fishers (1907) und Koestermanns (1967) je ad loc. zugunsten der Variante quae einer späteren Handschriftengruppe übergangen, allerdings in der neuen Ausgabe von Wellesley (1986) ad loc. als Basis für den Konjekturvorschlag si qui, den bereits Walther (1831) ad loc. erwägt, genutzt. Da Walther aber zugleich von einer Kürzung von secuturi zu secuti ausgeht, ist eine Kombination der Lesarten secuturi und si qui methodisch nicht unproblematisch, auch wenn sich daraus ein scheinbar glatter Text ergibt. 539 Vgl. Anm. 536 f. und v. a. Walker (1952), S. 142, und Suerbaum (2015), S. 255 f., S. 263 sowie S. 281.

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schreiben, und die erste Gelegenheit, an der sich seine Quellen evident unterscheiden, genutzt, dies kenntlich zu machen sowie eventuell die Hinzunahme eines weiteren Referenzautors, nämlich Fabius Rusticus, für diesen Werkabschnitt nominell anzuzeigen.540 Zudem macht Tresch zu Recht auf eine Einschränkung in dieser methodischen Ankündigung sowie eine implizite Verbindungslinie zur Zitationspraxis in den vorausgehenden Büchern aufmerksam, ohne diese Einsicht jedoch in ihrer nachstehenden Argumentation konsequent zu berücksichtigen: „Den Begriff consensus, consentitur und dgl. kennen wir schon (1,13,3; 14,9,1). Dort bedeutete er immer die gemeinsame Tradition; von ihr abweichende Autoren folgten dann zwar nicht unter ihrem Namen, weil es offenbar mehrere waren, aber unter quidam u. ä.“541 Demgemäß ist eine Fallunterscheidung nach der Anzahl der jeweils gegenüberstehenden Autoren bei einer Betrachtung der Referenzstellen angebracht. Hierbei ist anzunehmen, dass die Darstellung durch Konsensbildung aus einer Hauptüberlieferung entsteht, zu der eine ungewisse Anzahl, aber mindestens zwei Vorlagen beitragen, die gewöhnlich nicht näher spezifiziert oder gar identifiziert sowie stets unter variabler Schwerpunktsetzung herangezogen werden.542 Entweder aus diesen grundlegenden Repräsentanten oder zusätzlich zu diesen kann einerseits ein einzelner Historiograph eine differente inhaltliche Variante bieten. Andererseits können sich mehrere literarische Vorgänger vom Hauptstrang unterscheiden und untereinander thematisch verschiedene Einzelansichten bergen oder eine bezüglich der Alternativinformationen homogene Gruppe mit wenigstens zwei Vertretern bilden.543 Der erste Fall eines einzigen abweichenden Schriftstellers steht indes nicht in Widerspruch zu den Pluralformen von prodiderint und sub nominibus ipsorum, die keineswegs bedeuten müssen, dass mehrere Quellen zu demselben Faktum oder anlässlich desselben Ereignisses namentlich benannt werden sollen. Vielmehr können die Plurale gedanklich vorausblickend zahlreiche Einzelpassagen zusammenfassen, an denen zwar je nur eine unterschiedliche Version angegeben wird, deren Urheber aber zwischen den Stellen variieren,544 sodass insgesamt einige Autoren Heterogenes überliefert haben werden – aliqui diuersa prodiderint. 540 Vgl. Tresch (1965), S. 41, Flach (1973a), S. 94 sowie S. 97, und Syme (1967), S. 289 f. sowie S. 699, der aus der üblichen Vorgehensweise, Personen bei ihrem ersten Auftritt mit zwei Namen einzuführen, folgert, dass Plinius und Cluvius bereits aus vorherigen Büchern bekannt sein müssten und Rusticus deren Zeugnis ab Neros Prinzipat ergänze; vgl. dazu auch Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 195. 541 Tresch (1965), S. 39, und vgl. demgegenüber Flachs Kritik (1973a), S. 95, an diesem Ansatz. 542 Vgl. dazu auch 14,4,4 satis constitit, 14,33,2 constitit, 15,16,1 constitit, 15,67,3 constitit mit Anm. 302 (Kap. 3). 543 Damit besteht ein grundlegender Unterschied zur Herangehensweise Develins (1983), S. 80, der davon ausgeht, dass „a reference to auctores or the like does not necessarily mean a plurality of authorities.“ Auch eine Begrenzung der Gesamtanzahl der Quellenautoren auf drei, wie dies Martin (1981), S. 208 f., postuliert, ist nicht zielführend; vgl. Tresch (1965), S. 17, S. 28, S. 42: „Plinius, Cluvius und Fabius sind unter den Quellen, aber sie sind nicht die allein maßgebenden.“, sowie S. 61, Flach (1973a), S. 95, und auch das reichhaltige dokumentarische Material in Anm. 316 (Kap. 3). 544 Vgl. Flach (1973a), S. 96: „Es fällt auf, dass Tacitus den Kreis seiner auctores, den seine Nachforschungen erfassen, nicht einheitlich bestimmt.“

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Die erste Möglichkeit des zweiten Falls differenter Zeugnisse, die selbst untereinander divergieren, ist durch die auktoriale Aussage zwar ebenfalls abgedeckt, hätte aber eine umfangreiche Aufzählung verschiedenster Varianten zur Folge,545 was in den Nerobüchern nicht auftritt. Die konkurrierenden Quellen können jedoch auch für sich eine stofflich übereinstimmende Gruppe bilden, deren Konsens sodann dem gewählten Hauptstrang gegenübersteht. Um beiden Darstellungsweisen eine gleichrangige Geltung zu gewähren, werden, wie Martin in Bezug auf dieses Phänomen anmerkt,546 die jeweiligen Vertreter anonym belassen, sodass eine qualitative wie quantitative Abwägung der Glaubwürdigkeit für den Rezipienten weder aufgrund der Namen noch der Anzahl der zugehörigen Repräsentanten möglich ist. Dadurch wird zum einen die Rekonstruktion der historischen Wahrheit offenbar von Autoritäten losgelöst und einzig durch die Überzeugungskraft sowie Plausibilität des dargelegten Sachverhalts bedingt. Zum anderen ergibt sich aus der unpersönlichen Zusammenfassung der pragmatische Vorzug, dass bereits bei geringen Anzahlen narrativ wenig reizvolle, ermüdende Enumerationen zu zitierender, ohnehin überwiegend Kongruentes beinhaltender Referenzen vermieden werden. Legt man dieses Schema an alle Quellenverweise im neronischen Werkabschnitt an, wird deren nahezu ausgewogene Zuordnung zu zwei der abgeleiteten Optionen offenbar. Denn an sechs Passagen werden differierende Geschehensversionen unter dem Namen einzelner Autoren ausgewiesen, sodass dreimal Fabius Rusticus und je einmal Corbulo, Plinius sowie Tacitus selbst gegen die jeweils vorherrschende Tradition opponieren,547 deren zahlreiche konvergierende Urheber einleitend lediglich exemplarisch und geradezu modern anmutend mit ‚Plinius & Cluvius‘ sowie ‚Cluvius et al.‘ und später wie angekündigt nicht mehr benannt werden.548 Dabei behauptet Mensching zu Unrecht, dass generell die singulären Standpunkte bevorzugt und beglaubigt würden, was vor allem durch Corbulos sowie Plinius’ vehement kritisierte Zeugnisse eindeutig widerlegt wird.549 Auch Sages These, das methodische Versprechen sei auf die Themenkreise der Auseinandersetzung Neros mit seiner Mutter sowie der Pisonischen Verschwörung bezogen, erweist sich angesichts der heterogenen, intratextuellen Verteilung der Exempla als zu eng gefasst.550 545 Vgl. Flach (1973a), S. 95: „Tacitus verheisst nichts anderes, als dass er bei Abweichungen in der Überlieferung die Namen der Geschichtsschreiber anführen will, zwischen denen der dissensus besteht.“ 546 Vgl. Martin (1981), S. 263 Anm. 23: „Tacitus undertakes to name the authorities responsible for variants, but not (where it exists) for the consensus.“ 547 13,20,2 Fabius Rusticus auctor est … Plinus et Cluuius … referent, 14,2,1 f. tradit Cluuius … Fabius Rusticus … sed quae Cluuius, eadem ceteri quoque auctores prodidere, …, 15,16,1 … contraque prodiderit Corbulo …, 15,53,3 …, quod C. Plinius memorat, 15,61,3 tradit Fabius Rusticus …, 16,6,1 neque enim uenenum crediderim, quamuis quidam scriptores tradant, …; insbesondere ist damit die Kritik Koestermanns (1968), S. 345, und Suerbaums (2015), S. 262 f., bezüglich 16,6,1 unzutreffend. 548 13,20,2 bzw. 14,2,1 f.; vgl. zu dieser Beobachtung auch Flach (1973a), S. 96 f. 549 Vgl. Mensching (1967), S. 463: „Stets entscheidet sich der Autor für die ‚Variante‘ des einen und nennt dann dessen Namen.“ 550 Vgl. Sage (1990), S. 1014.

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Hingegen stehen sich zwei unterschiedliche, jeweils konsensbasierte Gruppenmeinungen insgesamt acht Mal ohne konkrete namentliche Spezifikation gegenüber,551 wobei die Mehrzahl der beiden Sichtweisen zugrunde liegenden Gewährsmänner in den Paragraphen 14,9,1 sowie 15,38,1 unmittelbar aus den entsprechenden Formulierungen evident wird. Bei zuverlässiger Verwendung der lapidaren Bezeichnungen quidam, alii beziehungsweise sunt, qui wird immerhin der Plural der Urheber auf einer Seite markiert und aufgrund von deren beschränkter Menge erscheint es durchaus wahrscheinlich, dass auch die Alternative von mehr als einer Vorlage verbürgt wird. Ebenfalls ist bei plerique anzunehmen, dass sich von dieser mehrheitlichen Position dennoch wenigstens zwei Quellen abheben. Folglich ist nicht nur Tresch zuzustimmen, die bezüglich des Numerus für eine wortwörtliche Auslegung der verwendeten Ausdrücke plädiert.552 Vielmehr ist damit in diesen acht Fällen weder die detaillierte Anführung aller übereinstimmenden Vertreter noch die namentliche Angabe eines einzelnen Repräsentanten vonnöten, wie Mensching unzutreffend anmerkt, obgleich ihm insofern beizupflichten ist, dass an diesen Stellen jeweils keine eindeutige Präferenz des Autors für eine der gegebenen Varianten erkennbar wird.553 Fazit Unter Berücksichtigung des auktorialen Kommentars zum Umgang mit Quellenangaben, von deren Kontextualisierung und narrativen Verwendungsformen sind abschließend drei verschiedene Aspekte festzuhalten: Erstens wird durch die Vorgehensweise, den Namen des Urhebers nur bei einer einzelnen von der Hauptüberlieferung abweichenden Vorlage anzugeben oder, falls jene in mehrere konsensbasierte und damit je von einigen Gewährsmännern hinreichend abgesicherte Geschichtstraditionen zerfällt, diese anonym sowie unbewertet gegenüberzustellen, eine der methodischen Ankündigung entsprechende, recht spezielle Referenzierungstechnik etabliert. Auch wenn diese eher punktuell eingesetzt wird und nicht einmal ansatzweise auf eine vollständige Aufschlüsselung aller quellenkritisch fragwürdigen Passagen abzielt,554 erscheint deren Grundgedanke vor dem Hintergrund der anti551 13,17,2 tradunt plerique eorum temporum scriptores …, 14,9,1 …, sunt qui tradiderint, sunt qui abnuant, 14,37,2 quippe sunt qui … tradant, …, 15,38,1 … nam utrumque auctores prodidere …, 15,45,3 tradidere quidam …, 15,53,2 …, ut alii tradidere, …, 15,54,3 …, ut plerique tradidere …, 16,3,2 quidam … tradidere …; vgl. zu diesen unpersönlichen Phrasen auch Walker (1952), S. 140. 552 Vgl. Tresch (1965), S. 18: „Solange also nicht der Gegenbeweis geliefert wird, sollten wir quidam, multi etc. nicht gegen ihre ursprüngliche Wortbedeutung verstehen.“, sowie S. 26: „Es kann kein Grund gefunden werden, der zu Mißtrauen berechtigt, wenn Tacitus von auctores etc. im Plural spricht (…).“, und demgegenüber Anm. 543. 553 Vgl. Mensching (1967), S. 463: „Wenn der Autor sich hingegen für keine von zwei entgegengesetzten Versionen entscheiden kann, darf man mit (je einem) Beleg für jede Variante rechnen.“ 554 Vgl. Flach (1973a), S. 102: „Doch zwingt nichts dazu, in ihnen mehr zu sehen als die Früchte vereinzelter Stichproben. Den gesamten Ertrag einer mühseligen, umfassenden Vergleichung

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ken Praxis, die im Allgemeinen keinen Wert auf eine minutiöse Zitationsweise legt, nicht nur vollkommen ausreichend, sondern in nuce sogar fortschrittlich. Eine vergleichende Beurteilung dieser Technik nach modernen wissenschaftlichen Standards, die reizvoll anmutet sowie von Pausch ebenfalls in ähnlichem Zusammenhang angedacht wird,555 führt allerdings im Hinblick auf die zahlreichen offensichtlichen Unzulänglichkeiten zu weit. Diese resultieren nicht zuletzt aus einem diachron differenten Verständnis der historiographischen Gattung, die sich nach Meinung des flavischen Rhetorikprofessors Quintilian ad narrandum, non ad probandum eigne.556 Das Vorhandensein dokumentarischer Elemente sei zwar nach Schmidt als Indiz einer schriftlichen Fixierung und einer überwiegenden Ausrichtung des Werks auf eine Leserschaft anzusehen.557 Deren Mehrheit dürfte aber nicht so sehr an einer akademischen Akkuratesse sowie teilnahmslosen Aufzählung von Historikernamen als vielmehr an geschichtlichen Informationen und anspruchsvoller Zerstreuung interessiert sein, wozu Quellenzeugnisse zweitens als narrative Gestaltungsmittel wesentlich beitragen. Sie bieten nämlich heterogene extradiegetische Blickwinkel anderer ausgewiesener Geschichtsexperten auf das Geschehen, die ereignisspezifisch eine gewisse historische Meinungsvielfalt abbilden und dem Leser abschnittsweise ihre kognitiv aktivierende Hierarchisierung und Evaluation eigenständig überantworten, wodurch er virtuell am geschichtlichen Rekonstruktionsprozess mitwirken kann.558 Während extremer Bedrohungssituationen von Protagonisten retardiert respektive pausiert ungefähr die Hälfte der Bezüge auf extratextuelle Vorlagen zudem durch unvermittelten Einschub von teils sogar als störend empfundenen Diskussionen über marginale Details den Handlungsfortgang gezielt und steigert damit die durch die Erwartung einer Katastrophe induzierte Nervosität sowie innere Anspannung, welche den Rezipienten an der Lektüre festhalten lassen.559 Neben der deutlichen Weiterentwicklung dieser phänomenbezogenen Erzählstrategie zur Lesergewinnung, -unterhaltung und -bindung bringt die verstärkte Integration sowie namentliche Zitation von Quellenberichten in den Nerobüchern

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aller vorhandenen Darstellungen oder auch nur aller namhaft gemachten Geschichtswerke verkörpern sie gewiss nicht.“, sowie ders., S. 97, und Syme (1967), S. 290 f., die beispielsweise auf die differierenden Versionen von Othos Rolle bei Poppaeas Einführung in den Kaiserhof hinweisen (13,45,4–13,46,3 bzw. hist. 1,13,3 f.). Vgl. Pausch (2013a), S. 204 und S. 209. Quint. inst. 10,1,31 mit Anm. 70 (Kap. 1) und vgl. Schanz/Hosius (1935), S. 632: „Auch an Tacitus als Geschichtsforscher dürfen wir nicht die Forderung der modernen Zeit stellen.“, und Schwerdtner (2015), S. 17: „Die Problematik resultiert im Wesentlichen daraus, dass ein Literat zu keinen Zeiten beim Zitieren an genaue Vorgaben gebunden ist, wie wir sie etwa aus dem modernen Wissenschaftsbetrieb kennen.“ Dieselbe ergänzt auf S. 22, „dass jede Epoche, jede Gattung und letztlich jeder Einzeltext auf eigenen Bedingungen basiert und sich die antiken Zitiergepflogenheiten zum Teil mit moderneren Gewohnheiten decken, zum Teil von ihnen unterscheiden können.“ Vgl. Schmidt (1993), S. 183 sowie S. 191. Vgl. hierzu Abschn. 3.3.3. Vgl. hierzu Abschn. 4.4.1 Teil 1.

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drittens Tacitus’ verändertes Selbstbewusstsein gegenüber seinen literarischen Vorgängern zum Ausdruck. Denn er wägt diese nicht nur neutral gegeneinander ab, sondern zögert insbesondere nicht, in eigener Person Vorbehalte gegen deren Positionen zu äußern beziehungsweise sich anlässlich von Poppaeas Todesumständen sogar allein gegen die Überlieferung einiger Schriftsteller zu stellen.560 Dieser sich im Umgang mit den Referenzen widerspiegelnde, grundlegende Wandel in der auktorialen Haltung ist dabei zum einen hinsichtlich der ‚Historien‘ auf einen Gewinn an subjektiver Erfahrung und publikumsbasierter Reputation als Historiograph, an der er seinen Quellenautoren nun jedenfalls nicht mehr nachsteht, zurückführen.561 Im Gegensatz zu den vorausgehenden Annalenbüchern reichen bis in die neronische Zeit zum anderen Tacitus’ eigene Erinnerungen als Jugendlicher, die zudem sein emotionales Engagement erwecken können, sowie speziell diejenigen des unter Neros Prinzipat bereits in die römische Staatspolitik involvierten Agricola zurück, der seinen Schwiegersohn zu Lebzeiten angesichts ihres vertrauten Verhältnisses gewiss über zentrale Ereignisse dieser Herrschaftsphase und deren jeweilige Ursachen aufklärte.562 Das Zusammenwirken beider Faktoren, sowohl die hohe Autorität als renommierter Geschichtsschreiber als auch auf private Quellen gestützte, exquisite Kenntnisse eines zu berichtenden historischen Gegenstands mit persönlichem Bezug, evozieren in der letzten Werkpartie schließlich Tacitus’ bemerkenswerte Diskursfähig- und -tätigkeit. 4.4.2 Enigmatische Inszenierung historischer Wissensdefizite Nach Quintilian beeinflussen abgesehen von konkreten insbesondere unausgesprochene Erzählinhalte das rezipientenseitige Lektürevergnügen und bereichern dieses um eine einzigartige Erkenntnisfreude. Dies gilt vor allem dann, wenn den Lesern der Eindruck vermittelt wird, an textinhärenten Unbestimmtheitsstellen durch eine konzentrierte sowie scharfsinnige Auseinandersetzung mit unzureichend vergebenen oder widersprüchlichen Informationen zu adäquaten subjektiven Einsichten und Auflösungen gelangen zu können.563 Dieses Involvierungs- und Unterhaltungspotenzial bergen verschiedene schon betrachtete polyperspektivische Darstellungstechniken, welche oftmals äußerst heterogene, inkongruente Sichtweisen auf dieselben Aspekte eröffnen und mehrere optionale, plausibel dargebotene Ereignismotive sowie -versionen absichtlich unkoordiniert und unauthentifiziert nebeneinanderstellen.564 Trotz einer hierbei im Einzelfall nicht auszuschließenden Suggestivität wird der Rezipient aufgrund eines vorliegenden Informationsdefizits und einer tiefgründigen Deutungsungewissheit von seinem persönlichen Vorwissen 560 561 562 563

13,20,2, 15,16,3, 15,53,4, 16,6,1 mit Abschn. 3.3.3. Vgl. Abschn. 1.4.2. Vgl. Anm. 269 und Anm. 584 (je Kap. 3). Quint. inst. 8,2,21 sed auditoribus etiam nonnullis grata sunt haec, quae cum intellexerunt acumine suo delectantur, et gaudent non quasi audierint sed quasi inuenerint. Vgl. Woodman/ Powell (1992), S. 214. 564 Vgl. v. a. Abschn. 3.3.1 und Abschn. 3.3.2.

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und individuellen Vorannahmen bezüglich des Geschehens abhängig dazu angehalten,565 teils bewusst, teils implizit die kontextuelle sowie historische Wahrscheinlichkeit des jeweiligen Elements zu erwägen und eine mögliche Lösung anzudenken. Damit enthält der Diskurs offenbar lokal aufmerksamkeitsfokussierende Rätsel, während deren notwendiger Aufklärung nicht nur der Handlungsfortschritt kurzzeitig retardiert und bei entsprechender Positionierung das Spannungsempfinden angehoben wird. Vielmehr erfordern diese enigmatischen Bestandteile eine sorgfältige Reevaluation aller voranstehenden wie auch nachfolgenden Hinweise bezüglich des vorliegenden ungewissen Sachverhalts. Dadurch wird „das Nichteindeutige, Komplexe, Hintergründige, Rätselhafte fühlbar“566 gemacht und abschnittsweise eine faszinierende detektivische Rätselspannung erzeugt,567 wie anhand von vier prominenten Beispielen zu veranschaulichen ist. Wer zündete Rom an? Der ausführlichen Berichterstattung über die größte zivile Katastrophe Roms im ersten Jahrhundert n. Chr. wird durch die Einleitung sequitur clades, forte an dolo principis incertum (15,38,1) „das weniger Wesentliche, für Hörer und Leser noch Unbefriedigende voran(ge)stellt, um eine Frage in ganz bestimmter Richtung zu wecken und diese dann am Schluß der Reihe […] zu beantworten“,568 wie Welskopf das verwendete narrative Vorgehen, das sich auch zu Beginn weiterer Episoden findet,569 beschreibt. Denn sofern sich der Leser trotz Neros zahlreicher Freveltaten eine gewisse Unvoreingenommenheit bis hierhin bewahren konnte,570 empfehlen diese ersten, akzentuierten Worte des unvermittelt anhebenden Hand565 Vgl. Pöschl (1968), S. XXII: „Man hat gesagt, er habe durch seine raffinierte Kunst der Andeutung und Verdächtigung verstanden, dem Leser eine bestimmte Meinung zu suggerieren. Oft trifft das sicher zu. Keinesfalls aber ist die Absicht des Tacitus damit erschöpfend wiedergegeben. Worauf es ihm ankommt, ist deutlich zu machen, daß unter den Vorgängen der Oberfläche tiefere verborgen sind, deren Deutung notwendig unsicher bleiben muß.“, und vgl. Hausmann (2009), S. 66 sowie S. 143 unter dem Begriff der alternativen Deutungsmöglichkeiten. 566 Pöschl (1968), S. XXII. 567 Vgl. Martínez/Scheffel (2007), S. 150 mit Verweis auf kognitionspsychologische Studien: „Diese beiden, vor- wie rückwärtsgerichteten Verarbeitungsprozesse ermöglichen übergreifende, im Vollzug der Lektüre immer wieder revidierbare Synthesen des Gelesenen und führen damit zu einem kohärenten Textverständnis.“, Wenzel (2004), S. 187 sowie S. 189 f., Carroll (1996), S. 75, Junkerjürgen (2002), S. 66–70 unter dem Begriff ‚mystery‘, Langer (2008), S. 14, Fill (2007), S. 55–57, Fuchs (2000), S. 36, und Ackermann (2008), S. 44 f. 568 Welskopf (1961), S. 364. 569 An folgenden Stellen hebt eine Szene mit einer Frage an: 13,19,1, 39,1, 41,1, 46,1, 50,1, 14,9,1, 13,1, 23,1, 33,1, 42,1, 51,1, 59,1, 15,38,1, 51,1. 570 Vgl. dazu die unterschiedlichen Ansichten von Murgatroyd (2005b), S. 48, Tresch (1965), S. 150, Yavetz (1975), S. 189, Rademacher (1975), S. 196 f., Sullivan (1976), S. 320, Morris (1969), S. 211, Blänsdorf (2015), S. 326, Wille (1983), S. 572, Morford (1990), S. 1614, und Teltenkötter (2017), S. 27 sowie S. 47, die zum Teil die Kapitel 15,33–37 als ein Präludium zum Rombrand ansehen.

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lungsstrangs, noch bevor die Thematik der exponiert benannten clades eingegrenzt wird, dem Rezipienten eine Lektüre des nachstehenden Textabschnitts unter dieser spezifischen und vorab ergebnisoffenen Leitfragestellung.571 Damit wird dessen Augenmerk für diesbezügliche Indizien sensibilisiert, die nach systematischer Einordnung und sorgfältiger Erwägung eventuell zu einer eindeutigen Lösungsfindung beitragen können, ohne dass eine solche allerdings zwangsläufig im Text vorgegeben sein muss.572 Aus einer Rekapitulation der mannigfachen, differenten Perspektiven auf die Frage nach der Brandurheberschaft, deren komplexe Anlage und Struktur bereits an anderer Stelle aufgezeigt wird,573 ist ersichtlich, dass das Anfangskapitel mit einem unzuverlässig fokalisierten Verdacht auf Nero ausklingt. Diesen vermögen dessen auktorial referierte Abwesenheit von Rom und sofort eingeleitete Hilfsmaßnahmen nur partiell zu entkräften, da sogleich beim Volk das Gerede kursiert, der Kaiser nutze die brennende Stadt zur Inszenierung seiner Schauspielkünste.574 Das daraufhin gerüchteweise berichtete Wiederaufflammen des Brandes in Tigillinus’ Besitzungen, weil Nero eine neue Stadt zu gründen beabsichtige, und die als Erzählertext angeführten, vom Prinzeps angedachten gewaltigen Bauvorhaben lasten die Schuld hingegen im Sinne eines ‚cui bono‘ wiederum Nero an.575 Allerdings werden diese imaginär proleptisch vorweggenommen, um den Erzählfluss wirkungsvoll zwischen Verwüstung und Wiederaufbau der Stadt zu unterbrechen, und durch eine sequenzielle Voranstellung der surrealen Vollendung von Neros Plänen wird deren Priorisierung vor den dringlichen öffentlichen Erneuerungsmaßnahmen lediglich suggeriert. Andererseits gesteht eine bewusste Kontrastierung der kaiserlichen Phantastereien mit den als vernünftig zu erachtenden Aufräumarbeiten in der zerstörten Hauptstadt, obzwar Kritik von anonymen Stimmen nicht ausbleibt, dem Prinzeps und dessen Hofarchitekten nach Koestermanns Meinung aber durchaus auch ein gewisses Maß an Wirklichkeitsnähe und Handlungskompetenz zu.576 Demgegenüber diskreditiert Nero das anhaltende diffamierende Gerücht sowie die Tatsache, dass sich eine solche Untat vortrefflich als Motiv einer Konspiration gegen den Prinzeps eignet, zumal diese aufgrund Neros temporär gesunkener Popu-

571 Vgl. Booth (1961/1974b), S. 22, der die Notwendigkeit betont, „eine wichtige Frage in lebendiger Form zur Diskussion (zu) stellen, wenn dem Leser etwas daran liegen soll, die Antwort durch Weiterlesen zu finden oder wenn er die Bedeutung der jeweils gegebenen Antwort empfinden soll.“, Koestermann (1968), S. 234: „Interessant ist, daß Tacitus die Frage der Schuld aufwirft, ehe er überhaupt das Geschehen präzisiert hat.“, Murgatroyd (2005b), S. 50, Hanslik (1963), S. 93, und Teltenkötter (2017), S. 28. 572 Vgl. Martin (1981), S. 182: „He makes no overt attempt to discriminate between the alternatives, but leaves the reader to make up his own mind from a careful reading of his narrative.“ 573 Vgl. Abschn. 3.3.1 Bsp. 4. 574 15,38,7 bzw. 15,39,1–3. 575 15,40,2 bzw. 15,42,1 f.; vgl. Ryberg (1942), S. 399, und Yavetz (1975), S. 189 f. 576 15,43,1–5; vgl. dazu Koestermann (1968), S. 12 f.: „Nicht einmal in der späteren Zeit fehlt es völlig an Positivem. Die Energie, mit der er den Wiederaufbau Roms nach der verheerenden Katastrophe betrieb, obwohl sich dabei sein Augenmerk besonders auf die Anlage der domus aurea richtete, ist immerhin beachtlich.“, sowie S. 239 f., und Murgatroyd (2005b), S. 52.

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larität günstige Erfolgsaussichten verspricht.577 Die sich im Anschluss erhebende Pisonische Verschwörung erscheint also mehr als begründet, obgleich während deren Aufdeckung Subrius Flavus’ vehemente Anschuldigung vor dessen Ermordung angesichts ihrer Umstände und subjektiven Fokalisierung ambivalent zu beurteilen ist.578 Bei jeder Ergänzung einer weiteren Information ist vom Rezipienten kontinuierlich die Verantwortlichkeit des Prinzeps für den Rombrand gedanklich neu zu verhandeln und als Resultat je nach individueller Gewichtung sowie Bewertung der differierenden Einzelzeugnisse Neros hartes Vorgehen gegen die Christen entweder als umfassendes Schuldeingeständnis oder als durch gesellschaftlichen Druck erzwungene Reaktion anzusehen, für das Unglück endlich Schuldige zu präsentieren und zur Rechenschaft zu ziehen – zwei konträre Interpretationen, die der Text jeweils stützt.579 Die zweite Auslegung gewinnt sogar insofern an reizvoller Plausibilität, da Nero offensichtlich wiederholt sowie aus verschiedenen angeblichen Gründen zum Objekt negativer Gerüchte wird, die seine Machtstellung gefährden könnten und lediglich durch eine öffentliche Denunziation mutmaßlicher Verantwortlicher zu beseitigen zu sein scheinen, sodass dieser Handlungsschritt schließlich von rumor und infamia verursacht wird.580 Doch die übertriebene Brutalität der Hinrichtung der vermeintlichen Brandstifter stillt den Blutdurst der Massen nicht, sondern führt stattdessen zu deren Solidarisierung mit den unschuldigen Opfern. Die Situation entspannt sich also nicht und das von Erbarmungslosig- und Unmenschlichkeit geprägte Vorgehen des Kaisers bestätigt in dramatischer Ironisierung des Geschehens beim Volk zusätzlich den Verdacht, dass dieser selbst die Entflammung der Hauptstadt zu vertreten habe.581 Damit mutet die Darstellung dieser Episode über den Brand Roms, zwischen dem und der Christenverfolgung Tacitus als einziger Historiker einen Zusammenhang fingiert,582 zwar augenscheinlich als geschichtliches Beispiel für den unberechenbaren und grenzenlosen Einfluss von Gerüchten an, dem sogar der Prinzeps bedingungslos ausgeliefert ist. Dieser ist jedoch angesichts der bis zuletzt unter variierenden Figurenfokalisierun577 15,44,2 bzw. 15,48,1; vgl. Koestermann (1968), S. 259, und Yavetz (1975), S. 192 f. 578 15,67,2; vgl. Koestermann (1968), S. 251 f., Borgo (2009), S. 34, und Mayer (2010a), S. 141. 579 15,44,2 sed non ope humana, non largitionibus principis aut deum placamentis decedebat infamia, quin iussum incendium crederetur. ergo abolendo rumori Nero subdidit reos … bzw. 1,39,3 utque mos uulgo quamuis falsis reum subdere, …; vgl. dazu Hanslik (1963), S. 99: „Wenn zunächst Tacitus den Ausdruck subdidit reos gebraucht, so zeigt er schon durch diesen, daß er selbst nicht der Meinung ist, die Christen hätten Rom angezündet.“, Christ (2006), S. 104, Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 374, Fuchs (1950/1969), S. 562 f. Anm. 4, Michelfeit (1966), S. 519 sowie S. 539, Woodcock (1939), S. 36, und Röver/Till (1969), S. 68 f. 580 Vgl. dazu Syme (1967), S. 533, Martin (1981), S. 182, Morford (1990), S. 1614, Ryberg (1942), S. 400, Yavetz (1975), S. 194, und Michelfeit (1966), S. 531: „Aber das durch die Katastrophe erbitterte Volk dürstete nach Entschädigung in jeder Form.“ 581 15,44,5 unde quamquam aduersus sontes et nouissima exempla meritos miseratio oriebatur, tamquam non utilitate publica, sed in saeuitiam unius absumerentur. Vgl. Murgatroyd (2005b), S. 53, und Blänsdorf (2015), S. 328. 582 Vgl. Murgatroyd (2005b), S. 53.

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gen und unabhängig von seinem Verhalten vorgebrachten Beschuldigungen sowie unter Berücksichtigung der ambiguen Erzählersicht vom Vorwurf der Brandstiftung keineswegs unbezweifelbar freizusprechen, sodass letztlich fraglich erscheint, ob eine eindeutige Lösung dieses Sachverhalts überhaupt intendiert ist. Die dargelegte Vorgehensweise lässt sich nämlich, wie Koestermann bemerkt, vielmehr als ein durch absichtliche Zurückhaltung jeglicher expliziter, unmissverständlicher oder gar auktorial verbürgter Informationen geschickt inszeniertes, literarisches Rätselspiel begreifen, über das der Kommentator urteilt: „In diesem grandiosen und mit sorgsam berechneter Kunst durchgeführten Aufbau werden die Fakten, die für oder gegen den Kaiser sprechen, so voneinander abgehoben, daß die Spannung ständig wächst.“583 Dieser enigmatische Charakter sowie die besonders reizvolle Wirkung, die von einer intensiven Auseinandersetzung mit dieser Passage ausgeht, wird dabei gewissermaßen empirisch von den zahlreichen Forschungsbemühungen unterstrichen, welche die Frage nach dem Urheber des Rombrands zwar zu beantworten versuchen, insgesamt betrachtet jedoch in Aporie enden.584 Doch vielleicht wurde auch jeweils der ein oder andere versteckte Hinweis übersehen oder wird schon im vorausgehenden oder erst im weiteren Textverlauf gegeben? Der Rezipient, einfacher Leser wie Philologe, ist dadurch dazu angehalten, auf der Suche nach klärender Information unter höchster Konzentration und Anspannung mit der Lektüre wiederum vor der Brandepisode beziehungsweise bei dieser einzusetzen oder darüber hinaus fortzufahren, um sein Urteil zu revidieren. Damit wird eine einzigartige Rezipientenbindung erreicht und ist Yavetz vollauf zuzustimmen: „[…] perhaps he also mocks those, who 2,000 years after the event are still trying to solve the riddle: ‚Who really set fire to Rome?‘“585 War Seneca ein Verschwörer? Bis heute umstritten ist Senecas Rolle bei der Pisonischen Verschwörung,586 dessen Name in deren Kontext zwar regelmäßig fällt, dem jedoch bis zuletzt weder authentifizierte Beziehungen zu dieser noch eine konkrete Position innerhalb dieser zuge583 Koestermann (1968), S. 252. Vgl. dazu Morris (1969), S. 213: „Tacitus continues in the account of the fire to manipulate the emotions of his audience, to throw them off balance und upset their expectations by adjusting his thought sequences in impressively rhetorical fashion.“, sowie S. 214: „The historian’s skill is in fixing upon details that may shock but will not seem inherently implausible.“, Wille (1983), S. 573, Leo (1896/1969), S. 11, Heinz (1948), S. 46, und auch Ries (1969), S. 66, der zu Recht darauf hinweist, dass auch die Frage, ob Domitian der Mörder Agricolas sei, schließlich unbeantwortet bleibt. 584 Vgl. zur Schuldigkeit Neros Walker (1952), S. 27, Murgatroyd (2005b), S. 48, und Reitzenstein (1926), S. 30 f., wohingegen Waddell (2013), S. 487, eher dessen Unschuld betont und die Ambiguität dieser Frage von Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 71 f., Graf (1931), S. 100, Keitel (1984), S. 308, Tresch (1965), S. 33, und Koestermann (1968), S. 234 mit einem Überblick über die ältere Forschung, S. 253 sowie S. 258 f. hervorgehoben wird. 585 Yavetz (1975), S. 194 f. 586 Vgl. Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 75 f., Müller (2003), S. 241, Grethlein (2013), S. 165 mit Anm. 104, und Suerbaum (2015), S. 96 f. sowie S. 220.

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wiesen werden. Obgleich Piso und Seneca nämlich bereits am Ende des 14. Buchs in einer verleumderischen Beschuldigung eines nicht näher identifizierten, kaiserlichen Freigelassenen Romanus unheilverkündend miteinander in Verbindung gebracht werden, scheint dieser Vorwurf zumindest vorläufig widerlegbar zu sein und den Philosophen nicht unmittelbar zu gefährden.587 In ernsthafte Bedrängnis gerät dieser erst, als Natalis, welcher ausdrücklich als totius conspirationis magis gnarus, simul arguendi peritior (15,56,2) bezeichnet wird, während der Aufdeckung der Konspiration den Namen des Stoikers unter den Verschwörern anführt. Einerseits könnte dieser aufgrund seiner vertieften Kenntnisse tatsächlich von einer Beteiligung Senecas wissen, andererseits nur seine Anklageerfahrung sowie Neros Hass auf den ehemaligen Erzieher geschickt und skrupellos nutzen, um durch die Denunziation eines potenziell Unschuldigen sein eigenes Leben zu retten, was ihm als Beweggrund ebenfalls unterstellt wird.588 Die Glaubwürdigkeit von Natalis’ Aussage wird durch diese auktoriale Bemerkung also beträchtlich reduziert, sodass der bisherige Erkenntnisstand für den Leser keine Entscheidung bezüglich Senecas Involvierungsgrad in die Verschwörung zulässt. Anlässlich der Ermordungsankündigung mittels „retrospektive(r) Darstellungskunst“589 rückt zwar gerade die gegenstandslose Rachelust des Kaisers durch einen bestätigenden Rückverweis auf das vorausgehende, erfolglose Giftattentat als Hauptbeseitigungsmotiv in den Vordergrund.590 Allerdings ist zugleich Natalis’ nachgetragene Äußerung, der Stoiker habe sich bewusst von Piso distanziert, als bedeutsames Indiz für dessen wirkliches Engagement bei oder zumindest sein Wissen um die Konspiration zu erachten. Demgegenüber bietet die unpräzise benannte Ursache des Aufenthaltsortswechsels des Philosophen mit forte an prudens (15,60,4) ebenso wenig einen aussagekräftigen Anhaltspunkt wie die diplomatische Stellungnahme gegenüber Neros beschuldigenden Nachfragen.591 Doch erscheint Silvanus’ Zurückhaltung bei der Überbringung wie auch Ausführung des Todesbefehls an Seneca gewissermaßen nachvollziehbarer, falls er den prominenten Mitverschwörer schützen und ihm nicht persönlich mit der Aufforderung zum Suizid gegenübertreten will, womit dieses Detail Senecas Beteiligung an der Konspiration nahelegt.592 Das öffentlich kursierende, unmittelbar nach Senecas Ableben integrierte Gerücht über ein gesondertes Militärkomplott erhebt diesen sogar zu einer der Zentralfiguren der Konspiration, indem er bei erfolgreichem Umsturz statt Piso

587 14,65,2; vgl. zur mutmaßlichen Identität dieses Romanus Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 314. 588 15,56,2 deinde adicit Annaeum Senecam, siue internuntius inter eum Pisonemque fuit, siue ut Neronem gratiam pararet, qui infensus Senecae omnes ad eum opprimendum artes conquirebat. Vgl. Hauser (1967), S. 27, Tresch (1965), S. 167, und zu dessen Wohlinformiertheit Koestermann (1968), S. 288. 589 Hausmann (2009), S. 144. 590 15,45,3 bzw. 15,60,2 f.; vgl. Hauser (1967), S. 44, Tresch (1965), S. 35, Morris (1969), S. 234, Wille (1983), S. 578, Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 397, und Koestermann (1968), S. 297. 591 15,61,1; vgl. Tresch (1965), S. 167 f., und Suerbaum (2015), S. 220. 592 15,61,3 f.

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als Kaiser vorgesehen gewesen sein soll.593 Trotz unzureichender Verbürgung lässt diese nachgereichte Information den Leser abschließend aufhorchen und lenkt dessen Aufmerksamkeit unvermeidlich auf die vorherigen Passus zurück, aus deren vermeintlichen Hinweisen er durch eine thematisch fokussierte und eventuell sorgfältig rekapitulierende Lektüre eine eindeutige Antwort auf Senecas genaue Verwicklung in die Pisonische Verschwörung zu gewinnen hofft. Diesbezüglich sind die textuellen Angaben somit raffiniert auf heterogene, unterschiedlich vertrauenswürdige Instanzen und geradezu in einem ambivalenten Zickzackkurs über die Erzählung verteilt. Der Rezipient wird zu einer intensiven Beschäftigung mit dieser Fragestellung und deren spannungsvoller Reflexion angeregt, ohne dass bei diesem imaginierten Indizienprozess für ihn – wohl ebenso wie für Tacitus, die meisten Zeitgenossen und sogar Nero selbst – jemals Gewissheit zu erreichen ist.594 Warum wurde Pedanius Secundus getötet? Wie Suerbaum an Beispielen aus den Tiberius-, die sich um weitere aus den Nerobüchern mehren lassen, erläutert, werden bei plötzlichen Todesfällen differierende Erklärungen, die teils natürliche Umstände anführen, teils Fremdeinwirkung nicht ausschließen, oder bei klaren Morden heterogene Handlungsmotive der Täter gegenübergestellt. Im Einzelfall ist damit geradezu kriminalistisch zu erwägen, ob es sich um ein Gewaltverbrechen handelt und welche Beweggründe jeweils dazu führten.595 Mit einer Spannung aufbauenden Initialfrage nach den situations- und protagonistenspezifischen Ursachen zu Episodenbeginn wird abgesehen von Poppaeas intransparentem und von Nero verschuldetem Ableben596 auch bei Pedanius 593 15,65; vgl. Iuv. 8,211 f. libera si dentur populo suffragia, quis tam/perditus ut dubitet Senecam praeferre Neroni?, Walker (1952), S. 135: „A rumour which Tacitus records without either criticism or amplification.“, Schmal (2008), S. 120, Tresch (1965), S. 164 sowie S. 181, und Suerbaum (2015), S. 219 f. 594 Vgl. Grethlein (2013), S. 164 f.: „Tacitus does not offer safe ground, but prompts the reader insistently to rank her brain over the role of the philosopher. Not surprisingly, scholars still disagree about whether or not Seneca was involved in the conspiracy against his pupil.“, Schmal (2008), S. 120: „Diese Möglichkeiten deutet Tacitus mehrfach an, ohne sich allerdings klar zu positionieren. […] Vielleicht wußte er es selbst nicht, und er war diesmal ehrlich, weil seine Quellen keine eindeutigen Beweise hergegeben haben.“, und Koestermann (1968), S. 287: „Tacitus läßt die Frage einer Beteiligung Senecas an der Verschwörung offen.“, S. 297: „Ob Tacitus selbst von der Unschuld Senecas völlig überzeugt war, steht dahin […]. Aber für einen Mitverschworenen Pisos hat er ihn schwerlich gehalten.“, sowie S. 310: „Daß irgendeine Klarheit hinsichtlich der verwickelten Zusammenhänge aufgrund des taciteischen Berichtes erreicht werden kann, läßt sich wahrlich nicht behaupten.“ 595 Vgl. dazu die Sterbefälle von C. Caesar, L. Caesar, Iulia minor, Agrippa Postumus (1,3,3, 1,6,1, 3,19,3), Augustus (1,5,1), Fabius Maximus (1,5,2), Germanicus (2,73,4), Drusus II. (4,10 f.), Asinius Gallus (6,23,1), Drusus III. (6,23,2), Agrippina maior (3,19,3, 6,25,1), Furius Scribonianus (12,52,2), Mnester (14,9,2), Pedanius Secundus (14,42,1), Burrus (14,51,1) sowie Poppaea (16,6,1). Vgl. zudem Suerbaum (2015), S. 99–108 sowie S. 478 f. mit Anm. 316–319, der zu Recht auch auf Agr. 43,2 verweist. 596 16,6,1 mit Abschn. 3.3.3.

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Secundus’ Tötung eruiert, wodurch dessen Sklave zu diesem gegen den eigenen Herrn gerichteten Vergehen veranlasst wurde.597 Den präsentierten Alternativen kommt eine vergleichbare Plausibilität zu und, obwohl C. Cassius beide Versionen in seiner Rede aufgreift, trägt diese nicht zur Aufklärung des tatsächlichen Geschehenshergangs bei, den der Sprecher lediglich hypothetisch im Sinne seiner Argumentationsabsicht rekonstruiert. Vielmehr dient ihm das Ereignis vor allem als Anlass, um in überzeichnetem Konservativismus generell für ein rigoroses Vorgehen gegen die Sklavenschaft zu plädieren.598 Diesem Kollektiv und nicht dem mutmaßlichen Alleintäter sind die verschiedenen Reaktionen der Senatoren, des Kaisers sowie des Volks gewidmet,599 sodass der Leser nur spärliche, zwiespältige Hinweise auf die wahrscheinlichen Hintergründe des Mords erhält. Das aufmerksamkeitserweckende sowie rätselhafte Verbrechen bleibt letztlich ungelöst und ist vom Rezipienten individuell auszudeuten. War es Mord? Bei Burrus’ Verscheiden richtet die einleitend positionierte Formulierung incertum ualetudine an ueneno (14,51,1) das Augenmerk des Lesers sogleich auf den spannungsreichen Aspekt, ob der Prätorianerpräfekt eines natürlichen Todes starb oder dessen Ableben vorsätzlich herbeigeführt wurde. Demgemäß werden in der anschließenden Episode zwei voneinander abweichende Geschehensversionen dargelegt, die den Rezipienten zur kritischen Ermittlung dieses unbestimmten Sachverhalts anregen. ualetudo ex eo coniectabatur, quod in se tumescentibus paulatim faucibus et impedito meatu spiritum finiebat. plures iussu Neronis, quasi remedium adhiberetur, inlitum palatum eius noxio medicamine adseuerabant, et Burrum intellecto scelere, cum ad uisendum eum princeps uenisset, aspectum eius auersatum sciscitanti hactenus respondisse: ‚ego me bene habeo‘ (14,51,1). Eine Krankheit nahm man deshalb an, weil er dadurch, dass der Rachen allmählich nach innen zuschwoll und die Atemwege behindert wurden, erstickte. Mehrere versicherten, dass auf Neros Befehl, als ob ein Heilmittel angewandt würde, dessen Gaumen mit einer schädlichen Arznei bestrichen worden sei, und dass Burrus nach Erkenntnis des Frevels, als der Kaiser gekommen war, um nach ihm zu sehen, von dessen Anblick abgewandt auf dessen Erkundigung nur so viel geantwortet habe: „Mir geht es gut.“

Da trotz etwas umfangreicherer Ausgestaltung der nachstehenden Variante im Stil der exitus-Literatur beide präsentierten Alternativen denkbar erscheinen,600 erfordert eine vernunftgeleitete Reflexion über die historisch wahrscheinlichen Umstände von Burrus’ Lebensende aufseiten des Rezipienten zusätzlich den Einbezug 597 14,42,1 …, seu negata libertate, cui pretium pepigerat, siue amore exoleti infensus et dominum aemulum non tolerans. 598 14,43,1–44,4; vgl. Whitehead (1979), S. 485 f.: „Tacitus seems genuinely not to know which reason it was: both are reiterated (sarcastically) by Cassius Longinus in ch. 43.“, Sullivan (1976), S. 314, und vgl. Abschn. 3.4.3. 599 14,42,2 bzw. 14,45,1 f. 600 Vgl. Anm. 213 (Kap. 3).

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von Vorwissen hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Kaiser und Präfekt, das sich in früheren Vorfällen offenbart. Denn einerseits hatte sich Nero zuvor gerade gegenüber Burrus relativ nachgiebig und vertrauensvoll gezeigt, da er diesen anlässlich der verleumderischen Anzeige des Freigelassenen Paris nicht wie seine Mutter ermorden, sondern lediglich des Amtes entheben wollte und nach Senecas Intervention sofort rehabilitierte respektive nach Plinius’ sowie Cluvius’ Angaben nie an dessen Loyalität zweifelte.601 Auch der ähnlich lautende Vorwurf einer gemeinsamen Konspiration von Pallas und Burrus bot für den Prinzeps offenbar keinen Anlass zu ernstlichen Vorbehalten gegenüber dem Gardepräfekten und die Verbindung von dessen sowie Plautus’ Schicksal erscheint erst rückblickend suggestiv.602 Andererseits fehlt Burrus’ referierten ultima uerba eine bestechende Individualität, weil Valerius Maximus und Seneca der Jüngere diese ähnlich Scipio Metellus zuschreiben,603 und der Ermordungsablauf weist auffällige Analogien zu demjenigen des Claudius auf.604 Dies macht die Geschichte des mit einem giftigen anstatt mit einem heilsamen Mittel bestrichenen Gaumens nicht nur verdächtig und reduziert deren Authentizität. Vielmehr wird dadurch, dass eine Arznei angewandt wird, und zwar unabhängig von deren intendiertem Effekt, implizit die Version einer zugrunde liegenden Krankheit bestätigt. Statt dem Gegensatz, ob Krankheit oder Gift den Tod verursachten, wäre also zu hinterfragen, ob eine beim Therapierungsversuch einer in jedem Fall geschädigten Gesundheit eingesetzte Medizin absichtlich oder nur grob fahrlässig Burrus’ Zustand verschlechterte. Eventuell wurde auch lediglich die objektiv betrachtete Wirkungslosigkeit des Mittels nachträglich missgünstig ausgelegt, ohne dass prinzipiell daran zu zweifeln ist, dass Burrus tatsächlich von Neros Leibärzten behandelt wurde, zumal vorher keine Trübung in deren Beziehung erkennbar ist. „Daraus wird dann die Geschichte vom Giftmord Neros erwachsen sein, die als wenig glaubwürdig erscheint. Das Mißtrauen gegen die Herrscher führte ja immer wieder zu ähnlich wuchernden Erfindungen“,605 wie Koestermann anmerkt. Durch eine narrativ geschickte Inszenierung existierender Plotoptionen und -varianten zu einem spannungsvollen Kriminalfall um Burrus’ Ableben, die Tacitus’ dramatische Erzählkunst unterstreicht, und dessen vermeintliche Lösbarkeit wird der Rezipient somit zu einer vertieften gedanklichen Auseinandersetzung mit der Handlung angeregt und eigenaktiv an der historischen Wahrheitsfindung beteiligt.

601 13,20,1 f.; vgl. zu Burrus’ ungebrochener Treue Tresch (1965), S. 90, Morris (1969), S. 168, und demgegenüber Koestermann (1967), S. 272 sowie S. 279, der fortan die Stellung des Präfekten gefährdet sieht, seine Meinung, S. 274, aber zwischenzeitlich revidiert. 602 13,23,1 f. bzw. 14,60,4. 603 Val. Max. 3,2,13 … ac deinde prostratus in puppi quaerentibus Caesarianis militibus ubinam esset imperator respondit ‚Imperator se bene habet‘, … bzw. Sen. epist. 24,9 … et quaerentibus ubi imperator esset, ‚imperator‘ inquit ‚se bene habet‘; vgl. Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 295, und Schunk (1955), S. 57. 604 12,67,2 ille (sc. Xenophon Claudii medicus) tamquam nisus euomentis adiuuaret, pinnam rapido ueneno inlitam faucibus eius demisisse creditur, … 605 Koestermann (1968), S. 122; vgl. Tresch (1965), S. 138, die auch Burrus’ natürlichen Tod annimmt.

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Fazit Mittels planvoll gesetzter Unbestimmtheitsstellen und akzentuierter Rätselfragen wird neben einer gesteigerten intellektuellen Involvierung eine konzentrierte Lektüre einzelner Werkpassagen evoziert und der Leser in einen kurzweiligen inneren Anspannungszustand versetzt. Dessen jeweiliger Ausprägungsgrad ist zum einen von der subjektiv empfundenen thematischen Attraktivität sowie Schwierigkeit des zugehörigen Lösungsfindungsprozesses abhängig. Zum anderen äußere sich dessen Effekt nach Booth in einem speziellen Leseerlebnis sowie -vergnügen hinsichtlich der implementierten Ambiguitäten, die komplementär zur rezipientenseitigen Wissbegierde angelegt sein müssten.606 Die Kniffligkeit sowie Klärungsaussichten enigmatischer Elemente sind dabei variabel gestaltet und durch das geschichtliche Vorwissen des Lesers, durch das textstrukturelle sowie figurenperspektivische Arrangement heterogener Informationen wie auch durch die ex- oder implizite auktoriale Haltung gegenüber spezifischen Aspekten bedingt. Die obigen Beispiele lassen sich zudem nach dem offensichtlich diachron übertrag- und anwendbaren, von Wenzel vorgeschlagenen Rätselspannungsschema beschreiben:607 Auf die stets in einer Unbestimmtheitsphase platzierte Initialfrage folgt ein Reflexabschnitt, der aufseiten des Rezipienten aufregendes Erstaunen, Verwunderung oder Verwirrung über die uneindeutigen Vorkommnisse hervorruft, und eine ausführliche, reizvolle analytische Stufe. Zu dieser gehören kontinuierliche, mannigfache Hypothesengenerierungen, bewusste Irreführungen des Lesers wie insbesondere bei Burrus’ Tod oder intendierte Äquivokationen wie vor allem bei Neros Maßnahmen gegen die Christen. Mit einer Vielzahl an inhaltlichen Hindernissen, logischen Widersprüchen und geschichtlichen Unwägbarkeiten wartet anschließend die Widerstandsphase auf, die eine zweifelsfreie Lösbarkeit des vorliegenden Sachverhalts teils grundsätzlich infrage stellt, teils unumstößlich aufzeigt. Die zentrale Aufklärungsphase ist also zwar narrativ beabsichtigt, wird aber angesichts einer begrenzten und intransparenten historischen Quellenlage nicht in jedem Einzelfall erreicht.608 Dementsprechend gelingt, indem „die Restriktion erzählerischer Allwissenheit […] aus dem Wunsch nach der Erzeugung größerer Spannung und Überraschung hinsichtlich des Handlungsablaufes resultiert[e]“,609 wie sich diese Erzählhaltung nach Effe bewerten lässt, die Etablierung einer kognitiv aktivierenden, rätselhaften Atmosphäre unterhaltsamer Anspannung. Diese veranlasst beim Rezipienten eigenständige geschichtsbezogene Reflexions-, Rekonstruktions- und Interpretationsprozesse, die, wie aus Quintilians einleitend genanntem Zitat ersichtlich wird, erfreuliche individuelle Erkenntnisse bezüglich der Historie fördern. Diese können das explizit Berichtete übersteigen und womöglich sogar zu weitreichenderen als den vom Autor implizierten Positionen beziehungsweise zu diesen konträren Auslegungen führen.610 606 607 608 609 610

Vgl. Booth (1961/1974a), S. 139, Junkerjürgen (2002), S. 70, und Gehrke (2006), S. 396. Vgl. Wenzel (2004), S. 189 f. Vgl. Suerbaum (2015), S. 219. Effe (1975), S. 142 und vgl. S. 143 sowie S. 157. Vgl. Gehrke (2006), S. 396.

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4.4.3 Gebrochene episoden-, themen- und personenspezifische Linienführung Szenenbezogene Spannungstektonik In narrativ geeigneten Momenten ungeahnt vollzogene Unterbrechungen, von der Erwartung abweichende Wendungen sowie unvermutete Entwicklungen der Handlung erhöhen die Leseraufmerksamkeit und wirken einem vorhersehbaren, monotonen Geschehensverlauf entgegen. Besonders intensive Gefühlsregungen vermögen diese im Falle inhärenter Überraschungseffekte auszulösen, wie schon Aristoteles und Cicero betonen.611 Um derart abrupte, unverhoffte sowie spannungsvolle Wechsel zu erzielen, werden in den Nerobüchern drei unterschiedliche narrative Verfahren wiederkehrend eingesetzt, die separat zu betrachten sind und deren erste Form auf der Ebene einfacher syntaktischer Konstruktionen ansetzt. Denn während im voranstehenden Hauptsatz jeweils eine scheinbar geordnete, ruhige und sichere Hintergrundszenerie zur punktuellen Retardation der Ereignisse sorgfältig entfaltet wird, schwenkt im nachfolgenden, durch die Subjunktionen donec oder cum eingeleiteten Nebensatz die zuvor ausführlich präsentierte Situation sowie vermeintlich ungefährliche Atmosphäre schlagartig um und wird die Erzählgeschwindigkeit enorm beschleunigt.612 Von 17 derartigen Passagen veranschaulichen dies vor allem die beiden beispielhaft, die während Agrippinas Ermordung eingebunden sind.613 Die sternenklare Nacht, die ruhige See sowie die anfangs ausgelassene Stimmung auf dem Schiff, das für einen Anschlag auf die Kaisermutter präpariert wurde und diese angeblich in ihre eigene Villa zurückbringen soll, stehen in schärfstem Kontrast zur inneren Anspannung des informierten Lesers. Sie schieben das geplante Attentat anscheinend auf, bis mittels eines inversiven cum plötzlich dessen Durchführung sowie Fehlschlag berichtet wird. Dies führt zu unübersichtlichen Tumulten unter der unkundigen, verwirrten Besatzung und regt die Handlungsdynamik an.614 Auf ähnliche Weise wird dem Rezipienten aufgrund einer umfassenden Schilderung der nach Verbreitung von Agrippinas Schiffbruch am Strand versammelten, diese suchenden und um sie besorgten Menschenmenge, deren große Anzahl dieser zum Schutz gereichen könnte, zwar ein finaler, den Ausgang verzögernder Hoffnungsschimmer gegeben. Doch dieser wird gerade in dem Augenblick, als Agrippinas 611 Aristot. poet. 1452a …, ταῦτα δὲ γίνεται καὶ μάλιστα [καὶ μᾶλλον] ὅταν γένηται παρὰ τὴν δόξαν δι’ ἄλληλα bzw. Cic. part. 73 (Anm. 3); vgl. Weinrich (1971), S. 24, zur affektiven Überraschungsreaktion durch Vorenthaltung wichtiger Information Woodman (1988), S. 97, Martínez/Scheffel (2007), S. 151 f., Brewer (1996), S. 111 f., und Junkerjürgen (2002), S. 72: „Überraschend ist also ein Geschehnis, dessen Eintreffen aus dem jeweils vorangehenden Textteil weder zeitlich noch inhaltlich vorherzusehen war.“ 612 Vgl. Rademacher (1975), S. 151 f., Suerbaum (1997), S. 47, und Morris (1969), S. 220. 613 Eine entsprechende Verwendung von donec findet sich in 13,13,1, 25,4, 43,3, 44,4, 57,3, 58,1, 14,8,1, 15,10,1, 11,1, 54,1, 16,9,2, 10,4, 34,1 bzw. von cum in 14,5,1, 26,1, 61,1, 15,69,2, wohingegen dum und quoad hierzu nicht eingesetzt werden. 614 14,5,1 …, Acerronia super pedes cubitantis reclinis paenitentiam filii et recuperatam matris gratiam per gaudium memorabat, cum dato signo ruere tectum loci multo plumbo graue, …; vgl. Christes (1990), S. 135.

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Rettung aus Seenot bekannt sowie freudig aufgenommen wird, zugleich mit der Vertreibung der zusammengelaufenen Menschen durch den entschlossenen Aufmarsch von Anicetus’ Soldateska unvermittelt zunichtegemacht und die kurzzeitig aufkommende, vielversprechende Euphorie im Keim erstickt.615 Dasselbe narrative Verfahren wird auch anlässlich der Freudesbekundungen und öffentlichen Demonstrationen des Volks nach Octavias kurzzeitiger Rückberufung nach Rom angewandt, die auf Neros Befehl unmittelbar sowie gewaltsam unterdrückt und aufgelöst werden.616 Da Tigranes’ Einsetzung als armenischer König zuvor nicht erwähnt wird, ist der unwissende Leser ferner angesichts dessen unerwarteter Ankunft im Osten des Reichs ebenso düpiert wie der ahnungslose Corbulo. Denn indem Tigranes sofort die Verwaltung Armeniens übernimmt, wird nicht nur der reizvolle Erzählstrang über Corbulos militärische Erfolge jäh beendet und aufgeschoben, sondern vor allem eine gegenwärtig offenbar mögliche, vollständige Unterwerfung sowie Befriedung dieses Territoriums verhindert. Damit wird die vom Rezipienten bereits antizipierte, attraktive Vision einer direkten römischen Herrschaftsausübung über Armenien im letzten Moment zerstört.617 Weiterhin kann sich der Delator Suillius der konstruierten Anklage vor dem Prinzeps zeitweilig aussichtsreich widersetzen, bis der Kaiser selbst dessen Plädoyer vehement unterbricht und der Prozess aufgrund einer unüberprüfbaren Behauptung Neros plötzlich zuungunsten Suillius’ endet.618 Auch das Gerichtsverfahren bezüglich der ungeklärten Vorfälle zwischen Sagitta und Pontia sowie die Falschaussage von dessen Freigelassenen werden durch die Genesung einer bei diesem nächtlichen Verbrechen schwer verwundeten Sklavin unverhofft aufgedeckt und der Liebhaber überführt.619 Außerdem wird die festliche Feierabendatmosphäre bei Vestinus’ erquicklichem Gastmahl durch das für alle Anwesenden überraschende Eintreffen von Neros Soldaten, die dem amtierenden Konsul den Suizidbefehl überbringen, unversehens aufgehoben und in die Angst der Beteiligten sowie Mitleid mit dem Opfer verkehrt.620 Hierzu vergleichbar schlägt die gelöste Stimmung der erlauchten Gesellschaft, die in Thraseas Gärten aufmerksam einem philosophischen Dialog zwischen diesem und dem Kyniker Demetrius lauscht, abrupt in Trauer und Mitgefühl um, als 615 14,8,1 adfluere ingens multitudo cum luminibus, atque ubi incolumem esse pernotuit, ut ad gratandum sese expedire, donec adspectu armati et minitantis agminis deiecti sunt. Vgl. Rademacher (1975), S. 151 f., und Wilsing (1964), S. 112. 616 14,61,1 iamque et Palatium multitudine et clamoribus complebant, cum emissi militum globi uerberibus et intento ferro turbatos disiecere. 617 14,26,1 …, caedibus et incendiis perpopulatus possessionem Armeniae usurpabat, cum aduenit Tigranes a Nerone ad capessendum imperium delectus, …; vgl. Geiser (2007), S. 77. 618 13,43,3 … omnemque Claudii saeuitiam Suillio obiectabant. ille nihil ex his sponte susceptum, sed principi paruisse defendebat, donec eam orationem Caesar cohibuit, compertum sibi referens ex commentariis patris sui nullam cuiusquam accusationem ab eo coactam. 619 13,44,4 commoueratque quosdam magnitudine exempli, donec ancilla ex uulnere refecta uerum aperuit. 620 15,69,2 cunta eo die munia consulis impleuerat conuiuiumque celebrabat, nihil metuens an dissimulando metu, cum ingressi milites uocari eum a tribuno dixere; vgl. Rademacher (1975), S. 153.

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Domitius Caecilianus Thraseas Verurteilung zum Tod vermeldet.621 Vor der auf individueller Lektüreerfahrung basierenden Folie der etablierten Handlungsmuster livianischer Helden in der römischen Frühzeit erscheint es zuletzt absolut erwartungswidrig und für eine uirtus feindliche Epoche geradezu symptomatisch, dass weder der Zenturio Tarquitius Crescens für seine hervorstechende, selbstlose militärische Tapferkeit bei der Verteidigung des Lagers noch Iunius Silanus, obwohl er sich eine Zeit lang mit bloßen Händen mutig gegen seine gewaltsame Beseitigung zur Wehr setzt, belohnt werden. Vielmehr ist beider Verhalten in einem den Erzählabschnitt jeweils abschließenden donec-Satz von teils ernüchternder, teils fataler Erfolglosigkeit geprägt.622 Schon mithilfe schlichter syntaktischer Mittel gelingt es Tacitus also meisterhaft, innerhalb einzelner Passagen respektive Perioden dramatische Spannungskurven mit gewissen Überraschungsmomenten zu inszenieren. Diese resultieren insbesondere aus unvorhergesehenen Handlungsumschlägen an Episodenenden, welche bei anschließendem fließenden Übergang in eine temporeiche Berichtsform zusätzlich an mitreißender Dynamik gewinnen.623 Während die beunruhigende Wirkung dieser einfachen Erzähltechnik lokal relativ begrenzt ist, lassen sich, wie im Folgenden zu zeigen ist, durch eine geschickte Strukturierung orts- beziehungsweise protagonistenspezifischer Handlungsstränge Zustände innerer Erregung über weitreichende Phasen erzeugen. Gezielte Schnitte in der außen­ und innenpolitischen Berichterstattung Neben ansprechenden, stimmungsvollen sowie plastischen Beschreibungen der vielfältigen Handlungsorte ist ein reflektiertes globales Arrangement des narrativen Raums, das bei assoziativen bis abrupten Überleitungen zwischen Geschehensschauplätzen und deren Akteuren die zeitlichen Unschärfen des zugrunde liegenden annalistischen Schemas nutzt,624 auch für die textuelle Spannungstektonik bedeutsam. Denn wie Lukian eindringlich empfiehlt, kann durch eine planvolle Verteilung von Ortswechseln und deren retardierende Anwendung an geeigneten Erzählzeitpunkten eine farblose Monotonie im historischen Ereignisverlauf vermieden und dessen Anregungspotenzial erhöht werden.625 Unter diesem Aspekt betrachtet bereitet die erste knappe außenpolitische Einlage im 13. Buch anlässlich eines Einfalls der Parther in Armenien nicht nur die militärischen Auseinandersetzungen mit 621 16,34,1 inlustrium uirorum feminarumque coetum frequentem egerat, …, donec aduenit Domitius Caecilianus ex intimis amicis et ei quid senatus censuisset exposuit. igitur flentes queritantesque, qui aderant, … 622 15,11,1 …, uno tantum centurione Tarquitio Crescente turrim, in qua praesidium agitabat, defendere auso factaque saepius eruptione et caesis, qui barbarorum propius suggrediebantur, donec ignium iactu circumueniretur. bzw. 16,9,2 nec omisit Silanus obniti et intendere ictus, quantum manibus nudis ualebat, donec a centurione uulneribus aduersis tamquam in pugna caderet. Vgl. Koestermann (1968), S. 348. 623 Vgl. dazu v. a. 13,25,4, 43,3, 44,4, 57,3, 58,1, 14,26,1, 61,1, 15,11,1, 69,2, 16,9,2, 10,4. 624 Vgl. Kap. 2.7. 625 Lukian. hist. conscr. 50 und vgl. dazu Pausch (2011), S. 80 f.

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diesem Feind vor und bietet einen prekären Anlass für den sich anbahnenden, innerfamiliären Konflikt zwischen Agrippina und ihrem Sohn.626 Vielmehr ist dieses kurze, die Vorkommnisse mehrerer Jahre zusammenfassende Intermezzo geschickt zwischen zwei jahrweisen Berichten positioniert, um zum einen dem personellen Umfeld des neuen Prinzeps nach dessen Herrschaftsantritt eine fiktive Konstitutionsphase einzuräumen. Zum anderen können dadurch im Jahr 55 n. Chr. nur stadtrömische Vorfälle sowie insbesondere die allmählich eskalierende Zwietracht im Kaiserhaus mit einigen lokalen Spannungshöhepunkten mitreißend und ohne ablenkende Unterbrechung wiedergegeben werden.627 Die Innenpolitik des Jahres 58, die dem Rezipienten handlungsrelevante und regelmäßig wiederkehrende Charaktere vorstellt, wird ferner durch zwei ausführliche Darstellungen auswärtiger Geschehnisse wie auch zwei knappe Ereignisnotizen aus Rom zweifach gerahmt.628 Während diese den Handlungsfokus jeweils auf geographischer Ebene nahtlos von der Hauptstadt weg- beziehungsweise zu dieser zurückführen,629 dienen die beiden außenpolitischen Einlagen indirekt sowie unmittelbar bereits dem Spannungsaufbau bezüglich Agrippinas Ermordung zu Beginn des 14. Buchs. Dort wird eine Hinwendung zum armenischen Kriegsschauplatz nämlich nicht aufgeschoben, um die fesselnde Dramatik während der Beseitigung der Kaisermutter nicht zu stören, wie Pfordt annimmt.630 Hierzu wird stattdessen die zum Jahr 59 gehörige Berichterstattung aus Armenien gezielt mit derjenigen des Vorjahres verbunden und im Jahr 58 proleptisch vorweggenommen,631 was implizit mit einer Verzögerung des angekündigten Tötungsdelikts einhergeht. Zu dieser trägt auch die Kumulation mehrjähriger Vorkommnisse aus Germanien gerade gegen Ende des inhaltlich ohnehin schon reichhaltigen Jahres 58 bei, die den Rezipienten hier jedoch angesichts ihres teilweise prodigienhaften Wesens zugleich auf Agrippinas enorme sowie unmittelbare Gefährdung hinweisen und in innere Aufregung versetzen sollen.632 Damit werden die stadtrömischen Vorfälle im Mittelteil des Jahresberichts durch die beiden außenpolitischen Einschübe deutlich von den vorausgehenden ereignisarmen Jahren 56 und 57 sowie der nachstehenden packenden Schilderung des Muttermordes geschieden und vor allem deren Beginn durch die geradezu schematisch verdoppelte sowie überlang wirkende Berichterstattung nervenaufreibend retardiert. Während das Jahr 59 also vollständig und pausenlos den Ränken sowie Exzessen des Kaisers gewidmet ist, werden in schrillem Kontrast zum präsentierten innenpolitischen Desaster die nächsten Nachrichten aus den östlichen Provinzen zwar regulär im Jahr 60, aber zugleich derart berücksichtigt, dass die Phantasie des 626 13,6,1–9,3; vgl. Morris (1969), S. 61, und Suerbaum (2012), S. 250 f. 627 13,11,1–22,2; vgl. Martin (1981), S. 164. 628 13,34,1 Rom – 13,34,2–41,3 Armenien – 13,41,4–52,2 Rom – 13,53,1–57,3 Germanien – 13,58 Rom; vgl. Martin (1981), S. 167 f., und (1990), S. 1556. Entgegen dessen Meinung entspricht diese Strukturierung aber nicht einer Umkehrung, sondern einer Verdoppelung des klassischen Schemas; vgl. Anm. 521 (Kap. 2). 629 Vgl. auch Abschn. 4.5.3. 630 Vgl. Pfordt (1998), S. 150, und Martin (1981), S. 173. 631 Vgl. Abschn. 2.3. 632 Vgl. hierzu ausführlich Abschn. 4.5.3.

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Lesers zu sorgen- oder hoffnungsvollen Hypothesen bezüglich Neros ungewissem Gesundheitszustand angeregt ist.633 Die ebenfalls diesem Zeitraum zuzuordnenden Geschehnisse in Britannien werden allerdings erst im anschließenden Referat zu diesem Kriegsschauplatz im Jahr 61 aufgenommen.634 Dadurch wird einerseits beiden betreffenden Jahren mit den armenischen respektive britannischen Ereignissen je eine abwechslungsreiche Passage über Auswärtiges zugeordnet. Andererseits schafft diese Abfolge nahezu unbemerkt eine direkte Gegenüberstellung der zwei erfolgreichen römischen Feldherrn, bei der Suetonius Paulinus schon textimmanent als Corbulonis concertator (14,29,2) erscheint.635 Zudem wird eine Zersplitterung dieser außenpolitischen Handlungslinie in unattraktive Einzelbestandteile vermieden und die Vorkommnisse in Britannien kunstvoll zu einer ausgewogenen, reizvollen Episode gruppiert, die das nur wenige stadtrömische Begebenheiten umfassende Berichtsjahr bereichert. Weiterhin bildet der Abschnitt über den britannischen Aufstand mit Suetonius und Boudicca als namhaften Kontrahenten nach Pfordt das axiale Zentrum des konzentrisch aufgebauten 14. Buchs, bei dem die aufgeschobene Serie der bereits zu antizipierenden Tode Burrus’, Sullas, Plautus’ und Octavias gegen Ende die ausladende Darlegung von Agrippinas Ermordung zu Beginn aufwiegen.636 Die Zusammenfassung und Verlegung der aus Britannien erwähnenswerten Vorfälle in das Jahr 61 ist folglich weniger als chronologischer Lapsus des Autors als vielmehr als ein wohlbedachtes kompositionelles Arrangement zu verstehen.637 Gemäß dieser planvoll variierenden Anordnung werden auch die armenischen Geschehnisse des Jahres 61 in das darauffolgende Jahr sowie sogar in das 15. Buch verlagert. Dort füllt deren ausführlicher Bericht abgesehen von einem kurzen Seitenblick nach Rom die ersten 31 Kapitel und bietet damit die umfangreichste außenpolitische Handlungssequenz seit Gemanicus’ Feldzügen unter Tiberius’ Prinzipat.638 Zum einen trennt also der Buchwechsel als funktioneller mechanischer Einschnitt gezielt Innen- und Außenpolitik des Jahres 62 voneinander, sodass bei kontinuierlicher Lektüre bis zum Schluss des 14. Buchs der Eindruck entsteht, ausschließlich die innenpolitischen Umtriebe des Kaisers bestimmten das Geschehen des vorliegenden Jahres.639 Zum anderen verzögert das Intermezzo zu den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Vologaeses, Paetus und Corbulo geschickt die Erzählung über die Pisonische Verschwörung, deren baldiger Beginn schon im letzten Abschnitt des 14. Buchs angekündigt sowie vom Leser trotz unterhaltsamer Ablenkung durch die armenischen Vorkommnisse höchst aufgeregt erwartet wird, und bildet zu diesem fatalen Komplott am Ende des 15. Buchs ein 633 634 635 636

14,23,1–26,2; vgl. Anm. 547 (Kap. 2) und siehe unten. 14,29,1–39,3. Vgl. Wille (1983), S. 552. Vgl. Pfordt (1998), S. 156, Morford (1990), S. 1604, Schmal (2011), S. 81, Morris (1969), S. 192, Martin (1990), S. 1557 sowie S. 1566, Holztrattner (1995), S. 102, und Piecha (2003), S. 126. 637 Vgl. dazu auch Anm. 111 (Kap. 2). 638 15,1,1–31 inklusive der thematisch verwandten Einlage von 15,18,1–25,4. 639 Vgl. Martin (1981), S. 175, Classen (1988), S. 111, und Pfordt (1998), S. 169.

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4. Textinhärente Strategien der Leseraktivierung

gelungenes, in sich abgeschlossenes strukturelles Pendant an dessen Anfang.640 Zugleich wird die Berichterstattung aus Armenien, die durch ihre zahlreichen charismatischen Protagonisten sowie Wechselfälle des Schicksals besticht, ihrerseits durch die kurze Binnenpassage über die stadtrömische Situation ausgesetzt. Diese zielt zwar offensichtlich auf eine Kontrastierung der differenten Verhältnisse ab, überbrückt jedoch ebenfalls narrativ gekonnt die militärisch geschehensarmen Wintermonate und retardiert die finale Lösung der mitreißenden Kriegsereignisse unter anderem mittels Thraseas verwaltungshistorischem Redeexkurs gerade im für einen römischen Rezipienten äußerst unbefriedigenden Moment der größten, durch Paetus’ strategische Fehler verursachten Schmach. Eine Änderung dieses andauernden unbehaglichen Zustands tritt erst mit der Ankunft der parthischen Gesandten in Rom und der vom Prinzeps angeordneten sowie vom Leser längst ersehnten Ernennung Corbulos zum obersten Feldherrn ein. Dessen aufmerksamkeitsfokussierende sowie siegreiche militärische Interventionen nehmen sodann den Bericht des Jahres 63 fast vollständig ein, wohingegen innenpolitische Begebenheiten auf wenige Rahmenkapitel reduziert werden.641 Das anschließende Jahr 64 ist mit den drei imposanten Episoden über Neros Tourneepläne, Tigillinus’ ausschweifende Gelage sowie den Rombrand als aufregenden lokalen Höhepunkt ausschließlich den res internae gewidmet. Zwischen dem Konflikt mit den Parthern und der Pisonischen Konspiration, deren Handlung durch Epicharis’ Auftritte in Einzelpassagen zerteilt wird und an Dynamik gewinnt,642 nimmt es die zentrale Position im 15. Buch ein, dessen variationsreiche, kurzweilige Gliederung Kraus und Woodman betonen.643 Obgleich im 16. Buch – zumindest überlieferungsbedingt – keine außenpolitischen Passagen mehr enthalten sind, wird schon anhand der vorstehenden Ausführungen eine aufeinander bezogene Komposition der ressortspezifischen Erzählstränge hinreichend offenbar. Unter etwaiger Vernachlässigung der exakten Chronologie unterliegt dieser ein Streben nach kreativer Formung eigenständiger, ansprechender Geschehensfolgen und nach deren unterhaltsamer Variation durch gegenseitige, systematische Unterbrechungen. Die hierdurch erzeugten Handlungsretardationen zielen auf eine langfristige Spannungserhaltung und einen Aufschub von deren Auflösung für zunächst unbestimmte Zeit ab, was auch im Zusammenhang mit den Auftrittshäufigkeiten einzelner Protagonisten zu bemerken ist. Temporär zurückweichende Handlungsfiguren Mit Blick auf die Darstellungspräsenz geschichtlich prominenter Persönlichkeiten wird eine weitere Verzögerungstechnik erkennbar, die den Rezipienten zeitweise verunsichern soll. Ohne diesen nämlich über den Verbleib der jeweiligen Personen aufzuklären, werden zuvor oftmals zentrale Figuren unvermittelt sowie geheimnis640 641 642 643

14,65,2 bzw. 14,48,1; vgl. Classen (1988), S. 113 f., und Pfordt (1998), S. 182. Vgl. Martin (1981), S. 181, Pfordt (1998), S. 177 f., und Koestermann (1968), S. 204. Vgl. Morris (1969), S. 224. Vgl. Kraus/Woodman (1997), S. 110: „The reader’s desire for variety is brilliantly accommodated by Annals 15.“

4.4 Methoden der Handlungsretardation

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voll über einen längeren Abschnitt vollständig aus dem Geschehen ausgeblendet und deren zwar zu antizipierender, aber keineswegs gewisser Wiedereintritt geschickt sowie spannungsreich aufgeschoben. Beispielsweise bleibt Britannicus zu Beginn von Neros Prinzipat vollkommen unerwähnt und wird erst anlässlich seiner drohenden Ermordung plötzlich reintegriert.644 Auch Agrippina wird nach ihrer erbitterten Verteidigungsrede gegen Iunia Silanas Vorwürfe, die bis dahin den Gipfelpunkt der Zwietracht zwischen ihr und ihrem Sohn, dem die ersten Kapitel des 13. Buchs dominierenden Konflikt, markiert, für den Leser völlig unerwartet über drei Jahre hinweg aus der Berichterstattung entfernt. Dieser erfährt sogar in dem ereignisarmen Zeitraum 56 und 57 n. Chr. nicht von ihren Tätigkeiten oder Aufenthaltsorten,645 obwohl ihr Name in dieser Phase keineswegs aus dem öffentlichen Leben verschwunden war, wie Luke mit Verweis auf die Gebete der Arval-Brüder belegt.646 Zwar ist eine ernsthafte Gefährdung der Kaisermutter aufgrund zahlreicher konkreter Andeutungen zeitnah anzunehmen,647 ihre abrupte Handlungsrückkehr am Anfang des Jahres 59 und die direkt anhebende, umfangreiche Darlegung ihrer Beseitigung zielen allerdings gerade im Kontrast zu ihrer vorausgehenden retardierenden Absenz auf einen aufmerksamkeitsfokussierenden Überraschungseffekt ab, sodass „Tacitus uniquely reveals his control over his material in the interests of the focus that he wished to establish.“648 Außerdem verschwindet Octavia, die zu Beginn des 14. Buchs zusammen mit Agrippina genannt wird und deren existenzielle Bedrohung nach Agrippinas gewaltsamer Beseitigung für den Rezipienten absehbar ist, über das ganze Buch hinweg für drei Jahre aus der Haupthandlung.649 Hierzu bemerkt Tresch, dass diese Komposition den Eindruck entstehen lasse, dass Neros Furcht vor der schon getöten Kaisermutter größer als seine Leidenschaft für Poppaea und sowohl Tigillinus als auch Poppaea eine Teilschuld an Octavias Tod anzulasten sei.650 Zudem führt der absichtliche Ausschluss von Claudius’ Tochter zu einer völligen Intransparenz ihrer realen Reaktionen auf und ihrer innerfamiliären Position während der Eskapaden ihres Gatten, die sie in stummem Widerstand oder resignierter Hilflosigkeit toleriert. Durch den Aufschub ihrer Reintegration in das Geschehen nach dem von Nero befohlenen Mord an Plautus, der ebenfalls trotz aufregender Ankündigung seiner gefährdeten Situation ganze 35 Kapitel vor diesem Ereignis abstinent

644 Angeführt werden jeweils die letzte Erwähnung vor und die erste nach dem vorläufigen Handlungsaustritt: 12,69,1 bzw. 13,10,2; vgl. Morris (1969), S. 63. 645 13,21,6 bzw. 14,1,1; vgl. Morris (1969), S. 80 sowie S. 182, Morford (1990), S. 1602, Sage (1990), S. 993, Tresch (1965), S. 172 Anm. 55, O’Gorman (2000), S. 138 f., Syme (1967), S. 308, Holztrattner (1995), S. 41, Pigón (2003), S. 150, Bartera (2012), S. 168, und Martin (1969), S. 138, sowie (1990), S. 1555. 646 Vgl. Luke (2013), S. 217. 647 Vgl. Anm. 526. 648 Morford (1990), S. 1602, und vgl. Quinn (1963), S. 114: „It is as though Tacitus’ impatience to begin his account of the murder were intended to parallel Nero’s impatience to commit it.“, sowie Martin (1981), S. 166, und (1990), S. 1555. 649 14,1,1 bzw. 14,59,3. 650 Vgl. Tresch (1965), S. 114 sowie S. 136 f., Pigón (2003), S. 150, und Morris (1969), S. 181 f.

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4. Textinhärente Strategien der Leseraktivierung

ist,651 wird die aus der Rivalität zwischen Octavia und Poppaea erwachsende dramatische Anspannung somit bis zum Wegfall ihrer letzten personellen Machtstützen aufrechterhalten und gipfelt unausweichlich in ihrer vom Leser längst erwarteten grausamen Tötung. Nachdem bei den Iuvenalia Senecas und Burrus’ nachlassender Einfluss auf Nero offenkundig wird, tritt ferner der Prätorianerpräfekt für nahezu drei Jahre bis zur Schilderung seines Ablebens unter mysteriösen Umständen von der Bühne ab. Sein auffallendes Fehlen ist nachträglich auf seine möglicherweise schon länger andauernden gesundheitlichen Probleme zurückzuführen und steigert die leserseitige Besorgnis bezüglich Burrus’ Schicksal, wodurch dessen plötzlich referierter Tod als großer Schockmoment anzusehen ist.652 In Nachahmung seines Rückzugs aus den tagespolitischen Geschäften ist Seneca an den Vorkommnissen nach seinem Abdankungsgesuch bis zu seiner Ermordung in einem Berichtsumfang von 68 Kapitel und knapp drei Jahren weitestgehend unbeteiligt.653 Zwar fällt sein Name zweimal in unheilvollem Zusammenhang mit der Pisonischen Verschwörung und je einmal anlässlich eines mutmaßlichen Giftanschlags auf ihn sowie bei der vermeintlichen Aussöhnung zwischen Thrasea und Nero, aber an allen vier Stellen ist er passives Objekt fremder Anschuldigungen beziehungsweise eines Gerüchts, ohne dass daraus konkrete Informationen zu seinem zwischenzeitlichen Verbleib hervorgingen.654 Dabei versetzt gerade die Kombination aus diesen zunehmend bedrohlichen, jedoch wenig aussagekräftigen Einzelhinweisen einerseits und der langfristig hinausgezögerten Handlungsabsenz des Philosophen andererseits den Rezipienten in einen von innerer Unsicherheit geprägten Erregungszustand, auf dessen Spannungsbasis die ergreifende Szene von Senecas Suizid erst ihre einzigartige Dramatik zu entfalten vermag. Derselben narrativen Vorgehensweise folgt auch Thrasea Paetus’ vorläufiger Handlungsabtritt, der nach seiner öffentlichen Zurückweisung durch den Kaiser bei der Geburt von dessen Tochter trotz vordergründiger Wiederversöhnung expressis verbis in höchster Lebensgefahr schwebt.655 Daraufhin wird er für die Dauer nahezu eines ganzen Buchs respektive von drei Jahren aus der Erzählung ausgeschlossen, bis seine Ermordung unter dem Titel Nero uirtutem ipsam exscindere concupiuit (16,21,1) eingeleitet wird, sodass textuell gewissermaßen Cossutianus Capitos Vorwurf, triennio non introisse curiam (16,22,1), nachgestaltet wie auch implizit bestätigt wird.656 Des Weiteren tritt sogar Nero nach seinem frevelhaften Bad in der heiligen Aqua Marcia und aufgrund seiner daraus resultierenden Krankheit für einen Hauptprotagonisten erstaunlich lange in den Hintergrund. Denn während er unterdessen 651 14,22,3 bzw. 14,57,1; vgl. Morris (1969), S. 182. 652 14,15,5 bzw. 14,51,1; vgl. Morris (1969), S. 167 f. sowie S. 182. 653 14,57,1 bzw. 15,60,2; vgl. Römer (1999), S. 306, Morford (1990), S. 1608, und Morris (1969), S. 182: „Seneca is in power one moment, in danger the next.“ 654 14,65,2, 15,56,2, 15,45,3 bzw. 15,23,1; vgl. Heinz (1948), S. 40. 655 15,23,4 … praenuntiam imminentis caedis contumeliam excepisse. 656 15,23,4 bzw. 16,21,1; vgl. Koestermann (1968), S. 207 sowie S. 377, Wille (1983), S. 592, Martin (1990), S. 1572, Heldmann (1991), S. 217, Städele (1990), S. 122, Mayer (2010b), S. 288, Syme (1967), S. 556 f., und Pigón (1999), S. 210, sowie (2003), S. 146 bzw. S. 150.

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beim Aufstand der Boudicca in Britannien von Polyclitus vertreten wird, greift er selbst erst wieder anlässlich der überzogen harten Bestrafung von Pedanius Secundus’ Sklavenschaft aktiv in das Geschehen ein, wobei auf seinen angegriffenen Gesundheitszustand noch zwei Kapitel später explizit Bezug genommen wird – Nero aeger ualetudine (14,47,1).657 Obgleich Symes chronologische Bedenken hier durchaus berechtigt sind,658 berücksichtigen sie die dramatisierenden Darstellungsabsichten der betrachteten Passage zu wenig, dem Leser durch eine geschickte Erzählanlage eine gesundheitsbedingte Zurückhaltung des Prinzeps zu vermitteln, ihn allerdings zugleich über Schwere und Bedrohlichkeit der Krankheit in Verunsicherung erzeugender Unklarheit zu lassen. Diese Ungewissheit zusammen mit Neros nachstehender Handlungsabstinenz und zweier ablenkender Schauplatzwechsel nach Armenien sowie Britannien wecken und steigern die Besorgnis des Rezipienten um dessen Wohlergehen wie auch die attraktive Vorstellung eines verfrühten Endes von dessen blutiger Herrschaft.659 Dieser erwartet also aufgeregt das nächste hauptstädtische Ereignis mit kaiserlicher Beteiligung, das durch die Voranstellung zweier interessanter Eklats innerhalb der Senatorenschaft raffiniert bis zum Ende des Jahres 61 aufgeschoben wird, um das enthaltene Spannungspotenzial möglichst auszuschöpfen. Bei diesem narrativen Schema scheint mit Blick auf Neros Beispiel im Unterschied zu den voranstehenden sieben Fällen ein tödlicher Ausgang folglich keineswegs eine unausweichliche Konsequenz zu sein. Aufgrund dieser, wenn auch für ihn möglicherweise ernüchternden Ausnahme verbleibt dem Leser eine zwar minimale und bis zu einem gewissen Grad irrationale Hoffnung, dass auch andere sympathische Protagonisten überleben könnten. Doch schon dies vermag dessen Spannungsempfinden beträchtlich zu intensivieren und ihm einen Anreiz zu bieten, die Lektüre bis zum aufklärenden Handlungswiedereintritt der jeweils unerwartet verschwundenen Figur fortzusetzen. Fazit Die drei dargelegten narrativen Strategien, die von unvermuteten Unterbrechungen, plötzlichen Wendungen und ungeahnten Geschehensverläufen gekennzeichnet sind, durchziehen ineinander verwoben und sich wechselseitig ergänzend den Diskurs über Neros Prinzipat. Hierzu gehören erstens unmittelbar auf syntaktischer Ebene einer einzelnen Periode oder Szene operierende Elemente, die die Ereignisfolge durch Erzeugung einer überwiegend ausgeglichenen, kaum bedrohlichen Stimmung vor dem entscheidenden Vorkommnis zuerst retardieren. Dieses tritt anschließend abrupt, nahezu fugenlos sowie jeweils unvorhergesehen in einem subordinierten Satzteil ein, wodurch die bisherigen Umstände ebenso wie die vorherige Atmosphäre überraschend verkehrt werden und eine dramatische Entwicklung 657 14,22,4, 14,39,1, 14,45,2 bzw. 14,47,1; vgl. Classen (1988), S. 109. 658 Vgl. Syme (1967), S. 743 f. 659 Vgl. Anm. 547 (Kap. 2).

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en miniature, die von einer spannungsorientierten auktorialen Gestaltungsintention auch im Detail zeugt, schlagartig ihren Abschluss findet. Auf Basis des grundlegenden annalistischen Schemas, dessen inhaltliches Kategoriensystem eine variationsreiche, lebendige und spannungsvolle Darstellungsweise begünstigt, findet zweitens eine Schnitttechnik vortrefflich Anwendung, bei der teilweise die historische Exaktheit artifiziellen und affizierenden Aspekten untergeordnet zu sein scheint.660 Demgemäß dienen außenpolitische Berichte einerseits als kompositorische, phasenweise Abwechslung bietende Einlagen stadtrömischer Handlungslinien, deren gezielte Unterbrechung insbesondere Neugierde und Aufregung bezüglich der ausgesetzten, aufgeschobenen Ereignisse erweckt.661 Andererseits wird vor allem aus dem armenischen Kriegsgeschehen durch planvolle Zusammenlegung mehrerer Jahresberichte ein gleichwertiger, attraktiver Erzählstrang gebildet und gerade dann pausiert, wenn einer der beiden Konfliktparteien eine entscheidende militärische Niederlage bevorsteht.662 Um den dadurch verzögerten Ausgang der Auseinandersetzung zu erfahren, ist der interessierte beunruhigte Rezipient dazu angehalten, seine Lektüre über die dazwischen referierten hauptstädtischen Geschehnisse hinweg bis zur nächsten Berichterstattung aus Armenien fortzusetzen. Das Verhältnis innen- und außenpolitischer Episoden ist somit nicht einseitig, sondern von interdependenter Wechselseitigkeit geprägt, deren aufeinander abgestimmte Unterbrechungen sowie daraus resultierende Retardationen das textuelle Spannungs- und Leserbindungspotenzial wesentlich steigern. Unter verhängnisvollen Andeutungen und oftmals inhaltlich durch Rückzug ins Privatleben oder Krankheit motiviert werden drittens Protagonisten aus der Handlung ausgespart und verbleiben teils unkommentiert, teils unter zunehmender persönlicher Bedrohung für eine gewisse Zeitspanne im Hintergrund. Auf ihren plötzlichen Wiedereintritt folgt – abgesehen von Neros Fall – unmittelbar deren Ermordung. Neben manchen unheilvollen proleptischen Hinweisen wird der Rezipient also gerade durch ein auffälliges, unvorhergesehenes und weitgehend unerklärtes Verschwinden einzelner Figuren, das lediglich die Schilderung von deren sinistrem Schicksal aufschiebt, in aufgeregte Unwissenheit und Besorgnis versetzt. Angesichts der Überlagerung sowie komplexen Verschränkung mehrerer figurenbezogener Erzählstränge erstreckt sich die hierdurch hervorgerufene einnehmende Anspannung jedoch nicht nur bis zum Tod einer spezifischen Person, sondern wird ebenfalls als Beitrag zur langfristigen Leserbindung kontinuierlich aufrechterhalten.

660 Vgl. Graf (1931), S. 75, der diese Technik bereits als „gebrochene Linienführung“ bezeichnet, Koestermann (1965a), S. 27, Pausch (2011), S. 202–205, Martin (1981), S. 162, Morford (1990), S. 1604, Sage (1990), S. 983, und Morris (1969), S. 267. 661 Vgl. Pfordt (1998), S. 200, Hausmann (2009), S. 6 f., Woodman (2009), S. 41, McCulloch (1984), S. 59, Ginsburg (1981), S. 72, Graf (1931), S. 95, und Suerbaum (2012), S. 251, mit Verweis auf 6,38,1, 4,33,3 bzw. 16,16,1 sowie Kap. 2.7. 662 13,41,3 Eroberung Artaxatas, 14,26,1 Tigranes’ Ankunft bzw. 15,17,3 Paetus’ schändlicher Abzug; vgl. Allgeier (1957), S. 6 sowie S. 8 f., Martin (1981), S. 164, und demgegenüber Schmal (2011), S. 163.

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4.4.4 Phantasieanregende Erwähnungen irrealer Geschehensverläufe Geschicht(swissenschaft)licher Wert potenzieller Ereignisse „Das historische Faktum ist, linguistisch gesehen, an ein Privileg des Seins gebunden: Man erzählt, was gewesen ist; nicht, was nicht oder was zweifelhaft gewesen ist. Mit einem Wort, der historische Diskurs kennt keine Negation“,663 behauptet Barthes und verneint damit die Existenz einer irrealen Darstellungskomponente der Historiographie. Demzufolge ist das, „was wir in einem Lehrbuch der Geschichte lesen, […] eine historifizierte Alternative unter unendlich vielen historischen Verlaufsmöglichkeiten“,664 wie Suerbaum ausführt, ohne dass die wertvolle ursprüngliche Mannigfaltigkeit historischer Situationen in einem erzählenden Werk über vergangenes Geschehen auch nur ansatzweise erfasst werden kann. Daneben betont die gegenwärtige geschichtsphilosophische Diskussion allerdings auch, dass für eine profunde Kenntnis sowie ein ausgeprägtes Verständnis der Historie respektive für eine adäquate Würdigung der eingetretenen Ereignisfolge eine grundlegende Verschiebung des Betrachtungsfokus von den tatsächlichen auf potenzielle Vorkommnisse und Vorgänge essenziell ist, die durch eine abweichende Verhaltensweise lediglich einer Einzelperson unter speziellen Umständen hätten ausgelöst werden können.665 Da diese für eine hinreichende Bewertung des Geschichtsablaufs notwendigen historischen Handlungsmöglichkeiten einem späteren Bearbeiter sowie Rezipienten jedoch verborgen sind, urteilt Demandt, dass „zur Rekonstruktion der Historizität Phantasie unabdingbar, Gewißheit unerreichbar und Subjektivität unüberwindbar ist.“666 Damit orientiert sich die Wiederherstellung der Vergangenheit am Prinzip sorgfältiger Plausibilitätsprüfung, die an der teils reichlichen, teils dürftigen Faktenlage ansetzt, um daraus eine auf Realien basierende Erzählung mit fiktiven Elementen zu fingieren, deren ontologische Charakteristik der Gattung der antiken Historiographie ansteht.667 Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass sich in griechisch-römischen Geschichtswerken, wie im Übrigen auch im Epos, auktoriale Überlegungen bezüglich unterschiedlicher potenzieller Geschehenshergänge finden,668 die beim Leser 663 Barthes (1968), S. 177; vgl. Demandt (1986), S. 9: „Mutmaßungen über ungeschehene Geschichte sind in den historischen Wissenschaften verpönt. Erwägungen zu nicht eingetretenen Möglichkeiten, hypothetische Alternativen zum wirklichen Geschehen erscheinen als müßiges Gedankenspiel, als unseriöse Spekulation.“, S. 48 sowie S. 11–15 Einwände gegen eine solche Beschäftigung diskutierend. 664 Suerbaum (1997), S. 38. 665 Vgl. Demandt (1986), S. 16: „Das Nachdenken über vergangene Möglichkeiten erweitert unsere Kenntnis der Vergangenheit um Wißbares.“, sowie S. 38: „Wenn wir ungeschehene Möglichkeiten nicht konstruieren dürfen, können wir geschichtliche Wirklichkeit nicht konstruieren.“, und Suerbaum (1997), S. 49: „Ungeschehene Geschichte ist ein Spiegel der wirklichen Geschichte. Dieser Spiegel lässt das Bild der echten Geschichte in einem anderen Licht erscheinen, einmal heller, einmal düsterer.“ 666 Demandt (1986), S. 59. 667 Vgl. dazu Abschn. 1.3. 668 Vgl. Nesselrath (1992), S. 1–4, und mit Rekurs auf Aristoteles Suerbaum (1997), S. 38 f.

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den zentralen Handlungsfortgang punktuell retardierende, kognitiv involvierende und reizvoll weiterführende Reflexionen über den jeweiligen Sachverhalt initiieren. Als prominentes illustratives Beispiel aus der lateinischen Historiographie ist hierfür Livius’ ausführliche hypothetische Erwägung anzuführen, was wohl geschehen wäre, wenn Alexander der Große seinen Feldzug nach Westen gewandt hätte und es zwischen ihm sowie der noch jungen römischen Republik zur militärischen Konfrontation gekommen wäre.669 Obzwar die taciteische Berichterstattung einer vergleichbar umfangreichen Darlegung entbehrt, enthält sie, wie sich anlässlich Neros schwerer Erkrankung bereits zeigte,670 dennoch zahlreiche Passagen, die den Rezipienten direkt darauf aufmerksam machen oder ihm einen attraktiven Denkanstoß dazu bieten, dass die Geschichte beinahe einen anderen Verlauf oder einen differenten Ausgang hätte nehmen können.671 Ahistorische Handlungsoptionen während Neros Regime Indem ein indikativischer Ausdruck zur Bezeichnung eines Irrealis verwendet wird, der nach Klingner „kraftvoll die reale Erzählung mit dem Gedanken an die gerade noch vermiedene Möglichkeit vereint“,672 wird sogleich zu Beginn der neronischen Herrschaft deutlich, dass diese Frühphase wohl nicht zu dem später als quinquennium Neronis gepriesenen Zeitraum hätte werden können, wenn nicht Burrus und Seneca die staatlichen Geschicke gelenkt hätten.673 Obschon letztlich nicht zu beantworten ist, wie sich Neros Regentschaft ohne die beiden führenden Minister entwickelt hätte, erscheinen Spekulationen hinsichtlich etwaiger Alternativen dennoch für heutige wie auch zeitgenössische Rezipienten interessant. Ohne Burrus’ und Senecas Beteiligung hätte sicherlich Agrippina eine mächtigere Rolle im politischen Kabinett eingenommen und möglicherweise wären schon früher unerträgliche Missstände eingetreten, die zur unmittelbaren Absetzung des julisch-claudischen Kaiserhauses oder zu einem noch schlimmeren Blutvergießen im römischen Staat hätten führen können. Die exponiert an den Anfang des 13. Buchs gestellte hypothetische Auseinandersetzung mit der geschichtlich einzigartigen Position beider Minister hebt also nicht nur die spezielle Organisationsform der neronischen Regierung hervor. Vielmehr betont sie vor dem Hintergrund eventuell vorstellbarer Gegenentwürfe den für das Gemeinwohl förderlichen Erfolg sowie den positiven Effekt der vernünftigen Interventionen Senecas und Burrus’, denen es trotz aller Widrigkeiten gelang, die innenpolitische Lage zumindest für einige Jahre zu beruhigen und zu stabilisieren. 669 Liv. 9,17,1–19,17; vgl. Suerbaum (1997), S. 37 sowie S. 41 f., Pausch (2010a), S. 200 f., und ferner die hypothetische Überlegung, inwiefern C. Marius’ Existenz ein Vor- oder Nachteil für das römische Staatswesen war (Sen. nat. 5,18,4). 670 14,22,4; vgl. Abschn. 4.4.3. 671 Dies gilt für 13,2,1, 5,2, 38,2, 14,2,1, 4,4, 7,2, 22,4, 29,1, 15,10,2, 50,4 f., 51,2 f., 52,1–3, 55,4, 58,4, 59,1–4, 61,3, 65, 16,5,3. 672 Klingner (1955), S. 198. 673 13,2,1 ibatur in caedes, nisi Afranius Burrus et Annaeus Seneca obuiam issent.

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Vor allem dem Philosophen wird im Rahmen seines Amts eine spontane, situationsadäquate und einfallsreiche Problemlösekompetenz zugesprochen, mittels der er einige drohende Konflikte gerade noch verhindern kann. Dessen Eingreifen wird offenkundig, als er gegenüber der armenischen Gesandtschaft einen diplomatischen Affront abwendet, während die übrigen Anwesenden vor Angst handlungsunfähig sind,674 bei Neros versuchtem Inzest mit seiner Mutter geistesgegenwärtig die Freigelassene Acte für seine Zwecke instrumentalisiert675 und nach dem misslungenen Attentat auf Agrippina als hoffnungsvollster Berater des Prinzeps fungiert.676 Darin manifestiert sich zum einen Neros Unselbstständigkeit als wesentliches Charaktermerkmal, da dieser bei Gefahr zu keiner eigenen Lösungsfindung fähig sowie regelmäßig von fremder Unterstützung abhängig ist.677 Zum anderen wird der Rezipient in allen drei Fällen dazu angehalten zu erwägen, was passiert wäre, wenn Seneca nicht wie berichtet reagiert hätte, sodass „stets […] das Gedankenspiel zugrunde(liegt), wie leicht es doch hätte anders ausgehen können.“678 Ähnliche Überlegungen werden ferner durch den unglücklichen Vorfall um den zukünftigen Kaiser Vespasian bei den zweiten Neronia, der gerade noch ungestraft und mit dem Leben davonkommt, angestoßen.679 Ebenso führt die Erwähnung, dass Agrippina angeblich vor ihrem Aufbruch nach Bauli von einem Verräter davor gewarnt worden sei, den Seeweg zu benutzen, zu einer sinnfälligen Retardation des Mordgeschehens. Denn trotz unveränderlicher Umstände wird der Leser hier intuitiv zu einer phantasievollen Reflexion über die sich durch diese zusätzliche Information für Agrippina etwaig ergebenden Verhaltensoptionen angeregt, zumal sie ihrem fatalen Schicksal bei konsequenter Beachtung dieses Hinweises zumindest vorläufig selbstständig hätte entgehen können.680 Weitere die Dramatik steigernde, hypothetische Handlungsverläufe deuten außerdem die von Tiridates gegenüber Corbulo angewandte List, mittels der dieser in eine gefährliche Falle gelockt werden sollte,681 und Veranius’ übertriebene Ambitionen an, dass er, falls er nur zwei Jahre länger gelebt hätte, ganz Britannien unterworfen hätte.682 Hinzu tritt Caesen674 13,5,2 quin et legatis Armeniorum causam gentis apud Neronem orantibus escendere suggestum imperatoris et praesidere simul parabat, nisi ceteris pauore defixis Seneca admonuisset, uenienti matri occurreret; vgl. Billerbeck (1991), S. 2759. 675 14,2,1 iamque lasciuia oscula et praenuntias flagitii blanditias adnotantibus proximis, Senecam contra muliebres inlecebras subsidium a femina petiuisse, immissamque Acten libertam, …; vgl. Koestermann (1968), S. 25: „Als alles starr vor Entsetzen war, erwies sich wieder einmal Seneca geistesgegenwärtig der Situation als gewachsen.“ 676 14,7,2 quod contra subsidium sibi? nisi quid Burrus et Seneca? 677 Neben Seneca sind auch Poppaea (14,1,1 f. bzw. 14,61,2–4) und Anicetus (14,3,3 bzw. 14,7,5) Neros Nothelfer; vgl. Holztrattner (1995), S. 96. 678 Demandt (1986), S. 31. 679 16,5,3 ferebantque Vespasianum, tamquam somno coniueret, a Phoebo liberto increpitum aegreque meliorum precibus obtectum, mox imminentem perniciem maiore fato effugisse. 680 14,4,4 satis constitit extitisse proditorem, et Agrippinam auditis insidiis, an crederet ambiguam, gestamine sellae Baulos peruectam; vgl. Suerbaum (1997), S. 45, und Wilsing (1964), S. 113: „Die Verräternuance kompliziert und verfeinert sozusagen das Seelendrama, das einen ganz anderen Reiz bekommt, wenn Agrippina nicht ahnungslos in die Falle geht.“ 681 13,38,2 cuicumque mortalium, nedum ueteri et prouido duci, barbarae astutiae patuissent. 682 14,29,1 … subiecturum ei prouinciam fuisse, si biennio proximo uixisset.

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nius Paetus’ durchaus realistische Möglichkeit, die drohende militärische Katastrophe zu verhindern, wenn er an seinen eigenen oder fremden Plänen beharrlich festgehalten hätte.683 Darüber hinaus werden besonders während des Berichts über die Pisonische Verschwörung zahlreiche vielversprechende, die leserseitige Anspannung und Gefahr für Nero erhöhende, aber letztlich vergebliche Ansätze und Anlässe präsentiert, die zur zielführenden Umsetzung des Komplotts beziehungsweise Beseitigung des Prinzeps genügt hätten. Denn anfangs wäre Subrius Flavus in seinem Übereifer zwar bereit gewesen, Nero sogar während einer öffentlichen Bühnenvorstellung oder nachts im Kaiserpalast zu töten, wird jedoch von seinem eitlen Wunsch nach Straflosigkeit daran gehindert.684 Wäre es weiterhin Epicharis durch Volusius Proculus’ Mithilfe gelungen, die bei Misenum stationierten Flottenverbände für den Umsturz zu gewinnen, hätten die Erfolgsaussichten der Konspiration sicherlich zugenommen. Zugleich hätten die Pläne der Verschwörer allerdings sofort gänzlich zunichtegemacht werden können, wenn Epicharis dem Schiffskapitän unüberlegt deren Namen preisgegeben hätte.685 Unter dem vorgeschobenen Vorwand religiöser Skrupel, tatsächlich aber aus persönlichem Ehrgeiz durchkreuzt Piso die gute Gelegenheit, den Prinzeps, ohne Aufsehen zu erregen, bei einem von dessen häufigen Besuchen in Pisos Villa in der Nähe von Baiae zu ermorden, weil er daraufhin einen alternativen Verlauf der Verschwörung befürchtet, von dem L. Silanus oder auf Veranlassung des amtierenden Konsuls Vestinus ein anderer profitieren könnte.686 Selbst die Aufdeckung der Konspiration hätte um Haaresbreite verhindert werden können, wenn sich nicht Milichus’ Gattin energisch eingebracht hätte.687 Als ein Großteil der Konspiration sodann verraten ist, lässt sich der wiederum unentschlossene Subrius Flavus durch Faenius Rufus von einer einmaligen, spontanen und zielsicheren Aktion gegen den mit einem Verhör beschäftigten Kaiser just im Moment der beabsichtigten Tat abbringen.688 Auch hätte nach der enthüllenden Anzeige längst noch Hoffnung bestanden und der Putschversuch durchgeführt werden können, wenn die Teilnehmer des Komplotts sowie vor allem Piso und Faenius Rufus couragierter agiert hätten.689 Dadurch hätte Seneca überleben und angesichts seiner Schlüsselrolle in einer vermeintlichen Militärverschwörung sogar das neue Staatsoberhaupt werden können.690 683 15,10,2 qua tamen retineri castra et eludi Parthus tractu belli poterat, si Paeto aut in suis aut in alienis consiliis constantia fuisset. 684 15,50,4 f. et cepisse impetum Subrius Flauus ferebatur in scaena canentem Neronem adgre­ diendi, aut cum absente domo per noctem huc illuc cursaret incustoditus. …, nisi impunitatis cupido retinuisset, magnis semper conatibus aduersa; vgl. Koestermann (1968), S. 272, und Grethlein (2013), S. 156. 685 15,51,2 f.; vgl. Grethlein (2013), S. 157. 686 15,52,1–3; vgl. Grethlein (2013), S. 157. 687 15,55,4 …, ut labaret indicium, nisi Milichum uxor admonuisset …; vgl. Gärtner (1996), S. 148, und Koestermann (1968), S. 286. 688 15,58,4; vgl. Anm. 377. 689 15,59,1–4; vgl. Grethlein (2013), S. 158. 690 15,61,3 … non eo quo uenerat itinere redisse tribunum, sed flexisse ad Faenium praefectum et expositis Caesaris iussis an obtemperaret interrogauisse, monitumque ab eo ut exsequeretur,

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Jede dieser Beinahe-Episoden dokumentiert nicht nur das klägliche Versagen involvierter Personen, sondern vermittelt angesichts der Vielfalt an aussichtsreichen Chancen sowie oftmals leichtfertig vergebenen Interventionsmöglichkeiten die realiter enorme Gefährdung von Neros Leben und hinsichtlich der folgenden Fülle an Freveltaten sowie unschuldigen Opfern ein äußerst ernüchterndes, unbefriedigendes Gefühl eines tragischen Umsonst. Dieses entsteht unabhängig davon, ob es wirklich eine sinnvolle politische Alternative gab, über deren Beschaffenheit Grethlein und Müller ebenso zu Spekulationen angehalten sind wie der unbedarfte Rezipient.691 Dadurch werden unterhaltsame, den individuellen Lesefluss hemmende hypothetische Überlegungen bezüglich einer potenziellen Weiterentwicklung der Geschichte nach einem Tyrannenmord beispielsweise auf offener Bühne, bei Pisos Gastmahl oder im Verhörraum hervorgerufen. Zudem wird jedem Versuch prinzipiell eine Erfolgswahrscheinlichkeit zugebilligt und ein Gelingen des Komplotts bis zuletzt nicht ausgeschlossen, wie Hauser richtig feststellt.692 Die einzelnen Gelegenheiten sind also als zentrale spannungserhaltende wie auch -steigernde Impulse innerhalb eines breit angelegten, fesselnden Erzählstrangs anzusehen, die eine finale Auflösung des facetten- sowie wendungsreichen, undurchsichtigen konspirativen Treibens geschickt verzögern.693 Fazit Leserseitige Imaginationen abweichender historischer Geschehensverläufe werden von konkreten, häufig in Form irrealer Perioden präsentierten hypothetischen Ausführungen begünstigt, sind jedoch nicht ausschließlich an diese Gestaltungsweise gebunden. Sie werden gerade durch auf einen Spannungshöhepunkt vorbereitende Passagen vermehrt veranlasst, in denen drohende verhängnisvolle Ereignisse beinahe eintreten, bevorstehende Gefahren im letzten Moment abgewandt oder unerwartete, aussichtsreiche Hoffnungen unmittelbar vor ihrer Erfüllung vereitelt werden.694 Der intersubjektiv different empfundene Anreiz zu einer mentalen Einlassung auf und Auseinandersetzung mit geschichtlichen Optionen wird zwar unter anderem von der jeweiligen Thematik, der den betroffenen Figuren entgegengebrachten Sympathie, der historischen Plausibilität, den Erfolgschancen sowie der spezifischen Tragweite der dargelegten Beinahe-Episode beeinflusst und die erwogenen Vorstellungen stets durch die Berichte der tatsächlichen Vorkommnisse sowie deren Abläufe relativiert. Die gedankliche Formulierung alternativer Handlungslinien, die „die Gewißheit des Lesers in Bezug auf den – ihm in der Regel bekannten – Ausgang der Geschichte kurzfristig erschütter(n),“695 besitzt aber

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fatali omnium ignauia. bzw. 15,65 … tradereturque imperium Senecae, quasi insonti et claritudine uirtutum ad summum fastigium delecto. Vgl. Grethlein (2013), S. 159, und Müller (2003), S. 102. Vgl. Hauser (1967), S. 47. Vgl. Nesselrath (1992), S. 2. Vgl. Nesselrath (1992), S. 3 f. Pausch (2011), S. 201.

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dennoch ein einzigartiges Attraktivitäts- und Involvierungspotenzial, das den Rezipienten zu tiefer gehenden Reflexionen bezüglich des historischen Geschehens anregt sowie ergänzende erkenntnisförderliche Seitenblicke auf dieses eröffnet. Zudem bewirken diese narrativen Elemente durch ihr angedeutetes, aber letztlich nicht erfolgendes Eintreten bedrohlicher oder erhoffter Ereignisse Aufmerksamkeit sowie innere Unruhe erregende lokale Spannungsmomente. Ihre regelmäßige Positionierung und Kumulation während mitreißender Erzählstränge unterstreicht nicht nur deren enorme Brisanz und grundlegende Ergebnisoffenheit aus historischer Perspektive. Vielmehr wird der spezifische Fortgang und die angestrebte Aufklärung der eigentlich fokussierten Vorfälle durch diese kognitiv wie affektiv aktivierenden Einschübe retardiert. So tragen diese auf Basis ihres eigenständigen punktuellen Unterhaltungswerts zu einem „erhebliche(n) zusätzliche(n) Maß an Farbigkeit und Spannung“,696 einer kontinuierlichen Dramatisierung des Geschehens und einer langfristigen Rezipientenbindung bei. Damit sind die überwiegend im Erzählertext integrierten, konstatierend referierten Beinahe-Episoden schließlich als narratives Pendant zu den figurenbezogenen, zukunftsgerichteten Antizipationen virtueller Handlungsweitergänge zu erachten, die im nächsten Teilkapitel unter anderem aufzugreifen sind. 4.5 TECHNIKEN DER SPANNUNGSERZEUGUNG DURCH ANTIZIPATION 4.5.1 Unzuverlässige und inkonsistente Zukunftsvorstellungen Jeder engagierten Lektüre eines narrativen Texts unterliegt nach Martínez und Scheffel eine vermeintliche spannungsbezogene Paradoxie, da sich der Leser trotz seines rationalen Wissens, dass die Geschichte unter dem eigenen zeitlichen Blickwinkel notwendigerweise abgeschlossen sowie unveränderlich ist, dennoch gedanklich sowie emotional in die Agentenperspektive der Handlungsfiguren hineinversetzt und von deren Standpunkt aus das berichtete Geschehen als ergebnisoffen sowie durch individuelle Verhaltensweisen veränderlich beurteilt.697 Demgemäß ist das Augenmerk des Rezipienten, und zwar möglicherweise unter Suspendierung entsprechender Vorkenntnisse,698 ebenso wie dasjenige der historischen Protago696 Nesselrath (1992), S. 3, und vgl. Heldmann (2011), S. 40, sowie Grethlein (2013), S. 159: „The ‚sideshadowing‘ makes the narrative dramatic and restores presentness to the past.“ 697 Vgl. Martínez/Scheffel (2007), S. 119 f., Demandt (1986), S. 18: „Alle geschichtliche Vergangenheit war einmal menschliche Zukunft.“, und Wulff (1993), S. 99: „Die Verlaufsform einer Geschichte ist eine recht offene Menge möglicher Verläufe, zum ‚guten‘ oder zum ‚schlechten‘ Ende hin orientierbar, durch die Einführung neuer informationeller Elemente jederzeit um neue Verlaufsalternativen erweiterbar usw.“ 698 Vgl. Anm. 19, demgegenüber inkorrekt Seel (1937), S. 41: „Schon daß Tacitus den Leser Schritt für Schritt zu einem ‚Wissenden‘ macht, daß er jegliche Überraschung und Spannung planmäßig von vornherein ausschließt, daß er sogar eine gewisse Kenntnis des Berichteten beim Leser bereits voraussetzt […], all das macht seine Technik zum schroffsten Gegensatz dramatischer Kunst.“, und dazu bereits kritisch Koestermann (1943), S. 159.

4.5 Techniken der Spannungserzeugung durch Antizipation

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nisten auf die Zukunft gerichtet. Deren Verlauf wird anhand von internalisierten subjektiven Vorerfahrungen und Vorstellungen, heterogen verteilten Informationsständen intradiegetischer Personen beziehungsweise auf Basis von konkreten oder mehrdeutigen textinhärenten Ankündigungen hypothetisch antizipiert.699 Diese geistig vorausblickende Erwartungshaltung evoziert beim Leser ein lustvolles Spannungsempfinden, das gerade durch das Aufeinandertreffen zukunftsungewisser, konkurrierender und auf unterschiedliche Figuren fokalisierter Perspektiven gesteigert wird. Deren Integration ruft nicht nur, wie unter dem Aspekt der Multiperspektivität erläutert, eine kognitiv aktivierende statische Spannung in Bezug auf die Rekonstruktion eines vergangenen Ereignisses hervor.700 Vielmehr wird der Rezipient aus der geschichtlichen Situation heraus zur mentalen Vorwegnahme und Modellierung differenter optionaler Geschehensweitergänge veranlasst, die aufgrund möglicherweise protagonistenspezifischer Blickwinkel auch von der historischen Realität abweichen können. Ein derartiges Involvierungspotenzial bergen insbesondere alle zukunftsbezogenen gedanklichen sowie lautlichen Äußerungen von Handlungspersonen und -gruppen, die bereits vollständig indiziert wurden.701 Im Folgenden ist deren Beitrag zu einer antizipatorischen Spannungserzeugung sowie virtuellen Geschichtsschreibung anhand einiger thematisch gruppierter Beispiele auszuführen.702 Divergierende Schlachtappelle Als wiederkehrende prototypische Gelegenheiten für zwei konträre Zukunftsvisionen sind Feldherrnreden vor bedeutungsträchtigen militärischen Auseinandersetzungen zu erachten, in denen die Anführer der sich gegenüberstehenden Parteien jeweils die größten Siegesaussichten für das eigene Heer proklamieren. Dies veranschaulichen Boudiccas und Suetonius Paulinus’ Ansprachen, deren divergente Vorannahmen über den unmittelbar bevorstehenden Schlachtverlauf situationsbedingt vehement aufeinanderprallen und sich notwendigerweise gegenseitig ausschlie699 Vgl. Pfister (2001), S. 145: „Das Spannungspotential ist in seiner Intensität auch von der Zahl und Pointiertheit der zukunftsorientierten Informationen abhängig, von denen die Figuren und die Rezipienten in ihrer antizipierenden Hypothesenbildung ausgehen können. Solche zukunftsorientierte Informationsvergabe bieten explizit ankündigende Planungsreden, Schwüre, Prophezeiungen und Träume und implizit andeutende atmosphärische und psychische Omina.“, Langer (2008), S. 24 f., Gerrig (1989a), S. 279: „When we read a text – fiction or non-fiction – we actively make predictions about possible courses the plot might take, but these predictions are based only on generic knowledge: the types of events that usually happen.“, Wenzel (2004), S. 182: „Einfacher formuliert heißt dies, dass Spannung aus offenen Fragen nach dem Fortgang einer Geschichte resultiert.“, und Ackermann (2008), S. 44: „Unter suspense-Spannung verstehe ich kurz gefasst die gedankliche Vorwegnahme eines künftigen Ereignisses, dessen Eintreffen oder Nichteintreffen mit Bangen und Ungeduld erhofft oder befürchtet wird.“ 700 Vgl. v. a. Kap. 3.3 und ebenfalls Pausch (2011), S. 237. 701 Vgl. dazu Abschn. 2.5.2 bzw. Kap. 3.4 mit Anhangstabellen 5 bis 7. 702 Vgl. Pausch (2011), S. 237, Surkamp (2000), S. 117, und Fludernik (2006), S. 41.

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ßen.703 Zugleich erscheint für den Leser einerseits angesichts Boudiccas vorangehender Erfolge, die sie in ihrer Rede explizit benennt, andererseits aus patriotischer Sympathie sowie Hoffnung mit den römischen Truppen und zudem aufgrund der hypothetischen Plausibilität der beiden vorgestellten Varianten der Ausgang des Gefechts vorab unentschieden und spannungsvoll. Ferner wird dem Rezipienten durch die enge zeitliche wie auch textuelle Kontiguität der Reden und des Kampfreferats ein direkter Abgleich der verschieden skizzierten Handlungsweitergänge untereinander sowie ebenfalls mit dem wirklichen Schlachtablauf und -ende ermöglicht. Dieser legt die Diskrepanzen zwischen den subjektiv geprägten Ansichten der zwei Heerführer sowie deren etwaige Fehleinschätzungen der Lage im Anschluss dar.704 Indem außerdem Corbulo nach Caesennius Paetus’ desaströser Niederlage auf die zuvor mögliche, aber hierdurch vereitelte Gelegenheit einer völligen Besiegung der Parther hinweist, eröffnet er punktuell eine besonders attraktive Zukunftsperspektive. Während Paetus diese weiterhin für realisierbar hält und Corbulo zu einem entschlossenen, gemeinsamen Schlag gegen die Parther auffordert, lehnt dieser ein solches Vorgehen angesichts eines erhöhten Eigenrisikos wegen des akuten Fehlschlags sowie der damit vergebenen Chance zum vorliegenden Zeitpunkt ab.705 Damit treten nicht nur die auf die persönlichen Blickwinkel der Feldherrn eingeschränkten, heterogenen Beurteilungen der strategischen Situation in den Vordergrund, sondern dem Leser wird zumindest kurzzeitig eine äußerst reizvolle Aussicht auf einen potenziellen Geschehensweitergang präsentiert. Auch wenn dessen Virtualität hinsichtlich Paetus’ strategischem Versagen sowie Corbulos dezidierter Weigerung, sogleich in eine Gegenoffensive überzugehen, deutlich wird, spiegelt deren referierte Unterredung dennoch unverkennbar die Ergebnisoffenheit des geschichtlichen Moments wider, in welchem die Akteure durch ihr Verhalten und ihre Entscheidungen den Verlauf der Historie unmittelbar beeinflussen können. Mittels mentaler Perspektivenübernahme empfindet der Rezipient diese prinzipielle, zukunftsgestaltende Handlungsfreiheit nach und wird demgemäß zu eigenen erfahrungsbasierten Vermutungen oder sogar imaginierten hypothetischen Aktionen verleitet. Dies vergegenwärtigt ihm zum einen die vergangenen Ereignisse, zum anderen kann er in eine aufgeregte Erwartungshaltung bezüglich einer Übereinstimmung der von ihm geistig angenommenen und der darauffolgend berichteten geschichtlichen Vorkommnisse versetzt werden.706

703 14,35,1–36,2; vgl. auch Koestermann (1968), S. 95: „Mit der schnöden Aufforderung […], die die Rede effektvoll und zugleich bereits in die Zukunft weisend beschließt, versucht die Königin, das Letzte aus ihren Mannen herauszuholen.“ 704 Vgl. Levene (2009b), S. 230, Pausch (2010a), S. 193 sowie S. 195, und (2011), S. 239. 705 15,17,1 f. mit Anm. 170 (Kap. 3). 706 Vgl. Grethlein (2013), S. 15: „Readers face the same openness of the action as the characters, and like them are forced to conjecture about its further development and then find their expectations confirmed or disappointed by its outcomes. Used in historical narrative, ‚sideshadowing‘ makes the past present again.“

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Aufforderungen zum aktiven Widerstand Meist anlässlich besonderer Bedrohungszustände werden an einzelne Protagonisten adhortative Reden, die regelmäßig alternative Zukunftsvorstellungen explizieren, gerichtet, um diese zu einer finalen Gegenwehr und zu einem energischen Vorgehen zu ermuntern. Dies wird beispielsweise anhand L. Antistius’ Appell an seinen Schwiegersohn Plautus, der sich zwar auf Neros Geheiß schon auf seine Besitzungen in Asien zurückzog, zu dem aber aufgrund Tigillinus’ andauernder Anfeindungen nun ein Ermordungskommando unterwegs ist, evident.707 Denn Plautus wird von seinem Schwiegervater zu einem aktiven und offenen Aufbegehren gegen die Willkür des Kaisers und gegen sein fatales Schicksal ermahnt. Seine angeblichen Beziehungen zu Corbulo, die ihrerseits bereits unüberhörbar auf dessen spätere Gefährdung unter dem Prinzeps vorausweisen, und die Sympathien, die ihm von den östlichen Provinzen vermeintlich entgegengebracht werden, schreiben einem derartigen Versuch durchaus beachtliche, realistisch wirkende Erfolgschancen zu. Antistius’ Ausführungen konkretisieren sich sogar schon in einem Widerstandsplan, der dem Rezipienten einen möglichen künftigen Geschehensverlauf expressis verbis aufzeigt. Dieser hält ihn in Erinnerung an historische Auseinandersetzungen zwischen Anführern westlicher und östlicher Reichsteile wie bei den denkwürdigen Schlachten von Pharsalos und Philippi zur mentalen Vorwegnahme dieses verlockenden Gedankenganges an und lässt ihn eine mitreißende direkte Konfrontation zwischen zwei mächtigen Kontrahenten antizipieren. Die durch diese Illusion kurzweilig inszenierte, in Plautus’ gegenwärtigem Gutdünken liegende Auflehnung gegen Neros skrupellose Herrschaft induziert somit aufseiten des Lesers eine packende Hoffnung auf dessen etwaige zeitnahe Absetzung sowie eine erwartungsvolle Anspannungshaltung, welche in Anbetracht von Plautus’ tatsächlicher resignierter Reaktion abrupt und ernüchternd relativiert wird.708 Angesichts seiner bevorstehenden Anklage vor dem Senat werden daneben Thrasea Paetus hypothetisch und prospektiv zwei unterschiedliche Verhaltensweisen von seiner Anhängerschaft angeraten sowie kontrovers diskutiert. Die einen fordern von ihm einen beherzten, kämpferischen Auftritt in der Kurie und messen diesem die Aussichten bei, sich entweder behaupten zu können oder zumindest ruhmreich zu sterben. Die anderen erwägen hingegen die möglicherweise entwürdigende Situation, sich den Beschimpfungen der Delatoren auszusetzen wie auch dem Urteil der servilen Senatoren auszuliefern und zugleich dieses Gremium mit einem unlösbaren Gewissenskonflikt zu konfrontieren sowie mit einer solchen Schuld zu beladen.709 Indem Thrasea selbst seinen Entschluss aufschiebt und für sich behält – ceterum ipse, an uenire in senatum deceret, meditationi suae reliquit (16,26,5) – und daraufhin ein Szenenwechsel erfolgt, werden beide Handlungsoptionen ergebnisoffen vorläufig der zukunftsungewissen und reizvollen Vorstellung des Lesers überlassen. Angesichts der in früheren Episoden offenbarten, 707 14,22,3, 14,57,1–3 bzw. 14,58,1–4; vgl. auch Koestermann (1968), S. 140. 708 14,59,1 f.; vgl. hierzu analog z. B. die Aufforderungen an Piso zur letzten Gegenwehr in 15,59,1–3. 709 16,25,1–26,3; vgl. dazu Koestermann (1968), S. 388.

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durchweg oppositionellen sowie furchtlosen Haltung Thraseas weicht der nachfolgende wirkliche Ereignishergang, als Thrasea den Befehl zum Suizid nahezu widerstandslos entgegennimmt, von dem a priori imaginierten enorm ab und resultiert in einem anregenden Überraschungseffekt. Gleichwohl erscheint dessen Entscheidung, auf eine persönliche Verteidigung vor der Senatorenschaft zu verzichten und deren moralische Gesinnung nicht zu erproben, unter Berücksichtigung des für diese Körperschaft ebenso wie für den gesamten Staat äußerst schmachvollen Schauprozesses, der zu Barea Soranus’ Verurteilung führt, a posteriori als weltanschaulich sowie gesellschaftlich weitsichtig.710 Missglückende Bestrebungen Nach Pfister und Demandt bildet darüber hinaus gerade die Implikation genuiner Planungsreden sowie detaillierter Schilderungen von Plänen spezifische Zukunftsvorstellungen von Individuen oder Kollektiven ab. Diese erzeugen nicht nur durch die Vorwegnahme eines potenziellen Handlungsverlaufs Spannung, sondern, falls dieser den geschichtlich eingetretenen Vorkommnissen widerspricht, auch unvorhergesehene, kognitiv aktivierende sowie aufmerksamkeitssteigernde Dissonanzen.711 Ein prominentes Exempel stellt Neros Vorhaben einer Theatertournee durch Griechenland dar, als deren Ausgangspunkt er die Stadt Neapel wählt, um von dort aus zu seiner Reise aufzubrechen und seine unschickliche Absicht umzusetzen.712 Aufgrund der eifrigen Anfänge sowie der Tatsache, dass sich der Kaiser selbst durch den Einsturz des neapolitanischen Theaters nicht von seiner fanatischen Idee abbringen lässt, ist vom Rezipienten eine zeitnahe Verwirklichung des weiteren Plans anzunehmen. Zudem wird diese durch die Einlage von Vatinius’ bezeichnender Charakteristik, einem Bericht über dessen Nero erheiternde Gladiatorenspiele wie auch Silanus’ Torquatus’ Verurteilung gekonnt aufgeschoben und die leserseitige Erwartungshaltung gesteigert.713 Zumindest für die Gegenwart wird im Anschluss jedoch unverhofft und ohne Angabe weiterer Gründe die Aufgabe dieses Vorhabens erwähnt, sodass dieser Erzählstrang für den Rezipienten überraschend unterbrochen und die Anspannung bezüglich dessen unbestimmter Fortsetzung, die im überlieferten Teil der Nerobücher nicht mehr tradiert ist, aufrechterhalten wird.714 710 Vgl. Müller (2003), S. 272. 711 Vgl. Pfister (2001), S. 145: „Gerade aus dem Wissen um Pläne und mögliche Hindernisse ergibt sich jene partielle Informiertheit in bezug auf die folgenden Handlungssequenzen, die wir als Grundbedingung für den Aufbau eines Spannungspotentials bezeichnet haben.“, Demandt (1986), S. 49: „Alle unverwirklichten, aber irgendwie gefaßten und noch faßbaren Pläne, Projekte und Programme sind historisch interessant, doch hängt ihre Plausibilität an dem Reifegrad, den sie erreicht haben, und an den Rahmenbedingungen, die zu ihrer Realisierung hätten erfüllt sein müssen.“, Suerbaum (1997), S. 44 sowie S. 48, und zur besonderen Funktion von Plänen bei Polybios Miltsios (2009), S. 494 sowie S. 498. 712 15,33,2. 713 15,33,3–35,3. 714 15,36,1; vgl. Heldmann (2013), S. 348, und auch Anm. 363 (Kap. 2) sowie Anm. 759.

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Nach ersten zur Handlungsretardation einbezogenen Unstimmigkeiten zwischen den Konspiranten hinsichtlich eines adäquaten Vollzugs des Mordvorhabens an Nero wird der definitive Plan der Pisonischen Verschwörung en détail präsentiert. Dieser strukturiert das nachstehend scheinbar anzunehmende Geschehen verheißungsvoll vor und macht den beabsichtigten Ablauf des Komplotts bereits virtuell sowie mit potenzieller Erfolgsaussicht antizipierbar.715 Doch verhindert schon im unmittelbar darauffolgenden Abschnitt Scaevinus’ vermeintliche Unvorsichtigkeit ein planmäßiges Vorgehen, sodass Vorsatz und Wirklichkeit erkennbar voneinander abweichen und die Berichterstattung über die historisch fassbaren Ereignisse der Konspiration zur Geschichte eines weitreichenden fatalen Scheiterns wird – magna moles et improspera (14,65,2). Die weiteren Vorkommnisse stehen in kurzweiligem Kontrast zur vorherigen, offenbar unzuverlässigen Zukunftsvorstellung der Konspiranten und bergen damit eine zwar unvorhergesehene, jedoch ansprechende sowie aufregende Handlungsentwicklung mit zahlreichen Überraschungsmomenten. Denn unter anderem missglückt ein angedachter Putschversuch nicht nur nicht, sondern wird tatsächlich nicht einmal erstrebt und die zuvor allzu geschwätzige Epicharis bricht ihr Schweigen beim Verhör zwar nicht, aber Natalis und Scaevinus unter Androhung der Folter zusammen. Schließlich wird der Randfigur des Freigelassenen Milichus, ohne dass dessen Beweggründe letztlich ersichtlich werden, die zentrale Rolle bei der Aufdeckung der Verschwörung zuteil.716 Weder das Vorhaben der Konspiranten, Neros Griechenlandtournee noch das von Anicetus arrangierte Schiffsattentat717 kommen also über das Planungsstadium beziehungsweise erste Ansätze hinaus und erreichen ihr Ziel nicht, sodass Pläne offenbar vorrangig zur hypothetischen Antizipation eines künftigen Geschehens sowie bewusst zur spannungserregenden imaginären Irreführung des Rezipienten eingesetzt werden. Dass der a priori suggerierte Handlungsweitergang jeweils deutlich von den historischen Vorfällen differiert, kann dabei mit Überraschungseffekten einhergehen, auf denen bei der Schilderung von Britannicus’ Vergiftung der Hauptakzent liegt, da die Narration des vorgefassten Plans, der als einziger in den Nerobüchern gelingt, mit dessen Ausführung koinzidiert.718 Fazit Auf unterschiedliche Figuren fokalisierte, zukunftsbezogene Passagen entfalten als textuelle Ausdrücke der subjektiven Auseinandersetzung einzelner Personen mit einem bevorstehenden, häufig bedrohlichen Ereignis ein eigenes Spannungspotenzial.719 Unter Ausblendung des historischen Vorwissens und durch kognitive Übernahme zeitgenössischer protagonistenspezifischer Perspektiven auf das Geschehen erlebt der Rezipient nämlich die vom aktuellen Erzählstand aus in der Zukunft lie715 716 717 718 719

15,53,1–3. 15,54,1–59,5. 14,3,3 und vgl. dazu auch Abschn. 4.5.2. 13,16,2 mit Abschn. 3.2.1. Vgl. Junkerjürgen (2002), S. 62.

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genden Vorkommnisse trotz ihrer geschichtlichen Abgeschlossenheit als lediglich bedingt vorhersehbar, durch gegenwärtige Entscheidungen sowie Handlungen der Akteure unmittelbar beeinflussbar und somit im Wesentlichen als ergebnisoffen. Dadurch wird er aus historischer Position zur unterhaltsamen individuellen Hypothesenbildung bezüglich der Ereignisfolge und unter variierendem subjektiven Blickwinkel zur kognitiv aktivierenden Vorwegnahme differierender virtueller Zukunftsmodelle angeregt, die der sukzessiven Informationswiedergabe gemäß kontinuierlich zu adaptieren, zu verändern oder zu ergänzen sind.720 Dieser anspruchsvolle sowie involvierende Antizipations- und Revisionsprozess ermöglicht es, manche im Rückblick unverständlichen Verhaltensweisen oder Entwicklungen nachzuvollziehen oder erst zu erkennen und adäquat zu beurteilen, weshalb diese narrative Technik eng mit der Schaffung eines geschichtlichen Problembewusstseins sowie der Förderung eines tieferen Verständnisses für die historischen Gegebenheiten einhergeht und damit implizit von didaktischer Bedeutung ist.721 Zudem kann diese Form virtueller Geschichtsschreibung dadurch, dass regelmäßig alternative Geschehensverläufe extrapoliert werden, und insbesondere, falls diese nicht mit dem historischen Vorwissen des Rezipienten kongruieren, zu dessen zeitweiliger Verunsicherung bezüglich des tatsächlichen geschichtlichen Hergangs und zu einer Erhöhung der ‚Wie-Spannung‘ führen.722 Die Diskrepanzen zwischen vorab erzeugter Vorstellung sowie später berichteter Realität schärfen durch den implizierten Abgleich ferner die leserseitige Aufmerksamkeit für alle wirklichen Vorfälle und deren kritische Reflexion. Durch unsystematische Variation von Erfüllung sowie Abweichung der regelmäßig im Voraus etablierten Erwartungen ist der Ereignisablauf für den Rezipienten außerdem intransparent und undeterminiert. Dessen Lektüreempfinden steht also abschnittsweise der realen Erfahrungswelt der Figuren, die von unzureichender Planungssicherheit sowie unvorbereiteten Schicksalsschlägen geprägt ist, besonders nahe.723 Somit wird eine langweilige Handlungsmonotonie vermieden und stattdessen werden plötzliche Wendungen sowie Überraschungseffekte bewirkt.724 Subjektiv fokalisierte, zukunftsorientierte Gedanken und Reden fungieren folglich gewissermaßen als narrative Elemente einer bewussten, temporären Irreführung des Lesers, die durch ihre hypothetische Realisation in späteren Erzählinhalten einen wesentlichen Beitrag zur Spannungserzeugung leisten.725 Dies kann zusätzlich durch die geschickte Generierung eines Informationsungleichgewichts begünstigt werden, wie nachstehend zu zeigen ist.

720 721 722 723 724

Vgl. Pausch (2010a), S. 197 sowie S. 199, und (2011), S. 242. Vgl. Pausch (2010a), S. 200 f., und (2011), S. 248. Vgl. Pausch (2010b), S. 42 f., Wulff (1993), S. 98, und Langer (2008), S. 24 f. sowie S. 27. Vgl. dazu auch Nesselraths erwähnenswerte Deutung (1992), S. 94. Vgl. Morris (1969), S. 267: „The Annales appeal simultaneously to our emotions of anticipation and surprise.“ 725 Vgl. Pausch (2011), S. 245 f.

4.5 Techniken der Spannungserzeugung durch Antizipation

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4.5.2 Fesselnde Diskrepanz der Informationsstände Neben der Anregung zur inhaltsbezogenen Antizipation potenzieller Ereignisse implizieren die heterogenen Fokalisierungen des Geschehens unterschiedliche, individuell nuancierte Wissensstände der Protagonisten. Ihre personenübergreifende Kenntnis und die erläuternde auktoriale Kommentierung sind dem Rezipienten aufgrund der weitreichend olympischen Erzählhaltung und seiner privilegierten extradiegetischen Position vorbehalten.726 Gewissermaßen komplementär zum leserseitigen Informationsdefizit einer retardierenden Rätselspannung, bei der spezielle Handlungsdetails und -hintergründe für die damals beteiligten Akteure transparenter als für den retrospektiv betrachtenden Rezipienten sind, können die Möglichkeit einer umfassenden Mitsicht und eine entsprechende narrative Vermittlung aller figurenbezogenen Überlegungen, Gefühle sowie Äußerungen diesem einen Informationsvorsprung gegenüber den historischen Personen verschaffen. Dieser versetzt ihn in die Lage, deren Verhaltensweisen vor einem umfangreichen Hintergrund rückblickend multiperspektivisch zu bewerten, und lässt ihn insbesondere einzelnen Protagonisten bevorstehende Vorkommnisse und drohende Gefahren bereits erkennen, bevor diese von jenen überhaupt erahnt oder wahrgenommen werden können. Im Gegensatz zur Unvoreingenommenheit und Sorglosigkeit, mit der die Akteure aufgrund ihres subjektiv beschränkten Kenntnisstands ihrem weiteren Schicksal begegnen, wird der Leser also schon frühzeitig in bekümmerte Aufregung bezüglich der für ihn absehbaren Vorfälle versetzt, sodass er um die jeweiligen Protagonisten bangt und darauf hofft, dass diese ihr imminentes Unheil noch rechtzeitig bemerken und diesem entgehen werden.727 Da dieses auf den Erzählweitergang gerichtete Spannungspotenzial einer differenten Informationsvergabe eine kontinuierlich aufzufindende, phänomenologische Komponente der Figurenfokalisierung sowie vor allem zukunftsorientierter Blickwinkel darstellt, soll diese ergänzende Verlaufsspannungsfacette prototypisch zuerst anhand eines bekannten, daraufhin mittels zweier weiterführender Beispiele exemplifiziert werden. Antipodische Erkenntnisprozesse Obgleich die Vorgänge im Rahmen der Pisonischen Verschwörung, wie Tacitus selbst konzediert, von Anfang an undurchsichtig und nur ansatzweise greifbar erscheinen,728 wird der Rezipient zu deren Beginn zum einen ausführlich über die Beteiligten und teilweise auch über die persönlichen Motive, die sie zu ihrem Engagement veranlassten, in Kenntnis gesetzt. Zum anderen werden ihm Epicharis’ Versuch, die bei Misenum stationierten Flottenverbände für einen Putsch zu gewinnen, sowie zur Retardation die verworfenen Beseitigungsvorhaben sowie zur Anti726 Vgl. Pfister (2001), S. 143: „Spannung realisiert sich also immer im ‚Spannungsfeld‘ von Nichtwissen und antizipierter Hypothese aufgrund gegebener Informationen.“ 727 Vgl. Junkerjürgen (2002), S. 15 sowie S. 25, Wenzel (2004), S. 182, Pagán (2004), S. 22, und Bal (1997), S. 160 f. 728 15,49,1 bzw. 15,73,2; vgl. Pagán (2004), S. 77 sowie S. 86, und Anm. 236 f. (Kap. 3).

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4. Textinhärente Strategien der Leseraktivierung

zipation der schließlich beschlossene Mordplan referiert.729 Damit wird der Leser selbst zum tief involvierten und verhältnismäßig wohlinformierten Teilnehmer der Konspiration, die gemäß ihrer geheimnisvollen und obskuren Atmosphäre bei den Beteiligten offensichtlich überaus komplexe wie diffuse Wissensstände, Nebenabreden und zusätzliche Bündnisse aufweist. Dementsprechend besitzt zum Beispiel die Freigelassene Epicharis unerklärlicherweise substanzielle Kenntnisse, Natalis sind angeblich weitergehende Einblicke als anderen Verschwörern zu eigen und Scaevinus ergänzt dessen Geständnis zwar sogar noch, erwähnt aber dennoch scheinbar nicht die Existenz einer gesonderten militärischen Konspiration, sodass über diese lediglich gerüchteweise gemutmaßt werden kann.730 Zum Wissensniveau aller Teilnehmer konträr ist allerdings selbstverständlich der Informationsstand Neros und des kaiserlichen Zirkels gestaltet, die erst durch Milichus’ Verrat sowie Denunziation Hinweise auf das beabsichtigte Komplott erhalten,731 wodurch gewissermaßen ein Strategiewechsel bezüglich der textuellen Spannungserzeugung einsetzt. Konnte sich der Rezipient nämlich zuvor unter Ausblendung seines geschichtlichen Vorwissens auf Basis der vorbereitenden Planungen einen möglicherweise erfolgreichen Umsturzversuch geistig vorstellen, treibt im Anschluss an Milichus’ Anzeige Neros Bestreben, sein bisheriges Informationsdefizit hinsichtlich der konspirativen Vorgänge zu beseitigen, die Handlung durch intensive Untersuchungen, erbarmungslose Verhöre, verleumderische Beschuldigungen und erzwungene Tode voran.732 Während die leserseitige Erwartung, dass das Attentat letztlich noch gelingen könnte, also mit Beginn der Aufdeckungsmaßnahmen sukzessive schwindet, nimmt zugleich aufgrund dessen Kenntnis der hierdurch gefährdeten Personen dessen Besorgnis und Furcht um deren bedrohtes Leben zu, was ansatzweise bereits vor deren erster Nennung durch die Unglück verheißende Ankündigung in den letzten Worten des 14. Buchs angelegt ist.733 Dennoch besteht prinzipiell bis zuletzt die Hoffnung und wird durch einzelne Ausnahmen aufrechterhalten, dass zumindest einige Angeklagte wie Lukans Mutter unbeschadet übergangen, wie Gavius Silvanus freigesprochen oder wie Natalis und Proculus, wenn auch zu Unrecht, so dennoch straflos davonkommen können.734 Die durch den Informationsvorsprung des Rezipienten gegenüber Nero und seinen Anhängern erregte innere Aufregung hinsichtlich der bevorstehenden Gefährdung der zur Pisonischen Verschwörung gehörenden Personen tritt also additiv zur spannungsvollen virtuellen Antizipation zukünftiger Geschehensverläufe hinzu und löst diese mit fortschreitender Aufklärung des Komplotts sogar schrittweise ab. Demgegenüber begleiten die bereits aufgezeigten enigmatischen Elemente diese 729 15,48,1–53,4 mit Abschn. 4.4.4 bzw. Abschn. 4.5.1. 730 15,51,1 … Epicharis quaedam, incertum quonam modo sciscitata …, 15,56,2 … Natalis, totius conspirationis magis gnarus, …, 15,56,3 … Scaeuinus …, an cuncta iam patefacta credens nec ullum silentii emolumentum, edidit ceteros. bzw. 15,65 fama fuit Subrium Flauum cum centurionibus occulto consilio, …; vgl. Koestermann (1968), S. 288, und Schmal (2008), S. 120. 731 15,54,1–55,1. 732 15,55,2–70,2. 733 14,65,2 …, et orta insidiarum in Neronem magna moles et improspera. 734 15,71,1–5 mit weiteren personellen Beispielen.

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Episode fortwährend,735 sodass sich aus dem Zusammenwirken dieser differenten narrativen Techniken ein singuläres, den Leser fesselndes Spannungsempfinden ergibt. Ohnmächtige Betrachterposition Indem der Rezipient Poppaeas adhortativem Appell an Nero, dessen konkreten Erwägungen bezüglich der Wahl einer für Agrippina geeigneten Ermordungsmethode und letztlich vor allem Anicetus’ Vorschlag, diese mittels eines inszenierten Schiffbruchs zu beseitigen, beiwohnt,736 erwartet er nicht nur aufgeregt die Umsetzung dieses geplanten Attentats. Vielmehr steht seine Wohlinformiertheit in scharfem Kontrast zur fatalen Leichtgläubig- und Ahnungslosigkeit der Kaisermutter. Denn bedingt diese Diskrepanz der Kenntnisstände schon Agrippinas Entscheidung, der Einladung ihres Sohnes zu einem angeblichen Aussöhnungsgespräch unbedarft zu folgen, wird die darauf basierende Handlungsdramatik insbesondere durch den explizit geschilderten Anblick eines auffällig geschmückten Schiffs, das nach Agrippinas Meinung ihr zu Ehren vorbereitet ist, gesteigert.737 Hinzu treten deren Verachtung der zwischenzeitlichen Warnung vor einem Anschlag bei der Rückreise von Bauli738 und speziell die arglose Naivität von deren Begleitern nach dem Gastmahl, welche zugleich das überzeugende Verstellungsvermögen des Prinzeps unterstreicht.739 Diese einfältige Unvorsichtigkeit, mit der die Kaisermutter zielstrebig auf ihr Verderben zusteuert, spiegelt einerseits die realen Grenzen ihrer subjektiven Wahrnehmung sowie ihres Wissens deutlich wider. Andererseits evoziert sie beim auf das drohende Unheil vorausblickenden Rezipienten ein aus emotionaler Anteilnahme resultierendes Verlangen, die sorglos agierende Figur auf die ihr bevorstehende Gefahr hinzuweisen sowie metaleptisch im Geschehensablauf zu intervenieren. Der informierte, auf die ohnmächtige Zuschauerrolle beschränkte Leser wird also in einen inneren Unruhezustand sowie in eine konzentrierte, kurzweilige Anspannungshaltung versetzt, in der er um Agrippinas Leben bangt und auf deren Rettung hofft, die zumindest vorläufig aufgrund des nicht vorhersehbaren Misslingens der Ermordung durch ein vorgetäuschtes Schiffsunglück erreicht wird.

735 Vgl. Abschn. 4.4.2. 736 14,1,1 f. bzw. 14,3,1–3. 737 14,4,1–3 …, quo rumorem reconciliationis efficeret acciperetque Agrippina, facili feminarum credulitate ad gaudia. … stabat inter alias nauis ornatior, tamquam id quoque honori matris daretur; vgl. Uden (2003), S. 4, und Christes (1990), S. 134. 738 14,4,4 satis constitit extitisse proditorem, …; vgl. Wilsing (1964), S. 109, Piecha (2003), S. 123, und Tresch (1965), S. 100. 739 14,5,1 …, Acerronia super pedes cubitantis reclinis paenitentiam filii et recuperatam matris gratiam per gaudium memorabat, …; vgl. Wilsing (1964), S. 110.

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4. Textinhärente Strategien der Leseraktivierung

Fortdauernde, oppositäre Informationslagen Mit der ausgeprägten Fokalisierungsvariation zu Beginn des 15. Buchs, die den Rezipienten an den intimsten Überlegungen der drei maßgeblichen Feldherrn teilhaben und die militärische Lage überblicken lässt, gehen heterogene protagonistenspezifische Kenntnisniveaus einher.740 Obwohl Vologaeses und vor allem Corbulo bezüglich der Vorkommnisse an den verschiedenen Schauplätzen jeweils gut informiert sind, wird Caesennius Paetus’ Wissensstand hinsichtlich der unmittelbar von den Parthern ausgehenden Gefahr als unzureichend artikuliert.741 Der römische Leser kann gemäß Caesennius’ von überheblichem Ehrgeiz und Hybris geprägten Ankündigungen brisante kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den Konfliktparteien nicht nur antizipieren.742 Vielmehr ist vom ihm, falls er als Angehöriger der Oberschicht selbst über Grundkenntnisse der Heerführung verfügt, aufgrund dessen defizitärer Aufklärungsarbeit überaus nervös zu argwöhnen, dass der ruhmredige Feldherr sich und seine Soldatenschaft in eine strategisch desaströse Situation bringt, sodass er dem weiteren Handlungsgang aufmerksam folgt. Dessen Dramatik markiert durch eine schrittweise Reduzierung einer realistischen Wahrscheinlichkeit auf militärischen Erfolg, einen Verlust der Möglichkeit zur selbstständigen Befreiung sowie sogar eine direkte Bedrohung von Caesennius’ eigener Frau und Kindern einen mitreißenden Darstellungshöhepunkt.743 Die schlimmsten Befürchtungen des Rezipienten, welche Konsequenzen Caesennius’ nachlässige Verhaltensweise nach sich ziehen könnte, mögen zwar möglicherweise übertroffen werden. Die zwischenzeitlich gezielt minimierte leserseitige Hoffnung auf einen glimpflichen Ausgang der Angelegenheit erfüllt sich jedoch im Gegensatz zu den voranstehenden Beispielen insofern, wie das Überleben einer schmachvollen Niederlage nach den Wertvorstellungen des antiken Heerwesens wünschenswert war. Zudem kontrastiert der hiermit erreichte Ereignis- und entsprechende Wissensstand des Rezipienten vehement mit den Nachrichten in Rom, die sich noch auf Caesennius’ letzte prahlerische Mitteilungen aus dem Vorjahr beziehen.744 Die 740 Vgl. dazu Tab. 4. 741 15,1,1 … Vologaeses, cognitis Corbulonis rebus …, 15,3,1 quae ubi Corbuloni certis nuntiis audita sunt, …, 15,10,1 … Paetus imminentium nescius …, 15,11,1 at Vologaeses, quamuis … accepisset, … bzw. 15,26,3 …, aduersa in inscitiam Paeti declinans, …; vgl. Koestermann (1968), S. 177: „Anscheinend fehlte es völlig an Kommunikation zwischen den römischen Feldherrn, was wohl durch ihre Veranlagung und gegenseitige Abneigung bedingt war.“ 742 15,6,4 … Paetus, …, despiciebat gesta, nihil caedis aut praedae, usurpatas nomine tenus urbium expugnationes dictitans: se tributa ac leges at pro umbra regis Romanum ius uictis impositurum; vgl. Koestermann (1968), S. 173: „Die mangelnde Kriegserfahrung des Paetus und sein unausgeglichener Charakter konnten für die Zukunft nichts Gutes verheißen.“, und Geiser (2007), S. 91. 743 15,10,2–11,3 sowie 15,13,1–3; vgl. Wenzel (2004), S. 182 f. 744 15,8,2 … instante iam hieme, reduxit exercitum composuitque ad Caesarem litteras quasi confecto bello, uerbis magnificis, rerum uacuas. bzw. 15,25,1 …, quia Paetus diuersa tamquam rebus integris scribebat, …; vgl. auch Koestermann (1968), S. 193: „In Rom wußte man Ende 62 noch nichts von dem Desaster (cap. 18,1) und erfuhr erst im Frühjahr 63 durch die parthische Gesandtschaft, was sich im Winter im Osten abgespielt hatte (cap. 24 f.).“, und Geiser (2007), S. 118.

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Informationsdifferenzen werden also nicht durch den Wechsel von der Außen- in die Innenpolitik aufgehoben, sondern deren dortiges Fortwirken konterkariert die ausgelassen zelebrierten Siegesfeierlichkeiten ironisch. Neben diesem punktuellen Spannungsverhältnis erwartet der Leser aus überlegener Position aufgeregt die Reaktionen des Kaisers und des Senats auf das Eintreffen der Meldungen über den faktischen Verlust Armeniens, da anzunehmen ist, dass diese den verantwortlichen Feldherrn Caesennius Paetus in Lebensgefahr bringen, die überraschenderweise nicht eintritt, und einen neuen spannungsreichen Impuls für diesen Erzählstrang bergen.745 Fazit Durch vielfältige Figurenfokalisierungen sowie den Erzählertext wird dem Rezipienten ein übergreifendes Wissensniveau vermittelt, das ihm gegenüber den jeweils subjektiv beschränkten Sichtweisen der Einzelpersonen einen weitreichenden Informationsüberblick sowie -vorsprung verschafft. Dies ermöglicht eine multiperspektivische Wahrnehmung und Evaluation des Geschehens mit zahlreichen Reibungs- sowie Kontrasteffekten zwischen individualisierten Blickwinkeln und eine spannungserzeugende geistige Vorwegnahme bevorstehender Vorfälle sowie insbesondere bedrohlicher Situationen, noch ehe diese von betroffenen Akteuren erkannt werden. Während sich diese nämlich oftmals unbemerkt in große Gefahr begeben, bangt der Leser um ihr Schicksal, hofft auf ein glückliches Ende und wird so in eine zwiespältige, unbefriedigende Haltung innerer Aufgeregtheit versetzt. Trotz seines vorausblickenden Kenntnisstands und höchster affektiver Involvierung kann er die Figuren vor deren potenziellem Verderben nicht warnen, auf die Ereignisse nicht einwirken und steht diesen aus sicherer, persönlich ergriffener, aber ohnmächtiger Beobachterposition gegenüber. Diese empfundene Handlungsunfähigkeit verkehrt sich sogar bei scheinbar größter Ausweglosigkeit und Determination des jeweils angenommenen Weitergangs nicht in völlige Hoffnungslosigkeit, was Carroll als paradoxes Spannungserleben bezeichnet.746 Vielmehr wird stets eine geringe Zuversicht aufrechterhalten und dadurch erhöht, dass einige Personen ihre Verhaltensweisen plötzlich sowie rechtzeitig vor dem Eintritt eines Unglücks verändern und diesem aufgrund unerwarteter Wendungen entgehen. Der variabel fokalisierten Darstellungsweise ist somit abgesehen von der statischen ebenfalls eine auf Wissensantizipation beruhende Verlaufsspannungskomponente zu eigen. Sie entfaltet ihre Wirkung in einem kontinuierlichen sowie additiven Zusammenspiel nicht nur mit inhaltsbezogenen Ausblicken auf virtuelle Geschehensabläufe, sondern auch mit weiteren aufgezeigten narrativen Techniken zur Handlungsdramatisierung, um ein leserseitiges Vergnügen sowie eine langfristige Bindung an die Lektüre zu erzielen.

745 15,25,2–4. 746 Vgl. dazu umfassend Carroll (1996) und diesen Ansatz aufgreifend Langer (2008), S. 22.

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4. Textinhärente Strategien der Leseraktivierung

4.5.3 Die dramatische Komponente pseudoprodigialer Elemente prodigii loco habitum (13,58) – Funktionsübertragung am Jahresende Aus der Untersuchung der temporalen Erzählordnung geht neben charakteristischen Rhythmuseffekten das einzigartige Wirkungspotenzial eindeutig zukunftsorientierter, genuin prodigialer Elemente hervor, „eine Situation oder ein Stimmungsbild auszumalen, oder auch die Empfindungen des Lesers durch Erregung von Mitgefühl und Spannung zu beeinflussen.“747 Dies bezeugt im Allgemeinen bereits Cicero, benennt Pfister und erkennen speziell für Tacitus’ ‚Annalen‘ ebenfalls Reitzenstein sowie Walker.748 Doch wird anlässlich der zeitlichen Diskursgliederung ansatzweise auf weitere Textbestandteile hingewiesen, die sich an den im annalistischen Schema für heterogene, mirabilienartige sowie insbesondere ominöse Ereignisse prädestinierten Jahres- und Buchschlüssen befinden. Trotz prodigienhafter Inhalte besitzen sie jedoch teils keine explizit vorausdeutende Nuance, teils bergen sie keine per se unheilvollen, aber das anschließende Geschehen präfigurierende Vorkommnisse.749 Da hierzu konform einerseits Ginsburg für die Tiberiusbücher konstatiert, „in selecting items for the year’s end he was influenced less by traditional content or traditional practice than by the use he might make of them for his own ends“,750 andererseits der Rezipient allerdings an entsprechenden Positionen gattungsgemäße Aspekte erwartet, wird den Erzählkomponenten, die diese bewusst substituieren, nicht nur ein spezifisches proleptisches sowie pseudoprodigiales Kolorit zuteil. Vielmehr konfligieren diese raffiniert verwendeten, zukunftsungewissen Andeutungen häufig mit der projizierten historischen Atmosphäre und versetzen den Leser durch ihre antizipatorische Facette in eine innere Unruhe sowie gesteigerte Anspannungshaltung bezüglich der weiteren Handlung. Dies veranschaulicht eine thematisch geordnete Betrachtung aller Jahresenden mit Ausnahme von 64 n. Chr., das innerhalb der Nerobücher als einziges ein traditionelles Prodigium birgt,751 sowie unter separater Berücksichtigung von 58 n. Chr, zumal nur hier Jahres- und Buchschluss zusammenfallen.752

747 Kröger (1940), S. 54. 748 Vgl. Cic. part. 73 (Anm. 3) und Pfister (2001), S. 145 (Anm. 699) bzw. Reitzenstein (1926), S. 26 f.: „Es gehört zum Stil der Annalen und bereitet, wie das Tacitus überhaupt, um zu spannen, gern tut, durch eine Art Ankündigung die Stimmung des Lesers vor.“, und Walker (1952), S. 248: „The mention of many of the portents in Books XI–XVI may be explained by purely dramatic reasons.“ 749 Vgl. Abschn. 2.5.2 und auch Ginsburg (1981), S. 32: „The end chapter is not a Tacitean innovation. The practice of concluding the annual account with material distinct from that which precedes it may already be seen in Livy and may well, as many believe, belong to the annalistic tradition in general.“, sowie S. 33 f. 750 Ginsburg (1981), S. 39, und vgl. Pigón (1999), S. 208. 751 Vgl. dazu Abschn. 2.5.2. 752 Die Jahresschlüsse finden sich in folgenden Kapiteln 13,10,1 f. (J. 54), 13,24,1 f. (J. 55), 13,30,2 (J. 56), 13,33,3 (J. 57), 13,58 (J. 58), 14,19 (J. 59), 14,28,2 (J. 60), 14,47,1 f. (J. 61), 15,22,2 (J. 62), 15,32 (J. 63), 15,47,1 f. (J. 64), 16,13,1–3 (J. 65).

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Das Motiv der Theaterleidenschaft Der Nekrolog auf Memmius am Ende des Jahres 61 n. Chr. wird durch eine knappe Notiz über Neros Stiftung eines Gymnasiums sowie eine Ölspende an Ritter und Senatoren, deren isolierte Stellung Syme zu heftiger Kritik veranlasst,753 von der Berichterstattung des Folgejahrs getrennt. Dadurch treffen an diesem chronologischen Zentrum der Nerobücher drei inhaltliche Motive unmittelbar aufeinander, welche die jeweiligen Jahresschlüsse der letzten Annalenbücher durchziehen: natürliche Todesfälle unter dem Prinzipat, Neros Gräkophilie und Schauspielleidenschaft sowie dessen Verhalten gegenüber römischen Bürgern. Vor dem Hintergrund der dem Kaiser angeborenen Neigung zum Theaterwesen, um diese zuerst aufzugreifen,754 erhält bereits die unvorstellbare Absicht einer dauerhaften Entfernung der Theaterwache am Ende des Jahres 55 eine bedrohlich vorausweisende Facette. Denn obwohl diese Maßnahme die in Rom vorherrschende öffentliche Sicherheit zum Ausdruck bringen sollte, wird sie schon im darauffolgenden Jahr wegen der exzessiven nächtlichen Umtriebe des Prinzeps aufgehoben.755 Vor allem in Hinblick auf dessen ausschweifende Auftritte756 erschöpft sich die Erwähnung der Einweihung eines Gymnasiums sowie die hierbei demonstrierte Graeca facilitas (14,47,2) zudem nicht in der Herstellung textueller Kohärenz, wie Koestermann und Wille anmerken, um später den Brand dieses Gymnasiums sowie die Schmelze der darin aufgestellten Nerostatue als Omina auszulegen.757 Vielmehr kann der Rezipient mit feinem Gespür aus dieser prodigienhaften Ankündigung am Jahresschluss eine Zunahme von Neros Begeisterung für das Griechentum und insbesondere für die Schauspielkunst sowie Roms damit verknüpfte Gräzisierung antizipieren, die sich in der Bau- und Kulturpolitik des Kaisers manifestiert.758 Diese Tendenz erkennt Woodman sogar als Surrogat für Neros zwischenzeitlich aufgeschobene, expansive Aufführungspläne und die von diesem beabsichtigte, aber überraschenderweise einstweilen aufgegebene Griechenlandtournee an.759 Diese zu Beginn des Jahres 64 berichteten, eine weitere Stufe von Neros moralischer Entartung indizierenden Geschehnisse werden einerseits durch die inhaltlich überleitende Bemerkung einer überhandnehmenden Entehrung angesehener Frauen und Männer bei Schauspielen unmittelbar am Ende des vorausgehenden Jahres vorbereitet.760 Andererseits wird die potenzielle Gefährdung des Kaisers beim Einsturz des Theaters von Pompeji im Anschluss an dessen Vorstellung wie auch dessen plötzliches Erschaudern im Tempel der Vesta langfristig möglicherweise schon durch die genannten, als ungünstige vage Omina zu erachtenden Ereignisse 753 14,47,1 f. eo anno mortem obiit Memmius Regulus, … Gymnasium eo anno dedicatum a Nerone praebitumque oleum equiti ac senatui Graeca facilitate; vgl. Syme (1967), S. 742. 754 13,3,3. 755 13,24,1 bzw. 13,25,1–4. 756 14,14,1–15,5, 14,20,1–21,3, 15,33,1–34,2, 16,4,1–5,3. 757 15,22,2; vgl. Koestermann (1968), S. 115, Wille (1983), S. 556, und kritisch Pigón (1999), S. 210. 758 Vgl. Woodcock (1939), S. 133: „Nero was trying to Grecize Rome.“ 759 15,33,1–34,1 sowie 15,36,1; vgl. Woodman (1992), S. 181 f.: „Nero himself turned Rome into a foreign city to compensate for the eastern tour which he had been obliged to call of.“ 760 15,32 sed feminarum inlustrium senatorumque plures per arenam foedati sunt.

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eines Brandes des gestifteten Gymnasiums sowie des Zergehens von dessen dortigem Standbild angedeutet.761 Zu diesen aufmerksamkeitserregenden, unheimlichen Vorfällen treten konkret die schweren Zerstörungen in Pompeji durch ein Erdbeben sowie das Verscheiden einer Vestalin hinzu.762 Somit gewinnen zum einen die beiden ersten Aspekte dieser gattungskonform am Ende des Jahres 62 positionierten, bunten Faktensammlung vor allem in Bezug auf die Person des Kaisers eine vorausweisende Bedeutung, deren bedrohlicher Gehalt sich unter Rücksichtnahme auf die bereits erfolgte Ankündigung konspirativer Bestrebungen innerhalb führender Kreise wie auch auf das tatsächliche Ableben der Tochter des Prinzeps potenziert.763 Zum anderen können die städtische Katastrophe Pompejis und der Tod der Vestalin als symbolische Hinweise auf das bevorstehende Flammeninferno in Rom angesehen werden.764 Die bewusst knappe, offene und Unheil verheißende Gestaltung der hier ans Jahresende gerückten Notizen wird also hinsichtlich ihrer klar erkennbaren Bezüge zur nachfolgenden Handlung von einigen Forschern zu Unrecht kritisiert.765 Denn diese ruft beim Leser gerade durch ungewisse Vorzeichen, die dieser vor dem Hintergrund seines individuellen geschichtlichen Vorwissens antizipatorisch zu interpretieren versucht, eine unbehagliche Anspannungs- sowie verunsicherte Erwartungshaltung hervor. Neros Verhalten gegenüber seinen Untertanen Anlässlich prominenter Prozesse oder bedeutender Anträge vor dem Senat kehrt regelmäßig Neros Verhalten gegenüber seinen Untertanen als zweite zentrale Thematik an den Jahresschlüssen wieder, von der sogleich der erste im 13. Buch geprägt ist. Dort erscheint nämlich die vom Kaiser demonstrierte Zurückhaltung sowie Bescheidenheit hinsichtlich der ihm angetragenen Ehren angesichts von dessen späterem Geltungsdrang wahrlich als gegen Jahresende zu berichtendes Wunder.766 Auch die nebenbei erwähnte Anklage eines römischen Ritters aufgrund einer Britannicus erwiesenen Gunst, obgleich diese nicht zur Verurteilung führt, und die damit einhergehende erste Nennung von Claudius’ Sohn im 13. Buch deuten schon auf dessen verhängnisvolles Schicksal, dem erzählerischen Höhepunkt 761 15,34,1 bzw. 15,36,2; vgl. Krauss (1930), S. 170 f., Kröger (1940), S. 49, und Classen (1988), S. 112. Zudem ist eine Wiederaufnahme der Thematik mit dem im Jahre 66 n. Chr. erfolgten Wiederaufbau dieses Gymnasiums im verlorenen Teil der ‚Annalen‘ nicht ausgeschlossen, wie Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 345, anmerken. 762 15,22,2 isdem consulibus gymnasium ictu fulminis conflagrauit, effigiesque in eo Neronis ad informe aes liquefacta. et motu terrae celebre Campaniae oppidum Pompei magna ex parte proruit; defunctaque uirgo Vestalis Laelia, in cuius locum Cornelia ex familia Cossorum capta est. 763 14,65,2 bzw. 15,23,3; vgl. Sage (1990), S. 995, Krauss (1930), S. 45, und Morford (1990), S. 1612. 764 15,38,1–7 bzw. 15,40,1; vgl. Murgatroyd (2005b), S. 49, Krauss (1930), S. 178, Morris (1969), S. 206, und Pigón (1999), S. 209, der die Omina in 15,22,2 konkret mit dem Ende Neros, der Zerstörung Pompejis im Jahr 79 n. Chr. und dem Tod der Obervestalin Cornelia unter Domitian in Verbindung setzt. 765 Vgl. Syme (1967), S. 742, Koestermann (1968), S. 203, und Graf (1931), S. 98. 766 13,10,1 bzw. als kompositorisches Pendant 16,12,2.

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des Folgejahres, hin.767 Neros Unterstützung für P. Celer, der an Iunius Silanus’ Beseitigung beteiligt war, ist verwunderlich, da dieser Mord angeblich ohne das Wissen des Prinzeps geschah, wie auch für den kaiserlichen Umgang mit verworfenen Persönlichkeiten bezeichnend.768 Durch die ebenfalls am Ende des Jahres 57 eingeführten, klangvollen Namen der verrufenen Delatoren Cossutianus Capito und Epirus Marcellus, ohne dass deren spätere Rollen konkretisiert werden, kann der Rezipient außerdem in Aufregung versetzt werden sowie unter etwaigem Einbezug eigener historischer Kenntnisse deren künftig destruktives Wirken geistig vorwegnehmen.769 Dasselbe ist für Vibius Crispus’ unvermittelte, erläuterungslose Anführung anzunehmen, der bei der Nachwelt wie Epirus Marcellus einen zweifelhaften Ruhm als Ankläger erlangen sollte und demgemäß im ‚Dialogus’ und in den ‚Historien‘ mehrfach in einem Atemzug zusammen mit diesem genannt wird.770 In diesen Fällen schwingt somit jeweils durch den Bekanntheitsgrad der Personen und deren textuelle Positionierung am Jahresende eine in die Zukunft weisende, bedrohliche sowie geradezu prodigiale Komponente mit. Vor dem Hintergrund eines wieder erstarkenden Delatorenwesens wirkt Neros schon angesprochene Freigiebigkeit gegenüber Rittern und Senatoren am Ende des Jahres 61 kaum noch ungewöhnlich,771 sondern umso mehr als intendiertes Stück öffentlichkeitswirksamer Selbstinszenierung. Indem diese das Wohlwollen des Kaisers gegenüber den führenden Ständen zu simulieren beabsichtigt, präfiguriert sie im Gegenteil offen die Entwicklung einer unaufrichtigen, feindseligen Haltung gegenüber diesen. Daran knüpft der nachstehende Jahresbeginn thematisch direkt mit der Wiedereinführung der lex maiestatis (14,48,1) sowie Cossutianus Capito als Ankläger an und konterkariert ebenso wie die im selben Jahr vollzogenen Ermordungen Sullas, Plautus’ sowie Octavias die vermeintlich wohlgesinnte Geste des Prinzeps augenscheinlich.772 Neros Großzügigkeit und Verhältnis zur Senatorenschaft fokussiert auch das finale Kapitel zum Jahr 65. Obwohl dieses von der innenpolitischen Berichterstattung über die Pisonische Verschwörung dominiert wird, endet es hierzu konträr im letzten Paragraphen mit einigen Notizen zu außenpolitischen Ereignissen, die nach Symes Meinung, welcher deren Kürze sowie Positionierung kritisiert, die einzig sinnvollen Taten des Kaisers in diesem Zeitabschnitt darstellen.773 In einer internen Analepse werden nämlich knapp die militärischen Aushebungen in verschiede767 13,10,2 … Iulius Densus eques Romanus, cui fauor in Britannicum crimini dabatur. Vgl. Morris (1969), S. 63, Wille (1983), S. 531, und Anm. 644. 768 13,1,1 f. bzw. 13,33,1. 769 13,33,2 f. und vgl. Anm. 37 sowie zum Begriff des allusiven Vorgriffs Anm. 382 (je Kap. 2). 770 14,28,2 bzw. dial. 8,1, 8,3, 13,4 sowie hist. 4,42,5, 4,43,1 f., nur über Vibius hist. 2,10,1, 4,41,3 bzw. über Marcellus dial. 5,7, hist. 2,53,1, 2,95,3, 4,6,1–10 und in den ‚Annalen‘ Anm. 37 (Kap. 2). Vgl. kritisch aufgrund Vibius’ Einführung ohne weitere Angaben Koestermann (1968), S. 79, und Syme (1967), S. 743. 771 Vgl. Anm. 753. 772 14,57,4, 14,59,2 bzw. 14,64,2. 773 16,13,3; vgl. Syme (1967), S. 743, Koestermann (1968), S. 359 f., der die kompositorische Stellung zwar nicht erkennt, aber auf ihre extreme zeitliche Umstellung hinweist, und Pfordt (1998), S. 189: „Die innenpolitische Entwicklung steht jetzt absolut im Vordergrund.“

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nen Provinzen zur Ergänzung der illyrischen Truppen sowie die Munifizenz des Prinzeps gegenüber dem von einer Brandkatastrophe heimgesuchten Lugdunum nachgetragen. Bemerkenswert ist dabei, dass beide Geschehnisse neben ihrer textuellen Stellung am Jahresende auch inhaltlich eine unmissverständlich zukunftsgerichtete, erwartungsevozierende Facette aufweisen. Denn Lugdunum verhält sich nach Vindex’ Erhebung als eine von wenigen gallischen Städten zum Prinzeps loyal und dieser ruft eben jene illyrischen Legionen zur Unterstützung nach Italien.774 Zugleich kontrastiert die Generosität des Kaisers gegenüber der Provinzstadt ausdrucksstark mit dessen stadtrömischem Wüten gegen die Senatorenschaft, wodurch eine so freigiebige Haltung gewissermaßen refinanziert wird. Außer einer markanten Abgrenzung zum Folgejahr bilden diese abschließenden außenpolitischen Vorkommnisse also insbesondere einen Kontrapunkt zum vorausgehenden, an Sterbefällen abundanten Jahresgeschehen. Diesen Eindruck unterstreicht ferner der unmittelbar voranstehende Bericht über den Ausbruch einer Seuche in Rom, in dem der krankheitsbedingte Tod sarkastisch als eine für einen Senator gegenüber der saeuitia principis (16,13,2) vorzuziehende Alternative erachtet und das politische um das natürliche Unglück des Jahres 65 ergänzt wird:775 tot facinoribus foedum annum etiam dii tempestatibus et morbis insigniuere (16,13,1). Obzwar sich Position sowie Thematik dieser anschaulichen und eindrucksvollen Schilderung der als Zorn der Götter ausgelegten Naturgewalten für einen proleptisch-prodigialen Ausblick auf die auch im Anschluss fortgeführte Mordserie anbieten würden, wird diese dennoch expressis verbis auf das abgelaufene Jahr zurückbezogen und damit die vorausweisende Nuance explizit annulliert, was einige Interpreten leichtfertig übergehen.776 Dies wirft allerdings die Frage auf, weshalb diese desaströsen Vorfälle sodann nicht als umfangreiche, spannungserregende ominöse Ankündigungen dem Abschnitt über die Pisonische Verschwörung vorangestellt werden, wie dies bezüglich chronologischer Gesichtspunkte und zur Ausweitung der am Ende des Jahres 64 gegebenen Vorzeichen möglich wäre. Durch eine geschickte Verzögerung des Berichts über die grassierende Seuche bis zum Jahresschluss wird jedoch die direkt nach der Pisonischen Verschwörung erzeugte beeindruckende Vorstellung einer von Trauer erfüllten, von Leichenzügen übersäten Stadt Rom uneingeschränkt mit der Aufdeckung der Konspiration assoziiert und erreicht als affizierender Gestaltungshöhepunkt maximale emotionale Intensität.777 Diese erschütternde Imagination würde deutlich reduziert werden, wenn für den Rezipienten vorab ersichtlich wäre, dass die enorme Anzahl an Todesfällen 774 Vgl. Brunt (1959), S. 532 sowie S. 540. 775 16,13,1 f.; vgl. Wille (1983), S. 588, Koestermann (1968), S. 358 f., Tresch (1965), S. 175, Hauser (1967), S. 83 sowie S. 89, Ash (2015), S. 281, Kröger (1940), S. 59, und auch Demandt (1986), S. 25: „Ein bedauerlicher Vorfall ist nur dann schlimm, wenn er nicht das kleinere Übel war und nicht ein größeres Unglück verhütet hat. Zu jedem umstrittenen Faktum müssen wir, wenn wir es werten, die nächstwahrscheinliche Alternative hinzudenken.“ 776 Vgl. Hauser (1967), S. 89 f., Pfordt (1998), S. 188, McCulloch (1984), S. 168, und demgegenüber Wille (1983), S. 587 f. 777 Vgl. hingegen Hauser (1967), S. 89 f.

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nicht nur von Neros singulärer Raserei, sondern auch von einer Pestepidemie verursacht wurde, wobei die ausgeprägte Ähnlichkeit der deskriptiven Formulierungen eine reale Koinzidenz der beiden Miseren nahelegt.778 Die Herstellung einer solch plausiblen Verbindung zwischen den Geschehnissen wird durch deren kompositorische Trennung über eine Buchgrenze hinweg aber gezielt unterdrückt, sodass die Pestpassage in darstellerischer Eigenständigkeit und gewissermaßen als uaticinium ex euentu dieses für die römische Bevölkerung schicksalhafte Jahr komplettiert. Mittels dieser außergewöhnlichen retrospektiven Verwendungsform eines Passus mit ominösen Gehalt wird also unter Einbezug der der Pisonischen Verschwörung vorausgehenden Vorzeichen ein kunstvoller prodigialer Rahmen um deren folgenschwere Vorkommnisse gelegt. Zudem wird zwar ein Strafgericht der Götter für das abgelaufene frevelhafte Jahr suggeriert, dieser Eindruck fußt allerdings weniger auf einem „Glauben des Tacitus an den Zorn der Götter“,779 den Kröger hier hervorzukehren versucht, als auf einem planvollen Arrangement der Erzählung, das durch den Aufschub sowie die separate Integration der pestbezogenen Ereignisse eine gesteigerte Eindringlichkeit und Dramatisierung bewirkt. Bedeutungsträchtige Nekrologe Den analeptisch an drei Jahresenden eingefügten Nachrufen auf illustre Persönlichkeiten780 wird als dritter zumindest in den ersten beiden Nerobüchern wiederkehrender Thematik indirekt aus dem auffälligen anschließenden Fehlen dieses Elements und insbesondere angesichts ihres vorherrschenden Grundtenors sowie ihrer vorausdeutenden Endposition ein wirkungsmächtiger Akzent zuteil. Denn diese vermitteln jeweils ein zukunftsweisendes Bedauern, dass eine unbeschwerte, bejahrte, wohlhabende und einflussreiche Existenz aufgrund regelmäßiger politischer Verfolgungen unter mehreren ruhm-, macht- und geldhungrigen Prinzipes zum am Jahresende berichtenswerten Mirabilium geworden ist. Dementsprechend wird bei Caninius Rebilus’ Tod, dessen Art und Weise schon die später von Nero erzwungenen Selbstmorde präfiguriert, auch dessen immenser Reichtum als ein wesentliches Charakteristikum betont.781 Zudem ist bei L. Volusius’ Ableben, das mit dem Konsulat seines Sohnes sein Todesjahr kompositorisch rahmt, neben dessen hohem Alter und unbescholtenem, überaus begütertem Lebensglück dessen ungetrübtes 778 15,71,1 sed compleri interim Vrbs funeribus, Capitolium uictimis; alius filio, fratre alius aut propinquo aut amico interfectis, agere grates dies, … bzw. 16,13,2 sed domus corporibus exanimis, itinera funeribus complebantur; non sexus, non aetas periculo uacua; seruitia perinde et ingenua plebes raptim exstingui, inter coniugum et liberorum lamenta, qui dum adsident, dum deflent, saepe eodem rogo cremabantur. Vgl. Hauser (1967), S. 71, die in der ersten Textstelle einen Ausdruck „der ängstlichen Unterwürfigkeit gegenüber dem Kaiser [–] (erblickt), der dadurch dem Leser recht eigentlich ins Gedächtnis eingehämmert wird.“, zur zweiten Passage Rademacher (1975), S. 148, und zudem Suet. Nero 39,1 accesserunt tantis ex principe malis probrisque quaedam et fortuita: pestilentia unius autumni, quo triginta funerum milia in rationem Libitinae uenerunt. 779 Kröger (1940), S. 22. 780 Vgl. dazu auch Abschn. 2.5.1. 781 13,30,2 Caninius Rebilus, ex primoribus peritia legum et pecuniae magnitudine, cruciatus aegrae senectae misso per uenas sanguine effugit, …

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4. Textinhärente Strategien der Leseraktivierung

Verhältnis zu vielen Kaisern eine erwähnenswerte, eigentümliche und erstaunliche Leistung, vor der sogar dessen langjährige öffentliche Funktion als praefectus urbis in den Hintergrund tritt.782 Während Domitius Afers und Servilius Nonianus’ Sterbefälle nach Murgatroyd unter anderem als eine Neros literatur- und theaterbezogene Leidenschaften andeutende Überleitung fungieren,783 wird die potenziell von einer allzu großen privaten Prominenz und Machtsphäre unter dem Prinzipat ausgehende Gefahr bei Memmius Regulus’ Verscheiden explizit dargelegt. Obwohl diesen nämlich Nero selbst als eine große Stütze des Staats würdigt, ist diesem aufgrund seiner Zurückhaltung, niedrigen Abstammung und seines nicht neiderregenden Vermögens ein Weiterleben vergönnt.784 Mit Blick auf die darauffolgende Abstinenz von Nachrufen auf natürlich verstorbene, gesellschaftlich hochstehende Persönlichkeiten und der Tatsache, dass der ehemals mächtige Freigelassene Pallas am Ende des 14. Buchs bereits gewaltsam beseitigt wird, weil er durch sein allzu langes Dasein dem Kaiser angeblich seinen immensen Besitz vorenthalte,785 ist Memmius’ Tod ferner als Markstein zwischen überwiegend natürlichen und mehrheitlich erzwungenen Sterbefällen zu erachten.786 Damit spiegelt dieser en détail eine Wende in der neronischen Herrschaft wider, die der machtpolitische Führungswechsel durch Burrus’ Ableben sowie Senecas Rückzug, bei dessen Entlassungsgesuch Nero bezeichnenderweise gerade auf Volusius’ unermesslichen Reichtum anspielt,787 im Großen etwa zeitgleich einleitet. Die Nekrologe an den Enden der Jahre 56, 59 und 61 dienen somit einerseits zum Ausdruck einer noch nicht völlig aus den Fugen geratenen Gesellschaftsordnung mit republikanischem Anstrich.788 Andererseits sind sie als verheißungsvolle Mirabilien einer tugendfeindlichen Zeit anzusehen und demgemäß in den jeweiligen Jahresberichten passend an die finale Stelle gerückt. Ihr anschließend konsequentes Ausbleiben, mit dem die Wiedereinführung der lex maiestatis korrespon-

782 13,30,2 at L. Volusius egregia fama concessit, cui tres et nonaginta anni spatium uiuendi praecipuaeque opes bonis artibus, inoffensa tot imperatorum amicitia fuit. Vgl. Martin (1981), S. 167, Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 192, und Wille (1983), S. 535. 783 14,19 sequuntur uirorum illustrium mortes, Domitii Afri et M. Seruilii, qui summis honoribus et multa eloquentia uiguerant, …; vgl. Murgatroyd (2006), S. 118, und Anm. 237 (Kap. 2). 784 14,47,1 eo anno mortem obiit Memmius Regulus, auctoritate constantia fama, in quantum praeumbrante imperatoris fastigio datur, clarus, adeo ut Nero aeger ualetudine, et adulantibus circum, qui finem imperio adesse dicebant, si quid fato pateretur, responderit habere subsidium rem publicam. rogantibus dehinc, in quo potissimum, addiderat in Memmio Regulo. uixit tamen post haec Regulus, quiete defensus et quia noua generis claritudine neque inuidiosis opibus erat. Vgl. Koestermann (1968), S. 61, und Morford (1990), S. 1590. 785 14,65,1 …, Pallantem, quod immensam pecuniam longa senecta detineret. 786 Vgl. Morford (1990), S. 1591: „Therefore the obitary of Memmius marks a turning point in Tacitus’ account of the reign of Nero.“, Vielberg (1987), S. 49, und Martin (1981), S. 175, der insgesamt „18 Verbannungen und 37 Morde und Selbstmorde, darunter die Ermordung von allein 12 designierten, amtierenden oder ehemaligen Konsuln“ zählt. 787 14,55,4 …, et quantum Volusio longa parsimonia quaesiuit, tantum in te mea liberalitas explere non potest. Vgl. Morris (1969), S. 175, und Suerbaum (2015), S. 398. 788 Vgl. Syme (1958), S. 20, und Cueva (2000), S. 14.

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diert,789 entfaltet eine implizit auf Neros weiteren Prinzipat vorausweisende Darstellungsabsicht. Diese vermag Cueva, indem er in seiner Klassifikation die im Laufe wie auch am Schluss eines Jahres referierten Tode offenbar mit dem Ziel aufnimmt, Symes Exemplasammlung zu erweitern, allerdings ebenso wenig zu erfassen790 wie schon Syme und Koestermann, laut denen das Fehlen traditioneller Nachrufe am Jahresende „durch eine fehlende letzte Überarbeitung in diesen Büchern“ 791 bedingt sei. Die Sterbefälle werden nach Memmius’ Verscheiden nämlich nicht nur zunehmend vom Rand- zum Hauptthema eines Jahresberichts, sondern es wird insbesondere ex negativo die Unmöglichkeit des Alterstodes einer hochrangigen Persönlichkeit unter einem princeps malus und die an dramatischen Episoden reiche, widrige Entwicklung von Neros Regentschaft unterstrichen.792 Morford konstatiert also treffend: „With the change in political circumstances he abandoned the traditional annalistic device of the obituary, and chose rather to record the death-scenes of distinguished victims of the regime.“793 Ein einzigartiger Spannungsbogen zu Agrippinas Ermordung Eine gesonderte Untersuchung des Jahreswechsels von 58 auf 59 n. Chr. am Ende des 13. Buchs veranlasst dessen hervorgehobene Stellung bezüglich des chronologischen sowie strukturellen Aufbaus der Nerobücher, da lediglich dort nach annalistischer Tradition Jahres- und Buchgrenze übereinstimmen.794 Der auffallenden Gestaltung dieses akzentuierten Einschnitts wird jedoch weder Koestermanns Erläuterung, der hier einen tiefen Bruch in der Erzählung erkennt,795 noch Marx’ Sichtweise, der dies als „alte annalistische Gewohnheit“796 ansieht, hinreichend gerecht. Auch Symes vehemente Kritik an dieser Passage ist in keiner Weise nachzuvollziehen797 und Häussler versäumt es ebenfalls, die Symbolkraft dieses Pas789 14,48,2 tum primum reuocata ea lex. 790 Vgl. Cueva (2000), S. 17–27, dessen Kategorisierungsvorschlag auf S. 26 nicht überzeugt, und demgegenüber Syme (1958), S. 18 f. 791 Koestermann (1968), S. 114, und vgl. ders. (1967), S. 293, sowie Syme (1958), S. 24, (1967), S. 744, und (1970), S. 108 f. 792 Vgl. Morris (1969), S. 155 f. sowie S. 158: „Such obituaries are unnecessary when an entire year – such as the year of the Pisonian conspiracy – has been no more than a chronicle of obituaries.“, Martin (1981), S. 175: „The formal obituary implies an ordered state, in which men of note die in their beds.“, Wille (1983), S. 556, und Morford (1990), S. 1591. 793 Morford (1990), S. 1592; vgl. Martin (1990), S. 1557 f., Sage (1990), S. 995, sowie Ginsburg (1981), S. 100 analog: „Traditional material (the vota pro salute principis, consular elections, obituaries, and so forth) finds its way into the Tiberian books only when it can be exploited for its thematic relevance.“ 794 Vgl. Segal (1973), S. 109, McCulloch (1980), S. 237, sowie (1984), S. 161, und Koestermann (1967), S. 349. 795 Vgl. Koestermann (1967), S. 349, sowie (1968), S. 19. 796 Marx (1925), S. 81. 797 Vgl. Syme (1967), S. 269, S. 312 sowie S. 745: „Concluding Book XIII with a series of events on the Rhine frontier, Tacitus realized that the last item (a mysterious fire in the territory of Colonia Claudia, which he wanted to have for some reason or other) was not a suitable termi-

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sus adäquat zu erfassen.798 Indem Agrippina nach der letzten referierten Auseinandersetzung zwischen ihr und Nero konsequent von der Handlungsbühne abtritt,799 setzt die ausführliche Schilderung von deren Ermordung zu Beginn des 14. Buchs zwar bei punktueller Betrachtung des Buchübergangs unverbunden, überraschend sowie schockierend ein. Da dem Rezipienten aber Neros Ansinnen einer gewaltsamen Beseitigung seiner Mutter im 13. Buch bereits dreimal explizit angekündigt wird800 und ihm deren vollständige Abwesenheit in der zweiten Hälfte des 13. Buchs schwerlich entgehen kann, antizipiert er innerlich beunruhigt eine drohende Eskalation des familiären Verhältnisses und Agrippinas potenzielle Gefährdung bei einem Wiedereintritt in das Geschehen. Demgemäß wird ein aufmerksamer Leser bei den unauffällig nach annalistischem Prinzip angeführten Nachrichten, die geradezu als Mirabiliensammlung das Jahres- und Buchende zieren, nämlich einen Krieg zwischen Hermunduren und Chatten um eine Solequelle sowie deren erstaunliche Methode zur Salzgewinnung, einen verheerenden Brand einer kürzlich im Gebiet der Ubier angelegten Kolonie und dem Absterben sowie Wiederergrünen der ficus Ruminalis, aufhorchen und zur Reflexion über die Relevanz dieser Elemente angehalten.801 Zwar erfordert es hierbei vom Rezipienten ein äußerst sensibles Gespür oder eine auf den jeweils exakten Wortlaut fokussierende Lektüre, um in den zweifach anklingenden Brand- und Löschthemata, die den Widerstreit der Elemente Wasser und Feuer bei der Salzförderung der Germanen wie auch die erfolglosen, andauernden Löschmaßnahmen bei der Verwüstung der colonia Agrippinensis bestimmen,802 mit geistiger Abstraktion Agrippinas unmittelbare Gefährdung zu erkennen. Ein derartiges Antizipationspotenzial führen allerdings McCulloch, nach dessen Meinung das zweimalige Wechselspiel der Naturgewalten Feuer und Wasser die Perversion der Naturgesetze widerspiegle, woraus die Widernatürlichkeit des Muttermordes abzulesen sei,803 und auch Segal an, der die Thematik religiöser Besudelung und göttlichen Frevels als immanente Verknüpfung ansieht.804 Obgleich

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nation. He added the report of a portent at Rome, brief, isolated, and meaningless, and left it there (XIII. 58).“, Hauser (1967), S. 73 sowie S. 75 bzw. demgegenüber Morris (1969), S. 68. Vgl. Häussler (1965), S. 275: „Tacitus verzichtet darauf, den alten Feigenbaum irgendwie als Symbol und Gleichnis herauszuarbeiten […], obwohl er in gewisser Weise zeichenhaft am Ende des 14. [sic!] Buches steht.“ Vgl. zum Forschungsdiskurs auch Waddell (2013), S. 472 sowie S. 490 f. Vgl. Anm. 645. 13,16,4, 13,20,1, 13,20,3. 13,57,1–13,58. 13,57,1 …, sed unda super ardentem arborum struem fusa ex contrariis inter se elementis, igne atque aquis, concretum. bzw. 13,57,3 … neque exstingui poterant, non si imbres caderent, non si fluuialibus aquis aut quo alio humore … Vgl. ansatzweise Segal (1973), S. 116 f., ausgearbeitet von McCulloch (1980), S. 238, und (1984), S. 163, der in den Löschversuchen mittels Knüppeln eine Vorhersage von Agrippinas Erschlagung erkennt, gegenüber einer „point-for-point symbolic interpretation“ kritisch Morris (1969), S. 69, und Pfordt (1998), S. 143, der dies als Vorbereitung des Lesers auf den religiösen Bereich der Prodigien ansieht. Vgl. Segal (1973), S. 116: „The theme of pollution is another important link between the strange events of the end of XIII and the next book.“

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dadurch zudem aufseiten des Lesers verfrüht die Vorstellung eines großen Rom bevorstehenden Brands erweckt werden könnte, bei dem die Hauptstadt stark beschädigt, arescente, aber nicht völlig zerstört wird, reuiresceret (13,58), bewirkt diese angesichts von dessen groben historischen Vorkenntnissen dennoch nicht mehr als eine kurzzeitige Verunsicherung hinsichtlich des Geschehensverlaufs. Vielmehr wird die nahe Bedrohung verheißungs- sowie spannungsvoll lediglich vorsichtig konkretisiert, indem augenfällig der Bezug der von dem Flammeninferno betroffenen ciuitas Vbiorum auf die colonia Claudia Ara Agrippinensis, über deren Gründung und symbolischen Wert für Agrippina zuvor umfassend berichtet wird, geschickt verschleiert und jede explizite Ortsangabe vermieden wird.805 Diese bewusst inszenierte Obskurität und die enorme Gefährlichkeit des mutmaßlichen Moor-, Wald- oder Grasflächenbrands begünstigt eine gezielte Verwendung dieses historischen Vorfalls als unheilvolles Omen, das den Leser Agrippinas baldige Handlungsreintegration und brutale Ermordung unmittelbar vorwegnehmen lässt.806 Hierzu trägt auch die erstaunliche Tatsache bei, dass Agrippinas Geburtsstadt und Kolonie trotz ihres Patronatsverhältnisses wider Erwarten und entgegen Neros späterem Verhalten gegenüber Lugdunum807 keine öffentliche Unterstützung zuteil wird, was die fehlende Anerkennung und den geschwundenen Einfluss der Kaisermutter bei ihrem Sohn und in führenden gesellschaftlichen Kreisen unterstreicht. Darüber hinaus ist das zeitweilige Absterben des Ruminalischen Feigenbaums nach auktorialer Ansicht als sinistres Prodigium sui generis zu bewerten und weist auf eine eminente Katastrophe für den römischen Staat hin, als die die für die eigene Mutter wie auch die oberen Bevölkerungsschichten fatale Entartung des Prinzeps angesehen werden kann.808 Dass jedoch nicht der Untergang des ganzen Staatswesens, welchen dieses beeindruckende Vorzeichen prima facie implizieren könnte, bevorsteht, ist von einem römischen Rezipienten angesichts der eigenen Existenz und ob der zwar auf einen unbestimmten späteren Zeitpunkt bezogenen, 805 13,57,3 sed ciuitas Vbiorum socia nobis malo improuiso adflicta est. nam ignes terra editi uillas arua uicos passim corripiebant ferebanturque in ipsa conditae nuper coloniae moenia neque exstingui poterant, … bzw. 12,27,1 sed Agrippina, quo uim suam sociis quoque nationibus ostentaret, in oppidum Vbiorum, in quo genita erat, ueteranos coloniamque deduci impetrat, cui nomen inditum e uocabulo ipsius. ac forte acciderat, ut eam gentem Rhenum transgressam auus Agrippa in fidem acciperet. Vgl. Koestermann (1967), S. 347, und Schmitz (1955), S. 429. 806 Vgl. zu den von der Forschung vermuteten natürlichen Ursachen des Brandes Schmitz (1955), S. 430, sowie zur Auslegung als Prodigium für Agrippinas Ermordung Morris (1969), S. 68, Wille (1983), S. 542, Pfordt (1998), S. 143, Holztrattner (1995), S. 40, Segal (1973), S. 115 f., Dickison/Plympton (1977), S. 183, Waddell (2013), S. 491 f., McCulloch (1980), S. 237 f., und (1984), S. 162 f. 807 16,13,3. 808 13,58 eodem anno Ruminalem arborem in comitio, …, mortuis ramalibus et arescente trunco deminutam prodigii loco habitum est, donec in nouos fetus reuiresceret. Vgl. zur mythologischen Bedeutung der ficus Ruminalis Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 229, Krauss (1930), S. 134 f., Koestermann (1967), S. 348, Röver/Till (1969), S. 46, Morris (1969), S. 70, Dickison/Plympton (1977), S. 184 f., Suerbaum (2015), S. 335, und McCulloch (1980), S. 238.

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aber zukunftsgewissen Angabe donec in nouos fetus reuiresceret (13,58) anzunehmen. Diese Ankündigung ist für ihn außerdem aufgrund seiner größeren Realienkenntnis eventuell als absichtliche Anspielung auf die unter Galba geprägte Münzlegende Roma renascens zu erkennen, zumal die Metaphorik eines rasch wachsenden beziehungsweise ergrünenden Baums bei Herrschaftsantritten neuer Prinzipes ein gängiges Motiv ist.809 Dies greift insbesondere McCulloch auf und stellt demgemäß sogar einen weitreichenden Zusammenhang zum Sieg der flavischen Partei nach dem Bürgerkrieg her,810 ohne dass das voranstehende, relativ glückliche quinquennium Neronis im 13. Buch bereits solche Aussichten auf einen baldigen Regentschaftswechsel erforderte. Damit provoziert die fehlende Eindeutigkeit eines Zusammenhangs zwischen dem unerwarteten Wiederaufleben der ficus Ruminalis und einem konkreten späteren Vorkommnis offensichtlich einen breit gefächerten Variantenreichtum an vom individuellen Vorwissen abhängigen, leserseitigen Zukunftsvorstellungen, woran das kognitiv aktivierende Potenzial dieses Omens evident wird. Mit dem erneuten Ergrünen des Feigenbaums werden univok grundlegend positive Ereignisse assoziiert, deren Antizipation gewissermaßen mit dem zuvor prognostizierten, düsteren und unheilvollen Geschehenshergang konfligiert, als ob trotz aller vorausgehenden, widrigen Vorverweise am Satz-, Kapitel- respektive sogar Buchende gezielt ein letzter Hoffnungsschimmer etabliert werden soll. Unter Berücksichtigung des unmittelbaren narrativen Kontexts bewirkt dieses temporal und thematisch unpräzise vorausweisende, beinahe als tröstlich zu empfindende Vorzeichen also vorrangig, dass der Rezipient auch während des Erzählkomplexes von Agrippinas Ermordung deren plötzliche Rettung im letzten Moment oder eine unvorhergesehene Wendung der Handlung, wie sie mehrmals suggeriert wird,811 nicht ausschließen kann. Ebenso wird im weiteren Verlauf die Zuversicht aufrechterhalten, dass beispielsweise der Kaiser anlässlich seines Bades in der Aqua Marcia endlich für sein frevelhaftes Treiben büßen, Corbulo seine militärische Truppenmacht zu 809 Zwar verweist Syme (1957a), S. 165, auf diese Münzlegende unter Kaiser Galba, stellt jedoch keinen Zusammenhang zum Omen her. Vgl. hingegen zu mannigfachen, oft wenig plausiblen Erklärungsansätzen für das Absterben und Wiederaufleben des Baumes Krauss (1930), S. 135 (mit irriger Zuordnung der Jahreszahl), Kroymann (1952/1969), S. 135, Suerbaum (2015), S. 335 f., McCulloch (1980), S. 238, sowie (1984), S. 163–166, Davies (2004), S. 205 sowie S. 213, Pfordt (1998), S. 143, der das Absterben als Ende des römischen Reichs ansieht, Betensky (1978), S. 427, Koestermann (1967), S. 349, Segal (1973), S. 112, sowie Dickison/Plympton (1977), S. 185 f., die darin eine Ironisierung des Geschehens erkennen, und ohne Erläuterung Pöhlmann (1910), S. 24, Kröger (1940), S. 16, sowie Morford (1990), S. 1604 Anm. 88. Vgl. zur Baummetaphorik bei Herrschaftsbeginnen hist. 2,78,2 sowie Suet. Vesp. 5,4 und zur Bezugnahme von Tacitus’ Text auf Münzlegenden Syme (1967), S. 471 f., Moles (1998), S. 149, Woodman (2009), S. 41 f., Flach (1973b), S. 197 f., und demgegenüber Suerbaums (2015), S. 122, Behauptung, die „Münzprägung mit ihren einprägsamen Devisen spiel(e) bei Tacitus keinerlei Rolle.“ 810 Vgl. McCulloch (1980), S. 239 sowie S. 241 f., mit Verweis auf die schnell wachsende Zypresse bei Vespasians Herrschaftsantritt (hist. 2,78,2), Krauss (1930), S. 135 f., und Waddell (2013), S. 492: „The ficus Ruminalis is a sign for the entirety of the narrative of the Annales going forward into the Historiae.“ 811 Vgl. Abschn. 4.3.2.

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einem offenen Aufbegehren gegen den Prinzeps nutzen oder Plautus sein gesellschaftliches Ansehen und seine hervorragenden politischen Beziehungen für einen Umsturzversuch einsetzen könnte.812 Dieses Pseudoprodigium eröffnet somit nicht nur, wie Segal richtig anmerkt, eine Serie von Ankündigungen, die teils Hoffnung auf Neros Bestrafung machen, teils eine Ohnmacht der Götter dokumentieren, woraus nach dessen Ansicht eine Ironisierung des göttlichen Verhaltens813 und „a tension between reality and appearance, divine and human truth, pietas and hypocrisy, fulsome lies and valid, truthspeaking language“814 resultiert. Neben dieser statischen Spannung evoziert das exponiert gestellte reuiresceret vielmehr trotz des präfigurierten bedrohlichen Geschehens eine ergreifende, hoffnungsvoll auf eine zukünftige Besserung der Umstände gerichtete Erwartungshaltung. Diese relativiert die negative Vorherbestimmung der späteren Vorkommnisse, erhöht die Nervosität des Rezipienten und bindet ihn trotz gegenwärtig etwaig entmutigender Vorfälle an die Lektüre. Zuletzt wird die dargelegte Anspannung auch durch das erzählerisch gekonnt konzipierte, räumliche und zeitliche Arrangement gesteigert. Denn die außenpolitische Berichterstattung aus Germanien wird bis zum Jahr 58 n. Chr. sowie innerhalb dieses Jahres bewusst aufgeschoben,815 um gegen Ende überraschend von den zur Kaiserfamilie bezuglosen Streitigkeiten unter den Germanen fugenlos zuerst auf die metaphorisch verwendete Salzgewinnungstechnik überzuleiten und daraufhin die Brandkatastrophe der colonia Agrippinensis anzuführen. Diese fokussiert mit dem deutlichsten Hinweis auf das der Kaisermutter unmittelbar bevorstehende Schicksal die Aufmerksamkeit des Lesers und versetzt ihn in innere Unruhe, wohingegen die anschließende Notiz über die ficus Ruminalis den Handlungsort direkt nach Rom zurückbringt und die initiierte Erregung verstärkt. Wie planvoll konstruiert diese Erzähllinie ist, wird an der lockeren konjunktionalen Phrase eodem anno (13,58) ersichtlich, welche die Nachrangigkeit der realen Chronologie gegenüber der Intention einer thematisch gesuchten, prodigienhaften und dramatischen Anordnung der Ereignisse aufzeigt. Zugleich wechselt durch diese geographische Bewegung der Schauplatz in die Hauptstadt des römischen Reichs, wo das Jahr 58 mit einer knappen Erwähnung begann und vor allem das 14. Buch mit Poppaeas Appell an Nero anheben soll.816 Die kontinuierlich zunehmende Bedrohung wird folglich ebenfalls via der konzentrischen lokalen Bewegung nach Rom vermittelt. Nachdem die räumliche Entwicklung Agrippinas vermeintlichen Aufenthaltsort erreicht, wird kurz vor der Lektüreunterbrechung wegen des Endes des 13. Buchs im Symbol des absterben812 14,22,4 bzw. 14,23,1 mit Kap. 2.7 und 14,58,2–4. 813 Vgl. Segal (1973), S. 112–115 mit Verweis auf 14,12,2 und 14,22,4, zudem 14,5,1 mit Kroymann (1952/1969), S. 131 sowie S. 157, Scott (1974), S. 109, Syme (1967), S. 522, und Wilsing (1964), S. 109. 814 Segal (1973), S. 115, und vgl. S. 122. 815 13,53,1–57,3 mit Anm. 63 (Kap. 2). 816 Vgl. Morris (1969), S. 69, Wille (1983), S. 542, und hingegen Pfordt (1998), S. 143. Khariouzov (2013), S. 156, bemerkt auch in Livius’ erstem Buch konzentrische Bewegungen der Prodigien nach Rom.

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den und wiederauflebenden Ruminalischen Feigenbaums die äußerste Gefährdung der Kaisermutter wie auch ein letzter unspezifischer Hoffnungsschimmer präsentiert. In ergreifender Sorge um Agrippinas Wohlergehen und wegen aufzehrender Ungewissheit, inwiefern der vorwegzunehmende Handlungsweitergang tatsächlich eintritt, wird der Rezipient dazu angeregt, zur nächsten Buchrolle zu greifen, und darin durch die mitreißende Darstellung von Agrippinas Ermordung belohnt. Der den Erzählfluss kurzzeitig pausierende Übergang zwischen beiden Einzelbüchern wird hier also kunstvoll als retardierendes Moment im Spannungsaufbau funktionalisiert und ein ‚Cliffhanger‘ geschaffen, der die ungeduldige, involvierende leserseitige Erwartungshaltung maximiert.817 Dies macht auf eine raffinierte narrative Strategie zur Rezipientenbindung aufmerksam, hinsichtlich der auch die Enden der jeweils anderen Bücher zu betrachten sind. Die systematische Bedeutung der Buchenden Das zweite Buch über Neros Herrschaft wird einerseits durch die Morde an den Freigelassenen Pallas und Doryphorus, der lediglich hier erwähnt wird und vermutlich das Amt a libellis von Callistus übernommen hatte,818 andererseits durch zweifelhafte Vorwürfe eines unbekannten Romanus gegenüber Seneca, mit Piso zu konspirieren, sowie einen expliziten Ausblick auf die Pisonische Verschwörung und deren Ausgang abgeschlossen.819 Doch da dieses Buch laut Ansicht mancher Forscher wirkungsvoller mit Tacitus’ emphatischer Apostrophe nach Octavias unmittelbar voranstehender Ermordung hätte ausklingen können, wird die vermeintlich angefügte und isolierte Positionierung dieser bithematischen Nachrichten kritisiert.820 Deren Endposition ist allerdings kompositionell, wie aus einem Vergleich mit dem Zwischenproöm am Schluss des dritten Annalenbuchs hervorgeht, und aus lesepsychologischen Aspekten zur leichten Abmilderung der emotionalen Aufwal817 Vgl. zur spannungserregenden Wirkung offener Enden Lämmert (1980), S. 170, Schmitz (2002), S. 104, und dazu im livianischen Werk Pausch (2011), S. 205–207, v. a. 207: „Daneben gibt es aber zahlreiche Buchenden, an denen auf den Abschluß eines Handlungszusammenhangs offenbar bewußt verzichtet wird. Stattdessen wird die Entwicklung in der Schwebe gelassen oder der weitere – mit Vorliebe für den Leser bedrohliche – Verlauf mit gezielten Vorverweisen angedeutet, um auf diese Weise Spannungsbögen gerade über den materiellen Einschnitt des Endes der Papyrusrolle hinaus zu konstruieren.“ 818 Vgl. Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 314, und Woodcock (1939), S. 153. 819 14,65,1 f. eodem anno libertorum potissimos ueneno interfecisse creditus est, Doryphorum quasi aduersatum nuptiis Poppaeae, Pallantem, quod immensam pecuniam longa senecta detineret. Romanus secretis criminationibus incusauerat Senecam ut C. Pisonis socium, sed ualidius a Seneca eodem crimine perculsus est. unde Pisoni timor, et orta insidiarum in Neronem magna moles et improspera. 820 Vgl. Morris (1969), S. 196, Koestermann (1968), S. 156 f., der sogar von einem Irrtum des Historiographen spricht, und Syme (1967), S. 745. Lediglich ungenügend gehen darauf Hauser (1967), S. 9, sowie Schürenberg (1975), S. 44, ein und unbefriedigend ist die Erläuterung Pfordts (1998), S. 149 f., der in Piso unbegründet bereits im 14. Buch einen Kontrahenten Neros erkennt, und S. 171 f.

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lung des Rezipienten über Octavias Beseitigung821 sowie insbesondere aus inhaltlicher und spannungstektonischer Sicht plausibel. Doryphorus’ und Pallas’ Vergiftungen ersetzen nämlich bezeichnenderweise am Buch- die regulär am Jahresende referierten natürlichen Sterbefälle. Weil mit deren Beseitigung die letzten prominenten Vertreter von Agrippinas Anhängerschaft ausgelöscht werden, bilden sie einen personenbezogenen Rahmen um das 14. Buch und kennzeichnen so die enge Zusammengehörigkeit der ersten beiden Nerobücher, denen die Zwistigkeiten innerhalb der kaiserlichen Familie als Leitthematik unterliegt.822 Zugleich deutet der letzte Abschnitt des Kapitels auf einen Höhepunkt des nachstehenden Buchs, das Komplott um Piso, hin, ohne dass nach annalistischem Schema das Buch- mit dem Ende des Berichtsjahres, das zu Beginn des 15. Buchs mit interea direkt fortgeführt wird, kongruiert und per se die Gelegenheit zur Aufnahme prodigialer Elemente böte. Deshalb ist diese proleptische Verwendung des Buchschlusses zwar a priori ungewöhnlich und bemerkenswert. Aber diese separate Notiz stattdessen nach Meinung einiger Forscher vorwiegend als gegenwärtiges Indiz dafür, dass sich die Verschwörung schon zu diesem frühen Zeitpunkt formierte, anzusehen, erscheint wenig überzeugend,823 selbst wenn den Konspiranten später eine sehr große Trägheit zu eigen sowie eine gewisse Vorlaufzeit vor dem tatsächlichen Geschehen im Jahr 64 berechtigterweise anzunehmen ist. Dies unterstreichen unter anderem der exakte Tempusgebrauch von dederant (15,48,1) und Subrius Flavus’ erste eigenständige Mordpläne während des Rombrands.824 Ferner bleiben die Hintergründe der Anschuldigungen und der Prozess gegen Seneca ebenso obskur wie die etwaigen Konsequenzen für den Ankläger, Seneca oder Piso. Macht dies die Faktizität dieser nur knapp angedeuteten Affäre verdächtig, die Syme wohl zu Recht für gering hält,825 wird den secretae criminationes dadurch dennoch der narrative Status und das aufgezeigte handlungsmotivierende Funktionspotenzial gezielt integrierter Gerüchte zugewiesen, von dem das leserseitige Spannungsempfinden entscheidend profitiert.826 Denn durch unpräzise Anspielungen wird der Rezipient zu hypothetischen Antizipationen hinsichtlich einer irgendwie gearteten Verwicklung Senecas und Pisos in einen Nero gefährdenden Umsturzversuch veranlasst sowie in eine gesteigerte Erwartungshaltung bezüglich der ihm aufgrund seines historischen Vorwissens zumindest namentlich bekannten Pisonischen Verschwörung versetzt.827 Ihm 821 Vgl. Abschn. 2.5.2. 822 Vgl. Morford (1990), S. 1606, Holztrattner (1995), S. 105, Martin (1990), S. 1566 Anm. 194, und Suerbaum (2015), S. 336. 823 Vgl. Graf (1931), S. 102, Martin (1981), S. 179, sowie (1990), S. 1567, Suerbaum (1976/ 1993), S. 82, sowie (2015), S. 336, und Pagán (2004), S. 75. 824 15,51,1 bzw. 15,50,4 mit Anm. 422 (Kap. 3); vgl. Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 384, Woodman (1993), S. 104 f., und Hirschfeld (1890), S. 365. 825 Vgl. Syme (1967), S. 745, und Pfordt (1998), S. 172, dessen Ansatz wenig überzeugend ist und vermutlich auf Koestermanns Erklärungsversuch (1968), S. 156, zurückgeht. 826 Vgl. Abschn. 4.3.3. 827 Vgl. Pagán (2004), S. 8 f., die dem römischen Publikum gemeinhin ein großes Interesse am literarischen Stoff von Konspirationen und speziell der Pisonischen Verschwörung den Status „legendary“ attestiert.

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wird deren unvorstellbare Tragweite, dramatischer Verlauf und tragischer Ausgang schemenhaft angekündigt, sodass die Junktur magna moles et improspera (14,65,2) das letzte Drittel des 15. Buchs geradezu betitelt sowie in nuce Erregungs- und Endpunkt des folgenden Geschehens umfasst, was Lämmert als „eines der sichersten Mittel des Erzählers (erachtet), die Spannung und das anteilnehmende Verständnis des Lesers für den Gesamtablauf zu wecken.“828 Der kurze Vorverweis skizziert also in pseudoprodigialer, prospektivischer und zukunftsgewisser Verwendung an einem Buch- und nicht an einem Jahresende verheißungsvoll ein bedrohlich bevorstehendes Unglück und eine unausweichliche, erhöhte Gefährdung der physischen Existenz aller mutmaßlich involvierten Protagonisten. Dies beunruhigt den Rezipienten in höchstem Maße kognitiv wie affektiv und lässt ihn über die Buchgrenze hinweg an der Lektüre festhalten.829 „Daß Tacitus die Berichterstattung über die Verschwörung aber nicht fortsetzt, sondern erst in 15,48 wieder aufgreifen würde, konnte natürlich kein Leser bei der ersten Lektüre der Annalen wissen“,830 wie Pfordt die angesichts dieser deutlichen Vorwegnahme im Anschluss überraschende Retardation der präfigurierten Handlung treffend beschreibt. Mittels der mitreißenden armenischen Außenpolitik und der packenden Schilderung des Rombrands werden zwischenzeitlich zwei umfassende, eigenwertige und beeindruckende Erzählpartien vollständig eingelegt, die teils eine inhaltlich abwechslungsreiche, ablenkende Unterhaltung bieten, teils nach Pfordts Meinung verschiedene Kontrasteffekte und erneut Corbulo als geeigneteren Kaiser suggerieren.831 Indirekt verzögern diese umfangreichen Episoden gezielt die vom Leser aufmerksam und angespannt ersehnte Wiederaufnahme der expliziten Vorausdeutung, welche unversehens mit den Prodigien des Jahres 64 n. Chr. erfolgt, wobei deren Bedrohlichkeit aktualisiert und intensiviert wird.832 Mehr als der ersten Hälfte des 15. Buchs unterliegt somit durch eine planvolle Vorankündigung der Pisonischen Konspiration sowie einen raffinierten Aufschub von deren Bericht kontinuierlich eine unterschwellige, die Lektüre vorantreibende Erwartungshaltung des Rezipienten. Darüber hinaus birgt das dritte Buch über Neros Prinzipat ebenfalls gegen Ende zahlreiche implizite wie auch deutliche Hinweise auf das nachstehend zu antizipierende Geschehen, dessen Erzählung aufgrund des überlieferungsbedingten Textverlusts nach Thrasea Paetus’ Suizid jedoch nicht tradiert ist. Laut Zimmermanns Ansicht mag nämlich schon hinter Senecas Trankopfer, das er im Sterben aus seinem Wasserbad ebenso wie später analog Thrasea Paetus von seinem eigenen Blut Jupiter Liberator darbringt, nicht so sehr der Wunsch nach persönlicher Erlö828 Lämmert (1980), S. 169; vgl. Koestermann (1968), S. 19: „Damit ist unüberhörbar ein erster Hinweis auf das innenpolitische Hauptthema des 15. Buches gegeben.“, S. 156 sowie S. 265, Walker (1952), S. 43, und Martin (1990), S. 1567: „The allusion in its last sentence is designed to foreshadow the event that occupies the last third of the following book.“ 829 Vgl. Pfister (2001), S. 144: „In bezug auf die Handlungssequenzen selbst, die die Figuren und Rezipienten in Planung und hypothetischen Prognosen antizipieren, gilt, daß das Spannungspotential mit der Größe des involvierten Risikos wächst.“, und McCulloch (1984), S. 168. 830 Pfordt (1998), S. 172 f., und vgl. Morris (1969), S. 197, sowie Baldwin (1977), S. 143. 831 Vgl. Pfordt (1998), S. 173, und Morris (1969), S. 202. 832 15,47,1 f.; vgl. Walker (1952), S. 133.

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sung aus den Todesqualen, sondern eher nach der Errettung des Staats aus Neros Tyrannei zu erkennen sein.833 Nebenbei wird als aktueller Grund für Vestinus’ Ermordung bereits das Werben des Kaisers um dessen Ehefrau Statilia Messalina erwähnt, was gewissermaßen einen dunklen Schatten auf die Liebe des Prinzeps zu Poppaea wirft und eventuell auf deren frühzeitiges Verscheiden sowie Neros anschließende Heirat mit Statilia Messalina, seiner letzten Gattin, anspielt.834 Kumuliert und unmissverständlich finden sich Vorverweise auf das nächste zudem direkt am Schluss des vorliegenden Buchs: Nymphidius wird ausführlich vorgestellt, die Erhebung des Vindex expressis verbis benannt und schon werden Beschlüsse bezüglich Neros Deifikation angeführt, die dieser als ungünstiges Omen seines nahenden Todes ablehnt.835 Diese Thematik bleibt fortan präsent, indem einerseits der Antragsteller, Anicius Cerialis, kurz darauf auf Geheiß des Prinzeps seinen unüberlegten Vorschlag mit dem eigenen Leben büßt, andererseits Servilia, Barea Soranus’ Tochter, Nero auch in göttliche Sphären erhebt.836 Hinzu tritt eine bedeutungsträchtige, zunehmend skeptische Grundhaltung des Volkes gegenüber dem Kaiser und als weiteres Indiz für dessen baldiges Herrschaftsende sogar ein proleptischer Ausblick auf die Phase nach dessen Ableben.837 Alle dargelegten Ankündigungen scheinen gezielt an den Buchschluss gerückt zu sein, um diesem trotz fehlender Jahresgrenze einen ausdrucksstarken prospektivischen Gehalt zu verleihen, da den erwähnten Personen und Ereignissen jeweils eine besondere Tragweite in Bezug auf den bevorstehenden, wenn auch überlieferungsbedingt nicht mehr dargestellten Niedergang des neronischen Prinzipats zukommt. Dementsprechend ist für das 16. Buch von einem ähnlichen spannungstektonischen Arrangement wie für das 15. Buch auszugehen, sodass eine Erfüllung 833 15,64,4 …, respergens proximos seruorum addita uoce libare se (sc. Senecam) liquorem illum Ioui liberatori, … bzw. 16,35,1 ‚libamus‘ (sc. Thrasea) inquit ‚Ioui liberatori. …‘; vgl. Zimmermann (2005), S. 267 sowie S. 271, und Müller (2003), S. 274. 834 15,68,3 accesserat repens causa, quod Vestinus Statiliam Messalinam matrimonio sibi iunxerat, haud nescius inter adulteros eius et Caesarem esse. bzw. 16,6,1. 835 15,72,2 de Nymphidio, quia nunc primum oblatus est, pauca repetam: …, 15,74,2 ipse eum pugionem apud Capitolium sacrauit inscripsitque Ioui Vindici: in praesens haud animaduersum post arma Iulii Vindicis ad auspicium et praesagium futurae ultionis trahebatur. bzw. 15,74,3 …, ut templum diuo Neroni quam maturrime publica pecunia poneretur. …, sed ipse prohibuit, ne interpretatione quorundam ad *omina dolosa* sui exitus uerteretur: …; vgl. Krauss (1930), S. 171, Pelling (2009b), S. 157, Walker (1952), S. 137, Koestermann (1968), S. 330, Suerbaum (1976/1993), S. 71, sowie (2015), S. 337 f. und S. 452 f. Anm. 289, Pigón (2004), S. 103 f., Morris (1969), S. 247, Wille (1983), S. 584, sowie Vielberg (1990), S. 173. 836 16,17,1 bzw. 16,31,2. 837 15,73,1 etenim crebro uulgi rumore lacerabatur, tamquam uiros claros et insontes ob inuidiam aut metum extinxisset. bzw. 15,73,2 …, qui post interitum Neronis in Vrbem regressi sunt. Entgegen diesem expliziten Zeugnis nimmt Heldmann (2013), S. 351, an dieser Passage eine allgemein positive Stimmung gegenüber Nero an, die sich in dem Deifikationsantrag widerspiegeln solle. Vgl. demgegenüber Pigón (2004), S. 91 f. mit Anm. 72 sowie S. 104, und Blänsdorf (2015), S. 330, der darin einen „grotesken Fehlschlag der neronischen Politik“ erkennt. „Denn die öffentliche Meinung war eher bereit, an Neros Verbrechen zu glauben als an den Hochverrat einer Verschwörergruppe!“

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der klaren, aufregenden Vorverweise gezielt über eine längere Erzählspanne aufgeschoben wird. Hierzu werden eigenständige, variationsreiche und fesselnde Einzelepisoden wie der skurrile Fund von Didos Schatz, Soranus’ und Servilias Empathie evozierende Verurteilung sowie die plastische Schilderung von Thraseas Lebensende eingelegt, um die leserseitige Aufmerksamkeit zu binden sowie dessen innere Beunruhigung bezüglich der angekündigten Vorfälle zu steigern. Die Beobachtungen zu den proleptischen Elementen an den Schlüssen des 13., 14. und 15. Buchs stimmen indes mit denjenigen Hausers und Walkers für einige Buchenden in der tiberianischen Hexade überein, obgleich diese ebenso wie der einzige überprüfbare Einschnitt in claudianischer Epoche stets noch gemäß annalistischer Manier mit einem Jahresende zusammenfallen.838 Wie jedoch mit Neros Herrschaftsauftakt dieses traditionelle Strukturprinzip zurücktritt, ist schon Narcissus’ pathetische, unheilvolle und zukunftssichere Prophezeiung am Schluss des 12. Buchs als uaticinium ex euentu zu verstehen. In diesem nimmt der mächtige Freigelassene die Spaltung der kaiserlichen Familie durch nouercae insidiae (12,65,2), Britannicus’ daraus resultierende Gefährdung sowie Ermordung und so bereits zentrale Handlungsstationen des nachfolgenden Buchs vorweg.839 Auch ohne Verknüpfung mit einem Jahresende behalten dieser wie die weiteren Buchschlüsse also ihre prospektivische Komponente bei, sodass sie, wie Sage treffend formuliert, zu „functional equivalents of the endings of the Tiberian Hexad“840 werden. Indem sie den Leser mittels vorausweisender Andeutungen wesentliche Ereignisse des jeweils folgenden Buchs antizipieren lassen,841 können sie einerseits geradezu als literarisch gestaltete, untilgbar mit dem Text verbundene und die leserseitige Neugier fördernde Inhaltsangaben erachtet werden.842 Andererseits fungieren sie als geschickt positionierte ‚Cliffhanger‘, die eine abschnittsübergreifende Anspannungs- und Erwartungshaltung erzeugen, Erzählfluss sowie Leserbindung aufrechterhalten und nach Lämmert somit den eigentlichen Abschlusscharakter eines Buchendes aufheben.843 In Hinblick auf die Werkkomposition ist daraus zuletzt hervorzuheben und Pigón darin zuzustimmen, dass sich die intratextuellen Vorverweise an den Schlüssen der Nerobücher in jedem überlieferungsbedingt überprüfbaren Fall ausschließlich auf Ereignisse beziehen, die im unmittelbar nachstehenden Buch referiert werden.844 Dieser konsequent eingehaltenen Systematik gemäß ist anzunehmen, dass auch die prägnant bis verklausuliert formulierten, zukunftsgewissen Vorausdeutungen gegen Ende des 15. Buchs wesentliche Vorkommnisse während Neros 838 Vgl. Hauser (1967), S. 72 f., Walker (1952), S. 38 und S. 42, und McCulloch (1984), S. 138. 839 12,65,1–3; vgl. Häussler (1965), S. 344. 840 Sage (1990), S. 984 sowie vgl. S. 967: „All of the Neronian books end with a similar structural device pointing to some future and ominous development.“, Morris (1969), S. 73: „Both look to the future and foreshadow the outcome of events.“, und Wille (1983), S. 583 f. 841 Vgl. Schmitz (1955), S. 432 f. 842 Vgl. zu einer ähnlichen narrativen Praxis bei Polybios Pausch (2011), S. 110 f. 843 Vgl. Lämmert (1980), S. 170, und auch Pausch (2011), S. 111 f. 844 Vgl. Pigón (2004), S. 101 sowie S. 170: „Finally, it should be remarked that the historian tends to place anticipatory statements either at the beginning or at the end of a book, a narrative year or a large section of his account.“, und Anhangstabelle 2.

4.5 Techniken der Spannungserzeugung durch Antizipation

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Herrschaftssturz und Suizid am 9. Juni 68 n. Chr. als zeitlichem wie inhaltlichem Darstellungsziel- und -höhepunkt des darauffolgenden 16. Buchs vorwegnehmen.845 Dies legt für die ‚Annalen‘ einen Gesamtumfang von 16 Büchern nahe,846 wobei ein derartiger Abschluss innerhalb des bidiadisch gegliederten neronischen Werkabschnitts zugleich sinnfällig und kontrastreich mit der von diesem veranlassten Ermordung der ehemaligen Gattin Octavia, die nach Suetons Angaben an demselben Tag umkam,847 nach den ersten zwei Büchern korrespondieren würde. Fazit An den exponierten Stellen von Jahres- und Buchenden finden sich im Werkabschnitt über Neros Prinzipat zum einen gemäß annalistischer Tradition proleptische Prodigienberichte, die mittels direkter sowie indirekter Andeutungen leserseitige Antizipationen hervorrufen, sowie beeindruckende Omina, deren zukunftsorientierter Gehalt jedoch aus kompositionellen Gründen absichtlich aufgehoben ist.848 845 In der Forschung wird entweder ein Ende mit Neros Suizid am 9. Juni 68 n. Chr. inkl. bzw. exkl. eines Nachrufs auf diesen oder eine Weiterführung der Geschichte bis zum 31. Dezember 68 erwogen; vgl. zu beiden Optionen Koestermann (1963), S. 22, Syme (1967), S. 265, Fögen (2015), S. 45, Sage (1990), S. 969, Wellesley (1989), S. 183, und Borzsák (1968), Sp. 478. Eindeutig für einen Abschluss des Jahres 68 n. Chr. sprechen sich Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 484 Anm. 2, Schanz/Hosius (1935), S. 624 sowie S. 626, Koestermann (1968), S. 410, Nickbakht (2005), S. 3, Suerbaum (2015), S. 327, S. 360 sowie S. 383 Anm. 242, Bretschneider (1905), S. 70, Goodyear (1970), S. 17, bestärkt von McCulloch (1984), S. 170 Anm. 35 sowie S. 173, und Mehl (2001), S. 121 sowie S. 126, aus. Hingegen sehen Woodman (1988), S. 186, Flach (1973b), S. 174, Wille (1983), S. 525 sowie S. 599 f., Hauser (1967), S. 75, Pigón (2004), S. 91 f. sowie S. 104, und (2008), S. 289, Martin (2009), S. 244, und Morford (1990), S. 1598, Neros Tod als das Ende der ‚Annalen‘ an. 846 Zwar kann die Frage nach der Gesamtbücherzahl von Tacitus’ historiographischem Œuvre mit Verweis auf Hieronymus’ Testimonium, comm. in Zach. 3,14 Cornelius quoque Tacitus, qui post Augustum usque ad mortem Domitiani uitas Caesarum triginta uoluminibus exarauit, als weitestgehend gesichert gelten; vgl. speziell hierzu Bretschneider (1905), S. 68, Haase (1855), S. 66, Wellesley (1989), S. 183, Sage (1990), S. 963 sowie S. 969, und Zecchini (1991), S. 343. Bezüglich des jeweiligen Umfangs von ‚Annalen‘ und ‚Historien‘ werden in der Forschung jedoch die beiden möglichen Ansätze von 18 zu 12 bzw. 16 zu 14 Büchern eifrigst diskutiert; vgl. Wölfflin (1886), S. 158 f., Syme (1958), S. 24, (1967), S. 263–266 sowie S. 686 f., und (1970), S. 20, Koestermann (1963), S. 19, sowie (1968), S. 410, Reitzenstein (1926), S. 25, Walker (1952), S. 13 f., Wille (1983), S. 525 sowie S. 596, McCulloch (1984), S. 170, Benario (2012), S. 104, Morford (1990), S. 1597 f., Borzsák (1968), Sp. 443 sowie Sp. 471 f., Goodyear (1970), S. 17 f., Moore (1923), S. 14 f., Poghirc (1964), S. 150–152, Martin (1990), S. 1568, sowie (2009), S. 241 f., Mehl (2001), S. 121, Suerbaum (2015), S. 327, Schmal (2011), S. 59 f. sowie S. 86, Oliver (1951), S. 259, sowie (1977), S. 291 f., und Heldmann (2013), S. 325 f. Anm. 29. 847 Suet. Nero 57,1 obiit tricensimo et secundo aetatis anno, die quo quondam Octauiam interemerat, …; vgl. Furneaux/Pelham/Fisher (1907), S. 313, sowie Koestermann (1968), S. 154, und zur Diadenstruktur auch Abschn. 2.5.2 mit Anm. 437. 848 Vgl. Pigón (1999), S. 208, und Graf (1931), S. 101: „Besonders deutlich können wir […] die kompositorische Verwertung solcher Prodigien erkennen, wie sie gewöhnlich am Schluß eines Jahres, wenn nötig aber auch an anderer Stelle, die Darstellung künstlerisch verknüpfen.“

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4. Textinhärente Strategien der Leseraktivierung

Zum anderen sind dort zahlreiche von Schmal als „recht unliterarische[s] Sammelsuri(en) isolierter Nachrichten“849 deklarierte Zusammenstellungen von vermeintlich anarrativem und ungewöhnlichem inhaltlichen Charakter eingefügt.850 Diese Elemente sind aber nicht als unreflektiert aus vorliegenden Quellen in die Erzählung übernommene, mangelhaft eingearbeitete oder unzweckmäßige, sondern als gezielt kontextgebunden eingesetzte und auf den weiteren Handlungsverlauf gerichtete Diskursbestandteile zu erachten. Denn diese Mirabiliensammlungen erweitern nicht nur das in der republikanischen Historiographie überschaubare stoffliche Repertoire sinistrer Vorkommnisse um alternative, atypische und neuartige Motive. Vielmehr wird diesen angesichts ihrer prominenten textuellen Position, ihrer für die erzählte Epoche bezeichnenden Themen und der gattungsspezifischen Lektüreerfahrung des Rezipienten eine ungewisse, unheilvoll vorausweisende sowie bei konzentrierter Lektüre deutlich wahrnehmbare, zukunftsbezogene funktionale Bedeutsamkeit zuteil, die derjenigen von Prodigien gleicht – prodigii loco habitum (13,58).851 Ihrem ominös-proleptischen Kolorit entsprechend variiert die Verwendung dieser abwechslungsreichen Pseudoprodigien, sodass sie als stimmungsvolle, assoziative bis kontrastive Überleitungen zwischen einzelnen Berichtsjahren dienen oder als singuläre Symptome andauernder schicksalhafter Entwicklungen leserseitige Aufmerksamkeit auf sich ziehen und spannungsvolle Erwartungen bezüglich des weiteren Geschehensverlaufs schüren können.852 Dies trifft vor allem auf die regelmäßig an allen Buchenden des neronischen Werkabschnitts zu identifizierenden ‚Cliffhanger‘ zu, die unverhohlen bis verklausuliert wesentliche Inhalte des jeweils nachstehenden Buchs ankündigen, dadurch ein leserseitiges Interesse an den darin zu berichtenden Ereignissen wecken und diesbezüglich dessen Antizipationsfähigkeit anregen. Durch die zukunftsungewissen, den retardierenden Bucheinschnitt überspannenden Vorausdeutungen in innere Aufregung und Unruhe versetzt wird der Rezipient folglich dazu angehalten, zur nächsten Buchrolle zu greifen und seine packende Lektüre nach dieser mediumbedingten Pause unmittelbar fortzusetzen. Neben ihrem kognitiv aktivierenden Potenzial, ihrer spannungsbezogenen Wirksamkeit und ihrem Beitrag zur langfristigen Leserbindung indizieren insbesondere die zahlreichen prodigienhaften Elemente gegen Ende des 15. Buchs angesichts ihrer spezifischen Reichweite zuletzt auch einen Abschluss der Annalen mit Neros Suizid im 16. Buch, was nach Marincola ein aussagekräftiger und würdiger thematischer Ausklang für diese historiographische Monumentalschrift wäre.853 849 Schmal (2011), S. 110. 850 Vgl. Suerbaum (2015), S. 364. 851 Vgl. Ginsburg (1981), S. 51 f., Davies (2004), S. 152: „Traditional materials found in a new guise are the poet’s medium for generating experience in the reader.“, und Pelling (2009b), S. 148: „But it is the last chapter of a book, and authors do not choose – and readers know they do not choose – such concluding material lightly.“ 852 Vgl. dazu Ginsburg (1981), S. 40 f. sowie S. 46, zu den Jahresenden in den Tiberiusbüchern: „The items at the close of the year’s narrative may also look forward within the Annals, preparing the groundwork for future events and providing a transition from one year to the next.“ 853 Vgl. Marincola (2005), S. 297.

5. ABSCHLUSSFAZIT Mangels verlässlicher Zeugnisse von zeitgenössischen Publikumsreaktionen auf Tacitus’ Historiographie greift die vorliegende Betrachtung narrativer sowie leseraktivierender Elemente und Strategien in Tacitus’ Nerobüchern auf einen heuristischen Zugang unter Einbezug moderner diskursanalytischer Theorien der Erzähltextanalyse und der Spannungsforschung zurück. Eine diachrone Übertragung dieser Modelle ist unter aufmerksamer Berücksichtigung des anachronen methodischen Verhältnisses bei der Interpretation, in stetem Abgleich mit entsprechenden bereits im Altertum bekannten Konzepten sowie insbesondere mit Blick auf die ontologische Hybridform der antiken Geschichtsschreibung als faktual-fiktiver Erzählung dazu geeignet, traditionelle Untersuchungsgegenstände mittels eines umfassenden methodischen Instrumentariums differenziert zu beleuchten und neuartige Perspektiven auf den Text zu eröffnen. Angesichts der in der Antike als direkt wahrgenommenen Kommunikationsbeziehung zwischen Autor und Rezipient fußen Glaubwürdigkeit und Autorität der heterodiegetischen Sprecherinstanz der ‚Annalen‘ vorrangig auf ihrer greifbaren Identität mit dem gesellschaftlich angesehenen und politisch verdienstvollen Exkonsul Tacitus. Zusätzliche leserseitige Anerkennung verschafft diesem im Spätwerk seine eigene Erzählhistorie und -erfahrung, auf deren Basis der mittlerweile renommierte Historiograph die geschichtlichen Ereignisse mit einer gewissen objektivitätsstiftenden, aber nicht teilnahmslosen narrativen Souveränität berichtet und sich durch ein erstarktes Selbstbewusstsein im Umgang mit historischen Paralleldarstellungen auszeichnet. Indem neben einer senatorisch-aristokratischen Provenienz sowie einem römischen Sittlichkeits- und Moralempfinden die werkinhärenten Vorstellungen bezüglich einer intendierten Leserschaft insgesamt relativ vage gehalten sind, wird einem breiten zeitgenössischen Literaturpublikum wie auch einer für den Autor absehbaren Nachwelt eine Identifikation mit der Leserrolle ermöglicht. Eine basale Rezipientenorientierung wird nämlich aus den wiederholten auktorialen Reflexionen über eine zu erwartende leserseitige Aufnahme des Werks evident, die trotz jeweils topischer Bescheidenheitsgestus Tacitus’ implizites Bewusstsein für den didaktischen Eigen- und Mehrwert sowie die unterhaltsame Attraktivität des zugrunde liegenden historischen Plots zum Ausdruck bringen. Seiner Ansicht nach gilt es dieses stoffinhärente Potenzial mittels einer hinsichtlich beider Aspekte ansprechenden Präsentationsweise zu fördern, durch die ein Fokus auf die geschichtlichen Hintergründe und die oftmals vermeintlich kleinen Auslöser bedeutender Vorkommnisse gelegt sowie vor allem jede Form von ermüdender Handlungsmonotonie vermieden werden soll. Die historischen Geschehnisse werden hierzu in einem raffinierten Arrangement nach temporalen, thematischen oder räumlichen Prinzipien teils zu anschaulichen, packenden Einzelabschnitten gruppiert und ausstilisiert sowie diese teils wiederum in kontinuierliche, mitreißende Handlungslinien eingebettet. Das

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traditionelle annalistische Schema wird hierbei zwar augenscheinlich als basales globales Anordnungsschema gewahrt und auch innerjährlich sowie des Öfteren bis auf Tagesebene ein linear fortschreitender chronologischer Verlauf inszeniert. Aber rhythmisierende Modulationen der Erzählgeschwindigkeit, deren Variationsbreite sich von kommentierenden Pausierungen bis zu akzentuierenden Ellipsen erstreckt, sind angesichts der in einer begrenzten Lesezeit darzustellenden 14 Herrschaftsjahre nicht nur essenziell, sondern ein geschickt verwendetes Mittel zur narrativen Schwerpunktsetzung und rezipientenseitigen Aufmerksamkeitslenkung. Zugleich geht die daraus resultierende Episodisierung der Handlung mit der Anlage scheinbar in sich abgeschlossener, thematischer Einheiten einher, die durch hervortretende inhaltliche Ankündigungen abgesetzt werden und deren innerer Aufbau einer vergleichbaren Struktur folgt, sodass diese geradezu als in das fortlaufende Geschehen integrierte, eigenständige Lektüreportionen anzusehen sind. Den dadurch evozierten zeitlichen wie auch stofflichen Diskontinuitäten wird durch ein formen- und funktionsreiches Anwendungsspektrum von Anachronien entgegengewirkt, welche retro- oder prospektiv Bezüge zwischen zusammengehörigen Vorfällen und Teilsträngen herstellen und damit maßgeblich zur textuellen Kohäsionsbildung, zur werkinternen Orientierung des Lesers wie auch zur Spannungsgenerierung beitragen. Zudem werden durch singulative Erwähnung gewisser wiederkehrender Ereignisse zum einen leitmotivische Akzente eingefügt und durative Entwicklungen aufgezeigt. Zum anderen reduzieren Iterationen die historische Komplexität und spiegeln in einer prototypischen, inhaltlich verdichteten und damit wirkungsvollen Berichterstattung sonst latent ablaufende Vorkommnisse wider. Darüber hinaus weist die Disposition der narrativen Räume, die global gattungsgemäß auf Rom und Italien konzentriert ist, aber auch die Provinzen hinreichend berücksichtigt, vor allem lokal ein abundantes Repertoire an Handlungsorten auf und besticht durch eine planvolle Nennung deskriptiver Details, die einzelfallspezifisch an den jeweils anzunehmenden Kenntnissen wie auch Interessen der Leser an geographischen Informationen orientiert ist. Die Übergänge zwischen verschiedenen Schauplätzen werden teils abrupt vollzogen und induzieren so betonte, kontrastreiche und aussagekräftige Gegenüberstellungen zwischen den Örtlichkeiten beziehungsweise den dort agierenden Protagonisten. Teils vermittelt eine kunstvolle und überlegte assoziative Überleitungstechnik dem Leser zumindest ansatzweise eine mentale Vorstellung von der beeindruckenden Geographie und Ausdehnung des imperium Romanum. Wenn die Berichterstattung auch von einem römisch und senatorisch geprägten auktorialen Blickwinkel dominiert wird und demgemäß gerade anlässlich außenpolitischer Konflikte eine patriotische Parteinahme zugunsten der römischen Seite erfolgt, distanziert sich die Erzählerperspektive demgegenüber deutlich von den innenpolitischen Vorgängen. Diese werden zum einen unter variablen, auf wechselnde Figuren und Gesellschaftsschichten bezogenen Fokalisierungen dargestellt, die dem Leser reizvolle Einblicke in die individuellen Überlegungen und intimen Emotionen verschiedener Protagonisten erlauben, ihn zum Augenzeugen des historischen Geschehens werden und somit unmittelbar daran teilhaben lassen. Zum anderen können römische Verhältnisse aus der Sicht fremdländischer Akteure

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gespiegelt und dadurch eine attraktive Fremdheitserfahrung hervorgerufen, die Relativität des subjektiven Standpunkts dargelegt und selbstkritische Reflexionen angeregt werden. Abgesehen von diesen kognitiv und affektiv involvierenden, monofokalisierten Erzählpartien finden sich auch polyperspektivisch gestaltete Abschnitte, in denen der Rezipient mit der historischen Vielfalt an identischen bis kontradiktorischen und unterschiedlich glaubwürdigen beziehungsweise narrativ hierarchisierten Blickwinkeln auf dieselben Vorfälle konfrontiert wird, welche er eigenständig koordinieren muss. Dadurch wird nicht nur der Eindruck einer realen Weltwahrnehmung erzeugt, sondern der Leser unmittelbar am komplexen historischen Rekonstruktionsprozess und der Wahrheitsfindung beteiligt. Dessen besondere mentale Auseinandersetzung wird dabei einerseits im Rahmen von monoauktorialen Gegenüberstellungen heterogener Ereignisversionen wie auch anlässlich von gezielt im Diskurs implementierten Unbestimmtheitsstellen gefordert, welche für ihn direkt die Grenzen geschichtlicher Erkenntnis- und Vergewisserungsmöglichkeiten offenbaren. Andererseits werden gezielt diachron existierende mündliche Überlieferungen und die Positionen sowie Sichtweisen namhafter Historiker in die Erzählung einbezogen, um den Rezipienten in nuce zu eigenaktiven Bewertungen und kritischen Diskussionen verschiedenartiger Quellen anzuleiten. Des Weiteren wird durch die Aufnahme von berichtet, indirekt und direkt wiedergegebenen Gedanken sowie Reden unterschiedlicher Protagonisten, deren wörtliche und teils inhaltliche Fingiertheit zwar jeweils offenkundig, aber zugleich ein gewisser Authentizitätsgrad im Einzelfall durchaus nicht auszuschließen ist, eine ausgeprägte Polyphonie erzeugt. Denn zum einen ist jeder eingelegten Äußerung eine Ambivalenz zwischen Autor- und Figurenwort inhärent, zum anderen interferieren und konfligieren die referierten Blickwinkel der Personen untereinander und führen zu vom Leser aufzulösenden kognitiven Dissonanzeffekten. Während die summarische Form der berichteten Rede dem relativ hohen Erzähltempo der historiographischen Berichterstattung entspricht, bietet sich die indirekte Rede nicht nur zur Wiedergabe impulsiver, eindrucksvoller und handlungsevozierender Äußerungen an, sondern ihre halbtonale Abstufung begünstigt auch die Implikation zeit- und gesellschaftskritischer Sprechakte. Bei gedachten und halblauten Bemerkungen finden sich hierbei en détail sogar weitere differenzierte Nuancierungen der narrativen Distanz. Diese wird durch den Einsatz direkter Reden abschnittsweise sogar geradezu vollständig aufgehoben und die jeweiligen mimetischen Passagen durch eine suggerierte Äquivalenz von Erzähl- und erzählter Zeit akzentuiert. In diesen kann der Leser an privaten Sterbeszenen prominenter Persönlichkeiten, intimen Gesprächen im Kaiserhaus und vor allem verschiedenen Verhandlungen vor dem Senat also aus einer immediaten, Empathie erregenden Miterlebensperspektive teilnehmen. Aufgrund der Berücksichtigung unterschiedlicher individueller sowie kollektiver Standpunkte und Stimmen differenter sozialer Schichten und Nationalitäten zeichnet sich somit auf lokaler Betrachtungsebene eine variable Fokalisierungsstruktur des Geschehens ab, die global in einer synthetisierenden, prävalenten, prorömischen und aristokratischen Erzählersicht aufgeht, wodurch insgesamt eine monologische Multiperspektivität vorliegt.

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Darüber hinaus sind die originellen Eigentümlichkeiten der taciteischen Sprache und des Stils unter einem statischen Spannungsbegriff als gekonnt verwendete Gestaltungsaspekte zu begreifen, die auf das ästhetische Empfinden des Lesers und ansprechende Artefaktemotionen abzielen. Zu diesen treten abgestufte, gehaltvolle Zwischentöne hinzu, die der Erzählung nicht nur humorvolle bis zynische Nuancen, sondern durch pointierte Kommentare sowie geistreiche, einprägsame Sentenzen ebenfalls überzeitliche Gültigkeit und speziellen Nachdruck verleihen. Eine spannungsreiche, tiefsinnige Analogiebildung zu werkinternen Darstellungsmomenten wie auch zu vorausgehenden Bearbeitungen geschichtlicher respektive mythologischer Stoffe verhilft dem Rezipienten außerdem zu einer transhistorischen Verortung des Geschehens und macht insbesondere durch die abstrakte überzeitliche Wiederkehr spezifischer Handlungsmotive und -muster den singulären didaktischen Erkenntniswert der Geschichtsschreibung deutlich. Als eine wesentliche Voraussetzung für eine gelingende Leseraktivierung sind weiterhin mittels kontextueller Merkmalsattribution, kontinuierlicher indirekter und direkter Techniken sowie individueller Entwicklungsdynamiken facettenreich, nicht widerspruchsfrei, tiefgründig und lebendig charakterisierte Protagonisten anzusehen. Diese werden teils unter erkennbarer Rücksichtnahme auf literarisch vorgeprägte, dem Rezipienten vertraute Persönlichkeitskonzepte neu inszeniert, teils werden auch bisher unbekannte Akteure in die Erzählung eingeführt. Daraus resultieren für den Leser einerseits vielfältige Gelegenheiten zu einer kognitiven Identifikation und Perspektivenübernahme, zu einer realitätsnahen Zuschreibung von Anti- und Sympathie sowie zu einer emotional involvierenden, empathischen Lektürehaltung. Andererseits entspringt der mit dramatischen Antagonismen operierenden Figurenkonstellation eine wendungsreiche, aufregende und kurzweilige Handlung. Auch wenn die Komponente der ‚Was-Spannung‘ bei einer historischen Erzählung vorab möglicherweise etwas geschmälert ist, kommt dennoch die thematische Selektion und Schwerpunktsetzung leserseitigen Interessen entgegen. Denn erstens werden bei dem Publikum wohlbekannten Stoffen die Akzente geschickt verlagert, die geschichtlichen Hintergründe fokussiert und bisherige Nebenfiguren systematisch zu charismatischen Protagonisten aufgewertet. Zweitens wird in der Vielfalt prominenter Sterbefälle wie auch in der kunstvollen und ergreifenden Präsentation einzelner Todesszenen der Einfluss der zeitgenössischen exitus illustrium uirorumLiteratur evident. Drittens korrespondiert der geschichtsmethodisch fragwürdige Einbezug unzureichend verbürgter, aber überlieferter Versionen nicht nur mit der basalen Neigung der Leserschaft zu unterhaltsamen Gerüchten und amüsanten Trivia, sondern das implizit ereignisauslösende Potenzial dieser Elemente wird gezielt zur Handlungsmotivierung und -verknüpfung eingesetzt. Als besonders effizient zur Generierung von ‚Wie-Spannung‘ erweisen sich darüber hinaus die Gestaltungsstrategien der Retardation und Antizipation. Zur Verzögerung des Geschehens werden zum einen Quellendiskussionen vor entscheidenden Höhepunkten platziert und darin derzeit eigentlich nachrangige Detailfragen oftmals ausführlich erörtert, was die innere Ungeduld und Aufregung des Rezipienten steigert. Zum anderen finden sich im Diskurs zahlreiche enigmatische

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Bestandteile, die faszinierende historische Unklarheiten problematisieren, ohne dass zwar eine eindeutige Auflösung möglich beziehungsweise beabsichtigt ist. Der Leser ist so aber zu einer erhöhten geistigen Auseinandersetzung mit den gegebenen Informationen und einer konzentrierten Lektüre diesbezüglicher Passus angehalten. Ferner wird das Spannungsempfinden durch eine gezielte Schnitt- und Ausblendungstechnik intensiviert, indem innerhalb geschlossener Episoden plötzliche Wendungen eintreten, sich verschiedene themenbezogene Handlungslinien jeweils an neuralgischen Momenten wechselseitig unterbrechen sowie personenspezifische Erzählstränge unvermittelt aussetzen und die zugehörigen Akteure erst anlässlich ihrer Ermordung reintegriert werden. Außerdem hemmen hypothetische Reflexionen über beinahe eingetretene Vorkommnisse und knapp verhinderte alternative Geschichtsverläufe, die das faktische Geschehen lediglich als eine konkretisierte Variante von unendlich vielen potenziellen historischen Entwicklungen erscheinen lassen, das Fortschreiten der Handlung und erzeugen durch einen Aufschub des realen Ausgangs Spannung. Während hierbei die Irrealität des betreffenden Vorfalls aus der diegetischen Retrospektive vorab ersichtlich ist, erlebt der Rezipient die Vergangenheit im Rahmen einer unter figuraler Fokalisierung wiedergegebenen, subjektiv geprägten Antizipation künftiger Ereignisse als ergebnisoffen und ungewiss. Unter Einbezug oftmals heterogener zukunftsorientierter Vorstellungen wird er also zu einer virtuellen, erwartungsevozierenden Fortzeichnung des Handlungsverlaufs angeregt. Die leserseitige Anspannung kann hierbei zusätzlich durch eine enorme Diskrepanz der Informationsstände zwischen einzelnen Personen und Gruppen verstärkt werden, die teils ahnungslos auf ihr Unglück zusteuern, teils erfolglos versuchen, ihr Wissensdefizit zu beheben, was vom Rezipienten jeweils aus kenntnisreicher, aber ohnmächtiger Beobachterposition zu verfolgen ist. Weiterhin tragen unheilvolle Ankündigungen, die überlegt und regelmäßig an Jahresund Buchenden eingefügt werden, zu einer aufmerksamkeitserregenden Vordisposition des Geschehensablaufs bei und fungieren als gezielt integrierte ‚Cliffhanger‘, die dem Leser einen reiz- und spannungsvollen Ausblick auf zentrale Inhalte nachfolgender Erzählpartien gewähren und ihn somit an die Lektüre binden. Zwar vermögen die vorausgehenden Befunde bei ihrer separaten Analyse freilich jeweils nur einzelne rezeptionsorientierte und lektüreförderliche textuelle Aspekte zu beleuchten. Die formale Quantität, die funktionale Heterogenität sowie das fortwährend reziproke Zusammenwirken der offensichtlich auf unterschiedlichen Niveaus und mit differierenden Reichweiten sowie Intensitäten operierenden diegetischen Elemente und reichhaltig eingesetzten narrativen Strategien machen jedoch in einer kritischen Synopse das immense diskursinhärente Potenzial zur variablen Leseraktivierung, fortwährenden -unterhaltung und langfristigen -bindung deutlich.1 Wie sehr Tacitus’ Darstellung des neronischen Prinzipats dadurch auf verschiedenen Ebenen noch viele Jahrhunderte später den Rezipienten ansprechen, beeindrucken, fesseln und zu einer wiederholten Beschäftigung mit der Berichterstattung anregen kann, bringen abschließend nicht nur ein bekannter 1

Vgl. dazu Pfister (2001), S. 147, Wulff (1993), S. 99, Wenzel (2004), S. 187 sowie S. 193, und Junkerjürgen (2002), S. 61 sowie S. 72.

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Aphorismus Lichtenbergs aus dem 18. Jahrhundert2 sowie die vielfachen Würdigungen von Tacitus’ Schaffen mehrerer Philologengenerationen zum Ausdruck.3 Vielmehr erfährt dessen Werk aufgrund seiner anschaulichen, eindrucksvollen sowie mitreißenden Szenen und Handlungspartien wie insbesondere der Schilderungen tragischer Schicksale von Angehörigen der Kaiserfamilie, von Senecas Ermordung oder vom Rombrand bis heute eine nachhaltige Resonanz in der bildenden sowie darstellenden Kunst und der Literatur,4 welche auch in Zukunft unvermindert anhalten möge – ne lectorum incuria depereat!

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Vgl. Lichtenberg (nach der Aphorismensammlung von Ilberg 1953), S. 105: „Ein sicheres Zeichen von einem guten Buch ist, wenn es einem immer besser gefällt, je älter man wird. Ein junger Mensch von achtzehn, der sagen wollte, sagen dürfte und vornehmlich sagen könnte, was er empfindet, würde von Tacitus etwa folgendes Urteil fällen: Tacitus ist ein schwerer Schriftsteller, der gute Charaktere zeichnet und vortrefflich zuweilen malt, allein er affektiert Dunkelheit und kommt oft mit Anmerkungen in die Erzählung der Begebenheiten herein, die nicht viel erläutern. Man muß viel Latein wissen, um ihn zu verstehen. Im fünfundzwanzigsten vielleicht, vorausgesetzt, daß er mehr getan hat als gelesen, wird er sagen: Tacitus ist der dunkle Schriftsteller nicht, für den ich ihn ehemals gehalten. Ich finde aber, daß Latein nicht das einzige ist, was man wissen muß, um ihn zu verstehen; man muß sehr viel selbst mitbringen. Und im vierzigsten, wenn er die Welt hat kennen lernen, wird er vielleicht sagen, Tacitus ist einer der ersten Schriftsteller, die je gelebt haben.“ Vgl. dazu auch Röver/Till (1962), S. 5, und Häussler (1965), S. 413 Anm. 92. Vgl. z. B. Reitzenstein (1926), S. 32: „Einem Schriftsteller wie Tacitus muss man sich hingeben, um ihn zu verstehen.“, Schanz/Hosius (1935), S. 636: „Aber zum vollen Verständnis gehört die Reife des Lebens. […] Der Jugend bleibt der Autor zu einem großen Teile unverstanden.“, Hommel (1936), S. 139: „Der künstlerische Drang hat über die erzieherische Absicht gesiegt.“, Chapman (1947), S. 87: „[…] Tacitus is perhaps the most readable and enjoyable of all Latin prose authors.“, Tresch (1965), S. 181: „Tacitus ist anspruchsvoll, aber er belohnt den Leser wie nur wenige lateinische Schriftsteller.“, Flach (1973b), S. 126: „Diese Wirkung verdanken sie (sc. die ‚Annalen‘) eher einer Steigerung der schriftstellerischen Kunst und vielleicht auch der Tragik des Geschehens.“, und für einen Rezeptionsüberblick vorwiegend über die frühe Neuzeit Schmal (2011), S. 177–185. Vgl. dazu z. B. die Dramen ‚Agrippina‘ (1666) von Daniel Casper von Lohenstein, ‚Britannicus‘ (1669) von Jean Racine oder ‚Ottavia‘ (1782) von Vittorio Alfieri, die Gemälde ‚Der sterbende Seneca‘ (1612/13) von Peter Paul Rubens, ‚Nero auf den Trümmern des brennenden Rom‘ (1860) von Karl Theodor von Piloty oder ‚Die Fackeln des Nero‘ (1877) von Henryk Siemiradzki bzw. die historischen Romane ‚Quo Vadis‘ (1895) von Henryk Sienkiewicz sowie den gleichnamigen Film von Mervyn LeRoy (1951), ‚Die Verschwörung der Dichter – Geheimberichte aus dem alten Rom‘ (1972) von John Hersey, ‚Der Tod des Seneca‘ (2001) von Beat Schönegg oder Thorsten Beckers ‚Agrippina. Senecas Trostschrift für den Muttermörder Nero‘ (2011); vgl. weiterführend v. Albrecht (1997), S. 905, Schmal (2011), S. 182, Schmitz (2013), Sp. 893–910, Simonis/Schermer (2013), Sp. 781–788, und Kugelmeier (2013a), Sp. 9–15, (2013b), Sp. 691–706, sowie (2013c), Sp. 707–712.

LITERATURVERZEICHNIS AUSGABEN, ÜBERSETZUNGEN, KOMMENTARE Bibliographisch erfasst werden nachstehend ausschließlich alle verwendeten textkritischen Ausgaben, Übersetzungen und Kommentare zu Tacitus’ Œuvre. Darüber hinaus in der Arbeit enthaltene Stellenangaben und Zitate weiterer lateinischer beziehungsweise einiger griechischer Autoren richten sich nach den jeweils einschlägigen Editionen, die im Indexband des Thesaurus Linguae Latinae (5. Auflage, 1990) respektive im Autoren- und Werkverzeichnis von Liddell und Scott (9. Auflage, 1996) ausgewiesen werden. C. Cornelii Taciti opera, tom. II, rec. et commentarios suos adiecit Walther, G. H., Halle 1831. Cornelii Taciti annalium ab excessu divi Augusti libri, rec. brevique adnotatione critica instr. Fisher, C. D., Oxford 1906 [ND o. J.]. Cornelii Taciti annalium ab excessu divi Augusti libri, The Annals of Tacitus, Vol. II, books XI–XVI, ed. with introduction and notes, Furneaux, H., revised Pelham, H. F., Fisher, C. D., Oxford 21907 [ND 1951]. Cornelii Taciti libri qui supersunt, tom. 1,1, ab excessu diui Augusti libri I–VI, ed. Borzsák, S., Leipzig 1992. Cornelii Taciti libri qui supersunt, tom. 1,2, ab excessu diui Augusti libri XI–XVI, ed. Wellesley, K., Leipzig 1986. Cornelii Taciti libri qui supersunt, tom. 2,1, historiarum libri, ed. Wellesley, K., Leipzig 1989. Cornelii Taciti opera minora, rec. brevique adnotatione critica instr. Winterbottom, M., Ogilvie, R. M., Oxford 1975. Cornelii Taciti opera, Vol. 1, ed. Haase, F., Leipzig 1855. Heubner, H.: P. Cornelius Tacitus, Die Historien, Bd. I, Heidelberg 1963. Koestermann, E.: Cornelius Tacitus, Annalen, Bd. I, Heidelberg 1963. Koestermann, E.: Cornelius Tacitus, Annalen, Bd. II, Heidelberg 1965. Koestermann, E.: Cornelius Tacitus, Annalen, Bd. III, Heidelberg 1967. Koestermann, E.: Cornelius Tacitus, Annalen, Bd. IV, Heidelberg 1968. Martin, R. H., Woodman, A. J.: Tacitus, Annals, Book IV, Cambridge 1989. P. Cornelius Tacitus, ab excessu divi Augusti XI–XVI, Bd. II, erkl. Nipperdey, K., bes. Andresen, G., Berlin 61908. P. Cornelius Tacitus, Annalen, lat.–dt., hrsg. Heller, E., mit einer Einf. v. Fuhrmann, M., Mannheim 62010. Rostagno, H.: Codex Laurentianus 68,2 phototypice editus, Leiden 1902. Röver, E., Till, R.: Lehrerkommentar I zu Tacitus, Annalen 1–6, Stuttgart 1962. Röver, E., Till, R.: Lehrerkommentar II zu Tacitus, Annalen 11–16, Historien I–V, Stuttgart 1969. Shotter, D. C. A.: Tacitus Annals IV, Warminster 1989. Tacitus Annalen, übers. v. Hoffmann, C., mit einem Nachw. v. Wirth, G., München 1978. Tacitus Annalen, übers. v. Horneffer, A., mit einer Einl. v. Vogt, J. und Anm. v. Schur, W., Stuttgart 1957. Tacitus Annals, Book XIV, ed. Woodcock, E. C., Bristol 1939 [ND 1992].

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INDICES STELLENREGISTER Arist. poet. 1451b 31; 1452a 401; 1453b 60, 368 Aur. Vict. 5,2 72 Caes. Gall. 4,17,1 44; 7,17,1 44 Cass. Dio 53,19 85, 239; 62,24,1 359; 63,2,3 140; 63,27,2b 140

Martial. 15,194 356 Oros. 7,3,7 26; 7,9,4 26; 7,10,3 26; 7,19,4 26; 7,34,5 26 Ov. am. 1,1 44; 2,1,2 44; ars 2,744 44; 3,812 44; trist. 2,355 43; 4,3,37 60 Plat. rep. 392c 249

Catull. 16,3 43

Plaut. Asin. 11 251; Trin. 19 251

Cic. Brut. 42 34, 366; 200 286; 322 112; de orat. 2,36 33, 332; 2,51 34; 2,62 34; 2,184 250; 2,311 112; 3,153 307; fam. 5,12,4 59; 5,12,5 62, 301; fin. 5,51 32, 129; 5,52 19; inv. 1,9 32; 1,27 112; leg. 1,5 41; Marcell. 9 333; part. 73 301, 303, 401, 428; Tusc. 1,80 60

Plin. nat. praef. 20 124

HA Aurel. 2,1 26, 34; Prob. 2,6 34; 2,7 26; Tac. 10,3 26 Hier. comm. in Zach. 3,14 26, 445 Hor. ars 333 32 Iust. 38,3,10 249 Iuv. 1,1 149; 1,30 149; 1,170 56; 2,102 22; 6,628 325; 7,98 21; 8,93 123; 8,211 397 Liv. praef. 2 55, 314; praef. 5 32, 149; praef. 10 56; 7,2,1 115; 9,17,1 112, 412; 10,31,15 153 Lucan. 3,635 356 Lucr. 3,55 363 Lukian. hist. conscr. 7 34; 9 32; 39 154; 44 306, 308; 46 313; 49 212, 233; 50 403; 55 106; 57 173; 58 250; 60 34; 61 154; VH 1,4 41

Plin. epist. 1,6 22; 1,8,10 292; 1,10,1 25; 1,12 51; 1,13,3 19, 25; 1,16,4 311; 1,20 22, 311; 2,1 24; 2,1,6 22; 2,5,7 305; 2,11,2 22; 2,11,17 22, 307; 2,11,19 22; 3,5 24; 3,7 51; 3,14,4 291; 3,16 51; 4,7,2 26; 4,10,4 291; 4,13 22; 4,13,10 22; 4,15,1 22; 4,16,3 19; 5,5,3 51, 362; 5,8 25; 5,8,2 154; 5,8,4 58, 236, 301; 5,8,9 31; 5,8,13 57; 6,9 22; 6,10 24; 6,16 22; 6,16,1 24; 6,20 22; 6,20,1 24; 6,20,20 70; 7,17,2 19; 7,18,2 292; 7,20 22; 7,20,1 25; 7,29 316; 7,33 22; 7,33,1 23; 7,33,10 32; 8,6 316; 8,7 22; 8,7,1 25; 8,12,4 51, 362; 8,14,12 291; 8,16 291; 9,10 22; 9,13,8 28; 9,14 22; 9,19 24; 9,23 24; 9,23,2 22; 9,27 19, 57; 9,27,1 24; 9,27,2 24; 10,2 292; 10,94 292 paneg. 26 292; 53,5 57 Plut. Galba 2,2 140; 8,3 140; 14 140; 19,2 165 Pol. 12,25a 249 Quint. inst. 1,8,10 247; 3,8,17 303; 4,2,45 311; 4,2,63 192; 6,1,14 123; 6,2,32 192; 8,2,21 391; 8,3,61 192; 8,3,67 201; 8,5,18 219; 8,5,34 322; 9,2,22 301; 9,2,65 324; 9,4,18 313; 10,1,31 31, 41, 154, 307, 390; 10,1,32 311; 10,1,101 250; 12,10,48 322; 12,11,17 32

476

Indices

Rhet. Her. 4,17,24 322; 4,17,25 322 Sall. Catil. 5,1 344; 25 334; 51,1 287; 52,2 288 Sen. contr. 9,2,27 309; suas. 6,21 363 Sen. apocol. 1,1 41; dial. 4,2,3 62; epist. 24,9 399; 24,25 163; 31,11 291; 47 291; 47,5 291; 122,7 320; nat. 4,3,1 40; 5,18,4 412 Suet. Claud. 41,1 19; Dom. 10,3 357; Galba 11 140; 16,1 140; Nero 27,1 168; 34,3 317; 39,1 433; 47,3 140; 52 356; 57,1 445; Tib. 1,2 246; Vesp. 5,4 438 Sulp. Sev. 2,29,5 26; 2,30,3 26; 2,30,6 26 Tac. Agr. 1,1 28, 46, 153, 290, 363; 1,2 47, 70; 1,3 47, 363; 2,1 47, 51, 357; 2,2 47; 2,3 46–47, 148; 3,1 47; 3,2 47, 148; 3,3 47, 49; 5,1 97; 7,3 229, 232; 9,6 46; 14,3 96; 19,4 272; 30,4 269; 42,4 162; 43,2 397; 45,1 46, 149 ann. 1,1,1 74, 189, 273; 1,2 48, 241; 1,3 47, 49; 3,1 325; 3,3 325, 397; 5,1 325, 397; 5,2 397; 5,4 325; 6,1 397; 6,3 325; 7,3 325; 7,7 325; 11,4 229, 232; 14,2 326; 23,1 288; 39,3 394; 40,3 326; 41,1 288; 58,6 69; 65,2 180; 69,2 240; 74,5 113; 77,3 113 2,4,3 69; 40,1 277; 41,2 110, 250; 48,3 164; 53,1 250; 57,4 327; 60,4 132; 61,2 132; 69,1 250; 72,1 65; 73,4 246, 397; 88,2 65; 88,3 28, 132, 290 3,1,1 250; 3,2 71; 14,3 269; 15,3 236; 16,1 236, 269; 19,2 377; 19,3 397; 24,3 50; 30,2 327; 55,4 139; 55,5 120, 290; 60,1 113; 65,1 56, 67, 162; 65,2 150; 76,1 65, 188 4,1,1 66, 74, 132, 188, 335; 8,1 66; 10,1 33, 234–235, 237, 244, 377, 397; 11,1 235–236; 11,2 235; 11,3 236; 20,3 162; 31,3 109, 117, 137; 32,1 54, 67, 70, 237; 32,2 55, 381; 33,2 56, 183; 33,3 52, 58, 62, 152, 172, 301, 410; 33,4 24, 56, 57; 35,2 57; 35,4 24; 52,1 124; 52,2 325, 327; 52,4 111; 53,2 71, 240, 262; 57,3 325; 66,1 124; 71,1 237, 302 5,1,1 66; 1,2 229, 232; 3,1 168, 326 6,4,1 68; 7,5 52, 58, 61–62, 70–71, 152, 301; 20,2 139; 22,3 69; 22,4 110, 132–133; 23,1 397; 23,2 397; 25,1 397; 31,1 124; 38,1 69, 94, 170, 172, 410; 47,1 135; 50,3 229, 232; 50,5 66

11,1,1 109, 117; 1,3 117; 5,3 69; 6,3 72; 11,1 48, 50; 11,2 342; 11,3 144; 12,2 110, 123; 14,1 132; 14,3 132; 18,3 229, 232; 22,1 229, 232; 23,1 139, 250; 27 33, 236; 29,1 116; 32,2 336; 34,2 336; 37,1 179; 37,3 202; 38,1 66 12,1,2 110, 116; 2,1 336; 3,2 336; 4,1 110; 4,3 72; 5,1 66; 8,1 110; 8,2 116; 9,1 117, 336; 9,2 325; 11,3 346; 12,1 289; 22,1 110; 22,3 110; 25,1 116, 325; 27,1 437; 30,2 108; 40,5 69, 89, 94, 96, 98, 108, 123, 132, 170; 42,1 116–117, 346; 42,2 132; 43,2 132; 51,1 108; 52,1 117; 52,2 397; 53,1 116; 53,2 124; 57,2 116, 123; 58,1 117, 126, 336; 64,1 141; 65,1 116, 123, 444; 65,2 116, 444; 66,1 66; 66,2 117; 67,2 399; 68,3 325, 336; 69,1 219, 407; 69,3 117– 118, 325 13,1,1 117, 122, 134, 147, 325, 378, 431; 1,2 72, 291; 1,3 116, 121, 123, 133; 2,1 116, 167, 321, 339, 346, 350, 412; 2,2 116–117, 291, 340, 350; 2,3 117–118, 326; 3,1 118–119, 246, 253, 355; 3,2 118, 285, 329; 3,3 167–168, 335, 429; 4,1 181, 329; 4,2 77, 325, 355; 5,1 117, 165–166, 181, 219, 340; 5,2 320, 412–413; 6,1 76–77, 108, 176, 218, 235, 287, 329, 378, 380, 404; 6,3 251, 329, 346; 7,1 91, 252; 7,2 108, 130; 8,1 161, 347; 8,2 76, 351; 8,3 339, 347; 9,1 177, 227; 9,3 69, 77, 91, 94, 147, 170, 176–177, 252; 10,1 76–77, 79, 428, 430; 10,2 407, 431; 11,1 72, 88, 123, 404; 11,2 228, 246, 285, 355; 12,1 77, 102, 112, 214, 291, 335, 350; 12,2 117, 214, 227, 335–336, 351; 13,1 112, 214, 261, 286, 310, 340, 350, 401; 13,2 77, 165, 214, 242, 335, 384; 13,3 214, 325; 13,4 77, 215, 251; 14,1 238, 316; 14,2 117, 215, 262, 310, 325, 340; 14,3 117, 346; 15,1 77, 215, 241, 251, 263, 274, 342; 15,2 80; 15,3 117, 195, 274, 336, 338; 15,4 227; 15,5 77, 146; 16,1 95, 146, 166, 194, 350; 16,2 77, 146, 421; 16,3 178, 251; 16,4 117, 133, 178, 312, 319, 336, 369, 384, 436; 17,1 80, 218, 241, 328; 17,2 235, 240, 382, 389; 17,3 246, 255; 18,1 77, 218, 269; 18,2 119, 134, 147, 178, 336, 340, 350; 18,3 179, 181; 19,1 229, 231–232, 321, 392; 19,2 110, 121, 123, 251; 19,3 110, 117, 127, 310, 336; 19,4 177, 251, 291; 20,1 80–81, 133, 166, 242, 267, 369, 382–384, 386, 399, 436; 20,2 139, 189, 240, 243, 246, 334, 346, 382, 386, 388, 391; 20,3 80, 133, 369,

Stellenregister 383–384, 436; 21,1 77, 80, 340, 369; 21,2 94, 110, 251, 261, 281, 286, 310; 21,3 251; 21,5 317; 21,6 261, 286, 383, 407; 22,1 91, 136; 22,2 110, 132, 336, 383; 23,1 117, 310, 336–337, 346, 399; 23,2 251, 316, 319; 24,1 72, 76, 79, 428–429; 25,1 72, 90, 165–166, 170, 335, 429; 25,2 77, 80–81; 25,4 72, 157, 401, 403; 26,1 73, 76, 103, 287, 291; 26,2 261; 27,1 251; 27,3 77, 103, 251; 28,1 72, 113, 117, 287, 316; 28,2 251; 28,3 77, 87, 116; 29,1 77, 113, 294; 29,2 77, 116; 30,1 76, 79; 30,2 79, 110–111, 144, 178, 428, 433–434; 31,1 24, 67, 70, 72, 90, 114, 246, 355; 31,2 72, 181; 32,1 73, 289, 291; 32,2 72, 121, 123; 32,3 109, 137; 33,1 72, 76, 79, 121–122, 325, 431; 33,2 72, 117, 123, 431; 33,3 72, 117, 139, 428; 34,1 88, 119, 135, 157, 163, 171, 175, 404; 34,2 76, 91, 93, 108, 126, 171, 220, 330, 347, 351, 404; 35,1 319, 348; 35,3 76, 92; 35,4 166; 36,1 76, 92, 251; 36,3 348; 37,1 178, 189; 37,3 189; 37,4 220; 38,1 157, 177, 220, 251; 38,2 412–413; 38,3 251; 38,4 80–81; 39,1 189, 227, 392; 39,2 77; 39,3 77; 39,4 80–81; 39,5 80; 40,1 178, 189–190, 228; 40,3 77; 41,1 76–77, 80–81, 220, 228–229, 392; 41,2 108, 189, 228, 348; 41,3 92, 171, 175, 177, 351, 410; 41,4 110, 161, 171, 177, 251, 287, 316, 336, 346, 404; 42,1 77–78, 87, 92, 94, 102–103, 105, 109, 117, 268, 337; 42,2 355; 42,4 316; 43,1 251, 269, 378–379; 43,2 131; 43,3 246, 401–403; 43,4 77; 43,5 137, 238, 269; 44,1 76, 78, 94, 102–103, 357; 44,3 81, 312; 44,4 77, 81, 401–403; 45,1 76, 78, 102–103, 109, 117, 135, 312, 334, 339, 351; 45,2 265; 45,3 228, 316; 45,4 109, 117, 310, 319, 338, 390; 46,1 165, 227, 251, 392; 46,2 245, 251–252, 266, 335, 350; 46,3 136, 139, 310, 390; 47,1 102– 103, 134, 179, 291, 310; 47,2 165, 181, 335; 47,3 131, 181; 48 78, 177, 289, 310, 346; 48,1 76; 49,1 78, 117, 133, 147, 251, 336, 346; 49,2 287, 346; 49,4 251; 50,1 72, 76, 78, 228, 316, 392; 50,2 287; 51,1 77; 51,2 147; 52,2 138, 171; 53,1 78, 91, 93, 108, 157, 171, 380, 404, 439; 53,2 76, 78, 123; 53,3 251; 54,1 93, 351, 378, 380; 54,2 78; 54,3 177, 181, 203, 251; 54,4 177, 270; 55,1 78, 94, 189–190, 192, 208, 269, 357; 55,2 269; 55,3 251, 269–270; 56,1 189, 251, 270, 281, 284, 321; 56,3 77, 270; 57,1 76, 78, 144, 369, 436; 57,3 77, 171, 189,

477

309, 401, 403, 436, 437; 58 11, 76, 78, 171, 188, 401, 403–404, 428, 436–439, 446 14,1,1 91, 95, 102, 127, 133, 165–166, 198, 245, 264, 328, 335, 351, 369, 384, 407, 413, 425; 1,2 342; 1,3 198, 252; 2,1 80, 165, 214, 240, 242, 286, 335, 341, 382, 388, 412–413; 2,2 229, 238–240; 3,1 145, 198, 274, 309, 342, 384, 425; 3,2 228, 274; 3,3 198, 219, 275, 291, 309, 317, 319, 350, 413, 421; 4,1 37, 80, 82, 88, 145, 157, 165, 181, 198, 251, 337, 341, 369, 378, 425; 4,2 181; 4,3 80, 145, 341; 4,4 227, 240, 244, 341, 370, 382, 385, 387, 412–413, 425; 5,1 80, 145, 181, 198, 401, 425, 439; 5,2 145, 370; 5,3 77, 251; 6,1 198, 275, 309, 340, 370; 6,2 317, 358; 6,3 76, 177, 246, 319– 320, 341; 7,1 178, 197–198, 340, 370; 7,2 77, 228–230, 232, 267, 278, 309, 346, 412–413; 7,3 198, 227–228; 7,4 251, 370; 7,5 198, 413; 7,6 77, 358; 8,1 76, 177, 182, 198, 378, 401–402; 8,2 95, 370; 8,3 198, 276, 340, 371; 8,4 202, 251, 256, 281–282, 310, 317, 371; 8,5 198, 251, 281–282, 327, 350, 371; 9,1 80, 87, 138, 182, 229, 240, 243, 371, 382, 387, 389, 392; 9,2 229, 231–232, 397; 9,3 110, 133, 251, 281–282, 310; 10,1 80, 82, 370; 10,3 138, 177, 179, 181, 219, 231, 251, 254, 261, 328, 355, 358, 378; 11,1 219; 11,2 219, 253; 11,3 218, 246, 254, 269, 285; 12,1 133, 161, 181, 336, 346; 12,2 92, 123, 144, 439; 12,3 110; 12,4 141, 228; 13,1 228, 251, 392; 13,2 134, 168, 317, 326, 341; 14,1 102, 111, 168, 335, 429; 14,2 37, 168; 14,3 119, 135, 147; 15,1 102–103; 15,2 329; 15,4 168, 311, 346; 15,5 135, 408; 16,1 91, 102, 147, 246, 356; 17,1 76–77, 103, 121, 123, 177, 181, 309; 18,1 79, 157; 18,3 251; 19 79, 110–111, 124, 144, 363, 428, 434; 20,1 90, 111, 114, 116, 218, 235, 287, 294, 429; 20,2 87, 181, 329; 20,5 80–81; 21,2 286; 21,3 81; 21,4 116, 317; 22,1 76, 132, 176, 310, 336, 378–379; 22,2 378–379; 22,3 142, 177, 251, 408, 419; 22,4 77, 91, 175, 409, 412, 439; 23,1 91–93, 108, 157, 171, 174–175, 178, 220, 228, 347, 351, 392, 405, 439; 23,3 321; 24,4 77, 327; 25,1 178; 26,1 87, 93, 108–109, 205–206, 401–403, 410; 26,2 93, 177; 27,1 76, 79, 103, 177– 178, 181, 189; 27,2 72, 292; 28,2 76, 103, 139, 428, 431; 29,1 80, 89, 91, 93, 96, 102, 108, 121, 123, 139, 171, 246, 251, 351,

478

Indices 405, 412–413; 29,2 97, 139, 171, 218, 405; 30,2 77; 30,3 177; 31,1 97, 251, 271, 357; 31,2 273; 31,4 189; 32,1 76, 142; 32,3 139; 33,1 97, 122, 178, 228, 392; 33,2 121, 126, 131, 240, 244, 334, 382, 387; 34,1 97, 157; 34,2 178; 35,1 94, 97, 271, 273, 357, 418; 36,3 251, 272; 37,1 97; 37,2 240, 243–244, 334, 382, 389; 38,1 77; 38,2 76, 189–190; 38,3 176–177; 39,1 177, 409; 39,2 147, 189, 204, 291; 40,1 76–77, 105, 171; 40,2 122, 139; 40,3 121, 157; 41 76, 78, 251; 42,1 73, 77, 227, 392, 397–398; 42,2 251– 252, 288–289, 398; 43,1 94, 249, 261, 289, 398; 43,2 189; 44,3 189; 44,4 321–322; 45,1 251, 289, 398; 45,2 77, 91, 139, 246, 289, 409; 46,1 76–77, 79; 46,2 139; 47,1 76–77, 79, 91, 103, 110–111, 144, 251, 309, 336, 409, 428–429, 434; 47,2 76–77, 79, 429; 48,1 72, 77, 90, 121–122, 246, 337, 406, 431; 48,2 135, 251, 287, 435; 48,3 123, 251, 294, 336, 346; 49,1 102, 139, 177–178, 342; 49,3 133, 252, 346; 50,1 78, 127, 135, 139, 337, 356; 50,2 24, 246; 51,1 91, 102, 135, 218, 229–230, 232, 238–239, 251, 281, 284, 336–337, 346, 350, 392, 397–398, 408; 51,2 339, 350– 351; 52,1 102–103; 52,2 218, 235, 269, 378–379; 53,1 178, 188, 251–252, 373; 53,2 74, 94, 103, 249, 281; 55,1 94, 251– 252, 281, 285; 55,3 77; 55,4 434; 56,1 189; 56,3 251; 57,1 91, 102, 133, 267, 408, 419; 57,4 77, 177, 181, 310, 336–337, 372, 431; 58,1 102, 133, 336–337, 419; 58,2 218, 439; 58,3 123, 177, 251; 59,1 95, 139, 181, 201, 228, 238, 310, 392, 419; 59,2 80, 142, 291, 310, 336, 431; 59,3 147, 177, 251, 256, 281, 285, 335–337, 361, 407; 59,4 161, 177, 251, 317, 319; 60,1 77, 251, 335, 372; 60,2 337; 60,3 251, 317, 341, 372; 60,4 131, 399; 60,5 80, 378; 61,1 77, 401– 403; 61,2 165, 265, 351, 372, 413; 62,1 372; 62,2 77, 121–122; 62,3 337; 62,4 77, 137; 63,1 95, 178, 246, 372; 63,2 110, 372; 63,3 119, 196; 64,1 77, 336, 373; 64,2 177, 310, 431; 64,3 87, 147–148, 155, 161, 189–190, 373, 386; 65,1 76, 218, 291, 434, 440; 65,2 89, 91, 143–144, 151, 346, 373, 396, 406, 408, 421, 424, 430, 442 15,1,1 76, 80, 91–94, 108–109, 126, 157, 177, 205–207, 221, 294, 347, 351, 405, 426; 1,2 206; 1,3 207, 221; 1,4 207, 221, 321; 2,1 189, 221, 251–252, 281, 285; 3,1 93, 121, 177, 251, 348, 426; 3,2 76, 365;

4,1 109; 4,3 189–190; 5,1 177, 207; 5,3 207; 5,4 121, 177, 251; 6,1 207–208, 218, 235, 365; 6,2 76, 92, 130; 6,3 93, 121, 207, 351; 6,4 222, 251, 426; 7,1 76, 121, 208, 222; 7,2 76, 92, 127, 142; 8,1 76, 92, 157; 8,2 76, 177, 251, 426; 9,1 76; 9,2 77; 10,1 78, 207, 222, 401, 426; 10,2 77, 218, 251, 412, 414, 426; 10,3 76–77, 92; 10,4 164, 178, 222; 10,5 164, 177, 207; 11,1 178, 207, 222, 401, 403, 426; 11,2 207; 11,3 76, 164, 177–178, 222; 12,1 77; 12,2 77, 348; 12,3 252; 13,1 207–208, 222, 426; 13,2 164, 178, 207–208, 222, 227, 330; 13,3 177, 207, 222, 251; 14,1 177, 207; 14,2 77, 189–190, 192, 207–208, 222, 330; 14,3 77, 207–208; 15,1 76, 189–190, 222; 15,2 218; 15,3 189–190, 218, 378, 380; 16,1 207–208, 235, 240, 244, 334, 382, 387– 388; 16,3 80, 208, 240, 391; 16,4 207; 17,1 207, 222, 251, 418; 17,2 76–77, 92; 17,3 177, 207–208, 294, 410; 18,1 110, 157, 161, 174, 178, 222, 405; 18,3 77; 19,1 76–77, 292; 19,2 287, 309; 20,1 77, 251, 293; 20,2 251, 294, 336, 346; 20,3 94, 282, 288, 292, 321–322; 21,3 321; 22,1 294, 342; 22,2 76–77, 79, 144, 428–430; 23,1 77, 88, 139, 161, 317–318, 351, 408; 23,3 430; 23,4 91, 123, 133, 238, 294, 346, 408; 24,1 76–77, 177, 222, 251–252, 294; 25,1 222, 251, 426; 25,2 77, 228, 427; 25,3 139, 177, 251, 330; 25,4 251; 26,1 91, 174–175, 178, 347, 351; 26,3 77, 251, 426; 27,1 103, 330; 27,2 177; 27,3 189–190; 29,1 77; 29,2 77, 157; 29,3 357; 30,1 209; 30,2 76–77, 177, 357; 31 189–190; 32 76–77, 79, 177, 181, 428–429; 33,1 90, 102, 335, 429; 33,2 231, 420; 33,3 420; 34,1 76, 215, 218, 338, 430; 34,2 139, 309, 350; 35,1 77, 127; 35,2 77; 36,1 77, 102, 136, 229, 231– 232, 246, 420, 429; 36,2 227, 251, 267, 430; 36,4 229, 232, 252; 37,1 94, 147, 167; 37,3 80–81; 37,4 77, 291, 320, 335; 38,1 90, 94, 102, 199, 216, 229, 232, 235, 240, 244, 382, 385, 389, 392, 430; 38,2 157, 181; 38,4 199; 38,7 216, 218, 227, 251, 393; 39,1 103, 181, 217, 378, 393; 39,3 218, 378; 40,1 77, 430; 40,2 217–218, 378, 393; 41,1 109, 119, 131, 309; 41,2 188, 218; 42,1 87, 131, 217, 393; 42,2 132, 147; 43,1 131, 217, 393; 43,5 119, 147, 157, 218, 238–239; 44,2 37, 217–218, 378–379, 394; 44,4 77, 336; 44,5 217–218, 342, 394; 45,1 76–77; 45,3 91, 229, 238, 240, 245,

Stellenregister 346, 373, 382, 385, 389, 396, 408; 46,1 37, 76–77, 103, 218, 330; 46,2 77; 47,1 76–77, 141–142, 428, 442; 48,1 77, 79, 89, 102, 109, 112, 131, 143, 163, 309, 352, 394, 424, 441; 48,2 339; 49,1 147, 234, 423; 49,2 121, 351, 359; 49,3 112, 335; 50,3 121, 351, 359; 50,4 80, 229, 238, 360, 412, 414, 441; 51,1 76, 192, 229, 231–232, 267, 384, 392, 424, 441; 51,2 227, 412, 414; 51,3 251, 267; 51,4 34, 231; 52,1 132, 181, 267, 412, 414; 52,2 251, 346; 52,3 131, 218, 228; 53,1 80, 89, 145, 385, 421; 53,2 121, 229, 240, 245, 382, 389; 53,3 24, 76, 132, 193, 235, 240, 245, 382, 388; 53,4 147, 189, 245, 321, 334, 391; 54,1 77, 81, 121, 157, 233, 246, 309, 401, 421, 424; 54,3 228, 240, 245, 382, 385, 389; 54,4 37, 291; 55,1 80–81, 122, 179, 251, 267, 310; 55,2 251, 424; 55,4 251, 267, 412, 414; 56,1 77, 103, 189, 251; 56,2 227, 346, 396, 408, 424; 56,3 77, 227, 424; 57,1 76–77, 178, 231, 309; 57,2 309, 358, 364; 58,1 267, 309; 58,2 309, 372; 58,3 351; 58,4 228, 360, 412, 414; 59,1 321, 412, 414, 419; 59,2 321; 59,3 321; 59,4 251, 364; 59,5 202, 246; 60,1 78, 102, 202, 336, 364; 60,2 91, 95, 102, 327, 337, 346, 364, 396, 408; 60,3 251, 373; 60,4 77, 80, 177, 182, 227–228, 396; 61,1 251, 374, 396; 61,2 77, 228, 251, 266, 336; 61,3 228, 240, 245, 251, 267, 374, 382, 385, 388, 396, 412, 414; 62,1 374; 63,1 202, 231, 251–252; 63,2 77, 251, 256, 281, 283; 63,3 147, 182, 231, 246, 251, 355, 360; 64,1 178, 229, 232; 64,2 37, 138, 238–239; 64,3 76, 330, 374; 64,4 77, 95, 182, 246, 251, 364, 443; 65 238–239, 251, 351, 360, 397, 412, 415, 424; 66,1 251; 66,2 312; 67,1 77, 95, 102, 166, 251, 351, 360, 364; 67,2 122, 217, 281, 283, 309–310, 342, 394; 67,3 121, 162, 240, 244–245, 251, 284, 358, 360– 361, 382, 387; 67,4 251, 281, 284, 310; 68,1 77–78, 166, 178, 246, 251, 365; 68,2 95, 102, 131, 327, 365; 68,3 145, 335, 443; 69,1 336; 69,2 195, 227, 337, 401–403; 69,3 76, 80, 251, 365; 70,1 77, 89, 102, 246, 356, 365; 70,2 70; 71,1 76, 309, 362, 365, 424, 433; 71,4 117; 72,1 77, 139, 176, 181, 367; 72,2 135, 140, 145, 147, 227, 443; 73,1 161, 218, 238, 246, 443; 73,2 145, 147, 234, 423, 443; 73,3 178, 251; 74,1 77, 89; 74,2 122, 145, 443; 74,3 145, 246, 251, 443

479

16,1,1 102, 157, 179–180, 328, 367; 1,2 126, 227; 2,1 77, 177, 228, 378–379; 3,1 76; 3,2 241, 245, 382, 389; 4,1 76, 94, 102, 161, 213, 335, 429; 4,2 213, 251; 4,3 181, 213, 251, 342, 361; 4,4 213; 5,1 213; 5,2 157; 5,3 139, 238, 291, 412–413; 6,1 147, 241, 245, 334, 336, 351, 367, 382, 388, 391, 397, 443; 6,2 123, 246; 7,1 102, 135, 337, 346; 7,2 157, 251; 8,3 24; 9,1 77, 103; 9,2 177–178, 251, 365, 401, 403; 10,1 102, 123, 337, 365; 10,2 291, 337; 10,4 77, 177, 181, 251, 401, 403; 11,1 103, 177, 202; 11,2 181, 201; 11,3 161, 317; 12,1 79; 12,2 430; 13,1 102, 141, 144, 309, 362, 367, 428, 432; 13,2 318, 362, 432–433; 13,3 76, 103, 181, 431, 437; 14,1 72, 90, 121–122, 136, 337; 14,2 177, 251; 14,3 77, 177, 246, 378–379; 15,1 76, 177, 267, 365; 16,1 52, 58, 61–62, 78, 147, 152, 155, 161, 172, 189–190, 301, 365, 367, 410; 16,2 162, 347, 363; 17,1 77–78, 102, 443; 17,2 117; 17,3 339; 17,5 72, 178, 246; 17,6 77, 112, 124, 218, 251, 365; 18,1 95, 102, 147, 327, 339, 356, 366; 18,2 77; 18,3 267; 19,1 77, 327; 19,3 177, 246, 342, 365; 20,2 178, 366; 21,1 102–103, 121–123, 136, 336– 337, 346, 352, 366, 408; 21,2 72; 21,3 72, 286, 337; 22,1 91, 286, 293, 408; 22,2 94, 251, 261, 281, 286; 22,3 246; 22,5 189; 22,6 72, 286, 337; 23,1 178, 337; 23,2 127, 136, 227; 24,1 177; 24,2 309; 25,1 77, 155, 251, 419; 25,2 321; 26,3 309; 26,4 51, 139; 26,5 419; 27,1 80–81, 178, 181, 296; 28,1 72, 139, 251, 261; 28,2 157; 28,3 309; 29,1 252; 30,1 76, 95, 124, 251, 261; 30,2 227, 251, 296–297; 30,3 295, 373; 31,1 77, 228, 251, 282, 288; 31,2 309, 443; 32,1 251, 275, 295; 32,2 139, 297, 321, 337; 33,1 76; 33,2 72; 34,1 77, 80, 95, 139, 177, 179, 182, 251, 327, 401, 403; 35,1 77, 103, 182, 251, 281, 283, 443 dial. 1,1 51; 1,2 238; 3,1 56; 5,7 431; 8,1 431; 8,3 431; 13,4 431; 20,5 306; 22,3 322; 36,1 114; 41,5 290 Germ. 11,1 188; 19,2 292; 25,2 205, 291; 33,2 270 hist. 1,1,1 47, 153; 1,3 48; 2,1 60; 3,1 60, 153; 3,2 60; 4,1 55; 4,3 37, 342; 5,1 140, 288; 5,2 140; 8,1 242; 8,2 24; 13,3 390; 16,1 113; 16,2 56; 23,1 229, 232; 25,2 140; 37,3 140; 52,4 24; 75,2 229, 232; 84,4 161; 86,1 141; 89,2 381 2,10,1 431; 24,1 70; 27,2 69; 50,2 33, 52,

480

Indices 70, 236; 53,1 431; 68,4 24; 76,3 136; 78,2 438; 95,3 431; 101,1 70 3,1,1 139; 25,2 240; 28 240; 51,2 162; 67,2 372 4,6,1 229, 232, 431; 37,1 37; 41,3 431; 42,2 293; 42,5 431; 43,1 242; 44,2 357 5,2,1 37

Ter. Eun. 7 251 Tert. apol. 16,1 26; nat. 1,11,2 26

Thuk. 1,22,1 249 Val. Max. 3,2,13 399; 9,12 363 Vell. 1,3,2 192; 2,66,3 149; 2,92,5 290 Verg. Aen. 1,278 270; 1,359 328; 1,362 328; 6,162 328; 6,851 270 Vitr. 5 praef. 1 58, 301

PERSONENREGISTER Acerronia 319, 369 Acte 111, 214, 242–243, 261, 291, 335, 350, 413 Adimetus 179 Afranius Dexter 291 Agermus 317, 335, 357, 370 Agricola 46–47, 96–97, 296, 391, 395 Agrippa Postumus 325, 397 Agrippina 66, 79–82, 87–88, 91, 94–95, 97, 100, 102, 110–111, 116–118, 122, 127, 132–134, 138, 143, 145, 165–168, 178– 179, 181, 196–198, 202, 210, 214–215, 219, 227, 230–231, 238, 240, 242–243, 261–264, 274–278, 282, 285–286, 291, 312, 316–317, 319, 321, 325–326, 328, 336–337, 339–340, 345, 349–352, 355, 357, 369–371, 375, 378, 382–385, 401, 404–405, 407, 412–413, 425, 436–441 Ammianus Marcellinus 26 Anicetus 82, 88, 122, 137, 145, 230, 274, 291, 317, 337, 350, 369–372, 402, 421, 425 Anicius Cerialis 112, 123, 443 Annaeus Mela 154, 339, 365 Annaeus Serenus 112 Anteius (P.) 90, 136, 379 Antistius Sosianus 72, 117, 122, 135, 246, 337, 346 Antistius Vetus 123, 176, 228, 337, 419 Antonia 145, 334, 385 Antonius Primus 122, 139 Apicata 236 Aristoteles 31, 33, 60, 333, 368, 401, 411 Arminius 65, 69, 328 Arria 51 Arulenus Rusticus 51–52, 139 Augustus 50, 65, 164, 326, 329, 397

Baebius Massa 23 Barea Soranus 81, 95, 124, 127, 136, 154, 295– 297, 337, 352, 366, 420, 443–444 Boiocalus 94, 190, 269–270, 284, 357 Boudicca 80, 94, 96–97, 102, 108, 141, 157, 171, 174, 176, 204, 271–273, 351, 357, 405, 409, 417–418 Britannicus 80, 94, 117, 146, 166, 194–196, 215, 241, 254, 262–264, 274, 312, 319, 326, 328, 338, 350, 407, 421, 430, 444 Brutus 65, 282 Burrus 91, 102, 116, 131, 135, 167, 197, 230, 239, 242, 262–263, 278, 284, 286, 311, 316, 319, 321, 337, 339, 345–346, 350– 351, 369, 382–383, 386, 397–400, 405, 408, 412, 434 Caecina Paetus 51 Caesar 44, 282 Caesellius Bassus 179, 245, 365, 379 Caesennius Paetus 93, 121, 127, 169, 178, 190, 207–210, 243, 330, 334, 351, 413, 418, 426–427 Calgacus 269 Caligula 66, 112, 135, 328 Callistus 440 Calpurnia 110 Calpurnius Fabatus 24 Calvisius 110, 179, 261, 286 Caninius Rebilus 433 Cassius (C.) [Caesaris interfector] 65 Cassius (C.) [Syriae rector] 73, 94, 135, 249, 261, 288–291, 298, 310, 316, 322, 336– 337, 346–347, 352, 358, 398 Cassius Dio 147, 244, 282, 358–359, 368 Cato maior 106, 189, 288 Cato minor 374 Catull 43–44

Personenregister Celer (P.) 72, 431 Cervarius Proculus 424 Cicero 19, 23, 34, 41, 59, 61–62, 307, 333, 401, 428 Cingonius Varro 139 Claudius 66, 109, 117, 196, 250, 253, 263, 325– 326, 399 Claudius Demianus 337 Cluvius Rufus 24, 139, 240, 242, 387–388, 399 Corbulo 80–81, 93, 115, 121, 130, 142, 164, 166, 171, 174–178, 182, 190, 208, 210, 220, 222, 228, 240, 244, 319, 327, 330, 334, 336, 339, 347, 351–352, 388, 402, 405–406, 413, 418–419, 426, 438, 442 Corellius Rufus 51 Cossutianus Capito 72, 91, 94, 117, 122, 135, 286, 293, 337, 357, 408, 431 Cremutius Cordus 24, 57 Demetrius Cynicus 139, 402 Didius Gallus 89, 108, 123 Dido 66, 126, 179, 328, 365, 444 Domitian 46, 50, 85, 148, 270 Domitius Afer 110–111, 123, 363, 434 Domitius Balbus 105 Domitius Caecilianus 403 Doryphorus 291, 440–441 Drusus [Tiberii filii] 65, 234–235, 237, 245, 377, 397 Duvius Avitus 269–270, 351 Egnatius Celer 139, 297, 337 Epaphroditus 310 Epicharis 231, 267, 335, 352, 358, 364, 384, 406, 414, 421, 423–424 Epirus Marcellus 72, 117, 139, 337, 431 Eucaerus 337 Eudemus 236 Fabius Rusticus 139, 240, 242–243, 334, 385, 387–388 Fabricius Veiento 24, 135, 139, 246, 356 Faenius Rufus 166–167, 312, 339, 351, 359– 360, 365, 374, 414 Fannius (C.) 51 Flavius Vopiscus 13, 26 Fortunatus 291, 337 Galba 66, 139, 288, 438 Gavius Silvanus 374, 385, 396, 424 Gellius 104 Germanicus 65, 69, 82, 250, 288, 326–327, 397 Graptus 291

481

Helius 291 Helvidius Priscus 139 Herennius Senecio 51–52 Herodot 16, 46, 53 Hieronymus 26, 445 Horaz 44 Iturius 110, 179, 261, 286 Iulius Classicianus 176 Iunia Calvina 110 Iunia [M. Bruti soror] 65, 188 Iunia Silana 110, 123, 179, 407 Iunius Silanus [apud C. Cassium educatus] 24, 117, 122, 325, 365, 378, 403, 414, 431 Iunius Silanus Torquatus 420 Juvenal 21, 27, 56, 61, 149 Larcius Macedo 291 Lateranus 202, 364 Licinius Gabolus 110 Livia 66, 325–326 Livineius Regulus 123 Livius 31, 46, 50, 55, 65, 73–74, 79, 101, 115, 149, 153, 163, 178, 234, 249, 301, 403, 412 Locusta 116, 338 Lollia Paulina 110 Lucceius 23, 59, 61–62 Lucullus 329–330 Lukan 102, 112, 246, 306, 339, 356–357, 365, 424 Lukian 41, 173, 212, 308, 313, 403 Lupercus 305 Lygdus 236 Marius Celsus 139 Memmius Regulus 111, 429, 434–435 Messala Corvinus 119, 163–164 Messalina 66, 109, 179, 336 Milichus 121, 179, 228, 267, 291, 310, 321, 352, 385, 414, 421, 424 Minucius Thermus 366 Misenus 328 Mnester 231, 397 Modestus 291 Monobazus 221 Musonius Rufus 139 Narcissus 116–117, 123, 336, 444 Natalis 358, 373, 396, 421, 424 Nerva 46, 49, 139, 155 Nymphidius 135, 139, 144, 147, 443

482

Indices

Octavia 66, 80, 94, 98, 110, 116, 119, 122, 131, 137, 148, 150, 196, 265–266, 310, 317, 335–337, 341–342, 350–352, 357, 372– 373, 378, 402, 405, 407–408, 431, 440– 441, 445 Octavius Sagitta 78, 81, 94, 103, 171, 310, 312, 357, 402 Orosius 26 Ostorius 90, 296, 337, 365 Otho 136, 138–139, 161, 165, 171, 227, 263, 266, 310, 335, 338 Ovid 43, 44, 60 Paetus 337 Pallas 116, 261, 291, 316, 339, 350, 399, 434, 440–441 Paris 81, 179, 267, 291, 382, 399 Paulina 95, 138, 231, 239, 283, 364, 374 Pedanius Secundus 73, 94, 105, 288, 298, 322, 397, 409 Pelago 291 Petilius Cerialis 139 Petron 95, 147, 154, 327, 339, 342, 365 Petronius Turpilianus 139, 176 Phoebus 291 Piso (C.) 89, 131–132, 137, 143–144, 202, 321, 334, 339, 352, 359–360, 364, 396, 414– 415, 440–441 Piso (Cn. Calpurnius) 69, 236, 250, 269 Platon 248 Plautius 72, 123 Plinius maior 23–24, 70, 104, 240, 245–246, 334, 355, 385, 387–388, 399 Plinius minor 21–25, 32, 43, 58, 291, 305, 307, 311, 362 Polybios 16, 34, 53, 104, 249, 444 Polyclitus 176, 204–205, 409 Pompeius Magnus 329–330 Pompeius Silvanus 137, 155 Pomponia Graecina 72, 109, 123, 137, 155 Pontia 312, 357, 402 Poppaea 78, 80, 88, 103, 105, 108–109, 117, 135, 138, 165–166, 171, 227, 245–246, 263–266, 278, 310, 312, 316, 319, 328, 334–336, 338–339, 342, 350–351, 365, 367, 369, 372, 384, 391, 397, 407–408, 425, 439, 443 Pythagoras 81, 167, 291, 320, 335 Quintianus 112, 365 Quintilian 31, 33, 41, 192, 201, 219, 298, 303, 307, 311, 313, 315, 320, 324, 390–391, 400

Remus 188, 328 Romanus 396, 440 Romulus 188, 328 Rubellius Plautus 81, 95, 117, 131–132, 134, 142, 175–177, 179, 181, 201–202, 228, 242, 267, 285, 310, 317–319, 336–337, 365, 379, 382–383, 399, 405, 407, 419, 431, 439 Rufrius Crispinus 108, 117, 335 Sallust 37, 53, 134, 172, 249, 288, 307, 311, 315, 334, 344 Sallustius Crispus 327 Scaevinus 121, 228, 245, 291, 312, 358, 384, 421, 424 Scipio Metellus 399 Sejan 61, 65–66, 236 Seneca maior 303, 309 Seneca minor 40–41, 62, 91, 94–95, 98, 102, 112, 116–117, 119, 127, 138, 144, 167, 171, 182, 188, 197, 202, 219, 230, 238– 240, 242–243, 249–254, 262–263, 267– 269, 278, 283–286, 291, 316, 319, 321, 327, 330, 334–335, 337, 339, 345, 350, 355–356, 358–360, 364, 366, 373–374, 379, 381, 385, 395–397, 399, 408, 412– 414, 434, 440–442 Servilia 154, 288, 295–298, 337, 443–444 Servilius Nonianus 25, 110–111, 123, 363, 434 Silius Italicus 51 Sokrates 330, 374 Statilia Messalina 144–145, 335, 443 Subrius Flavus 95, 121–122, 166–167, 217– 218, 283, 309–310, 335, 342, 351, 358, 360–361, 364, 394, 414, 441 Sueton 21, 52, 95, 104, 106, 141, 282, 356–359, 368, 445 Suetonius Paulinus 89, 94, 97, 139, 142, 157, 171, 174, 190, 243, 272–273, 351, 405, 417 Suillius 78, 87, 92, 94, 102, 105, 109, 117, 137, 171, 267–269, 310, 316, 337, 355, 379, 402 Sulla (Faustus Cornelius) 117, 131, 179, 267, 310, 317–319, 336–337, 405, 431 Sulpicius Asper 121, 166 Sulpicius Severus 26 Tacitus [imperator] 26 Tarquitius Crescens 403 Thrasea Paetus 81, 91, 94–95, 117, 122, 127, 133–136, 154–155, 171, 179, 182, 238, 261, 283, 285–286, 288, 292–294, 298,

Sachregister 310, 321–322, 327, 335–337, 346–347, 352, 357, 366, 402–403, 406, 408, 419– 420, 442, 444 Thukydides 16, 37, 46, 53, 55, 105, 249 Tiberius 65–66, 109, 129, 150, 168, 236, 325– 327, 352, 405 Tigillinus 81, 94, 133, 135, 167, 217, 267, 317, 339, 341, 349–351, 366, 393, 406–407, 419 Tigranes 87, 93, 108–109, 205–206, 221, 402 Timaios 249 Timarchus 94, 293–294 Tiridates 136, 190, 208–210, 220–222, 351, 357, 413 Titinius Capito 51 Titius Sabinus 302 Titus 85 Trajan 46, 49, 85, 176, 330 Trebellius Maximus 139 Trogus 249 Tullius Geminus 337 Ummidius 93, 176, 205, 351

483

Vasaces 190, 222 Vatinius 139, 309, 338, 350, 420 Velleius Paterculus 115, 149, 192, 290 Veranius 413 Vergil 55, 270, 306, 328–329 Verginius Rufus 24, 139 Vertranius Maurus 23 Vespasian 139, 175, 413 Vestinus 95, 131, 195, 327, 337, 365, 402, 414, 443 Vibius Crispus 139, 431 Vindex 121, 145, 352, 432, 443 Vipstanus Messalla 240 Vitellius 139 Vitruv 58 Vologaeses 80, 93–94, 108, 121, 130, 177, 205– 206, 208, 210, 220–222, 227, 244, 260, 285, 351, 380–381, 405, 426 Volusius (L.) 111, 433–434 Volusius Proculus 231, 267, 414 Xenophon 46, 55 Xenophon [Claudii medicus] 399

Valerius Capito 110 Valerius Maximus 104, 399

SACHREGISTER acta diurna/senatus 71, 246 adhortativ 228, 266, 321, 384, 419 adulatio 161, 169 aemulatio 115, 335, 356, 362 ‚Agricola‘ 28, 46, 48–50, 52, 148, 153, 162– 163, 190, 269–270, 272, 347, 376 Akzentuierung 160–169, 253 Allegorie 358 Allwissenheit 45, 183, 187, 193, 200, 229–231, 233, 400, 423, 447 Alteration 193 Alternanz 99, 212 Ambivalenz 43, 290, 449 Anachronie 79, 84, 89–90, 107, 158, 222, 448 anachronistisch 26, 107, 132, 137–138, 192, 288, 301, 375 Analepse 57, 66, 87, 92–93, 97, 104–105, 107– 130, 142, 155, 157, 175, 196, 274, 294, 296, 330, 431 Analogie 57, 137, 168, 176, 291, 310, 323–332, 336, 366, 399 Andeutung 142, 407, 410, 428, 444–445

Annalistik 48, 65–66, 68–69, 75, 82, 87–88, 99, 101, 110, 112, 123, 140, 157, 159, 177, 185–187, 435, 444–445, 448 Anordnungsprinzip 67, 185 Anspannungshaltung 145, 151, 332, 378, 381, 419, 425, 428 Antagonismus 211 Antipathie 336, 339, 373 Antizipation 130, 139, 143, 151, 158, 236, 304, 327, 416, 421, 423–424, 438, 441, 445, 450–451 Apostrophe 87, 119, 153–154, 189, 440 Appell 80, 149, 165, 276, 278, 322, 369, 372, 419, 425, 439 Architektur 181, 183, 204 aristokratisch 148, 187, 191, 280, 447, 449 Artefaktemotionen 305, 322–323, 450 Assoziation 315, 324, 327 ästhetisch 18–19, 27, 124, 164, 251, 282, 284, 293, 299, 305, 322–323, 450 Atmosphäre 81, 83, 89–90, 114, 128, 141–142, 144, 158, 174, 179–180, 202, 204, 210,

484

Indices

228, 230, 233, 239, 245, 261, 277, 281– 282, 297–298, 319, 328–329, 374, 400– 401, 409, 424, 428 Augenzeuge 120, 192, 199, 242, 244, 252, 298, 448 auktorial 17, 33, 43, 45, 47, 52–54, 57, 60, 67– 69, 73–74, 82–83, 94, 96, 99, 115, 120, 136, 141, 147–150, 154, 169, 172, 177, 185–189, 191–193, 200, 204–205, 211, 213–214, 216, 218–220, 222, 226, 230– 231, 233, 243, 245–246, 248, 251, 269– 271, 273, 280, 289, 292, 297, 301, 304, 313, 316–318, 320–321, 329, 332, 338– 339, 341, 347, 356, 358–360, 362, 367, 376, 388–389, 391, 393, 395–396, 400, 410–411, 423, 437, 447–448 Ausarbeitungsstand s. Fertigstellungszustand Ausblick s. Prolepse Auslöseereignis 369, 372 Authentizität 200, 223, 237, 242–243, 249, 272, 279, 284, 346, 361–362, 378, 399 – ~sanspruch 40 – ~sgrad 252, 449 – ~sverlust 381 autobiographisch 44, 46 autograph 46 Autor 19, 32, 36–37, 40, 42–43, 45, 48, 61, 91, 101, 118, 153, 163, 186, 189–190, 232, 234, 236, 239, 246, 254, 333, 400, 447 – implizierter 187 – impliziter 43 – ~erzähler 50, 119 Autorität 44, 48, 51, 83, 224, 244, 246, 391, 447 Beglaubigung 45 – ~sfunktion 214 Beinahe-Episode 415–416 Bewusstseinsbericht 275, 281 – erlebter ~ 274 Bildkunst 86 Biographie 42, 47–48, 96, 123, 128, 159, 268, 298, 357 Bottom-up-Prozess 173, 354 brevitas 311–312, 322 Buchhandel 26 Captatio benevolentiae 23, 285 Charakterisierung 78, 96, 109–111, 118, 176, 202, 205–206, 221, 244, 252, 263, 273, 282, 304, 309, 312, 319, 331, 334, 338– 339, 354, 420 Christen 37, 379, 394, 400 Chronologie 67–68, 73, 76, 79–80, 83, 87–88,

90–92, 94, 99–100, 106, 109, 159, 167, 182, 188, 199, 405–406, 409, 429, 432, 435, 439, 448 Cliffhanger 440, 444, 446, 451 Collage 229, 235, 238–239, 382 Colonia Agrippinensis 436, 439 Commentarii 44, 244, 262 Communis Opinio 216, 386 consules ordinarii 65, 99, 143, 163–164 curiositas 301 cursus honorum 51, 119 Darstellungsdistanz s. Erzähldistanz Datierung 22, 65, 73, 79, 88, 90, 99, 110, 188 deiktisch 124, 128–129, 147–148, 155 Delator 78, 90, 102, 105, 267–268, 293, 402, 419, 431 delectare s. prodesse et delectare deskriptiv 87, 97, 173, 180, 183, 221, 294, 331, s. auch Schilderung Determination 160–161 diachron 18, 29–30, 42, 118–119, 206, 217, 219, 221, 223, 235, 238–239, 246, 280, 292–293, 298, 331, 390, 400, 447, 449 Dialogisierung 280 ‚Dialogus de oratoribus‘ 51, 114, 119, 290, 431 didaktisch 19, 56, 58, 63, 112, 118, 120, 150, 161, 185, 216, 219, 221, 237, 294, 323, 377, 422, 447, 450 Digression s. Exkurs Diskontinuität 96, 99, 101, 107, 130, 448 Diskreditierung 132, 216 Diskurs 35, 37, 52, 84, 98, 136, 144, 147, 160, 192, 212–213, 239, 279, 304, 309, 327, 331, 355, 377, 392, 409, 411, 449–450 Disposition 107, 137, 178, 182, 448 dissimulatio 369, 371 Dissonanz 146, 158, 212, 221, 223–224, 273, 301, 322, 420, 449 domus aurea 87, 131–132 Doppelbödigkeit 324, 327–328 Doppeldeutigkeit s. Mehrdeutigkeit Dramatik 34, 39, 79, 81–83, 97, 100, 138, 142, 154, 174, 182, 195, 198, 202, 205, 208, 222, 248–249, 255, 271, 279, 283–284, 287, 298, 315, 332, 340, 343, 357, 360, 364, 370–374, 379, 394, 399, 403–404, 408–409, 413, 426, 435, 439, 442, 450 Dualismus 67, 350 Ehrlichkeit 150 Einfühlungsvermögen 59, 154, 262, 279, 297– 298

Sachregister elegantiae arbiter 365 Ellipse 78, 86, 88–93, 96–100, 448 Emotionalität 17, 52, 57, 62, 80, 133, 147, 150– 152, 154, 159, 165, 185, 190, 202, 251, 254–255, 262–263, 265, 270, 281, 287, 297–298, 303, 314, 329, 332, 336–338, 340–341, 343, 357, 364–365, 371, 373– 375, 391, 416, 425, 432, 440, 450 Empathie 272, 276, 303, 332–333, 335–336, 340–341, 370, 444, 449–450 – ~empfinden 201, 337 – ~übernahme 304 Enkomion 47, 96, 163 epikureisch 148 Episode 92, 96, 98, 102, 105, 132, 174, 282, 371, 394, 398, 405 – ~nstruktur 100 – Episodisierung 99, 448 Epitomisierung 27, 359 Ergebnisoffenheit 146, 174, 216, 224, 233, 246, 286, 393, 416, 418–419, 422, 451 Erinnerungskultur 147, 154, 163, 169 Ermordung Agrippinas 79–81, 88, 95, 133–134, 179, 198, 230, 242, 265, 276, 317, 355, 357, 371, 401, 404–405, 438, 440 Erwartungshaltung 29, 52, 61, 68, 137, 140, 143, 160, 303, 321, 375, 417–418, 420, 430, 439–444 Erzähldauer 84–85, 87, 91, 94, 98, 165 Erzähldistanz 86, 185, 213, 248, 261, 267, 273, 276–277, 279, 281, 286–287, 293, 295, 302, 318, 449 Erzähleinheit 68, 84, 106 Erzähler 18, 42–45, 62, 153, 231, 255, 277 – ~figur 45, 216 – ~kommentar 54, 68–69, 98, 219, 367, 386 – ~perspektive 137, 203, 206, 213, 218, 276, 279, 448 – ~stimme 186, 248, 274 Erzählgeschwindigkeit 84, 86–88, 94, 96–99, 101, 313, 369, 401, 448–449 Erzählhistorie 50, 447 Erzählökonomie 338 Erzählordnung 94, 96, 142, 144, 302, 324, 428 Erzählspannung s. Verlaufsspannung Erzähltechnik 212, 277, 403 Erzähltempo s. Erzählgeschwindigkeit erzählte Zeit 84, 86–88, 91, 95, 97–99, 101, 287, 294, 297, 374, 449 Erzählzeit 84–86, 95, 97–99, 166, 287, 297, 374, 449

485

Evaluation 216, 219, 225, 227, 269, 390, 427 evidentia 192, 201, 298 exitus illustrium virorum­Literatur 163, 298, 362, 375–376, 398, 450 Exkurs 87, 92, 112–116, 173, 189, 294–295 exspectatio 301 Extension 160 extradiegetisch 38, 46, 131, 190, 193, 212, 219, 222–223, 227, 235, 252–253, 255, 262– 263, 269, 290, 354–355, 371, 390, 423 Fachschriftstellerei 356 Fade-out 175, 205 Faktizität 30, 33, 35, 39, 45, 53, 82, 160, 249, 308, 332, 441 Fertigstellungszustand 116, 126–127, 141, 157, 295, 384, 435 ficus Ruminalis 144, 171, 188, 436, 438–439 Figurenfokalisierung s. Perspektive Figurenkonstellation 109, 128–129, 243, 349, 352, 450 Figurenkonzeption 348–349 Fiktion 30–31, 33–36, 39–42, 45, 53, 82, 95, 99, 160, 180, 193, 245, 249, 273, 288, 309, 332, 360, 377, 404, 411, 447 Fokalisierung 145–146, 190–191, 192–211, 212–223, 231, 233, 235, 253, 262, 275, 277–278, 292, 296, 298, 339–341, 343, 354, 371, 393–394, 417, 421–423, 427, 448–449, 451, s. auch Perspektive – Null~ 184, 186, 193, 210 – ~sinstanz s. Fokalizer – ~skollektiv 200 – ~svariation s. Perspektivenwechsel Fokalizer 195–196, 202, 210–211, 227, 343 Foregrounding 309 Frauenbild 272 Freiheit 47, 114, 205, 268, 272–273, 281 Fremdheitserfahrung 204–205, 211, 279, 449 Gedankenstrom s. Bewusstseinsbericht Gerede s. Gerücht ‚Germania‘ 102, 188, 205, 270 Gerücht 45, 138, 177, 182, 217–218, 234–239, 242, 245, 328, 360–361, 377–381, 393– 394, 396, 408, 441, 450 Gesandtschaft 177, 183, 203, 413 Geschichtsdiskussion 246 Geschwindigkeit s. Erzählgeschwindigkeit Gesellschaftskritik 205, 279 Gestaltungswille 73, 85 Gestik 263–264, 270, 282, 297–298, 337

486

Indices

Glaubwürdigkeit 47, 150, 179, 216, 218–219, 222, 224, 234, 237, 242, 244, 247, 263, 296, 342, 371, 388, 396, 447 Gleichförmigkeit s. Monotonie Gleichzeitigkeit 69, 76, 79–80, 83, 92, 95, 175, 178, 182, 185, 200, 221, 374 Gliederungseinheit 67, 98 Gliederungsprinzip 65, 88 Gnome 323 Goldschatz 365 Griechenland 176, 232, 420 Griechenlandtournee 136, 231, 421, 429 haec atque talia 251, 264 halbtonal 267, 449 Handlung 61–62, 82, 127, 143, 145, 176, 274, 350–351, 401, 410, 424, 430, 438, 442, 451 – Parallel~ 79, 158, 169 – ~salternative 212, 221, 360, 419 – ~sauslösend 267, 380 – ~ sdynamik 211, 362, 401 – ~ sexklusiv 138 – ~slinie 17, 76, 79–80, 83, 91, 95, 99, 105, 108–109, 128–130, 133–134, 138, 144– 145, 151, 154, 182, 206, 208, 211, 220, 227, 238, 242, 247, 294, 302, 312, 326– 327, 335, 354, 380–381, 385, 392, 403, 405, 410, 413, 415, 420, 446–447, 451 – ~smotivierung 112, 165, 264, 450 – ~soption s.~alternative – ~srelevanz 139, 292, 338 – ~sstrang s. ~slinie – ~sverlauf s. ~slinie Harmonie 214 Hegemonialstellung 204 hermeneutisch 28–29 Hierarchisierung 212, 390 Hoffnung 142, 361, 369–370, 374, 385, 409, 414–415, 418–419, 424, 426, 439 hybrid 35, 45, 377 hypothetisch 158, 221, 224, 232, 270, 290, 398, 411–416, 417–422, 441, 451 Identifikation 190, 211, 291–292, 299, 332– 333, 450 – ~sbereitschaft 191, 296, 334, 370 – ~spotenzial 266, 335–337, 346 Imagination 180, 204, 279, 296, 317, 432 Immersion 180, 281, 295, 378 Imperialismus 271–272 Individualschicksal 138, 154 Inferenz 38, 354

Inhaltsangabe 444 Initialfrage 397, 400 inkonzinn 308 Interaktion 15, 36, 236 Interludium 81, 203, 294, 366, 379, 404–405 Intermezzo s. Interludium Interpretatio Romana 273 Intertextualität 23, 115, 128 intradiegetisch 38, 114, 118, 131, 212, 218, 221–223, 235, 239, 252–254, 266–267, 271, 278, 280, 287, 289, 294, 299, 322, 339, 372, 377–378, 380, 417 Intransparenz 228, 245, 407 Intrige 118, 179, 286, 384 inventio 32 invertere 251, 355 Involvierung 56, 202, 211–212, 281, 297–298, 336, 354, 400, 427 Inzest 164, 214, 238, 242–243, 262, 369, 383– 384, 413 Ironie 41, 137–138, 198, 211, 223, 262, 284– 285, 318–319, 340, 343, 372, 374, 427 irreale Periode 415 Irrealität 179, 451 Irreführung 400, 421–422 Isochronie s. Gleichzeitigkeit Iterativität 160, 169, 332, 336 Iuvenalia 91, 168, 408 Jahresanfang 65–66, 76, 83, 88, 90, 163–164, 431 Jahresbeginn s. Jahresanfang Jahresende 78–79, 110, 140, 142, 144, 428– 435, 441–444 Jahresschluss s. Jahresende Jahreszeit 76 Kanonisierung 362 Kapiteleinteilung 101, 103 Kausalverhältnis 32, 228 Kenntnisstand s. Vorwissen Klassifikationsschema 127, 155 Kohärenz 74–75, 101, 124, 128, 178, 228, 253, 332, 377, 429 Komet 379 Kommemoration s. Erinnerungskultur Kommentar 45, 52, 57, 60, 74, 87, 115, 123, 147, 149, 159, 199, 213, 216, 236, 301, 313, 347, 356, 358–359, 362–363, 389, 450 Kommunikation 15, 17, 36–37, 44, 58, 128, 149, 153, 447 – inoffizielle ~ 291, 299

Sachregister Kompositionsprinzip 150, 344, 358 Konjektur 275 Konservativismus 37, 288, 293, 317, 322, 336, 346, 398 Konspiration s. Verschwörung Kontiguität 81, 98, 100, 111, 143, 241, 418 Kontinuität 17, 20, 83, 86–87, 100, 105, 109, 116, 119, 123, 128–129, 133, 142, 158, 166, 168–169, 178, 313, 323, 326, 330, 336, 339, 343, 384, 394, 405, 410, 442 Kontrast 75, 81, 99, 115, 137, 166, 171, 174– 175, 212, 222, 254, 284, 312, 329–330, 340, 346, 353, 366, 372, 393, 401, 404, 406, 421, 425 Körpersprache s. Gestik laudatio funebris 24, 117, 128, 253, 355, 363 Lectio difficilior 278 Leerstelle s. Unbestimmtheitsstelle Leitmotiv 117, 134–135, 137, 158–159, 169, 247, 441, 448 Lektüre 15, 17, 37, 42, 59, 62–63, 74, 77, 84, 99, 116, 118, 123, 129, 146, 148, 158, 169, 208, 216, 223, 228, 236, 250, 256, 280, 294, 301, 316, 323, 326, 333, 362, 375, 384, 386, 390, 393, 395, 397, 400, 405, 409–410, 416, 427, 436, 439, 442, 446, 451 – ~abbruch 63, 153 – ~anstrengung 153 – ~bindung s. Leserbindung – ~erfahrung 212, 403, 446 – ~fortsetzung 139–140, 199, 224 – ~genuss s. ~vergnügen – ~hemmnis 173 – ~motiv 60 – ~pause 118 – selektive ~ 20, 104, 118, 124, 129 – ~vergnügen 53, 58, 97, 159, 204, 247, 284, 299, 315, 320, 331, 341, 391, 427 – ~verhalten 18, 82, 101, 105, 129, 173, 333 Lesegenuss s. Lektürevergnügen Lesen 36, 89 – lautlich 19 – stumm 19–20 Leser 18, 20–21, 27, 36–42, 46, 52–59, 69, 73– 74, 79, 82–83, 93, 95, 99, 104–105, 109, 113, 115, 119–120, 122, 127–128, 139, 142, 144–146, 149, 153–154, 160, 169, 176, 180, 182, 190, 194–196, 221, 225, 231, 233, 244–245, 253, 264, 273–274, 277, 291, 298, 303, 311, 313, 330, 332–

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333, 343, 349, 370, 373, 384, 391, 394– 395, 398, 404, 406, 412, 416–418, 427, 442, 449, 451 – ~aktivierung 63, 301–304, 315, 343, 450–451 – ~bindung 68, 154, 311, 315, 318, 332, 410, 444, 446 – impliziter ~ 37–38 – ~konzept 38 – potenzieller ~ 18, 36, 105 – ~reaktion 18, 21, 253, 255, 289, 341, 363, 447 – realer ~ 21, 38 – ~rolle 29, 38, 447 – ~schaft 26, 36, 52, 59, 60, 62, 356, 390, 447, 450 – aktualisierende ~schaft 57 – potenzielle ~schaft 52 – ~wirksamkeit 16, 28 letzte Worte s. ultima verba lex maiestatis s. Majestätsprozess libertas s. Freiheit Limitierung 370, 374 loaded alternative s. weighted alternative Locus desperatus 152 Majestätsprozess 90, 135, 431, 434 Manipulation 159, 226, 233, 331, 381 Mediceus 73, 103, 151, 386 Mehrdeutigkeit 22, 233, 292, 312, 329 Memorierbarkeit 279, 353 metadiegetisch 50, 52–53, 56, 87, 121, 128, 147, 150, 155, 159, 236, 244, 246, 301, 318 metahistorisch 243, 245 Metalepse 149–150, 152, 292 metanarrativ s. metadiegetisch mimetisch 248–249, 263, 293, 312, 449 Mimik 264, 298 minimales Paradigma 369 Mirabilien 144, 434, 436, 446 mittelalterlich 103 modestia 162 monoauktorial 449 Monolog 210, 214, 219, 281, 284, 449 – erlebter ~ 276 monoperspektivisch 185, 288 Monotonie 62, 97, 153, 189, 403 montageartig s. Collage Mordserie 61, 136, 143, 267, 364, 367, 432 Motiv 97, 104, 112, 130, 210, 212, 215, 219, 221, 227–228, 230–233, 273, 279, 281, 310, 331, 346, 348, 366, 423

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Indices

Multiperspektivität 185, 192–193, 211–248, 287, 334, 339, 377, 380, 382, 385, 391, 417, 423, 427, 449 Mündlichkeit 20, 36, 235–239, 246, 250–251, 313, 449 Muttermord s. Ermordung Agrippinas mystery s. Rätselspannung Nachricht 92, 164, 177, 179 Nachruf s. Nekrolog Nachtragstil 312 Nachtschilderung 82, 100 Nachwelt 51, 120, 162, 360, 431, 447 Namedropping 140 Narration 18, 87, 107, 235, 386, 421 – ~sakt 70, 128, 136, 149, 159, 235 – ~serfahrung 46 – ~szeitpunkt 48, 119, 130, 147, 152, 155, 238–239, 292 narrative Distanz s. Erzähldistanz Narratologie 16–17, 29–30, 38, 42, 45, 51, 192, 333 Nationalität 259, 271, 449 nationalrömisch 189–190, 449 Nekrolog 65, 110–111, 124, 127, 355, 429, 433–435 Neronia 90, 94, 111, 115, 213, 287, 317, 379, 413 nonverbal 193, 263 Objektivität 33, 39, 47–49, 51, 57, 150, 186, 237, 244–245, 289, 386, 392, 399, 423, 447 obscuritas 315 obsequium 162, 347 Ohrenzeuge 118, 247, 287, 364 olympisch s. Allwissenheit Omen s. Prodigium oratio obliqua s. indirekte Rede oratio recta s. direkte Rede Paradoxie 416 Parallele s. Analogie paratextuell 39, 41–42, 105 Parodie 317 partikelbasiert 235, 245 patientia servilis 163, 169 patriotisch 37, 191, 270, 418, 448 patrizisch 25, 119, 134, 164, 191, 254, 376, 426 Pause 86–87, 98, 129, 133, 138, 367, 446 pax Augusta 172 Peripetie 62, 174 Persona non grata 234

Persönlichkeitsmodell 343–344 Perspektive 187, 189, 191, 198, 200–202, 205, 209–212, 214, 216, 219, 221, 239, 245– 246, 248, 252, 269, 283, 304, 332, 339, 393–394, 417, 421, 423, 427 – ~nstruktur 184–185, 210, 212, 218–219, 221, 239, 302, 449 – ~nübernahme 190, 224, 418, 450 – ~nwechsel 208, 211, 252, 272, 426 philosophisch 187, 269, 283, 306, 345, 366, 374, 402 Plan 80–81, 145–146, 195, 245, 414, 420–421 Plastizität 192, 196, 210, 263, 279, 293, 295, 297–298, 349, 365, 369, 371, 403, 444 Plausibilität 226–227, 251, 286, 388, 394, 398, 415, 418 – ~skriterium 32, 239, 241 – ~sprüfung 245, 411 – ~sschluss 233, 245 – ~sstatus 298, 377 Plot 20, 61–63, 95, 138, 158, 301, 323, 447 – ~selektion 33, 53, 235, 304, 337 – ~struktur 376 Pluralis maiestatis 148 Pointe 263, 318, 320 Polyperspektivität s. Multiperspektivität Polyphonie 144, 185, 213, 218, 246, 259, 261, 280, 299, 449 Präludium 90, 97, 150 Präteritio 71, 73, 78 Primacy-/Recency-Effekt 213 privilegiert 193, 212, 216, 218, 244, 246, 267, 423 Probehandeln 224 prodesse et delectare 32, 96, 99, 185, 322 Prodigium 45, 60, 89, 97, 132, 140–144, 158, 160, 164, 177, 215, 369, 428–429, 431– 433, 437, 441–446 Programm 172, 265 – literarisches ~ 47, 50 Prolepse 77, 87–88, 91–92, 96, 105, 107, 130– 160, 176, 324, 328, 331–332, 372, 374, 427 Proömium 39, 41, 46–49, 55, 153, 188 – Binnen~ 159 Propaganda 72, 114, 216, 234, 329 prorömisch s. nationalrömisch Pseudoprodigium 133, 145, 158, 160, 428, 439, 442, 446 Psyche 154, 251, 264, 279 psycholinguistisch 303 psychologisch 112, 153, 232, 262, 298, 352

Sachregister Publikation 116, 124, 129 – ~schronologie 22 – ~seinheit 124 – ~sreihenfolge 158 – ~szeitraum 21 Publikum 15, 19–20, 25–27, 37, 51–52, 54, 57, 59, 61–62, 173, 181, 191, 203, 209, 225, 237, 252, 254, 272, 280, 294, 297, 303, 340, 356, 359, 362, 375–376, 450 – Literatur~ 21, 115, 129, 174, 183, 307, 356, 447 – ~reaktion s. Leserreaktion Quelle 40, 42, 141, 218, 235, 240, 242, 244, 247, 254, 362, 387–389, 391, 446, 449 Quellenangabe 239–240, 246, 389 Quellendiskussion 85, 88, 369, 386, 450 Quellenverweis 40, 240, 388 Querverweis 121 Quindecimvirat 48 quinquennale ludicrum 114–115 quinquennium Neronis 72, 85, 283, 287, 345, 412, 438 Raffung 86–89, 93–94, 97–98, 104, 108, 137, 165, 167–168, 254, 257, 263, 266, 271, 296, 308, 449 Rätsel 230, 348, 392, 395, 400, 424, 450 Raumwahrnehmung 170, 178–179, 203 Realitätseffekt 87, 210, 279, 287, 296, 341, 449 Rechnungsbücher 87, 113, 294 Rechtfertigungsschreiben 179, 219, 253, 355, 357 Rede 45, 72, 137, 151, 187, 189, 248–299, 320, 339, 418–419, 422, 449 – ~bericht 253–254, 257–258, 261, 263, 286, 293 – direkte ~ 94–95, 151, 221, 249, 255, 257–259, 261, 268, 281–299, 312, 322, 337, 374 – erlebte ~ 277–278, 281 – ~exkurs 295, 298, 406 – Feldherrn~ 97, 271–272, 417 – indirekte ~ 72, 190, 256–258, 261–281, 292, 294, 298, 312, 321, 449 – ~monopol 260 refutatio 236 Reichweite 91, 96, 105, 113, 121–123, 126– 127, 129–130, 138, 140, 155, 157, 446 Reintegrationstechnik 116 Rekonstruktionsprozess 225, 232, 247, 390, 449 Relationierung 212, 214, 217, 223, 353

489

Renommee 24, 51, 391 republikanisch 67, 72, 74, 112–113, 141, 147, 164, 169–171, 187, 260, 287, 306–307, 330, 336, 446 Requisit 121 Retardation 82, 97, 99, 171, 182, 278, 294, 304, 310, 327, 370, 374, 384–385, 401, 403, 406–407, 410, 412–413, 421, 423, 442, 446, 450 Retrospektion s. Analepse Rezeption 27, 59, 282 – ~sanalyse 18, 21, 28 – ~sästhetik 16 – ~sempfehlung 41 – ~sform 20, 120 – ~sforschung 28 – ~sorientierung 73, 101, 169, 237, 447, 451 – ~sphänomen 223 – ~sumstände 18, 38, 54, 129, 250 – ~svergnügen s. Lektürevergnügen – ~szeugnis 21, 28, 333 Rezipient s. Leser – ~enaktivierung s. Leseraktivierung – ~enreaktion s. Leserreaktion – potenzieller ~ s. potenzieller Leser Rezitation 19, 24–25 Rhetorik 34, 57, 71, 118, 148–149, 153–154, 219, 222, 225, 235, 249, 253–254, 262– 263, 266, 271–272, 280, 286–287, 298, 308–309, 314, 320, 322, 328, 337, 358, 361 Rhythmus 20, 73, 86, 99 Ringkomposition 122, 164 Rollenübernahme s. Identifikation Rombrand 94, 102, 119, 127, 131, 167, 216– 217, 229, 239–240, 244, 378, 385, 394– 395, 406, 430, 437, 441–442 Rubrik 106, 155, 256 Rückblick s. Analepse Rückwendung s. Analepse Sarkasmus 253, 263, 284, 316–317, 319, 432 Saturnalienfest 274 Schauplatzwechsel s. Szenenwechsel Schiffsattentat 275, 277, 319, 340, 369, 421 Schilderung 87, 95, 97, 146, 171, 195–196, 199, 297, 401, 404, 408, 432, 436, 442, 444 Schlagworttechnik 101, 129 Schlagzeile s. Überschrift Schnitttechnik 178, 410 Schuldfrage 200, 216 Selbstbewusstsein 51, 391, 447

490

Indices

Selbstwahrnehmung 206 Sendungsbewusstsein 270, 280 Sentenz 315, 320–323, 450 Servilität 149, 161, 190, 345 simulatio 369 Simultanität s. Gleichzeitigkeit sine ira et studio s. Objektivität Singulativität 160 Souveränität s. Allwissenheit Spannung 53, 75, 127, 143, 210, 218, 301–302, 305, 308, 312, 315, 349, 353, 361–362, 371, 385, 395, 397, 400, 416–417, 420, 428, 439, 451 – ~sbogen 265, 383 – ~sdynamik 81, 198, 313 – ~serzeugung 63, 68, 100, 165, 252, 294, 304, 310, 361, 375, 417, 422, 424, 427, 448 – ~sforschung 447 – ~sgenerierung s. ~serzeugung – ~shöhepunkt 97, 157, 281, 286, 293, 371, 373, 383, 404, 415 – ~smanagement 302 – ~sschema 368, 375, 400 – ~stektonisch 78, 159, 368, 375, 441, 443 – ~stheoretisch 29–30 – Rätsel~ 302, 392, 423 – stastische ~ 302, 304 – Überraschungs~ 302, 400 – Verlaufs~ 302–304, 368, 382 – Was-~ 303, 354, 450 – Wie-~ 302–303, 422, 450 Spezifikation 160–161, 165 Sphragis 44 Standortgebundenheit 198, 247 Sterbeszene 45, 95, 138, 163, 179, 282, 375, 449 stoisch 364 Subjektivität 33, 37, 45, 112, 128, 130, 145– 146, 155, 158, 173, 179, 187, 189, 191, 197–198, 210–211, 217, 226, 228, 237, 242, 271, 274, 277, 279–280, 292, 303– 304, 324, 332, 334, 340, 343, 346, 366, 391, 394, 400, 417–418, 421–423, 425, 427, 449, 451 Suggestion 22, 44, 82, 117, 119, 131, 153, 210, 218, 236, 243, 245, 254, 281, 311, 315, 325, 331, 361, 399 Suizid 69, 112, 147, 201, 330, 352, 364–367, 374, 385, 396, 408, 420, 442, 445–446 summarisch s. Raffung surprise s. Überraschungsspannung surreal 146, 197, 370, 393

suspense s. Verlaufsspannung Sympathie 150, 202, 208, 336, 341, 343, 346, 349, 354, 370, 373–374, 415, 418, 450 Synthetisierung 212, 214, 224, 247, 280 Szene 81–82, 94, 145, 181, 196–197, 202, 264, 275–276, 279, 289, 295–296, 316, 364, 408–409 Szenenwechsel 97, 103, 175–178, 370, 409, 419 Tageszeit 81–83 tendenziös 218, 241, 247, 298 tenere 301 tension s. statische Spannung Tertium Comparationis 55, 153 Testament 246, 319, 364–365, 379 theologisch 141 Titel 23, 39 Todesfall 79, 110–111, 162, 363, 365–367, 375, 429 Topographie 87, 199 s. auch Architektur Topos 39, 41, 53–55, 172, 183, 269, 447 transhistorisch 30, 128, 176, 190, 253, 450 Tristesse 59, 153 Tyrannenmord 112, 415 Überarbeitung s. Fertigstellungszustand Überleitung 97, 142–143, 158, 175–178, 210, 266, 379, 403, 434, 446 Überlieferung 15–16, 235–238, 242, 245, 281, 334, 386, 391, 449 – Haupt~ 387, 389 – Parallel~ 243, 267, 335 Überraschungseffekt 89, 302, 407, 420–421 Überschrift 102–103, 108, 130 ultima verba 122, 281–282, 355, 358–360, 371, 399 Umfang 115, 126, 155, 256, 258 Unbestimmtheitsstelle 53, 180, 231–232, 290, 315, 355, 391, 400, 449 Unmittelbarkeitserleben s. Realitätseffekt Unsicherheit 74, 77, 145, 223, 233, 239, 245, 297, 383, 408 Unterhaltung 19, 172, 208, 320, 442 Unterhaltungswert 53, 58, 161, 211, 237, 318, 332, 354, 361, 375, 381, 386 Unvoreingenommenheit s. Objektivität Unzuverlässigkeit 144, 219, 223, 245, 247, 393, 421 Varianzanalyse 126, 156, 259 vaticinium ex eventu 433, 444 Verantwortungsübernahme 190

Sachregister Verbum dicendi 270, 293 Verdüsterungshypothese 49 Vergöttlichung 117, 145, 443 verklausuliert 92, 143, 158, 444, 446 Veröffentlichung s. Publikation Verschwörung 61, 66, 79, 81, 89, 102, 108, 112, 121, 131, 136, 143, 146, 152, 157, 164, 178–179, 228, 231, 234, 238–240, 245, 266–267, 310, 321, 334, 346, 351–352, 358–367, 376, 384–385, 388, 393–399, 405–408, 414, 421, 423–424, 431–433, 440–442 Verunsicherung 141, 144, 218, 277, 409, 422, 437 vetera et praesentia contendere 118 Vielstimmigkeit s. Polyphonie Virtualität 120, 146, 159, 161, 173, 179–180, 183, 204, 381, 417–418, 424, 427, 451 Vordisponierung 368, 373 Vorentlastung 105 Vorgriff s. Prolepse Vorhalt s. Prolepse Vorkenntnis s. Vorwissen Vorwissen 18, 104, 109, 118, 127, 129, 139, 143, 158–159, 183, 197, 204, 228, 231, 303–304, 319, 323, 331, 340, 353, 355, 357, 361–362, 383, 391, 399–400, 416, 421–424, 427, 430, 437–438, 441

491

Wahrheit 34, 40, 223, 225, 238, 388 Wahrheitsfindung 218, 236, 399, 449 Wahrnehmung 193, 195, 203–204, 206, 211, 215, 220, 224, 247, 343, 354, 425, 427 – ~seinschränkung s. Fokalisierung – selektive ~ 173, 203, 210, 371 – ~sfixierung s. Fokalisierung – ~shorizont s. Fokalisierung Wahrscheinlichkeit 31, 238, 243, 392, 426 weighted alternative 226 Weltanschauung 280 Wertehierarchie 339 Wirklichkeitseffekt s. Realitätseffekt Wirkungspotenzial 63, 159, 223, 246, 255, 287, 289, 301, 323, 428 Wissenshorizont s. Vorwissen Zäsur 65–66, 103, 106, 116, 168 zeitdeckend 95, 261, 278 Zeitkritik 56 s. auch Gesellschaftskritik Zeitsystem 187 s. auch Annalistik Zeitzeuge 120, 241 Zitation 390 Zuhörer 20, 34, 253, 266, 287, 290, 292, 322 Zukunftsgewissheit 68, 131–132, 135, 140, 144, 146, 158, 438, 442, 444 Zukunftsvorstellung 145–146, 158, 419–422, 438 Zynismus 315–320, 342, 450

ANHANG Anhangstabelle 1: Fund- und Referenzstellenverzeichnis sowie Kategorisierung aller Analepsen ............................................494 Anhangstabelle 2: Fund- und Referenzstellenverzeichnis sowie Kategorisierung aller Prolepsen .............................................510 Anhangstabelle 3: Gestaltung der narrativen Frequenz .......................................519 Anhangstabelle 4: Handlungsschauplätze und -überleitungen ............................522 Anhangstabelle 5: Redeberichte ..........................................................................530 Anhangstabelle 6: Indirekte Reden ......................................................................534 Anhangstabelle 7: Direkte Reden ........................................................................537

13,15,3

12,66,2

x

13,15,2

x

x

x

13,14,1

13,14,1

x

x

13,13,1

13,13,4

x

13,12,2

x

x

x

x

11,36,4

x

x

13,11,2

x

x

x

13,10,1

13,8,1

13,6 f.

12,51,1–3

13,6,1

13,6,3

z. T. 1,11,2

11,2,1, 12,65,1

13,3,2

13,4,2

12,69,3

12,69,3

x

12,1,2, 12,2,3, 12,25,1

13,2,2

13,2,3

x

13,1,3

13,3,1

x

12,2,1

12,57,2, 12,65,1 f.

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

repetitiv

x

x

x

x

x

x

x

x

x

partiell

kompletiv

extern

(falls erhalten/ zuordenbar)

intern

Analepsenarten

Referenzstelle

13,1,1

Stelle

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

komplett

x

x

x

x

x

x

x

x

Ep./Ja.anfang

x

Ep./Ja.ende

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

In.pol.

x

x

Au.pol.

Kontextuelle Positionen

x

x

x

x

inh.inf.

x

x

x

x

x

x

x

x

charakt.

Anhangstabelle 1: Fund­ und Referenzstellenverzeichnis sowie Kategorisierung aller Analepsen

x

x

nekrolog.

x

x

x

x

x

x

x

x

x

begründ.

digressiv

Funktionale Formen

x

x

x

anal.komp.

x

deiktisch

494 Anhang

11,12,2

13,19,2

x

13,34,1

x

x

13,34,1

13,34,2

x

13,33,2

13,7,2

x

13,33,1

x

x

13,30,2

13,32,3

x

13,30,2

x

x

13,30,1

x

13,32,2

x

13,30,1

13,29,1f

x

x

13,27,2

13,28,1

x

x

x

x

13,25,2

13,1,2

13,2,3

13,18,3

13,24,2

x

13,2,3

13,18,3

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

partiell

kompletiv

repetitiv

Analepsenarten

extern

(falls erhalten/ zuordenbar)

intern

Referenzstelle

13,17,2

13,17,1

13,16,4

Stelle

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

komplett

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

Ep./Ja.ende

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

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x

In.pol.

x

Au.pol.

Kontextuelle Positionen Ep./Ja.anfang

x

x

x

x

x

x

x

x

inh.inf.

x

x

x

x

x

x

x

x

charakt.

x

x

x

x

x

x

x

x

begründ.

x

x

digressiv

Funktionale Formen nekrolog.

x

x

x

anal.komp.

x

x

x

deiktisch

Fund- und Referenzstellenverzeichnis sowie Kategorisierung aller Analepsen

495

x

13,53,2

13,53,1

13,52,1

12,30,2

x

x

x

13,48

13,50,3

x

13,47,2

13,12,1

x

x

x

x

13,45,1–3

13,45,4

13,46,2

x

x

z. T. 11,1,1– 3,2

13,43,2

13,43,5

x

z. T. 4,31,3, 13,18,1

13,42,3 f.

x

x

11,1,1–6,3

12,8,2

13,42,1

x

13,40,1

13,42,2

x

x

13,37,4

13,9,1

x

13,37,3

13,38,4

x

x

13,35,1–4

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

repetitiv

x

x

x

x

x

partiell

kompletiv

extern

(falls erhalten/ zuordenbar)

intern

Analepsenarten

Referenzstelle

13,36,2

Stelle

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

komplett

x

x

x

x

x

x

x

Ep./Ja.anfang

x

Ep./Ja.ende

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

In.pol.

x

x

x

x

x

x

x

Au.pol.

Kontextuelle Positionen

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

inh.inf.

x

x

x

x

x

x

charakt.

nekrolog.

x

begründ.

x

digressiv

Funktionale Formen

x

anal.komp.

deiktisch

496 Anhang

14,4 f.

14,5,3

14,6,1

14,7,1

14,4,1

12,8,1, 12,22,3

14,11,1 f.

14,12,1

14,12,3

x

x

14,12,4

x

x

x

14,12,3

12,22,2

x

12,69,1 f., 13,5,2, 13,14,3, 14,5,1–3

x

x

6,22,4

14,7,6

14,9,3

x

x

14,10,3

14,9,1

x

x

x

x

14,4,4

14,3,2

14,5,1

13,16,2

14,2,2

14,4,3

z. T. 12,8,1, 12,25,1

x

x

12,27,1

13,57,3

13,58

x

x

13,55,1

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

partiell

kompletiv

repetitiv

Analepsenarten

extern

(falls erhalten/ zuordenbar)

intern

Referenzstelle

13,55,2

13,54,1f

Stelle

x

x

x

x

x

x

x

x

x

komplett x

x

x

Ep./Ja.ende

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

In.pol.

x

x

x

x

x

Au.pol.

Kontextuelle Positionen Ep./Ja.anfang

x

x

x

x

x

x

x

x

x

inh.inf.

x

x

x

x

x

x

x

x

charakt.

x

x

x

x

x

x

x

begründ.

digressiv

Funktionale Formen nekrolog.

x

anal.komp.

deiktisch

Fund- und Referenzstellenverzeichnis sowie Kategorisierung aller Analepsen

497

z. T. 4,52,4

14,28,1

14,27,3

14,27,2

x

x

14,25,2

14,26,1

x

x

14,25,1

z. T. 13,37,5

x

14,24,2

x

x

14,23,1

13,41,3

14,22,4

x

x

x

x

14,21,1 f.

14,22,2

x

x

14,20,2–4

14,19

x

x

14,18,2

x

x

14,17,1

14,18,1

x

14,17,2

x

x

14,15,2

13,3,3

14,14,1

x

x

14,14,1

13,22,2

14,13,1

14,12,4

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

repetitiv

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

partiell

kompletiv

extern

(falls erhalten/ zuordenbar)

intern

Analepsenarten

Referenzstelle

14,13,2

Stelle

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

komplett

x

x

x

x

x

Ep./Ja.anfang

x

x

x

x

x

x

Ep./Ja.ende

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

In.pol.

x

x

x

x

x

Au.pol.

Kontextuelle Positionen

x

x

x

x

x

x

x

x

x

inh.inf.

x

x

x

x

x

charakt.

x

x

nekrolog.

x

x

x

x

x

begründ.

x

x

x

digressiv

Funktionale Formen

x

anal.komp.

x

deiktisch

498 Anhang

x

x

13,32,1

14,42,1

14,43,1

14,43,2

x

x

x

14,40,3

14,42,1

x

14,40,2

14,41

x

14,39,3

14,40,2

x

x

14,38,2

14,38,3

x

x

14,37,3

14,39,3

x

14,35,1

x

x

14,37,1

14,33,1 f.

14,31,1

14,33,2

x

14,32,3

14,35,1 f.

x

x

14,31,4

14,32,3

x

14,31,2

14,31,1

x

x

14,29,1– 30,3

z. T. 12,40,5

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

partiell

kompletiv

repetitiv

Analepsenarten

extern

(falls erhalten/ zuordenbar)

intern

Referenzstelle

14,28,1

Stelle

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

komplett

x

x

x

x

x

x

x

Ep./Ja.ende

x

x

x

x

x

x

x

x

In.pol.

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

Au.pol.

Kontextuelle Positionen Ep./Ja.anfang

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

inh.inf.

x

x

x

x

x

x

x

charakt.

x

x

x

x

x

x

begründ.

digressiv

Funktionale Formen nekrolog.

anal.komp.

x

x

x

deiktisch

Fund- und Referenzstellenverzeichnis sowie Kategorisierung aller Analepsen

499

13,46,2 f., 14,1,1

x

x

14,60,2

x

x

13,47,3, 14,22,3

14,57,1

14,59,2

x

13,30,2

14,55,4

14,58,1

x

x

14,53,3 f.

14,55,2 f.

x

x

x

x

14,53,3 f.

12,8,2, 12,69,1

x

14,53,2

x

x

14,51,1

14,48,1

x

14,50,1

14,49,2

14,48,4

14,48,1

x

x

13,28,1

x

x

14,48,1

12,59,1

14,42,1, 14,43,2

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

repetitiv

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

partiell

kompletiv

extern

(falls erhalten/ zuordenbar)

intern

Analepsenarten

Referenzstelle

14,47,1

14,46,1

14,45,2

14,44,3

14,44,1

Stelle

x

x

x

x

x

x

x

x

komplett

x

x

x

x

x

x

x

Ep./Ja.anfang

x

x

Ep./Ja.ende

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

In.pol.

Au.pol.

Kontextuelle Positionen

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

inh.inf.

x

x

x

x

x

x

charakt.

x

nekrolog.

x

x

x

x

begründ.

digressiv

Funktionale Formen

x

x

x

anal.komp.

x

deiktisch

500 Anhang

6,25,1, 12,58,1, 12,67,1 f., 13,12,1 f., 13,16,2, 14,60,1, 14,62,3 f.

14,60,1

14,63,2 f.

14,64,1

15,1,2

15,1,3

x

x

15,2,2

15,2,3

x

x

x

x

15,2,1

13,9,1, 13,37,4

z. T. 14,26,1

14,26,1

15,1,1

x

x

x

14,23–26

14,65,2

x

14,65,1

x

x

14,63,1

14,64,3

x

14,62,3

14,60,1, 14,62,3 f.

x

x

x

14,62,4

14,3,3, 14,7,5

14,7,5

14,62,2

14,62,3

14,60,2 f.

x

x

x

x

x

x

x x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

partiell

kompletiv

repetitiv

Analepsenarten

extern

(falls erhalten/ zuordenbar)

intern

Referenzstelle

14,62,1

Stelle

x

x

x

x

x

x

x

x

x

komplett

x

x

x

x

Ep./Ja.ende

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

In.pol.

x

x

x

x

x

x

Au.pol.

Kontextuelle Positionen Ep./Ja.anfang

x

x

x

x

x

x

x

inh.inf.

x

x

x

x

x

x

x

charakt.

x

x

x

x

x

x

x

x

begründ.

digressiv

Funktionale Formen nekrolog.

x

x

x

anal.komp.

x

deiktisch

Fund- und Referenzstellenverzeichnis sowie Kategorisierung aller Analepsen

501

15,3,1

15,6,3

x

15,14,3

15,16,2

x

15,14,2

x

x

15,13,3

15,16,1

x

x

13,36,1–3

15,13,2

15,12,2

15,11,1

x

x

x

15,10,4

15,11,3

x

15,10,3

15,10,4

x

x

x

15,7,1

x

x

x

15,10,2

15,5,4

15,6,4

x

x

15,10,1

13,34,2–41,3, 14,23,1–26,2

15,6,3

15,4,1–5,1

15,4,2 f.

x

15,4,1

15,5,1

15,5,3

x

15,6,2

x

15,4,2

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

repetitiv

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

partiell

kompletiv

extern

(falls erhalten/ zuordenbar)

intern

Analepsenarten

Referenzstelle

15,3,1

Stelle

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

komplett

x

Ep./Ja.anfang

Ep./Ja.ende

x

x

In.pol.

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

Au.pol.

Kontextuelle Positionen

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

inh.inf.

x

x

x

x

x

charakt.

nekrolog.

x

x

x

begründ.

digressiv

Funktionale Formen

x

x

x

anal.komp.

x

x

deiktisch

502 Anhang

15,15,1 f.

15,25,1

15,25,2

15,27,3

15,27,1

15,26,2

15,10,1

x

15,8,2, 15,14,3, 15,16,2, 15,17,3

15,25,3

x

15,24,2

x

x

x

x

15,14,3

15,4,1 f., 15,15,2

15,24,1

x

15,23,2

15,23,1

x

x

x

x

x

15,21,1

15,22,2

x

x

x

15,20,3

15,20,1

x

x

x

15,9,1 f., 15,12,1

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

partiell

kompletiv

repetitiv

Analepsenarten

extern

(falls erhalten/ zuordenbar)

intern

Referenzstelle

15,19,1

15,18,3

15,18,2

15,17,3

Stelle

x

x

x

x

x

komplett

x

x

x

x

x

x

x

Ep./Ja.ende

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

In.pol.

x

x

x

x

Au.pol.

Kontextuelle Positionen Ep./Ja.anfang

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

inh.inf.

x

x

x

charakt.

x

x

x

begründ.

x

x

digressiv

Funktionale Formen nekrolog.

x

x

x

anal.komp.

deiktisch

Fund- und Referenzstellenverzeichnis sowie Kategorisierung aller Analepsen

503

15,46,2

15,46,1

15,45,2

15,45,1

15,44,3

x

x

x

x

15,43,1

x

x

x

x

15,43,5

x

15,41,2

x

15,40,2

x

x

x

15,41,1

x

15,41,2

4,64,1, 6,45,1

x

x

x

15,39,3

15,39,1

15,38,1

15,37,2

15,34,2

15,34,1

15,33,1

x

14,14,2, 14,15,1

15,32

x

x

15,13,1 f., 15,15,1

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

repetitiv

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

partiell

kompletiv

extern

(falls erhalten/ zuordenbar)

intern

Analepsenarten

Referenzstelle

15,31

15,28,2

Stelle

x

x

x

x

x

x

x

x

x

komplett

x

x

x

x

x

Ep./Ja.anfang

x

x

Ep./Ja.ende

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

In.pol.

x

x

Au.pol.

Kontextuelle Positionen

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

inh.inf.

x

x

x

x

x

x

charakt.

nekrolog.

x

x

x

begründ.

digressiv

Funktionale Formen

x

x

x

x

x

anal.komp.

deiktisch

504 Anhang

x

15,53,2, 15,54,1–3

15,54,1

15,55,2 f.

15,55,4

x

x

15,56,1

15,57,2

x

x

15,54,1–3

15,55,1

x

x

15,53,2

15,54,4

15,54,1

15,53,2

15,53,2

x

x

15,51,2

15,52,2

x

x

14,51,2 f., 14,57,1

15,50,3

x

x

15,49,2

15,50,3

15,51,1

x

15,50,4 f.

x

x

x

15,49,4

14,22,1

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

partiell

kompletiv

repetitiv

Analepsenarten

extern

(falls erhalten/ zuordenbar)

intern

Referenzstelle

15,49,3

15,48,2

15,48,1

15,47,1

Stelle

x

x

x

x

x

x

x

x

x

komplett

x

x

x

x

x

x

x

x

Ep./Ja.ende

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

In.pol.

Au.pol.

Kontextuelle Positionen Ep./Ja.anfang

x

x

x

x

x

x

x

x

inh.inf.

x

x

x

x

x

x

x

x

charakt.

x

x

x

x

x

x

x

begründ.

digressiv

Funktionale Formen nekrolog.

anal.komp.

x

x

deiktisch

Fund- und Referenzstellenverzeichnis sowie Kategorisierung aller Analepsen

505

15,68,3

15,68,3

x

x

15,52,3

15,68,2

x

x

15,67,2

15,67,3

x

15,68,1

14,8,5, 14,14 f., 14,64,2, 15,33, 15,38,1

x

15,65

15,67,2

x

15,64,4

15,64,3

x

15,50,3

13,16,2, 14,8,5

15,61,4

15,62,2

x

x

x

15,60,3

15,61,1

15,61,3

x

15,60,4

x

x

15,45,3

15,60,3

15,60,2

15,59,5

x

x

15,58,1

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

repetitiv

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

partiell

kompletiv

extern

(falls erhalten/ zuordenbar)

intern

Analepsenarten

Referenzstelle

15,59,1–4

Stelle

x

x

x

x

x

x

x

x

komplett

x

x

x

x

x

Ep./Ja.anfang

x

Ep./Ja.ende

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

In.pol.

Au.pol.

Kontextuelle Positionen

x

x

x

x

x

inh.inf.

x

x

x

x

x

x

x

x

charakt.

x

x

nekrolog.

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

begründ.

digressiv

Funktionale Formen

x

anal.komp.

x

deiktisch

506 Anhang

x

x

x

15,71,1

15,71,2

15,71,4

14,59,2

16,8,1

16,10,1

16,13,1 f.

16,12,2

16,12,1

x

x

x

x

16,10,3

16,11,1

x

x

16,10,2

15,35,1–3, 16,8,1

15,35,1–3

16,6,2

x

x

x

15,23,1

16,5,1

x

x

x

16,1,2

x

15,74,1

x

16,3,2

x

15,74,1

15,53,2

x

15,70,1

15,72,2

x

15,69,3

13,45,4

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

partiell

kompletiv

repetitiv

Analepsenarten

extern

(falls erhalten/ zuordenbar)

intern

Referenzstelle

15,69,2

Stelle

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

komplett

x

x

x

x

x

x

x

Ep./Ja.ende

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

In.pol.

x

x

Au.pol.

Kontextuelle Positionen Ep./Ja.anfang

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

inh.inf.

x

x

x

x

charakt.

x

x

x

x

x

x

x

x

begründ.

digressiv

Funktionale Formen nekrolog.

x

anal.komp.

deiktisch

Fund- und Referenzstellenverzeichnis sowie Kategorisierung aller Analepsen

507

x

16,7,2

x

x

16,22,4

16,22,5

x

x

x

16,22,2

16,22,1

13,33,2

16,21,3

x

x

16,20,2

14,12,2, 14,48,3–49,3, 15,23,4, 16,6,2

x

16,20,1

16,21,1 f.

x

x

16,19,1

x

16,18,1–3

16,17,2

16,17,6

16,17,6

x

x

16,17,3

x

16,17,2

16,17,4

x

12,31,4

11,1,3, 11,4,3, 12,42,1, 15,71,4

16,15,1

x

x

16,14,2

x

14,48,1

16,14,1

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

repetitiv

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

partiell

kompletiv

extern

(falls erhalten/ zuordenbar)

intern

Analepsenarten

Referenzstelle

16,13,3

Stelle

x

x

x

x

x

x

x

komplett

x

x

x

x

x

x

x

x

x

Ep./Ja.anfang x

Ep./Ja.ende

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

In.pol.

Au.pol.

Kontextuelle Positionen

x

x

x

x

x

inh.inf.

x

x

x

x

x

x

charakt.

x

x

nekrolog.

x

x

x

x

x

x

x

x

begründ.

digressiv

Funktionale Formen

x

x

anal.komp.

x

x

deiktisch

508 Anhang

x

16,34,1

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

komplett

x

x

x

Ep./Ja.ende

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

In.pol.

Au.pol.

Kontextuelle Positionen Ep./Ja.anfang

x

x

x

inh.inf.

x

x

x

x

x

x

x

charakt.

x

x

x

x

x

x

begründ.

digressiv

Funktionale Formen nekrolog.

x

anal.komp.

deiktisch

Die Stellenangaben richten sich nach der textkritischen Ausgabe von Wellesley (1986). Bei Vorliegen mehrerer getrennter Anachronien pro Paragraph ist eine Mehrfachnennung der Paragraphennummer möglich.

16,34,2

x

x

16,32,2

16,33,1

x

16,32,1

16,33,2

x

15,71,3

16,30,2

16,30,3

16,31,1

x

x

16,30,2

x

x

16,23,1

16,29,2

16,30,1

x

x

16,27,1

16,28,1

x

partiell

kompletiv

repetitiv

Analepsenarten

extern

(falls erhalten/ zuordenbar)

intern

Referenzstelle

16,23,1

Stelle

Fund- und Referenzstellenverzeichnis sowie Kategorisierung aller Analepsen

509

13,34,1

13,16,4

13,18,2

13,20,3, 13,57,3, 14,1,1, 14,1,3, 14,8,5

14,2,1

13,20,1

13,20,2

13,19,3

13,20,1, 13,20,3, 13,57,3, 14,1,1, 14,1,3, 14,8,5

x

x

x

x

x

13,15,4 f.

13,16,2

x

13,14,3

13,16,2

13,12,1–13,3

13,12,1

x

x

x

13,16,1–4

13,10,1 f.

x

13,9,3

x

13,34,2

x

x

13,7,2

13,47,1, 14,13,3

x

x x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

iterativ

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

partiell

kompletiv

extern

(falls erhalten/ zuordenbar)

intern

Prolepsenarten

Referenzstelle

13,4,2

13,1,3

13,1,1

Stelle

x

x

x

komplett

x

x

x

Ep./Ja.anfang

x

x

x

x

Ep./Ja.ende

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

In.pol.

x

x

Au.pol.

Kontextuelle Positionen

x

x

x

x

x

x

x

x

x

inh.inf.

handl.exlusiv

Anhangstabelle 2: Fund­ und Referenzstellenverzeichnis sowie Kategorisierung aller Prolepsen

x

allusiv

x

(pseudo-) prodigial

Funktionale Formen

x

x

x

x

x

subjektiv

x

x

x

deiktisch

510 Anhang

13,45,1–46,3

13,45,1

13,46,3

13,44,1–5

13,44,1

13,43,5

13,45,1

13,43,2

x

x

x

x

x

13,42,1–43,5

x

13,42,1

15,2,2 f., 15,29,1

x

13,41,4

13,37,4 f.

13,37,3

13,33,1–3

16,22,6, 16,28,1–29,1, 16,33,2

x

13,32,3

x

14,55,4

x

13,30,2

13,24,1

x

13,25,3

13,25,1–4

13,22,2

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

13,57,3, 14,1,1, 14,1,3, 14,8,5

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

partiell

kompletiv

iterativ

Prolepsenarten

(falls erhalten/ zuordenbar)

extern

intern

Referenzstelle

14,22,3, 14,58 f.

13,22,1

13,20,3

Stelle

x

komplett

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

Ep./Ja.ende

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

In.pol.

x

x

Au.pol.

Kontextuelle Positionen Ep./Ja.anfang

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

inh.inf.

x

x

x

x

handl.exlusiv

x

allusiv

x

x

x

(pseudo-) prodigial

Funktionale Formen

x

subjektiv

deiktisch

Fund- und Referenzstellenverzeichnis sowie Kategorisierung aller Prolepsen

511

14,5,1 f.

14,3,3

x

x

x

14,12,2

14,13,2

x

14,10,3

14,12,1

x

14,9,1

16,21,1

x

14,8,5

14,1,3

x

x

14,1,2

14,1,1

x

13,57,3

14,1,3, 14,8,5

x

14,1,1, 14,1,3, 14,8,5

13,57,1

13,58

x

14,1,1, 14,1,3, 14,8,5

x

x

x

13,52,2

13,56,3

x

x

x

x

x

13,51,2

13,49,4

14,12,1, 14,49,3 f., 15,23,4

14,57,4

13,49,1

14,13,3

13,47,3

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

iterativ

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

partiell

kompletiv

extern

(falls erhalten/ zuordenbar)

intern

Prolepsenarten

Referenzstelle

13,47,1

Stelle

x

komplett

x

x

x

x

x

Ep./Ja.anfang

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

Ep./Ja.ende

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

In.pol.

x

x

x

Au.pol.

Kontextuelle Positionen

x

x

x

x

x

x

x

x

inh.inf.

x

x

x

x

x

handl.exlusiv

allusiv

x

x

x

x

(pseudo-) prodigial

Funktionale Formen

x

x

subjektiv

x

x

deiktisch

512 Anhang

14,16,1 f.

14,15,5

14,16,1

14,47,1

14,22,4

x

x

x

14,40,1

14,40,1–45,2

14,37,2

14,39,3

14,39,2

14,33,2

x

x

14,32,2–33,2

14,32,1

x

x

14,29–39, 16,14,1

14,29,2

14,32,3

x

14,29,1

x

x

14,39,3, 15,72,1

14,28,2

x

14,22,1–3

x

x

14,58 f.

14,19

x

x

x

x

x

x

14,17,2

14,16,1

16,5,1

14,15,1

14,14,1–14,4

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

partiell

kompletiv

iterativ

Prolepsenarten

extern

(falls erhalten/ zuordenbar)

intern

Referenzstelle

14,15,1–5, 15,33,1

14,14,3

14,14,1

Stelle komplett

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

Ep./Ja.ende

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

In.pol.

x

x

x

x

x

x

x

Au.pol.

Kontextuelle Positionen Ep./Ja.anfang

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

inh.inf.

handl.exlusiv

x

x

x

x

allusiv

x

x

x

(pseudo-) prodigial

Funktionale Formen subjektiv

x

x

x

deiktisch

Fund- und Referenzstellenverzeichnis sowie Kategorisierung aller Prolepsen

513

x

x

15,43,3

14,57,1–4

14,58,1–59,4

14,56,2

14,56,3

14,57,1

14,58,1

15,71,4

14,59,1

x

x

16,10 f.

14,59,1

14,59,3

x

14,58,4

x

x

x

14,55,4

x

x

14,52,1–56,3

14,52,1

x

14,54,3

14,51,1–56,3

x

x

14,51,1

x

14,50,2

x

14,48,4

14,50,1

x

14,48,2

x

x

14,49,1

x

x

14,46,2

14,47,2

x

14,47,1

x

14,45,2

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

iterativ

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

partiell

kompletiv

extern

(falls erhalten/ zuordenbar)

intern

Prolepsenarten

Referenzstelle

14,40,2

Stelle

x

komplett

x

x

x

x

x

Ep./Ja.anfang

x

x

x

x

x

x

x

Ep./Ja.ende

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

In.pol.

Au.pol.

Kontextuelle Positionen

x

x

x

x

x

x

inh.inf.

x

x

handl.exlusiv

x

x

x

x

x

x

allusiv

x

x

(pseudo-) prodigial

Funktionale Formen

x

x

x

x

x

subjektiv

x

deiktisch

514 Anhang

15,25,1 f.

15,25,1 f.

15,14,3

15,16,2

15,17,2 f.

x

16,35,1 f.

15,29,3

15,23,4

15,24,2

x

x

x

x

15,23,3

15,23,1

15,22,2

x

15,16,2, 15,25,1 f.

15,7,2

x

x

x

15,13 f.

15,6,4

x

15,6,3–17,3

x

15,6,2

14,65,2

x

15,48–74

14,64,3

15,5,1

15,18,1, 15,23,1–3, 15,73 f., 16,4,1, 16,11,3, 16,16,1

x

x

14,61,4

14,62,4

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

partiell

kompletiv

iterativ

Prolepsenarten

extern

(falls erhalten/ zuordenbar)

intern

Referenzstelle

14,60,4

Stelle komplett

x

x

x

x

x

x

x

x

x

Ep./Ja.ende

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

In.pol.

x

x

x

x

x

x

x

Au.pol.

Kontextuelle Positionen Ep./Ja.anfang

x

x

x

x

inh.inf.

x

x

handl.exlusiv

x

allusiv

x

x

x

(pseudo-) prodigial

Funktionale Formen

x

x

x

x

x

x

x

subjektiv

x

deiktisch

Fund- und Referenzstellenverzeichnis sowie Kategorisierung aller Prolepsen

515

15,38,1

15,51,1

x

x

15,51,1–4, 15,57,1 f.

15,52,1

x

15,67,1–68,1

15,49,2

x

x

15,48,1–74,3

15,48,1

x

15,49,1

15,48–74

x

15,47,1 f.

x

15,43,5

x

x

15,42,2

x

x

x

15,37,1

15,42,1

x

x

15,36,1

15,34,2

15,38,1–44,5

x

15,33,2–34,1, 16,4,1–4

15,33,1

15,33,2

x

15,33 f.

15,32

x

15,29,3

15,29,1

x

x

15,29,3

15,29,3

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

iterativ

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

partiell

kompletiv

extern

(falls erhalten/ zuordenbar)

intern

Prolepsenarten

Referenzstelle

15,27,2

15,25,3

15,25,3

Stelle

x

komplett

x

x

x

x

x

x

Ep./Ja.anfang

x

x

Ep./Ja.ende

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

In.pol.

x

x

Au.pol.

Kontextuelle Positionen

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

inh.inf.

handl.exlusiv

x

x

allusiv

x

x

(pseudo-) prodigial

Funktionale Formen

x

x

x

x

x

subjektiv

x

x

x

x

deiktisch

516 Anhang

x

x

15,74,3

16,1,1

16,1,1–3,2

x

15,74,2

15,74,1

x

x

15,73,2

15,73,2

x

15,72,2

15,74,1–3

x

15,71,3

15,72,1

x

x

15,70,2

15,70,1

x

15,70,1

15,68,2

x

x

15,68,2–69,3

15,66,1

15,68,3

15,66,1– 15,68,1

15,64,2

x

15,60,2

15,63,3

x

x

15,53,4

15,60,2–64,4

x

x

15,68,2

15,52,3

15,53,1 f.

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

partiell

kompletiv

iterativ

Prolepsenarten

extern

(falls erhalten/ zuordenbar)

intern

Referenzstelle

15,52,2

Stelle

x

komplett

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

Ep./Ja.ende

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

In.pol.

Au.pol.

Kontextuelle Positionen Ep./Ja.anfang

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

inh.inf.

x

x

handl.exlusiv

x

x

allusiv

x

x

x

x

x

(pseudo-) prodigial

Funktionale Formen

x

x

subjektiv

x

x

x

x

deiktisch

Fund- und Referenzstellenverzeichnis sowie Kategorisierung aller Prolepsen

517

16,10,1–11,3

16,13,1–3

16,10,1

16,13,1

16,18,1–19,3

16,18,1

x

x

x

x

16,23,2

16,24,1

16,25,1 f.

16,26,1–3

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

partiell

x

x

komplett

x

x

x

x

x

x

x

Ep./Ja.anfang

x

x

Ep./Ja.ende

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

In.pol.

Au.pol.

Kontextuelle Positionen

x

x

x

x

x

x

x

inh.inf.

handl.exlusiv

x

x

x

x

x

allusiv

x

(pseudo-) prodigial

Funktionale Formen

x

x

x

subjektiv

x

x

x

deiktisch

Die Stellenangaben richten sich nach der textkritischen Ausgabe von Wellesley (1986). Bei Vorliegen mehrerer getrennter Anachronien pro Paragraph ist eine Mehrfachnennung der Paragraphennummer möglich.

x

16,34,1

x

x

x

16,32,2

16,28,1

16,26,4

x

16,21,1

16,29,2, 16,33,2, 16,35,1

x

16,17,1

x

x

16,17,1–6

16,16,1 f.

x

x

x

16,7,2

16,7,1

x

x

16,6,1 f.

iterativ

kompletiv

extern

(falls erhalten/ zuordenbar)

intern

Prolepsenarten

Referenzstelle

16,6,1

16,6,1

16,5,3

Stelle

518 Anhang

519

Gestaltung der narrativen Frequenz

Anhangstabelle 3: Gestaltung der narrativen Frequenz Stelle

singulativ

iterativ

13,1,1

x

13,2,1 f.

x

extern

x

x

x

13,5,1 f.

x

x

13,11,1

Determination Spezifikation C. Caesar

x

13,3,3

13,9,1

intern

x x

Extension

solitus, crebra punktuell Imperfekt

durativ

aliquando, Imperfekt

durativ

Imperfekt

(punktuell)

x

uterque

punktuell

x

consulibus

punktuell

x

crebris

punktuell

puerilibus statim annis

13,11,2

x

13,12,1

x

x

paulatim

durativ

13,13,3

x

x

semper

durativ

13,16,1

x

x

mos, Imperfekt

durativ

13,17,2

x

crebris diebus

durativ

13,18,3

x

x

quotiens

(punktuell)

13,19,3

x

x

saepius

(punktuell)

x

x

solitus, alioquin, Imperfekt

(durativ)

x

x

13,20,1 13,24,1 13,25,1

x

x

13,25,1–4

x

ante exitium

solitus

punktuell

x

consulibus

punktuell

fine anni x

Imperfekt

durativ

13,31,1

x

x

consulibus

punktuell

13,34,1

x

x

consule … iniit consulatum

punktuell

13,35,1–4

x

x

Imperfekt

durativ

13,38,1

x

x

in uicem

punktuell

x

tribus, cetera, alia, Imperfekt

punktuell

rarus, numquam, Imperfekt

(punktuell)

13,39,5

x

13,45,3

x

13,46,1

x

x

matrimonium – accepto aditu

saepe, Imperfekt

(punktuell)

13,46,2

x

x

accepto aditu – praeficitur

post, ad postremum

durativ

celebris, Imperfekt

(punktuell)

13,47,2

(x)

x

una die

x

x

520

Stelle

Anhang singulativ

iterativ

extern

intern

Determination Spezifikation

Extension

eodem anno

13,50,1

x

x

crebris

punktuell

13,57,3

x

x

Imperfekt

durativ

x

consulibus

punktuell

aliquando, crebris

(durativ)

14,1,1

x

14,1,1–3

(x)

x

x

14,2,1

(x)

x

x

medio diei

saepius

(punktuell)

14,4,1

x

x

Quinquatrium festos

Imperfekt

(punktuell)

14,10,1

x

reliquo noctis

saepius, Imperfekt

(punktuell)

14,12,1

x

x

solitus

punktuell

nec iam, mox, Imperfekt

durativ

Imperfekt

punktuell

x

consulibus

punktuell

x

Imperfekt

punktuell

x

14,14,1 f.

x

x

14,16,1 f.

x

x

14,20,1

x

14,24,1

x

post epulas

14,29,1

x

x

consulibus

punktuell

14,48,1

x

x

consulibus

punktuell

14,51,1

x

x

in dies, Imperfekt

punktuell

14,57,1

x

x

in dies, Imperfekt

punktuell

14,60,5

x

crebri

punktuell

quotiens – totiens

durativ

14,64,3

x

x

pulsa – reuocauit

x

15,10,2

x

x

rursus, Imperfekt

punktuell

15,11,1

x

x

saepius, Imperfekt

(punktuell)

x

iterum

punktuell

annuum

punktuell

percrebuerat, mos, plerique

(punktuell)

15,11,3

x

15,18,3

x

x

15,19,1 f.

x

x

(senatus consultum)

15,23,1

x

x

consulibus

punktuell

15,33,1

x

x

consulibus

punktuell

in dies, Imperfekt

punktuell

dictitans

punktuell

15,33,1

x

15,36,2 f.

x

x x

521

Gestaltung der narrativen Frequenz iterativ

extern

15,37,1

x

x

15,38,5 f.

x

Stelle

15,48,1

singulativ

x

15,50,3 f.

x

15,52,1

x

15,68,1

x

15,68,3

x

15,71,1

x

intern

Determination Spezifikation

Extension

celeberrimae, saepius, exemplar

durativ

x

saepe, Imperfekt

durativ

x

ineunt … consulatum

punktuell

x

saepe, Imperfekt

punktuell

crebro, Imperfekt

(punktuell)

ceteri

punktuell

saepe

punktuell

x

alius, alius

punktuell punktuell

x x x

15,73,1

x

x

crebro, Imperfekt

16,4,2

x

x

dictitans

punktuell (punktuell)

16,5,1

x

x

saepe, Imperfekt

16,13,1 f.

x

x

saepe, Imperfekt

durativ

x

consulibus

punktuell

x

non semel edito

durativ

x

nox, dies

punktuell

16,14,1 16,16,2 16,18,1

x x x

Die Stellenangaben richten sich nach der textkritischen Ausgabe von Wellesley (1986). Bei Vorliegen mehrerer getrennter Iterationen pro Paragraph ist eine Mehrfachnennung der Paragraphennummer möglich. In ambivalenten Einzelfällen drückt (…) eine Einordnungstendenz aus.

522

Anhang

Anhangstabelle 4: Handlungsschauplätze und ­überleitungen Jahr

res

Textpassage

Handlungsort

54 n. Chr.

internae

13,1,1–2,3

(Kaiserpalast)

13,3,1–3

(Marsfeld)

13,4,1 f.

curia

13,5,1 f.

Palatium [Gerüchte über die Vertreibung Radamistus’]

externae 13,6,1–4

55 n. Chr.

Urbs sermonum auida

13,7,1 f.

Armenien [Abzug der Parther]

13,8,1 f.

apud senatum [Beauftragung und Entsendung Corbulos]

13,8,3–9,3

apud Aegeas (Cilicia); Syria [Geiselaustausch mit Vologaeses; Schiedsspruch Neros]

internae

13,10,1 f.

(Senat)

internae

13,11,1 f.

(Senat)

13,12–15,4

(Kaiserpalast)

13,15,5

iuxta cubiculum Caesaris

13,16,1–4

(Kaiserpalast: Triclinium)

13,17,1–3

campus Martius

13,18,1 f.

(Kaiserpalast) [Besuche Neros bei Agrippina]

13,18,3–19,4 domus Antoniae [Nachrichtenkette: Iturius und Calvisius, Atimetus, Paris, Nero]

56 n. Chr.

internae

57 n. Chr.

internae

58 n. Chr.

internae

13,20,1–3

(Kaiserpalast) [Aufbruch ad Agrippinam]

13,21,1–6

ad Agrippinam (domus Antoniae)

13,22–24

(Rom, Kaiserpalast; Senat)

13,25,1–4

itinera, lupanaria, deuerticula urbis

13,26–30

(Senat und z. T. Kaiserpalast)

13,31,1

campus Martius

13,31,2–33,3 Senat; (Kaiserpalast; domus Plauti) 13,34,1

(Senat)

externae 13,34,2–35,1 Armenien, Syrien 13,35,2–36,3 Galatien, Kappadokien [at] 13,37,1–38,3 Armenien [Reger Botenaustausch zwischen Corbulo und Tiridates] 13,38,3 f.

Zusammenkunft an einem strategisch günstigen Ort [Abzug beider Feldherrn]

Handlungsschauplätze und -überleitungen Jahr

res

internae

Textpassage

Handlungsort

13,39,1–6

Armenien: mare Ponticum, Trapezus, castellum Volandum [Aufbruch nach Artaxata; at]

13,40,1–3

(Tiridates’ Überfall auf dem Marsch nach Artaxata) [Abzug des Tiridates]

13,41,1–3

Artaxata [Auspizien Neros]

13,41,4

Senat

13,42 f.

(Rom/Kaiserpalast)

13,44,1–4

Rom/cubiculum Pontiae

13,44,5

Senat

13,45 f.

(Rom/Kaiserpalast)

13,47,1–3

Kaiserhof, pons Miluius, uia Flaminia, horti Sallustiani [Verbannung Sullas nach Massilia]

13,48

Puteoli [Gesandtschaft an den Senat]

13,49–52

Senat [Prozesse gegen prokonsularische Statthalter Afrikas]

externae 13,53,1–3

59 n. Chr.

523

Germanien (Rhein-Mosel-Gebiet)

13,54,1 f.

apud Frisios [Gesandtschaft nach Rom]

13,54,3 f.

Stadtbesichtigung in Rom, theatrum Pompei, Kaiserpalast [Rückkehr nach Germanien]

13,55 f.

Germanien: idem agri [Rückzug nach Innergermanien (ad Usipos, Tubantes, Chattos, Cheruscos)]

13,57,1 f.

apud Hermunduros Chattosque

13,57,3

ciuitas Ubiorum

internae

13,58

in comitio

internae

14,1,1–3,3

(Kaiserpalast) [Abreise zu den Quinquatren in der Nähe von Baiae]

14,4,1 f.

apud Baias in litore [Weiterreise nach Bauli]

14,4,3 f.

Bauli (uilla, quae promuntorium Misenum inter et Baianum lacum flexo mari alluitur) [Heimfahrt Agrippinas]

14,5,1–3

placidum mare/nauis [Agrippinas Flucht in ihre eigene Villa]

14,6,1–6,3

Agrippinae uilla ad lacum Lucrinum sita [Benachrichtigung Neros durch Agermus; at]

14,7,1–6

(Bauli) [Agermus Ankunft; Abmarsch des Anicetus]

524 Jahr

Anhang res

Textpassage

Handlungsort

14,8,1

ad litus [Marsch des Anicetus]

14,8,2–5

uilla Agrippinae: cubiculum [Begräbnis Agrippinas]

14,9,1–3

tumulus uiam Miseni propter et uillam Caesaris dictatoris, quae subiectos sinus editissima prospectat

14,10,1 f.

(Bauli) [Rückzug Neros nach Neapel]

14,10,3

Neapolis [Rechtfertigungsschreiben an den Senat]

14,11,1–12,4 Senat [analeptischer Bericht über Tod der Iunia Silana] 14,13,1 f.

oppida Campaniae [Rückkehr Neros nach Rom]

14,14,1–4

Rom/uallis Vaticana

14,15,1–5

Rom/apud nemus, quod nauali stagno circumposuit Augustus

14,16,1 f.

(Kaiserpalast/Triclinium)

14,17,1

Pompeji [Beschwerden an den Senat]

14,17,2–18,3 Senat 14,19 60 n. Chr.

internae

(Rom)

14,20,1–22,3 Rom 14,22,4

ad fontem aquae Marciae [at]

externae 14,23,1–24,4 Armenien: iter Artaxata Tigranocertam factum [at]

internae

61 n. Chr.

14,25,1 f.

Legerda [Geleit der hyrkanischen Gesandtschaft ad litora maris Rubri]

14,26,1 f.

Armenien (Tigranocerta) [Abzug Corbulos nach Syrien]

14,27,1

Laodicea [at]

14,27,1

Puteoli

14,27,2 f.

Tarentum/Antium

14,28,1 f.

(Senat/Kaiserpalast) [Verbannung des Vibius Secundus]

externae 14,29,1 f.

Britannien

14,29,3–30,3 insula Mona [Nachricht eines Aufstandes in der Provinz] 14,31,1–3

apud Icenos et Trinobantes [Wut auf die in Camulodunum angesiedelten Veteranen]

Handlungsschauplätze und -überleitungen Jahr

res

525

Textpassage

Handlungsort

14,32,1–3

Camulodunum [Rückzug Petilius Cerialis’, Flucht Catus Decianus’; at]

14,33,1

Londinium [Sammeln der Truppen durch Suetonius]

14,33,2

Verulamium

14,34,1–37,3 Kampfschauplatz [Suizid des Poenius Postumus im entfernten Lager der am Schlachtgeschehen unbeteiligten zweiten Legion]

internae

14,38,1–3

Britannien [Einsetzung des Classicianus als Prokurator; Anforderung eines neuen Statthalters]

14,39,1–3

Britannien/Rom [Entsendung des Polyclitus, Suetonius’ Abberufung und Petronius’ Nachfolge]

14,40,1–42,1 Rom/Senat 14,42,2–46,2 Senat 14,47,1 f.

62 n. Chr.

internae

(Rom/Kaiserpalast)

14,48,1–50,2 Senat 14,51,1–52,4 (Rom/domus Burri) [at] 14,53,1–57,3 (Kaiserpalast) [Entsendung der Mörder an Sulla] 14,57,4

Massilia [Reportation von Sullas Kopf]

14,58,1–3

(Rom) [Botschaft des L. Antistius an Plautus]

14,58,4–59,2 (Plauti praedia in Asia) [Reportation von Plautus’ Kopf] 14,59,3

(Kaiserpalast) [Rechtfertigungsschreiben an den Senat]

14,59,4

Senat

14,60,1–63,3 Palatium [Verbannung Octavias nach Pandateria] 14,64,1 f.

Pandateria [Reportation von Octavias Kopf]

14,64,3

(Erzählraum)

14,65,1 f.

(Rom)

externae 15,1,1–2,4

(Parthischer Königshof) [Entsendung des Monaeses]

15,3,1 f.

Syrien: ad ripam Euphratis

15,4,1–3

Tigranocerta

526 Jahr

Anhang res

Textpassage

Handlungsort

15,5,1

(Syrien) [Gesandtschaft Corbulos an Vologaeses]

15,5,2–4

apud oppidum Nisibin [Boten Vologaeses an Corbulo, Nero und Monaeses]

15,6,1–3

(Rom) [Ankunft Caesennius Paetus’ in Armenien]

15,6,3 f.

(Syrien) [Rückkehr der von Vologaeses zu Nero geschickten Boten]

15,7,1–8,2

Armenien (iter ad Tigranocertam factum) [Erfolgsnachrichten an Nero]

15,9,1 f.

Syrien: ad ripam Euphratis [Abzug der parthischen Truppen nach Armenien]

15,10,1–4

Armenien: z. T. castellum Arsamosata [erstes Hilfegesuch an Corbulo]

15,10,5

(Syrien) [at]

15,11,1–3

Armenien: z. T. castellum Arsamosata [zweites Hilfegesuch an Corbulo]

15,12,1–4

ripa Euphratis relicta iter per regionem Commagenam, exim Cappadociam, inde Armeniam factum

15,13,1–14,3 castellum Arsamosata [reger Nachrichtenaustausch zwischen Paetus und Vologaeses] 15,15,1–16,3 castellum Arsamosata et ad flumen Arsania [fluchtartiger Abzug des Paetus] 15,16,4–17,3 ad ripam Euphratis [Nachrichtenaustausch zwischen Vologaeses und Corbulo; at] internae

15,18,1–19,1 Rom 15,19,2–22,1 Senat

63 n. Chr.

internae

15,22,2

Rom/Pompeji

15,23,1

Antium

15,23,2 f.

(Senat)

15,23,4

Antium [Ankunft der Boten Vologaeses’ in Rom]

15,24,1–25,4 (Rom/Kaiserhof) [Rücksendung der parthischen Gesandtschaft; Beauftragung Corbulos; at] externae 15,26,1–3

apud Melitenen

15,27,1–28,1 iter L. Lucullo quondam penetratum 15,28,2–31

locus Paetis cladis [Tiridates’ Abreise zu seinen Brüdern (apud Medos), Briefe an Nero]

Handlungsschauplätze und -überleitungen Jahr 64 n. Chr.

res

Textpassage

Handlungsort

internae

15,32

Alpes maritimae/(Rom)

internae

15,33,1 f.

(Rom) [Neros Schauspielreise nach Neapel]

527

15,33,3–34,1 Neapel [Absicht Neros, nach Griechenland aufzubrechen] 15,34,2–35,3 Beneventum [Neros Abbruch der Reise und Rückkehr nach Rom] 15,36,1–4

Rom: z. T. Capitolium, templum Vestae

15,37,1–4

stagnum Agrippae

15,38,1–44,5 Rom: u. a. Circus Maximus, tabernae, templa, itinera, uici; Palatium, campus Martius, monumenta Agrippae, horti; Esquiliae, praedia Tigillini Aemiliana; Serui Tulli ara Lunae, Arcadis Euandri fanum praesentis Herculis, Romuli aedes Iouis Statoris, Numae regia, delubrum cum populi Romani penatibus Vestae; domus aurea; Capitolium [Eintreibung von Geldern für den Wiederaufbau]

65 n. Chr.

internae

15,45,1

Rom, Italien, Provinzen [Entsendung des Acratus und Carrinas]

15,45,2

Asien, Achaia

15,45,3

cubiculum Senecae

15,46,1

apud oppidum Praeneste

15,46,2

Formiae, promunturium Miseni, litora Cumana

15,47,1

(Italien)

15,47,2

ager Placentinus [Deutung der Vorfälle durch haruspices]

15,48,1–51,1 (Rom) [Aufenthalt der Epicharis in Kampanien] 15,51,2 f.

Misenum [Anzeige des Proculus]

15,51,4

(Kaiserpalast)

15,52,1–53,4 (Rom: Zirkel der Verschwörer) 15,54,1–4

domus Scaeuini [Anzeige des Milichus]

15,55,1–56,4 horti Seruiliani 15,57,1 f.

(Kaiserliche Folterkammern)

15,58,1–4

horti (Seruiliani)

15,59,1–5

Rom: in publico/domus Pisonis

15,60,1

locus seruilibus poenis sepositus

15,60,2 f.

(horti Seruiliani) [Entsendung des Gavius Silvanus]

528 Jahr

Anhang res

Textpassage

Handlungsort

15,60,4–61,1 Senecae rus suburbanum apud quartum lapidem [Überbringung von Senecas Antwort an Nero] 15,61,2 f.

(Kaiserpalast/Palastwache) [Todesbefehl an Seneca mit Umweg über Faenius Rufus]

15,61,4–63,3 Senecae uilla in rure suburbano (cubiculum) [at] 15,64,1

(Kaiserpalast)

15,64,2

Senecae uilla: aliud cubiculum

15,64,3 f.

Senecae uilla: cubiculum/balneum

15,65

(Rom)

15,65,1–67,3 (Kaiserpalast, Verhörkammern) [Exekution des Subrius Flavus] 15,67,4

in proximo agro [Ausführungsmeldung an Nero]

15,68,1–69,1 (Kaiserpalast, Verhörkammern) [Entsendung eines Exekutionskommandos für Vestinus] 15,69,2 f.

domus Vestini

15,70,1

domus Lucani

15,70,2–71,5 Rom 15,72,1–74,3 (Prätorianerlager); Senat 16,1,1 f.

(Kaiserpalast); specus auri plenus

16,2,1–3,1

Rom [Expedition nach Karthago]

16,3,2

Karthago

16,4,1–5,3

Rom: theatrum

16,6,1–7,1

Rom: tumulus Iuliorum/forum [Übersendung von Anklagegesuchen an den Senat]

16,7,2–9,1

Senat [Verbannung des Cassius und Silanus und Entsendung eines Zenturios zur Exekution des Silanus]

16,9,2

Barium

16,10,1–3

Formiae [Bittgesuch der Pollitta an Nero]

16,10,4

Neapel [erfolglose Rückkehr]

16,11,1 f.

Formiae: cubiculum/balneum [posthume Anklagen]

16,11,3–12,2 Senat (ext.)

16,13,1 f.

Kampanien, Rom

16,13,3

Gallia Narbonensis, Afrika, Asien; Lugdunum

Handlungsschauplätze und -überleitungen

529

Jahr

res

Textpassage

Handlungsort

66 n. Chr.

internae

16,14,1 f.

Exilort Antistius’ (nicht exakt bestimmbar) [Antistius’ Anzeige und Vorladung bei Nero]

16,14,3

(Rom) [Entsendung eines Zenturios zur Exekution des Ostorius]

16,15,1 f.

Ostori uilla in longinquis agris apud finem Ligurum sita

16,16,1 f.

(Erzählraum)

16,17,1–18,3 (Rom) [Neros Aufenthalt in Kampanien] 16,19,1–3

Cumae [Petronius Schmähschriften an Nero]

16,20,1–24,2 Rom (Kaiserpalast) [Rechtfertigungsbriefe Thraseas und Einberufung des Senats] 16,25,1–26,5 domus Thraseae [at] 16,27,1–33,2 templum Veneris Genetricis/curia [Mitteilung des Todesbefehls an Thrasea durch einen Quästor] 16,34,1 f.

horti Thraseae [Ankunft des Quästors]

16,35,1 f.

porticus/cubiculum domus

Besonders detailliert geschilderte Handlungsorte werden durch Unterstreichung hervorgehoben, Angaben in recte für deutsche bzw. kursiv für lateinische Begriffe sind dem Text explizit zu entnehmen, wohingegen (…) auf anzunehmende Schauplätze verweist. Als Indizien für diese suggerierten Örtlichkeiten dienen, wie Dennerlein (2009), S. 98, S. 116, S. 171 bzw. S. 198, zu Recht anmerkt, „die Nennung von Figuren in ihrer Rollenidentität“, wie Nero oder Corbulo, „die Nennung von Ereignissen oder Handlungen, die typischerweise in, an oder bei bestimmten Objekten oder Räumen stattfinden“, wie Gerichtsprozesse oder militärische Konflikte, oder „metonymische Schlüsse auf räumliche Gegebenheiten“, wie der Speisetisch anlässlich von Britannicus’ Ermordung. Zwischen einzelnen Handlungsorten eingesetzte Übergänge und -leitungen werden in […] berücksichtigt. Die Stellenangaben richten sich nach der textkritischen Ausgabe von Wellesley (1986).

530

Anhang

Anhangstabelle 5: Redeberichte Stelle

Sprecher

Adressat

Umfang Konkrete Reaktion (in Zeilen)

13,1,1

C. Caesar

Iunius Silanus

0,5

13,3,1

Nero

Anonyme Gruppe

4,0

13,3,2

vulgus

Anonyme Gruppe

6,0

13,4,1

Nero

Senat

3,0

13,5,2

Auswärtige Gesandte Senat

0,5

13,7,1

Nero

externi reges

4,0

apud senatum omnia in maius celebrata

13,8,1

Senat

Anonyme Gruppe

2,5

praeter suetam adulationem laeti

13,9,1

Corbulo

Vologaeses

1,5

(Geiselstellung)

13,9,2

Corbulo

Arrius Varus

1,0

discordia inter duces

13,9,3

Ummidius Quadratus Corbulo

3,0

Neros Schiedsspruch

13,9,3

Nero

Ummidius Quadratus

1,0

13,10,1 Senat

Nero

5,0

13,11,1 Nero

Senat

2,0

13,13,1 Agrippina

Nero

2,5

13,14,1 Nero

Pallas

0,5

13,15,2 Nero

Britannicus

1,0

ille constanter exorsus est carmen

13,15,2 Britannicus

Nero

1,0

miseratio

13,15,5 Nero

Locusta

2,5

Giftherstellung

13,18,1 vulgus

nicht spezifiziert

4,0

13,19,2 Agrippina

Sextius Africanus

0,5

Rache der Silana

13,19,3 Iunia Silana

Iturius und Calvisius

4,5

Plautus’ Denunziation

13,20,1 Paris

Nero

0,5

(Burrus’ Entfernung)

13,21,1 Burrus

Agrippina

0,5

Agrippinas Antwort

13,21,6 Agrippina

Nero

2,0

Bestrafung der Ankläger

13,27,3 Nero

Senat

1,0

13,28,2 L. Piso

Senat

7,0

13,31,3 Nero

Senat

2,0

13,32,1 Senat

Anonyme Gruppe

2,0

13,36,2 Corbulo

Paccius Orfitus

2,5

13,38,3 Corbulo

Tiridates

0,5

13,39,2 Corbulo

Anonyme Gruppe

2,0

13,41,4 C. Cassius

Senat

6,0

pronis animis audita … nemo risui temperare nec defuit fides

exueret obsequium in matrem

Verbot von Spielen Niederlage des Orfitus

531

Redeberichte Stelle

Sprecher

Adressat

Umfang Konkrete Reaktion (in Zeilen)

13,43,1 Anonyme Gruppe

Nero

5,0

Anklage des Suillius

13,43,3 Suillius

Nero

2,0

Neros Antwort

13,43,3 Nero

Suillius

1,0

Suillius’ Verurteilung

13,43,4 Anonyme Gruppe

Nero

2,5

13,44,2 Octavius Sagitta

Pontia Postumia

2,0

13,44,4 Octavius Sagitta

nicht spezifiziert

0,5

13,46,1 Otho

Nero

2,0

Einladung Poppaeas

13,47,2 Graptus

Nero

0,5

Sullas Verbannung

Auswärtige Gesandte Senat

1,0

Cassius’ Entsendung

2,0

Romreise

13,54,3 Auswärtige Gesandte nicht spezifiziert

2,0

Gefällige Aufnahme

14,2,1

Acte

Nero

1,5

14,3,1

Nero

Anicetus

6,5

Anicetus’ Vorschlag

14,5,1

Acerronia

Agrippina

1,0

(Auflösung des Schiffes)

14,5,3

Acerronia

Anonyme Gruppe

0,5

(Ermordungsversuch an Agrippina)

14,10,3 Nero

Senat

12,5

Seneca aduerso rumore erat

14,13,1 Anonyme Gruppe

Nero

2,5

(Neros Aufbruch nach Rom)

14,14,1 Nero

nicht spezifiziert

4,0

14,18,3 Senat

Auswärtige Gesandte

2,0

14,22,1 vulgus

Nero

1,0

permotus his Nero

14,38,3 Iulius Classicianus

nicht spezifiziert

3,5

Suetonius’ Abberufung

14,41

nicht spezifiziert

1,5

14,45,1 Senat

Senat

1,0

14,47,1 Anonyme Gruppe

Nero

2,0

14,57,4 Nero

nicht spezifiziert

0,5

14,58,2 vulgus

nicht spezifiziert

3,0

14,59,1 vulgus

nicht spezifiziert

3,0

14,59,4 Nero

Senat

2,0

14,60,3 ancilla Octaviae

Tigillinus

0,5

14,63,1 Nero

Anonyme Gruppe

1,5

14,63,2 Anonyme Gruppe

nicht spezifiziert

7,0

14,64,1 Octavia

nicht spezifiziert

2,5

14,65,1 vulgus

nicht spezifiziert

2,0

15,1,1

nicht spezifiziert

5,0

13,48

13,54,2 Duvius Avitus

Senat

Vologaeses

Auswärtige Gesandte

(Gemeinsame Nacht)

(Beschluss von Dankfesten) (Octavias Verbannung)

532

Anhang

Stelle

Sprecher

Adressat

15,3,1

Corbulo

Nero

1,5

15,5,3

Vologaeses

Corbulo

8,0

15,6,4

Caesennius Paetus

Corbulo

2,0

15,8,1

Caesennius Paetus

nicht spezifiziert

1,0

15,8,2

Caesennius Paetus

Nero

0,5

15,10,3 Caesennius Paetus

Anonyme Gruppe

1,0

15,11,2 Caesennius Paetus

Anonyme Gruppe

1,0

metu, facili credulitate, pauebant

15,13,2 Caesennius Paetus

nicht spezifiziert

3,0

desperatione

15,14,2 Caesennius Paetus

nicht spezifiziert

5,5

15,17,3 Vologaeses

nicht spezifiziert

2,0

15,18,3 Nero

nicht spezifiziert

1,5

15,19,3 Senat

nicht spezifiziert

1,5

15,20,1 Claudius Timarchus

nicht spezifiziert

1,0

15,20,2 Thrasea Paetus

Senat

0,5

15,23,4 Nero

Thrasea Paetus

1,0

15,25,1 Anonyme Gruppe

Nero

1,0

15,26,3 Corbulo

Anonyme Gruppe

2,0

15,29,1 Tiridates

Corbulo

2,5

15,30,1 Corbulo

Tiridates

2,5

15,31

Corbulo

2,5

15,35,2 Anonyme Gruppe

Iunius Silanus Torquatus

2,5

15,35,3 Nero

nicht spezifiziert

1,5

15,36,1 Nero

nicht spezifiziert

1,0

15,39,3 vulgus

nicht spezifiziert

2,0

15,43,2 Nero

nicht spezifiziert

10,0

(Wiederaufbau Roms)

15,51,2 Volusius Proculus

Epicharis

4,0

(Epicharis’ Antwort)

15,51,3 Epicharis

Volusius Proculus

3,5

Volusius’ Verrat

15,52,3 vulgus

nicht spezifiziert

2,0

15,55,1 Milichus

Nero

0,5

Herbeiholung des Natalis

15,61,2 Nero

Gavius Silvanus

1,5

(Senecas Todesbefehl)

15,63,1 Seneca

Pompeia Paulina

2,0

15,63,3 Seneca

Anonyme Gruppe

1,0

15,64,2 vulgus

nicht spezifiziert

2,0

15,65

nicht spezifiziert

4,0

Vologaeses

vulgus

Umfang Konkrete Reaktion (in Zeilen) (Bitte um Verwalter Armeniens)

(Abzug in die Winterlager)

(Timarchus’ Anklage)

barbarorum inrisu

admiratione prisci moris

(Torquatus’ Suizid)

533

Redeberichte Stelle

Sprecher

Adressat

Umfang Konkrete Reaktion (in Zeilen)

15,65

Subrius Flavus

nicht spezifiziert

1,5

15,66,1 Flavius Scaevinus

Faenius Rufus

1,0

non uox, non silentium, uerba sua praepediens et pauoris manifestus

15,67,1 Subrius Flavus

Nero

1,0

confessio

15,67,4 Subrius Flavus

nicht spezifiziert

1,5

multum tremens

15,68,1 Nero

Sulpicius Asper

1,5

15,69,3 Nero

nicht spezifiziert

1,0

15,74,1 Senat

Nero

4,5

15,74,3 Anicius Cerialis

Nero

1,0

15,74,3 Nero

Senat

2,0

16,2,2

Anonyme Gruppe

Nero

2,0

securi de facilitate credentis

16,3,2

Caesellius Bassus

nicht spezifiziert

1,0

(Bassus’ Suizid)

16,4,3

vulgus

Nero

0,5

16,6,2

Nero

Anonyme Gruppe

1,0

16,8,1

Nero

L. Iunius Silanus

2,5

16,9,2

L. Iunius Silanus

Anonyme Gruppe

1,0

(Silanus’ Ermordung)

16,10,4 Antistia Pollitta

Nero

2,0

immobilem, inuidiae iuxta

16,11,1 Anonyme Gruppe

Antistius Vetus

2,0

(Entschluss zum Suizid)

16,11,1 Antistius Vetus

Anonyme Gruppe

2,0

16,12,2 Paccius Orfitus

Senat

1,5

16,17,6 Annaeus Mela

Tigillinus

1,5

16,24,1 Thrasea Paetus

Nero

1,0

properanter accepit, spe

16,26,4 Arulenus Rusticus

Thrasea Paetus

0,5

cohibuit

16,27,2 Nero

Senat

3,5

16,30,1 Ostorius Sabinus

Senat

4,0

16,34,2 Thrasea Paetus

Arria

1,0

(Neros Ablehnung)

Die Stellen- und Zeilenangaben richten sich nach der textkritischen Ausgabe von Wellesley (1986) und beschränken sich aus Gründen der Übersichtlichkeit auf die Nennung des Redeeinsatzpunktes, wohingegen deren Ende aus dem Umfang hervorgeht. Während Äußerungen von Vermittlern und Boten jeweils deren Auftraggeber zugeschrieben werden, umfasst die Kategorie vulgus alle Sprechakte des römischen Volkes wie auch Gerüchte. Unter der Bezeichnung ‚anonyme Gruppe‘ sind hingegen nicht näher identifizierbare Personengruppen wie Delatoren, Ankläger, Ratgeber, Trauernde, Freunde, Konspiranten etc. zusammengefasst und bei ‚nicht spezifiziert‘ ist kein Adressat bestimmbar.

534

Anhang

Anhangstabelle 6: Indirekte Reden Stelle

Sprecher

Adressat

Umfang Konkrete Reaktion (in Zeilen)

13,1,1

vulgus

nicht spezifiziert

2,5

mors Iunii Silani

13,4,2

Nero

Senat

7,0

nec defuit fides

13,6,1

vulgus

nicht spezifiziert

12,5

(Vorgehen gegen die Parther)

13,14,2 Agrippina

Nero

7,5

turbatus his Nero

13,16,3 Nero

Anonyme Gruppe

1,5

pauor, consternatio mentis

13,17,3 Nero

Anonyme Gruppe

4,0

13,20,3 Burrus

Nero

4,0

lenito principis metu

13,26,2 Senat

nicht spezifiziert

21,0

Beschlussfassung

13,37,4 Tiridates

Corbulo

4,5

Antwort Corbulos

13,37,5 Corbulo

Tiridates

2,0

(Nachrichtenaustausch)

13,38,1 Tiridates

Corbulo

2,5

(List des Tiridates)

13,42,2 Suillius

Seneca

11,0

Vorladung des Suillius

13,46,2 Poppaea

Nero

5,0

Entfernung Othos aus Rom

13,49,2 Senat

Thrasea Paetus

8,0

Gegenrede Thraseas

13,49,4 Thrasea Paetus

Anonyme Gruppe

3,0

13,50,2 Senat

Nero

7,0

Neros Edikt

13,51,1 Nero

Anonyme Gruppe

4,5

Steuererleichterung

13,55,1 Boiocalus

Duvius Avitus

10,5

et commotus his Auitus

13,56,1 Duvius Avitus

Boiocalus

2,5

zurückweisende Antwort Boiocalus’

14,1,1

Poppaea

Nero

7,0

nemo prohibebat

14,3,3

Anicetus

Nero

4,5

placuit sollertia

14,6,1

Agrippina

nicht spezifiziert

4,5

14,6,2

Agrippina

Nero

2,5

Entsendung des Agermus

14,7,2

Nero

nicht spezifiziert

3,5

(Herbeiholung Senecas und Burrus’)

14,7,3

Seneca

Burrus

0,5

Burrus’ Antwort

14,7,3

Burrus

Nero

2,0

qui nihil cunctatus

14,7,5

Nero

Anicetus

2,0

(Beauftragung Anicetus’)

14,8,3

Agrippina

nicht spezifiziert

2,0

14,8,4

Agrippina

Anicetus

2,0

(Tötung der Agrippina)

14,20,2 vulgus

nicht spezifiziert

17,5

Antwort der Befürworter der Spiele

14,21,1 vulgus

nicht spezifiziert

13,5

535

Indirekte Reden Stelle

Sprecher

Adressat

Umfang Konkrete Reaktion (in Zeilen) Plautus’ Abzug nach Asien

14,22,3 Nero

Rubellius Plautus

2,0

14,35,1 Boudicca

Anonyme Gruppe

10,0

14,36,1 Suetonius Paulinus

Anonyme Gruppe

6,0

is ardor uerba ducis sequebatur

14,48,3 Thrasea Paetus

Senat

6,0

libertas Thraseae seruitium aliorum rupit

14,49,2 Nero

Senat

4,5

offensione manifesta

14,52,2 Anonyme Gruppe

Nero

9,0

Senecas Rückzug ins Privatleben

14,57,1 Tigillinus

Nero

10,5

Ermordung von Sulla und Plautus

14,58,4 Antistius Vetus

Rubellius Plautus

6,0

Plautum ea non mouere

14,61,2 Poppaea

Nero

12,0

varius sermo et ad metum atque iram accommodatus terruit simul audientem et accendit.

14,62,3 Nero

Anicetus

4,0

Anicetus’ erzwungenes Geständnis

15,1,2

Auswärtige Gesandte Vologaeses

2,0

15,1,3

Monobazus

Vologaeses

2,0

15,1,4

Tiridates

Vologaeses

2,5

igitur commotus his Vologeses

15,5,1

Corbulo

Vologaeses

2,5

(Rückzug des Vologaeses)

15,6,1

vulgus

nicht spezifiziert

7,0

15,11,3 Caesennius Paetus

Corbulo

2,0

Aufbruch des Corbulo

15,12,2 Corbulo

Anonyme Gruppe

6,5

in commune alacres

15,13,3 Caesennius Paetus

Vologaeses

4,0

ad ea Vologeses nihil pro causa

15,14,1 Vologaeses

Caesennius Paetus

3,0

(Gesprächsbitte)

15,17,1 Corbulo

Caesennius Paetus

7,0

(Aufbruch in die Winterlager)

15,19,2 Senat

Senat

5,0

(Senatsbeschluss)

15,24,1 Vologaeses

Nero

7,0

Beunruhigte Nachfrage bei Zenturio

15,25,4 Nero

Caesennius Paetus

1,0

15,27,2 Corbulo

Vologaeses

7,0

15,36,3 Nero

Anonyme Gruppe

5,5

15,43,5 vulgus

nicht spezifiziert

3,5

plebi uolentia fuere

536 Stelle

Anhang Sprecher

Adressat

Umfang Konkrete Reaktion (in Zeilen)

15,45,3 vulgus

nicht spezifiziert

2,5

15,52,1 C. Piso

Anonyme Gruppe

6,0

15,53,2 Anonyme Gruppe

nicht spezifiziert

9,0

15,54,4 Milichus’ Gattin

Milichus

2,0

(Verrat des Milichus)

15,55,2 Flavius Scaevinus

Nero

8,0

ut labaret indicium

15,55,4 Milichus’ Gattin

Milichus

1,5

accitur Natalis

15,59,1 Anonyme Gruppe

C. Piso

12,0

immotus his

15,60,3 Antonius Natalis

Nero

4,0

Entsendung des Gavius Silvanus

15,61,1 Seneca

Gavius Silvanus

5,5

(Neros Antwort)

15,62,1 Seneca

Anonyme Gruppe

7,0

lacrimas eorum

16,1,1

Caesellius Bassus

Nero

7,0

Neros Schatzsuche

16,4,2

Nero

Senat

2,0

16,7,2

Nero

Senat

5,5

16,14,2 Antistius Sosianus

Nero

2,5

exim missae liburnicae aduehiturque propere Sosianus.

16,22,1 Cossutianus Capito

Nero

8,0

(Übergang in direkte Rede)

16,25,1 Anonyme Gruppe

Thrasea Paetus

6,0

Antwort gegen Thraseas Auftritt

16,26,1 Anonyme Gruppe

Thrasea Paetus

9,0

Übereifer des Arulenus Rusticus

16,26,5 Thrasea Paetus

Arulenus Rusticus

5,0

16,28,1 Epirus Marcellus

Senat

16,0

16,29,2 Senat

nicht spezifiziert

4,0

maestitia … nouus et altior pauor

16,31,1 Ostorius Sabinus

Servilia

1,5

primum strata humi longoque fletu et silentio, post altaria et aram complexa … inquit

16,32,1 Barea Soranus

Senat

3,0

simul in amplexus occurrentis filiae ruebat

Die Stellen- und Zeilenangaben richten sich nach der textkritischen Ausgabe von Wellesley (1986) und beschränken sich aus Gründen der Übersichtlichkeit auf die Nennung des Redeeinsatzpunktes, wohingegen deren Ende aus dem Umfang hervorgeht. Während Äußerungen von Vermittlern und Boten jeweils deren Auftraggeber zugeschrieben werden, umfasst die Kategorie vulgus alle Sprechakte des römischen Volkes wie auch Gerüchte. Unter der Bezeichnung ‚anonyme Gruppe‘ sind hingegen nicht näher identifizierbare Personengruppen wie Delatoren, Ankläger, Ratgeber, Trauernde, Freunde, Konspiranten etc. zusammengefasst und bei ‚nicht spezifiziert‘ ist kein Adressat bestimmbar.

537

Direkte Reden

Anhangstabelle 7: Direkte Reden Stelle

Sprecher

Adressat

Umfang Konkrete Reaktion (in Zeilen)

13,21,2 Agrippina

Burrus

15,0

commotis qui aderant ultroque spiritus eius mitigantibus/colloquium

13,56,1 Boiocalus

Duvius Avitus

1,0

ita infensis … animis discessum

14,8,4

Agrippina

Anonyme Gruppe

0,5

14,8,5

Agrippina

Obaritus

0,5

14,9,3

Agrippina

Anonyme Gruppe

0,5

14,43,1 C. Cassius

Senat

31,5

(Tötung) sententiae Cassii ut nemo unus contra ire ausus est, ita dissonae uoces respondebant … miserantium

14,51,1 Burrus

Nero

0,5

14,53,2 Seneca

Nero

28,5

Neros Gegenrede

14,55,1 Nero

Seneca

22,5

his adicit complexum et oscula

14,59,3 Nero

Rubellius Plautus

0,5

15,2,1

Tiridates

9,0

(Einmarsch in Armenien)

15,20,3 Thrasea Paetus

Senat

20,5

magno adsensu celebrata sententia

15,63,2 Seneca

Pompeia Paulina

2,5

(gemeinsamer Suizid)

15,67,2 Subrius Flavus

Nero

2,5

15,67,4 Subrius Flavus

Veianius Niger

1,0

et ille multum tremens

16,22,2 Cossutianus Capito

Nero

16,0

extollit ira promptum Cossutiani animum Nero

16,31,1 Servilia

Ostorius Sabinus

6,0

loquentis adhuc uerba excipit Soranus

16,35,1 Thrasea Paetus

Anonyme Gruppe

2,0

Vologaeses

Die Stellen- und Zeilenangaben richten sich nach der textkritischen Ausgabe von Wellesley (1986) und beschränken sich aus Gründen der Übersichtlichkeit auf die Nennung des Redeeinsatzpunktes, wohingegen deren Ende aus dem Umfang hervorgeht. Während Äußerungen von Vermittlern und Boten jeweils deren Auftraggeber zugeschrieben werden, sind unter der Bezeichnung ‚anonyme Gruppe‘ nicht näher identifizierbare Personengruppen wie Delatoren, Ankläger, Ratgeber, Trauernde, Freunde, Konspiranten etc. zusammengefasst.

hermes



einzelschriften

Herausgegeben von Hans Beck, Jan-Wilhelm Beck, Karl-Joachim Hölkeskamp und Martin Hose. Die Bände 1–8 sind in der Weidmannschen Verlagsbuchhandlung (Berlin) erschienen. Franz Steiner Verlag

ISSN 0341–0064

64. Antonios Rengakos Der Homertext und die hellenistischen Dichter 1993. 197 S., kt. ISBN 978-3-515-06341-8 65. Charles Lichtenthaeler † Neuer Kommentar der zweiund­ vierzig Krankengeschichten der Epidemienbücher III und I des Hippokrates 1994. 202 S., kt. ISBN 978-3-515-06361-6 66. Kai Trampedach Platon, die Akademie und die zeitgenössische Politik 1994. 300 S., kt. ISBN 978-3-515-06453-8 67. Ursula Gärtner Gehalt und Funktion der Gleichnisse bei Valerius Flaccus 1994. 360 S., kt. ISBN 978-3-515-06553-5 68. Hans-Christian Günther The Manuscripts and the Transmission of the Paleologan Scholia on the Euripidean Triad 1995. 331 S. und 8 Taf., kt. ISBN 978-3-515-06591-7 69. Uwe Neumann Gegenwart und mythische Vergangenheit bei Euripides 1995. 192 S., kt. ISBN 978-3-515-06601-3 70. Martin Biermann Die Leichenreden des Ambrosius von Mailand 1995. 232 S., kt. ISBN 978-3-515-06632-7 71. Helga Botermann Das Judenedikt des Kaisers Claudius Römischer Staat und Christiani im 1. Jahrhundert 1996. 200 S., kt. ISBN 978-3-515-06863-5

72. Dirk Schlinkert Ordo senatoris und nobilitas Die Konstitution des Senatsadels in der Spätantike 1996. XI, 311 S., kt. ISBN 978-3-515-06975-5 73. Thomas Baier Werk und Wirkung Varros im Spiegel seiner Zeitgenossen von Cicero bis Ovid 1997. 208 S., kt. ISBN 978-3-515-07022-5 74. Sabine Föllinger Differenz und Gleichheit Das Geschlechterverhältnis in der Sicht griechischer Philosophen des 4. bis 1. Jahrhunderts v. Chr. 1996. 341 S., kt. ISBN 978-3-515-07011-9 75. Markus Asper Onomata allotria Zur Genese, Struktur und Funktion poetologischer Metaphern bei Kallimachos 1997. 291 S., kt. ISBN 978-3-515-07023-2 76. Marianne Wifstrand Schiebe Vergil und die Tradition von den römischen Urkönigen 1997. 194 S., kt. ISBN 978-3-515-07019-5 77. David Jones Emjoinder and Argument in Ovid’s Remedia Amoris 1997. 119 S., kt. ISBN 978-3-515-07078-2 78. Johannes Engels Funerum sepulcrorumque magnificentia Begräbnis- und Grabluxusgesetze in der griechisch-römischen Welt mit einigen Ausblicken auf Einschränkungen des funeralen und sepulkralen Luxus im Mittelalter und in der Neuzeit 1998. 272 S., kt. ISBN 978-3-515-07236-6

79. Vivienne J. Gray The Framing of Socrates The Literary Interpretation of Xenophon’s Memorabilia 1998. VI, 202 S., kt. ISBN 978-3-515-07313-4 80. Christian Pietsch Die Argonautika des Apollonios von Rhodos Untersuchungen zum Problem der einheitlichen Konzeption des Inhalts 1999. 307 S., kt. ISBN 978-3-515-07464-3 81. Ilja Leonard Pfeijffer First Person Futures in Pindar 1999. 105 S., kt. ISBN 978-3-515-07564-0 82. Odysseus Tsagarakis Studies in Odyssey 11 2000. 144 S., kt. ISBN 978-3-515-07463-6 83. Oliver Hellmann Die Schlachtszenen der Ilias Das Bild des Dichters vom Kampf in der Heroenzeit 2000. 218 S., kt. ISBN 978-3-515-07774-3 84. Peter Kruschwitz Carmina Saturnia Epigraphica Einleitung, Text und Kommentar zu den saturnischen Versinschriften 2002. 246 S. mit 23 Abb., kt. ISBN 978-3-515-07924-2 85. Markus Altmeyer Unzeitgemäßes Denken bei Sophokles 2001. 330 S., kt. ISBN 978-3-515-07963-1 86. Klaus Lange Euripides und Homer Untersuchungen zur Homernachwirkung in Elektra, Iphigenie im Taurerland, Helena, Orestes und Kyklops 2002. 302 S., kt. ISBN 978-3-515-07977-8 87. Douglas E. Gerber A commentary on Pindar Olympian 9 2002. 94 S., kt. ISBN 978-3-515-08092-7 88. Cornelius Motschmann Die Religionspolitik Marc Aurels 2002. 296 S., kt. ISBN 978-3-515-08166-5

89. Marie-Odile Goulet-Cazé Les Kynika du stoïcisme 2003. 198 S., kt. ISBN 978-3-515-08256-3 90. Florian Hurka Textkritische Studien zu Valerius Flaccus 2003. 147 S. und 2 Farbtaf., kt. ISBN 978-3-515-08384-3 91. Gunnar Seelentag Taten und Tugenden Traians Herrschaftsdarstellung im Principat 2004. 556 S., kt. ISBN 978-3-515-08539-7 92. Oliver Overwien Die Sprüche des Kynikers Diogenes in der griechischen und arabischen Überlieferung 2005. 500 S., kt. ISBN 978-3-515-08655-4 93. Doris Meyer Inszeniertes Lesevergnügen Das inschriftliche Epigramm und seine Rezeption bei Kallimachos 2005. XI, 335 S., kt. ISBN 978-3-515-08660-8 94. Elena Pallantza Der Troische Krieg in der nachhomerischen Literatur bis zum 5. Jahrhundert v. Chr. 2005. 349 S., kt. ISBN 978-3-515-08679-0 95. Marilena Amerise Il battesimo di Costantino il Grande Storia di una scomoda eredità 2005. 177 S., kt. ISBN 978-3-515-08721-6 96. Frank Bücher Verargumentierte Geschichte Exempla Romana im politischen Diskurs der späten römischen Republik 2006. 363 S., kt. ISBN 978-3-515-08870-1 97. Massimiliano Vitiello Il principe, il filosofo, il guerriero Lineamenti di pensiero politico nell’Italia ostrogota 2006. 284 S., kt. ISBN 978-3-515-08875-6 98. Angela Kühr Als Kadmos nach Boiotien kam polis und ethnos im Spiegel thebanischer Gründungsmythen 2006. 377 S., kt. ISBN 978-3-515-08984-5

99. Karin Haß Lucilius und der Beginn der Persönlichkeitsdichtung in Rom 2007. 260 S., kt. ISBN 978-3-515-09021-6 100. Rainer Friedrich Formular Economy in Homer The Poetics of the Breaches 2007. 159 S., kt. ISBN 978-3-515-09065-0 101. Altay Coşkun Bürgerrechtsentzug oder Fremdenausweisung? Studien zu den Rechten von Latinern und weiteren Fremden sowie zum Bürgerrechtswechsel in der Römischen Republik (5. bis frühes 1. Jahrhundert v. Chr.) 2009. 236 S., kt. ISBN 978-3-515-09303-3 102. Nina Otto Enargeia Untersuchung zur Charakteristik alexandrinischer Dichtung 2009. 254 S. mit 2 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09335-4 103. Ferdinand Stürner Monologe bei Plautus Ein Beitrag zur Dramaturgie der hellenistisch-römischen Komödie 2011. 273 S., kt. ISBN 978-3-515-09850-2 104. Jochen Schultheiß Generationenbeziehungen in den Confessiones des Augustinus Theologie und literarische Form in der Spätantike 2011. 317 S., kt. ISBN 978-3-515-09721-5 105. Sabine Seelentag Der pseudovergilische Culex Text – Übersetzung – Kommentar 2012. 260 S., kt. ISBN 978-3-515-09895-3 106. Pierluigi Leone Gatti Ovid in Antike und Mittelalter Geschichte der philologischen Rezeption 2014. 276 S. mit 9 Abb. und 15 Tafeln, kt. ISBN 978-3-515-10375-6 107. Raphael Schwitter Umbrosa lux Obscuritas in der lateinischen Epistolographie der Spätantike 2015. 350 S., kt. ISBN 978-3-515-10989-5 108. Karsten C. Ronnenberg Mythos bei Hieronymus

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Zur christlichen Transformation paganer Erzählungen in der Spätantike 2015. 386 S., kt. ISBN 978-3-515-11146-1 Katarina Nebelin Philosophie und Aristokratie Die Autonomisierung der Philosophie von den Vorsokratikern bis Platon 2016. 424 S., kt. ISBN 978-3-515-11581-0 Markus Hafner Lukians Schrift „Das traurige Los der Gelehrten“ Einführung und Kommentar zu De Mercede Conductis Potentium Familiaribus, lib. 36 2017. 411 S., kt. ISBN 978-3-515-11802-6 Myrthe L. Bartels Plato’s Pragmatic Project A Reading of Plato’s Laws 2017. 251 S., kt. ISBN 978-3-515-11800-2 Rainer Friedrich Postoral Homer Orality and Literacy in the Homeric Epic 2019. 276 S., kt. ISBN 978-3-515-12048-7 Philip Theodore Stevens / Christopher Collard (Hg.) Colloquial Expressions in Greek Tragedy Revised and enlarged edition of P. T. Stevens’s Colloquial Expressions in Euripides 2018. 255 S., kt. ISBN 978-3-515-12055-5 Dagmar Hofmann Griechische Weltgeschichte auf Latein Iustins „Epitoma historiarum Pompei Trogi“ und die Geschichtskonzeption des Pompeius Trogus 2018. 455 S. mit 2 Abb. und 8 Ktn., kt. ISBN 978-3-515-12143-9 Sema Karataş Zwischen Bitten und Bestechen Ambitus in der politischen Kultur der römischen Republik – Der Fall des Cn. Plancius 2019. 328 S., kt. ISBN 978-3-515-12394-5 Katharina Kostopoulos Die Vergangenheit vor Augen Erinnerungsräume bei den attischen Rednern 2019. 415 S. mit 11 Abb., kt. ISBN 978-3-515-12501-7

Bis heute wird unser Bild des römi­ schen Kaisers Nero und unsere Vor­ stellung von seiner Herrschaftszeit wesentlich von Tacitus geprägt. Be­ sondere Faszination und Nachwirkung entfalten dabei Szenen wie die Ermor­ dung der Kaisermutter Agrippina, der Brand Roms mit der anschließenden Christenverfolgung, die Pisonische Verschwörung oder der erzwungene Suizid des Stoikers Seneca, um nur die eindrucksvollsten anzuführen. Welche erzählerischen Mittel und Techni­ ken Tacitus in seinen Nerobüchern (ann. XIII–XVI) einsetzt, war bislang jedoch weitestgehend unklar und

ISBN 978-3-515-12632-8

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wird nun erstmals unter reflektiertem Einbezug gegenwärtiger diskursanaly­ tischer Theorien aus Narratologie und Spannungsforschung untersucht. Drei thematisch gegliederte Kapitel stellen die komplexe Erzählordnung, die ab­ wechslungsreichen Perspektivenstruk­ turen und subtilen Abstufungen der narrativen Distanz sowie die verschie­ denartigen Strategien der Leserakti­ vierung vor. Im Vordergrund stehen hierbei jeweils eine sorgfältige Identi­ fikation und differenzierte Analyse der Phänomene, ihrer Funktionsfacetten und ihres Wirkungspotenzials.

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