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German Pages [391] Year 2019
Matthias Adrian
Mutuum date nihil desperantes (Lk 6,35) Reziprozität bei Lukas
Novum Testamentum et Orbis Antiquus / Studien zur Umwelt des Neuen Testaments
In Verbindung mit der Stiftung „Bibel und Orient“ der Universität Fribourg/Schweiz herausgegeben von Martin Ebner (Bonn), Peter Lampe (Heidelberg), Stefan Schreiber (Augsburg) und Jürgen Zangenberg (Leiden) Advisory Board Helen K. Bond (Edinburgh), Raimo Hakola (Helsinki), Thomas Schumacher (Fribourg), John Barclay (Durham), Armand Puig i T rrech (Barcelona), Ronny Reich (Haifa), Edmondo F. Lupieri (Chicago), Stefan Münger (Bern) Band 119
Matthias Adrian
Mutuum date nihil desperantes (Lk 6,35) Reziprozität bei Lukas
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.de abrufbar. 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Gçttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschþtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: 3w+p, Rimpar
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage j www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com
ISSN 2197-5124 ISBN 978-3-666-57066-7
Meinen Eltern, Doris und Theo Adrian
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1.
Reziprozität im griechisch-römischen Kulturraum . . . . . 1.1 Ein sozialer Austausch- und Integrationsmechanismus 1.2 Reziprozitätsformen in einer Schamkultur . . . . . . . 1.3 Patronage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Euergetismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Die Atmosphäre des Austausches . . . . . . . . . . . . 1.6 Jüdische Stimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7 Reziprozität im Neuen Testament . . . . . . . . . . . . 1.7.1 Forschungsstand und -desiderat . . . . . . . . . 1.7.2 Methodisches Vorgehen und Auswahl der Texte
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17 17 20 26 32 36 38 45 45 49
2.
Reziprozität in Senecas De Beneficiis . . . . . . . . . . 2.1 Komposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Semantik und Ablauf des Wohltatenaustausches 2.3 Wohltat als per se expetenda res und imitatio dei 2.4 Beneficium und creditum . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Dank und Schuld . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Überblendungen und Grauzonen . . . . . 2.5 Ideal und Wirklichkeit des sozialen Austausches
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55 56 60 65 69 70 73 76
3.
Reziprozität in Ciceros De Officiis . . . . . . . . . . . . 3.1 Relevante Kompositionsteile . . . . . . . . . . . . 3.2 Liberalitas und largitio . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Wohltätigkeit zwischen honestum und utile . . . . 3.4 Soziale Ausrichtung der Wohltätigkeit nach Cicero 3.5 Zeitgeschichtliche Einordnung . . . . . . . . . . .
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83 83 85 88 91 93
4.
Von De Officiis zu De Beneficiis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Semantiken der Wohltätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Sozialer Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Veränderte Ordnung – veränderter Austausch . . . . . . . . 4.3.1 Horizontale Verwerfungen: Umgang innerhalb der Oberschicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Vertikale Verwerfungen: Umgang mit Statusniederen
. 97 . 97 . 100 . 102 . 105 . 106
8 5.
6.
7.
Inhalt
Reziprozität und Marktwirtschaft in Koexistenz und Konflikt . 5.1 Zwei Formen sozialen Austausches . . . . . . . . . . . . . 5.2 Wirtschaftlicher Aufschwung und Marktmentalität . . . . 5.3 Avaritia und ambitio oder: Reichtum als per se expetenda res? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . 111 . . 111 . . 116 . . 119
Das Grundprogramm lukanischer Reziprozität: w\qir und lish|r in der Feldrede (Lk 6,20–49) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Kontext, Gliederung und Komposition . . . . . . . . . . . . 6.2 Makarismen und Weherufe (Lk 6,20–26) . . . . . . . . . . . 6.2.1 Textanalytische Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Armut und Reziprozität . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Verteilungen von Nahrungsmitteln bei öffentlichen Festen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.4 Wozu die Reichen aufgefordert sind . . . . . . . . . . 6.2.5 Seligpreisungen und Weherufe im zeitgenössischen Wohltätigkeitsdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Feindesliebe, Goldene Regel und Konkretisierungen (Lk 6,27–38) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Textanalytische Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Die soziale Feindschaft zwischen Gläubiger und Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3 Wohltätigkeit und Geldverleih . . . . . . . . . . . . . 6.3.4 Die Opfer- oder Empfängergruppe (V. 27b–30) . . . . 6.3.5 Wie man sich w\qir erwirbt – Zwischenreflexion . . . 6.3.6 Durch Feindesliebe geht nichts verloren (V. 32–35d) . 6.3.7 Lohn und Ehre als Vergeltungsperspektive der Vermögenden (V. 35e–g) . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.8 Geber und Empfänger oder Täter und Opfer (V. 36–38)? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Adressierte der Feldrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Reziprozitätsbezüge in der Feldrede – Fazit . . . . . . . . . Die Lobpreisungen Marias und Zacharias’ (Lk 1,46–55.68–79) . . 7.1 Lobpreis Marias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Textanalytische Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . 7.1.2 Hymnos oder Enkomion? . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.3 Öffentliche Lebensmitteilverteilung = Essen für alle? Integration mit Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.4 Die Verteilung von Wohltaten im Magnificat . . . . . 7.2 Lobpreis des Zacharias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Textanalytische Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Paganes Amtsprophetentum . . . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Der Prophet als Kultbeamter . . . . . . . . . . . . . .
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125 126 127 127 131
. 134 . 138 . 142 . 145 . 145 . . . . .
148 150 154 158 162
. 164 . 168 . 170 . 174 . . . .
177 178 178 181
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186 191 194 194 198 199
9
Inhalt
7.2.4 Die Funktion der Hymnen am Beispiel der Mantik . . . 7.2.5 Prophetische Gestalten in Lk 1–2 . . . . . . . . . . . . 7.2.5.1 Elisabeth und der pneumatisch begabte Seher Zacharias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.5.2 Die städtischen Prophetengestalten Simeon und Hanna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.6 Das Benedictus als prophetischer Hymnos . . . . . . . 7.2.7 Exkurs: Der höchste Gott und sein Personal – Versuch einer Milieubeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . Prophezeite Rettung als Gabe von Gerechtigkeit und Frieden .
201 204
Die Habgier des Kornbauern und lukanische Alternativen (Lk 12) . 8.1 Kontext, Gliederung und Komposition . . . . . . . . . . . . . 8.2 Überfluss aus eigenen Besitztümern . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Agath als Wohltaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.1 Vokabular des Austausches von Agath . . . . . . . . . 8.3.2 Flavius Josephus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.2.1 Gott als Spender von Wohltaten . . . . . . . . . 8.3.2.2 Agath als abgabepflichtige Überschüsse bei Josephus und Philo . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.2.3 Joseph als dot^q und syt^q . . . . . . . . . . . 8.3.3 Dion von Prusa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.4 Epigraphische Zeugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Die Agath des Kornbauern und die Regeln des Euergetismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Besitztümer zwischen Reziprozitätserwartungen und Marktmentalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5.1 Konflikte mit unwilligen Wohltätern . . . . . . . . . . . 8.5.2 Die Mentalität des individuellen Aufspeicherns . . . . . 8.5.3 Die lukanische Alternative . . . . . . . . . . . . . . . . 8.6 Der richtige Umgang mit Besitz in Lk 12 . . . . . . . . . . . .
225 226 229 233 235 235 237
7.3 8.
9.
Enge Tür oder großer Schlund: was trennt Arm und Reich (Lk 13,22–30; 16,19–31)? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Gelenkte Blicke durch enge Türen: Lk 13,22–30 im architektonischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.1 Textanalytische Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . 9.1.2 Architekturgeschichtliche Voraussetzungen . . . . . . 9.1.3 Typische Formen sozialen Austausches in der domus 9.1.4 Deutung der Perikope vor ihrem architekturgeschichtlichen Hintergrund . . . . . . . . 9.1.5 Der Umgang mit wandernden, lehrenden Propheten auf der Straße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
204 206 209 214 220
239 242 245 249 251 255 255 259 262 267
. 271 . . . .
271 271 275 280
. 284 . 288
10
Inhalt
9.2
Für wen die Tür zum Schlund wird: Lazarus und der Reiche (Lk 16,19–31) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.1 Von Türen und Kluften . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.2 Das Verhältnis von Reich und Arm im Gleichnis . . . . 9.2.3 Architektur- und sozialgeschichtliche Verortung der Gastmahlsmotivik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.4 Der Gebrauch der Agath als Grund für das Schicksal des Reichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.5 Adressierte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10. Sanktionsmacht im lukanischen Austauschsystem: Scham und Gericht auf engstem Sozialraum (Apg 5,1–12) . . . . . . . . . . 10.1 Sanktionierung echter Wohltätigkeit . . . . . . . . . . . . 10.2 Gefährdete Gütergemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Bestattungsaufgaben junger Männer in der Polis . . . . . 10.4 Wohltätigkeitsrituale und Sanktionsmechanismen in der neuen Ekklesia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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292 292 294 299 304 307 311 311 313 316
. . 319
11. Römische Provinzjustiz als Austausch von Gefälligkeiten (Apg 24–26) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 11.1 Absichten und Vorgehen der am Prozess beteiligten Gruppen 324 11.2 Provinziale Gunst als Karrierefaktor für römische Beamte und der Fall Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 Literatur 1. 2. 3.
4. 5.
. . . . . . . . . . . . . . . . Verwendete Bibelausgaben Hilfsmittel . . . . . . . . . Quellen . . . . . . . . . . . 3.1 Literarische Quellen . 3.2 Inschriften . . . . . . 3.3 Digitale Ressourcen . Kommentare . . . . . . . . Weitere Literatur . . . . . .
Register . . . . . . . Sachregister . . Stellenregister . Personenregister
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359 359 365 387
Vorwort Vorliegende Arbeit ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Sommersemester 2017 von der Katholisch-theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn angenommen wurde. Nach dem Jahr 2016 erschienene Literatur konnte nur noch sporadisch berücksichtigt werden. Dank schulde ich zuvorderst Prof. Dr. Martin Ebner für dessen ausdauernde und stets inspirierende Betreuung des Projekts. Dank seiner habe ich die Begeisterung für die Sache nie wirklich verloren. Ihm und den Mitherausgebern von Novum Testamentum et Orbis Antiquus danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe. Prof. Dr. Michael Reichardt danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Die Förderung durch das Cusanuswerk hat mir finanzielle Freiräume geschaffen, darüber hinaus Begegnungsräume mit anregenden Menschen – für beides bin ich dankbar. Für namhafte Druckkostenzuschüsse danke ich dem Bonner Neutestamentlichen Seminar, dem Erzbistum Berlin und dem Erzbistum Köln. Auch dem Bonner Oberseminar sei Dank gesagt für das gemeinsame Arbeiten in stets wohlwollender und bedachtsamer Atmosphäre. Dankbar bin ich zudem Iris Beuse für klärende Gespräche im Anfangsstadium der Arbeit, Joachim Fischer und Pater Gottfried Meyer OSB, dem Seminar für Katholische Theologie der FU Berlin, namentlich Prof. Dr. Rainer Kampling und Sara Han, für Lektorendienste Johannes Schneider, Natalia Kowalski und Dennis Israel, besonders aber Dr. Daniel Lanzinger für kritische Durchsicht und viele hilfreiche Rückmeldungen. Christoph Spill, Renate Rehkopf und Miriam Espenhain vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht danke ich für die geduldige Zusammenarbeit bei der Drucklegung. Ohne Familie geht es nicht, daher danke ich nicht zuletzt meinem Bruder Dominik und seiner Familie, meiner Frau Jonna, die mich ermunterte, in die Gänge zu kommen und schließlich denen, die mir „von Mutterleib und Kindesbeinen an unzählig viel zu gut“ getan haben, und denen dieses Buch gewidmet ist. Berlin, im August 2018
Matthias Adrian
Einleitung Mutuum date nihil desperantes – der Titel der Arbeit ist einer frühen lateinischen Bibelfassung aus dem zweiten Jahrhundert entnommen. In der sog. Itala oder Vetus Latina wird so der Teilvers dam_fete lgd³m !pekp_fomter (Lk 6,35c–d) übersetzt. In der späteren Vulgata heißt es dagegen mutuum date nihil inde sperantes, was für die weiteren Übersetzungen bis heute prägend geworden ist: „leiht, wo ihr nichts zurückerhofft“ (Zürcher Bibel). Ein Verständnis als zurückerhoffen ist für !pekp_fy allerdings erst ab der Zeit des Johannes Chrysostomos (4. Jh.) bezeugt, weshalb despero hier im Sinne eines Verlorengebens oder Aufgebens m. E. besser wiedergibt, was an dieser Stelle der Feldrede ausgesagt werden soll: Diejenigen, die in der Position sind, anderen etwas zu leihen, sollen es in der Hoffnung tun, dass ihnen das Weggegebene dadurch nicht verloren geht. Zu übersetzen wäre demnach „leiht, wodurch ihr nichts verlorengebt“, oder: „leiht, und ihr werdet dadurch nichts verlieren“. Vom Verlorengeben eigener Leistungen spricht auch Seneca am Ende seines Traktats „Über die Wohltaten“ (De Beneficiis), wo gleichsam als Schlussakkord die höchste Form menschlicher Wohltätigkeit anklingt: non est magni animi beneficium dare et perdere; hoc est magni animi perdere et dare. Nicht ist es ein Zeichen von Großmut, eine Wohltat zu erweisen und zu verlieren; das ist ein Zeichen von Großmut, sie zu verlieren und zu erweisen (VII 32).
Grundlage dieser Aufforderung, auch angesichts von Undank nicht damit aufzuhören beneficia zu gewähren, ist die Auffassung der Wohltat als einer per se expetenda res, also einer um ihrer selbst willen anzustrebenden Sache.1 Demnach soll die Motivation, anderen Gutes zu tun einzig daraus geschöpft werden: dass dem anderen Gutes getan wird. Den Nutzen nur beim Gegenüber zu suchen, macht eine ehrenhafte Haltung beim Erweisen von Wohltaten aus. Eine Person daran zu erinnern, dass sie einem noch etwas schuldig sei, wird nach dieser Konzeption mit „schmutzigstem Geldverleih“ (turpissima feneratio; Ben I 2,3) identifiziert. Sind sich Lukas und Seneca also einig? Ein entscheidender Unterschied liegt im Gegenstand, über den gesprochen wird, denn die Feldrede thematisiert den Gewinn beim Geldverleih, Seneca aber spricht von Wohltaten. Beides muss keineswegs im Gegensatz zueinander stehen. So gehörte es lange Zeit zum Standesethos republikanischer Senatoren, einander auch mit Geld auszuhelfen. Dabei blieb nicht selten im Ungefähren, ob es sich um ein Darlehen oder ein Geschenk handelte. Zu Senecas 1 Dargelegt in Buch IV von De Beneficiis.
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Einleitung
Zeiten jedoch professionalisierte sich das Gewerbe des Geldverleihs und löste sich von einer ins Private verlagerten Wohltätigkeit ab. Wirtschaftliches Handeln trat aus der Einbettung in traditionelle Austauschformen, sozioökonomisch als Reziprozität bezeichnet, teilweise heraus. Gesellschaftliche Ausformungen dieses „Prinzips der Gegenseitigkeit“2 wie Patron-Klienten-Verhältnisse oder der städtische Euergetismus wandelten sich in ihrer Bedeutung, die dabei eher noch zu- als abnahm. Zugleich waren Äußerungen des Überdrusses aufseiten von Gunstempfängern wie -gebern an den als hohl bzw. fruchtlos angesehenen Gegenseitigkeitsritualen deutlich vernehmbar.3 So versuchten Wohlhabende nicht selten, von der Rolle des Wohltäters in die des Händlers zu wechseln: Ihre Güter wollten sie profitorientiert anlegen, statt sie für ihre Mitmenschen in Form von Kornabgaben, Festen und Baufinanzierungen zu verausgaben. Die traditionelle Gegenleistung, die in standardisierten und teils inflationären Ehrungen durch die Stadt bestand, scheint für diese Wohlhabenden offenbar nicht (mehr) attraktiv gewesen zu sein. Dem Rückzug in die Privatwirtschaft standen jedoch die Versorgungserwartungen der Empfängergruppen entgegen, wodurch es zu spannungsgeladenen Auseinandersetzungen kommen konnte. In diesem Aufeinanderprallen von Marktmentalität und traditionellen Reziprozitätserwartungen offenbart sich der tiefe Widerspruch zwischen den Austauschformen im Umfeld der Lukastexte. Es scheint, dass die Grundmaxime des Prinzips der Gegenseitigkeit „Erwidere eine Gefälligkeit“ (w\qim %podor) herausgefordert wurde durch die Forderung „leg Rechenschaft über deine Verwaltung ab“ (!pºdor t¹m kºcom t/r oQjomol¸ar sou; Lk 16,2)! So stellt sich vorliegende Arbeit die Aufgabe, die Position oder Positionierungen der lukanischen Texte innerhalb dieser hybriden Gemengelage zu bestimmen. Dazu soll zunächst ein kulturanthropologischer Begriff von Reziprozität in seinen antiken Ausdrucksformen und Diskursen dargestellt werden (Kap. 1.1–6). Das zugrundeliegende Ethos hat Spuren in den Texten des Neuen Testaments hinterlassen, denen die Forschung v. a. zu Paulus und auch bereits zu Lukas gefolgt ist. Diese Spuren sollen an ausgewählten LkTexten weiterverfolgt werden (1.7). Es schließt sich die Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Wohltätigkeitskonzeption par excellence, Senecas De Beneficiis an (Kap. 2). Dabei werden die semantischen Nahtstellen zwischen beneficium und creditum sowie honestum und utile zunächst mittels eines Close Reading aufgeschnürt, um die darunter liegenden Konflikte in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung zum Vorschein zu bringen.4 Die hinsichtlich des sozialen Austausches veränderte Situation wird deutlich, wenn man den kai2 H. Bolkestein, Wohltätigkeit 158. 3 Der Verfasser ist um geschlechtergerechte Sprache wie um gute Lesbarkeit bemüht. 4 „Close reading is an approach to texts that pays particular attention to their semantic and formal features and often finds in those features a complex coherence and purpose“ (T. Gardner, Close Reading, in: R. Greene u. a. (Hg.), The Princeton Encyclopedia of Poetry and Poetics, Princeton (NJ) 42012, 268).
Einleitung
15
serzeitlichen mit dem spätrepublikanischen Traktat De Officiis von Cicero in Beziehung setzt (Kap. 3). In der zwischenzeitlich etablierten neuen Gesellschaftsordnung wandelten sich Vorstellungen und Ausdrucksformen des Reziprozitätsethos (Kap. 4). Es zeigt sich, dass sich neben dem Prinzip der Gegenseitigkeit sozusagen das Prinzip der Profitakkumulation verbreitete (Kap. 5). Die Ausgangsthese für die Untersuchung der Lukastexte (Kap. 6–11) ist also, dass diese in einem gesellschaftlichen Umfeld entstehen, das von zwei koexistierenden und konfligierenden Austauschprinzipien geprägt ist, wobei eine Marktmentalität gegenüber dem Prinzip der Gegenseitigkeit auf dem Vormarsch ist. Lk setzt oftmals dort an, wo Marktwirtschaft in Reziprozitätskreisläufe eindringt und diese durcheinanderbringt. Anders als bei einigen zeitgenössischen Literaten, die eher auf der Geberseite zu verorten sind, werden die Verhältnisse nicht elitär verbrämt oder idealisiert. Die Szenarien sozialen Austausches werden vielmehr von ihren Auswirkungen auf die Empfänger und Bittsteller her entworfen und beurteilt. Aus dieser Perspektive werden nüchterne Bestandsaufnahmen und radikale Optionen entwickelt.
1. Reziprozität im griechisch-römischen Kulturraum 1.1 Ein sozialer Austausch- und Integrationsmechanismus Reziprozität wird in vorliegender Arbeit im soziologischen Sinne verstanden als ein „Austausch- und sozialer Integrationsmechanismus“1, der nicht nur, aber besonders auf vormoderne bzw. vormarktwirtschaftliche Gesellschaften in sozialer, politisch-moralischer und teilweise wirtschaftlicher Hinsicht prägenden Einfluss hatte. Dabei werden nach dem „Prinzip der Gegenseitigkeit“2 unterschiedlichste Interaktionen zwischen Menschen gleichen und unterschiedlichen Status sowie Menschen und Gottheiten reguliert. Leistung und Gegenleistung müssen dabei adäquat – nicht etwa gleichwertig – sein.3 Je nach Status bringen die Parteien Güter oder Dienstleistungen von unterschiedlichem Wert oder Rang in den Austausch ein.4 Dieser zielt darauf ab, Beziehungs- und Verpflichtungsverhältnisse von Dauer zu schaffen, wodurch sich reziprokale von marktwirtschaftlichen Transaktionen wesentlich unterscheiden. Darüber hinaus besteht ein gewisser Unterschied zwischen dem Begriff des Gabentausches, der in der Forschung oft, jedoch nicht immer, für die Interaktion unter Statusgleichen reserviert wird, und der umfassender zu verstehenden Reziprozität.5 Walter Burkert stellt hinsichtlich des reziproken Austauschs in vormarktwirtschaftlichen Gesellschaften „eine paradoxe Verbindung von Freiwilligkeit und Verpflichtung“6 fest, die sich aus der Weise ergibt, wie Reziprozität soziale Integration bewirkt: Ordnung wird anders als im modernen Staat nicht durch zentralisierte Gewalt hergestellt, sondern mittels Achtung und Ächtung des 1 S. von Reden, Art. Reziprozität, DNP 10, 2001, 939. 2 H. Bolkestein, Wohltätigkeit 158. Mit Blick auf den antiken Anwendungsbereich werden die Ausdrücke Reziprozität und Prinzip der Gegenseitigkeit im Folgenden synonym verwendet. 3 Vgl. S. von Reden, Art. Reziprozität, DNP 10, 2001, 939; Sen., Ben VI 5,2. 4 Zur Unterscheidung zwischen value und rank vgl. C.A. Gregory, Gifts 46–50. 5 Vgl. S. von Reden, Art. Reziprozität, DNP 10, 2001, 939. Michael Satlow geht zunächst von der modernen Auffassung aus, eine Gabe sei dadurch definiert, dass sie ohne Erwartung einer Gegenleistung erfolge. „By definition, gifts are thus set apart from commercial exchange. An item or service can be sold, bartered, or gifted; the terms denote distinct forms of transactions (if the gift can even be called that). You cannot pay me to give you a gift“ (ders., Introduction 1). Doch sind Gaben nicht durch ihre fehlende Rückerwartung von kommerziellem Austausch zu unterscheiden, sondern durch die jeweilige Art der Beziehung (siehe Kap. 5). Satlow problematisiert diese Definition in der Folge zurecht selbst. Nach Zeba Crook müssen asymmetrischer Austausch und Gabentausch voneinander unterschieden werden (vgl. ders., Giftship 66; 73), allerdings geht er von einem zu modern gefärbten Gabebegriff aus. 6 W. Burkert, Kulte 159.
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Reziprozität im griechisch-römischen Kulturraum
Handelnden durch seinen unmittelbaren Sozialverbund: Entspricht jemand nicht den internalisierten Normen, droht der Ausschluss aus den gemeinschaftlichen Netzwerken.7 Demnach werden die Beteiligten nicht per Gesetz zu einem bestimmten Verhalten gezwungen, sondern durch die Handlungserwartungen des direkten Umfeldes zum entsprechenden Tun veranlasst. Die Verwobenheit im Kollektiv steht hier gegenüber dem Individuum und dessen, im modernen Denken mehr oder weniger isoliert betrachteten Handeln im Vordergrund.8 Langlebige Traditionen und Gebräuche bestimmen die Austauschverhältnisse stärker als individuelle, situative Güterabwägungen.9 Sitta von Reden sieht diesbezüglich „eine häufig explizite Verknüpfung materieller, sozialer und polit[ischer] Bed[eutung], die im modernen Marktaustausch weitgehend nicht gegeben ist“10. So endet eine moderne, geldwertbasierte Handelsbeziehung im Grunde, sobald der Handel abgeschlossen ist. Für den Erwerb eines Handelsgutes besteht ein vereinbarter Kurs, der, ist er bezahlt, zunächst weder für Geber noch Empfänger weiter gehende Verpflichtungen nach sich zieht. Demgegenüber besteht die Adäquanz eines reziproken Austauschs grundsätzlich im Surplus des Vergoltenen gegenüber dem Gegebenen, das den Empfänger – und zwar ihn persönlich – verpflichtet und die Beziehung zwischen den Akteuren fortführt. Dabei fehlen oft klare Wechselkurse, was wiederum Auswirkungen auf die Dauerhaftigkeit der Beziehung hat: Mit Blick auf Patron-Klienten-Verhältnisse meint Richard Saller: „It was difficult for an exchange partner to opt out of a relationship on the grounds that his debts were paid up, when he could not be sure whether the repayment was commensurate with the initial favor.“11 Patronage-Verhältnisse, wie sie im römischen frühen Prinzipat den sozialen Austausch prägten, verlören Saller zufolge mit zunehmender Bürokratisierung einer Gesellschaft an Bedeutung, denn „as state administrations expand, providing protection and services to all citizens on the basis of universal, impersonal criteria, the clients’ need for patrons declines.“12 Auf der anderen Seite betont Hans van Wees, dass die generelle Dichotomie, sog. primitiven Gesellschaften Reziprozität, modernen aber Marktwirtschaft zuzuordnen, nicht aufgeht.13 Es bestehe ein Nebeneinander beider Austauschlogiken in der Vergangenheit und Gegenwart.14 Ein Beispiel: Dass der Patron des frühen Prinzipats seinem Schützling das Handgeld in bar auszahlt, macht das Verhältnis der beiden nicht zu einer 7 8 9 10 11 12 13 14
Vgl. H. van Wees, Law 29. Vgl. M. Mauss, Gabe 21. Vgl. P. Temin, Contribution 46. S. von Reden, Art. Reziprozität, DNP 10, 2001, 939. Vgl. R.P. Saller, Patronage 17. Vgl. auch H. van Wees, Law 41. R.P. Saller, Patronage 3. Vgl. H. van Wees, Law 34. So bezeichnet Iris D rmann im Sinne Mauss’ Feste wie Weihnachten, Nikolaus, Halloween, sowie Geburtstage, überhaupt „alle Feste familiären und öffentlichen Charakters“ als „die westlichen Potlatchfeste [sic]“ (dies., Theorien 15).
Ein sozialer Austausch- und Integrationsmechanismus
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Handelsbeziehung. Geld kann in Reziprozitätskreisläufen ebenso wie in marktwirtschaftlichen als Schmiermittel fungieren, rationale und damit zu einem gewissen Grad entpersonalisierte Bürokratie hingegen scheint sich schlecht mit einer auf Personalität beruhenden Austauschmentalität vereinbaren zu lassen. Kurz: Der Feind der Reziprozität ist nicht das Geld an sich, sondern der kommerziell geprägte Austausch und die Bürokratisierung.15 Die Dynamiken reziproken Austausches sind vom Soziologen Marcel Mauss in seinem erstmals 1925 erschienenen anthropologischen Grundlagenwerk „Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften“, beschrieben worden.16 Drei wichtige Aspekte sind hier anzuführen: (1) Mauss geht von einer Beseeltheit der Objekte im Gabentauschausch aus und fragt: „Was liegt in der gegebenen Sache für eine Kraft, die bewirkt, daß der Empfänger sie erwidert?“17 Damit wird reflektiert, dass die Gabe anders als die Ware „inalienable“18, also unveräußerlich ist. (2) Mit Blick auf „primitive“ oder „archaische“19 Gesellschaften wird die Vielgestaltigkeit dessen, was in den Austausch eingehen kann, betont. Neben „Güter und Reichtümer, bewegliche und unbewegliche Habe, wirtschaftlich nützliche Dinge“ treten „Höflichkeiten, Festessen, Rituale, Militärdienste, Frauen, Kinder“20 u.v.m. (3) Die agonalen, ja ruinösen Züge des Gabentausches kommen im sog. Potlatsch zum Ausdruck. Damit werden Riten und Leistungen eines nordamerikanischen Indigenen-Stammes zur Ausübung und Sicherung sozialer Dominanz bezeichnet. Die Rangfolge der Akteure in der sozialen Hierarchie wird beim Potlatsch davon abhängig gemacht, in welchem Ausmaß sie in der Lage sind Ressourcen zu verausgaben, was bis zu deren Zerstörung reichen kann. „Derjenige, der seinen Reichtum am verschwenderischsten ausgibt, gewinnt an Prestige.“21 Zu beachten an diesem letzten Punkt ist der Akzent auf dem Verbrauch, der „Konstitution eines positiven Vermögens zum Verlust – von der Adel, Ehre und Rang in der Hierarchie herrühren“22. Hier steht demnach nicht produk15 „It is important to stress that it is not the natural attributes of the thing exchanged which determine whether or not an exchange is of the gift or commodity form. Paper money can assume a gift form in certain social contexts“ (C.A. Gregory, Gifts 45 f); vgl. zudem R.P. Saller, Patronage 3. 16 M. Mauss, Gabe 24 f. 17 M. Mauss, Gabe 18. 18 C.A. Gregory, Gifts 41. Die strikte Abscheidung von Person und Tauschobjekt als Grundlage moderner Rechts- und Wirtschaftssysteme ist nach Mauss für vormoderne Gesellschaften nicht geltend zu machen, ebenso wenig wie die aus der semitischen, griechischen und römischen Kultur stammende Unterscheidung zwischen verpflichtender Leistung und unentgeltlichem Geschenk (vgl. ders., Gabe 120 f). 19 M. Mauss, Gabe 17. Der Autor greift dabei auf zahlreiche Feldforschungen und philologische Untersuchungen zu einzelnen Stämmen und Gruppen in Polynesien, Melanesien und Nordwestamerika zurück. 20 M. Mauss, Gabe 22. 21 M. Mauss, Gabe 85. 22 G. Bataille, Aufhebung 19.
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tive Akkumulation von Kapital zwecks individueller Nutzenmehrung im Vordergrund, sondern „unproduktive Verausgabung“23 zur Ausübung sozialer Dominanz.24 In Absehung von modernen Wirtschaftsauffassungen lässt sich daher geltend machen: „Wir leben, um (uns) zu verschwenden.“25 Diese Verschwendung ist nach dem Reziprozitätsethos jedoch keine Privatangelegenheit, sondern stets in den Resonanzraum des sozialen Nahbereichs eingebunden, wie sich etwa in Verteilung oder Verbrauch der Agath (!cah\) im LkEv (1,53; 12,18 f) zeigt.26
1.2 Reziprozitätsformen in einer Schamkultur Bei der Anwendung soziologischer Theorien auf unterschiedliche historische Zusammenhänge mahnt Zeba A. Crook zur Heranziehung von „culture-appropriate models“27, um den jeweiligen Bedingungen gerecht zu werden. Er greift zur Untersuchung des griechisch-römischen Kulturkreises im ersten Jh. n. Chr. ein Modell von Wolfgang und Ekkehard Stegemann auf, das vom sozialen Status der Interaktionspartner und der Art des Austausches ausgeht. Das Modell unterscheidet vier Unterarten von Reziprozität, nämlich familiäre, ausgeglichene, generelle und negative:28 Die familiäre Ausprägung findet sich danach im Haushalt, bei Verwandtschaftsverhältnissen bzw. im Clan-Zusammenhang, und stellt keine Quelle sozialer Spannungen oder antagonistischen Wettbewerbs der Beteiligten dar.29 Die der familiären Form ähnelnde 23 G. Bataille, Aufhebung 11. 24 Dass „der Gabentausch auf der stets prekären Schwelle zwischen Krieg und Frieden“ (I. D rmann, Theorien 22) stehe, ihm das agonale Element also wesenhaft zueigen sei, kann so allgemein jedoch nicht behauptet werden. 25 I. D rmann, Theorien 65. Ob eine generelle Nutzlosigkeit der Ressourcen-Vergeudung postuliert werden kann, mittels deren die zweckrationale Ausrichtung menschlichen Handelns philosophisch ausgehebelt werden könnte, ist jedoch zu bezweifeln. Zumindest taugt das hierzu herangezogene Beispiel des Potlatsch nur bedingt, können doch die dort anzutreffende Verausgabung und Zerstörung auch unter der Perspektive des Investments, und zwar in die eigene Statussicherung, gedeutet werden. Durch diesen Fremdzweck ist bereits eine Mittel-ZweckRelation gegeben: Verausgabung, um Macht zu gewinnen/sichern. Dem widerspricht ja z. B. auch Batailles eigene Aussage über den Potlatsch nicht: „Nur durch den Verlust sind Ruhm und Ehre mit ihm verbunden“ (ders., Aufhebung 19). 26 Die Übertragung der !cah\ ins Deutsche bereitet Probleme, da weder „Güter“ noch „Wohltaten“ exakt einfangen, was die spezifische Eigenart ausmacht. Daher wird der zumeist im Plural auftauchende Begriff wo nicht in griechischen Lettern einheitlich in der Umschrift Agath n/ Agath wiedergegeben. 27 Z.A. Crook, Reflections 515. Mauss’ Ausführungen sind der Ausgangspunkt für das GabeThema in der Antike im Sammelband von M.L. Satlow (Hg.), The Gift in Antiquity (The Ancient World: Comparative Histories), Malden (MA) u. a. 2013. 28 Vgl. E.W. Stegemann/W. Stegemann, Sozialgeschichte 41–43. 29 Vgl. E.W. Stegemann/W. Stegemann, Sozialgeschichte 43 und Z.A. Crook, Conversion 56.
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ausgeglichene Reziprozität bezieht sich auf den gleichen sozialen Status der Interaktionspartner in Bezug auf den Austausch und betrifft Gruppen wie Dorfgenossen, Nachbarn und Freunde.30 Sie ist durch eine wohlwollende Art des Umgangs gekennzeichnet, Nächsten- und Freundesliebe finden darin Platz,31 sowie auch Gabentausch; d. h., auf eine Gabe muss mit einer Gegengabe gleichen oder größeren Werts geantwortet werden. Gerade hierin kann durch die mögliche Tendenz zum Agonalen eine Quelle für Spannungen liegen. Das antike Freundschaftsideal hebt stark auf Reziprozität ab, so sind nach Aristoteles die Bedingungen für Freundschaft, einander wohlgesonnen zu sein und Gutes zu wünschen (eqmoe?m !kk^koir ja· bo}keshai t!cah\; Eth Nic 1156a). Als dritte Bedingung tritt der sichtbare Ausdruck dieser Haltung hinzu. Die in der Folge festgeschriebene Unterscheidung zwischen Nutzen-, Lust- und Tugendfreundschaft, wobei letztere das Ideal darstellt (vgl. Aristot., Eth Nic 1156a–b), ist in der Literatur der neronischen Zeit noch gegenwärtig.32 David Konstan hält jedoch generell fest: „The ancient thinkers were in general less abashed than moderns about the utilitarian benefits that derive from the possession of friends.“33 Richard Saller sieht für die Zeit des frühen Prinzipats entsprechend ein Auseinanderklaffen von philosophischem Freundschaftsideal und realen Erwartungen des Austauschs von officia und beneficia.34 Koenraad Verboven betont in Abgrenzung von Konstan die Vieldeutigkeit der antiken Freundschaftsauffassung: „Far from having an exclusively emotional or instrumental content amicitia and philia were complex relationships in which reciprocity, affection, and personal loyalty were mingled and advantage and altruism intertwined, together producing and being produced by beneficia.“35
Der kommerzielle Austausch kann entgegen Crooks Ansicht hier nicht subsumiert werden, wenn Reziprozität nicht nur als soziale, sondern auch – wie eingangs festgehalten – als ökonomische Kategorie verstanden wird.36 Das
30 Vgl. E.W. Stegemann/W. Stegemann, Sozialgeschichte 43. Z.A. Crook differenziert, dass möglicherweise bestehende Statusunterschiede sich in dieser Form des Austauschs nicht auswirken (vgl. ders., Conversion 57). 31 Vgl. E.W. Stegemann/W. Stegemann, Sozialgeschichte 43. 32 Vgl. J. Wolkenhauer, Schrift 416 und i.d. Anm. 33 D. Konstan, Reciprocity 282. 34 Vgl. R.P. Saller, Patronage 13. 35 K. Verboven, Economy 45. Auch Aloys Winterling warnt davor, antike Freundschaftsauffassungen einseitig zweckrational zu interpretieren und betont deren Vielgestaltigkeit (vgl. ders., Freundschaft 305). 36 Vgl. Z.A. Crook, Conversion 57. Auf eine Berücksichtigung sowohl sozialer als auch ökonomischer Aspekte von Reziprozität besteht auch Halvor Moxnes (vgl. ders., Economy 32–47; Patron 242 f). Alan Kirk weist auf den verwirrenden Kategorienwechsel hin, der sich in der Übernahme des Modells von Sahlins und letztlich Polanyi durch die Stegemanns und Crook ergibt (vgl. ders., Karl Polanyi, Marshall Sahlins, and the Study of Ancient Social Relations, in: JBL 126,1 (2007) 182–191, 185 f).
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Unterscheidende liegt in der Beziehung, ihrer Dauer und dem jeweiligen Charakter der Verpflichtung.37 Damit ist keineswegs jedwede Art von Geldtransfer aus der Reziprozitätssphäre auszusondern, wie am Beispiel des Handgeldes gezeigt werden kann, das ein Klient von seinem Patron beim morgendlichen Empfang bekommt: Dieses ist eingebunden in eine längere, asymmetrische Abhängigkeitsbeziehung.38 Bei dem Mittagessen, das der Klient in einer Garküche in der Nähe mit diesem Geld bezahlt, ist hingegen eher eine geldwertbasierte Tauschsituation ohne weitere Reziprozitätspflichten vorstellbar. Andererseits scheint es in Bezug auf Darlehen wiederum so zu sein, „dass Transaktionen von Geld innerhalb der Aristokratie grundsätzlich immer in interpersonale Bindungen eingebettet blieben und soziale Verpflichtungen schufen“39. Nicht das Vorhandensein von Geld, sondern dessen Verwendungsweise, abhängig vom Status der beteiligten Austauschpartner, ermöglicht die Zuordnung zum reziprokalen oder kommerziellen Interaktionsbereich.
Ein für das neutestamentliche Umfeld wichtiger Bereich ist der der generellen Reziprozität, die das Verhältnis von Statusverschiedenen beschreibt. Diese ist Stegemann/Stegemann zufolge in Patron-Klienten-Verhältnissen oder zwischen öffentlichen Wohltätern und ihren Begünstigten auszumachen (Stadtverwalter und Bürger, Kaiser und Volk).40 Die empfangende Partei bittet die sozial höherstehende Geber-Partei um Dienstleistungen und/oder Güter, zu denen sie keinen oder keinen vergleichbaren Zugang hat.41 Eine von einer sozial höher stehenden Partei gespendete Wohltat kann nicht mit einer ebensolchen vergolten werden: Das Verhältnis ist nicht auf Balance ausgerichtet, und der Empfänger hat nicht die Möglichkeit, den Status seines Wohltäters infrage zu stellen. Die Währung, in der zurückgezahlt wird, ist „honour, gratitude, and loyalty“42. Konkrete Ausdrucksformen sind
37 38 39 40 41
Siehe Kap. 5. Vgl. H. van Wees, Law; J. Marshall, Jesus 28. J. Wolkenhauer, Schrift 184. Vgl. E.W. Stegemann/W. Stegemann, Sozialgeschichte 42. Crook zieht eine klare Trennlinie zum Gabentausch, da eine Gabe erwidert werden muss, damit der Kreislauf in Bewegung bleibt und die Vorstellung einer Balance präsent bleibt. Die Zuteilung von Gütern oder Dienstleistungen in asymmetrischen Statusverhältnissen wie Patronage oder Euergetismus sei dagegen nicht als Gabe zu bezeichnen, „in that it is not socially constructive, positive, or pleasant“ (ders., Giftship 73; vgl. auch 66). Hierbei von einer modernen GabeDefinition auszugehen, scheint mir jedoch wenig erkenntnisfördernd; zum besseren Verständnis antiker Auffassungen müsste bei der entsprechenden Terminologie angesetzt werden. Bei dem von Seneca in einem negativen Zusammenhang erwähnten munusculum (Ben IV 40,4) etwa ist nicht auszuschließen, dass hier ein Statusniederer einen -höheren beschenkt. Leidenschaftlich argumentiert Seneca zudem dafür, dass Sklaven Wohltaten geben können (vgl. Ben III 18 f). 42 Z.A. Crook, Conversion 58; vgl. zudem ders., Honor, Shame, and Social Status Revisited, in: JBL 128,3 (2009) 591–611.
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exchange relationships between powerful individuals and their needy clients, literary patrons and their writers, the Emperor and those he appoints to various offices, the Emperor and the people who receive games, streets, buildings, tax breaks, the Emperor and his client-kings, philosopher-teachers and their disciple-students, and last but not least, the Graeco-Roman gods and those they benefit through healings, revelations, guidance, and salvation43.
Die beschriebene Form ungleicher Distribution von Gütern und Dienstleistungen ist ein prägendes Strukturprinzip der griechisch-römischen Gesellschaft des frühen Prinzipats.44 Schließlich sei noch die negative Reziprozität aufgeführt, die nach Stegemann/Stegemann von dem Interesse geleitet ist, entgegen der Goldenen Regel dem anderen das zu tun, was man selbst nicht angetan haben möchte. Diese Unterart kommt beim Umgang mit Feinden oder Fremden zum Tragen.45 Wird der kommerzielle Austausch aus dem Stegemann’schen Modell herausgehalten, lässt es sich konsistent und hilfreich verwenden.46 Austausch auf der Basis sozialer Bindungen wird durch Achtung und Ächtung reguliert, wichtige Handlungsmotive sind Ehre und Scham. Gewinnt ein Wohltäter für seine Leistung erhöhtes Prestige, so handelt es sich dabei keinesfalls um eine weiche Währung. Werner Dahlheim meint, dass sich ein Senator kaum entziehen konnte, wenn eine irgendwie zu ihm in Beziehung stehende Stadtgemeinde sein Engagement etwa beim Bau öffentlicher Gebäude forderte. Plinius d.J. hatte in Tifernum Tiberinum, das in der Nähe seiner Landgüter lag, auf eigene Kosten einen Tempel bauen lassen, nach eigener Aussage „um Dank abzustatten“ (ut referrem gratiam; Ep IV 1,5). Zur Einweihung begab er sich, „um eine notwendige Pflicht zu verrichten“ (ut fungamur necessario officio; IV 1,3), wie er seinem Schwiegergroßvater schreibt. Neben dem sozialen Prestige hing „das schlichte Selbstverständnis eines Senators“47 von der Erfüllung derartiger officii ab. Dass hier offenbar eine Frage der senatorischen Ehre berührt ist, fügt sich ein in den gesellschaftlichen Kontext einer römischen „shame culture“48, in der nicht zuletzt ein breit internalisiertes Ehrempfinden gewährleistete, dass die Reziprozitätskreisläufe funktionierten.49 Sowohl die Weigerung officia zu leisten als 43 Z.A. Crook, Conversion 58. 44 Z.A. Crook, Conversion 88 f. 45 Vgl. E.W. Stegemann/W. Stegemann, Sozialgeschichte 42. Zum Ethos der goldenen Regel im Kontext antiker und fernöstlicher Auffassungen vgl. J. Topel, The Tarnished Golden Rule (Luke 6:31): The Inescapable Radicalness of Christian Ethics, in: TS 59,3 (1998) 475–484. 46 Vgl. M.B. Roller, Autocracy 140. 47 W. Dahlheim, Geschichte 46. 48 J.E. Lendon, Empire 41. 49 Dieses Bewusstsein von Ehre und drohendem Ehrverlust sieht Lendon als wichtige Möglichkeitsbedingung funktionierender Reziprozitätsprozesse in der griechisch-römischen Gesellschaft an (vgl. J.E. Lendon, Empire 268); siehe auch R.L. Rohrbaugh, Honor. Core Value in the Biblical World, in: D. Neufeld/R.E. DeMaris (Hg.), Understanding the Social World of the New
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auch die, sich der dadurch hervorgerufenen Verpflichtung zu gratia zu entziehen, wurde missbilligt – nicht zuerst von einer legislativen Zentralgewalt, sondern vom sozialen Umfeld. So blieb der agonale Wettstreit der Eliten untereinander um die Gunst der Bevölkerung nicht ohne Auswirkungen auf den jeweiligen Platz in der Hierarchie.50 Die höher gestellte Partei – ob öffentlicher Wohltäter oder privater Patron – war durchaus auch selbst in das Gefüge von Geben und Nehmen eingebunden und hatte de facto nicht die Freiheit, sich den nicht selten moralisch gefärbten Forderungen, die an die eigene Klasse herangetragen wurden, einfach zu entziehen.51 Dem widerspricht nicht, dass in bestimmten Konstellationen sogar die Annahme einer Gefälligkeit oder eines Geschenks als Gewährung einer Wohltat angesehen wurde – wenn nämlich der Empfänger sozial so weit über dem Geber rangierte, dass die Herablassung zu jedweder Interaktion als Gunsterweis gedeutet werden musste (vgl. Cic., Off II 69).52 Die Verpflichtung des Statushöheren mag daher weniger in dyadischen Interaktionen zum Tragen gekommen sein, im Umgang
Testament, Abingdon 2010, 109–125; B.J. Malina/J. Neyrey, Honor and Shame in Luke-Acts: Pivotal Values in the Mediterranean World, in: J.H. Neyrey (Hg.), The Social World of Luke-Acts, Peabody 1991, 25–66. 50 Vgl. W. Dahlheim, Geschichte 47. Marshall bemerkt dazu: „As the network of clients increased so did the reputation of the patron. Reputation often translated into political power“ (J. Marshall, Jesus 46). Leider sagt er nicht wie! Diese Aussage gilt nämlich nicht mehr ohne weiteres für den Prinzipat, wo die Klientelen ihre politische Wirkung aufgrund der Machtstellung des Kaisers eingebüßt haben. Eher ist hier an Wohltätigkeit zu denken, die in einflussreichen Kreisen, etwa durch Gesandtschaften aus den Provinzen, in Rom bekannt gemacht wurde (vgl. J.E. Lendon, Empire 78; 195 f). 51 Der Begriff der Klasse wird hier im allgemeinen Sinne einer bestimmten Gesellschaftsschicht, nicht aber nach marxistischer Auffassung verwendet. Jens Bartels wendet sich gegen derartige Übertragungen auf die Antike, wie sie v. a. bei M. Rostovtzeff zu finden seien, weil nicht in jeder römischen Teilgesellschaft ein von der Restbevölkerung klar abgrenzbarer ordo auszumachen sei. Den Begriff der Honoratioren, der von Max Weber stammend über Paul Veyne in die Altertumswissenschaften gelangt sei, will er ebenfalls nicht im Sinne einer abgeschlossenen Gesellschaftsschicht verstanden wissen: „Wenn man den Begriff ,Honoratioren‘ für die Antike retten will, wird man ihn also von der Bindung an eine ständische Gesellschaft lösen müssen“ (ders., Eliten 199). Die Betonung bürgerlicher Gleichheit und sozialer Durchlässigkeit, die er u. a. literarischen Gewährsmännern wie Plutarch und Dion von Prusa entnimmt, scheint jedoch überzogen. Die Pragmatik dieser Texte, die ja ihrerseits aus der Feder von Oberschichtenmitgliedern stammen, wird nicht bedacht: Die bspw. dort zu findende Ansicht, dass gute Amtsführung nicht zuerst in aufwändigen Euergesien bestehe, ist für Bartels ein Hinweis darauf, dass auch weniger Begüterten Ämter offenstanden (vgl. ders., Eliten 89). Wird jedoch berücksichtigt, dass dieses Ideal einer frugalen, kostengünstigen Amtsführung von Autoren propagiert wurde, die selbst Ämter bekleideten, legt sich m. E. eine andere Deutung nahe: Die Propagierung des Ideals sollte den eigenen Geldbeutel schonen. Jedenfalls für Dion von Prusa sind Abgabeleistungen an die Allgemeinheit ein wiederkehrendes Streitthema (vgl. u. a. Or VII 27–63; XLVI, 4–8). Bartels fordert einen regional differenzierten Blick auf die Oberschichten und den jeweiligen Grad ihrer Abgrenzung (vgl. ders., Eliten 11); ebenso differenziert aber sollten ihre literarischen Strategien zur eigenen Selbstabgrenzung betrachtet werden. 52 Vgl. M.B. Roller, Autocracy 194 f.
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mit Kollektiven wie bspw. der plebs Romana und anderen Stadtbevölkerungen schlug sie allemal durch.53 Unter dem Aspekt der Ehre betrachtet bedeutet das: Emperors and governors participated in the same culture of honour as their subjects. It was natural, therefore, that rulers should seek honour, fear disgrace, and punish those who insulted them. It was natural too that they should revere honourable men and cities, and that they too should automatically do favours to those who did favours for them. […] Honour spoke to what otherwise might have been a deaf despotism, softened an austere and inflexible autocracy, and provided subjects with a way – however imperfect – of ruling those who were set to rule them.54
Geprägte Bereiche reziprokaler Interaktion in der griechisch-römischen Gesellschaft sind Patron-Klienten- oder Patronage-Verhältnisse und der sog. Euergetismus, englisch auch unter dem allgemeineren Begriff benefaction abgehandelt, was mit Wohltätigkeit wiederzugeben ist.55 Es handelt sich dabei um Forschungsbegriffe, die in Zuordnung und Bedeutungsumfang hoch umstritten sind.56 Patronage leitet sich vom patronus her, der in einem mehr oder minder fest umrissenen Schutz- und Pflichtenverhältnis der fides zu einem oder mehreren sozial niedriger stehenden cliens bzw. clientes stand.57 53 Zur Versorgung des römischen Stadtvolkes und der Soldaten durch den Princeps vgl. etwa J.E. Lendon, Empire 120–129; siehe auch Kap. 6.2.3; 7.1.3. Die julisch-claudischen Herrscher schienen aber gerade die Entgegennahme signifikanter Gaben durch Einzelpersonen vermeiden zu wollen – um nicht durch sie verpflichtet zu werden (vgl. M.B. Roller, Autocracy 194). 54 J.E. Lendon, Empire 268. 55 Die Termini sind nicht deckungsgleich, wie Marshall im Anschluss an Danker deutlich macht; eine griffige Definition von benefaction fehlt jedoch, was nach dem Erkenntnisgewinn fragen lässt, den dieser Begriff bietet (vgl. J. Marshall, Jesus 4). Marshall zeichnet die Kontroverse zwischen Joubert und Crook um das Verhältnis von benefaction und patronage nach und führt sie unter Berücksichtigung neuerer philologischer Untersuchungen einer Lösung zu: Hauptmerkmale der mit dem lat. patrocinium identifizierten Patronage sieht Marshall (im Anschluss an Eilers) in dem Aspekt der Beziehung, die sich weniger ostentativ als bei benefaction auf tendenziell individuelle Unterstützung sozial Untergebener richte. Dabei scheint eine semantische Nähe von benefaction zu euergetism mehr oder weniger stillschweigend vorausgesetzt (vgl. J. Marshall, Jesus 32–53). Die Debatte, inwiefern die von der Forschung ja erst aufgebrachten Begriffe in ihren Gehalten überlappen oder differieren, scheint in der Tat “often confusing” (J.M.G. Barclay, Paul 35 i.d.Anm.). 56 Claude Eilers zeigt die heterogene Verwendung des Patronage-Begriffs in der sozialgeschichtlichen Forschung auf und plädiert für eine enge Orientierung am Patron-Klienten-Verhältnis (vgl. ders., Patrons 2–7). Aloys Winterling meidet den Patronagebegriff ganz, nicht zuletzt aufgrund dieser Uneinheitlichkeit, und untersucht stattdessen die Bedeutungsgehalte von amicitia und clientela unter den Bedingungen des Prinzipats (vgl. ders., Freundschaft). Fabian Goldbeck will als Forschungstermini im Anschluss an Christian Meier ebenfalls lieber „persönliche Nahbeziehungen“ oder „Bindungswesen“ verwenden (A. Winterling, Salutationes 24 f). Dagegen ist Angela Ganter der Ansicht, der Begriff des Bindungswesens lege „einen systemischen Zugriff nahe; für die Betrachtung konkreter Patron-Klient-Beziehungen eignet er sich nur bedingt“ (dies., Welt 6). 57 Zur Entsprechung von fides und p_stir bzw. 1pitqop^ vgl. E.S. Gruen, Greek “Pistis” and Roman Fides, in: Athenaeum 60 (1982) 50–68; v. a. mit Blick auf Polyb. XX 9 f. „The semantic range of the pistis and fides lexica is well mapped, encompassing ‘trust’, ‘trustworthiness’, ‘faithfulness’,
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Kulturell stammt sie aus dem römisch-lateinischen Raum, und in diesem engen Sinne soll Patronage nachfolgend verwendet werden. Der auf die eqeqcWurzel verweisende Euergetismus griechischen Ursprungs beschreibt demgegenüber das Phänomen öffentlicher Wohltätigkeit einer Privat- oder auch Amtsperson zugunsten eines Kollektivs, meist einer städtischen Polis-Bevölkerung.
1.3 Patronage In seiner Römischen Frühgeschichte bietet Dionysios von Halikarnassos einen mythologisierenden Bericht von der Einführung der Patronage durch Romulus selbst (vgl. Ant Rom II 9–11). Unter den Bezeichnungen pqostas_a und patqyme_a wird das ideale Fürsorgeverhältnis der Eliten gegenüber „den Armen und Niedrigen“ (t_m pem^tym ja· tapeim_m; Ant Rom II 9,2.3) beschrieben. Die Darstellung stammt aus augusteischer Zeit, lässt aber nur bedingt Rückschlüsse auf die Verhältnisse in dieser Epoche zu.58 Zu den dort genannten Elementen gehört als erstes der Rechtsbeistand für den pek\tgr genannten Klienten durch den Patron (vgl. Ant Rom II 10,1). Patronus wurde in der Republik zeitweise zu einer allgemeinen Bezeichnung für einen Anwalt; die erfolgreiche Verteidigung durch einen Gerichtsredner führte zu einem fides-Verhältnis zwischen diesem und seinem Klienten.59 Auf der anderen Seite spricht Dionysios von der Pflicht der Klienten, ihren Herrn finanziell zu unterstützen. Sich an Mitgiften, Lösegeldzahlungen (k}tqa) oder finanziellen Einbußen durch Gerichtsstrafen zu beteiligen, sollten sie nicht als Darlehen, sondern als Gefälligkeiten (w\qiter) ansehen (Ant Rom II 10,2).60 Es folgt eine Einschärfung, dass Patrone und Klienten einander nicht rechtlich belangen dürften und die Behauptung, die ‘good faith’, ‘credit’, ‘guarantee’, a legal trust, philosophical proof, and religious belief“ (T. Morgan, Faith 1; Hervorhebung im Original). Im Bereich des Rechts ist diese Entsprechung deutlich zu sehen: „In der Terminologie zw.-staatlicher Verträge wird p[istis] schon früh von den Römern mit fides übersetzt“ (W. Polleichtner, Art. Pistis, DNP 9, 2000, 1045–1049, 1047; Hervorhebung im Original). Teresa Morgan ist der Meinung: „Greek and Latin language and culture are sufficiently closely related, socially and geographically interpenetrative, and mutually comprehensible by this period [i. e. Prinzipat, M.A.] to be treated together“ (dies., Faith 36). In Bezug auf Patronage bezeichnet p_stir wie fides ein Verhältnis von Loyalität und Treue (vgl. B.A. Cueto, The Concept of Pistis in its Greco-Roman Context and its Impact on Paul’s Writings, Ann Arbor (MI) 2012, 168–172). 58 „The passage makes more sense when it is understood as a reflection (however inexact) of how the educated classes of the Augustan Age perceived the past and how they wished to construct the future. In the New Order (just as in Romulan Rome), harmony (i. e., the creation of mutual dependence) could be secured when rank was respected and individuals and collectives knew their duties to one another“ (J. Nicols, Patronage 89). 59 Vgl. J. Wolkenhauer, Schrift 246. Dabei gab es gesetzliche Regelungen, die verhindern sollten, dass sich der Patron für die Verteidigung vor Gericht ein Honorar oder Geschenke geben ließ (vgl. A.W. Lintott, Art. Patronus, DNP 9, 2000, 421–424). 60 Die Übersetzung von w\qir als Gefälligkeit ist hier rein positiv zu verstehen.
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Beziehungen hätten in der Vorzeit über viele Generationen hinweg Bestand gehabt (vgl. Ant Rom II 10,3 f). Dass Patrone und Klienten nicht gegeneinander vor Gericht zogen, wurde offenbar noch zu Plutarchs Zeit als eine Selbstverständlichkeit dargestellt (vgl. Mar 5,4). Die Vererbbarkeit von patronalen Beziehungen hingegen war möglich, aber keineswegs zwingend.61 Zur Systematisierung des Patronage-Begriffs hat Richard Saller eine breit rezipierte Definition vorgelegt, die auf drei Kriterien beruht: (1) Es ist ein reziproker Austausch von Gütern und Dienstleistungen impliziert, der sich (2) vom kommerziellen durch eine persönliche Beziehung von gewisser Dauer abhebt. (3) Schließlich zeichnet sich das Verhältnis durch Asymmetrie aus, d. h. die Parteien haben – wie oben bereits angeklungen – unterschiedlich guten Zugang zu Gütern und Dienstleistungen.62 Saller untersucht auf dieser Grundlage römische Politik und Alltagshandeln im frühen Prinzipat und hebt die Funktion der Patronage in einer schwach bürokratisierten Gesellschaft hervor, Zugang zu Gütern zu schaffen. Im untersuchten gesellschaftlichen Kontext wird dabei nicht in erster Linie Maß genommen an einem modern verstandenen Gerechtigkeitsideal, das auf prinzipieller Chancengleichheit ohne Ansehen der Person beruht.63 Vielmehr war der persönliche Kontakt das Entscheidende, wenn es etwa um die Vermittlung von Posten und Ämtern ging, wovon Empfehlungsschreiben wie die des jüngeren Plinius Zeugnis geben.64 Gönner vermieden dabei aus Höflichkeit, ihre Günstlinge als Klienten anzusprechen.65 Die Kommunikation war so codiert, dass der sozial Höher61 Vgl. J.E. Lendon, Empire 66 f; C. Eilers, Patrons 9; 73–78; 81. 62 Vgl. R.P. Saller, Patronage 1. Zu Sallers drei Kriterien vgl. M.B. Roller, Autocracy 130 f, zuletzt J. Nicols, Patronage 9–13. Matthew Roller kritisiert das Kritierium der Dauerhaftigkeit: Dass Reziprozitätsbeziehungen zwischen Aristokrat und Herrscher im Kontext der cena ständig neu auszuhandeln waren, müsse lt. Roller als Korrektiv gegenüber einem allzu dauerhaft und stabil verstandenen Patronagebegriff bedacht werden (vgl. ders., Autocracy 173). Überhaupt dürften alle drei Kriterien für Patron-Klienten-Verhältnisse allenfalls als notwendige, keinesfalls aber als hinreichende verstanden werden (vgl. C. Eilers, Patrons 12 f.; J. Marshall, Jesus 43). Kritisiert worden ist zudem, dass die beschriebenen gesellschaftlichen Umwälzungen durch die Etablierung des Prinzipats zu wenig beachtet und schließlich, dass Freundschaft und Klientel zu einseitig unter zweckrationalen Gesichtspunkten betrachtet würden (vgl. A. Winterling, Freundschaft 304). Eine aktuelle Diskussion der Konzeption Sallers findet sich bei J. Wolkenhauer, Schrift 231–244. 63 Vgl. R.P. Saller, Patronage 3. 64 Das Beispiel der als commendatio bezeichneten persönlichen Empfehlung eines Kandidaten für einen bestimmten Gefallen, etwa für ein Amt, zeigt: „The adressee did not have to be persuaded that the commendatus requested the application of a right which it was his duty to confer. Instead he had to be persuaded that the commendatus was worthy of receiving the requested favour because he was gratus and fidelis. The claims of friendship and patronage sufficiently legitimised the request“ (K. Verboven, Economy 323). 65 Dadurch erklärt sich für Richard Saller die seltene Verwendung von cliens in der Literatur. Das demgegenüber häufige inschriftliche Vorkommen ist ihm zufolge darauf zurückzuführen, dass die Literatur hauptsächlich von der Oberschicht geschrieben wurde, die Inschriften aber von den Klienten, die damit eine demütige Dankeshaltung ihren Gönnern gegenüber zum Ausdruck brachten (vgl. Cic., Off II 69 und Sen., Ben II 23,1–3; R.P. Saller, Patronage 9 f; J.E.
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gestellte den Rangniederen als Freund adressierte und damit vorgab, auf gleicher Stufe mit ihm zu stehen. Dieser brachte seinem dominus, rex oder eben patronus dafür seinerseits ostentative Ehrerbietung entgegen (vgl. Sen., Ben II 4,4–5,1), die gleichwohl nicht in Unterwerfung oder Selbsterniedrigung kippen durfte (vgl. II 24,2).66 Laut Saller war auch das Verhältnis des Kaisers zu seinen Untertanen als Patron-Klienten-Verhältnis aufzufassen, das über einen „inner circle of friends“67, die in seiner gratia standen, unterhalten wurde. So sicherte er seine Machtstellung durch Wohltätigkeit, war demnach suo beneficio tutus (Sen., Clem III 11,5 bzw. I 13,5). Der vormals horizontal unter Ranggleichen ausgetragene Wettbewerb um politischen Einfluss war nun vertikal auf die zentrale Machtfigur an der Spitze ausgerichtet.68 Dabei kamen als Gegengewicht zur Senatsaristokratie auch vermehrt Angehörige des Ritterstandes zum Zuge, sogar für Freigelassene und (kaiserliche) Sklaven gab es Aufstiegschancen in höchste Ämter. Dadurch kam es zur Verunsicherung der traditionellen Eliten, die z. T. in der Weise reagierten, dass sie traditionelle Patron-Klienten-Rituale aufwändigst und öffentlichkeitswirksam inszenierten.69 Dabei wurden traditionelle Klienten teilweise von wohlhabenderen verdrängt, die sich in dieser Rolle Zugang zu einflussreichen, d. h. kaisernahen Patronen erhofften.70 Die Austauschprozesse im Rahmen von Patron-Klienten-Beziehungen im Prinzipat erreichten so einen hohen Grad an Stilisierung und Inszenierung, wie sich an Gesellschaftsereignissen wie salutatio, adsectatio oder der cena zeigt.71 Diese drei Anlässe der Begegnung strukturierten den Beziehungsalltag im Patron-Klienten-Verhältnis:
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Lendon, Empire 66 f; C.M. Hays, Luke 53; J.M.G. Barclay, Paul 36 f). Dagegen ist C. Eilers, Patrons 15 f, der Ansicht, dass der Terminus cliens nur deshalb so selten auftaucht, weil das Phänomen für die damaligen Zeitgenossen nicht so wichtig war. Die Dynamik lässt sich neutraler auch als Patron-Proteg -Verhältnis beschreiben (vgl. R.P. Saller, Status 846–850; M.T. Griffin, Seneca 32). Vgl. M. Griffin, Debt 110; dies., Seneca 66 f. Dass tatsächlich eine Austauschbeziehung vorliegt, lässt sich lt. Saller dann annehmen, wenn amicitia-Terminologie im semantischen Inventar von beneficium, officium, meritum und gratia auftaucht (vgl. ders., Patronage 22). Der Sprache der amicitia bedient sich Seneca, um von der Geberseite aus Statusunterschiede zu nivellieren (vgl. Sen., Ben VI 33,3–34,5); auch Plinius d.J. richtet sich gegen die qualitativen Abstufungen bzgl. der Bedienung bei Tisch (vgl. Ep VII 3,2; II 6,2). R.P. Saller, Patronage 78. Vgl. J. Wolkenhauer, Schrift 174–176; Z. Crook, Honor 599–604; siehe Kap. 4. Zu Äußerungen von Unbehagen und Empörung innerhalb der etablierten Aristokratie angesichts dieser Veränderungen vgl. M.B. Roller, Autocracy 264–270; siehe Kap. 4.3.1. Teilweise kam es zu einer Verlagerung der eigenen Tätigkeit vom politischen auf den ökonomischen Bereich. Zu den Auswirkungen dieser Umorientierungen siehe Kap. 4 und 5. Vgl. E. Hartmann, Purpur 33–37, die u. a. Darstellungen Martials und Juvenals auswertet, in denen die oft schlechte Behandlung bestimmter Klienten literarisch verarbeitet wird. SteinHçlkeskamp sieht anhand der von ihr untersuchten cena eine „grundsätzliche Störung der sozialen Beziehungen zwischen Patronen und Clienten“ (dies., Gastmahl 99). Auch die architektonischen Bedingungen der domus, die dem Bewohner in erstaunlicher Weise Kontrolle über Ostentation und Rückzug ins Private ermöglichten, lassen erkennen, dass diese Aspekte nicht nur bedacht, sondern auch minutiös umgesetzt wurden (siehe Kap. 9.1).
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(1) Bei der salutatio genannten Morgenaufwartung fanden sich die Klienten in der domus ihres Herrn ein, um von ihm entweder persönlich oder in Gruppen empfangen zu werden. Je nach Andrang und Ansehen gab es die Möglichkeit des Gesprächs, bekamen die Salutatoren sog. sportulae, ursprünglich Körbchen mit Verpflegung, die später durch einen bestimmten Geldbetrag abgelöst wurden.72 Eventuell konnte überdies eine Einladung zum Abendessen erfolgen. In der Literatur der frühen und hohen Kaiserzeit finden sich viele kritische Bemerkungen über das als entwürdigend und hohl empfundene Ritual.73 Traditionell waren es Senatoren, die in ihrer domus die in Bürgertoga erscheinenden Klienten empfingen, in der Kaiserzeit erweiterte sich der Kreis auf angesehene Ritter und vereinzelt Frauen aus dem Kaiserhaus.74 (2) Die in der Forschung demgegenüber vernachlässigte adsectatio schloss sich an die salutatio an und bestand in der Begleitung eines angesehenen Mannes durch eine Anhängerschar bei dessen öffentlichen Tätigkeiten, „um Besuche zu machen, Geschäfte oder Gerichtstermine wahrzunehmen“75. In der Kaiserzeit konnte dieser Dienst den ganzen Tag in Anspruch nehmen und wurde – je nach Status des Begleiteten – offenbar auch von ranghohen Gesellschaftsmitgliedern übernommen.76 Wer bei der salutatio noch nicht zur abendlichen Tischgemeinschaft mit dem dominus eingeladen worden war, konnte bei den genannten Verrichtungen im weiteren Tagesverlauf darauf hoffen, dass diese ihm noch ausgesprochen wurde. (3) Den Tagesabschluss bot die cena, eine alte Pflicht des Patrons gegenüber seinen Klienten. Über die Veränderung auch dieses gesellschaftlichen Ereignisses im Prinzipat gab es aus Klientensicht Anlass zur Klage, etwa über die unterschiedliche Bedienung von amici bei Tisch (vgl. u. a. Mart. IV 68; Plin. d.J., Ep II 6,2).77 Für die Ausrichter der in der Kaiserzeit oft fein inszenierten Gastmähler galt hingegen: Einzig das Bankett ermöglichte es dem vornehmen Senator und Ritter sich Tag für Tag […] zugleich als stolzer Besitzer einer domus, als spendabler Patron einer großen Clientel, als weltläufiger Elegant, als kulinarischer Conaisseur und als gebildeter 72 Zu sportulae als Geldzuweisungen eines patronus an seine clientela nach Absolvierung der meritoria salutatio vgl. Sen., Brev Vit 14,3; Juv. I 95 f. Zur Höhe des Geldbetrags, die wohl symbolisch zu verstehen ist, vgl. Mart. X 75,11. 73 Vgl. E. Hartmann, Purpur 10; 19, mit Verweis auf Luc., Merc Cond 10 f. Ausführlich zur salutatio vgl. F. Goldbeck, Salutationes. 74 Der Klientendienst wurde auch bezeichnet als togata opera der salutatores, nach ihrer vorgeschriebenen Kleidung auch togati genannt (vgl. Mart III 46). Zu Frauen als Empfängerinnen vgl. F. Goldbeck, Salutationes 104 f. 75 E. Hartmann, Purpur 14; zur adsectatio vgl. auch F. Goldbeck, Salutationes 117. 76 Vgl. E. Hartmann, Purpur 16 f, mit Diskussion von Mart X 10. 77 Vgl. M.B. Roller, Autocracy 136–140; E. Stein-Hçlkeskamp, Gastmahl 92–111; D. Schnurbusch, Convivium 190 f.
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Kenner aller Künste zu präsentieren und dabei zugleich seinem Anspruch auf die Zugehörigkeit zur Elite immer wieder […] Ausdruck zu geben.78
Die Gastmähler der Kaiser konnten die Form von epula publica mit Essensgeschenken an die Volksmenge annehmen oder im kleinen elitären Kreis stattfinden.79 Die Bankette mit Senatoren und Rittern boten je nach Kaiser und Tagesform die Gelegenheit zur Pflege eines aristokratischen Egalitäts-Ethos oder zu Ausbrüchen unberechenbarer Herrscherwillkür.80 Die Teilnahme war begehrt: Der Platz an Caligulas Tafel konnte Sueton zufolge für 200.000 Sesterzen erkauft werden (vgl. Gai 39,2), demgegenüber wurde die Nichteinladung, Schmähung oder Degradierung bei Tisch als Mittel der Ehrenkränkung eingesetzt.81 Entsprechend reichen die Typenbeschreibungen des Kaisers in der Rolle des Gastgebers vom „freigebige[n] Patron“ bis zum „Verächter des Senats“82. Als Klienten kamen neben frei und unfrei Geborenen (liberti) auch ganze Gemeinwesen in Betracht.83 Die Städte-Patronage ähnelt dem Euergetismus, der Titel patronus bzw. p\tqym, der auch im griechischen Osten nur Römern verliehen wurde, hat aber von eqeqc]tgr teilweise unterscheidbare Gehalte.84 Zum Austauschverhältnis, dessen Inhalt in den Quellen wohl bewusst vage gehalten wurde, gehörte, dass der Patron seiner städtischen Klientel Schutz bot: in der Rolle eines Vermittlers zwischen (Provinz-)Stadt und Senat oder bei Konflikten mit Prokonsuln.85 Je renommierter der Patron, desto vorteil78 E. Stein-Hçlkeskamp, Gastmahl 269. 79 Vgl. E. Hartmann, Purpur 21 f; A. Standhartinger, alle 65 f. 80 Die Gleichheitsfiktion hatte beim Mahl mit Beteiligung des Kaisers „eine wichtige symbolische Bedeutung“ (A. B umler, Euergetismus 311). Roller weist demgegenüber auf die Ungewissheit von Beziehungsverhältnissen beim Gastmahl hin, v. a. wenn ein Princeps beteiligt war: Die Interaktion julisch-claudischer Herrscher und ihrer Tischgenossen scheint, wie an vielen Beispielen gezeigt wird, schwer berechenbar gewesen zu sein – das Verhaltensspektrum reichte von Jähzorn, Sadismus bis hin zur Gabe großmütiger clementia (vgl. M.B. Roller, Autocracy 154–173). 81 Vgl. J.E. Lendon, Empire 133 und i.d.Anm., mit Verweis auf Epict., Diss IV 1,48 (Nichteinladung); Suet., Claud 8 und Sen., Const 18,2 (Schmähung/beleidigende Behandlung); Sen., Const 15,1 (Platzierung unterhalb des eigentlichen Ranges). 82 K. Vçssing, Mensa 535. 83 Vgl. J. Nicols, Patronage 3. 84 Vgl. C. Eilers, Patrons 110–112, dessen Unterscheidungsversuch darauf abzielt, dass eqeqc]tgr sich im Gegensatz zu patronus nicht auf ein bestimmtes Beziehungsverhältnis richte. Dieser Beziehungsaspekt wiederum trete aber in der Kaiserzeit zurück zugunsten einer Verwendung von patronus als Ehrentitel, der von Städten übertragen worden sei „on a wide variety of individuals for a wide variety of reasons“ (C. Eilers, Patrons 171 f). Abgesehen von dieser unbefriedigenden Auskunft über die Rolle städtischer Patrone im Prinzipat sei die Frage gestellt, ob sich im eqeqc]tgr-Titel nicht auch ein Beziehungsverhältnis ausdrückt, etwa in der Wendung !keito}qcgtoi […] ¦speq eqeqc]tai t/r p|keyr (Dio Chrys., Or VII 28; vgl. auch Demosth., Or XX 31–33; siehe Kap. 8.3.3. 85 Zu den wichtigen Aufgaben des Schutzherrn einer Provinzstadt gehörte es, Anliegen von Gesandtschaften in Rom zu unterstützen, was in einer Inschrift aus Ephesos explizit als patqyme}y bezeichnet wird (IEph III 630b; vgl. C. Eilers, Patrons 89).
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hafter für das Gemeinwesen, das sich mit dessen Zustimmung in seine fides begab.86 Für den Schutzherrn bot das Wohlwollen (eumoia bzw. benevolentia) seiner Klientelstadt oder -städte die Grundlage für ein konfliktarmes Regierungshandeln. Zudem trug das Verhältnis zu seiner Prestigesteigerung bei, die sich wiederum in politischen Einfluss ummünzen ließ.87 Laut John Nicols scheint ein Wandel des Aufgabenverständnisses mit Augustus eingesetzt zu haben: Dieser entwickelte die Vorstellung des Patrons als eines öffentlichen Wohltäters, der etwa durch Bauprojekte für eine Hebung des Allgemeinwohls in den Reichsstädten sorgte. Dem kaiserlichen Beispiel folgend, sollten die Eliten unter Nachahmung des Herrschers (aemulatio principis) in dieser Weise die städtischen Infrastrukturen nach vorne bringen. So sollte das vormals stark rechtlich gefärbte Treueverhältnis gelockert werden, damit städtische Patrone nicht in die Versuchung gerieten, ihre Klientelen als Faktor politischer Macht gegeneinander oder gegen den Kaiser in Stellung zu bringen.88 Dieser band folgerichtig auch nicht-senatorische Kreise in dieses Urbanisierungsprojekt ein, für die sich mit dem Engagement die Aussicht auf sozialen Aufstieg verband.89 Zusammengefasst: Patronage wird hier im engen Sinne römischer Fürsorge- und Abhängigkeitsverhältnisse in Republik und Prinzipat verstanden.90 Als Patrone fungierten Mitglieder der Oberschicht und der Kaiser selbst. Wie auch bei der amicitia basierten die Beziehungen zwischen Patron und Klient auf ethischen Grundsätzen wie benignitas, gratia, fides, benevolentia und existimatio. Sie unterschieden sich aber v. a. dadurch, dass Freunde in der Lage sind, Gleichwertiges in den Austausch einzubringen, Klienten nicht. Letztere erwiderten den Erhalt von Gütern, zu denen sie ohne Hilfe des Patrons keinen (vergleichbaren) Zugang hatten, mit Ehrerbietung, was einer für sie adäquaten, nicht aber gleichwertigen Gegenleistung entsprach. Daher konnten die Klienten die eingegangene Bindung mittels dessen, was sie in den Austausch einbrachten, nicht lösen.91 Dieses Verhältnis wurde kommuniziert durch eine Sprache der gegenseitigen Achtung, in der die realen Abhängigkeiten in der Regel nicht explizit gemacht wurden und daher – aus heutiger Sicht – nicht immer leicht zu erkennen sind. Zu berücksichtigen ist zudem, dass durch die Machtmonopolisierung des Princeps Formen von Freundschaft und Klientel – äußerlich weitgehend unverändert – in ihren Bedeutungsgehalten grundlegend modifiziert wurden:92 Inszenierung, symbolische Aufla86 Die starke Verpflichtung, die ein Patronat über eine Stadt implizierte, wird durch die gesetzliche Verfügung bestätigt, dass es nur freiwillig übernommen werden durfte (vgl. W. Dahlheim, Geschichte 47). 87 Vgl. J. Nicols, Patronage 314–316. 88 Vgl. J. Nicols, Patronage 104–108. 89 Vgl. J. Nicols, Patronage 118 f. 90 So auch J.M.G. Barclay, Paul 36. 91 Vgl. K. Verboven, Economy 62. 92 Zu der allgemeinen Entwicklung von Republik zu Prinzipat siehe Kap. 4.
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dung, Codierung von Abhängigkeitsverhältnissen durch eine Sprache der Freundschaft einerseits, Übernahme von Klientendiensten durch Oberschichtenmitglieder mit der Folge sozialer Rollenverschiebungen und -doppelungen andererseits, brachten das überkommene Gefüge in Bewegung. Für den Zusammenhang der Untersuchung ist zudem wichtig: Die scharfe Analyse und der dekonstruierende Blick der zeitgenössischen Literaten auf die Verhältnisse machen deutlich, wie fein und doppelbödig im kulturellen Umfeld der Lukas-Texte kommuniziert werden konnte.
1.4 Euergetismus Der Forschungsbegriff wurde in den 1920er Jahren geprägt und von Paul Veyne in der einflussreichen Studie „Le Pain et le Cirque. Sociologie historique d’un pluralisme politique“ aus dem Jahr 1976 erstmals eingehend behandelt.93 Euergetismus ist der Sprache griechischer Inschriften entlehnt, in denen als eqeqc]tgr bezeichnete öffentliche Wohltäter für ihre Leistungen (eqeqces_ai/ beneficia) zugunsten der Polis oder einer städtischen Vereinigung geehrt wurden, wofür häufig das Verb eqeqcet]y gebraucht wurde.94 Dieser Art des Wohltuns zugrunde liegt die herrscherliche Tugend der Freigebigkeit, die Aristoteles zufolge bei einem guten König noch vor seiner Gerechtigkeit rangiert: „Denn er tut den Untertanen Gutes – falls er als guter König um ihr Wohl besorgt ist, damit es ihnen gut gehe“ (ew c±q poie? to»r basikeuol]mour, eUpeq !cah¹r £m 1pileke?tai aqt_m, Vm’ ew pq\ttysim; Eth Nic 1161a12 f).95 Aus der hellenistischen Herrscherverehrung hervorgegangen, konnte der Euergeten-Titel für Kaiser oder Angehörige des Kaiserhauses ebenso verwendet werden wie in der Folge auch für wohlhabende Bürger, die sich für ihre Stadt engagierten. Dies taten sie etwa in Form von Verteilungen von Geld oder Lebensmitteln, als Ausrichter öffentlicher Feste oder Stifter von Bauwerken bzw. Teilen davon.96 Diese Leistungen wurden „mehr oder weniger freiwillig“97 aus privaten Mitteln erbracht, und zwar aus einem Amt heraus oder von Privatpersonen. Die Wohltaten zogen Ehrungen durch die begünstigte Stadt 93 Titel der deutschen Ausgabe: Brot und Spiele, München 1994. Eine weitere einflussreiche Studie, die die Entwicklung des Euergetismus in den Jahrhunderten vor der Kaiserzeit untersucht, ist Philippe Gauthier, Les Cit s Grecques et leur Bienfaiteurs, BCH 12, Paris u. a. 1985. Vgl. neuerdings M. Domingo-Gygax, Benefaction and Rewards in the Ancient Greek City, Cambridge 2016. 94 Vgl. P. Veyne, Brot 22; im Anschluss daran A. Zuiderhoek, Politics 6 f. Für Dion von Prusa gehört eqeqcet]y natürlicherweise zur Amtsführung eines Archonten (vgl. Or XLIX 1). 95 Vgl. J. Wilker, Preis 95; mit weiteren Verweisen auf Eth Nic 1119b–1120a; Pol 1285b3–9; Xenoph., Cyrop I 6,24; VIII 1,1; 1,12; 2,2; Plat., Pol 276a–b; Isoc. IX 45; V 154. 96 Vgl. A. Zuiderhoek, Politics 76 f. 97 J. Bartels, Eliten 43.
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oder Körperschaft nach sich, die von einer beschrifteten Steinplatte über gewisse Privilegien und Kränze, Gemälde bis hin zur Errichtung einer Bronzeoder Marmorstatue an einem besonders öffentlichkeitswirksamen Platz (1pivam]stator t|por/celeberrimus locus), etwa auf der Agora, reichen konnten.98 Über die Funktion des Euergetismus herrscht in der Forschung keine Einigkeit, ja noch nicht einmal darüber, ob eine solche überhaupt unterstellt werden kann.99 Die Motivation des Einzelnen, sich für ein bzw. sein Gemeinwesen materiell zu verausgaben, evt. sogar zu ruinieren, scheint zunächst ebenso schwer zu fassen wie die Frage nach den möglicherweise reichspolitischen Effekten eines solchen Engagements. Als Hauptmotive nennt Bettina Goffin mit Blick auf den Euergetismus in Oberitalien Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit und Verbesserung des Sozialprestiges, Hoffnung auf sozialen Aufstieg, Hoffnung auf Nachruhm, Lokalpatriotismus, sozialen Druck, Familientradition und auch wirtschaftlichen Profit.100 Lobend in Rechnung gestellt werden häufig Wohlwollen und Ehrgeiz, Ehre und Andenken. Diese epigraphisch vielfach dokumentierten Anerkennungen sowie die ihnen vorausgegangen Leistungen stabilisierten das Zusammenleben in der Polis bei zunehmender sozialer Ungleichheit. Arjan Zuiderhoek stellt diesbezüglich die These auf, „that the extreme popularity of civic euergetism during the early and high Empire resulted from the fact that the phenomenon was indispensable for the maintenance of social harmony and political stability in the Empire’s provincial cities“101. Soziale Spannungen infolge einer Oligarchisierung der städtischen Gemeinwesen hätten nur dadurch entschärft werden können, dass die Nutznießer dieser sozialen Spreizung ihren Mitbürgern ebenfalls Zugang zu Einrichtungen bürgerlicher Annehmlichkeiten verschafften – durch den Bau von Bädern, Theatern oder die Einladung zu öffentlichen Gelagen für alle.102 Angesichts der Bedrohung der Reichen durch 98 Vgl. J. Ma, Statues 67–110. Aristoteles nennt „Opfer, Gedenkinschriften im Versmaß oder in Prosa, Ehrengarden, geweihte Bezirke, Vorsitz, Staatsbegräbnisse, Standbilder, Unterhalt aus öffentlichen Mitteln, des Weiteren Ehrungen der Barbaren wie die Proskynesen, auch ehrenhalber eingeräumte Vortritte, Geschenke, die bei allen Völkern ehrenvoll sind“ (Rhet 1361a). Zum Wettbewerb um Sichtbarkeit und zur Inflation von Ehrungen, die zu einem innerstädtischen „Statuenwald“ führen konnten vgl. J. Ma, Statues 126. Plutarch plädiert dafür, sich bzgl. solcher Ehrungen mit einem Kranz oder einer Tafel zu begnügen, weil er fürchtet, dass größere Ehren schneller wieder zerstört werden (vgl. Praec Ger Reip 820). Zur Unkenntlichmachung und Umwidmung von Ehrenstatuen vgl. Dio Chrys., Or XXXI. Zur Aufstellung von Goldstatuen in 1pivamest\toir Reqo?r vgl. Dio Chrys., Or LXIV 2; XXXI 87 f; IGR IV 1236,27 f; J.E. Lendon, Empire 79; siehe Kap. 8.5.3. 99 Vgl. W. Eck, Euergetismus. Veynes Konzept ist diesbzgl. als leer kritisiert worden, weil es davon ausgeht, dass Euergetismus weder benötigt wurde noch von funktionaler Relevanz war (vgl. P. Garnsey, Generosity 168). 100 Vgl. 20–31. Bolkestein nennt mit Blick auf den griechischen Kulturraum: die Freude am Geben, den Wunsch nach Ehre und Ansehen d|na, til^, lm^lg, die Erwartung von Vergeltung sowie politische Furcht (vgl. H. Bolkestein, Wohltätigkeit 150–181). 101 A. Zuiderhoek, Politics 5. 102 Vgl. A. Zuiderhoek, Politics 82–87; 153.
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Aufruhr ihrer Mitbürger vor Ort scheint diese These durchaus plausibel.103 Letztlich ist der soziale Friede jedoch zunächst nur ein Erfordernis, keine erschöpfende Erklärung für ein so spezielles Phänomen wie den Euergetismus. Auch der Verweis auf die Hebung des individuellen Sozialprestiges durch die empfangenen Ehrungen befriedigt als Begründung nur teilweise. Es gab sicherlich Persönlichkeiten, deren Wohltaten auf gutes Ansehen oder auch einen gewissen Einfluss in der Vaterstadt zielten – und nicht darüber hinaus.104 Wohlwollen und Ehrgeiz waren laut den Inschriften lobenswerte Motive der Euergeten gegenüber der Heimat-Polis. Doch verband sich mit Euergesien für einige auch die Spekulation auf politische Macht über die „allersüßeste Vaterstadt“ (ckujut\tg patq_r) hinaus.105 Dass öffentliche Wohltaten (eqeqces_ai) als ein Herrschaftsfaktor neben anderen reflektiert wurden, ist im antiken Diskurs jedenfalls verankert.106 Der Schlüssel liegt in der Sichtbarkeit des wohltätigen Engagements: Wenn etwa Plinius d.J. von seiner Pflichterfüllung (officium) gegenüber der Stadt Tifernum Tiberinum spricht, kann dies als Quelle für die Motivation eines städtischen Patrons gesehen werden. Ebenso wichtig ist aber die Berücksichtigung der Kommunikationssituation und damit die Pragmatik des Briefes: Der Senator in Diensten Trajans spricht öffentlich darüber, dass er sich pflichtbewusst und finanzkräftig für die Wohlfahrt dieses ihm anvertrauten Städtchens kümmert, er publiziert sein Engagement und propagiert es eben damit: Es soll sicht- und anrechenbar werden! Die Anzahl der Statuen, mit denen einer in den Provinzen geehrt wurde, war in Rom bekannt und hatte Auswirkungen auf dessen Beurteilung dort, ständig wurden Gesandtschaften in die Reichskapitale entsandt, um Dank oder Klagen bzgl. der ProvinzGouverneure zum Kaiser zu tragen.107 Die Provinzpolitik hatte demnach Auswirkungen auf die Karriere-Optionen im Reich, und auch Wohltätigkeit in Provinzstädten konnte in regionale oder reichsweite Machtmechanismen eingebunden sein.108 Die machtpolitische Relevanz der Euergeten, die in 103 Siehe Kap. 8.5. 104 Nicht anders lässt sich wohl die Tätigkeit von Euergeten erklären, die im Anschluss an ihre politischen Karriere für ihre Heimatstadt tätig wurden (vgl. A. Zuiderhoek, Politics 72 f). 105 Zur Darstellung der starken emotionalen Bindung an die Heimatstadt in der Kaiserzeit vgl. E. Stephan, Honoratioren 177. 106 Philo nennt als drei Herrschaftsprinzipien selm|tgta ja· deim|tgta ja· eqeqces_am (Praem Poen 97; vgl. J.E. Lendon, Empire 130 i.d.Anm.). Tiberius’ Rivale Seianus bringt Leute auf seine Seite durch t¹ l³m eqeqces_air t¹ d³ 1kp_si t¹ d³ ja· v|b\ (Dio C. LVIII 4,2, vgl. J.E. Lendon, Empire 142 und i.d.Anm.; siehe Kap. 11.2). 107 Vgl. C.P. Jones, World 106–108; J.E. Lendon, Empire 78; 195 f, mit Verweisen auf Suet., Tit 4,1; Vesp 1,2; Tac., Dial 8; Plut., Praec Ger Reip 820D; Dio Chrys., Or XXXI 108; LXVI 2–4. Auch Plinius’ Lob auf die Verhältnisse unter Trajan ist zu beachten, denn gegenüber früheren schlechteren Zeiten heißt es, „wenn jetzt jemand seine Provinz gut verwaltet hat, wird ihm die Rangerhöhung angeboten, auf die er kraft seiner Leistung Anspruch hat“ (Plin., Paneg 70,8; vgl. J.E. Lendon, Empire 196; siehe Kap. 11.2). 108 Kopien von Ehrendekreten im Rahmen des Kaiserkults wurden nach Rom geschickt, worauf
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Lk 22,25 explizit benannt und kritisiert werden, ist von direktem Interesse für die Analyse der lukanischen Texte. Die zeitgenössische Kritik an bestimmten Formen von Wohltätigkeit oder der politischen Situation in den Provinzstädten ist etwa bei Plutarch mehrfach belegt, Kritik an öffentlicher Wohltätigkeit scheint z. T. zum guten Ton gehobener Literatur gehört zu haben.109 Die Positionierungen der Lukastexte ordnen sich in diesen Kontext ein. Euergetismus und Patronage sind teilweise deckungsgleich, teilweise zu unterscheiden. Was hier im engen Sinne als Patron-Klienten-Verhältnisse behandelt werden soll, ist römischer Herkunft, der Euergetismus hingegen ein Phänomen, das aus dem griechischen Osten kommend auch im Westen Fuß fasst. Für Patronageverhältnisse ist gemäß Saller konstitutiv, dass sie asymmetrisch sind, was durch gewisse Sprachregelungen affirmiert oder verschleiert wird. Beim Euergetismus dagegen wird zunächst nicht die Asymmetrie betont, sondern ein egalitäres Bürgerethos, das sich von den Restbeständen der klassischen Polis-Vorstellung nährt. Euergeten handeln nach dieser Auffassung – auch wenn das realpolitisch als Fiktion beurteilt werden sollte – nicht als Patrone an Klienten, sondern als Politen an Politen, und zwar nicht aus herrscherlicher Huld, sondern weil sie es den Mitbürgern schuldig sind. Die vermögenden unter ihnen wurden, teilweise unter Androhung von Gewalt, an die Sozialpflichtigkeit ihrer Güter erinnert.110 Natürlich konnte, wer sich diesem Gedanken verweigerte, an die Sanktionsmacht der Römer appellieren und den Mitbürgern in Erinnerung rufen, dass die Gleichheitsfiktion letztlich nicht mehr als eben eine solche war.111 Dennoch scheint das Asymmetrie- und Abhängigkeitsverhältnis beim Euergetismus weniger stark ausgeprägt als bei der Patronage – hinsichtlich der jeweiligen Wahrnehmung und, damit verbunden, der faktischen Zustände. Ein weiterer Unterschied besteht in der jeweiligen Sozialform: Patron-Klienten-Verhältnisse sind sowohl dyadisch als auch kollektiv denkbar, der Euergetismus hingegen nur kollektiv. Signifikante Unterschiede scheinen dagegen nicht, wie von einigen vorgebracht, im Beziehungsaspekt oder dem Grad der Formalität zu bestehen: Wenn ein Titel wie eqeqc]tgr auf Inschriften greifbar wird und expressis verbis mit Abgabenfreiheit in Verbindung gebracht wird, scheint beides, Beziehung und Formalität, gegeben zu sein. Auch die Dauer der Beteilweise aus Rom reagiert wurde, etwa durch ein Dankesschreiben von Kaiser Tiberius an die Hymnoden in Ephesos, die ein Chortreffen für diesen veranstaltet hatten (vgl. M. Ebner, Stadt 223–226). Zum Aufstieg provinzialer Eliten in der Reichspolitik vgl. P.R.C. Weaver, Mobility; K. Hopkins, lite. Werner Eck formuliert allgemein: „Mit diesen Amtsträgern [den römischen, M.A.] hatten manche Provnizialen hin und wieder, einige wenige vielleicht auch öfter zu tun; das galt vor allem für die Mitglieder der lokalen Führungsschichten. Für diese waren Kontakte mit den römischen Repräsentanten auf der privaten und der offiziellen Ebene für das eigene Fortkommen oft von größter Bedeutung“ (W. Eck, Ämter 15). 109 Vgl. Plut., Praec Ger Reip; Cup 525E. 110 Vgl. P. Veyne, Brot 23. 111 Vgl. Dio Chrys., Or XLVI 14; siehe Kap. 8.5.1.
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ziehung kann nicht als Unterscheidungsmerkmal angesehen werden, wenn zum Euergetismus auch die Leistungen an die Allgemeinheit gezählt werden, die von Amts wegen, aber ebenfalls aus eigener Tasche erfolgen.
1.5 Die Atmosphäre des Austausches Damit ein gelingendes Austauschverhältnis im oben beschriebenen Sinne zustande kam und in Form einer persönlichen Beziehung mehr oder weniger dauerhaft aufrechterhalten wurde, bedurfte es nicht zuletzt eines Rahmens atmosphärischer Stimmigkeit. Die u. a. für Patronage-Verhältnisse eingespannte Freundschaftssemantik ist dafür bezeichnend. Das Zusammenspiel von Ehrbewusstsein, damit verbundener Sorge um Reputation und dem Verlangen nach handfesten politischen oder wirtschaftlichen Profiten lässt sich kaum auf eine Funktionsformel bringen, vor deren Klammer ein utilitaristisches oder idealistisches Vorzeichen zu setzen wäre.112 Die legitime, ja unverzichtbare Frage nach der Funktionalität von Austauschverhältnissen muss von den antiken Vorstellungen mitsamt ihrer jeweiligen Grundierung ausgehen und darf diese – sei sie normativ, moralisierend, spöttisch-kritisch oder pragmatisch – nicht aus ihrer Darstellung herauskürzen. Ehre und Einfluss, auch persönlicher Profit, sind beim paradigmatisch wohltätigen Mann (vir bonus bzw. !mµq !cah|r) untrennbar verbunden: The “good man” was gratus, fidus and liberalis / benignus. Whoever proved himself ingratus or infidus hurt his existimatio and thereby his social position. The consequences were not only psychological. A reputation for illiberalitas, ingratia or infidelitas made someone a less interesting partner in […] [whom, M.A.] to “invest” beneficia.113
Die Investitionsmetapher ist dabei keineswegs eine modern herangetragene Deutung, wie u. a. die semantische Untersuchung der Sprache Ciceros und Senecas erkennen lässt. Ein Schlüsselbegriff nicht nur zur Bezeichnung des Gegenstands von Wohltaten, sondern auch des Dankes und Wohlwollens ist w\qir bzw. gratia.114 James Harrison stellt für die semantische Verortung von 112 Im Rückgriff auf Pierre Bourdieu beschreibt Phoebe L. Bowditch das gratia-Verhältnis zwischen zwei Austauschpartnern grundsätzlich als eines, in dem ökonomische Eigeninteressen mystifizierend verschleiert würden. „By conceiling economic self-interest in this way, a donor more effectively accrues the symbolic capital of credit from which he may draw at a later time of need“ (dies., Horace 54). Hinsichtlich des Patron-Klientenverhältnisses, bei dem ökonomisch von dauerhafter Asymmetrie auszugehen ist, trifft diese Deutung jedoch wohl eher nicht zu. 113 K. Verboven, Economy 46. 114 Vgl. H. Bolkestein, Wohltätigkeit 156–170. Zur Verwendung von gratia in den Schriften Senecas vgl. M.B. Roller, Autocracy 78. Kürzlich hat John Barclay in Bezug auf w\qir als
Die Atmosphäre des Austausches
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w\qir im kulturellen Umfeld des Neuen Testaments klar, „the dominant use of the word was subsumed under the ethos of reciprocity“.115 Drei Hauptbedeutungen lassen sich in diesem Zusammenhang ausmachen: 1. Das Erfreuliche, der Reiz, die Anmut, nicht nur von Personen, sondern etwa auch von der Rede, vom Kunstwerk, vom Essen oder vom Leben ausgesagt. 2. Die Gunst a. als Gesinnung b. konkret als Gunsterweis, Gabe. […] 3. Der darauf antwortende Dank. Die Wohltat wird zu einem Depositum, das der Empfänger dem Geber „schuldet“ (ave_keim) und als Dank „zurückgibt“ (!podid|mai, !pol]meim).116
In der zweiten Bedeutung als konkrete Wohltat ist w\qir als allgemeinere Version von eqeqces_a anzusehen.117 Die in diesen Termini ausgedrückte Austauschmentalität war eine dominante Kategorie zur Beschreibung von Familien- und Freundschaftsverhältnissen sowie solchen zwischen Mensch und Gottheit.118 In letztgenanntem Verhältnis sieht Burkert eine menschheitsgeschichtliche Entwicklung, die, ausgehend von Gaben und Opfern an Tote und Götter aus schierer Angst und somit ohne Berechnung, hin zu einer Bewältigung der Panik durch eingespielte Gegenseitigkeitsrituale fortschreitet.119 Diese Beziehung ist in der Antike dem Bereich der generellen Reziprozität zuzuordnen, also von Asymmetrie geprägt. Plato und Aristoteles ist klar, dass menschlicherseits Symmetrie zu erstreben lächerlich wäre, es ihm vielmehr zukommt, sich um eine adäquate Erwiderung der göttlichen Gaben redlich zu mühen.120 Crook hält für das hier zu untersuchende kulturelle Umfeld fest:
115
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Gabe sechs Hauptaspekte herausgearbeitet: „In relation to the gift, one may perfect its superabundance in scale and permanence. In relation to the giver, one might perfect its singularity of benevolence (that the giver is characterized by this, and this alone). Concerning the manner of giving, the priority might be perfected, where its timing signals its freedom and generosity. Regarding the choice of recipient, a perfect gift may be said to bear no relation to the worthiness of its recipient; it is therefore celebrated in its unconditionality or incongruity. In terms of its effect, one may speak of the efficacy of the gift, its perfect achievement of its ends. And finally, as Derrida shows, the gift may be considered most ‘pure’ in its non-circularity, its escape from recompense or reciprocation“ (ders., Paul 69; Hervorhebung im Original). J.R. Harrison, Paul 63; vgl. auch D. Zeller, Charis 13–26. Zur Verwendung bei Lk vgl. M. Cambe, La Charis chez Saint Luc: Remarques sur quelque Textes, notamment le Kecharitomene, in: RB 70,2 (1963) 193–207; J. Nolland, Luke’s Use of CHARIS, in: NTS 32 (1986) 614–620; ders., Grace as Power, in: NT 28,4 (1986) 26–31. D. Zeller, Charis 13 f; vgl. auch Z.A. Crook, Conversion 133 f. Vgl. Z.A. Crook, Conversion 134. „W\qir ist terminus technicus für die menschliche Gegenleistung bei Wohltaten in der hellenistischen Literatur: vgl. W\qim !podid|mai (Xen. mem. II,2,1.2) oder b dq\sar tµm w\qim (Thuc. II,40,4)“ (G. Theissen, Gewaltverzicht 167). Vgl. R.P. Saller, Patronage 23. Vgl. W. Burkert, Kulte 186. Vgl. J. Marshall, Jesus 31.
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The entire system of human patronage and benefaction, from acts of benefaction on the part of patrons to the obligations of clients and the role of brokers, is mirrored in (or is a mirror of) divine patronage and benefaction.121
Menschen wie Gottheiten werden für ihre Segnungen Ehrenbezeugungen und Loyalitätsbekundungen zuteil. Dabei wurde zuweilen die Frage aufgeworfen, ob die von menschlicher Seite in den Austausch eingebrachten Gaben den Göttern irgendwie von Nutzen waren.122 Verbreiteter als die Nutzensemantik war aber die Vorstellung von w\qir bzw. gratia: Danach war der Umgang mit dem Göttlichen durch ein charmantes Werben um Zuwendung geprägt, etwa durch Darbietung von Wohlklängen (Hymnen) oder Wohlgerüchen (Weihrauch oder Opferfleisch). Bei dem Streben danach, beneficia richtig zu erweisen und in Empfang zu nehmen, sieht Seneca menschliches und göttliches Handeln im Idealfall auf einem Kontinuum: Die imitatio dei, die sich v. a. in der Gabe trotz Undanks ausdrückt, verschafft dem Menschen Anteil am Göttlichen.123 Die Vorstellung, dass die Güter des Menschen sich göttlicher Schenkung verdanken und deswegen zur Weitergabe verpflichten, ist besonders im Begriff des !cah|m eingeschlossen, der u. a. inschriftlich als Wohltat oder Charaktereigenschaft des guten, weil wohltätigen Menschen vorkommt. Das Verständnis von !cah\ als Wohltaten wirkt sich auf die Lesart lukanischer Texte aus, in denen sie im Kontext der Versorgung von Hungernden oder des Anlegens in Scheunen stehen (vgl. Lk 1,53; 12,19).124
1.6 Jüdische Stimmen Die Sicht auf das Frühjudentum der Zeit des zweiten Tempels und danach hat sich seit einiger Zeit in der Forschung gewandelt. Gegenüber einer vereinheitlichenden Betrachtungsweise wird zunehmend einer „amalgamation of Judaisms“125 Rechnung getragen. Diese Judentümer sind ihrerseits nicht als monadische Entitäten ohne kulturellen Austausch mit ihrer (hellenistischen) 121 Z.A. Crook, Conversion 76. Die Frage, welcher Bereich den anderen kulturell begründet hat, wird offen gelassen; zum Patronageverhältnis zwischen Mensch und Gottheit vgl. auch J.H. Neyrey, God, Benefactor and Patron: The Major Cultural Model for Interpreting the Deity in Graeco-Roman Antiquity, in: JSNT 27,4 (2005) 471–483. 122 Vgl. dazu im griechischen Kontext R. Parker, Pleasing Thighs: Reciprocity in Greek Religion, in: C.N.R. Gill (Hg.), Reciprocity in Ancient Greece, Oxford 1998, 105–125. 123 Vgl. Sen., Ben I 1,9; 7,3,1. 124 Näheres siehe Kap. 7 und 8. 125 S. Sorek, Remembered 5. Kürzlich hat John Barclay die Einstellung zu (göttlicher) Gabe und sozialem Austausch in unterschiedlichen Äußerungen des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels untersucht. Dabei berücksichtigt er das Buch der Weisheit, Philo von Alexandrien, die Qumran-Hodayot, den Liber Antiquitatum Biblicarum des Pseudo-Philo und 4 Esra (vgl. ders., Paul 194–328).
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Umwelt aufzufassen.126 So ist mit Stefan Schreiber „einer wissenschaftshermeneutischen Diastase entgegenzutreten, die den alttestamentlich-jüdischen bzw. hellenistisch-römischen Hintergrund als Alternativen der Auslegung betrachtet“127. Seth Schwartz stellt im Titel seiner 2010 erschienenen Monografie die Frage: „Were the Jews a mediterranean society?“128 und untersucht diese anhand des jüdischen Verhältnisses zur Reziprozität. Schwartz arbeitet diesbezügliche Strategien von Adaption, Integration oder Abgrenzung in Jesus Sirach, bei Flavius Josephus und im rabbinischen Schrifttum heraus und zeigt enge Verwobenheiten mit diesem Ethos auf.129 Dass sich gerade an den Auffassungen vom sozialen Austausch auch der kulturelle ablesen lässt, zeigt sich schon im Vokabular der ersten beiden Makkabäerbücher: In die Texte, die sich explizit am Thema kultureller Vermischungsgefahren abarbeiten, ist reichlich hellenistisches Reziprozitätsvokabular eingesickert. Paradoxerweise ist es u. a. an den Stellen zu finden, in denen das Verhalten jüdischer Eliten beschrieben wird, die sich gerade gegen Hellenisierung stemmen. So wird z. B. der gesetzestreue Hohepriester Onias als eqeqc]tgr und jgdgl~m bezeichnet (2 Makk 4,2), ja Gott selbst wird das Verb eqeqcet]y zugeordnet (2 Makk 10,38). An anderer Stelle wird gerade der griechische König Demetrius dafür kritisiert, dass er die von einem Juden erhaltene Gefälligkeit mit Gewalt erwidert, also nicht im Sinne des Reziprozitätsethos reagiert (vgl. 1 Makk 11,53).130 Dem Wohlwollen eumoia der Skythopoliten hingegen begegnen die Juden, indem sie sich dankbar zeigen (eqwaqist^samter; 2 Makk 12,30 f) – Begriffe aus dem Wortfeld, mit dem die Atmosphäre des Wohltatenaustausches beschrieben wird. Diese werden aufgegriffen und gegen ihre Trägerkultur gerichtet.131 Auch die theoretische Reflexion von Reziprozitätsmechanismen wird von jüdischen Schriftstellern mitgestaltet, Philo nennt unter drei idealen Herrschaftsprinzipien neben Würde und Schrecklichkeit auch eqeqces_a – hier im allgemeinen Sinne als Wohltätigkeit aufzufassen.132 In seiner Kritik daran, dass gewisse Menschen nur eine Gunst erweisen, um selbst eine Gegengabe zu erlangen (fgtoOmter w\qitor !p|dosim; Cher 122), „wiederholt er nur einen
126 Gegen eine Entgegensetzung von Judentum und hellenistischer Welt bzw. der griechischrömischen Mittelmeerkultur vgl. zuletzt S. Weitzman, Exchanges 510 f. 127 S. Schreiber, Weihnachtspolitik 23. 128 S. Schwartz, Jews. 129 Mit dem rabbinischen Verhältnis zu „Reziprozität“ beschäftigt sich bereits B. Ego, Maß. Mit dem Begriff ist hier jedoch ein allgemeines Vergeltungsdenken mit Bezug auf Gerechtigkeit verknüpft, eine Anbindung an oben beschriebene Diskurse einer griechisch-römischen Austauschmentalität erfolgt nicht. 130 Vgl. S. Weitzman, Exchanges 502. 131 Zum Gabevokabular im Hebräischen und dessen griechischer Übertragung vgl. J.M.G. Barclay, Paul 579–581. 132 Philo., Praem Poen 97.
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Topos antiker Moralphilosophie“133. Auch das jüdische Gottesverhältnis kann in dieser Begrifflichkeit dargestellt werden: While the Israelites did not have a social structure of patronage and benefaction, they did know their God to be a profoundly generous giver of all things. It seems that when some Septuagint writers, and then Josephus and Philo especially, looked to the language and imagery that the Greeks and Romans used to talk about their gods, these Jews recognised all the traits. The Graeco-Roman vocabulary then struck them as fitting, not as novel.134
Ein jüdisches Wohltätigkeitssystem in der Zeit des zweiten Tempels in Palästina sowie in der rabbinischen Folgezeit ist von Susan Sorek dargestellt worden. Sie prägt dafür in Anlehnung an 7E;/hæsæd den Begriff „hesedism“135. Die Wiedergabe von 7E;/hæsæd in der˙ LXX erfolgt zumeist mit ˙ Jes 57,1 mit w\qir. Hæsæd habe dabei 5keor-Vokabular, lediglich in Est 2,9 und ˙ eine kaum ins Griechische zu übertragende hebräische Grundierung und ziele nicht auf den Status der beteiligten Interaktionsparteien, sondern auf den wohltätigen Akt an sich.136 Der von Sorek veranschlagte Chesedismus sei ausgerichtet auf die Vermeidung von zwischenmenschlichen Abhängigkeitsverhältnissen und den Einschluss von Arm und Reich in den Reziprozitätskreislauf.137 Gott wird als alleiniger Wohltäter verstanden: „In keeping with the ideology of hesedism, God is the benefactor, and all material things must be returned, in order to be ‘remembered for good’ by him.“138 Die Motivation zur heæsæd liege zunächst in dieser selbst, da sie den Menschen über sein Handeln ˙mit Gott verbinde. Die Lohnerwartung liege zudem in der memoria des menschlichen Wohltäters, nicht in seiner Statuserhöhung, so Sorek. In drei signifikanten Punkten unterscheide sich der Hæsædismus vom Euergetismus griechisch-römischer Prägung, nämlich (1) in˙der Betonung von Frömmigkeit und guten Taten, (2) in der Lohnperspektive in Form von Erinnerung bei Gott, einer nicht zuletzt aufs Jenseits gerichteten Sicht, und (3) in der egalitären Perspektive in Bezug auf den Austausch.139 Allen drei Punkten muss jedoch grundsätzlich widersprochen werden: Zu (1) schreibt Sorek, „all benefactions should encompass a degree of piety, something irrelevant in the GraecoRoman system“140, und ignoriert damit nicht nur das Motiv der imitatio dei, das den Dreh- und Angelpunkt im Wohltätigkeitskonzept Senecas bildet, sondern auch die ubiquitäre Hervorhebung der eqs]beia städtischer Wohltäter: Frömmigkeit ist eine eng mit der Gewährung von Wohltaten in Ver133 134 135 136 137 138 139 140
D. Zeller, Charis 21. Z. A. Crook, Conversion 88. S. Sorek, Remembered 18. Vgl. S. Sorek, Remembered 190–194. Vgl. S. Sorek, Remembered 188 f. S. Sorek, Remembered 260. Vgl. S. Sorek, Remembered 257–262. S. Sorek, Remembered 257.
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bindung gebrachte Tugend, in dem Begriff des !cah|m selbst zeigt sich etwa noch die göttliche Herkunft und gottgemäße Weitergabe guter Dinge.141 Zu (2): Auch für den Euergetismus kann lm^lg/memoria implizit oder explizit als Triebfeder fungieren, was nicht nur die Errichtung von Grabmälern durch städtische Honoratioren oder auf Kosten der Stadt zu ihren Ehren zeigt: John Ma betont, dass etwa in Kleinasien viele Formeln auf Grabstelen in Kleinasien durch solche auf Ehreninschriften beeinflusst sind. Daraus schließt er, dass „the private funerary stele is converted into a manner of honorific monument“142. Im Zusammenhang mit Stiftungen gilt das Attribut aQ~mior als Ehrentitel für den Spender und als „der typische Ausdruck für die Stiftung, deren Bestand ja auf die Ewigkeit abzielt“143. Der Verlust der Erinnerung wird perhorresziert.144 Zu (3): Die egalitäre Ausrichtung kann ebenfalls nicht als Alleinstellungsmerkmal eines jüdischen Chesedismus geltend gemacht werden, rekurriert der griechische Euergetismus doch allzu deutlich auf ein Ethos der Gleichheit unter den Polis-Bürgern (siehe oben). Der Druck auf die Honoratioren, sich für das Allgemeinwohl zu engagieren, setzt ein Selbstverständnis ziviler Ebenbürtigkeit voraus.145 Kurz: Die Behauptung eines Chesedismus, der als positives Gegenstück zum griechisch-römischen Wohltätigkeitssystem entwickelt wird, ist mit diesen Argumenten nicht haltbar.146 141 Siehe dazu ausführlich Kap. 8.3. Joannis Mylonopoulos schreibt im Kontext von Ehrungen für Priester, „being honoured for one’s piety was never a priestly privilege, since one of the most common reasons for honours addressed to citizens was, in fact, their piety“ (ders., Service 141); siehe darüber hinaus die Kontextualisierung des !mµq eqseb^r in Kap. 6.4. Dion von Prusa sagt über den idealen Herrscher: „Tugend hält er für Frömmigkeit (bsi|tgta), das Laster für lauter Gottlosigkeit (p÷sam !s]beiam)“ Or III 53). Als eqs]beia wird in Ehreninschriften die Durchführung von Opfern als vorzügliche Leistung des Belobigten angesehen, zudem unter Verwendung von fsior bzw. bs_yr zur Würdigung einer vorbildlichen Amtsführung (vgl. z. B. IPerg II 410,6; 49 v. Chr.) Vgl. zudem A. Standhartinger, Eusebeia in den Pastoralbriefen. Ein Beitrag zum Einfluss römischen Denkens auf das entstehende Christentum, in: NT 48,1 (2006) 51–82. 142 J. Ma, Statues 51; Hervorhebung im Original; vgl. auch 176 f; 238 f; 271 f; 299 f; 305. 143 B. Laum, Stiftungen 48. 144 Vgl. Plut., Praec Ger Reip 820; Dio Chrys., Or XXXI, wo der Redner die Rhodier dafür heftig kritisiert, dass sie die Ehreninschriften unter den Statuen der Geehrten austauschen, um Geld zu sparen, und so verdiente Bürger in Vergessenheit geraten lassen: „Fürwahr, dass es – die Pflichten gegenüber den Göttern gegenüber ausgenommen, denn sie müssen an die erste Stelle gesetzt werden – im übrigen nichts Schöneres und Gerechteres gibt, als die tüchtigen Männer in Ehren zu halten und die Wohltäter nicht aus dem Gedächtnis schwinden zu lassen, darüber glaube ich kein Wort verlieren zu müssen“ (Or XXXI 7). 145 Besonders stark – zugegeben zu stark – gemacht wird dieser Gedanke von J. Bartels, Eliten; siehe Kap. 1.4. Es geht um ein lebendiges Leitbild, nicht um die Beschreibung realer Machtverhältnisse. Dass die Oligarchisierung der Polis zum spannungsgeladenen Problem wird, hat seine Gründe auch im Vorhandensein dieses bürgerlich verwurzelten Gleichheitsethos. Um dieser Spannungen Herr zu werden, waren die Eliten gezwungen, den Bürgerstatus ihrer städtischen Mitbewohner durch sichtbare Zuwendungen anzuerkennen (vgl. A. Zuiderhoek, Politics 153). 146 Soreks Euergetismus-Konzeption basiert im Wesentlichen auf einer unkritischen Übernahme der Positionen Veynes (vgl. S. Sorek, Remembered 23–32), wobei zwischen Kategorien wie
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Soreks zweites Argument zur Abgrenzung, demzufolge die gleichberechtigte Ausrichtung der jüdischen Austauschmentalität gegen den Euergetismus (oder was von ihr als solcher definiert wird) ausgespielt werden soll, findet sich in ähnlicher Form auch bei Schwartz, der meint: „The tension between egalitarian solidarity and competitive reciprocity was a structural feature of the local Jewish religious community, wherever and whenever it appeared.“147 Ungleichheit und Wettbewerb werden dabei als austauschbare und wesentliche Attribute von Reziprozität identifiziert; die Konsequenz auf gesellschaftlicher Ebene seien Ausbeutung und Ungerechtigkeit.148 Reziprozitätsbasierte Abhängigkeitsverhältnisse seien in der Torah hingegen nur auf Gott hin orientiert, im zwischenmenschlichen Bereich würde Solidarität, nicht zuletzt mit den Armen und Schwachen propagiert. Die Spannung zeige sich in denjenigen jüdischen Texten, die sich mit beiden Mentalitäten auseinanderzusetzen hatten.149 Auch wenn Schwartz seine Reziprozitätsdefinition auf einer etwas breiteren Grundlage entwickelt als Sorek, scheint der Gegensatz zwischen egalitär und kompetitiv konstruiert.150 Das Gleichheitsethos der Polis etwa schloss den Wettbewerb der Eliten keineswegs aus. Doch auch die bei Schwartz anklingende Behauptung, es gebe jenseits konkreter Ausdrucksformen eine der Reziprozität gleichsam wesenhaft innewohnende Tendenz zu zerstörerischem Wettbewerb, ist zu hinterfragen: Die Sublimierung des Agonalen ist nicht erst in der Kaiserzeit, dann aber sicher literarisch nachweisbar, m.a.W.: Seneca schreibt nicht über Potlatsch! In De Beneficiis wird die WettbewerbsSemantik auf geistig-moralische Vortrefflichkeit hin transformiert, worin philosophische Gleichheitspotentiale bis hin zu einer Relativierung des Sklavenstatus begründet sind.151 Dieser Transformationsprozesses ließe sich bis zur Einführung der musischen Agone und weiter zurückverfolgen – hier mit Mauss’schen Vorstellungen von Konsum und Gütervernichtung zu argumentieren, ist kulturell jedenfalls nicht angemessen.152 Auf einem anderen Blatt steht die jüdischerseits vielfache Thematisierung des göttlichen Lohnes für Almosen an Armen. Die Verbindung einer Orientierung an Armen und Benachteiligten mit einer Reziprozitätserwartung für gegebene Güter führte zu dem Gedanken, dass anstelle des Armen Gott dem barmherzigen Almosengeber vergälte (vgl. etwa Spr 19,17). Im Diaspora-Judentum kann sich dieses Verständnis spiritualisieren: „As a matter of fact, taking care of the needs of the destitute is
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Euergetismus und Patronage nicht differenziert wird, was sich an Sätzen zeigt wie: „To put it in euergetistic terminology, God was the patron and humans were his clients“ (S. Sorek, Remembered 256). S. Schwartz, Jews 166. Vgl. S. Schwartz, Jews 9; 16. Vgl. S. Schwartz, Jews 167 f. Zu Schwartz’ Reziprozitätskonzeption vgl. ders., Jews 7–13. Zur Sublimierung des Agonalen bei Seneca vgl. Ben V 2–5; zur Relativierung von Standesgrenzen am Beispiel der Wohltaten durch Sklaven vgl. III 18–28 (siehe Kap. 4.2). Vgl. S. Schwartz, Jews 17.
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considered as such a big benefit, that God replicates the benefactor with the most precious gift he himself possesses, namely salvation.“153
Steven Weitzman äußert sich ebenfalls kritisch gegenüber Schwartz’ Darstellung der griechisch-römischen Austauschmentalität sowie dessen Annahme, dass das Judentum dazu in einer konstanten Spannung gestanden habe. Als Gewährsmann dient ihm v. a. Philo, der ebenso wie die von Schwartz untersuchten Autoren einen Beitrag zum Torah-Verständnis seiner Zeit leiste. Philos Verhältnis zur Herrscherverehrung, wie Legatio ad Gaium oder In Flaccum zeigen, schlägt Weitzman griechisch-römischer Denktradition zu: The existence of such an attitude within Roman tradition meant that a Jew like Philo could plausibly argue even from a Greek or Roman perspective that the Jews’ refusal to erect statues in honor of the emperor did not really matter so long as they felt grateful to him.154
Dieser Anspruch Philos auf tatsächliche Liebe gegenüber dem Kaiser (vgl. Leg Gai 280) stehe im Einklang mit den Forderungen einer selbstlosen Wohltätigkeit, wie sie etwa von Seneca in De Beneficiis erhoben werden. Zurecht macht Weitzman geltend, dass die griechisch-römische Austauschmentalität selbstloses Geben idealisiere.155 Sie zum hässlichen Gegenbild einer dadurch umso schöner leuchtenden jüdischen Solidaritätseinstellung zu machen, wird vielen Aspekten paganer Reziprozität nicht gerecht.156 Bzgl. des von Sorek, Schwartz und Weitzman fokussierten Euergetismus ist eher von bestimmten jüdischen Akzentsetzungen auszugehen: Die Verehrung von Wohltätern durch Bilder, Statuen etc. wurde offenbar abgelehnt (vgl. etwa Jos., Ap 2,74 f), was Philo aber nicht davon abhält, ein begeistertes Herrscherenkomion auf Augustus zu verfassen (vgl. Leg Gai 143–147).157 Ohnehin scheinen eher hörbare als sichtbare Ehrungen jüdischerseits im Vordergrund zu stehen: Was in Bezug auf Gott gilt, nämlich Dank in erster Linie durch hymnischen Lobpreis auszudrücken (vgl. Philo, Vit Mos II 256; Jos., Ant VIII 111), könnte auch die Art des Umgangs mit menschlichen Wohltätern geprägt haben, wie Weitzman für die Stadt Jerusalem andeutet: 153 S. Joubert, Paul 97, mit Verweis auf Tob 4,10 f; 12,9 u. a. 154 S. Weitzman, Exchanges 501; Hervorhebung im Original. 155 Vgl. S. Weitzman, Exchanges 504 f, mit Verweis auf Sen., Ben II 31,2. Unterstrichen wird dieser Gedanke u. a. von Plutarch, der in Bezug auf Ehrungen durch die Stadt mahnt, dass diese nicht als lish|r für vorherige Leistungen angesehen werden sollten (vgl. Praec Ger Reip 819–820). 156 Vgl. S. Weitzman, Exchanges 509 f. 157 Auf die Situationsbedingtheit des Textes und darauf, dass Philo sich andernorts auch positiv zur Demokratie äußern kann (vgl. Abr 242; Deus Imm 176), wies mich dankenswerterweise Daniel Lanzinger hin. Bzgl. des Unterschieds zwischen jüdischer und griechisch-römischer Wohltätigkeit macht Stephan Joubert geltend: „The notion of the noble individual, who was engaged in collective undertakings for the common good of his fellow citizens, typical of the Greek world, did not feature prominently within Jewish society“ (ders., Paul 97).
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If the Jews of Jerusalem did in fact prefer to honor benefactors with oral praise rather than inscriptional commemoration, that preference may have distinguished them from other cities and peoples, but it can still be understood within a Mediterranean ethos provided that our understanding of that ethos includes not just the conventional honoring of benefactors but deviations from convention to honor benefactors considered too great to be honored in the usual ways.158
Wichtig ist die Frage, inwiefern Diaspora-Juden an Formen des städtischen Euergetismus partizipierten, sowohl im Handeln nach außen als auch innerhalb der Community. Um das zu untersuchen, hat Tessa Rajak insgesamt knapp einhundert griechische und römische Inschriften außerhalb Palästinas ausgewertet und kommt zu dem Ergebnis: „Jews in the cities were not outside the framework of euergetism.“159 Aufgrund des epigraphischen Befundes scheint es, als habe man sich an das von Josephus kolportierte Verbot gehalten, Wohltäter mit Statuen zu ehren – zumindest sei das Gegenteil nicht explizit erwähnt worden.160 Andererseits wurden unbefangen Ehrungen bezeigt, wie sie im städtischen Mainstream üblich waren: Eine Frau namens Tation aus der ionischen Kolonie Phokäa etwa wurde von den dortigen Juden mit Goldkrone und Ehrensitz (pqoedq_a) geehrt, weil sie für deren Synagoge einen Versammlungsraum und einen Hof gestiftet hatte (vgl. CIL II 738).161 Dass die jüdischen Auszeichnungen generell vergleichsweise moderat ausfielen, „can tell us more about the economic status of Jewish communities than about their values and beliefs“162. Zusammenfassend vergleicht Rajak das Verhältnis der Diaspora-Juden zum Euergetismus mit einem neuen Dialekt einer vertrauten Sprache.163 Es bleibt festzuhalten: Die Lukastexte partizipieren an griechisch-römischen wie jüdischen Kulturbeständen, beide sind aber nicht in Gegensatz zueinander zu bringen. Auch hinsichtlich der Reziprozitätsauffassung gibt es Auseinandersetzungen, etwa in Form von selektiver Adaption, Abgrenzung, adaptiver Abgrenzung (siehe Makkabäer) oder reflektierter Weiterentwicklung (Philo, Josephus). Diese Prägungen sind bei der Erforschung der intertextuellen Verwobenheit der lukanischen Schriften in Betracht zu ziehen: Die vielfachen Septuagintismen etwa müssen keinen Widerspruch zur Verarbeitung griechisch-römischen Gedankengutes darstellen.
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S. Weitzman, Exchanges 509. T. Rajak, Benefactors 388. Vgl. T. Rajak, Benefactors 381–383. Ob Tation selbst jüdisch war, ist umstritten, nach Rajak aber keineswegs ausgeschlossen (vgl. dies., Benefactors 384). 162 T. Rajak, Benefactors 385. 163 Vgl. T. Rajak, Benefactors 389.
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1.7 Reziprozität im Neuen Testament 1.7.1 Forschungsstand und -desiderat Reziprozität im sozio-ökonomischen Sinne mit neutestamentlichen Texten in Verbindung zu bringen, ist in größerem Umfang mit Blick auf das Corpus Paulinum unternommen worden.164 Dabei spielt das mit w\qir-Vokabular verbundene Bedeutungsfeld eine wichtige Rolle, wie auch in der jüngst von John Barclay vorgelegten umfangreichen Monografie über die Gabe bei Paulus. U. a. wird das paulinische Verständnis vor dem Hintergrund der Bedeutungsverschiebungen in einer verzweigten gnadentheologischen Wirkungsgeschichte profiliert.165 Dem Thema „Geben und Nehmen“ hat sich kürzlich zudem das Jahrbuch für Biblische Theologie gewidmet, wobei die neutestamentlichen Beiträge eher semantisch als sozialgeschichtlich ansetzen.166 Konkrete kulturelle Ausprägungen der Reziprozität wie Patronage oder Eu-
164 Bibliographie ohne Anspruch auf Vollständigkeit: F.W. Danker, Jesus; D. Zeller, Charis; J.K. Chow, Patronage and Power: a Study on Social Networks in Corinth (JSNTS 75), Sheffield 1992; H. Hendrix, Benefactor/Patronage Networks in the Urban Environment: Evidence from Thessalonica, in: Semeia 56 (1992) 39–58; D.A. DeSilva, Despising Shame. Honor Discourse and Community Maintenance in the Epistle to the Hebrews (SBLDS 152), Atlanta (GA) 1996; I.H. Marshall, Salvation, Grace and Works in the Later Writings in the Pauline Corpus, in: NTS 42,3 (1996) 339–358; R.A. Horsley, Paul and Empire, Harrisburg (PA) 1997; G.W. Petermann, Paul’s Gift from Philippi. Conventions of Gift-Exchange and Christian Giving (MSSNTS 92) 1997; S. Joubert, Paul; G. Kirner, Apostolat und Patronage. (I) Methodischer Teil und Forschungsdiskussion, in: ZAC 6 (2002) 3–37; ders., Apostolat und Patronage (II). Darstellungsteil: Weisheit, Rhetorik und Ruhm im Konflikt um die apostolische Praxis des Paulus in der frühchristlichen Gemeinde Korinth (1 Kor 1–4 u. 9; 2 Kor 10–13), in: ZAC 7 (2003) 27–72; J.R. Harrison, Paul; ders., The Brothers as the “Glory of Christ” (2 Cor 8:23). Paul’s Doxa Terminology in Its Ancient Benefaction Context, in: NT 52,2 (2010) 156–188; Z.A. Crook, Conversion; T. Engberg-Pedersen, Gift-Giving and Friendship: Seneca and Paul in Romans 1–8 on the Logic of God’s W\qir and Its Human Response, in: HTR 101,1 (2008) 15–44; D. Briones, Mutual Brokers of Grace: A Study in 2 Corinthians 1.3–11, in: NTS 56,4 (2010) 536–556; T.R. Blanton, Benefactor; J. Rice, Paul and Patronage. The Dynamics of Power in 1 Corinthians, Eugene (OR) 2013. Mit Blick auf Röm 16,2 hat Erlend MacGillivray vor einiger Zeit zurecht dafür plädiert, die Auseinandersetzung mit Reziprozität im NT über das PatronKlienten-Verhältnis hinaus auszuweiten (vgl. ders., Romans 16:2, pqost\tir/pqost\tgr, and the Application of Reciprocal Relationships to New Testament Texts, in: NT 53,2 (2011) 183–199). 165 Vgl. J.M.G. Barclay, Paul. 166 M. Ebner (Hg.), Geben und Nehmen (JBTh 27), Neukirchen-Vluyn 2013; vgl. weiter G. Stansell, Gabe und Reziprozität. Zur Dynamik von Gaben in den synoptischen Evangelien, in: W. Stegemann/B. Malina/G. Theißen (Hg.), Jesus in neuen Kontexten, Stuttgart 2002, 185–196; zudem, auch mit Blick auf die frühchristliche Wirkungsgeschichte A.B. Wheatley, Patronage in Early Christianity. Its Use and Transformation from Jesus to Paul of Samosata (Princeton Theological Monograph Series 159), Eugene (OR) 2011.
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ergetismus kommen stärker in den Blick bei entsprechenden Untersuchungen zu Jak, 2 Petr, 3 Joh oder dem Neuen Testament im Allgemeinen.167 Auch die Lukasforschung hat sich des Themenkomplexes Reziprozität mit ihrem Niederschlag in Patronage und Euergetismus angenommen. Zuvorderst zu nennen sind hier die Arbeiten Frederick W. Dankers, der 1982 mit „Benefactor“ eine umfangreiche und hilfreiche Materialsammlung epigraphischer Quellen zeitgenössischer Wohltätigkeit zusammengestellt und im Hinblick auf neutestamentliche Texte kommentiert hat.168 In der Verknüpfung mit den Lukas-Texten werden zum einen Jesus als Retter (syt^q) gemäß Lk 2,11 Qualitäten eines idealen Wohltäters zugeschrieben, zum anderen die Jünger als seine Co-Wohltäter dargestellt.169 An anderer Stelle wiederum wird Jesus selbst als Wohltat Gottes, des obersten Wohltäters aufgefasst,170 so dass es in Summe zu vielfach verwirrenden Bezugnahmen auf diverse Motive aus dem Sortiment griechisch-römischer Reziprozität kommt, deren Verknüpfung mit den lukanischen Texten oft nicht ausreichend plausibilisiert wird. Halvor Moxnes hat wirtschaftsgeschichtliche und sozialwissenschaftliche Reziprozitätskonzeptionen aufgegriffen, um sie mit den Texten des lukanischen Doppelwerkes in Verbindung zu bringen.171 Er sieht eine Kritik am Verhalten der reichen Eliten am Werk, die den an sie herangetragenen Erwartungen nach Maßgabe klassischer Reziprozitätsnormen nicht gerecht werden. Die Darstellung des Umgangs von Reichen mit den je von ihnen Abhängigen, etwa in Erzählungen des lukanischen Sondergutes, trage Züge zeitgenössischer Patronage-Verhältnisse. Deren Definition, basierend auf sozialwissenschaftlichen Modellen Sallers und anderer, fällt noch recht weit aus.172 Es mangelt an 167 Zum Jak vgl. N.J. Vyhmeister, The Rich Man in James 2: Does Ancient Patronage illumine the Text?, in: AUSS 33,2 (1995) 265–283; J.S. Kloppenborg, Patronage Avoidance in James, in: HTS 55,4 (1999) 755–794; A. Batten, God in the Letter of James: Patron or Benefactor? Paper Presented at the Annual Meeting of the Society of Biblical Literature, in: NTS 50,2 (2002) 257–272; 2 Petr: T. Callan, Acknowledging the Divine Benefactor. The Second Letter of Peter, Eugene (OR) 2014; 3 Joh: I. Lorencin, Hospitality versus Patronage: an Investigation of Social Dynamics in the Third Epistle of John, in: AUSS 46,2 (2008) 165–174; Mt: C.G. M ller, Bitten und Beten im NT und seiner Umwelt: Martial und Matthäus im Vergleich, in: NTS 49,1 (2003) 1–21. In dem Buchkapitel „Patronage and Grace in The New Testament“ widmet sich D.A. deSilva Reziprozitätsformen in den synoptischen Evangelien wie in der ntl. Briefliteratur (vgl. ders., Honor 121–156. 168 Vgl. F.W. Danker, Benefactor. 169 Vgl. F.W. Danker, Luke 6–12. Der syt^q-Titel ist jüngst von Torsten Jantsch im antiken Reziprozitätsdenken verankert worden (vgl. ders., Jesus). 170 Vgl. F.W. Danker, Luke 32. 171 Vgl. H. Moxnes, Economy; ders., Context; ders., Patron. 172 Vgl. H. Moxnes, Patron 242–250. Moxnes’ Einordnung von Patron-Klienten-Verhältnissen scheint sich dabei gewandelt zu haben: In „The Economy of the Kingdom (1988)“ ordnet er diese, in Anwendung des Modells von K. Polanyi, noch dem städtisch verorteten Bereich der Redistribution zu, im Gegensatz zu Reziprozität auf dem Lande (vgl. ders., Economy 49). In o.g. Ausführungen wird diese Zuordnung nicht mehr so klar vorgenommen. Der von Danker und Moxnes für Lukas ins Spiel gebrachte Reziprozitätsansatz wurde von Green in dessen Kommentar aufgenommen (vgl. ders., Lk 202 f).
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stärker quellenorientierten Differenzierungen zwischen den Phänomenen Patronage und Euergetismus, sodass die Terminologie von Patron und Klienten aus heutiger Sicht zu unbekümmert auf Figurenkonstellationen der lukanischen Erzählungen angewandt wird. Dennoch bieten die Arbeiten Moxnes’ wichtige Anknüpfungspunkte in Bezug auf die Verortung der lukanischen Texte in der sozialgeschichtlichen Gemengelage unterschiedlicher Austauschsysteme: Das Zusammenspiel von Reziprozität und Marktwirtschaft unter Berücksichtigung der Rolle, die soziale Hierarchien, Geldzirkulation und Almosen dabei spielen, tragen zur theoretischen Fundierung auch der vorliegenden Untersuchung bei. Deutlicher zwischen Patronage und benefaction zu unterscheiden ist der Anspruch Jonathan Marshalls in „Jesus, Patrons, and Benefactors“173, wobei benefaction als allgemeinere Form von Wohltätigkeit mit Nähe zum Euergetismus verstanden wird.174 Die Passagen Lk 6,17–38; 14,1–24 und 22,14–34 werden hinsichtlich ihrer semantischen Inventare und kulturellen Verortung daraufhin untersucht, ob in ihnen Patron-Klienten-Verhältnisse oder allgemeinere benefaction-Zusammenhänge zutage treten. Der Abgleich der Wortfelder schützt dabei vor vorschnellen Identifizierungen mit bestimmten sozialen Phänomenen des kulturellen Umfeldes. Der Untertitel des Buches „Roman Palestine and the Gospel of Luke“ stellt sich jedoch leider bereits als Hinweis auf dessen konzeptionelle Schwäche heraus: Marshall stellt einerseits klar, „this study aims to investigate the historical Jesus“175, worauf eine ausführliche Diskussion über den Grad der Hellenisierung und Romanisierung in Palästina zur Zeit Jesu folgt.176 Andererseits werden im Anschluss die lukanischen Texte untersucht, ohne dass eine explizite, geschweige denn methodisch nachvollziehbare Entscheidung kenntlich gemacht würde, in Bezug auf welche Stellen es sich um Material handelt, das für den historischen Jesus in seinem palästinischen Umfeld geltend gemacht werden kann: Die Aussagen des LkEv werden nicht oder nicht ausreichend von der Ebene des historischen Jesus getrennt. Die Erkenntnis, dass patrocinium im Umfeld Jesu von Nazareth wenn überhaupt eine Randerscheinung gewesen sei, ist nicht ohne weiteres aus den lukanischen Texten zu destillieren!177 Weitere neuere Arbeiten greifen Reziprozitätszusammenhänge als Teilaspekte der Untersuchung auf: Neben der Berücksichtigung von Patronage und Euergetismus ist es v. a. das reziprokal gefärbte Freundschaftsideal, das Christopher Hays zur Darstellung von „Luke’s Wealth Ethics“178 heranzieht. Kürzlich hat Pyung Soo Seo in seiner 173 174 175 176 177
J. Marshall, Jesus. Zur Konfusion in der patronage/benefaction-Debatte siehe Kap. 1.2. J. Marshall, Jesus 22. Vgl. J. Marshall, Jesus 53–173. Vgl. J. Marshall, Jesus 332–334. „The waters are muddied […] by the manner in which Marshall oscillates between discussing the historical Jesus’ teaching (and auditors) and Luke’s redaction“ (C.M. Hays, Luke 115 i.d.Anm.). 178 C.M. Hays, Luke.
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Untersuchung „Luke’s Jesus in the Roman Empire and the Emperor in the Gospel of Luke“179 ein Kapitel zur Rolle Jesu als benefactor vorgelegt.180 Darin befasst er sich mit dem Ausspruch Jesu: „Die Könige herrschen über ihre Völker, und die Macht über sie haben, lassen sich als Wohltäter (eqeqc]tai) feiern“ (Lk 22,25). Dem Kaiser, der mit den Herrschern über die Völker und negativer Reziprozität in Verbindung gebracht wird, stehe Jesus als Modell des dienenden Wohltäters gegenüber, so Seo. Dabei wird z. T. von schwierigen Voraussetzungen ausgegangen, wie z. B. dem Postulat von „patron/benefactorclient relations“181 oder einem „benefactor-client system“182, wobei zwischen Euergetismus und Patronage nicht differenziert wird. Auch die Behauptung, dass sich in der antiken Wohltätigkeit immer ein „authority contest“183 ausdrücke, berücksichtigt zu wenig die Gegebenheiten einer jeweiligen historisch-politischen Situation in Bezug auf die Möglichkeiten, sich durch die Leistung von Wohltaten Macht zu sichern. Der Kaiser hatte durch Einnahme der Rolle des obersten Wohltatenspenders diesen Wettbewerb stillgelegt, ihm zumindest die machtpolitische Spitze genommen. Städtische Wohltätigkeit zu Zeiten des Prinzipats konnte sich diesbezüglich durchaus in Sackgassen abspielen, wie nicht zuletzt die resignativen Ratschläge Plutarchs für zeitgenössische Lokalpolitiker zeigen.184 Somit bleiben Seos Ausführungen zu Jesus als Wohltäter hinter dem von Moxnes und Marshall Erreichten zurück.185 Das Forschungsdesiderat dieser Arbeit soll durch die Behandlung folgender Punkte erfüllt werden: 1. Es soll ein möglichst nuanciertes Bild von den Reziprozitätsauffassungen in der Umwelt des lukanischen Doppelwerkes gewonnen werden. Dazu müssen in diachroner Vorgehensweise die Veränderungen registriert werden, die die Machtverhältnisse im Prinzipat gegenüber der vorhergehenden republikanischen Epoche im Römischen Reich mit sich brachten. Die Prozesse hinsichtlich der Auffassungen von beneficia resp. officia werden exemplarisch an den entsprechenden Konzeptionen Senecas und Ciceros gezeigt. In synchroner Hinsicht sind zum einen die vielgestaltigen Ausprägungen von Reziprozität zu beachten, von Alltagswirklichkeiten bis hin zu philosophisch grundierter Kritik, sowie Tendenzen zu Stilisierung und Ästhetisierung. Zum anderen ist die semantische und kulturelle 179 180 181 182 183 184 185
P.S. Seo, Luke. Vgl. P.S. Seo, Luke 96–115. P.S. Seo, Luke 97. P.S. Seo, Luke 110. P.S. Seo, Luke 114; Hervorhebung im Original. Vgl. Praec Ger Reip. Amanda Millers Darstellung der gesellschaftlichen Situation arbeitet ebenfalls mit etwas zu grobem Pinsel, wenn sie von Wettbewerb auf allen gesellschaftlichen Ebenen ausgeht und dann schließt: „In such an environment of constant competition and self-promotion, Luke’s teachings about humbling oneself (14:7–11;18:9–14) and about giving and lending without reciprocation (6:27–36) become quite interesting to consider“ (dies., Rumors 70).
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Nachbarschaft von reziprokalem und marktwirtschaftlichem AustauschEthos zu berücksichtigen. Das gesellschaftliche Umfeld der Lukas-Schriften ist von beiden Mentalitäten geprägt, die teils komplementär, teils konfliktär koexistieren. Kurz gesagt: Der Untersuchung der lukanischen Texte soll eine differenzierte, kulturell angemessene Reziprozitätsvorstellung zugrunde gelegt werden; dazu gehört auch die Berücksichtigung einer damit z. T. in Konkurrenz tretenden, eher marktwirtschaftlich-kommerziell operierenden Austauschauffassung. 2. Der Niederschlag des Reziprozitätsethos soll in dessen verschiedenen Ausdrucksformen in den lukanischen Texten deutlich gemacht werden. Dazu soll gegenüber den klassischerweise diesbezüglich untersuchten Passagen (z. B. Lk 6,20–38; 14,7–24) die Textbasis erweitert werden. Zwei Beispiele: (1) Die hymnischen bzw. enkomiastischen Lobpreisungen Marias und Zacharias‘ in Lk 1 sind schon gattungsmäßig in reziprokale Kommunikation zwischen Mensch und Gottheit bzw. Untertan und Herrscher eingebunden. (2) Die Erzählung von Hananias und Saphira in Apg 5,1–11 wird im Kontext öffentlicher Begräbnisehrungen für Wohltäter angesiedelt, was durch den Abgleich mit zeitgenössischer Literatur und Epigraphik zum Vorschein kommt. 3. Durch die Einzeltextanalysen sollen die Positionen ausgearbeitet werden, die Lukas zum Reziprozitätsethos und/oder gewissen Ausprägungen einnimmt. Es wird genau zu prüfen sein, inwiefern die Mechanismen reflektiert und kritisiert werden. Schließlich ist die Frage zu beantworten, ob sich durch die Texte hindurch eine stringent durchgehaltene lukanische Haltung in dieser Hinsicht verfolgen lässt. Dass eine Berücksichtigung des Reziprozitätsethos zu einem besseren Verständnis des lukanischen Schrifttums beiträgt, haben vorausgehende Arbeiten bereits gezeigt. Die vorliegende Untersuchung will diesen Weg weiter beschreiten, (a) mit einem nuancierten Bild antiker Austauschauffassungen und (b) indem sie auch Passagen aus LkEv und Apg einbezieht, die bislang weniger intensiv oder gar nicht unter diesem Blickwinkel betrachtet worden sind. Dadurch soll ein Beitrag zur Aufhellung der ursprünglich intendierten Kommunikationsabsicht dieser Texte geleistet werden. 1.7.2 Methodisches Vorgehen und Auswahl der Texte Die Texte des lukanischen Doppelwerks sind daraufhin zu untersuchen, wie die darin zutage tretenden reziprokalen Beziehungsverhältnisse aus ihrem kulturellen Umfeld zu erklären sind. Dies erfolgt mittels Untersuchung von (1) Form, (2) semantischen Inventaren und (3) Inhalt. Zu (1): Hinsichtlich der Form ist zu untersuchen, inwieweit bestimmte Reziprozitätsausprägungen (wie z. B. Kornverteilungen) oder -muster (wie etwa eine Interaktionsabfolge von Bitten – Gewähren – Danken etc.) in der Textstruktur sichtbar werden.
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Wird etwa eine Erzählung durch narrative Mittel auf einen Reziprozitätskontext hin deutbar, sind vielleicht Gattungsmerkmale zu erkennen, die sich an paganen Texten aus dem Bereich reziproken Austauschs orientieren (z. B. Enkomion/Hymnos)? Zu (2): Hinsichtlich der Semantik sind die diesbezüglichen Inventare der entsprechenden lukanischen Texte mit antiker Reziprozitätsterminologie zu vergleichen. Wie Saller am Beispiel der unterschiedlichen Selbst- und Fremdzuschreibung von cliens und patronus deutlich macht, bedarf es hier einer besonderen Sensibilität für die spezifischen kulturellen Codes der Zeit. Ein Reziprozitätszusammenhang lässt sich möglicherweise auch über den synoptischen Vergleich erheben: Wird entsprechende Terminologie benutzt, ggf. auch in Differenz zu den Seitenreferenten? Zu (3): Ausgehend von den zeitgenössischen Referenz-Quellen gilt es, das kulturelle Skript freizulegen, nach dem sich das Verhältnis im jeweiligen Lukastext abspielt, um dann zu prüfen, inwieweit im Text diesbezüglich eigene Akzente gesetzt werden. Die zeitgenössische Hochphilosophie, die etwa in De Beneficiis greifbar wird, zeigt, dass das Gegenseitigkeitsethos als sozial verankertes Handlungsmuster erkannt und in seinen Ausprägungen – und Auswüchsen – kritisch reflektiert wird. Schon Cicero, aber auch der jüngere Plinius, Plutarch, Philo, Josephus und andere bestätigen diesen Befund. Demnach scheint es nicht abwegig auch Lukas zu unterstellen, dass er eine eigene Sicht und Beurteilung reziprokaler Gepflogenheiten in seine Version der Jesus-Geschichte einfließen lässt. In Bezug auf die kulturellen Vorlagen kommt eine weitere Ebene hinzu, die zu bedenken ist: Wie gesehen, gibt es schon in hellenistischen Judentümern vor Lukas eine breite Aufnahme des Reziprozitätsethos – kritisch, adaptiv oder unthematisiert und anscheinend selbstverständlich. Nicht nur die starke Orientierung an der Septuaginta, wie sie u. a. in den Hymnen von Lk 1 zum Ausdruck kommt, auch der Rekurs auf biblische Konzepte wie Barmherzigkeit oder Almosengeben (1keglos}mg), lassen den jüdischen Dialekt (Tessa Rajak) erkennen, mit dem die Lukastexte vom Prinzip der Gegenseitigkeit sprechen.186 Wenn daher in dieser Arbeit Lukastexte u. a. mit Seneca in Beziehung gesetzt werden, ist damit nicht die Behauptung einer direkten intertextuellen Abhängigkeit verbunden. Wohl aber wird unterstellt, dass beide an einem
186 Wolter hebt hervor, „dass Lukas über eine ausgezeichnete jüdisch profilierte kulturelle Enzyklopädie verfügte“ sowie über eine „ausgezeichnete Kenntnis der Septuaginta“, was wahrscheinlich macht, „dass der Verfasser des LkEv in einer jüdischen Familie aufgewachsen ist und wie Paulus nicht nur seine primäre, sondern auch seine sekundäre Sozialisation in einem jüdischen Milieu erfahren hat“ (ders., Lk 9 f). Dass dieses Milieu ein hellenisiertes zu sein scheint, stellt dazu selbstverständlich keinen Gegensatz dar. Rainer Kampling meint mit Blick auf den Evangelisten, „daß vieles dafür spricht, in ihm einen Juden zu sehen, der in jüdisch-hellenistischer Tradition aufwuchs und eben diese für seine Theologie fruchtbar machte“ (ders., Herr 160). Joel B. Green hingegen erklärt diese Frage für unerheblich in Bezug auf seinen Ansatz (vgl. ders., Gospel 20 f).
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breiten Diskurs darüber partizipierten, wie sozialer Austausch vonstatten geht und gehen sollte. Es ist bereits hinreichend deutlich geworden: Die vorliegende Arbeit setzt bei der Endgestalt des lukanischen Doppelwerkes an, nicht beim historischen Jesus. Damit ist geographisch von einem vornehmlich paganen Umfeld der Texte auszugehen, deren Entstehungsort oder -orte leider immer noch nicht eindeutig lokalisiert werden kann bzw. können. Neben Makedonien, näherhin Philippi, Rom oder dem syrischen Antiochien hat Christopher Zeichmann neuerdings wieder für Ephesos oder zumindest den kleinasiatischen Raum votiert.187 Er schreibt in Bezug auf die in Lk 22,4.52 und Apg 4–5 vorkommenden Tempelwächter: „Luke presents b stqatgc¹r toO ReqoO as a social type that existed in pre-War Jerusalem explicitly and implicitly in Ephesus during Luke-Act’s composition“188. Lukas habe in vager Kenntnis der Verhältnisse am schon nicht mehr existierenden Jerusalemer Tempel geschrieben und Figuren vor Augen gehabt, deren finanzielle und aufseherische Funktionen denen ähnelten, welche die in Kleinasien verbreiteten 1pist\tai toO ReqoO innehatten. Die Nähe zu Ephesos wird dabei allerdings aufgrund von Inschriften aus Kos und Milas, nicht aus Ephesos selbst behauptet.189 In Ermangelung einer restlos überzeugenden Verortung des lukanischen Doppelwerkes ergibt sich die Schwierigkeit, dessen sozialgeschichtliche Hintergründe adäquat und präzise zu beschreiben. Denn statt „von einer einheitlichen Gesellschaft, also ,der‘ Gesellschaft des Römischen Reiches“ auszugehen, sollte diese als „Konglomerat von Einzelgesellschaften“190 mit „durchaus vorhandenen regionalen Unterschieden“191 begriffen werden. Wenn bspw. erwogen wird, die „enge Tür“ in Lk 13,24 als Eingang zu einer römischen domus zu verstehen, ergibt sich die Frage nach der Verbreitung dieses Haustyps und den mit dessen Architektur verknüpften Empfangs- und Gastmahls-Ritualen.192 Eine Sensibilisierung für dieses Problem sollte vor vorschnellen und allzu grobmaschigen Identifizierungen bewahren, davon 187 F. Bovon sieht in Lukas einen makedonischen Gottesfürchtigen (vgl. ders., Lk 1 22 f), auch Peter Pilhofer versteht den Evangelisten als !mµq Lajed¾m (Apg 16,9) und führt an, dass die Erwähnung Philippis als pq¾tg[r] leq¸dor t/r Lajedom¸ar pºkir, jokym¸a (Apg 16,12) eine einmalige Hervorhebung der Stadt sei (vgl. ders., Philippi 156–165). Wolter tendiert zu Rom, u. a. aufgrund der römisch anmutenden Bukolik in Lk 2 (vgl. ders., Lk 10). Edwards hingegen hält das syrische Antiochien für wahrscheinlich, zum einen wegen der guten Beleglage in der Patristik, zum anderen aufgrund der lukanischen Semitismen, die im Übrigen auf hebräische Quellen des LkEv schließen ließen (vgl. J.R. Edwards, Lk 13). Eine verbreitete Meinung gibt die Aussage wieder, das LkEv „quite possibly originated among the Hellenistic cities of Rome’s eastern provinces in Greece and Asia Minor“ (A.C. Miller, Rumors 45). 188 C.B. Zeichmann, stqatgco_ 187. 189 Vgl. C.B. Zeichmann, stqatgco_ 180; 182. 190 J. Bartels, Eliten 11. 191 J. Bartels, Eliten 1. 192 Siehe Kap. 9.1. So weit möglich wird bei der Darstellung kulturgeschichtlicher Hintergründe die Situation im Westen wie im griechischsprachigen Osten berücksichtigt.
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abgesehen ist die Hinzuziehung jeglicher Referenztexte eine heuristisch-induktive Wahl, die auf Basis der sprachlichen und/oder zeitlichen Nähe zum neutestamentlichen Text erfolgt. Es können nicht in jedem Fall intentionale intertextuelle Bezüge nachgewiesen, oftmals aber Verbindungen aufgezeigt werden, die auf gemeinsame Kulturtechniken, in diesem Fall solche der Reziprozität, rekurrieren.193 Die Bestimmung der Textbasis zielt darauf ab, in dieser Hinsicht möglichst vielfältige Aspekte herauszuarbeiten: Die Feldrede (Lk 6,20–49) kann als das Grundprogramm der lukanischen Reziprozitätsauffassung gelten. Die Wohltätigkeitssemantik wird durch w\qir (V. 32c u. ö.) und andere Begriffe aufgerufen. Diese wird mit dem Bereich des Geldverleihs (dam_fy; V. 34a.35c u. a.) in Verbindung gebracht. Traditionell stehen sich beide semantischen Inventare nahe, in Senecas De Beneficiis werden sie einerseits in deutliche Opposition gebracht, andererseits wie selbstverständlich überblendet. Der Umgang Lks und Senecas sind daher hier zu vergleichen. Mit Blick auf die Hymnen Marias und Zacharias’ in Lk 1 und 2 verweist zum einen die Gattung dieser Texte auf ein Reziprozitätsverständnis, das sich in Dank und – impliziter oder expliziter – Bitte an die Adresse eines göttlichen Retters (syt^q) richtet. Zudem gibt die Verteilung von !cah\ (Lk 1,53) Anlass zu Überlegungen über (a) Verteilungssituationen im griechisch-römischen Kontext, (b) die Rolle der intendierten Leserinnen und Leser dabei, sowie (c) den grundsätzlichen Charakter der unter diesem Begriff gefassten „Güter“. Die Hortung der !cah\ ist es auch, die in der Beispielerzählung vom reichen Kornbauern (Lk 12,13–21) zum nächtlichen Übergriff derer führt, die offenbar ihren Anteil daran fordern. Unwillige Wohltäter zu bedrängen, dass sie etwas von ihren Gütern an die Allgemeinheit abgeben, war Teil der Aushandlungsprozesse zwischen den städtischen Geber- und Empfängergruppen. Die Rolle der !cah\ dabei ist vor diesem Hintergrund genauer zu untersuchen. Bei der Perikope von der engen Tür und dem eschatologischen Gastmahl (Lk 13,22–30) sind es mögliche architektonische Hintergründe, die auf den Reziprozitätskontext weisen: Auf der Folie von Patron-Klienten-Verhältnissen, konkret bei der cena und in der römischen domus gelesen, lösen sich gewisse narrative Schwierigkeiten. Das w\sla l]ca (Lk 16,26), das Lazarus vom Reichen in der Unterwelt trennt, ist als Rekurs auf dieses Motiv anzusehen: Wieder wird ein endgültiges Ausgeschlossensein in Aussicht gestellt für den Fall, dass sich Hauseigner in der Gegenwart nicht um die Not vor ihrem Hauseingang kümmern. Dass die !cah\ wiederum als Begründung für das Schicksal des Reichen herangezogen werden, macht sie für die Untersuchung interessant. 193 Vgl. R. Aczel, Intertextualität und Intertextualitätstheorien, in: A. Nünning (Hg.), Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze, Personen, Grundbegriffe, Stuttgart 22001, 287–289. Seth Schwartz plädiert dafür, einen „mediterraneanism […] as a heuristic tool“ zu postulieren (S. Schwartz, Jews 22).
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Um Drohungen an die Adresse solventer Grundbesitzer geht es auch in Apg 5: Am Beispiel des Ehepaares Hananias und Saphira wird exemplarisch gezeigt, was mit Leuten geschieht, die in betrügerischer Absicht Teil der Gemeinde werden wollen. Dass die in der Erzählung einigermaßen unverbunden auftretenden Jünglinge (me¾teqoi bzw. meam¸sjoi; 5,6.10) die Bestattung übernehmen, ist im Kontext von Begräbnisritualen zu verorten, mit denen verdiente Euergeten geehrt wurden. Schließlich kommen noch rechtlich-politische Aspekte von Reziprozität in dem verschleppten Paulus-Prozess vor den römischen Behörden zum Tragen (vgl. Apg 24–26). Durch das den Abschnitt strukturierende w\qir-Vokabular wird römische Rechtspraxis als Austausch wechselseitiger Gefälligkeiten zwischen politischen Fraktionen dargestellt. Unter diesen Voraussetzungen ist die Verteidigungsstrategie des Apostels zu betrachten, der hier offenbar nicht in erster Linie auf w\qir, sondern auf sein Recht als römischer Bürger setzt.
2. Reziprozität in Senecas De Beneficiis Die Schrift De Beneficiis von Lucius Annaeus Seneca, verfasst zwischen 54 und 64 n. Chr. und adressiert an einen ansonsten unbekannten Aebutius Liberalis, befasst sich mit dem Thema, wie Wohltaten zu erweisen und zu empfangen sind.1 Angesichts der vielen diesbezüglichen Irrtümer und Missstände misst der Autor dieser Frage große Bedeutung bei, was u. a. in der Breite der auf sieben Bücher verteilten Darstellung zum Ausdruck kommt.2 Der philosophischethische Anspruch des Werkes ist es, auf Basis der stoischen Lehre ein Konzept zur Anleitung und Begründung sittlichen Handelns, bezogen auf den Austausch von Benefizien zu entwickeln, das auf eine Verbesserung der Praxis zielt.3 Zunächst interessiert das im Text entwickelte Konzept, nach dem Wohltaten erwiesen und empfangen werden sollen. Dieses Konzept soll auf der synchronsprachlichen Ebene durch semantische Analysen und ein Close Reading des Traktats freigelegt werden. Die Schwerpunkte liegen auf dem zentralen Thema des Umgangs mit Undank und dem damit verbundenen Motiv der Nachahmung Gottes (imitatio dei). Diese besteht darin, Wohltaten (beneficia) ohne Hoffnung auf (adäquate) Erwiderung zu spenden – wie es eben die Götter tun. Dazu werden die in Buch IV inhaltlich und kompositorisch zentralen Ausführungen zum beneficium als einer für sich selbst erstrebenswerten Sache (per se expetenda res) näher erläutert. Hierbei wird auch auf die scharfe Abgrenzung des Sittlichen (honestum) von jeglicher Orientierung am eigenen Nutzen (utile) eingegangen, die sich in der Kontrastierung von Wohltat (beneficium) und Kredit (creditum) widerspiegelt. Es wird dargestellt, dass es neben diesen oft polemischen Gegenüberstellungen von Wohltätigkeit und Geldwirtschaft eine große semantische Nähe zwischen beiden Feldern gibt, ja das Kreditwesen oftmals unpolemisch als Bildspender für Wohltätigkeitszusammenhänge herangezogen wird. Dieser Befund wird zum Ausgangspunkt für die zeitgeschichtliche Einordnung des Traktats genommen, die Aufschlüsse darüber liefern soll, in welchen Formen sich der Austausch von Wohltaten in der griechisch-römischen Welt des frühen Prinzipats abspielte und welchen Stellenwert die konkurrierende Geldwirtschaft demgegenüber einnahm. Die Akzentuierung und Entwicklung dieser Verhältnisse tritt noch klarer hervor durch den nachfolgenden diachronen Vergleich mit Ciceros Traktat De Officiis über ein ver1 Zur Datierung vgl. die Diskussion bei J. Wolkenhauer, Schrift 75–79, der selbst zu einem Zeitraum zwischen 58–61 n.Chr. neigt. Zum Adressaten vgl. J. Wolkenhauer, Schrift 79 i.d.Anm. 2 Karlhans Abel schreibt im Duktus Senecas, „Undank regiert allenthalben die Welt“ (ders., Lex 6). Die Auseinandersetzung damit ist Senecas „längste einem einzigen Gegenstand gewidmete Schrift“ (J. Wolkenhauer, Schrift 11). 3 Diese kommt im Werk freilich fast nur indirekt zum Ausdruck.
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wandtes Thema.4 Die Ergebnisse fließen in die Analyse der Reziprozitätszusammenhänge in den Lukastexten dahingehend ein, dass sprachlich-literarische Bezüge geprüft werden, die wiederum möglicherweise auf geteilte Vorstellungen und Praktiken schließen lassen. Dass die in De Beneficiis zum Tragen kommenden Idealvorstellungen in der Vorstellungswelt der zeitgenössischen Oberschichten einen hohen impact hatten, zeigt etwa ihr Niederschlag etwa in den Schriften des jüngeren Plinius, aber auch bei Plutarch und anderen.5
2.1 Komposition Die aus sieben Büchern bestehende Schrift lässt sich zunächst in zwei Blöcke unterteilen, deren erster die Bücher eins bis vier und deren zweiter die Bücher fünf bis sieben umfasst. Diese Abgrenzung nimmt der Autor selbst vor; nach eigener Auskunft schreitet er vom Wichtigen zum Unwichtigen voran, im Anschluss an das vierte Buch wird nur noch erörtert, was mit dem Thema „verbunden ist, nicht damit verwoben“ (V 1,2). Der Höhepunkt ist in Buch IV zu sehen, mit Blick darauf ergibt sich folgende Gliederung:6 Buch I Grundsätzliches zum Erweisen von Wohltaten Buch II Adressatenorientiertes Spenden von Wohltaten (1–17) Richtiges Verhalten der Empfänger (18–35) Buch III Undankbare Entgegennahme von Wohltaten (1–5) Wohltaten und Verrechtlichung gesellschaftlicher Austauschprozesse (6–17) Wohltaten über soziale Grenzen hinweg: Sklaven als Wohltäter (18–28) Wettstreit um den Erweis von Wohltaten: Kinder und Eltern (29–38) Buch IV Erster Teil: Verteidigung zweckfreier Gewährung und zweckfreien Dankes Themenstellung: Per se erstrebenswerte Handlungen vs. Nützlichkeitserwägungen (1) Zweckfreies Erweisen: Kontroverse mit Epikureern: Sittlichkeit und Genuss (2) Zweckfreie Wohltaten entsprechen Handlungsweise der Götter (3) Vielfältige Wohltaten des Gottes am Menschen qua Schöpfung (4–6) Anwesenheit des Gottes in der Natur unter vielen Namen (7 f) 4 Siehe Kap. 3. 5 Vgl. M.T. Griffin, Seneca 49–53; Plut., Apophth 172B; siehe unten Kap. 2.3. 6 Eingetragen sind der zweite bis vierte der von Abel sog. „metaphysisch-theologische[n] Durchblicke“ (ders., Lex 8).
Komposition
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Ausrichtung des Gebers am Nutzen des Empfängers (9) Auswahl würdigen Empfängers (10,1–11,2) Beispiele für Praxis selbstloser Wohltaten, v. a. angesichts des Todes (11,3–6) Wohltat soll Geber weder nutzen noch schaden (12,1–4) Vgl. All – Mensch: Gewährung von Wohltaten ohne Belohnung (12,5) Genuss: leiblich (epikureisch) vs. aus Wohltätigkeit um ihrer selbst willen (stoisch; 13) Unterschied zw. pflichtgemäßem Handeln und Handeln aus Pflicht (14) Liebe zur Wohltat an sich führt zu weiteren Wohltaten (15) Zweckfreier Dank: Dankbarkeit aus Nutzenabwägung vs. um ihrer selbst willen (16) Universalität des Gesetzes der Sittlichkeit (17) Gesellung und Vernunft als gottgegebenes menschliches Proprium; Daseinssicherung durch dankbare Gesinnung (18) Kritik des Gottesbildes Epikurs (19) Nutzenkalkül ist Undank (20) Zweierlei Arten von Dankbarkeit (21) Grund für Dankbarkeit angesichts des Todes (22) Erhabenheit des Alls und der Natur vs. reine Nutzenperspektive (23 f) Synthese: Götter geben gratis, Aufforderung sie nachzuahmen (25) Zweiter Teil: Umgang mit Undank Zweierlei Arten von Undank: Dummheit und Naturveranlagung (26) Verschiedene Fehlhaltungen im Umfeld der Undankbarkeit (27) Allgemeine Wohltaten kommen auch Unwürdigen zugute (28) Abgrenzung einer Wohltat von anderen nützlichen Diensten (29) Rechtfertigung von Geschenken an Unwürdige durch Erinnerung an frühere Größe (30) Vergleich: Vorsehung und Gabe an einen Undankbaren (31 f) Auswahlkriterium des Empfängers ist wahrscheinliche Dankbarkeit (33) Geltung und Reichweite von Versprechen Frage der Verhältnismäßigkeit (34–39) Buch V Weitere Aspekte in Verbindung mit Wohltaten Buch VI Umstände von Dank und Schuld Buch VII Ausrichtung am Sittlichen in Bezug auf Besitz, Begierde und Dankbarkeit
Das Werk ist als Ringkomposition um das zentrale Buch IV angelegt, eine Gegenüberstellung der Themen von Proömium und Epilog macht die Entsprechungen deutlich: Sowohl das Proömium als auch der Epilog beginnen mit der Behandlung des Undankes (vgl. I 1,1–2a; VII 26,1 f), worauf jeweils eine Begründung folgt (vgl. I 1,2bf; VII 26,3–VII 27,3). Sodann wird in beiden Abschnitten zu einer Selbstprüfung gemahnt, im Proömium hinsichtlich des Gebens von Wohltaten, im Epilog hinsichtlich des Empfangs (vgl. I 1,2bf; VII 28).
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Das imitatio dei-Motiv taucht in Proömium und Epilog chiastisch angeordnet auf. Im ersten Buch folgt ihm der Hinweis auf den intrinsischen Lohn einer guten Tat, im siebten geht ihm die mehrfache Zurückweisung der Klage über verlorene Wohltaten voraus. Zwischen diesen beiden Passagen besteht eine thematische Ähnlichkeit, freilich keine direkte inhaltliche Kongruenz, zumal in der letzteren wiederholt die generelle Möglichkeit eingeräumt wird, dass eine Wohltat verloren gehen kann (vgl. VII 29,1; VII 30,1). Davon ist eingangs des ersten Buches keine Rede, vielmehr vom sofortigen Gewinn, den ein hervorragender Mann von Wohltaten hat, „auch wenn sie nicht in jedem Fall sich als einträglich erweisen“ (I 1,12). Die Ringkomposition setzt im Proömium bei der Gewährung von, im Epilog beim Dank für Wohltaten an, die Perspektive ist anfangs gänzlich auf den Geber gerichtet, am Schluss des Werks wechselt sie in der Reihenfolge Geber – Empfänger – Geber. Diese Tendenz, immer wieder auf die Perspektive des Wohltäters zurückzukommen, ist im Traktat grundsätzlich angelegt und gibt einen Hinweis auf das Lesermilieu. Schematisch lässt sich das Erläuterte wie folgt darstellen: Tabelle 1: De Beneficiis als Ringkomposition nach K.-H. Abel. Proömium Buch I
Epilog Buch VII
Einleitung: Ertragen des Undankbaren Einleitung: schlechter Austausch von Wohltaten aus undankbarer Gesinnung (VII 26,1 f) (I 1,1–2a) Begründung: fehlerhafte Auswahl des Empfängers (I 1,2bf)
Begründung: umfassende Verbreitung von schlechten Sitten und Undank, Dank nicht zu erwarten (VII 26,3–27,3)
Mahnung zur Selbstprüfung bzgl. eines Mahnung zur Selbstprüfung bzgl. eines Dankbarkeit ermöglichenden Erweisens dankbaren Empfangens (VII 28) (I 1,2b–8) imitatio dei durch beharrliches Geben (I 1,9)
Eigenwert des Benefiziums: kein Verlust einer Wohltat durch Undank (VII 29 f)
Eigenwert des Benefiziums: Lohn der guten Tat in dieser selbst (I 1,12 f)
imitatio dei durch beharrliches Geben (VII 31)
Überwindung des Undanks durch fort- Überwindung des Undanks durch fortwährendes Erweisen von Wohltaten währendes Erweisen von Wohltaten; (I 2,1–3,1); Schluss (VII 32) Überleitung zum Hauptteil (I 3,2–4,6)
Komposition
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Ein Blick auf die Gliederung zeigt, dass sich die thematische Aufteilung zwischen der Gewährung von Wohltaten und der Auseinandersetzung mit dem Dank bzw. Undank auch im ersten Teil des vierten Buches findet: Nach einer thematischen Einführung (vgl. IV 1) wird zunächst zu einer Verteidigung des zweckfreien Erweisens von Wohltaten angesetzt (vgl. IV 2–15), sodann wird eine ebensolche dankbare Vergeltung gegen eine als handlungsleitend vorgestellte Nutzenperspektive stark gemacht (vgl. IV 16–24). Im Aufbau ähneln sich beide Blöcke stark: Auf die beiden „metaphysisch-theologischen Durchblicke“7 folgen jeweils die Einordnung des Nutzens (vgl. IV 9,1–IV 11,2 bzw. IV 20 f), die Einbeziehung des Todes als Prüfstein des Sittlichen (vgl. IV 11,2–6 bzw. IV 22) sowie die Einspielung einer kosmischen Perspektive (vgl. IV 12,5/IV 23 f). Der über diese beiden Etappen verlaufende Gedankengang schließt mit einer weiteren Aufforderung, die Götter durch sittliches Verhalten um seiner selbst willen nachzuahmen (vgl. IV 25), bildet damit die Klammer zu genannter Einführung (vgl. IV 1) und wird von Abel als der „Gipfel des Gipfels“ bzw. als „Evangelium von der Gottgleichheit der Vernunft“8 bezeichnet. Es schließt sich eine Erörterung über den Umgang mit Undank an (vgl. IV 26–40). Die verdichtete Aufnahme und Pointierung des Werkthemas, wie es in den Rahmenteilen dargestellt wird, unterstreichen die formal und inhaltlich zentrale Stellung des vierten Buches im Traktat. Beim Vergleich des Aufbaus von Proömium und Epilog mit dem des vierten Buches ergibt sich – vereinfacht – folgende Struktur: Tabelle 2: Buch IV im Werkganzen von De Beneficiis Proömium Zweckfreies Erweisen imitatio dei
Perspektive Geber
Buch IV zweckfreies Erweisen imitatio dei
Perspektive Geber
zweckfreier Dank imitatio dei
Perspektive Empfänger
Umgang mit
Perspektive Geber
Undank
Epilog Umgang mit Undank imitatio dei
7 K. Abel, Lex 19. 8 K. Abel, Lex 19.
Perspektive Geber – Empfänger – Geber
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Die thematische Zweiteilung von Gewährung und Dank findet sich sowohl in den Rahmenteilen als auch im eingeklammerten vierten Buch. Es ist also eine Komposition erkennbar, in der die zentralen Gedankengänge über alle sieben Bücher hin arrangiert werden, wenngleich die Werkarchitektur nicht in allen Teilen dieselbe Strenge erkennen lässt. Der inhaltliche Kern des Traktats lässt sich zusammenfassen als die Forderung zweckfreien sittlichen Handelns, konkret in der Sphäre des Austauschs von Wohltaten, begründet als Nachahmung der Götter.
2.2 Semantik und Ablauf des Wohltatenaustausches Zur Bezeichnung einer Wohltat wird eine Fülle von Synonymen und Charakterisierungen geboten. Am weitaus häufigsten begegnet der Titel gebende Ausdruck beneficium9, gefolgt von munus, welcher den Verpflichtungs- und den Geschenkcharakter hervorheben kann. Dieser Begriff ist anders als beneficium nicht rein positiv besetzt, kann es doch auch ein mediocre munus (IV 6,2) oder ein munusculum (IV 40,4), ein nichtiges „Geschenkchen“ zur Unzeit geben, letzteres ist im strengen Sinne gar keine Wohltat. In Bezug auf die Wohltätigkeit der Götter wird von munificentia gesprochen (vgl. IV 4,3). Mehrfach ist von officium die Rede,10 wenn die gegenseitige Verpflichtung der Menschen untereinander betont werden soll, etwa im Zusammenhang mit grundsätzlich anthropologischen Ausführungen: Denn auf welche andere Weise könnten wir in Sicherheit existieren, als dass wir einander durch gegenseitige Dienste unterstützen (mutuis iuvamur officiis; IV 18,1)?
Beim officium liegt der Akzent auf der Geschuldetheit einer Sache, das beneficium wird von Seneca eher als eine ungeschuldete Initiative verstanden – wie Miriam Griffin mit Blick auf die Diskussion von officium, beneficium und ministerium (Ben III 18,1) aufzeigt.11 Freilich ist das nur eine Nuancierung, da letztlich jede Wohltat eine Verpflichtungsseite hat. Schon das Leben, das man von den Eltern hat, verpflichtet einen, diese mit größeren beneficia zu übertreffen (vgl. Ben III 37). V. a. zeichnet sich das Benefizium durch seinen Status als eine per se expetenda res aus – eine um ihrer selbst willen zu verlangende 9 Nachfolgend wird das eingedeutschte Benefizium als Synonym für eine Wohltat im vorliegenden Sinne verwendet. 10 Während mit dem officium zunächst die einem gewissen Handwerk oder Tätigkeitsbereich obliegende Handlungsweise bezeichnet wird, fungiert es in Bezug auf eine Austauschbeziehung als konkreter Ausdruck der beidseitig erwarteten fides (vgl. K. Verboven, Economy 39–41). Saller sieht vier grundsätzliche Begriffe zur Beschreibung von Patron-Klienten-Verhältnissen, und zwar officium, beneficium, meritum und gratia (vgl. ders., Patronage 8), wobei die ersten drei Ausdrücke in Ben I 1,8 synonym verwendet werden. Zum Verhältnis von munus und officium vgl. III, 31,3. Weitere Umschreibungen: benivola actio (I 6,1), donatum (I 12,2) oder donatio (IV 10,3), meritum (III 14,1; IV 17,4) sowie tributum (im Sinne eines freiwilligen Opfers; IV 1,2; 5,2). 11 Vgl. M.T. Griffin, Seneca 36; 22 f; 27.
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oder erstrebende Sache.12 Dieses erst im vierten Buch eingeführte Charakteristikum beschreibt den Wesenskern des vorgestellten Konzepts und verweist auf den Unterschied zwischen einer Wohltat und ihrem jeweiligen Gegenstand: Omnia itaque, quae falsum beneficii nomen usurpant, ministeria13 sunt, per quae se voluntas amica explicat. Hoc in aliis quoque rebus evenit, ut aliubi sit species rei, aliubi ipsa res. Alles also, was fälschlich die Bezeichnung einer Wohltat für sich in Anspruch nimmt, sind Dienstleistungen, durch die sich freundschaftlich gesonnener Wille entfaltet. Das kommt auch bei anderen Dingen vor, dass sich hier der Anblick einer Sache befindet, dort die Sache selbst (Ben I 5,5).
Der für das Vorliegen einer Wohltat maßgeblichen Unterscheidung zwischen der Sache selbst und ihrem äußeren Ansehen entsprechen auch die Bezeichnungen forma rebus (I 6,2), vis rei (vgl. III 8,3) oder pulcritudo [sic] rei (III 13,2). Es tritt der entscheidende Aspekt des Willens als Gesinnung hinzu. Demnach „ist weder Gold noch Silber, noch irgend etwas von den Dingen, die für die wichtigsten gehalten werden, eine Wohltat, sondern eben gerade der Wille dessen, der gewährt“ (ipsa tribuentis voluntas; I 5,1). Das Benefizium ist das, „was an einer Sache wichtig und wertvoll“ (quod in re carum atque pretiosum; I 5,2) ist. Entsprechend kann es sich auf ganz unterschiedliche und vielfältige Weise vergegenständlichen: [E]ine Wohltat ist ein geschenkter Besitz, dessen Fruchtbarkeit den Getreidepreis herabsetzen kann, eine Wohltat ist ein einziges Brot bei Hunger; eine Wohltat ist es, Gebiete zu verschenken, durch die große und schiffbare Flüsse strömen, eine Wohltat ist es, vor Durst vertrocknenden und kaum einen Atemzug durch ihre trockenen Kehle bringenden Menschen zu zeigen eine Quelle (III 8,3).
Ein begehrtes Bürgerrecht oder den Zugang zum Ritterstand zu verschaffen, jemanden vor Gericht zu verteidigen, ihm bei seelischen oder körperlichen Gebrechen hilfreich zur Seite zu stehen oder einfach einen nützlichen Rat zu erteilen (vgl. III 9,2) – derart unterschiedliche Wohltaten lassen sich kaum vergleichen oder in ihrem jeweiligen Wert einschätzen.14 Auxilia, ornamenta, solacia (vgl. III 12,1), individuelle Ehren (honores) oder eine öffentliche Kornverteilung (frumentum publicum; IV 28,2), kurz: Ideelle wie materielle Zuwendungen können darunter fallen.15 Gegenstand von Wohltaten können demnach zum einen ma12 Vgl. IV 9,1.2; 10,1; 11,3; 12,1; 15,1; 16,1.2; 17,3; 22,4. 13 Vornehmlich im Sinne der Abgrenzung vom Benefizium wird von ministerium gesprochen, einer (geschuldeten) Dienstleistung, z. B. der eines Sklaven gegenüber seinem Herrn (vgl. III 18,1; 19,1; 21,1). 14 Vgl. III 9,3; 10,1–3. 15 Jemandem zu verweigern, worum er bittet, wenn es sich um schädliche Dinge handelt, kann ebenfalls eine Wohltat darstellen: non dare, sed negare beneficium est (II 14,1). So ist nach Seneca „das schönste Werk, auch gegen den Willen zu retten“ (etiam invitos nolentesque servare; II 14,4; vgl. auch V 20,1). Das kann unter extremen Umständen sogar die Tötung eines Menschen einschließen (vgl. III 23,5).
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terielle Güter kleinen oder großen Stils an Einzelne oder viele sein (wobei letzteres vom Autor als weniger verdienstvoll angesehen wird). Getreide, Ländereien, auch Geld fallen hierunter.16 Des Weiteren gelten zum anderen ideelle Hilfen jedweder Art als Wohltat. Von beiden Spielarten abzugrenzen und doch mit ihnen verwoben ist die Vermittlung von Ämtern und Ehren. Der Austausch von Wohltaten verläuft idealiter in einer bestimmten Abfolge: Vor dem Eintritt in die Beziehung sollen der Geber und wenn möglich auch der Bittsteller vernünftig auswählen, mit wem diese Bindung eingegangen werden soll.17 Entsprechend der Allegorie der drei Grazien folgen dann drei Schritte aufeinander, nämlich geben, empfangen und zurückgeben (dare, accipere, reddere; I 3,2). Aus der Perspektive des Empfangenden wird folgende Abfolge normativ gesetzt: „Entgegennehmen muss ich eine Wohltat, sodann schulden, sodann vergelten“ (accipere, debere, referre; V 9,4). Es bedarf dabei einer zeitlichen Verzögerung zwischen Empfang und Vergeltung einer Wohltat; diese Spanne nicht einzuhalten und ein Benefizium allzu hastig und ggf. mit einem unpassenden Gegenstand zu erwidern, kann als „eine Art Zurückweisung“ (IV 40,4) des Empfangenen aufgefasst werden. Dabei ist zu bedenken, dass „eine Wohltat auf eine Weise erwiesen, auf eine andere vergolten wird“ (III 9,3). Der Gesamtablauf des Austauschs, wie er im Werk deutlich wird, stellt sich wie folgt dar: Schema 1: Idealer Austausch von Wohltaten. Empfänger Auswahl des Gebers Bitten/Begehren
Empfangen Schulden Erstatten/Vergelten
Geber
Auswahl des Empfängers Geben/Gewähren
(Rückfordern)
dankbare Gesinnung
Die semantischen Inventare hinsichtlich Bittens, Gewährens, Empfangens und Schuldens sind variantenreich vertreten.18 16 Vgl. I 5,1; VI 4,2. 17 Vgl. I 1,2; 15,6; II 18,2–8; III 14,2; IV 11,1. 18 Zum Wortfeld Bitten gehören: rogo (I 1,5 u. ö.), häufig auch peto oder adpeto (I 1,5 u. ö.), concupisco (I 13,3 u. ö.), inpetro (II 4,1.2), cupio (I 9,2); in Verbindung mit Habgier: II 27,3; aber auch als cupiditas iuvandi (I 7,1) oder honestae rei cupiditas (III 1,4). Mit exprimo (I 1,7) und extorqueo (I 7,2) wird darüber hinaus die lästige Bitte an der Grenze zur gewaltsamen Aneig-
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Der Wohltäter kommt als auctor, servator oder redemptor in den Blick, nicht aber als patronus, entsprechend wird für den Empfänger die Bezeichnung cliens gemieden.19 Der Grund liegt „in the social inferiority and degradation implied by the words“20. Mit den hierin zum Ausdruck gelangenden Höflichkeitsregeln hat auch die Unschärfe zu tun, ob der Geber etwas zurückfordern (repetere) darf. Zunächst wird dazu geraten, dass der vergessliche Empfänger nur durch weitere Wohltaten erinnert werden darf, ja von ihnen umzingelt werden soll (beneficiis illum tuis cinge; I 3,1). Direkte Erinnerung wird abgelehnt, weil sie einer Rückforderung gleichkomme (vgl. II 11,2). Beides – Erinnerung und Rückforderung – wird in VII 23,2 mit Verweis auf das Stilmittel der Übertreibung rehabilitiert.21 Was die Erstattung betrifft, wird nung kenntlich gemacht. Seneca legt dem Bittsteller nahe, einen Wohltäter durch dankbare Entgegennahme zu weiteren Taten zu ermuntern (evoco; II 28,2), statt ihn durch Klagen dazu zu bringen, das bereits Gegebene zu bereuen (II 28,2). Im Zusammenhang mit dem Bittgebet an die Götter steht precari (II 1,4). Geben/gewähren: do (libenter; I 4,3), praesto (gewähren, im Gegensatz zu gehorchen (pareo); III 19,1), tribuo oder confero im Sinne eines Übertrags von Gütern auf andere (I 6,1 u. ö.; II 23,2). Über das Verhältnis der Menschen zum Gott heißt es, dass „weder er einer Zuwendung bedarf noch wir ihm irgendetwas zuwenden können“ (quoniam nec ille collato eget nec nos quicquam in eum conferre possumus; IV 9,1). Zudem finden sich weitere Komposita mit fero wie offero (II 34,1) oder transfero, z. B. in se transferre (etw. auf sich nehmen; III 33,4). Einige Male benutzt Seneca benefacio (III 13,2 u. ö.). Im erweiterten semantischen Kontext stehen auch mitto (I 11,6 u. ö.), emitto (nummos; II 27,1), congero (jmd. mit etw. überhäufen; IV 15,2), consummo (als Herbeiführen eines Ergebnisses; II 4,2), divido (IV 11,4), dono (III 8,2 u. ö.), eripio (etwa jmd. dem Tode entreißen; II 11,1), fundo (hier Blut vergießen; II 19,2), incipio (ansetzen; II 18,5), paro (IV 28,1), pertollo (hier ein Geschenk überbringen; II 33,3), prosum (II 31,2), succurro (II 13,2 u. ö.), colloco (V 19,4). An zwei Stellen ist von einem (bene) positum beneficium die Rede (I 2,2; IV 3,3). Empfangen: accipio. Ebenso wie beim Geben wird zum freimütigen Annehmen ermuntert (libenter accipere; I 4,3; II 31,1), auch das Leben kann als Wohltat empfangen werden (III 23,3). Es finden sich Varianten des Wortstamms wie recipio (II 33,3; III 11,2; 31,5), excipio (II 31,3; II 35,1.4) und percipio (III 17,3), ferner intercipio (hier das Wegschnappen einer Gunst; II 4,3). Neben dem addictus (III 8,2), einem Schuldner oder auch Schuldknecht, findet negativ der infitiator (III 13,1; 17,4) als Leugner einer empfangenen Wohltat Erwähnung. Auch schulden (debere) soll der Begünstigte unverzagt (libenter; I 1,7). Wie geschenkt und empfangen, kann das Leben ebenso geschuldet werden (II 23,2). Der Geber einer Wohltat schuldet die Ermahnung des Begünstigten (admonere debeo; I 12,1). 19 Auctor (II 4,2; 10,2), malorum munerum auctores (II 14,1), salutis auctor (IV 11,3), redemptor (II 21,1), servator (II 21,2), hospes (IV 37,2). Patronus nur als Statue eines Schutzherrn (V 8,2), cliens (II 23,3); ohne die Bezeichnung zu verwenden im sachlichen Zusammenhang vgl. VI 33,4. Vom Empfänger selbst wird erwartet, dass er sich als Klient bezeichnet (siehe auch den Vergleich mit der Semantik bei Cicero; Kap. 4.1). 20 R.P. Saller, Patronage 9. Zu den Höflichkeitsregeln vgl. J. Wolkenhauer, Schrift 258 f. 21 So ist die admonitio unter Freunden durchaus wünschenswert und gar als Dienst am Empfänger zu deuten; vgl. auch V 21,2. Zu Beginn des Traktats wird dem auf Dankbarkeit wartenden Wohltäter empfohlen, diese durch die Gewährung weiterer Wohltaten sanft zu erzwingen, denn „wer nicht ablässt und auf frühere weitere folgen lässt, nötigt auch einem verhärteten und vergesslichen Menschen Dank ab“ (qui instat et onerat priora sequentibus, etiam ex duro et inmemori pectore gratiam extundit; I 3,1).
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dazu geraten „freimütig zurückzugeben“ (libenter reddere; I 4,3). Der Gebrauch des Verbs ist schillernd, heißt es doch an anderer Stelle, gerade die wichtigsten Dinge ließen sich nicht erstatten: reddi maxima quaequae non possunt (III 14,3). Ohnehin geht es nicht darum, „dasselbe, sondern ebensoviel“ (VI 5,2) zurückzugeben.22 Andernorts wird der dankbare Schuldner beschrieben, der darüber nachsinnt, „wie er voller und reichlicher vergelte“ (quemadmodum plenius uberiusque respondeat; III 17,4).23 Gegenüber dem Ausgleich geht es hier darum die empfangene Wohltat zu übertreffen, was oftmals in Begrifflichkeiten des Agons ausgedrückt wird.24 Entscheidend für die Vergeltung einer Wohltat ist der Dank: Unterschieden werden muss zwischen gratias agere bzw. dicere und gratiam referre.25 Ersteres bedeutet Dank sagen, letzteres Dank abstatten. Das Verhältnis beider Handlungen zueinander berührt die Grundprobleme des Werkes: Grundsätzlich gilt für Seneca, dass der dankbare Empfang einer Wohltat, gepaart mit dem aufrichtigen Verlangen sie zu erwidern, prinzipiell zu ihrer Vergeltung hinreicht (vgl. IV 21,1 f). Wer also empfängt und „wünscht Dank abzustatten“ (referre gratiam cupit; IV 21,2), hat die erhaltene Wohltat, verstanden als sittliche Handlung, vergolten. Es kommt nämlich letzten Endes rein auf die Gesinnung der am Austausch Beteiligten an, die freilich sichtbar werden sollte.26 Wohltaten sind primär am Nutzen des oder der Empfangenden auszurichten. Es ist darauf zu achten, dass, was man gewährt, „am meisten dem Genuss dienen wird“ (IV 11,6) und sich als minime mortale (I 12,1) erweist, also möglichst nachhaltig wirkt im Gegensatz zu dem, „was kurzer Gebrauch abnutzt“ (I 12,2).27 Grundsätzlich gilt: „Eine Wohltat besteht darin, etwas mit Nutzen zu gewähren“ (beneficium est praestitisse aliquid utiliter; V 10,1), oder noch kürzer: „Eine Wohltat ist, was nützt“ (quod prodest; V 12,3), und zwar ausschließlich dem Empfänger!28 Hinzu kommt, dass dieser Nutzen von der gebenden Person intendiert sein muss: „Denn wer mir eine Wohltat erweisen will, muss mir nicht nur nutzen, sondern es wollen“ (nam qui beneficium mihi 22 Der Gedanke des Ausgleichs bleibt gleichwohl leitend: vgl. exaequo (II 25,1), paria facio (II 30,2) oder satis facio (II 35,1). 23 Vgl. auch I 10,5. 24 Vornehmlich durch das Verb vinco (I 1,10; 4,3 u. ö.). 25 G. ago (II 17,6 u. ö.); g. dico (II 35,1); g. refero (II 17,6 u. ö.). 26 Das kann etwa durch das Lob des Wohltäters geschehen (laudo; II 11,3). 27 Die Brauchbarkeit der Sache für den Empfänger macht eine Wohltat wertvoll (vgl. I 12,3), darüber hinaus sollen Geschenke rara et exquisita (I 12,4) sein, also eher individuell zugeschnitten auf den Empfänger als pompös. Zur Kategorie der willkommensten Wohltaten gehören die, „die schon bereitstehen, selbstverständlich sind, sich anbieten, wo es keinen Verzug gibt, außer im Taktgefühl des Empfangenden“ (II 1,3). Besser sind eine sofortige Zusage und unverzügliches Handeln als ein diu cogitatus munus (vgl. II 2,2). 28 Wie die Aussaat des Bauern, bedarf die Wohltat zudem der weiteren Hege des Wohltäters (vgl. II 11,4), was ihren Nutzen- und Vernunftaspekt unterstreicht. Niemand kann sie sich selbst erweisen (vgl. V 7–11), vielmehr stellt sie ein mitmenschliches Verhalten (socialis res; V 11,5) dar, das nicht um des Gebers, sondern des Empfängers willen zustande kommt (vgl. V 11,6).
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daturus est, debet non tantum prodesse, sed velle; VI 7,3). Es muss also in der richtigen Gesinnung gegeben worden sein, damit zutreffenderweise von einem Benefizium gesprochen werden kann. Demzufolge kann eine Wohltat nach dem Verständnis Senecas viele materielle oder immaterielle Formen annehmen, ist notwendigerweise auf den langfristigen Nutzen des Empfängers ausgerichtet und darin vernünftig. Welche Gestalt eine Wohltat auch annimmt, ohne den guten Willen des Gebers kommt sie nicht zustande. Damit ist das beneficium untrennbar mit der bona voluntas des Erweisenden verbunden.29 Unter Berücksichtigung der verschiedenen Rollen von Geber und Empfänger sowie des agonalen Charakters ergibt sich folgende Zusammenfassung, wie ein idealer Austausch ablaufen soll: Docendi sunt libenter dare, libenter accipere, libenter reddere et magnum ipsis certamen proponere, eos, quibus obligati sunt, re animoque non tantum aequare sed vincere, quia, qui referre gratiam debet, numquam consequitur, nisi praecessit; hi docendi sunt nihil inputare, illi plus debere. Unterwiesen werden müssen die Menschen, gern zu geben, gern entgegenzunehmen, gern zu vergelten und sich großen Wetteifer vorzunehmen, die Menschen, denen sie verpflichtet sind, in Tat und Gesinnung nicht nur einzuholen, sondern zu übertreffen, denn wer Dank abstatten muss, schafft das nicht, wenn er nicht überholt; diese müssen unterwiesen werden, nichts als Schuld zu verbuchen, jene, mehr zu schulden (I 4,3).
2.3 Wohltat als per se expetenda res und imitatio dei Das Thema des vierten Buches ist die Erörterung der Frage, „ob eine Wohltat zu erweisen und umgekehrt Dank abzustatten an und für sich erstrebenswerte Handlungsweisen (per se res expetendae) sind“ (IV 1,1). Der erste Teil der Frage, der auf die Gewährung zielt, wird in IV 1–15 behandelt, der zweite, auf den Dank bezogene, in IV 16–25.30 Kritisiert werden diejenigen, „die Sittliches 29 Dasselbe Wohltatenverständnis, nämlich die Unterstreichung der Gesinnung und Fokussierung des Empfängernutzens, spiegelt sich in Plutarchs Vorrede zu seinen Apophthegmata an Kaiser Trajan: „Der Perserkönig hielt es nicht weniger für königlich und menschenfreundlich, kleine Geschenke freundlich und liebreich anzunehmen, als große zu geben; denn als ihm einst bei einer Reise auf dem Wege ein armer, gemeiner Bauer, der nichts weiter hatte, aus dem Flusse mit beiden Händen Wasser schöpfte und anbot, nahm er es mit einem freundlichen Lächeln an, indem er bei der Gabe auf die Gesinnung des Gebers und nicht auf den Wert des Gegenstandes sah (t0 pqohul_ô toO did|mtor oq t0 wqe_ô toO didol]mou tµm w\qim letq^sar). Mit einer solchen Gesinnung bitte ich dich auch, die geringe Gabe und die gemeinen Erstlinge der Philosophie, die ich hier anbiete, anzunehmen, und neben dem guten Willen [des Gebers] auch die Nützlichkeit meiner Schrift in Betracht zu ziehen“ (Apophth 172B). 30 Es folgen Ausführungen zum Umgang mit Undank (vgl. IV 26–33), die in eine – grundsätzlich auch zum Thema gehörende – Erörterung bzgl. Geltung und Reichweite von Versprechen (vgl. IV, 34–40) münden.
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gegen Lohn verehren und denen kostenlose Tugend nicht gefällt; sie enthält in sich nichts Großartiges, wenn irgendetwas Käufliches“31 (IV 1,2). Fast alle wichtigen Motive des Werkes zur Qualifizierung einer Wohltat sind hier versammelt: das Sittliche (honestum), das mit der Erwartung eines Lohns oder Zinses (merces) nicht zusammenzubringen ist, die um ihrer selbst willen zu vollbringende Tugend (virtus gratuita) und, dieser entgegengesetzt, die Erbärmlichkeit des Käuflichen (venale).32 Die wahre Tugend rechnet nicht auf Gewinn oder Verlust, das Rechnen und Berechnen (computo; IV 1,2) wird heftig gegeißelt. In den Staub zu treten sind die Nützlichkeitserwägungen (utilitates; IV 1,2), die sich in der Frage „Was werde ich erreichen?“ (quod consequar; IV 1,3) zu erkennen geben. Die virtus muss demnach eindeutig vor der voluptas rangieren, was laut Seneca im Gegensatz zur Auffassung der Epikureer steht. Denen wird unterstellt, sie suchten für eine Wohltat etwas Angenehmes zurückzubekommen, wollten diese folglich nur um des eigenen Genusses willen erweisen. Das aber hätte zur Folge: „Wenn wir in der Hoffnung, unsererseits etwas zu erhalten, schenkten, gäben wir gerade den Reichsten, nicht den Würdigsten“ (IV 3,1), womit die Genussorientierung ethisch diskreditiert wird. Umgekehrt hätten die am wenigsten Bedürftigen, nämlich die Reichen und Mächtigen und zuoberst die Götter, keinerlei Veranlassung, unter dieser Prämisse Wohltaten zu erweisen (vgl. IV 3,2). Gerade das tun sie aber unentwegt, so macht Seneca gegen die Epikureer geltend (vgl. IV 4,1).33 Niemand befinde sich in einem derart elenden Zustand, „daß er nicht der Götter so große Wohltätigkeit wahrnähme“ (ut non tantam deorum munificentiam senserit; IV 4,3). In Form der Diatribe wird deren umfassendes Handeln zur Sprache gebracht: „Non dat deus beneficia.“ Unde ergo ista, quae possides, quae das, quae negas, quae servas, quae rapis? unde haec innumerabilia oculos, aures, animum mulcentia „Nicht erweist der Gott Wohltaten.“ Woher also das, was du besitzt, was du gewährst, was du verweigerst, was du bewahrst, was du dir aneignest? Woher diese unzähligen Dinge, die Augen, Ohren und Seele bezaubern (IV 5,1)?
Mit Begriffen aus dem Bereich der Sinnesfreuden wie sentio (IV 4,3), mulceo, luxuria, deliciae etc. (IV 5,1) werden die Gunsterweise der „Himmlischen“ (IV 3,3) an den Menschen beschrieben und damit die gegenüber den Epikureern richtige Weise des Genusses propagiert. Dabei werden Göttliches und Natur durch einen Wirkzusammenhang in Verbindung gebracht. Die Natur nötigt dem Menschen durch ihre Gaben Dankbarkeit ab, weil er alles von ihr empfängt, bis hin zur Luft: „Woher dieser Atem, den du holst“ (IV 6,3)? Da die Zuwendungen des Alls auf dessen „göttlichen Urgrund“ (vgl. IV 7,1) verweisen, ist dem Gott (ansprechbar unter verschiedenen Namen, im Singular oder 31 Übers. nach M. Rosenbach. 32 Zum Verständnis von merces als Zins vgl. S. Mroz˙ek, Faenus 19. 33 Zur Kosmologie des Epikureismus vgl. M. Hossenfelder, Philosophie 133–146.
Wohltat als per se expetenda res und imitatio dei
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Plural) zu danken und sein Verhalten nachzuahmen: Der Gott handelt „ohne eine Hoffnung […], seinerseits etwas zu erhalten, da je weder er einer Zuwendung bedarf noch wir ihm irgendetwas zuwenden können; also ist eine Wohltat um ihrer selbst willen eine wünschenswerte Sache“ (per se expetenda res; IV 9,1). Die vom Autor auch an anderer Stelle propagierte sorgfältige Auswahl des Begünstigten widerspricht dem nicht,34 denn weiter heißt es: „Allein werde an ihr gewünscht des Empfangenden Nutzen; ihm wollen wir nahekommen und beiseite lassen unseren Vorteil“ (sepositis commodis nostris; IV 9,1). Dem Geber verschafft eine Wohltat allein „ein gutes Gewissen“ (bonam conscientiam), alles Weitere wird, in semantischer Nähe zum Geldverleih, als „schmutzige Berechnung“ (sordida computatio) bezeichnet. Unangebracht ist es zu fragen, „was verschaffen soll die Gerechtigkeit, was die Unschuld, was die seelische Größe, was die taktvolle Zurückhaltung, was die Selbstbeherrschung“ (quid reddat iustitia, quid innocentia, quid magnitudo animi, quid pudicitia, quid temperantia; IV 12,4). Diese Tugenden nehmen bedingungslos in Pflicht und sind um keines außer ihnen selbst liegenden Zweckes willen zu erfüllen. Paradoxerweise erlangt jedoch gerade wer sich allein am honestum orientiert, den wahren Genuss (gegenüber der falschen voluptas der Epikureer). Die Verabschiedung der Lohnperspektive verheißt demnach den Lohn der Gottesnähe. Im nach Abel zweiten metaphysischen Durchblick (vgl. IV 4–6) scheint auf, wie Seneca der drückenden Frage nach dem Nutzen als Lohn und Genuss begegnet: mit einem synästhetisch gefärbten Lobgesang auf die Segnungen der Natur, die bezaubern und entzücken, also affektiv wirken und dadurch den Menschen zum sittlichen Handeln motivieren (sollen). Die Wohltaten des Gottes erreichen dabei nicht nur Augen und Ohren, sondern v. a. den Geist (animus; IV 5,1).35 Das beneficium als per se expetenda res schließt an das !cah|m im Sinne Aristoteles’ an, bei dem es aufgefasst wird als das, was um seiner selbst willen angestrebt wird (vgl. Rhet 1362a). Seneca verurteilt, „wenn ich niemandem nützlich bin, außer damit er mir umgekehrt nützlich ist“ (IV 11,2), worin wiederum laut Josephus die Grundmaxime menschlicher Austauschauffassungen besteht: Die Menschen sind allerdings von Natur aus so geartet, dass sie erst dann anderen eine Wohltat erweisen wollen, wenn sie selbst vorher irgendeinen Vorteil von ihnen erlangt haben. 34 Zur Wahl eines würdigen Empfängers: „Auswählen werde ich einen Mann, der lauter schlicht, von gutem Gedächtnis, dankbar, von fremdem Gut sich zurückhaltend, das eigene ohne Geiz bewahrend, guten Willens (simplicem, memorem, gratum, alieni abstinentem, sui non avare tenacem, benivolum; IV 11,1); vgl. auch IV 28. 35 Für Miriam Griffin besteht das Problem darin, dass eine freie Gabe ohne Rückerwartung in ein Austauschsystem eingepasst werden muss. Mit Blick auf Ben VII 32 spricht sie von indirekter Reziprozität, bei der sich das selbstlose Engagement des Wohltatengebers auf lange Sicht durch Rückwirkungen auf die Gemeinschaft auszahlt (vgl. dies., Seneca 44 f); siehe Kap. 6.3.6.
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v}sei t_m !mhq~pym C pq¹r to»r !cah|m ti paqeswgl]mour vikotiloul]mym, C paqû ¨m #m d}mymtai kabe?m evekor to}tour pqoheqapeu|mtym (Jos., Ant VI 341).36
Seneca würde den Befund teilen, lässt jedoch normativ eine Nutzenkalkulation nur im Blick auf den Wohltatenempfänger zu, womit er Ehrenhaftes (honestum) und Nützliches (utile) auseinanderreißt. Damit geht er nicht zuletzt auch über Cicero hinaus, der beides noch zu identifizieren versucht.37 Die Frage quid consequar? (IV 1,3) lässt sich jedoch auch für Seneca nicht ohne Rest verscheuchen; es bedarf einer positiven Motivation zu benefiziellem Handeln. Mit dem Motiv des Genusses bietet sich ihm eine Möglichkeit, die Allgegenwart der Frage nach dem Nutzen auszuhebeln. Dazu wird eine ins Kosmische ausgreifende Natur-Perspektive bemüht: Dem Leser wird eine göttlich begründete, wohltätige Natur vor Augen gestellt, die ihm Dankbarkeit abnötigen und ihn zur Nachahmung motivieren soll. Das göttlicher Herkunft entspringende Gute ist definiert als das was nützt: quod bonum est prodest (Sen., Ep CXVII 2), das beneficium wiederum als ein bonum (Ben I 6,2). Demnach erlangt man durch Spenden von Wohltaten Anteil am göttlich Guten.38 Dieser Gedanke der imitatio dei, zu finden bereits bei Plato, kommt bei anderen Stoikern nicht allzu oft vor.39 Er findet sich bei Dion von Prusa, der von göttlichen Wohltaten (Agath ) spricht, die überall und an alle Menschen verteilt werden (vgl. Or XXXII 15);40 sie weiterzugeben ist Herrschertugend, wie in den Königsreden mehrfach angemahnt wird: Schon Homer habe gewusst, dass „nicht jeder König Zepter und Macht von Zeus verliehen bekommt, sondern nur der gute“ (t¹m !cah|m; Or I 12). Für diesen gilt: „Nächst den Göttern wird er für die Menschen sorgen, die Guten lieben und ehren (til_m l³m ja· !cap_m to»r !caho}r), aber sich aller annehmen“ (Or I 17). Der semantischen Nähe von bonum und beneficium entspricht die von !cah|m und eqeqces_a (Or I 24). Beim Herrscher wird die gütige Zuwendung zu den Untertanen u. a. mit dem Verhalten eines guten Hirten oder des Göttervaters Zeus verglichen (vgl. Or II 72–75).41 Er „glaubt, dass den anderen Menschen seine Fürsorge in demselben Maße nützt wie ihm selbst die Herrschaft der Götter“ (Or III 52).42 Immer wieder werden Schlafmangel, Pflichtgefühl und Sorge um die Untergebenen hervorgehoben, die den Herrscher doch nicht belasten 36 Die Maxime wird von der Wahrsagerin gegenüber Saul vorgebracht, die sie dann durchbricht, weil sie ihm völlig uneigennützig Rat erteilt (siehe auch Kap. 8.3.2). 37 Siehe Kap. 3. 38 Vgl. J. Wildberger, Seneca 651 i.d.Anm. 39 Vgl. Plat., Theaet 176b; J. Wildberger, Seneca 271. Hellenistisch-jüdisch wird das Motiv des lile?shai he|m von Philo in Virt 166–170 aufgegriffen, der es dort ebenfalls im Zusammenhang mit der Weitergabe göttlicher Wohltaten propagiert (siehe auch Kap. 8.3.2.2). 40 Damit beantwortet Dion auch die Frage nach der Herkunft des Bösen (t± jaj\): Es kommt von den Menschen, während die Götter lediglich !cah\ austeilen. Siehe auch Kap. 8.3.3. 41 Zum Hirtenbild vgl. auch Or III 41. 42 Die imitatio dei kann sich auch als imitatio naturae bzw. solis äußern (vgl. Or III 57; 73).
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sollen: „Sollte er es nicht, soweit es in seinen Kräften steht, der Macht und der Menschenliebe des Gottes gleichtun“ (Or III 82)? Gerade auch in der – wenngleich bei Dion nicht ganz so radikalen – Genussfeindlichkeit treffen sich Motivik und Gedankengang mit denen Senecas.43 Wie in De Beneficiis die Frage nach Genuss und Nutzen verhandelt wird, lässt sich schließlich auch an der Wortwahl der astronomischen Ausführungen in IV 23–24 zeigen: Nicht wirst du gefangengenommen von dieses großen Weltenbaues Anblick, auch wenn er dich nicht schützt, nicht bewacht, nicht wärmt und hervorbringt und mit seinem Geist durchtränkt (IV 24,1)?
Auffallend ist das in IV 23 verwendete Vokabular der Beobachtung, Kategorisierung und Quantifizierung.44 Zudem werden Lebendigkeit und Dynamik der Gestirne durch zahlreiche Bewegungsverben vermittelt.45 Die Ordnung der Gestirne kann teilweise erfasst werden und nötigt dem Betrachter Ehrfurcht ab. Die verwendeten Ordnungskategorien werden jedoch von einer Applikation auf das eigene Nutzenkalkül abgegrenzt: „Wer denkt daran, dass ihm diese Dinge dann, wenn er sie bewundert, nützen“ (IV 23,2)?46 Die Exaktheit der Analyse kennt demnach in der Dimension des Kosmischen keine Nutzanwendung, die genaue Beobachtung zielt nicht auf Aneignung zum Zweck des eigenen Genusses. Darin unterscheidet sich die Astronomie von einem stärker irdischen Bereich, in dem es ebenfalls um Präzision geht: dem von creditum und feneratio. Der Geldgeber fordert ad horam et diem (I 2,3), die Exaktheit in diesem Bereich zielt demnach nicht auf dankbares Staunen, sondern im Gegensatz dazu auf utilitas, commodum, merces oder praemium.
2.4 Beneficium und creditum Zur auffallenden Verflechtung der Sprache von Wohltätigkeit und Geldleihe hält Jan Wolkenhauer fest: 43 Dion zufolge „läßt Bequemlichkeit die Anstrengungen immer beschwerlicher erscheinen, während sie das Vergnügen mindert und ihm seinen Reiz nimmt“ (Or III 83). Damit ist eher funktional und weniger apodiktisch argumentiert, als es bei Senecas Invektiven gegen die Epikureer der Fall ist: Die virilia incommoda (IV 2,4) würzen nicht etwa einen sinnlich verstandenen Genuss, sondern in ihnen selbst liegt ein auf den animus bezogener Genuss (vgl. IV 13,1 f; 22,2). 44 Siehe observabilis (IV 23,1), observo, discrimen, numerum (IV 23,3), innumerabilis (IV 23,2.4), existimo und comprehendo (IV 23,4). Die Reichweite dieser Erkenntnis ist gleichwohl begrenzt, was sich im Begriffsfeld der Dunkelheit niederschlägt, siehe abscondo (IV 23,3), obscurus und occultus (IV 23,4). 45 Siehe transcurro (IV 23,2), labor, evolvo, educo (IV 23,3), discurro, eo, pergo, ago (IV 23,4). 46 Von einem Bacon’schen Verständnis im Sinne von „Wissen ist Macht“ ist die Naturbetrachtung Senecas also weit entfernt.
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Das Benefizienwesen hat sein Vokabular mit dem römischen Schuldrecht gemeinsam: debeo, obligo, praesto, solvo, solutio. Seneca ist peinlich darum bemüht, das commercium beneficiorum von kommerziellen Kreditgeschäften abzugrenzen und kommt doch nicht ohne die Metapher vom Kredit aus.47
Diese Diskrepanz zwischen inhaltlicher und semantischer Ebene soll in drei Schritten näher beleuchtet werden: (1) Die Unterschiede zwischen beneficium und creditum sollen hinsichtlich Dank und Schuld klarere Konturen bekommen, (2) ebenso die jeweiligen Sanktionsmöglichkeiten von Wohltatenaustausch und Geldverkehr. (3) Überschneidungen und Grauzonen in den von Seneca gewählten Motivinventaren sollen aufgezeigt und gedeutet werden.
2.4.1 Dank und Schuld Darf der Geber den Empfänger daran erinnern, was dieser ihm schuldet? Prinzipiell nein, unter gewissen Umständen aber doch, so Senecas Antwort in Kurzform. Denn einerseits heißt es: Am anständigsten ist jener, der leicht gibt, niemals einfordert, sich freut, dass erwidert wird, vertrauensvoll vergisst, was er gewährt hatte, der mit der Gesinnung eines Menschen, der ein Geschenk erhält, eine Wohltat wiederbekommt (II 17,7).48 47 J. Wolkenhauer, Schrift 253. Zum Vokabular ergänzend zu nennen: inputo, zumeist im Zusammenhang mit Geld (I 4,3; II 15,2; III 31,4), einmalig mit einer Wohltat (III 18,1); credo (I 2,3; IV 26,3); feneror (I 1,9) sowie commodo (im Gegensatz zu do, III 7,3), in calendario scribo (I 2,3; VII 10,3); appello (I 2,3; IV 39,2). Siehe auch exactio als Rückforderung oder Einziehung (IV 39,2; exactor; I 2,3; exigo; III 6,1; acerbe e.; II 17,7). Benefizien sollen nicht oder zumindest nicht nur um eines möglichen Gewinnes willen gewährt werden, „oder es war keine Wohltat, sondern eine Geschäftsbeziehung“ (non fuit beneficium, sed negotiatio; II 31,2). Schließlich „unterscheidet sich von einer Wohltat ein Geschäft“ (a beneficio distat negotiatio; VI 12,2). Weitere Abgrenzungen beider Bereiche vgl. II 31,2; IV 39,2; V 20,6; VI 12,2. 48 Die Aussage steht im Kontext grundsätzlicher praecepta an die Adresse von Wohltatengebern in II 1–17 (zur Unterscheidung zwischen decreta und praecepta, dogmatischer und paränetischer Ebene der Abhandlung vgl. J. Wolkenhauer, Schrift 83–85). Benefizien sollen sich radikal am Wohle des Empfängers ausrichten, sorgsam und in Liebe, auf keinen Fall aber hochmütig gewährt werden (vgl. II 11,5 f; II 13,1 f). Dazu kann gehören, dass der Begünstigte einer Wohltat gar nicht erfährt, von wem er sie erhalten hat (vgl. II 10,1), oder gewisse Dinge ihm auch gegen seinen ausdrücklichen Wunsch verweigert werden, wenn sie ihm schaden (vgl. II 14,1). Dass der Gebende in beiden Fällen auf schmeichlerische Dankesbekundungen verzichten muss, lässt nach Ansicht des Autors nur deutlicher das Proprium der um ihrer selbst willen zu gewährenden Wohltat hervortreten (vgl. etwa II 11,1). Die Konzentration ausschließlich auf das Wohl des Begünstigten äußert sich auch darin, dass niemals ein Vorwurf gemacht werden noch erinnert werden darf (vgl. II 10,4). Die Pflichtenaufteilung zwischen Spender und Empfänger sieht so aus, dass ersterer nicht anders als durch weitere Geschenke an ein vorheriges erinnern darf, denn: „wer erinnert, fordert zurück“ (II 11,2). Ansonsten hat er über die Wohltat zu schweigen, „es erzähle, wer sie entgegengenommen hat“ (II 11,2; vgl. auch II 23,1). Paulus verstößt im Phlm gegen diese Maxime (vgl. T.R. Blanton, Benefactor).
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Andererseits wird eine Erinnerung im hinteren Teil von De Beneficiis zugestanden, sei es im Interesse des Empfängers oder gar auch im Eigeninteresse des Gebers.49 Gerade letzteres muss angesichts der radikalen Äußerungen in Buch IVerstaunen, doch differenziert Seneca zwischen Ideal und Wirklichkeit: Zu schweigen und warten wäre nur möglich, „wenn wir unter Weisen lebten“ (V 25,3).50 Dieser Idealvorstellung zufolge gilt, „ein Mensch, der eine Wohltat gern entgegennimmt, habe sie bereits vergolten. Denn da wir alles auf die Gesinnung beziehen, hat ein jeder gehandelt, wenn er gewollt hat“ (II 31,1). Letztlich ist es also zur Erstattung des beneficium, einer im Kern immateriellen res inter animos ausreichend, sie in dankbarer Gesinnung anzunehmen. „Wenn daher verständnisvoll entgegengenommen worden ist eine Wohltat, hat, wer sie erwies, den Dank (gratiam) schon empfangen, den Lohn (mercedem) noch nicht; ich schulde daher, was außerhalb der Wohltat steht (debeo itaque, quod extra beneficium est), die Wohltat selbst freilich habe ich durch freundliche Entgegennahme abgegolten (persolvi)“ (II 33,3).51 So kann und soll sich der Wohltatenempfänger in einer Atmosphäre der amicitia um Erstattung des materiellen Teils seiner Schuld mühen, d. h. nicht nur Dank sagen (gratias agere), sondern auch Dank abstatten (gratiam referre; II 17,6) – in dem entlastenden Wissen beider Parteien, dass die Wohltat selbst bereits abgegolten ist. Keinesfalls soll die Schuld eingetrieben werden, denn: Nemo beneficia in calendario scribit, nec avarus exactor ad horam et diem appellat. Niemand schreibt seine Wohltaten ins Schuldverzeichnis, noch fordert er als habsüchtiger Eintreiber auf Stunde und Tag zur Zahlung auf (I 2,3).
Das wäre turpissima feneratio.52 Zur Auswahl eines Wohltäters oder Geldverleihers wird Folgendes geraten: Daher muss ich auswählen, von wem ich eine Wohltat entgegennehme; und wirklich muss der Gläubiger einer Wohltat sorgfältiger gesucht werden als der einer Geldsumme. Diesem nämlich muss ich wiedergeben, wieviel ich erhalten habe, und wenn ich zurückgegeben habe, bin ich ledig und frei; hingegen jenem muss ich erstens mehr zahlen, und zweitens hängen wir nichtsdestoweniger auch dann miteinander 49 Vgl. V 20,7; V 22,1; V 25,1–3. 50 In Buch VII schließlich wird die Aufforderung des Gebers seine Gabe zu vergessen, als Übertreibung zu pädagogischen Zwecken ausgewiesen (vgl. VII 22,1; Stilmittel der hyperbole¯), das in Buch II Geäußerte sei nicht wörtlich zu nehmen: „Wenn wir sagen: ,Wer eine Wohltat erwiesen hat, soll es vergessen‘, sagen wir folgendes: ,Ähnlich sei er einem, der vergessen hat‘“ (VII 23,2). 51 Die noch zu erbringende Schuld (debitum) aufseiten des Empfängers entspricht dem gegenständlichen Lohn (merces) aufseiten des Gebers, beides letztlich Akzidentien der Wohltat (vgl. auch III 7,6). Die Schuld auch materiell zu tilgen bleibt freilich weiterhin Verpflichtung (vgl. II 35,5). Der gütige Wohltäter wird aber im Zweifelsfall auf seinen Lohn verzichten, wenn er die gute Gesinnung (animus) des um Rückgabe sich mühenden Schuldners sieht (vgl. VII 14,5). 52 Entsprechend werden hartherziger und gutmütiger Gläubiger (acerbus/benignissimus creditor; VII 14,5) gegenübergestellt. Während der eine am Stichtag sein Geld einfordert, genügt dem anderen, die gute Gesinnung des Schuldners zu sehen.
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zusammen, wenn der Dank abgestattet ist; ich muss nämlich, wenn ich erwidert habe, von neuem beginnen, und es bleibt die Freundschaft; und wie ich in die Freundschaft einen unwürdigen Menschen nicht aufnähme, so auch nicht in das hochheilige Recht der Wohltaten, aus dem die Freundschaft entsteht (II 18,5).53
Im Gegensatz zur Aufnahme eines Geldkredits, dessen exakte Rückzahlung die Schuld tilgt, wodurch der Schuldner solutus ac liber wird, ist der springende Punkt beim Empfang eines Benefiziums die dadurch initiierte, als amicitia vorgestellte zwischenmenschliche Beziehung. Um sie in Gang zu halten, muss mehr (und anderes) als das Empfangene zurückgegeben, und dadurch eine neue Runde im Kreislauf des Benefizientausches eingeläutet werden.54 Derart verpflichten sollte man sich nur einer integren Person, während der moralische Status eines Gläubigers weniger relevant ist (auch wenn er fast durchweg als schlecht dargestellt wird): Ihm ist nur zurückzugeben, was entliehen wurde, und damit endet die Beziehung. Paradigmatisch kommt dies in der Einsicht zum Ausdruck: „Was ich gekauft habe, schulde ich nicht“ (quod emi, non debeo; VI 14,3). Eine im Hintergrund stehende Gesinnung (animus; voluntas) ist hierbei irrelevant, wobei der Geldverkehr und dessen Nutznießer immer wieder abgewertet werden.55 Während die turpissima feneratio den Schuldner ins Elend treibt, hat die Dynamik des Agonalen im Wohltatenkonzept Senecas keine ruinösen Folgen. Das liegt daran, dass dieser Wettkampf/certamen (I 4,3) allein auf der Ebene des guten Willens abläuft.56 Es geht um einen wünschenswerten, weil sittlichen Wettbewerb zwischen Geber und Empfänger, der allen unabhängig von ihren jeweiligen Lebensumständen (fortuna) offensteht: „Manchen Menschen sind wir nämlich sowohl gleich als auch ungleich, gleich in der Gesinnung, […] ungleich an Lebensumständen; wenn diese einen daran hindern, Dank abzustatten, braucht er deswegen nicht, als sei er übertroffen worden, zu erröten“ (V 5,3).57 Die Tendenz zur ruinösen Überbietung, die Reziprozitätsverhältnissen zueigen ist, wird hier sublimiert, indem sie auf die rein sittliche Ebene der bona voluntas gehoben wird: Paradoxerweise führt dadurch der auf Dominanz zielende Agon bei Seneca auf eine gewisse Gleichstellung der Beteiligten.58 Der 53 Übers. nach M. Rosenbach. 54 Vgl. dazu grundlegend I 4,3. 55 Siehe u. a. die Charakterisierungen turpissima feneratio, avarus exactor (I 2,3) bzw. acerbus creditor (VII 14,5). 56 Der Entgegennehmende soll wetteifern seinen Wohltäter zu übertreffen, dieser muss lernen nihil inputare (I 4,3), also nicht in die Rolle eines Kreditgebers zu verfallen. 57 Diese Haltung entspricht dem stoischen Motiv der „Entwertung des Unverfügbaren“ (M. Hossenfelder, Philosophie 45). 58 Eine archaische Form von Reziprozität, die das Verlorengeben magno animo noch kannte, klingt leise an: „Unsere Vorfahren, in der Tat hochbedeutende Männer, forderten von den Feinden nur Schadenersatz, Wohltaten erwiesen sie mit Großmut, gaben sie mit Großmut verloren“ (III 6,2). Auch Dion von Halikarnassos spricht von einem !c½m [rp³q] t/r eqmo_ar (Ant Rom II 10,4), dort im Zusammenhang mit der von Romulus in der Vorzeit installierten Patronage.
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Austausch von Wohltaten ist demnach auf Perpetuierung in einer Atmosphäre von amicitia angelegt, der Geldverleih seitens des Geldgebers auf materiellen Gewinn, seitens des Schuldners auf solutio der (Schuld-)Beziehung.59 2.4.2 Überblendungen und Grauzonen Neben scharfen Abgrenzungen zwischen beneficium und creditum überlagern sich beide Bereiche semantisch.60 Wie das geschieht, lässt sich an der Verwendung von solvo bzw. solutio zeigen: 1. Das Vokabular kommt in beiden Regelkreisen zur Beschreibung der jeweiligen Logik vor: „Ledig und frei“ (solutus ac liber; II 18,5) zu sein, ist Ziel desjenigen, der einen Kredit schuldet. Auch eine Wohltat wird abgegolten, aber anders (aliter beneficium, aliter creditum solvitur; II 34,1). 2. Begrifflichkeit aus dem Geldverleih wird zur Darstellung von Wohltätigkeit herangezogen, z. B. wenn ein beneficium als creditum insolubile (IV 12,1) definiert wird. In diesem Fall wird die Verwendungsweise vom Autor reflektiert: creditum wird bewusst als Bild (imago) zur Verdeutlichung von beneficium gebraucht.61 3. Schließlich findet sich Darlehenssemantik als Bildspender für benefizielle oder andere Zusammenhänge, ohne dass dies irgendwie problematisiert würde: Wenn z. B. jemand ungeeignet für eine Aufgabe ist, aber verdiente Vorfahren hat, wird durch seine Anstellung ein alter Kredit zurückgezahlt (olim debitum solvere; IV 32,3).62 Auch anhand weiterer Begriffe lassen sich diese ––drei Überblendungsweisen zeigen.63 59 Freilich kann solutio auch zum Vergleich von Geldzahlungen mit Wohltaten herangezogen werden (vgl. Sen., Ben VI 5,2), was eigentlich nicht mehr der Idealkonzeption entspricht (siehe Kap. 2.4). 60 Wolkenhauer stellt ohnehin heraus, dass entgegen der scharfen Abgrenzungen Senecas „Transaktionen von Geld innerhalb der Aristokratie immer in interpersonale Bindungen eingebettet blieben und soziale Verpflichtungen schufen. Auch unter amici wurden Zinsen genommen“ (ders., Schrift 184). M. E. bestreitet Seneca nicht, dass durch verzinste Darlehen eine soziale Verpflichtung entsteht, sondern missbilligt diese als einen von Habgier und Feindseligkeit hervorgebrachten Zustand, wie o.g. Stellen unterstreichen. 61 Ein weiteres Beispiel ist die Aussage, dass bei jeder solutio nicht dasselbe, sondern ebenso viel erstattet werden müsse (vgl. VI 5,2), was mit dem Motiv des Gesinnungsagons nur schwer vermittelbar ist. 62 Vgl. Plat., Leg 717b–c, im Anschluss Plut., Frat Am 479D. Zu Liebeserweisen und Wohltaten als Darlehen vgl. Dio Chrys., Or VII 89; D. Zeller, Charis 20 i.d.Anm. Zum Vergleich der diesbezüglichen Rhetorik Senecas mit Paulus vgl. T.R. Blanton, Benefactor. 63 Zu (1), bzgl. Geber und Empfänger: Diese müssen unterwiesen werden, nichts als Schuld zu verbuchen, jene, mehr zu schulden (nihil inputare/plus debere; I 4,3). Zu (2): Etwas aus den Händen zu lassen ist dem Verkaufen und Geben gemeinsam (vendere, sic dare; V 10,1). Zu (3): Bzgl. der Lebensbilanz am Ende sind nicht „anderer Menschen Jahre zu berechnen, sondern die eigenen […] auf die Habenseite zu setzen“ (in lucro ponere; V 17,7). Zum Vergleich mit der
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Diese dritte Umgangsweise, die direkte, nicht problematisierte Übertragung von Darlehenssemantik auf den Wohltatenkontext, scheint im Kontext besonders bemerkenswert: „Bei mir wird diese Buchführung von Ausgaben und Einnahmen genau geprüft“ (aput me istae expensorum acceptorumque rationes dispunguntur; IV 32,4). Oder: „Nicht nur zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner sitzt ein Richter […]; auch zwischen Wohltaten und Ungerechtigkeiten wird eine Aufrechnung angestellt“ (non tantum inter creditorem et debitorem iudex sedet […]; inter beneficia quoque et iniurias ratio confertur; VI 4,5).64 Gerade das Aufrechnungsmotiv metaphorisch für den Wohltatenaustausch einzuspannen, ist angesichts der Forderung nichts anzurechnen (nihil inputare) und des Verständnisses einer Wohltat als per se expetenda res erstaunlich, ja irritierend.65 Demnach zeigen sich trotz klarer Trennungslinien Gemeinsamkeiten und Grauzonen zwischen beneficium und creditum: Wie oben gezeigt, wird jegliche Erinnerung an eine Wohltat zunächst als Form der Rückforderung verboten, dann aber doch gestattet, was eine Gemeinsamkeit mit dem Geldverleih darstellt. Gleiches gilt für die Unschärfe in der Frage, ob eine Wohltat ausgeglichen oder im Sinne eines sittlichen Agons übertroffen werden soll: Ausgleich ohne Surplus zielt auf solutio eines Schuldners.66 Auffällig erscheint die Übertragung des genuin dem Kreditwesen zugehörigen Motivs der Aufrechnung auf den Bereich der Wohltaten, weil die Metapher dem gedanklichen Ansatz des Werkes grundsätzlich zuwiderläuft. Dies mag teilweise stilistisch begründet sein. Dass immer wieder steinbruchartig Motive des Geldverleihs zur Darstellung anderer Sachbereiche benutzt werden, zeigt jedoch deutlich dessen tiefe Verankerung in der Vorstellungswelt, die De Beneficiis zugrunde liegt.67 Den Text prägt ein grundsätzliches Einverständnis mit der geldwertbestimmten Ökonomie, welches auch durch eine passagenweise kritisch-polemische Auseinandersetzung nicht in Frage gestellt wird. Die Tiraden gegen den Geldverkehr, insbesondere den Geldverleih, zielen nicht, so harsch sie auch z. T. klingen, auf eine grundsätzliche Veränderung des gesellschaftlichen Tauschsystems, sondern tragen einen deutlich resignativen Grundzug. D. h.,
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Einhaltung eines Versprechens wird Maecenas zitiert, der nicht zulässt, „dass ich wegen eines Sesterzes zehn Millionen zahle“ (IV 36,2). Vgl. auch V 19,3–5; 20,2; Rückzahlung einer Wohltat in der Währung, in der sie empfangen wurde: V 14,4; Verzicht auf Eintreibung von Schulden resp. Wohltaten: V 21,3. Das Aufrechnungsmotiv wird im Wohltatenzusammenhang von Plinius d.J. aufgegriffen: In einem Brief an Romanus fordert er ein Schreiben ein, das Romanus schon einmal geschickt haben wollte. Nun verlangt Plinius scherzhaft „Zinsen“ in Form eines ausführlicheren Briefes, die er auf zwölf Prozent berechnen werde (computabo; Ep IX 28,5). Den Empfang von Briefen seiner Freunde stilisiert Plinius floskelhaft zum Empfang einer Wohltat. Auch mit dem Gedanken der Unverlierbarkeit lässt sich diese Figur eigentlich nicht vermitteln; vgl. I 4,3; VI 2–3. Zu Erinnerung und Rückforderung vgl. II 11,2; VII 23,2. Zu Ausgleich und Agon vgl. I 4,3; II 25,1; 30,2; 35,1. So auch S. Mroz˙ek, Faenus 51 f.
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die Geldwirtschaft wird nirgends direkt gebilligt oder gelobt, vielfach selbstverständlich als Vergleichsfolie benutzt und oft in Charakter und Auswirkungen beklagt, doch bleibt es bei der Klage, die etwa so zusammenzufassen ist: Es wäre schön, wenn die Menschen nach Treu und Glauben handelten, aber die Welt ist nun einmal schlecht (vgl. III 15,1). Die Idealkonzeption, wie sie in den ersten Büchern vorgestellt wird, ist damit letztlich ein Fall für das regnum sapientiae (VII 10,6) außerhalb politisch-ökonomischer Sachzwänge. Das führt zu der Frage, welche gesellschaftliche Relevanz denn diese außerjuristisch und nichtkommerziell aufzufassende Austauschform überhaupt für sich zu beanspruchen vermag. In hellenistischer Denkart: Wo ist angesichts des vielfach abgewerteten gesellschaftlichen Rahmens Raum für die Eudämonie, das gelingende Leben des Einzelnen?68 Die in De Beneficiis gegebene Antwort lautet wohl: In den Verhältnissen, die von innen her humanisiert werden sollen. So kennt der Grundsatz quod emi, non debeo (VI 14,3) Ausnahmen: Auch gegen Geld erworbene Dienstleistungen können über den gezahlten Betrag hinaus in Pflicht nehmen, wie die von Ärzten, Seefahrern, Handwerkern oder Lehrern.69 Schließlich können sogar Sklaven Wohltaten erweisen, „es kommt nämlich darauf an, welcher Gesinnung ein Mensch ist, der eine Wohltat erweist, nicht welchen Standes“ (refert enim, cuius animi sit, qui praestat, non cuius status; III 18,2).70 Somit sind als sozialer Ort des Benefiziums die Zwischenräume sozialer Interaktion zu nennen, welcher Art diese auch seien. Ziel der Darstellung ist die gesinnungsmäßige Eintracht, die bl|moia. „Als Mittel dazu dient die Stiftung freundschaftlicher Verhältnisse durch beneficia, wo immer Menschen sich zusammenfinden.“71 Es kann also nicht davon ausgegangen werden, dass Wohltätigkeit im Sinne Senecas ein Handlungssystem jenseits von Geldwirtschaft und Sklavenhaltung darstellt. Im Gegenteil kann sogar, was am gesellschaftlich zugewiesen Platz für den Austausch von Wohltaten geschieht, ggf. 68 M. Hossenfelder, Philosophie 32. 69 Nicht aufgrund des gekauften Berufswissens, sondern „durch ihre zugewandte und freundschaftliche Gesinnung“ (benigna et familiari voluntate; VI 16,1) wird Lehrern und Ärzten mehr geschuldet als der entsprechende Geldbetrag. Das „Trinkgeld“ (corollarium; VI 17,1) für Verrichter selbst der niedrigsten Tätigkeiten macht die Überführung einer reinen Geldbeziehung in eine, die wenigstens entfernt vom Gedanken des Benefizientausches berührt wird, deutlich. 70 Auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen, z. B. beim Militär, sind Wohltaten gegenüber Höhergestellten möglich, folglich auch beim Sklaven (vgl. III 18,3). Dessen Körper kann zwar ge- und verkauft werden, „jener innere Wesenskern kann nicht der Eigentumsübertragung ausgeliefert werden“ (interior illa pars mancipio dari non potest; III 20,2). Der statusrelativierende Zug der amicitia wird in diesem Zusammenhang so zusammengefasst: „Eine Wohltat empfängt ein Herr von seinem Sklaven? Nein, ein Mensch von einem Menschen“ (III 22,3). So wird philosophisch kein Unterschied zwischen einem Freien und einem Unfreien gemacht. Die stoische Philosophie ist zugleich der Grund dafür, dass sich daraus keinerlei gesellschaftsverändernder Anspruch ableitet, „da die Ges[ellschafts]-Ordnung ja lediglich die Verteilung der moralisch indifferenten Güter regelt und insofern keiner Änderung bedarf“ (J. Dingel, Art. Seneca, DNP 11, 2001, 409–419, 414). 71 K. Abel, Lex 5 f.
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als diesem Gesinnungs-Ethos zuwiderlaufend verurteilt werden. So benennt der Autor viele Fehlformen, die hauptsächlich auf der superbia des Patrons beruhen,72 wie u. a. auch das Ritual der salutatio, dessen verborgene Herrschaftsstruktur aufgedeckt und als unvereinbar mit dem durch echte amicitia ausgezeichneten Charakter des Benefiziums herausgestellt wird. Trotz aller moralisch gefärbten Klagen: Zumindest dem Anspruch nach soll die bona voluntas soziales Handeln tendenziell jeden Bereich der Gesellschaft durchdringen.73 Dass dabei freilich nicht an eine grundlegende Revolutionierung gedacht ist, lässt der resignative Grundzug gegenüber der gesellschaftlich institutionalisierten Geldwirtschaft und Sklaverei deutlich erkennen.74
2.5 Ideal und Wirklichkeit des sozialen Austausches Nach Ansicht Miriam Griffins formuliert Seneca in De Beneficiis ein Ideal, das – als Ideal – in der Gesellschaft breite Akzeptanz fand, und führt dazu an, dass ähnlich gelagerte Sprichworte verbreitet gewesen seien und Cicero, Plinius und andere übereinstimmende Auffassungen verträten.75 In Anlehnung an Pierre Bourdieu macht sie geltend, dass allgemeine Regeln, offizielle Sprachregelungen und Sprichworte die Dispositionen erzeugen und bekräftigen, die sie implizieren.76 Dabei werde von Seneca die Realität nicht beschönigt, sondern „he is urging his readers to realize an ideal they share“77. Diesem Ideal 72 Vgl. I 1,7; 7,3; II 4,1; 11,1.5 f; III 8,4. 73 Das gilt auch für das Recht: Das richterliche Urteil auf der Basis von causa, nicht gratia ist Ausdruck des guten animus (vgl. VI 8,3). 74 Zur Diskussion darüber, ob die Schrift eine sozialreformerische Tendenz hat, vgl. D. Barghop, Kommunikation 52 f. 75 Vgl. M.T. Griffin, Debt 102 f; 105; dies., Seneca 74. An einigen Beispielen aus den Schriften des jüngeren Plinius lässt sich das gut erkennen: Über die Beweggründe seine liberalitas zu proklamieren, gibt er sich in einem langen Brief Rechenschaft und hält (eher theoretisch) fest, dass auch ohne Zugewinn äußerer fama das beneficium lohnt (vgl. Ep I 8). Bzgl. des Themas Lohn der guten Tat in sich vs. Berechnung vgl. Plin. d.J., Ep II 4: Plinius erlässt der adressierten Calvina ihre Schulden mit Verweis auf die eigene liberalitas (II 4,3), die zwar maßvoll einzusetzen ist, nicht aber bei den adressierten Verwandten, bei denen die „Rechnung ohne weiteres stimmen“ wird (ratio constabit; II 4,4). Auch Plinius publiziert die Ansicht, er orientiere sein Handeln am Nutzen der anderen (utilitas amicorum; Ep II 14,14). Dafür nimmt er die Mühsal auf sich, sich weiter im Centumviralgericht zu engagieren, obwohl ihm das Geschrei und der gekaufte Beifall missfallen. Viele weitere Beispiele ließen sich anführen, um die Ähnlichkeit zu De Beneficiis in Duktus und Gedankengängen zu zeigen, die freilich bei Plinius auf das persönliche Handeln bezogen werden. „What Seneca supplies, and what is totally lacking in Pliny, is the systematic analysis of the code and its grounding in a general theory about the nature of the universe and the nature of man“ (M.T. Griffin, Seneca 53). 76 Die offizielle Definition der Realität ist demnach ein nicht zu unterschlagender Teil ihrer vollständigen Beschreibung (vgl. M.T. Griffin, Debt 102). 77 M.T. Griffin, Debt 106. Dabei teilt die Autorin mit Inwood die Auffassung, dass es sich bei den
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hätten die Eliten im horizontalen Umgang miteinander entsprochen, und zwar „often, if not always“78. In diesem Sinne äußert auch Brad Inwood, dass eine intentionale und eine materiale Ebene des Traktats auseinander zu halten seien.79 Die spekulativen, teils in schwer auflösbare Paradoxa führenden Erörterungen müssten in das Kleingeld des alltäglichen Alltags umgemünzt werden, was gewisse Anpassungen erforderlich mache. Das Leitbild eines nicht-repressiven Wohltatenaustausches stärke auch soziale und politische Bindungen in der realen Welt. Das praktische Ziel der theoretischen Abhandlung liege darin, „that man’s ingratitude should never incite (and cannot justify) the abandonment of giving“80.
Diese grundsätzlich optimistische Einschätzung, was die gesellschaftliche Akzeptanz der in De Beneficiis präsentierten Ideale angeht, soll geprüft werden. Zunächst zur Textebene: Neben der Vielzahl an Klagen über Sittenverfall und Undank im Allgemeinen, nehmen die Auflistungen konkreter Fehlformen v. a. des Erweisens von Wohltaten, aber auch ihres Empfangs, breiten Raum ein. Hochmütiges und herablassendes, zögernd-hinhaltendes Geben mit entsprechender Miene oder schwülstigen Reden sind dabei nur einige Beispiele auf Geberseite.81 Es ist davon auszugehen, dass „Senecas Schilderungen typische Situationen, die als Ärgernisse empfunden wurden, in verdichteter Form nachzeichnen“82. Mit der gesellschaftlichen Realität scheinen demnach eher die Teile von De Beneficiis zu tun zu haben, in denen mitgeteilt wird, was falsch läuft. Speziell die Klagen mit Blick auf die Geldwirtschaft scheinen deren gesellschaftliche Bedeutung zu unterstreichen. Damit zum zeitgeschichtlichen Kontext: Dass Ideal und Wirklichkeit auseinanderdrifteten, ist belegt; Seneca war wie viele seiner Standesgenossen im Zinshandel aktiv, der zu einem unbestimmten Teil zu seinem herausragenden Vermögen von 300 Millionen Sesterzen beigetragen haben muss. Er selbst hielt das Geschäft des Geldverleihs für die Basis der Handelstätigkeit.83 „Es darf mit großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daß ein beträchtlicher Teil, wenn nicht der größte Teil von Senecas Vermögen durch Geldspekulationen entstand und er ständig in Zinsgeschäfte verwickelt war.“84 Eine nicht geringe Bedeutung für dieses Geschäft hatten hauptberufliche feneratores, Sklaven und Freigelassene im Auftrag reicher Privatiers, sowie – trotz eines seit Caesar
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Adressaten um Seneca gegenüber sozial Gleich- oder Bessergestellte handelt (vgl. M.T. Griffin, Debt 103). M.T. Griffin, Seneca 74. B. Inwood, Seneca 89. B. Inwood, Seneca 91. Vgl. I 1,5.7; 7,3; II 3,1; 4,1; 11,6; 13,2. J. Wolkenhauer, Schrift 133; mit zahlreichen Parallelen aus der zeitgenössischen Literatur für die geschilderten Missstände beim Geben und Empfangen. Vgl. S. Mroz˙ek, Kreditgeld 313; ders., Faenus 54. S. Mroz˙ek, Faenus 55.
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geltenden Verbots – die extensive Betätigung von Senatoren als Geldgeber, die selbst das gewerbliche Bankierswesen in den Schatten stellte: „Ihre Aktivität in diesem Geschäft war so stark, dass anlässlich der Finanzkrise des Jahres 33 n. Chr. wegen ihres Treibens auf dem Kreditmarkt eine Senatssitzung anberaumt werden musste.“85 Tacitus spricht von einer „Geldknappheit“ (inopia rei nummariae; Ann VI 17,1), die aufgrund einer plötzlichen Kündigung aller Darlehen durch die Senatoren verursacht worden war. Die genauen Umstände sind unklar, die Krise jedenfalls war eine der Bargeldknappheit, deren Ursa. chen Stanisław Mrozek im Zinswesen sucht: Bei einem durchschnittlichen Zinssatz von zwölf Prozent wuchsen Schulden in Form von Bank- und anderen Darlehenseinlagen an, was zu einer Kluft zwischen der zirkulierenden Bargeldmenge und den verbrieften Forderungen der Gläubiger, sowie schließlich zur Gefährdung des Geldumlaufs führte. Als Reaktion stellte der Kaiser den Banken 100 Millionen Sesterzen für zinslose Darlehen zur Verfügung (vgl. Tac., Ann VI 7,3 f), was die Situation entschärfte. Unter Nero, also im direkten zeitlichen Umfeld des Wirkens und Schreibens Senecas, wurde eine solche Kreditstützung, diesmal im Umfang von 40 Millionen Sesterzen, noch einmal nötig. Dabei wurde erstmals auch mit einer Geldabwertung reagiert.86 Die Dimension dieser Krisen lässt keinen Zweifel an der gesellschaftlichen Bedeutung von Geld- und Kreditwirtschaft im frühen Prinzipat, aber auch schon vorher. Der Stellenwert des Giralgeldes, also von Bargeld losgelöster Forderungen, macht dabei den Entwicklungsgrad deutlich.87 Ein damit einhergehend verändertes Denken in Bezug auf die Regeln von Dank und Schuld, mithin von Geben und Nehmen, dehnte sich offenbar auch auf gesellschaftliche Felder aus, in denen traditionell andere, reziprokale Austauschpraktiken dominiert hatten. Derartige Invasionen liefen kaum konfliktfrei ab, was u. a. De Beneficiis deutlich macht. Während sich die Einstellungen zur Ökonomie in Republik und Prinzipat zwar nicht grundlegend wandelten, so brachte die pax Romana doch einen wirtschaftlichen Aufschwung mit sich, der sich u. a.
85 H.-J. Drexhage/H. Konen/K. Ruffing, Wirtschaft 150; vgl. auch S. von Reden, Money 279 f. Die Professionalität dieses Gewerbes scheint für Dion von Prusa selbstverständlich zu sein (vgl. Or XXXIV 34). 86 Zur Finanzkrise im Jahr 33 n. Chr. und historisch benachbarten, ähnlich gelagerten Ereignissen . vgl. S. Mrozek, Kreditgeld 312–321 und ders., Faenus 28–40. Anzunehmen ist ein Höchstzinssatz von 12,5 % (vgl. H.-J. Drexhage/H. Konen/K. Ruffing, Wirtschaft 150). 87 Damit soll jedoch keine kulturgeschichtliche Aussage darüber gemacht werden, ob Bargeldverkehr dem Kreditwesen (immer) vorausgeht. Zur Genese des Kreditwesens meint Mauss, dass eben nicht von einer zeitlichen Priorität des Bargeldverkehrs vor dem Kredit auszugehen sei. Den Tauschhandel sieht er als Zusammenziehung der zuvor zwischen Gabe und Gegengabe liegenden Zeitabschnitte an, auch Kauf und Verkauf, sowie das Darlehen seien daraus hervorgegangen. Seiner Ansicht nach gibt es keine Beweise dafür, „daß in irgendeiner der Wirtschaftsordnungen, welche die Phase, die wir beschreiben, überwunden haben (insbesondere das babylonische Recht), der Kredit unbekannt gewesen wäre, den sämtliche archaische Gesellschaften, die uns heute noch umgeben, kennen“ (M. Mauss, Gabe 84).
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auch im Handel auswirkte.88 „Wenn auch der Landbesitz weiterhin die hauptsächliche und bevorzugte Quelle des Reichtums darstellte, warf doch der Handel zu Land und zu Wasser, sowohl in Italien wie auch in den Provinzen, reichlichen Ertrag ab“89. Davon profitierten besonders Hasardeure und Ausnahmegestalten wie etwa der von Petronius beschriebene fiktive Trimalchio, sowie der kleine Kreis der senatorischen Eliten, die aufgrund günstiger gesellschaftlicher Startbedingungen in diesem Feld reüssieren konnten.90 Diese Karrieren spielten sich vor dem Hintergrund einer stärkeren Integration der Märkte auf reichsweiter Ebene ab.91 Wie sind nun diese wirtschaftsgeschichtlichen Umstände in Bezug auf die . Aussagen von De Beneficiis zu deuten? Mrozek, der die Darstellungen von Kreditverhältnissen in De Beneficiis für sehr lebensnah hält, ist der Ansicht, dass „eine so auffallende Beschäftigung mit dem in Wertpapieren existierenden Besitz lediglich in Zeiten gerechtfertigt sein konnte, in denen tatsächlich ein kolossaler Teil des Hab und Guts vermögender Leute in Form von Schuldbriefen, Wechseln und eventuell auf Konten bei reichen feneratores verbucht war“92. Die Verzinsung von Darlehen führte dazu, dass diese sich auch inneraristokratisch immer weiter von „interpersonaler Bindungsmoral“93 ablösten. War es in der Republik verbreitet, sich innerhalb der Oberschicht bei Schulden auszuhelfen, scheint dies in der Kaiserzeit nicht mehr der Fall zu sein.94 Der Geldverleih professionalisierte sich, was mit einer gewissen Entsolidarisierung innerhalb der Oberschicht einherging.95 Somit drang die auf exakte Verbuchung und Vergeltung zielende Art des geldwirtschaftlichen Austausches in gesellschaftliche Bereiche vor, die zuvor von reziprokalen Gesetzmäßigkeiten geprägt gewesen waren. Die daraus resultierenden Verwerfungen werden auf literarischer Ebene in den Interferenzen der Semantiken von beneficium und creditum sichtbar. Gloria Vivenza deutet Senecas Auseinandersetzung mit beiden Regelkreisen so: 88 Vgl. G. Vivenza, Thought 30; G. Alfçldy, Sozialgeschichte 120; P. Temin, Market Economy 2. Zur Veränderung der ökonomischen Lage im Prinzipat vgl. auch J.H. D’Arms, Commerce 149 f; siehe auch Kap. 5.2. 89 F. de Martino, Wirtschaftsgeschichte 374. 90 De Martino sieht eine auf der Makroebene nicht besonders gut entwickelte Handelstätigkeit mit vielen Widrigkeiten und begrenzten unternehmerischen Anreizen (vgl. F. de Martino, Wirtschaftsgeschichte 356). Die relative Unterentwicklung der römischen Wirtschaft sieht Garnsey darin, dass der Großteil der Bevölkerung kaum über die Erwirtschaftung des Existenzminimums hinauskam (vgl. ders., Kaiserreich 65). Peter Temin hingegen ist der Ansicht, „ordinary Romans lived well“ (ders., Market Economy 2). 91 Zur Darstellung der sozioökonomischen Gemengelage siehe auch Kap. 5. 92 S. Mroz˙ek, Faenus 51. 93 J. Wolkenhauer, Schrift 189. 94 Es kommen aber nach wie vor Geldgeschenke von Statushöheren an -niedere vor, um deren Situation zu verbessern, was jedoch von den Gebenden teilweise zur öffentlichen Selbststilisierung ausgeschlachtet wird (vgl. Mart 9,102; J. Wolkenhauer, Schrift 185–187). 95 Vgl. J. Wolkenhauer, Schrift 188, siehe Kap. 4.3.1.
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He took a negative view of the fact that a commercial act “settled an account” since this would have meant that an ongoing relationship was replaced by perfect parity, thereby ending the relationship. However, in so doing Seneca captured the essence of payment, in the sense of a release from a debt.96
Die Prägung des Verfassers und der Adressatenschicht von De Beneficiis durch das Kreditwesen aufgrund persönlicher Eingebundenheit einerseits und dessen Invasion in andere gesellschaftliche Handlungsfelder andererseits, erklärt demnach die entsprechende Färbung der Schrift. Ob angesichts dessen die teils drastischen Abkanzelungen des kommerziellen Austausches als Selbstgeißelung oder Doppelmoral zu deuten sind (vgl. VII 10 u. ö.), muss dahin gestellt bleiben, lässt jedoch eine allzu feste Verankerung des präsentierten Wohltätigkeitsideals im Umfeld der Schrift nicht unbedingt vermuten.97 Wenn Seneca, wie Griffin meint, seine Zeitgenossen zur Umsetzung eines geteilten aristokratischen Ideals genötigt haben sollte, dann zu einem, das er ja selbst kaum befolgte. Das von ihm entwickelte Tugendideal hat gewiss Anklang gefunden, ein daran orientierter Gabentausch wurde im elitären Nahraum „wohl von einigen Aristokraten in distinktiver Absicht betrieben“98. Im ökonomischen Bereich griffen ganz offensichtlich andere Mechanismen, die moralisch verurteilt und zugleich rechtlich sanktioniert wurden. Immerhin kann die Erkenntnis, der Geldumlauf führe zu nichts als Unfrieden, und Urkunden, Schuldverschreibungen etc. seien vacua habendi simulacra (VII 10,3), als Reflexion auf die von Seneca und seinesgleichen mitverursachte Krise makroökonomischen Ausmaßes gedeutet werden. Fazit zu De Beneficiis: Seneca versteht eine Wohltat als res inter animos und trennt damit den variablen Gegenstand von der dankbaren Gesinnung, in der sie erwiesen und entgegengenommen wird. Diese bona voluntas sieht er als entscheidend an. Der ideale Benefizienaustausch ist vornehmlich am Nutzen des Empfängers ausgerichtet, wird als per se expetenda res um der Tugend willen als Zweck an sich verfolgt und bezieht seine Motivation aus der sinnenfällig dargestellten Teilhabe am Göttlichen, hat einen auf die gute Gesinnung bezogenen agonalen Zug, ist von einer Atmosphäre gegenseitigen Respekts und Wohlwollens (amicitia) geprägt und wirkt sich darin statusrelativierend aus. Die Idealkonzeption wird durch oft drastische Gegenüberstellungen von beneficium und creditum entwickelt. Der Bereich von Handel und v. a. Geldverleih wird immer wieder zu Vergleichszwecken eingesetzt und gegenüber dem Wohltatenaustausch abgewertet. Die Idealkonzeption des beneficium als per se expetenda res wird jedoch schon innerhalb der Schrift abgeschwächt, etwa wenn es um das Erinnern an gewährte Gaben geht, das zunächst als 96 G. Vivenza, Thought 35. 97 Zur Einschätzung und Selbsteinschätzung des persönlichen Verhaltens Senecas vgl. J. Wolkenhauer, Schrift 393–397. 98 J. Wolkenhauer, Schrift 440.
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turpissima feneratio abgelehnt und dann doch gestattet wird. Das schroffe Abrücken vom Geldverleih lässt sich folglich nicht durchhalten, was auch in vielerlei Überblendungen der jeweiligen semantischen Inventare zum Vorschein kommt. Die inhaltliche Spannung, die sich dadurch ergibt, zeigt die tiefe Verwurzelung der Schrift in der Logik der Geldwirtschaft. Angesichts des invasiven Charakters dieses gesellschaftlichen Handlungsbereichs gestaltet sich die Verortung der Wohltätigkeit, wie Seneca sie verstanden wissen will, schwierig. Es bleibt eine gesinnungsgeleitete Durchdringung bestehender Austauschbeziehungen, die Geld- wie Hierarchieverhältnisse humanisieren und damit erträglich machen soll. Angesiedelt auf der dyadischen Ebene kommt hierin zweierlei zum Ausdruck: eine gewisse Statusrelativierung mit Rekurs auf gleiche Menschenwürde zum einen, zum anderen ein resignatives Einverständnis mit den Verhältnissen, die für Seneca selbst maßgeblich vom Gelderwerb beeinflusst sind.
3. Reziprozität in Ciceros De Officiis Die Untersuchung von Ciceros De Officiis ist in Gegenüberstellung zu Senecas De Beneficiis auf folgende Aspekte besonders fokussiert: (1) Wie wird pflichtgemäßes resp. wohltätiges Handeln motiviert, d. h., was bringt der agierenden Person das jeweils verlangte Handeln ein oder, mit Seneca gesprochen: quod consequar? Wie verhalten sich dabei Ehrenhaftigkeit und Nützlichkeitserwägungen – honestum und utile – zueinander? (2) In welchen Bereichen kommt dieses Handeln zur Geltung oder soll es zur Geltung kommen, welche soziale Reichweite wird also angepeilt? Wie stark wird ein sozialresp. individualethischer Ansatz ausgeführt? Und: Wie abstrakt oder konkret ist der jeweilige Gemeinschaftsbegriff dabei zu verstehen? (3) Wie hoch ist in diesem Zusammenhang der Anspruch der Ausführungen Ciceros auf Alltagstauglichkeit, d. h., inwiefern liegt eine konkrete Richtschnur individuellen resp. gesellschaftlichen Handelns vor? Kurz gefasst wird besonders nach Motivation, privatem oder öffentlichem Bezug und Alltagsrelevanz wohltätigen Handelns gefragt. Dabei zeigt sich, dass De Officiis die Nachwuchs-Elite auf ein gemeinwohlorientiertes Handeln verpflichten will. Dazu motiviert die Schrift, indem sie behauptet, dass sich das Engagement für die in die Krise geratene Republik auch zum persönlichen Besten auswirke. Ehrenhaftes und Nützliches – honestum und utile – gehörten zusammen, wie Cicero wiederholt beschwört. Dadurch konnte er die Neuausrichtung der Oberschicht auf die Figur des Kaisers jedoch nicht verhindern. Mit dieser Neuausrichtung ging ein verändertes Selbstverständnis der Eliten einher, das sich in deren Handeln und Habitus niederschlug. Diese Veränderungen und ihre Begleiterscheinungen werden im Spiegel ihrer Kritik in De Beneficiis sichtbar.
3.1 Relevante Kompositionsteile Der aus drei Büchern bestehende Traktat Ciceros ist als ein an den Sohn Marcus adressierter Brief verfasst, der zur Zeit der Niederschrift, im Jahr 44 v. Chr., in Athen bei dem Peripatetiker Kratippos studierte.1 Nach Auskunft des Autors beruht die Untersuchung auf der Vorlage des Werkes Peq· toO jah^jomtor des Panaitios. Behandelt werden die officia des Menschen, also die seiner sozialen Rolle adäquaten Handlungen2. Nach stoischem Verständnis 1 Zu den näheren Umständen der Entstehung vgl. A.R. Dyck, Commentary 1 f; 8–10. 2 Vgl. A.R. Dyck, Commentary 8. Wichtig ist Dyck, dass es nicht zu Verwechslungen mit neu-
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Reziprozität in Ciceros De Officiis
sind diese jah^jomta/officia auf einer mittleren Ebene anzusiedeln (vgl. I 8) und betreffen das Handeln der Masse der Nicht-Weisen, die im besten Fall simulacra virtutis (I 46) werden können.3 Zur Gliederung:4 Das erste Buch beschäftigt sich mit dem honestum, das zweite mit dem utile, das dritte schließlich nimmt eine Verhältnisbestimmung beider zueinander vor. Dabei wird immer wieder eingeschärft, dass es keinen wirklichen Gegensatz zwischen beiden gebe oder geben dürfe. In I 18–151 werden die Bereiche des honestum unterteilt und erläutert.5 Im zweiten Buch, in dem die Frage nach dem Nützlichen erörtert wird, werden u. a. die „Möglichkeiten zur Gewinnung der Sympathien der Mitmenschen“6 ausgelotet. In der Auseinandersetzung mit der „Nützlichkeit des Ruhms“7 (II 31b–52) geht Cicero auf die Wohltaten als Mittel zum Erreichen desselben ein (vgl. II 32). Ausführlicher kommen beneficentia und liberalitas dann in den für vorliegende Arbeit besonders wichtigen Paragraphen 52–71 zur Sprache, wobei zunächst Freigebigkeit durch persönliche Hilfeleistung (opera benigna) der durch Geld gegenübergestellt wird (vgl. II 52 f). Sodann wird von der benignitas die largitio abgegrenzt und besprochen (vgl. II 54–60), darauf folgt die Diskussion des Schenkens aus benignitas (vgl. II 61–71).8 Schließlich wird noch einmal auf-
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zeitlichen Pflichtkonzeptionen wie etwa der kantischen kommt. Officium als Ciceros Übersetzung von j\hgjom hat dabei eine breitere Bedeutung als der moderne Pflichtbegriff, welcher sich als „an act that is ethically required and the omission of which is ethically forbidden“ (ders., Commentary 7 f) verstehen lässt. „j\hgjom is a much broader term than ‘duty’ and can apply even to plants and animals“ (ders., Commentary 8). Wenn im Folgenden also von Pflichten bei Cicero die Rede ist, sollte diese Überlegung bewusst gehalten werden. A.R. Dyck führt dazu näher aus: „For the Stoics appetency (eqenir) has its object jah^jomta appropriate acts that any person can perform; they have their origin (!qw^) in the ‘natural advantages’ (t± jat± v}sim), more or less equivalent to the ‘external goods.’ […] A subset of jah^jomta are the jatoqh~lata (also called teke_a jah^jomta; cf. ad 1.8), or correct acts performed by the sage for the right reason; they are directed toward good things (!cah\), i. e., for the Stoa, the virtues; t± jat± v}sim provide the material (vkg) with which the intelligent moral agent works“ (ders., Commentary 2 f). Eine detaillierte Gesamtgliederung findet sich bei H. Gunermann, Cicero 417–425. Zur (teilweise abweichenden) Gliederung der einzelnen Bücher vgl. A.R. Dyck, Commentary 57 f; 355 f; 488–490. Dabei werden (1) die sapientia (vgl. I 18 f) sowie (2) die iustitia (vgl. I 20–60) behandelt, worunter auch das hier näher zu betrachtende soziale Handeln fällt (vgl. I 42–60). Es folgen (3) magnanimitas und fortitudo (vgl. I 61–92) sowie (4) syvqos}mg (vgl. I 93–151). Leicht abweichend sieht Dyck bei der Unterteilung des honestum zunächst die cognitio (vgl. I 18–19) behandelt, sodann eine zweite unbenannte virtus (vgl. I 20–60), die sich wiederum untergliedert in (a) iustitia (vgl. I 20–41) und (b) beneficentia et liberalitas (vgl. I 42–60). Es verbleiben magnitudo animi (vgl. I 61–92) und decorum (vgl. I 93–151). H. Gunermann, Cicero 421. H. Gunermann, Cicero 421. Dieser Teil wird untergliedert in eine Empfehlung, Wohltatenempfänger nach ihrer Gesinnung auszuwählen (vgl. II 61–63) und eine Darstellung dessen, wodurch sich eine gute Gesinnung der Geber auszeichnet (vgl. II 64). In II 65–67 wird auf die Gegenstände der Wohltaten eingegangen, in 2,68 ermahnt, nicht an erwiesene Wohltaten zu erinnern.
Liberalitas und largitio
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gefordert, Empfänger von Wohltaten nach ihrer Gesinnung statt nach ihrem sozialen Status auszuwählen (vgl. II 68–71).
3.2 Liberalitas und largitio Wohltaten kommen zur Sprache als officium, beneficium (I 45 u. ö.) und meritum, wenn etwas abgegolten werden muss (referenda sit gratia; I 47).9 Die officia werden aus dem hergeleitet, was ehrenhaft/honestum ist. Dazu gehört u. a., die Gemeinschaft zu schützen und jedem das Seine zuzuteilen (tribuendoque suum cuique; I 15). Der Gemeinschaftsbezug ist für Cicero essentiell: Magna etiam illa communitas est, quae conficitur ex beneficiis ultro et citro datis acceptis, quae et mutua et grata dum sunt, inter quos ea sunt firma devinciuntur societate. Bedeutsam ist auch jene Gemeinschaft, die sich bildet aus dem gegenseitigen Geben und Empfangen von Wohltaten. Solange diese wechselseitig und erwünscht sind, werden diejenigen, unter denen sie vorkommen, in enger Gemeinschaft verbunden (I 56).
Nach dieser Vorstellung soll jede Person zunächst für sich und die ihren wirtschaften, „noch viel mehr“ aber den eigenen Nutzen gering achten (I 17; vgl. auch I 25). Die eigene utilitas wird insofern legitimiert, als sie mit dem Gemeinnutzen konvergiert oder diesem zumindest nicht entgegensteht.10 Grundlage des Wohltatenerweises ist demnach, weder ausschließlich den eigenen Vorteil zu suchen, noch den eines (individuellen) anderen, sondern „den gemeinsamen Nutzen in den Mittelpunkt [zu] stellen, durch Gegenseitigkeit der Leistungen – durch Geben und Nehmen –, durch Fachkenntnisse, Opferbereitschaft und Mittel das Band zwischenmenschlicher Zusammengehörigkeit [zu] festigen“ (I 22).11 Grundlage und Ziel dieser Zusammengehörigkeit ist das gegenseitige Wohlwollen, die benevolentia: Sie wird realisiert 9 Der Schutzcharakter mit Gemeinwohlbezug kommt in Wendungen wie praesidia vitae (I 58) oder quae ad usum rei publicae pertinent (II 60) zum Ausdruck. Das patrocinium wird in weltpolitischer Hinsicht als die charakteristische Herrschaftsweise der Römer über den orbis terrae bezeichnet (II 27), es findet auch im sozialen Nahbereich in Verbindung mit kostenloser juristischer Verteidigung vieler Leute durch einen redegewandten Mann Erwähnung (beneficia et patrocinia; II 66). Die fürsorgliche Komponente kommt bei der „Betreuung fremder Anliegen“ (cura rerum alienarum; II 30) bzw. bei der procuratio (II 75) zum Ausdruck. 10 Generell „hat ein jeder seinem eigenen Nutzen (suae cuique utilitate), soweit das ohne Unrecht gegen den Mitmenschen geschieht, zu dienen […]; ebenso ist es nicht unbillig, im Leben jeweils das für sich zu erstreben, was zum Nutzen beiträgt (petere, quod pertineat ad usum), es dem Nächsten zu entreißen ist gegen das Recht“ (III 42). 11 Vgl. auch I 31. Dem liegt zugrunde, dass Nützliches (utile) und Ehrenhaftes (honestum) im Grunde nicht zu trennen sind (vgl. II 9 f; siehe unten).
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durch Gerechtigkeit (iustitia) und gütiges Handeln (beneficentia), die alternativ benignitas und liberalitas genannt werden kann (vgl. I 20).12 Was Cicero konkret als Wohltat ansieht, kommt meist en passant zur Sprache, etwa „als Rechtsbeistand zur Stelle zu sein“ (advocatum in rem praesentem esse; I 32; vgl. II 65). Juristische Hilfe war das klassische beneficium eines Patrons gegenüber seinem Klienten.13 Zu den durch operae erbrachten beneficia gezählt, „einem Unschlüssigen Rat zu geben“ (consilium fidele deliberanti dare; I 52) und allgemein consilio iuvare (II 65).14 In der Freundschaft sind je nach Lage der Dinge „Ratschläge und Aussprache, Ermutigungen und Tröstung (cohortationes, consolationes), bisweilen auch Zurechtweisungen“ (I 58) zu erteilen. Man kann sich bei vielen gratia schaffen, „indem man Wohltaten für sie erbittet, sie den Richtern und Beamten empfiehlt“ (multis beneficia petentem, commendantem iudicibus, magistratibus; II 67). Die unter suffragatio oder commendatio bekannten Mittlerdienste sind dabei selbst als Benefizien aufzufassen. Dem Nachbarn hingegen hilft man bisweilen praktisch, etwa „beim Einernten der Feldfrüchte“ (I 59). Von besonderem Interesse ist die Rolle des Geldes in Bezug auf die Wohltätigkeit. Beneficentia und liberalitas realisieren sich am besten als operae im Sinne persönlichen Einsatzes. Die alternativ unter largitio (II 52) subsumierten Aufwendungen, die „aus der Geldkassette“ (ex arca; II 52) bestritten werden, erscheinen einfacher, aber weniger glanzvoll. Die Hilfeleistung durch operae erzeugt umso mehr Rückwirkung auf den Helfenden selbst, je mehr er sich engagiert. Bei den monetär realisierten Wohltaten kann man umgekehrt umso weniger Menschen gefällig sein, je mehr man begünstigt hat (vgl. II 52 f). Der Verausgabung von Geld wird somit innerhalb des Regelkreises Reziprozität eine weniger dynamische Wirkung zugeschrieben. Die materiellen Aufwendungen können ihrerseits in verschwenderische (prodigi) und freigebige (liberales) geschieden werden. Verschwenderische Geber (largi) verschleudern ihre Mittel durch Gastmähler (epulae), Fleischverteilungen (visceratio12 Deren jeweilige Nützlichkeit und das Verhältnis beider zueinander werden in Buch II 52–71 ausgeführt. 13 Siehe Kap. 1.3. 14 Dass der Ratschlag eine – vielleicht nicht ganz selbstevidente – Wohltat darstellt, findet sich auch in der Rede Dions von Prusa an die Rhodier: „Es wäre doch seltsam, wenn ihr einen Mann, der sich Geld von sich anböte […] nicht für vorwitzig hieltet, weil er sich, obwohl er scheinbar nichts mit euch zu tun hat und ihr ihn auch nicht gebeten habt, so großzügig gegen euch beträgt, den Mann aber, der euch einen nützlichen Rat gibt, ziemlich ungehalten anhörtet, nur weil er nicht von euch aufgefordert wurde oder nicht euer Mitbürger ist. Und doch ist es im Augenblick vielleicht nicht einmal so sehr das Geld, das ihr braucht, im Gegenteil, man könnte unzählige finden, für die es besser wäre, einen Teil ihres Besitzes abzugeben. Einen guten Rat aber braucht jedermann, auch der scheinbar Glücklichste“ (Or XXXI 3). Auch in der atl. Spruchweisheit werden Worte als Wohltat propagiert: „Durch die Früchte des Mundes wird die Seele eines Mannes mit Gutem gesättigt werden (pkgsh^setai !cah_m), und die Gegenleistung (!mtap|dola) für seine Worte wird ihm gegeben werden“ (Spr 12,14). Im Folgevers heißt es u. a., dass der Weise auf Ratschläge hört.
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nes), Gladiatorenspiele und Tierhetzen (gladiatorum ludi und venationes).15 Demgegenüber gilt für Cicero als freigebig, Gefangene von Seeräubern freizukaufen, für die Schulden der Freunde einzustehen, Hilfe zu leisten bei der Verheiratung von Töchtern oder bei Erwerb und Vermehrung des Vermögens anderer (II 55). Vom Volk geforderte largitio, und zwar eine, die den Eindruck der avaritia vermeidet, ist notwendig, um an öffentliche Ämter zu gelangen, das akzeptiert auch Cicero als selbstverständliche, eigene biographische Erfahrung (vgl. II 58 f). Dazu gehören auch Volksspeisungen: Einem gewissen Orestes brachten dessen prandia in semitis anlässlich der decuma diesbezüglich große Ehren ein (vgl. II 58).16 Vorteilhaft für einen M. Seius wirkte sich aus, dass er „bei einer Teuerung dem Volk das Scheffel Getreide um einen As gab“ (quod in caritate asse modium populo dedit; II 58). Die frumentaria des C. Gracchus hingegen wird kritisiert, weil sie aufgrund ihrer Maßlosigkeit die Staatskasse zu sehr beanspruchte. Öffentliche Verteilungen von Fleisch oder Korn aus politischen Gründen werden demnach als grundsätzlich legitim erachtet, solange sie im rechten Maß bleiben.17 Generell rechtfertigt sich largitio für Cicero durch Notwendigkeit oder Nützlichkeit (vgl. II 59), so schätzt er besonders die Aufwendungen für bleibende, gemeinnützige Werte wie „Mauern, Werften, Häfen, Wasserleitungen (II 60), rechtfertigt aber auch Prachtentfaltungen wie „Theater, Säulenhallen und neue Tempel“ (II 60). Grundlage ist das Aristotelische Ideal der 1keuheqi|tgr als Tugend zwischen Geiz und Verschwendungssucht, sowie die lecakopq]peia, die sich in Aufwendungen zur Unterstützung Einzelner, in Form von Bauprojekten oder anderen Leistungen äußerte (vgl. II 52–71). Ist derlei Prachtentfaltung auf das Erreichen von imperii, honores und gloria gerichtet, führt die Konkurrenz (contentio) darum dazu, „daß es überaus schwierig ist, die Gemeinschaft unverletzt zu bewahren“ (I 26). Das von Caesar angestrebte principatum, das Cicero offen kritisiert, stellt den konkreten politischen Bezug dieser Kritik
15 „The games given by Q. Mucius Scaevola […] brought a battle of several lions for the first time to the Roman arena (Plin. d.Ä., Nat 8.53), possibly booty from Marius’ campaign against Jugurtha“ (A.R. Dyck, Commentary 443). 16 Das prandium zur Mittagszeit ist ein „schlichtes, kaltes oder warmes Essen […], eine Art zweites Frühstück ohne Gangfolge“ (A. Gutsfeld, Art. Mahlzeiten, DNP 7, 1999, 705–707, 706). Wird es in semitis, also auf kleinen Straßen oder auch Bürgersteigen ausgegeben, ließe sich mutmaßen, dass der largus die Infrastruktur der in römischen Städten zur Straße hin offenen sog. thermopolia nutzte, die sich, wie beispielsweise in Pompeji vielfach erhalten, an den Hauptstraßen, etwa in der Nähe von Bädern häuften, meist mit einer L-förmigen Theke ausgestattet waren und ebenjene einfachen Speisen anboten, die hier gemeint sein könnten. Vornehmlich wurden diese Imbiss-Stuben „frequented by the urban poor who did not enjoy their own facilities“ (S. Hales, House 103), waren bei der Oberschicht jedoch schlecht angesehen (vgl. J. DeFelice, Inns 479). Die decuma, von Gunermann als „Zehntweihe“ wiedergegeben, erläutert er als Opfer „für jeweils persönlichen Erfolg in Kriegs- und Handelsunternehmungen“ (ders., Cicero 375), das Herkules oder auch anderen Göttern zu Ehren dargebracht werden konnte. 17 Zu Verteilungen siehe die Kap. 6.2.3; 7.1.3.
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dar.18 Am Rande kommt eine Geldgier in den Blick, die sich rein auf den privaten Genuss (ad perfruendas voluptates; I 25) richtet, zum mindesten soll das Vermögen dafür eingesetzt werden, sich gefällig zu erweisen (ad gratificandi facultatem). Geld spielt demnach eine große, ambivalente Rolle in den – oftmals agonal ausgerichteten – Reziprozitätskreisläufen. Dass es eine außerhalb dieser liegende infinita pecuniae cupiditas gibt, die sich auf privaten Luxus und Genuss statt auf gloria richtet, wird in De Officiis vermerkt, scheint aber noch keine große Rolle zu spielen.19
3.3 Wohltätigkeit zwischen honestum und utile Das Ehrenhafte und das Nützliche fallen nach stoischer Auffassung, die Cicero in De Officiis heranzieht, zusammen. Seine Ausführungen über das utile in Buch II leitet er mit folgender Klarstellung ein: Bei diesem Wort ging der Sprachgebrauch in die Irre, bog vom rechten Wege ab und wurde unmerklich dahin geführt, daß er Ehrenhaftigkeit vom Nutzen (honestatem ab utilitate) trennte und feststellte, das Ehrenhafte sei etwas, das nicht nützlich, und das Nützliche etwas, das nicht ehrenhaft sei – die verderblichste Fehleinschätzung, die in das Menschenleben gebracht werden konnte (II 9).
Es kann demnach keinen Prioritätenstreit zwischen beiden Prinzipien geben, weil sie nur scheinbar einander entgegengesetzt sein können. Diese Identität oder Konvergenz wird in Buch III in immer neuen Anläufen beschworen und gilt selbstverständlich auch für den Bereich der Wohltaten. Zur Begründung wird wieder bei der societas angesetzt, denn es „ergab sich, dass das Leben besser gesichert war und dass wir durch Geben und Nehmen, durch Austausch von Mitteln und Vergünstigungen keinerlei Entbehrung leiden“ (ut dando et accipiendo mutandisque facultatibus et commodis nulla re egeremus; II 15). Reziprozität im Rahmen von Recht und Gesetz befördert das Wohl der Menschheit, Gemeinschaftsbildung geschieht also zum Zwecke des gegenseitigen Nutzens (vgl. II 18).20 Das utile muss demnach am honestum Maß 18 Dabei standen die verheerendsten Auswirkungen des agonalen Machtstrebens den Zeitgenossen von De Officiis noch bevor. Dadurch, dass der endgültige Princeps diesen Wettbewerb entschied und damit stilllegte, konnte das Motiv des certamen von Seneca nur noch in sittlich sublimierter Form verarbeitet werden. 19 Nur auf den Genuss seiner Früchte zielt das Handeln des reichen Kornbauern (siehe Kap. 8). 20 Dieser Nutzen wird besser und dauerhafter durch gegenseitiges Wohlwollen (benevolentia) als durch Furcht, etwa vor einem Tyrannen, realisiert (vgl. II 23–29). So wird auch die römische Herrschaft durch beneficia gesichert und als patrocinium über die Besiegten verstanden (vgl. II 26 f). Das Ziel des Erweises von Wohltaten liegt also darin, das Wohlwollen der Mitmenschen – der Freunde wie der Menge – zu gewinnen, um für sich selbst und die Gemeinschaft mehr zu erreichen. Dazu reicht im Zweifelsfall auch bei Nichtgelingen der bloße Wille aus, Wohltaten zu erweisen (vgl. II 32). Bonitas, liberalitas und comitas sind um ihrer selbst willen erstrebenswert
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nehmen, doch darüber hinaus muss sich bei Ciceros Konzeption das honestum eben auch als utile erweisen.21 Dieser doppelte Ansatz zeigt sich v. a. in den Ausführungen, wie Wohltaten konkret anzulegen sind. Das beginnt bei der Auswahl des richtigen Wohltatenempfängers, dessen Würde berücksichtigt werden soll:22 In quo et mores eius erunt spectandi, in quem beneficium conferetur, et animus erga nos et communitas ac societas vitae et ad nostras utilitates officia ante collate. Dabei wird auf den Charakter desjenigen zu sehen sein, dem eine Wohltat erwiesen wird, seine Gesinnung gegen uns, sein Gemeinschaftsgefühl und die unseren Vorteilen früher erbrachten Leistungen (I 45).
Neben den Charaktereigenschaften eines potentiellen Gunstempfängers wird als Auswahlkriterium auch einbezogen, ob man zuvor schon einen Nutzen von ihm hatte (vgl. auch I 48). Boni ratiocinatores officiorum (I 59) berechnen demnach den Nutzen des Empfängers wie auch ihren eigenen.23 Jemandem auf eine höhere Stufe zu verhelfen (II 62), ist im politischen Horizont Ciceros sicher keine selbstlose Tat: Das suffragium, also einem candidatus in ein Amt zu helfen, „war eine Gefälligkeit auf Gegenseitigkeit; sie wurde entweder als Vergeltung für ein vorangegangenes beneficium eingefordert oder mit dem Versprechen künftiger Erwiderung erbeten“24. Einem bono viro et grato (II 63) etwas zuzuwenden, fruchtet außerdem bei diesem und weiteren Menschen, daher ist Mühe nötig, möglichst vielen beneficia zu erweisen, „deren Andenken den Kindern und Nachfahren weitergegeben wird, so daß es ihnen nicht erlaubt ist, undankbar zu sein“ (II 63). Offiziell wird das Gemeinwohl als Motivation zu solchem Handeln genannt, doch wird zudem ein gar nicht so abstrakter individueller Nutzen in the long run mit bedacht. Synchron scheint es um die Erschließung von Wählerpotential und diachron um die Investition in Humankapital späterer Zeiten zu gehen: Vielleicht wird sich der eine oder andere soziale Aufsteiger seines früheren Gönners erinnern; selbst als homo novus zu Amt und Ehren gelangt, war Cicero mit diesen sozialen Dynamiken
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(per se expetantur; III 118), weil ohne sie die menschliche Gemeinschaft nicht bestehen kann – diese Zielgröße ist Cicero und Seneca gemeinsam. Wie Seneca identifiziert Cicero die Gegenposition mit Epikur (III 116–120). In Bezug auf die Nützlichkeit von Wohltaten wird ausgeführt (vgl. II 52–71): Zunächst soll Gerechtigkeit um ihrer selbst willen, sodann aber auch zur amplificatio honoris et gloriae (II 42) geübt werden. Zum iudicium hinsichtlich der Auswahl des richtigen Empfängers von Wohltaten bei Seneca und Plinius d.J. vgl. J. Wolkenhauer, Schrift 238. Menschen in drückender Not und Unglück, sofern sie diese Lage nicht selbst verschuldet haben, muss eher geholfen werden als solchen, die Hilfe erbitten, „damit sie eine höhere Stufe erklimmen“ (ut altiorem gradum ascendant; II 62), wobei auch diesen gegenüber nicht engherzig gehandelt werden soll. J. Wolkenhauer, Schrift 175.
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jedenfalls vertraut.25 Auch im Zusammenhang mit gerichtlichem Beistand und Ratschlägen, mit denen möglichst viele unterstützt werden sollen, spricht Cicero deutlich aus, dass dies beitrage „zur Mehrung des Reichtums und Ansehens“ (et ad opes augendas pertinet et ad gratiam; II 65) – und fokussiert damit klar den persönlichen Ertrag.26 Die behauptete Breitenwirkung kostenloser Interessenwahrnahme27 liegt auf der Linie der Begründung, Wohltatenempfänger auf der Basis von mores statt fortuna auszuwählen: Wenn man sich viele kleine Leute verpflichtet (vgl. II 65), wird es sich auch bei mangelnder sozialer Potenz des Empfängers lohnen die Kriterien so anzulegen: Denn selbstverständlich kann jener Unbemittelte, wenn er ein gutgesinnter Mann ist, auch wenn er nicht Dank abstatten kann, doch sicherlich Dankbarkeit zeigen (etiam si gratiam referre non potest, habere certe potest; II 69).
Für Seneca ist die Wohltat abgegolten im Moment ihrer dankbaren Annahme, ein im Prinzip rein innerlicher Prozess. Bei Cicero wird ähnliche Terminologie verwendet: gratiam refero/habeo (vgl. gratiam refero/gratias ago; Ben IV 21,1 f), doch legt der erläuterte Kontext eine handfestere Auffassung der Nützlichkeit von gratiam habere nahe, ob nun an die Erlangung eines Wahlamtes oder langfristige Investitionen gedacht ist. Zusammengefasst lautet Ciceros Credo, das auch einen Hinweis auf die angezielte Adressatengruppe enthält: Dies ist großer Männer Pflicht, dies waren bei unseren Vorfahren selbstverständliche Leistungen, diese Arten von Pflichten – wer ihnen nachkommt zum größten Nutzen für das Gemeinwesen, der wird selbst viel Ansehen und Anerkennung (et gratiam et gloriam) gewinnen (II 85).
Die persönliche gloria als angestrebter Ruhm ist dabei durch den Gemeinschaftsbezug des Engagements gerechtfertigt.28 Im Hintergrund steht, das Wohlwollen der Menschen zum Zwecke des persönlichen Fortkommens zu gewinnen.29 Ehrenwertes Handeln im Dienste des Staates zahlt sich für den 25 Die doppelte Wirkung des Wohltatenerweises in soziale Breite und zeitliche Länge ist dabei im Koordinatensystem von Ciceros anthropologischem Ansatz verortet: Der Mensch zeichnet sich durch seinen Gemeinschaftsbezug und seinen Sinn für Zukunftsplanung aus (vgl. I 11–15). 26 Zur gratia: „The counterpart of benignitas / liberalitas was gratia. Whereas benignitas / liberalitas was the disposition producing beneficia, gratia was the disposition ensuring a response to beneficia“ (K. Verboven, Economy 37). 27 „Payment for legal defense was prohibited by the lex Cincia of 204 […], abandoned in the reign of Claudius (Tac. Ann. 11.5 ff)“ (A.R. Dyck, Commentary 450). 28 „The ideal is for the actions that promote one’s personal glory also to benefit the state“ (A.R. Dyck, Commentary 451). 29 William Alexander hat die dabei berücksichtigte Priorität des Gemeinwohlbezugs auch gegenüber persönlichem Ehrgeiz an Ciceros Beispiel von Kallikratidas und Kleombrotos (vgl. 1,83 f) herausgearbeitet. Das klassisch-griechische Prinzip individueller dignitas wird am Beispiel zweier Spartaner, die dadurch den gemeinschaftlichen Nutzen zugrunde richteten, abgewertet zugunsten einer römischen utilitas rei publicae: „These Spartan leaders were quite
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Einzelnen aus, was einer funktionierenden Schamkultur entspricht, m.a.W.: „An dem Wort ,honestum‘ hing die Anerkennung durch die Gesellschaft.“30 Gerade zu einer solchen Zuversicht muss aber offenbar ermahnt werden, denn schon, dass Cicero überhaupt den scheinbaren Widerspruch zwischen Ehrenhaftem und Nützlichem argumentativ ausfaltet, zeigt die Erklärungsbedürftigkeit einer stoisch eigentlich eindeutig geklärten Verhältnisbestimmung beider Prinzipien.31 So stellen boni viri (III 18) auch erst gar keinen Vergleich zwischen honestum und utile an. Wenngleich jegliche Eigenorientierung jenseits des honestum tapfer als „Scheinbild des Nützlichen“ (utilitatis species; III 46) geschmäht wird, scheint es sich doch weniger um eine Beschreibung ontologischer Zustände als mehr um ein verzweifeltes Plädoyer zu handeln: „Entweder soll das, was nützlich erscheint, nicht schändlich sein (turpe ne sit), oder, wenn es schändlich ist, erscheine es nicht nützlich“ (ne videatur esse utile; III 81).32 In Bezug auf die Frage quod consequar? lässt sich festhalten, dass Cicero dem in rechter Weise handelnden Oberschichtenmitglied eine persönliche Belohnungsperspektive bietet. Diese fußt auf dem Optimismus, dass sich gemeinwohlorientiertes Handeln durch die Rückwirkungen der Begünstigten für den Wohltäter konkret positiv auszahlt. Die Massivität, mit der diese Option vertreten wird, zu greifen etwa in den immer neuen Anläufen des dritten Buchs, honestum und utile gedanklich zusammenzuhalten, indiziert eine diesbezügliche Verunsicherung und lässt auf die Anfechtung schließen, der diese Position ausgesetzt ist.
3.4 Soziale Ausrichtung der Wohltätigkeit nach Cicero Hinsichtlich Wohltätigkeit und Großzügigkeit wird in De Officiis geraten: „Es ist also darauf zu achten, daß wir eine Großzügigkeit walten lassen, die den ready to sacrifice life itself, if need arose, but not what they conceived to be honor, although the course of action arising out of their stubborn viewpoint nearly ruined their country. Cicero has mentioned two Spartans, but we are fully justified in supposing that he was thinking of examples much nearer home“ (W. Alexander, Cicero 5). 30 H.A. G rtner, Cicero 59. 31 „Mit Recht sagt Cicero an dieser Stelle [III 34; M.A.], daß Panaitios von dieser Grundeinstellung ausgehend die Erörterung des Widerstreites von ,honestum‘ und ,utile‘ nicht hätte einführen dürfen. Panaitios mag wohl von diesem scheinbaren Widerspruch gesprochen haben, er hat ihn aber – das ist das Entscheidende – nicht erörtert“ (H.A. G rtner, Cicero 64). 32 Auch die beiden Folgeparagraphen führen diesen adhortativen Duktus weiter, mit dem der vir bonus im wahrsten Sinne bei seiner Ehre gepackt werden soll, während in III 84 f im Zusammenhang mit unrechtmäßig erworbener Königswürde wieder mit der Naturbeschaffenheit, diesmal der menschlichen, argumentiert wird. Es entsteht der Eindruck eines gewissen Pragmatismus in Bezug auf die Auswahl des philosophischen Unterbaus.
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Freunden nützt, doch niemandem schadet“ (I 14).33 Damit ist die Reichweite der Großzügigkeit bereits grob definiert. Gefälligkeiten über die eigenen Möglichkeiten hinaus zu erweisen, ist entsprechend als Verrat an den Nächsten (proximi) zugunsten der Fremden (alieni; I 14) anzusehen, denn die Nächsten werden um ihre Hinterlassenschaft betrogen. Dazu passt auch die Zurückweisung der luxuria (I 123). Die Gruppen, denen gegenüber man verpflichtet ist, werden nach sozialer Nähe priorisiert (vgl. I 58). Dieser Einteilung entsprechen die Mahnungen zu einem nüchtern-fairen Umgang mit sozial Schlechtgestellten (infimi): Auch Sklaven wie Lohnarbeitern (mercennariis; I 41) soll der gerechte Lohn gezahlt werden. In diesem Zusammenhang verurteilt der Autor besonders das Verhalten falscher Wohltäter, die Unrecht tun und es dann als gute Taten erscheinen lassen wollen. Wer kein Geld hat, soll es verachten, wer welches besitzt, soll es für „Wohltätigkeit und Freigebigkeit“ (beneficentiam liberalitatemque; I 68) aufwenden. So wird dafür votiert, dass die Geld-Elite ihrer Gemeinwohlverpflichtung nachkommt, um die (ungleichen) Verhältnisse zu stabilisieren. Cicero lehnt die seiner Ansicht nach menschenverachtenden Berufe des Zöllners (porticor) und Geldverleihers (fenerator; I 150) ebenso ab, wie er sich gegen groß angelegte Schuldenerlasse und Enteignungen wendet. Entsprechende Maßnahmen „erschüttern die Grundlage des Gemeinwesens, die Eintracht zuerst, die nicht bestehen kann, wenn Beträge den einen weggenommen, den andern erlassen werden, sodann den Gerechtigkeitssinn, der völlig beseitigt wird, wenn einem nicht freisteht, seinen Besitz zu behalten“ (II 78; vgl. auch II 84).34 Im Hintergrund stehen wohl die commoda veteranorum, Gesetze zur Entschädigung von Veteranen, von denen Cicero befürchtete, dass sie mit Enteignungen einhergingen, wie es bereits vorgekommen war.35 Auf der Grundlage moralisch-rechtlich gesicherter Besitzverhältnisse obliegt den oberen Schichten gegenüber den niederen demnach eine gewisse Fürsorgepflicht.36 Funktional betrachtet dient diese dazu, soziale Ungleichheiten abzufedern und dadurch aufrechtzuerhalten. Solange sich die Eliten durch Wohltätigkeit der restlichen Bevölkerung annehmen, wird ihr übergeordneter Status nicht in Frage gestellt. Dabei kommt auch ein Rechtsgedanke ins Spiel: Zumindest generell soll Rechtsgleichheit herrschen, auf deren Basis sich Reziprozitätsbeziehungen zur Hebung des allgemeinen Nutzens erst entwickeln können (vgl. II 18). Diese Rechtsgleichheit muss, selbst wenn sie nur der Besitzsicherung gelten sollte, auch den unteren Schichten irgendwie zugestanden werden, um Legitimität beanspruchen zu können. Ihre Reali33 Mit anderen Worten: „Liberalitas is a matter of prudently matching income to expenditures“ (A.R. Dyck, Commentary 437; Hervorhebung im Original). 34 Wer den Schutz der res publica im Auge hat, wird darauf hinwirken, dass „bei Gleichheit in Recht und vor Gericht ein jeder das Seine behalte“ (III 85), wobei weder die sozial Schwächeren ausgebeutet werden noch diese den Starken das Ihre neiden sollen. 35 Vgl. A.R. Dyck, Commentary 360. 36 Zu Rechtfertigung und Gemeinwohlbezug des Besitzes vgl. I 92; II 54.
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sierung durch kostenlose Übernahme gerichtlicher Verteidigungsfälle erfolgt aber im Modus von beneficentia (vgl. II 65 f), d. h. es schickt sich für die angesprochenen Aristokraten, vielen würdigen, aber mittellosen Menschen kostenlos diese Hilfe zukommen zu lassen, und es soll sich in Reichtum und Ansehen für die Helfenden auszahlen. Einfordern können die Klienten diese Hilfe rechtlich nicht, was entsprechend dem Gegenseitigkeitsethos nicht heißt, dass sie beliebig zu gewähren oder verweigern wäre, denn nicht nur Reichtum, sondern auch Ehre und Ansehen gelten als harte Währung im reziproken Austausch. Der Gedanke, jedem das Seine zuzuteilen (suum cuique tribuere; I 5;15)37 ist wirkungsgeschichtlich zu einem klassischen Rechtsgrundsatz geworden, in De Officiis ist er in Reziprozitätslogik eingebettet, die auf Basis sozialer Achtung und Ächtung, nicht auf dem modernen Verständnis personenunabhängiger Anspruchsrechte funktioniert.
3.5 Zeitgeschichtliche Einordnung Die Adressierung der Schrift an Ciceros Sohn wird ausdrücklich auf das totum genus (II 45) ausgeweitet. Cicero will in einer politischen Umbruchsituation die junge Elite für republikanische Ziele gewinnen. Kennerly sieht „orators, who enter into the service of the res publica“38 angesprochen. Sie sind angehalten, die in der stoischen Philosophie enthaltene Emphase menschlicher Gemeinschaft in einer allgemein verständlichen Weise in die Gesellschaft zu tragen. Dieser Gemeinschaftsbezug soll sich auch in einem verbindenden, nicht-kompetitiven Rhetorik-Stil niederschlagen. „Instead of being aggressive, oratory should be connective; instead of a competing tone, the orator should try a conversing one.“39 Nach dieser Deutung ermuntert die Schrift offenbar dazu, gemeinschaftsstärkende Kommunikatoren zur Rettung der taumelnden Republik heranzuziehen. Douglas Kries unterscheidet zwei verschiedene Adressatengruppen: Zum einen ist die junge römische Aristokratie angesprochen, was auch die vielen Bezüge zu zeitgenössischen politischen Ereignissen erklärt, wie u. a. die erst kurz zuvor geschehene Ermordung Cäsars. Darüber hinaus wende sich der Autor aber auch an die „more philosophically inclined“40. De Officiis ziele nicht darauf ab festzustellen, was wahr, 37 38 39 40
Vgl. zudem A. Neschke, Art. Gerechtigkeit/Recht, DNP 4, 1998, 951–953. M. Kennerly, Sermo 135. M. Kennerly, Sermo 136. D. Kries, Intention 380. Zur Begründung verweist er zunächst auf eine eigenartige Identifizierung Ciceros mit dem Stoizismus: Selbst sich als Anhänger der Akademie bezeichnend (vgl. III 20; II 7 f), schickt er seinen Sohn zum Peripatetiker Kratippus, so scheint es „at least very odd that Cicero is suddenly willing to wrap himself in the mantle of Stoic ethics in De Officiis“ (ders., Intention 381).
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sondern was ehrenwert ist,41 wobei dieser pragmatische Zug dann wohl dem pädagogischen Ziel der Elitenunterweisung geschuldet ist. Sie sollen die Botschaft verinnerlichen, dass honestum und utile unbedingt zusammengedacht werden müssen, was in existenzieller Konsequenz “complete subordination of the private to the political good”42 bedeute. Diese Option sei als Reaktion Ciceros auf eine gesellschaftliche Problemlage zu verstehen, bei der der Princeps-Prätendent Cäsar nach einer Zeit „unerbittlichen Streits“ (Off I 8) zwar aus dem Weg geräumt worden war, was jedoch nicht zu einer Stabilisierung der Republik im Sinne Ciceros führte. Der Charakter einer Propagandaschrift für den Bestand der Republik zeige sich dabei in einer Argumentationstaktik, die zur Verfolgung der eigenen politischen Ziele einen zweckorientierten Umgang mit philosophischen Positionen und Schulmeinungen pflege.43 Der dem Autor eigene „Zug zum Konkreten“44 zeigt sich in dieser ausgiebigen Auseinandersetzung mit dem menschlichen Handeln, das nach stoischer Auffassung auf der mittleren Ebene angesiedelt ist. Dieses soll sich im Alltag bewähren, wie die Erörterung unterschiedlicher Bereiche sowohl privater als auch öffentlicher beneficia zeigt. Die Munitionierung der angesprochenen jungen Aristokraten mit einem Gemeinwohlethos, das sich auch für ihr persönliches Fortkommen als vorteilhaft erweisen soll, zielt demnach in die Mitte der politischen Auseinandersetzungen der Zeit. Es ist ein Kampf um die führenden Köpfe der jungen Generation, in den der Traktat eingebettet ist. Geführt wird er mit dem philosophisch grundierten Versprechen, dass sich ein Handeln mit republikanisch verstandenem Gemeinwohlbezug für die Vertreter der heranreifenden Elite lohnt. „Das größte Unglück ist in jeder Hinsicht der Ehrgeiz und der Wettstreit um Ämter“ (I 87), macht Cicero geltend und bezieht damit Position zu einer zerstörerischen Überbietungsdynamik innerhalb der Senatorenschaft, die sich u. a. in der Kritik an ruinöser largitio zeigt.45 Dyck ist skeptisch, was den Realitätsbezug bzw. die Durchsetzungskraft dieser Haltung angeht. In Bezug auf die in II 58 angemahnte Verhältnismäßigkeit öffentlicher Ausgaben meint er, dass Cicero als homo novus mehr über seine rhetorischen Fähigkeiten als über aufwändige Verausgabungen an seine Ädilität gelangt war. Aber: 41 Vgl. D. Kries, Intention 382. 42 D. Kries, Intention 387. 43 So erscheine das Werk als „sort of handbook of duties and obligations, based loosely on Stoicism, that would be suitable to aspiring republican statesmen“ (D. Kries, Intention 392). Kries hält Ciceros Umgang mit dem Verhältnisproblem von honestum und utile für ironisch, wobei die subtile peripatetisch grundierte Botschaft, „that not all ends are reducible to a unity“ (D. Kries, Intention 387) sich nur den Eingeweihten offenbare. Dass ein potentieller Konflikt zwischen externen Gütern und der Tugend sich auf das politische Leben auswirke, sei Cicero dabei bewusst. 44 H.A. G rtner, Cicero 65. 45 Zum Bauluxus in der Kaiserzeit vgl. H.-J. Drexhage/H. Konen/K. Ruffing, Wirtschaft 165.
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„It was hardly realistic to expect wealthy nobles to exercise restraint in an escalating bidding war for popularity in the eyes of an increasingly jaded public.“46 Da er einzelne Personen aus seiner Kritik an öffentlicher largitio ausnehme und daher befangen sei, gelinge es Cicero nicht, die Probleme systemisch-strukturell anzugehen.47 Auch in Bezug auf seine Konvergenzbehauptung von Ehrenhaftem und Nützlichem meldet Dyck Zweifel an, ob der Autor seinem selbst formulierten Ideal gerecht geworden ist.48 Im Zusammenhang juristischer Dienstleistungen an Bedürftigen wird eingeräumt, dass Cicero sich zwar zu Beginn seiner Karriere für einige Arme gerichtlich verwendet habe. Die Verteidigung P. Sullas hingegen habe er nicht wegen dessen hochstehenden Charakters übernommen, sondern weil der ihm zuvor zwei Millionen Sesterzen für den Kauf eines Hauses auf dem Palatin geliehen haben soll.49 Dieses behauptete Auseinanderklaffen eigener Lebensführung mit als ideal vorgestellten Handlungskriterien ändert jedoch nichts an dem in De Officiis erhobenen Anspruch, die zukünftigen Verantwortungsträger auf den rechten Weg des politischen Handelns zu führen.
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A.R. Dyck, Commentary 440. Vgl. A.R. Dyck, Commentary 440, mit Blick auf II 57. Vgl. II 69–71. Vgl. A.R. Dyck, Commentary 456.
4. Von De Officiis zu De Beneficiis Im Vergleich beider Traktate lassen sich Akzentverschiebungen erkennen, in denen sich eine veränderte Auffassung von sozialem Austausch offenbart. Für Cicero konvergieren das Tugendhafte (honestum) einer Wohltat und der Eigennutz (utilitas) des Gebers. Das Vokabular von Kalkulation und Investition bleibt in Reziprozitätsdenken eingebettet, die Bezugsgröße ist die menschliche Gesellschaft (societas). Die Annehmlichkeiten, die eine Wohltat für sie hervorbringt, sollen sich auch für den Wohltäter auszahlen. Nicht so bei Seneca: Der schaut primär auf den Einzelnen und reißt das Sittliche und das Nützliche normativ auseinander. Das erste wird einer idealisierten Reziprozität zugeordnet, in der nur durch die dankbare Empfängerseite gewährleistet wird, dass überhaupt von einem Austausch die Rede sein kann. Das zweite, der persönliche Nutzen, ist kein legitimes Ziel von Wohltätigkeit mehr und wird in den Bereich des Darlehens (creditum) ausgelagert. Die zugehörige Semantik von privater Gewinnkalkulation bringt nun eine aus der Reziprozität herausgelöste Austauschform zur Sprache, die nach entgegengesetzten Prinzipien funktioniert. In De Beneficiis spiegelt sich die tatsächliche Professionalisierung des Geldverleihs als Ausdruck marktwirtschaftlichen Denkens und Handelns in der Gesellschaft. Die soziale Mobilität, die erfolgreichen Wirtschaftsakteuren unter der neuen Ordnung des Prinzipats z. T. ermöglicht wurde, führte unter den verunsicherten Traditionseliten zu unterschiedlichen Reaktionen. Einerseits wurden überkommene Rituale asymmetrischer Reziprozität zur Statusschau in hoch stilisierter Form weitergeführt. Andererseits konkurrierte man auf dem Marktplatz mit den Aufsteigern um kommerziellen Erfolg.
4.1 Semantiken der Wohltätigkeit Es gibt eine große semantische Nähe zwischen beiden Wohltätigkeitskonzeptionen mit einigen Unterschieden. Die Begrifflichkeit scheint bei Seneca nuancierter und vielfältiger, wie sich etwa in Bezug auf die Bitte um eine Wohltat zeigt.1 Seneca kennt neben rogo oder peto auch das Abpressen (exprimo) oder Herauswinden (extorqueo) eines beneficium, und zeigt mit 1 Bitten bei Cicero: rogo (impudenter; I 88; um beneficia zu vermitteln; II 67; den Richter darum, was er salva fide tun kann; III 44); peto (II 13 u. ö.; fidem; III 45; consulatum; III 79); impetro (I 32 u. ö.; Kauf: III 59 u. ö.); ferner cupio (I 102 u. ö.; concupio; I 24; III 83).
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quaero, concupisco und evoco weitere Schattierungen auf.2 Die Verwendung von patronus und cliens scheint unterschiedlich stark problematisiert: Während Seneca den Terminus patronus meidet und nur einmal im ganzen Werk für eine Statue benutzt, bezeichnet er bei Cicero sowohl Schutzherren, die ganze Völker umfassen können, sowie – einmalig – einen Anwalt vor Gericht.3 Beide Autoren kritisieren bei jeweils nur an einer Stelle auftretender Nennung des cliens, dass Wohltatenempfänger diese Zuschreibung als Selbstbezeichnung scheuten.4 Die Erwartung, dass der Begünstigte öffentlich Demut und Ehrerbietung zur Schau stellt, scheint somit beiden gemeinsam. Dass demgegenüber eine Bezeichnung des Gebers als Patron vermieden wird, in der sich ein asymmetrisches Beziehungsverhältnis ausdrückt, weil dies unhöflich erschiene, scheint für De Officiis noch nicht in der gleichen Weise wie für De Beneficiis zu gelten.5 Bei der Auswahl eines Wohltatenempfängers (iudicium) teilen Cicero und Seneca das Ideal, diesen nach Würde (dignitas), nicht nach Stand (fortuna) zu beurteilen. Cicero argumentiert hier mit dem persönlichen Gewinn solchen Verhaltens: Mehr arme Gunstempfänger sind länger dankbar als wenige ohnehin schon begüterte und tragen so zu Ansehen und Reichtum des Gönners bei.6 Derart zu kalkulieren, überhaupt Wohltaten anzulegen und zu berechnen, scheint für Cicero unproblematisch zu sein.7 Mit colloco als „Anlegen“ einer Wohltat (I 49; II 69.71) bedient er sich einer Investitionsrhetorik, in die die Geber als „gute Berechner der Verpflichtungen“ (boni ratiocinatores officiorum; I 59) eingeschlossen werden.8 Eine Wohltat ist dann „schlecht angelegt“ (mala locata; II 62), wenn man damit jemandem in ein Amt verhilft, der sich anschließend undankbar zeigt.9 Colloco in Bezug auf eine Wohltat kommt bei Seneca in direktem Zusammenhang mit Kreditvergleichen zur Sprache,
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Siehe Kap. 2.2. Vgl. Ben V 8,2; Off I 35; II 51; III 74. Vgl. Ben II 23,2; Off II 69. Vgl. R.P. Saller, Patronage 9. Vgl. Cic., Off I 45; II 63; siehe oben. Die gleiche Argumentationsfigur begegnet beim zuweilen Gewinn bringenden Verzicht auf die Durchsetzung des eigenen Rechts (vgl. Cic., Off II 64). 7 Gewähren bei Cicero: tribuo (I 15); gratificor (I 42); transfero (I 44); confero (I 68, hier Geld); defero (I 49); do (I 22); opitulor (I 49); impertio (aus den Erträgen des Landes: I 92; Bedürftigen aus dem Privatvermögen: II 54), effundo (Verschleudern des Erbes: II 54) und locupleto (andere ausstatten: II 63). Empfangen, Schulden und Rückfordern eines beneficium werden mit accipio (I 22), debeo (I 48) und repeto (III 95) wiedergegeben. Die Gestalt des Empfängers kommt dabei nur als Gegenüber von Autor und Adressaten vor, so ist „auch gegen Niedriggestellte Gerechtigkeit zu wahren“ (adversus infimos iustitiam esse servandam; I 41), und Bedürftigen (hominibus indigentibus) sollen Geldzuwendungen geleistet werden (II 54). Zur Pflicht des Erstattens äußert sich Cicero deutlich: „Keine Verpflichtung ist dringlicher als die, Gunst zu vergelten“ (nullum enim officium referenda gratia magis necessarium est; I 47). 8 Idealerweise werden ihnen Attribute wie beneficus, benignus und liberalis (I 42) zugeordnet. 9 Vgl. A.R. Dyck, Commentary 450. Die Investitionsmetapher steht demnach in Bezug zur amplificatio honoris et gloriae (II 42).
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um die jeweiligen Bezugsrahmen voneinander abzugrenzen.10 Der unbeschwerten Einbettung von Investitionsmetaphorik in den Reziprozitätskontext Ciceros steht ein von schroffen Abgrenzungen und unklaren Überblendungen geprägter Umgang bei Seneca gegenüber.11 Das semantische Auseinandertreten von Gegenseitigkeitsethos und Handel zeigt sich exemplarisch daran, wie die beiden Autoren jeweils den Ausdruck commodum (Annehmlichkeit, Vorteil, Nutzen) bzw. das zugehörige Verb verwenden. Bei Cicero bedeutet commodare, sich anderen, z. B. Fremden gegenüber gefällig zu erweisen (vgl. I 51), der Begriff gehört in den Bereich der Reziprozität. Bei Seneca taucht commodo dagegen als Terminus des Geldverleihs auf: „Was nämlich ist daran großartig, wenn man eine Wohltat nicht schenkt (dat), sondern leiht“ (commodat; III 73)? Die commoda sind in De Officiis die Annehmlichkeiten, die aus gemeinschaftlicher Zusammenarbeit erwachsen, und damit eindeutig begrüßenswert (vgl. Off II 15 u. ö.).12 Zwischenmenschliche Kooperation hilft allen Nöten ab, Gerechtigkeit erwirkt zudem persönliche Ehre. In De Beneficiis hingegen ist das commodum als Annehmlichkeit für die Wohltat ohne Bedeutung (vgl. Ben II 33). Im Gegenteil gelten dort die Unannehmlichkeiten (incommoda) als besonders ehrenhaft (vgl. Ben II 21,3; IV 2,4 u. ö.). Dass man Gutes tun soll, weil das zusammen mit dem gemeinschaftlichen Nutzen auch den eigenen hebt, kann Seneca nicht als Argument gelten lassen. Hebt Cicero demnach den gemeinschaftlichen Vorteilsaspekt der commoda positiv hervor, gehören sie für Seneca gar nicht mehr in den Bereich der Wohltätigkeit. Zudem hat sich die Blickrichtung auf den Einzelnen verschoben. Zwar lässt sich in beiden Traktaten die Vorstellung finden, dass die menschliche Gemeinschaft (societas) durch Wohltaten um ihrer selbst willen zusammengehalten wird (vgl. Cic., Off III 118; Sen., Ben IV 18,4). De Officiis ordnet diese menschliche Gemeinschaft aber nach unterschiedlichen Verpflichtungsgraden und bezieht selbstverständlich das persönliche Fortkommen in die Überlegungen ein. Dieses zu kalkulieren ist legitim, ja im Sinne der „appropriate actions“ (Dyck) angeraten, wenn es klare Regeln gibt, nach denen gehandelt werden soll. Hier wird noch der Optimismus verbreitet, dass die Pflichterfüllung sich für den Einzelnen – wohl nicht zuletzt politisch – als lohnend erweist. Utilitas kommt nicht nur als Nutzen der Gemeinschaft und des Gegenübers, sondern auch als eigener in den Blick. Seneca streicht diesen Selbstbehalt aus der Konzeption, es bleibt als Bezugsgröße nur das Wohl des Gegenübers – und zwar des individuellen Gegenübers bei einem sehr ins Abstrakte gewendeten Gemeinschaftsbezug. Mindestens ebenso abstrakt ist seine Antwort auf die Frage nach dem Lohn der guten Tat, die mit der Per10 Collatum/(bene) positum beneficium (colloco; Ben II 23,2; V 19,4; positum; I 2,2; IV 3,3). 11 Siehe Kap. 2.4.2. 12 Private commoda ohne Berücksichtigung der iustitia anzustreben, ist gleichwohl als Charakterfehler zurückzuweisen (vgl. Off I 62).
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spektive auf eine Art kosmischer Verzückung beantwortet wird. Diese kann durch das Tun des Sittlichen um seiner selbst willen (honestum) erlangt werden. Aus der Härte gegen sich selbst entspringt ein Gefühl der Harmonie mit dem All. Dieser Genuss (voluptas) erhebt sich weit über die leiblichen Freuden, die mit der Berechnung von Eigennutz in Verbindung gebracht werden, die dem Zerrbild des Eikureismus zugeschrieben werden.13
4.2 Sozialer Geltungsbereich Das Wohltatenverständnis von De Beneficiis setzt individuell an, im Blick sind hauptsächlich face-to-face-Beziehungen. Für Seneca ist das Benefizium charakterisiert als ein „Band, das zwei Menschen miteinander verbindet“ (Ben VI 41,2). Gegenüber öffentlichen Wohltaten nimmt er eine noch skeptischere Haltung als Cicero ein, für den diese Formen als gesellschaftliche Selbstverständlichkeit anerkannt und einer differenziert-kritischen Beurteilung für wert erachtet werden.14 De Beneficiis ist mit der largitio schnell fertig: Wohltaten sind nicht an die anonyme Masse zu verteilen, Verschwendung ist abzulehnen (vgl. Sen., Ben I 2,1 f).15 Wie gesehen argumentieren beide Autoren mit der menschlichen societas als Ausgangspunkt und zu berücksichtigender Zielgröße sittlichen Handelns. Cicero geht aber sozusagen den langen Weg angefangen bei dem, was allen Lebewesen gemein ist, bis hin zur Überlegung, welchen Verpflichtungsgrad etwa die Erntehilfe beim Nachbarn (vicinus) gegenüber bestimmten Diensten für Freunde hat. Es gilt der Anspruch, dass jeder Bereich des sozialen Lebens, nicht zuletzt der politische, ausgeleuchtet wird. Senecas Schrift klammert die politische Arena weitgehend aus, unter Verzicht auf eine sozialethische Perspektive wird die zwischenmenschliche Ebene umso nuancierter bearbeitet. Das falsche Erweisen ist ein Thema, das v. a. im zweiten Buch ausgiebig behandelt wird, besonders die unterschiedlichen Formen des Hochmuts werden dabei eingehend und sehr feinsinnig kritisiert.16 De Officiis beschränkt sich 13 Damit wird auch die sublimierte voluptas auf gewisse Weise rehabilitiert, nachdem sie bei Cicero als unterste Untugend noch unter der largitio angesiedelt wird (vgl. I 25). 14 Vgl. Cic., Off II 52–60; 72–85. 15 Wenn liberalitas gegenüber Vielen geübt wird, dann so dass jeder Einzelne das Gefühl hat, individuell bedacht worden zu sein (vgl. Sen., Ben I 14). 16 Die Gabe zu verzögern und den Bittsteller zum Nachfragen zu zwingen, verdirbt den Dank (vgl. Ben II 1,2; II 4,1–5,4), sogar Mienenspiel und Sprachmelodie finden bei Seneca Berücksichtigung: Ist der Gegenstand der Wohltat auch riesig, kann diese doch durch silentium aut loquendi tarditas und voltus negantium (Sen., Ben II 3,1) wertlos gemacht werden. Auch darf nicht an eine gewährte Wohltat erinnert werden, schon gar nicht in erniedrigender Gönnerpose: Quid opus adrogantia voltus, quid tumore verborum (Sen., Ben II 11,6)?
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auf die allgemeine Mahnung, man solle „Überheblichkeit, Stolz und Hochmut unbedingt meiden“ (I 90; vgl. auch I 91). Auf dieser individuellen Ebene macht die Gewährung von Wohltaten für Seneca auch an Standesgrenzen nicht Halt; so wird sogar Sklaven die Möglichkeit beneficia zu erweisen zugestanden (vgl. Ben III 18–28). Daran ist bei Ciceros Umgang mit den Niedrigsten (infimi) nicht zu denken. Das mag auch daran liegen, dass Cicero sich noch handfester mit diesen Bevölkerungsschichten auseinanderzusetzen hatte als Seneca: Der Zugang zur Ämterkarriere war ohne das Wohlwollen des Wahlvolks nicht zu realisieren; dessen Forderungen etwa nach Getreide, Fleisch oder Schuldenerlass musste man als Vertreter der republikanischen Elite begegnen.17 Der Umgang mit den unteren Sozialschichten wird also nicht nur auf einer individualethischen, sondern auch einer gesellschaftspolitischen Ebene behandelt.18 Seneca hält die Benefiziensphäre von rechtlicher Sanktionierung frei: „Die Wohltat unterliegt keinem Gesetz“ (beneficium nulli legi subiectum est; VI 6,1). Das bedeutet eben auch, dass vonseiten der Empfänger keinerlei Rechtsansprüche geltend zu machen sind.19 So kann die auf einer affektiven Ebene beschworene menschliche Gleichheit von Sklave und Herr nur so stark gemacht werden, weil sie sich auf der Grundlage einer außer Frage stehenden Ungleichheit der Machtverhältnisse realisiert.20 Die professionellen Geldverleiher (feneratores) waren hingegen oftmals aufstrebende Freigelassene oder Sklaven, teils kaiserlich beauftragt, die mit ihren Geschäften das Selbstverständnis der senatorischen Eliten herausforderten und so, mit Moses Finley gesprochen, Statusdissonanzen verursachten.21 So erklären sich Senecas Einlassungen gegen den „überaus schändlichen Geldverleih“ (turpissima feneratio; Ben I 2,3) auch mit Blick auf die soziale Stellung von dessen Trägergruppen: Statusniedere sollen sich mit einer theoretischen Gleichheit zufriedengeben, nicht an sozialen Grenzen rütteln.22 Tun sie es doch, z. B. aufgrund ihres wirtschaftlichen Erfolges, werden sie 17 Mit Infimi können bei Cicero sowohl freie Bürger als auch Sklaven gemeint sein (vgl. B. K hnert, Populus Romanus und sentina urbis. Zur Terminologie der plebs urbana der späten Republik bei Cicero, in: Klio 71,2 (1989) 432–441, 437). 18 Siehe die Gliederung der Erörterung in Wohltätigkeit für Einzelne (vgl. Cic., Off II 65–71) und die Gemeinschaft (vgl. II 72–85). 19 Auch am Wettkampfgedanken lassen sich die unterschiedlichen Perspektiven gut illustrieren: Von Cicero im konkret materiellen Sinne der Auseinandersetzung um politische Ämter verstanden und als Gefahr für das Gemeinwohl gekennzeichnet, wird das agonale Element in De Beneficiis sublimiert und auf die Ebene der sittlichen Anstrengung verlagert, bei der nur die voluntas zählt. 20 Für Angela Ganter unterscheidet sich De Beneficiis von De Officiis durch die „Empathie für den Empfangenden“. Im Hintergrund der Forderung, als Wohltäter auf Eigenlob zu verzichten, stehe, „dass die Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit zumal unter Nero gefährlich geworden war“ (dies., Welt 243 f). 21 Vgl. M.I. Finley, lite; S. von Reden, Money 280. 22 Miriam Griffin insistiert gleichwohl darauf, dass die Empfangenden in De Beneficiis den gleichen Status wie die Gebenden haben (vgl. dies., Seneca 35).
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dafür geschmäht, einer niederen, an Kalkulation und Profit orientierten Form des Austausches anzuhängen – wie man sie selbst im Übrigen ebenfalls im großen Stil betreibt.23 Cicero sieht trotz seiner Skepsis gegenüber bestimmten Geldberufen die Notwendigkeit, dass auch im Bereich des Marktes iustitia walten muss. Damit erhebt er einen gesellschaftspolitischen Anspruch, der sich stoisch ausgedrückt auf die mittlere Handlungsebene der Alltagspflichten (jah^jomta) bezieht. Weil Senecas normative Spitzenaussagen im Alltag nicht umzusetzen sind, müssen sie relativiert werden: Die Maximalforderungen dienten pädagogischer Übertreibung bzw. gälten nur im Reich der Weisen – das leider unzugänglich sei.24 Zusammengefasst: De Officiis will auf allen Ebenen menschlicher societas Orientierung bieten, wie man bei sozialen Austauschpflichten zur richtigen Verhältnismäßigkeit gelangt. Das in De Beneficiis gestellte Thema, Wohltaten trotz Undank zu erweisen, spart die Sphäre öffentlicher Interaktion weitgehend aus.25 Für Cicero ist klar, dass Statusunterschiede das Prinzip der Gegenseitigkeit prägen, Seneca reißt diese Grenzen in der Theorie nieder: Auch der Sklave kann ein Wohltäter sein. Erst als Geldverleiher droht er jedoch, in die Nähe realer sozialer Gleichheit zu geraten. Deshalb zementiert Seneca die sozialen Unterschiede, indem er positiv eine theoretische Gleichheit aller Menschen nach stoischer Vorlage propagiert, und negativ diejenige Form sozialen Austausches diskreditiert, durch die tatsächlich Bewegung die sozialen Verhältnisse kommt: Marktwirtschaft.
4.3 Veränderte Ordnung – veränderter Austausch De Officiis ist als Dokument einer in Auflösung begriffenen Gesellschaftsordnung zu lesen. Innerhalb der Oberschicht breiteten sich zunehmend rui23 Vgl. S. von Reden, Money 279. Laut Wolkenhauer führen die Statusverunsicherungen im Zuge der Machtverschiebungen durch den Prinzipat teilweise zu einer „Selbstbestätigung in der Betonung sozialer Distanz nach unten“ (ders., Schrift 367). Senecas vielfache Kritik hochmütigen Verhaltens kann auch als Kritik an solchen Dynamiken gelesen werden. 24 Vgl. Sen., Ben VII 23; V 25,3; VII 10,6. Die sozusagen fehlende Erdung der Konzeption Senecas lässt sich am Beispiel der Beurteilung der Bodenschätze illustrieren: Dienen sie Cicero dazu, die Errungenschaften kooperativen menschlichen Handelns zu propagieren, sieht Seneca in ihnen die Wurzel menschlicher avaritia schlechthin (vgl. Cic., Off II 13; Sen., Ben VII 10,2 f). 25 Dyck versucht zu erklären, warum das Thema Undank in De Officiis nur einmal vorkommt (vgl. II 63): „Now one of the issues between Cicero and Antony in autumn, 44, was Antony’s charge that Cicero had been ungrateful for a beneficium bestowed on him when he had spared the orator’s life at Brundisium in October, 48 (Phil 2.5).Though he had ample answer to Antony’s charges, Cicero evidently decided to reserve such matters for the Second Philippic and reduce to a minimum the topic of ingratitude, with its politically sensitive aspects, in Off“ (ders., Commentary 451; Hervorhebung im Original).
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nöse Wettbewerbe um politischen Einfluss aus, im Zuge derer die Republik schließlich vom Prinzipat abgelöst wurde. Diese Entwicklung war zur Abfassungszeit von De Beneficiis lange abgeschlossen. Im Zeitraum zwischen beiden Schriften hatte sich die gesamte Gesellschaftsordnung grundlegend geändert,26 was auch einen „Wandel im römischen Benefizienwesen“27 mit sich brachte. Diesem Wandel hat sich jüngst eine Monografie Jan Wolkenhauers mit Bezug auf De Beneficiis gewidmet, deren Ergebnisse bei nachfolgenden Überlegungen besonders berücksichtigt werden. Ein Aspekt dessen, nämlich der Einfluss von Geldwirtschaft und Handel auf das Verhalten der Eliten, soll zudem hervorgehoben werden.28 In einer weiteren in letzter Zeit erschienenen Studie zu De Beneficiis werden die Akzente anders gesetzt: Gegen Saller und andere macht Miriam Griffin geltend, dass es in Senecas Schrift gar nicht um im Hintergrund liegende soziale Strukturen oder Machtmechanismen gehe. Auch beschäftigten sich sowohl Cicero als auch Seneca nur am Rande mit Patronage oder anderen vertikalen Beziehungsverhältnissen, sondern: „Horizontal relationships and behaviour towards equals are their prime concern.“29 Ein traditioneller sozialer Code müsse an die Existenz eines neuen Phänomens, des Princeps, angepasst werden. Dabei knüpfe Seneca aber an ein Ideal an, welches seine Standesgenossen nicht nur theoretisch teilten, sondern an das sie sich auch überwiegend hielten.30 Mit Blick auf Seneca und Cicero werden v. a. Gemeinsamkeiten hinsichtlich philosophischer Tradition und römischer Gesellschaft stark gemacht.31
Im Übergang von der Republik zum Prinzipat veränderte sich die Ausrichtung der Reziprozitätsnetzwerke: Der Zugang zu Machtpositionen war bislang im Kreise der senatorischen Elite reguliert worden. In diesem Umfeld musste man Berücksichtigung finden ut altiorem gradum ascendere (Cic., Off II 62), hier wurden horizontal unter Statusgleichen die Magistraturen verteilt. Die diesbezüglichen Abstufungen bildeten sich im cursus honorum ab, dessen Struktur Verlässlichkeit und Stabilität vermittelte. Im Zuge der Ablösung dieser Ordnung übertrug der Princeps die vormals auf dem Senat ruhende Macht weitgehend sich selbst und regelte deren Übertragung neu. So waren nun „Magistraturen, die Funktionsstellen und verschiedene Ehrenzeichen – kurz: alles, was machtrelevant oder besonders prestigereich war – zunächst einmal Wohltaten des Kaisers“32. Der vormals multipolar und horizontal unter
26 Wobei laut Geza Alfçldy nicht von einer „Revolution“, sondern von einer Krise gesprochen werden sollte (vgl. ders., Sozialgeschichte 86 f). 27 J. Wolkenhauer, Schrift. 28 Dieser Aspekt spielt bei Wolkenhauer keine zentrale Rolle; zur Rolle des Geldes vgl. ders., Schrift 176–190. 29 M.T. Griffin, Seneca 35. 30 M.T. Griffin, Seneca 74; siehe Kap. 2.5. 31 M.T. Griffin, Seneca 7–14. 32 J. Wolkenhauer, Schrift 175; vgl. auch die prägnante Darstellung dieses Wandels bei A.
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Ranggleichen ausgetragene Wettbewerb um politischen Einfluss verlagerte sich demnach hin zu einer vertikalen Ausrichtung auf die zentrale Machtfigur an der Spitze.33 Diese stattete die in seiner Gunst (amicitia Caesaris) Stehenden mit den notwendigen Ressourcen aus, damit sie sich ihrerseits eine ihnen verpflichtete Klientel aufbauen konnten. So ergab sich ein Geflecht von Abhängigkeitsverhältnissen sozusagen top down, das dem Kaiser die durch Ehrenbezeugungen seiner Untertanen ausgedrückte Loyalität sicherte. So war der Herrscher „durch seine Wohltat gesichert“ (suo beneficio tutus; Sen., Clem III 11,5 bzw. I 13,5)34. Gleichzeitig traten im Prinzipat Mediatoren in Erscheinung, die Kontakte zu kaisernahen Kreisen vermittelten. Der von Saller verwendete Begriff des broker lässt sich nicht auf eine einzige quellensprachliche Bezeichnung zurückführen, da Mediationsleistungen in verschiedenen Bereichen erbracht wurden. Am ehesten wäre wohl an einen suffragator zu denken, dessen Funktionen zunächst speziell in Wahlhilfe und Ämtervermittlung bestanden. Später galten als suffragatores „alle, die Einfluß auf einen Entscheidungsträger ausübten“35.
Durch die neue machtpolitische Ausrichtung auf den Princeps als Spender aller relevanten Gaben kam es auch zu einer veränderten Elitenstruktur. Neben dem weiterhin einflussreichen ordo senatorius kamen vermehrt Mitglieder des ordo equester in ranghohe Positionen, im Umfeld des Kaisers war es sogar Freigelassenen und Sklaven möglich, einflussreiche Posten einzunehmen. Zudem stieg der Anteil der Provinzialen, denen eine Karriere auf Reichsebene ermöglicht wurde.36 Die Förderung sozialer Mobilität geschah offenbar nicht zufällig:
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Winterling, Freundschaft 309 f, der die Monopolisierung der militärischen Macht herausstreicht. Vgl. J. Wolkenhauer, Schrift 174–176; Z. Crook, Honor 599–604. „Aufgaben, Ämter und Ehren […] erlangte man nun nicht mehr als Prämien für den Sieg in der Konkurrenz mit den Standesgenossen und damit als Widerspiegelung der Anerkennung durch die eigene Klasse und den ganzen populus Romanus – das kam nun alles als Gunst und Gnade von oben, aus der Hand des Monarchen, der nun persönlich über jede einzelne senatorische Karriere entschied“ (E. Stein-Hçlkeskamp, Gastmahl 82; vgl. auch 56 f; 267). Vgl. R.P. Saller, Patronage 78. Roller versucht nachzuweisen, dass diese Wohltaten nicht vornehmlich als öffentliche Euergesien ohne weiteren Verpflichtungscharakter anzusehen sind, sondern – zumindest in den Beziehungen mit individuellen Aristokraten – die Erwartung von Dank und Ehrerbietung mit sich führten (vgl. ders., Autocracy 193). U. Heider, Art. Suffragium, DNP 11, 2001, 1090, mit Blick auf Suet., Vit 7,1; vgl. R.P. Saller, Patronage 74. Sozialanthropologisch sind diese Vermittlungsleistungen untersucht worden von J. Boissevain, Friends of Friends. Networks, Manipulators and Coalitions, Oxford 1974. Zur sozialen Mobilität als Prozess der Statusdissonanz vgl. M.I. Finley, lite (siehe Kap. 4.2). Die gesellschaftliche Akzeptanz von provinziellen Eliten aristokratischer Herkunft erleichterte deren Aufstieg in der römischen Politik (vgl. M.I. Finley, lite 116–120). Zu Sklaven als dispensatores (Finanzaufsichtsbeamte) oder cubicularii im häuslichen Umfeld des Kaisers vgl. P.R.C. Weaver, Mobility 132 f.
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The emperor from the beginning was at great pains to create institutions of his own devising and under his own control as a bulwark for his own position, a source of power to counterbalance that of the senate, and as a channel for the reservoir of talent and energy in all parts of the empire and in all sections of society to be usefully employed in administering and defending the empire.37
4.3.1 Horizontale Verwerfungen: Umgang innerhalb der Oberschicht So konnte es bei der Vermakelung kaiserlicher Wohltaten zu einer „Inversion sozialer Rollen“38 kommen, wenn nämlich Träger hoher magistraler Ehren auf Vermittlungsleistungen von Rangniederen mit größerer Nähe zum Kaiser angewiesen waren. Die Trennung der klassischen Staatsämter von kaiserlichen Funktionsstellen, die z. T. größeren Einfluss boten und nach anderen Kriterien zugewiesen wurden, stellten zudem eine „Aushöhlung der Ämter hinsichtlich ihres politisch-administrativen Gehalts“39 dar. Die beschriebene Entwicklung hatte Auswirkungen auf das Selbst- und Beziehungsverständnis innerhalb der Senatorenschaft, das durch o.g. Entwicklungen von Rollenunsicherheit und Angst vor Statusverlust geprägt war.40 Traditionell von einem egalitären Umgang geprägt, hatte sich aufgrund der politisch-sozialen Bindungen in der Republik ein entsprechender gemeinsamer Habitus ausgebildet, der durch eine „egalitäre Symbolik“ und „affektive Beziehung“41 der Austauschpartner geprägt war. Die damit verbundenen Umgangsformen, deren Essenz von Cicero beschworen wird und die Seneca v. a. im Modus der gegen sie verübten Verstöße thematisiert, verloren unter der neuen Machtordnung teilweise ihre Funktion. M.a.W.: In der Behauptung, dass honestum und utile konvergieren, drückt sich auch ein Bekenntnis zum Funktionieren traditioneller aristokratischer Werte aus. Das utile hingegen als unmoralisch abzuqualifizieren, entspringt nicht zuletzt der Erfahrung, dass eine im senatorischen Habitus verankerte Vorstellung vom honestum sich in Bezug auf Rang und Ansehen nicht mehr unbedingt als nützlich erweist. Nicht zufällig wird das utile von Seneca in die Nähe des Geldverleihs gerückt. Dieser war in senatorischen Kreisen zur Zeit der Republik in Reziprozitätskreisläufe eingebettet: Die für 37 P.R.C. Weaver, Mobility 134. In Bezug auf die alten Eliten schreibt Aloys Winterling: „Die Kaiser selbst waren mit der paradoxen Situation konfrontiert, dass die Vergabe ihrer Gunst an aristokratische Personen, die in gewissem Maße unumgänglich war, nicht unbedingt die Stärkung ihrer eigenen Position, sondern möglicherweise die Stärkung der Macht ihrer Günstlinge bewirken und damit ihre eigene Macht schwächen konnte, indem sie kaiserliche Rivalen aufzubauen half“ (ders., Freundschaft 313). 38 J. Wolkenhauer, Schrift 237. 39 J. Wolkenhauer, Schrift 159. Dabei änderte sich der cursus honorum nicht, seine Bedeutung reduzierte sich aber darauf, „die statusmäßigen Voraussetzungen für die Bekleidung von Funktionsstellen im kaiserlichen Dienst zu schaffen“ (ders., Schrift 160). 40 Vgl. M.B. Roller, Autocracy 264–267. 41 D. Barghop, Kommunikation 69.
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standesgemäße Aufwendungen benötigten Mittel lieh man sich gegenseitig, wodurch man sich gegenseitig verpflichtete.42 In der Kaiserzeit hingegen verschwand die Sitte, innerhalb der Senatorenschaft anderer Leute Schulden zu übernehmen. Im Kontext der Vergabe von Ämtern floss nun Geld an Vermittler mit entsprechendem Einfluss, die nicht unbedingt aus der gleichen Klasse stammten.43 Stattdessen professionalisierte sich einerseits die feneratio gegen Zins, andererseits wurde Statusniederen – z. T. mit öffentlichkeitswirksamem Gestus – durch Geldgeschenke geholfen.44 Drohte einem Senator das vermögensmäßige Absinken unter die Census-Grenze, wandte dieser sich nicht selten an den Kaiser – statt an seine Standesgenossen, für Wolkenhauer „ein weiterer Beleg für die inneraristokratische Entsolidarisierung in finanzieller Hinsicht“45. Das bedeutet: Die alte senatorische Elite, vormals in habitualisierter Solidarität miteinander verbunden, wurde durch die Neuordnung der Machtzugänge verunsichert. Aufgrund des Eindringens von homines novi in das Sozialgefüge und einer teilweisen Trennung von Amt und Funktion wurde deutlich, dass sich über die alten Umgangsformen nicht mehr (in gleicher Weise) politischer Einfluss regulieren ließ. Die Ausrichtung auf den Princeps und die von ihm ausgewählten Teilhaber seiner Macht hatte demnach einen partiellen Bedeutungsverlust der traditionellen Netzwerke zur Folge. Dadurch erklären sich Formen von Entsolidarisierung, wie sie etwa im Bereich der finanziellen Unterstützung in der Statusgruppe der Senatoren beobachtet werden können.
4.3.2 Vertikale Verwerfungen: Umgang mit Statusniederen Dadurch, dass im Prinzipat alles Wesentliche durch den Kaiser oder ihm Nahestehende vermittelt wurde, kam es zum Relevanzverlust von Bindungen außerhalb dieses Dunstkreises, was folglich auch althergebrachte fides-Verhältnisse betraf.46 Die Ehrerbietung der unteren Chargen verlor machtpolitisch massiv an Bedeutung, wie die Verlegung der Magistratswahlen 14 n. Chr. 42 „Um eine erfolgreiche senatorische Karriere zu bestreiten, waren beträchtliche Barmittel nötig, in der Republik vor allem für Geldzahlungen im Wahlkampf, für Volksspeisungen, für Spiele während der Magistraturen und zum Teil auch für Leibwächtertrupps“ (J. Wolkenhauer, Schrift 179). Die Konditionen, unter denen man sich dafür Geld lieh, waren dabei z. T. unklar, was der Einbettung entspricht: „It was often impossible to determine whether a transfer of money or goods was intended as a gift or as a loan“ (K. Verboven, Economy 74; vgl. J. Wolkenhauer, Schrift 185). 43 Vgl. J. Wolkenhauer, Schrift 179; 223; 437. 44 Vgl. J. Wolkenhauer, Schrift 185 f. 45 J. Wolkenhauer, Schrift 188. Professionalisierung und Entsolidarisierung sieht er auch im Gerichtswesen. Soziale Aufsteiger bestritten ihren Lebensunterhalt als Juristen, Aristokraten verklagten sich gegenseitig wegen Majestätsverbrechen (vgl. ders., Schrift 205–222). 46 Vgl. J. Wolkenhauer, Schrift 244; 276 f; 368.
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in den Senat symbolisch zeigt.47 Zum eigenen Fortkommen richtete sich der Blick nicht mehr nach rechts und links oder gar nach unten, sondern nach oben, auf den Herrscher und dessen amici. Wie der Umgang senatorischer Standesgenossen untereinander änderte sich auch der mit den unteren Schichten, die ihre Funktion als Wahlvolk eingebüßt hatten. Anlässe schichtübergreifender Begegnung wie salutatio, adsectatio oder cena wurden der Form nach beibehalten, nun aber zur Statusrepräsentation genutzt.48 Auf der einen Seite stehen Berichte über die diesbezüglich schlechte Behandlung von Klienten in der Kaiserzeit, auf der anderen sank die Anzahl der Freunde und Klienten nicht etwa, die ein Patron zu diesen und anderen Anlässen um sich scharte, sondern sie stieg.49 Winterling sieht eine doppelte Tendenz von Funktionsverlust und Bedeutungszunahme: Je weniger Freundschafts- und Klientelbeziehungen instrumentalisierbar waren angesichts militärischer und ökonomischer Machtakkumulationen bei wenigen großen Einzelnen, desto mehr wurden sie angestrebt und nahmen an Quantität zu. […] Je mehr aristokratischer Rang an praktischer Wirksamkeit verlor, desto wichtiger wurde seine äußere Darstellung durch Freundschaft und Klientel.50
Bemerkenswert scheint, dass es bei der Inszenierung traditioneller Freundschafts- und Klientelrituale zu Rollenwechseln und -doppelungen kam: Martial etwa spricht in lyrischer Ich-Form davon, sich auf dem beschwerlichen Weg zu seinem Herrn (rex) namens Paulus anlässlich der Morgenaufwartung abzumühen, den er dann nicht einmal antrifft. Der Grund scheint zu sein, dass Paulus sich selbst anderswo – und zwar in der Rolle des Klienten – zur salutatio einfindet.51 An anderer Stelle wird beobachtet, dass besagter Paulus „frühmorgens zum Gruß tausend Schwellen“ abtritt (Mart. X 10,2), sich nicht zu schade ist, die Sänfte eines Patrons durch den Dreck zu tragen oder sich durch die Rezitation von Gedichten bei der cena hervorzutun. Dieser als Purpurträger, also Senator oder Ritter beschriebene Paulus, inszeniert sich 47 Vgl. J. Wolkenhauer, Schrift 243 f; 312. 48 Vgl. J. Wolkenhauer, Schrift 406; mit Blick auf die salutatio vgl. F. Goldbeck, Salutationes 264–277. 49 Vgl. A. Winterling, Freundschaft 307; 312. Zur Definition von amici und clientes sowie zum Verhältnis beider Beziehungsarten zueinander meint Winterling: „Schließlich sind Interferenzen der zwei unterschiedlichen Arten von Freundschaft und Klientel feststellbar: Die uneigennützig erscheinende Freundschaft hat die Feindschaft der opportunistisch Agierenden zur Folge […]. Das opportunistische Freundschaftssystem, das seinen Ausgangspunkt beim Kaiser selbst hat, zu dessen Freundschaft alle streben, stabilisiert nicht wirklich dessen Position, stellt vielmehr eine Bedrohung für ihn dar. Denn der oberste Günstling nutzt seine Stellung so, als sei sie ihm selbst durch Unterstützung von unten zugewachsen, und versucht, den Kaiser zu stürzen“ (ders., Freundschaft 301). Seneca stellt klar, dass man amici nicht in Klassen einteilt und man diese nicht bei einer salutatio findet, deren Größe „die Stadt erschüttert“ (Ben VI 34,2.4), sondern: „Im Herzen wird ein Freund, nicht im Atrium gesucht“ (VI 34,5). 50 A. Winterling, Politics 308; Hervorhebung im Original. 51 Vgl. Mart. V 22; E. Hartmann, Purpur 15 f.
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selbst als Klient und verdrängt damit den Sprecher, der resigniert fragt: „Was soll ein unvermögender Mann tun, der nicht mehr Klient sein darf“ (Mart. X 10,11)? Elke Hartmann sieht in solchen Berichten eine „Klientelisierung der Elite“ und, damit einhergehend, eine „Verdrängung der ärmeren Klienten aus dem Patronagesystem“52 am Werk. Wie sehr die Inszenierungen gesellschaftlicher Anlässe und die Ästhetisierung traditioneller Rollen zulasten der letztgenannten Gruppe gingen, zeigen neben Martial auch Epiktet, Juvenal oder Seneca besonders im Rahmen der cena auf.53 Angela Ganter stellt die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Ebenen der Klientelisierung her: Was hier unter dem Schlagwort „Ökonomisierung“ diskutiert wurde, verweist also auf eine Regulierung und Versachlichung von Patron-Klienten-Verhältnissen, die als Pendant zur Entpersonalisierung gelten kann. Letztere war nicht mehr nur Konsequenz aus der „Vermassung der Klientel“, sondern wurde bewusst betrieben, weil die Patrone erstens nicht mehr auf Wählerwerbung angewiesen waren und weil sie zweitens ihre Unnahbarkeit als Ausdruck eines hohen Status verstanden, Hierarchien als Gunst und Nähe bzw. Distanz modellierten. Damit kopierten sie in gewissem Grade das, was sie am Hofe des Princeps beobachteten, und trugen selbst zur „Klientelisierung“ der Gesellschaft bei, weil viele von ihnen römisch gesprochen zu Klienten des Princeps geworden waren, dem sie aufwarteten und auf den sich ihre Maklertätigkeiten ausrichteten.54
Elitäre Überlegenheit konnte in Zeiten der Statusverunsicherung auch auf moralischer Ebene beansprucht werden: Mit seiner Abhandlung über den richtigen Wohltatenaustausch formuliert Seneca ein Ideal, das vom Sklaven bis zum Senatoren moralisch erschwinglich sein soll. Weil alle Menschen in Bezug auf ihre innere Gesinnung gleich sind, können auch Unfreie Wohltaten erweisen, deren Gültigkeit allein an der guten Gesinnung (bona voluntas) hängt. Gleichheit von Sklaven und Freien will Seneca folglich in Bezug auf den menschlichen inneren Wesenskern festschreiben – freilich nur auf diesen (vgl. Ben III 20,2). In der Gesellschaft der frühen Kaiserzeit kommt jedoch mit der feneratio ein Betätigungsfeld für (einige) Sklaven und Freigelassene in Reichweite, das Gestaltungsspielräume ermöglicht, die vorher nur den traditionellen Eliten zugänglich waren.55 Die Zurückweisung der turpissima feneratio (I 2,3) ist demnach eine Verurteilung des moralisch minderwertigen Verhaltens von aufstrebenden gesellschaftlichen Gruppen wie Freigelassenen und Sklaven: Sie kalkulieren in ihrem Handeln den als unehrenhaft erklärten Eigennutz, anstatt sich an einer rein auf das Tugendhafte (honestum) Wohl52 E. Hartmann, Purpur 36; vgl. auch A. Ganter, Welt 221–226. 53 Vgl. E. Stein-Hçlkeskamp, Gastmahl 92–111, für die darin eine „grundsätzliche Störung der sozialen Beziehungen zwischen Patronen und Clienten“ (99) zum Ausdruck kommt. 54 A. Ganter, Welt 247. 55 Vgl. S. von Reden, Money 279 f.
Veränderte Ordnung – veränderter Austausch
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tätigkeit zu orientieren. Dieses Tugendideal wird als Mittel zur Distinktion von anderen aufstrebenden Gruppen entwickelt.56 Es lässt sich zusammenfassen, dass die gesellschaftlichen Anlässe, ihres instrumentellen Kerns entkleidet, weitergeführt wurden, jedoch unter geänderten Vorzeichen: Es ging bei großen Morgenempfängen, Ausflügen auf das Forum oder ausgefallenen Gastmählern offenbar darum, sein aristokratisches Ansehen zu behaupten oder aufzubauen. Dabei begaben sich teilweise „potentielle Patrone selbst zum Zweck des Prestige-, Macht- oder Geldgewinns in die Rolle von Klienten“57. Die Exponenten klassischer Klientelen schieden dagegen nicht etwa aus dem System aus, sondern waren im Sinne der Distinktion unverzichtbar: Sie bildeten die Masse derer, die die Schauspiele elitärer Selbstinszenierung bezeugten und dadurch erst validierten. Dass sie das aus einer Situation sichtbarer Benachteiligung (durch massenhaften Empfang bei der salutatio, schlechtere Bewirtung bei der cena etc.) taten, verbürgte den Bevorzugten ihre herausgehobene Stellung. Für diese Art Versicherung gab es aufgrund der Dynamisierung sozialer Rollen, die das Prinzipat mit sich gebracht hatte, offenbar großen Bedarf.
56 Wolkenhauer sieht das honestum „als Identifikationsmöglichkeit für Aufsteiger“ wie den homo novus Seneca und als „kompensatorische Stütze für fehlendes Familienprestige“ (ders., Schrift 401). Für Roller wirkt der stoizistische Ansatz aristkratischen Ängsten entgegen. Die Umsetzung vornehmer Werte sei Unfreien und Tyrannen gleichermaßen unzugänglich und hälfe so bei der sozialen Selbstverortung: „Thus, the power relationship between tyrant and aristocrat, which may be modeled as a master-slave relationship in the political domain, is turned upside-down in the philosophical domain: here it is the properly acculturated, philosophically trained aristocrat who is a master or free, and the unacculturated, philosophically ignorant tyrant who is a slave“ (ders., Autocracy 285). Im Verhältnis nach oben scheint das vorstellbar, mit Blick nach unten wird aber übersehen, dass den Unfreien ja gerade die Befähigung zu einer Wohltätigkeit zugesprochen wird, wie Seneca sie sich vorstellt. 57 E. Hartmann, Purpur 35.
5. Reziprozität und Marktwirtschaft in Koexistenz und Konflikt 5.1 Zwei Formen sozialen Austausches Die Bestandsaufnahme der gesellschaftlichen Veränderungen macht in ökonomischer Hinsicht eines deutlich: Für die Welt, in der LkEv und Apg entstanden, waren zwei Formen sozialen Austausches prägend, nämlich Reziprozität und Marktwirtschaft.1 Zum Ausdruck kommend in Gabentausch bzw. Handel, konnten diese beiden Regelkreise in unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen friedlich koexistieren, aber auch aufeinanderprallen. Konflikte drohten, wenn Marktlogik in eine vormals reziprozitätsgeleitete Handlungssphäre eindrang. Die wesentlichen Unterschiede wurden oft erst reflektiert, wenn beide Formen merklich auseinandertraten. Dass ein Begriff wie til^ sowohl Ehre und Ehrerbietung als auch kommerziellen Erlös bezeichnen konnte, deutet auf die fließenden Übergänge zwischen beiden Auffassungen hin.2 Sobald sich freilich ein Wirtschaftssubjekt Erlös statt Ehre zur Maxime machen wollte, zeigten sich die Unterschiede konkret und spannungsvoll. Bei dem Versuch einer Verhältnisbestimmung von Reziprozität und Marktwirtschaft sind zwei Fallstricke zu vermeiden, die man mit moralischer Aufladung und dem Paradigma einer „Great Transformation“3 auf den Begriff bringen könnte. Mit Blick auf den ersten Fallstrick sind verschiedene ethische Wertungen vorgenommen worden. Während Karl Polanyi Reziprozität als idealisiertes Gegenstück zum antagonistischen und ausbeuterischen Marktaustausch darstellt, ist von anderen wiederum die Reziprozität kritisiert worden.4 Seth Schwartz reduziert deren Wesen auf den Aspekt des Wettbe1 Unter Marktwirtschaft ist zunächst ganz einfach zu verstehen, „that prices are determined by supply and demand“ (P. Temin, Market Economy 6). 2 Zur unterschiedlichen Beurteilung von honestum und utile bei Seneca und Cicero, siehe Kap. 4. Die Semantik von Wohltätigkeit und Geldwirtschaft war weitgehend kongruent (siehe Kap. 2.4). Dass Hananias und Saphira einen Teil ihres Erlöses (til^; Apg 5,2) unterschlagen, wirkt sich auf ihre Ehre aus (siehe Kap. 10). 3 F. Carl /M. Gori, Introduction 40. „The Great Transformation“ ist der Titel eines Werkes von Karl Polanyi (New York (NY) 1944). 4 Marktaustausch in seiner modernen Form wird normativ abwertend so beschrieben: „Dieses System wird gelenkt von eigenen Gesetzen, den sogenannten Gesetzen von Angebot und Nachfrage, und motiviert durch die Angst vor dem Hunger und die Hoffnung auf Gewinn“ (K. Polanyi, Ökonomie 152). In der modernen Form dieser Kritik wird der globale Markt gar beschrieben als „ein totalisierendes System, das alles, was auf diesem Planeten existiert – jedes
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Reziprozität und Marktwirtschaft in Koexistenz und Konflikt
werbs, der sich in Verhältnissen von Ungleichheit und Ungerechtigkeit manifestiere. Diesem Zerrbild stellt er das egalitäre Solidaritätsethos der Torah gegenüber.5 Der Wunsch nach klarer normativer Abgrenzung birgt hier wie dort die Gefahr, den Untersuchungsgegenstand zu verzeichnen, weshalb in dieser Hinsicht Zurückhaltung angeraten ist.6 Der zweite Fallstrick besteht in der Annahme, dass Reziprozität als sozial eingebettete Ökonomieform primitiver Gesellschaften von moderner Marktwirtschaft mehr oder weniger restlos abgelöst worden sei. Diese große Transformation habe aber historisch so nie stattgefunden, so Filippo Carl und Maja Gori.7 Vielmehr sei die Gabe in bestimmten Handlungssphären gegenwärtiger, auch marktwirtschaftlich geprägter Gesellschaften weiterhin präsent.8 Hier ist gleichwohl zu differenzieren: Zwar kann anscheinend nicht von einer einlinigen historisch-teleologischen Entwicklung ausgegangen werden; doch lassen sich verschiedentliche Transformations- und Herauslösungsprozesse in bestimmten historischen Situationen beschreiben. Die Begrifflichkeit von Einbettung und Herauslösung geht zurück auf die von Karl Polanyi eingeführte „Unterscheidung zwischen dem eingebetteten und dem herausgelösten Zustand der Wirtschaft in ihrem Verhältnis zur Gesellschaft“9. Nach Polanyi behalten in Gesellschaften mit eingebetteter Wirtschaft Formen von Reziprozität und/oder Redistribution, d. h. dem Einzug und der Wiederverteilung von Gütern durch eine Zentralinstanz, die Oberhand gegenüber dem Marktaustausch. Dabei könnten unterschiedliche Wirtschaftsformen in einer Gesellschaft durchaus nebeneinander bestehen. So gebe es in vormodernen Wirtschaftssystemen untergeordnete Formen von Marktwirtschaft.10
Basierend auf der eingangs der Arbeit vorgestellten Reziprozitätsdefinition (siehe Kap. 1.1) lassen sich einige idealtypische Grenzlinien zum Warentausch ziehen.11 Der Hauptunterschied liegt (1) in der jeweils enthaltenen Bezie-
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Ding, jedes Stückchen Land, jede menschliche Fähigkeit oder Beziehung –, einem einzigen Wertmaßstab unterwirft“ (D. Graeber, Münze 12). Vgl. S. Schwartz, Jews 166; siehe Kap. 1.6. Bei Polanyi besteht die Gefahr, eine mythische Vorzeit zu idealisieren und damit die sozialen Ambivalenzen auszublenden, die in reziprokal geprägten Handlungssphären auftreten. Bei Schwartz und anderen müssen die Teile jüdischer Überlieferung ausgeschieden werden, die nicht mit dem von ihm ausgemachten Torah-Ethos kompatibel sind. Das zeigt sich bei Schwartz‘ Auseinandersetzung mit Jesus Sirach und provoziert die Frage nach dem zugrundeliegenden Verständnis von kultureller (und religiöser) Identität. Mit Vehemenz, vgl. F. Carl /M. Gori, Introduction 10 f; 16; 40; zudem H. van Wees, Law 34. Mit der damit einhergehenden Annahme einer Geschenkökonomie („gift economy“; F. Carl / M. Gori, Introduction 10) werde ein ökonomistischer Blick auf das Verständnis des Gabentausches eingenommen. Vgl. F. Carl /M. Gori, Introduction 16. K. Polanyi, Ökonomie 152 f. Vgl. K. Polanyi, Ökonomie 390. Vgl. dazu auch J.M.G. Barclay, Paul 485.
Zwei Formen sozialen Austausches
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hungsauffassung. Diese prägt (2) die Sicht auf den Charakter des Tauschobjektes, (3) die Motivation bzw. das Ziel des Austausches und schließlich (4) die jeweilige Art der Sanktionierung. 1. Zum Aspekt der Beziehung: Traditioneller Reziprozität entsprechen Verpflichtungsverhältnisse von Dauer, durch die das Individuum in den Resonanzraum seines sozialen Umfelds eingebunden wird. Die Dauer zwischen einer Wohltat und ihrer Erwiderung spielt auch beim ideal gedachten Austausch eine wichtige Rolle und ist kaum klar zu definieren (vgl. Sen., Ben IV 40,4), was wiederum auf eine Fortführung der personalen Beziehung zielt. Demgegenüber besteht beim Warentausch eine Verpflichtungsbeziehung nur für den Zeitraum der Transaktion, die vertraglich festgelegt ist. Nach deren Abschluss ist das Individuum quellensprachlich ausgedrückt „ausgelöst und frei“ (solutus ac liber; Sen., Ben II 18,5).12 Dem Warentausch wohnt eine Tendenz zur Vergegenständlichung inne, dem Gabentausch demgegenüber eine zur Personifizierung.13 2. Dies gilt auch für das Tauschobjekt: Verstanden als Gabe, wird es initiativ in den Austausch eingebracht und wirkt auf den Geber zurück, etwa durch soziale Achtung seitens des Empfängers. So bleibt die Gabe mit dem Geber verbunden und damit in gewisser Weise unveräußerlich.14 Im Gegensatz dazu wird die Ware durch die verkaufende Person veräußert, also von ihr abgetrennt.15 Damit einher geht die unterschiedliche Bemessung einerseits der Gabe nach Rang, andererseits der Ware nach Wert.16 Da Gaben abhängig vom Status des Gebers sind, sind sie nicht in der gleichen Weise quantifizierbar wie Waren: Hunderte Geschenkchen (munuscula) eines Klienten an seinen Patron wiegen nicht dessen Qualifizierung auf, ihn vor Gericht zu verteidigen. Beides ist jedenfalls nicht verrechenbar. Unverrechenbarkeit und Vielgestaltigkeit von Gaben führen wiederum zu Unschärfen, was Gegenstand und Umfang der Verpflichtung angeht.17 Diese Unschärfen sollen beim Warentausch gerade ausgeschlossen werden. 3. Zu Motivation und Ziel des Tausches: Das Prinzip der Gegenseitigkeit ist 12 Dem entspricht der Grundsatz „was ich gekauft habe, schulde ich nicht“ (quod emi non debeo; Sen., Ben VI 14,3). „Hence, contrary to the exchange of commodities in a fully disembedded economy, where the precise monetary value of an object allows for the liquidation of the relationship between the contracting parties, gift exchange (ideally) serves to create social bonds“ (P.L. Bowditch, Horace 48 f). 13 C.A. Gregory, Gifts 39. 14 Mithin ist bei der Gabe nicht einmal die Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt nicht in der gleichen Weise gegeben wie beim Warentausch (vgl. M. Mauss, Gabe 120 f). 15 Vgl. C.A. Gregory, Gifts 41. Auch hier fehlt es nicht an kapitalismuskritischen Wertungen: „Der Ökonomismus neigt sowieso dazu, alles zu verdinglichen und komplexe soziale Beziehungen zwischen Menschen – Einverständnisse über Eigentumsrechte, Ehre oder sozialen Rang – auf Objekte zu reduzieren, die einzelne Handelnde dann begehren oder erwerben wollen“ (D. Graeber, Münze 82). 16 Vgl. C.A. Gregory, Gifts 46–50. 17 K. Verboven spricht von „personal but […] non-specific obligations“ (ders., Bait 144).
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Reziprozität und Marktwirtschaft in Koexistenz und Konflikt
darauf angelegt, durch Beziehungsaufnahme Einfluss auf das Gegenüber zu nehmen – darin liegt im Kern der Begriffsgehalt von w\qir oder gratia. Dagegen liegt die Motivation zum Warentausch darin, individuellen Nutzen durch Profit zu akkumulieren. 4. Zur Sanktionierung: Der kommerzielle Austausch wird durch Verweis auf fest umrissene Vereinbarungen, also vertraglich, nicht persönlich, sanktioniert. Das Gegenteil ist im Bereich der Reziprozität der Fall, wo Achtung oder Ächtung, Verehrung oder Beschämung durch das soziale Nahfeld, über die Legitimität des Austauschverhaltens entscheiden. Die juristische Einklagbarkeit einer Transaktion setzt wiederum voraus, dass es keinerlei Unschärfen im Tauschvertrag gibt. Dass in De Beneficiis die Frage erörtert wird, ob beneficia rechtlich sanktioniert werden sollten, ist ein Hinweis auf die hybride zeitgeschichtliche Situation (vgl. Sen., Ben III 6–17). Es kann also von einer Spannung oder einem „Widerspruch zwischen Reziprozität und Marktaustausch“18 gesprochen werden. Dieser Widerspruch wurde schon von antiken Denkern reflektiert, bei Aristoteles etwa durch die Gegenüberstellung von natürlichem und unnatürlichem Austausch. Der natürliche Austausch dient dazu, die Selbstgenügsamkeit (aqt\qjeia) der Gemeinschaft (joimym_a) herzustellen, die ihrerseits durch gegenseitiges Wohlwollen (vik_a; Eth Nic 1134a26), zusammengehalten wird. Diese „kommt im Vorgang der Reziprozität […] zum Ausdruck, das heißt der Bereitschaft, abwechselnd Bürden zu übernehmen und miteinander zu teilen“19, was bei Aristoteles mit dem Verb !mtip\swy (Eth Nic 1132b21.35) ausgedrückt wird. Damit das gegenseitige Wohlwollen nicht gefährdet wird, muss Aristoteles zufolge „für alle Tauschgüter ein bestimmter Preis festgesetzt sein. Denn so wird es immer Austausch geben und durch ihn Gemeinschaft“ (Eth Nic 1133b14; vgl. auch Pol 1257a25–30). Hier stellt die joimym_a den Bezugspunkt wirtschaftlichen Handelns dar, nicht der Einzelne.20 Die Vorgabe eines Festpreises verhindert dabei nach Ansicht Polanyis das „antagonistische Element“21, das mit einem Handel zu schwankenden Preisen notwendig einhergeht. Diese unnatürliche, weil auf unbegrenzten Gewinn zielende Art des Austausches wird nach Aristoteles aus dem Kapitalerwerbswesen (wqglatistij^; Pol 1256b40) hervorgebracht, das nach Polanyi den Prozess der Herauslösung wirtschaftlicher Vollzüge aus ihrem politisch-gesellschaftlichen Wurzelgrund befördert. Die Chrematistik wird von Aristoteles nicht – wie 18 K. Polanyi, Ökonomie 27. Unter Reziprozität versteht der Autor „Bewegungen zwischen einander entsprechenden Punkten symmetrischer Gruppierungen […], deren Mitglieder eine Art von Gegenseitigkeit praktizieren“ (K. Polanyi, Ökonomie 219; 223). Filippo Carl und Maja Gori sprechen von „’tensions’ between gift-giving and commerce“ (dies., Introduction 9). Nicht ganz deutlich wird, wie sich das mit ihrer Aussage verträgt, eine eindeutige Unterscheidung zwischen Gabe und Ware sei nicht möglich (vgl. dies., Introduction 33 und i.d.Anm.). 19 K. Polanyi, Ökonomie 166. 20 Vgl. K. Polanyi, Ökonomie 178. 21 K. Polanyi, Ökonomie 225.
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Polanyi zu insinuieren scheint – in Bausch und Bogen verurteilt, wohl aber der Teil, der aus gewinnorientiertem Tauschhandel und Zinserwerb besteht (vgl. Pol 1258a40–b8). Handel, Zinsgeschäft, Lohnarbeit und v. a. deren Trägergruppen wird Verachtung entgegengebracht (vgl. Aristot., Pol 1258b20–28). Diese Verachtung steht in einer langen Tradition der Abgrenzung landbesitzender Bürger von der arbeitenden Bevölkerung, was auch das Handwerk miteinschloss. V. a. aber der Marktaustausch wird als moralisch minderwertig angesehen: „Gewerbe und Handel widersprechen den ethischen Maßstäben, die an einen Polis-Bürger gestellt werden müssen. Deshalb verbieten sich solche Tätigkeiten für Menschen, die am Gemeinwesen politische Rechte und Pflichten wahrnehmen.“22 So werden die wirtschaftlichen Tätigkeiten bei Aristoteles den Fremden und Sklaven übertragen, wofür diese auch noch geringschätzt werden. In der jüdisch-weisheitlichen Literatur, Gerd Theißen zufolge am stärksten ausgeprägt in Jesus Sirach, findet sich eine ähnliche aristokratische Abhebung von arbeitenden Schichten: „Weise kann bei Jesus Sirach nur sein, wer keine körperliche Arbeit tun muß (38.24). […] Denn der Bauer, der den Pflug in die Erde drückt und der Schmied, der am Feuer schwitzt, haben den Kopf für höhere Gedanken nicht frei.“23 Diese Haltung wurde mit leichten Akzentänderungen auch von den oberen Schichten der römischen Antike eingenommen. Cicero etwa verurteilt in De Officiis die Tätigkeit von Zöllnern (portitor), Geldverleihern (fenerator) und Tagelöhnern (mercennarius) sowie die von Kleinhändlern und Handwerkern (vgl. Off I 150), fährt dann aber fort: Wenn der Handel im kleinen Rahmen erfolgt, so muß man das für schmutzig erachten; wenn dagegen im großen und umfangreichen Geschäft, indem er vieles von überallher beibringt und es vielen ohne Betrug zur Verfügung stellt, dann darf man ihn durchaus nicht tadeln, und auch wenn er, „gesättigt“ mit Gewinn oder vielmehr zufriedengestellt, sich wie oft von hoher See in den Hafen, direkt vom Hafen auf seine Landbesitzungen begeben hat, scheint er mit vollem Recht gelobt werden zu können. Von allen den Erwerbszweigen aber, aus denen irgendein Gewinn gezogen wird, ist nichts besser als der Ackerbau, nichts einträglicher, nichts angenehmer, nichts eines Menschen, nichts eines Freien würdiger (Off I 151).
22 U. Fellmeth, Pecunia 13 f. 23 G. Theissen, Jesusbewegung 353. Zudem wird in Sir 26,29; 27,1–3 die Existenz des Händlers problematisiert: „Kaum bleibt ein Händler von Schuld frei; und nicht wird gerecht gesprochen von der Sünde, der Geschäfte macht“ (lºkir 1neke?tai 5lpoqor !p¹ pkglleke¸ar, ja· oq dijaiyh¶setai j²pgkor !p¹ "laqt¸ar; Sir 26,29). Seth Schwartz schwankt in seinem Urteil, ob die Stelle repräsentativ für den generellen Duktus von Jesus Sirach sei: „Ben Sira did not follow his hypothetical Greek sources in distinguishing between (good or honorable) wealth derived from trade. The pericope […] does indeed preserve a trace of such an idea, since it regards trade and sin as closely linked, just as a few other texts may hint at the idea that agricultural work is inherently honest (7.15; 20.28)“ (S. Schwartz, Jews 73).
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Reziprozität und Marktwirtschaft in Koexistenz und Konflikt
Der Großhandel, der oft über See abgewickelt wurde, wird ob seines Nutzens für die Allgemeinheit und insofern er ohne Betrug abläuft, von den niederen Tätigkeiten abgegrenzt. Noch lobenswerter ist der Übergang vom Handel hin zur Landwirtschaft, denn diese ist die ehrenvollste Art des Erwerbs, wobei an den Großgrundbesitz von Rentiers zu denken ist. Das verwundert insofern nicht, als „die eigentliche Oberschicht nicht aus Unternehmern, Großkaufleuten und Bankiers [bestand], sondern aus reichen Grundbesitzern (die nichtsdestoweniger sehr oft auch am Handel und an Geldgeschäften interessiert waren)“24. Andererseits wurden schon in hellenistischer Zeit Kornhändler von Städten als Euergeten geehrt, wenn sie Getreide zu verbilligten Preisen zur Verfügung stellten. Bei Verzicht auf kurzfristige Gewinnmaximierung konnten ihnen zum Ausgleich Steuererleichterungen und Schutzrechte winken.25 Die Auseinandersetzung der antiken Eliten mit dem Handel scheint stark moralisch gefärbt: Marktaustausch schädigt die Gemeinschaft – eine Gemeinschaft freilich, die auch in ihren Ungleichheiten weiterbestehen soll. In Senecas Abwertung des professionalisierten Geldverleihs scheint auch ein Reflex gegen dessen emanzipatorischen Zug mitzuschwingen: Standesgenossen mögen sich in der Rolle von Wohltatenempfängern ihrer eigenen Sklaven gefallen haben; einem Statusniederen, gar einem Unfreien in einem vertraglich sanktionierten Schuldverhältnis verpflichtet zu sein, war ihnen gewiss zuwider. So konnte aus dem im Geiste Gleichen schnell ein grausamer Gläubiger (acerbus creditor; Sen., Ben VII 14,5) werden.
5.2 Wirtschaftlicher Aufschwung und Marktmentalität Traditionelle Austauschregeln durchdrangen viele Bereiche der griechischrömischen Welt zur Zeit des Neuen Testaments. Gesellschaftliches Fortkommen war jedenfalls nicht ohne den Eintritt in persönliche Verpflichtungsverhältnisse auf Gegenseitigkeit möglich, ob dies nun mit Bindungswesen oder Patronageverhältnissen bezeichnet wird. Öffentliche Wohltätigkeit in Form des Euergetismus steuerte am Ende des ersten Jh. n. Chr. auf ein Allzeithoch zu.26 Auf der anderen Seite gerieten Geldwirtschaft und Handel unter den Bedingungen des Prinzipats in Bewegung. Begünstigt durch die pax Romana war ein „großer wirtschaftlicher Aufschwung“27 zu verzeichnen. Seitens der 24 G. Alfçldy, Sozialgeschichte 124. 25 Vgl. P. Garnsey, Famine 71. 26 „The boom in elite public giving visible in the cities of the Roman Empire from the later first century ad onwards was unprecedented. When it was over, in the early third century, it was never repeated on the same scale, although euergetism remained an element in civic politics during the later Empire“ (A. Zuiderhoek, Politics). 27 G. Alfçldy, Sozialgeschichte 120; vgl. auch J.H. D’Arms, Commerce 149 f; P. Temin, Market
Wirtschaftlicher Aufschwung und Marktmentalität
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Politik wurde eine gewisse privatwirtschaftliche Handlungsfreiheit gewährt: „Im Wesentlichen galten in […] lokalen Warenkreisläufen die Gesetze des Marktes, das heißt, sie regulierten sich selbst.“28 Auch für den Großhandel scheint dies zugetroffen zu haben. Mit Blick auf die Getreideversorgung Roms ist davon auszugehen, dass in der Regel „die unternehmerische Freiheit des Händlers gewährleistet“ war und „an Stelle staatlicher Zwangsmaßnahmen lieber Anreize auch finanzieller Art“29 geboten wurden. Der Staat war Nutznießer einer solchen Politik, denn durch die Förderung oder zumindest Zulassung privatwirtschaftlicher Initiative entlastete er sich selbst von organisatorischem Aufwand, Risiken und Kosten, die etwa der Getreidetransport aus den Provinzen nach Rom mit sich brachte.30 Diese privatwirtschaftliche Initiative erreichte offenbar eine Größenordnung, die im Kreditwesen zu reichserschütternden Finanzkrisen führen konnte.31 Zu welchem Grad also war die damalige Gesellschaft im Prinzipat ökonomisch integriert, oder plakativer: War das römische Reich eine Marktwirtschaft? Während diese Ansicht von Peter Termin vertreten wird,32 weist Sitta von Reden zwar auf eine präzedenzlose Verbreitung des römischen Münzwesens hin. Dennoch kommt sie zu dem Schluss: But the degree of monetary consolidation that was achieved under the Roman Empire cannot lead to the conclusion that the economy of the Roman Empire was integrated in terms of market prices and production.33
Jedenfalls nahm der Marktaustausch in seiner gesellschaftlichen Bedeutung zu. Man könnte also von einer gewissen Ökonomisierung in Teilen der Gesellschaft sprechen, versteht man diese als „einen Vorgang, durch den Strukturen, Prozesse, Orientierungen und Effekte, die man gemeinhin mit
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Economy 2. Dieser führte „zu verstärktem lokalem, regionalem und interregionalem Warenaustausch“ (U. Fellmeth, Pecunia 122). U. Fellmeth, Pecunia 123. Die Verbreitung kleiner Märkte in Westkleinasien, Gallien und Afrika im Prinzipat beförderte den Handel zwischen Städten und Hinterland und indiziert ein „Ausgreifen der Geldwirtschaft“ (H.-J. Drexhage/H. Konen/K. Ruffing, Wirtschaft 94). P. Herz, Studien 66. Vgl. P. Herz, Studien 65 f. Siehe auch Kap. 2.5. „I argue that markets knit the Roman economy together enough to call it a market economy“ (P. Temin, Market Economy 2). Marktwirtschaft bedeutet für ihn, auf eine Formel gebracht, „that prices are determined by supply and demand“ (ders., Market Economy 6). S. von Reden, Money 275. Gloria Vivenza meint, die grundsätzlichen Einstellungen zur Ökonomie hätten sich nicht geändert, aber „the change in political regime brought a greater awareness of fiscal – and hence economic – issues“ (dies., Thought 38). Auf den Streit um modernistische oder primitivistische Auffassungen von der antiken Wirtschaft kann hier nur hingewiesen werden. Zur Diskussion steht die gegen Michael Rostovtzeff und andere gerichtete Behauptung Moses Finleys, dass zwar antike Wirtschaftssubjekte zu postulieren seien, diesen aber „der Begriff einer ,Wirtschaft‘ fehlte“ (M.I. Finley, Wirtschaft 12), der über ein vorwissenschaftliches Stadium hinausginge. Ein knapper Überblick über diesen Richtungsstreit findet sich bei H.-J. Drexhage/H. Konen/K. Ruffing, Wirtschaft 19–21.
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Reziprozität und Marktwirtschaft in Koexistenz und Konflikt
einer modernen kapitalistischen Wirtschaft verbindet, gesellschaftlich wirkmächtiger werden“34. Diese Orientierungen lösten sich in gewissen Bereichen – etwa im Geldverleih – aus ihrer vormaligen Einbettung in Reziprozitätsnetze. Die Reibungspunkte beider Systeme kommen etwa dort zum Vorschein, wo die Oberschicht schnöde Gewinnkalkulation in philosophischer Gebärde von sich wies und sich ihrer im ökonomischen Alltagshandeln doch bediente. In De Beneficiis wird deutlich, dass die vielfachen und heterogenen Bezüge zu marktwirtschaftlich geprägten Austauschprozessen eine tiefe Verankerung dieses Denkens in der Lebenswelt der Schrift nahelegen. Der resignative Grundzug Senecas gegenüber den Mechanismen, nach denen die politischen und ökonomischen Geschäfte – auch die eigenen – in der Realität ablaufen, verordnet der Reziprozität ein Nischendasein nicht weit vom imaginären Reich der Weisen. Die generelle Herauslösung z. B. des Bankgeschäftes aus Gemeinschaftsbezügen, die über soziale Achtung und Ächtung sanktionieren, ist dabei längst vorausgesetzt (vgl. Sen., Ben III 15,1–4). Jenseits aristokratischen Dünkels schien sich jedoch noch eine andere Einstellung zu verbreiten. Es war die unverstellte „Marktmentalität“35 wirtschaftlicher Akteure, „die sich speist aus dem autonomen Bewußtsein eines Ziels, das es zu erreichen gilt, eine Moral, welche die aus dem Gewinn resultierende Freude, den Spaß am Profit […] zum Ausdruck bringt“36. Dies legt etwa die Mosaik-Inschrift „Gegrüßet seist du, Gewinn“ (salve lucru) im Eingangsbereich eines pompejanischen Wohnhauses (VIII 1,25) nahe. Das ebenfalls von dort stammende Graffito lucrum gaudium (CIL X 875) weist in dieselbe Richtung und könnte gedeutet werden als „eine stereotype Anrufungsformel, die Glück bringen sollte und unter denen verbreitet war, die nach Reichtum strebten“37. Marktmentalität konnte demnach eher verschämt und unterdrückt, aber auch ganz freimütig zum Ausdruck gebracht werden. Sie sickerte in Patronage und Euergetismus ein und führte dort zu Interferenzen mit überkommenen Reziprozitätserwartungen. Zum Bedeutungswandel im Patron-Klienten-Verhältnis gehörte u. a. eine Ökonomisierung des Geschehens, wie sie in der Gehaltsforderung von Klienten in einem Martial-Epigramm erhoben wird: Da das morgendliche Geldgeschenk (sportula) offenbar wiederholt ausgeblieben ist, wird nach einem regelmäßigen Lohn (salarium) gerufen (Martial III 7).38 Die sportula, zuvor als beziehungsstiftende Gabe aufgefasst, soll nun aufgrund der gestörten Beziehung in eine Ware umgewandelt werden: Tagegeld gegen Morgengruß. Reaktionen wie diese rührten 34 U. Schimank/U. Volkmann, Ökonomisierung 382. Dabei wird keine Aussage über teleologische Prozesse oder eine „great transformation“ gemacht. Dass auch in vormodernen Zusammenhängen von marktwirtschaftlichen Gegebenheiten gesprochen werden kann, gilt unbeschadet des Umstandes, dass es keine Ökonomie im modernen Sinne gab. 35 K. Polanyi, Ökonomie 56. 36 A. Giardina, Kaufmann 302. 37 A. Giardina, Kaufmann 304. 38 A. Ganter, Welt 247.
Avaritia und ambitio oder: Reichtum als per se expetenda res?
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von enttäuschten Erwartungen aufseiten traditioneller Empfängergruppen her. Enttäuschte Erwartungen gab es aber auch auf Geberseite, was besonders im Bezugsfeld öffentlicher Wohltätigkeit greifbar wird: Anthony Macro spricht vom ennui lokaler Eliten angesichts ihrer politischen Karriereaussichten. Now very many local aristocrats were loyal to their inherited responsibilities and countless inscriptions may be adduced as expressions of public gratitude for their munificence and conscientiousness. […] Yet the corollary is that many others practised evasion – and this will explain, at least in part, the effusiveness of the praise of those who served.39
Beschrieben wird die Begleiterscheinung eines Phänomens mit hoher Breitenwirkung. Somit schließen sich die florierende öffentliche Wohltätigkeit, wie sie sich epigraphisch niederschlägt, und der von Macro geltend gemachte ennui einiger Eliten keineswegs aus. Zudem kam es vor, dass Händler in den Städten Ämter und Ehren anstrebten.40 Zugespitzt: Weil oder insofern es ihnen politisch nichts einbrachte, verloren – einige, nicht alle – Wohlhabende in den Städten die Lust, ihr Vermögen im Rahmen traditioneller Ehrenpflichten zu verschwenden. Stattdessen liebäugelten nicht wenige mit dem Gedanken, ihre Güter vor ihren Mitbürgern in Sicherheit zu bringen, um stattdessen profitorientiert mit ihnen zu wirtschaften.
5.3 Avaritia und ambitio oder: Reichtum als per se expetenda res? Ein literarischer Haftpunkt, an dem sich die Einstellungen der Vermögenden festmachen lassen, ist die literarische Thematisierung von Habsucht (avaritia/ pkeomen_a) und Ehrgeiz (ambitio/vikotil_a). Cicero spricht im Zusammenhang von Ungerechtigkeit über den Einfluss der Habgier (avaritia; Off I 24). Diese komme am reinsten zum Ausdruck, wenn Reichtümer nicht nur für die notwendigen Lebensbedürfnisse angestrebt werden, sondern zum privaten Auskosten der Lebensfreuden (ad perfruendas voluptates; I 25).41 Diese 39 A.D. Macro, Cities 687. Dabei galt weiterhin: „For a Greek City under the emperors local benefactors remained as vital as they had been under the Hellenistic kings and the Republic“ (C.P. Jones, World 104). 40 Henri Willy Pleket erwähnt in diesem Zusammenhang „men like M. Alexander Moschianus from Phrygian Hierapolis, who on his sarcophagus is called ‘purple seller’ and ‘town-councillor’. He was presumably a merchant not only in purple dye but also in purple and wool cloth. Hierapolis – Laodicea was famous for its luxury wool linen and it seems reasonable to suppose that this merchant (‘Grosshändler und Exporteur’) derived considerable wealth and corresponding social status form this business. […] That is not to deny that in most small communities, towns or villages, vendors are mostly undistinguished people“ (ders., Elites 141 f). 41 Siehe Kap. 3.2.
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Reziprozität und Marktwirtschaft in Koexistenz und Konflikt
Selbstbezüglichkeit wird noch weniger geschätzt als verschwenderische Verausgabung (largitio; I 25; II 52). Seneca bringt die Habsucht mit Undank und dem Anhäufen von Schätzen in Verbindung (vgl. Ben II 27,3) und lässt den Weisen Demetrius in einer langen Klagerede gegen die allegorisierte avaritia auftreten (vgl. Ben VII 10,1–5). Wie bei Cicero wird die Beschreibung der Habgier in direkte Nachbarschaft zum Ehrgeiz gerückt.42 Für Plato gelten Streitbarkeit und Ehrliebe noch als wichtige Stützpfeiler der Timokratie. Werden sie morsch, droht das Oligarchentum: )mt· dµ vikom_jym ja· vikot_lym !mdq_m vikowqglatista· ja· vikowq^latoi tekeut_mter 1c]momto, ja· t¹m l³m pko}siom 1paimoOs_m te ja· haul\fousi ja· eQr t±r !qw±r %cousi, t¹m d³ p]mgta !til\fousi. Aus Streit liebenden und ehrbegierigen Männern werden also schließlich Erwerbsund Geldleute, die die Reichen preisen, bewundern und zur Herrschaft bringen, die Armen dagegen missachten (Plat., Pol 551a).43
Wer sich auf „filzige und kleinliche Sparsamkeit bei emsiger Arbeit“ (Pol 553c) verlegt, ist auch am Wettstreit um Ehre nicht interessiert. Dieser Typ des Geizhalses will nicht die verschwenderischen Begierden wecken (vgl. Pol 555a), nur um sich einen Namen zu machen. Die großen Opfer für öffentliche Repräsentation, wie sie etwa der demokratische Staat von reichen Bürgern verlangt, fallen ihm sauer, und er läßt sich gern von anderen darin übertreffen. Er besitzt nicht jenen vornehmen Geist des Wetteifers für ideale Zwecke, der dem Angehörigen des athenischen Kulturstaats so in Fleisch und Blut übergegangen war, daß Plato ganz vergißt, ihn seiner Vaterstadt als Verdienst anzurechnen.44
Nach Aristoteles ist „Eigentum für die Geldgierigen (vikowq^latoi), Ehre für die Ehrsüchtigen (vik|tiloi; Rhet 1361b)“ das jeweils Wichtigste. Dass vikotil_a nicht nur für eine Einstellung, sondern auch für den Akt der Großzügigkeit stehen, also als Synonym für Wohltat aufgefasst werden kann, erhellt aus Inschriften.45 Die geistige Nachbarschaft zwischen Geiz und Ehrgeiz thematisiert Dion von Prusa (vgl. Or IV 91–100).46 Dessen Geist der Habgier
42 Vgl. Sen., Ben II 27,3 f; Cic., Off I 25 f; J. Wolkenhauer, Schrift 393, mit Verweis auf Sen., Ep L 3, wo es heißt: „,Nicht bin ich ehrgeizig (ambitiosus), aber niemand kann anders in Rom leben: nicht bin ich verschwenderisch (sumptiosus), aber die Stadt selbst fordert großen Aufwand‘“. 43 Übers. nach O. Apelt. Zur Geldgier in der Timokratie vgl. Plat., Pol 548a–f. 44 W. Jaeger, Paideia 938. 45 „Les vikotil_ai sont les g n rosit s, les liberalit s des verg tes et des magistrats“ (L. Robert, Oracles 582). 46 Zudem widmet er der pkeomen_a eine eigene Rede (Or XVII). Darin rechtfertigt er einen maßvollen Besitz, denn „er fällt seinem Besitzer nicht zur Last, sondern macht das Leben leichter und ganz gewiss auch sorgenfrei“ (Or XVII 18). Seneca meint diesbezüglich, er lasse den Besitz zwar in sein Haus, aber nicht in sein Herz (vgl. Vit Beat XXI 4; S. Mroz˙ek, Faenus 49). Zu den
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(vikowq^lator da_lym; IV 91) ist nur auf den eigenen Vorteil aus und wird dadurch vom Geist des Ehrgeizes (vik|tilom; IV 116) abgesetzt.47 Der ehrgeizige Daimon strebt noch nach Ehrungen und Auszeichnungen durch die Menge (vgl. IV 122), während der habgierige sich jeglichen Aufwandes für die Mitmenschen, etwa in der Durchführung von Festen, entziehen will (vgl. IV 91). Gemeint sind auch hier die den Wohlhabenden in ihrer Heimatstadt zukommenden Pflichten, zur Finanzierung öffentlicher Feierlichkeiten Geld beizutragen und dafür – wie es vom „Geist des Ehrgeizes“ berichtet wird, von der Bevölkerung geehrt zu werden.48 In Plutarchs Traktat über die Liebe zum Reichtum wird die Haltung des Geldgierigen als „Seelenarmut“ (Cup 524E), „ameisenartig“ (525E) und sogar als genussfeindlich kritisiert, da sie nur auf den Erwerb, nicht aber auf den Gebrauch des Erworbenen ziele (vgl. 525B). Dass sie weder zum Vergnügen noch zum Nutzen (526 A) beitrage, ist der Hauptkritikpunkt Plutarchs.49 Die Verschleuderung von Reichtum in städtischen Wohltätigkeitskontexten wird missbilligt, noch mehr aber, wenn man seinen Reichtum nicht einmal dazu einsetzt.50 So wird dem Habsüchtigen vorgeworfen: Du wirfst alles durcheinander, du strebst nach dem, was Könige oder Vormünder von Königen oder solche, die in den Städten die Ersten sein und herrschen wollen (to»r 1m ta?r p|kesi pqyte}eim ja· %qweim 1h]komtar), sich verschaffen müssen; denn diese sind aus Ehrsucht (di± tµm vikotil_am), Prunksucht und leeren Ruhmes (jemµm d|nam) halber genötigt, Tafel zu halten, Gnaden zu erteilen (waqifol]moir), Leibwachen zu nehmen, Geschenke zu machen, Soldaten zu unterhalten und Fechter sich zu kaufen. Du aber, im Besitz so vieler Dinge, bist in steter Unruhe, quälst dich stets und führst bei deinem Geiz ein Schandenleben; du unterziehst dich allen Widerwärtigkeiten, ohne dafür je einen Genuss zu haben, gleich dem Esel des Baders, der Holz und Reisig
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pkeomen_a-Diskursen bei Dion und Plutarch vgl. auch L. Schottroff/W. Stegemann, Jesus 124 f. Sowie von dem der Lust (t/r Bdom^r; vgl. IV 101). Die Ehrgeizigen werden noch an anderer Stelle kritisiert: „Es gibt Leute, die alles, was für Geld, Leckereien oder Wein eine Schwäche hat oder in Frauen und Knaben verliebt ist, als unrettbar verloren abschreiben und jeden dieser Fehler für die größte Schmach halten, andererseits aber Männer, die auf Ehre und Ansehen erpicht sind (to»r d³ vikot_lour ja· vikod|nour), als etwas Herrliches preisen“ (Or LXVI 1). Zur Funktion des Agonotheten vgl. F. Quass, Honoratiorenschicht 282. Für Plutarch ist Ehrgeiz (vikotil_a) nur ein vornehmeres Wort für Gewinnsucht vikoj]qdeia (Praec Ger Reip 819F). So auch die Kritik in Sir 14,3–10, wo es u. a. heißt: „Wer an sich selbst spart – wem tut er wohl? Er genießt nicht einmal, was er besitzt“ (b pomgq¹r 2aut` t¸mi !cah¹r 5stai. ja· oq lµ eqvqamh¶setai 1m to?r wq¶lasim aqtoO; V. 5). Vgl. 527 A–E. Die Einstellung Plutarchs zum Ehrgeiz wird u. a. auch deutlich in seiner Beschreibung Ciceros, als dieser feststellen muss, dass seine außerhalb Roms erbrachten Leistungen dort nicht wahrgenommen werden: „Später habe er sich darüber Rechenschaft abgelegt und viel von seinem Ehrgeiz zurückgesteckt, da ja der Ruhm, um den er ringe, ein Ding ohne Grenzen sei und keinen Endpunkt habe, den man erreichen könne. Indes die übermäßige Freude daran, gelobt zu werden, und der leidenschaftliche Drang nach Ruhm blieb ihm bis zum Ende treu und vereitelte oftmals viele vernünftige Überlegungen“ (Cic 6).
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zusammenträgt, und stets voll Rauch und Asche ist, ohne vom Bade, von der Wärme und von der Reinlichkeit etwas zu genießen (Cup 525D–E).
Jesus Sirach greift diese Getriebenheit des Reichen auf, die sich in Sorge und Schlaflosigkeit ausdrückt (vgl. 31,1 f), denn: „Ein Reicher erschöpft sich in der Ansammlung von Reichtum, selbst in der Ruhe ist er angefüllt von seinen Gelüsten“ (31,3).51 Während die ambitio bzw. vikotil_a also noch auf die „Resonanzräume“52 des sozialen Umfeldes zielt, von dem die Bestätigung oder Erhöhung des eigenen Ehrenstatus erhofft wird, hat die avaritia bzw. pkeomen_a diesen Raum verlassen und bezieht sich allein auf sich selbst. Wird der Ehrgeiz entsprechend der Sphäre öffentlichen Ehrstrebens zugeordnet, so die Habsucht dem Gelderwerb zu privatem Nutzen.53 Der Vorwurf der avaritia scheint demnach auf einen Personenkreis zu zielen, der weder auf politische Macht noch auf Ehre und Ansehen aus ist, sondern sich auf die Gewinnung von Reichtum zum Zwecke der eigenen voluptas verlegt hat. Diese Leute scheinen sich den Verpflichtungen, die aufgrund ihrer Besitztümer an sie herangetragen werden, entziehen zu wollen. Umgekehrt werden auch keine Ehrungen angestrebt, sondern man will schlicht in Ruhe reich werden. Die vielfachen Berichte über die Weigerung Wohlhabender, in den Städten munizipale Ämter zu übernehmen, die mit hohen privaten Ausgaben für die Mitbürger verbunden waren, sprechen ebenfalls für die Verbreitung dieser Mentalität.54 Die Enttäuschung, der ennui der Wohlhabenden (Macro), spricht aus der Kritik Dions von Prusa an der allgemeinen Ruhmsucht: Und ganz offiziell haben sich beinah alle Städte die verschiedensten Köder für diese Toren ausgedacht: Kränze, Ehrenplätze und öffentliche Ausrufungen. So ist schon mancher, den diese Verlockungen reizten, unglücklich und arm geworden, obwohl man ihm keineswegs wunder was für Herrlichkeiten vorhielt, sondern ihn manchmal wie ein Schaf mit einem Zweig an der Nase herumführte oder ihm einen Kranz oder ein Band umlegte (Or LXVI 1 f).
Plutarch mahnt in ähnlicher Weise, dass fruchtlose und undankbare Rivalitäten (vikotilo}lemoi vikotil_ar !j\qpour ja· !waq_stour) um die Gunst der Stadtbevölkerung den Ehrgeizigen in die Hände der Geldverleiher treiben (vgl. Plut., Vit Aer 830E). Ruinöse largitio zu meiden wird auch von der Spruchweisheit angeraten: „Besser ein Mann ohne öffentliche Geltung (1m 51 Doch auch die Armut wird demgegenüber nicht idealisiert, sondern es heißt im direkten Anschluss: „Ein Armer erschöpft sich im Mangel an Lebensunterhalt, und in der Ruhe wird er Not leidend“ (31,4). 52 J. Wolkenhauer, Schrift 331. 53 Wobei das Streben nach öffentlicher til^ von Plato noch nicht so abgewertet wird wie von Plutarch. Zu dessen Zeiten bringt es – zumindest auf Polis-Ebene – auch nicht mehr so großen Gewinn. 54 Vgl. A.D. Macro, Cities 687; F. Quass, Honoratiorenschicht 325 f; S. Dmitriev, City 175.
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!til¸ô), der sich selber dient, als einer, der sich Ehren verschafft (tilµm 2aut` peqitihe¸r) und dem es an Brot mangelt“ (Spr 12,9). Es zeigen sich deutliche Anzeichen eines Wandels, was die literarische Beurteilung der Freigebigkeit (1keuheqi|tgr/largitio) angeht, die bei denen ansetzt, von denen sie erwartet wird: Der Prestigegewinn wird als bedeutungslos abgetan, das Abmühen um die Gunst der Leute geradezu lächerlich gemacht. Sich selbst finanziell zu ruinieren, um Mitbürgern und eigener Ambition Genüge zu tun, gilt nicht mehr als ehrenvoll, sondern ruft bei Geistern wie Plutarch und Dion von Prusa nur noch Befremden hervor, wird gar dezidiert als unehrenhaft gebrandmarkt.55 Stattdessen empfiehlt man individuelle Mäßigung: Mit einer Haltung der Frugalität (eqt]keia/frugalitas), wie sie spätestens seit den Flaviern en vogue wird, verträgt sich eine lustvolle Ressourcenvernichtung magno animo jedenfalls schlecht.56 Die Reaktivierung eines vornehmen Bescheidenheitsideals diente im Rahmen elitärer Selbstrepräsentation nicht zuletzt dazu, den Vorwurf der Habsucht fernzuhalten: Mit dem Verweis auf maßvolle Bescheidenheit sollte die Schonung des eigenen Vermögens legitimiert werden, die sonst bösartig als Geiz ausgelegt werden könnte. Nicht avaritia verhinderte, dass einer ein kostenintensives Amt ausschlug, sondern seine frugalitas.57 Der Wunsch nach Reichtum als per se expetenda res wird auch greifbar in dem Verhalten lukanischer Figuren: Der reiche Kornbauer etwa zieht sich für seinen Versuch, aus der öffentlichen Wohltäterrolle in die eines Händlers zu wechseln, den Vorwurf der pkeomen_a – und eine Todesdrohung zu. Vorwurf und Schicksal treffen offenbar auch das reiche Gegenüber des Lazarus sowie schließlich Hananias und Saphira, die ebenso aus ihren sozialen Verpflichtungen auszuscheren versuchen.
55 Vgl. Plut., Vit Aer 829E–830E. 56 Sen., Ben III 6,2; vgl. Plut., Vit Aer 828D. Zur Frugalität der Flavier vgl. E. Stein-Hçlkeskamp, Gastmahl 246–252. In Bezug auf liberalitas, largitio, parsimonia und frugalitas sieht Wolkenhauer noch in der Kaiserzeit ein „Nebeneinander der gegenläufigen Wertungen“ (J. Wolkenhauer, Schrift 324). Reichtum als Basis dafür anzusehen, „dass ich schenken und dass ich bauen kann“ (Mart. IX 22,6), entspricht dabei eher der klassischen Sichtweise. 57 Der jüngere Plinius spart beim Gastmahl dadurch, dass er sich und allen Gästen gleichermaßen bescheidene Kost vorsetzt (vgl. Ep II 6,3–6).
6. Das Grundprogramm lukanischer Reziprozität: w\qir und lish|r in der Feldrede (Lk 6,20–49) In der Feldrede des Lukas bilden sich die beiden gesellschaftsprägenden Austauschformen in den Semantiken von w\qir und lish|r ab.1 Der lukanische Jesus greift auf die Bereiche von Getreideverteilung und Geldverleih zurück, um das Verhältnis von Armen und Besitzenden zu beschreiben und sodann neu zu definieren.2 Dabei werden die Wohlhabenden aufgefordert, die unter ihnen verbreiteten Wohltätigkeitsideale in ihrem Alltagshandeln umzusetzen. Das freilich würde bedeuten, Menschen an ihren Gütern Anteil zu geben, die vernünftigerweise weder als Wohltatenempfänger noch als Darlehensnehmer in Betracht kommen. Als Vergeltungsperspektive stellt die Feldrede dafür Lohn und Ehre in Aussicht. In einem easchatologisch gedachten Prinzip der Gegenseitigkeit wird den Reichen angekündigt, dass sie selbst dasjenige Schicksal erfahren, das sie den Mittellosen gegenüber zu verantworten haben. Dass eine solche Perspektive handlungsleitend wird, setzt voraus, dass Reiche wie Arme als Teil derselben Gemeinschaft mit einem geteilten Ethos adressiert werden. Zur Semantik der Reziprozität gehören in der Feldrede neben w\qir (V. 32c u. ö.) im allgemeinen Sinne der Begriff d_dyli (V. 30b.38), !cahopoi]y (V. 33a.35b), wqgst|r (35c) und, wie zu zeigen ist, jq_my (V. 37a). Demgegenüber wird das Feld der Leihe aufgerufen durch dam_fy (V. 34a.35c), !pait]y (V. 30d), !pokalb\my t± Usa (V. 34 f), jatadij\fy (V. 37c.d) und !pok}y (V. 37d.e).
1 Es gibt bereits einige Untersuchungen unter Reziprozitätsperspektive, deren Ergebnisse Eingang in die aktuelleren Kommentare gefunden haben. Einen Überblick der diesbezüglichen Deutungen der Feldrede bietet J. Marshall, Jesus 191–193. Nicht beachtet wird dabei M. Ebner, Neutestamentliche Ethik zwischen weisheitlichen Alltagsratschlägen und sozialethischen Visionen, in: H. Schmidinger/G.M. Hoff (Hg.), Ethik im Brennpunkt. Salzburger Hochschulwochen 2005, Innsbruck 2005, 57–95. Am fruchtbarsten hat sich bislang m. E. der Aufsatz Willem van Unniks aus dem Jahr 1966 erwiesen, der Material Hendrick Bolkesteins zum „Prinzip der Gegenseitigkeit“ (H. Bolkestein, Wohltätigkeit 158) bei den Griechen auf Lk 6,32–35 anwendet (vgl. W.C. van Unnik, Motivierung): Hier sprechen v. a. die antiken Texte, nicht die modernen Modelle. Zur mehr oder minder ausgiebigen Aufnahme in der neueren Kommentarliteratur vgl. F. Bovon, Lk I 314; J.B. Green, Lk 202 f; 260–281; M. Wolter, Lk 255 f; 258. J.R. Edwards, Lk 197, verweist auf das Thema i.d.Anm. 2 Hierbei spielt eine untergeordnete Rolle, inwiefern Jesus selbst als Wohltäter stilisiert wird (vgl. F.W. Danker, Luke 30–32). Hinsichtlich der Feldrede ist demgegenüber zurecht skeptisch J. Marshall, Jesus 198.
126 Grundprogramm lukanischer Reziprozität: w\qir und lish|r in der Feldrede
6.1 Kontext, Gliederung und Komposition Die Rede Jesu wird vorbereitet durch dessen Abstieg vom Berg, wo er aus den Jüngern zwölf Apostel ausgewählt hat (vgl. Lk 6,12–16); die in der Ebene wartende Menge aus den Umgegenden will ihn hören, v. a. von ihm geheilt werden, wozu viele den Körperkontakt zu ihm suchen (vgl. 6,17–19). In dieser Ausgangslage präsentiert Jesus seine Belehrung, die sich zunächst an die Jünger richtet (vgl. 6,20) und dann, unspezifisch, an die Hörenden (vgl. 6,27). Damit sind zwei Gliederungsmarker gesetzt, der dritte ist die Ankündigung im Anschluss an das Wort vom Zumessen im Getreidekontext, dass Jesus „ihnen“ auch oder noch ein Bildwort erzählt (6,39). Es ergeben sich drei Redeteile, nämlich (1) die Makarismen und Weherufe (V. 20–26), (2) die Aufforderung zur Feindesliebe mit sog. Goldener Regel und Konkretisierungen (V. 27–38), sowie (3) die anschließende Spruch- und Gleichnisreihe (V. 39–49), die Hinweise gibt auf den Adressatenbezug der beiden vorigen Teile.3 Das Thema, das die beiden ersten Teile umspannt, ist das Verhältnis zwischen Armen und Reichen (in dieser Reihenfolge!), das offenbar von Feindschaft geprägt ist, die überwunden werden soll, wie das zweifache !cap÷te to»r 1whqo»r rl_m (V. 27.35) drastisch verlangt.4 Das bedeutet: „Die Feinde der Reichen sind die Armen.“5 Den Sitz im Leben der hier imaginierten Auseinandersetzung stellen Geldverleih und Kornverteilung dar. Die Zuteilung eines überfließenden Getreidemaßes in V. 38c–f markiert das Ende des zweiten Gliederungsabschnitts und greift damit zugleich den Beginn des ersten Teils auf, in dem von Hunger, Sättigung, Ausgrenzung und damit verbundener Festfreude die Rede ist (vgl. V. 21–23). Hier steht, wie gezeigt werden soll, ebenfalls eine Lebensmittelverteilung im Hintergrund. Damit verklam3 Drei Teile wie präsentiert sehen, mit kleineren Abweichungen, die meisten Kommentatoren; vgl. F. Bovon, Lk I 289; J.B. Green, Lk 263–281. I.H. Marshall unterscheidet „a prophetic section […], a paraenetic section […], and a parabolical section“ (ders., Lk 243, mit Darstellung der Gliederungen früherer Kommentare). Danker wählt als Überschriften: „(1) Vv. 20–26: Words of promise and woe. (2) Vv. 27–38: Reciprocity. (3) Vv. 39–49: Self-search“ (F.W. Danker, Jesus 138). L.T. Johnson nimmt die Trennung zwischen zweitem und drittem Teil bei V. 40 f vor und überschreibt den letzten Teil mit „demand for action and not just speech“ (ders., Lk 110). Goulder will in 6,20–38 und V. 39–49 zwei grundverschiedene Themen der Rede ausmachen, nämlich Armut und Verfolgung der Jünger einerseits, sowie die Gefahr blinder Führer andererseits (vgl. ders., Lk I 348). Abgesehen von den fehlenden Textsignalen für eine Verfolgungssituation wird die Deutefunktion des dritten Teils für die ersten beiden verkannt. Luise Schottroff und Wolfgang Stegemann sehen als Feldrede nur 6,27–49 an (vgl. L. Schottroff/W. Stegemann, Jesus 144). Wolter erkennt in V. 20–26 und V. 27–49 zwei Hauptteile, teilt innerhalb dessen jedoch V. 39–49 noch einmal als „metaphorischen Kommentar“ (ders., Lk 262; vgl. 245) ab. Unstrittig ist der Ortswechsel nach Kafarnaum in 7,1 als Ende des Sinnabschnitts. 4 Die in der Literatur gezogenen Parallelen zur Feindesliebe bleiben hinter der Radikalität der bei Lk erhobenen Forderung zurück (vgl. M. Wolter, Lk 256; F. Danker, Jesus 144). 5 M. Ebner, Solidarität 303.
Makarismen und Weherufe
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mert dieses Thema den Abschnitt 6,20–38. Das narrative Vorgehen, bei den Armen und Ausgegrenzten in 6,20c–23 zu beginnen, denen die Reichen in V. 24–26 gegenübergestellt werden, scheint sich im Folgestück V. 27–35 zu wiederholen: Die Aufforderung zur Feindesliebe und deren Konkretisierungen ergehen zunächst in V. 27b–29 (evt. 30) an die Adresse der Bedrängten, spätestens ab V. 33 sind eindeutig die Besitzenden angesprochen.6
6.2 Makarismen und Weherufe (Lk 6,20–26) 6.2.1 Textanalytische Bemerkungen Jesus befindet sich in Gesellschaft einer Schar von Jüngern sowie einer Volksmenge (6,17b) wendet sich zu Beginn seiner Rede an erstere: „Und er richtete die Augen auf seine Jünger und sprach: Selig ihr Armen – euch gehört das Reich Gottes“ (Lk 6,20). Strittig ist, ob sich (A) sowohl Makarismen als auch Weherufe an die Jünger richten (vgl. V. 20) oder (B) nur die Seligpreisungen den Jüngern gelten.7 Zur wechselnden Adressierung „Doch wehe euch, ihr Reichen“ (6,24) meint Joel B. Green: „No markers in the text itself suggest that Jesus means by the ‘you’ of v 20 anything different than he might by the 6 V. 30–32 mit der Goldenen Regel im Zentrum scheint einen Übergang von der einen zur anderen Seite darzustellen: Geben kann auch wer fast nichts mehr hat (vgl. V. 30), die Goldene Regel bezieht sich auf beide Gruppen, und das in V. 31 verlangte !cap÷m ist auch den Bedrängten der ersten Tafel in V. 27b–29(30) geboten. Der Auffassung Martin Ebners, „Adressaten der Forderung zur Feindesliebe sind bei Lukas die Reichen“ (ders., Solidarität 302), ist hinsichtlich der Pragmatik zuzustimmen, im Text angesprochen werden in dieser Weise aber auch die sozial Ausgegrenzten (vgl. V. 27b–f). Dass sich wiederum Reiche nach Auffassung Lks selbst sozial ausgrenzten, zeigt exemplarisch etwa die Darstellung des reichen Kornbauern in Lk 12,13–21, der das willentlich tut. 7 Option A vertreten Luise Schottroff und Wolfgang Stegemann, die eine Absetzung der Jünger von den Übrigen sehen: „Erst der in V. 27b mit dem Feindesliebe-Gebot beginnende Redeabschnitt (bis V. 49) gilt den anderen in V. 17 genannten Zuhörern“ (dies., Jesus 93; vgl. 128). Ihnen – als Armen und Reichen, gelten Seligpreisungen resp. Weherufe. Den Vorgenannten wird von Christopher Hays unterstellt, sie nähmen als exklusiven Hörerkreis die Zwölf an, was Schottroff und Stegemann aber nicht schreiben (zumindest nicht in der deutschen Ausgabe ihres Buches in der Auflage von 1990). Hays geht seinerseits für Lk 6,20–26 davon aus, dass Jüngerschar und Menge im Sinne von V. 17 mithören, macht über das Verhältnis der Reichen zu den Jüngern an dieser Stelle jedoch keine Aussage (vgl. ders., Luke 107–110). Für Option B, d. h. gegen eine Identifizierung der Reichen mit den Jüngern vgl. (eher implizit) I.H. Marshall, Lk 243; F.W. Danker, Jesus 138; und M. Wolter, der die Reichen als „Gegenbild“ (ders., Lk 247) der armen Jünger sieht. Dass hier nicht reiche Gemeindemitglieder ermahnt würden, begründet Letzterer damit, dass V. 22 und V. 26 schwerlich an die gleichen Adressaten gerichtet sein könnten (vgl. ders., Lk 253). Das aber ist gar nicht nötig, wenn davon ausgegangen wird, dass die Makarismen an die armen, die Weherufe an die reichen Jesus-Anhänger adressiert sind.
128 Grundprogramm lukanischer Reziprozität: w\qir und lish|r in der Feldrede ‘you’ of v 24.“8 Die Jünger werden adressiert als Bettelarme, Hungerleider, Bekümmerte etc. (ptywo¸, peim_mter, jka¸omter), aber sind auch die Reichen und Lachenden etc. Jünger (pko}sioi, oR cek_mter mOm)? Green ist der Ansicht, Jesus spreche zu einer unspezifischen Menge, die über den Kreis der Jünger hinausgehe. Lk lässt öfters Personen oder Gruppen mithören, die nicht direkt angesprochen sind, wie z. B. die Notiz „das alles hörten aber die Pharisäer“ (Lk 16,14) deutlich macht.9 Die Volksmenge (pk/hor pok» toO kaoO) ist ja neben der großen Schar Jünger (ewkor pok»r lahgt_m) zuvor ausdrücklich erwähnt (vgl. V. 17b). Doch auch zum erweiterten Kreis der lahgta_ dürften im Evangelium Vermögende gezählt werden: die Frauen etwa in Lk 8,2 f, die den Aposteln aus eigener Tasche (1j t_m rpaqwºmtym aqta?r) dienen, oder auch der explizit reiche Zachäus (pko¼sior; Lk 19,2).10 Gegen die Annahme, dass nur die ptywo¸ als Jünger angesprochen werden spricht auch, dass die Gruppe der Nicht-Jünger im Abschnitt eigens genannt wird: Es sind „die Menschen“ (oR %mhqypoi; V. 22b.26a), die das Gegenüber zu den Jesus-Anhängern repräsentieren.11 Demnach legen die Perikopenstruktur und der Evangelienzusammenhang nahe, dass hier nicht nur Arme, sondern auch Reiche unter der Jünger-Rubrik subsumiert sind.12 Die Gegenwartsform bei der Begründung des ersten Makarismus wie Weherufes hat ebenfalls „Überschriftcharakter“13 für das jeweils Folgende. Dies vorausgesetzt, wird die basike¸a toO heoO mit Sättigung, Lachen und Hüpfen vor Freude assoziiert (vgl. V. 21b.d.23ab), wobei die ersten beiden Punkte der aktuellen Situation der Reichen entsprechen (vgl. V. 25a.c). Diese erfahren jedoch im Unterschied zur Schmähung der ersten Gruppe von allen Seiten Schmeicheleien (vgl. V. 26a). Zusammengenommen deutet das auf einen Festkontext hin, womit die Königsherrschaft Gottes ja auch an anderen Stellen bei Lk in Verbindung gebracht wird (vgl. 13,28; 22,16.30).14 In diesem Festkontext scheinen die Rollen verkehrt zu werden, wie nicht zuletzt die vier laj²qioi-Ansagen deutlich machen (vgl. V. 20c.21a.c.22a). Diese Glückselig8 J.B. Green, Lk 266. 9 So auch in Lk 12,1 und 20,45, wo Jünger in Anwesenheit einer Menge angesprochen werden, die eindeutig mithört (vgl. J.B. Green, Lk 266 f). Zudem wendet sich Jesus in Lk 12,22 an seine Jünger, ermahnt sie dazu sich nicht um Materielles zu sorgen und schließlich auch dazu, ihre Habe zu verkaufen und Almosen zu geben (vgl. 12,33). Letzteres können wohl nur Vermögende. 10 Zum Terminus 1j t_m rpaqwºmtym aqt` jtk. siehe Kap. 8.2. 11 Vgl. I.H. Marshall, Lk 252. 12 Es ist ohnehin nicht davon auszugehen, dass lahgt^r ebenso klar definiert ist wie etwa Kreisdechant. 13 W. Stenger, Seligpreisung 36. 14 I.H. Marshall sieht auch in Lk 6 das „messianic banquet“ (ders., Lk 250) im Hintergrund, während Wolter sicher ist, „die Tradition vom eschatischen Festmahl hat hiermit nichts zu tun“ (ders., Lk 249). Generell sollte jedoch das Motivinventar eines geschlossenen Textabschnittes im Zusammenhang betrachtet werden, und dieser Kontext erlaubt hier nicht, jegliche Festassoziationen einfach auszublenden. Inwieweit messianische oder eschatologische Bezüge im Vordergrund stehen, muss freilich separat diskutiert werden.
Makarismen und Weherufe
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keitszuschreibung kann bei Lk entweder an Menschen, Körperteile oder auch Handlungsweisen gerichtet werden:15 So wird in Apg 20,35 der Spruch „Geben ist seliger als Nehmen“ (laj²qiºm 1stim l÷kkom didºmai C kalb²meim) als Jesuswort ausgegeben. Die Paradoxie zeigt sich besonders am vierten Makarismus, der auf die Erfahrung von Hass, Ausschluss und Schmähung rekurriert (vgl. V. 22 b–e). Die Gegenüberstellung mit der matthäischen Version lässt die jeweilige Akzentuierung besser erkennen: Tabelle 3: Mt 5,11 und Lk 6,22 Mt 5,11
Lk 6,22
Glückselig seid ihr, wenn
Glückselig seid ihr, wenn die Menschen euch hassen (lis¶sysim) und wenn sie euch ausschließen (! !voq¸sysim),
sie euch schmähen (ameid¸sysim) und
sie euch schmähen (ameid¸sysim) und
und verfolgen (ddi¾nysim) und euch das Ärgste nachsagen (eUpysim p÷m und euren Namen als schlecht verwerfen (11jb²kysim t¹ emola rl_m ¢r pomgpomgq¹m jah’ rl_m) um meinetwillen und dabei lügen q|m) wegen des Sohnes des Menschen
Beide Evangelisten erwähnen die Schmähung, bei Lk finden sich statt des matthäischen Verfolgens Hass und Ausschluss. Zudem spricht Mt von übler Nachrede, während der Name der von Lk angesprochenen ptywo¸ irgendwo herausgeworfen wird.16 Der Schwerpunkt liegt demnach bei Matthäus auf Verfolgung und Denunziation, bei Lukas auf sozialem Ausschluss und Ehrverlust. Verfolgung kommt bei Lk jedenfalls nicht explizit zur Sprache.17 Die nachfolgende Aufforderung sich zu freuen, wird mit reichlichem Lohn im Himmel (lish¹r rl_m pok»r 1m t` oqqam`; V. 23c) begründet. Mögli15 Maria wird von Elisabeth als lajaq¸a angerufen (Lk 1,45), als Zuschreibung für Menschen vgl. zudem 7,23; 11,28; 12,37.38.43; 14,14.15; 23,29; als Selbstzuschreibung vgl. Apg 26,2. Körperteile: Augen (vgl. Lk 10,23), Schoß/Gebärmutter (vgl. 11,27). 16 Vgl. 1 Petr 4,14, wo die Schmähung ausdrücklich 1m amºlati WqistoO geschieht. 17 Vgl. J.B. Green, Lk 268. Es werde hier die „alltägliche Erfahrung von Zurückweisung, sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung beschrieben“, so M. Wolter, Lk 250. I.H. Marshall erwägt, dass die Passage von Reputation handelt, spricht dann aber doch wieder von Verfolgung (vgl. ders., Lk 253 f). Diesen Bezug unterstellen ohne weitere Problematisierung auch J.A. Fitzmyer, Lk I 635; F.W. Danker, Jesus 141; F. Bovon, Lk I 303 f; J.R. Edwards, Lk 194. Wolfgang Stegemann ist zuzustimmen, der aufgrund der Textbasis befindet, dass die Lukastexte im Gegensatz zur Verfolgungssemantik der Seitenreferenten „allgemein und metaphorisch von einer Bedrückungssituation“ (ders., Synagoge 37) sprächen.
130 Grundprogramm lukanischer Reziprozität: w\qir und lish|r in der Feldrede cherweise ist dieser dort schon verbucht.18 Zu beachten ist hierbei v. a. die Kommunikationssituation vor den Ohren der Reichen, die im direkten Anschluss strukturgleiche Weherufe über sich ergehen lassen müssen, weil sie eine Einladung oder Aufforderung von sich fernhalten, wie die merkwürdige Formulierung fti !p´wete tµm paq²jkgsim rl_m (V. 24) übersetzt werden sollte.19 Gemeint ist die Aufforderung, etwas an der Situation der vorgenannten Gruppe zu ändern, die entehrt und namentlich ausgeschlossen ist. Damit ist nicht gesagt, dass die hier ermahnten Reichen mit den Tätern dieses Unrechts zu identifizieren wären, zumindest nennt die Passage wie erläutert drei Gruppen: die Armen (V. 20c) die bzw. alle Menschen (V. 22b.26a) und die Reichen (V. 24). Daher ist Danker hinsichtlich der pragmatischen Absicht des Abschnitts zuzustimmen: „The promise to the poor is at the same time an invitation to the more prosperous to engage now in the process of redistribution and help God do the ‘filling’.“20 Vertikalistischen Zweifeln an einer solchen Interpretation begegnet Danker mit dem Hinweis auf die Gütergemeinschaft in Apg 2,44 f; 4,32–37, sowie auf die Erzählung vom Reichen und Lazarus in Lk 16,19–31. Auch der dort skizzierte Reiche zeichnet sich durch seine Interaktionsverweigerung mit einem Armen – Lazarus aus, der dann im Jenseits von Abraham an dessen Tafel eingeladen wird (mOm d³ ¨de paqajake?tai; 16,25d). Sieht man die beteiligten Gruppen unter erzähltheoretischem Blickwinkel als Aktanten an, ergibt sich aus diesen ersten Beobachtungen: Jesus als Handlungssouverän der Perikope spricht zu zwei über die Textstruktur verbundenen Gruppen: Dramatische Hauptfiguren sind die Armen, die im Setting eines Festes (Königsherrschaft Gottes, Sättigung, Lachen, Freude, Hüpfen), von dem sie aktuell ausgeschlossen sind (Herauswerfen des Namens) als glückselig proklamiert werden. Ihnen wird ein jenseits dieser Marginalisierungssituation (im Himmel) liegender Lohn zugesprochen. Strukturgleich zu den vier Makarismen werden dieser Gruppe mit vier Weherufen die Reichen als die dramatischen Nebenfiguren gegenübergestellt. Sie haben eine Einladung oder Aufforderung von sich gewiesen, die durch die nachfolgende Auflistung klarer erkennbar wird: Sattsein, Lachen und hohes soziales An-
18 Das wird als Möglichkeit mit Blick auf Offb 20,12 erwogen von J.A. Fitzmyer, Lk I 635. Im Gegensatz zum dortigen Gericht jat± t± 5qca gilt für Lk 6,23 jedoch: „Die Rede von der eschatischen Belohnung ist hier anders als sonst nicht auf ein bestimmtes Verhalten bezogen, sondern formuliert eine bedingungslose Heilszusage“ (M. Wolter, Lk 251). 19 Vgl. F. Bovon, Lk I 301, der die Merkwürdigkeit zur Kenntnis nimmt, paq\jkgsir dann aber doch mit Trost übersetzt. 20 F.W. Danker, Jesus 140. Bovon sieht im Zusammenhang der Reich-Gottes-Zusage ebenfalls „den Anfang der Gütergemeinschaft zwischen den Christen im Sinne der Sammelberichte“ (ders., Lk I 300), meint aber klarstellen zu müssen: „Auch wenn für Lukas die laj²qioi wohl zugleich Glaubende sind, bleibt das entscheidende Element die eschatologische Tat Gottes und nicht die menschliche Initiative“ (ders., Lk I 303).
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sehen werden parallel zum gegensätzlichen Zustand der Armen aufgeführt.21 Zum Ausgangspunkt einer sozialgeschichtlichen Situierung ist das Thema Ansehen und Ehre mit Blick auf das Verhältnis von Arm und Reich im Festzusammenhang anzunehmen. Zur weiteren Untersuchung von Lk 6,22–26 soll der Kontext eines Festes unterstellt werden, bei dem es um die Interaktion zwischen Armen und Reichen geht. Dass die erste Gruppe geschmäht und namentlich diskreditiert wird, die zweite Gruppe hingegen in hohem öffentlichem Ansehen steht, zeigt an, dass Ehre und Reputation zentrale Themen sind. Nachstehend soll demnach (1) zunächst die Rolle der Armut im Reziprozitätsethos grob umrissen werden, sodann (2) der konkrete Ablauf und Charakter von Lebensmittelverteilungen im Festkontext dargestellt werden.22 Schließlich ist (3) hinsichtlich der Weherufe auf Rollenerwartungen an Reiche in diesen Zusammenhängen einzugehen. Auf Basis der Ergebnisse lassen sich die adressierten Jünger sozialgeschichtlich schärfer konturieren.
6.2.2 Armut und Reziprozität Hendrick Bolkestein fand in der griechischen Literatur eine Haltung zur Armut, die sich von der im alten Ägypten und Israel stark unterschiede. Das griechische Denken habe die wohltätige Hinwendung zum Armen im Gegensatz zum alten Ägypten nicht zur moralischen Leitnorm erhoben, was damit zu tun habe, dass in den ägyptischen Texten die Aufforderung an die Oberen, sich den Bedürftigen zuzuwenden, stets mit der Einschärfung an die unteren Schichten einherging, sich den Mächtigen bedingungslos unterzuordnen. In Bolkesteins eigenen Worten: „Das Korrelat der Wohltätigkeit und Barmherzigkeit der Reichen ist die Unterwürfigkeit, die demütige Untertänigkeit der Armen.“23 Demgegenüber macht er für „Griechenland“ geltend: 21 Zur Identifikation mit den Propheten resp. Pseudopropheten, mithin der Akzentuierung des Prophetischen bei Lk siehe Kap. 7.2. 22 Theissen unterteilt vier verschiedene Arten bzw. Anlässe von Verteilungen in der Antike: (1) „bei außerordentlichen Begebenheiten öffentliche Fleischverteilungen“; (2) „Stiftungen öffentlicher Opfermahle für bestimmte Tage, oft für einen begrenzten Personenkreis“; (3) „die großen religiösen Feste, bei denen es oft Fleischverteilungen gab, die durch den Staat bzw. Spenden einzelner wohlhabender Bürger an die Allgemeinheit getragen wurden“ (z. B. anlässl. Dionysien oder Panathenäen); (4) „in den vielen Vereinen, die in ihren Satzungen bestimmte Feste vorsahen“ (ders., Starken 277 f). 23 H. Bolkestein, Wohltätigkeit 15; im Original kursiv. Die ambivalente Doppelaufforderung, sich dem Armen zuzuwenden und dem Mächtigeren unterzuordnen, findet sich noch in Sir 4,6 f, davon abgesehen sind derart generalisierende Aussagen mit Bezug auf die gesamte Literatur des Alten Israel ohne weitere Spezifizierungen aus heutiger Sicht gewiss skeptisch zu betrachten. Zur Praxis des Almosengebens in verschiedenen Phasen des antiken Judentums vgl. C.M. Hays, Luke 42–45; mit Blick auf Lk im Kontext von Reinheit und Unreinheit vgl. H. Moxnes, Economy 109–123.
132 Grundprogramm lukanischer Reziprozität: w\qir und lish|r in der Feldrede „Mahnungen an die Reichen, den Armen Almosen zu geben, fehlen, ebenso Mahnungen an die Armen, sich unterwürfig zu betragen.“24 Das Wohltun im griechischen Sinne, das hauptsächlich durch Begriffe wie ew poi]y, eqeqcet]y oder !cah¹m poi]y zum Ausdruck gebracht wird, zielt auf Dienste materieller oder immaterieller Art an den Mitmenschen im Sinne von Mitbürgern, nicht im Sinne von Bedürftigen.25 Stark generalisiert: Der Akzent dieses Ethos liegt nicht auf der sozialen Distanz zwischen Arm und Reich, sondern auf der Gemeinschaft der Politen.26 Folglich wäre es ein Denken in flachen Hierarchien, das dazu führt, sich gegenüber bedürftigen Zeitgenossen keinen allzu hohen moralischen Druck aufzuerlegen.27 Neben dem verbreiteten Argwohn, der Bettler könnte seine hilflose Situation nur vorschützen, ergibt sich aus diesem Ethos grundsätzlich: Die Gabe an einen Mittellosen wird von diesem nicht erwidert und entspricht damit nicht dem Prinzip der Gegenseitigkeit. Das Erscheinen von Bettlern im Traum etwa signalisiert Verlust und Tod, weil sie „genauso wie der Tod nichts von dem, was sie einmal empfangen haben, zurückgeben“ (Artemid., Oneirocr 3,53).28 Demnach mussten Bettelarme, um in einer solchen Kultur die Mitmenschen zu Almosen zu motivieren, den Anschein einer Gegenleistung erwecken: The overlap between begging and providing services can be very hazy: the offer of a flower, a sweet, or simply a good-luck wish can serve either to incur obligation, or to ease the sordid fact that a gift to a beggar is at root a one-way transaction, and to translate it into the more pleasing idiom of exchange. Almsgiving in such a case is
24 H. Bolkestein, Wohltätigkeit 114. 25 Vgl. H. Bolkestein, Wohltätigkeit 95; 101. Daher plädiert Anneliese Parkin auch dafür, den Wohltätigkeitsdiskurs von dem über Almosengeben klar zu trennen (vgl. dies., Service 61). 26 Auch noch im ersten Jh. n. Chr. gab es diesen Bürgerstolz, wie die Städtereden Dions von Prusa oder die inschriftlich vielfach dokumentierte Liebe zur ckujut\tg patq_r zeigen (vgl. E. Stephan, Honoratioren 177; siehe Kap. 1.4). 27 „Graeco-Roman society had a comparatively weak religious or moral charitable ethos, seldom recorded and probably haphazardly observed“ (A. Parkin, Service 75). Plutarch tradiert ein schulmeisterliches Apophthegma der Laconiker, in dem der Bitte eines Bettlers entgegnet wird: „‘Wenn ich dir etwas gebe‘, versetzte dieser, ,so wirst du noch mehr betteln; denn an dieser deiner Unverschämtheit ist der schuldig, der dir zuerst ein Almosen gegeben und dich dadurch zum Müßiggänger gemacht hat‘“ (Apophth 235E; Übers. nach C.N. von Osiander/G. Schwab; vgl. H. Bolkestein, Wohltätigkeit 214). Vgl. auch Plat., Leg 936b–c; Isoc. VII 83. 28 Vgl. A. Parkin, Service 69, mit weiteren Verweisen auf Artemid Oneirocr 3,47 und 1,78. Parkin meint sogar, dass Zuwendungen an Arme nach dieser Auffassung außerhalb der Gegenseitigkeitsnorm bleiben mussten: In einer kompetitiv ausgerichteten Gesellschaft wurde die Selbsterniedrigung etwa von körperlich gesunden (männlichen) Bettlern zur Notwendigkeit, um nicht „dangerously equal“ (dies., Service 79) zu wirken. Demnach wäre ein demonstrativer Selbstausschluss aus Reziprozitätsnetzen notwendig, um sich für den Erhalt von Almosen zu qualifizieren. Dieser Gedanke steht in gewisser Weise dem oben zitierten entgegen, nach dem die Armen eine Gegenleistung für den Almosenempfang wenigstens vortäuschen mussten. In der Realität ist ein Nebeneinander verschiedener Bettelstrategien jedoch keineswegs ausgeschlossen.
Makarismen und Weherufe
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motivated by a sense of obligation if not actual gratitude: it is glossed as payment for services rendered.29
Zudem konnten Habenichtse durch schiere Unverschämtheit zu einer Geldgabe kommen, wie das Aulus Gellius von einem Mann im Outfit eines Kynikers berichtet, der einen ehrwürdigen Konsuln recht aggressiv anbettelt (vgl. Gell. 9,2,1–6). Statussensible Vertreter der Elite gaben in diesen Fällen möglicherweise in erster Linie, um die Plagegeister wieder loszuwerden.30 Es gibt Ausnahmen und Entwicklungen: Regelrecht sozialethischen Tiefgang erreicht Dion von Prusa. Er macht sich Gedanken über die gesellschaftliche Teilhabe der städtischen Unterschichten und betont dabei den Wert der Arbeit für die Überwindung des Elends.31 Dadurch unterscheidet er sich von anderen: Weder bei Cicero noch bei Seneca, um die prominentesten lateinischen Vertreter zu nennen, spielt Arbeit eine Rolle. Außerdem beschäftigen sie sich nur mit der relativen Armut, in die ihre Standesgenossen fallen können, und wie man ihnen dann durch Gaben (beneficia) helfen kann.32
Ein Wort zur Terminologie: Bei Artemidor werden leta?tai, %mhqypoi pqo¨ _jtai, oQjtqo_ und ptywo¸ genannt. V. a. in Anlehnung an eine entsprechende Erläuterung in Aristophanes’ Komödie Plutos ist der ptyw|r in der Forschung zumeist als der Bettelarme angesehen worden, der sich vom p]mgr dadurch unterscheidet, dass dieser zwar noch nicht betteln, aber von seiner Hände Arbeit leben muss.33 In letzter Zeit wurde diese klare Unterscheidung allerdings in Zweifel gezogen und vermehrt auf die heterogene und teilweise austauschbare Verwendung von ptyw|r und p]mgr hingewiesen.34 Die Armen 29 30 31 32 33
A. Parkin, Service 78. Vgl. A. Parkin, Service 74 f, die zudem Diog. L. VI 46; 49; 59 erwähnt. Vgl. Or VII 103–152; E. Herrmann, Armut 214–233. E. Herrmann, Armut 233. Vgl. M. Wolter, Lk 248, mit Verweis u. a. auf Aristoph., Pl 551 f und vgl. zudem H. Bolkestein, Wohltätigkeit 184 f. 34 Bruce Longenecker weist auf die heterogenen Verwendungsweisen von ptyw|r und p]mgr u. a. bei Josephus oder Philo hin (vgl. ders., Poor 37–40, im Rückgriff auf Beiträge aus E.M. Atkins/ R. Osborne (Hg.), Poverty in the Roman World, Cambridge 2006). Für Josephus werden jedoch keine Belege genannt, für das umfangreiche Werk Philos immerhin zwei. In Bezug auf Plutarch wertet Longenecker nicht die Stellen aus, in denen ptyw|r und p]mgr vorkommen, sondern erwähnt lediglich Cato Maior 18,4, wo keiner der beiden Ausdrücke zu finden ist. Ein Blick auf Plutarchs Verwendung von ptyw|r zeigt, dass der Begriff in Adulat 63A als größtmöglicher Kontrast zum basike}r eingebracht wird, was die Annahme eines Mittellosen, Bettelarmen zumindest rechtfertigt (die anderen Stellen sind Dichterzitate oder nicht aufschlussreich; vgl. Demetr 32,7,8; Aud Poet 21B,11; Quaest Conv 618F,1). A.R. Hands sieht eine einigermaßen eindeutige Bedeutung von ptyw|r als Bettler, mit Ausnahmen bei Menand., Disk 284 f und Hom., Od XVIII 1–7 (vgl. ders., Charities 63 f). Outi Lehtipuu schreibt in Bezug auf ptyw|r und p]mgr: „In the LXX, for example, both words are used to translate a variety of Hebrew words, most often Ca¯ni (F=D) and ebi n (C9=54). Both refer to the economically weak, especially those who
134 Grundprogramm lukanischer Reziprozität: w\qir und lish|r in der Feldrede der Seligpreisungen werden im Vergleich zu den Reichen charakterisiert, und zwar als Leute, denen geholfen werden muss. Durch die Darstellung als Hungernde, Weinende und Ausgegrenzte werden materielle wie psycho-soziale Aspekte ihrer Armut betont. Um ihre Situation im öffentlichen Festkontext näher zu beleuchten, sollen zunächst einige diesbezügliche Charakteristika skizziert werden.
6.2.3 Verteilungen von Nahrungsmitteln bei öffentlichen Festen Besonders im griechischen Osten gab es eine Tradition des öffentlichen Feierns, wobei sich Einzelpersonen u. a. durch die Bewirtung der städtischen Öffentlichkeit und städtischer Gremien auszeichneten.35 Aus kultischem Anlass oder zu einem Amtsantritt inszeniert, wird sogar noch „eine zunehmende Bedeutung von Festen und Bewirtungen während der römischen Kaiserzeit“36 angenommen. Einige Elemente kehrten dabei in mehr oder weniger strenger Reihenfolge immer wieder: Den Auftakt bildet eine Prozession zu einer Stätte, wo geopfert wird, es folgen ein Opfermahl sowie Verteilungen von Fleisch, süßem Wein oder Getreide, zudem konnte es einen Festmarkt und mehrtägige Agone geben.37 Bewirtungen und Verteilungen waren integraler Bestandteil dieser Festivitäten, wofür nur einige Beispiele genannt werden sollen: Bei einem Athene-Fest in zwei Städten auf der Kykladen-Insel Amorgos z. B. bewirtete ein Kleophantes laut einem Ehrendekret aus dem dritten oder zweiten Jh. v. Chr. sechs Tage lang insgesamt 700 Bürger und Fremde, was nur teilweise durch öffentliche Mittel gedeckt war. Sein Nachfahre Agathinos verteilte zusätzlich Getreide und spendierte die Kampfpreise für den zu diesem Anlass veranstalteten Agon.38 Ein Ehrendekret aus Priene aus dem zweiten Jh. v. Chr. zählt die Zuwendungen des Stephanephoren Moschion auf: Er lud anlässlich seines Amtsantritts alle Bürger, Paröken, Fremden, Freigelassenen und Sklaven zu süßem Wein (ckujisl|r) ein und spendierte monatlich Opferfleisch von Rindern, die er Zeus, Hera, Athene und Pan dar-
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own no land but must work for others as day-laborers“ (dies., Rich 244). Demnach könnte ptyw|r auch als abhängiger Lohnarbeiter aufgefasst werden. Öffentliche Feste waren „ein Charakteristikum des kaiserzeitlichen Kleinasien“ (E. Stephan, Honoratioren 122). E. Stavrianopoulou, Bewirtung 177. Vgl. E. Stephan, Honoratioren 125. Zum Handlungsablauf von Prozession, Opfer und Mahl vgl. M. Ebner, Stadt 122–124. Beim Opfermahl im „Tempelrestaurant“ wurden keine Unterschiede in der Bewirtung gemacht: „Das Besondere an diesem Tempelmahl besteht darin, dass alle Teilnehmer gleich große Fleischportionen erhalten“ (M. Ebner, Stadt 123). Dort heißt es: 1si][to]l´tqgsem to?r Q[oOsim eQr t± Yt¾mia (IG XII Suppl. p.142 Nr. 330,17 f; vgl. F. Quass, Honoratiorenschicht 282).
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brachte. Bei einem Fest verteilte er darüber hinaus Wein, Süßwein und Getreide an die Teilnehmenden.39 Die kleinasiatischen Feste hatten integrative Wirkung, alle scheinen beteiligt gewesen zu sein. Zumindest für die von einem Euergeten gespendeten, dglohoim_ai genannten Volksbankette, die auch Nicht-Bürger mit einschlossen, scheint das der Fall gewesen zu sein. Wenngleich die exakte Bestimmung der jeweils zu ihnen eingeladenen Gruppen scheitern muss, ist von einer großen Offenheit auszugehen, welche die Gemeinschaft zumindest aller Freien, gelegentlich sogar der Sklaven umfasste.40 Die integrative Wirkung ist also nicht herunterzuspielen, doch kann keinesfalls von einer egalitären Veranstaltung die Rede sein. Aufschlussreich ist in dieser Hinsicht, was um die Zeitenwende einem gewissen Kleanax aus Kyme in Kleinasien auf einer Ehreninschrift lobend in Rechnung gestellt wurde. Dieser hat aber auch an dem von der Provinz Asia gefeierten Caesarfest, wie er es versprochen hatte, Opfer und Festmahlzeiten dargebracht, indem er für den Imperator Caesar Augustus und seine Söhne (Gaius und Lucius Caesar) und die übrigen Götter Rinder schlachten ließ, von welchen Opfern er nach vorheriger schriftlicher Ankündigung auf dem Marktplatz, nach [Phylen? geordnet], Griechen und Römer und Mitbewohner und Fremde speiste, wobei er die Zurichtung in [reich]stem Maße gewährte.41
Die Ordnung nach Phylen, hier freilich im Text ergänzt, indiziert eine Unterteilung der Menge nach Status.42 In der schriftlichen Ankündigung wurden offenbar die Gruppen aufgelistet, die zur Verteilung zugelassen wurden. Unterschiedliche Empfängergruppen, die verschiedenartig bewirtet werden, finden sich auch im Ehrendekret für Epameinondas von Acraiphia in Böotien von etwa 37 n. Chr.: „Fünfmal im Jahr lud er die Magistrate und Ratsherren 39 Der Auszug lautet: 1p· dia][molµm] oUmou. [j]a. · ckujislo¼r, ja[· paqel´tqgsem t_m pokit_m] 2j²styi puq_m tetaqt´yr [F]l[isu (IPriene 108,272–274 = SEG 4,491; vgl. F. Quass, Honoratiorenschicht 293). 40 Vgl. P. Schmitt Pantel, Cit 268; 382; 407 f. Sklaven waren allerdings eher zu den weniger prestigeträchtigen Speisungsanlässen wie bspw. einem Ariston, einer Art öffentlichem Brunch zugelassen (vgl. P. Schmitt Pantel, Cit 400; A. Standhartinger, alle 67). 41 SEG 32,1243,40–45; Übers. R. Merkelbach, vgl. A. Standhartinger, alle 63 f (dort fälschlicherweise SEG 32,1443). 42 Ein weiteres Beispiel für Bewirtung nach Phylen stammt aus Aphrodisias: „Ein gewisser Attalos Adrastos habe, so erfahren wir in einer dort gefundenen Inschrift, auf eigene Kosten eine Art Speisesaal errichten lassen, in welchem er bzw. seine Nachfolger von den Zinsen eines zu diesem Zwecke angelegten Stiftungskapitals zu bestimmten Zeiten [t]^m te boukµm ja· to»r diaj[o]siapq~tour ja· tµm ceqous_[a]m ja· to»r koipo»r poke_tar [jat± v]uk\r (den Rat, die Diakosiaprotoi, die Gerusie und die übrigen Bürger nach Phylen) bewirten ließ. Diese Aufzählung impliziert eindeutig eine soziale Differenzierung innerhalb der Mahlgemeinschaft. Statusunterschiede ebenso wie Zugehörigkeit zu einer der Phylen wurden in diesem Falle nicht aufgehoben, sondern blieben durch die Anordnung der Tafel und vielleicht auch durch Qualitätsunterschiede bei Speisen und Wein gewahrt“ (E. Stephan, Honoratioren 138; Text der Inschrift nach B. Laum, Stiftungen I Nr. 102,4).
136 Grundprogramm lukanischer Reziprozität: w\qir und lish|r in der Feldrede (%qwomtar ja· sum]dqour) zu prächtigen Abendessen ein, einmal erging im Laufe seiner vierjährigen Amtszeit eine Einladung an alle Bürger zu einem Mittagessen“43. Ein anderes Mal lässt er während eines Agons, den er selbst sponsert, „an alle Bürger, Metöken und Gutsbesitzer Lebensmittel für die Stadt verteilen, die für das kommende Fest bestimmt waren; pro Mann gab er einen Korb Weizen und einen Viertelliter Wein“ (jat’ %mdqa 6jastom jºvimom se¸tou ja· oUmou Bl¸[mam).44 Die Weizenkorb-Ausgabe verrät „ihr Vorbild in den cenae publicae des Augustus oder des Tiberius“45. Dort waren es sportulae, gefüllt mit Weizen oder später Geld, die bei einem öffentlichen epulum an die Leute verteilt wurden.46 Von Körben (j|vimoi) ist auch im Zusammenhang der Massenspeisung in Lk 9,17 die Rede.47 Hier lagern sich nach der Anordnung Jesu „alle“ (Lk 9,15) zu einem Symposion, der Form des Mahls, die beim paganen Fest eher den privilegierteren Bewirtungen entspricht.48 Dies waren keine karitativen Veranstaltungen, was allgemein für die unter dem Stichwort 1keuheqi|tgr bzw. lecakopq]peia/largitio gekennzeichnete Großzügigkeit gilt, die sich im Euergetismus oder auch in Patronage-Verhältnissen zeigte.49 Was haben die Armen der Seligpreisungen nun mit diesen Verteilungen zu tun? Ein Hinweis liegt möglicherweise in der Phrase „und wenn sie euren Namen als schlecht wegen des Sohnes des Menschen verwerfen“ (ja· 1jb²kysim t¹ emola rl_m ¢r pomgq¹m 6meja toO uRoO toO !mhq¾pou; Lk 6,22). Ist an einen Synagogenausschluss gedacht?50 Zusammenstöße mit jüdischen 43 IG VII 2712,60 f; Übers. P. Veyne, Brot 265; vgl. auch E. Stavrianopoulou, Bewirtung 161 i.d.Anm. 44 IG VII 2712,65 f . Im Heiligtum des Apollo Ptoios speist er in exklusivem Rahmen mit den Vornehmen und deren Söhnen (vgl. Z. 69 f), im Theater lässt er Süßigkeiten in die Menge der Einheimischen und Zugereisten werfen (vgl. Z. 76 f; E. Stavrianopoulou, Bewirtung 174 f). Die Auflistung setzt sich fort, auch seine Frau übernimmt ihren Teil für weibliche Gäste (vgl. Z. 70 f). 45 E. Stavrianopoulou, Bewirtung 179. 46 Vgl. A. Standhartinger, alle 65 f. 47 Mit Blick auf die Parallele in Mk 6,43 vgl. A. Standhartinger, alle 78 f. 48 „Das Besondere der Speiseerzählungen liegt […] in den erzählten Details. Dass hier 4000–5000 Menschen ohne soziale Differenzierung in aristokratischer Weise zu Tisch liegen, dass sie alle ein Zwei-Gänge-Menü aus Brot und Fisch erhalten, das wird in der übrigen Antike nur selten erzählt“ (A. Standhartinger, alle 80). 49 Vgl. zuletzt B.W. Longenecker, Poor 71–74. 50 Vgl. E. Sch rmann, Lk I 335, mit Verweis auf Lk 11,49„ff“; 12,11 f; 21,12; Apg 4,1„ff“; 5,17„ff“; 6,9–8,3; 13,50; 14,2„ff“; 17,5„ff“; vgl. W. Stenger, Seligpreisung 45 und i.d.Anm. Zur Debatte steht, ob hier die zwölfte Benediktion des Achtzehnbittengebets, Birkath-ha-Minim im Hintergrund steht, die auf eine Verfluchung der „Nazarener“, also vermutlich der (gesamten?) Jesusgruppe hinausläuft (vgl. C.K. Barrett/C.-J. Thornton, Texte 244). Dagegen wenden sich I.H. Marshall, Lk 253 und M. Wolter, Lk 250, letzterer mit Verweis darauf, dass hier an allgemeine Ausgrenzungserfahrungen gedacht sei. Fitzmyer lässt die Frage offen (vgl. ders., Lk I 635). Stark für diesen Hintergrund plädiert M.D. Goulder, Lk I 351 f; vgl. auch F.W. Danker, Jesus 141. F. Bovon sieht durch !vyq_fy „die religiöse Exkommunikation aus der Synagoge“ (ders., Lk I 303 i.d.Anm.) bezeichnet, macht aber darauf aufmerksam, dass diese keine soziale Ausgrenzung vorgesehen habe. Wolfgang Stegemann ergänzt, dass weder ein
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Gemeindeautoritäten finden sich bei Lk und in der Apg immer wieder. Der Ausruf des Stephanus etwa am Ende seiner Verteidigungsrede vor dem Synhedrion: „Welchen Propheten haben eure Väter nicht verfolgt?“ (Apg 7,52) stellt entsprechend Lk 6,23d eine Verbindung zum Prophetengeschick her. Kurz darauf werfen sie ihn aus der Stadt hinaus (ja· 1jbakºmter 5ny t/r pºkeyr; Apg 7,58) um ihn zu steinigen. Die Assoziation jüdischer Autoritäten mit den Reichen ist im Kontext des lukanischen Werkes nicht abwegig.51 Mit Wilhelm Bousset ist davon auszugehen, dass hier an das Ausstreichen eines Gruppennamens gedacht ist, allerdings nicht aus einer synagogalen Liste, sondern aus einem irgendwie gearteten Verzeichnis von Wohltatenempfängern, möglicherweise einer Getreideliste.52 Gegenüber einer idealisierten Bewirtungssituation ohne Ansehen der Person, wie sie in Lk 9 geschildert wird, werden die Bettelarmen der Seligpreisungen als Menschensohn-Gruppe aus den Verteilungen ausgeschlossen. Für die Annahme einer Getreideverteilung spricht, dass der Empfang eines überfließenden Getreidemaßes (l´tqom; V. 38) den zweiten Redeteil beschließt und damit nicht nur eine formale, sondern auch eine inhaltliche Klammer den Teil 6,20–38 zusammenhält. Bei den Getreideausgaben im Rahmen von Festen wurde teils schriftlich angekündigt, welchen Gruppen diese zugutekommen sollten,53 jedenfalls inschriftlich festgehalten, damit sanktioniert und zur Nachahmung empfohlen. Wenn Epameinondas seinen Wein und Weizen pro Mann (jat’ %mdqa) ausgab, ist davon auszugehen, dass ein Verzeichnis darüber existierte, welche Männer sich ihre Körbe hier abholen durften. Diese Ausweisdokumente sind bekannt von den regelmäßigen Getreideverteilungen, die es in Rom und vielen Provinzstädten gab.54 Die Einladungen an bestimmte Personenkreise und Gremien sind klar umrissen, und die Menschensohn-Vereinigung fällt hier offenbar durch.55 Diese gruppenspezifische Entehrung hallt nach in 1 Petr 4,14:
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kollektiver noch individueller, etwa nur für die Judenchristen unter den Anhängern der LkGemeinde(n) geltender Synagogenausschluss unterstellt werden sollte. Dazu führt er einerseits die mangelnde Eindeutigkeit des Textbefundes an und andererseits, dass den Synagogen keine „forensische und disziplinarische Autorität bei Lukas“ (ders., Synagoge 97; vgl. 34–36; 91–146) zugeschrieben werde. Werner Stenger drückt es mit Blick auf p²mter oR %mhqypoi (6,26) so aus: „Lk wird damit sicherlich das allen Menschen Verhaßtsein der Christen im Sinn des taciteischen ,per flagitia invisos‘ nicht ausschließen wollen, auch wenn er mit hoi anthropoi, wie aus dem Subjekt des Geschicks der Propheten hoi pateres auton (6,23) hervorgeht, zunächst an die Juden denkt“ (ders., Seligpreisung 46; Hervorhebung im Original). Vgl. W. Bousset, Kyrios 18; vgl. W. Stenger, Seligpreisung 45. Vgl. E. Stavrianopoulou, Bewirtung 163, mit Verweis auf IG VII 2712,71–74, auf IPriene 111,175 f; 118,11–15 und weitere. Siehe Kap. 7.1.3. Zur Definition der Empfängergruppen vgl. P. Schmitt Pantel, Cit 382–408. Die „besondere Bewirtung der Amtsgenossen, Bürger, Epheben und Söhne“ (A. Standhartinger, alle 71) wird z. B. in IStratonikeia 192,3 f hervorgehoben. Schön beschreibt Eftychia Stavrianopolou, wie Epameinondas erst über der Stadt im Apollo-Heiligtum die Magistrate mit Fleisch, altem Wein und Geldspenden bewirtet und dann zum Volk herabsteigt, welches ihn so frenetisch begrüßt,
138 Grundprogramm lukanischer Reziprozität: w\qir und lish|r in der Feldrede „Wenn sie euch schmähen um des Namens Christi willen, glückselig seid ihr“ (eQ ameid¸feshe 1m amºlati WqistoO, laj²qioi). Eine Identifizierung mit Schwachen und Darbenden (vgl. Lk 1,52b.53a) im Rahmen einer Verteilung findet sich zudem im Mittelteil des Marienlobes, der als „unmittelbares Widerlager”56 zu den Seligpreisungen und Weherufen anzusehen ist. Dort finden sich ebenfalls Hungernde und Wohlhabende ein, um Wohltaten (!cah\) in Empfang zu nehmen (Lk 1,53).57 Zusammengefasst ergibt sich: Verteilungsanlässe von Fleisch und Getreide waren, nicht nur aber besonders in kleinasiatischen Städten, durch öffentliche Feste gegeben.58 Bei öffentlichen Banketten für jedermann traten häufig finanzstarke Einzelpersonen als unterstützende oder allein ausrichtende Spender in Erscheinung. Einerseits ist die breite Empfängerbasis und die dadurch entfaltete integrative Kraft dieser Veranstaltungen geltend zu machen, andererseits bildete sich auch hier die soziale Rangordnung deutlich ab: Privilegierte Körperschaften wurden nicht selten gesondert bewirtet, und dem Ehrgeiz (vikotil_a) des zu den Kreisen der Vermögenden (dumato_) gehörenden Spenders musste öffentlich sichtbar Genüge getan werden. Vor diesem Hintergrund gelesen, belobigen die Makarismen eine Gruppe, deren Mitglieder von – regelmäßigen und/oder festlichen – Kornverteilungen ausgeschlossen werden. Besonders im Rahmen öffentlicher Bewirtungen, die wenigstens ideell den Anspruch auf Integration aller beim gemeinsamen Schmaus erhoben, muss der Ausschluss als besonders entehrend empfunden worden sein. Bleibt die Frage nach der Verantwortung derer, die bestimmten, wer aus den Listen gestrichen wurde.
6.2.4 Wozu die Reichen aufgefordert sind Die ratio, die oben beschriebenen Verteilungen zugrunde liegt, führt in das Herz des Euergetismus: Die Motivation zur Großzügigkeit gegenüber der dass er spontan einen weiteren Stier opfern und an die Menge verteilen lässt (vgl. dies., Bewirtung 163 f; IG VII 2712,78–82). 56 M. Wolter, Lk 103. 57 Zum Verständnis von Agath als Wohltaten siehe Kap. 8.3. 58 Neben den Verteilungen zu Festanlässen fanden regelmäßige Ausgaben von Korn und Geld statt. Es gab in Rom ein gesetzlich verankertes System der Kornverteilung an i. d. R. freigeborene Bürger, deren von Zeit zu Zeit schwankende Zahl sich auf 200.000 und mehr belief. Diese waren in Listen eingetragen und erhielten eine Berechtigungsmarke zur Abholung ihrer monatlichen Ration. In anderen Städten (im Osten) des Reiches sind ähnliche Maßnahmen nachzuweisen, die allerdings stärker an das persönliche Engagement lokaler Eliten geknüpft waren. Innerhalb dieser Systeme hatten die verschiedenen Gruppen unterschiedlich guten Zugang zum frumentum publicum (Freigelassene, Bewohner der ländlichen bzw. städtischen tribus), für einige scheint es Sonderregelungen gegeben zu haben (Juden, Reisende). Auch war die Definition der Empfängergruppen prinzipiell veränderbar, wie das Beispiel der Aufnahme freigeborener Kinder durch Trajan zeigt (siehe Kap. 7.1.3).
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Vaterstadt liegt in einer Mischung aus persönlichem Ehrgeiz (vikotil_a), sich durch eine besondere Leistung vor anderen Honoratioren hervorzutun, und dem Wohlwollen (eumoia) den Mitbürgern und der Vaterstadt gegenüber. Beides wird in zahlreichen Ehreninschriften hervorgehoben.59 Daneben mögen Zwang, die Freude sich zu engagieren und wohl auch ein moralisches Verpflichtungsgefühl die Vermögenden bewogen haben sich wohltätig zu zeigen.60 Titel sowie damit verbundene Ehren (tila_), wie die lebenslange Verköstigung im Prytaneion oder ein Ehrenplatz im Theater, kamen ursprünglich Göttern und hellenistischen Herrschern zu und wurden dann auf reiche Bürger übertragen.61 Das Maßnehmen an einstigen Adelstugenden erwirkte ihnen die Zuschreibung von Auszeichnungen wie Wohltäter (e¼eqc]tgr), Gründer im Sinne eines zweiten Stadtgründers (jt_stgr) oder eben Retter (syt^q).62 Unter den Bedingungen einer Schamkultur wie der griechisch-römischen war es für die Ehrenleute wichtig, ihre soziale Rolle durch öffentlichkeitswirksame Freigebigkeit (1keuheqi|tgr/largitio) vor den Peers und dem Stadtvolk zu bekräftigen.63 „Wem vom Rat und Volk offizielle Ehrungen zugesprochen wurden, konnte darin gewissermaßen ein Zertifikat über seine Zugehörigkeit zu den besten Kreisen erblicken.“64 Für die Festmähler der Kaiserzeit bedeutet das, dass sich ihr Charakter veränderte: Der Akzent lag nicht mehr auf der Gleichheit der freien Polisbürger, vielmehr wurde durch die offenen wie geschlossenen Bankette „eine hierarchische Gesellschaftsordnung inszeniert“65. Darin spielten die Mitglieder der jeweiligen Ratsversammlung (bouk^) eine zunehmend wichtige Rolle als sozial, 59 „Die Inschriften sprechen nicht nur von der Philotimie, sondern auch sehr oft von dem ,Wohlwollen‘ gegenüber dem Volk bzw. der Gemeinde. Dieser Ausdruck ist nicht ausschließlich als eine höfliche Floskel anzusehen. […] Man darf den Honoratioren auch eine aufrichtige Anteilnahme an den Bedürfnissen des Gemeinwesens unterstellen. Viele ihrer Leistungen, insbesondere bei den Bauten, hatten nicht nur den Zweck, das persönliche Ansehen zu heben, sondern der Heimatstadt, etwa im Hinblick auf andere Städte, zu einem glänzenden Erscheinungsbild zu verhelfen. Ferner dürften ihre Anstrengungen als Privatleute und Beamte, die städtischen Märkte mit billigem Brotgetreide zu versorgen auch von einer gewissen ,sozialen‘ Fürsorglichkeit inspiriert gewesen sein“ (F. Quass, Honoratiorenschicht 301). Vgl. zudem I. Kralli, Athens and the Hellenistic Kings (338–261 B.C.): the Language of the Decrees, in: TCQ 50 (2000) 113–132, 121; A. Zuiderhoek, Politics 123. Zu eumoia als Pendant zu voluntas vgl. J.E. Lendon, Empire 156. 60 Zur Gemengelage bzgl. der Motivation zu Wohltätigkeit siehe Kap. 1.4. 61 Vgl. F. Quass, Honoratiorenschicht 35. 62 Vgl. F. Quass, Honoratiorenschicht 34; S. Dmitriev, City 176 f; 325; A.D. Nock, Soter. Zur Erschwinglichkeit solcher Tugenden meint aus römischer Perspektive Wolkenhauer: „Weder suffragatio noch patrocinium noch liberalitas waren in der Kaiserzeit noch exklusiv senatorische Betätigungen. Ritterliche Funktionsträger, kaiserliche Freigelassene und, was die liberalitas angeht, jeder irgendwie Reiche konnten sich deren Symbolik zu Eigen machen. So kam Wohltaten Bedeutung zu bei der Symbolisierung von ,weichem Status‘, von einer unspezifischen Prominenz in der römischen Aristokratie“ (ders., Schrift 333). 63 Siehe Kap. 1.2. 64 E. Stephan, Honoratioren 330; vgl. auch S. Dmitriev, City 169. 65 A. Standhartinger, alle 67.
140 Grundprogramm lukanischer Reziprozität: w\qir und lish|r in der Feldrede wenn auch nicht rechtlich von den übrigen Bürgern unterschiedene Honoratioren.66 Die reichen Jünger der Weherufe streben, so der Vorwurf, ebenfalls nach öffentlichem Ansehen, statt der Aufforderung nachzukommen, sich um ihre armen Mit-Jünger zu kümmern. Aufschlussreich ist Lk 6,24: 24
Pkµm oqa· rl?m to?r pkous¸oir, fti !p´wete tµm paq²jkgsim rl_m.
Gewöhnlich wird (wie in der Neuen Zürcher) übersetzt: „Doch wehe euch, ihr Reichen – ihr habt euren Trost schon empfangen.“ Die Wendung fti !p´wete tµm paq²jkgsim rl_m ist weiterführend, wenn paq\jkgsir entweder mit Einladung oder mit Aufforderung statt mit Trost übersetzt wird. Zur ersten Möglichkeit: Wie in der Erzählung vom Reichen und armen Lazarus, wo dieser von Abraham an dessen Tafel gebeten wird (vgl. Lk 16,25d), könnte auch hier an eine Einladung gedacht sein, die die Reichen dem Wehe zufolge bereits eingelöst und damit hinter sich haben. Im Sinne der obigen Differenzierung bei den Bewirtungen wären hier diejenigen angesprochen, die gewohnt sind, nicht nur auf der Agora ihren Getreidekorb entgegenzunehmen, sondern v. a. zu den nicht-öffentlichen Teilen der Feste für besondere Gästegruppen eingeladen zu werden, sprich: sich in den Versammlungsräumen der prestigeträchtigeren Vereinigungen (bouk^ oder ceqous_a etc.) zu stättigen und vergnügen (vgl. Lk 6,25a.c). Im Sinne einer erinnernden Drohung wäre dann zu übersetzen „…weil ihr eure Einladung weghabt.“ Doch auch die Verwendung von paq\jkgsir im Sinne einer Aufforderung ist in politischen Zusammenhängen verbreitet und muss als Möglichkeit bedacht werden.67 Von Arat heißt es bspw. bei Plutarch, dass er nach Nemea ging und dort für sein kriegerisches Vorhaben „Zusagen und Aufforderungen machte“ (rposw]seir te ja· paqajk^seir 1poi^sato; Arat 7,1).68 Die paq\jkgsir ist hier umgekehrt als die Aufforderung an die Adresse der Wohlhabenden aufzufassen, sich finanziell zu engagieren. Beides kommt bei Arat zusammen, 66 Vgl. S. Dmitriev, City 171 f; A. Zuiderhoek, Politics 60–66. 67 Die schlichten und armen Leute folgen Theseus paq\jkgsir, Attika zu einem Staat zusammenzufassen (vgl. Plut., Thes 24,2). Paqajk^seir sind die politischen Forderungen des Curio (im Auftrag Caesars, vgl. Pomp 58,3). Plutarch meint, „der wahre Staatsmann […] zeigt, dass er ein waches Auge für das Gemeinwesen hat, dass er bei besonderen Veranlassungen oder auf Einladung bzw. Aufforderung, nicht des Vorsitzes wegen (fpou spoud^ tir C paq\jkgsir di± t¹ pqyte?om) ins Theater oder in den Ratsaal geht“ (An Sen Resp 796F). Nach Josephus unternimmt Moses einen Feldzug, nachdem er dazu aufgefordert oder gebeten wurde (paqajkghe_r; Ant II 243). Als Bitte im allgemeinen Sinne vgl. Plut., Rom 15,4; Pomp 73,6. Unklar, evt. im Zusammenhang mit einer politischen Geldzahlung: Mul Virt 257C. Aus dem politischen in den Bereich des Gastmahls übertragen: Quaest Conv 620A. 68 Die Wortpaarung paq\jkgsir und rp|swgsir taucht auch in einer Rede Dions von Prusa vor der Volksversammlung auf (Or L 8): Die Mitbürger werden gelobt, dass sie sich Bitten und Versprechen von niemandem zwangsweise abpressen lassen. Im Zusammenhang mit Ausgaben zu Kriegszwecken steht rp|swgsir auch bei Demosth., Or IV 15.
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der einerseits selbst seinen Beitrag für den Kriegszug verspricht, um durch sein gutes Beispiel andererseits weitere Gelder einzuwerben. Die rp|swgsir oder 1paccek_a bzw. pollicitatio war das öffentliche Versprechen eines Honoratioren, sich an den Kosten für öffentliche Projekte oder auch die eigenen Ehrungen zu beteiligen. Es war nicht ungewöhnlich, im Falle des Geldbedarfs für öffentliche Gebäude oder andere Zwecke die Sammlung freiwilliger Beträge zu beschließen. Die „Zusage“ (1paccek_a) bzw. das „Versprechen“ (rp|swgsir) eines Geldbetrages, eines Baues oder anderer Leistungen wurden von den Betreffenden in der Volksversammlung abgegeben und dann schriftlich hinterlegt.69
Mancher Honoratiore musste „von seinen Mitbürgern dazu aufgefordert (paqajkghe_r, !niyhe_r)“70 werden sich wohltätig zu engagieren. Dass jemand öffentlich gebeten worden war, wurde ehreninschriftlich in Phrasen wie paqajkghe·r rp¹ toO d^lou o. ä. vermerkt – und selbstverständlich, dass er dieser Bitte dann auch nachgekommen war.71 Das scheint aber nicht selbstverständlich gewesen zu sein, da ein Wohltäter nicht selten Leistungen in Aussicht stellte, sich mit der Einlösung seines Versprechens aber Zeit ließ und zugleich bereits Privilegien wie etwa Steuerfreiheit genoss.72 Auch die Reichen der Weherufe ließen sich anscheinend bitten, ja schlügen nach dieser Lesart die Aufforderung sich materiell zu engagieren ganz aus. Die aktive Zurückweisung kann durchaus mit !p]wy ausgedrückt werden, was auch „fernhalten“ bedeuten kann.73 Der Teilvers würde demnach lauten: „…weil ihr eure Aufforderung fernhaltet“ oder „euch vom Leib haltet“. 69 F. Quass, Honoratiorenschicht 373; vgl. auch J. Ma, Statues 237; J. Bartels, Eliten 155 f. John S. Kloppenborg bringt mit der Kollekte für Jerusalem zudem den Begriff der 1p_dosir in Verbindung, „einer Praxis von Städten und Vereinen zur Beschaffung von Geldmitteln für außerordentliche Projekte, die anders als das Patronatsverhältnis zur Beteiligung aller Mitglieder einer Bürgerschaft oder Vereinigung beitrug, indem von jedem Einzelnen nur kleine Beiträge erwartet wurden“ (ders., Aspects 153). 70 F. Quass, Honoratiorenschicht 301. 71 Bzgl. eines Prytanis aus Karistos (Eigenname) wird von den Athenern beschlossen, dass, „da er, von dem Volk gebeten (paqajkghe·r rp¹ toO d^lou), sich selbst bereitwillig eingebracht hat für den gemeinsamen Nutzen der Stadt und […] auf kein Vermögen und keinen Aufwand Rücksicht nahm […], wolle beschließen der Rat: […] dass man belobige Prytanis S.d. Astyleides aus Karystos und ihn bekränze mit goldenem Kranz […] und diesen Kranz verkündige an den Dionysien in der Stadt bei der Tragödien-Uraufführung und an den Panathenäen bei dem Sportwettkampf“ (IG II/III3 1,1147,13–38; 225/224 v. Chr., Übers. K. Hallof). Vgl. zudem IG XII 6,1,145,5 (2. Jh. v. Chr.); IPriene 47 (200 v. Chr.) u.v.m. Vgl. zudem F. Quass, Honoratiorenschicht 300 f; 197, mit Verweis auf SEG 13,390; IG XII 3,1270,12 f. 72 Werner Eck schildert den Fall eines M. Laelius Atimetus, der seiner Stadt Puteoli ein Gebäude stiftete, wobei die Stiftung allerdings erst nach seinem Tod wirksam wurde. Damit erreichte er zu Lebzeiten Grundsteuerfreiheit und evt. sogar Einnahmen aus dem Gebäude (vgl. ders., Euergetismus 327 f). Siehe auch den Vorwurf an den Jäger in Dio Chrys., Or VII 27. 73 Axel Horstmann ist freilich der Ansicht: „Die akt. Bedeutung fernhalten (zuerst Hom Il 6, 96) kommt im NT nicht vor“ (ders., Art. !p]wy, in: EWNT I, 288–290, 289; Hervorhebung im Original).
142 Grundprogramm lukanischer Reziprozität: w\qir und lish|r in der Feldrede Lk würde die Reichen also für ihre mangelnde Bereitschaft zur Verausgabung kritisieren. Nach äußeren Maßstäben scheint das aber nicht der Fall zu sein, denn die Reichen stehen „bei allen Menschen“ (6,26a) – denen außerhalb der Christus-Gruppe – in höchstem Ansehen (vgl. V. 26a). Dieses Ansehen würde eher gefährdet, wenn sie der lukanischen paq\jkgsir nachkämen, die sich auf die Armen in der neuen Volksversammlung bezieht.74 Sich mit einer Gruppe zu assoziieren, die aus allen städtischen Fest- und Verteilungskontexten ausgeschlossen war, dürfte sich nicht unbedingt positiv auf das Sozialprestige auswirken.
6.2.5 Seligpreisungen und Weherufe im zeitgenössischen Wohltätigkeitsdiskurs Gruppen wie jene, die nach Auskunft der Apostelgeschichte in Antiochien erstmals Wqistiamo¸ (11,26) genannt werden, sind anscheinend in den Städten nicht gut angesehen. Vielmehr werden ihre Mitglieder oder Teile davon gesellschaftlich geächtet. Wenn auf der Agora oder an der Bildsäule eines verdienten Mitbürgers Getreide ausgegeben wird, brauchen sie erst gar nicht zu erscheinen, denn sie sind aus allen Listen gestrichen oder waren nie darin verzeichnet. Die Armen unter ihnen sind keiner der mehr oder weniger anerkannten Vereinigungen zuzuordnen, die zumindest außer der Reihe etwas bekommen: Weder gehören sie zu den Kynikern noch zu den bettelnden Kybele-Priestern, denen man aus religiösen Gründen, vielleicht im Gegenzug für eine Prophezeiung oder wegen ihres einschüchternden Verhaltens etwas gibt.75 Finden sich Mitglieder der Gruppe des Menschensohnes bei einem Fest ein, werden sie öffentlich gedemütigt, bestenfalls verweigert man ihnen den Getreidekorb, den alle anderen bekommen. So oder ähnlich ließe sich die Situation derer umschreiben, die von Lk kontrafaktisch als laj\qioi – nach Ijob 29,10 f als prosperierend und angesehen apostrophiert werden.76 Bei Dion von Prusa bezeichnet der Begriff Leute mit so vielen Gütern, dass sie der Allgemeinheit davon etwas abgeben 74 Paul Trebilco spricht in Bezug auf die Eigenbezeichnung der frühen Christen als 1jjkgs_a von einer „linguistic necessity“ (ders., Christians 454). Da der Terminus sumacyc^ bereits durch die jüdischen Gemeinschaften besetzt war, sei man auf den Septuaginta-Terminus 1jjkgs_a ausgewichen. Dass dieser Begriff in den Auseinandersetzungen mit den zivilen Volksversammlungen einen eigenen Klang bekommt, muss dem nicht widersprechen. 75 „The itinerant priests of Cybele were supported by the alms of the populace to which they apparently had a religiously sanctioned right […]. Cynic philosophers were linked by Epictetus to the begging priests of Cybele by their comparable dress and bad behaviour“ (A. Parkin, Service 67, mit Verweis auf Ap., Met VIII 26–28; Epict., Diss IV 8,4–6). Warum für das Umfeld der Lk-Gemeinde(n) keine Bettelarmen mehr anzunehmen sein sollten, leuchtet nicht ein (vgl. L. Schottroff/W. Stegemann, Jesus 119; 142; 148 u. ö.). 76 Vgl. J.A. Fitzmyer, Lk I 663, der zudem verweist auf Sir 26,1; Ps 126,3–5 LXX.
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müssen.77 Die so Angesprochenen sollen nicht als gnädig gelittene Sonderlinge auch noch in die Fest- und Verteilungsgemeinschaft hereingeholt werden, in die z. T. ja auch die Sklaven integriert wurden: Die Versammlung zu einem schlichten Frühstück signalisierte ihnen, dass sie dazu gehörten und zugleich, wo ihr Platz in der städtischen Fest- und Rangordnung war. Die bettelarmen Jesusjünger sollen vielmehr vor Freude tanzen, weil sie Teil einer anderen Festgemeinschaft, nämlich der Königsherrschaft Gottes sind. Damit ist Lk zufolge die Teilnahme an einem exklusiven Triklinium gemeint, bei dem sie die prestigeträchtigsten Plätze einnehmen, wie nicht zuletzt die Einladung Lazarus’ an die Tafel Abrahams zeigt (vgl. Lk 16,25d). Sie werden sich zu einem Gastmahl in bester Gesellschaft lagern (!majkih¶somtai; Lk 13,29b), genau wie die Propheten, mit deren Schicksal ihre aktuelle Schmähung sie verbindet (vgl. Lk 6,23d; 13,28b).78 Mit den Makarismen werden sie nicht etwa in einen Reziprozitätskontext hinein argumentiert, in dem sie nach griechisch-römischer wie allgemein menschlicher Auffassung wenig bis nichts zu bieten haben. Dieser Gruppe wird vom lukanischen Jesus der Vorzug vor allen anderen und ein Lohn im Himmel in Aussicht gestellt (vgl. 6,23b). Diesen gibt es nicht dafür, dass sie sich vor den Mitmenschen Ehren verdient hätten, sondern weil sie von ihnen entehrt werden. Damit werden gängige Auffassungen von Ansehen und Ehre plakativ und vollständig umgekehrt. Die Evozierung eines derartigen Phantasiegebildes könnte allenfalls Mitleid hervorrufen, wenn als alleinige Adressaten die ptywo¸ auszumachen wären. Wie oben erläutert zielt die Pragmatik aber auf das Verhalten der Reichen. Diese werden gerügt ob ihrer mangelnden Bereitschaft, Leistungen für ihre Mitmenschen zu erbringen, was gängigen Kritikmustern am Verhalten widerwilliger Euergeten zu entsprechen scheint. Doch schon formal fällt auf, dass die Lk-Passage sozial gesehen nicht von oben nach unten bzw. von Geberzu Empfängerseite voranschreitet, wie selbst der denkerisch radikale Traktat Senecas zum Thema Wohltaten, sondern umgekehrt.79 Auch inhaltlich werden antike Erwartungshaltungen bezüglich Euergetismus und Reziprozität allgemein gesprengt: Die Auffassung, dass eine Gabe zu erwidern war, stellte Bettelarme außerhalb der normalen Austauschverhältnisse. Ihnen als einer distinkten Statusgruppe helfen zu müssen, war nach diesem Denken entsprechend nicht oder zumindest nicht explizit als moralische Norm verankert. Doch ist dieser Geist, epigraphisch gesprochen, zwar in Stein gemeißelt, aber nicht unwandelbar: Das politisch-kulturelle Klima änderte sich infolge der neuen Gesellschaftsordnung. Die Mechanismen, nach denen die Eliten 77 Der Jäger in Dions Euboikos sagt: „Ach, hätten wir doch all diese guten Dinge (!cah\´ ) […], damit wir euch davon etwas abgäben und unsererseits zu den reichen Leuten (lajaq_ym) gehörten“ (Dio Chrys., Or VII 104; Übers. G.A. Lehmann); vgl. auch den Kommentar zur Stelle: G.A. Lehmann, Armut 98. 78 Nur Lk erwähnt die Propheten; siehe Kap. 9.1. 79 Zu der Gliederung von Sen., Ben und der Tendenz Senecas, immer wieder auf die Geberseite zu kommen, siehe Kap. 2.1.
144 Grundprogramm lukanischer Reziprozität: w\qir und lish|r in der Feldrede sich im Zweifelsfall finanziell zu ruinieren hatten, um sich Ehre zu erwerben, wurden in Frage gestellt, die Gehalte des Ehrenhaften neu definiert: im Sinne von Gesinnungsorientierung und Frugalität. Das scheint auch darin begründet, dass die Verbindung zwischen Ehrenhaftem (honestum) und realpolitischem Nutzen (utile) im Prinzipat diffuser geworden war. Überkommene Formen der elitären Selbstrepräsentation, z. B. in öffentlichen Verteilungssituationen, waren habituell verankert und wurden noch symbolisch-ästhetisch ausgebaut, waren jedoch teilweise ihres instrumentellen Gehaltes beraubt:80 Es gab die Karrierewege für provinzielle Eliten nach Rom, bei denen es gelang, das euergetische Engagement in politisches Fortkommen umzumünzen.81 Doch ebenso gut konnte sich ein Lokalpolitiker fragen: „Was für eine Macht ist das, die ein kleines Edikt des Konsuls zunichte machen oder auf einen anderen übertragen kann“ (Plut., Praec Ger Reip 824F)? Im Rahmen eines Bedeutungswandels des Ehrenhaften kamen auch soziale Gesichtspunkte stärker in den Blick.82 Verteilungen von Nahrungsmitteln etwa werden von Plinius d.J. durchaus daran gemessen, ob sie auch den Schwachen zugute kommen (Paneg 26,5; 28,4),83 das Betteln etwa im philosophischen oder religiösen Gewand (Kyniker, Kybele-Priester) war in gewisser Weise legitimiert. Den Ehrenstatus der Vermögenden davon abhängig zu machen, inwiefern sie sich mit Bettelarmen gemein machen, scheint jedoch in diesem Wertekosmos, auch unter Berücksichtigung seines Wandels, nicht angesiedelt zu sein. Lk scheint auch nicht Frugalität im Sinn zu haben, wenn er über einen, der auf der Geberseite anzusiedeln ist, sagt: „Nein, wenn du ein Gastmahl gibst, dann lade Arme (ptywo}r), Verkrüppelte, Lahme und Blinde ein. Und du wirst selig sein, weil sie nichts haben, es dir zu vergelten“ (ja· laj²qior 5s,, fti oqj 5wousim !mtapodoOma¸ soi; Lk 14,14). Nur mit Blick auf die Vergeltung bei der „Auferstehung der Gerechten“ ist die Belohnungsperspektive verständlich, die hier den Makarismus eines Besitzenden begründet. Seliggepriesen werden die Reichen nur dann, wenn sie der Aufforderung nachkommen, die Situation ihrer bedürftigen Glaubensgeschwister zu verbessern, anstatt bei den Menschen außerhalb der Menschensohn-Gruppe nach Ansehen zu eifern.
80 Zu Bedeutungszunahme und Funktionsverlust auf der Ebene von Patron-Klienten- und amicitia-Verhältnissen vgl. A. Winterling, Freundschaft; siehe Kap. 4.3. 81 Siehe Kap. 1.4; 5.2. 82 Vgl. G.A. Lehmann (Hg.), Armut; bes. den Beitrag E. Herrmann-Otto, Armut. 83 Insofern ist Anneliese Parkin nicht ganz zuzustimmen, dass Wohltätigkeits- und Almosendiskurs gänzlich zu trennen sind (vgl. dies., Service 61).
Feindesliebe, Goldene Regel und Konkretisierungen
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6.3 Feindesliebe, Goldene Regel und Konkretisierungen (Lk 6,27–38) 6.3.1 Textanalytische Bemerkungen Die Struktur könnte eindeutiger sein, verschiedene Untergliederungen sind möglich.84 Imperative in Gebots- und Verbotsform sind unregelmäßig wechselnd an Adressaten in zweiter Person Singular und Plural gerichtet, durchbrochen von Konditionalsätzen und Verheißungen im Futur.85 Es gibt Motivverknüpfungen, die über den Gliederungsabschnitt hinaus in den vorigen weisen, wie das Motiv vom Lohn (lish¹r rl_m; V. 23c.35e) oder der Kornverteilung, die wie gezeigt beide Redeteile rahmt (vgl. Lk 6,22c.38c–f). Auch auf die Anrede der Zuhörenden (V. 27a) wird erst im dritten Teil tiefer eingegangen (vgl. V. 46–49). Die Parallelismen selbst sind hingegen streng durchkomponiert: Das erste Verb definiert die generelle Handlung, die durch die parallel nachfolgenden präzisiert wird: !cap÷te to»r 1whqo»r rl_m (V. 27b) wird konkretisiert durch jak_r poie?te, eqkoce?te, pqose¼weshe, p²qewe, lµ jyk¼s,, d¸dou, lµ !pa¸tei (V. 27c–30). Entsprechend wird verfahren bei der Näherbestimmung von !cap÷te to»r !cap_mtar rl÷r bzw. to»r 1whqo»r rl_m durch !cahopoi/te und dam¸fete (V. 32–34.35), sowie schließlich bei der Aufforderung C¸meshe oQjt¸qlomer, die aufzufassen ist als lµ jq¸mete, lµ jatadij²fete, !pok¼ete und d¸dote (V. 36–38a). Mit Blick auf den ganzen Redeteil ist sinnvollerweise von drei Teilabschnitten auszugehen, nämlich (1) V. 27b–30 oder 31, (2) V. 32–35, und (3) V. 36–38, wobei die sog. Goldene Regel (V. 31) das Verbindungsstück zwischen dem ersten und zweiten Unterabschnitt bildet, die Lohnperspektive mit Ver84 I.H. Marshall nimmt eine Unterteilung in drei Abschnitte, V. 27–31; 32–36 und V. 36[sic]–38 vor. Handelt der erste Teil von Feindesliebe der Jünger gegenüber den sie Hassenden, spricht der zweite vom Lohn dieser Art Liebe, und dass sie sich von der Handlungsweise der Sünder abhebt. Im dritten Teil schließlich wird Zurückhaltung im Urteil über andere und reichliches Geben angemahnt, das mit ebensolchem Empfang von Gott verknüpft wird (vgl. ders., Lk 257). Danker zufolge werden hier grundsätzlich zwei Themen verhandelt, nämlich (1) „generosity in love“ (V. 27–35), und (2) „on judging others“ (V. 36–38; vgl. ders., Jesus 143–153). Bovon sieht eine konzentrische Komposition, deren Zentrum der „Vergleich mit den Sündern (VV 29–30)“ und die „Eigenart der Christen (V 35)“ (ders., Lk I 309) darstellen. Nach J.B. Green sind zwei Sinneinheiten abzugrenzen: Die erste (V. 27–31) beschreibt die im Sinne der Botschaft Jesu ideale Reaktion auf ein Verhalten, das in der zweiten Einheit (V. 31–38) näher charakterisiert wird. „‘Love your enemies’ is the heading for all behavior, but this is amplified as ‘doing good’ and as giving (true) gifts“ (ders., Lk 270). 85 Den auf die Redeeinleitung folgenden vier Imperativen in zweiter Person Plural (V. 27b–28) folgen vier in zweiter Person Singular (V. 29 f). Sind die Ihr-Imperative als Gebote formuliert, wechseln sich bei den Du-Imperativen Gebot und Verbot zweimal ab. Die Goldene Regel in positiver Form (V. 31) und der darauffolgende Teil V. 32–38 ist dann wieder ganz auf eine Adressatengruppe in zweiter Person Plural gerichtet.
146 Grundprogramm lukanischer Reziprozität: w\qir und lish|r in der Feldrede weis auf die wqgst|tgr Gottes (V. 35e–g) wiederum Unterabschnitt (2) und (3) verzahnt.86 Die Adressaten von Abschnitt (1) werden als Gehasste, Verfluchte und feindselig Behandelte (lis]y, jataq\olai, 1pgqe\fy; V. 27e.28b.d) charakterisiert.87 Sodann wird in zweiter Person Singular jemand angesprochen, der geschlagen, von dem etwas gefordert und dessen Eigentum genommen wird, konkret der Mantel (t}pty, aUqy, aQt]y; V. 29a.c.30a.c). Dieser erste Abschnitt ist demnach an Menschen gerichtet, die Feindseligkeit und Enteignung erdulden, was impliziert, dass sie etwas ihr eigen (t± s\) nennen können.88 Die im Folgeteil (2) adressierte Gruppe – ganz in zweiter Person Plural stehend – zeichnet sich durch ihre Fähigkeit zur Wohltätigkeit (!cahopoi]y) und zum Geldverleih (dam_fy) aus. Der im letzten Abschnitt (3) apostrophierte Personenkreis kann be- und verurteilen (jq_my, jatadij\fy), was nicht dasselbe bedeutet, wie noch auszuführen ist.89 Zudem sind die hier Angeredeten in der Lage zu erlassen und zu geben (!pok}y, d_dyli; V. 86 Der erste Teil umfasst die Forderung zur Feindesliebe und deren Konkretisierungen (V. 27b–30). Die Goldene Regel in V. 31 als Verbindungsstück (vgl. M. Wolter, Lk 255), weist zurück und voraus auf den zweiten Teil (V. 32–35), welcher suggestiv nach der w\qir fragt, die sich aus der Praktizierung des Gegenseitigkeitsethos ergibt. Dieser endet mit der Lohnverheißung für die Durchbrechung dieses Ethos in V. 35e–f, plus Begründung (V. 35 g). Teil Drei (V. 36–38) schwenkt zurück auf eine Reihe von Imperativen (diesmal fünf), die zur Barmherzigkeit auffordern und das konkretisieren (V. 36–38b). Wie der vorige mündet auch dieser Teil in eine Verheißung (V. 38c–f), der eine Begründung folgt (V. 38 g–h). 87 Das Verb 1pgqe\fy wird in 1 Petr 3,16 für Menschen benutzt, die den Lebenswandel in Christus schlechtmachen. Es kann feindseliges Verhalten sowohl gegenüber Armen als auch sozial Hochstehenden bedeuten (vgl. Plut., Alc et Marc Cor 3,3,3: to?r p]mgsim 1pgqe\fym; Tit Flam 18,2: 1pgqe\fym to?r !qistojqatijo?r). Demnach ist 1pgqe\fy kein spezifisches Verfolgungsvokabular (gegen I.H. Marshall, Lk 260). 88 Das macht sie aber noch nicht zu Reichen, selbst Bettler haben schließlich Mäntel! Ebner meint dagegen mit Verweis auf !cap÷te to»r 1whqo»r rl_m (V. 27c.35) als eine den Zwischenteil rahmende inclusio, der Zwischenraum und schon die Redeeinleitung in V. 27a seien insgesamt an die Reichen adressiert (vgl. M. Ebner, Solidarität 303). Der erste Teil zielt jedoch m. E. nicht (primär) auf Reiche, sondern auf Opfer der beschriebenen Ausdrucksformen von Zurückweisung: Hass, Verfluchung und feindliches Verhalten könnten Reiche gewiss erdulden, aber werden sie auch geschlagen, kann man ihnen den Mantel und „das Ihre“ einfach wegnehmen (vgl. V. 29 f)? Immerhin: Einem sozial Höhergestellten drohen Schläge innerhalb der fiktiven Erzählung von der Witwe und dem skrupellosen Richter (vgl. Lk 18,1–5). Die Schwierigkeit Besitzverhältnisse einzuschätzen, wird schon in der zeitgenössischen Literatur thematisiert, etwa bei der Situationsbeschreibung des Jägers in Dions Euboikos (vgl. Dio Chrys., Or VII): Dieser, der laut eigener Aussage nur etwas Land und ein paar Hirschfelle besitzt, wird von einem Redner der Volksversammlung für reich erklärt, um ihn zu erheblichen Abgaben an die Öffentlichkeit zu nötigen (vgl. Or VII 21–49). Green behauptet bzgl. des Sozialstatus der in V. 27–38 impliziten Adressatengruppen: „The unfolding sermon further identifies Jesus’ audience as persons of some means – that is, as persons with shirt and coat, with goods that might be stolen, as people capable of loaning to others. Even if some within the audience are destitute, and even if the assertion of the principle of generalized reciprocity is more important than the actual possibility of exercising patronage over another […], Jesus’ point is particularly germane to those who understand it best – namely, those in a socio-economic position that renders them susceptible to theft and capable of lending“ (ders., Lk 271). 89 Siehe Kap. 6.3.8.
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37e.38a). Die Semantik des Redeteils lässt klar erkennen, dass Feindschaft hier nicht politisch, sondern sozial, hinsichtlich dessen was man gibt oder empfängt, zu verstehen ist. Die zuerst adressierte Gruppe der Opfer von Misshandlung und Zwangsvollstreckung wird zur Feindesliebe aufgerufen, verstanden als Wohltätigkeit an den sie Drangsalierenden. Ein Anreiz oder benefit für diese extreme Handlungsanweisung wird – einigermaßen erstaunlich – nicht geboten. Die Wohltäter und Geldverleiher der zweiten Gruppe sollen ebenfalls ihre Feinde lieben, ihnen wohltun und leihen. Dafür werden ihnen Lohn und Gottessohnschaft verheißen. Im dritten Teil schließlich kommen die Rollen in Bewegung: Angesprochen sind wieder diejenigen mit Geberpotential. Unter der pro-treptischen Überschrift barmherzig zu sein (c¸meshe oQjt¸qlomer; V. 36a) entscheidet sich ihr Schicksal daran, ob sie ihr Gegenüber zu Empfängern oder Opfern machen: Ihre Handlungen in Form von Be- und Verurteilung oder Erlassen und Geben, fallen dabei eins zu eins auf sie selbst zurück. Die Entwicklung über drei Etappen lässt sich grob in folgendem Schema zeigen: Tabelle 4: Entwicklung des Austausches in Lk 6,27–38 Teilabschnitt
Bezugsfeld
Rolle des Adressaten
Gegenüber
Anweisung
Perspektive
(1) V. 27b–30
Drangsalierung & Enteignung
Opfer
Feinde
Gutes tun
?
(2) V. 32–35
Wohltätigkeit & Leihe
Geber
Empfänger, vergeltungsfähig
–
–
Feinde, vergeltungsunfähig
Gutes tun
Lohn, Sohnschaft des Höchsten
Empfänger oder Opfer
Urteilsverzicht, Erlassen, Geben
Vergeltung entspr. eigener Handlung: Opfer oder Wohltatenempfänger
(3) V. 36–38
Wohltätigkeit & Leihe/Verurteilung
Täter oder Geber
Es wird deutlich: Beide Seiten, einander als Feinde vorgestellt, sind zur Überwindung dieser Feindschaft aufgerufen. Überraschenderweise werden zuerst die Opfer zu proaktiver !c\pg gegenüber den Tätern ermuntert. Die textliche Leerstelle, die beim Lohn für die Gruppe der Gehassten und Geschlagenen klafft, zeigt jedoch: Eine Perspektive für diese Opfer kann es nur geben, wenn die zweitgenannte Gruppe sich dafür entscheidet, ihnen als freundliche Geber und nicht als fordernde Feinde entgegenzutreten.90 Um ein solches Verhalten zu motivieren, werden ihnen sowohl Lohn als auch Ehre in Aussicht gestellt. Zudem wird angedroht, dass sich Geber, die ihre Macht zur Drangsalierung missbrauchen, in der Rolle der von ihnen Misshandelten 90 Wird die erstgenannte Gruppe mit den Armen in Lk 6,20–23 identifiziert, ist freilich bereits lish¹r rl_m pok»r 1m t` oqqam` verheißen.
148 Grundprogramm lukanischer Reziprozität: w\qir und lish|r in der Feldrede wiederfinden werden (vgl. V. 36–38). Was sie dann zu erleiden hätten, wissen die Geber aus den plastischen Schilderungen von Hass und Gewalt des ersten Teils, die sie mitgehört haben (vgl. V. 27a). Wenn sich beide Seiten im Sinne der Feindesliebe buchstäblich maßlos verhalten, befolgen sie exakt die Regel, die als Scharnier zwischen den Teilen steht: Sie handeln am anderen ebenso, wie sie selbst gern behandelt würden (vgl. V. 31).91 Die Verheißung des überfließenden Maßes gilt daher wohl beiden Gruppen (vgl. V. 38). Engagieren sich die Geber zugunsten der Empfänger nicht aus Ehrgeiz oder Gewinnstreben, sollen sie es zumindest deswegen tun, um nicht selbst als sozialer Feind auf der unterlegenen Seite zu stehen. Eine Frage bleibt offen: Sind die angesprochenen Geber dieselben, welche die erstgenannte Gruppe hassen? Ist die Geberseite von Teil (2) für die in Teil (1) geschilderten Misshandlungen verantwortlich? Das wird auf der Textebene offengelassen. Die als Wohltäter und Darlehensgeber Apostrophierten sind aber dafür verantwortlich diese Situation zu beenden. Diese suggestive Offenheit entspricht der in den Makarismen und Weherufen, ebenso wie dem unterdefinierten bzw. Nicht-Verhältnis zwischen dem Hausherrn und den um Einlass Bittenden in Lk 13,22–30 sowie dem Reichen und Lazarus (Lk 16,19–31).92 Unter Einbeziehung der Ergebnisse des vorigen Teils lässt sich festhalten, dass die reichen Jünger ihr Handeln nicht an „den Menschen“ (Lk 6,26), also daran ausrichten sollen, was ihnen außergemeindliches Ansehen bringt. Statt bedürftige Jünger zu Opfern ihrer Gewinninteressen zu machen, sollen sie sich ihnen gegenüber als freundliche Geber präsentieren. 6.3.2 Die soziale Feindschaft zwischen Gläubiger und Schuldner Zur Verortung der lukanischen Feindesliebe ist Ebners oben zitierte Behauptung, die Feinde der Reichen seien die Armen, zu reformulieren: Die Feinde der Gläubiger sind die Schuldner.93 Die Gläubiger haben es v. a. in der 91 Wolter stellt bzgl. der Goldenen Regel klar, „ihr zufolge soll der Maßstab des eigenen Handelns nicht das sein, was ,die Menschen‘ den Hörern der Worte Jesu de facto antun, sondern die Art und Weise, wie diese von jenen behandelt zu werden wünschen“ (ders., Lk 258; Hervorhebung im Original). Das bedeutet, dass auch der Wunsch nach nicht erwiderter Wohltätigkeit von der Goldenen Regel abgedeckt ist. Diese Logik ist durch die Feindesliebe von Opferseite her extrem aber logisch kohärent weitergedacht. J. Marshall gelangt diesbezüglich nach umständlichen Erwägungen zur gleichen Erkenntnis wie Wolter (vgl. J. Marshall, Jesus 231). 92 Siehe Kap. 9.2. 93 In Bezug auf die Feindesliebe stellt Wolter für das literarische Umfeld heraus, „nirgendwo gibt es eine Formulierung, die dazu auffordert, die Feinde zu lieben“ (ders., Lk 256; Hervorhebung im Original). Danker verweist auf atl. Aufforderungen zum humanen Umgang mit Feinden in Ex 23,4 f; Spr 25,21 f sowie pagane Annäherungen u. a. bei Diog. L. I 91; R Gest div Aug 1,3; 4,24 (vgl. ders., Jesus 144); vgl. mit Blick auf das Judentum auch G. Theissen, Gewaltverzicht 168 i.d.Anm., u. a. mit Verweis auf Test B 4,2 f; 5,1: „Der gute Mensch hat ja kein finsteres Auge; er hat mit allen Mitgefühl, auch wenn sie Sünder sind. Selbst wenn sie ihm zuleide Böses planen,
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Hand diese Feindschaft zu beenden, wofür ihnen (und nur ihnen) eine Gegenleistung in Aussicht gestellt wird. Die Passage ordnet sich diesbezüglich um die beiden Kernbegriffe w\qir und lish|r an. Diesen Begriffen liegen jeweils Auffassungen zugrunde, wie sozialer Austausch vonstatten gehen und v. a., wodurch er motiviert werden soll. Der Regelkreis, der diesbezüglich durch w\qir aufgerufen wird, zielt auf die soziale Resonanz des Handelns und dessen Einbettung in verpflichtende Beziehungsverhältnisse, deren Pflege oder Vernachlässigung sich auf die Ehre, d. h. das öffentliche Ansehen einer Person auswirkt. Diese Aspekte sind von der Exegese in Bezug auf Lk 6,27–38 bereits ausgearbeitet worden.94 Hier interessiert v. a., wie sich dieses Ethos zu der Einstellung verhält, die durch das lish|r-Motiv repräsentiert wird und marktwirtschaftlich genannt werden kann. Der in der Feldrede verheißene Lohn ist bereits mit Blick auf die Bettelarmen als himmlischer qualifiziert (vgl. V. 23c) und entsprechend in erster Linie eschatologisch aufzufassen.95 Gleichwohl sind angesichts der Verwobenheit des Textes mit zeitgenössischen Wohltätigkeitsdiskursen auch die ökonomischen Konnotationen des Lohnbegriffs in Rechnung zu stellen. In diesen Diskursen bildet die Orientierung an Lohn (lish|r bzw. merces) das moralisch minderwertige Gegenstück zu einem Handeln, das echte w\qir erwirkt.96 Eine solche vom Reziprozitätsethos abstechende Haltung wird mit dem oftmals stark abgewerteten Geldverleih (feneratio) in Verbindung gebracht, dessen Semantik neben der von w\qir ebenfalls die Lk-Passage durchzieht und sich explizit in Lk 6,34 findet. Zeitgenössische Kritik beschränkte sich jedoch zumeist auf die individuelle Warnung an Vermögende, nicht durch törichten Ehrgeiz in die Hände bösartiger Kredithaie zu fallen und sich stattdessen in Sparsamkeit zu üben (siehe Kap. 6.3.3). Demgegenüber wird den Schuldnern in der Feldrede dazu geraten, an ihren Gläubigern eine Wohltätigkeit walten zu lassen, die für Seneca wohl nur im Reich der Weisen praktikabel wäre (6.3.4). Lk gibt sich jedoch mit einer derartigen Trennung von Alltags- und Sonnbesiegt er Böses dadurch, dass er Gutes tut … Seid gut gesinnt, ihr meine Kinder! Dann halten auch die schlechten Menschen mit euch Frieden.“ 94 Siehe Kap. 1.7.1; vgl. W.C. van Unnik, Motivierung; F.W. Danker, Jesus 143; J.B. Green, Lk 269–275; A. Kirk, „Love Your Enemies,“ the Golden Rule, and Ancient Reciprocity (Luke 6:27–35), in: JBL 122,4 (2003) 667–686; M. Ebner, Solidarität; J. Marshall, Jesus 211–247; C.M. Hays, Luke 113–115. 95 Vgl. M. Ebner, Solidarität 307. Fitzmyer erläutert, lish|r „was used figuratively in both the Greek world and the LXX in a religious sense as a ‘reward’ for moral or ethical conduct“ (ders., Lk I 635). Der implizierte Gegensatz zwischen LXX und griechischer Welt ist jedoch zu relativieren, wie der vielfache Rekurs auf das Reziprozitätsethos in der LXX zeigt (siehe Kap. 1.6). F. Bovon meint hinsichtlich Lk 6,32–35: „Die Botschaft Jesu wird auch nicht mehr vor dem Hintergrund des Gesetzes Moses betrachtet, sondern im Rahmen des griechischen Ethos“ (ders., Lk I 312), und baut damit ebenfalls einen unnötigen Gegensatz auf. 96 Seneca verurteilt Menschen, „die Sittliches gegen Lohn verehren“ (qui honesta in mercedem colant; Ben IV 1,2). Merces ist in der Sprache des Geldverleihs als Zins zu verstehen (vgl. S. Mroz˙ek, Faenus 19).
150 Grundprogramm lukanischer Reziprozität: w\qir und lish|r in der Feldrede tagshandeln nicht zufrieden und fordert die Vermögenden auf, sich w\qir im Geldverleih zu erwerben (6.3.5) – einen Dank also, der aus dem Surplus des Gegebenen gegenüber dem Zurückzuerwartenden erwächst. Dass den Reichen dadurch nichts verloren geht, wird wiederum mit der Rhetorik idealisierter Wohltätigkeit begründet (6.3.6). Sowohl die Erwartung öffentlicher Ehrung als auch eines persönlichen Lohns wird als Motivationshilfe herangezogen, um die vermögenden Adressaten zur Barmherzigkeitspraxis an den Nicht-Vermögenden zu bewegen (6.3.7). Mit einem Seitenblick auf das Vater Unser in der Version Lks wird gezeigt, wie bei ihm beide Austauschsysteme innergemeindlich letztlich überschritten werden (6.3.8).
6.3.3 Wohltätigkeit und Geldverleih Eine Gefälligkeit sei in gewisser Weise ein Darlehen (B w\qir tq|pom tim± d\mei|m 1stim; Virt 83), das der Empfänger ohne Druck in besseren Zeiten zurückzahlen mag, meint Philo.97 Der Duktus erinnert an die Überblendungen Senecas, nach dessen Ansicht der professionelle Geldverleih jedoch ganz anderen Gesetzmäßigkeiten als die Wohltätigkeit unterliegt: Bei ersterem geht es dem Gläubiger um seinen persönlichen Nutzen und dem Schuldner um die Auslösung. Bei letzterer steht die beiderseitige, sich in dauerhafter Beziehung realisierende Freundschaft (amicitia) im Zentrum.98 Diese Unterscheidung findet sich schon bei Aristoteles: Die Geldverleiher haben kein freundschaftliches Verhältnis gegenüber dem Schuldner, sondern nur den Wunsch, er möge gesund bleiben – um der Einholung des Gewinns willen. Der Spender der Wohltat hingegen ist dem Empfänger freundschaftlich gesinnt und liebt ihn, auch wenn aus ihm kein Vorteil zu holen und auch nie zu erwarten ist (Eth Nic 1167b31).99
Doch konnten allzu ehrgeizige Wohltatenspender selbst in die Mühlen des professionellen Kreditwesens geraten. So richtet sich Plutarch in seinem Traktat „Gegen das Borgen“ an diejenigen, die Besitz verpfänden zur Steigerung ihres Wohlstands (827F) oder für die Ausrichtung verschwenderischer Festspiele, um ihren Ehrgeiz zu befriedigen (830E).100 Diese Opfer ihrer Ge97 Vgl. S. Joubert, Paul 98. 98 Philo nimmt diese Unterscheidung ebenfalls vor: „Denen, die Gutes empfingen, ist die Vergeltung der Wohltaten vorgeschrieben, denen die mit Geschenken die Initiative ergriffen, dass sie nicht wie bei Darlehen Rückgabe suchen (ew l³m pepomh|sim eQr waq_tym !loib\r, %qnasi d³ dyqe_m eQr t¹ lµ fgte?m jah\peq 1m dame_oir !p|dosim; Decal 167; vgl. D. Zeller, Charis 21 i.d.Anm., mit weiteren Verweisen auf Cher 122 f; Her 104). 99 Vgl. H. Bolkestein, Wohltätigkeit 170; im Zusammenhang mit moralischen Anfragen an das Prinzip der Gegenseitigkeit. 100 Zu Ehrgeiz und Privatluxus als nach außen und nach innen gerichtete Motivation sich zu bereichern, siehe Kap. 5.3.
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nuss- oder Geltungssucht will Plutarch vor Kredithaien warnen und unternimmt im Zuge dessen eine grundsätzliche Neukonzeptionierung dessen, wie man frei und unabhängig lebt. Statt ressourcenintensiver Freigebigkeit (1keuheqi|tgr) empfiehlt er individuelle Freiheit (1keuheq_a) durch Sparsamkeit (eqt]keia), die jedermann offenstehen soll.101 So hält man den als Feind und Tyrannen apostrophierten Wucherer (pok]liom ja· t}qammom dameist^m) fern, der deine Freiheit antastet und deine Ehre bedroht (pqocq\vomta tµm 1pitil_am); wenn du nicht zahlst, dich mahnt; wenn du etwas hast, es nicht nehmen will (lµ kalb\momta); wenn du etwas verkaufst, es unterschätzt; wenn du nicht verkaufst, dich dazu zwingt; wenn du ihn verklagst (j#m dij\f,r), dich mit dir vergleicht; wenn du schwörst, dir befiehlt; wenn du vor seine Türe kommst, sie zuschließt; wenn du zu Hause bleibst, vor deiner Türe lauert und anklopft (Vit Aer 828E).
Die hier vorgestellte Handlungsweise des tyrannischen Geldverleihers läuft Gegenseitigkeitsprinzipien zuwider, da ein Geben und Nehmen in freundlicher Atmosphäre verunmöglicht und die Ehre des Austauschpartners angegriffen wird.102 Von einer den Austausch prägenden eumoia kann hier keine Rede sein, diese realisiert sich nach Plutarchs Idealvorstellung nun auch nicht mehr in ruinösen Verausgabungen zugunsten der Allgemeinheit, sondern in individueller Selbstgenügsamkeit (aqt\qjeia).103 Diese bedeutet eine Abkehr von den Negativfolgen klassischer largitio für den Einzelnen. Der Anspruch, die Bedingungen der Leihe zu reformieren oder sie gar abzuschaffen, wird dabei nicht erhoben. Hinter den moralischen Invektiven gegen die Figur des Geldverleihers (fenerator oder creditor/dameist^r) steht demnach keine grundsätzliche Ablehnung des Geldverleihs an sich!104 Die Zustände werden eher bedauert, weder Seneca noch Plutarch wollen den Gläubigern den Krieg erklären.105 Der ethische Impuls zielt auf das Individuum und dessen innere Einstellung, die allen Menschen statusübergreifend offenstehen soll und die 101 Vgl. Plut., Vit Aer 828B–E. Aristoteles definiert die Freigebigkeit als Mitte zwischen Verschwendung und Knauserei: 9keuheqi|tgr d] 1stim les|tgr !syt_ar ja· !mekeuheq_ar (Aristot., Eth M 1191b42; vgl. auch Eth Eud 1221a; 1231b; Eth Nic 1107b u. ö.; siehe Kap. 3.2). Plutarch rät statt sich etwas zu borgen, zu verschiedenen Formen von Lohnarbeit und propagiert diese gegen entsprechende Einwände: „Keines von diesen Dingen ist unehrenhafter und unangenehmer als sich sagen zu lassen: Zahle!“ (830A–B). 102 Zudem sind auch die kommerzielle und rechtliche Ebene des Austausches gestört. In Sir 29,4–6 wird der Schuldner noch zu Ehrerweisungen gegenüber dem Gläubiger genötigt (vgl. M. Ebner, Solidarität 304). Die Identifizierung von Tyrann und Geldverleiher wird auch vorgenommen in Dio Chrys., Or XX 17 f. 103 Zum Ideal der aqt\qjeia hinsichtlich des Kynismus vgl. N. Neumann, Armut 24–26. 104 Zur moralischen Abgrenzung vgl. Sen., Ben VII 14,5; Plut., Praec Ger Reip 828F. Auch für Cicero war es offenbar „kein Widerspruch, daß er einerseits von berufsmäßigen faeneratores Geld lieh, um sich ein seinem Status angemessenes Haus zu kaufen, und andererseits ebendiese faeneratores als Menschen schlecht machte“ (M.I. Finley, Wirtschaft 56). 105 Plutarch erklärt das explizit in Vit Aer 829E, Seneca müsste sich selbst bekämpfen.
152 Grundprogramm lukanischer Reziprozität: w\qir und lish|r in der Feldrede vorfindlichen sozialen Zustände dabei als Adiaphora beiseite lässt. Im Blick sind hier jedoch tatsächlich nur kreditwürdige Schuldner, denn „einem Armen leiht niemand“ (Vit Aer 830D). Vorausgesetzt wird dabei eine deutliche Trennung der Sphären von Geldverleih und Wohltätigkeit. Im Ergebnis wird das als schmutzig und menschenfeindlich angesehene Feld des kommerziellen Austausches sich selbst überlassen. So erscheinen die Exzesse, die dem Philosophen und Gläubiger Seneca in diesem Bereich zur Last gelegt wurden, geradezu folgerichtig.106 Wird von Seneca und Plutarch die beneficentia von der feneratio gesinnungsethisch klar abgegrenzt, behauptet Dion von Prusa, beide Tätigkeitsfelder seien im Grunde ein und dasselbe. An einem Beispiel aus der Odyssee macht er die schlechte Behandlung von Bedürftigen deutlich:107 Odysseus, von seinem Sohn nicht wiedererkannt, wird von diesem wie selbstverständlich zum Betteln in die Stadt geschickt, als ob es üblich gewesen sei, dermaßen knauserig und schäbig mit armen Leuten (to»r p]mgtar) aus der Fremde umzugehen und allein die Reichen großzügig und mit Gastgeschenken (vikovq|myr nem_oir ja· d~qoir) aufzunehmen, von denen man natürlich eine gleichwertige Gegenleistung erwarten konnte (pqosed|jym t_m Usym), was genau mit unserer heutigen Einstellung gegenüber Menschenliebe (vikamhqyp_ar) und einer entsprechenden Gesinnung (pqoaiq]seyr) übereinstimmt! Denn auch das, was als Freundschaftsdienste und Gefälligkeiten (vikovqom^seir ja· w\qiter) ausgegeben wird, unterscheidet sich, wenn man genau hinsieht, in keiner Weise von Darlehens- und Versicherungsgeschäften (auf Gegenseitigkeit) – und das in der Regel noch zu hohen Zinsen (1q\mym ja· dame_ym, 1p· t|j\ suwm`; Or VII 88 f)!108
Was sich als wohltätig ausgibt, funktioniert nach den gleichen Grundsätzen wie Finanz- und Versicherungshandel – wie sich an den Auswirkungen auf die Armen zeigt. Dion entlarvt solches Handeln als eines, bei dem es nur darum gehe Gleichwertiges zurückzubekommen (pqosdoj\y t_m Usym; Or VII 88). Diese Erwartung widerspricht einem Leitbild, nach dem man sich in Wohltaten oder zumindest im Wohlwollen gegenseitig übertreffen sollte.109 Spender 106 Zu Selbst- und Fremdwahrnehmung von Senecas Handeln vgl. J. Wolkenhauer, Schrift 393–397; siehe Kap. 2.5; vgl. auch S. Mroz˙ek, Faenus 54, mit Verweis auf Tac., Ann XIII 42: Tacitus zufolge wurde Seneca in einem Prozess gefragt: „Durch welche Weisheit, durch welche philosophischen Lehren habe er binnen vier Jahren kaiserlicher Freundschaft 300 Millionen Sesterzen zusammengebracht? In Rom gingen ihm die Testamente kinderloser Leute wie bei einer Treibjagd ins Netz, Italien und die Provinzen würden durch seinen unermesslichen Zinswucher ausgesaugt.“ Mroz˙ek macht zudem aufmerksam auf in die Dio C. XLII 2,1 erwähnten immensen Zinsgeschäfte in Britannien und die möglicherweise in Sen., Ep LXXVII 3 genannten in Ägypten. 107 Vgl. Hom., Od XVII 10–15. 108 Übers. nach G.A. Lehmann; vgl. auch W.C. van Unnik, Motivierung 293. 109 Dieser Wettkampf findet idealerweise immer in einer freimütigen Atmosphäre statt, in der niemand unter die Räder kommt (vgl. Ben I 4,3; siehe Kap. 2.2). Dass die Aussagen einmal auf Ausgleich, dann wieder auf Übertreffen zielen, zeigt die komplizierte Gemengelage zwischen
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sind diesem Leitbild zufolge aufgerufen, weder das Gleiche noch irgendetwas zurückzuerwarten (beneficium, cuius proprium est nihil de reditu cogitare; Ben II 31,3). Freilich kritisiert auch Seneca unaufhörlich das diesbezügliche Fehlverhalten seiner Mitmenschen, theoretisch wird demnach dasselbe Ideal geteilt. Dion richtet den Blick jedoch stärker auf die realen Verhältnisse, und zwar der Armen (p]mgter).110 Deren Gastfreundschaft stelle die der knauserigen Reichen sogar in den Schatten.111 Der Redner aus Prusa widmet sich dabei nicht nur, wie Seneca und Cicero, der relativen Armut von Standesgenossen, sondern in erster Linie der absoluten. Diese kommt bei Seneca allenfalls am Rande zur Sprache, etwa mit Blick auf Almosenempfänger, denen etwas gegeben werden soll, als hätte man Mitleid mit ihnen.112 Ihnen eine Münze hinzuwerfen, stellt freilich noch kein beneficium dar, da man so „der Menschlichkeit, nicht dem Menschen gibt“ (non homini damus, sed humanitati; Ben IV 29,3). Diese humanitas/vikamhqyp_a kommt Dion zufolge jedoch nicht bei denen an, die sie am nötigsten hätten.113 An der diesbezüglichen Einstellung (pqoa_qesir) hapere es.
Dion gibt die Gesinnungsorientierung zwar nicht auf, verlagert sie aber von der individuellen auf die sozialethische Ebene städtischer Armutslagen, die er im weiteren Fortgang der Rede behandelt. Die Grundfrage lautet dabei: Wie, d. h. durch welche Art Arbeit, können die städtischen Armen würdig leben, „und zwar nicht schlechter als diejenigen, die Geld zu hohen Zinsen ausleihen und sich trefflich auf die Berechnung von Zinstagen und Monaten verstehen“ (Or VII 104). Statt moralisch aufgeladen vor einem individualisierten Gläubigertypus zu warnen, schaut Dion auf das Zusammenleben sozialer Gruppen in der Polis und zieht dabei auch deren jeweilige ökonomische Voraussetzungen in Betracht.114
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überkommener Reziprozität, perhorresziertem kommerziellem Austausch und gesinnungsmäßiger beneficentia, die es gedanklich zu bewältigen gilt. Dass er selbst ein Oberschichtenmitglied ist und diese Perspektive nicht verleugnen kann, gilt dem unbenommen (vgl. E. Herrmann, Armut 215). Vgl. Dio Chrys., Or VII 91–93. Über den Weisen, der nach stoischer Auffassung frei von menschlichen Gefühlsregungen ist, sagt Seneca: „Reichen wird er die Hand dem Schiffbrüchigen, dem Verbannten Gastfreundschaft, dem Armen eine Spende geben (egenti stipem), nicht eine erniedrigende, wie sie der größere Teil der Menschen, die mitleidig erscheinen wollen, hinwirft und damit die verachtet, denen er hilft, und von ihnen berührt zu werden fürchtet, sondern wie ein Mensch einem anderen aus gemeinsamem Besitz gibt“ (Clem II 6,2). Die Würdigen, die als Wohltatenempfänger von Cicero und Seneca auszuwählen sind, gehören nach Einschätzung A. Parkins zur Schicht der „respectable citizens, and not the most desperate members of their society“ (dies., Service 62). Vikamhqyp_a konnte als Gastfreundschaft verstanden werden, was zum Zusammenhang in Or VII 88 passt (vgl. H. Bolkestein, Wohltätigkeit 110 f; sowie zum Ideal in griechisch-römischen Zusammenhängen: 124–128). „Durch die Blickrichtung auf die gesamte Stadt, ihr Territorium und alle dort Wohnenden erweist sich Dion von Prusa zwar als geistig in der Tradition der großen Staatstheoretiker
154 Grundprogramm lukanischer Reziprozität: w\qir und lish|r in der Feldrede Figuren vom Typ des tyrannischen Geldeintreibers kennt auch Lukas: Zeichnet sich ein treuer Verwalter dadurch aus, „das Getreidemaß (sitol´tqiom) zur rechten Zeit zuzuteilen“ (Lk 12,42), soll der „Verwalter der Ungerechtigkeit“ (Lk 16,8) Schulden eintreiben. Alles andere würde der merkantilen Mentalität seines Herrn zufolge bedeuten, „dass er sein Vermögen verschleudere“ (¢r diasjoqp¸fym t± rp²qwomta aqtoO; 16,1). Plutarch rät in einer solchen Situation, sich durch schnöde Lohnarbeit als Türsteher, Lehrer oder Seefahrer zu verdingen, weil alles ehrenvoller ist als sich sagen zu lassen: „Gib zurück“ (!p|dor; Vit Aer 830B)! Einem solchen Appell an sein Fleißethos kann oder will der Verwalter nicht Folge leisten: „Graben kann ich nicht, zu betteln schäme ich mich“ (Lk 16,3).115 Stattdessen sabotiert er die Mechanismen derer, die dieses Ethos verbreiten, und macht sich dadurch lobenswerterweise „Freunde durch den ungerechten Mammon“ (16,9).116 Ein Ökonom ähnlichen Zuschnitts offenbart sich in unheimlicher Weise in der Erzählung von den Minen (vgl. Lk 19,11–27): „Du hast also gewusst, dass ich ein harter Mann bin, dass ich nehme, was ich nicht angelegt (5hgja), und ernte, was ich nicht gesät habe?“ (Lk 19,22).117 Unter diesen veränderten Umständen, bei denen auf der einen Seite genau hingeschaut wird, auf der anderen aber die Vermögen wie von Geisterhand wachsen, scheint es ratsam, sich anzupassen: Als gut (!cah|r) und treu (pist|r; 19,17) lobt der König den ersten, finanziell erfolgreichen Knecht. Wie Lk diese Haltung bewertet, zeigt sich nicht zuletzt in der diametral entgegengesetzten Pflichtenbeschreibung des treuen Verwalters in Lk 12,42.
6.3.4 Die Opfer- oder Empfängergruppe (V. 27b–30) Die Feindschaft, zu deren Überwindung Jesus in der Feldrede aufruft, ist die zwischen Gläubiger und Schuldner. Gerd Theißen meint, „in den lukanischen Gemeinden gehören Feindesliebe und Geldprobleme eng zusammen“, und verweist auf Sir 29,6, wo „der Schuldner zum Feind (1whq|r) wird und Flüche stehend. In der Radikalität seiner Forderungen aber, die in nuce wirtschaftsethische Prinzipien enthalten, hat der kommunalpolitisch engagierte Philosoph und Rhetor als singulärer Vordenker seiner Zeit zu gelten“ (E. Herrmann, Armut 233; Hervorhebung im Original). 115 Auf die Sprichwörtlichkeit des Zitats wird von vielen Kommentatoren mit Verweis auf Aristophanes hingewiesen: „Was soll aus mir werden? Denn aufs Graben verstehe ich mich nicht“ (Av 1432; vgl. M. Wolter, Lk 546). Bei Dion wird ein ähnlicher Spruch im Kontext eines Diskurses über die Ehrenhaftigkeit von Handarbeit geäußert, in dem er die Ressentiments gegenüber sozialer Bedürftigkeit und dadurch bedingten Tätigkeiten angreift und kontert, die Auswüchse des Reichtums müssten viel mehr verspottet werden als die der Armut (vgl. Or VII 114–116). Der sozialethische Ansatz Dions hebt sich wie gezeigt von dem Plutarchs ab, der eher auf individuelle Selbstgenügsamkeit einer besitzenden Schicht zielt. 116 Vgl. M. Ebner, Face 34 f. 117 Dagegen beschreibt Seneca einen glücklichen Mann als einen, der viel sät und viel erntet (vgl. Ep XLI 7; S. von Reden, Money 280).
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und Schmähungen zurückzahlt“118. Bei Lk sind es zuerst die Schuldner, die den feindseligen Akten ihrer Gläubiger nach allen Regeln der Wohltätigkeitskunst begegnen sollen. Der Aufforderung „behandelt die gut (jak_r poie?te), die euch hassen“ (V. 27c–d) entspricht auf der Geberseite „tut Gutes und leiht“ (!cahopoie?te ja· dam¸fete; V. 35b–c).119 Zunächst aber sollen die Schuldner gewähren, geben und dabei nichts zurückfordern (vgl. V. 29b.30b.d): 29
Dem, der dich auf die Wange schlägt, biete auch die andere dar (p²qewe ja· tµm %kkgm)…
Mit paq]wy betont Lk im Gegensatz zum matthäischen stq]vy (Mt 5,39d), dass hier eine Ohrfeige dargeboten wird wie die Dienstleistung eines geehrten Wohltäters: So wird in Ehrendekreten mit Wendungen wie wqe_ar paqew|lemor der Honorand für seine Nützlichkeit gegenüber der Stadt belobigt.120 Doch glaubt man Seneca, steht die Gewährung von Wohltaten nicht nur den Eliten, sondern jedermann qua Menschsein offen. Sogar Sklaven sind dazu in der Lage: „Es kommt nämlich darauf an, welcher Gesinnung ein Mensch ist, der eine Wohltat erweist, nicht welchen Standes“ (cuius animi sit, qui praestat, non cuius status; Ben III 18,2). Die Großzügigkeit, die Lk abfordert, sollen die aggressiv Bedrängten jenseits stoischer Gleichheitsträume im Angesicht negativer Reziprozität üben.121 Dazu gehört u. a., dass ihnen der Mantel weggenommen wird:
118 G. Theissen, Gewaltverzicht 182. 119 Vgl. M. Ebner, Solidarität 304 i.d.Anm. Auch jak_r poi]y kann im Euergetismus-Zusammenhang gelesen werden (vgl. J. Marshall, Jesus 219, mit Verweis auf Gen 32,13; Est 8,12a–r LXX): In Est 8,12r wird den Israeliten von König Artaxerxes mit den Worten „ihr werdet gut daran tun“ (jak_r owm poi¶sete) geraten, sich nicht nach Anweisungen des in Ungnade gefallenen Hamans zu richten. Im Zusammenhang der aufgerufenen Euergetismus-Terminologie (in Bezug auf tºm te Bl´teqom syt/qa ja· di± pamt¹r eqeqc´tgm Laqdowa?om; V. 12n) scheint hier mit jak_r poi]y das adäquate Verhalten von Wohltatenempfängern beschrieben zu werden, ähnlich ew poi]y in Num 10,32. 120 Vgl. IG XII 4,1,205 (Kos, 1. Jh. v. Chr.); IG XI 4,636 (Delos, 3. Jh. v. Chr.): Dort wird ein !mµq !cah|r u.a. dafür belobigt, dass er fortwährend Dienstleistungen erweise, zu denen er von den Deliern aufgefordert werde (wqe¸ar paq´wetai eQr $ #m paqajak/tai rp¹ Dgk¸ym); dafür soll er Proxenos und Euerget sein (pqºnemom ja· eqeqc´tgm; Z. 3.7 f.10). In IG XII 6,1,57 (Samos, nach 306 v. Chr.), heißt es im Anschluss an besprochene Wendung: „damit nun alle erkennen, die gesonnen sind, der Stadt Wohltaten zu tun, dass das Volk seinen Wohltätern Dank abzustatten weiß (w²[qitar] […] e. qeq. c[´tair !po][didºmai), so wollen Rat und Volk beschließen“ (Übers. K. Hallof). Im Ehrendekret für einen Aelius Alcibiades (Mitte 2. Jh. n. Chr.) findet sich die Formulierung, er habe „Geschenke in großartiger Weise Geschenke erwiesen“ (d_[qa] lecakopqep/ paq´wetai), was sich auf den Bau von Pferdeställen bezieht (IEph Ia 22,18 f = SEG 4,418). Dass Jesus mit demselben Verb aufgefordert wird, dem Wohltäter des jüdischen Volkes einen Gefallen zu tun, passt ins Bild (vgl. Lk 7,4e). 121 J.R. Edwards weist auf die besondere Brutalität hin, die mit t}pty indiziert ist (vgl. ders., Lk 198).
156 Grundprogramm lukanischer Reziprozität: w\qir und lish|r in der Feldrede 30
…und dem, der dir den Mantel (Rl²tiom) wegnimmt, verweigere auch das Untergewand (wit_ma) nicht!
Der Spruch ist vom weiter unten angesprochenen Thema Leihe (vgl. V. 34a.35c) her zu lesen. So soll nach den Regelungen des Pentateuch dem Schuldner über Nacht sein Obergewand (Rl²tiom) gelassen werden, selbst wenn es verpfändet ist:122 Dieses „ist nämlich seine einzige Decke, dieser Mantel ist die Bekleidung seiner Blöße“ (Ex 22,26 LXX). Begründet wird die an den Gläubiger gerichtete Anweisung damit, dass Gott den um Hilfe Rufenden erhört, „denn ich bin barmherzig“ (1ke¶lym c²q eQli). In Dtn 24,13 wird der gleiche Grundsatz mit dem benefit des so handelnden Gläubigers motiviert: „Und er wird dich preisen und es wird dir als Almosen vor dem Herrn deinem Gott gelten“ (ja· 5stai soi 1keglos¼mg 1mamt¸om juq¸ou toO heoO sou). In Ex ergeht demnach eine eher implizite Aufforderung zur imitatio dei, während in Dtn der Dank des Schuldners und das Verdienst vor Gott in Rechnung gestellt werden. Beide Stellen richten sich wie gesagt an die Adresse des Gläubigers.123 Vom Schuldner sprechen Plutarch und Dion von Prusa, wobei Plutarch rät, seine Schuldenfreiheit dadurch zu bewahren, dass man sich einen einfachen Lebensstil zulegt, zu dem neben anderem ein grober Mantel (tqaw» Rl²tiom; Vit Aer 828D) gehört. Hunger leiden und einen ärmlichen Kittel (tqib~miom; Or LXVI 2) tragen muss hingegen Dion zufolge, wer dumm genug war Haus und Ländereien zu verkaufen, nur um durch Euergesien an Ehrungen wie Kränze, Ehrenplätze oder Ausrufungen zu gelangen. Lk fordert den Schuldner zur Initiative auf, sich mit dem Mantel auch noch das Untergewand wegnehmen zu lassen, was im Ergebnis bedeutet, dass er seine Scham nicht mehr bedecken kann. Der hier Angesprochene soll, was Ex 22,27 als minimale Anstandsforderung vom Gläubiger verlangt, als Schuldner noch unterschreiten und sich entehren lassen.124 Nichts soll er anderen vorenthalten, sondern: 30a–b
pamt· aQtoOmt_ se d_dou…
30a–b
Jedem, der dich bittet, gib…
Der Aufruf, jedem Bittsteller, also wahllos zu geben, kann im Rahmen reflektierter Wohltätigkeit nicht empfohlen werden. Einen würdigen Empfänger vernünftig auszusuchen gilt im Gegenteil als Tugend. Würdig ist zunächst, wer 122 Vgl. I.H. Marshall, Lk 260; J.A. Fitzmyer, Lk I 638. 123 In Am 2,8 werden zudem diejenigen angegangen, die sich „auf gepfändeten Kleidern räkeln“. Diese Bedeutung scheint jedoch in der LXX–Version des Verses verloren gegangen zu sein. 124 Neben Ranzen und Stab gehört der Mantel zur Ausrüstung der Kyniker, worin ihnen die Jesusjünger ähneln (vgl. die Ausrüstungsregeln Lk 9,1–6). N. Neumann zufolge setzen die lukanischen Jünger damit das kynische Ideal der aqt\qjeia um (vgl. N. Neumann, Armut 64–72). M. Ebner veranschlagt für die Ebene der historischen Jesusjünger eine Aufforderung zu überraschender Provokation bei einem Überfall (vgl. M. Ebner, Feindesliebe 57 f). Die Neigung zu verblüffenden, ja paradoxen Reaktionen in der Öffentlichkeit, die den Rahmen des Konventionellen sprengten, wird wiederum auch von kynischer !ma_deia als Teil ihres paqqgs_a-Programms abgedeckt (vgl. N. Neumann, Armut 26–30).
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eine Gabe erwidern kann, der Diskurs darüber entwickelt sich dann später dahin, neben materiellen auch moralische Gesichtspunkte bei der Wahl einzubeziehen.125 Für Seneca ergibt sich das überlegte Urteil (iudicium) aus dem vernünftigen Wesen des beneficium: „Dann erfreut es, entgegenzunehmen eine Wohltat, und zwar mit geöffneten Händen, wo die Vernunft sie zu Würdigen führt, nicht der Zufall und der Überlegung mangelnde Anwandlung irgendwohin wirft; das kann man vorzeigen und sich auf eine Inschrift setzen“ (Ben I 15,3). In Empfehlungsschreiben wurden nach dieser Maßgabe konventionell die Qualitäten des Kandidaten hervorgehoben. „Das implizierte die Fiktion, Grundlage einer Entscheidung sei ein iudicium über die Tugenden.“126 Mit dieser Hochschätzung einer vernünftig-frugalen Auswahl einzelner Wohltatenempfänger ging die Missbilligung blinder largitio einher, wie sie die städtischen Euergeten inszenieren mussten, um dafür ihren „leeren Ruhm“127 beim Volk zu erlangen. Diese im elitären Diskurs vulgär erscheinende Reziprozitätsform auszuüben, wird von Lk denen angeraten, denen gerade sozusagen ihr letztes Hemd abgenommen wurde. 30c–d
…ja· !p¹ toO aUqomtor t± s± lµ !pa¸tei
30 c–d
…und von dem der das Deine nimmt, fordere es nicht zurück!
Das so Abgepresste soll jedenfalls nicht zurückgefordert werden, wobei lµ !pa¸tei ebenfalls zur Darlehenssemantik gehört und eine rechtmäßige Forderung benennt.128 Nichts zurückzufordern ist Wesensmerkmal eines wahren beneficium im Sinne Senecas, nach dessen strengen Vorgaben schon die Erinnerung an eine Wohltat als unzulässig gilt (vgl. Ben II 11,2).129 Was hier also von einem gewaltsam um das Seine gebrachten Schuldner gefordert wird, entspricht dem, was dem zeitgenössischen Ideal zufolge dem Spender einer Wohltat auferlegt ist. Der Philosoph und Geldverleiher trennt auch in diesem Punkt Benefizien- und Darlehenssphäre deutlichst: „Wer Wohltaten gewährt, ahmt Götter nach, wer sie einfordert, Wucherer“ (qui dat beneficia, deos 125 Vgl. Cic., Off I 45; II 63; 65; G. Vivenza, Thought 34, mit Verweis auf Plin. d.J., Ep IX 30,1; siehe Kap. 3.3. John Barclay stellt in Bezug auf den Römerbrief dar, wie Paulus die überbordende Gabe Gottes an alle Sünder so darstellen kann, dass sie dennoch nicht als wahllos zu gelten hat. Denn „a gift that is given without regard to the worth of its recipients certainly threatens to undercut the moral order“ (ders., Paul 496). Jedoch: „the Christ-gift is not morally vacuous, an unconditional gift that winks at human sin: it contains transformative power. The recipients of this grace are said to receive the gift of righteousness (5:17) and to be constituted righteous (5:19)“ (J.M.G. Barclay, Paul 497; Hervorhebung im Original). 126 J. Wolkenhauer, Schrift 238 i.d.Anm., mit Verweis auf Cic., Fam XIII 6,4; Tac., Ann IV 39,2; Plin. d.J., Ep IV 8,1; IV 15; Paneg 44,7; 71,7; Sen., Ben: I 15; IV 10,2; 28,5 f; sowie R.P. Saller, Patronage 94–111. In Ben IV 30,1 räumt Seneca ein, dass er auch Leute aufgrund der Verdienste ihrer Vorfahren für Ämter empfiehlt, womit er die Fiktion halb zugibt und sie noch halb zu rechtfertigen versucht. 127 Plut., Cup 525D–E; siehe Kap. 5.3. 128 Vgl. F.W. Danker, Jesus 146, mit Verweis auf Sir 20,15; vgl. auch S. Schwartz, Jews 61 f. 129 Als pädagogische Übertreibung wird diese Maxime eingeschränkt in VII 23,2; siehe Kap. 2.4.1.
158 Grundprogramm lukanischer Reziprozität: w\qir und lish|r in der Feldrede imitatur, qui repetit, feneratores; Ben III 15,4).130 Eine derartige Trennung soll hier von den Schuldnern beim Wort genommen und umgesetzt werden, so der provokant-kontrafaktische Appell des lukanischen Jesus: Sie sollen negative Reziprozität mit familiärer vergelten, schändlichsten Geldverleih (turpissima feneratio) mit Wohltaten um ihrer selbst willen – denn eine Lohnperspektive ist an dieser Stelle nicht in Sicht. Wird die Passage vor dem Hintergrund zeitgenössischer Wohltätigkeitsprogramme gelesen, wirkt Lk 6,27b–30 sozusagen wie deren Crash-Test. Ausgewertet wird dabei die Frage wohin es führt, wenn die Empfängerseite konsequent nach einem in der Elite verbreiteten Wohltätigkeitsideal handeln würde – die Geberseite aber nicht. Dass diese mithört, wird dabei vorausgesetzt, so ist wohl auch die Anrede in 6,27a zu verstehen: „Euch [allen] aber, die ihr zuhört, sage ich…“. Nicht zuletzt wird die Seite der Empfänger – von Wohltaten oder Demütigungen – aus ihrer Passivität herausgeholt, was Gerd Theißen zufolge charakteristisch für die Sicht des Urchristentums auf die sozialen Binnenverhältnisse ist. In der Perikope von der Witwe als Wohltäterin (Mk 12,41–44 par Lk 18,1–8) sieht er eine Übertragung der klassischerweise der Oberschicht zugesprochenen Wohltätermentalität „auf kleine Leute“131. Für die kontroverse Sicht auf Wohltätigkeit im Urchristentum macht er geltend: Die Perikope vom „Scherflein der Witwe“ zeigt, wie eine in der religiösen Dimension des Lebens verankerte Wertung in den sozialen Bereich übertragen wird: Aus der hohen Wertschätzung der Opfer des Armen vor Gott wird eine hohe Wertschätzung der Armen als Wohltäter unter Menschen, die durch kleinste Gaben den größten Wohltätern gleichzustellen sind. Durch Übertragung einer religiösen Bewertung in den sozialen Bereich kommt es zu einem Wertwandel im Urchristentum.132
Im untersuchten Abschnitt der Feldrede wird deutlich, dass das offenbar nicht von jedermann sogleich umgesetzt wurde, sondern begüterte Gemeindemitglieder ihrer erwarteten Rolle nicht immer gerecht wurden. 6.3.5 Wie man sich w\qir erwirbt – Zwischenreflexion Beide Semantiken, die der Wohltätigkeit und des Darlehens, werden in Lk 6,32–38 aufgerufen. Die geforderte Liebe (!c\pg) konkretisiert sich ebenso darin, Gutes zu tun (!cahopoi]y) wie Geld zu verleihen (dam_fy): 33f
Denn wenn ihr denen auch Gutes tut (!cahopoi/te), die euch Gutes tun, was für ein Dank steht euch zu (po_a rl?m w\qir 1st_m)? Auch die Sünder tun das(selbe). Und wenn ihr denen leiht (dam_sgte), von denen ihr hofft zu empfangen, was für ein Dank 130 Übers. nach M. Rosenbach. 131 G. Theissen, Witwe 181. 132 G. Theissen, Witwe 182.
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steht euch zu? Auch die Sünder leihen Sündern, damit sie das Gleiche zurückbekommen.
Das Kompositum !cahopoi]y kommt im klassischen Griechisch nicht vor, die Kollokation !cah¹m poi]y ist jedoch in der Sprache von Ehrendekreten zu finden: Dem Geehrten wird damit oftmals bescheinigt, dass er seinem Demos nach Kräften Wohltaten gespendet habe und das auch weiterhin tun werde.133 Der Begriff gehört außerdem zum Wohltätigkeitsvokabular der Septuaginta und wird in Bezug auf Gott als Segnen verstanden.134 Im Buch Tobit etwa wird !cahopoi]y von der Lohnzahlung unterschieden und in Form einer auf Barmherzigkeit gerichteten Wohltätigkeit verstanden. Tobit wird vom Engel Raffael dafür gelobt, dass er einen Toten bestattet und damit Gutes getan habe (!cahopoi_m; Tob 12,13). Zuvor wollte er dem unerkannten Begleiter seinen Lohn (lish|m; Tob 12,1) auszahlen, woraufhin sich dieser als Engel zu erkennen gibt und eine Lehrrede über Wohltätigkeit hält. Darin ermahnt er Tobit und Tobias zum Erweisen von Wohltaten (!cah¹m poi¶sate; V. 7), was er u. a. mit Almosen und Gerechtigkeit (1keglos¼mgr ja· dijaios¼mgr; V. 8) in Verbindung bringt. Diese Haltung wird über das Anhäufen von Gold gestellt, selbst wenn sie materiell nur Kleines hervorbringen sollte. Zum einen wird die avisierte Lohnzahlung so als Kategorienfehler erkennbar: das !cah|m wird vom lish|r unterschieden. Zum anderen wird diese Wohltätigkeit definiert als Barmherzigkeit und Gerechtigkeit (1keglos¼mg ja· dijaios¼mg), als unabhängig von ihrem materiellen Ausmaß wertvoll, und dem Horten von Gold entgegengesetzt (hgsauq¸sai wqus¸om; V. 8c). Der Gesinnungsaspekt, durch den die materielle Seite der Wohltat als akzidentiell dargestellt wird, ist vergleichbar mit stoischen Auffassungen, wie sie sich auch in De Beneficiis niedergeschlagen haben; bei Tobit realisiert sich die Gesinnung freilich im Tun der Barmherzigkeit.135
Die Frage „Was für ein Dank steht euch zu?“ legt die Ambivalenzen der Vergeltungserwartung bloß, die der Ausdruck w\qir in sich trägt. Solange der Austausch nämlich in die Atmosphäre gegenseitigen Wohlwollens eingebettet ist, kann freimütig vom Anlegen, Investieren und Rückerstatten von Gefälligkeiten gesprochen werden. Beziehungen und ihre Pflege sind hier das Entscheidende. Laut Jesus Sirach hat nur ein Schwachkopf keine Freunde, so 133 Vgl. z. B. IG XII 6,1,18; vgl. zudem auch H. Bolkestein, Wohltätigkeit 95; J. Marshall, Jesus 220 f, mit Verweis auf OGIS 54,14–20; 167,17–26; IGR III 739 = F.W. Danker, Benefactor Nr. 19. Als lateinisches Äquivalent nennt Bolkestein einzig benefacio (vgl. H. Bolkestein, Wohltätigkeit 297). 134 Der Ausdruck findet sich als Übersetzung von 5=ü8 (vgl. W.C. van Unnik, Motivierung 289). In Num 10,32 bezeichnet !cahopoi]y göttliche Wohltätigkeit im Gegensatz zum menschlichen ew poie?m. 135 Der Einschätzung „Das alles hat natürlich mit Lk vi 33 nichts zu tun“ (W.C. van Unnik, Motivierung 289) ist somit zu widersprechen: Das Thema der Tobit-Passage ist Wohltätigkeit, verstanden als Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, durchaus vergleichbar dem vorliegenden Abschnitt der Feldrede.
160 Grundprogramm lukanischer Reziprozität: w\qir und lish|r in der Feldrede dass er sagen muss: „für meine Wohltaten dankt mir keiner“ (ja· oqj 5stim w²qir to?r !caho?r lou; Sir 20,16). Greift jedoch ein Verhalten Raum, das sich hinsichtlich Beziehung, Tauschobjekt, Ziel und Absicherung des Austausches von den traditionellen Vorstellungen löst, kommt es zu Irritationen: Gerade eine direkte Vergeltung durch „das Gleiche“ (Lk 6,34; Dio Chrys., Or VII 88) einzufordern, markiert den Mentalitätswandel, der nicht leicht mit dem vorhandenen Vokabular auf den Punkt zu bringen war.136 Willem van Unnik schließt aus oben zitiertem Ausschnitt der euböischen Rede (Or VII 88 f), „dass man auch in der neutestamentlichen Zeit die alte Praxis handhabte; dass man auch damals bestimmten Leuten Freundlichkeiten bewies, i. e. reich bewirtete, um von ihnen etwas zurück zu empfangen“137. Die grundsätzliche Forderung w\qim %podor blieb in Geltung und wirkte sich im gesellschaftlichen Alltag, etwa in Formen von Patronage und Euergetismus aus.138 Diese simple Reziprozitätsauffassung wurde jedoch immer feiner literarisch durchdrungen, vielfach philosophisch reflektiert und moralisch kritisiert.139 In der kaiserzeitlichen Literatur schien zudem eine verstärkte Abgrenzung gegen einen sozialen Austausch merkantiler Prägung notwendig zu werden: Auf die semantische und strukturelle Nähe beider Austauschformen reagierten die Schriftsteller der Oberschicht hauptsächlich mit moralischen Trennlinien. Dabei wurde zumeist individuell angesetzt, etwa durch Stilisierung der Figur des Geldverleihers zum literarischen Negativtypus. Die Eindeutigkeit, mit der im Geldverleih die Erwartung einer Gegenleistung geltend gemacht wurde, wurde als feindselig und tyrannisch interpretiert: Der wohlwollende Austausch von w\qiter lebt nicht zuletzt von der 136 Bei einem schnörkellosen Verständnis von w\qir als nützlicher (Gegen-)Leistung, wie es in Apg 24,27; 25,3.9 in politischem Zusammenhang zugrunde gelegt wird, kann auf die Frage „Welche w\qir habt ihr davon?“ geantwortet werden: eine sehr konkrete, nämlich Geld + ggf. Zinsen, oder bei Zahlungsunfähigkeit jemanden der in meiner Schuld steht! Diese Logik wird von Xenophon als Gesetz des sozialen Austausches dargestellt: „Wenn du willst, dass dir die Götter gnädig seien, so musst du die Götter verehren, wenn du von deinen Freunden geliebt werden willst, so musst du deinen Freunden Gutes tun, wenn du vom Staat irgendwie geehrt zu werden wünschest, dann musst du dem Staat nützen, wenn du von ganz Griechenland wegen deiner Tugend bewundert zu werden verlangst, dann musst du versuchen, dich um Griechenland verdient zu machen; und willst du, dass die Erde dir reichliche Früchte trage, so musst du dich um die Viehherden kümmern, reizt es dich im Kriege groß zu werden und reizt es dich die Macht zu besitzen, deine Freunde zu befreien und deine Feinde zu überwinden, so musst du auch die Kriegskunst selbst von den Kundigen erlernen wie auch dich in ihrem Gebrauch üben“ (Xenoph., Mem II 1,28). Es wird dabei immer eine gewisse Atmosphäre mitgedacht, wenn von w\qir die Rede ist. 137 W.C. van Unnik, Motivierung 293; grammatikalisch sic! 138 Zum griechischen Grundsatz der sieben Weisen oder des delphischen Apollo vgl. Syll3 1268 I 14; D. Zeller, Charis 18. Zu gesellschaftlichen Ausprägungen von Reziprozität siehe Kap. 1.2–4. 139 Zur moralischen Tradition, bewusst keinen „Gegendienst“ für eine w\qir zu erwarten, vgl. H. Bolkestein, Wohltätigkeit 169 f, wo dieser neben Demokrit und Aristoteles natürlich auch Seneca nennt.
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Unschärfe in Bezug auf die Art der Leistung (Geschenk oder Darlehen), die Zeitspanne der Rückerwartung und den Status der Austauschpartner.140 Letztere Unschärfe zeigt sich in der verbrämenden amicitia-Terminologie der römischen Oberschicht. Die Atmosphäre scheint bei der Beurteilung des Verhältnisses einen nicht unerheblichen Ausschlag zu geben. Wird das Auseinandertreten beider Handlungsfelder unübersehbar, kommt es zu Entlarvungen wie der Dions, die in der Gastfreundschaft an Reichen nichts als Eigennutz sieht. Die Literatur scheint etwas aufzugreifen und oftmals in Form moralischer Kritik widerzuspiegeln, was gesellschaftlich in der Luft lag und auch für breitere Bevölkerungsschichten in dieser oder jener Form wahrnehmbar wurde: Es wird den einfachen Polisbewohnerinnen und -bewohnern z. B. nicht entgangen sein, wenn vermögende Mitbürger sich für teure öffentliche Aufgaben nicht mehr zur Verfügung stellen mochten, ihr Getreide oder Geld nicht herausrücken wollten. Der lukanische Jesus stimmt in diese Kritik an einer verkappten Wohltätigkeit ein, die sich in ihren Auswirkungen nicht vom eigeninteressierten Geldverleih unterscheidet. Im Gegensatz aber zu den angeführten Literaten, von denen keiner den Anspruch erhebt, die Logik der Kreditvergabe selbst anzufragen, macht Lk genau das. Seneca und Plutarch warnen vor dem acerbus creditor (Ben VII 14,5) bzw. dem t}qammor dameist^r (Vit Aer 828E), haben aber keine Ambitionen, etwas an diesem Regelkreis zu ändern. Dion von Prusa fordert zumindest jenseits einzelmoralischer Entrüstungen soziale Gerechtigkeit für jene, die gegenüber diesen Leuten schlechter gestellt sind und wahrscheinlich unter ihnen leiden (vgl. Or VII 104 f). Dass man sich aber durch das Verleihen von Geld w\qir erwerben soll, wie Lk ex negativo impliziert, scheint von Seneca und Plutarch nicht angezielt, da die beziehungsmäßige Verpflichtung zum Dank gerade nicht auf dem Gebiet der erzwungenen Gegenleistung angesiedelt ist.141 Die Adressaten des Abschnitts werden dagegen zugleich als Wohltäter und Geldverleiher angesprochen. Wie Dion entlarvt der Jesus der Feldrede die Bevorzugung der Wohltätigkeit gegenüber der Leihe, also normativ zu unterscheiden zwischen !cahopoi]y und dam_fy, als elitäre Fiktion. Weder das eine noch das andere erwirkt eine w\qir, die sich von einer ausgleichenden Gegenleistung unterschiede.142 Dazu bedürfte es der 140 Zur idealtypischen Unterscheidung zwischen Reziprozität und kommerziellem Austausch siehe Kap. 5.1. 141 Insofern bleiben die Kategorien gesellschaftlich gesehen unterschieden. 142 Die Bedeutung von t± Usa ist umstritten: Bovon fasst fünf Auffassungen der Forschungsgeschichte zusammen, wobei er selbst meint, dass „bildlich die Gegenseitigkeit“ (F. Bovon, Lk I 318) angesprochen und kritisiert werde. Wie gesehen benutzt Dion von Prusa den Ausdruck in Bezug auf den Reichen gewährte Gastfreundschaft, d. h. im Reziprozitätskontext. Die Leihe gegen Zins (1p· t|j\) scheint er davon abzusetzen, doch die Stelle ist nicht eindeutig. Möglicherweise gilt bei ihm pqosed|jym t_m Usym auch in Bezug auf beide Bereiche (vgl. Or VII 88 f). In dem Fall könnte t± Usa als geprägte Formel für Vergeltung in gleicher Währung, also die Erwartung von etwas qualitativ Gleichem bedeuten, was Zinsnahme nicht ausschlösse (vgl. I.H. Marshall, Lk 263). Diese Vergeltung mit Gleichem unterscheidet das Darlehen vom
162 Grundprogramm lukanischer Reziprozität: w\qir und lish|r in der Feldrede Feindesliebe, was hier heißt, den im ersten Abschnitt der Rede Angesprochenen nicht mehr wie Plutarchs feindseliger Gläubiger (Vit Aer 828E) gegenüber aufzutreten und ihnen den letzten Mantel zu verpfänden. Wollen sich die Wohlhabenden die w\qir des obersten Wohltatenspenders erwerben, müssen sie auf monetäre Gewinnkalkulation bei ihren innergemeindlichen Schuldnern verzichten. 6.3.6 Durch Feindesliebe geht nichts verloren (V. 32–35d) Verzichten die Darlehensgeber auf ihre Forderungen, geht ihnen das Gewährte nicht verloren. Die Phrase !cahopoie?te ja· dam¸fete lgd³m !pekp¸fomter (V. 35b–d) ist als Versicherung in diesem Sinne zu verstehen, nicht als Aufforderung, nichts zurück zu erhoffen. So wäre m. E. zu übersetzen: „Vielmehr: Liebt eure Feinde und tut Gutes und leiht, wodurch ihr nichts verloren gebt“ (Lk 6,35). Die Bedeutung von !pekp_fy als zurückerhoffen ist erst seit der Zeit des Johannes Chrysostomos bezeugt, bis dahin wird es intransitiv verstanden als verzweifeln oder transitiv als (die Hoffnung auf) etwas aufgeben.143 Der Kontext ist hier zu beachten: Lk behauptet, dass Feindesliebe großen Lohn erwirkt, außerdem verheißt er den so Handelnden den familialen Ehrentitel „Söhne des Höchsten“ (vgl. V. 35e–f).144 Folglich dürfen die Wohltäter und Gläubiger durchaus auf eine Vergeltung hoffen, die darin besteht, dass auch sie in die familiäre Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen werden. Zudem wird im Anschluss das Motiv der imitatio dei aufgerufen (vgl. V. 35 g), und für diesen gedanklichen Zusammenhang gibt es wiederum eine Vorlage in De Beneficiis. Am Schluss des Werkes wird ein letztes Mal die Frage diskutiert, wie mit Undank und nicht vergoltenen Wohltaten umzugehen sei: „Nicht ist mir Dank abgestattet worden, was soll ich tun?“ Was die Götter tun, aller Dinge vorzügliche Urheber, die einem Wohltaten ohne dessen Wissen zu erweisen beneficium, das sich gerade durch die Inkommensurabilität seiner Erscheinungsformen auszeichnet: „Denn was eine Wohltat ist, steht nicht fest, ferner nicht, welchen Umfang sie hat“ (Sen., Ben III 7,6; vgl. auch III 8,3 f). In quantitativer Hinsicht liegt lt. De Beneficiis der Unterschied zwischen Wohltat und Darlehen darin, dass bei diesem nur das Erhaltene (quantum accepi) zurückgegeben werden muss, bei jener aber mehr (plus solvendum est), um die Beziehung in Gang zu halten; vgl. Sen., Ben II 18,5). Obwohl er selbst auf Zinsen lieh und ihm die daraus resultierende Dynamik klar gewesen sein muss (siehe Kap. 2.5), stellt Seneca den Kredit hier als etwas dar, das – im Gegensatz zur Wohltat – durch die gleiche Menge des Erhaltenen ausgelöst wird. Möglicherweise ist hier wie bei Lk 6,34 f an nicht-professionelle Leihe gedacht (im Gegensatz zu Lk 19,23; vgl. L. Schottroff/W. Stegemann, Jesus 147), andererseits ist denkbar, dass mit t± Usa die Leihe in Abgrenzung von der Wohltat gemeint ist, ohne dass damit eine Aussage über Zinserhebung und damit auch über deren privaten oder professionellen Charakter gemacht würde. 143 Vgl. I.H. Marshall, Lk 264; zu !pekp_fy als aufgeben vgl. z. B. Diod. S. XX 5,2,7 (!. tµm 1pibok^m). 144 Vgl. M. Ebner, Solidarität 307.
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beginnen und auch, ohne Dank zu erhalten, damit fortfahren […]. Ahmen wir sie nach (imitemur illos); geben wir, auch wenn vieles vergeblich gegeben ist; geben wir nichtsdestoweniger anderen, geben wir eben jenen, bei denen es ein Verlust geworden ist (VII 31,2.5).
Die Schrift endet mit den Worten: Non est magni animi beneficium dare et perdere; hoc est magni animi perdere et dare. Nicht ist es ein Zeichen von Großmut, eine Wohltat zu erweisen und zu verlieren; das ist ein Zeichen von Großmut, sie zu verlieren und zu erweisen (VII 32).
Angesichts der thematischen und motivischen Nähe der Texte sowie des Mangels an Belegen für die Übersetzung von !pekp_fy als zurückerhoffen für die neutestamentliche Zeit ist das Wort im Sinne dessen verstehen, was Seneca mit perdo bezeichnet. Auch die Wiedergabe in der Itala (2. Jh.) mit nihil desperantes scheint noch nah an dem hier vorgeschlagenen Verständnis.145 Sollte diese Deutung zutreffen, wird an dieser Stelle gar nicht gesagt, dass ohne eine Rückerwartung gegeben und geliehen werden soll, sondern dass nichts verloren geht, wenn man Feinden gegenüber wohltätig handelt und ihnen leiht.146 Im Gegenteil empfängt, wer sich daran hält, großen Lohn und Sohnschaft des Höchsten (ja· 5stai b lish¹r rl_m pok¼r, ja· 5seshe uRo· rx¸stou; V. 35e–f).147 Das ist – freilich auf einer anderen Ebene – eine erheblich größere w\qir, als immer nur wiederzubekommen, was man vorher in den Austausch eingezahlt hat. Miriam Griffin spricht mit Blick auf die Seneca-Passage von indirekter Reziprozität. Sie führt aus, dass the cost to the donor of the altruistic act is offset by the gain in goodwill that he secures from the community as a whole, which then increases the chance of his becoming the recipient of such an act later.148
Diese Erwartung dürfen auch die Wohltäter in der lukanischen Gemeinschaft hegen. Vergeltung wird dabei auf denselben zwei Ebenen in Aussicht gestellt, auf denen gehandelt werden soll: Leihen gegen persönlichen Lohn, Wohltätigkeit gegen Erhöhung des Ansehens.
145 Vgl. T. Reinach, Mutuum 54; siehe Einleitung. 146 Insofern ist der Deutung Greens nur eingeschränkt zuzustimmen: „the possibility of calculation and just desserts seem to have been excluded from the outset. Others are to be treated lovingly, period, without thought to reciprocating behavior“ (J.B. Green, Lk 273). 147 Das zweite ja_ ließe sich auch epexegetisch verstehen (vgl. BDR § 442,6), so dass der eigentlich als privat und beziehungslos aufgefasste Lohn in der famlilialen Beziehung der ChristusAnhängerschaft bestünde. 148 M.T. Griffin, Seneca 45.
164 Grundprogramm lukanischer Reziprozität: w\qir und lish|r in der Feldrede 6.3.7 Lohn und Ehre als Vergeltungsperspektive der Vermögenden (V. 35e–g) Die positive Vergeltung wird den Vermögenden in Lk 6,35e–f so in Aussicht gestellt: 35e–f
…ja· 5stai b lish¹r rl_m pok¼r, ja· 5seshe uRo· rx¸stou…
35e–f
…und euer Lohn wird groß sein, und ihr werdet Söhne des Höchsten sein…
Das Verhältnis zwischen Lohn und Ehre soll näher erläutert werden, zunächst zum lish|r-Motiv (6,23.35e): Wo Mt nach dem Lohn fragt, steht bei Lk w\qir (vgl. Mt 5,46; Lk 6,32), dafür stellt dieser anders als Mt den Lohn neben der Gottessohnschaft in Aussicht (vgl. Mt 5,45; Lk 6,35). Im lukanischen Schrifttum findet sich der Begriff außer in Apg 1,18 noch in Lk 10,7 in Bezug auf die Arbeit der Jünger bei der Mission.149 Die l_shioi des barmherzigen Vaters werden vom Sohn beneidet (vgl. Lk 15,17.19.21).150 Auch wenn in Lk 6,23c ein immaterieller Lohn gemeint sein dürfte, ist für den neutestamentlichen und speziell den lukanischen Gebrauch hinsichtlich des Lohnbegriffs keineswegs von einer toten Metapher auszugehen. Generell wird mit lish|r eine materielle oder ideelle Gratifikation bezeichnet, die immer asymmetrisch gewährt wird. Negativ konnotiert ist der Begriff Sitta von Reden zufolge nur dann, wenn die übergeordnete Instanz, die den Lohn spendet, nicht über jeden Zweifel erhaben ist.151 Beim Lohn scheint es demnach v. a. darauf anzukommen, von wem man ihn entgegennimmt. Es kann als durchaus ehrenvoll angesehen werden, von der Polis lish|r zu erhalten oder, erst recht, von den Göttern. Deshalb ist auch die Verwendung im Sinne einer positiven Vergeltung nach dem Tod für den Lohnempfänger unproblematisch. Als kalkulierbares Verdienst ist der Lohn von der Gabe zu unterscheiden. Auch in der Septuaginta wird zwischen Lohn und Gabe unterschieden. So fragt Laban in Gen 30,31 LXX Jakob: „Was soll ich dir schenken“ (T¸ soi d¾sy)? Darauf antwortet dieser: „Nichts sollst du mir schenken“ (Oq d¾seir loi oqh´m). Sodann bittet er sich die Aussonderung bestimmter Tiere aus den Schafherden Labans aus und erklärt: „das wird mein Lohn sein“ (5stai loi lishºr; V. 32). Aufschlussreich ist ferner, wie Micha beschreibt, was in Jerusalem seiner Ansicht nach schiefläuft: 149 In Bezug auf die Verwendung bei Mt meint Louise J. Lawrence: „Ideas of divine compensation and judgment provide the interpretive context for all the other Matthean uses of this term (5:12; 10:41, 42; 20:1, 8) and create a dialogical contrast to the quest for the earthly rewards that are mentioned in this passage (vv. 2, 5, 16). Those who do their righteous deeds in order to be observed by others are stigmatized as rpojqita_ (vv. 2, 5, 16)“ (dies., Reward 700). 150 Dieser hatte vorher erst einen aufwändigen Lebensstil geführt (diesjºqpisem tµm oqs¸am aqtoO f_m !s¾tyr; V. 13) und dann erfolglos versucht, möglicherweise als Klient eines Mitbürgers sein Auskommen zu finden (1jokk¶hg 2m· t_m pokit_m; V. 15). 151 Vgl. S. von Reden, Exchange 89–92; J.M.G. Barclay, Paul 32 und i.d.Anm.
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oR Bco¼lemoi aqt/r let± d¾qym 5jqimom, ja· oR Reqe?r aqt/r let± lishoO !pejq¸momto, ja· oR pqov/tai aqt/r let± !qcuq¸ou 1lamte¼omto… Ihre Anführer richteten für Geschenke, und ihre Priester antworteten um Lohn, und ihre Propheten wahrsagten um Geld (Mi 3,11).
Geschenke, Lohn und Geld werden hier komplementär, in Bezug auf die ausgeübten Führungstätigkeiten in ablehnender Weise gebraucht. Es finden sich aber auch v. a. in der Weisheitsliteratur Kollokationen mit Wohltätigkeitssemantik, wie lish¹r !cah|r (Koh 4,9), lm^lg als lish|r (Koh 9,5) oder lish¹r waq_tym (Spr 17,8). In zeitgenössischen paganen Texten gerät der Lohn z. T. in Verruf, fällt ansehensmäßig jedenfalls gegenüber dem Austausch von Wohltaten ab. Das wird sehr deutlich beim beneficium als per se expetenda res, das scharf von jeglicher Kalkulation auf merces abgegrenzt wird.152 Glaubt man Arthur R. Hands, war die Annahme von Lohn unter den Eliten kaum denkbar: „In the upper class of both Greece and Rome the acceptance of payment remained shocking, for it implied that the recipient was the employee of the other party.“153 Als kaiserzeitliches Beispiel nennt er Quintilian, der zerknirscht zugab, dass ein armer Rhetor für seine Dienste Geld nehmen müsse und sich mühte, diesen Lohnempfang zu einer Art gegenseitigem tätigem Wohlwollen (mutua benevolentia) umzudeuten, um ihn damit auf der höheren Ebene der Wohltätigkeit anzusiedeln. Die Dienstleistung sollte theoretisch uneigennützig, beneficio loco erfolgen (vgl. Inst Orat XII 1,7).154 Auch der apostolische Lohn, wie Paulus ihn thematisiert, erweist sich in dieser Hinsicht als nicht unproblematisch: Ob er von den Thessalonichern monetäre Zuwendungen erhalten hat, ist unsicher, doch weist er ihnen gegenüber vehement den möglichen Vorwurf von Hab- oder Ehrsucht zurück (vgl. 1 Thess 2,5 f).155 Dass ihm lish|r zustünde, sagt er an dieser Stelle nicht direkt, spricht stattdessen von seiner Arbeit und Mühe (vgl. V. 9).156 Wenn er sich an den Begriff wagt, verdreht er ihn in paradoxer Weise: Gerade im Verzicht auf Unterhalt hat er Lohn (vgl. 1 Kor 9,17 f).157 In 2 Kor 12,15 erwähnt 152 Vgl. Sen., Ben IV 1,2; siehe Kap. 2.3. 153 A.R. Hands, Charities 33. Die veränderten Bedingungen, unter denen sich innerhalb der römischen Senatorenschaft Geld geliehen wurde, bzw. die professionelle Auslagerung dieser Tätigkeit, ist oben besprochen worden. Dass nur Statusniederen, z. T. mit großer Geste monetäre Zuwendungen gemacht wurden, passt zu dem Gefälle, das an dieser Stelle sicher oftmals deutlich werden sollte (siehe Kap. 4.3.1). 154 Vgl. A.R. Hands, Charities 34. 155 Vgl. H. Lçhr, Lohn 193 f. Zu der Motivkombination von Habsucht und Ehrgeiz siehe Kap. 5.3. 156 Dabei legt Paulus die grundsätzliche Definition zugrunde, dass dem Arbeitenden sein Lohn nicht etwa jat± w²qim, sondern jat± ave¸kgla zustehe (vgl. Röm 4,4). 157 Vgl. H. Lçhr, Lohn 199. Dass es in der Sache um seinen Apostellohn geht dürfte klar sein, hier liegt der Fokus jedoch auf der Art, wie Paulus die Lohn-Semantik verwendet. Dass für ihn wie die anderen Apostel aus der Verkündigungsarbeit ein Recht auf Versorgung erwächst, legt er in 1 Kor 9,1–11 dar (vgl. auch Phil 4,15). Gleichwohl verzichtet er auf diesen Anspruch und erklärt
166 Grundprogramm lukanischer Reziprozität: w\qir und lish|r in der Feldrede Paulus Aufwendungen für die Gemeinde im Zusammenhang damit, dass er ihr nicht zur Last gefallen sei; danach heißt es, er habe sie nicht übervorteilt (1pkeom´jtgsa; V. 17.18). Den Umstand, dass er abhängige Lohnarbeit versieht, umgeht er rhetorisch, indem er abwechselnd in die Extreme von Selbsterniedrigung und Freigebigkeit im Sinne antiker 1keuheqi|tgr/liberalitas verfällt.158 Dass ein beneficium nicht für lucrum zu gewähren ist (Sen., Ben IV 11,1), findet in der Literatur in unterschiedlichen Kontexten Widerhall.159 Im politischen Kontext galt es als ehrenvoll, sich die Amtsführung nicht entlohnen zu lassen.160 Plutarch will nicht einmal, dass die Ehre (til^) als Lohn (lish|r) für das Engagement zugunsten der Polis angesehen werden soll, sondern als Symbol dessen (vgl. Praec Ger Reip 820E). Auch auf Seiten der Empfänger von Gunsterweisen scheint sich eine Ökonomisierung abzuzeichnen, wie bei Martial (III 7) deutlich wird: Armselige hundert Quadranten, lebt wohl jetzt, Spende für einen erschöpften Lakaien, die ein schweißtriefender Bademeister auszuteilen pflegte. Was denkt ihr jetzt, ihr ausgehungerten Freunde? Das Tagegeld unseres stolzen Patrons ist ausgeblieben! „Keine Ausflüchte! Jetzt muß man uns ein Gehalt geben (iam salarium dandum est)!“161
Damit wird die Geldspende, die an sich im Rahmen des Gegenseitigkeitsethos unproblematisch erscheint, ökonomisiert, indem sie exakt kalkuliert und mit einem rechtlich einklagbaren Anspruch verknüpft wird. Lish|r zielt demnach auf eine individuelle Gratifikation, die man für sich persönlich einfordert. Das Nebeneinander von profaner und eschatologischer Bedeutung bei Lk und in seinem Umfeld belässt dem Ausdruck dabei seine konkreten Konnotationen. Die Positionierung im Kontext von Wohltätigkeitsund Darlehenssemantik vermittelt den impliziten Lesern, die in gesellschaftlichen Geberrollen zu verorten sind, ein ambivalentes Signal: Wohltätigkeit
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eben diesen Verzicht als Ruhm (ja¼wgla) und Lohn (lish|r; 1 Kor 9,12.15–18), spricht also explizit erst dann von lish|r, wenn deutlich wird, dass er ihn nicht einfordern wird. In Bezug auf 2 Kor 11,7–10 meint Lçhr: „Der Unterhaltsverzicht wird hier einerseits als Selbsterniedrigung zu verstehen gegeben, andererseits als Ruhmestitel des Apostels“ (ders., Lohn 200). In Ep I 8 schildert Plinius sein vermeintliches inneres Skrutinium, ob er seine largitio publizieren soll und wie sich das zur Auffassung einer um ihrer selbst willen getane Wohltat verhält. „In Mytilene nahm laut IG XII 2,484 (IGR IV 116) der als Arzt (!qwiatq|r) von Abgaben und Leistungen befreite (akito}qcator) Bresos, S[ohn] d. Bresos, die Bularchie und Nomophylakie ja· %kkar (sc. !qw\r bzw. keitouqc_ar) wahr, obwohl er zahlreiche ständige sakrale Funktionen innehatte und außerdem seit vierzig Jahren als Fremdenführer (peqigc^tar) fungierte, und zwar ,ohne Anordnung und Lohn‘, was nach Auskunft der Inschrift eine Ausnahme darstellte, Z.26ff: […] %meu sumt\nior ja· lishoO“ (F. Quass, Honoratiorenschicht 337 i.d.Anm). Vgl. A. Ganter, Welt 216.
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erweist man idealiter nicht gegen Belohnung. Sich in die Rolle des Lohnempfängers zu begeben, scheint allenfalls einer unzweifelhaften Autorität gegenüber legitim. Diese Autorität ist wohl „der Höchste“, zu dessen Söhnen man ernannt wird, wenn man sich im erläuterten Sinne verhält. Dass die Anrede als Sohn und generell familiale Terminologie zur Ehrung euergetischer Verdienste verwendet wurde, ist durch viele Ehrendekrete bezeugt.162 Feinde zu lieben, d. h. ihnen beneficia zu erweisen und ihnen zu leihen, führt demnach zu persönlichem Gewinn und Ansehenszuwachs. Das Gewährte geht dadurch nicht, wie man befürchten würde, verloren (vgl. V. 35d), was bedeutet, dass anders als in Senecas Idealkonzeption durchaus auch auf die persönliche utilitas kalkuliert werden darf. Auch der Verweis auf Gottes Güte in Lk 6,35 g setzt auf den Ebenen Wohltätigkeit und Kreditwürdigkeit an, wie an den Begriffen undankbar (!w\qistor) und schlecht (pomgq|r) gezeigt werden kann: 35g
…weil er selbst gütig (wqgst|r) gegenüber Undankbaren und Schlechten (!waq_stour ja· pomgqo}r) ist.
Beneficia trotz Undanks aktiv weiter zu erweisen, geht dabei tendenziell über Seneca hinaus, bei dem die Götter nicht anders können als auch die Undankbaren zu bedenken (vgl. Ben IV 26,1–3).163 Demzufolge ist einem betrügerischen Undankbaren ebenso wenig eine Wohltat zu erweisen wie einem Bankrotteur (decoctori) Geld zu leihen – beides wird den Vermögenden im lukanischen Tugendhandbuch empfohlen! In diesem doppelten Sinne, als undankbare Benefizienempfänger und nicht-kreditwürdige Darlehensnehmer, sind die !w\qistoi bzw. pomgqo_ zu verstehen. Schon in den Makarismen kommt der Name der armen Menschensohnanhänger bei den Menschen als etwas Schlechtes (¢r pomgq|m) zur Sprache (V. 22e). Auch der Sklave im Gleichnis vom anvertrauten Geld wird von seinem Herrn so beschimpft (vgl. Lk 19,22b), weil er mit dem Darlehen nicht zinsorientiert gewirtschaftet habe. Der Ausdruck findet sich bei Lk demnach u. a. als unzutreffende Fremdzuschreibung und im Zusammenhang von Kreditwürdigkeit. In V. 35 g sind somit wieder beide Austauschfelder angesprochen. In beiden Bereichen ist Gott also nachzuahmen. Dass Gott wqgst|r, also wohltätig ist, wird als vorbildhaft dargestellt.164 Wenn hier von einer imitatio 162 Vgl. G. Gerlach, Ehreninschriften 39 f. In Sir 4,8–10 heißt es im Kontext von Gaben an Arme: „Neige dem Armen dein Ohr und antworte ihm Friedliches in Milde. Errette den ungerecht Behandelten aus der Hand des ungerecht Handelnden, und sei nicht kleinlich in deinem Richten (1m t` jq¸meim se: in deiner Beurteilung). Werde den Waisen wie ein Vater und tritt an die Stelle des Mannes für ihre Mutter. Und du wirst sein wie ein Sohn des Höchsten (¢r uR¹r rx¸stou).“ 163 Siehe aber die oben zitierten Beispiele aus Ben VII 31–32, wo Seneca sich dazu durchringt, als höchste Stufe der imitatio dei auch Undankbaren fortgesetzt Benefizien zukommen lassen. 164 Zur Entsprechung von wqgst|tgr und beneficentia, benignitas, liberalitas vgl. Cic., Off I 20; H. Bolkestein, Wohltätigkeit 139; J. Marshall, Jesus 223 f. Im stoischen Zusammenhang ist
168 Grundprogramm lukanischer Reziprozität: w\qir und lish|r in der Feldrede dei die Rede ist, bedeutet das dann, dass die in V. 27b–30 erstgenannte Gruppe der Schuldner und Opfer als Undankbare und Schlechte apostrophiert wird? In den Augen der Korn- und Geldgeber mögen sie so eingeschätzt werden, gegenüber Gottes Gaben dürfen die Vermögenden sich jedoch selbst als Undankbare und Schlechte auffassen: Das trifft v. a. zu, solange sie nicht nach Jesu Lehre handeln, wie sie bis dahin ausgeführt worden ist. Doch auch wenn sie Wohltaten an undankbare, weil ressourcenarme Empfangende weitergeben und Bankrotteuren Geld leihen: Sie sollen sich anschließend selbst, zumindest nach Lk 17,10, als unnütze Knechte (doOkoi !wqe?oi) ansehen, die nur tun, was ihnen aufgetragen wurde.165
6.3.8 Geber und Empfänger oder Täter und Opfer (V. 36–38)? Mit Barmherzigkeit ist ein neuer Aspekt sozialen Handelns eingeführt, mit dem Lk die Regelkreise Reziprozität und Marktwirtschaft überschreitet: 36
Werdet Mitleidende (oQjt¸qlomer), wie auch euer Vater mitleidend ist. Und beurteilt nicht (lµ jq_mete), und ihr werdet nicht beurteilt; und verurteilt nicht (lµ jatadij\fete), und ihr werdet nicht verurteilt. Erlasst (!pok¼ete), und euch wird erlassen werden; 38 gebt (d¸dote), und euch wird gegeben werden: ein schönes, festgedrücktes Maß (l]tqom), gerüttelt (und) überfließend, werden sie in euren Schoß geben: Denn mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird euch zugemessen werden.
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Gegenüber oQjtiql|r ist im paganen Gebrauch 5keor weiter verbreitet, das Aristoteles als Mitleid mit Opfern unverdient erlittenen Unrechts definiert und von w\qir unterscheidet.166 Wie die hier zur Sprache kommende Barmherzigkeit aufzufassen und umzusetzen ist, wird nachfolgend wiederum für beide Austauschfelder ausgeführt: Die Aufforderung lµ jq¸mete (V. 37) unterscheidet sich von lµ jatadij²fete, da erstere im Bereich der Wohltätigkeit anzusiedeln ist. Es soll auf ein iudicium im Sinne einer Beurteilung und Auswahl würdiger Empfänger verzichtet werden, womit auf den Appell Bezug genommen wird jedem zu geben, der einen bittet (vgl. V. 30a–b).167 Auf die Tugendfiktion, derzufolge behauptet wurde, dass ein Begünstigter sorgsam wqgst|tgr die Tugend des Wohltuns, „defined as the knowledge of doing good (SVF iii. 264) and a disposition to do it willingly (SVF iii. 273)“ (vgl. M.T. Griffin, Seneca 19). 165 Das bedeutet, „the critical value here is not reciprocity but behavior rooted in the imitation of God“ (J.B. Green, Lk 275). Dass Gottes Güte hier in Bezug auf die nicht-kreditwürdigen Schuldner gemünzt ist, meint I.H. Marshall, Lk 265. 166 Vgl. Aristot., Rhet 1385b; A. Parkin, Service 64 f. 167 Im Sinne einer Beurteilung wird jq_my in Lk 7,43 und 21,57 gebraucht, als Verurteilung in 19,22.
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und nach uneigennützigen Kriterien ausgewählt worden sei, wird damit verzichtet. In der Lebenswirklichkeit der Urteilenden und Beurteilten kam es, was die Gewährung einer Gunst angeht, wie gezeigt zu Rollendoppelungen: Nicht nur die Klagen Martials und Juvenals über Patrone, die sich andernorts als Klienten einstellten, sondern das ganze gesellschaftliche System einer Wohltatenverteilung von oben nach unten, das beim Kaiser seinen Ausgang nahm, machen Lks Spruchreihe hier anschlussfähig: Unterschiedliche soziale Statusgruppen fungierten als Geber und Empfänger von Gnaden – bzw. als Täter oder Opfer der damit strukturell einhergehenden Schikanen.168 Somit liegt entgegen allgemeiner Ansicht m. E. ein synthetischer, kein synonymer Parallelismus zu lµ jatadij²fete vor, womit dann die rechtliche Sanktionierung von Geldgeschäften gemeint wäre.169 Nach dieser Deutung wird in diesem Abschnitt kein neues Thema eröffnet, sondern das bisherige konsequent weiterverfolgt. Das gilt ebenso für den folgenden Appell zu „erlassen“. )pok}y (V. 37e–f) kann im Schuldrecht angesiedelt werden, ebenso aber im städtischen Wohltätigkeitskontext, wo es im Zusammenhang mit Abgabenfreiheit gebraucht wird.170 Das l´tqom (V. 38) verklammert den Abschnitt mit den Seligpreisungen über das Motiv der Getreideverteilung. Es kann auf zweifache Weise verstanden werden: Für Leute, die auf Lebensmittelspenden angewiesen waren oder mit Getreide handelten, stellte ein überfließendes Maß eine konkrete Wunschvorstellung dar.171 Zugleich klingt in den Ohren Vermögender, die Getreide eher austeilen sollten als es in Empfang zu nehmen, das eschatologische Verständnis vom Maß an, das von Gott entsprechend dem eigenen Tun zugemessen wird – sofern sie diesen kulturellen Background hatten.172 In der lukanischen Version des Vaterunsers wird nochmals verdichtet zum Ausdruck gebracht, was von den Vermögenden hinsichtlich des Verleihens von Geld erwartet wird. Der Vergleich mit Mt und der Didache lässt die Akzentsetzung erkennen: 168 So beschreibt es ja auch die Folgeerzählung vom Centurion in Lk 7,1–10. Zum Phänomen der Rollenwechsel und -doppelungen innerhalb der Elite siehe Kap. 4.3; zum Princeps als oberstem Spender von Wohltaten siehe Kap. 1.3. 169 Auch hierbei kann der Positionswechsel im gesellschaftlichen Leben nachvollzogen werden: Zum einen waren viele unterschiedlichen Mitmenschen gegenüber in der Rolle des Gläubigers oder Schuldners, zum anderen versucht ja auch der von Plutarch beschriebene Schuldner – gleichwohl erfolglos, sich gerichtlich mit seinem Gläubiger auseinanderzusetzen (vgl. Vit Aer 828E; siehe oben). 170 Zu !pok}y im juridischen Kontext vgl. I.H. Marshall, Lk 266; als Erlassung von Schulden vgl. F.W. Danker, Jesus 162; inschriftlich vgl. z. B. IMyl 830; als Freiheit von Leiturgien bei Diog. L. X 113; vgl. auch Dio Chrys., Or VII 28. 171 Bovon weist auf die Nähe des hier beschriebenen Vorgangs zum handelsmäßigen Befüllen von Getreidebehältern im ägyptischen Raum hin (vgl. ders., Lk I 324). 172 Neben anderen erwähnt Aristoteles den legendären Cimon, der mittels seines Reichtums durch tägliche Zuteilungen – l]tqia an jeden beliebigen Lakiaden, Einfluss in Athen erlangte (vgl. Ath Pol 27,3; H. Bolkestein, Wohltätigkeit 200 f).
170 Grundprogramm lukanischer Reziprozität: w\qir und lish|r in der Feldrede Tabelle 5: Die Vergebungsbitte des VU in Mt 6,12; Lk 11,4 und Did 8,2 Mt 6,12
Lk 11,4
Did 8,2
ja· %ver Bl?m t± aveik¶lata Bl_m, ¢r ja· Ble?r !v¶jalem to?r aveik´tair Bl_m
ja· %ver Bl?m t±r "laqt¸ar ja· %ver Bl?m tµm aveiBl_m, kµm Bl_m, ¢r ja· c±q aqto· !v¸olem pamt· ja· Ble?r !v_elem to?r ave¸komti Bl?m aveik]tair Bl_m
Nur Lk differenziert hinsichtlich dessen, was erlassen werden soll und was die Betenden ihrerseits anderen erlassen wollen. Auf der einen Seite steht eine Bitte um die Vergebung von Fehlern (V. 4a), auf der anderen Seite, als Begründung („denn auch wir selbst“), eine Selbstverpflichtung zum Erstatten von Schuld (V. 4b–c), und zwar einer Geldschuld.173 Die Brotbitte in Lk 11,3 ist eher wichtig für eine Gruppe, die in den Makarismen oder dem ersten Teil der Aufforderungen zur Feindesliebe (vgl. Lk 6,27b–30/31) adressiert ist. Diejenigen, die um die Vergebung ihrer Sünden bitten, sind wiederum anscheinend in der Lage, jedem zu leihen (vgl. Lk 6,30a), und eben darin liegt der Grund, warum Gott ihnen vergeben soll – nur Lk hat ja· c±q aqto¸: weil sie sich nämlich als gnädige Gläubiger vor Gott w\qir im Sinne von Lk 6,34 f zu erwerben suchen, indem sie ihren Schuldnern ihre Darlehen erlassen. Die pragmatische Finesse der lukanischen Version des Herrengebets liegt m. E. darin, dass eine Sprechsituation vorzustellen ist, in der die Gemeinde gemeinsam um das bittet, was den einzelnen Gruppen jeweils zukommen soll. Dabei kommt Gemeindemitgliedern mit Möglichkeiten Brot zu verteilen, zu Ohren, wie Mitbeter eben hierum bitten. Gleichermaßen hören Schuldner, wie ihre Gläubiger beten, dass sie auf das Eintreiben ihrer Forderungen verzichten wollen.
6.4 Adressierte der Feldrede Wer sind die Reichen der Feldrede? Der Textstruktur der Weherufe zufolge sind sie unter die Jünger zu zählen, wie die Armen scheinen sie mit biblischeschatologischen Vorstellungen vertraut. Man darf also annehmen, dass hier gemeindeinterne soziale Feindschaft verhandelt wird.174 Die aktuell zufriedenen und angesehenen Leute sind in das städtische Leben gut integriert, alle reden schön von ihnen (vgl. 6,26a). Die zuerst erwähnten Armen dürften ihnen peinlich sein. Was generell von ihnen erwartet wird, wird in Lk 6,45 formuliert: 173 Vgl. M. Wolter, Lk 404 f. 174 Generell sieht Kyoshi Mineshige bei Lk die Reichen adressiert (vgl. ders., Besitzverzicht 39).
Adressierte der Feldrede 45
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b !cah¹r %mhqypor 1j toO !cahoO hgsauqoO t/r jaqd¸ar pqov´qei t¹ !cahºm…
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Der gute Mensch bringt aus dem guten Geldkasten seines Herzens das Gute hervor…
Ein guter Mensch (!cah¹r %mhqypor; V. 45a) ist nach Auffassung der Antike einer, der sich freigebig zeigt. Von ihm wird die Verteilung von Gütern (!cah\) erwartet. Dass die Wohltat in guter Gesinnung, sozusagen aus der inneren Schatzkiste erfolgt, unterscheidet sie von den Schlechtigkeiten des bösen Menschen (6,45b). Bildspender des hgsauq|r ist dabei der Ort der Geldaufbewahrung (arca) im Haus, durch die Verinnerlichung wird die wenig gerühmte Freigebigkeit aus der Geldtruhe (largitio ex arca) geadelt.175 Als Prozess der Verinnerlichung fasst Hans-Dieter Betz die Entwicklung vom guten oder wohltätigen Mann zum Menschen (!mµq/%mhqypor !cah|r) auf. Damit verbunden habe es einen Wandel des Rollenbildes gegeben.176 Als Ausgangspunkt nimmt er dabei das Alltagsverständnis vom wohltätigen Mann, der seiner Polis-Gemeinde Zuwendungen aus eigenen Mitteln macht und dafür von dieser öffentliche Anerkennung erhält. Besonderes Gewicht legt Betz im Weiteren aber auf die philosophische Reinterpretation dieses Konzepts: Bei Plato wird die Qualität des guten Menschen von dessen öffentlicher Beurteilung getrennt, in den pseudo-platonischen Definitionen dann die Androzentrik aufgebrochen.177 In diesem menschlichen Sinne gehe es der Feldrede darum zu erörtern, wie der Jünger Jesu eine gute Person werden könne.178 Dabei lernten die hellenistischen Hörerinnen und Hörer des Evangeliums Betz zufolge eine neue Sprache: „True humanness no longer rests in care for the divine soul (xuw^) or for the divine part of the soul, the ‘mind’ (moOr), but it is centered in the heart, from which […] ‘the good’ emerges – provided that the good resides there. ‘The good’ consists neither of material possessions nor of virtuous deeds but of thoughts and decisions made or generated from the heart.“179 So überzeugend Betz die philosophischen Linien auszieht, so muss m. E. doch der Aspekt der Weitergabe von Gütern, der dem Begriff !cah|r/!cahºm innewohnt, hier stärker berücksichtigt werden.180 175 Zur largitio ex arca vgl. Cic., Off II 52. Hier war wohl auch das Geld für die Ausgabe der sportulae deponiert. Zu den arcae im pompejanischen Haus führt Jens-Arne Dickmann aus: „Als ,Geldkisten‘ und Depositorien erfüllten sie stets einen sehr konkreten Zweck, der ihre Aufstellung seitens der Hausherrn auch in der Spätzeit der Stadt sinnvoll erscheinen läßt. […] Es handelte sich bei ihnen um ausgesprochene Luxusmöbel, die vor allem in den atria großer domus standen“ (ders., Domus 111–113). 176 Vgl. H.D. Betz, Sermon 630–632; mit weiterer Literatur zum !mµq !cah|r. 177 Vgl. H.D. Betz, Sermon 630 f, mit Verweis auf Plat., Ap 21c–22e; Crito 44e; Prot 353a; Pseud. Plat., Def 415d,6 f. 178 Vgl. H.D. Betz, Sermon 633. 179 H.D. Betz, Sermon 634; Hervorhebungen im Original. 180 Jçrg Rçder deutet diesen Aspekt an, wenn er sagt: „Gott ist nicht nur der einzig Gute, er ist auch der Ursprung des Guten, das wiederum weitergegeben werden kann“ (ders., Testament 108) – nach antiker Auffassung: weitergegeben werden muss!
172 Grundprogramm lukanischer Reziprozität: w\qir und lish|r in der Feldrede Die Feldrede dreht sich um konkrete Fragen der Distribution von Geld und Naturalien, näherhin Getreide, so dass an dieser Stelle kaum eine rein innerlich-philosophische Bestimmung dessen angezielt ist, was einen guten Menschen oder Jünger ausmacht. Betz selbst weist auf die Definition des vir bonus bei Horaz hin:181 Wer aber ist nun jener „gute Mann“? ,Wer unserer Väter Satzungen, wer Gesetz und Recht wahrt, durch dessen Richterspruch viele gewichtige Streitigkeiten entschieden werden; durch dessen Bürgschaft Eigentum in Sicherheit bleibt und durch dessen Zeugnisse Prozesse gewonnen werden (Ep I 16,40–43).
Diese handfeste Pflichtenbeschreibung scheint – gerade mit Blick auf die Erwartung juristischen wie finanziellen Engagements – näher an den Vorstellungen, die der Feldrede zugrunde liegen.182 So wird der in Lk 23,50 als !mµq !cah¹r ja· d¸jaior bezeichnete Joseph von Arimathäa als Ratsmitglied eingeführt und kann als solches offenbar mit Pilatus in Kontakt treten (vgl. Lk 23,52). Angezielt ist beim lukanischen Verständnis des wahren !cah¹r %mhqypor gewiss nicht das Ansehen (d|na) vor den Menschen, zumindest nicht denen außerhalb der Gemeinde, wie sie den Reichen in den Weherufen attestiert wird (vgl. Lk 6,23–26). Ein – freilich transformiertes – Streben nach Ehre innerhalb der neuen Gemeinschaft scheint aber von Lk nicht gänzlich eliminiert zu werden, wie die Aufnahme des !cah¹r %mhqypor-Motivs zeigt (vgl. auch 6,35 f). Vermögende können bei Lk jedoch auch sozial randständig erscheinen.183 Gerade diese Gestalten werden als exempla für richtigen Umgang mit Besitz angeführt, wie etwa der als „Sünder“ (19,7) bezeichnete Zöllner Zachäus, die Unterstützerinnen in Lk 8,3 sowie die „Sünderin“ beim Gastmahl des Pharisäers Simon (Lk 7,36–50). Bei dieser Erzählung prallen die Welten aufeinan181 Vgl. H.D. Betz, Sermon 631. 182 Dafür spricht auch die Darstellung des Centurion in der sich anschließenden Perikope Lk 7,1–10, der sich dem jüdischen Volk gegenüber als klassischer Euerget erwiesen habe und daher %nior w\qitor sei (zum Ausdruck vgl. D.A. DeSilva, Honor 113, mit Verweis auf Dio Chrys., Or XXXI 38). 183 Schottroff und Stegemann nehmen für die Lk vor Augen stehende Gemeindesituation Spannungen an, die sowohl materiell als auch sozial bedingt seien: „Angesehene Christen blicken mit Verachtung auf die kleinen Leute herab, zumal wenn sie im Geruch illegaler Verhaltensweisen stehen (Zöllner, Soldaten). Wie überhaupt in der römischen Kaiserzeit üblich, sind die sozialen Unterschiede nicht mit den materiellen unbedingt identisch. Ein Reicher – wie der Oberzöllner Zakchäus – kann durchaus zu den Verachteten gehören“ (dies., Jesus 149). Bzgl. des Verhältnisses der lukanischen zu jüdischen Gemeinden positioniert sich Wolfgang Stegemann wie folgt: „Die ,feindliche‘ und ablehnende Haltung des synagogalen Judentums gegenüber den Christen, die sich durchaus im lukanischen Doppelwerk reflektiert, kann also kaum aus einer aktuellen Exklusion von Judenchristen aus der Synagoge verstanden werden. Sie ist vielmehr im Kontext der im Paulus-Teil der Acta geschilderten Konflikte im Beziehungsdreieck christliche Gemeinde – Synagoge – heidnische Öffentlichkeit (Obrigkeit) zu suchen und läuft […] auf die Erfahrung der Distanzierung des synagogalen Judentums von den Christen hinaus“ (ders., Synagoge 36; Hervorhebung im Original).
Adressierte der Feldrede
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der: Lk „konfrontiert hier in der Gestalt des Pharisäers den gesellschaftlich Angesehenen mit gesellschaftlich Verachteten.“184 In seiner Darstellung der Pharisäer vereinigt sich der Vorwurf von Geldgier (vikaqcuq_a) mit dem des Ehrgeizes (vikotil_a), ersterer wörtlich, letzterer der Bedeutung nach: Die Vaqisa?oi vik²qcuqoi (Lk 16,14) werden von Jesus beschuldigt, sich vor den Menschen als gerecht darzustellen (dijaioOmter 2auto»r 1m¾piom t_m !mhq¾pym; 16,15), beide Aspekte – Geld und Ansehen – sowie die Referenzgruppe „die Menschen“ entsprechen Seligpreisungen und Weherufen. Dieser Vorwurf ist auch bei Dion von Prusa und Philo zu finden und scheint einen literarischen Topos der Kritik an falschen Lehrern darzustellen.185 Dass Lehrautoritäten angesprochen sind, zeigt sich zudem an Lk 6,39 f: 39b
Kann etwa ein Blinder einen Blinden führen? Werden sie nicht beide in die Grube fallen? 40 Kein Schüler steht über dem Meister. Jeder aber wird, wenn er ausgebildet ist, sein wie sein Meister.
Heinz Schürmann zufolge wird im Doppelvers ein Konflikt im Bereich der Lehrautorität verhandelt. Dabei gilt: „Die Lehre, wie sie 6,27–38 vorgelegt wurde, ist und bleibt der Maßstab.“186 Diese Lehre dreht sich zentral um „sozialen Status“187. Rudolf Hoppe stellt heraus, dass nach Lk 4,18 und 4,43 „die Sendung Jesu zu den Armen zum Inhalt seiner Gottesreich-Botschaft“188 gemacht wird, „und damit bringt Jesus als Inbegriff seiner Botschaft das Reich Gottes für die Armen. Von hier aus versteht sich der Zuspruch an die Armen in der ersten Seligpreisung“189. Die Lehre besteht in der Umsetzung dieser frohen Botschaft für die Armen. Ggf. angesprochene Lehrkonflikte können daher nicht losgelöst von den vorhergehenden Aufforderungen gelesen werden, zum sozialen Feind in der Gemeinde ein Verhältnis der Freundschaft (amicitia/ vik_a) aufzubauen.
184 L. Schottroff/W. Stegemann, Jesus 115. Zur Darstellung der Pharisäer vgl. auch H. Moxnes, Economy 1–21. Klar müsste sein, „that we must start by asking not the historical question, but rather, Is Luke here using traditional language, a topos? And if so, what is the role of this topos within the larger structure of Luke’s narrative“ (H. Moxnes, Economy 6; Hervorhebung im Original). Erst danach ist die Frage zu stellen – und zwar zunächst auf der Ebene der LkTexte – ob und wenn ja welche historischen Hintergründe wahrscheinlich gemacht werden können. 185 Vgl. H. Moxnes, Economy 6 f, mit Verweis auf Dio Chrys., Or XXXII 10 f; XXXV 1; LIV 1–3; Philo, Praem Poen 127; Gig 37, sowie die neutestamentliche Verhandlung des Problems Lehrtätigkeit und Geld in Bezug auf Paulus in Apg 20,33–35; 1 Thess 2,5 f, sowie in den Pastoralbriefen in 1 Tim 6,5; 2 Tim 3,2; Tit 1,11. 186 H. Sch rmann, Lk I 369; vgl. M. Wolter, Lk 363. 187 M. Wolter, Lk 263, der ebendas mit dem gleichen Bezug auf Sch rmann bestreitet. 188 U. Berges/R. Hoppe, Arm 85. 189 U. Berges/R. Hoppe, Arm 85; Hervorhebung im Original.
174 Grundprogramm lukanischer Reziprozität: w\qir und lish|r in der Feldrede Das Bildwort von der Blindenführung taucht in der Umwelt des NT ebenfalls im Kontext der Belehrung auf.190 Es kann auch monetär gefärbt sein: Plato urteilt über den typischen Oligarchen, dass dieser auf Geistesbildung nichts gebe, „denn sonst hätte er nicht einen Blinden zum Führer des Chores gemacht und würde ihn nicht am meisten in Ehren halten“ (Resp 554b). Gemeint ist Pluto, Gott des Reichtums, der in der antiken Ikonographie oft als Blinder dargestellt wurde.191 Einem Blinden zu folgen scheint ein sprichwörtlicher Ausdruck für Geldgier gewesen zu sein.192 Demnach würde in Lk 6,39 indirekt vor Habgier gewarnt.
Im Ergebnis stehen die in der Feldrede angesprochenen Reichen in Bezug auf ihr Verhältnis zu Geld und Ansehen charakteristisch den Pharisäern nahe, wie sie von Lk beschrieben werden.193 Dass sie beides so schätzen, rückt sie zudem in die Nähe von Falschlehrern. Der Verweis auf Propheten resp. Falschpropheten grundiert dieses Thema alttestamentlich. Es scheint daher nicht abwegig, dass mit den Reichen der Feldrede gemeindliche Lehrautoritäten hellenistisch-jüdischer Herkunft adressiert werden, die im städtischen Umfeld der lukanischen Gemeinde ein gewisses Ansehen genossen. Sie sollen sich, wie der Spruch vom Schüler und Lehrer in Lk 6,40 zu besagen scheint, an die Lehre Jesu halten, wie sie in Lk 6,27–38 entfaltet wird.194 Diese setzt sich mit einer zeitgenössischen Wohltätigkeitsauffassung auseinander, die zwischen dem Wunsch nach individuellem benefit und dem nach öffentlichem Ansehen, m.a.W. zwischen w\qir und lish|r rangiert.
6.5 Reziprozitätsbezüge in der Feldrede – Fazit Die Parallelismen der Feldrede sind wie eingangs erläutert so aufgebaut, dass das erste Verb die Überschrift für die nachfolgenden bildet. Folglich wird auch das Lieben (!cap\y; V. 32a.35a) näher expliziert durch !cahopoi]y und dam_fy. Die beiden Verben stehen wie gezeigt für zwei verschiedene Aus190 Zu Beispielen vgl. M. Wolter, Lk 262. 191 Vgl. O. Apelt, Staat 449 i.d.Anm.; vgl. auch Aristoph., Pl 90–91. 192 Auch Philo kennt dieses Bild und benutzt es im übertragenen Sinne: „Wenn aber manche diesen Reichtum der Natur für nichts achten und dem Reichtum ihrer eitlen Wahnvorstellungen nachjagen, so stützen sie sich auf einen Blinden statt auf einen Sehenden, benützen als Wegführer einen Geblendeten und müssen daher mit Notwendigkeit fallen“ (Virt 7); vgl. außerdem Diog. L. V 82; Horat., Ep I 17. Bei Lk müssen sich „die Geld liebenden Pharisäer“ (Vaqisa?oi vik²qcuqoi; Lk 16,14) eine solche Kritik anhören. 193 Mit Blick auf die Abqualifizierung der Pharisäer als geldgierig in Lk 16,14 schreibt Moxnes: „The criticism follows the same pattern as in 11:37–44 and 14:7–14: the desire for economic gain went together with an unjustified claim for honor and recognition among other people (16:15)“ (ders., Economy 147). 194 Vgl. M. Wolter, Lk 263. Lk 6,39 f scheint ebenfalls falsche Lehre zu thematisieren, so H. Sch rmann, Lk I 365–379; vorsichtig folgt dem J.A. Fitzmyer, Lk I 642; dagegen: I.H. Marshall, Lk 268.
Reziprozitätsbezüge in der Feldrede – Fazit
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tauschlogiken, die Feindesliebe muss sich folglich sowohl im Erweisen von Wohltaten als auch bei der Gewährung von Darlehen manifestieren. Gerade hierin ist die Profilierung gegenüber zeitgenössischen Idealkonzeptionen zu erkennen, die nochmals in Erinnerung gerufen werden sollen: Tugendhafte Wohltätigkeit (beneficentia) soll demnach nicht wie professioneller Geldverleih (feneratio) durch Recht und Gesetz sanktioniert werden, sondern ist im Bereich individueller Moral umzusetzen.195 Die Berechnung des eigenen Vorteils, vormals ein legitimer Aspekt eines auf Gegenseitigkeit gerichteten Handelns, wird zunehmend verächtlich gemacht und dem Gebiet von Handel und Gelderwerb zugeschlagen.196 Dadurch wird eine Wohltätigkeit um ihrer selbst willen auf einen moralischen Sockel gehoben, der im alltäglichen Handeln nicht mehr erreicht werden kann – oder soll. Die Entwicklung hin zu dieser Diastase hat ihren Grund zum einen in den unterschiedlichen Logiken, nach denen die Regelkreise jeweils funktionieren: Das Gegenseitigkeitsprinzip, dem gewisse Unschärfen hinsichtlich der Bedingungen des Austausches wesentlich zueigen sind, muss gegen eines, in dem Forderungen mit unangenehmer Eindeutigkeit geltend gemacht werden, abgehoben werden. Zum anderen scheint eine deutlichere Unterscheidung angesichts gesellschaftlicher Prozesse nötig, die durch den Wechsel zum Prinzipat teils beschleunigt, teils grundsätzlich verändert werden.197 Dass sich die römische Oberschicht in der Kaiserzeit nicht mehr wie zuvor untereinander Geld lieh, um standesgenössische amicitia zu realisieren, spricht diesbezüglich Bände.198 Im Ergebnis bedeutet das: Mit der Geringschätzung des Darlehens geht zugleich seine Sanktionierung oder Legitimierung einher; man rümpft die Nase über den tyrannischen Gläubiger, greift sein Gewerbe aber nicht grundsätzlich an. Die elitären Klagen über die moralische Randständigkeit von Geldverleih und Handel bedeuten nicht einmal, dass die Klagenden sich auf diesen Feldern nicht betätigen würden. Kein Armer oder sozial Geschmähter kann sich auf die gute Gesinnung (bona voluntas) eines Geldverleihers berufen, weil die Gesinnung dort nichts zu suchen hat. Die Verfolgung des privaten Profitinteresses liegt außerhalb der Reichweite des regnum sapientiae, wie Seneca in Wort und Tat deutlich macht. Hinzu kommt: Reziprozität wie Leihe zielen grundsätzlich auf Erwiderung 195 Vgl. Sen., Ben VI 12,2. Dass für moralisches Verhalten die Sanktionierung durch das soziale Umfeld fehlt, wird wiederum beklagt (siehe Kap. 10). 196 Diese Abgrenzung schlägt sich in der Literatur wie gezeigt deutlich nieder, hat jedoch das Problem, dass beide Austauscharten wenigstens teilweise auf dieselbe Semantik zurückgreifen. Dadurch kommt es zu teils diffusen Überblendungen oder entlarvenden Identifizierungen der Art: Was als wohltätig ausgegeben wird, ist in Wirklichkeit doch nur Eigennutz (vgl. Dio Chrys., Or VII 88 f; siehe Kap. 2.4.2). 197 Beschleunigt wird die voranschreitende ökonomische Integration des Reiches und seiner Provinzen, eine politisch begründete Veränderung stellt die Professionalisierung z. B. im Geldverleih dar. 198 Vgl. J. Wolkenhauer, Schrift 188; siehe Kap. 2.5; 4.3.1.
176 Grundprogramm lukanischer Reziprozität: w\qir und lish|r in der Feldrede einer Leistung, wodurch diejenigen weitgehend unbeachtet bleiben, die in diesem Sinne nichts oder nichts mehr zu bieten haben.199 Lukas zeigt wie Dion von Prusa die Effekte auf, die ein Auseinanderreißen von Ideal und Wirklichkeit, honestum und utile, für Schuldner und Wohltatenempfänger hat: Die Forderungen, die sich aus einem solchen Wohltätigkeitsideal ergeben, werden einseitig für die Empfängerseite durchgespielt und damit ad absurdum geführt (vgl. V. 27b–30). Dadurch zeigt sich für die Mithörenden auf der Geberseite, wie es aussähe, wenn sich ihre sozialen Feinde an ihrem eigenen Ethos orientierten – ohne dass sie es selbst tun. Diese wohlwollenden Euergeten und grausamen Geldverleiher, die literarisch so kontrastiv gegenübergestellt werden und doch oft die jeweiligen Rollen in Personalunion ausübten, werden von Lk in dieser Doppelrolle angesprochen, und zwar zum einen mit Blick auf das Schicksal ihrer Empfänger oder Opfer und zum anderen mit einer Belohnungsperspektive, die ebenfalls auf beiden Ebenen – Lohn und Ehre ansetzt. Damit wird nicht nur auf dem Gebiet idealisierter Wohltätigkeit der Erwerb wahrer w\qir eingefordert, sondern auch auf dem des professionellen Geldverleihs, also im Alltagshandeln der Eliten, in dem es darum überhaupt nicht ging. Dass sie Undankbare und Schlechte (!waq¸stour ja· pomgqo¼r; V. 35 g) begünstigen sollen, denen vernünftigerweise weder beneficia noch credita zu gewähren sind, kann letztlich nicht mehr mit den Gratifikationserwartungen der vorhandenen Austauschsysteme begründet werden: Undankbare halten einem iudicium nicht stand, das die Tugendhaftigkeit eines Wohltatenempfängers überprüft, Bankrotteuren leiht man natürlicherweise kein Geld. So kommt mit der Aufforderung an die Geber barmherzig(e) (oQjt¸qlomer; V. 36a) zu werden eine neue Kategorie ins Spiel. Diese wird jedoch nicht als neues Ideal für eine bestimmte Statusgruppe konzipiert, sondern eng mit dem Schicksal der Austauschpartner verknüpft und mit konkreten Handlungsanweisungen versehen (vgl. V. 36–38). Diese laufen letztlich auf eines hinaus: Für die, die es in der Gemeinde nötig haben, muss genug Geld und Getreide zur Verfügung stehen.
199 Angesichts der gesteigerten sozialen Mobilität im Prinzipat ist zu fragen, ob sich nicht gerade die aristokratisch missbilligten Bereiche von Handel und, abgeschwächt, Geldverleih günstig für die unteren sozialen Klassen auswirkten und damit die Entwicklung aristokratischer Wohltätigkeitsgrundsätze als Mittel der Distinktion mit provozierten (vgl. M.B. Roller, Autocracy 285; siehe Kap. 4).
7. Die Lobpreisungen Marias und Zacharias’ (Lk 1,46–55.68–79) Die beiden zumeist als Hymnen bezeichneten Lobpreistexte, die traditionell nach ihren lateinischen Anfangsworten Magnificat (Lk 1,46–55) und Benedictus (1,68–79) genannt werden, sind für die vorliegende Untersuchung in mehrerlei Hinsicht interessant. Zum einen findet sich in ihnen Vokabular, das in den Bereich antiker Reziprozitätsvorstellungen einzuordnen ist. Titel wie syt^q (1,47) oder dumat|r (V. 49) sowie die !cah\ (V. 53) gehören hierher. Zum anderen ist der Lobpreis – ob einer Gottheit im Hymnos oder einer menschlichen Rettergestalt im Enkomion – schon gattungsmäßig diesem Ethos der Gegenseitigkeit zugeordnet: Für die bereits genossene w\qir wird der notwendige Dank gesagt, die Großartigkeit des Belobigten herausgestellt und damit bereits implizit dessen bleibende Zugewandtheit beschworen. Das gilt z. B. für das Augustusenkomion (vgl. Philo, Leg Gai 143–147), wo das Lob eines Verstorbenen als Aufforderung an seinen Nachfolger dient, im selben Geiste zu handeln.1 Der explizite Bitt-Teil ist daher z. B. im Hymnos fakultativ, denn schon durch die Ausrufung vergangener Wohltaten sollen zukünftige sichergestellt werden. Es ist herauszuarbeiten, inwiefern die vorliegenden Lobestexte sich dieser Logik fügen. Dazu muss auch der erzählerische Kontext von Lk 1–2 einbezogen werden, in dem drei prägende Motive hervorzuheben sind: 1. das Geschehen in und um das Heiligtum (eQr t¹m ma¹m toO juq¸ou; 1,9; eQr t¹ Reqºm; 2,27; oqj !v¸stato toO ReqoO; 2,37; 1m t` Req`; 2,46) sowie das Auftreten von in dessen Dunstkreis agierenden Personen wie Zacharias, Simeon und Hanna (vgl. 1,5; 2,25.36); 2. die Ankündigungen zukünftiger Geschehnisse entweder durch Engel (vgl. Lk 1,11–20.26–38; 2,9–12), den heiligen Geist selbst (vgl. 2,25 f) oder Menschen (vgl. 1,48b.76–79; 2,34 f) sowie 3. die Akzentuierung des Prophetischen (vgl. 1,67b.76; 2,36). Ein beträchtlicher Teil der Handlung von Lk 1–2 spielt sich im Tempelumfeld ab, dort und anderswo kommt es zu wunderartigen Voraussagen, die direkt oder indirekt mit Prophetie und prophetischen Gestalten verknüpft sind. So wird dem Zacharias die Geburt eines Propheten angekündigt, auch wenn Johannes erst im ebenfalls als Prophetie qualifizierten Lobpreis des Zacharias als solcher bezeichnet wird (vgl. 1,67b.76). Neben diesen beiden Gestalten 1 Siehe Kap. 7.1.2.
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Die Lobpreisungen Marias und Zacharias’
wird die Prophetin Hanna genannt, die unablässig im Tempel fastet und betet (vgl. 2,36–38). Schließlich ist noch der als d¸jaior ja· eqkab^r bzw., nach einigen Textzeugen eqseb^r2 (2,25) beschriebene Simeon zu nennen, der eine Weissagung vom heiligen Geist empfängt und seinerseits eine solche an die Eltern des kleinen Jesus weitergibt (vgl. 2,26–35). Inwiefern auch hier über die gewählte Terminologie ein Bezug zu Prophetie hergestellt wird, soll im Zuge der Untersuchung des Benedictus aufgezeigt werden. Die zu besprechenden Lobpreistexte haben eine besondere Stellung innerhalb des Erzählzusammenhangs, denn einerseits fügen sie dem Gang der Handlung nichts hinzu – würden sie weggelassen, wäre der Erzählfaden nicht unterbrochen –, andererseits ist „aus den Liedern eine Deutung zu erwarten […], die über das erzählte Geschehen hinausweist“3, denn: „Was an der Geburtsgeschichte noch nicht ablesbar ist, wissen bereits die inspirierten Hymnen“4. Als ritualhafte Dankesbekundungen nehmen sie einen wichtigen Platz in der Erzählstruktur ein, denn die von Gott angekündigte und vollzogene Gabe eines Kindes erfordert aufseiten des Empfängers die dankbare Belobigung des Gebers. Die Reziprozitätslogik ist demnach nicht nur an bestimmten Motiven und Termini, sondern auch an der Struktur der Anfangserzählungen festzumachen.
7.1 Lobpreis Marias 7.1.1 Textanalytische Bemerkungen Die Lobrede Marias schlägt einen Bogen über drei Stationen von (1) der persönlichen Erfahrung der Sprecherin (vgl. V. 46b–49a) über (2) allgemeine Wohltaten Gottes (vgl. V. 49b–53b) hin zu (3) dessen Handeln an Israel (vgl. V. 54 f). So kommt Maria zunächst die Rolle einer persönlichen Lobrednerin zu, sodann einer Exponentin der Niedrigen und Schwachen allgemein, und schließlich spricht sie als Vertreterin Israels. Zu Beginn adressiert sie den Gott unter Verwendung von Namen und Titeln wie j}qior und syt^q (V. 46 f), ab V. 48 wird die Ehrung damit begründet, dass sich der Gott ihres persönlichen Schicksals ebenso wie der Benachteiligten allgemein und Israels speziell annehme oder angenommen habe – je nachdem wie die Aoriste aufgefasst werden. Als Gegenüber zur Sprecherin werden Hochmütige im Herzen (rpeqgv²mour diamo¸ô jaqd¸ar aqt_m; V. 51b), Mächtige (dum²star; V. 52a) und Wohlhabende (pkoutoOmtar; V. 53b) genannt. Diese nicht näher konkretisierte Gruppe ist Ziel der Kritik: In einer Aufzählung von vier in Front gestellten 2 a* K C 565. 700. 1424. l 844syh. 3 S. Schreiber, Weihnachtspolitik 16. 4 S. Schreiber, Weihnachtspolitik 21.
Lobpreis Marias
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Verben in dritter Person Singular Aorist – 1po¸gsem, diesjºqpisem, jahe?kem, vxysem (V. 51 f) – werden die Taten Gottes gegen sozial Hochstehende und zugunsten Niedriger rhythmisiert. Diese Struktur wird dann formal durchbrochen, indem in V. 53 jeweils das Objekt statt wie zuvor das Verb an den Beginn gesetzt wird. Dabei stehen die Hungernden (peim_mter) den Besitzenden (pkoutoOmter) gegenüber, als Alliteration und antithetischer Parallelismus. Hierin ist der kompositorische Höhepunkt zu sehen, auf den die vorausgehenden Aktionsbeschreibungen Gottes zulaufen. Im Zentrum steht demnach, dass Mangel Leidende bei einer irgendwie gearteten Verteilungssituation mit !cah\ angefüllt werden, während Reiche leer weggeschickt werden (vgl. V. 53). Schließlich kommt die Rede auf Israel als pa?r (V. 54), was allgemein als Knecht oder Diener übersetzt wird, der auf Gottes Unterstützung durch die Zeiten hindurch zählen kann (vgl. V. 54 f). Die Bestimmung der Aoriste steht zur Diskussion: Wolter will Acakk¸asem in V. 47 aufgrund des Tempuswechsels gegenüber dem vorausgehenden Vers gnomisch verstehen.5 Walter Radl sieht auch in den Aoristen der Verse 51–53 eine „grundsätzliche bzw. immer wieder zu beobachtende Handlungsweise“6 Gottes. Für diese Auffassung spricht auch, dass alle Verbformen, die im Magnificat in diesem Tempus vorkommen, auf gleiche Weise übersetzt werden können und so ein einheitlicher Duktus zu unterstellen wäre. Bovon bringt als weitere Möglichkeit ins Spiel, dass die Aoriste eine „versteckte Prophetie des erwarteten Heils“7 markieren könnten. Es gibt weitere Stellen, die zu stilistischen Nachfragen Anlass geben, so u. a. V. 49 f: 49
fti 1po¸gs´m loi lec²ka b dumatºr ja· ûciom t¹ emola aqtoO, 50 ja· t¹ 5keor aqtoO eQr ceme±r ja· ceme±r to?r voboul´moir aqtºm.
Die durch ja· ûciom und ja· t¹ 5keor eingeleiteten Teile werden gemeinhin als eigenständige Aussagen verstanden, zur Übersetzung wird gedanklich ein 1stim mitgelesen. Bei Verzicht darauf und auf die Interpunktion nach dumatºr lassen sich beide Zusätze abhängig von 1po_gsem verstehen. Das hieße dann sinngemäß: 49
weil mir der Mächtige Großes erweist und seinen Namen als heilig 50 und sein Erbarmen von Geschlecht zu Geschlecht denen, die ihn fürchten.
5 Vgl. M. Wolter, Lk 103. 6 W. Radl, Lk 82 f. J. Fitzmyer hält dies ebenfalls für möglich, vgl. ders., Lk I 361. 7 F. Bovon, Lk I 83.
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Nach weiteren Beispielen für poi]olai 5keor muss nicht lange gesucht werden, der Ausdruck begegnet im Benedictus in V. 72.8 Der Akteur macht nach diesem Verständnis seinen Namen durch seine Taten heilig, was formal gut in den Duktus der Verse 49–55 passt, in denen dann ausnahmslos Aktionen Gottes beschrieben werden. Dass das Magnificat „durchgängig aus sprachlichen Versatzstücken zusammengesetzt ist, die sich so oder ähnlich in zahlreichen alttestamentlichen Texten finden“9, ist dahingehend zu präzisieren, dass es das griechische Alte Testament ist, zu dem viele Bezüge herzustellen sind.10 Das gilt auch für die Titel für Machtträger: Die Anrede Gottes als syt^q (V. 47) ist geläufig aus Ps 23,5 LXX und 24,5 LXX, Sir 51,1 sowie Mi 7,7 und Hab 3,18. Die ebenfalls Gott beigelegte Bezeichnung dumat|r (V. 49) findet sich u. a. in Ps 23,8 LXX, Zef 3,17 (und JosAs 8,9).11 In dem intertextuell eng mit dem Magnificat verbundenen Loblied der Hanna in 1 Sam 2,1–1012 sind die dumato_ hingegen die Starken, die Gott gegenübergestellt und von ihm geschwächt werden (vgl. 1 Sam 2,4), auch syt^q kann für menschliche Retter verwendet werden (vgl. Ri 13,5; Esra 19,27).13 Der Titel dum\stgr (Lk 1,52) findet sich in der Septuaginta insgesamt 74mal, besonders häufig kommt er in 2 und 3 Makk vor.14 Hier wird dum\stgr sowohl Gott als auch fremden Machthabern zugeordnet und fungiert als Kampfbegriff zur Abgrenzung und Affirmation des wahren Herrschers. Besonders deutlich wird das in der Ansprache Nikanors in 2 Makk 15,3–5, der zuvor als „einer der ersten Freunde“ des Königs eingeführt wird (2 Makk 8,9). Bei der Streitfrage, ob er an einem Sabbat Krieg führen dürfe, stellt sich Nikanor dem Herrscher im Himmel (1m oqqam` dum²stgr; 2 Makk 15,3), der dies verbiete, als Herrscher auf der Erde (dum²stgr 1p· t/r c/r; 15,5) entgegen. Als der selbstbewusste Feldherr schließlich in der Schlacht fällt, preisen seine jüdischen Gegner ihren Herrscher (dum²stgm; 2 Makk 15,29) als Sieger über Nikanor, dessen Vernichtung ihn als unrechtmäßigen Usurpator dieses Titels erweist. Im Neuen Testament kommt der Begriff insgesamt nur dreimal vor: In Apg 8,27 wird mit dum\stgr ein äthiopischer Kämmerer bezeichnet, als „der selige und alleinige Herrscher“ (b laj²qior ja· lºmor dum²stgr; 1 Tim 6,15) wiederum Gott, der an gleicher Stelle noch die Titel basike}r und j}qior erhält. Dum\stgr findet biblisch demnach einerseits als Gottesprädikation Verwendung, die Durchsetzungskraft und Herrschaftlichkeit betont, andererseits als Bezeichnung einer menschlichen Machtposition, die herausge-
8 9 10 11 12 13 14
Siehe auch Lk 10,37. Außerdem belegt ist der Ausdruck in Demosth., Or XXIV 111. M. Wolter, Lk 100. Vgl. J. Fitzmyer, Lk I 359, zur Übersicht über die Parallelen vgl. 356 f. Vgl. M. Wolter, Lk 102. Insges. 146mal kommt der Begriff in der LXX vor. Darauf weisen J. Fitzmyer, Lk I 369, I.H. Marshall, Lk 78 u.v.a. hin. Vgl. A.D. Nock, Soter 720 i.d.Anm. Vgl. 2 Makk 3,24; 12,15.28; 15,3.4.5.29; 3 Makk 2,3; 5,51; 6,4.39.
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hoben ist, aber nicht unbedingt exklusiv (Feldherr, Freund des Königs, Kämmerer). Die im Zentrum stehenden !cah\ sind alttestamentlich zahlreich belegt. Die Wendung 1m´pkgsem !cah_m (Lk 1,53) findet sich wortgleich noch in Ps 106,9 LXX, dort mit Bezug auf eine „darbende Seele“ (xuwµm peim_sam; vgl. peim_mter; Lk 1,53). In der dritten Rede des Eliphas im Buch Ijob füllt Gott die Häuser, wohl die der Gerechten, mit guten Dingen, m.a.W. Wohltaten an (1m´pkgsem to»r oUjour aqt_m !cah_m; Ijob 22,18). Eliphas hat Ijob zuvor ein schlechtes Zeugnis ausgestellt (vgl. Ijob 22,6–9), u. a. habe der Witwen leer weggeschickt (w¶qar d³ 1nap´steikar jem²r; 22,9), also ebendas den sozial Schwachen angetan, was Gott nach Aussage Marias mit den Wohlhabenden macht (1nap´steikem jemo¼r; Lk 1,53b). Schließlich ist noch Jesus Sirach zu nennen, wo es die Erde ist, die Gott mit seinen Wohltaten anfüllt (vgl. Sir 16,29). 7.1.2 Hymnos oder Enkomion? Das Magnificat wird wie auch das Benedictus zumeist als Hymnos bezeichnet, als Vergleichstexte werden – mit unterschiedlicher Gewichtung der Ähnlichkeit – oft Lobpreispsalmen und Hymnen von Qumran angegeben,15 das Danklied Davids in 1 Chr 16,8–3616 und in besonderer Weise das Loblied der Hanna in 1 Sam 2,1–10. Amanda Miller weist auf den martialischen Charakter des Marienlobes hin, den es mit militärischen Siegesgesängen wie dem Miriams in Ex 15,20 f teile.17 Maria werde dadurch mit prophetischen Zügen ausgestattet, entsprechend ihrer alttestamentlichen Namenscousine „and Miriam’s musical daughters like Deborah, Hannah, and Judith“18. Was die Merkmale eines Hymnos angeht, wird häufig zuerst auf Plato verwiesen, der in der Dichtkunst „Gesänge an die Götter und Loblieder auf die Guten“ (vlmour heo?r ja· 1cj~lia to?r !caho?r; Resp 607a, vgl. auch Leg 700b) unterscheidet.19 Der Hymnos richtet sich also an eine Gottheit und lässt sich idealtypisch in drei Teile untergliedern:20 (1) In der invocatio erfolgt die Anrufung unter Verwendung wohlgefälliger Namen, denn Ziel des Hymnos ist den Gott zu erfreuen durch gut gewählte Worte und Titulaturen.21 (2) In der darauf folgenden pars epica, auch aretalogia oder sanctio genannt, werden „Partizipien, Relativsätze, ganze Erzählungen […] entweder im ,Du‘- oder ,ErStil‘ aneinander gereiht, um die göttliche Potenz zu beschreiben und zu 15 Vgl. J. Fitzmyer, Lk I 359 f, der Pss 33; 47; 48; 113; 117; 135 anführt und bes. Ps 136 hervorhebt; F. Bovon, Lk I 81, der auch die Psalmen Salomos nennt; I.H. Marshall, Lk 78 f. 16 Vgl. F. Bovon, Lk I 81 i.d.Anm. 17 Vgl. A.C. Miller, Rumors 96; 109. 18 A.C. Miller, Rumors 96. 19 An diese Unterscheidung hält sich offenbar z. B. das Buch Esther, vgl. Est 2,23; 4,17 h LXX. 20 Vgl. W.D. Furley, Art. Hymnos, Hymnus, DNP 5, 1998, 788–797. 21 Vgl. W.D. Furley, Praise 32 i.d.Anm.
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preisen“22. In den biblischen Hymnen geschieht die Einleitung in der Regel durch fti bzw. hebräisch =? (so z. B. in 1 Sam 2,2.3d; vgl. Lk 1,48.49).23 (3) Die Rekurrenz auf die vorzüglichen Eigenschaften des Gottes im zweiten Teil bereitet die precatio, also das Bittanliegen vor, das schließlich an die Gottheit gerichtet wird. Dieser Teil fällt bei reinen Dankeshymnen weg,24 in den Lobespsalmen z. B. wird der Schluss oftmals von Elementen gebildet, die den Hauptteil wiederholen.25 Ein weiteres Merkmal des Hymnos ist seine feierliche Sprache, die durch die Verwendung von kurzen Aussagen, Asyndeta oder Polysyndeta – etwa von Verben des Lobpreisens –, Anaphern, Parallelismen etc. geprägt ist.26 Textpragmatisch gesehen ist der Hymnos als epideiktische Rede darauf gerichtet,27 eine Beziehung zur Gottheit auf der Grundlage von w\qir herzustellen, wobei mit diesem Begriff die bewundernde Verehrung des Gottes ebenso wie dessen Zuwendung umschrieben wird.28 Funktional betrachtet soll durch die lobende und umwerbende Verehrung die göttliche Zuwendung gewonnen und erhalten werden. „Everything about the ceremony and the choice of words used in worship goes toward establishing this essential relationship of mutual charis.“29 Dazu muss das Herz der Gottheit mit Freude erfüllt werden, wofür die Hymnoden mit ihrem Gesang sorgen sollen. Im Kultgeschehen ist es also neben dem Opferritus der Hymnos, durch den die w\qir der Gottheit sichergestellt werden soll.30 Vergleichbares gilt für das Enkomion, und weil „die Grenzen zwischen Göttern und Menschen flexibel sind“31, muss auch das „Preislied“32 hier Beachtung finden. Ohnehin ist es schwer gegen den Prosahymnos abzugrenzen.33 Als Referenztexte seien zwei Textpassagen Philos von Alexandrien angeführt, nämlich das Lob des Flaccus (vgl. Flacc 1,4 f) und das Augustusenkomion (Leg Gai 143–147). Über die Amtsführung des römischen Präfekten Flaccus, der im übrigen Werk wegen seiner Judenfeindschaft in keinem guten Licht erscheint, heißt es zu Beginn u. a., „er riss die die Stolzen nieder“ (to»r rpeqa}wour 22 W.D. Furley, Art. Hymnos, Hymnus, DNP 5, 1998, 788–797. 23 Vgl. J. Fitzmyer, Lk I 360. Aufgrund des zweifachen fti nimmt Fitzmyer im Magnificat einen sekundären Einschub von V. 48 an, der den Hymnos Maria als Sprecherin zuordnen soll. Doch auch im Loblied Hannas ist die wiederholte Begründung zu finden, was ebenso gut den Schluss zuließe, dass diese als Vorlage für Lk 1,48.49 diente. 24 Vgl. W.D. Furley, Praise 37 i.d.Anm. 25 Vgl. J. Fitzmyer, Lk I 360. 26 Vgl. S. Vollenweider, Hymnus 217; S. Schreiber, Weihnachtspolitik 19. 27 Vgl. M. Ebner/B. Heininger, Exegese 110. 28 Vgl. W.D. Furley, Praise 32. 29 W.D. Furley, Praise 32. 30 Vgl. W.D. Furley, Praise 45 f. Samuel Vollenweider meint: „Von Haus aus haben Hymnen einen kultischen Sitz im Leben“, andererseits gebe es literarische Formen, „die sich ganz davon emanzipiert haben“ (ders., Hymnus 217; Hervorhebung im Original). 31 S. Vollenweider, Hymnus 213. 32 E. Robbins, Art. Enkomion, DNP 3, 1997, 1036 f, 1036. 33 Vgl. S. Vollenweider, Hymnus 216.
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jah-qei; Flacc 4,6, vgl. Lk 1,52). Gemeint ist hier die Bekämpfung sexueller Ausschweifung in einem städtischen Festkontext; die Selbstüberhebung, gegen die er vorgeht, liegt im promiskuitiven Verhalten einer triebgesteuerten Menge (vgl. Flacc 1,4). Stattdessen erfüllt der Amtsträger „die Stadt und das Land mit seiner weisen Rechtlichkeit“ (tµm p|kim ja· tµm w~qam !m]pkgsem eqmol_ar; Flacc 5,1, vgl. Lk 1,53). Im Augustusenkomion fällt die anaphorische Rhythmisierung durch das mehrfach einleitende oxt|r (1stim) auf sowie die vielen Partizipien, mit denen die Taten des ersten Princeps gewürdigt werden (Leg Gai 145–147). Beides sind Stilmittel, die auch in der Hymnendichtung geläufig sind. Inhaltlich wird der machtvolle Einsatz für den zivilisatorischen Fortschritt gelobt, z. B. die Vertreibung von Seeräubern zugunsten eines gedeihlichen Seehandels (vgl. Leg Gai 146). Am Schluss des Enkomions wird Augustus gefeiert als b diamole»r t_m 1pibakk|mtym 2j\stoir, b t±r w\qitar !talie}tour eQr l]som pqohe_r, b lgd³m !pojqux\lemor !cah¹m C jak¹m 1m ûpamti t` 2autoO b_\. der gerechte Verteiler der allen zukommenden Dinge, der ohne Vorbehalt weithin Geschenke seiner Huld darbot, der nichts Gutes oder Schönes verbarg in seinem ganzen Leben (Leg Gai 147).34
Auch hier ist von w\qir die Rede, im Plural und begleitet von pqot_hgli. Gemeint ist das Anlegen von Wohltaten, das von Seneca als beneficium praesto bekannt ist.35 In diesem Sinne ist hier auch das !cah|m aufzufassen, wie Gerhard Delling zur Stelle erläutert.36 So ist für das Enkomion eine mit dem Hymnos vergleichbare Kommunikationssituation vorauszusetzen: Der Sprecher dankt für erfahrene Wohltaten, die er lobend aufzählt, was er in einer derart charmanten Weise zu tun versucht, dass der so Umworbene sich nahezu verpflichtet fühlt, seinerseits mit weiteren Gunstbezeugungen (w\qiter oder !cah\) zu antworten. Der invocatio kommt in diesem Gefüge wie gesehen die Funktion zu den richtigen Titel zu nennen, in dem sich der Angesprochene wiederfinden soll. Dabei geraten nicht nur die Grenzen zwischen Gott und Mensch in Fluss, sondern auch die zwischen Lebenden und Toten, denn Philo hebt die Ehrenbezeichnung Sebast|r hervor, die Octavian wie auch seine Nachfolger adressiert. Einleitend fragt Philo rhetorisch:
34 Übers. nach F.-W. Kohnke-Giessen.; siehe Kap. 8.3. 35 Vgl. G. Delling, Enkomion 185 f; siehe Kap. 2.2; 8.3. 36 G. Delling, Enkomion 185; 186; Hervorhebung im Original. Als Wohltaten werden !cah\ schon von Rudolf Smend entspr. 859ü aufgefasst (vgl. ders., Weisheit 166; vgl. S. Schwartz, Jews 62 i.d.Anm.), siehe Kap. 8.3.
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t_ d]; b tµm !mhqyp_mgm v}sim rpeqbak½m 1m "p\sair ta?r !qeta?r, b di± l]cehor Bcelom_ar aqtojqatoOr bloO ja· jakojacah_ar pq_tor amolashe·r Sebast|r, oq diadow0 c]mour ¦speq ti jk^qou l]qor tµm 1pymul_am kab~m, !kk’ aqt¹r cem|lemor !qwµ sebasloO ja· to?r 5peita; Wie aber steht es um den, der über Menschenart in allen inneren Vorzügen hinauswuchs, der um der Größe seiner kaiserlichen Regierung zugleich und um seiner Lauterkeit willen als erster Augustus, der Verehrungswürdige, genannt wurde, der diesen Ehrennamen nicht aus Familientradition oder wie ein Stück Erbteil erhielt, sondern selbst Ursprung des Ehrentitels Augustus für seine Nachfolger wurde (Leg Gai 143)?
Im Sinne der Pragmatik sollen propositionaler und funktionaler Gehalt sowie Wirkung dieses Preisliedes dargestellt werden.37 Unter propositionalem Aspekt wird über die Vorzüglichkeit des Octavian gesprochen. Diese zeige sich schon in seinem Namen, der ihm bekanntermaßen im Jahre 27 v. Chr. vom Senat verliehen worden war – und zwar aufgrund seiner eigenen Tüchtigkeit, wie Philo meint. Der funktionale Gehalt liegt darin, vorbildliches Herrscherverhalten darzustellen und es gegen fehlgeleitetes abzuheben, denn es steckt auch Herrscherkritik in den Zeilen: Es war der zum Zeitpunkt der Handlung gerade verstorbene Caligula, der zuvor in einem fingierten Monolog seine edle Abkunft als Herrschaftslegitimation pries (vgl. Leg Gai 54–56), anstatt sich durch eigene Tüchtigkeit einen ehrenvollen Namen zu machen.38 Die beabsichtigte Wirkung: Über Octavian und Caligula hinaus schließt die invocatio einen dritten, den aktuellen Titelträger ein – Claudius, der sich vom Gebaren seines direkten Vorgängers abwenden und sich nach Maßgabe des Ur-Augustus Octavian ebenfalls als wahrhaft verehrungswürdig erweisen soll. Wie er das nach Meinung des Enkomiasten tun soll, wird erst im Anschluss an das Preislied dargelegt: Octavian habe sich selbst nicht zum Gott erhöht, eine solche Verehrung für sich abgelehnt und damit auch nicht von den Juden erwartet (vgl. Leg Gai 154). Vielmehr habe er ihre Lebensart, d. h. ihren EinGott-Glauben hochgeschätzt (vgl. Leg Gai 157) und die Juden entsprechend nicht zur Anbetung eines Kaiser-Gottes gezwungen. Ebenso soll es Claudius halten! So wird über den Titel Sebast|r die Großartigkeit einer historischen Persönlichkeit gelobt und damit zugleich die w\qir desjenigen beschworen, der aktuell unter diesem Namen ansprechbar ist. Das Beispiel des Augustusenkomions zeigt somit zum einen die strukturellen und stilistischen Parallelen zum Hymnos und zum anderen die mehrschichtige Pragmatik, die auch hier letztlich auf die Sicherstellung von w\qir des mit einer bestimmten Titulatur angesprochenen Gegenübers gerichtet ist. Dieses statusüberlegene Gegenüber – ob Mensch oder Gott – kann nicht gezwungen, sondern allenfalls bezwungen werden – dadurch, dass man es erfreut: „Man wünscht, einen 37 Vgl. M. Ebner/B. Heininger, Exegese 109–113. 38 Vgl. F.-W. Kohnke-Giessens Kommentar zur Stelle in L. Cohn u. a. (Hg.), Philon 7, 212 i.d.Anm.
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,hohen‘ Herrn bei guter Laune zu halten, hilaos, wie man dies auf Griechisch ausdrückt“39. Auch der Enkomiast selbst ist in das Gegenseitigkeitsverhältnis eingebunden, denn die Verehrung in einem Gedicht stellt ein Gut in einem Austauschprozess dar. Nicht zufällig vergleicht Horaz die poetische Charakterzeichnung berühmter Männer mit Ehrenstatuen.40 Zu den Wohltaten seitens des Patrons gehörte es, den Dichter finanziell zu unterstützen oder ihm Kost und Logis im eigenen Haus zukommen zu lassen. Zudem konnte es sein, dass der Gönner seinem Literaten ein einflussreiches Publikum zuführen oder sich um die Vermittlung des römischen Bürgerrechts kümmern konnte, wie es Cicero für den Griechen Archias getan haben soll. Im Gegenzug konnte der Dank darin bestehen, „that a literary client could offer to a patron or benefactor immortality by way of dedicating to him or her a single poem or poetic sequence, writing an encomium, or panegyric“41. Das Magnificat als Hymnos in alttestamentlich-jüdischer Tradition42 ist in die oben beschriebene Dynamik eingebunden. Es ist zu lesen als Marias „Antwort auf die ihr durch den Engel zuteil gewordene Ankündigung, derzufolge ihr Sohn es sein wird, durch den Gott die eschatologischen Heilshoffnungen erfüllt“43. Die von Gabriel als jewaqityl´mg (Lk 1,28c) bezeichnete Empfängerin einer Wohltat ist diesem zu Dank verpflichtet, den sie ihrem Wohltäter in hymnischer Weise sagt. So adressiert die invocatio den Gott als j}qior (Lk 1,46b) und he¹r syt^q (1,47), die pars epica, eingeleitet durch fti (1,48 und/oder 49), zählt die Taten des Belobigten auf (vgl. V. 49–54). Der Schluss ruft dessen Zuwendung zu den Vätern in Erinnerung und konstatiert das göttliche 5keor, das mit der erläuterten w\qir vergleichbar ist (vgl. V. 54 f). Statt wie in der precatio darum zu bitten, wird hier „bis in Ewigkeit“ (eQr t¹m aQ_ma; V. 55) vom bleibenden Erbarmen ausgegangen. Dass in der affirmativen Ausdrucksweise auch ein appellativer Unterton mitschwingt, ist in der Pragmatik dieser Textart angelegt. Gattungsmäßig ist demnach nichts gegen die Bezeichnung des Magnificat als Hymnos einzuwenden, wobei die dargestellten Parallelen zum Enkomion mitzubedenken sind. Amanda C. Miller sieht als Sitz im Leben den Gesang in der Gemeinde. Ihrem Ansatz zufolge schlummert in lukanischen Texten wie dem Magnificat ein nach James S. Scott sog. „hidden transcript of resistance“44, das stark mit Statusumkehrungen arbeite. Dabei würden in kriegerischem Ton soziale Missstände aufgezeigt, wie sich in 39 W. Burkert, Kulte 115. 40 Nec magis expressi vultus per aenea signa/quam per vatis opus mores animique virorum/clarum apparent (Horat., Ep II 1,248–250), vgl. P.L. Bowditch, Horace 37. 41 Z.A. Crook, Conversion 75. Zur literarischen Patronage v. a. mit Blick auf Horaz vgl. P.L. Bowditch, Horace 31–63. 42 Vgl. zuletzt S. Schreiber, Weihnachtspolitik 20; S. Vollenweider, Hymnus 222. 43 M. Wolter, Lk 100. 44 A.C. Miller, Rumors 2.
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Lk 1,53 zeige. Auch auf Gender-Ebene würden Stereotypen umgekehrt, was in der Performance des Hymnos zum Ausdruck komme: „This reversal theme becomes even stronger when we consider the underlying tradition of Israelite’s women’s victory songs contrasted with the Roman practice of public prayer ordinarily delivered by elite male authority figures.“45
7.1.3 Öffentliche Lebensmitteilverteilung = Essen für alle? Integration mit Grenzen Die kulturelle Einordnung des Hymnos setzt beim kompositorischen Zentrum an: 53
peim_mtar 1m´pkgsem !cah_m ja· pkoutoOmtar 1nap´steikem jemo¼r. 53
Hungernde füllt er mit Wohltaten an und Wohlhabende schickt er leer weg (Lk 1,53).
Gute Dinge werden verteilt und Bedürftige wie Vermögende finden sich ein, um etwas davon zu erlangen. Demnach gibt es eine Nachfrage unterschiedlicher Gruppierungen um die Vergabe von „guten Dingen“ (!cah\), bei der nicht alle Erfolg haben. Hier geht es nicht um spirituelle, sondern um physische Bedürfnisse.46 Der mit den Epitheta eines Euergeten angesprochene Gott (syt^q, dumat|r; 1,47.49a) sättigt dabei die einen, um die anderen mit leeren Händen wegzuschicken. Die Seligpreisungen und Weherufe in Lk 6,20–26, die als „unmittelbares Widerlager“47 zu 1,51–53 anzusehen sind, scheinen ebenfalls eine öffentliche Nahrungsausgabe vorauszusetzen, wie die Verklammerung der Passage mit dem Motiv vom überfließenden Getreidemaß nahelegt (vgl. Lk 6,38).48 Den armen Jüngern wird die Teilhabe an der Basileia Gottes (V. 20c), verstanden als festliches Gastmahl (vgl. Lk 13,29; 14,15) verheißen. Die dort vorgestellte Situation sozialer Entehrung scheint der Darstellung einer Verteilungssituation im Magnificat zu ähneln: Arme wie Reiche wollen etwas bekommen, doch nur eine Gruppe hat Erfolg. Hier werden die Reichen von Gott weggeschickt, dort die Armen ausgesondert. Der Ausschluss der Gruppe der Armen besteht darin, dass ihr Name irgendwo herausgeworfen wird (ja· 1jb²kysim t¹ emola rl_m ¢r pomgq|m; 6,22e). Möglicherweise ist an eine Empfängerliste für öffentliche Zuwendungen zu denken, in die sie einmal eingetragen waren. Die Einflussreichen in der Stadt konnten sich einen Namen machen, indem 45 A.C. Miller, Rumors 130. 46 „The rich in verse 53 of the song are contrasted not with the spiritualized poor, but with the hungry (a condition of physical need)“ (A.C. Miller, Rumors 91). 47 M. Wolter, Lk 103. 48 Siehe Kap. 6.2.
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sie bei Festen Naturalien und Geld öffentlich und teilöffentlich spendierten. Doch gab es daneben auch regelmäßige Distributionen v. a. von Getreide aber auch Geld. Nahrungsmittelverteilungen waren im Rom des ersten Jh. n. Chr. institutionell geregelt. Die Unfähigkeit der städtischen Plebs sich autark zu versorgen hatte Maßnahmen der Beschaffung und Verteilung im großen Stil erforderlich gemacht. Das zeigte sich spätestens seit der ersten lex frumentaria des C. Gracchus im Jahr 123 v. Chr., die infolge einer Teuerung eine verbilligte Getreideabgabe an jeden Bürger der Stadt Rom vorsah.49 Ein daraus entstehendes Problem war die Erfassung der Berechtigten, die Augustus um 2 v. Chr. gemäß Cassius Dio infolge eines recensus auf 200.000 limitierte (vgl. Dio C. LV 10). Gemeint sind männliche Empfangsberechtigte, zu denen freilich Frauen und Kinder sowie eine unbestimmte Anzahl Sklaven addiert werden müssen.50 Die konkrete Organisation oblag seit Augustus kaiserlichen Beamten.51 Der Ablauf der frumentationes stellt sich in etwa wie folgt dar: Einmal im Monat, an einem festgesetzten Tag, konnte der dazu Berechtigte an einer zentralen Abholstelle fünf modii Getreide abholen.52 Ab Mitte des 1. Jh. n. Chr. spielte sich dieses Geschehen wohl an der heute nicht mehr erhaltenen Porticus Minucia ab, die auf dem zentral gelegenen Campus Martius lokalisiert wird.53 Nach einer Inschrift aus dieser Zeit kann sich ein libertus namens Tiberius Claudius Ianuarius seine Ration an ostium 42 am Tag 14 an der Porticus Minucia abholen.54 Offenbar gab es nicht einen Tag im Monat, an dem alle Berechtigten gleichzeitig ihre Ration abholten – bei der in die Hunderttausende gehenden plebs frumentaria hätte dies eine logistisch kaum realisierbare Verteilung an unterschiedlichen Orten erforderlich gemacht. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass die Gesamtzahl der Getreideempfänger auf kleinere Gruppen aufgeteilt wurde, die an unterschiedlichen Tagen im Monat an der oben genannten zentralen Ausgabestelle ihre jeweilige Monatsration erhielten. An jedem der insgesamt 45 Zugänge (ostia) in der Ringmauer der Säulenhalle lief das gleiche Procedere ab: Der Empfangsberechtigte trat mit einer Marke, der sog. tessera frumentaria, an den dort stationierten Offiziellen heran, der diese prüfte und den Namen auf seiner Liste abhakte oder jedenfalls abglich. In diese Liste auf einer Tafel (tabula) aus Bronze waren die Namen der Abholer eingraviert, Seneca spricht vom Berechtigten als „Eingeritztem“ (incisus; Ben IV 28,2)55. Sodann wurde der Weg in den Innenhof freigegeben, wo der Bürger seine Ration von fünf modii abholen 49 Vgl. J. Ungern-Sternberg, Art. Frumentargesetze, DNP 4, 1998, 683–685. 50 Vgl. G. Rickman, Corn 8. 51 Zuständig war ein praefectus annonae aus dem Ritterstand für die Beschaffung, und mehrere praefecti frumenti dandi für die Verteilung (vgl. J. Ungern-Sternberg, Art. Frumentargesetze, DNP 4, 1998, 683–685). 52 Ein modius entspricht 8,7 l (vgl. H.-J. Gehrke, Geschichte der Antike. Ein Studienbuch, Stuttgart 42013, 508). 53 Vgl. G. Rickman, Corn 158. 54 Vgl. G. Rickman, Corn 192 f, mit Verweis auf CIL VI 10223. 55 Vgl. D. van Berchem, Distributions 91, der für die tabula CIL XIV 4499–4512 und für incido im gleichen Kontext Plin., Paneg 26,3 und CIL VI 10228 anführt.
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konnte, möglicherweise nachdem er dazu mit einer weiteren Berechtigungsmarke aus Blei ausgestattet worden war.56
Wer war berechtigt? Catherine Virlouvet nimmt an, dass Freigelassene grundsätzlich kein Recht auf das frumentum publicum, also das zur öffentlichen Abgabe bestimmte Getreide hatten, sich dieses allenfalls kaufen konnten.57 So ist auch hier nicht, jedenfalls nicht in erster Linie von einer karitativen Maßnahme auszugehen, eher waren die bevölkerungsstarken aber ärmeren städtischen tribus gegenüber den weniger stark besiedelten ländlichen benachteiligt. Das hatte mit dem Losverfahren (sortitio) zu tun, das jeweils die einzelnen tribus kontingentierte und dadurch die weniger dicht besiedelten Bezirke begünstigte.58 Gleichwohl wird Trajan von Plinius dafür gelobt, dass er fast 5000 freigeborene Kinder zu congiaria und alimenta, also Geld- und Kornverteilungen zulässt (vgl. Paneg 28,4).59 Diese Maßnahme wird durchaus mit einer Sorge besonders für die Armen in Verbindung gebracht;60 an anderer Stelle heißt es, dass auch solche in ihren Genuss kamen, denen das congiarium gar nicht versprochen worden war (vgl. Paneg 25,3).61 Die Verteilungen Caesars an Bedürftige (mel^seir to?r p]mgsi) werden von Plutarch gewürdigt – und zwar dafür, dass sie sich zum appeasement aufgebrachter Plebejer eignen (vgl. Praec Ger Reip 818D). Philo lobt Augustus dafür, dass er die Juden in die monatlichen Verteilungen von Geld oder Korn einschließt (ta?r lgmia_oir t/r patq_dor diamola?r, !qc}qiom C s?tom; Leg Gai 158). Aus Respekt vor dem Sabbat habe der Princeps gar die Ausgabe für die Juden um einen Tag verschoben. Dass der Jude aus Alexandria hier die Verteilung von Geld und Weizen als eine und dieselbe Maßnahme ansieht, zeigt, dass er eine eher vage 56 Diese Rekonstruktion nach C. Virlouvet, Tessera 371. 57 Vgl. C. Virlouvet, Tessera 236; 370. 58 Vgl. C. Virlouvet, Tessera 370. „Die liberti konnten ab 168 v. Chr. nur noch in eine einzige Tribus eingeschrieben werden, damit die Bedeutung der breiten Freigelassenenschicht in der Volksversammlung verringert wurde“ (G. Alfçldy, Sozialgeschichte 71, mit Verweis auf Liv. XLV 15,5). 59 Neben der alltäglichen, ggf. regelmäßigen Verteilung von Getreide gab es unregelmäßige oder einmalige Spenden des Princeps unterschiedlicher Art. Das congiarium, im 1. Jh. n. Chr. eine Geldverteilung an die plebs urbana, fand zu bestimmten Gelegenheiten wie z. B. dem Regierungsantritt eines Herrschers statt. Die Kaiser stifteten auch das donativum, eine Sonderzuwendung an Soldaten. Diese wurde „zu Anlässen gewährt, die mit der Sicherung der Dynastie oder der Herrschaft zu tun hatten, so etwa in den Testamenten der ersten beiden principes Augustus und Tiberius, bei familiären Anlässen wie der Bekleidung des jungen Nero mit der toga virilis unter Claudius, der Adoption des Aelius Caesar (Hadrian), der Hochzeit der jüngeren Faustina (Antoninus Pius), sowie bei der Niederschlagung von realen oder auch vorgeblichen Verschwörungen“ (P. Weiss, Art. Donativum, DNP 3, 1997, 771 f; Hervorhebungen im Original). 60 Plinius der Jüngere schreibt: „Die Reichen kann man durch hohe Belohnungen und ebensolche Strafen dazu bringen, Kinder zu haben; die Armen kennen nur einen Beweggrund: die Güte ihres Princeps“ (Paneg 26,5). Vgl. dazu auch G. Rickman, Corn 189. 61 Damit scheinen Freigelassene gemeint, wie eine ähnliche Formulierung Suetons über Augustus nahelegt (vgl. W. K hn (Hg.), Panegyrikus 188 i.d.Anm.).
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Vorstellung davon hat, was sich in Rom abspielt. Wichtig ist ihm, die Zugewandtheit Augustus’ zum Volk der Juden hervorzuheben, die sich darin äußert, dass der aus Rücksicht auf ihre Sitten den Ausgabetermin für sie verschiebt.62 Trajan scheint Plinius zufolge auf jede Person Rücksicht genommen zu haben, die aus irgendeinem Grund verhindert war: So manchen hielten die Geschäfte von der Entgegennahme der Spende ab, einen andern sein Gesundheitszustand, einen andern das Meer, wieder einen die Flüsse: doch man wartete auf jeden und traf Maßnahmen, daß am Ende doch keiner leer ausgehe, nur weil er krank, beschäftigt oder zu weit weg gewesen wäre; jeder, so hieß es, solle kommen, wann er wolle, solle kommen, wann er könne (Paneg 25,4).
Regelmäßige Getreideverteilungen gab es auch außerhalb Roms, die kostenlose Verteilung von Getreide war schon in hellenistischen Städten eine bekannte Einrichtung.63 In kritischen Zeiten Korn, Fleisch, aber auch Geld an die Bürger zu verteilen, hatte bspw. in Athen eine lange Tradition, die bis auf den Peloponnesischen Krieg zurückreichte. Zahlungen an „attische Bürger zur Teilnahme an Festen, bes[onders] dramatischen Aufführungen“64 sind seit dem dritten Jh. v. Chr. unter dem Namen Theorikon (heyqij|m) überliefert.65 Zu dieser regelmäßigen Ausschüttung öffentlicher Gelder war eigens eine Behörde eingerichtet. Einer Inschrift aus dem zweiten Jh. v. Chr. zufolge wurde auf der Insel Samos einmal jährlich eine gewisse Menge Getreide gekauft, was in die Zuständigkeit zweier dazu bestimmter Beamter fiel.66 Dieses Getreide wurde dann an die Bürger verteilt: Einmal monatlich konnte sich jeder Berechtigte zwei l]tqa abholen – solange der Vorrat reichte. Die Ausgabe war für den ersten bis zehnten Tag vorgesehen, für Mitbürger auf Reisen gab es die Möglichkeit, sich die eigene Ration bis zum 30. des Monats abzuholen. Die Kontrolle erfolgte wie in Rom durch Listen. In Oxyrhynchos musste im dritten Jh. n. Chr. für die Entgegennahme, die ebenfalls für eine bestimmte Zeit vorgesehen war, ein Dokument (t\bka) zur Identifizierung vorgezeigt werden.67 Der strukturelle Unterschied zwischen dem Vorgehen in den Provinzstädten zum stadtrömischen System bestand darin, dass die Getreideverteilungen außerhalb der Reichshauptstadt nicht von einer lex frumentaria geregelt wurden, welche von Zentralorganen ausgeführt wurde. Vielmehr waren 62 Vgl. C. Virlouvet, Tessera 15. 63 Vgl. H. Bolkestein, Wohltätigkeit 262–267; P. Veyne, Brot 202. Generell scheint sich die verbilligte oder kostenlose Kornabgabe eines Euergeten an eine städtische Bürgerschaft vom Osten her über die Munizipien und Kolonien der westlichen Reichshälfte ausgebreitet zu haben (vgl. H.-J. Gehrke, Art. Euergetismus, DNP 4, 1998, 228–230). Auf der anderen Seite waren die kaiserlichen Verteilungen in Italien ihrerseits Vorbild für das Engagement reicher Privatleute in den Provinzen (vgl. J. Bleicken, Sozialgeschichte 209). 64 H.D. Blume, Art. Theorikon, DNP 12,1, 2002, 403 f, 403. 65 Vgl. H. Bolkestein, Wohltätigkeit 270 f. 66 Vgl. Syll3 976; C. Virlouvet, Tessera 19 f; H. Bolkestein, Wohltätigkeit. 67 Vgl. C. Virlouvet, Tessera 21–25.
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sie an das Engagement einzelner wohlhabender Bürger geknüpft, die in städtische Ämter wie das des Agoranomen (!coqam|lor) oder Sitonen (sit~mgr) gewählt wurden. In deren Zuständigkeit fielen u. a. der Ankauf und die verbilligte oder kostenfreie Abgabe von Getreide an die Bevölkerung – zumeist in Krisenzeiten, z. T. auch regelmäßig.68 Angesichts der stets klammen Kassen etwa der kleinasiatischen Städte war die Berufung zur Agoranomie bzw. Sitonie oft mit privaten Aufwendungen der Amtsinhaber verbunden: Sie mussten das Getreide aus der eigenen Tasche zahlen oder ggf. aus eigenen Beständen herausgeben. Zur Hebung der Bereitschaft, sich dennoch derartige Belastungen zugunsten der Mitbürger zuzumuten, konnte der Agoranom bisweilen auf private Fonds zurückgreifen, die, von einem oder mehreren finanzstarken Co-Honoratioren gefüllt, zu diesem Zweck bereitstanden. Der betreffende Stifter erhielt zum Dank den Ehrentitel des ewigen Agoranomen oder eines ewigen Sitones, die beide z. B. in Sparta belegt sind. Neben Stiftungen dieser Art gab es solche, aus deren Gewinn Getreide oder Brot direkt an die Empfänger verteilt wurde. In den lykischen Städten wurden derartige Stiftungen z. B. von Mitgliedern der prominenten Familie der Licinner aus Oinoanda errichtet und sind auch andernorts anzutreffen.69 Diese sog. diamol^-Stiftungen kamen häufig zu Geburtstagen von Göttern, Kaisern oder des Stifters selbst zur Ausschüttung, was in der Regel an dessen Bildsäule oder an der eines Verwandten geschah.70 Auch die Agora oder das Stadion konnten als Ort der Verteilung dienen. Wenn jedoch – wie dies häufig geschah – nur bestimmte privilegierte Vereinigungen wie etwa die Gerusie (ceqous_a) oder die Neoi (m]oi) bedacht wurden, wurde der entsprechende Versammlungsraum dazu genutzt.71 Erwies sich der durch den Stiftungsfonds unterstützte aktuelle Amtsträger dann auch noch darüber hinaus als freigebig, konnte er ebenfalls auf Ehrerbietung durch eine Inschrift oder gar eine für ihn
68 Vgl. C. Virlouvet, Tessera 17; F. Quass, Honoratiorenschicht 260. 69 F. Quass, Honoratiorenschicht 269. 70 So belegt in IEph VI 2113, vgl. J. Ma, Statues 134. Auch beim Aufstellen der Statue selbst kam es zu Verteilungen von süßem Wein, Öl oder, in römischer Zeit belegt, Geld (vgl. J. Ma, Statues 246. 71 Vgl. B. Laum, Stiftungen I 98 f. Gerusie und Neoi waren die Versammlung der Alten bzw. der jungen Männer, die oft in den Genuss von Geldverteilungen aus Stiftungszinsen kamen. Diese örtlichen Autoritäten versammelten sich im Namen des Stifters eSr lm^lgm oder lm^lgr w\qim, also um die Erinnerung an diesen wach zu halten, was ein wichtiges inneres Motiv für das Anlegen einer Stiftung darstellte (vgl. B. Laum, Stiftungen 40–44). Dass diese mehr oder weniger exklusiven „Clubs“ (E. Stephan, Honoratioren 63) so häufig begünstigt wurden und doch für jedes Mitglied vergleichsweise geringe materielle Sachwerte dabei herauskamen, begründet Eckhard Stephan so: „Möglicherweise ging es einfach darum, eine gewisse Anzahl von Menschen – am besten auch noch gesellschaftlich wichtige Personen – dazu zu bringen, sich zu Ehren des Stifters zu versammeln. Um ihnen die Teilnahme an dieser Gedenkveranstaltung etwas schmackhafter zu machen, gab es dann eine Art ,Aufwandsentschädigung’ in Form einer Geldverteilung“ (ders., Honoratioren 88). Zu den Aufgaben der Neoi im Bestattungskontext siehe Kap. 10.2.
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durchgeführte Zeremonie hoffen.72 Dennoch gab es nicht selten Probleme, derlei konsumtive städtische Ämter zu besetzen, für deren Ausübung nur die dumato_, d. h. die Vermögenden der Stadt in Frage kamen.73 Wer seiner Vaterstadt durch Getreidegaben aushalf, konnte von dieser u. a. als syt^q gefeiert werden. Als eine solche Rettergestalt wird Gott von Maria im Magnificat bejubelt, während in Lk 2,11 Jesus mit dem Epithet belegt Swird, das „nicht als frühjüdischer Messiastitel belegt ist und bei den Synoptikern nur in Lk 1–2 begegnet“74. Der Verbindung zwischen Retter- und Wohltätertitulatur entspricht dabei direkt die griechische Wendung sytµq ja· eqeqc´tgr.75 Torsten Jantsch führt in einer „Enzyklopädie“76 des Lexems syt^q neben griechisch-römischen Verwendungsweisen in Bezug auf Herrscher und hervorgehobene Wohltäter auch das Vorkommen in Septuaginta und anderen frühjüdischen Schriften an. Dort tritt zumeist Gott in der Rolle des Retters vor Feinden gegenüber dem Einzelnen oder dem Volk auf.77 Erwähnenswert ist die Bezeichnung Josephs als sytµq ja· sitodºtgr in JosAs 25,6. Zu ergänzen wäre, dass auch Flavius Josephus den umsichtigen Verteiler von Getreide in der Zeit der Hungersnot als sytµq toO pk¶hour (Ant II 94) bezeichnet.78 Damit nehmen hellenistisch-jüdische Texte den Ehrentitel auf und verbinden ihn mit einer sozial ausgerichteten Art der Nahrungsverteilung.
7.1.4 Die Verteilung von Wohltaten im Magnificat Im Licht der Seligpreisungen und Weherufe gewinnt die Verteilungsszene im Rahmen des Hymnos Marias schärfere Konturen. Das Preislied Marias richtet sich an Gott als syt^q (1,47), Ehrentitel für einen, der sich durch Euergesien verdient gemacht hat. Mit der Bezeichnung als dumat|r (V. 49) klingt die Gestaltungsmacht an, welche die Voraussetzung für eine Profilierung als Wohltäter darstellt. Die dumato_ bezeichnen auf städtischer Ebene jene, die zur euergetischen Initiative aufgerufen sind, um dadurch ihrem Namen ein 72 Vgl. E. Stephan, Honoratioren 330. Zu den Verteilungen im Festzusammenhang siehe Kap. 6.2.3. 73 Vgl. F. Quass, Honoratiorenschicht 326; SEG 4,418. Zu den Voraussetzungen einer Amtsübernahme gehörte neben einem in den Provinzstädten variierenden census und dem Besitz eines Hauses mit einer gewissen Mindestgröße auch die Zahlung von Geld zum Amstantritt, die sog. summa honoraria (vgl. W. Eck, Ämter 17 f; 23). Zu Problemen bei der Benennung von Leuten zur Übernahme städtischer Ämter vgl. W. Eck, Ämter 25. 74 S. Schreiber, Weihnachtspolitik 66 i.d.Anm. 75 Vgl. A.D. Nock, Soter; T. Jantsch, Jesus 155; vgl. zudem z. B. SEG 28,1116; 32,1097 u. ö. 76 T. Jantsch, Jesus 150–160. 77 Vgl. T. Jantsch, Jesus 155–157. 78 Siehe Kap. 8.3.2. Zur Verwendung von syt^q bei Flavius Josephus und Philo vgl. T. Jantsch, Jesus 157–159; vgl. zudem M. Karrer, Jesus, der Retter (S ter). Zur Aufnahme eines hellenistischen Prädikats im Neuen Testament, in: ZNW 93,3 (2002) 153–176.
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Denkmal zu setzen.79 Damit korrespondiert – folgt man dem oben vorgeschlagenen Satzbau von Lk 1,49 f – die Heiligmachung des Namens, und zwar eQr ceme±r ja· ceme\r, d. h. nachhaltig: Euergesien sollen dem Spender schließlich lange währenden Nachruhm verleihen.80 Die Verteilung von Agath , aufgefasst als Wohltaten in diesem Sinne, folgt dieser Logik. Im Magnificat könnte an regelmäßige Verteilungen gedacht sein, denn Hinweise auf einen Festkontext wie in den Seligpreisungen gibt es nicht. Die Aussonderung der Jesus-Gruppe und das Herauswerfen ihres Namens (ameid¸sysim, 1jb²kysim; 6,22) legen die Streichung aus einem Verzeichnis oder einer Liste nahe, wodurch der Zugang zu den sättigenden Gütern gekappt wird, die dann vom Text für die Zukunft verheißen werden müssen (vgl. 6,21). Anders als bei Philos Lob des Augustus, der für die Gruppe der römischen Juden sogar den Ausgabetermin verschiebt, wenn dieser auf einen Sabbat fällt (vgl. Leg Gai 158), verlöre hier eine Gruppe ihre (vormals vorhandene?) Berechtigung zum Getreidebezug ganz: Dort wird eine religiöse Gruppierung besonders berücksichtigt, hier sieht sich eine andere geschmäht und von der Verteilung ausgeschlossen. Der kappenden Instanz, u. a. als dum\stai (Lk 1,52) bezeichnet, womit innerbiblisch eine mittlere, teils widergöttliche Machtposition bezeichnet wird, wird gedroht. Der angesprochene Gott übernimmt im Marienhymnos die Rolle einer Verteilungsinstanz, die sich von den auf städtischer Ebene bekannten deutlich unterscheidet: In Lk 1,53 kommen explizit die Hungernden anstelle der Begüterten zum Zuge, nicht wie bei einer institutionalisierten frumentatio die begrenzte Gruppe der Freien, darunter begünstigt bestimmte wohlhabendere tribus oder solche Bevölkerungsteile, die sich den Zugang zum frumentum publicum erkaufen können. Auch werden nicht die etablierten Clubs alter oder junger Herren (Gerusie, Neoi) privilegiert, wie dies bei vielen diamola_ üblich war. Die vikotil_a städtischer Wohltäter drängte sie, mit ihren Gaben die bessere Gesellschaft zu bedenken, weil sie zu dieser gehörten oder gehören wollten – wenn sie sich überhaupt engagieren mochten und nicht stattdessen versuchten, ihre Güter möglichst gewinnbringend in den Markt einzuspeisen, wodurch sie sich den Reziprozitätsregeln ihrer Heimatgemeinde entzogen.81 Die so oder so vorangetriebene Zementierung sozialer Unterschiede sorgte für Spannungen in den griechischen Städten.82 Ähnliche Spannungen könnten auch im Hintergrund des Marien-Hymnos stehen, wo dieser von der Zerstreuung der Hochmütigen und dem Sturz der dum\stai spricht (vgl. 1,51 f). Gott rückt in die Rolle eines syt^q und eines dumat|r,83 weil die menschlichen 79 80 81 82
Vgl. Philostr., Vit Ap I 15,25; siehe Kap. 8.5.1. Vgl. F. Quass, Honoratiorenschicht 32. Siehe Kap. 8. Vgl. S. Dmitriev, City 171. Werner Eck zufolge „verwundert es nicht, wenn die dauerhafte Zugehörigkeit zum Rat sich sozial in einer deutlichen Trennung zwischen den Buleuten und dem Volk auswirkte, die boukeuta_ wurden abgegrenzt von den dgl|tai“ (ders., Ämter 24). 83 Schreiber ist der Ansicht: „Wenn z. B. Maria ausruft: ,Er stürzt Mächtige vom Thron‘ (Lk 1,52),
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Amtsträger versagen! Bei der göttlichen Verteilung kommen die normalerweise Ausgeschlossenen nicht auch noch, sondern an vorderster Stelle und anstelle der sonst Privilegierten zum Zug. Die Wohlhabenden innerhalb der Gemeinde werden wiederum ermahnt, sich nicht am Handeln dieser Figuren zu orientieren. Sie mögen im städtischen Umfeld ein gewisses, wenngleich tatsächlich nicht zu überschätzendes Ansehen genießen (vgl. Lk 6,26a). Ihr Mangel an Wohlwollen (eumoia) – um das geprägte Sprachfeld öffentlicher Ehrungen aufzurufen – gegenüber der Gruppe der Menschensohn-Anhängerinnen und Anhänger, zu der sie schließlich auch selbst gehören, stempelt sie allerdings in Wahrheit zu Pseudopropheten (vgl. Lk 6,26b). Diese Prophetenprätendenten treiben anscheinend rücksichtslos Geld ein, das sie ihren armen Glaubensgeschwistern geliehen haben (Lk 6,27b–30) und schließen unliebsame Wandermissionare von ihren Gastmählern aus (Lk 13,22–30). Damit orientieren sie ihr Verhalten an den Leitnormen einer literarischen Gegnerkategorie, der von Lk ein endzeitlich-endgültiger Statusverlust angekündigt wird (vgl Lk 16,19–31). Somit lässt sich zusammenfassen, dass das Marienlob in Semantik (syt^q, !cah\) und Form (Hymnos, Enkomion) antike Reziprozitätsvorstellungen aufgreift, um diese inhaltlich dann schroff zu durchbrechen. Dieser Bruch liegt in Benennung und Bevorzugung der Armen, die qua Armut reziprozitätsfremd, weil kaum in der Lage zum Einstieg in zyklisch ablaufende Austauschverhältnisse sind. Demgegenüber werden diejenigen, denen ansonsten das hymnische Lob als Ehrung für ihre Agath zuteilwird, zurückgesetzt – mutmaßlich weil sie gerade diese nicht gespendet haben. Klassischerweise in der Rolle der Gewährenden oder eben Verweigernden finden sie sich in der von Bittstellenden wieder, die von einem noch größeren Wohltatengeber, Gott als j}qior und syt^q, leer weggeschickt werden. Diese Akzentuierung entspricht der Beurteilung der Verhältnisse in Makarismen und Weherufen. Im Zusammenhang mit dem Benedictus soll dargelegt werden, dass für die literarische Gegnergruppe eine Rezeptionsmöglichkeit im Typus des Amtspropheten besteht, wie er in einigen Städten des griechischen Ostens auftrat: Der hochangesehene religiöse Titelträger gleichen Namens (pqov^tgr) fungierte für seine Mitbürger auch als Euerget, u. a. durch Ausrichtung von Banketten.
ist der römische Princeps der erste Kandidat für die sich darin narrativ öffnende Leerstelle“ (ders., Weihnachtspolitik 91 f). Angesichts des LXX-Befundes jedoch kann diese Leerstelle auch mit Gestalten mittleren Ranges gefüllt werden.
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7.2 Lobpreis des Zacharias 7.2.1 Textanalytische Bemerkungen Mit dem Hymnos Marias hat das prophetische Preisgebet des Zacharias u. a. gemeinsam, dass hier wie dort von der Rettung Israels durch Gott die Rede ist (syt^q/sytgq_a; V. 47.71). Die Reihung von Aoristen ist ebenfalls in beiden Texten zu finden, jedoch im Benedictus nicht wie im Marien-Hymnos durch klare Hauptsatzfolgen. Vielmehr begegnen hier besonders im ersten Teil durch Polysyndeta verknüpfte Hypotaxen (vgl. V. 68–75), auf die Infinitive folgen, was zu verschlungenen Konstruktionen führt – der erste mit eqkocgt|r eingeleitete Satz reicht von V. 68 bis 75.84 Bovon sieht darin Ähnlichkeiten zur „hebräischen Syntax der Psalmen“85; ohnehin lassen sich wie beim Magnificat vielfältige direkte Bezüge zu alttestamentlichen Texten herstellen.86 Zum Aufbau: Die deutlichste Zäsur im Benedictus ist die zwischen V. 75 und 76, womit generell von zwei großen Blöcken auszugehen ist. Das Thema des ersten Teils (V. 68–75) ist die Rettung (sytgq_a) Israels durch den in dritter Person Singular angesprochenen Gott, das des zweiten (V. 76–79) die an das Kind gerichtete Ankündigung, dass dieses eines Tages zum Propheten des Höchsten aufsteigen werde. Am Ende gibt es zwar noch einen Subjektwechsel hin zur rätselhaften !matokµ 1n vxour (V. 78), dessen kurzer, unscheinbarer Anschluss durch einen Relativsatz jedoch keinen eigenen maßgeblichen Sinnabschnitt begründet.87 Drei den Text prägende Aspekte sollen hervorgehoben werden: 1. Betont wird wiederholt die Rettungstat Gottes, zu greifen in der Aufrichtung des j´qar sytgq¸ar (V. 69a), der Rettung vor Feinden im kompositorischen Zentrum des ersten Teils (vgl. V. 71) und der cm_sir sytgq¸ar (V. 77). 2. Die beiden anderen Punkte entsprechen den zu Beginn des Kapitels genannten: Ankündigungen und Verheißungen spielen wie im Magnificat eine wichtige Rolle im Text. Die Rettung wird angekündigt, und zwar durch den Mund der Propheten (vgl. V. 70 f), Gott erinnert sich seines Bundes (diah^jg; V. 72), im Folgevers als Eid (fqjor; V. 73) an Abraham umschrieben. Der Gegenstand des Bundes bzw. Eides besteht in der Gabe eines 84 Zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden vgl. M. Wolter, Lk 111. Ulrike Mittmann-Richert sieht die beiden Texte durch den „gleichen messianischen Hintergrund“ (dies., Magnifikat 32) verbunden, den sie freilich aus Anspielungen atl. Texte wie 1 Sam 2,10 u. a. erschließt. 85 F. Bovon Lk I 97. 86 Vgl. J. Fitzmyer, Lk I 375 f; M. Wolter, Lk 111–118. 87 Wolter besteht auf drei Gliederungsteilen (vgl. ders., Lk 111). Fitzmyer sieht vier Teile (vgl. ders., Lk I 379), zwei Einheiten wie in der hier vorgenommenen Gliederung unterteilen hingegen auch Bovon und Marshall (vgl. F. Bovon, Lk I 97; I.H. Marshall, Lk 87).
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angstfrei zu begehenden Gottesdienstes (vgl. V. 73b–75) – es wird nicht ganz deutlich, inwiefern dies vom Sprecher als bereits eingelöst angesehen wird. Im zweiten Teil wird dem Kind geweissagt, welchen Titel es einmal tragen und dass es in dieser Funktion des pqov¶tgr rx¸stou vor dem Herrn hergehen werde, um ihm die Wege zu bereiten (vgl. V. 76). 3. Damit verbunden aber nicht deckungsgleich ist die Betonung des Prophetischen, die auch schon im Magnificat wie in der überschriftartigen Qualifizierung der Rede des Zacharias zum Ausdruck kommt: Er prophezeite (1pqov¶teusem), und zwar unter dem Einfluss heiligen Geistes (1pk¶shg pme¼lator "c¸ou; V. 67). Es werden heilige Propheten von Urzeit her erwähnt (vgl. V. 70), der Prophet des Höchsten (pqov¶tgr rx¸stou) vermittelt dem Volk Erkenntnis (wiederum der Rettung, vgl. V. 76 f). Die drei Aspekte – Rettung, Weissagung und Prophetie – hängen derart zusammen, dass die Rettung durch den gepriesenen Gott als Erfüllung von Weissagungen angesehen wird, die durch einen Propheten vermittelt werden. Das prophetische Element im Text ist sowohl mit inspirierter Weissagung als auch mit einer Art öffentlichem Amt vor dem Volk verbunden. Der Text weist eine Reihe sprachlicher Auffälligkeiten auf, zunächst die Aufrichtung eines Hornes des Heils (vgl. V. 69). Die Kollokation j´qar 1ce_qy „ist ungebräuchlich, jedenfalls in der Bibel sonst nirgends belegt“88. Ebenfalls „etwas ungewöhnlich eingefügt“89 ist !p’ aQ_mor (V. 70), wobei zu klären wäre, ob es sich auf 1k²kgsem bezieht oder den heiligen Propheten zuzuordnen ist, um diese näher zu qualifizieren.90 Mit anderen Worten: Geschieht die Ankündigung Gottes von Urzeiten her oder wird auf die dynastische Ahnenreihe der Propheten verwiesen? M. E. ist hier letzteres im Blick, wofür unten argumentiert wird. Einen weiteren stilistischen Stolperstein stellt der Übergang von V. 72 zu V. 73, mithin das Verhältnis von Bund zu Eid dar: 72
…poi/sai 5keor let± t_m pat´qym Bl_m ja· lmgsh/mai diah¶jgr "c¸ar aqtoO, 73 fqjom dm ¥losem pq¹r )bqa±l t¹m pat´qa Bl_m, toO doOmai Bl?m 74 !vºbyr 1j weiq¹r 1whq_m Nush´mtar katqe¼eim aqt`…
Das Problem tritt auf, wenn fqjor als Umschreibung von diah¶jg im Genitiv stehend, gelesen wird: Dann müsste es diah¶jgr entsprechend eigentlich fqjou und nicht fqjom heißen. Die Konstruktion wird allgemein als attractio 88 W. Radl, Lk 94. 89 W. Radl, Lk 95. 90 Die Wendung kommt neutestamentlich nur im lukanischen Schrifttum vor, u. a. deswegen geht Nolland von einem lukanischen Ursprung des Verses aus (vgl. ders., Lk I 87).
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inversa aufgefasst,91 was bedeutet, dass das im Akkusativ stehende Relativpronomen den Kasus des vorstehenden fqjom bestimmt. Beides wird als abhängig von lmgsh/mai verstanden. Gott würde demzufolge seines Bundes, verstanden als Eid gedenken und angstfreien Gottesdienst geben – eine Art Spiritualisierung oder zumindest Verallgemeinerung des Abraham geschworenen Eides (vgl. Gen 22,16 f).92 Es ließe sich auch ein Hyperbaton annehmen, also die Trennung zweier zusammengehöriger Satzteile, zwischen die ein anderes Satzglied tritt. Die vorliegende Textstelle wäre dann so zu verstehen: Vorausgesetzt, der Vers 1.73 bildet eine syntaktische Einheit, so wäre die ,gewöhnliche Stellung‘: toO doOmai Bl?m fqjom dm ¥losem) Die zusammengehörigen Glieder Bl?m fqjom jtk.) sind dann durch Umstellung getrennt, toO doOmai ist dazwischen geschoben.93
Entsprechend gehört nach dieser Lesart !vºbyr 1j weiq¹r 1whq_m Nush´mtar katqe¼eim aqt` als Folge des gegebenen Eides zusammen: „damit wir ihm dienen…“94. Ob diese Lösung als stilistisch höherstehend anzusehen ist als die Unterstellung einer attractio inversa, mag dahingestellt bleiben.95 Wichtiger scheint, dass mit der Annahme eines Hyperbaton die Verbindung zwischen Bl?m und )bqa\l stärker herausgestellt wird, m.a.W.: Uns gibt Gott seinen Eid. Demnach ginge es nicht nur „um die Gültigkeit des Eides von einst für die gegenwärtige Generation“96, sondern um die Inanspruchnahme des Abraham geschworenen Eides durch „uns“ – eine gehasste Sondergruppe (vgl. V. 71), die sich selbst für rechtschaffen und fromm erachtet (vgl. V. 75) und erwartet, dass der Gott Israels sie vor ihren nicht näher qualifizierten Feinden rettet (vgl. V. 71.74). Dass der prophetische Hymnode den Abraham-Bund resp. -Eid für diese Gruppe reklamiert, lässt fragen, wem gegenüber er sich damit abgrenzt. Der Relativsatz in V. 73a (fqjom dm ¥losem pq¹r )bqa±l t¹m pat´qa Bl_m) könnte auch als Einschub verstanden werden, um das Motiv des Eides noch irgendwie in dem ohnehin schon vertrackten Textgefüge unterzubringen. So 91 Vgl. BDR § 295. Dieser Auffassung folgen J. Fitzmyer, Lk I 384, I.H. Marshall, Lk 92, W. Radl, Lk 95, Anm. 331 und M. Wolter, Lk 114. 92 Vgl. J. Fitzmyer, Lk I 384 f. Norbert Lohfink hat schon für N=L5 in Gen 15,18 die Übersetzung als Eid gefordert – die LXX spricht von diah^jg (vgl. N. Lohfink, Landverheißung 101–113). Vor der Landverheißung in Gen 15,8 steht bereits in V. 4 eine Sohnesverheißung. Die „Struktur eines Heilsorakels“ (N. Lohfink, Landverheißung 48), wie sie sich in Gen 15 abbildet, prägt auch die Erzählung von der Erscheinung des Engels Gabriel vor Zacharias in Lk 1,11–22. Die Abfolge von Einleitung, Heilszusage, entgegnenden Klagen, der Antwort Gottes und Zeichen ist in beiden Texten zu finden. Zudem ziehen in Gen 15,17 ein rauchender Ofen und Feuerfackeln durch die Opfertierhälften, während in Lk 1,78 die rätselhafte !matokµ 1n vxour in den „Eingeweiden des Erbarmens unseres Gottes“ (spk²cwma 1k´our heoO Bl_m) erscheint. 93 F.G. Lang, Abraham 499. 94 F.G. Lang, Abraham 500. 95 Friedrich G. Lang scheint dies nahelegen zu wollen (vgl. ders., Abraham 498; 500). 96 F.G. Lang, Abraham 500.
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oder so darf von einer besonderen Betonung dieses Motivs im Benedictus ausgegangen werden. Die Aktanten sind noch deutlicher gegeneinander abzugrenzen: Auf der einen Seite sind „Israel“ (V. 68a), „sein [d.i. Gottes] Volk“ (V. 68c.77) und „wir“ (V. 69a.71.73b.75.78.79c) miteinander zu identifizieren. Diese Gruppe setzt sich in Beziehung zum „Haus Davids“ (V. 69a), stellt sich in die Reihe der „heiligen Propheten von Urzeit her“ (V. 70) und assoziiert sich mit Abraham und weiteren Vätern sowie mit dem Bundes- bzw. Eidverhältnis, in dem diese zu dem als j}qior angesprochenen Gott stehen (vgl. 68a.72b.73a). Sie erwarten, dass eine Lichtgestalt aus der Höhe (!matokµ 1n vxour; V. 78) ihnen den Weg des Friedens weist (vgl. V. 79c). Auf der anderen Seite stehen die Feinde und diejenigen, die die Sprechergruppe derart hassen, dass diese um Rettung vor ihnen fleht (1n 1whq_m Bl_m ja· 1j weiq¹r p²mtym t_m liso¼mtym Bl÷r; V. 71). Diese Feinde hindern die erstgenannte Gruppe auch an einem angstfreien Gottesdienst (vgl. 74 f), bleiben ansonsten aber geschichts- und namenlos. Unklar ist, ob die in Dunkel und Todesschatten Harrenden (vgl. 79ab) ebenfalls dieser Feindespartei zugehören oder ob sie Teil der Sprecher-Gruppe sind. Intuitiv scheint sich eher letztere Möglichkeit nahezulegen, andererseits sind in diesem letzten Absatz „wir“ und „jene“ betont unterschieden (vgl. V. 78 f). Zur Gattung: Der erste Teil des Benedictus (V. 68–75) kann als Hymnos im oben beschriebenen Sinne betrachtet werden, der durch eine Eulogie (hebr. 8?L5/bera¯ka¯h) eingeleitet wird.97 Der zweite Teil (V. 76–79) unterscheidet sich durch die direkte Ansprache des Kindes in zweiter Person und die Ankündigungen seiner Rolle im Futur. Zudem fehlt ein formelhafter Abschluss, was Klaus Berger zu der Ansicht führt, dass hier eine andere Gattung vorliegt. Er vergleicht diesen Textteil mit dem aus dem Hellenismus stammenden Genethliakon, eigentlich einem Geburtstagsgedicht zu Ehren von Göttern oder hochstehenden Persönlichkeiten.98 Ein Gattungselement bei der Ansprache von Kindern ist die Prophezeiung oder Weissagung, die „nach der Geburt über das Kind gesprochen wird“99. In Lk 1,76–79 sieht Berger eine Art Vorstufe zu dieser erst im zweiten Jh. n. Chr. voll entwickelten Gattung, „ein futurisch formuliertes Führer-Enkomion“100. Weitere innerlukanische Beispiele seien die Weissagungen Simeons und, nicht ganz so prononciert, Hannas (vgl. Lk 2,34 f.38), wie bei Simeons Ansprache gehe auch im Benedictus dem Ge-
97 Zu alttestamentlichen und apokryphen Referenztexten vgl. M. Wolter, Lk 112 f, bzgl. der ntl. Verwendung vgl. K. Berger, Formen 303 f. Dass Berger weder das Magnificat noch den ersten Teil des Benedictus als Hymnos gelten lassen will, scheint auf einer zu engen Definition des Begriffs zu beruhen (vgl. ders., Formen 298). 98 Vgl. K. Berger, Gattungen 1197, ders., Formen 341 und M. Wolter, Lk 115. 99 K. Berger, Formen 422; vgl. auch ders., Gattungen 1197, mit Verweis auf Menander, der von lamte}olai spricht. 100 K. Berger, Gattungen 1198.
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nethliakon ein Dankgebet voraus (vgl. 2,29–34).101 Damit aber lässt sich V. 76–79 auch als precatio im gattungsgemäßen Anschluss an die pars epica auffassen und so als Teil des Hymnos ansehen, was der Geschlossenheit des Textes in seiner Endgestalt eher entspricht.
7.2.2 Paganes Amtsprophetentum Die oben herausgestellten drei Aspekte von Rettung, Weissagung und Prophetie sollen näher auf ihren möglichen religions- und sozialgeschichtlichen Zusammenhang hin untersucht werden. Dazu sind Bezüge zu Formen des paganen Orakelkults im griechischen Osten zu prüfen, näherhin zu solchen, die sich an einem Tempel abspielten. Um Missverständnissen vorzubeugen: Es wird hierbei scharf unterschieden zwischen der Herkunft der Motive und ihrer möglichen Rezeption. Die lukanische Geburtsgeschichte ist getränkt von Sprache, Motivik und Gattungen der Septuaginta. Aus dem reichen Requisitenfundus werden dabei bestimmte Elemente ausgewählt und z. T. so modifiziert, dass sie traditions- und religionsgeschichtlich für die intendierten Leserinnen und Leser anschlussfähig sind. Diese aber mögen – als hellenistische Juden, Gottesfürchtige oder griechisch-römische Heiden – bei einem Tempel an den in Jerusalem denken, vielleicht aber auch an diesen oder jenen in Ephesos, Rom oder Didyma. Die Erzählrequisiten Tempel, Priester, Prophetinnen und Propheten sind biblischen Traditionen entnommen, eine hellenistisch geprägte Diaspora-Jüdin etwa versteht sie auf Basis ihres Weltund Alltagswissens: Sie mag schon einmal den Tempel in Jerusalem gesehen haben, sicher vertraut ist sie mit dem Anblick der paganen Heiligtümer in ihrer Stadt (zumindest von außen). Prophetinnen und Propheten kennt sie vielleicht aus Erzählungen, zugleich verbindet sie die Bezeichnungen mit exponierten Gestalten im Orakel- und Wohltätigkeitskontext ihres kulturellen Umfeldes.102 Zur Zeit des LkEv stachen als Zentren des Orakelkults Didyma, Klaros oder auch noch Delphi hervor.103 Diese Kulte waren eng verzahnt mit dem Ämterwesen der Städte, von denen sie jeweils betrieben wurden. Das Amt des Propheten war dabei – je nach lokaler Ausprägung – als eine prestigeträchtige 101 Vgl. K. Berger, Formen 301; 405. 102 Zur Veranschaulichung: Auf einer Tafel des Marienfelder Altars stellt der westfälische Künstler Johann Koerbecke die Pilatusszene nach Mt 27,24 dar. Darin wäscht sich der sich der in mittelalterliche Pelzkleider gewandete Statthalter die Hände, die Giebelhäuser im Hintergrund erinnern an solche, wie sie auch auf dem Prinzipalmarkt in Münster zu sehen sind (Christus vor Pilatus, Tempera auf Eichenholz, 1443/57, LWL Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte Münster). 103 Die Berühmtheit Delphis befand sich gegenüber den beiden anderen genannten Kultstätten im 1. Jh. n. Chr. wohl bereits im Abschwung (vgl. F. Graf, Apollo 57–60); David Potter nennt alle drei als unangefochten im Römischen Reich (vgl. ders., Prophets 38).
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öffentliche Aufgabe anzusehen, die oft mit leiturgischen Leistungen verbunden war, also Aufwendungen mit sich brachte, die der Amtsinhaber aus eigener Tasche zu zahlen hatte.104 Dadurch ist dieses Amt auch unter dem Blickwinkel des städtischen Euergetismus zu betrachten, der seinerseits in die reziprokale politische Kommunikation zwischen der Provinz- und Reichsebene eingebunden war. Zum einen übernehmen also die in die Orakelkulte eingebundenen Propheten amtliche Repräsentationsaufgaben, die von politischen Reziprozitätsvorstellungen auf zwischenmenschlicher Ebene durchdrungen sind. Zum anderen zeigt sich im Orakelkult darüber hinaus, wie die Interaktion zwischen Mensch und Gottheit von Reziprozitätserwartungen hinsichtlich der je zu erbringenden Leistungen geprägt ist. Beide Aspekte sind nachfolgend darzustellen, die Ergebnisse sollen sodann bei einem neuerlichen Blick auf das Benedictus berücksichtigt werden. 7.2.3 Der Prophet als Kultbeamter Generell lassen sich drei Pole im Orakelkult ausmachen, nämlich (1) ein Konsultant, der den Gotteswillen hinsichtlich eines bestimmten Anliegens zu erfahren sucht und sich dazu (2) an ein Medium wendet, das in direktem Kontakt zur Orakelgottheit stehen soll. Eine Art Vermittlungsleistung zwischen Konsultant und Medium (oder auch: dem Orakel) erbringt (3) ein Interpret: Diese Leistung kann je nach Zuschnitt des Orakelablaufs darin liegen, die Fragen der Konsultanten dem Medium zuzuführen und ihnen wiederum die Antworten zukommen zu lassen – welche die Interpreten möglicherweise auf die eine oder andere Weise zuvor bearbeiten (verschriftlichen, in Versform bringen etc.).105 Diese Rolle ist etwa in Didyma mit Repräsentationsaufgaben und der administrativen Leitung des Kultbetriebes verbunden, die ein für je ein Jahr erloster sog. Prophet übernimmt. Für das pagane Verständnis dieser Figur im Allgemeinen bedeutet das: „the prophÞtÞs is usually attached to a specific god at a particular cult site, with responsibility for communicating the divine will“106. Der Prophet gehörte demnach zum Kultpersonal, und zwar in hervorgehobener Stellung, hinsichtlich des obigen Schemas entweder in der Rolle eines Mediums (wie z. B. in Klaros) oder eines Interpreten (wie z. B. in Didyma).107 Als leitender Kultbeamter war er v. a. eine repräsentative Ver104 105 106 107
Vgl. J.E. Fontenrose, Didyma 52 f. Bzgl. des Modells zu Kommunikationsstrukturen der Divination vgl. M. Ebner, Stadt 311 f. J. Dillery, Chresmologues 171; Hervorhebung im Original. Die Orakelbefragung im Rahmen eines Tempelbetriebes gestaltete sich zeit- und kostenintensiv: Die Teilnahme am Befragungsritual stand armen Menschen wohl nicht offen, die Antwort des Gottes gar inschriftlich festzuhalten, war nur begüterten Einzelpersonen oder öffentlichen Delegationen möglich (vgl. J.E. Fontenrose, Didyma 96). Dennoch waren es neben Herrschern, städtischen Gesandtschaften der eigenen Vaterstadt und der anderer Städte auch einzelne Bürger, die sich mit ihren Sorgen an die Orakel wandten. Für Didyma führt die
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mittlungsinstanz mit Öffentlichkeitswirkung. In Didyma wurde er durch Losentscheid und damit in den Augen der Zeitgenossen durch göttlichen Willen bestimmt. Zur Amtseinführung wurde ihm neben einem Purpurmantel eine Kopfbinde oder ein Kranz angelegt, was mit dem Wort !m\deinir/ !made_jmuli ausgedrückt wird.108 Bei Opfern und Prozessionen kam ihm die Leitungsfunktion zu. Eine Prozession wurde in Didyma vor praktisch jedem Opfer durchgeführt: Bei einem privat initiierten Ritus etwa zur Besiegelung eines Vertrages fiel diese wohl eher kurz aus; die Prozession, mit der die didymäischen Festspiele (Lec\ka Didile_a) eröffnet wurden, ein panhellenisches Fest mit sportlichen wie musischen Agonen, darf man sich hingegen imposant vorstellen: „All city and cult officials walked in the procession and participated in the sacrifice“109. Der Prophet wird an der Spitze gegangen sein.110 In Didyma wurde darüber hinaus erwartet, dass er die Amtsführung der Hydrophoren, der Kultdienerinnen des benachbarten Artemis-Heiligtums mit Geld und anderen Wohltaten unterstützte.111 Der didymäische Prophet war zudem verpflichtet, Bankette für die sog. Kosmoi und Molpoi auszurichten, weitere im Kult tätige Gruppen, die für den geordneten Ablauf bzw. den tanzenden Vortrag der Hymnen Sorge zu tragen hatten.112 Regelmäßige Verteilungen von Geld und Lebensmitteln an unterschiedliche Gremien im Umfeld der Heiligtümer Didymas, Bankette für miletische Bürger, ja ganze Phylen, sowie die Bereitstellung von Öl, die Veranstaltung von Unterhaltungsprogrammen aber auch Bautätigkeiten wie etwa die Errichtung einer Säulenhalle waren Leistungen, die Propheten sich selbst lobend in Rechnung stellten oder stellen ließen und die entsprechend so oder ähnlich auch von ihnen erwartet wurden.113 Das Amt ist demnach im Kontext der leiturgischen Aufgaben zu verorten, mit denen sich die städtischen Eliten als Euergeten vor ihren Mitbürgern profilierten.114 Die zeitweilige Schwierigkeit Personalien zu berufen, deren
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Klientengruppen auf J.E. Fontenrose, Didyma 104 f. Zum in Delphi etablierten Losorakel für Menschen aus einfachen Gesellschaftsschichten vgl. D.S. Potter, Prophets 23 f. Vgl. SEG 33,1056,4; C. Oesterheld, Botschaften 274; 345 jew. i.d.Anm.; F. Bovon, Lk I 111; Belege bei M. Wolter, Lk 118. „Diese Mischung von zivilen und kultisch-religiösen Aufgaben ist ganz typisch für die Ausgestaltung der Leitung einer solchen Selbstverwaltungseinheit, nicht anders als auch in Rom selbst bei Senatoren und Rittern“ (W. Eck, Ämter 18). J.E. Fontenrose, Didyma 73. Vgl. E. Stephan, Honoratioren 128. V. Nutton, Doctor 38. Vgl. J.E. Fontenrose, Didyma 52. Vgl. J.E. Fontenrose, Didyma 52 f. Zur Bautätigkeit der Propheten vgl. F. Quass, Honoratiorenschicht 215 i.d.Anm. Zur Einbindung der gemeindlichen Priesterschaften in das System des Euergetismus vgl. R. Gordon, Veil. Diese Einbindung diene letztlich der Verschleierung tatsächlicher Machtverhältnisse: „Insofar as there is an overall development discernible in the complex history of civic priesthood in the Principate, its rationale surely lies in this fusion of the religious system with
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Namen man aus dem Lostopf ziehen konnte, zeigt die auf viele abschreckend wirkende Kostspieligkeit der Aufgabe.115 Die sie übernahmen, entstammten den vornehmsten Familien der Stadt. Sie hielten sich zugute, über viele Geschlechter hinweg die teure Verantwortung angesehener Ämter, eben auch das der Prophetie zu übernehmen, was im Prinzipat dazu führte, dass diese erblich weitergegeben wurde. Das Prestige des Prophetenamtes zeigt sich darin, dass es teilweise von denselben Leuten übernommen wurde, die auch als Oberpriester (!qwieqe}r) im Kaiserkult auftraten.116 Die Bezugnahme auf edle Vorfahren, teils bis auf Heroen mythischer Vorzeit, unterstrich die Würde des eigenen Geschlechts,117 ebenso die Verbindung zur Folgegeneration, die, wie in Laodikeia im zweiten Jh. n. Chr., mitunter schon im Kindesalter das Prophetenamt zugesprochen bekam – freilich mit Unterstützung der Eltern.118
7.2.4 Die Funktion der Hymnen am Beispiel der Mantik Hymnen entstanden oftmals in einer Situation des Mangels oder der Not, aus der man Erleichterung oder Befreiung erbat. Mit Blick auf den Gebrauch von syt^q und sytgq_a fordert Arthur Nock: „We have to ask this question each time: who was the deliverer and from what did he give deliverance?“119 Ein exemplarischer Bereich, an dem diese zu zeigen ist, stellt das Einholen von Orakeln zur Rettung aus Notlagen durch städtische Gremien dar. Der reziprokale Charakter des mantischen Geschehens lässt sich am Beispiel eines inschriftlich niedergelegten Orakels des Zeus Ammon darstellen.120 Teilweise erhalten ist eine Antwort des Gottes, die aus der nordafrikanischen Oase Siwa an Kultanhänger aus Kyzikos in der Provinz Mysien ergeht und auf die Zeit zwischen 123 und 132 n. Chr. zu datieren ist. Darin wird die Hinwendung zu Helios angeraten: „Denn mit des Gottes Strahlen wirst du durch Opfer rasch wieder Licht über deine Finsternis bringen, strahlender als zuvor“121. Durch einen nicht näher zu erhellenden Opferdienst soll Helios dazu bewogen werden, die Früchte wieder reifen zu lassen. Auch Klaros findet Erwähnung, wobei infolge des fragmentarischen Befundes die Forschungsmeinungen darüber auseinandergehen, ob die Orakelstätte missachtet oder im Gegenteil aufge-
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the social-political system, a fusion which served to veil from the central and local lites the true character of their domination“ (ders., Veil 231). Vgl. S. Dmitriev, City 143–145. Vgl. J.E. Fontenrose, Didyma 169. Vgl. F. Quass, Honoratiorenschicht 42–46; 59. Bis auf Ajas, den Helden der Ilias, führte etwa der epikureische Philosoph Philidas Herakleonos seine Ahnenreihe zurück (vgl. IDidyma 285). Vgl. C. Oesterheld, Botschaften 271 i.d.Anm. A.D. Nock, Soter 720. Vgl. SEG 33,1056. Nach Rekonstruktion und Übersetzung von W. Peek, Orakel 205.
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sucht werden soll, damit dort Hymnen und Opfer dargebracht werden.122 Im Hintergrund des Orakels, so legt die Anweisung jedenfalls nahe, scheint die Frage danach gestanden zu haben, wie Helios richtig zu verehren sei. Dringenden Anlass dazu hatte möglicherweise eine Missernte der Kyzikener gegeben, infolge derer eine Hungersnot drohte oder schon eingetroffen war. Aufgrund der Krise war dann eine städtische Gesandtschaft beauftragt worden, göttlichen Rat zur Abwendung der Gefahr einzuholen.123 Ebenjener Gott, dessen Strahlen die Stadt in Schwierigkeiten gebracht hatten, sollte auch zu ihrer Rettung bewogen werden. Welche Leistungen dazu wie zu erbringen waren, sollten die Experten der Orakelstätte in Siwa aufgrund ihres direkten Kontaktes zum Göttervater Zeus vermitteln. Sollte diejenige Rekonstruktion stimmen, nach der geraten wird: „lasse auch Klaros ganz beiseite“124, wäre denkbar, dass die Gesandtschaft beim klarischen Apollo zuvor schon vorstellig geworden war, sich aber durch das dort erhaltene Orakel keine Verbesserung der heimischen Lage ergeben hatte.125 Eine solche Form des trial and error ergab sich aus der Erfahrung, dass die Gottheit als überlegenes Gegenüber nicht zur Reziprozität verpflichtet werden kann. Im Polytheismus galt es daher nicht als verwerflich, sein Glück wieder und wieder und ggf. bei unterschiedlichen Gottheiten zu versuchen. M.a.W.: „Mortal relations with the gods were an ongoing negotiation, not a contract.“126 Ein Blick auf Klaros zeigt die göttlichen Zuständigkeiten: Der Gedanke, Helios als Erzeuger und Erhalter des Lebens sorge für Wachstum und Gedeihen der Ackerfrüchte, so daß bei Befolgung der rituellen Maßnahmen eine Krise infolge Dürre und Mißwuchs überwunden werden könne, findet sich auch in den klarischen Orakeln mehrfach ausgedrückt, etwa zu Beginn des nach den ersten vier Versen stark fragmentierten Orakels für Nikomedia mit der Umschreibung von 122 Erstere Auffassung vertritt W. Peek, Orakel, zu letzterer vgl. C. Oesterheld, Botschaften 306. 123 Vgl. W. Peek, Orakel 207. Gesandtschaften im Auftrag ihrer Vaterstadt suchten oftmals Rat, wie Gefahren und Bedrohungen für das Gemeinwesen abzuwenden seien. Bei Naturkatastrophen, Seuchen und Hungersnöten etwa erwarb sich das Apollo-Heiligtum in Klaros einen überregionalen Ruf als verlässlicher Ratgeber (vgl. C. Oesterheld, Botschaften 541). 124 W. Peek, Orakel 205. 125 So ähnlich auch W. Peek, Orakel 206. Ein weiteres Beispiel: Eine Gesandtschaft der kleinasiatischen Stadt Hierapolis sucht im zweiten Jh. n. Chr. in Folge einer Seuche den Rat des klarischen Apollo, weil die eigenen Stadtgottheiten in der neuartigen Krise nicht helfen können. Das Orakel ordnet an, Tieropfer und Libationen für verschiedene Götter darzubringen und nach erfolgter Rettung Statuen Apollos zu errichten sowie Chöre zum Tempel zu schicken. Diese sollen Hymnen singen und Opfer darbringen. Die Anordnung wird inschriftlich festgehalten, damit die Maßnahme bei einem erneuten Auftreten der krisenhaften Situation wiederholt angewendet werden kann (vgl. D.S. Potter, Prophets 4 f). Strukturell verwandt ist die Erzählung der von einer Geschlechtskrankheit befallenen athenischen Männer. Ein Orakel deutet diese als Folge des Vergehens, Dionysos nicht geehrt zu haben, woraufhin sein Fest in Athen eingeführt wird, „in which the ritual display of models of male genitals, phalloi, played a central part“ (F. Graf, Apollo 18; Hervorhebung im Original). 126 G.M. Rogers, Mysteries 21.
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Helios-Apollon, den die Stadt im Verbund mit Selene, „der mit ihren Tautropfen überall hin gelangenden Herrin“, und den Winden, „die alles, was wächst, mit ihrem Hauch fett machen“, ehren solle.127
Dabei ist die oben bereits erwähnte Verbindung von Helios und Apollo zu beachten, die möglicherweise auch im Hintergrund des Orakels von Zeus Ammon steht.128 In welcher Reihenfolge hatten nun die im Orakel geforderten Schritte zu erfolgen? Einige opferdienstliche Leistungen waren wohl als Vorbedingung für das heilende Eingreifen der Gottheit zu verrichten, andere erst nach vollbrachter Errettung aus der entsprechenden Gefahr. Vom Orakel in Klaros wird etwa häufig verordnet, Prozessionen und von Hymnen begleitete Opfer direkt vor Ort durchzuführen. Derartige Hymnen, die einen Bittgesang an die Adresse Apollos zur Abwendung der Not darstellen, wurden als Paiane bezeichnet,129 es konnten aber auch Dankeshymnen als Gegenleistung für die erfolgreiche Abwendung einer Notsituation verordnet werden.130 Zu den Dankesleistungen nach überstandener Bedrohung gehörte auch die Aufstellung von Kultbildern Apollos, oftmals in Form eines Bogenschützen.131 Die Pragmatik des Hymnos in diesem Zusammenhang wird von Burkert noch einmal so pointiert: Lobpreis des Herrschers wird dem geschickten Künstler sehr direkte Vorteile einbringen; doch auch der Herrscher braucht den Glanz. Heiligtümer einzelner Götter laden ein zum lobpreisenden Gesang, der ihnen wie auch den Vortragenden Glanz verleiht. Apollon hat in seinem Orakelheiligtum zu Klaros immer wieder geboten, daß Gruppen von Sängern, hymnodoi, zu seinem Heiligtum kommen und dort ihre Lieder vortragen sollten […]. Das Lob stabilisiert das System von Rang und Macht: Der Herrscher wird direkt motiviert, dem Lob entsprechend Sicherheit und Wohlfahrt zu gewähren, und vom Gott läßt sich dementsprechend annehmen, daß er sein Wohlgefallen in Gnadenerweisen zum Ausdruck bringt. Apollon freut sich an dem schönen Paian; so wird die Pest beendet.132
Zusammengefasst lässt sich folgendes Muster erkennen: Ein städtisches Gemeinwesen gerät in Gefahr, etwa durch einen äußeren Feind, die Folgen einer Missernte, das Auftreten einer Seuche o. ä.133 Die Betroffenen deuten das als Dysbalance in der Beziehung zu ihren Göttern oder eines von ihnen, die durch Befragung eines überregional erprobten Orakelgottes beseitigt werden soll. Dieser soll entweder mitteilen, welche Gottheit wie zu ehren sei, damit die Beziehung wieder ins Lot kommt, oder wie er selbst dazu gebracht werden 127 128 129 130 131
C. Oesterheld, Botschaften 306 f; Hervorhebungen im Original. Vgl. C. Oesterheld, Botschaften 307. Vgl. W.D. Furley, Praise 37, der den Paian bewusst zu den Hymnen zählt. Vgl. C. Oesterheld, Botschaften 541. Vgl. C. Oesterheld, Botschaften 540. Pausanias spricht u. a. von einer 15 Meter hohen ApolloStatue in Delphi (vgl. V. Rosenberger, Orakel 152 f). 132 W. Burkert, Kulte 116. 133 Vgl. R. Merkelbach/W. Bl mel, Philologica 156.
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kann, Rettung (sytgq_a) zu bringen, d. h. die Gefahr abzuwenden. Dafür werden offenbar zum einen Vorleistungen gegenüber dem Orakelgott (und seinen Angestellten) an der Stätte der Befragung fällig wie Prozessionen, BittHymnen (Paiane) und Opfer, zum anderen Dankesleistungen in der Heimat nach erfolgter Rettung aus der entsprechenden Gefahr, wie z. B. weitere Prozessionen, Dankeshymnen, meist begleitend zu Opfern, gelegentlich gar die Einführung eines der Rettergottheit gewidmeten Festes oder das Aufstellen von Kultbildern oder Götterstatuen. Zuvorderst mit Prophetie in Verbindung gebracht bleibt durch die Antike hindurch Apollo, dem ja auch die vorgenannten mantischen Kulte in Delphi, Klaros und Didyma sowie viele weitere verschrieben waren.134 Seit dem zweiten Jh. v. Chr. war Apollo etwa in Milet, von wo aus der didymäische Kult betrieben wurde, etabliert als oberster göttlicher Wächter des Stadtstaates und Beschützer von Recht und Ordnung. Unter dem Titel syt^q wurden Apollo in Didyma und Milet Altäre geweiht.135 Die hervorgehobene Stellung zeigt sich auch in der bis auf das fünfte Jh. v. Chr. zurückreichenden Identifizierung des Gottes mit der Sonne: So wurde dessen Beiname Phoibos z. T. metonymisch für den Himmelskörper verwendet, zur Zeit des Neuen Testaments war eine direkte Gleichsetzung von Helios und Apollo wenn nicht allgemein vollzogen, so doch zumindest bekannt.136 Im Verhältnis zu den anderen Göttern kam ihm im Orakelkult eine „übergreifende Kompetenz“137 zu.
7.2.5 Prophetische Gestalten in Lk 1–2 7.2.5.1 Elisabeth und der pneumatisch begabte Seher Zacharias Die erste dramatische Szene des LkEv ist die Erscheinung des Engels Gabriel vor dem Priester (Reqe¼r) Zacharias (vgl. Lk 1,11–20). Dieser voraus gehen eine kurze Bekanntmachung mit ihm und seiner Frau Elisabeth, wobei sie u. a. als d¸jaioi (Lk 1,6) bezeichnet werden. Erwähnt werden die Zugehörigkeit zur priesterlichen Dienstabteilung und Elisabeths vornehme Abkunft 1j t_m hucat´qym )aq~m,138 ihrer beider Kinderlosigkeit und ihr vorgerücktes Alter (vgl. 1,5–7). Nach Nolland ist es der Erzählung wichtig, die Herkunft Elisabeths „from pure priestly stock“ herauszustellen. Sodann wird geschildert, wie Zacharias zum Räucherdienst erlost wird und in das Heiligtum hineingeht 134 Vgl. F. Graf, Apollo 78. 135 Vgl. J. Fontenrose, Didyma 112 f. 136 Vgl. F. Graf, Apollo 151; J. Fontenrose, Didyma 113. Dion von Prusa weiß in seiner Rede an die Rhodier von Leuten zu berichten, „die behaupten, Apollo, Helios und Dionysios seien derselbe Gott“ (Dio Chrys., Or XXXI 11). 137 C. Oesterheld, Botschaften 552. 138 „A priest could marry any pure Israelite, but a marriage within the priestly stock was to be preferred“ (J. Nolland, Lk I 26).
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(eQsekh½m eQr t¹m ma¹m toO juq¸ou; 1,9). Dies zu erwähnen scheint der Erzählung wichtiger als dem Vorgang des Räucheropfers weiter nachzugehen, das fortan keine Rolle mehr spielt.139 Der %ccekor, dessen Erscheinung Zacharias unerwartet trifft und ihm (daher?) Furcht einflößt (vgl. 1,11–13a), spricht ihn ungefragt an. Die Gattung dieser Ansprache (vgl. 1,13b–17) wird von Berger hellenistisch als Genethliakon aufgefasst (siehe oben). Dieses könne die Form einer Weissagung über ein Kind annehmen, dem eine bedeutende Zukunft vorausgesagt wird. Die Phrase 1m pme¼lati ja· dum²lei Ik¸ou (1,17a) lässt aufhorchen, macht sie doch deutlich, in wessen Autorität der angekündigte Prophet (vgl. 1,76) auftreten wird – und in wessen nicht: Die Unterscheidung der Geister wird hier durch die Ausrichtung eines einzigen diakritischen Zeichens vollzogen, denn wäre vor den Prophetennamen ein Spiritus Asper statt eines Lenis gesetzt, wäre hier der Sonnengott apostrophiert, der seinerseits mit dem Orakelgott Apollo identifiziert wurde. In Gestalt nicht akzentuierter Majuskeln wird die Zuordnung von GKIOU allein vor dem Bekenntnishintergrund des Lesers vorgenommen. Bewegt er sich, möglicherweise in der „Hoffnung auf einen letzten Propheten“140 biblischen Zuschnitts, auf dem Parkett einer griechischrömischen Polis, wird ihm auch die Verknüpfung von Helios-Apollo mit paganer Mantik nicht entgangen sein. Die Lesenden sind an dieser Stelle geradezu herausgefordert, angesichts der Weissagung eines geisterfüllten Gottesmannes (vgl. 1,15c) den Akzent im Wortsinn selbst zu setzen! Das pmeOla Elijas ist vom pmeOla 1mhousiastij|m141 Apollos abzugrenzen.142 139 Dass der Priester dazu alleine ins Allerheiligste trat, kam nach Ansicht Wolters im Jerusalemer Tempelkult wohl nicht vor (vgl. M. Wolter, Lk 76, siehe aber Jos., Ant XIII 282, mit Dank an Daniel Lanzinger für den Hinweis). 140 F. Bovon, Lk I 57, der auf Dtn 18,15.18; Jes 40,3 und den neuen Elija in Mal 3,1.23 f verweist. 141 Strabo IX 3,5. Gemeint ist die Vorstellung von Dämpfen, die in Delphi aus einer Erdspalte ausgetreten seien und die auf einem Dreifuß sitzende Pythia in Delphi zu Prophezeiungen inspirierten. Zum Stand der Diskussion vgl. F. Graf, Apollo 70 f. Die Thesen von Terence Paige etwa zur Beschaffenheit dieses pmeOla fußen u. a. auf dem Missverständnis, dass es für die Rezeption eines Motivs, hier der Inspiration durch Dämpfe, nicht von Belang ist, ob sich diese historisch nachweisen lassen, sondern nur, ob chthonische Dämpfe, aufgefasst als Quellen göttlicher Inspiration, ein verbreitetes Narrativ waren. Abgesehen davon ist das prophetische pmeOla keineswegs, wie Paige glaubt, örtlich an Delphi gebunden, wie u. a. die Darstellung des Rituals in Didyma zeigt (vgl. T. Paige, Who Believes in “Spririt”? Pneuma in Pagan Usage and Implications for the Gentile Christian Mission, in: HTR 95,4 (2002) 417–436, 429; 434). 142 Im zeitgenössischen Judentum findet sich eine deutliche Parallele: Eine harsche Abgrenzung von apollinischer Wahrsagekunst wird in dem um das Jahr 80 n. Chr. (vgl. W. Horbury, Tempel 162) verfassten vierten Buch der sibyllinischen Weissagungen vollzogen. Dort stellt die Sibylle gleich zu Beginn klar, dass sie nicht auftritt „als Orakelverkünderin des trügenden Apollon – törichte Menschen nannten ihn Gott und fälschlich den Seher –, sondern des großen Gottes“ (oq xeudoOr Vo_bou…!kk± heoO lec\koio; Sib IV 4–6). Diese Abrechnung mit der nichtjüdischen Wahrsagekunst verbindet sich sodann mit Tempelkritik, die William Horbury aber v. a. als „bittere Polemik gegen die heidnische Idolatrie“ (ders., Tempel 164) versteht und weniger gegen den Jerusalemer Tempel gerichtet sieht.
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Bezeichnenderweise erkennen die Leute in der lukanischen Erzählung, dass Zacharias eine Erscheinung hatte, gerade daran, dass er nichts mehr sagen kann (vgl. Lk 1,22) – vielleicht im Gegensatz zu seinen paganen Kollegen, die Kontakt mit dem Göttlichen dadurch behaupteten, dass sie an dieser Stelle geschliffene Hexameter deklamierten? Die Doppelstrafe des Verstummens (siyp\y) und der Unfähigkeit zur Weissagung (oqj 1d¼mato kak/sai) ist dabei keineswegs als „rhetorische Redundanz“143 formuliert, denn mit kak]y ist in Lk 1–2 fast durchgängig die Mitteilung göttlichen Wissens und Willens durch Gott selbst, göttliche oder menschliche Boten bezeichnet.144 Zacharias wird demzufolge nicht nur im physiologischen Sinne zum Schweigen gebracht, es wird ihm auch die Fähigkeit genommen, Handlungsanweisungen für die Zukunft zu erteilen, was nach der lukanischen Darstellung zum Profil seines priesterlichen Dienstes, verstanden als ein prophetisches Amt, gehört.145
Für Zacharias, Elisabeth und Johannes ergibt sich das Bild einer angesehenen Familie ähnlich denen, die in den Poleis des griechischen Ostens die ämterführende Elite stellten: Weder fehlt der Hinweis auf Elisabeths vornehme Abkunft, noch die Bezeichnung des priesterlichen Dienstes des Zacharias als religiöse keitouqc_a (1,23). Durch die Abgrenzung Elijas von Helios scheint es, als werde hier die Prophetie, die am jüdischen Erbe Maß nimmt, gegen ihr paganes Pendant profiliert. 7.2.5.2 Die städtischen Prophetengestalten Simeon und Hanna In die Charakterskizzen dieser beiden Nebenrollen mit Kurzauftritten in der lukanischen Vorgeschichte ist die Signatur städtischen Amtsprophetentums im oben dargestellten Sinne eingetragen.146 Zunächst zu Simeon, der, wie eingangs hervorgehoben, laut einer Reihe von Textzeugen als d¸jaior ja· eqkabµr/eqseb^r (Lk 2,25) aus Jerusalem eingeführt wird. Eqseb^r ist ein Standardattribut für wohltätige Menschen in Ehreninschriften, auch in Bezug auf städtische Propheten.147 Über den Propheten Philostratus, Sohn des Phi143 F. Bovon, Lk I 59. 144 Vgl. Lk 1,19.45.55.70; 2,17 f.20.33, m. E. auch 2,38. 145 So ist sein alleiniges Heraustreten vor die wartende Menge (vgl. Lk 1,21 f) auch nur dann als „geschichtlich unpräzis“ (F. Bovon, Lk I 60) zu werten, wenn der gottesdienstliche Ablauf eines Räucheropfers am Jerusalemer Tempel historisch als einzig geltender Maßstab an die Erzählung angelegt wird. In griechisch-römischen Köpfen konnten noch andere Szenerien entstehen; so ist der Auftritt eines Priesters nach Empfang eines Orakels 1m t` ma` (1,21) vor ungeduldig wartender Menge im Pronaos ein aus Didyma und weiteren mantischen Kultstätten – und zwar weit über regionale Grenzen hinaus – bekanntes Spektakel (vgl. M. Ebner, Stadt 320). 146 Die Bezüge zwischen Maria, wie sie in der Verkündigungsszene Lk 1,26–38 dargestellt wird, und paganen Prophetinnengestalten werden herausgearbeitet von N.C. Croy/A.E. Connor, Mary. 147 Vgl. z. B. IDidyma 214 A; 215 B I; J.E. Fontenrose, Didyma 53 f; A. Busine, Officials 303; C. Oesterheld, Botschaften 282. Ähnlich wird auch der Hauptmann Kornelios in Apg 10,22
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lostratus, heißt es z. B. in einer Inschrift aus Didyma Mitte des ersten Jh. v. Chr., er sei ein !mµq eqsebµr ja· vik\cahor.148 In dieses Bild passt, dass der Begriff wqglat_fy (2,28), der die Weissagung durch den heiligen Geist an Simeon bezeichnet, „vor allem in der Inspirationsmantik gebraucht wird“149. Auch von Simeon wird berichtet, wie er in das Heiligtum hineingeht – und zwar 1m t` pme¼lati (2,27), wo er dann einerseits das Eintreffen der ihn betreffenden Botschaft konstatiert und andererseits eine Weissagung über Jesus und Maria ausspricht (vgl. 2,29–32.34 f).150 Als narratives Gegenüber zu Simeon wird die explizit als pqov^tir (Lk 2,36) bezeichnete Hanna eingeführt: Im Gegensatz zu Simeon, der erst noch in den Tempel hineingehen muss, hält sie sich bereits darin auf und tritt zur Szene nur noch hinzu (vgl. 2,37 f). Die umfängliche Darstellung ihrer Personalie, die in die Erzählung tritt, nur um sie gleich wieder zu verlassen, ist mehrfach bemerkt, aber noch nicht recht begründet worden.151 Neben ihrer Einordnung in Clan und Stamm (huc²tgq… 1j vuk/r…; 2,36a) scheint dem Text erwähnenswert, dass Hanna zwar nach dem Stadium ihrer Jungfräulichkeit verheiratet war, ihren Prophetinnendienst im Tempel aber als Witwe, d. h. offenbar sexuell enthaltsam verrichtet hat (vgl. 2,36c.37). Hier hilft der Verweis auf die alttestamentlichen Titelträgerinnen wenig weiter, denn bei den Prophetinnen Miriam, Debora, Hulda und der Frau Jesajas spielen Jungfräulichkeit oder Witwenschaft keine Rolle, die sich auf ihr Amt auswirken würde.152 Anders die Auffassung in der paganen Prophetie: Mit dem Status der Jungfräulichkeit wurde eine besondere Empfänglichkeit für das Göttliche in Verbindung gebracht.153 Als alte Witwe, die nur der Gottheit verschrieben ist, scheint die Darstellung Hannas demnach eher dem Modell einer paganen, funktional jungfräulichen Prophetin als einer alttestamentlichen zu entsprechen.
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eingeführt, nämlich als !mµq d¸jaior ja· vobo¼lemor t¹m heºm. Auch ihm ist geweissagt worden (1wqglat¸shg), nämlich von einem Engel. D_jaior ist ebenfalls als prophetisches Attribut in Didyma belegt (vgl. IDidyma 218 I). IDidyma 221B I 5 f. M. Wolter, Lk 137 mit vielen Belegen. Die hier begegnende Licht-Metapher (Lk 2,32) korrespondiert sowohl mit der Helios-Anspielung in der Weissagung Gabriels als auch mit der auf Jesus gemünzten !matok^ im Benedictus (Lk 2,32; 1,17.78). Vgl. I.H. Marshall, Lk 123; M. Wolter, Lk 143. Miriam wird nur als Schwester Aarons vorgestellt, ihr Familienstand wird nicht thematisiert (vgl. Ex 15,20), Debora und Hulda sind offensichtlich verheiratet (vgl. Ri 4,4; 2 Kön 22,14) und die nicht genannte Prophetin, die von Jesaja schwanger wird, scheint auch nicht enthaltsam leben zu müssen (vgl. Jes 8,3). Das Amt der delphischen Pythia etwa wurde ursprünglich mit einer Jungfrau, später – wohl nach einem sexuellen Übergriff – einer älteren Frau besetzt, die jedenfalls für die Dauer ihres Prophetinnenamtes enthaltsam zu leben hatte. Ebenso stellte man sich Kassandra und die mythische Sibylle als Jungfrauen vor: Diese Medien sollten der Gottheit exklusiv zur Verfügung stehen, was im antiken Diskurs z. T. auch sexuell aufgefasst wurde (vgl. N.C. Croy/A.E. Connor, Mary, 263–266; F. Graf, Apollo 64 f; 77).
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Möglicherweise lässt die uneindeutige Summierung ihrer Lebensjahre (vgl. Lk 2,36c.37a) jedoch eine Verbindung zu Judith erkennen, wenn beide ein Alter von 105 Jahren erreichten (vgl. Jdt 16,23).154 Es lassen sich auch noch deutlichere Ähnlichkeiten zwischen beiden Frauen ausmachen: Judith wird wie Hanna vorgestellt unter Verweis auf Sippe und Stamm (huc²tgq/vuk^; Jdt 8,1 f), hat keinen Mann mehr, „fastete während aller Tage ihrer Witwenschaft“ (V. 6) und teilt darüber hinaus mit jener die Gewohnheit, Gott bei Nacht und Tag zu dienen (Jdt 11,17; Lk 2,37).155 Sieht man sich Judiths Profil näher an, so lassen sich eine Reihe eindeutig prophetische Züge ausmachen: Wie ihre Kolleginnen Debora und Hulda residiert sie an einem besonderen Ort – einem Zelt auf ihrem Hausdach – wo sie wie diese Prophetinnen politische Entscheidungsträger empfängt und ihnen göttlichen Rat in Krisensituationen erteilt (vgl. Jdt 8,5.10–27). So übrigens auch Debora unter ihrer Palme (vgl. Ri 4,5) und Hulda, die eine königliche Gesandtschaft empfängt (vgl. 2 Chr 34,21–28). Sie nimmt pq|cmysir zukünftiger Ereignisse (Jdt 11,19) für sich in Anspruch, der von den Eliten auch akzeptiert wird (vgl. Jdt 8,28 f). Ihr Vorauswissen ist Judith nach eigener Aussage von Gott mitgeteilt worden (kak]y; Jdt 11,19), unter Verwendung der gleichen Vokabel spricht Hanna zu den wartenden Jerusalemern (vgl. Lk 2,38). Weitere Parallelen ließen sich aufspüren; z. B. übernimmt die Rolle des männlichen prophetischen Widerparts, die Simeon gegenüber Hanna innehat, in der JudithErzählung Achior: Seine Warnung vor den Israeliten an die Adresse Holofernes’ wird von diesem ironisch als pqovgte}eim verspottet (vgl. Jdt 5,5–23; 6,2).156
So fügt sich für die Szene mit Simeon und Hanna in Lk 2,25–38 folgendes Bild: Ein städtischer Würdenträger mantischen Zuschnitts begibt sich in einen Tempel, wo er zum einen die Erfüllung eines auf sein Schicksal bezogenen Orakels proklamiert und zum anderen ein weiteres über die Zukunft eines anwesenden Säuglings und seiner Mutter äußert. Sodann ist die Rede von einer Prophetin, deren Herkunft und Familienstand zunächst en detail geklärt werden. Die Erwähnung ihrer Witwenschaft legitimiert sie zu ihrem Dienst, der aus dauerhaftem Fasten und Beten im Heiligtum besteht, ersteres nicht zuletzt eine Vorbereitungsmaßnahme auf den Kontakt von Medium und Gott bei einer rituellen Orakelbefragung. Damit genügt Hanna allen Maßstäben, die an eine legitime Prophetin in einem paganen Orakelheiligtum wie Didyma oder Delphi angelegt werden. Die umständliche Einführung hat also einen klaren narrativen Zweck: Sie soll Hanna als glaubwürdige Prophetin nach jüdischer ebenso wie paganer Auffassung ausweisen – analog zur vorherigen Darstellung Simeons. Damit ist auch ihrem Urteil oder vielmehr ihrer Eingebung zu trauen, dass sie mit dem Säugling auf Simeons Arm die Befreiung Jerusalems verbindet. Für den Zusammenhang vorliegender Arbeit v. a. von Belang ist die Darstellung der prophetischen Gestalten als städtische Rollen-, 154 I.H. Marshall, Lk 123 f. 155 I.H. Marshall, Lk 124. 156 Dass Wolter den Judith-Bezug für „eine Überinterpretation“ (ders., Lk 144) hält, ist angesichts des Ausgeführten nicht nachvollziehbar.
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Verantwortungs- und nicht zuletzt Amtsträger. Der lukanische Text stellt städtische Eliten idealen Zuschnitts vor, hier solche im Prophetinnen- und Prophetengewand. Das Thema echter und falscher Propheten wird dann in den Seligpreisungen und Weherufen angeschärft (vgl. Lk 6,20–26) und dort ebenfalls mit richtigem und falschem Verhalten der (städtischen) Honoratioren in Verbindung gebracht.
7.2.6 Das Benedictus als prophetischer Hymnos Unter Einbeziehung der herausgearbeiteten Ergebnisse soll ein neuerlicher Blick auf das Benedictus geworfen werden: Das Horn der Rettung wird im Haus David errichtet oder geweckt (Lk 1,69) und „erinnert an das ,Horn‘ als Metonym für den machtvollen davidischen König in Ps 89,25 und 132,17“157 (Ps 88,25 und 131,17 LXX). In der Septuaginta-Version lautet der Vers: 1je? 1namatek_ j´qar t` Dauid, Bto¸lasa k¼wmom t` wqist` lou, womit eine terminologische Brücke zur !matok^ (1namatek_) als messianischer Gestalt (t` wqist` lou) geschlagen ist. In Jes 23,5 ist es die davidische !matok^, die erweckt wird (!m_stgli; in Ez 34,23 ein davidischer Hirte).158 Dem Anschluss jah½r 1k²kgsem sollte wiederum ein Akkusativobjekt zugeordnet werden, nämlich sytgq_am (V. 70 f). Das gibt dem verschlungenen Text Struktur und passt in den Duktus: Die sytgq_a wird von einer prophetischen Ahnenreihe !p’ aQ_mor (1,70 f), also bis in die Urzeit hinabreichend, angekündigt. In diese Reihe stellt der Sprecher sich selbst und nicht zuletzt seinen Sohn Johannes, ganz so, wie es die vornehmen Familien in den Poleis des griechischen Ostens tun, wenn sie öffentlich, d. h. inschriftlich, ihren Vorfahrenbezug teils zurück bis in heroische Zeiten nachzuweisen suchen.159 Der Teilabschnitt wäre folglich so wiederzugeben: 70
…jah½r 1k²kgsem di± stºlator t_m "c¸ym !p’ aQ_mor pqovgt_m aqtoO 71 sytgq¸am 1n 1whq_m Bl_m ja· 1j weiq¹r p²mtym t_m liso¼mtym Bl÷r… 70
…gleichwie er durch den Mund seiner heiligen Propheten von Urzeit an (immer wieder) 71 Rettung ansagte vor unseren Feinden und aus der Hand derer, die uns hassen…
157 S. Schreiber, Weihnachtspolitik 73. Als j´qar sytgq¸ar lou wird Gott selbst in Ps 17,3 LXX angesprochen (vgl. M. Wolter, Lk 113 mit weiteren Belegen). 158 Zu diesen und weiteren Stellen vgl. M. Wolter, Lk 113, der als nächste Parallele zu Lk 1,69 Ps 154,18 f (syrPs 2) anführt. 159 Die Wendung kommt auch in Ehreninschriften vor, wenn eine einmalige, nie zuvor vollbrachte Leistung gewürdigt werden soll. So z. B. bei der Auflistung der Siege des Faustkämpfers M. Iustus Marcianus Rufus aus Sinope (2. Jh. n. Chr.), der u. a. gesiegt habe: „in Antiochia dreimal als erster und einziger von allen Bartlosen und den Männern an einem einzigen Tag“ ()mti|weiam c’ pq_tor ja· l|mor t_m !p¹ aQ_mor !ceme_ym ja· !mdq_m Bl]qô liø; SEG 13,540, Übers. G. Pfohl).
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Die Rettung ist in städtischem Zusammenhang immer die aus einer konkreten Gefahr: durch Seuchen, äußere Gegner, Versorgungsengpässe etc.160 Aufgabe der Propheten war es ja, dem Gemeinwesen die Mittel aufzuzeigen, die der Gott zur Abwendung einer Gefahr vorsieht, d. h. Rettung anzukündigen. Der Hymnos selbst kann wie gesehen eines der Instrumente zur Fernhaltung oder auch eine Leistung zur Dankesabstattung nach erhaltener göttlicher Wohltat darstellen. Doch worin besteht die Gefahr, aus der hier gerettet werden soll oder worden ist? Aus der Textanalyse hat sich ergeben, dass in Lk 1,68–75 eine marginalisierte Gruppe mit Erwählungsbewusstsein und dem Gefühl abgelehnt zu werden darum ringt, unbehelligt und unbedrängt ihren Kult abzuhalten. Es scheint, als schwinge in dem Hinweis auf die Propheten der Vergangenheit und den Bund bzw. Eid gegenüber Abraham und den Vätern (vgl. V. 72 f) der erinnernde Appell an ihren Gott mit, auch aus der aktuellen Gefahrensituation einen Ausweg zu schaffen. Die Ambivalenz des Textes, in dem der Gott einerseits für seine Ankündigungen gepriesen wird, andererseits auch aufgrund der Aoriste nicht klar wird, inwiefern diese Versprechen bereits zur Einlösung gekommen sind oder diese noch aussteht, scheint der generellen Pragmatik eines Hymnos zu entsprechen: Dadurch, dass ihre Wohltaten gelobt werden, soll die Gottheit dazu gebracht werden sie zu gewähren – erstmalig, weiterhin oder erneut. Damit wird das Anliegen indirekt formuliert, indem seine Erfüllung affirmativ gelobt wird.161 Das „Wir“ (V. 69.71.72.73.75), also die Gruppe, von der die Rede ist, findet sich in einer Situation der Bedrängnis vor und stellt lobpreisend dar, was sie erfleht: die Rettung vor den Feinden, welche sie offenbar an der Ausübung ihres Gottesglaubens zu hindern suchen (vgl. V. 74). Es wird jedoch ein Unterschied zur Pragmatik paganer Hymnen deutlich, die wie gezeigt Ausdruck kontinuierlicher Aushandlungsprozesse sind: Mit diesem Gott gibt es einen Bund (diah^jg), verstanden als Eid (fqjor; Lk 1,72 f), durch den angstfreie Kultausübung gewährleistet sein soll. Somit scheint das Verhältnis zwischen Israel und seinem Gott, auf das hier nachdrücklich rekurriert wird, als ein vergleichsweise verbindlicheres akzentuiert: Durch Bund und Eid hat sich dieser Gott den Seinen zur Rettung aus Notlagen verpflichtet, worin sich die Beziehung unterscheidet vom Abklappern verschiedener Gottheiten, die man jeweils mit religiösen Performances (Opfern, Hymnen) zu gewinnen versucht. Das bedeutet jedoch nicht, dass die grundsätzliche Pragmatik, den Gott mit Lob zu umschmeicheln, um seine Zuwendung zu erlangen oder erhalten, in Benedictus – und Magnificat – nicht auch auszumachen wäre. Zum zweiten Teil des Hymnos: Dass der Vater seinen Sohn als einstigen 160 Sytgq_a wird von Xenophon als die Rettung aus Krieg verstanden, die zur Ehrung dessen führt, der sie herbeigeführt hat (vgl. Oec XI 8; H. Bolkestein, Wohltätigkeit 153). 161 „Wenn ein Herrscher als ,Retter‘ bezeichnet wurde, liegt das entsprechende Rettungshandeln stets in der Vergangenheit. Es schwingt dabei aber auch mit, dass ein solches rettendes Handeln für die Zukunft erwartet wird“ (T. Jantsch, Jesus 161 f).
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pqov¶tgr rx¸stou (V. 76a) ausruft, entspricht – akzeptiert man die Annahme amtsprophetischer Züge in seiner eigenen Darstellung – der genealogischen Weitergabe von öffentlichen Aufgaben in der griechischen Polis der Kaiserzeit, konkret der des Propheten. Johannes’ Amtsantritt findet im Anschluss in der Rahmenerzählung noch mit dem dafür geprägten Terminus !m\deinir (V. 80) Erwähnung. Die spätere Bedeutsamkeit politischer Persönlichkeiten prophetisch vorauszusagen, war dabei in der griechisch-römischen biographischen Tradition fest verankert.162 Durch die Ankündigung, dass Johannes vor dem Herrn hergehen werde (pqopoqe¼s,; V. 76b), entsteht das Bild einer Prozession, wie sie generell zu allen möglichen Festanlässen stattfand, in Didyma zu praktisch jeder Opferhandlung durchgeführt wurde und besonders pompös bei großen Festen wie z. B. den Lec\ka Didule_a ausfiel.163 Der Prophet als Kultvorsteher wird an der Spitze mit dem Kultbild bzw. der Götterstatue einhergeschritten sein. Die Pompa mit Götter- und Kaiserbildern war ein gesellschaftliches Ereignis, das selbst den Bevölkerungen kleiner Poleis aus eigenem Erleben vertraut war.164 Dass Johannes Erkenntnis bringt, nämlich die der Rettung (cm_sir sytgq¸ar; V. 77), liegt ebenfalls auf der Linie dessen, was ein Amtsprophet am Orakelheiligtum zu tun hat: ein Wissen darüber zu vermitteln, was zur Rettung aus der jeweils drohenden Gefahr führt.165 Wie stellt sich unter diesen Voraussetzungen Johannes’ Verhältnis zur !matok^ (V. 78) dar? Diese ist wie gezeigt mit dem „Horn der Rettung“ (1,69) verknüpft, als personale, messianische Gestalt aufzufassen und mit Jesus zu identifizieren. Inner- wie außerbiblische Bezüge des Begriffs sind hierbei zu beachten.166 Die Linie, der in der Septuaginta gefolgt werden sollte, ist die der !matok^ als messianischer Spross (;BJ/sæma¯h; Jes 23,5; Sach 3,8;6,12).167 Dass ˙ ˙ 162 Vgl. C.H. Talbert, Luke-Acts 65–77. Der Darstellung der öffentlichen Karriere einer berühmten Persönlichkeit ging nicht selten eine Schilderung ihrer familiären Hintergründe voraus, möglicherweise der Bericht einer wundersamen Empfängnis und/oder Omen und Prophezeiungen, mit denen die spätere Bedeutsamkeit vorausgesagt wurde (vgl. C.H. Talbert, Luke-Acts 73). Diese Tradition schließt nach Talbert auch jüdische Texte ein. „Are we justified in speaking of a genre of an account of the pre-public careers of great men in antiquity? I think so“ (ders., Luke-Acts 76). 163 Siehe oben Kap. 7.2.3. Auch andernorts sind Anweisungen für Festprozessionen überliefert: Die sog. Molpoi-Satzung beschreibt en detail die große Neujahrsprozession von Milet nach Didyma, die ein jahrhundertelang gepflegtes Ritual darstellte und sicher auch zu Zeiten des Neuen Testaments stattfand (vgl. A. Herda, Apollon 5). In der Stiftungsurkunde des Vibius Salutaris wird genau angeordnet, wie oft und auf welcher Route die von seinem Vermögen anzufertigenden Statuen durch Ephesos getragen werden sollen (vgl. IEph Ia 27). Bei der Thronbesteigung eines neuen Kaisers wurden außerordentliche Festivitäten ausgerichtet, die mit Hymnen, Opfern, Reden und eben auch Paraden durch die Straßen einhergingen, bei denen das Kaiserbild durch die Stadt getragen wurde (vgl. D.S. Potter, Prophets 128 f). 164 Vgl. B. Edelmann, Pompa, mit Blick auf die Prozessionen in Oinoanda, Gytheion und Ephesos. 165 Die Wendung ist nicht alttestamentlich (vgl. F. Bovon, Lk I 108 und i.d.Anm.). 166 Vgl. S. Gathercole, !matok^ 479–487; M. Wolter, Lk 117. 167 So zuletzt T. Jantsch, Jesus 148. Ein Blick auf den Kontext bei Sacharja scheint hinsichtlich des
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dieser Spross oder Schössling aus der Höhe kommt, ergibt zum einen ein botanisch gesehen überraschendes Bild, zum anderen mögen sich hier alttestamentlich-messianische mit Vorstellungen vom Menschensohn mischen, der bekanntlich anders als der Messias von oben erwartet wird.168 Stefan Schreiber sieht in der !matokµ 1n vxour des Benedictus einen Hinweis auf „ein astrales Phänomen“, näherhin einen aufgehenden Stern, der sowohl in der LXX (Num 24,17) als auch in der römischen Vorstellung eines Goldenen Zeitalters angesiedelt werden kann. Aus der hellenistischen Herrscherverehrung kommend, wird die Vorstellung eines aufgehenden Sterns, konkretisiert als sidus Iulium, mit dem Herrschaftsanspruch Caesars, später Augustus’ und schließlich noch Neros in Verbindung gebracht.169 „Die angeführten Topoi aus dem gesellschaftlich-politischen Alltag werden die Hörer/innen des Lukas sofort wiedererkannt und als kulturelle Interferenzen oder ,Rezeptionsfolie‘ in ihre Lektüre eingespielt haben.“170 Der messianische Retter interferiert nach dieser Lektüre mit dem bekanntesten Titelträger im griechisch-römischen Raum, dem Kaiser. Ein weiterer Aspekt war mit dieser Figur assoziierbar: In paganer wie jüdisch-hellenistischer Literatur wird der Begriff !matok^ vielfach als Kurzform für den Sonnenaufgang (!matokµ Bk_ou) gebraucht.171 So ergibt sich die Vorstellung einer personalen, messianisch-göttlichen Lichtgestalt, die auch mit der Sonne in Verbindung steht. Das personalisierte göttliche Sonnenlicht aus der Höhe, das von oben ins Dunkel der Menschen leuchtet und Wege aus der Gefahr und zum Frieden weist, hat eine Entsprechung in der solaren Gottesgestalt, die im Bereich der paganen Tempelprophetie denjenigen Gruppen die cm_sir sytgq¸ar (V. 77) vermittelt, die mit ihren existenziellen Anliegen
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Benedictus lohnend: Der Prophet Sacharja, der Septuaginta zufolge gleichen Namens wie der Zacharias aus der lukanischen Vorgeschichte, empfängt eine Reihe von Visionen bzgl. des idealen Tempels. Darin erscheint ihm u. a. der neu einzusetzende Hohepriester Jesus, der mit einer messianischen Figur namens !matok^ (Sach 3,8; 6,12) in Verbindung gebracht wird. Der Hohepriester Jesus und seine Mitarbeiter werden dabei als Zeichendeuter (%mdqer teqatosjºpoi; Sach 3,8) angesprochen. Die Visionen eines seherischen Propheten Sacharja/Zacharias, das Thema eines neuen, idealisierten Tempels, die messianische Ausrichtung des Buches, der Name Jesus in (nicht ganz klarer) Verbindung zu einer messianischen !matok^ sowie nicht zuletzt die im weiteren Verlauf deutliche Kritik an falschen Wahrsagern und Sehern (!povheccºlemoi, l²mteir; Sach 10,2) – all dies dürfte für eine besondere intertextuelle Nähe zum Benedictus sprechen. Als Kennzeichen des Messias in der frühjüdischen Tradition gilt seine irdische Herkunft, daher auch die häufige Verwendung des Bildes vom Spross oder der Wurzel (vgl. Gen 49,9; Jes 11,1; äthHen 90,9; PsSal 17 f u. ö.). Der Menschensohn hingegen ist als „himmlisches Wesen“ (U.B. M ller, Messias 13) konzipiert. Hier wird die himmlische Herkunft Jesu akzentuiert, nicht auf seine Parusie verwiesen (gegen T. Jantsch, Jesus 149). Das sidus Iulium wurde mit der Beobachtung eines Kometen im Jahr 54 in Verbindung gebracht: Die aurea aetas sollte, so die Deutung, mit dem jungen Nero wieder heraufgeführt werden (vgl. S. Schreiber, Weihnachtspolitik 66 f). S. Schreiber, Weihnachtspolitik 67. Vgl. S. Gathercole, !matok^ 483–486.
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göttliche Hilfe erflehen: Es ist Helios-Apollo, dessen Fürsorge aus Todesgefahr rettet.172 Das Spiel mit Licht und Dunkel, das im Benedictus zum Ausdruck kommt, ist auch in mantischen Inszenierungen anzutreffen. Apollos Erscheinen muss bei einem Orakelbescheid von den im Dunkel Wartenden als eindrucksvoller Lichtdurchbruch aus der Höhe erlebt worden sein – so etwa in der spektakulären Orakelzeremonie im berühmten Didyma. Von dort kann auch Licht auf die Verhältnisbestimmung zwischen Prophet und !matok^ fallen: Der Prophet geht der Gottheit voraus und kündigt deren Rettung bringende Ankunft dem Volk an – in der mantischen Prozession wie im Benedictus. Wer die Aufgaben eines Amtspropheten im Dienste Apollos kennt, versteht auch, in welchem Verhältnis Johannes zu Jesus steht.173 Es ergibt sich demnach ein Bündel von Motiven, die zu verschiedenen Seiten hin verknüpfbar sind. Nochmals ist auf die Trennung zwischen der Herkunft dieser Motive (überwiegend Septuaginta), ihrer gezielten Auswahl aus diesem Fundus und ihren Rezeptionsmöglichkeiten unter den zeitgenössischen Lukas-Rezipientinnen und -rezipienten hinzuweisen: Auf letzterer Ebene weist die !matok^ aus der Höhe im Kontext ihrer Konkretisierung als messianischer syt^q (Lk 2,11) im Gegenüber zum römischen Herrscher (Lk 2,1) in den Bereich der Weltherrschaft durch eine gott-menschliche Lichtgestalt. Mit dieser ist auf römischer Seite prominent die Gottheit Apollo assoziiert, die ihrerseits wiederum einschlägig mit einem mantischen Zuständigkeitsbereich verbunden ist. Die göttliche Lichtgestalt aus der Höhe wird sich, so die Prophezeiung des Hymnoden Zacharias, um die Gruppe kümmern, der er sich selbst ebenfalls zurechnet. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sie aufgrund des Erbarmens Gottes von ihren Sünden befreit ist (vgl. V. 77b–78), doch auch den anderen, in Todesschatten Sitzenden soll der Spross aus der Höhe leuchten und dadurch wiederum „unsere Füße“ auf den Weg des Friedens führen (vgl. V. 79): Die Zuordnung von „denen“ und „uns“ ist nicht eindeutig zu vollziehen (siehe oben), doch scheint es, als ob diejenigen 1m sjºtei ja· sjiø ham²tou (V. 79a–b)
172 Die Aura des solchermaßen rettenden Apollos wurde auch mit Augustus und später mit Nero in Verbindung gebracht, etwa in dem Gerücht, Augustus sei von diesem Gott gezeugt worden (vgl. Suet. Aug. 94,1–6; S. Schreiber, Weihnachtspolitik 44; 51; 55). Drückt sich in der Verwendung der !matokµ 1n vxour ein Anspruch auf Weltherrschaft vor dem Hintergrund einer römischen auera aetas-Konzeption aus, so ist darauf hinzuweisen, dass auch Apollo dabei eine wichtige Rolle spielte. 173 So gesehen ist der Antwort Nollands auf die Frage, wo Johannes’ Platz in dem Geschehen ist, prinzipiell zuzustimmen: „John is to be the preparer who goes ahead (v 76; cf 16; 7:26–27; Mal 3,1). John will come ahead of that visitation of God which will be the ultimate sunrise from heaven (v 78) in which messianic salvation will reach its full realization“ (ders., Lk I 92). Freilich wird diese Rollenverteilung bei ihm rein innerjüdisch-eschatologisch ausgedeutet. In der dort angegebenen Maleachi-Parallele folgen dem vorausgesandten Boten, der eine Art Prozession zum Heiligtum vollzieht, die Erscheinung Gottes im Tempel (aptas_a; Mal 3,2; Lk 1,22!) und die Darbringung eines Opfers (vgl. Mal 3,3).
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der oben beschriebenen Gegnerpartei zuzuordnen sind.174 Wenn ihren Anhängern die Erkenntnis bringende Lichtgestalt leuchtet, d. h. wenn sie möglicherweise ihre Fehler und Irrtümer einsehen, die der Sprechergruppe durch das Erbarmen Gottes bereits vergeben worden sind (vgl. V. 77 f), dann hören die Feinde auf, Zacharias und die Seinen zu hassen und ihnen nachzustellen. Dadurch leitet diese !matok^ die Gruppe, für die der Priester spricht, auf den Weg des Friedens: dass sie den Verfolgern Einsicht in ihr falsches Handeln gibt.
7.2.7 Exkurs: Der höchste Gott und sein Personal – Versuch einer Milieubeschreibung Welche impliziten Leserinnen und Leser setzen diese Texte voraus, die wie Mosaike aus alttestamentlichen Textbausteinen wirken, in denen sich dann (auch) Umrisse paganer Herrscher- und Götterverehrung erkennen lassen? Es sind zunächst einmal Leser, die mit beiden Welten vertraut sind.175 Betrachtet man die Bezeichnungen in Magnificat und Benedictus zusammen, identifizieren sich die Sprecherin und der Sprecher mit „denen die Gott fürchten“ (to?r voboul´moir aqtºm; Lk 1,50), den „Erniedrigten“ und „Bedürftigen“ (V. 52 f), „Israel“ (V. 54.68a), „Abraham“ und den „Vätern“ (V. 55.72 f) sowie „seinem Volk“ (t` ka` aqtoO; V. 68c). Ka|r konnte auf ganz Israel oder auf eine lokale Gruppe bezogen werden,176 „Abraham dient im Frühjudentum als Vorbild des wahren Proselyten“177. Durch den bewussten Rekurs auf diesen Stammvater wird der „Horizont der Völkerwelt aufgerissen“178, was wiederum weitere Rückschlüsse auf das Profil der Gruppe im Hintergrund der Texte zulässt. Hans-Josef Klauck ist u. a. aufgrund des Abrahambezugs der Ansicht, dass bei den Gottesfürchtigen in Lk 1,50 bereits an die so und ähnlich bezeichneten Figuren der Apg gedacht ist.179 Zu nennen sind der Hauptmann Kornelios, der aufgrund seiner Zuwendungen „an das Volk“ (t` ka`), als eqsebµr ja· vobo¼lemor t¹m he|m gewürdigt wird (Apg 10,2; vgl. auch V. 22), 174 Demzufolge ist toO jateuhOmai nicht, wie I.H. Marshall meint, als epexegetisch zu 1piv÷mai zu verstehen (vgl. ders., Lk 95). 175 W. Stegemann ist der Ansicht, dass Lukas „die heilsgeschichtliche Kontinuität der christlichen Gemeinschaft mit Israel (dies ist zurecht erkannt worden) unter den Bedingungen der Distanzierungserfahrung formuliert. Also: Nicht Lukas distanziert die Christen vom Judentum, geschweige denn, daß darin sein Hauptinteresse liegen würde, sondern sein Werk reflektiert die Erfahrung der Distanzierung von Diasporasynagogen von den Christen“ (ders., Synagoge 36). 176 Der Begriff ist als Selbstbezeichnung der jüdischen Gemeinde von Hierapolis in Phrygien inschriftlich belegt (vgl. P.W. van der Horst, Jews 286 f). 177 H.-J. Klauck, Gottesfürchtige 136. 178 H.-J. Klauck, Gottesfürchtige 137. 179 Vgl. H.-J. Klauck, Gottesfürchtige 139.
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oder Lydia aus Tyateira, eine sebol´mg t¹m heºm (Apg 16,14).180 Auch der Hauptmann, der laut Lk 7,5 den Juden von Kafarnaum die Synagoge gebaut hat, gehört wohl zu dieser Gruppe von paganen Sympathisantinnen und Sympathisanten im Umfeld jüdischer Gemeinden.181 Eine Synagoge für die jüdische Gemeinde des phrygischen Acmonia ließ Mitte des ersten Jh. n. Chr. auch Julia Severa bauen, die selbst Priesterin im Kaiserkult war und einen Sohn hatte, der später römischer Senator wurde. Darin, dass diese gut vernetzte Aristokratin, die keineswegs zum Judentum übertrat, eine so generöse Geste machte, sieht van der Horst „a sign for a very successful integration of the Acmonian Jews and of the sympathy they have won with the non-Jewish inhabitants of the city“182. Die Benennung vobo¼lemor t¹m he|m, seb|lemor oder heoseb^r schließt unterschiedliche Beziehungen zu jüdischen Gemeinden ein: Heoseb^r konnte z. B. eine Gruppe nicht-jüdischer Spender für die Synagoge in Aphrodisias genannt werden, deren Engagement mit diesem Wort von der jüdischen Gemeinde gewürdigt wurde.183 Das schließt noch kein Bekenntnis zum jüdischen Gott oder gar zum Monotheismus ein, freilich auch nicht aus. Die religiöse Hinwendung kam in unterschiedlich gestufter Weise vor: Being interested in the teaching of the synagogue […] and being related to the Jewish God by a vow are clearly different matters. And a third matter is the imitation of Jewish practices such as Sabbath-observance or the observance of fasting or dietary laws.184
Die Grenze war durch den Übertritt als Proselyt unter Beschneidung und dauernder Beobachtung des ganzen Gesetzes gezogen.185 Stephen Mitchell stellte Ende des letzten Jahrhunderts die vielbeachtete These auf, dass die oben genannten Gottesfürchtigen (vobo¼lemor t¹m he¹m, seb|lemor, heoseb^r) mit den Anhängern des he¹r vxistor-Kults identisch seien.186 Diesen versteht er als eine Art paganen Proto-Monotheismus, der auch jüdische und judaisie180 Darüber hinaus nennt Klauck Apg 17,14.17; 18,7 (vgl. ders., Gottesfürchtige 134 i.d.Anm). Mitchell entnimmt den Schilderungen der Apg die Verbreitung: „These groups are attested collectively at Pisidian Antioch and at Iconium at Galatia, at Thessalonica and Beroea in Macedonia, and at Athens; and there is a general reference to their presence in Asia“ (ders., Cult 116, mit Verweis auf Apg 13,50; 14,1; 17,4; 12,17; 19,10). 181 Zur mehr als ein Jahrhundert lang geführten Kontroverse über das Profil der Gottesfürchtigen und ihr Verhältnis zum Judentum vgl. H.-J. Klauck, Gottesfürchtige 134 i.d.Anm.; S. Mitchell, Cult 116 i.d.Anm.; D.-A. Koch, God-Fearers 62 f. 182 P.W. van der Horst, Jews 287. 183 Vgl. D.-A. Koch, God-Fearers 65–69. 184 D.-A. Koch, God-Fearers 81. 185 Vgl. H.-J. Klauck, Gottesfürchtige 134. 186 Vgl. S. Mitchell, Cult. Siehe auch ders., Further Thoughts on the Cult of Theos Hypsistos, in: ders./P. van Nuffelen (Hg.), One God, Cambridge 2010, 167–208, wo er sich mit der Kritik an seinem Ansatz auseinandersetzt. Eine umfangreiche Bibliographie zur Debatte bis 2005 bietet W. Wischmeyer, HEOS 149 f i.d.Anm.
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rende Gruppen umfasste. Als Voraussetzung geht Mitchell von einer starken sozialen, politischen und eben auch religiösen Öffnung des Diaspora-Judentums gegenüber der paganen Mehrheitskultur im griechischen Osten des römischen Reiches aus. The Jews of the Dispersion had found a common religious language with a vast number of Gentile worshippers, and they forged a shared tradition, current throughout the eastern Mediterranean, of monotheistic worship. By any definition this was one of the most spectacular demonstrations of religious syncretism that the ancient world has to offer.187
Die gemeinsame religiöse Sprache war die eines aufkommenden Mono- oder besser Henotheismus188 ungewissen Ursprungs, in Bezug auf he¹r vxistor verbanden sich nach Mitchells Ansicht heterogene Strömungen paganen und jüdischen Ursprungs zu diesem, wie Pieter van der Horst ihn treffend bezeichnet, „somewhat elusive cult“189. Dem Judentum sei bei diesem Prozess die Rolle zugekommen, die Konturen zu schärfen, d. h. die theologischen Vorstellungen zu präzisieren, die mit einem höchsten Gott verbunden wurden. Mitchell beschreibt die kulturelle Dynamik zwischen paganen Gottesfürchtigen und Juden bei der Verehrung von he¹r vxistor so: The worshippers of Theos Hypsistos, the theosebeis as they called themselves, acquired many Jewish characteristics but did not contemplate full conversion. It remained important to them to remain a part of the non-Jewish world, to preserve the religious, moral, and intellectual traditions which they had inherited in their Greek or native communities. Conversely, Jews of the Diaspora could not prevent their own beliefs and sense of cultural and religious identity being influenced by the Gentile neighbours, whose way of life they shared. Most important of all, shared worship threw the two groups together.190
Mitchells Entwurf fasziniert. Einige Punkte bleiben jedoch unklar oder werden unbefriedigend gelöst: Wie etwa hat man sich genau das „shared worship“, die konkrete Praxis einer „shared tradition“ zwischen Heiden und Juden innerhalb eines he¹r vxistor-Kults vorzustellen?191 Die Hauptfrage ist: 187 188 189 190 191
S. Mitchell, Cult 121. So P.W. van der Horst, Jews 291. P.W. van der Horst, Jews 291; vgl. S. Mitchell, Cult 129. S. Mitchell, Cult 127. Ein Katholik und eine Muslima aus dem gleichen Stadtteil können sich darüber einig werden, dass sie beide an ein höchstes Wesen glauben, aber halten sie deshalb gemeinsame Gottesdienste ab? Und wenn ja wo? In der Kirche, der Moschee oder in einer neuen gemeinsamen Gebetsstätte? Und wenn in letzterer, kann man dann noch von Muslimen und Katholiken sprechen? Hier werden methodisch schwierige Fahrwasser erreicht: Einerseits soll ein eigener Kult geltend gemacht werden, andererseits sollen Juden daran teilhaben. Lässt sich aber konsequenterweise noch von Juden sprechen, wenn ein eigenständiger Kult behauptet wird, der eben nicht mit dem des biblischen Gottes identisch sein soll? Zu den Kulträumen:
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Bis zu welchem Punkt ist vxistor als Beiwort zu einer eigenständigen paganen oder jüdischen Gottheit aufzufassen und ab wann wird er zum eindeutigen Signifikat eines distinkten Kultes, der abgelöst von seinen ursprünglichen Trägergottheiten praktiziert wird?192 Diese Probleme sollen hier nur angezeigt werden. Für die vorliegende Arbeit auszuwerten ist etwas anderes: Alle wichtigen Motive, mit denen Mitchell seine jüdisch-pagane MonotheismusVariante beschreibt, finden sich in der Textstruktur der lukanischen Vorgeschichte. Die Parallelen sollen nachfolgend aufgezeigt und im Anschluss eine These zur Begründung dieses überraschenden Befunds entwickelt werden. Sechs Motive oder Aspekte, die beiden Darstellungen gemeinsam sind, sollen diesbezüglich erläutert werden: 1. Zunächst ist die viermalige Erwähnung des Superlativs vxistor zu notieren. Dreimal wird dieser als Epithet Gottes gebraucht, in Bezug auf den uR¹r rx¸stou (1,32), die d¼malir rx¸stou (1,35) und den pqov¶tgr rx¸stou (1,76), außerdem als Aufenthaltsort Gottes 1m rx¸stoir (2,14).193 Damit stellt die Wendung eine prominente Gottesbezeichnung in der lukanischen Vorgeschichte dar, die nirgends sonst im Neuen Testament in dieser Dichte auftritt. 2. Das Auftauchen der Gottesfürchtigen im Magnificat ist bereits angesprochen worden (vgl. 1,50); nach Auffassung Mitchells wären demnach sowohl der Gott als auch seine Anhänger in Lk 1–2 benannt. 3. Dem he¹r vxistor werden in den Inschriften oft Mittlergestalten an die Seite gestellt, die häufig als %ccekoi bezeichnet werden.194 Ihr Vorkommen Mitchell macht für den Hypsistos-Kult Heiligtümer geltend, die meist unter freiem Himmel und/oder mit Nischen für Lampen-Votive ausgestattet waren (vgl. ders., Cult 97–99). 192 Die sprachliche Erhöhung eines einzelnen Gottes bedeutet noch nicht automatisch seine Herauslösung aus dem Pantheon, sondern zunächst die Behauptung einer – oft regional begrenzten – Vormachtstellung des betreffenden Gottes in den Augen seiner Anhänger, die diesen deshalb weder monolatrisch noch monotheistisch verehren. Dieser Ansicht ist zumindest Nicole Belayche, die bzgl. der Verwendung von Verherrlichungstermini wie vxistor zu dem Schluss kommt: „les d dicaces examin es sugg rent surtout un usage m taphorique de l’ pith te, aux fins de mettre en valeur la divinit ainsi invoqu e au sein d’une pluralit de dieux“ (dies., Hypsistos 54). Dass u. a. bereits die Erwähnung des Begriffs in der LXX als Beleg für die Existenz eines Kultes herhalten soll, wie Mitchell zu suggerieren scheint, macht m. E. die allzu essentialistische Auffassung des Epithets deutlich (vgl. ders., Cult 109). Wolfgang Wischmeyer sieht entsprechend in der Belegung traditioneller Gottheiten mit Superlativen wie vxistor oder auch l]cistor „die religiöse Sprachform des pantheonalen Monotheismus […], die sich an vier Faktoren erkennen lässt: ,Potentialisierung‘ regionaler Kulte und ihrer Gottheiten durch ,Anonymisierung‘ und ,Abstraktion‘ in einer ,ökumenischen Koine der religiösen Sprache‘. Dieser pantheonale Monotheismus sollte weder synkretistisch interpretiert werden noch als ein neuer Sonderkult oder gar eine neue Religion“ (ders., HEOS 156). 193 Weitere Vorkommen in Lk 6,35; 8,28 par Mk 5,7 (toO heoO toO rx¸stou); 19,38; Apg 7,48; 16,17. Als Attribut Gottes kommt der Begriff abgesehen von der markinischen Parallelstelle sonst nur noch in Hebr 7,1 vor. 194 Vgl. S. Mitchell, Cult 102–104. Auf die inschriftlichen Belege kann hier weitgehend verzichtet werden, da Mitchell diese in einem umfassenden Katalog im Anhang des Artikels bietet.
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in Kleinasien ist nicht rein jüdisch zu erklären, sondern lässt nach Meinung Vera Hirschmanns möglicherweise persischen Einfluss erkennen. Jedenfalls geht sie aus von „paganen Engeln, die neben jüdischen und christlichen existierten“195. In den ersten beiden Lukas-Kapiteln treten sie einzeln (vgl. Lk 1,11–20.26–38; 2,9–12) und im Kollektiv (vgl. 2,13–15a) auf, um den Willen des höchsten Gottes zu vermitteln oder ihn zu lobpreisen. 4. Mitchell sieht eine starke Verbindung seines höchsten Gottes mit der Sonne und mit Licht allgemein, die sich in der Darstellung und im Kult niederschlägt. Eine Orakelinschrift aus dem lykischen Oinoanda, die er mit he¹r vxistor in Zusammenhang bringt, fordert den Anhänger eines namenlosen Gottes auf, sich im Gebet gen Sonnenaufgang (pq¹r !mtok_gm) zu wenden. Als Sprecher wird Apollo selbst ausgemacht.196 Auf mehreren Inschriften wird Helios als höchster Gott apostrophiert, so in einer Widmung aus Pergamon (Jk_ou he` rx_st\), die ins erste Jh. n. Chr. datiert wird.197 Votivgaben von Lampen, die in Nischen von Kultstätten gestellt und auf Inschriften abgebildet wurden, sind für Mitchell „essential to a cult which was associated with the upper air of heaven and with the sun“198. Die !matok^ im Benedictus, der pointierte Rekurs auf Elija in Abgrenzung zu Helios und der Einsatz von Lichtmetaphorik in Lk 1–2 generell weisen in die gleiche Richtung. 5. Ein weiterer Vergleichspunkt ist die Gebetsform der Eulogie, die das Benedictus einleitet und gängigerweise als genuin jüdische Gattung aufgefasst wird (siehe oben). Entsprechend werden mit eqkocgt|r eingeleitete Inschriften an den höchsten Gott dem jüdischen oder judaisierenden Frömmigkeitsbereich zugeordnet. Demgegenüber verweist Mitchell auf zwei ähnlich lautende Inschriften vom Bosporus aus der Mitte des ersten Jh. n. Chr., die offenbar jüdischen Ursprungs sind und deren erste wie folgt beginnt: he` rx_st\ pamtojq\toqi eqkocet`. „Yet they conclude with an oath sworn by Zeus, Ge and Helios […]. The Jewish influence is beyond dispute, yet the religious affiliation was loose enough to allow the pagan oath“199. 6. Der letzte zu nennende Aspekt ist die vermutete soziale Stellung der jeweiligen Gruppenmitglieder. Mitchell schließt von der Bescheidenheit der Monumente auf einfache Menschen in der Stadt und auf dem Land. Die Anhänger von he¹r vxistor kamen seiner Meinung nach eher aus den 195 V. Hirschmann, Menschen 146. Die Mittlerwesen im Gefolge der mit he¹r vxistor und Helios verwandten (Doppel-)Gottheit nsior ja· D_jaior scheinen ebenfalls eher der autochthonen Frömmigkeit des kleinasiatischen Hinterlands als jüdischem Einfluss zu entstammen, so zumindest G. Petzl, Die Beichtinschriften im römischen Kleinasien und der Fromme und Gerechte Gott, Opladen u. a. 1998. 196 Vgl. S. Mitchell, Cult 81; 86. 197 Vgl. S. Mitchell, Cult 91; Nr. 186 = IPerg II 330. 198 S. Mitchell, Cult 91. 199 S. Mitchell, Cult 114.
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unteren Schichten der Gesellschaft, die vermutete Gruppe hinter den bearbeiteten lukanischen Texten scheint ebenfalls nicht der Elite anzugehören, sondern beschreibt sich selbst eher als marginalisiert, wenngleich auserwählt. Man muss nicht die Prämisse teilen, dass ein Hypsistos-Kult, der im vierten Jh. n. Chr. als solcher literarisch nachweisbar ist, auch schon für die Zeit des LkEv in festen Formen ausgehärtet jedermann vor Augen stand – mit klaren Bezeichnungen für Gottheit und Anhänger, eigenen als solchen sogleich erkennbaren Kultstätten und eindeutig zu identifizierenden Riten. Was später als distinkt fassbarer Kult zu greifen ist, rangiert zu Zeiten des LkEv möglicherweise irgendwo zwischen einem auf unterschiedliche Götter übertragbaren Epithet zur ehrenden Hervorhebung und einer unterscheidbaren Bewegung.200 Doch wie bedienen sich die Texte der lukanischen Vorgeschichte dieses Epithets? Dazu ist statt bei einem essentialistisch-kultischen Verständnis auf der sprachlichen Ebene anzusetzen: Offenbar drängen die Lukastexte auf ein semantisches Feld, das Assoziationen weckt, und zwar mutmaßlich positive; dieses Feld ist aber noch nicht – um im Bild zu bleiben – mit einer bestimmten Kultstätte bebaut, sei diese nun jüdisch, heidnisch oder eine Mischform aus beidem. Andernfalls wäre es nicht mehr möglich gewesen, das Beiwort vxistor und die damit verbundenen Vorstellungen von Boten- und Lichtgestalten mit der eigenen unverwechselbaren Lichtgestalt Jesus zu verknüpfen. Darüber hinaus mag die potentialisierende Gottesbezeichnung in gewissen Kreisen etwas anziehend Neues ausgestrahlt haben. Es kann also von einer semantischen Durchlässigkeit und einer gewissen Aura des Begriffs vxistor ausgegangen werden. Unter diesen Voraussetzungen scheint es plausibel, dass auch die Jesus-Anhänger diese Prädikation für sich zu kapern versuchten: Zum einen knüpften sie an jüdische Vorstellungen an, zum anderen versprachen sie sich davon, zumindest in bestimmten Kreisen der urban-paganen Mehrheitsgesellschaft religiös-philosophisch en vogue zu sein. In der Sprache des Marketings ausgedrückt: Das Label he¹r vxistor war noch nicht geschützt, aber in gewisser Weise begehrt, weshalb unterschiedliche Gruppierungen versuchten, es sich zueigen zu machen. Das Ziel: öffentliche Anerkennung durch Assoziierung mit einer sozial akzeptierten Gruppe bzw. religiösen 200 Der Beiname wird Zeus, Helios und dem Gott der Juden gegeben, Letztere dürften einen nicht unerheblichen Anteil am impact gehabt haben, den die Vorstellung eines höchsten Gottes über allen anderen ausstrahlte. Die Gottesfürchtigen, d. h. die Sympathisanten im näheren Umkreis der Synagogen, werden nicht zufällig – will man Mitchell glauben – zur Selbstbezeichnung der Anhänger des he¹r vxistor. Möglicherweise verbanden sie dessen Vorstellungen in einer Art interpretatio graeca eben mit ihnen bereits bekannten Göttern wie Helios oder Zeus, möglicherweise gab es die Vorstellung eines höchsten Gottes schon unabhängig vom DiasporaJudentum und die jeweiligen Anhänger kamen aufgrund ihrer ähnlichen – heno- bzw. monotheistischen – Gottesauffassung in der Regel gut miteinander aus. Mitchell optiert klar für letztere Möglichkeit (vgl. ders., Cult 126).
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Haltung. Angesichts der mutmaßlichen sozialen Randstellung der Gruppe hinter Magnificat und Benedictus scheint es aber fraglich, ob diese MarketingStrategie fruchtete. Zum Vergleich: Die Anhänger des höchsten Gottes in Milet, die in hadrianischer Zeit ihren Wohltäter Ulpios Karpos inschriftlich als Req]a bzw. pqov^tgm toO "ciyt\tou heoO rx_stou ehrten,201 stammten offenbar aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, wie die Berufsvereinigungen der Muschelfischer und Gärtner, Urheber der Ehrungen, erkennen lassen. Dennoch waren sie Murray Baker zufolge anerkannt genug, um sich und den Juden der Stadt nicht unbedeutende Sitze in der cavea des örtlichen Theaters zu sichern.202 Im Gegensatz zu ihnen scheint die Gruppe derjenigen, die sich im Magnificat gegen die Dynasten und Einflussreichen in ihrem Umfeld stellt und sich im Benedictus gar in ihrer Kultausübung bedroht sieht, ihren Platz nicht zu finden – weder im Theater noch sonst in der städtischen Öffentlichkeit. Die lukanischen Jesus-Anhänger scheinen sich in einer vergleichbaren Situation vorzufinden, wie sie Baker in Bezug auf die Juden von Milet beschreibt: „What would have helped would have been sympathetic city authorities and a benefactor to lend social weight“203 – beides scheint nicht in Reichweite gewesen zu sein.
7.3 Prophezeite Rettung als Gabe von Gerechtigkeit und Frieden Ein syt^q rettet aus einer Not oder Gefahr. Im Magnificat gibt er Wohltaten an Bedürftige, im Benedictus wird die – aus römischer Perspektive anachronistisch anmutende – Rettung vor Feinden prophezeit. Der offiziell oberste Träger des Epithets Augustus hatte das Reich durch die Gabe von Frieden und Gerechtigkeit gerettet, wie die Dichter in ihren Visionen von einem neuen Goldenen Zeitalter sangen.204 Die umfangreichen Berührungspunkte mit neutestamentlichen Kindheitsgeschichten vom Motiv des göttlichen Kindes bis hin zum aufgehenden Stern hat Stefan Schreiber zusammengetragen.205 U. a. die bukolische Hirtenidylle, wie sie Vergil in der vierten Ekloge heraufbeschwört, gehört hierher. Aber gerade im Vergleich mit dem römischen Dichter zeigt sich, wie Lukas am Goldüberzug der neuen Zeit kratzt. Über den neu201 202 203 204
Vgl. OGIS 755; 756; M. Baker, Theatre 407. Vgl. M. Baker, Theatre 416. M. Baker, Theatre 416. Augustus wurde inschriftlich u. a. als „Retter der Bürger und Wohltäter aller“ (IGR IV 200) und „Retter des gesamten Menschengeschlechts“ (GIBM IV 1,894) adressiert (vgl. T. Jantsch, Jesus 155, der zudem Beispiele für die Übertragung des Titels auf die nachfolgenden Kaiser bringt). Schreiber führt an, dass Vespasian nach Jos., Bell IV 618.655 f syt^q genannt wurde (vgl. ders., Weihnachtspolitik 66 i.d.Anm.). 205 Vgl. S. Schreiber, Weihnachtspolitik.
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geborenen Knaben schreibt Vergil: „Dir aber, Knabe, wird die Erde ohne unser Zutun kleine Erstlingsgaben in Fülle spenden“ (nullo munuscula cultu; Ecl. 4,18–20).206 Dass die Erde angesichts der anbrechenden aurea aetas spontan Überfülle produziert, ist eine Vorstellung, der u. a. das auf Münzen verbreitete Bild des Füllhorns korrespondiert.207 Mit den munuscula wird dabei die Terminologie römischer Sozialbeziehungen verwendet, wodurch deutlich werden soll, dass die ganze Erde in einem Verhältnis der gratia zu ihrem Retter steht.208 Nach Ansicht der lukanischen Geburtsgeschichte besteht dessen Verhältnis zum „ganzen Erdkreis“ (Lk 2,1) hingegen darin, diesen tributpflichtig machen zu wollen, ihm also seine munera abzutrotzen. „Daher beschreibt Lukas gerade keine Hirtenidylle, die den politischen Sinngehalt des Goldenen Zeitalters unter römischer Kaiserherrschaft ins Bild bringt und eine die bestehenden politischen Verhältnisse stabilisierende Funktion erfüllt.“209 Für das LkEv scheint ein anderer syt^q notwendig zu sein, der als „gesalbter Herr in der Stadt Davids“ (Lk 2,11) trennscharf gegen den j}qior Augustus abgrenzbar ist, mit dem die Perikope eingeleitet wird.210 Ein anderer Friede wird hier verkündet, der nicht von irdischen, sondern von himmlischen Truppen sanktioniert wird (vgl. Lk 2,13). Verbürgt wird dieser Friede von einem Retter, der sich, wie ihm am Kreuz vorgehalten wird, scheinbar 206 Nach Ansicht Phoebe L. Bowditchs bleibt die Identität des besungenen Kindes unklar (vgl. dies., Horace 130). Das widerspricht freilich nicht einer späteren Identifizierung mit dem Princeps. 207 Die spontane Fruchtbarkeit der Erde zeichnet v. a. Vergils vierte Ekloge aus (vgl. P.L. Bowditch, Horace 131) und ist mit der zeitgenössischen Auffassung von gratia verbunden: „[P]astoral abundance has resonances both gernerally with responsive gratitude and specifically with the ,initial‘ gift in a patronal exchange“ (dies., Horace 138). Zum Motiv der cornucopia vgl. S. Schreiber, Weihnachtspolitik 36–41. 208 Vgl. P.L. Bowditch, Horace 134, die jedoch geltend macht, dass die Dichtung Vergils wie die literarische Patronage der Zeit nicht einfach als Propaganda und Auftragsdichtung angesehen werden kann. Herrscherlob dürfe nicht käuflich sein, wie Vergil selbst reflektiert, aber: „Such celebration, whether implicit or explicit in poetry, constitutes a ‘good’ in an exchange relationship; but it becomes problematic in a ‘market’ situation where money directly purchases verse“ (vgl. dies., Horace 33). 209 S. Schreiber, Weihnachtspolitik 75. 210 Auch hier wird ein Polis-Bezug hergestellt – in der Stadt Davids ist dieser Retter geboren – und dann auf eine universale Ebene hin überstiegen. Christian Blumenthal hat gezeigt, wie sich das „Gravitationszentrum“ der Erzählung von Rom nach Bethlehem, mithin von Augustus zu Jesus verschiebt, dessen Herrschaft gegenüber der horizontal ausgerichteten des römischen Kaisers auch den Himmel einschließt (vgl. ders., Augustus’ Erlass und Gottes Macht: Überlegungen zur Charakterisierung der Augustusfigur und ihrer erzählstrategischen Funktion in der lukanischen Erzählung, in: NTS 57,1 (2011) 1–30, 24–28). Mit Green ist davon auszugehen, dass in Lk 2 die Herrschaftskonzepte Jesu und Augustus‘ anhand der Bezeichnung syt^q kontrastiert werden (vgl. ders., Lk 134). Daher sollte die Wendung der Geburtsankündigung durch den Engel sytµq fr 1stim wqist¹r j¼qior (Lk 2,11) mit „ein Retter, der gesalbter Herr ist“ übersetzt werden. In Absehung bzw. bewusster Verfremdung geprägter Sprache geht es hier um die Vorstellung eines alternativen Machthabers messianischen Zuschnitts (gegen S. Schreiber, Weihnachtspolitik 72 f, der mit der „geprägten Sprache“ argumentiert; vgl. die Diskussion bei T. Jantsch, Jesus 160 f, der Retter unbestimmt, Christus und Herr aber als Titel übersetzt).
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nicht einmal selbst retten kann (vgl. Lk 23,35). Viermal wird das Verb s~fy hier wiederholt (vgl. Lk 23,35.37.39), wobei die Archonten durchaus zugeben, dass Jesus andere gerettet habe.211 So wird durch die Aufschrift bei Jesus am Kreuz (1p’ aqt`; Lk 23,38) das Bild einer Ehrenstatue mit Tafel erzeugt, wie sie landauf landab Wohltätern zuteilwurde. Dass Jesus tatsächlich und weiterhin Retter ist, weiß der zweite Kriminelle am Kreuz, der Einsicht in die Mechanismen des Gegenseitigkeitsethos beweist, wie sie von Jesus bereits in Lk 6,36–38 zugrunde gelegt worden sind, wie zum einen die Feststellung „wir empfangen, was unsere Taten verdienen“ (Lk 23,41) erkennen lässt.212 Zum anderen ist er in seinem Wissen um das Königtum Jesu „den Jüngern Jesu weit voraus“213 und erkennt die Wichtigkeit persönlicher Beziehungen zu diesem broker, da er Jesus bittet, „denk an mich, wenn du in dein Reich kommst“ (Lk 23,42).214 Nicht nur Frieden im Sinne der pax Romana, auch eine Gerechtigkeitsvorstellung wird angefragt, die machtlegitimierend „einen imaginären Wohlstand für alle“215 propagiert. Demgegenüber schreibt Lukas geradezu tendenziös zugunsten der Zurückgesetzten oder derer, die sich selbst in dieser Rolle verorten. So wird schon mit Gott als Retter im Magnificat eine Alternativmacht evoziert, die sich positiv von den realen Autoritäten absetzt.216 Gott selbst übernimmt die Funktion der Eliten, welche die outsider-Gruppe bei Lebensmittelverteilungen übergehen. Der Ausschluss aus den städtischen Reziprozitätssystemen wird im Benedictus u. a. dadurch literarisch kompensiert, dass ein Außenseiter wie Johannes als eigener pqov¶tgr rx¸stou ausgerufen wird – ein offensichtlich kontrafaktischer Gegenentwurf zu der Funktion, die z. B. der „Prophet des höchsten Gottes“ Ulpios Karpos in Milet für die Seinen einnahm. Der hier propagierte Prophet schreitet nicht hinter den Kultbildern von Göttern und Kaisern einher, sondern vor einem anderen Herrn (1m¾piom juq¸ou; Lk 1,76). Im Kontext kaiserzeitlicher Religionspolitik angesiedelt, scheint hier mittels eines hidden transcript ein Konsens aufgekündigt, den Babett Edelmann so umschreibt:
211 Green hebt die Abfolge der Spötter hervor: „Here, persons of diminishing status – the religious leaders, the Roman soldiers, and an executed criminal – turn their derisive attention on Jesus, scoffing at him, mocking him, and blaspheming him“ (ders., Lk 817 f). 212 Für Jesus selbst greift dieser Mechanismus allerdings nicht, wie im Nachsatz „dieser aber hat nichts Unrechtes getan“ festgehalten wird. 213 M. Wolter, Lk 760. 214 Green kommentiert, „the second criminal […] recognizes Jesus’ innocence and trusts in his potent beneficence“ (ders., Lk 818). Zur Vermittlung von Wohltaten durch suffragatores siehe Kap. 4.3. 215 S. Schreiber, Weihnachtspolitik 75. 216 Amanda Miller meint etwas unspezifisch: „Thus naming the God of Israel as within the Roman Empire was, at a minimum, proclaiming Yahweh as a deity of high status who was actively working for the good of the people rather than for the imperial status quo“ (dies., Rumors 114).
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Die Gemeinde als Festprozession, das heißt in ihrer sozialen Hierarchie gegliedert, präsentierte sich als loyaler Teil des Ganzen. Die Prozession hatte demnach eine legitimatorische und eine integrative Funktion. Sie kann als Medium der Kommunikation zwischen Kaiser und Stadt verstanden werden, durch das der Konsens zwischen Herrscher und Beherrschten hergestellt und gleichzeitig in den Städten soziale Kontrolle ausgeübt wurde, wie nicht zuletzt die strengen Strafvorschriften in den Kultgesetzen und Stiftungsurkunden zeigen.217
Die Installierung des Johannes als Prophet des höchsten Gottes ist Teil eines Gegennarrativs mit eigenen, positiv besetzten aber wohl fiktiven Autoritäten. Dieses setzt sich in der Darstellung der Charaktere Zacharias, Simeon und Hanna fort, die als städtische Würdenträger und religiös anerkannte Autoritäten vorführen, wie man in dieser Rolle – mehr oder weniger direkt – das Richtige tut, nämlich Jesus als Licht und Retter öffentliche Anerkennung zuteil werden zu lassen. Dass diese !matok^ heller strahlt als der sonnenhafte Gott Apoll, wird von den wahren Propheten verstanden. Darin scheint das Problem hinter dem Text gelegen zu haben: dass sich die tatsächlichen städtischen Eliten, mit denen die lukanische Gemeinde zu tun hatte, um deren Retter nicht scherten. Als Repräsentanten der römischen Gesellschaftsordnung standen sie zudem für ein Konzept von Gerechtigkeit und Frieden, das in den Lukastexten offenbar abgelehnt wird und zu dem sie Alternativen benennen. Dazu werden jüdische Traditionsbestände aufgerufen, die auch in den Ohren nichtjüdischer Zeitgenossen die gewünschten Assoziationen zum Klingen bringen konnten. Möglicherweise wurde die im „Wir“ des Zacharias eingeschlossene Gruppe demnach nicht oder ablehnend wahrgenommen, von gemeinsamen Festen und Mählern ausgeschlossen – oder sie wählte diese Isolation selbst. Jedenfalls machte diese Position die Entwicklung literarischer Gegengestalten notwendig, die so agierten, wie es sich die randständige Vereinigung wünschte, und zwar vor der Kulisse eines Jerusalemer Tempels, für dessen Darstellung auch einige Requisiten des allgemein bekannten Orakelkultes assoziierbar waren. Diese Adaption ist – wenn überhaupt – subtil kritisch, vergleicht man sie etwa mit der ruppigen Abrechnung, die im vierten Buch der sibyllinischen Weissagungen mit der apollinischen Mantik vorgenommen wird. Mit der Überblendung jüdischer und paganer Prophetenbilder kann an die jeweiligen Erfahrungswelten der intendierten Lesenden aus beiden Welten angeknüpft werden: In für sie verständlichen Kategorien soll ihnen die Legitimität des Anspruchs Jesu aufgrund göttlicher Orakel vor Augen geführt werden.218 Das Thema der lukanischen Vorgeschichte mit ihrer Fülle von auf- und wieder abtretenden prophetischen Figuren könnte in dem Satz zusammengefasst 217 B. Edelmann, Pompa 165. Zum hidden transcript bei Lk vgl. A.C. Miller, Rumors 2; siehe Kap. 7.1.2. 218 Dass in der lukanischen Ämterwelt die Propheten eine wichtige Rolle spielen, zeigt deren Erwähnung in Apg 13,1 neben den did\sjakoi.
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werden: So wäre es, wenn die Amtsträgerinnen und -träger der Stadt wirklich göttliche Weissagungen erhielten – und diese auch noch verstünden!
8. Die Habgier des Kornbauern und lukanische Alternativen (Lk 12) Habgier diente als Standard-Topos zur Beurteilung des Handels und der Handeltreibenden von Homer bis Ambrosius.1 Auch in De Beneficiis erfolgt eine direkte Verknüpfung der avaritia mit Geld in materieller Form und – noch schlimmer – in Form von Schuldverschreibungen (vgl. Sen., Ben VII 10,3 f). Die Tätigkeit eines Bestattungsunternehmers, der aus dem Nachteil anderer einen gewerblichen Vorteil ziehe, wird hingegen nicht verurteilt: „Alle wollen nämlich dasselbe, d. h. auf die eigene Person beschränkt haben sie Wünsche“ (VI 38,2). Der Bereich unternehmerischen Wirtschaftens funktioniert nach seiner eigenen Logik jenseits von Reziprozität und Wohltätigkeit, und so „darf nicht, was immer kritisiert werden muss, auch verurteilt werden“ (VI 39,1). Die quaestio, ob das Gewinnstreben eines Bestatters statthaft sei, ähnelt in gewisser Weise der Ciceros vom alexandrinischen Getreidehändler: Dieser sei nach Rhodos gesegelt, um der darbenden Bevölkerung Korn zu verkaufen, in dem Wissen, dass weitere Schiffe unterwegs gewesen seien. Diskutiert wird, ob er sein Wissen habe mitteilen müssen oder nicht (vgl. Off III 50). Dass die Frage nach dem persönlichen Gewinn (magnum lucrum; Ben VI 38,1) am Beispiel des Kornhandels gestellt wird, hat viele literarische Parallelen. Oftmals geht es um den Vorwurf der Unterschlagung von Getreide, um den Preis hochzutreiben.2 Der reiche Mann in der Beispielerzählung Lk 12,16–21 plant, für seine Getreideernte die Speicherkapazitäten zu erhöhen. Seine Wohltaten will er lange Jahre für sich allein genießen, wie er im Stillen für sich kalkuliert. Gott selbst lässt ihn wissen, dass diese Rechnung nicht aufgeht und andere ihren rechtmäßigen Anteil fordern werden. Was hat er übersehen? Für die Antwort ist das Verständnis seiner Güter (Agath ) zentral, denn diese kommen von Gott und müssen, nach der dem Begriff eigenen Logik, weitergegeben werden. So klinkt sich Lk in einen zeitgenössischen Diskurs über Habgier ein und präsentiert einen alternativen Umgang mit den eigenen Besitztümern. Dieser Umgang liegt sowohl jenseits traditioneller Austauschpflichten als auch privatistischer Gewinnträume.
1 Vgl. A. Giardina, Kaufmann 278 f. 2 Vgl. Dio Chrys., Or XLVI; Philostr., Vit Ap I 15. Gloria Vivenza meint, „it was since the time of Cato the Elder that the related interests of agriculture and commerce had brought to light the unique contrast, or rather discrepancy, between agricultural ideology and commercial vocation“ (dies., Thought 29 f).
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8.1 Kontext, Gliederung und Komposition Michael Wolter sieht die zu behandelnde Passage in einem Kontext, der auf gleich bleibendem Schauplatz angesiedelt ist und sich über Lk 11,14–36 und 12,1–13,9 erstreckt, unterbrochen durch die Einkehr Jesu ins Haus eines Pharisäers (11,37–54).3 Jesus spricht coram publico zu seinen Jüngern (vgl. 12,1d) über Verschiedenes, der thematische Zusammenhalt ist gegeben durch die Forderung, sich furchtlos zum Menschensohn zu bekennen (vgl. V. 8–10). Es folgt die Bitte eines Menschen aus der Menge um Regelung eines Erbstreites, die Jesus ihm abschlägt und um eine Warnung vor Habgier ergänzt (vgl. V. 13–15). Diese wird illustriert durch die Erzählung von einem reichen Kornbauern (vgl. V. 16–21). Es schließt sich eine an die Jünger gerichtete Rede an, in der diese zur Sorglosigkeit gegenüber materiellen Gütern ermuntert (vgl. V. 22–34) und zum Verkauf des Besitzes aufgefordert werden (t± rp\qwomta; V. 33a, damit V. 15 f aufgreifend). Die drei Teile werden miteinander in Beziehung gesetzt: (1) Die Erbszene (vgl. Lk 12,13 f) dient als Aufhänger und, mittels des Begriffs der pkeomen_a (V. 15), Stichwortgeber für (2) die Parabel4 vom reichen Kornbauern (vgl. Lk 12,16–20), und schließlich (3) die Jüngerbelehrung (vgl. Lk 12,22–34). Einige Anmerkungen zur Komposition, sofern sie den Reziprozitätszusammenhang berühren: Der Besitz (rp\qwomta) findet zum einen in Jesu Warnung vor Habgier (pkeomen_a) Erwähnung, dort in der syntaktisch umständlichen und entsprechend erklärungsbedürftigen Anfügung 1j t_m rpaqwºmtym aqt` (V. 15). Zum anderen steht am Schluss der Jüngerparänese die Aufforderung an die Jünger ihre rp\qwomta zu verkaufen (V. 33a). So verklammert der Begriff die thematische Einheit und weist in den gesellschaftlichen Bereich öffentlicher Wohltätigkeit. Darüber hinaus steht „lagern“ (hgsauq_fy) bzw. „Lager oder Speicher“ (hgsauq|r; V. 21a.34a) jeweils am 3 Vgl. M. Wolter, Lk 437. I.H. Marshall sieht unter der Überschrift „Readiness for the coming crisis“ (ders., Lk 508) einen Bogen von Lk 12,1–13,21, dem Gleichnis vom Sauerteig, geschlagen; ähnlich J.B. Green, der das Thema „vigilance in the face of eschatological crisis“ (ders., Lk 476) von 12,1 bis 13,9, also dem Gleichnis vom Feigenbaum, bearbeitet sieht. Weitere Einteilungsversuche werden von F. Bovon, Lk II 247 referiert. 4 R.F. Hock versteht die paqabok^ (V. 16a) in Anlehnung an die Praxis antiker Schreibübungen, der sog. Progymnasmata, als eine Erzählung, in der nicht identifizierte Personen agieren und alltägliche Geschehnisse erzählt werden. Demgegenüber stehe das paq\deicla, verdeutscht Beispielerzählung, in der namentlich genannte Personen agierten und einmalige Geschehnisse erzählt würden (vgl. ders., Parable 185 i.d.Anm.). Dieser Definition zufolge wäre das Gleichnis vom reichen Kornbauern eher als Parabel aufzufassen denn unter die Beispielerzählungen zu rechnen, zu denen es bei Lk jedoch neben dem Gleichnis vom barmherzigen Samaritaner (Lk 10,30-37), vom reichen Mann und armen Lazarus (Lk 16,19-31) sowie vom Pharisäer und Zöllner Lk (18,9-14), traditionell gezählt wird. Kurt Erlemann sieht die lukanischen Beispielerzählungen als „Sonderform der Parabel“, in denen die für die Parabel typische „Konterdetermination“ fehle (ders., Art. Gleichnisse (NT), in: WiBiLex).
Kontext, Gliederung und Komposition
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Ende von Parabel und Jüngerbelehrung. Das Bedeutungsfeld des Speicherns wird mit den Begriffen peqisse}y (V. 15d), sum\cy (V. 17e.18e), je?lai (V. 19c) und 2toil\fy (V. 20c) aufgerufen, gibt also die thematische Richtung der Passage vor. Schließlich ist auf den parallelen Aufbau von Frage und Antwort im Gedankengang des reichen Kornbauern hinzuweisen (t¸ poi¶sy/ toOto poi¶sy; V. 17c.18), wobei sich die Problemstellung auf to»r jaqpo¼r lou, die Lösung aber auf p²mta t¹m s?tom ja· t± !cah² lou bezieht. Letztere sind hier m. E. als abgabepflichtige Güter zu verstehen, wofür weiter unten argumentiert wird. Die den Text strukturierenden Stichwortverknüpfungen lassen sich wie folgt darstellen: Tabelle 6: Schlüsselbegriffe in Lk 12
1j t_m rpaqwºmtym aqt` (V. 15 f)
Pyk¶sate t± rp²qwomta rl_m (V. 33a)
Warnung vor pkeomen_a (V. 15c
Spekulationen über t± !cah² lou (V. 18e.19b)
ovtyr b hgsauq¸fym 2aut` (V. 21a)
fpou c²q 1stim b hgsauq¹r rl_m (V. 34a)
Die Parabel vom reichen Kornbauern nimmt Bezug auf die vorangegangene Bitte um Regelung einer Erbstreitigkeit. Die Frage Gottes an den reichen Kornbauern: „Was du vorbereitet hast – wem wird es gehören?“ in V. 20c–d greift das Thema Erbe wieder auf. Worin besteht also der inhaltliche Zusammenhang zwischen Erbsache und Handlung der Parabel? Was zeitgeschichtlich im Hintergrund der einführenden Bitte steht, ist nicht ohne Weiteres zu erschließen. Bovon statuiert für den jüdischen Bereich ein Recht auf Erbteilung, wobei der älteste männliche Nachfahre im Vergleich zu seinen Brüdern das Doppelte erhielt. Zugleich findet jüdischerseits die Idealvorstellung eines ungeteilten Erbes, das die männlichen Nachfahren gemeinsam verwalten, literarischen Niederschlag.5 Dieses Ideal ist auch für den griechisch-römischen Kulturraum geltend zu machen, zu greifen etwa bei Dion von Prusa, der in einer seiner Reden davon spricht, dass Brüder allgemein dafür bewundert werden, das elterliche Erbe ungeteilt zu lassen und gemeinsam zu verwalten. Dieses falle insgesamt größer aus, als wenn es kleinlich
5 Vgl. F. Bovon, Lk II 276.
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Die Habgier des Kornbauern und lukanische Alternativen
aufgeteilt würde (vgl. Dio Chrys., Or XXXVIII 45).6 Das in brüderlicher Weise zusammengehaltene Ganze bedeutet hier mehr als die Summe der einzelnen Teile. Unabhängig davon also, wie die Anfrage bei Lukas sachlich genau zu verstehen ist, wird die anschließende Warnung Jesu vor Habsucht kulturell anschlussfähig, wenn von einer Auffassung im oben beschriebenen Sinne ausgegangen wird. Es erscheint in den Augen neutestamentlicher Zeitgenossen unverhältnismäßig, das Maximum dessen für sich zu beanspruchen, was rechtlich möglich ist, anders gesagt: Nur weil man das blanke Recht hat sein separates Erbteil zu fordern, ist dies noch lange nicht sittlich geboten oder wird dies vom sozialen Umfeld gutgeheißen.7 Gleiches gilt in anderer Hinsicht auch für den Kornbauern, um die eingangs gestellte Frage nach dem inhaltlichen Zusammenhang beider Teile vorläufig zu beantworten: Er gibt nichts von seinem Getreide ab, sollte dies aber nach der Logik genereller Reziprozität tun.8 Es gab eine Erwartungshaltung des Volkes gegenüber Besitzern von Getreide, einen Teil ihrer Überschüsse an die (städtische) Allgemeinheit abzuführen. Im Gegenzug durften sie damit rechnen, vom Volk – sichtbar! – in Ehren gehalten zu werden. Ein Verstoß gegen diese Übereinkunft, wenn auch unter juristischem Gesichtspunkt legal, zog soziale Missbilligung durch das Volk nach sich, und eines solchen Verstoßes macht sich der Kornbauer der lukanischen Erzählung schuldig. Hierin und in der Schilderung der Erbfrage prallen zwei Systeme aufeinander: das System staatlich verbürgter Rechtsansprüche und jenes sozialer Achtung und Ächtung, wonach, wer den Rahmen des rechtlich Möglichen konsequent zum eigenen Vorteil ausschöpft, schnell als habgierig gebrandmarkt wird. Entscheidend ist dabei die Frage der Sanktionierungsmacht, sprich: Wie werden Verhaltenserwartungen durchgesetzt, wenn sie nicht (mehr) rechtlich einzuklagen sind – ein Problem, das schon Seneca in Bezug auf die Praxis des Gabentausches in der römischen Oberschicht behandelt.9 Der Philosoph und Geschäftsmann beklagt die verbreitete Habgier, „Lukas beginnt seine Paränese mit einer Warnung vor pkeomen_a“10. Entsprechend hängt für das Verständnis der Passage viel davon ab, wie diese syntaktisch schwierig vorgetragene Warnung aufzufassen ist.
6 Zur Verbreitung des Ideals im griechisch-römischen Kulturkreis vgl. auch, R.F. Hock, Parable 184; und M. Wolter, Lk 447 f. 7 Zum zeitgenössischen avaritia/pkeomen_a-Diskurs siehe Kap. 5.3. 8 Siehe Kap. 1.2. 9 Siehe Kap. 10. 10 F.W. Horn, Glaube 59.
Überfluss aus eigenen Besitztümern
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8.2 Überfluss aus eigenen Besitztümern Wolter übersetzt den Teilvers 15d–f „denn für einen (Menschen) beruht sein Leben nicht darauf, dass er aus seinem Besitz Überfluss zieht“11. Damit bietet er eine elegante und m. E. sinngemäß richtige Wiedergabe des im Original verbauten Satzes. Doch bleibt in Bezug auf das Adverbial 1j t_m rpaqwºmtym aqt` (V. 15 f) eben der Eindruck von etwas Angehängtem oder Nachgereichtem, und sperrige Konstruktionen bei Lukas sollten aufhorchen lassen.12 John Duncan Derrett weist für den griechischen Kulturraum darauf hin, dass besagte Formel Verwendung fand, wenn eigene Güter als Sicherheit für ein Darlehen verpfändet wurden.13 In diesem Sinne erscheint sie auf einem unter den Oxyryhnchos-Papyri erhaltenen Schuldschein aus dem Jahr 59 n. Chr.14 Aufgeführt sind dort u. a. die Höhe der geliehenen Summe und der Termin, an dem der – um 100 Drachmen höhere – Betrag zurückzugeben sei. Sodann wird festgelegt: If they do not repay as has been set down, […] the right of action is to be on Tryphaina [Geldgeberin, M.A.] upon the debtors and upon whichever of them she chooses and upon all their property (1j t_m rpaqwºmtym aqto_r p\mtym) as if in accordance with a legal decision.15
Derrett bietet für die Aufnahme der Wendung durch Lukas im Kontext von V. 15d–f folgende Deutung an: „Even when one has a superfluity one’s life is not a charge (as we say in English) on one’s assets.“16 Er sieht also eine DarlehensSemantik im Hintergrund des Spruches und damit ja wohl auch der Parabel vom reichen Kornbauern, welche die vorangehende Warnung vor Habgier illustriert. Dieser Gedanke wird bei Derrett dann freilich nicht näher ausgeführt, was insofern nicht verwundert, als im weiteren Verlauf von Parabel und Ansprache an die Jünger das Thema Darlehen und Schulden keine Rolle spielt. Die Wendung 1j t_m rpaqwºmtym a. hat noch einen anderen Sitz im Leben, der für den gegebenen Zusammenhang m. E. mehr austrägt. Im lukanischen Doppelwerk tauchen mehrere Varianten auf, z. B. bei Erwähnung der Frauen, 11 M. Wolter, Lk 448. 12 Dass hinter vermeintlich stilistischer Schwäche des Evangelisten ein inhaltlich bewusst gesetzter Akzent stecken kann, zeigt z. B. pºhem 1st´ (Lk 13,25j.27d), als lukanische Ergänzung zu oqj oWda rl÷r, womit die unbekannte Herkunft betont und auf die Interaktion von Patron und unbekanntem Bittsteller bei einem Anlass hingewiesen wird, bei dem gerade das Wissen um dessen Herkunft wichtig ist (salutatio oder cena). Ein weiteres Beispiel ist die Kombination von w²sla l´ca und 1st¶qijtai (Lk 16,26a), die, zunächst stilistisch eigenartig anmutend, wiederum auf die domus als Schauplatz gesellschaftlicher Reziprozitätsrituale zu deuten scheint (siehe Kap. 9). 13 Vgl. J.D.M. Derrett, Midrash 104. 14 Vgl. P. Oxy II 320. 15 J.D. Thomas, Re-Edition 314. 16 J.D.M. Derrett, Midrash 104.
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Die Habgier des Kornbauern und lukanische Alternativen
die Jesus und den Zwölfen mit ihrem Vermögen (1j t_m rpaqwºmtym aqta?r; Lk 8,3) dienten. Zachäus verspricht, nachdem er Jesus gastfreundlich bei sich aufgenommen hat, die Hälfte seines Vermögens (Bl¸si² lou t_m rpaqwºmtym; Lk 19,8c) den Armen zu geben. Beide Male geht es also um Spenden aus dem eigenen Besitz. In der prominenten Erklärung zur Eintracht der frühen Gemeinde, in der diese als „ein Herz und eine Seele“ (Apg 4,32) bezeichnet wird, heißt es im selben Vers weiter: „Und auch nicht einer sagte, dass etwas von dem Besitz ihm eigen sei (ti t_m rpaqwºmtym aqt` 5kecem Udiom eWmai), sondern es war ihnen alles gemeinsam“. Zwei Handschriften bezeugen aqtoO statt aqt`.17 In beiden Fällen – als dativus possessivus resp. als Possessivpronomen im Genitiv – ist die Besitzerin oder der Besitzer bezeichnet. In der Folge wird berichtet, dass Land- und Hausbesitzer ihren Besitz in toto veräußerten und den Erlös den Aposteln zu Füßen legten, die diesen dann dem jeweiligen Bedarf entsprechend wieder verteilten (vgl. Apg 4,34 f). Beispielhaft wird von dem zyprischen Leviten Josef, genannt Barnabas, berichtet: „Er hatte einen Acker besessen (rp²qwomtor aqt` !cqoO), diesen verkauft, brachte das Geld und legte es den Aposteln zu Füßen“ (Apg 4,36). Wiederum ist der Sprachgebrauch verknüpft mit der Abgabe eigenen Besitzes, der einer Gemeinschaft zugutekommt. Der Sprachgebrauch ist eine lukanische Spezialität: „The substantive ptc. of hyparchein with a dat. is used only by Luke in the NT“18. Der Blick in die pagane Literatur zeigt eine häufige Verwendung von 1j t_m rpaqwºmtym + Angabe des Besitzers im Genitiv oder Dativ, meist als Personaloder Possessivpronomen. In der ersten Rede des Demosthenes gegen Aphobos beschuldigt der Athener Politiker seine Gegner, ein Testament zu seinen Gunsten weggeschafft und stattdessen ihr Kapital auf seine Kosten erheblich vergrößert zu haben (t_m rpaqw|mtym 1j t_m 1l_m; Demosth., Or XXVII 64). Wie im Bereich der Schuldverschreibung ist vom gewaltsamen Einziehen des Vermögens die Rede. Ein weiteres Beispiel: Als öffentliche Wohltat deutet Xenophon in der Anabasis das Handeln arkadischer Soldaten und deren Alliierter an ihren gefallenen Kameraden: Sie begraben die über Wege und Ebene verstreuten Toten „so gut sie es eben vermochten“ (1j t_m rpaqw|mtym ¢r 1d}mamto; Xenoph., An VI 4,9). Zwar ist hier nicht der Einsatz materiellen Besitzes im oben ausgeführten Sinne gemeint, der Bezug zu öffentlichem Wohltätertum wird aber deutlich durch die nachfolgende Schilderung dessen, was die Soldaten für die Kameraden tun, die nicht mehr auffindbar sind: „sie errichteten ihnen einen großen Kenotaph und legten Kränze darauf“. Denkmäler und Kränze aber sind neben öffentlichen Lobreden klassische Ehrungen für verdiente Männer der griechischen Polis.19 Damit bedient sich auch dieser
17 P8 und D. 18 J.A. Fitzmyer, Lk II 970. 19 Vgl. P. Veyne, Brot 240; J. Ma, Statues 32–34. Auch Statuen selbst konnten zu besonderen Anlässen wie etwa Festivals gekrönt werden (vgl. 59 f).
Überfluss aus eigenen Besitztümern
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Text des semantischen Feldes öffentlicher Wohltätigkeit, die sich darüber hinaus in vielen epigraphischen Zeugnissen ausdrückt. So wird bei einer Reihe von Inschriften o.g. Formel für den Einsatz eigener Mittel zu Euergesien an die Allgemeinheit verwendet, was auch die Finanzierung der eigenen Ämter umfassen konnte.20 In einem Grabtext aus dem kleinasiatischen Mysia aus römischer Zeit z. B. heißt es über das Grabmal eines Pasineikos: Paqhemopa?or pqa¸jym 1po¸gse t¹ lmgle?om aq[t]` 1j t_m rpaqwºmtym aqtoO.21
Parthenopaios hat demnach ein Grabmal aus eigenen Mitteln für Pasineikos errichtet. Welcherart Beziehungen zwischen öffentlich wirksamen Personen und ihrer Stadt durch steinerne Kundgebungen wie dieser zum Ausdruck gelangen, mag das Beispiel der Priesterin Mammia verdeutlichen: Die Vorsteherin des Venuskultes in Pompeji um die Zeitenwende stiftete einen Tempel zu Ehren des genius Augusti, was durch folgende Inschrift bezeugt ist: M[am]mia P(ubli) f(ilia) sacerdos public(a) geni[o Augusti s]olo et pec[unia sua] Mammia, Tochter des Publius, städtische Priesterin, [ließ] dem Genius des Augustus auf eigenem Grund und mit eigenem Geld [einen Tempel] errichten.22
Wiederum wird das Engagement für eine öffentliche Leistung, hier den Bau eines Tempels, unter Einsatz des eigenen Vermögens in Form von Grund und Geld (solo et pecunia sua) kundgetan. Aus Dankbarkeit für diese und möglicherweise weitere Wohltaten zugunsten der Stadt stellten die Dekurionen der Priesterin den Platz für ihre Grabstätte zur Verfügung, wie die Grabinschrift selbst bezeugt.23 Dadurch erreichte sie, mittels eines möglichst gut sichtbaren Grabmals, über ihr Ableben hinaus im Gedächtnis der Pompejanerinnen und Pompejaner zu bleiben. Es war üblich, dass die Stadt je nach Ansehen der zu ehrenden Person die Kosten für Grundstück, Grabmahl und Bestattung übernahm. Dies geschah in abgestufter Form, es konnte auch nur das Grundstück gestellt werden.24 Ehrenmonumente wie etwa Statuen für verdiente Wohltäterinnen und Wohltäter wurden aber nicht selten auch von den Familien selbst finanziert: Seit der späteren hellenistischen Zeit war es gängig, dass Kinder die öffentlichen Abbilder ihrer Eltern bezahlten oder Geschwister dies untereinander taten. Als Grund für dieses private Engagement wurden gelegentlich die klammen öffentlichen Kassen angegeben.25 Zur inschriftli20 21 22 23 24 25
Vgl. P. Veyne, Brot 196. IKyz 400,2–5; römische Zeit. CIL X 816. Vgl. CIL X 998. Vgl. J. Berry, Pompeii 94. Vgl. J. Ma, Statues 237; 246 f, der zwischen dem Aufstieg superreicher Euergeten und den schlecht gefüllten Kassen der Städte einen Zusammenhang vermutet. Veyne bemerkt dazu: „Ein Euerget, der den guten Ton zu wahren wußte, entlastete die öffentlichen Finanzen, indem er für die Kosten seiner eigenen Statue selbst aufkam“ (ders., Brot 244).
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Die Habgier des Kornbauern und lukanische Alternativen
chen Veröffentlichung des monetären Einspringens gebrauchten die privaten Spender die hier diskutierte Wendung oder Varianten mit gleicher Aussage.26 Griechische und lateinische Formel entsprechen einander, wie eine Bilingue aus Amasra an der südlichen Schwarzmeerküste in Kleinasien aus der Mitte des 1. Jh. n. Chr. zeigt: Darauf wird ein C. Iulius Aquila dafür geehrt, dass er auf eigene Kosten einen Weg hat bauen lassen. Aufschlussreich daran ist, dass die standardisierte und daher abgekürzte lateinische Formel d(e) s(ua) p(ecunia) f(ecit) auf dem griechischen Teil mit 1j t_m Qd_ym 1po_gsem wiedergegeben wird.27 D. h., die griechische Version war eine Variante der inschriftlichen Standard-Abkürzung d. s. p. (f.), mit der das finanzielle Engagement einer öffentlichen Gönnerpersönlichkeit gewürdigt wurde – von dieser selbst oder seitens der begünstigten Stadt.28 Eine feine aber nicht unwichtige Einschränkung ist zu machen: Die rp\qwomta sind im Gegensatz zu pecunia nicht als Geld, sondern allgemeiner als Besitz zu verstehen, sonst könnten sie ja nicht verkauft werden (vgl. Lk 12,33). Zwischenfazit: Die Wendung 1j t_m rpaqwºmtym + Personalpronomen in dritter Person (Singular) im Dativ bzw. Possessivpronomen wird im lukanischen Doppelwerk mehrfach gebraucht, und zwar im Kontext einer Gabe aus Privatbesitz, die einem Kollektiv (Jünger, Arme, Gemeinde) zugutekommt. Variationen dieser Wendung werden in der paganen Literatur häufig mit dem Bereich öffentlicher Wohltätigkeit verknüpft, v. a. wenn formelhaft auf den Einsatz persönlicher Mittel zugunsten einer städtischen Öffentlichkeit hingewiesen wird. Damit zeigt sich eine semantische Nähe zum Gebrauch im lukanischen Doppelwerk, die wahrscheinlich macht, dass die Sphäre öffentlicher Wohltätigkeit auch im Hintergrund von Lk 12,13–21 steht. Diese Hypothese soll durch die Analyse der Agath in der Parabel vom reichen Kornbauern gestützt werden. 26 Eine nach P. Veyne „in zahllosen Inschriften“ wiederkehrende Variante des o.g. griechischen Ausdrucks ist 1n Qd_ym dapamgl\tym (P. Veyne, Brot 251), verbreitet war auch 1j t_m Qd_ym (J. Ma, Statues 237). Schon die öffentliche Ankündigung der Kostenübernahme (1paccek_a oder rp|swgsir bzw. pollicitatio (siehe Kap. 8.3.3) war ein öffentlichkeitswirksamer Akt: Im zweiten Jh. v. Chr. erklärte ein Dexiochos vor der Volksversammlung von Paros, er danke dieser für die Ehrung seines Vaters und bezahle die dafür vorgesehenen Portraits selbst (vgl. J. Ma, Statues 237; IG XII 5,1,129). Der mutmaßliche Beifall für diese Geste ist schon Teil des euergetischen Austausches. 27 CIL III 6983. 28 Die lateinische Formel ist vielfach bezeugt, z. B. auf kaiserzeitlichen Weihinschriften wie jener zur Ehrung von Stiftern eines Amphitheaters in Lugdunum zur Zeit des Tiberius (vgl. AE 1959,81). Auch der steinerne Neubau eines ursprünglich hölzernen Theaters in der gleichen Provinz zur Zeit des Kaisers Claudius wird unter Verwendung von d. s. p. gewürdigt (vgl. CIL XIII 1642), ebenso wie die Errichtung eines Tempels für Neptun und Minerva in der Britannia durch ein collegium fabrorum Mitte des 1. Jh. n. Chr. (vgl. CIL VII 11). In Pompeji ist die Wendung etliche Male inschriftlich dokumentiert: für den Bau einer Sonnenuhr (vgl. CIL X 802), für die Stiftung einer Inschrifttafel (vgl. CIL X 796), für einen Tempel der Fortuna Augusta (vgl. CIL X 820) usf. Betreffs des Baus eines öffentlichen Gebäudes spricht Plinius von mea pecunia (Plin. d.J., Ep III 4,2).
Agath als Wohltaten
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8.3 Agath als Wohltaten Im Selbstgespräch des reichen Kornbauern stellt dieser sich die Frage, wie er angesichts einer unerwartet reichen Ernte verfahren soll (vgl. V. 17 f). Dieser Teil ist parallel aufgebaut, der Teil mit der Bezeichnung der Früchte ist kursiv hervorgehoben: 17
t¸ poi¶sy, fti oqj 5wy poO sum²ny to»r jaqpo¼r lou. 18 ja· eWpem· toOto poi¶sy, jahek_ lou t±r !poh¶jar ja· le¸fomar oQjodol¶sy ja· sum²ny 1je? p²mta t¹m s?tom ja· t± !cah² lou…
Es fällt auf, dass drei unterschiedliche Bezeichnungen dafür benutzt werden, was zusammengebracht werden soll: (Feld-)Früchte (jaqpo_) Getreide (s?tor) und eben !cah\, wobei die beiden letzteren durch ja_ verbunden werden. Was ist es also genau, das in die neu zu bauenden Scheunen eingebracht werden soll? Zunächst die jaqpo_, zu denen Charles Hedrick notiert, indem er sich auf Xenophon und Columella beruft: „The ‘crops’ that produced so abundantly could be either ‘dry’, such as grain, hay and/or fodder, or ‘moist’, such as grapes and olives.“29 Entweder ist bei den Feldfrüchten also an Erträge sowohl trockener als auch feuchter Art gedacht, und in der parallel gestalteten Antwort wird das Getreide daraus hervorgehoben. Oder es sind nur die trockenen im Blick, und das in V. 18e genannte Getreide beschreibt die vorangehend genannten Feldfrüchte präziser. Einen Hinweis gibt die Beschaffenheit der Lagerstätten: Hedrick führt an, dass der in der Parabel verwendete Begriff der !poh^jg (V. 18c) zwar an sich keine spezifische Art von Speicher bezeichne, in den synoptischen Evangelien aber nahezu ausschließlich im Sinne einer Kornkammer vorkomme.30 Demnach sieht sich der reiche Mann der Parabel wahrscheinlich einer Getreideernte gegenüber. Die Agath würden dann keine demgegenüber verschiedene Kategorie landwirtschaftlicher Erträge bezeichnen, sondern einen anderen Blickwinkel auf diese bieten: Die Absichtserklärung, p²mta t¹m s?tom ja· t± !cah² lou zusammenzubringen, zielt auf das gesamte Getreide, verstanden als die Agath des Kornbauern. Es sind also keine anderen Feldfrüchte als das Getreide gemeint, dessen Gesamtheit hier durch ein ja_-epexegeticum als Agath apostrophiert wird.31 29 C.W. Hedrick, Parables 155; vgl. auch Xenoph., Oec V 20 und Colum., Res Rust I 6,9. 30 Vgl. C.W. Hedrick, Parables 156, mit Verweis auf Mt 3,12 par Lk 3,17; Mt 6,26 par Lk 12,24 sowie Mt 13,30. 31 Ebenso sind die Agath in Jer 38,12 als trockene, feuchte Früchte und Nutztiere aufzufassen: „Und sie werden zu den Gütern des Herrn, zum Land von Korn und Wein und Früchten und Großvieh und Schafen kommen“ (ja· Fnousim 1pû !cah± juq¸ou, 1p· c/m s¸tou ja· oUmou ja· jaqp_m ja· jtgm_m ja· pqob²tym; Jer 38,12).
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Die Habgier des Kornbauern und lukanische Alternativen
Was ist hier unter Agath zu verstehen? Der Begriff ist vielschichtig, Hock verknüpft ihn thematisch mit der vom Kornbauern im Selbstgespräch angeredeten xuw^ (V. 19b). Dabei rekurriert er auf eine, wie er behauptet, unter griechisch-römischen Intellektuellen weithin bekannte begriffliche Dreiteilung: Die zum menschlichen Glück beitragenden Agath sind unterteilt „into those of the soul (xuw^), the body (s_la), and externals (t± 1jt|r)“32. Die zuerst genannten seelischen Güter umfassen Tugenden wie Gerechtigkeit, Weisheit, Mut und Selbstkontrolle, unter die zuletzt genannten äußerlichen Güter sind Freunde, Reichtum des eigenen Landes und der eigenen Person zu subsumieren. Kurz gefasst sieht Hock die Torheit des reichen Mannes in der Parabel (vgl. Lk 12,20b) darin begründet, dass er die äußeren Güter für solche der Seele hält, dass er m.a.W. eitle Äußerlichkeiten mit inneren Werten verwechselt. Hocks Fazit: By foolishly thinking that the goods for his body were the goods for his soul, the rich man thereby neglected his soul which thus became impoverished, impoverished in the sense of lacking in virtue – self-control certainly, given his hedonistic lifestyle, but also perhaps in justice, wisdom and courage. He has thus fallen victim of the vice of greed (pkeomen_a) about which Jesus warned in the moralizing pqol}hiom (v. 15).33
Gegenüber dieser philosophischen Erklärung soll noch eine handfestere Bedeutung der Agath für die Parabel plausibel gemacht werden. Gedacht ist dort nämlich m. E. an konkrete öffentliche Wohltaten, also Leistungen eines Euergeten zugunsten einer städtischen Bürgerschaft. Derrett, der in dem Ausdruck einen Hinweis auf die Verankerung der Geschichte in hebräischem oder aramäischem Wurzelgrund sieht, ist bzgl. des Agath n der Ansicht, „Greek was barely capable of using it to mean ‘benefit’“34. Anderer Meinung ist offenbar Gerhard Delling, wenn er vom Augustus-Enkomion in Philos Legatio ad Gaium spricht: Dem verblichenen Herrscher wird lobend nachgesagt, er habe nichts Gutes oder Nützliches in seinem Leben zurückgehalten (lgd³m !pojqux\lemor !cah¹m C jak|m; Philo, Leg Gai 147 f). „Das erinnert an die Kennzeichnung des Herrschers als des Gebers der !cah² […], die „gelegentlich parallel mit w\qiter gebraucht werden“35. Damit wiederum sind Wohltaten gemeint. Zur Untermauerung werden u. a. zwei Papyri aus Oxyrhynchos angeführt: Das eine kündigt den Herrschaftsantritt Neros an und nennt diesen neben anderem den „Ursprung aller Wohltaten“ (!qwµ […] p\mtym !cah_m)36, das andere, aus dem 3. Jh. n. Chr., spricht ebenfalls von einem Herrscher, der als !cah_m dot^q apostrophiert wird.37 Diogenes Laertius stellt klar: „Agath n meint im Allgemeinen das, was einen Nutzen bringt“ 32 33 34 35 36 37
R.F. Hock, Parable 190. R.F. Hock, Parable 195. J.D.M. Derrett, Midrash 107. G. Delling, Enkomion 185 f; siehe Kap. 7.1.2. P. Oxy VII 1021,10. P. Oxy XXII 2332,66.
Agath als Wohltaten
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(!cah¹m d³ joim_r l³m t¹ t· evekor; VII 94).38 Zur Stützung dieser Ansicht werden nachfolgend die Verwendung bei Flavius Josephus, Dion von Prusa sowie einige epigraphische Zeugnisse untersucht, um den Begriff des !cah|m im Kontext antiken Wohltätigkeitsdenkens zu profilieren. 8.3.1 Vokabular des Austausches von Agath Dass Agath vielfach in reziprozitätsbezogener Weise aufgefasst werden, ergibt sich zunächst aus der sie begleitenden Terminologie des Austausches von Wohltaten. Das Bemühen um eine Wohltat wird mit spoud\fy (Dio Chrys., Or XIII 31), f/kor und spoud^ (Dio Chrys., Or XXXIV 48) ausgedrückt. Bei Angabe der Verfügungsgewalt steht jqat]y (Dio Chrys., Or XXXII 15). Für die Gewährung wird verwendet: poi]y (Jos., Ant XIV 152; Dio Chrys., Or XXXI 125; XLIV 8; IG XII 6,1,18), d_dyli (jt/sim !cah_m; Jos., Ant II 73; Dio Chrys., Or VII 42; 97; LXIV 7; LXV 13) und letad_dyli (Jos., Ant II 80; IV 237), !ni|y (Ant II 80), dyq]olai (Ant II 195), paq]wy (Ant III 300; VI 341; TAM II 791) sowie diam]ly (Dio Chrys., Or XXXII 15), des Weiteren pqost_hgli (Or IV 129), 1pitq]py (Or XII 11), waq_folai (Or XII 77), pq\ssy (TAM II 791), !p|jeilai (Dio Chrys., Or LXV 10). Der Geber wird als dot^q (Or XII 74) oder tal_ar (Or XXXII 26, eine Art Verwalter) bezeichnet. Eine Besonderheit ist das Zusichern oder Versprechen von Wohltaten, das mit rpiswm]olai (Or IV 114), 1pivgl_fy und rp]wy (Or IV 129) wiedergegeben wird. Um auszudrücken, dass ein Agath n dem Empfänger verweigert oder missgönnt wird, wird vhom]y (Or VI 26; XII 11; XXIX 7) oder !vaiq]y (Or XII 11; LXV 13) benutzt. Bei Empfang und Nutznießung ist die Rede von d]wolai (Dio Chrys., Or XXXII 15;39) oder 1jd]wolai (Jos., Ant I 281), an einer Wohltat zu partizipieren wird durch let]wy (Ant II 48, Dio Chrys., Or XXXIV 30, hier die Stadt als von Euergeten Begünstigte), kalb\my (Or LXV 5) oder letakalb\my (Jos., Ant IV 235) ausgedrückt. )poka}y (Jos., Bell VI 636; Ant II 48; Dio Chrys., Or XXX 29; LXXIII 3) und wq\y (Jos., Ant II 88; Dio Chrys., Or XVII 12; LXV 5) betonen den Genuss, die Vergeltung wird von Josephus mit !le_by (Ant II 195; VI 341; XVIII 221) und !mtidyq]y (Ant VIII 175) beschrieben, wobei die sehr direkte Wortwahl in dieser Hinsicht stärker aufzutragen scheint, als das bei seinen paganen Zeitgenossen der Fall ist. 8.3.2 Flavius Josephus Die Lektüre der Werke des Flavius Josephus wirft u. a. die Frage auf, weshalb, wenn von der Beziehung zwischen Gott und seinem Volk Israel die Rede ist, 38 Vgl. M.B. Roller, Autocracy 67. 39 Siehe inschriftlich unter Kap. 8.3.4.
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Die Habgier des Kornbauern und lukanische Alternativen
kaum die Kategorie des Bundes bemüht wird. Paul Spilsbury geht gar von einer systematischen Vermeidung der Bundestheologie bei Josephus aus und deutet diese so: Josephus has retained the basic meaning of the covenant (i. e. a special contractual relationship between God and Israel), but has replaced covenant language with terminology drawn from the patron-client model of social relations in the ancient Mediterranean world.40
Er prüft diese These an zahlreichen Beispielen v. a. in den Antiquitates Judaicae und stellt dabei heraus, dass v. a. das Gesetz als Wohltat Gottes zugunsten seines Volkes präsentiert wird. Nach der von den Zeitgenossen des Autors internalisierten Vergeltungslogik ist das Volk, in der Rolle des Klienten seines göttlichen Patrons, diesem gegenüber zu Dank für die erhaltenen Euergesien verpflichtet (1uwaqist_a; Ant IV 212).41 Diese dankbare Haltung sichert ihm ein glückseliges Leben – ein segensreicher Kreislauf: „Piety evokes God’s blessings which in turn evoke gratitude from the people. Gratitude ensures God’s continued favour on a people who continue to live by the law.“42 Doch nicht nur die Beziehung zwischen Gott und Israel wird gemäß hellenistisch geprägten Reziprozitätsvorstellungen beschrieben, auch das zwischenmenschliche Handeln, wie es in den Nacherzählungen jüdischer Geschichte v. a. der Antiquitates geschildert wird, ist vielfach davon durchdrungen. In diesem Zusammenhang begegnen auch häufig die Agath , wie nachfolgend mit Blick v. a. auf die Antiquitates herausgestellt werden soll. Im Vorwort erklärt Josephus, er sei das Werk angegangen, „weil ich allen Griechen damit etwas Bedeutendes bieten zu können glaubte” (Ant I 5). Seinem angezielten griechisch-römischen Hörerkreis43 erläutert er daraufhin im Sprachspiel des reziproken Austauschs, nach welchen Wirkzusammenhängen die von ihm nacherzählte Geschichte, ja Geschichte überhaupt funktioniert: Denen, die Gottes Willen befolgen und seine Gesetze nicht übertreten, winkt als c]qar, was die Bedeutung einer Ehrengabe oder eines Ehrenamts, jedenfalls einer besonderen Würde trägt, die von Gott her kommende Glückseligkeit. Den anderen aber schlägt, was für ein Agath n auch immer sie zu vollbringen versuchen, dieses zu heilloser Verwirrung aus (vgl. Ant I 14).44 Dass er Agath n, meist im Plural, häufig im Sinne von beneficium verwendet, lässt sich an zahlreichen Beispielen aufweisen. Der Begriff fungiert als Synonym für eqeq-
40 41 42 43
P. Spilsbury, God 173 f. Vgl. P. Spilsbury, God 183. P. Spilsbury, God 191. S. Mason ist bzgl. der Frage nach den Adressaten der Antiquitates sowie der Vita der Ansicht: „Josephus’ aim in Antiquities/Life is to provide a handbook of Judean law, history and culture for a Gentile audience in Rome that is keenly interested in Jewish matters“ (ders., Any 101). 44 Zum antiken Diskurs über die Herkunft von Gut und Böse siehe unten, Kap. 8.3.3.
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ces_a (vgl. Bell I 632, Ant VI 293; 341).45 Agath begegnen bei Josephus sowohl als menschliche wie göttliche. Von Gott kommen laut Moses insbesondere zwei Wohltaten seinem Volk zu, nämlich die Freiheit und der Besitz des Landes (vgl. Ant III 300). Profan als materielle Überschüsse fasst Josephus sie auf, wenn er von den Wirtschaftsgütern der Gallier (vgl. Bell II 372) oder der Stadt Alexandria (t± peqisse}omta t_m 1piwyq_ym !cah_m; IV 615) spricht, die im ganzen Römischen Reich gehandelt werden. Kritisch reflektiert wird das Reziprozitätssystem in einem weisheitlich grundierten Sinnspruch, welcher der Episode des Besuchs Sauls bei einer Wahrsagerin angefügt ist: v}sei t_m !mhq~pym C pq¹r to»r !cah|m ti paqeswgl]mour vikotiloul]mym, C paqû ¨m #m d}mymtai kabe?m evekor to}tour pqoheqapeu|mtym Es entspricht der Natur der Menschen, dass sie entweder denen ein Agath n erweisen, die sie lieben, oder denen, von denen sie nach Kräften im Vorfeld einen Vorteil erlangt haben (Ant VI 341).46
Nachstehend sollen drei Passagen ins Auge gefasst werden, bei denen (1) Gott als Geber von Wohltaten ins Spiel kommt, (2) die Sozialpflichtigkeit von ErnteÜberbleibseln und (3) der Umgang mit Getreideüberschüssen thematisiert werden. Unter Verwendung des Agathon-Begriffs wird in jedem der drei Bereiche an gesellschaftlich verankerte Reziprozitätsvorstellungen angeknüpft.
8.3.2.1 Gott als Spender von Wohltaten Die Präsentation Gottes als Spender (dot^q) von Wohltaten findet sich u. a. bei der Segnung Jakobs durch Isaak (vgl. I 272 f). Dass Gott dabei auch die Rolle eines Patrons annehmen kann, wird in der Schilderung des Traums von der Himmelsleiter (vgl. Ant I 278–284) deutlich. Dort spricht er zu Jakob: Y\jybe, patq¹r emta se !cahoO ja· p\ppou d|nam !qet/r lec\kgr erqal]mou j\lmeim 1p· to?r paqoOsim oq pqos/jem, !kkû 1kp_feim t± jqe_ttoma: ja· c±q %vhomor 1jd]neta_ se lec\kym !cah_m paqous_a pq¹r t¹ p÷m jat± tµm 1lµm 1pijouq_am. Jakob, da du einen so guten Vater hast, und dein Großvater hervorragend in der Tugend war, sollst du dich um das Gegenwärtige nicht bekümmern, sondern Besseres 45 Die direkte Übersetzung von eqeqces_a wiederum als beneficium belegt P. Veyne mit Verweis auf eine zweisprachige Inschrift von Delos (vgl. ders., Brot 525). 46 Eigene Übersetzung. Im Kommentar zur Stelle von Mason u. a. heißt es: „This appended maxim about how humans generally operate highlights the extraordinary character of the woman’s benefactions to Saul, who had previously done nothing for her and from whom she knew she had nothing to gain in the future“ (S. Mason/L.H. Feldman/C. Begg (Hg.), Josephus 4 194). Auch angesichts dieses Sinnspruchs ist Barclays Ansicht zu widersprechen, die Antike habe eine reine Gabe, verstanden als eine, die ohne Hoffnung auf Vergeltung erfolgt, nicht gekannt (vgl. ders., Paul 64).
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erhoffen. Denn unter meinem Schutz wird dir die Fülle der Wohltaten zuteilwerden (Ant I 280 f).
Gott bietet Jakob Aufnahme in seinen Schutz an. Die griechische 1pijouq_a lässt möglicherweise an die lateinische fides denken, in fide aber befand sich ein cliens gegenüber seinem patronus.47 Gemeint ist das Treueverhältnis zwischen ihnen, das mit beiderseitigen Rechten und Pflichten einherging.48 Zu beachten ist hier die lobende Erwähnung von Vater und Großvater, von deren Tugend auf diejenige des Sohnes extrapoliert wird. Die Betonung einer edlen Herkunft aber findet sich auch in Empfehlungsschreiben einflussreicher Persönlichkeiten zugunsten ihrer Proteg s, wie z. B. im Brief des jüngeren Plinius an den mit ihm bekannten consul suffectus Priscus (vgl. Ep II 13). Plinius stellt ihm seinen Studienfreund Voconius Romanus als ausgezeichneten Mann vor, und zwar indem er zuerst darauf hinweist, dass dessen Vater „ein sehr angesehener Mann im Ritterstand [war], noch angesehener sein Stiefvater“ (Ep II 13,4). Auch die Herkunft der Mutter aus besten Verhältnissen bleibt dabei nicht unerwähnt, bevor dann die vielen vorteilhaften Eigenschaften des Beworbenen selbst aufgelistet werden. Schließlich bittet Plinius den adressierten Konsul, seinen Freund Voconius „nach Deinem Talent und Vermögen zu fördern“ und „ihn zu Deinem Freund“ zu machen (Ep II 13,10).49 Die ethischen Qualitäten der Vorfahren aufzulisten, war auch in Ehreninschriften üblich: Streben nach Ruhm und Ehre (vikotil_a, vikodon_a), Respektabilität und Tüchtigkeit (jakojacah_a), Wohlwollen für das Volk (eumoia pq¹r t¹m d/lom), richtige Einstellung (aVqesir) wurden den Ahnen breit attestiert.50 Doch dass ein Bürger mit den Motiven und der Art seines politischen Engagements in der Tradition seiner Familie stand, konnte man auch kürzer formulieren und sagen, der Betreffende wäre ein leistungsfähiger (!cah|r) oder ein ehrenwerter und tüchtiger
47 Als terminus technicus scheint sich 1pijouq_a jedoch nicht erweisen zu lassen, das direkte Äquivalent zu fides ist p_stir (vgl. E.S. Gruen, Greek “Pistis” and Roman Fides, in: Athenaeum 60 (1982) 50–68; T. Morgan, Faith 60–76). 48 Vgl. A.W. Lintott, Art. Cliens, clientes, DNP 3, 1997, 32 f. 49 Zum Verweis auf die Herkunft als Charaktermerkmal vgl. u. a. noch Plin. d.J., Ep VII 23,3. Auch Dion von Prusa bedient sich dieses Rückgriffs auf seinen eigenen Vater und Großvater, um sich die ihm zürnenden Bürger seiner Vaterstadt gewogen zu machen, denn „selbst wenn ich vollkommen schlecht sein sollte, habe ich um meiner Vorfahren willen eine gewisse Beachtung verdient“ (Dio Chrys., Or XLVI 4). Seneca rechtfertigt diese Auffassung wie folgt: „Das schulden wir den Manifestationen der sittlichen Vollkommenheit, sie nicht nur, wenn sie gegenwärtig, sondern auch, wenn sie aus dem Gesichtskreis entfernt sind, zu verehren; wie sie es bewirkt haben, nicht einer Generation allein zu nützen, sondern ihre Wohltaten auch über sie hinaus dauern zu lassen, so wollen wir nicht in einer Generation allein dankbar sein. […] Wie dunkle Örtlichkeiten durch den Widerschein der Sonne erhellt werden, so mögen Untüchtige im Lichte ihrer Vorfahren erstrahlen“ (Sen., Ben IV 30,3 f). 50 F. Quass, Honoratiorenschicht 46.
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Mann (jak¹r ja· !cah|r), ein Wohltäter (eqeqc]tgr), ein Patriot (vik|patqir), voll Ehrgeiz (vik|tilor) usw., und setzte dann hinzu di± oder 1j bzw. !p¹ pqoc|mym51.
Die Argumentationsfigur, die den guten Charakter eines Anwärters auf Schutz oder wohltätige Zuwendung aus dem Ansehen seiner Eltern und Vorfahren zu erweisen sucht, gehört demnach zum Inventar reziprokaler Kommunikation, näherhin der nach den Stegemann-Brüdern sog. ,generellen Reziprozität‘.52 In seiner Darstellung der Vision von der Himmelsleiter bedient sich Josephus dieses Inventars, um im Sinne seiner einleitend geäußerten Absicht griechische Ohren für jüdische Geschichte zu öffnen. Dabei scheint er Agath als die beneficia zu verstehen, die ein Klient in fide seines Patrons genießt. Die dabei zu leistende Vermittlung fußt auf der Unterscheidung zwischen patronalen Gütern erster und zweiter Ordnung: Zu ersteren gehören Land, Geld, Verfügungsgewalt über Ämter etc., zu letzteren strategische Kontakte zu Leuten, die Zugang zu diesen Gütern erster Ordnung haben.53 Josephus war früh mit den Mechanismen dieser Art brokerage vertraut und wusste um das Potential damit in Rom zu bekommen, was man wollte.54
8.3.2.2 Agath als abgabepflichtige Überschüsse bei Josephus und Philo Aufgefasst als abgabepflichtiges Surplus werden die Agath bei der Regelung des Essens der Trauben während der Weinlese durch Mose, wie Josephus sie darstellt (vgl. Ant IV 231–239). Entsprechend biblischen Anweisungen fordert Josephus, beim Einbringen der Ernte „Garben für die Armen liegen zu lassen“ (Ant IV 231).55 Von Wein und Öl soll etwas an den Reben resp. Bäumen hängen gelassen werden, da, so die Begründung, die Armen selbst nichts besitzen (1n Qd_ym oqj 5wousi). Außerdem fiele der Dank (w\qir) der Armen größer aus als der mögliche Nutzen, den ein gründliches Abernten auch der letzten Früchte bringen könnte (Ant IV 231 f). Vokabular und Gedankengang spielen sich wiederum im Rahmen der Reziprozitätssemantik ab. Mit 1n Qd_ym könnten 51 F. Quass, Honoratiorenschicht 47. „Aristokratisch ist die Vorstellung, daß die ethischen Qualitäten, wie die Kalokagathie, die Philotimie usw., wie ein Erbgut von den Vätern auf die Söhne übergingen. Signifikant ist auch die hier deutlich hervortretende Auffassung, daß die Vorfahren, ihre Leistungen und ihr Ansehen für jeden Angehörigen einer prominenten Familie den Stellenwert von Vorbildern besaßen, denen sie nacheifern sollten“ (F. Quass, Honoratiorenschicht 48). 52 Siehe Kap. 1.2. 53 Vgl. R.P. Saller, Patronage 74 f. 54 Vgl. W. Spilsbury, God 179. Worin die wohltätige Zuwendung Gottes gegenüber Jakob liegt, ist weniger deutlich ausgesprochen als in der Bibel: „In contrast to the Bible (Gen 28:13), in which God promises to give to Jacob and to his descendants the land on which he lies, Josephus here makes the promise more vague by referring not to the land but to a ‘destiny’ [lo?qa; § 281; M.A.] and by saying nothing about the gift to his descendants“ (S. Mason/L.H. Feldman/C. Begg (Hg.), Josephus 3 110). 55 Vgl. Lev 19,9 f; 23,22; Dtn 24,20 f.
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Assoziationen an oben besprochene Formeln, die das finanzielle Engagement einer Privatperson bezeichnen, aufgerufen werden. Dafür spricht auch die Erwähnung des Öls, das gegenüber der Septuaginta-Vorlage hervorgehoben wird, wo es lediglich im Kompositum 1kaiakoc]y (Dtn 24,19) versteckt vorkommt. Mit den gymnasia, kostenlosen Verteilungen von Öl für öffentliche Bäder, gibt es nämlich eine mögliche Referenz in der euergetischen Praxis: Zur Kaiserzeit übernahmen Gymnasiarchen die Heizung eines gymnasion, das u. a. ein öffentliches Bad bezeichnen konnte,56 sowie die Bereitstellung des dazu nötigen Öls. In einer Zeit, in der die städtische Badekultur verbreitet und beliebt war, waren es wohl auch die gutsituierten Privatpersonen, die auf eigene Rechnung die Unterhaltung der entsprechenden Anlagen übernahmen. „Manche Gymnasiarchen bekleideten ihr Amt für einen Zeitraum von zehn Tagen, d. h. sie waren bereit, zehn Tage lang die Heizung des Bades und die Lieferung von Öl zu bezahlen.“57 Möglicherweise rekurriert Josephus an dieser Stelle auf die Institution verdienstlicher gymnasia zugunsten einer – keineswegs als bedürftig anzusehenden – Öffentlichkeit, um damit sein eigenes Anliegen, hier die Armenfürsorge, zu propagieren, wobei er als Lohn die w\qir der Bedürftigen in Aussicht stellt. Gestützt wird diese Überlegung auch dadurch, dass sich die weiteren Ausführungen des Josephus nur noch auf die Weinlese beziehen, das Öl aber nicht wieder aufgegriffen wird, es demnach also bewusst nur an dieser einen Stelle platziert scheint. Überdies spricht die nachfolgende Einpassung des Agath n-Begriffs für eine reziprozitätsbezogene Interpretation. Josephus fährt fort mit der Aufforderung, Fremden und Einheimischen zu gestatten, von den übrig gebliebenen Früchten zu nehmen (vgl. Ant IV 234), mit der Begründung: %dijom c±q !cah_m, $ jat± bo}kgsim heoO paq/khem eQr t¹m b_om, vhome?m to?r 1pihuloOsim aqt_m letakalb\meim. Denn es ist unrecht, die Agath , die nach dem Wunsch Gottes für den Lebensunterhalt bereitgestellt sind, denjenigen vorzuenthalten, die an ihnen Anteil haben wollen (Ant IV 235).
Die hier gemeinten Güter stammen von ihrem göttlichen Schöpfer, nach dessen Willen sie dem Lebensunterhalt aller Menschen zugutekommen sollen. Daher ist auch nicht als verloren anzusehen, was aus Güte anderen Menschen überlassen wird. Vielmehr begründet die Herkunft der Gaben von Gott her, dass sie reichlich weiterzugeben sind (letadid|mai vikot_lyr; Ant IV 237), 56 Vgl. P. Veyne, Brot 267. Martin Ebner fasst die Romanisierung des Gymnasions, das ursprünglich in der Polis als Sport- und Bildungsstätte beheimatet war, so zusammen: „Verkürzt gesagt ist aus der Institution Gymnasion eine Bildungsanstalt geworden, in der Philosophen, Rhetoren und Historiker ihre Vorträge halten und die jungen Leute unterrichten. Die Gebäude des Gymnasions werden als Freizeitpark genutzt und zu Thermen umgebaut“ (ders., Stadt 80). 57 P. Veyne, Brot 267.
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wobei die anklingende vikotil_a ein gesellschaftlich anerkanntes Movens zu euergetischem Handeln darstellte.58 Dabei ist durchaus Ehrgeiz im Spiel, der sich in einer Überbietung des Konkurrenten um die großartigste Gabe äußert. Mit Reminiszenzen an den ethischen Agon, wie Seneca ihn in De Beneficiis darlegt,59 ist auch hier das agonale Element umgebogen zu Wohlwollen und Freigebigkeit (eumoia ja· woqgc_a; Ant IV 237), für die Gott besonders das israelitische Volk prädestiniert sieht. In ähnlicher Weise argumentiert auch Philo für das mosaische Verbot der Nachlese. Den Besitzlosen wird so nach dem Willen des Gesetzgebers Anteil am Eigentum der Besitzenden gegeben, außerdem „fordert er die Hochherzigkeit und Freigebigkeit der Wohlhabenden durch das Gebot, etwas von ihrem Eigentum hinzugeben und nicht alles gierig einzusammeln und nach Hause zu schaffen, um es aufzuspeichern“ (hgsauqovukaj^somtar; Virt 90). Demgegenüber bescheinigt Philo denjenigen, die auf ihren Feldern, in ihren Weinbergen und Olivenhainen Nachlese halten, dass sie von „schmutziger Gesinnung [sind], am Gelde hängen und auf jede Art von Gewinn […] ängstlich bedacht sind, ohne viel zu überlegen, woher er kommen mag“ (Virt 92). Für ihn ist ein derartiges Verhalten eine Sünde gegen Gott, da es in erster Linie diesem bzw. der Natur zu verdanken sei, dass den Landbesitzern ihre Früchte gedeihen. Aber: Obwohl sie dies wissen und immerfort sehen, wie die Natur ihr Werk vollendet und mit reichen Gaben sie beschenkt (pkous_air w\qisi dyqoul]mgm), erdreisten sie sich doch deren Wohltaten (eqeqces_ar) nur für sich in Anspruch zu nehmen und gewähren keinem einen Anteil daran, als wenn sie selbst die Urheber aller Früchte wären, und bekunden damit ihren Menschenhass und zugleich ihre Gottlosigkeit (Virt 94).
Auch Philo setzt demnach eine Maxime voraus, dergemäß Eigentum zur Weitergabe verpflichtet, weil es von Gott kommt. Die Begünstigungen der Natur bezeichnet er dabei als eqeqces_ai, was noch deutlicher in den Bereich kollektiver Gabenverteilungen im städtischen Rahmen weist als !cah\. Der Gedanke des Göttlich-Geschuldeten wird im selben Traktat an späterer Stelle noch einmal grundsätzlich ausgeführt, wenn Philo vom Reichen und Angesehenen im Allgemeinen sagt, „dass er als Geschenk von Gott seine Kraft und Stärke von Gott empfangen hat“ (Virt 165). Das soll sich dieser vor Augen führen und im Sinne einer imitatio dei von seinen Gaben an seine Mitmenschen, besonders die bedürftigen, weitergeben. Der Weise in der Version Philos vertritt die „völlig angemessene Lehre, Gott soviel wie möglich nachzuahmen“ (lile?shai he|m; Virt 168). Der Rat des Weisen lautet, „du wirst Gott nachahmen, wenn du ähnliche Wohltaten erweisest“ (waq_feshai; Virt 169). 58 Vgl. z. B. Dio Chrys., Or XXXI 20 und P. Veyne, Brot 219, zu vikotil_a als Agath n vgl. Dio Chrys., Or XXIX 21. 59 Vgl. Sen., Ben V 5,3; siehe Kap. 2.2.
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Vom obersten Herrscher werden ausgewählten Einzelpersonen Gaben (dyqea_) gewährt, damit sie diese gleichsam wie bei einem Volksbankett (¦speq 1m dglohoim_ô; 169) allen zugänglich machen: Wir sagen also dem Reichen, dem Angesehenen, dem Kräftigen, dem Kenntnisreichen, er solle reich, angesehen, kräftig, kenntnisreich und überhaupt gut machen die in seine Nähe Kommenden (pkous_our ja· 1md|nour eq]jtar te ja· 1pist^lomar ja· sum|kyr !caho»r !peqc\feshai to»r 1mtucw\momtar; Virt 170).
Die Vorzüge der Reichen und Starken haben sie sich nicht selbst, sondern Gott zuzuschreiben; rechtfertigen lassen sie sich nur, insofern die breite Masse der weniger Reichen und Angesehenen daran Teilhabe gewährt wird. Letztlich werden mit dem Motiv der imitatio dei daher nicht zuletzt Herrschaft und Besitz legitimiert.60 Das bedeutet zusammengefasst: Josephus wie Philo bedienen sich einer allgemein verankerten Reziprozitätsauffassung, der an sich keine Sensibilität für Armut zueigen ist, um darin dann die Gruppe der Bedürftigen zu verankern. Zum einen wirbt Josephus dafür, deren w\qir in die Nutzenkalkulation einzubeziehen, die Aufwand und Ertrag eines gründlichen Einbringens der Ernte aufrechnet.61 Zum anderen bedient er sich des philosophischen Motivs des ethischen Agons, also des nicht-ruinösen Überbietungswettbewerbs in gegenseitigem Wohlwollen, an dem jeder – Herr wie Sklave, Reicher wie Armer – gefahrlos teilnehmen kann. Diese kritische Weiterentwicklung des Reziprozitätsdenkens fungiert als Anschlussstelle, an der die Gruppe der Bedürftigen ins Spiel gebracht werden kann. Der Gott Israels rückt dabei an die Stelle des obersten Wohltäters, der explizit die Benachteiligten und Schwachen in die Empfängerschaft seiner Agath miteinbezieht. Das gleiche Ethos steht im Hintergrund der Kornverteilungen in der Josephsgeschichte, wie Josephus sie erzählt:
8.3.2.3 Joseph als dot^q und syt^q Für die Beurteilung des Umgangs mit Getreideüberschüssen zeigt sich die Darstellung der Josephsgeschichte nach den Antiquitates aufschlussreich, in der anlässlich einer drohenden Getreideknappheit paradigmatisch das Handeln eines Retters vor Augen geführt wird (vgl. Ant II 84–94). Auch hier spielen Agath eine Rolle. Vom König darum gebeten, wie andere zuvor auch ihn der Gefälligkeit der Traumdeutung für würdig zu erachten (t_m aqt_m !cah_m, ¨m ja· to}t\ let]dyjar !n_ysom j!l]; II 80), entschlüsselt Joseph die Bilder als 60 Zur imitatio dei bei Seneca u. a. siehe Kap. 2.3. 61 Philo hingegen sieht in den mosaischen Geboten auch eine Habitualisierung der Einstellung, „nicht alles zum Gegenstande des Gewinns zu machen“ (Virt 5) und scheint weniger geneigt, das Motiv des individuellen Nutzenkalküls positiv aufzugreifen.
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Ankündigung einer kommenden Hungersnot, um sodann dem König zu raten (Ant II 86): s» to_mum talieus\lemor t!cah± t± jat± t¹m pq_tom wq|mom cemgs|lema poi^seir !mepa_shgtom AQcupt_oir tµm 1pekeusol]mgm sulvoq\m. Wenn du nun die in früherer Zeit entstandenen Güter aufgespeichert hast, wirst du erreichen, dass das kommende Unglück von den Ägyptern nicht wahrgenommen wird.62
Clementz übersetzt: „Wenn du daher den Ertrag der vorhergehenden Jahre aufspeicherst und weise verteilst…“, obwohl von einer Verteilung im griechischen Text keine Rede ist. Die Ergänzung rührt von der Interpretation der Agath als Gesamt der Erträge her, gemeint sind hier aber nur die Überschüsse, was sich schon sachlogisch als notwendig erweist – denn wovon sollten sich die Ägypter ernähren, wenn das ganze Getreide zurückgehalten würde? – und wie auch die Schilderung des weiteren Geschehens zeigt. Josephus rät bzgl. der aktuellen Erträge: rpet_heto ja· sumebo}keue veid½ t_m !cah_m, ja· lµ jat± peqious_am aqto?r wq/shai to?r AQcupt_oir 1pitq]peim, !kkû fsa #m jat± tquvµm !mak~sysim 1j peqissoO, taOta tgqe?m eQr t¹m t/r 1mde_ar jaiq|m, !pot_hesha_ te paq-mei kalb\momta t¹m s?tom paq± t_m ceyqc_m t± diaqj/ l|mom eQr diatqovµm woqgcoOmta. Er antwortete und riet zur Schonung der Agath sowie dazu, den Ägyptern nicht zu erlauben sich ihrer im Überfluss zu bedienen, sondern was auch immer sie vom Überschuss verbrauchen würden, aufzubewahren bis zum Zeitpunkt der Bedürftigkeit. Und er mahnte das Getreide wegzulegen, indem man es den Bauern wegnehme und nur das zum Lebensunterhalt Nötigste bereitstelle (Ant II 88).
Im ersten Teil der Strategie rät Joseph, den allgemein „Ägypter“ Genannten eine schwelgerische Konsumtion aus ihrem Überfluss (1j peqissoO) zu verbieten. Der zweite Teil lässt sich als Vorschlag zur konkreten Durchführung interpretieren, indem nämlich den Bauern das Getreide weggenommen und ihnen nur das Lebensnotwendige gelassen wird. Zurückgeschlossen auf den ersten Teil bedeutet das: Es sind die Bauern, von denen befürchtet wird, dass sie sich ihrer Erträge derart im Überfluss bedienen, dass es der Allgemeinheit in Zeiten der Not zum Schaden gereicht. Ihnen müssen im Sinne einer gerechten Umverteilung die andernfalls privatem Luxus zufließenden Güter entwunden und einer gemeinwohlorientierten Nutzung zugeführt werden. Im Fortgang der Schilderung wird berichtet, dass Joseph die Maßnahmen selbst umsetzt und den Bauern in der Tat das Getreide nimmt, wobei er niemandem den Grund dafür verrät (vgl. Ant II 90). Weshalb nicht? Möglicherweise wird den Bauern das Korn nicht ohne jede Entschädigung abgepresst. Wenn sie dann von einer bevorstehenden Getreideknappheit erführen, wür62 Übers. M.A.
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den sie ihr Surplus vielleicht dem staatlichen Zugriff zu entziehen versuchen, um es in Zeiten der Not teurer weiterzuverkaufen. Zugegebenermaßen zwingt die eher holzschnittartige Darstellung des Geschehens hier zur Spekulation, denn der Leser erfährt nicht, wie die Bauern darauf reagieren, dass ihnen ihre Überschüsse genommen und nur ein Teil davon wieder zugeteilt wird. Im Hintergrund könnten dennoch reale Erfahrungen des beschriebenen Mechanismus stehen, nach dem private Landeigner aus Situationen allgemeiner Lebensmittelknappheit Profit schlugen. Joseph hingegen wird vom König mit jedweder Ehre überhäuft (til/r "p\sgr !p]kaue; Ant II 91), weil er bei Einbrechen der Hungersnot das Korn an das Volk verteilt. Damit zeigt er sich als dessen wahrhaftiger Retter (sytµq toO pk^hour; Ant II 94). Seine großherzige Haltung drückt sich auch darin aus, dass er nicht nur den eigenen Leuten Getreide zuteilt, sondern auch Fremden davon verkauft (vgl. Ant II 94). Es zeigt sich jedoch eine Abstufung zwischen Einheimischen und Auswärtigen, denn letzteren steht lediglich frei das Getreide zu kaufen, wovon bei Ersteren nicht die Rede ist. Die Fremden werden für des Schutzes würdig (!nioOmtor 1pijouq_ar) erachtet, womit der oben bereits besprochene Ausdruck nochmals in ähnlichem Bezugsfeld Verwendung findet. Nicht nur die unvermittelte Verlagerung des Geschehens von den Türen des Königspalastes hin zu einer nicht näher bestimmten Agora (vgl. Ant II 93 f) gibt einen Hinweis darauf, in welches soziokulturelle Umfeld Josephus seine Darstellung einer idealen Getreideverteilung einbettet. Der Autor der Antiquitates bedient sich einer Begrifflichkeit, die aus dem Bereich öffentlicher Wohltaten stammt. Die Ehre (til^; Ant II 91) ist der Reputationsgewinn, der sich aus dem Vollbringen einer Euergesie (eqeqces_a oder eben synonym !cah|m) ergab. Der Titel syt^q, der aus dem hellenistischen Herrscherkult stammt, wurde – „unabhängig von kultischer Verehrung – als individuelle Würdigung bes[onderer] Leistungen“63 gebraucht. Eine solche individuelle Leistung konnte darin bestehen, Getreide in Zeiten der Not kostenlos zu spenden oder für einen geringen Preis zu verkaufen.64 Mit Blick auf die Agath des reichen Kornbauern ist demnach zusammenzufassen, dass diese hier in direkten Zusammenhang mit überschüssigem Getreide gebracht werden, das dem Zugriff der Erzeuger zu entziehen ist. Das Handeln Josephs, das sich gegen die luxuriöse Verschwendung Weniger wendet und deren Agath der Allgemeinheit inklusive Fremden in Zeiten der Not zur Verfügung stellt, wird als das Verhalten eines paradigmatischen syt^q präsentiert. Wiederholt greift Josephus in seinen Schriften das Reziprozitätsdenken auf, u. a. um darin zentrale jüdische Traditionsbestände zu reformulieren (z. B. das Gesetz als Gabe). Zudem versucht er, das Prinzip der Ge-
63 K. Zimmermann, Art. Soter, DNP 11, 2001, 752 f; siehe auch Kap. 7.1.3. 64 Vorbildlich verhalten sich diesbezüglich Helena und ihr Sohn Izates, die Geld und Getreide an die hungernden Bürger Jerusalems verteilen (vgl. Jos., Ant XX 51–53).
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genseitigkeit mit einem Ethos der Barmherzigkeit zu vermitteln und die w\qir derer geltend zu machen, die eigentlich keine haben.
8.3.3 Dion von Prusa Agath werden vom kulturellen Umfeld des LkEv generell als etwas aufgefasst, das Empfangende verpflichtet. Sie auszuteilen ist ein Herrschaftsideal, das sich in Form einer imitatio dei von den Segnungen der Götter ableitet. Die aus Senecas De Beneficiis bekannte Denkfigur65 begegnet auch bei Dion von Prusa, der in seiner Rede an die Alexandriner dazu ausführt: Denn es gibt schlechterdings nichts Segensreiches und Heilsames, das nicht auf Grund des Willens und der Macht der Götter zu uns käme. Überall verfügen sie über alle Wohltaten und teilen sie reichlich aus an jeden, der sie anzunehmen bereit ist (pamtaw0 p\mtym !cah_m aqto· jqatoOsi ja· diam]lousi daxik_r to?r 1h]kousi d]weshai). Das Schlechte (t± jaj\) aber hat einen anderen Ursprung […]. Denn durch die Dummheit der Menschen, durch ihren Luxus und ihren Ehrgeiz wird das Leben quälend und voll von Betrug, Schlechtigkeit, Jammer und allen anderen Übeln (Or XXXIII 15).
Man beachte die Kollokation „austeilen und annehmen“: Das Austeilen (diam]ly) obliegt den Göttern, das Annehmen (d]wolai) den dazu bereiten Menschen. Während die !cah\ von den Göttern herkommen, sind die Übel (t± jaj\) als menschlichen Ursprungs qualifiziert.66 An anderer Stelle interpretiert Dion gar alle Werke der Götter als Geschenke (d_qa) und Wohltaten (!cah²) zum Besten ihrer Empfänger (1p’ !cah`; Or XXX 8). Wie schon angesprochen, trifft sich die hier vertretene Auffassung mit der Senecas, der in den Segnungen der Götter die Grundlage menschlicher beneficentia sieht, die als Nachahmung göttlichen Handelns den Menschen Anteil an der göttlichen Sphäre gibt (vgl. Ben IV 4–6). Diese Nachahmung findet sich ausgeprägt im Handeln des idealen Herrschers, wie Dion panegyrisch darlegt: „Nächst den Göttern wird er für die Menschen sorgen“ (Or I 17) und Freude dabei empfinden anderen Gutes zu tun (eqeqcet_m B´ detai; Or I 23), was sich in seinen Euergesien (Or I 23) ausdrückt: „Mit seinen Wohltaten (t_m l³m !cah_m) geht er sehr großzügig um, als wären sie unerschöpflich, etwas Schlechtes (jajoO) aber kann er seiner Natur nach noch weniger verursachen als etwa die Sonne Finsternis“ (Or I 24). Demgegenüber erleiden Tyrannen alle Arten von Übeln (jaj²) als Gegenteil der Wohltaten, die mit einem gutem Herrscher in Verbindung gebracht werden (vgl. Or III 116). 65 Siehe Kap. 2.3. 66 Jaj|r und !cah|r werden traditionell und auch in den Reden Dions häufig gegenübergestellt; vgl. u. a. Or VI 45; VIII 30; X 16; 17.
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In der Weisheitsliteratur wird das Verhältnis von !cah² und jaj\ ebenfalls thematisiert, wenn auch nicht immer so schlicht wie in Spr 13,21: „Diejenigen, die sündigen, wird Böses ereilen (jatadi~netai jaj\), über die Gerechten aber werden Wohltaten kommen (jatak¶lxetai !cah²).“ Der berühmte Ausspruch Ijobs ist diesbezüglich genau zu lesen: „Wenn wir die guten Dinge (t± !cah²) aus der Hand des Herrn empfangen haben, sollen wir dann nicht auch die schlechten (t± jaj\) ertragen (Ijob 2,10)?“ Nur bezüglich der Agath wird gesagt, dass sie von Gott stammen, die Herkunft der schlechten Dinge wird dagegen nicht bestimmt. Im Buch der Weisheit schlägt den Menschen das von Gott Kommende je nach Würdigkeit zu Fluch oder Segen aus. So erweisen sich die Feinde, gemeint sind die Ägypter beim Auszug Moses, der Qual durch Tiere als würdig (!n_yr; Weish 16,1), während Gott dem eigenen Volk Tiere zur Nahrung zukommen lässt (eqeqcet^sai; Weish 16,2). Diese Deutungsweise wird am Beispiel von Dingen aus dem Himmel und der Finsternis exemplifiziert (vgl. 16,15–29; 17,1–6). Nach dieser Sicht bestimmt die Qualität der Empfänger, ob etwas von Gott Kommendes sich als Wohltat oder Qual auswirkt. Eindeutig positioniert sich Sir 11,14 in der Frage: „Gutes und Schlechtes, Leben und Tod, Armut und Reichtum sind vom Herrn.“ (!cah± ja· jaj², fyµ ja· h²mator, ptywe¸a ja· pkoOtor paq± juq¸ou 1st¸m) Dagegen apostrophiert dann Philo Gott als „Urheber nur des Guten, nicht des Bösen“ (Decal 176).67
Zu den Übeln zählt auch die Täuschung (!p\tg; Dio Chrys., Or IV 129), von der es heißt, sie verspreche eine Fülle von Wohltaten (leidi_sa ja· rpiswmoul]mg pk/hor !cah_m; Or IV 114). Im gleichen thematischen Zusammenhang stehen rp]wy und 1pivgl_fy (Or IV 129). Dem hier verwendeten Wortfeld „Versprechen“ liegt das gesellschaftliche Ritual einer rp|swgsir oder 1paccek_a zugrunde, mit der ein Vermögender sich vor Volksversammlung oder Rat verpflichtete, diese oder jene Leistung für die Allgemeinheit zu erbringen. Römischerseits unter dem Namen pollicitatio bekannt, kam ein solches Versprechen nicht selten durch eine Überrumpelung des jeweiligen Reichen im Angesicht einer fordernden Stadt-Öffentlichkeit zustande.68 Damit ist der Begriff also schon in die Nähe relativ konkreter Gaben an die Allgemeinheit gerückt. Eine Szene, wie man sie sich beim Zustandekommen einer rp|swgsir vorzustellen hat, findet sich in Or VII, dem sog. Euboikos. Dion berichtet in dieser aus seiner eigenen Perspektive geschilderten Rede von einem armen Jäger, der ihn nach einem Schiffbruch bei sich aufnimmt und ihm von seinem Leben erzählt. Dabei schildert er, wie er einmal in die Stadt vor die Volksversammlung zitiert wurde, um dort über seine Abgabepflichten Rechenschaft abzulegen. In diesem Zusammenhang beschuldigt ihn ein Redner, er gehöre zu jenen Leuten, die seit vielen Jahren das Gemeindeland ausbeuten – nicht allein er selbst, sondern zuvor schon sein Vater. Und sie nutzen unser Bergland als Weide und bebauen unser 67 Vgl. M. Wolter, Lk 599. 68 Vgl. Plin. d.J., Ep X 39,3; A. Zuiderhoek, Politics 30; 42; P. Veyne, Brot 192; siehe Kap. 6.2.4.
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Ackerland; sie gehen dort zur Jagd und haben viele Häuser hineingebaut. Sie haben auch Weinstöcke gepflanzt und erzielen noch andere große Gewinne daraus (ja· %kka pokk± 5wousim !cah\), ohne an jemanden Pacht gezahlt zu haben oder vom Volk mit dem Land beschenkt worden zu sein.69 (Or VII 27).
Die durch diese Güter reich Gewordenen leisteten dabei, so der weitergehende Vorwurf, keinerlei Dienst für die Allgemeinheit (keitouqc_am) oder Abgaben (lo?q\m tima t_m cicmol]mym), wollten aber ohne Verpflichtungen (!keito}qcgtoi) wie Wohltäter der Stadt (eqeqc]tai t/r p|keyr) leben (Or VII 28). Gustav Lehmann merkt in Bezug auf die geographisch-historische Verortung des Geschilderten an: „Grundsätzlich bestand für das gesamte Territorium der Stadt eine Steuerpflicht, die nur für anerkannte Wohltäter (eqeqc]tai) der Gemeinde, auf besonderen Beschluss der Volksversammlung aufgehoben werden konnte.“70 Die als Leiturgien bezeichneten Dienste für die Allgemeinheit waren „jene Zahlungsverpflichtungen der Reichen, die ihnen einen persönlichen finanziellen Beitrag zu öffentlichen Festen oder zur Verteidigung der Stadt abverlangten“71. Später gerannen die unter den Honoratioren der Stadt reihum wechselnden Leiturgien zu festen Ämtern wie etwa der Magistratur, die ebenfalls mit Kosten verbunden waren. Neben der Finanzierung bestimmter Jahresfeste der Polis gehörte dazu „die Übernahme von Gesandtschaften (auf eigene Kosten) und die Leitung und Finanzierung wichtiger Bauvorhaben der Stadt“72. Dem Agath n ist also sein Gemeinwohlbezug prinzipiell eingeschrieben, es zu horten verfehlt entsprechend seinen Sinn und wird verurteilt. Die Gegenrede besagten Erzählers stellt dieses Verständnis auch gar nicht in Frage, wohl aber die Unterstellung, er besitze solche Güter: Wenn er Dörfer und Rinder und Esel hätte, würde er gern reichlich davon abgeben (vgl. Or VII 42). Als Zwischenergebnis ist demnach festzuhalten, dass damit auch hier die Agath als konkrete, in diesem Fall landwirtschaftliche Güter aufgefasst sind, die anteilig an die Allgemeinheit abzuführen sind, also Güter, denen die Verpflichtung gleichsam innewohnt, zu Wohltaten zu werden. So konkret wie im Euboikos wird der untersuchte Begriff bei Dion freilich nur selten aufgefasst. Oft ist vom höchsten Gut (l]cistom !cah|m; Or X, 16) die Rede, etwa im Zusammenhang der höchsten Übel, die Tyrannen gerne verwechseln (vgl. auch Or VI, 45). Auch die Erziehung des Nachwuchses wird als größte Wohltat geadelt (vgl. Or XII, 11), an anderer Stelle die Eintracht an sich (bl|moia; Or XXXVIII, 10). Die Agath unter Freunden nehmen bei Dion ebenfalls eine nicht unwichtige Stellung ein, wozu er grundsätzliche Überlegungen anstellt: 69 70 71 72
Übers. G.A. Lehmann. G.A. Lehmann, Anmerkungen 94. P. Veyne, Brot 168. G.A. Lehmann, Anmerkungen 94; siehe auch Kap. 1.4.
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Die Habgier des Kornbauern und lukanische Alternativen
oqjoOm !cah_mpaq|mtym to?r !caho?r oqw Fjista #m eUg taOta joim\. Wenn daher den Guten die Güter zu Gebote stehen, dürfte sich dies wohl besonders zum Wohle der Gemeinschaft auswirken (Or III 110).
Die Begünstigung eines Freundes (waq_feshai) bereitet nach diesem Sinnspruch ebenso Freude wie selbst von ihm Geschenke zu erhalten (kalb\meim d_qa). In das eingangs der Arbeit zugrunde gelegte Schema eingetragen, ist hier von ausgeglichener Reziprozität die Rede, die sich im antiken Ideal der amicitia vielfach niederschlägt, dem sich offenbar auch Dion verschreibt.73 Saller stellt heraus, dass das philosophische Bild einer von Nutzenerwägungen freien Freundschaftsbeziehung auf eine Wirklichkeit traf, in der die Vorstellung von amicitia durchaus von der Erwartung wechselseitiger officia und beneficia geprägt war.74 Die rigorose Streichung des Selbstbehaltes bei der Gewährung von beneficia, also die gänzliche Ablehnung einer Orientierung eines solchen Handelns (auch) am eigenen Nutzen, ist als hochphilosophisches Gedankenspiel im antiken Denken wohl ohne Durchschlagskraft geblieben und schon innerhalb des Traktats selbst, in dem der Gedanke entwickelt wird, nicht konsequent durchgehalten. Vielmehr sind Gewährung und Empfang von Gütern unter Freunden gleichermaßen erfreulich, und dieses Ethos drückt sich auch in der Passage der Rede über das Glück aus, die für Agath wie „Geld, Macht, Ruhm und Ehre“ (Dio Chrys., Or LXV 10) den rechten Gebrauch anmahnt. Diese sind nämlich nicht in der Vorratskammer (talie?om) in Sicherheit zu bringen, sondern: Ich meine, man sollte sie in menschlichem Entgegenkommen (eQr eumoiam !mhq~pym), im Dienst am Vaterland (patq_dor eqeqces_am), in der Freundeshilfe speichern. Von den auf diese Weise aufbewahrten Gütern (!pojeil]mym) nimmt das Glück denen, die es erst einmal bekommen haben, gewiss niemals etwas weg. Denn das sind sichere und für alle sichtbare Speicher (hgsauqo· b]baioi ja· p÷si vameqo_), um das, was einem ohne eigenen Verdienst zufällt, aufzubewahren. Verschleudert man aber die anvertrauten Güter oder verwahrt sie schlecht, indem man sich auf Türen, Siegel und Schlösser verlässt, bei Gott, so darf man ihren Verlust, so glaube ich, nicht mehr dem Schicksal zuschreiben (Dio Chrys., Or LXV 10 f).
Terminologische und sachliche Korrelation zur Parabel sind bemerkenswert: Das richtige Thesaurieren von derartigen Gütern besteht in ihrer Weggabe, ihrer Investition in gute Taten oder besser: das soziale Umfeld. Auch Seneca ist der Ansicht: „Das besitze ich, was immer ich gegeben habe“ (Ben VI 3,1). Das sich in Euergesien äußernde Wohlwollen (eumoia), lateinisch die beneficia hervorbringende bona voluntas, richtet sich bei Dion aber anders als im tendenziell privatistischen Sichtfeld von De Beneficiis auch auf den öffentli73 Siehe Kap. 1.2. 74 Vgl. R.P. Saller, Patronage 13; der dies anhand der unterschiedlichen Akzentsetzung Senecas in De Beneficiis auf der einen und der Briefliteratur auf der anderen Seite festmacht.
Agath als Wohltaten
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chen Raum. Den Rückzug aus den sozialen Verpflichtungen anzutreten, indem das unverdient Erhaltene in Vorratskammern hinter Schloss und Riegel aufgespeichert wird, wird nicht goutiert. Vielmehr bringt man sich mit derartigem Verhalten selbst um seine Agath . Zusammengefasst: Dion versteht den untersuchten Begriff im Sinne von Gütern, die den Menschen ohne Verdienst von den Göttern zukommen. Der Empfang dieser Gaben verpflichtet zur Nachahmung der Götter, d. h. zu ihrer anteiligen Weitergabe an die Allgemeinheit. Agath auszuteilen wird entsprechend als Herrschaftsideal verstanden.75 Dion bezeichnet mit dem Ausdruck konkret materielle Güter, deren Abgabepflichtigkeit von der Polis eingefordert wird. Oftmals taucht der Terminus mit reziprozitätsbezogenem Begleitvokabular aber auch auf, ohne dass der Gegenstand der Wohltaten näher genannt wird. Das lässt den Schluss zu, dass der Begriff tief im Alltagsdenken der gedachten Hörerschaft Dions verwurzelt ist und – angewendet auf unterschiedliche Themenbereiche – von dieser auf oben ausgeführte Weise eingeordnet wird. 8.3.4 Epigraphische Zeugnisse Das epigraphische Material bietet eine Fülle von Inschriften, die Agath (meist im Plural), eingebettet in einen Reziprozitätskontext, beinhalten. Ihr Empfang und möglicherweise das Versprechen weiterer Wohltaten stellen für die begünstigte Stadt oder Gruppe den Anlass für eine Ehrung dar. Da ist z. B. das Ehrendekret von der Insel Samos für einen gewissen Batichos aus Kos vom Ende des dritten Jh. v. Chr.76 Aufgrund der standardisierten Struktur mit gattungsspezifischen Formeln und Versatzstücken, die so oder ähnlich auch in anderen Ehrendekreten auftauchen, bietet sich der Text exemplarisch an.77 Über den dort adressierten Batichos heißt es, dass er dem Volk der Samier in der Exilszeit nützlich gewesen sei. Der Text fährt in Z. 7–14 fort: 7
…ja· mOm 1pacc´kk[et]ai p[oi]¶seim !cah¹m fti #m d¼– mgtai t¹m d/lom [t]¹. m Sal¸ym, dedºwhai 10 t/i bouk/i ja· t_i d¶lyi7 1paim´sai te B²tiwom Sym¸jou eqmo¸ar 6meja ja· pq– ohul¸ar Dm 5wym diateke? peq· Sal¸our, ja· eWmai aqt¹m pqºnemom ja· eqeqc´t– gm toO d¶lou toO Sal¸ym… 75 Schon in der ägyptischen Herrscherideologie gibt es die Vorstellung vom König als „Geber alles Guten“ (H. Bolkestein, Wohltätigkeit 30). 76 Vgl. IG XII 6,1,18. 77 Vgl. B.H. McLean, Introduction 184.
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7
…und jetzt bekanntgibt, (auch künftig) Gutes zu wirken, soweit es in seinen Kräften steht, an dem Volk der Samier, so wollen 10 Rat und Volk beschließen: dass man belobige Batichos S. d. Sonikos wegen des Wohlwollens und Engagements, das er stets hat für die Samier; und dass er sein solle Proxenos und Wohltäter des Volkes der Samier…78
„Gutes zu wirken“ (!cah¹m poi]y; Z. 8) wird mit „Wohlwollen und Engagement“ (eumoia ja· pqohul¸a; Z. 11 f) in Zusammenhang gebracht, was als Grund für die Ernennung zum „Proxenos und Wohltäter“ (pqºnemom ja· eqeqc´tgm; Z. 13 f) des Volkes fungiert. Bei der Verleihung des Status eines Euergeten wurde diesem u. a. Steuerfreiheit gewährt, daneben ist unter der Proxenie eine Ehrung zu verstehen, „by which a city would express its gratitude to a citizen of a foreign state who was going to offer hospitality to one of its own citizens“79. Wie der Euerget ist der Proxenos ein Ehrentitel, anders als jener wurde dieser eher für zukünftige als vollbrachte Agath verliehen.80 In vielen attischen Inschriften finden sich Wendungen wie diese: dedº]whai t[_i] d¶lyi7 t± l³m !cah[± d´]–[weshai û vasim cecom´mai 1m to?r Reqo?]r 1v( r. [cie]¸ai ja· sytgq¸a[i[r bouk/r ja· toO d¶lou toO )hgma¸ym etc. …wolle beschließen das Volk: dass man das Gute billige, das nach ihren Worten geschehen ist bei den Opfern für das Heil und die Rettung des Rates und Volkes der Athener“81 etc.
Die Formel findet sich für gewöhnlich in dem Teil der Inschrift, in dem die Motive für eine nachfolgend verkündete Ehrung angegeben werden.82 So ähnlich auch in einem Athenischen Staatsdekret aus dem späten vierten Jh. v. Chr., das die Auszeichnung von Priestern und sog. Hieropoioi verkündet.83 Im oberen Teil der Erklärung heißt es dort, „dass der Rat der Ansicht ist, das Volk habe Wohltaten erhalten“ (fti doje? t/i bouk/i, t± l³m !cah± d´weshai t¹m d/lom; Z. 11), nämlich von den Ehren-Empfängern. Stephen Lambert schlüsselt den Text der Inschrift auf: 78 Übers. K. Hallof. 79 B.H. McLean, Introduction 183 f. Mit der Auszeichnung gingen gewisse Schutzrechte einher. In klassischer und frühhellenistischer Zeit von politischer und wirtschaftlicher Bedeutung im zwischenstaatlichen Bereich, „zeichnete sich im 3. und verstärkt im 2. Jh. v. Chr. eine Entwicklung zur Konvention diplomatischer Höflichkeit ab“ (K.-W. Welwei, Art. Proxenia, Proxenos, DNP 10, 2001, 476). 80 Vgl. B.H. McLean, Introduction 233. 81 IG II/III3 1,896,8 f; 275/274 v. Chr.; Übers. K. Hallof; vgl. auch IG II/III3 1,887; 888; 900 u.v.m. Der Sprachgebrauch scheint auch im 2. Jh. n. Chr. belegt (vgl. SEG 17,35; vermutlich vor 138 n. Chr. 82 Vgl. B.H. McLean, Introduction 229 f. 83 Vgl. IG II/III3 1,416.
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The occasion was a report to the Council by the honorands themselves, led by the priest of Dionysos, about the sacrifices they had performed for the Health and Safety for the Athenian Council and People […] (13–16). The Council refers the report to the Assembly, recommending that it honour the priests for their zeal for honour (philotimia) towards the Council and their piety (eusebeia) towards the gods, and that each be awarded a golden crown after rendering his accounts (to 22).84
Auch die genannten Hieropoioi bekommen Kronen zugesprochen (vgl. Z. 23–35), die wiederkehrende Begründungsformel für derartige Belohnungen ist, dass die Allgemeinheit Agath erhalten habe. Auch in der Kaiserzeit werden diese inschriftlich im Sinne von Wohltaten aufgefasst: Auf der Marmorbasis einer Ehrenstatue für M. Livius Drusus aus der Zeit des Kaisers Claudius z. B. wird dieser als „Ursache größter Wohltaten für die Welt“ (lec¸stym !cah_m aUtiom cecomºta t_i jºslyi)85 bezeichnet. Schließlich ist das Fragment einer Ehreninschrift aus Arykanda in Kleinasien zu nennen, das wohl aus dem zweiten Jh. n. Chr. stammt und einen Priester ehrt, der 2
paqaswºle[mom t0 pºkei s?tom ja·] puq¹m ja· pok[k± %kka pq²namta !cah±] 2
der Stadt Korn verschaffte und Feuer und viele andere Wohltaten vollbrachte.86
Wenn die Konjekturen korrekt sind, reiht das Fragment die Bereitstellung von Getreide an eine Stadt direkt in die Agath eines Wohltäters ein. So lässt sich zusammenfassen, dass diese in den Inschriften u. a. das wohlwollende Verhalten Fremder, priesterliche Opfer oder Getreidespenden umfassen und demnach die Güter selbst oder deren Bereitstellung bezeichnen können.
8.4 Die Agath des Kornbauern und die Regeln des Euergetismus Die Verwendung von Agath n als Synonym für Wohltat (eqeqces_a/beneficium) war im griechisch-römischen Kulturraum durchaus verbreitet. Die Agath des reichen Kornbauern haben eine mehrdimensionale Bedeutung zum einen von mehr oder weniger profan aufzufassenden Gütern, in diesem Fall Getreide. Zum anderen schwingt aber die ihnen innewohnende Verpflichtung, sie anteilig an die Allgemeinheit abzugeben – also Wohltat zu sein oder werden – immer mit. Diese Grundierung kommt ihnen von ihrer implizit stets mitbedachten göttlichen Herkunft zu: Letztlich kommen alle Güter von den Göttern, die sie ungeschuldeterweise an die Menschen austeilen. Daraus 84 S. Lambert, Laws 302. 85 IG XII 6,1,370. Zum fast identischen Wortlaut auf der Ehrenstatue für Alfidia vgl. IG XII 6,1,371. 86 TAM II 791,2 f; vgl. S. S¸ahin, Inschriften 43 f.
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ergibt sich nach antiker Auffassung die Verpflichtung, anderen daran Anteil zu geben. Das nimmt besonders jene in die Pflicht, denen die Versorgung der Allgemeinheit mit Grundnahrungsmitteln obliegt. Agath an die Bürgerschaft zu geben entsprach deren Erwartungshaltung und verpflichtete sie umgekehrt, dem Ehrgeiz (vikotil_a) der Spenderin oder des Spenders durch Auszeichnungen Genüge zu tun. Nach dieser Vorstellung gab ein Grundbesitzer kostenlos oder kostengünstig einen Teil seiner Erträge an seine Mitbürger weiter, oder er kaufte auf eigene Kosten Getreide an, um es – etwa in Zeiten der Not – seinen Leuten verbilligt zur Verfügung zu stellen.87 So tat es z. B. laut Demosthenes der König des Bosporanischen Reiches Leukon, wodurch seine Freiheit von Leiturgien und sonstigen Abgaben gerechtfertigt sei (vgl. Or XX 31–33). Cicero berichtet, M. Seius habe sich so verhalten (vgl. Off II 58), und behauptet an anderer Stelle von sich selbst, er habe den Hunger in seiner Provinz bekämpft, indem er verschiedene Mitbürger zur Herausgabe gespeicherten Getreides überreden konnte (vgl. Att V 21,8).88 Herodes führte bei einer Hungersnot Korn aus Ägypten ein, das er mit geschmolzenem Gold und Silber aus seinem Palast bezahlte (vgl. Jos., Ant XV 299–316). Dabei vergisst Josephus nicht zu erwähnen, wie geschickt sich der Herrscher damit als Retter seines Volkes zu inszenieren wusste (vgl. Ant XV 308). Das habe ihm die zuvor verlorene Sympathie seines Volkes zurückgewonnen und die der Auswärtigen eingebracht (vgl. Ant XV 315 f).89 Ein weiteres positives Beispiel vom Ende des ersten Jh. n. Chr. ist Euphrosynos von Mantinea, der die Einnahmen seiner Privatländereien für den Getreidekauf zur Verfügung stellte.90 Der Bürgerschaft von Prusa war es offenbar möglich, „Leute zu wählen, die dazu finanziell imstande sind und noch keine Abgaben geleistet haben, oder, sollte das nicht möglich sein, dafür zu bestimmen, wen ihr wollt“ (Dio Chrys., Or XLVI 14). Es gab eine Art Spiel zwischen Stadtbevölkerung und Honoratioren, das darin bestand, dass diese immer wieder gelockt oder gedrängt wurden ihre Taschen zu öffnen, sich dem Drängen jedoch oft zu entziehen versuchten. Dabei wurde der Reichtum der Reichen nicht grundsätzlich in Frage gestellt, und gerade deshalb funktionierte das Verteilungssystem des Euergetismus. Es erfüllte Arjan Zuiderhoek zufolge v. a. die Funktion soziale Spannungen abzumildern, die durch die zunehmende Oligarchisierung der Gemeinwesen im Prinzipat 87 Weder die cura annonae in Rom noch die anderen unterschiedlich stark organisierten Getreideausgaben in den Provinzen waren von einem auf die Armen gerichteten Barmherzigkeitsethos geleitet. Auch wenn im Laufe der Zeit zunehmend Bedürftige in den Blick kamen, handelte es sich bei den Getreidezuteilungen in erster Linie um Maßnahmen, die dem Spender zur Herrschaftslegitimation und/oder Prestigesteigerung dienten. Die intendierten Empfangenden waren nicht Arme, sondern eher Bürger, ggf. bedürftige, de facto nicht selten sozial privilegierte Gruppen. 88 Vgl. J.E. Lendon, Empire 207. 89 Damit wird Herodes von Josephus in einen gewissen Kontrast zum wahrhaftigen Retter Josef gebracht (s. o.). Die (auswärtigen) Euergesien Herodes des Großen dienten nicht zuletzt „der klaren Einordnung in das System des Prinzipats“ (J. Wilker, Preis 116). 90 Vgl. IG V 2,268 = D. 13 in A.R. Hands, Charities 183.
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zwischen privilegierter und weniger privilegierter Bevölkerung aufkamen.91 Mit anderen Worten: „In einer Gesellschaft, in der die Reichen gerne etwas spenden, plündert man nicht ihre Getreidespeicher, sondern verlangt von ihnen, großzügig Getreide zu verteilen.“92 Diese Verteilungen konnten zuweilen sogar ruinöse Konsequenzen für einen Euergeten haben, die sich auch aus der Konkurrenz innerhalb der Honoratiorenschicht ergaben.93 Der reiche Kornbauer der Parabel hingegen will offenbar aus dem Reziprozitätskreislauf, der hier private Spenden gegen öffentliche Ehrungen vorschreibt, ausscheren, um seine Agath gewinnbringender anzulegen (Lk 12,19): 19
ja· 1q_ t0 xuw0 lou· xuw¶, 5weir pokk± !cah± je¸lema eQr 5tg pokk²· !mapa¼ou, v²ce, p¸e, eqvqa¸mou. 19
Und ich werde meiner Seele sagen: Seele, du hast viele Wohltaten, angelegt für viele Jahre: Ruh aus, iss, trink, sei fröhlich!
Doch geht das überhaupt – Wohltaten anlegen? Derrett bemerkt in Bezug auf je?lai, „the word is quite technical in banking“94. Das lateinische colloco etwa, das ebenfalls im Kontext einer Geldanlage verwendet wird, findet sich auch beim Anlegen von Wohltaten, wie gesehen bei Seneca (vgl. Ben V 19,4). Die Überblendung von Wohltätigkeits- mit Darlehensrhetorik dort ist wie ausgeführt ein Indikator für ein ambivalentes Verhältnis zwischen den Sphären reziprokalen und marktwirtschaftlich orientierten Handelns. Auch bei Dion von Prusa trifft Wohltätigkeitssemantik auf diejenige der Geldanlage, besteht doch ihm zufolge die gewinnbringendste Anlage (!p|jeilai; Or LXV 10) in menschlichem Wohlwollen, daraus entspringenden Euergesien zugunsten der Vaterstadt sowie Freundschaftsdiensten. Diese 91 Vgl. A. Zuiderhoek, Politics 82–87; 153; siehe Kap. 1.4. 92 P. Veyne, Brot 211. Schon Bolkestein drückt es so aus: „Freigebigkeit ist die Risikoprämie, die der wohlhabende Mann für den ruhigen Besitz seines Vermögens zu entrichten hat oder, wie Isocrates es in seiner idealisierenden Schilderung des alten Athen formulierte: aR l³m c±q jt^seir !svake?r Gsam… aR d³ wq^seir joima· p÷sim to?r deol]moir t_m pokit_m“ (ders., Wohltätigkeit 171, mit Verweis auf Isoc. VII 35). Veyne führt als Beispiel die inschriftlich überlieferte Organisation der Getreideversorgung auf Samos an: Dort verpflichtete sich ein Bürger namens Moschion in einem Jahr schlechter Getreideversorgung zu einer Abgabe von Korn unter Handelswert. Dies tat er mehrfach und erklärtermaßen, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten. Veyne spekuliert davon ausgehend: „Möglicherweise hatte dieser Euerget das Getreide von Händlern zu den während der Hungersnot herrschenden Preisen erstanden, um es zu niedrigerem Preis weiterzuverkaufen. Möglicherweise hatte er es aber auch in seinen eigenen Speichern (wie dies oft geschah) gelagert und zu niedrigerem Preis verkauft, um einen gegen ihn gerichteten Aufruhr zu vermeiden.“ (ders., Brot 202). 93 Es „bestand die Gefahr, daß die ostentative Freigebigkeit die Möglichkeiten der lokalen Eliten überstrapazierte, so daß der princeps regulierend eingreifen mußte“ (H.-J. Gehrke, Art. Euergetismus, DNP 4, 1998, 228–230, 230, mit Verweis auf die Korrespondenz Trajans mit Plinius d.J. in Ep X). 94 J.D.M. Derrett, Midrash 115.
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stellten bessere Speicher (hgsauqo_) dar als das Wegsperren der privaten Besitztümer in Vorratskammern. Der Kornbauer der Lukas-Erzählung hingegen plant, all seine Erträge zum eigenen Nutzen zusammenzubringen (vgl. Lk 12,18e) und in dieser Weise anzulegen (vgl. V. 19b–c). Doch durch die Kennzeichnung der Erträge als Agath wird deutlich, dass eine solche Anlage aus dem kulturellen Rahmen fällt, der durch den Begriff markiert wird. Im Vergleich mit Seneca und Dion von Prusa wird hier nicht die Semantik der gewinnbringenden (Geld-)Anlage in einen Reziprozitätskontext eingespannt, sondern umgekehrt ein diesem Gegenseitigkeitsethos zugehöriger Terminus (Agath ) auf den Bereich gewinnorientierten Privatwirtschaftens umgebogen. Darin liegt eine semantische Verschärfung der intertextuell eng verwandten Sirach-Passage 11,14–20, besonders V. 18 f: Dort sagt sich einer, der durch Gier (svicc_a) reich geworden ist: „Ich habe Ruhe gefunden, und jetzt will ich von meinen Gütern essen“ (exqom !m²pausim ja· mOm v²colai 1j t_m !cah_m lou; Sir 11,19). Will der Reiche in Sirach die bereits vorliegenden Agath direkt verzehren, beabsichtigt der lukanische Kornbauer, sie erst einmal vorsorglich anzulegen und verlagert den Genuss damit erheblich weiter in die Zukunft. Vor dem Hintergrund des städtischen Euergetismus gelesen, verstößt derartiges Handeln gegen eingespielte Regeln des Miteinanders von Getreidespender und Öffentlichkeit. Ein solcher Regelverstoß aber blieb nicht folgenlos: Zeigte der vermögende Bewohner der Vaterstadt nicht freiwillig sein Wohlwollen in dem von Dion beschriebenen Sinne, übte diese Druck auf ihn aus.95 Hier klingt Burkerts „paradoxe Verbindung von Freiwilligkeit und Verpflichtung“96 an. Machte der Reiche Anstalten, seine freiwillig-pflichtgemäßen Dienste aufzukündigen, musste er damit rechnen, von der städtischen Bevölkerung unter Androhung von Gewalt wieder eingespurt zu werden.97 Lendon nennt folgerichtig Angst als ein wichtiges Movens, Euergesien zu erweisen: „The gracious world of philotimia may in part be concealing altogether more ruthless social relations: benefactions as the ransom the rich pay for the untroubled enjoyment of their wealth.“98 95 Der Druck kam aber auch aus dem eigenen Milieu: „Da eine Stadt großzügige Spenden von seiten der Klasse der Honoratioren als solcher erwartete, hätte ein geiziger Honoratior das Idealbild verraten, das diese Klasse von sich selbst entwerfen wollte. […] Die Honoratioren setzten sich also gegenseitig unter Druck“ (P. Veyne, Brot 212). 96 Siehe Kap. 1.1. 97 Vgl. H.-J. Drexhage/H. Konen/K. Ruffing, Wirtschaft 97, mit Verweis auf Philostr., Vit Ap I 15. Dort wird auch unterschieden zwischen den beschriebenen Druckmitteln der Stadtbevölkerung und den oftmals von Überschuldung bedrohten Kleinpächtern auf dem Land, die sich in einer schlechteren Position gegenüber den Großgrundbesitzern befanden. Bartels nennt Luc., Sat 33; 35 und Plut., Praec Ger Reip 822A: Plutarch warnt Amtsträger vor Zuwendungen an das Volk wie Theateraufführungen, Geldverteilungen oder Gladiatorenspielen, weil dadurch Ansprüche geweckt würden und man sich von der Menge erpressbar mache (vgl. J. Bartels, Eliten 46 i.d.Anm.; 51). Dion von Prusa musste sich mit seinen Mitbürgern wohl recht handfest über Kornverteilungen auseinandersetzen (vgl. Or XLVI, siehe unten). 98 J.E. Lendon, Empire 88.
Besitztümer zwischen Reziprozitätserwartungen und Marktmentalität
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8.5 Besitztümer zwischen Reziprozitätserwartungen und Marktmentalität 8.5.1 Konflikte mit unwilligen Wohltätern Flavius Philostratus beschreibt einen städtischen Konflikt in der pamphylischen Stadt Aspendos, wo es unter der hungernden Bevölkerung zu tumultartigen Auflehnungen gegen den Statthalter kommt, weil die dumato_ das dringend benötigte Getreide unter Verschluss halten, „um es außerhalb des Landes zu höherem Preise verkaufen zu können“ (Vit Ap I 15,25).99 Hier scheint ein öfters zu beobachtender Konflikt beschrieben, der sich aus den Versorgungserwartungen der Bevölkerung an die Vermögenden einerseits und deren Interesse, mit ihren Gütern profitorientiert zu handeln, andererseits ergab.100 Konfliktsituationen zwischen einem unwilligen Spender und der Stadtbevölkerung finden sich auch bei der fiktiven Vorladung des Jägers im Euboikos des Dion von Prusa, sowie in dessen eigener Verteidigungsrede an die Bürger seiner Vaterstadt: Diese zürnen ihm und wollen ihm mit Steinen, Verbannung und Feuer regelrecht ans Leder (vgl. Or XLVI 4.6), obwohl er ihnen „die größten Zuschüsse gezahlt“ (Or XLVI 6) habe, während sein eigenes Kapital von noch nicht eingetriebenen Außenständen geschmälert sei. Darüber hinaus muss er sich des Vorwurfs erwehren, er habe eine Kornknappheit heraufbeschworen: Habe ich etwa das allermeiste Getreide angebaut, halte es unter Verschluss und treibe damit die Preise hinauf ? Ihr selbst kennt ja den Ertrag meiner Ländereien und wisst, dass ich, wenn überhaupt, nur spärlich Getreide verkauft habe und nur, wenn die Ernte über Erwarten reich ausgefallen war; dass ich aber in solchen Jahren wie dem jetzigen nicht einmal für mich selbst genug habe, sondern meine gesamten Einnahmen von Wein und Vieh beziehe. Aber vielleicht meint ihr, ich wolle mein Geld, obwohl ich es sonst verborge, nicht zum Ankauf von Getreide hergeben. Auch darüber brauche ich kein Wort zu verlieren, denn ihr wisst selbst, wer in der Stadt Geld ausleiht und wer es borgt (Dio Chrys., Or XLVI 8).
An Dions Beteuerungen fällt zunächst der Appell an die vertraut wirkenden Mitbürger auf, sich seine Situation vor Augen zu führen: Sie kennten den Ertrag seiner Länder doch, wüssten selbst um seine wirtschaftliche Lage etc. Offenbar hat man sich die Interaktion zwischen Euerget und Bürgerschaft wohl ziemlich persönlich vorzustellen. Die Überschaubarkeit einer mittelgroßen Provinzstadt ist der Boden, auf dem traditionelle Gegenseitigkeitsverhältnisse gedeihen. Entsprechend konnte es für Leib und Leben des in der 99 Übers. V. Mumprecht. 100 Zur Getreidespekulation und dem Versuch der Eliten, aus städtischen Reziprozitätsmechanismen auszuscheren, siehe Kap. 5.3.
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Stadt ansässigen Honoratioren offenbar auch gefährlich werden, wenn die Mitbürger eine gänzlich andere Vorstellung von der Menge der ihm verfügbaren Güter hatten als dieser selbst.101 Doch was hat sich Dion hier nach Ansicht der Menge zuschulden kommen lassen? Nach Aussage des Redners und Honoratioren, der sich zu Unrecht beschuldigt gibt, wird der Vorwurf seiner Gegner laut, der möglicherweise auch den reichen Kornbauern bei Lukas trifft: „Er zog Korn aus dem Verkehr. Damit bewirkte er Kornknappheit, Teuerung und Hunger, und profitierte natürlich später von der Preissteigerung.“102 Gewinnorientierte Spekulation mit Nahrungsmitteln war ein Problem, das schon im vorchristlichen Athen einen erstaunlichen Grad an Raffinesse erreichte: Demosthenes zufolge ist es glaubwürdig, daß es um das Jahr 322 v. Chr. unter Kleomenes in Ägypten eine ganze Organisation von Seekurieren gegeben hat, deren Aufgabe es war, die Getreidetransporte zu den jeweils günstigsten Märkten zu lenken.103
Der Aufkauf von Getreide durch Großhändler in Zeiten aufkommender Kornknappheit versprach satte Gewinne,104 und auch über verschlagene Kleinhändler, die mehrmals am Tag auf dem Markt die Preise beim Kornverkauf anhoben, wird schon bei Lysias geklagt (vgl. Lys XXII 11 f). Nicht anders ist für die Kaiserzeit von Getreide als einem „Spekulationsobjekt, mit dem man möglichst hohe Gewinne erzielen möchte“105, auszugehen. Auch alttestamentlich schlägt sich die Mentalität des Hortens etwa bei Maleachi nieder, wenn beim endzeitlichen Gottesgericht diejenigen angeklagt werden, die den Zehnten und die Erstlingsgaben zurückgehalten haben: „Das Volk wurde ausgeplündert. Und ihr brachtet alle Ernte in die Speicherhäuser“ (eQsgm´cjate p²mta t± 1jvºqia eQr to»r hgsauqo¼r; Mal 3,10).106 Was also, wenn der Getreidebesitzer nicht mehr Euerget, sondern nur noch Kaufmann sein wollte? Dieser Versuch eines Rollenwechsels, der das überkommene Gefüge durcheinanderbringen musste, stieß auf den Widerstand der traditionellen Empfänger öffentlicher Euergesien. Damit stellt sich die Frage der Sanktionsmacht: Welche Seite konnte ihre Erwartungen durchset101 Aufgrund rel. geringer Gewinnspannen beim Handel mit Getreide waren die Erzeuger mit ihren Höfen meist in einem Umkreis von etwa 20 km vom nächsten Marktort angesiedelt – durch weite Transportwege wären diese Gewinnspannen schnell aufgezehrt worden (vgl. U. Fellmeth, Pecunia 122). „Der physische Charakter der Macht“ wird von Veyne in Bezug auf die stadtrömische Politik hervorgehoben (ders., Brot 337). 102 R. Kr ger, Lukas 21; die Dynamik und die Parallele zu Dio Chrys., Or XLVI werden schon hergestellt von H. Moxnes, Patron 255. 103 A. Giardina, Kaufmann 283; vgl. Demosth., Or LVI 7–10. 104 Vgl. H.-J. Drexhage/H. Konen/K. Ruffing, Wirtschaft 97. 105 P. Herz, Studien 57. 106 Zum Handel mit zurückgehaltenem Getreide mit Auswärtigen siehe Spr 11,26: „Möge der, der Weizen zurückhält, ihn den Völkern überlassen, Segen aber auf das Haupt dessen, der austeilt“.
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zen?107 Die Androhung von Gewalt durch die städtische Menge ist bereits erwähnt worden, andererseits war das Privateigentum der Vermögenden durch die Zentralgewalt geschützt. In diesem Sinne warnt Dion im Fortgang oben zitierter Rede seine Mitbürger, sie könnten durch ihre Angriffe auf ihn und seine Habe „in den Ruf von gewalttätigen und gesetzlosen Leuten kommen. Denn nichts, was in den Städten vorgeht, bleibt den Prokonsuln – ich meine die mächtigeren in anderen Gegenden – verborgen“ (Or XLVI 14). Eine Warnung vor Aufruhr (st\sir) und deren Folgen, vorgebracht von einem städtischen Amtsträger, bringt auch die wegen Paulus aufgebrachte Menge in Ephesos dazu sich wieder zu beruhigen (vgl. Apg 19,40).108 Der römische Regierungsapparat gestand den Städten eine relative Selbstverwaltung zu, was ihn selbst entlastete, freilich nur solange es ruhig blieb.109 Dies galt auch für den ökonomischen Bereich, was mit moderner Terminologie als „Subsidiaritätsprinzip“110 bezeichnet werden könnte. Dion scheint sich also auf die Instanz zu berufen, die im Zweifelsfall nicht die lokal eingespielten Reziprozitätsmechanismen, sondern das Privateigentum der dortigen Eliten protegiert. Demnach konnte es unklug sein, sich der beschriebenen Verpflichtungen entledigen zu wollen, und so erklärt sich auch die Schelte des Kornbauern durch Gott selbst als „du Narr“ (%vqym; V. 20b): 20
%vqym, ta¼t, t0 mujt· tµm xuw¶m sou !paitoOsim !p¹ soO…
20
Du Narr, in dieser Nacht werden sie deine Seele von dir zurückfordern…
Ren Krüger ergänzt, dass die Anrede %vqym Septuaginta-Lesern aus der Weisheitsliteratur bekannt sei: Das semantische Feld schließe nach Ps 13,1 107 Zur Sanktionierung von Austauschsystemen siehe Kap. 10. 108 Die negative Bewertung einer durch Demagogen leicht entflamm- und beeinflussbaren Menge scheint topisch, neben der erwähnten Stelle im Euboikos Dions greift auch Josephus auf das Thema zurück, wenn er von dem Gemurre gegen Moses spricht: „Das gemeine Volk ist ja von Natur aus dazu geneigt der Obrigkeit zu widersprechen, sich von jedem unbedeutenden Redner umstimmen zu lassen und dann Unruhe und Lärm anzustiften“ (Ant IV 37). 109 Vgl. W. Eck, Ämter 15 f; G.A. Lehmann, Einführung 7. Als Grund für diese gewährte Eigenständigkeit lässt sich neben praktischen Erwägungen auch „traditional Roman respect for mos maiorum“ (T. Bekker-Nielsen, Life 63) anführen. Eine Auflehnung der Provinzbevölkerung gegen ihre Oberen war in der Kaiserzeit eher die Ausnahme, die Antwort der Zentralmacht waren „savage reprisals“ J.E. Lendon, Empire 201; vgl. auch S.E. Alcock, Making Sure You know Whom to Kill: Spatial Strategies and Strategic Boundaries in the Eastern Roman Empire, in: W. Brandes u. a. (Hg.), Millennium 2007, Bd. 4, Berlin 2007, 13–20, 16 i.d.Anm., mit Verweis auf Plut., Praec Ger Reip 814A–C; 814F–815B; 824A. Darüber hinaus scheint es ein gewisses Interesse am Funktionieren der städtischen Infrastrukturen gegeben zu haben: „Die Eingriffe des Kaisers und der Provinzgouverneure wurden hauptsächlich hervorgerufen durch Mängel, welche die städtische Verwaltung aufwies. Der Regierung lag daran, die städtischen Finanzen zu konsolidieren und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zu kontrollieren. Sie wollte wichtige Bauten schützen und die Lebensmittelversorgung sichern“ (F. Quass, Honoratiorenschicht 381). 110 U. Fellmeth, Pecunia 175.
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LXX und Ps 52,2 LXX „die Verneinung von Gottes Existenz ein: eWpem %vqym 1m jaqd¸ô aqtoO oqj 5stim heºr.“111 Die „Rechnung ohne Gott“112 zu machen heißt wiederum, dem Begriff des Agath n eine Bedeutungsdimension zu entziehen, nämlich die des unverdient Geschenkten.113 Dieses nur für sich selbst zu horten (vgl. Lk 12,21a) wird entsprechend von der höchsten erzählerischen Instanz im Text – Gott selbst – als närrisches Treiben eingestuft.114 Gottlosigkeit und Sozialverhalten des Kornbauern sind damit keineswegs als zwei verschiedenen Paar Schuhe anzusehen. Es geht dem Text auch nicht um eine vermeintlich „‘relevante Zukunft‘, nämlich das Ergehen nach dem Tod“115. Ebensowenig lässt sich dem Zusammenhang die Aussage entnehmen: „Materielle Güter bilden keine Grundlage für sinnvolles, wahres Leben.“116 Alles dreht sich in Erbszene, Gleichnis und Jüngerbelehrung um den Zugriff auf materielle Güter und die tödliche Dummheit des Kornbauern besteht darin sie nicht weiterzugeben. Der Versuch, sich seiner lästigen Pflichten der Allgemeinheit gegenüber zu entledigen, führt zu nächtlichen Überfällen derer, die sich von derartigem Verhalten geprellt fühlen (vgl. Lk 12,20b), so die schlichte Zustandsbeschreibung sozialer Gegebenheiten.117 Eine ähnliche Situation wird bereits im Zusammenhang mit dem Beelzebulstreit in Lk 11,21 f geschildert. Gegenüber Mk 3,27 wird das Bildwort von der Bindung des Starken, anders als in Mt 12,29, von Lk sozial und martialisch (Rüstung, Kriegsbeute; 11,22) erweitert: „Bei ihm besitzt der Starke eine aqk^ (Gehöft, Burg, Palast). Er hat rp\qwomta (ein Vorzugswort des Lukas für Besitz). […] Am Ende wird sein Hab und Gut ausgeteilt (vgl. zum hier verwendeten Verb diadid|mai Lk 18,22; Apg 4,35).“118 111 R. Kr ger, Lukas 18. 112 H. Kramer, Lukas 111. 113 So gesehen ist Hocks Deutung doch noch bedingt zuzustimmen, dass die Pointe der Geschichte darin besteht, dass der reiche Kornbauer mit Blick auf die Agath die Kategorien verwechselt (siehe oben). 114 Zu Vertragstreue statt Umtriebigkeit wird in Sir 11,20–24 gemahnt, im Anschluss an die ,Lohn‘Androhung für den gierigen Reichen (vgl. Sir 11,18 f, siehe oben): „Stehe zu deinem Vertrag und sei darin vertraut, und mit deinem Werk sollst du alt werden. Wundere dich nicht über die Werke eines Sünders, sondern vertraue dem Herrn und bleib bei deiner Mühe […]. Sage nicht: ,Wer nützt mir, und was werden von nun an meine Güter sein‘ (lµ eUp,r T¸r 1st¸m lou wqe¸a, ja· t¸ma !p¹ toO mOm 5stai lou t± !cah²)? Sage nicht: ,Ich habe genug, und was kann mir von nun an (noch) zum Übel werden?‘“ Sowohl das Schielen nach Nutzfreundschaften als auch das Vertrauen auf den eigenen Besitz werden hier gegenüber verlässlichen Bindungen zu den Mitmenschen abgewertet. 115 H. Kramer, Lukas 111. 116 H. Kramer, Lukas 110. 117 Dass es sogar für den Kaiser gefährlich werden konnte, wenn das Volk unzufrieden mit der Kornzufuhr war, zeigt der Bericht Suetons über Claudius, der in einer Situation der Kornknappheit in einen Mob auf dem Forum geriet und sich nur mit Mühe in den Palast retten konnte, wo er gleich daran ging, Lösungen für die Getreideversorgung zu entwickeln (vgl. Suet., Claud 18,2; Tac., Ann XII 3; J.E. Lendon, Empire 123). 118 H.-J. Klauck, Armut 160.
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Die Ankündigung „in dieser Nacht werden sie deine Seele von dir zurückfordern“ (!paitoOsim; V. 20b), lässt an eine gewaltsame Aneignung dessen denken, was vom Kornbauern nicht freiwillig herausgegeben wird. )pait]y kann dabei auch die Bedeutung von „demand to have returned, esp. of things forcibly taken or rightfully belonging to one“119 annehmen. Die gewählte Terminologie suggeriert also, dass die Forderungen der hier nicht näher beschriebenen nächtlichen Besucher berechtigt sind, ja die Gewalt womöglich ursprünglich eher aufseiten des Getreide hortenden Grundbesitzers liegt. Dass die Forderungen auf die xuw¶ des Reichen zielen, also lebensgefährlich sind, muss ihrer Rechtmäßigkeit nicht grundsätzlich widersprechen. Noch einmal: An dieser Stelle werden die Mechanismen dargestellt, wie sie eben sind bzw. sich dem Verfasser darstellen, nicht wie sie idealerweise sein sollten. Danach ist die xuw¶ des Kornbauern in die Gemeinschaft derer eingebunden, die ihren Anteil von seinem Getreide verlangen – mit seiner Zustimmung oder ohne diese. Die Vorstellung, die eigenen Agath nur für sich selbst auf Halde zu legen, sie damit öffentlichem Zugriff zu entziehen und sich allein des Gewinns erfreuen zu können (vgl. V. 19), wird als irrig zurückgewiesen, ja geradezu gewaltsam zertrümmert. Durch seine Fokussierung auf selbstbezügliches Aufspeichern (ovtyr b hgsauq¸fym 2aut`; V. 21a) übersieht der Reiche die Verflochtenheit seiner xuw¶ in die Gemeinschaft, der er nach der Reziprozitätslogik einen Teil seiner Erträge schuldig ist.
8.5.2 Die Mentalität des individuellen Aufspeicherns 20 21
$ d³ Bto¸lasar, t¸mi 5stai. ovtyr b hgsauq¸fym 2aut` ja· lµ eQr he¹m pkout_m.
20
Was du aber zurückgelegt hast, wem wird es gehören? So [ergeht es dem], der für sich selbst aufspeichert und sich nicht vor Gott reich macht.
21
Die negativen Auswirkungen privater Geldspeicher auf das Gemeinwesen bringt schon Plato zur Sprache, indem er beschreibt, wie die Reichen von der Timokratie zur Oligarchie übergehen: „Jene mit Gold gefüllte Schatzkammer, über die ein jeder verfügt, ist der Verderb für eine solche Verfassung“ (Pol 550d), gemeint ist die Timokratie. „Indem sie nun also auf diesem Weg des Gelderwerbs fortschreiten, kommt die Tüchtigkeit bei ihnen in demselben Maße in Missachtung, in dem das Geld in ihren Augen an Wert gewinnt“ (550e). Solche Leute sind nicht bereit Krieg zu führen, „zudem wollen sie auch keine Geldmittel aufbringen, da ihnen das Geld zu lieb ist“ (551e). Liebe zum Geld führt zum Rückzug ins Private, was für die Gemeinschaft schädlich ist. 119 LSJ s.v. !pait]y; Hervorhebung im Original.
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Nach Spr 13,21–23 LXX können die als gottlos bezeichneten Privatiers ihren Reichtum aber letztlich nicht für sich behalten: 21
"laqt²momtar jatadi¾netai jaj², to»r d³ dija¸our jatak¶lxetai !cah². 22 !cah¹r !mµq jkgqomol¶sei uRo»r uR_m, hgsauq¸fetai d³ dija¸oir pkoOtor !seb¾m. 23 d¸jaioi poi¶sousim 1m pko¼t\ 5tg pokk², %dijoi d³ !pokoOmtai sumtºlyr. 21
Diejenigen, die sündigen, wird Böses ereilen, über die Gerechten aber werden Güter kommen. 22 Ein guter Mann wird Kindeskinder zu Erben haben, der Reichtum von Gottlosen aber wird für Gerechte aufgespeichert. 23 Gerechte werden viele Jahre in Reichtum verbringen, Ungerechte aber werden plötzlich untergehen.
Die Gegenüberstellung von Agath und Kak , das Motiv des Erbes, eines Schatzes oder Speichers, des dauerhaften Genusses von Reichtum und dessen Opposition, des plötzlichen Untergangs – all das deckt sich mit dem Inventar des vorliegenden Lk-Textes. Zu beachten ist dabei die Gegenüberstellung des wohltätigen Mannes (!cah¹r !m^q) mit dem Reichtum der Gottlosen (pkoOtor !seb~m). Auch nach Auffassung des Sprichwörterbuches kommt es dem !cah¹r !m^q offenbar zu, von seinem Reichtum abzugeben. Die Gottlosen und Ungerechten horten vermeintlich für sich, in Wirklichkeit dann aber für die Gerechten, weil jene – wie den Kornbauern bei Lk – ein plötzlicher Tod ereilen wird. Damit ist nicht gesagt, dass es die Gerechten sind, die diesen Tod herbeiführten, wohl aber dass sie als rechtmäßige Empfänger von den Agath profitieren werden. Dem Wertsystem im Hintergrund der Beispielerzählung entspricht der oben zitierte dialektische Gedanke Dions, dass Agath in Freundschaftsdiensten besser „angelegt“ (Or LXV 10) sind als hinter Schloss und Riegel. Unverblümter bringt Isocrates zum Ausdruck, worin der Schatz besteht, nämlich in den Gefälligkeiten, die man von gewissenhaften Leuten erwarten kann, wenn man sie selbst gut behandelt: „Die Wohltätigen behandle gut: Denn es ist ein schöner Schatz, wenn (dir) von einem eifrigen Mann eine Gunst geschuldet wird“ (To»r !caho»r ew po_ei· jak¹r c±q hgsauq¹r paq’ !mdq· spouda_\ w\qir aveikol]mg; Isoc. I 29,3).120 Diese Vorstellung trifft sich mit jüdisch-weisheitlichen Motiven, auch Sirach weiß: „Ein treuer Freund ist ein starker Schutz, wer ihn gefunden hat, hat einen Schatz gefunden“ (v¸kor pist¹r sj´pg jqatai², b d³ erq½m aqt¹m exqem hgsauqºm; Sir 6,14). Verbreitet ist v. a. die Vorstellung des himmlischen Schatzes, der durch gute Werke auf120 Übers. M.A.
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gefüllt wird:121 „Die zwischentestamentliche Weisheit spornt zur Wohltätigkeit an: Das Geld sei nicht verloren, sondern bei Gott reponiert und wirke in Notlagen Segen.“122 Ebendieser „unerschöpfliche Schatz in den Himmeln“ (Lk 12,33d) ist es, auf den sich das Handeln des reichen Grundbesitzers hätte richten müssen, wenn er hätte reich sein wollen vor Gott (vgl. Lk 12,21b). Wie dieser Schatz aber richtigerweise erworben wird, stellt der Text im Rückgriff auf die strukturierenden Besitztümer (rp\qwomta; Lk 12,15 f.33a) heraus. Damit wird die Beantwortung der Frage, ob eine Person reich ist vor Gott (vgl. Lk 12,21b), davon abhängig gemacht, wie sie mit ihrem konkreten materiellen Besitz umgeht. Entsprechend steht diese Frage sowohl in der Erbszene und der Parabel vom reichen Kornbauern als auch in der anschließenden Jüngeransprache im Zentrum des Interesses. Diesbezüglich bilden sich verschiedene Umgangsweisen mit Besitz im Text ab, die unterschiedlichen Regelsystemen zuzuordnen sind. Die geplanten Maßnahmen des lukanischen Kornbauern lassen erkennen, wie Reziprozitätserwartungen mit marktwirtschaftlichen Interessen kollidieren. Die Marktmentalität, die sich in der Kalkulation des unwilligen Wohltäters offenbart, wurde in der antiken Literatur einerseits heftig gescholten, wie die zeitgenössischen Abrechnungen mit Habgier zeigen.123 Zum anderen zeichnet sich, in Ansätzen bereits bei Cicero, sehr deutlich dann bei Plutarch, eine gewisse Abkehr von der klassischen Auffassung des guten im Sinne des wohltätigen Mannes oder Menschen ab, der sich den Massen gegenüber spendabel zeigt.124 Stattdessen bildet sich ein Ideal der Sparsamkeit und Einfachheit (eqt]keia/frugalitas) heraus, bei dem nicht mehr die 121 Vgl. F.W. Horn, Glaube 64; weitere Nachweise bei M. Wolter, Lk 458. Zu den vielschichtigen Bedeutungsdimensionen von hgsauqºr im AT und NT vgl. D. Zeller, Art. hgsauqºr, in: EWNT II 369–375. 122 D. Zeller, Art. hgsauqºr, in: EWNT II, 373, mit Verweis auf Tob 4,9; 12,8 f; Sir 3,4; 17,22 f; 29,10–12; PsSal 9,5. C. Hays verweist zudem auf Philo, Cher 48; Praem Poen 104; 118; Det Pons Ins 35; Virt 5; zudem auf rabbinische Traditionen wie etwa die von Monobasses, dem König von Adiabene, der zum Judentum konvertierte: In einer Hungersnot soll er sein gesamtes Vermögen den Armen gegeben und sich dadurch Schätze für die kommende Welt gesammelt haben (vgl. C.M. Hays, Luke 44 f, mit Verweis auf t.Pea 4,18; b.BB 11a). Barclay ergänzt in diesem Zusammenhang u. a. Sir 12,2: „Tue Gutes dem Gottesfürchtigen, und du wirst Vergeltung finden, und wenn nicht von diesem, so doch vom Höchsten“, und macht gegen die Auffassung Seth Schwartz’ geltend: „Jewish giving to the poor is fully enmeshed in the expectation of reciprocity, and its distinctive elements are justified not by an ‘anti-reciprocal’ ethos but by the modulation of the reciprocity-ethos into the expectation of reciprocity from God. The Jewish ideology is undergirded not by the ethos of a ‘pure’, unreciprocated gift, but by an emphasis on the certainty of reciprocation from God“ (J.M.G. Barclay, Paul 44). Zur Kritik an Schwartz’ Gegenüberstellung von (paganer) Reziprozität und (jüdischer) Solidarität siehe auch Kap. 1.6. 123 Zu diesem Absatz siehe ausführlich Kap. 5. 124 Das ist ausdrücklich als ein literarischer Diskurs anzusehen, der Verhältnisse kritisiert, die nach epigraphischem Befund im städtischen Alltag weiterhin Geltung zu beanspruchen scheinen. Zum Wandel im Verständnis des !cah¹r !m^q vgl. H.D. Betz, Sermon 634; siehe Kap. 6.4.
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Prestigesteigerung vor den Mitbürgern durch möglichst üppige Aufwendungen im Vordergrund steht. Diese finden weiterhin großflächig statt, daneben stellt sich aber bei vielen Enttäuschung ein: Die überkommenen Reziprozitätsrituale bringen nur diejenigen machtpolitisch weiter, die sie mit Nähe zum Kaiserhaus verbinden können. Unter den Übrigen empfinden wohl nicht wenige, dass sie nur „leeren Ruhm“125 für ihre Mühen ernten. Mit der frugalitas wird dem enttäuschten Oberschichtenmitglied ein Leitbild geboten, das ihn vor instrumentell betrachtet fruchtloser Verausgabung bewahrt, ihn dabei aber nicht als habgierigen Knauser dastehen lässt – zumindest nicht vor sich und seinesgleichen.
Den gewandelten Selbstbildern der Elite stand die schlichte Erwartung der weniger Begüterten gegenüber, die Vermögenden möchten sich ihrer nach Reziprozitätsgrundsätzen eingespielten Gemeinverpflichtungen nicht entziehen oder, mit Polanyi gesprochen: ihr ökonomisches Handeln weiterhin oder wiederum darin einbetten. Das aber bedeutet für den Ehrenmann, dass er durch sinnlose und ihn überfordernde Aufwendungen nichts mehr gewinnt, sondern nur in die Schlingen des mittlerweile professionalisierten Kreditgewerbes gerät, in dem Ehre und Ruhm keine validen Währungseinheiten darstellen. Nicht zufällig und doch offenbar hilflos versucht Dion, seine ihn bedrängenden Mitbürger an ebenjene Geldverleiher zu verweisen. Ein Konflikt dieser Art spielt sich zwischen dem lukanischen Kornbauern und denen ab, die von ihm „zurückfordern“, worauf sie meinen, einen rechtmäßigen Anspruch zu haben. 8.5.3 Die lukanische Alternative Erbszene und Beispielerzählung rekurrieren auf gesellschaftlich verinnerlichte Wechselseitigkeitsvorstellungen als etwas unhinterfragt Vorgegebenes, um an die kulturelle Erfahrungswelt der impliziten Leserinnen und Leser anzuknüpfen. Der Text greift die Logik des Spiels zwischen Euerget und Bevölkerung erst auf, um sie dann doch harsch zu durchbrechen, denn die Aufforderung, den eigenen Besitz zu verkaufen (pyk¶sate t± rp²qwomta rl_m; Lk 12,33a) bedeutet einen klaren Regelverstoß. Dabei ist nicht der bloße Verkauf, sondern der Aufruf zum Almosengeben das für antike Ohren Befremdliche: In Griechenland gab es nämlich durchaus schon im vierten Jh. v. Chr. „Leute, die ihren Grundbesitz verkauften“, nicht jedoch um den Erlös zu spenden, sondern im Gegenteil, „um ihren Reichtum für die Augen der Spitzel ,unsichtbar‘ zu machen und so die Besteuerung zu vermeiden“126. Die in Lk 12,33a geforderte 1keglos}mg dagegen ist in den paganen Bereich erst nachklassisch importiert worden, eignete sich nicht zur Ostentation, also zur öffentlichen Statusdarstellung mit dem Zweck der Distinktion, und wurde 125 Plut., Cup 525D–E. 126 K. Polanyi, Ökonomie 57.
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entsprechend nicht unbedingt als verdienstlich angesehen.127 Reziprozität hat nicht viel übrig für Armut, was Josephus in dem Spruch zum Ausdruck bringt, nach dem ein Agath n nur gewährt wird, wenn man vorher selbst irgendeinen Vorteil empfangen hat.128 Wie gezeigt, versucht er an anderer Stelle die w\qir der Armen als einen Wert einzuführen, der sich vorteilhaft einkalkulieren lassen soll.129 D. h., Reziprozitätsvokabular wird auf den Bereich gewinnorientierten Wirtschaftens angewandt, um darin eine beiden Bereichen fremde Kategorie, die der Zuwendung zu Bedürftigen, zu verankern. Lukas hingegen greift auf das Regelsystem Reziprozität zunächst wie auf ein Naturgesetz zurück, um dann Ausprägungen wie den Euergetismus grundsätzlich in Frage zu stellen. Geht es in der Parabel demnach um einen gescheiterten Rollenwechsel vom Wohltäter zum Geschäftsmann, so wird am Ende der Jüngerparänese der richtige Rollenwechsel propagiert: Durch Verkauf ihrer Besitztümer beenden die Vermögenden, die hier auch unter der Jüngerrubrik angesprochen sind (vgl. Lk 12,22), das Tauziehen um Euergesien und Ehre und brauchen sich daher nicht weiter zu sorgen.130 Lk 12,25 sollte m. E. so übersetzt werden: „Wer von euch vermag mit seinem Sorgen seiner Körpergröße (1p· tµm Bkij¸am) auch nur eine Elle hinzufügen?“ Da Bkij¸a sowohl Lebensalter als auch Körpergröße bedeuten kann, steht die Bedeutung der Stelle zur Diskussion.131 Die mehrheitlich favorisierte Übersetzung, dass kein Mensch seinem Lebensalter auch nur eine Elle hinzufügen könne, hat die lukanische 127 Vgl. H. Bolkestein, Wohltätigkeit 114; J. Hahn, Art. Almosen, DNP 1, 1996, 529–531; J.M.G. Barclay, Paul 43. Zu 1keglos}mg und 8K7J: J.-H. Kim, Zur Relevanz der Wiedergabe von 8K7J mit 5keor/1keglos}mg, in: S. Kreuzer/M. Meiser/M. Sigismund (Hg.), Die Septuaginta – Orte und Intentionen. 5. Internationale Fachtagung veranstaltet von Septuaginta Deutsch (LXX D), Wuppertal 24.–27. Juli 2014 (WUNT 361), Tübingen 2016, 510–519. Zum Wandel im Diskurs über die Haltung zur Armut siehe Kap. 6.2. Zur notwendigen Eliminierung moderner Almosenauffassungen, etwa dass zwischen der inneren Einstellung und der äußeren Tat zu unterscheiden sei, oder dass es sich dabei grundsätzlich um geringfügige Abgaben handle, vgl. H. Moxnes, Economy 113 f. 128 Vgl. Jos., Ant VI 341; siehe oben. 129 Siehe das obige Beispiel des Weinbergbesitzers, der auf die Dankbarkeit der Habenichtse zählen soll, anstatt eine wirtschaftlich optimale Nachlese durchzuführen. Die lukanische Darstellung scheint mir in ihrer Analyse wirklichkeitsnäher, wenn auch in ihren Konsequenzen radikaler und damit kontrafaktischer. 130 Dass hier Vermögende als Jünger angesprochen werden, ist ein weiteres Indiz dafür, dass auch in Lk 6,24 kein von der Jüngergruppe verschiedener Personenkreis angesprochen ist (siehe Kap. 6.2.1). 131 I.H. Marshall bringt gegen die Auffassung von Körpergröße vor: „in regard to height an extra cubit would be positively unwelcome“ (ders., Lk 528). Fitzmyer fasst die Positionen bis dato zusammen und wählt selbst die zeitliche Variante (vgl. ders., Lk II 978 f). Bovon sieht hier ebenfalls „eher die Länge unseres Lebens als unsere Größe“ (ders., Lk II 305) angesprochen, während Wolter präzisiert, dass nicht „Lebensdauer“, sondern lexikalisch nur „Lebensalter“ als Übersetzung zulässig sei (vgl. ders., Lk 454). Edwards plädiert aufgrund der Kollokation mit p/wum für eine räumliche Auffassung (vgl. ders., Lk 374).
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Konkordanz gegen sich (vgl. 2,53; 19,3), weshalb in der Linie des Ausgeführten ein visuelles Argument für die Auffassung von Bkij¸a als Körpergröße eingebracht werden soll: Die Wohltaten eines Euergeten zogen, wie bereits mehrfach ausgeführt, Ehrungen durch die begünstigte Stadt oder Körperschaft nach sich, die von einer beschrifteten Steinplatte über Kränze, Gemälde bis hin zur Errichtung einer Bronzeoder Marmorstatue reichen konnten. Diese sollten vorzugshalber an einem besonders öffentlichkeitswirksamen Platz (celeberrimus locus/1pivam]stator t|por), etwa auf Foren oder in Tempeln angebracht bzw. aufgestellt werden, wie viele Dekrete verraten.132 Die Stadtverwaltungen fungierten als Schiedsrichter beim Streben der Eliten um deren Platz an der Sonne. In Rom durften neben dem Kaiser nur Senatoren und Ritter in Statuenform abgebildet werden, wodurch die sichtbaren Figuren zugleich ein Abbild der sozialen und hierarchischen Ordnung darstellten. Der Wettbewerb um Auszeichnungen konnte dabei zu deren Inflation führen, was einen „Statuenwald“133 in einigen Städten zur Folge hatte. Euergeten sorgten sich also darum, mittels möglichst aufwändiger Verausgabungen noch irgendwie sichtbar zu werden – gerade wenn alle publicity-trächtigen Plätze schon voll waren.134 Eine Möglichkeit dazu bestand darin, schlicht höher herauszuragen als die Übrigen, wie das meterhohe Säulen in Klaros oder Delphi belegen, auf denen dann in luftiger Höhe die Plastiken der Geehrten ragten.135 Die rhetorische Frage „Wer von euch kann dadurch, dass er sich sorgt, seiner Größe eine Elle hinzufügen?“ wäre so gesehen eine Beschreibung der intendierten Leserinnen und Leser im städtischen Sozialgefüge: Die hier Angesprochenen, die demnach nicht auf der prestigeträchtigen Geberseite zu verorten wären, schaffen es ohnehin nicht auf die vornehmen Plätze!136 Daher sollen sie sich auch nicht um „die Übrigen“ (12,26) sorgen, nämlich diejenigen, die ihren Ehrgeiz in die Vergrößerung der eigenen Statur setzen: die Völker der Welt (t± 5hmg toO jºslou; V. 30).137 Schließlich wird die Wachstumssemantik im nachfolgenden Bild der Lilien aufgegriffen, die ohne eigenes Zutun sogar die Pracht oder Ehre (d|na) König Salomos übersteigen (V. 27 f).
132 Vgl. Dio Chrys., Or XLIV 2; XXXI 87 f; IGR IV 1236,27 f; J.E. Lendon, Empire 79 i.d.Anm.; F. Quass, Honoratiorenschicht 33. 133 J. Ma, Statues 126. 134 Als ein Beispiel von vielen für von Statuen überfüllte Plätze nennt John Ma das Asklepieion von Messene (vgl. ders., Statues 83). 135 Vgl. J. Ma, Statues 60; 224. 136 Zur Position der lukanischen Gemeinde im städtischen Kontext siehe Kap. 6.2.5; 7.1.4; 7.2.6; 7.2.7. Die abwechselnde Adressierung beider Gruppen, Gebern und Empfängern, zeigt sich auch in V. 29, wenn einerseits von der Sorge um Essen und Trinken, andererseits von Überheblichkeit die Rede ist. Wolter sieht in der Diskussion um die Bedeutung von lµ leteyq¸feshe einen gewissen Konsens, dass es im Sinne von „sich beunruhigen“, „(an)gespannt sein“, „sich in der Schwebe befinden“, „hin- und hergerissen sein“, „unsicher sein“ aufzufassen ist (vgl. ders., Lk 455 f). 137 I.H. Marshall notiert zwar: „The use of t± koip\ is odd“ (ders., Lk 528). Dennoch erwägen weder er noch Fitzmyer, Bovon, Nolland, Green, Wolter oder Edwards eine personale Auffassung im Sinne von oR koipo_.
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Der Widerstreit von sozialen Abgabepflichten und individualistisch ausgerichtetem Wirtschaften wird unterlaufen durch Einführung der beiden Systemen fremden 1keglos¼mg (V. 33b), zu verstehen als tätige Barmherzigkeit in der Form von Almosengeben.138 Das Versprechen hierbei: Die vormaligen Euergeten erreichen, dass ihre Geldbeutel nicht mehr von der stets fordernden Allgemeinheit verschlissen werden (vgl. Lk 12,33c–d), noch dass sie ihre Habe in ihrem häuslichen Geldschrank (arca/hgsauqºr) vor „Dieben“ (V. 33e) sichern müssen, die sich möglicherweise gewaltsam aneignen, was die Vermögenden für sich selbst aufspeichern wollen (vgl. V. 20 f) – beides lästige Nebenfolgen einer Existenz als Vermögender in den dargestellten gesellschaftlichen Bezügen: Lässt der sich auf das Spiel des Euergetismus ein, leert sich der Geldbeutel, verweigert er sich ihm, sieht er sich von Dieben bedroht. Verlegt der Wohlhabende sich aufs Horten und Akkumulieren, schlägt zudem der Faktor Zeit gnadenlos zu: Plötzlich, wie es dem reichen Kornbauern gesagt ist (vgl. V. 20b) oder allmählich, wie im Bild der Vernichtung durch die Motte deutlich wird (vgl. V. 33 f), in jedem Fall unausweichlich geht denen ihr materieller Besitz verlustig, die sich an ihn klammert. Demgegenüber wird mit dem sowohl pagan als auch frühjüdisch anschlussfähigen Motiv des Schatzes (hgsauqºr; V. 33 f) eine Motivation zur Weggabe des Besitzes geboten: Wie schon hinsichtlich des Lohnes und der Ehre, die in Lk 6,35 als Vergeltungsperspektiven in Aussicht gestellt werden, ist auch hier nach dem konkreten outcome einer solchen Verausgabung zu fragen. Adressiert scheinen in Lk 12,33 f die Vermögenden unter den Jüngern, die möglicherweise als Grundbesitzer einen gewissen Rang in ihrem städtischen Umfeld einnahmen. Bei der von ihnen geforderten Barmherzigkeit kann an eine Art Unterstützung gedacht sein, wie sie den Frauen im Umfeld Jesu zugeschrieben wird (vgl. Lk 8,3). Ob es hierbei um eine vollständige Einspeisung des Vermögens in die Gemeinde geht, wie das Apg 4,32 nahezulegen scheint, oder um eine Teilabgabe, wie sie der Zöllner Zachäus in einer Art öffentlicher
138 Green zufolge zielt die hier geforderte Almosengabe (1keglos¼mg) nicht darauf, sich das Gegenüber im Sinne des eigenen Machtgewinns zu verpflichten: „At work in this section is a subtle but significant shift in the forms of reciprocity familiar throughout the Roman world. Normally, one with treasures to share does so in order to place others in her debt; gifts are given in order to secure or even advance one’s position in the community. Inherent to the giving of ‘gifts’ in this economy is the obligation of repayment. The material sharing Jesus counsels has a different complexion. Disinvestment and almsgiving grounded in a thoroughgoing commitment to the kingdom of God are to be practiced in recognition that God is the Supreme Benefactor who provides both for the giver and for the recipient. Such giving has the effect not of placing persons in debt, but rather of embracing the needy as members of one’s own inner circle. In the economy intrinsic to the kingdom, those who give without exacting reciprocation, for example, in the form of loyalty or service, are actually repaid by God. Such giving, then, is translated into solidarity with the needy on earth and into heavenly treasure (see 6:35)“ (ders., Lk 496).
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Selbstverpflichtung (pollicitatio) in Aussicht stellt (vgl. Lk 19,8), kann dem Text nicht mit Sicherheit entnommen werden.139 Diskutiert wird in diesem Kontext die Frage, ob Lk zufolge nur ein vollständiger Besitzverzicht für Jüngerinnen- und Jüngerschaft qualifiziert – und ob sich im lukanischen Doppelwerk diesbezüglich überhaupt eine Systematik erkennen lässt. Christopher Hays betont, dass es in Lk 12,33 gerade nicht heißt, dass man „alle“ Besitzümer verkaufen solle: „In light of Luke’s penchant for p\mta, this omission seems to be the dog that didn’t bark, arguing against any attempt to make exhaustive divestiture requisite for disciples of Luke’s Jesus.“140 Er ist der Ansicht, dass die in Lk 14,33 formulierte Bedingung für Jüngerschaft, sich von allen Besitztümern zu verabschieden (!pot²ssetai p÷sim to?r 2autoO rp²qwousim), in LkEv und Apg kohärent durchgehalten werde. Das gelingt allerdings nur um den Preis einer gewissen Verinnerlichung des Aussagegehalts von „sich lossagen“ (!pot²ssolai). Der Ausdruck könne unterschiedliche legitime Verhaltensweisen innerer wie äußerer Art umfassen, wobei auch die innerliche Abwendung sich auf verschiedene Weise im äußerlichen Verhalten manifestiere: I contend that each of these behaviors can justly be described as renouncing p\mta. The poor itinerant renounces all by leaving behind his home and occupation, while bearing only the simplest of travel accoutrements. The rich itinerant, by contrast, renounces all either through giving her possessions to the poor prior to disembarking, or by continually expending her riches to support her fellow itinerants. Nonitinerants are by no means exempt from the command to renounce all; rather their renunciation takes a form more appropriate to their stationary mode of living. Those who are well-off open their house to the itinerants, observe justice in all of their dealings, and practice self-sacrificial generosity; in this way, without departing from their homes, they still have effectively renounced all their possessions. So also, poor localized disciples, with their lesser means, also extend hospitality to the itinerants, share what clothing and food they have with those in even greater penury, and give charitably to the fullest extent of their limited incomes. Although these early disciples are all depicted as heeding the Messiah’s annunciation of the Kingdom in different ways, each renounces all his or her possessions in order to follow Jesus.141
Es kann jedoch auch gefordert sein, ganz äußerlich alles wegzugeben, wie Lk am Typus eines wohlhabenden Sympathisanten klar macht: Der Magistrat in hervorgehobener Stellung (%qwym) in Lk 18,18 redet Jesus mit „guter Meister“ (did²sjake !cah´) an.142 Jesus weist die Anrede zurück: „Was nennst 139 An allen drei Stellen findet sich die Wendung 1j t_m rpaqwºmtym + Dativ. Zu denken ist auch an den Gottesfürchtigen Cornelius aus Apg 10–11, dessen Almosen und Gebete Gottes Wohlwollen finden (vgl. Apg 10,4; vgl. auch H. Moxnes, Economy 122), wobei nicht davon auszugehen ist, dass Cornelius alles weggegeben hat. 140 C.M. Hays, Luke 129. 141 C.M. Hays, Luke 267. 142 Wolter notiert dazu: „Bei Lukas (und nur bei ihm) sind die Jerusalemer %qwomter maßgeblich
Der richtige Umgang mit Besitz
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du mich gut [oder auch: wohltätig]? Niemand ist gut außer Gott“ (t¸ le k´ceir !cahºm. oqde·r !cah¹r eQ lµ eXr b heºr; Lk 18,19), was sich in die oben skizzierte Agath -Theologie einordnen lässt: Alle Wohltaten sind göttlicher Herkunft, und auch der städtische Beamte gibt allenfalls weiter, was er von oben empfangen hat. In diesem Sinne wird ihm beschieden: „Alles, was du hast, verkaufe (p²mta fsa 5weir p¾kgsom), und verteile es unter die Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel (hgsauq¹m 1m [to?r] oqqamo?r) haben, und komm und folge mir“ (Lk 18,22)! Sein großer Reichtum verhindert bekanntlich, dass der Archon der Aufforderung nachkommt (vgl. Lk 18,23).143 Die verschiedenen Aussagen Lks zum Besitzverzicht lassen sich schwerlich spannungsfrei harmonisieren; zentral für die Vermögenden ist aber, Gottes wohltätige Güte anzuerkennen, indem sie diese nachahmen.
8.6 Der richtige Umgang mit Besitz in Lk 12 Über die drei miteinander verknüpften Textabschnitte lässt sich zusammenfassend festhalten: Die Erbszene (1) stellt der Leserin die Situation einer Erbteilung vor Augen. Das Ideal eines gemeinsam verwalteten Erbes war sowohl im jüdischen als auch im paganen Bereich verbreitet, umgekehrt wurde die Forderung eines Einzelnen nach Teilung missbilligt und mit persönlicher Habgier in Verbindung gebracht. Die Weigerung Jesu den Streit zu regeln ist hierbei nicht zuletzt eine Weigerung, die Rolle einer Instanz zur Durchsetzung von Rechtsanspüchen zu übernehmen: „Mensch, wer hat mich als Richter oder Schiedsrichter über euch eingesetzt?“ (Lk 12,14b). Stattdessen ergeht in Übereinstimmung mit oben beschriebenem Ideal eine Warnung vor Habgier, d. h. auch davor, sich mit rechtlich durchzusetzenden materiellen Forderungen aus dem Gemeinschaftsverbund, hier der Familie, herauszulösen. Insofern schließt der lukanische Gedankengang an den von De Beneficiis an, wo eine rechtliche Durchsetzung von Reziprozitätsansprüchen zugunsten einer gesinnungsmäßigen Sanktionierung zurückgewiesen wird.144 an Jesu Tod beteiligt (Lk 23,13.35; 24,20; Apg 3,17; 13,27); von (durchaus auch nichtjüdischen %qwomter in anderen Städten spricht Lukas in Apg 14,5; 16,19. Vielleicht hat er sich unter ihm einen Synagogenvorsteher vorgestellt, vielleicht aber auch nur ein Mitglied des städtischen Magistrats. In V. 20 f zeichnet er ihn jedenfalls als einen Juden“ (ders., Lk 599). 143 Gegenüber jt¶lata pokk² (Mk 10,22) hat Lk pko¼sior svºdqa (Lk 18,23), wozu ren Kr ger schreibt: „Der Charakter des Mammons ist von den Gütern auf den Besitzer übergegangen“ (ders., Gott 58). Möglicherweise sind auch die Güter schon zu Geld geworden, m.a.W.: Könnte ein Grund für die Traurigkeit des reichen Magistrats bei Lk auch darin liegen, dass er seine Besitztümer bereits, wie von Jesus gefordert, verkauft hat, den Erlös allerdings nicht den Armen gegeben, sondern ihn bislang selbst genossen hat, wie es auch der reiche Kornbauer der Beispielerzählung vorhat? 144 Siehe Kap. 10.
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Der syntaktisch sperrig angefügte Ausdruck 1j t_m rpaqwºmtym aqt` (V. 15 f) ist sowohl im lukanischen als auch im außerbiblischen Sprachgebrauch – dort als stehende Wendung – mit der Abgabe von Besitz zu Gemeinwohlzwecken verknüpft. Damit erfüllt Teil (1) die Funktion eines thematischen Aufhängers für Teil (2), die Parabel vom reichen Kornbauern: Hier stehen sich die gemeinverpflichtenden Agath (V. 18e.19b) und das selbstbezügliche Aufspeichern (hgsauq¸fym 2aut`; V. 21a) gegenüber. So wie sich in Teil (1) ein einzelner Erbe der Erwartung familiärer Reziprozität entledigen will, beabsichtigt in Teil (2) auch der Kornbauer seine Gegenseitigkeitspflichten, hier in der Ausprägung genereller Reziprozität, auszusetzen.145 Er will mittels ökonomisch-rationaler Planung (vgl. V. 17 f) einen maximalen Erlös seiner Erträge erwirtschaften und es sich dann davon gut gehen lassen. Das Ziel seines Handelns ist damit nicht mehr ein Ansehensgewinn vor den Mitbürgern, denen er nach deren Auffassung etwas von seinen Agath schuldet, sondern der private Gewinn, wodurch ihn der Habgier-Vorwurf aus Teil (1) nach literarisch-zeitgenössischen Vorstellungen voll trifft.146 Angezielt ist dabei ausweislich des Textes allerdings nicht unternehmerische Reinvestition, sondern private schwelgerische Konsumtion (vgl. V. 19), wie sie auch in der Josefsgeschichte in der Version des Flavius Josephus mit Blick auf die Erzeuger befürchtet wird (siehe oben). Das eqvqa¸meim (V. 19 g) indiziert die luxuriöse Privatverausgabung,147 und dass diese Haltung mit den Reziprozitätserwartungen der Umwelt kollidiert, deutet sich schon dadurch an, dass der Kornbauer selbst die dort zu verortenden Agath erwähnt: Diese sind nicht im marktwirtschaftlichen Sinne anzulegen (je?shai; V. 19c), wie die höchste Instanz der Erzählung deutlich macht (vgl. V. 20 f). Die sachgemäße Anlage der Agath bestünde darin, die aus ihnen resultierenden officia gegenüber der Allgemeinheit zu beachten. Das auf Horten (hgsauq¸fym 2aut`; V. 21a) und individuellen Verbrauch gerichtete Planen steht hier im Zentrum der Kritik.148 Dabei wird auf die gewalttätige Seite des reziprokalen Ordnungsmechanismus abgehoben wie auf ein Naturgesetz: Wer von seinen Erträgen nichts an die Allgemeinheit abführt ist ein Narr, weil er sich dadurch den Zorn der Menge zuzieht – eine lakonische Feststellung auf Basis der Erfahrung, wie sich das Verhältnis zwischen Euerget und forderndem Volk zuspitzen konnte, wenn ersterer sich anschickte, statt Euerget Geschäftsmann zu werden. Der Verweis auf die Wirkmacht eingespielter Reziprozitätsmuster ist daher nicht moralisierend aufzufassen, sondern eher als eine weisheitliche Beschreibung der Dynamiken, die die soziale Wirklichkeit 145 Zu den Modellformen von Reziprozität siehe Kap. 1.2. 146 Gegen M. Wolter, Lk 450. 147 Kurz gesagt ist der Begriff bei Lk dann positiv konnotiert, wenn sich die mitschwingende, durchaus ressourcenintensive Festfreude in Gemeinschaft vollzieht. Individuell-abgesondertes eqvqa¸meim hingegen wird zurückgewiesen (siehe Kap. 9.2.2). 148 Und nicht etwa, dass dieses in landwirtschaftlicher Hinsicht irrational wäre, wie C.W. Hedrick behauptet (vgl. ders., Parables 158–160).
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von Stadtbevölkerung und Honoratioren bestimmten. Fatalistisch ist diese Beschreibung dennoch nicht, denn der Schlussspruch provoziert die Frage, wie man denn vor Gott reich sein könne (vgl. V. 21b), und leitet damit zum dritten Teil über. Offenbar sind die Reichen aufgerufen, ihr Vermögen für die Gemeinde einzusetzen. Dabei sollen Vermögenswerte durchaus zu Geld gemacht werden: Pyk¶sate t± rp²qwomta rl_m (12,33a). Statt sich aber dem konkurrierenden System gewinnorientierten Wirtschaftens zuzuwenden, sollen die Reichen ihre Mittel für die in keinem der beiden Systeme wirklich berücksichtigten Armen freigeben und Almosen geben (ja· dºte 1keglos¼mgm; 12,33b). Damit propagiert der Evangelientext eine jüdisch grundierte, für pagane Ohren neue Alternative mit ihren Besitztümern umzugehen: sich durch Barmherzigkeit einen Schatz im Himmel zu erwerben. Das konnte dann durchaus ganz konkret heißen, den ganzen Acker zu verkaufen und den Erlös den Aposteln zu übereignen.149 Genau so wird es nämlich vom Leviten Josef in Apg 4,36 berichtet.150 Umgekehrt reflektiert Lk, dass der Verkauf der Scholle noch nicht gleichbedeutend mit dem Einspeisen des gesamten Vermögens in die Gemeinde ist, wie an Hananias und Saphira in Apg 5,1–11 vorgeführt wird. Sie haben alles verkauft – um ihren Besitz für ihre Mitbüger unsichtbar zu machen (siehe Kap. 10). Die Armen, denen die Almosen zugutekommen sollen, sind wie die der Makarismen im Gemeindekontext zu verorten. Das bedeutet wiederum, dass Lk mit seiner Beispielerzählung vom Kornbauern offenbar nicht primär die gesellschaftlichen Verhältnisse ändern will, sondern den gesamten Bezugsrahmen des Handelns: Relevant scheint, was die Vermögenden in und an der christlichen Gemeinde tun, nicht ob sie in der städtischen Community angesehen sind oder privatwirtschaftlich erfolgreich agieren. Ein Seitenblick auf Paulus: In Gal 6,6 heißt es: „Wer im Wort unterwiesen wurde, gebe dem, der ihn unterrichtet, Anteil an allen Wohltaten“ (1m p÷sim !caho?r). Nach Ansicht Hermut Löhrs soll hier ein Katechet, der als Wanderprediger oder sesshafter Lehrer vorzustellen sei, versorgt werden: „Es wird hier zwar kein regelmäßiges und den Lebensunterhalt sicherndes Gehalt eingefordert, aber doch eine auch materielle Unterstützung (ob in Geld oder in Naturalien, bleibt offen), welche es den Betroffenen erleichtert, ihrer Aufgabe nachzugehen; möglicherweise ist an eine Kompensation für den Ausfall an Lebensunterhalt zu denken, der durch die zeitliche Belastung mit dem gemeindlichen Unterricht bedingt sein kann. Die unscheinbare Bemerkung wäre dann ein Beleg dafür, dass schon in der Frühzeit der nachösterli149 Brian Capper weist jedoch auf den Singular von !cq|r hin, was offenlässt, ob Barnabas vielleicht mehrere Äcker besessen hatte und weiterhin besaß (vgl. ders., Interpretation 122). 150 Bovon ergänzt: „Das Beispiel von Barnabas (Apg 4,37) verwirklicht den Befehl Jesu in zwei Etappen: die Realisierung der Güter, also der Verkauf, dann die Verteilung, also das Almosengeben. Die ,Güter‘ können verschiedenster Art sein, bewegliche oder unbewegliche“ (ders., Lk II 313).
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chen Jesus-Bewegung die Gemeinden nicht einfach auf die Spendenbereitschaft und den Gemeinsinn ihrer Mitglieder vertrauten, sondern die Sammlung und Verteilung gemeinsamer Mittel durch Argumente und verallgemeinerbare Regulierungen zu ordnen versuchte.“151 Dass, wie Löhr in der Folge behauptet, das Wort und das Gute eigentlich inkommensurabel seien, gilt allerdings nicht, wenn Agath n eben als Wohltat aufgefasst wird, denn dann wird deutlich, dass auch die Unterweisung eine Wohltat im Sinne der Weitergabe göttlicher Gaben darstellt. Mit Blick auf die Behandlung der Kollekte für Jerusalem in Röm 15,25–28 und den Dank des Paulus für Unterstützung in Phil 4,10–20 bilanziert Löhr, „wie Paulus ökonomische Fragen behandelt, nämlich indem er diese einbezieht in einen Diskurs über Güter und Gaben, der durch theologische Motive geprägt ist und die Unterschiede der Kategorien und Ebenen zwar nicht verschleiert, aber doch entschärft, indem das Gemeinsame von ökonomischen und theologischen Vorstellungen und Metaphern herausgearbeitet wird“152.
151 H. Lçhr, Lohn 202 f. 152 H. Lçhr, Lohn 204. Es wäre noch grundsätzlicher der Frage nachzugehen, ob nicht die ökonomische Semantik die theologische stärker präfiguriert, als eine tendenziell dualistische Sicht von theologischen und ökonomischen Bedeutungsgehalten – die Lçhr nicht zu unterstellen ist – nahelegt.
9. Enge Tür oder großer Schlund: was trennt Arm und Reich (Lk 13,22–30; 16,19–31)? Die beiden nachstehend zu behandelnden Perikopen Lk 13,22–30 und 16,19–31 fassen die räumlichen wie zeitlichen Voraussetzungen einer Begegnung oder vielmehr Nicht-Begegnung von Arm und Reich ins Auge. Mit scharfem Blick für die zeitgenössischen sozialen Trennungslinien, die auch architektonisch gezogen wurden, will Lk die Hauseigner zum Blick aus ihrer Haustür nötigen. Von ihren Räumlichkeiten aus verfügten sie über die Möglichkeiten, über Privatheit und Öffentlichkeit zu bestimmen, Gastfreundschaft und Schikanen zu inszenieren. Die Anlässe dafür boten Empfangsrituale wie salutatio oder cena. Die „Zeit der durchschreitbaren Tür“1 sollen die Hausherren nutzen, um diejenigen einzuladen, die gewohnt sind draußen zu warten – auch wenn von diesen kein Ansehens- oder sonstiger Gewinn zu erwarten ist. Für den Fall, dass sie dem nicht nachkommen, wird ihnen ein endzeitlicher Ausschluss aus ihren Häusern und von ihren Gastmählern angekündigt.
9.1 Gelenkte Blicke durch enge Türen: Lk 13,22–30 im architektonischen Kontext2 9.1.1 Textanalytische Bemerkungen Zur Bewältigung der Aufgabe, das „lukanische Puzzle von Texten verschiedener Herkunft“3 richtig zusammenzusetzen, sind zuerst die narrativen Auffälligkeiten und Schwierigkeiten zu registrieren und mit dem Seitenreferenten Matthäus abzugleichen. 1. Lehren und Wandern: Beides wird gleich zu Beginn durch diapoqe}y und did\sjy ja· poqe_am poi]olai (V. 22) stark akzentuiert, letztere Wendung findet sich nur bei Lk.4 In der Binnenerzählung vom Hausherrn wird 1 F. Schnider/W. Stenger, Tür 282. 2 Die folgenden Ausführungen basieren auf dem Aufsatz des Verf., Der Blick durch die enge Tür: Lk 13.22–30 im architekturgeschichtlichen Kontext der städtischen domus, in: NTS 58,4 (2012) 481–502. 3 F. Bovon, Lk II 437. Zum Umfang einer möglichen Q-Vorlage vgl. die entsprechenden Anmerkungen im genannten Beitrag des Verf. 4 Bei Mk findet sich nur eine Version des Spruchs von den Ersten und Letzten (vgl. Mk 10,31). Mt hat die Einleitung in Lk 13,22 nicht und stellt die gemeinsamen Logien in verschiedene Erzähl-
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nochmals darauf verwiesen, der Hausherr habe auf den Straßen der um Einlass Bittenden gelehrt (1d¸danar; V. 26e). 2. Die enge Tür: Auf die an Jesus gerichtete Frage, „ob es wohl wenige sind, die gerettet werden“ (Lk 13,23), antwortet dieser mit dem Wort von der engen Tür, das sich in zweierlei Weise von der matthäischen Version unterscheidet: Lk betont die Anstrengung (!cym¸feshe), und zwar durch eine Tür, nicht durch ein Tor zu gehen (h¼qa/p¼kg), um in die Basileia zu gelangen (Lk 13,28b; ins Leben: Mt 7,14a). Mt 7,13a
Lk 13,24ab
EQs´khate di± t/r stem/r p¼kgr
!cym¸feshe eQsekhe?m di± t/r stem/r h¼qar
3. Nur Lk erzählt von einem Hausherrn, der aufsteht und die Tür verschließt, woraufhin sich die Angesprochenen draußen aufstellen (5ny 2st²mai) und anklopfen (V. 25). Damit verschiebe sich der Schwerpunkt der Tür-Metapher von „eng“ zu „verschlossen“, weshalb nicht nur Christoph Heil meint: „Die ,Bildlogik‘ von Q 13,24–27 ist […] sehr sprunghaft“5. Als Prätext für Lukas’ enge Tür ist die Vision von den zwei Himmelswegen in TestAbrA 11,3 vorgeschlagen worden: Ein breiter und ein schmaler Himmelsweg führen zu zwei entsprechenden Toren, wobei viele Seelen von Engeln durch das breite Tor ins Verderben geführt werden, aber nur wenige durch das enge den Weg zum Heil finden.6 Demgegenüber ist in vorliegender Erzählung der Hauskontext zu beachten und dass nur von einem Eingang die Rede ist, und zwar einer engen Tür, nicht einem Tor (siehe oben).7 4. Unbekanntheit als K.O.-Kriterium der Einlasskontrolle: Gegenüber Mt ist die zweifache Antwort des Hausherrn auf die Bitte der Anklopfenden um Einlass beachtenswert (vgl. Lk 13,25–27): Mt 25,12d
Lk 13,25jk.27cd
oqj oWda rl÷r
oqj oWda rl÷r pºhem 1st´
zusammenhänge von dem Bildwort der zwei Wege (7,13 f), dem Gleichnis von den zehn Jungfrauen (25,10–12) und der Warnung vor falschen Propheten (7,22 f). 5 C. Heil, Lukas 50. Auch Christopher Tuckett meint, „to call the door ‘narrow’ seems to overload the imagery somewhat“ (ders., Q 192). Paul Hoffmann sieht darin „ungeschickte Kompositionsarbeit“ (ders., Tradition 139); vgl. auch I.H. Marshall, Lk 565. 6 Vgl. M. Wolter, Lk 491. 7 Womit die Möglichkeit einer intertextuellen Referenz auf TestAbrA aber nicht bestritten werden soll.
Gelenkte Blicke durch enge Türen
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Die lukanische Ergänzung pºhem 1st´ ist stilistisch eigenwillig: Mit der Aussage „Ich kenne euch nicht, woher ihr seid“ werden Bekanntheit und Herkunft der Bittsteller akzentuiert. Der sich anschließende Erinnerungsversuch der Außenstehenden bezieht sich darauf, dass man „vor“ oder „in (sichtbarer) Gegenwart von“ (1m¾piom; V. 26c), und nicht etwa zusammen mit dem Hausherrn getafelt habe, was offenbar alles nur noch schlimmer macht: In Anlehnung an Ps 6,9a werden sie, die der Hausherr gar nicht kennt, als 1qc²tai !dij¸ar (V. 27e) beschimpft und endgültig herausgeworfen.8 Bei Unterstellung einer zusammenhängenden Narration muss der Grund für die Abweisung folglich eben darin zu finden sein, dass die Anklopfenden dem Hausherrn unbekannt sind und dass sie in seiner Gegenwart getafelt haben, während der Hausherr auf ihren Straßen lehrte (vgl. V. 26e).9 Damit stellt sich die Frage, was für eine Szene die um Einlass Bittenden hier eigentlich in Erinnerung rufen. Durch did\sjy (V. 22b.26e) wird jedenfalls eine Analepse zur Rahmenerzählung vollzogen: Dort ist es Jesus, der auf den Straßen lehrt und gefragt wird, wie viele „gerettet“ würden. Er antwortet mit Blick auf eine enge Tür, wobei er offenbar tatsächlich auf eine Tür blickt: Möglicherweise spielt sich die Szene vor einem Hauseingang ab, hinter dem gerade ein Mahl stattfindet. Das würde bedeuten, dass die dort Dinierenden mit denen identisch sind, die in der Binnenerzählung endzeitlich vor der Tür, d. h. auf der anderen Seite stehen.10 Dass Erste Letzte sein werden, wird jedenfalls ausdrücklich am Schluss angemerkt (vgl. V. 30), und eine Umkehrung der Verhältnisse ist bei Lk vielfach zu finden, wie die Ankündigungen im Marienlob (vgl. Lk 1,51–53) ebenso zeigen wie die Mahnung nicht zu urteilen oder richten (vgl. Lk 6,37), wie zudem im Gastmahlskontext ausgeführt wird (vgl. Lk 14,7–24, bes. V. 11) sowie in der Beispielerzählung von Lazarus und dem Reichen (vgl. Lk 16,19–27). 5. Hinausgeworfen, aber nicht in die Finsternis: Sichtbarkeit, wie sie der Begriff 1m¾piom (V. 26c) impliziert, ist Lk auch wichtig nach dem Rauswurf, wobei sich zunächst fragt, woraus eigentlich, wenn sich die Anklopfenden doch erst draußen aufgestellt haben (vgl. V. 25d)?11 Der entsprechende Abschnitt sieht im Vergleich mit der matthäischen Version so aus: 8 „They had only eaten in the presence of Jesus; the language does not necessarily describe a real fellowship“ (I.H. Marshall, Lk 566). Von einer „Tischgemeinschaft“ (H. Klein, Lk 489) ist an dieser Stelle demnach keine Rede. In Mt 8,21–23 werden die Ausgeschlossenen dadurch diskreditiert, dass ihre Taten (Prophetie, Exorzismen, Wundertaten) sich nicht, wie sie behaupten, durch den Namen Jesu legitimieren, denn der kennt sie gar nicht. Damit scheint die Begründung für einen Ausschluss aufgrund von Unbekanntheit zunächst nachvollziehbarer als bei Lk. 9 Fitzmyer meint, „Jesus’ teaching in these utterances plays upon the OT idea of people being known by God“ (ders., Lk II 1022), und verweist auf Jer 1,5; Am 3,2; Hos 5,3; 13,5; Ps 138,6. 10 Nolland ist bzgl. V. 27 ebenfalls der Ansicht, „it now becomes quite explicit that the householder figure is Jesus“ (ders., Lk II 734; vgl. 736). 11 „The word 1jb\kky does not quite fit the preceding picture, for the outsiders were never actually in the banquet“ (I.H. Marshall, Lk 568).
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Mt 8,11f
Lk 13,28f
K´cy d³ rl?m fti pokko· !p¹ !matok_m 1je? 5stai b jkauhl¹r ja· b bqucl¹r t_m ja· dusl_m Fnousim ja· !majkih¶somtai adºmtym let± ftam exgshe )bqa±l ja· Ysa±j ja· Yaj½b 1m t0 basike¸ô t_m oqqam_m oR d³ uRo· t/r basike¸ar 1jbkgh¶somtai eQr t¹ sjºtor t¹ 1n¾teqom
)bqa±l ja· Ysa±j ja· Yaj½b ja· p²mtar to»r pqov¶tar 1m t0 basike¸ô toO heoO, rl÷r d³ 1jbakkol´mour 5ny
1je? 5stai b jkauhl¹r ja· b bqucl¹r t_m ja· Fnousim !p¹ !matok_m ja· dusl_m adºmtym ja· !p¹ boqq÷ ja· mºtou ja· !majkih¶somtai 1m t0 basike¸ô toO heoO
Lk erwähnt im Gegensatz zu Mt, dass die an der Tür Abgelehnten sehen können, wie die zur Basileia Geladenen an ihnen vorüberziehen (ftam exgshe; V. 28b), weshalb er folgerichtig auch nicht von Finsternis spricht (vgl. Lk 13,28c diff Mt 8,12). Damit werden die Chronologie und die räumliche Vorstellbarkeit der Ereignisse zum Problem: Nach Joachim Jeremias, dessen Deutung viele weitere beeinflusst hat, geht es beim Verschließen der Tür um ein „unwiderrufliches Zuspät“12, d. h. die Frage des Ausschlusses wird als eine zeitliche aufgefasst. Dadurch wird erklärungsbedürftig, weshalb die Größen Israels auch nach Ausschluss der Anklopfenden noch ihre Plätze beim Gastmahl der Basileia einnehmen dürfen – und wie sie bei verriegeltem Eingang eigentlich hereinkommen. Räumlich gesehen ist zudem unklar, wie die nicht Zugelassenen die anderen noch sehen können, wo sie doch, wenn auch nicht in der Finsternis, so doch vor verschlossenen Türen stehen.13 Das K.O.-Kriterium für Einlass oder Abweisung scheint jedenfalls nicht darin zu bestehen, wann man zum Gastmahl der endzeitlichen Basileia eintrifft, sondern ob man dem Hausherrn bekannt ist (vgl. Lk 13,25jk.27cd).
12 J. Jeremias, Art. h¼qa, in ThWNT III 173–80, 175; so auch I.H. Marshall, Lk 562; 565 f; J.A. Fitzmyer, Lk II 1022; J.B. Green, Lk 529 und viele weitere. 13 Gibt es eine Öffnung in der Tür (vgl. I.H. Marshall, Lk 567), oder kann man durch die Fenster hineinschauen (vgl. F. Bovon, Lk II 436)?
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9.1.2 Architekturgeschichtliche Voraussetzungen Fitzmyer sieht aufgrund der Aussage, dass viele sich bemühen werden hineinzukommen, aber es nicht schaffen (V. 24), eine „traffic jam situation before the narrow door“14, und Wolter fasst zutreffend zusammen: „‘Durch die enge Tür eintreten‘ (24a) ist also eine Metapher für den Zugang zum Heil. V. 25–29 zeigen, dass Lukas sich dieses Heil als ein Festmahl vorstellt, das in dem Haus mit der engen Tür stattfindet.“15 Es bleibt zu klären, wo dieses Haus mit der engen Tür steht, m.a.W. welche zeitgeschichtlichen Architekturformen als Vorlage des Textes in Frage kommen. Hinter Q 13,24–27 sieht Dirk Jonas „die einfache und allgemeinverständliche Vorstellung eines (Wohn-)Hauses mit seinem Hausherrn“16, das nur einen engen Eingang habe, der zugleich der Ausgang sei, und an die „Hausgemeinschaft eines bäuerlichen Landguts“17 denken lasse. Im Gegensatz zu der hier nicht oder zumindest nicht explizit vorgenommenen zeitgeschichtlichen Einordnung erläutert Peter Richardson hinsichtlich der Wohnhäuser in Galiläa und Gaulanitis im ersten Jh. n. Chr., es handle sich um relatively simple, one or two stories of rough masonry construction, with almost no hewn stones even around the openings. […] Second floors and roofs would have been constructed from small locally cut wooden beams18.
Die Ausnahme stellt ein in Yodefat ausgegrabenes Haus dar, das auf größeren Reichtum schließen lässt und möglicherweise als Peristylhaus mit künstlerischen Einrichtungselementen des sog. Ersten Stils in Pompeji zu identifizieren ist.19 Die Aufforderung in Lk 13,24, sich durch die enge Tür zu mühen, deutet Richardson auf der Ebene von Q jedoch mit Blick auf Befestigungsanlagen: „Followers must enter by the narrow gate, as in a walled town.“20 Damit nimmt er für die Q-Stelle einen städtischen, keinen häuslichen Kontext an. Für die lukanische Komposition ist dieser aber unbedingt stark zu machen, und generell ist Moxnes Recht zu geben: „Luke’s descriptions of houses appear to be informed by a different landscape and culture from that of a Palestinian village.“21 Das am deutlichsten mit einem engen Hauseingang verknüpfte Wohnbauwerk ist die domus oder Atriumhaus, die städtische Wohnform der rö14 15 16 17 18 19 20 21
J.A. Fitzmyer, Lk II 1022. M. Wolter, Lk 491. D. Jonas, Tür 194. D. Jonas, Tür 195. P. Richardson, Building 76. Vgl. P. Richardson, Building 78. P. Richardson, Building 87. H. Moxnes, Context 380.
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mischen Oberschichten.22 Den Nukleus bildet das vom Architekturschriftsteller Vitruvius sog. atrium, eine Eingangshalle mit rechteckiger Aussparung im Dach (compluvium), das für das Auffangen von Regenwasser in einem Becken (impluvium) konzipiert ist.23 Den Eingang von der Straße her bilden vestibulum und fauces, letztere ein schmaler Korridor mit einer im Verhältnis zum gegenüberliegenden tablinum idealerweise genau festgelegten Breite (vgl. Vitr., Arch VI 3,6): Im Atrium, möglicherweise auch im tablinum, begrüßte der paterfamilias Gäste, Klienten, Freunde und wäre nach baulicher Idealvorstellung bei seinem Dienst an der Allgemeinheit von der Straße aus durch die fauces zu sehen.24 Ein zweiter Nukleus kam durch das griechisch importierte Peristyl hinzu, das sich an das tablinum, welches den Schlusspunkt der ursprünglichen domus bildete, anfügte und es damit zum Durchgangs- und nicht zuletzt Durchsichtsraum machte. Im gartenartigen Erweiterungsbau war Platz für Dekoratives, Statuen und Wasserspiele, was u. a. dem Kontakt mit vertrauteren Gästen diente. „Das Peristyl ermöglichte mit seinen Säulengängen aber auch Spaziergänge (ambulationes), wie sie bisher nur im öffentlichen Raum möglich gewesen waren.“25 Gerade für dieses so verlängerte Atriumhaus ist die bewusst gestaltete Axialität charakteristisch, die den Blicken der vor der fauces Stehenden eine klare Richtung auf tablinum und Peristyl bis zum Lararienschrein an dessen Rückwand vorgibt (siehe Abb. 2). Zu beachten ist dabei, dass anders als in anderen axial angelegten Bauten die Achse nicht auf ein eindeutiges Ziel gerichtet ist, sondern immer ein Raumensemble in den Blick nimmt, worin […] die eigentliche Deutung des römischen Hauses zu suchen ist26.
Dadurch wird eine Offenheit des Hauses insinuiert, die sich jedoch als tückisch erweist: Vermittelt der Blick durch die fauces einen direkten Weg bis zum anderen Ende des Hauses – sofern das tablinum nicht durch einen Vorhang oder eine Schiebetür verschlossen ist (siehe Abb. 4) –, müsste die Besucherin in der Realität um das impluvium herumgehen. Erst im Atrium würde sie der Wandmalereien gewahr und könnte Einsicht in die abgehenden cubicula und triclinia nehmen. Zudem entspricht der Sicht in den hinteren Gebäudeteil des Peristyls kein realer Durchgang durch das tablinum, der in Wahrheit durch die vom Eingang aus nicht sichtbaren Seitenflügel führt. 22 Vgl. P.M. Allison, Spaces 269. 23 Vgl. A. Wallace-Hadrill, Development 282. 24 Als bauliche Reminiszenz an die ursprüngliche Funktion als Ehelager blieb vielen Autorinnen und Autoren zufolge noch eine schmale steinerne Liege, der lectus übrig (vgl. C. Kunst, Leben 73). Diese Hervorhebung und Funktionszuschreibung des tablinum hat Fabian Goldbeck kürzlich freilich stark in Frage gestellt (vgl. ders., Salutationes 138 f). Speziell für die salutatio schätzt er die Axialität der domus als unerheblich ein, da die salutatores den Außenstehenden die Sicht versperrten (vgl. F. Goldbeck, Salutationes 137 i.d.Anm.). 25 C. Kunst, Leben 77. 26 C. Kunst, Leben 72.
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Shelley Hales verweist auf das Gefälle zwischen innen und außen, das in die Architektur selbst eingetragen ist: „The experience of the house was deliberately differentiated between insider and outsider. Even where insider and outsider looked at the same object, they did so from a different perspective.“27 Diese von innen reglementierte Einsehbarkeit der domus verweist auf eine dem modernen Verständnis gegenüber verschiedene Auffassung von Privatheit und Öffentlichkeit.28 Als vorbildlich stellt Velleius Paterculus diesbezüglich das Verhalten des Livius Drusus dar: Als er sich auf dem Palatin ein Haus baute […], da versprach ihm der Baumeister, er werde es so anlegen, dass er frei sei von lästigen Blicken und ungestört durch Horcher und Späher und auch ohne Einblicke von oben. Drusus gab ihm zur Antwort: „Im Gegenteil – wenn du deine Kunst verstehst, dann baue mir ein Haus so, dass alles, was ich tue, von jedermann beobachtet werden kann“ (Vell. Pat. II 14,3)!
Seneca ermahnt seine Standesgenossen, sich in ihren vier Wänden nicht zu verstecken, obwohl gerade das seiner Meinung nach die Sitten der Zeit widerspiegelt, denn kaum wirst du jemanden finden, der bei offener Tür leben könnte. Türhüter hat unser Schuldbewusstsein, nicht unser Stolz vor die Tür gestellt: so leben wir, dass es ertappt zu werden bedeutet, plötzlich erblickt zu werden. Was aber nützt es, sich zu verbergen und die Augen der Menschen und Ohren zu meiden? Ein gutes Gewissen ruft die Menge zu Zeugen, ein schlechtes ist auch in der Einsamkeit angstvoll und unruhig (Ep XLV 4 f).29
Das offene Haus sollte nicht nur einsehbar, sondern auch zugänglich sein. Dabei sollten diejenigen, die „den Bürgern gegenüber Verpflichtungen erfüllen müssen“ (praestare debent officia civibus; Vitr., Arch VI 5,2), d. h. diese zur Morgenaufwartung oder zum Gastmahl empfingen, ruhig bauliche Opulenz vorzeigen. Als Voraussetzung zur Besetzung städtischer Ämter war sogar eine bestimmte Mindestgröße des eigenen Hauses erforderlich.30 27 S. Hales, House 113. Das konnte auch gerichtlich relevant werden, etwa wenn es um die Frage ging, ob jemand bei einem später in Ungnade gefallenen Hausherrn bei der salutatio gewesen sei. In einem von Cassius Dio berichteten Fall verteidigte sich der Beschuldigte, es habe nur für die Leute von außen so ausgesehen als sei er in den Räumen des Angeklagten gewesen, tatsächlich habe er sich noch vor dem Empfangsbereich des Hausherrn aufgehalten (vgl. Dio C. LXXVII 5,3 f; zu den baulichen Voraussetzungen der Anekdote vgl. F. Goldbeck, Salutationes 156 f). 28 Vgl. F. Goldbeck, Salutationes 24; mit Verweis auf weitere Literatur. 29 Vgl. M.B. Roller, Autocracy 85 f. „The good senator would inevitably keep an open house“ (S. Hales, House 36). 30 Vgl. W. Eck, Ämter 17; Vitr., Arch VI 5,1. Dabei galt zumindest als Ideal: „Any luxury […] is shared with outsiders“ (S. Hales, House 28). Dem kompetitiven und ausufernden Bauluxus im Übergang zum Prinzipat setzte Augustus einen bewussten Bescheidenheitsgestus entgegen (vgl. S. Hales, House 20–32; H.-J. Drexhage/H. Konen/K. Ruffing, Wirtschaft 165).
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Abb. 1: Plan einer hypothetischen domus mit Terminologie Vitruvs
Abb. 2: Casa del Poeta Tragico, Pompeji (VI 8,3–5), Blick durch die fauces
Gelenkte Blicke durch enge Türen Abb. 3: Blick aus dem tablinum
Abb. 4: Casa del Tramezzo di Legno, Herculaneum (III 11), tablinum aus Holz
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Enge Tür oder großer Schlund: was trennt Arm und Reich Abb. 5: Casa del Gran Portale, Herculaneum (V 34–35), Eingang
9.1.3 Typische Formen sozialen Austausches in der domus Zu den Verpflichtungen, denen im Haus nachzukommen war, gehörten die Morgenaufwartung, v. a. im stadtrömischen Kontext als salutatio bekannt, und die in der Regel abendliche cena. Für den Zusammenhang vorliegender Perikope ist v. a. die cena von Belang, da es offensichtlich um Essen und Trinken geht, doch zeigen sich auch an der damit verwandten salutatio viele Aspekte häuslichen Austausches mit Gästen in der domus. Die Morgenbegrüßung, bei der sich Freunde und Klienten bei einem Hausherrn am Morgen einfanden, um diesem die Aufwartung zu machen, fand im Atrium statt. Die Salutatoren warteten im vestibulum, in der fauces oder gleich auf der Straße, möglicherweise auf dafür vorgesehenen Bänken.31 Zumindest für die Kaiserzeit lässt sich sagen, dass es dabei wohl oft Gedränge und Gerangel um die ersten bzw. besten Plätze gegeben hat.32 Wichtige Gäste, die zu spät kamen, konnten allerdings publikumswirksam an den Übrigen vorbeigeführt und in separaten Räum31 Vgl. C. Kunst, Leben 76. Mangels literarischen Niederschlages bleibt dies aber Spekulation (vgl. F. Goldbeck, Salutationes 134 i.d.Anm.). 32 Vgl. F. Goldbeck, Salutationes 147–149.
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lichkeiten empfangen werden.33 Fabian Goldbeck rekonstruiert den Ablauf wie folgt: Die Türen des Hauses wurden geöffnet und die Besucher traten – zeitlich gestaffelt – in das Haus ein, wofür der ianitor eine entscheidende Rolle gespielt haben dürfte. Im Haus wurden die salutatores, mutmaßlich unter Zuhilfenahme des Hauspersonals (nomenclatores und cubicularii), das Gesichter und Namen im Zweifelsfall besser kannte als der Hausherr, auf verschiedene Räume verteilt, wobei die Masse der Besucher im Atrium, d. h. von anderen Räumen ausgeschlossen blieb, während einzelne oder kleine Gruppen in kleinere, vielleicht prachtvoll ausgestattete Räume gelassen wurden. Die zeitliche Hierarchisierung der Besucher bei Eintritt in das Haus stellte übrigens für diejenigen, die „nur“ in das Atrium und keinen anderen Raum gelangten, zugleich auch eine räumliche Differenzierung dar: Die ersten unter ihnen gelangten […] in die hinteren, mutmaßlich auch in Rom besser ausgestatteten Bereiche des Atriums. Die Hochachtung des dominus für bestimmte Besucher war durch dieses Arrangement allen vor Augen geführt.34
Der Hausherr schritt wohl an den im Atrium zur Begrüßung Aufgestellten vorüber und sprach sie dabei mit einem have an, intimere Freunde konnten auch mit einem Kuss begrüßt werden.35 Inwiefern bei dieser Gelegenheit die Salutatoren ein Anliegen, etwa die Bitte um gerichtlichen oder irgendeine andere Art Beistand vorbringen konnten, lässt sich pauschal nicht klären, in der Kaiserzeit wurden jedenfalls die sog. sportulae mit einem bestimmten Geldbetrag darin verteilt.36 Zu dieser Zeit hagelte es auch Kritik an dem aus der republikanischen Zeit überkommenen Ritual, das seine instrumentellen Funktionen weitgehend eingebüßt hatte, v. a. jene, sich dem Wahlvolk als treusorgender Ansprechpartner zu präsentieren und es so an sich zu binden.37 Zur Selbstinszenierung des Hausherren gehörte es nun, sich mit domine oder rex anreden zu lassen, für einige wohl auch, ein großes Aufgebot an Besuchern aufwarten zu lassen, und dabei wiederum vornehmlich solche niederen Standes auszuschließen oder schikanös zu behandeln, etwa indem man sie warten ließ.38 Seneca geißelt solches Gebaren: Was? Diese Bücher, die kaum der Namennenner (nomenclatorum) Gedächtnis umfasst oder Hand, hältst du für eine Liste von Freunden? Nicht sind das Freunde, die in langem Zug an die Tür klopfen, die in die erste und zweite Audienz eingeteilt werden“ (Ben VI 33,3). Ein Treue- oder gar Freundschaftsverhältnis kann so nicht gedeihen, „oder kann dir dessen Treue zu Diensten stehen, der durch böswillig geöffnete Türen 33 34 35 36
Vgl. F. Goldbeck, Salutationes 160. F. Goldbeck, Salutationes 159. Vgl. F. Goldbeck, Salutationes 164. Zur Kussordnung vgl. J.E. Lendon, Empire 60. Zur Diskussion von Höhe und Relevanz des übergebenen Geldbetrages vgl. F. Goldbeck, Salutationes 174–186. 37 Vgl. F. Goldbeck, Salutationes 225. 38 Vgl. Sen., Ben VI 34,5; F. Goldbeck, Salutationes 174.
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nicht eintritt, sondern sich einschleicht“ (qui per fores maligne apertas non intrat, sed inlabitur; Sen., Ben VI 34,3)?
Es sind die vermeintlich offenen, in Wahrheit aber eben doch nicht begehbaren Wege durch die domus, die der Demütigung des Antichambreurs und damit der Statusschau des Hausherrn dienen. Nicht wenige traten „frühmorgens zum Gruß tausend Schwellen“ ab (Mart. X 10,2), und das nicht selten vergeblich (frustra; Sen., Tranq 12,6), weil sie entweder erst gar nicht eingelassen wurden oder aus ihrer Anwesenheit vor Ort keinen brauchbaren, etwa materiellen Nutzen ziehen konnten. Im Hintergrund scheint eine Verdrängung ärmerer Klienten durch Leute aus der Oberschicht gestanden zu haben. Die Freundschaft eines bessergestellten Klienten wiederum, wie ihn etwa Martial in der Figur des Paulus darstellt (vgl. Mart. X 10), zelebrierten die Hofierten nicht zuletzt dadurch, dass sie diesen vor den Übrigen bevorzugten. Diese waren ihrerseits für die Rolle der Übergangenen gebucht – eine Folge davon, dass, wie Winterling konstatiert, die symbolische Dimension von Freundschaft und Klientel in ihrer Bedeutung zunahm.39 Diese Inszenierungen kommen jedenfalls nicht ohne die turba aus, denn die Bevorzugung Einzelner wirkt nur durch die Zurückweisung der Vielen. Auch eine Einladung zum Gastmahl später am Tage zu ergattern, war ein begehrtes Ziel des morgendlichen, im Gegensatz zur cena oft als beschwerlich beschriebenen Grüßwettbewerbs.40 Wiederum im Modus der Kritik schildert Seneca, wie ein nomenclator aus der Masse der salutatores, wie es scheint wahllos, Tischgenossen für die cena einlädt (vgl. Sen., Ep XIX 11).41 Anscheinend war es beim Gastmahl üblich, dass der Hausherr seine Gäste an der Tür empfing und sie zu ihrem Platz geleitete, bei Petronius ist es ein atriensis, der die Gäste zu ihrem Platz führt.42 Der Zugang wurde ansonsten wohl von Sicherheitspersonal unter der Bezeichnung huqyq|r bzw. ostiarius reguliert, wie in oben zitiertem Statement Senecas deutlich wird (vgl. Ep XLV 4).43 Die Tür selbst sollte mit ihren Anleihen an Tempelarchitektur mit Halbsäulen und 39 40 41 42
Siehe Kap. 4.3. Vgl. D. Schnurbusch, Convivium 149 f, mit Verweis u. a. auf Mart. I 108. Vgl. D. Schnurbusch, Convivium 148 und i.d.Anm. Vgl. D. Schnurbusch, Convivium 156 und i.d.Anm., mit Verweis auf Plut., Pomp 40,4 und Dio C. LVII 11,3; dort heißt es, dass Tiberius selbst seine Gäste an der Tür empfangen und später auch wieder dorthin geleitet habe. Schnurbusch ist der Ansicht: „Es gehört zur literarischen Komposition der cena Trimalchionis, dass Petron den Gastgeber auch gegen diese Regel verstoßen lässt“ (D. Schnurbusch, Convivium 156). Das mag für den ganzen Abschnitt gelten, in dem der Hausherr sich verspätet zum Gastmahl begibt. Der Auftritt des atriensis selbst wird hingegen sehr beiläufig erwähnt, wodurch m. E. nicht eindeutig klar wird, dass diese Art Geleit ebenfalls eine Persiflage der gängigen Konventionen darstellt. 43 Dass Ciceros Haus keinen Türhüter (huqyq|r; Plut., Cic 36,3) gehabt habe, scheint etwas Besonderes zu sein. Dieser Beruf wird anderswo von Plutarch als verbreitet vorausgesetzt (vgl. Vit Aer 830B). In der Cena Trimalchionis sitzt ein ostiarius in einer eigenen cella vor dem Haus (vgl. Petr., Sat 28,8 f). Fronto rät zur Sicherung des Hauses durch Eisen und Türhüter (vgl. Ep Graec V 1).
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Pilastern die Blicke von der Straße auf den Hauseingang und den Wirkungsbereich des Hausherrn freigeben (siehe Abb. 5).44 Eher noch als bei der salutatio kam die Axialität der domus bei der cena zum Tragen, wenn sich von außen ein Blick auf die im Peristyl Dinierenden werfen ließ. Das war ggf. auch bei verschlossener Eingangstür noch möglich, falls diese aus Gitterwerk bestand (vgl. Vitr., Arch IV 6,6).45 Ob und wie viel vom Gelage vor der Tür zu sehen war, bestimmten Gastgeber und Gäste: Sie konnten entweder ostentativ vor den möglicherweise noch auf Einlass Hoffenden speisen oder sich in die von dort nicht einsehbaren Wandelgänge und Gemächer zurückziehen. Gerade die cena bot dem Hausherrn also die Gelegenheit, „Hierarchien als Gunst und Nähe bzw. Distanz“46 zu modellieren. Oftmals wird in dem Zusammenhang der Bericht Plinius’ d.J. angeführt, in dem er über die Qualitätsabstufungen klagt, die er bei der Bewirtung durch einen geizigen Gastgeber erlebt hatte (vgl. Ep II 6,2).47 Plinius selbst lehnt derlei Abstufungen ab (vgl. Ep VII 3,2) und isst dasselbe wie alle seine Gäste, sogar die Freigelassenen. Dass er sich dafür trotzdem nicht in Unkosten stürze, liege wiederum daran, dass er sich und den Übrigen bescheidene Kost vorsetze und seine Esslust zügele – womit er sich selbst als Mann der frugalitas präsentiert (vgl. Ep II 6,3–6). Diese hat gegenüber dem Geiz den Vorzug, dass sie wenig kostet und doch niemanden vor den Kopf stößt, weil alle anscheinend gleich behandelt werden.48 Auf der einen Seite stehen demnach Idealdarstellungen von zugänglichen Häusern und offenen Türen, an denen die Hausherren ihre Gäste warm empfangen und zu bescheidenen Mählern geleiten, bei denen alle – wenn auch nicht gleich, so doch gemäß ihrem jeweiligen Stand – ehrenvoll integriert sind. 44 Zur Anlehnung an Tempelarchitektur vgl. S. Hales, House 104; Vitr. Arch VI 3,6; IV 6. 45 „Abgesehen davon, daß eindrucksvolle Sichtachsen keineswegs durchgängig nachzuweisen sind […], muß man damit rechnen, daß angesichts der vielen morgendlichen Besucher die Blicke der Anwesenden weniger den (zu dieser Zeit durch Menschen ,verstellten‘) architektonischen Fluchten als vielmehr den Anwesenden galten. Die heutige ,Leere‘ der pompeianischen domus führt hier leicht in die Irre“ (F. Goldbeck, Salutationes 137 i.d.Anm.). 46 A. Ganter, Welt 247. 47 Schnurbusch zufolge zeigen die Ausführungen Plinius’, „dass es unüblich war, Gästen Speisen und Wein in unterschiedlicher Qualität zu servieren. Im Gegenteil zeigt die Reaktion der Gäste, die sich hierüber sofort echauffierten, dass ein solches Verhalten als unschicklich angesehen wurde“ (ders., Convivium 191; mit Diskussion der Forschungsmeinungen zur Stelle). SteinHçlkeskamp sieht das Problem hinter den Klagen nicht in der Ungleichbehandlung grundsätzlich, die es seit Jahrhunderten gegeben habe, sondern in der nicht standesgemäßen Behandlung und damit Entehrung traditioneller Klientengruppen im Prinzipat (vgl. dies., Gastmahl 98). 48 Zum Wertewandel in der Oberschicht in Bezug auf Aufwendungen und Genügsamkeit siehe Kap. 5.3; 6.3.3. Dass es Plinius um genau diesen Verausgabungsdiskurs geht, zeigt seine einleitende Charakterisierung des Gastgebers, „der nach seiner eigenen Meinung großzügig und bedachtsam (lautum et diligentem), nach meiner aber geizig und verschwenderisch zugleich war“ (sordidum simul et sumptuosum; II 6,1). Zur Ausgestaltung solch frugaler Mähler, wie sie Plinius wohl vorschweben vgl. E. Stein-Hçlkeskamp, Gastmahl 246–252; A. Ganter, Welt 220, mit Verweis auf Mart. X 31,48.
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Auf der anderen Seite gibt es bittere Klagen über gezielte öffentliche Demütigungen in einem Umfeld, das schon baulich so konzipiert ist, dass diejenigen im Haus bestimmen, was die draußen zu sehen bekommen sollen und wer wie weit vorgelassen wird. Einer privilegierten Privatheit der Insider steht die öffentliche Anonymität der Outsider gegenüber.49 Wer sich, in der Diktion Senecas, „durch böswillig geöffnete Türen einschleicht“ (Ben VI 34,3; siehe oben), schafft es dort vielleicht auf einen der billigen Plätze, wo ihm dann minderwertige, vielleicht sogar ekelerregende Dinge vorgesetzt werden.50 Doch sogar der Zaungast vor dem Haus erfüllte in gewissem Sinne sein officium gegenüber dem dominus, der ihn dort warten ließ oder abwies, denn die Sichtbarkeit der im Atrium oder auf der Straße Stehenden gab den im Peristyl Lagernden die Möglichkeit zu Selbstdarstellung und Abgrenzung gleichermaßen. 9.1.4 Deutung der Perikope vor ihrem architekturgeschichtlichen Hintergrund Die gewonnenen Erkenntnisse führen zu folgender Deutung von Lk 13,22–30, beginnend mit V. 24–29: Geschildert wird das Geschehen bei einem Gastmahl, in dieses semantische Feld gehören 1sh_y (V. 26c), p_my (V. 26d) und !majk_my (V. 29b). Auf der Grundlage erläuterter architektonischer Gegebenheiten gibt es zwei Möglichkeiten, das Setting zu rekonstruieren: (1) Die Angesprochenen stehen auf der Straße und klopfen an die Eingangstür. Diese kann nach Vitruv möglicherweise aus Gitterwerk bestehen (vgl. Arch IV 6,6), was den axialen Blick durch das Haus auch dann noch gewährleistet, wenn sie verschlossen ist. Vorstellbar ist, dass die Gesellschaft des Hausherrn im Peristyl auf einem Sommertriklinium zu sehen ist, möglicherweise auch in einem vom Atrium abgehenden Raum, dann vermutlich in einem vom Eingang aus eingeschränkteren Sichtfeld (siehe Abb. 2). Nicht ganz klar wird bei dieser Lösung, inwiefern von einem Herauswerfen (1jbakkol´mour 5ny; V. 28c) die Rede sein kann, wenn die Abgewiesenen bereits auf der Straße stehen. Alternativ wäre (2) an ein Setting zu denken, bei dem diese bereits ins Atrium vorgelassen 49 „The ultimate dichotomy here seems to be that the very rich were able to withdraw into their own private worlds and draw in the outside world with them. The poor remained invisible and ‘private’ even when living in public“ (S. Hales, House 133). 50 Vgl. E. Stein-Hçlkeskamp, Gastmahl 96–99, mit Verweis u. a. auf Mart. III 60. „Persönliche Beziehungen haben im Rahmen dieses institutionalisierten Getriebes aus Senecas Sicht jedenfalls keinen Raum, Kommunikation findet nicht statt, wird von den Patronen verweigert. Entweder verschlössen Patrone den Menschen draußen vor der Tür das Haus, weil sie sich opulenten Gelagen widmeten, sich von diesen schlafend erholten bzw. zu geizig für sportulae seien, fasst Seneca deren Motive zusammen, oder sie öffneten ihre Türen nur, um ihre Überlegenheit durch ostentative Respektlosigkeit gegenüber den Aufwartenden zu demonstrieren, indem sie deren Namen erst nach tausendfacher Einflüsterung tonlos nachsprächen, also ihr Desinteresse am Gegenüber, ihre mangelnde Empathie inszenierten“ (A. Ganter, Welt 240).
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worden sind und damit, gegenüber dem Aufenthalt auf der Straße, stärker in das inszenierte Geschehen innerhalb der domus einbezogen werden. Der Hausherr könnte dann das tablinum verschließen, und die im Peristyl lagernden Stammväter wären durch die offenen bzw. durch Personal (atriensis?) kontrollierten Seitendurchgänge zu sehen. Wird davon ausgegangen, dass die aus allen Himmelsrichtungen Eintreffenden (vgl. V. 29) durch diese Seitendurchgänge des tablinum zum Gastmahl eingehen, löst sich die narrative Schwierigkeit einer bereits verschlossenen Tür, die sich unter der Hand wieder öffnet: Der Gang ist offen, zumindest scheinbar. Im Atrium stehend ins Peristyl zu lugen, in das man doch nicht vorgelassen wird, lässt an Senecas fores maligne apertas (Sen., Ben VI 34,3, siehe oben) denken. Es folgt der Rauswurf all derer, die sich nach Verschließen der Tür noch im Atrium aufhalten.51 Nun der Reihe nach: Ein Hausherr erhebt sich von der cena und verschließt die Tür (h¼qa statt p¼kg!). Davor stellen sich Leute auf, klopfen an und bitten um Einlass. Hinsichtlich ihres sozialen Status scheinen Exponenten der gleichen Personengruppe im Blick wie bei Seneca, nämlich solche, „die in langem Zug an die Haustür klopfen“ (qui agmine magno ianuam pulsant; Ben VI 34,1, siehe oben). Die Antwort des Hausherrn, die Einlass Begehrenden nicht zu kennen, ergibt sich für ihn möglicherweise aus dem Blick in seine Bücher (siehe die libri der nomenclatores; Sen., Ben VI 33,4), in denen die Anklopfenden nicht aufgeführt sind. Dass diese daraufhin versuchen, sich als Bekannte ins Gedächtnis zu rufen, um doch noch eingelassen zu werden, leuchtet unmittelbar ein. Darüber hinaus verweist es auf die Wichtigkeit persönlicher Kontakte zu einflussreichen Personen im Kontext gesellschaftlicher Reziprozitätsbeziehungen, wie sie sich bei sozialen Ereignissen wie der salutatio, adsectatio bzw. anteambulatio (vgl. Suet., Vesp. 2,2; Mart. II 18; III 46) oder eben der cena ergaben.52 Die Anklopfenden, die auf einen Platz beim Gastmahl hoffen, offenbaren dem oQjodespºtgr tatsächlich ihre Herkunft, freilich nicht mit dem erhofften Ergebnis: Dass sie vor ihm (1m¾piºm sou) getafelt hätten und er auf ihren Straßen gelehrt habe (1d¸danar), weist analeptisch über die Szene hinaus auf die Rahmenerzählung (13,22.26). Dort ist es Jesus, der auf den Straßen der Städte und Dörfer lehrt. Die Pointe wird erkennbar: Die einmal an die Tür klopfen werden, liegen jetzt noch in ihren eigenen Häusern beim Gastmahl, vor ihm essend und trinkend, wie sie selbst zu Protokoll geben werden. Die 51 Bei dieser Lösung kann die enge Tür freilich streng genommen nicht mit dem Eingangsportal vor den fauces identifiziert werden. Die Äußerung Christiane Kunsts, die Axialität der domus nehme immer ein Raumensemble, nicht einen einzelnen Punkt in den Blick (siehe oben), ist analog auch für das hier Erzählte geltend machen: Der Text transportiert eine Atmosphäre von sozialen Austauschsituationen im Haus, in dem Gastfreundschaft und Ablehnung, Demütigung, Scham und Gemeinschaft erfahrbar werden. So lässt die enge Tür durchaus Assoziationen an das Eingangsportal zu, auch wenn sich die Zugangsregulierung zum Gastmahl schon weiter im Hausinneren abspielen sollte. 52 Zu den anteambulationes vgl. A.W. Lintott, Art. Cliens, clientes, DNP 3, 1997, 32 f.
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zukünftigen Bittsteller sind die oQjodespºtai der Gegenwart! Sie lagern möglicherweise in ihren Sommertriklinien, vielleicht durch die fauces zu sehen, vielleicht verborgen, jedenfalls in Hörweite der unmissverständlichen Botschaft Jesu, ihm und den Seinen ihre Tür nicht zu verschließen. Sie hören – durch die enge Tür, vor der Jesus und seine Jünger aktuell stehen – dass sie in einer unbestimmten Zukunft selbst auf der Straße stehen und an eines anderen Tür klopfen werden. Bleiben sie jetzt im bequemen Schutz ihrer privilegierten Privatheit, wird auch der endzeitliche Hausherr sie von seinem Bereich fernhalten (!pºstgte; V. 27e). Um das zu verhindern, müssten sie auf der Stelle Jesu Lehre befolgen. Diese besteht darin Leute einzuladen, von denen keine Vergeltung im Sinne einer Gegeneinladung zu erwarten ist. Das wird dem Gastgeber in Lk 14,12–14 erklärt. Die dort genannte Personengruppe wäre um durchreisende, nicht sesshafte Prediger wie Jesus und die mit ihm auf der Straße stehenden Jünger zu erweitern. So löst sich ein weitere vermeintliche kompositorische Spannung: Dass der Hausherr die um Einlass Bittenden nicht zuordnen kann, verurteilt sie folgerichtig zu Übeltätern: Die „Täter des Unrechts“ sind diejenigen, die auf der Ebene der Rahmenerzählung Jesu Aufforderung registriert haben, was sie in der Binnenerzählung selbst bekennen (vgl. Lk 13,26e). Sie haben also Jesu Lehre über Gastfreundschaft vernommen, aber dennoch ihre Tür nicht geöffnet und sind – die Straße im Blick – unter sich geblieben. Deswegen kennt der endzeitliche Hausherr sie auch nicht: Sie sind sich nie begegnet. Was für Jesus gilt, gilt entsprechend für seine Anhänger. Durch vielfache Übereinstimmungen im Wortlaut werden Bezüge zwischen den Anweisungen zur Mission in Häusern und Städten (vgl. Lk 10,5–12) und der Szene vor der Tür erkennbar: Wenn die Jünger in ein Haus hineingehen (eQs´khgte; Lk 10,5a), sollen sie nach dem Friedensgruß essen und trinken, was ihnen vorgesetzt wird (l´mete 1sh¸omter ja· p¸momter; Lk 10,7a). Werden sie aber in eine Stadt nicht eingelassen, sollen sie auf ihre Straßen hinausgehen (1nekhºmter eQr t±r pkate¸ar aqt/r; Lk 10,10c) und die nahe herbeigekommene Basileia ankündigen. Jesus fügt hinzu: „Ich sage euch: Sodom wird es an jenem Tag besser ergehen als dieser Stadt“ (Lk 10,12). Von Aufnahme oder Nichtaufnahme der Jesus-Jünger hängt für die Hauseigner ab, ob sie entsprechend der Eingangsfrage (Lk 13,23b) gerettet werden. Ob das nun viele sein werden oder wenige, lässt sich nicht mit der Prognose beantworten, wie viele angesehene oQjodespºtai auf eine zufällig mit angehörte Endzeitpredigt hin den Wandermissionar mitsamt seiner Reisegruppe von der Straße weg zur cena einladen. Vielmehr knüpft die Perikope zunächst an die alltäglichen Mühen der amici inferiores und clientes der städtischen Gesellschaft sowie das Verhalten derer an, von denen sie abhängig sind. Letzteren wird plastisch vor Augen geführt, dass, ebenso wie sie den Zugang zu ihrer „Herrlichkeit“ (Lk 9,26; siehe unten) regulieren, auch dereinst der Zugang zur Basileia reguliert sein wird – freilich nach anderen Kriterien. Für sie würde die Lehre Jesu umzusetzen bedeuten, die an die Tür Klopfenden aus ihrer öffentlichen An-
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onymität jetzt herauszuholen und sie zu Gästen und damit zu wirklichen amici zu machen. Sind sie sich dafür zu fein – denn unter den beschriebenen Bedingungen besteht ein Teil des Prestigegewinns darin, diese Leute gerade zu übergehen und zu demütigen – trifft sie das Wort Jesu im Zusammenhang der Nachfolge: „Wer sich meiner und meiner Worte schämt, dessen wird auch der Menschensohn sich schämen, wenn er kommt in seiner Herrlichkeit und in der Herrlichkeit des Vaters und der heiligen Engel“ (Lk 9,26). Vorbildlich hingegen verhält sich der Hausherr in Lk 14,21–24, der seine Sklaven auf die Straßen und Wege schickt (eQr t±r pkate¸ar ja· N¼lar t/r pºkeyr; Lk 14,21e), um diese Leute zu seinem riesigen Gastmahl (vgl. Lk 14,16b) zu drängen: Dem !cym¸feshe eQsekhe?m (Lk 13,24) steht dabei das !m²cjasom eQsekhe?m (Lk 14,23c–d) gegenüber, wodurch deutlich wird, dass es keinen Platzmangel in der Basileia gibt, sondern der Zugang auf der Basis des Verhaltens derer reguliert wird, die in ihrem Handeln eine Wahl haben. Damit korrespondiert auch Lk 11,5–13: Im Gleichnis ist die Rede von einer nächtlich verschlossenen Tür (vgl. Lk 11,7e), im Anschluss werden die Angesprochenen dreifach ermuntert zu bitten, zu suchen und anzuklopfen: aQte?te, fgte?te, jqo¼ete (Lk 11,9). Die dort vermittelte Erhörungsgewissheit weicht von der Ankündigung, dass viele vergeblich versuchen werden (fgt¶sousim eQsekhe?m; Lk 13,24d–e), durch die enge Tür zu gelangen, und vom Schicksal der in diesem Kontext Anklopfenden (jqo¼eim; Lk 13,25e) ab. Das liegt daran, dass in Lk 11,9 die kleinen Leute angesprochen sind, die andere um Brot angehen müssen (vgl. Lk 11,3.5 f.9 f), in Lk 13,22–30 hingegen diejenigen, die über Mittel verfügen andere zum Essen einzuladen.53 Die Mittellosen können der Erhörung gewiss sein, wenn die Gutsituierten die Lehre Jesu befolgen. Zur Frage des Zeitpunktes: Das Jeremias’sche Zuspät bezieht sich auf die Entscheidung in der Gegenwart der Rahmenerzählung. Beim zukünftigen Gastmahl der Basileia dagegen kommt es nicht auf den Zeitpunkt des Anklopfens an, sondern nur darauf, wer auf der Gästeliste steht. Das zeigt sich deutlich, wenn die ehemaligen oQjodespºtai sich mit Sicht auf die bereits in der Basileia Niedergelassenen grämen und auch später Eintreffende noch an sich vorbeiziehen lassen müssen. Die Schmach ist öffentlich, denn beim Gastmahl gilt das Motto sehen und gesehen werden, freilich für die Ausgeschlossenen nun unter umgekehrten Vorzeichen. So ergeht es auch dem von Jesus in Lk 14,7–11 angeführten Hochzeitsgast, der sich vorschnell auf dem besten Platz niedergelassen hat, diesen nun einem ehrenvolleren Gast überlassen muss und mit Schande (let± aQsw¼mgr; 14,9e), weil für alle sichtbar, auf den letzten Platz rückt – dabei war er sogar noch vor dem ranghöheren Gast da. Die aktuell draußen Stehenden sind demnach nicht, jedenfalls nicht in 53 In Bezug auf die beiden Freunde in Lk 11,5–7 geht Martin Ebner davon aus: „Wir befinden uns im Milieu armer Schlucker. Der eine hat gar nichts zu essen im Haus, der andere nicht viel“ (ders., Face 45).
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erster Linie aufgefordert, sich durch die enge Tür zu quetschen. Unter ihnen, den gesellschaftlich Letzten im Sinne von 13,30, befinden sich auch diejenigen, die in der Endzeit Erste sein, d. h. an den anderen vorbeigeführt und sich zum Gastmahl lagern werden. Das sind in der lukanischen Version neben Abraham, Isaak, Jakob „alle Propheten“ (13,28). Da die ersten drei Gestalten nicht mit Jesus auf der Straße angesiedelt werden, ist die von Lukas betonte Gruppe der Propheten näher zu betrachten. 9.1.5 Der Umgang mit wandernden, lehrenden Propheten auf der Straße Jeder Apostel, der zu euch kommt, soll wie der Herr aufgenommen werden. Er soll aber nicht länger als einen Tag bleiben; wenn es aber nötig ist, auch noch einen zweiten; wenn er aber drei Tage bleibt, ist er ein Pseudoprophet (Did 11,5 f).
Im Auszug aus der Didache geht es um den Umgang der ortsansässigen Gemeinden mit durchziehenden Missionaren. Unter den als Lehrautoritäten anerkannten Wandercharismatikern „gibt es Propheten, Lehrer und Apostel, und zwar als eine unstete, nicht ortsfeste Gruppe (11; 13,1–2).“54 Dass sie die „Lebensweise des Herrn“ (to»r tq|pour juq_ou; Did 11,8) befolgen, bedeutet, dass sie wie Jesus heimatlos, arm und ohne Familienanhang wandern und lehren – und von der Gemeinde weder Geld verlangen noch „im Geist“ Mahlzeiten für sich selbst bestellen (Did 11,6.9).55 Die Reglementierungen verweisen auf Missstände, die damit zu tun hatten, dass gewisse christliche oder eben pseudo-christliche Wandersleute die Gastfreundschaft der Gemeinden ausnutzten und es sich auf ihre Kosten gut gehen ließen.56 Daher werden die neuralgischen Punkte Versorgung und Geld streng reglementiert. Ein wenige Zeilen zuvor erwähntes Problem ist die Abwehr von Leuten, die „eine andere Lehre zur Auflösung“ (%kkgm didawµm eQr t¹ jatakOsai; Did 11,2), nämlich zur Auflösung ebendieser Gemeindeordnung, unter den Mitgliedern verbreiten: Auf sie soll man nicht hören.57 Beide Problemfelder – abweichende 54 F.R. Prostmeier, Konflikte 229. Die Trias ist angelehnt an 1 Kor 12,28, „wo !p|stokoi, pqov/tai und did\sjakoi als die drei grundlegenden Ämter genannt worden sind“ (D.-A. Koch, Entwicklung 178). Zwischen den einzelnen Bezeichnungen scheint es eine gewisse Austauschbarkeit zu geben, wie ja auch das Eingangszitat zeigt, in dem zunächst von Aposteln die Rede ist, die sich dann als Pseudopropheten zu erkennen geben. Dagegen will G. Schçllgen geltend machen, dass letzterer Begriff so breit angelegt sei, dass auch falsche Apostel damit gemeint sein können (vgl. ders., Didache 128 i.d.Anm.). 55 Vgl. G. Theissen, Wanderradikalismus 249. 56 Vgl. G. Schçllgen, Didache 59 f; D. Horrell, Leadership 328, mit Verweis auf Luc., Pergr Mort 13; 16; Fug 17,26; vgl. auch Did 12,5. 57 Das Ethos der Didache drückt sich laut Dominic Crossan in einem in Did 1,2–5 zum Ausdruck gelangenden „radical mini-catechism“ (ders., Birth 392) aus, einer Spruchreihe, die u. a. eine Fassung der Goldenen Regel sowie Aufforderungen zur Feindesliebe und zum Geben ohne Vergeltungserwartung enthält. Crossan stellt die Frage, wie die Hauseigner im Hintergrund der Didache auf diesen radikalen Mini-Katechismus reagierten. Auf die Forderung zu geben ohne
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Lehre und Missbrauch der Gastfreundschaft von durchziehenden Missionaren, werden im Zusammenhang verhandelt. Bei aller skrupulösen Wertschätzung, die wandernden Propheten entgegengebracht wird – die „Option des Didachisten ist eindeutig: Zukünftig sollen die gemeindlichen Funktionen bei den Episkopen und Diakonen liegen“58, und damit bei den Autoritäten vor Ort (vgl. Did 15,11). David Horrell sieht im Ganzen eine Machtverlagerung „from itinerant to resident leadership in earliest Christianity“59. Gerade mit Blick auf die Haustafeln der Pastoralbriefe geht er von einer Zentrierung der Macht bei männlichen Hauseignern aus: The increasing power and prominence of these well-to-do male leaders may be inextricably linked with the formulation of teaching which reinforces their position, regulates their “office” (elucidating their responsibilities and the necessary qualifications of respectability and social position), makes the household model increasingly dominant and marginalizes and deviantizes those who have a different view of the faith and its consequent social embodiment.60
Wo Gemeindeleitung sich am gesellschaftlichen oUjor-Modell orientiert, scheint für die lokalen Amtsträger soziales Ansehen auch außerhalb der Gemeinde an Relevanz zu gewinnen. Umgekehrt werden abweichende, charismatische Einflüsse von außen und innen tendenziell problematisiert und zurückgedrängt. Die lukanischen Texte positionieren sich anders, was sich schon an der Zuschreibung Pseudoprophet festmachen lässt: Laut Lk 6,26 zeichnen sich so Betitelte durch ihr hohes öffentliches Ansehen aus. Sie sind reich, lachen viel und lassen es sich leiblich gut gehen.61 Für das Adressatenprofil der Weherufe sind in Verbindung mit weiteren Lk-Stellen Lehrautoritäten jüdischer Provenienz wahrscheinlich gemacht worden.62 Das Label Pseudoprophet wird in den lukanischen Texten nicht Wanderern auf der Straße angeheftet, sondern eher denen, die im Haus zum Gastmahl laden. Ein
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Rückerstattung folgt ein Weheruf über die, die zu Unrecht, weil ohne Not Güter oder Dienstleistungen in Anspruch nehmen (vgl. Did 1,5–6). Darin schlägt sich Crossan zufolge sowohl die Forderung der wandernden Propheten als auch ihre Einhegung durch die von ihr herausgeforderten Hauseigner nieder (vgl. ders., Birth 393). F.R. Prostmeier, Konflikte 230. D. Horrell, Leadership 339. Für die Didache sieht Prostmeier einen schleichenden Übergang: „Die Charismatiker bleiben aus“ (ders., Konflikte 231, mit Verweis auf weitere Literatur zur urchristlichen Prophetie i.d.Anm.). D. Horrell, Leadership 336. Dazu gehören in den Pastoralbriefen nicht zuletzt Frauen und Sklaven (vgl. D. Horrell, Leadership 337, mit Verweis auf 1 Tim 2,11–15; 5,11–16; Tit 2,3–5; 1 Tim 6,1 f). Siehe Kap. 6.2. Siehe Kap. 6.2.5.; 6.4; 9.2.5. In dieses Bild passt der ebenfalls als jüdischer Pseudoprophet bezeichnete Barjesus, der im Gefolge eines römischen Beamten erscheint, also einen gewissen sozialen Rang hat (vgl. Apg 13,6 f). Einige Kommentatoren, die einen Konflikt zwischen Judenund Heidenchristen annehmen, verweisen auf m.San 10,1 (vgl. J.A. Fitzmyer, Lk II 1022; J. Nolland, Lk II 733), wo es heißt: „Ganz Israel hat Anteil an der zukünftigen Welt“.
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Kriterium des echten Prophetenstatus ist dagegen, ausgeschlossen und geschmäht zu werden, was u. a. mit dem Herauswerfen des Namens umschrieben wird (vgl. 6,22e). Neben einer Liste mit Namen Empfangsberechtigter bei Nahrungsverteilungen könnte auch die des nomenclator im Haus assoziiert werden, zumindest wird der Gastmahlskontext in Lk 6,20–26 ebenfalls aufgerufen.63 Der vorliegende Text bezieht sozusagen vor der engen Tür Position aufseiten derer, die von der Liste gestrichen werden oder erst gar nicht darauf erscheinen. Die Drohrede ist an Hauseigner der Gegenwart gerichtet, die aufgrund der ihnen zu Gebote stehenden häuslichen Infrastruktur auch zu tonangebenden Figuren in der Gemeinde avanciert sind.64 Ihnen wird im Rückgriff auf die Autorität des Wandermissionars Jesus mitgeteilt, dass dessen Lehre nicht primär in einer Korrelation gesellschaftlicher Dominanzverhältnisse mit ekklesialen Strukturen besteht. Vielmehr wird die darin zunehmend zentrale Stellung des oQjodespºtgr kritisch nach ihren Auswirkungen auf Abweichler befragt, die auch mit sozial Schwachen identifiziert werden. Vielleicht hat sich gegenüber unliebsamen Wanderpropheten bei diesem oder jenem resident leader mit eigenem Haus vor Ort ein ähnlich schikanöses Gebaren herausgebildet wie jenes, das gewisse Patrone gegenüber ihrer Klientel beim Empfang in der domus an den Tag legen. Der Verweis auf die Umkehrung der Verhältnisse im Schlussspruch jedenfalls macht deutlich, dass nicht den Bittstellern vor den Türen und in den Atrien Angst gemacht werden soll. Vielmehr werden die oQjodespºtai unter den Hörenden provoziert, sich gedanklich aus ihrem Domizil heraus auf die Straße zu begeben und mit den Augen der draußen Stehenden auf das Geschehen in ihrer domus zu blicken.65 Jesus spricht in Hörweite der Hausherren, die er nicht kennt, weil sie sich nicht zeigen. Ein Krypto-Auditorium wie dieses lässt Lk immer wieder mithören, wie er in der Bemerkung „das alles hörten aber die Pharisäer“ (Lk 16,14) erklärt.66 Die Lehre des Wandermissionars Jesus zu befolgen bedeutet für die resident leaders, nicht-reziproke Gastfreundschaft an denen zu üben, die nicht zur 63 Goldbeck weist darauf hin, dass die Hausbesitzer, die andere zur salutatio empfingen, in der Kaiserzeit zunehmend als „Mächtige“ oder einfach, wie die in Lk 6,24–26 angeklagte Gruppe, als „Reiche“ (pko}sioi/divites) bezeichnet wurden. „Ohne Unterschied wird auf diese Weise die salutatio mit politischem und finanziellem Vermögen in Verbindung gebracht, während der Verweis auf gesellschaftliche Ehre zurücktritt“ (F. Goldbeck, Salutationes 66, mit vielen Belegen). 64 Anders Rudolf Hoppe, der mit Blick auf die Reichen bei Lk meint: „Sie sind zwar wahrscheinlich nicht in der Gemeinde selbst zu suchen, sondern haben als diejenigen, die Jesus bzw. die Jünger abweisen, ihre Funktion als warnendes Beispiel für eine Gemeinde, die ihren Platz in der städtischen Mittelschicht gefunden hat und damit potentiell vom Hang zu den Gütern dieser Welt bedroht ist. Sie erinnert Lk daran, dass die Reichen ihr Leben verwirkt und den Ruf der Heilssendung Jesu nicht gehört haben“ (U. Berges/R. Hoppe, Arm 86). 65 Wie es Seneca tut, wenn er sich in De Beneficiis immer wieder in die Lage derer versetzt, die unter dem demütigenden Verhalten seiner Standesgenossen zu leiden haben. 66 Siehe Kap. 6.2.1.
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Steigerung des eigenen Sozialprestiges beitragen, vielleicht sogar im Gegenteil die eigene Position in Frage stellen. Darin, sich dieser Herausforderung von der Straße auszusetzen, statt ein Ethos der Unbehaustheit aus der eigenen domus zu jagen, besteht nach Ansicht des Evangelisten die einzige Chance nicht selbst vor der Tür zu stehen, wenn sich die Verhältnisse erst einmal grundlegend geändert haben. Was bedeuten diese Ausführungen für die geographische Verortung der Perikope? Atriumhäuser finden sich v. a. in Rom und im römischen Westen, außerhalb Italiens kommen sie selten vor.67 Die „in römischen, großen Häusern und Villen sehr geschätzte Axialität und Symmetrie sind in Häusern in Kleinasien selten“68, doch gab es in Ephesos eine domus im beschriebenen Sinne mit durch fauces gelenktem Blick durch Atrium und Peristyl.69 Dort fehlen allerdings Neben- und Wirtschaftsräume, was hinsichtlich der Funktion bedeutet: Es handelt sich um ein Gebäude, das nicht zu Wohnzwecken diente, sondern um ein Banketthaus, in dem ein reicher Privatmann seine Anhängerschaft empfing, oder sogar um den Sitz eines Collegiums, dessen Interessen im Zusammenhang mit dem Hadrianstempel standen.70
Es wurde also auch in Ephesos in einem Atriumhaus römischen Stils getafelt, und die bauliche Ausrichtung auf den gegenüberliegenden Hadrianstempel „läßt ermessen, welch ungeheure, für das öffentliche Leben von Ephesos maßgebliche Rolle die domus im städtischen Gemeinwesen spielte“71. Gewiss hat in diesem Haus kein judenchristlicher Gemeindeleiter zum Gastmahl geladen, aber auch die Christen werden das Treiben rund um einen derart prominenten innerstädtischen Ort nicht ignoriert haben (können) – selbst oder gerade wenn sie nicht hereinkamen. Die Situierung des Geschehens von Lk 13,22–30 im beschriebenen Bautyp löst eine Reihe vermeintlicher narrativer Unzulänglichkeiten und macht die Rahmen- wie Binnenerzählung kohärent lesbar. Wird diese Argumentation grundsätzlich akzeptiert, ist diese bei der geographischen Verortung lukanischer Texte als ein Mosaikstein in Rechnung zu stellen. Dieser Stein wäre in Rom sicher nicht schlecht aufgehoben.
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F. Goldbeck, Salutationes 124 f. H. Th r/E. Rathmayr/I. Adenstedt, Hanghaus 836. Vgl. C. Lang-Auinger/B. Asamer, Hanghaus 377; Plan 1. C. Lang-Auinger/B. Asamer, Hanghaus 19. C. Lang-Auinger/B. Asamer, Hanghaus 19.
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9.2 Für wen die Tür zum Schlund wird: Lazarus und der Reiche (Lk 16,19–31) Das Gleichnis rekurriert auf ein eschatologisches Gastmahlsmotiv, das auch Lk 13,22–30 zugrunde liegt. Wie dort müssen auch hier die architektonischen Bedingungen mitbedacht werden, um die Verortung der Beispielerzählung in der Alltagswirklichkeit von Verfasser und Adressaten zu erfassen. Die Verurteilung des Reichen wird im Text an zentraler Stelle damit begründet, dass er seiner standesgemäßen Verantwortung für die Bedürftigen vor seinem Haus nicht nachgekommen ist. Das wird deutlich in der Formulierung, er habe die Agath (V. 25c), zu deuten als Wohltaten im Sinne konkret materieller beneficia, in seinem Leben empfangen. Zu ergänzen wäre: statt sie auch zu spenden! Mit dieser Begründung für endgültige Verdammnis knüpft Lukas an Reziprozitätsvorstellungen seines kulturellen Umfeldes an, um damit – wie schon in der Erzählung von der engen Tür – seine Position in den Auseinandersetzungen zwischen gemeindlichen Hauseignern und wandernden Propheten deutlich zu machen.
9.2.1 Von Türen und Kluften Die beiden Erzählungen teilen eine Reihe von Motiven, spielen sich in einer ähnlichen Szenerie ab und schildern ein ähnliches Geschehnis: Erzählt wird von einer Umkehrung der Schicksale reicher Hauseigner und Menschen auf der Straße in einem endzeitlich-endgültigen Zustand 1m t0 basike¸ô toO heoO (Lk 13,28b) bzw. 5ny (13,28c) resp. im Gleichnis vom Reichen und armen Lazarus 1m to?r jºkpoir aqtoO (sic: Abrahams, 16,23c) bzw. 1m t` Æd, (16,23a). Dabei spielt jeweils das Motiv des Hauseingangs als h}qa (13,24b.25b.e) bzw. puk~m (16,20b) eine Rolle. Als undurchschreitbarer Durchgang kommt noch das w\sla (16,26a) hinzu: In allen Fällen bedeutet die Position vor dem Eingang, von einem Gastmahl ausgeschlossen zu sein. Das wird durch Formen des Verbs b\kky wie 1jbakkol´mour (Lk 13,28c) bzw. 1b´bkgto (Lk 16,20b) ausgedrückt und je mit Leid und Qualen in Verbindung gebracht. Des Weiteren ist das Sehen Abrahams in eschatologischem Kontext (vgl. 13,28b; 16,23c) sowie die Hervorhebung der Propheten (vgl. 13,28b; 16,29b.31b) beiden Erzählungen gemein. Unter textkritischem Blickwinkel kommt hinzu, dass P75 für Lk 16,30 f !kk’ 1²m tir !p¹ mejq_m 1ceqh0 statt poqeuh0 bezeugt. Die gleiche Verbform wird in Lk 13,25a für das Aufstehen des Hausherrn (von der cena) verwendet, um die Tür abzuschließen. In ihrem 1979 veröffentlichten Aufsatz „Die offene Tür und die unüberschreitbare Kluft“ stellen Franz Schnider und Werner Stenger den bis dahin in der Forschung dominanten literarkritisch geprägten Interpretationen der
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Parabel vom Reichen und armen Lazarus eine synchrone Strukturanalyse entgegen. Die Rückführung eines ersten Teils (Lk 16,19–25) auf ein ägyptisches Märchen in Zusammenhang mit der These, ein zweiter Teil (16,27–31) sei sekundär hinzugefügt (mit V. 26 als Übergang), hatte lange Zeit den Blickwinkel auf die Erzählung vorgegeben.72 Anstatt literarkritische Glättungen vermeintlicher narrativer Unebenheiten vorzunehmen, unterstellen Schnider und Stenger eine große „Konsistenz und Lesbarkeit“73 des lukanischen Gesamtentwurfs und weisen damit einen m. E. zielführenden Weg zur Aussageabsicht des Textes. Besonders die Verhältnisbestimmung von der Tür des Reichen und der Kluft im Hades soll unterstrichen und präzisiert werden. Schnider und Stenger führen dazu aus: Die Tür von Sequenz 1 war durchschreitbar, die Kluft, die die Entfernten trennt, kann nicht überbrückt werden. Eine „Tür“ gewährt ja gerade die Möglichkeit, daß sie sowohl von der einen Seite her, d. h. der des Reichen, wie auch von der anderen Seite her, d. h. der des Lazarus durchschritten werden kann. In Relation zu der nunmehr von keiner Seite mehr durchschreitbaren Kluft gesehen, offenbart sich die die [sic] Möglichkeit des Zueinandergelangens gewährende, in der Geschichte aber nicht durchschrittene Tür als das Zeichen einer verpaßten, unwiderruflich dahingegangenen Gelegenheit.74
Auf der Grundlage dieser Doppelpoligkeit von puk~m und w\sla, mit der inhaltlich an Lk 13,22–30 angeknüpft wird, ist die reziprozitätsbezogene Deutung der Beispielerzählung zu entwickeln. Zuvor einige Bemerkungen zum Kontext und Aufbau: Der Beispielerzählung vom Reichen und armen Lazarus geht die Geschichte vom Verwalter der Ungerechtigkeit voraus (vgl. Lk 16,1–9), mit den sich anschließenden Weisungen Jesu zum richtigen Umgang mit Besitz (vgl. V. 10–13). Die Vaqisa?oi vik²qcuqoi (V. 14) hören dies und spotten, was wiederum einen Vorwurf Jesu bezüglich ihrer Selbstgerechtigkeit nach sich zieht (vgl. V. 15). Sodann folgen ein Spruch über das Gesetz und die Propheten bis Johannes und der Verkündigung der basike¸a toO heoO, in die jeder mit Gewalt hineindrängt (bi²fetai; V. 16) und die Unvergänglichkeit des Gesetzes (vgl. V. 17). Äußerst sperrig im Sinnzusammenhang erscheint die Lehre zur Ehescheidung, die den Übergang zum hier zu untersuchenden Gleichnis bildet (vgl. V. 18).75 Die Komposition ist zweigeteilt in eine Beschreibung der irdischen Situation eines Reichen und Armen in statisch-summarischem Stil (vgl. 72 Vgl. F. Schnider/W. Stenger, Tür 273–275. Zur Forschungsgeschichte und Zusammenfassung der in Anschlag gebrachten Hintergrunderzählungen vgl. M. Wolter, Lk 557 f. Noch der Kommentar Fitzmyers (1986) spricht vom „two-peaked character“ der Erzählung (ders., Lk II 1126). 73 F. Schnider/W. Stenger, Tür 275. 74 F. Schnider/W. Stenger, Tür 281. 75 Schottroff sieht die Themen verbunden durch ihren ökonomischen Bezug (vgl. dies., Gleichnisse 212).
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V. 19–21) sowie einen jenseitigen Dialogteil (vgl. V. 23–31). Beides wird durch ein Scharnier verbunden, das den Übergang von der einen Welt in die andere schildert (vgl. V. 22).76 Das Zentrum des Dialogteils zwischen dem Reichen und Abraham ist in dessen Spruch zu !cah\ und jaj\ (V. 25c) zu sehen. Dafür sprechen nicht nur inhaltliche, sondern auch kompositorische Gründe: Konzentrisch darum angeordnet sind die Begriffe b\samor (V. 23b.28c) und p]lpy (V. 24d.27c) mit Bezug auf Lazarus – erst imperativisch, dann im voluntativen Konjunktiv, sowie adum\y (V. 24 g.25e) im Munde des Reichen und Abrahams. Dieser legt in V. 25c eine Begründung für die Qualen des Reichen vor, die sich, wie nachfolgend zu zeigen ist, nicht in einer reinen Ausgleichs- oder Austauschlogik erschöpft. Um den Reziprozitätshintergrund aufzuhellen, werden im Folgenden die Rolle des Reichen, des Armen sowie ihr Verhältnis zueinander untersucht. Dazu werden lediglich diejenigen Aspekte der Erzählung ausgewählt, die für diesen Zusammenhang von Interesse sind. 9.2.2 Das Verhältnis von Reich und Arm im Gleichnis Schon die Kleidung des Reichen, Purpur und Byssus (V. 19b), suggeriert laut Fitzmyer, „that he lived like a king“77, wofür er als Beleg 1 Makk 8,14 anführt. Wolter weist auf die Verwendung von poqv}qa in der markinischen Passionsgeschichte hin (vgl. Mk 15,17.20),78 die wiederum eine Parallele in der Beschreibung der Gewänder Vespasians und Titus’ zu Beginn ihres Triumphzuges bei Josephus hat (vgl. Bell VII 124). Bovon behauptet entsprechend, dass der Purpur im römischen Reich nur den Kaisern vorbehalten war.79 Liddell-Scott-Jones kennt darüber hinaus poqv}qa als „purple stripe or other adornment of a garment“80 und identifiziert poqv}qa pkate?a (PseudDemetr., Eloc 108) als latus clavus, den breiten Streifen am Saum der Toga des römischen Senators. Auch b}ssor ist der Oberschicht zuzuordnen.81 Damit ist ein deutlicher Hinweis gegeben, in welches Milieu die Lesenden geführt werden. Das Verb eqvqa_my (V. 19c) verwendet der Evangelist noch im Gleichnis vom reichen Kornbauern (vgl. Lk 12,19g) und von den zwei Söhnen (vgl. Lk 15,23d.24 f.29g.32a). 76 Die Gliederung weicht leicht von der Schniders und Stengers ab, die die letzte Sequenz mit V. 24 beginnen lassen wollen. Dagegen spricht m. E. das klare Gliederungssignal der wechselnden Ortsangabe 1m t` Æd, (vgl. F. Schnider/W. Stenger, Tür 276 und mit gleicher Einteilung M. Wolter, Lk 557). 77 J.A. Fitzmyer, Lk II 1130. 78 Vgl. M. Wolter, Lk 558. 79 Vgl. F. Bovon, Lk III 117. 80 LSJ s.v. poqv}qa; Hervorhebung im Original. 81 Für Belege vgl. M. Wolter, Lk 558; zu Purpur als Kleidung der Reichen vgl. J. Bartels, Eliten 25.
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In letzterem ordnet der Vater anlässlich der Rückkehr seines jüngeren Sohnes an, das Mastkalb zu schlachten und gemeinsam zu feiern (vgl. Lk 15,23d.24 f). Der ältere Bruder beschwert sich daraufhin, dass ihm sein Vater nicht einmal einen kleinen Bock gegeben habe, Vma let± t_m v¸kym lou eqvqamh_ (Lk 15,29g). Der ältere Sohn setzt sich von dem heimgekehrten jüngeren Bruder ab, indem er ihn als Sohn seines Vaters (vgl. 15,30a) statt, von seiner Warte aus näherliegend, als seinen Bruder apostrophiert. Dagegen erinnert ihn der Vater an diese Bruder-Beziehung (vgl. V. 32d) und betont den außergewöhnlichen Anlass, der nach einem Fest verlangt (eqvqamh/mai d³ ja· waq/mai 5dei; V. 32a–c). Die Aufforderung des reichen Kornbauern zu essen, zu trinken und sich (des Lebens) zu freuen (eqvqa¸mou; Lk 12,19g), richtet dieser im Kontrast dazu an sich selbst bzw. seine xuw¶ (12,19g); eine herbe Rüge dieses Verhaltens folgt auf dem Fuße, und zwar von oberster, nämlich göttlicher Stelle (vgl. 12,20). Daraus ergibt sich, dass eqvqa_my im Lukasevangelium als Ausdruck überschwänglicher Lebensfreude oder Feierstimmung dann legitimiert, ja gefordert wird, wenn es einen besonderen Anlass dazu gibt, der außerdem auf Gemeinschaft und Beziehung zielt. Nur für sich selbst, und dann auch noch jah’ Bl´qam (16,19c) im Genuss zu schwelgen, wird hingegen im Evangelium nicht goutiert.82
Vom armen Lazarus83 heißt es, er sei „vor dessen [des Reichen] Eingang geworfen worden“ (1b´bkgto pq¹r t¹m puk_ma aqtoO; V. 20b). Fitzmyer merkt dazu an: „The pass. of ballein is often used to describe an afflicted person, beridden or crippled“84, nach Ansicht Bovons „verleiht es der Situation […] eine negative Note“85. In den meisten Übersetzungen wird das Plusquamperfekt resultativ aufgefasst, im Lichte der vor die Tür Geworfenen in 13,28 gelesen wird aber deutlich, dass auch der arme Lazarus einmal vor das Tor des Reichen geworfen worden war.86 Das lässt anklingen, dass es auch einen Herauswerfenden gab, vielleicht den Reichen oder seine Leute?87 Outi Lehtipuu hält eine Deutung, die das Verb hier als Hinweis auf Lähmung des armen Lazarus versteht, zurecht für unwahrscheinlich, weil Lukas das präzise hätte ausdrücken können, wie er das in Apg 3,2 und 14,8 auch tut.88 Der – im Gegensatz zum Purpurgewandeten – mit Schwären Übersäte (vgl. V. 20c) leckt sich nach den Abfällen vom Tisch des Reichen regelrecht die Finger (vgl. V. 21). Luise Schottroff verweist in diesem Zusammenhang auf die 82 Gerade im täglichen Feiern sieht Fitzmyer einen Hinweis auf das maßlose Verhalten des Reichen (vgl. ders., Lk II 1131). 83 Zu den Spekulationen um die – im Korpus der neutestamentlichen Gleichnisse einmalige – Namensgebung vgl. M. Wolter, Lk 558. 84 J.A. Fitzmyer, Lk II 1132; Hervorhebung im Original. 85 F. Bovon, Lk III 119. 86 H. Gradl wendet sich jedenfalls gegen eine Deutung von b\kky, „welche die durchaus rentable Lage des Lazarus vor der Tür des Reichen beweise“ (ders., Arm 254), wobei er freilich weder lexikalische noch sozialgeschichtliche Argumente anführt. 87 Wie in der Feldrede auch werden beide Seiten angesprochen, die reiche Seite aber nicht direkt beschuldigt (siehe Kap. 6.2). 88 Vgl. O. Lehtipuu, Characterization 88.
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„Fußbodenmosaike in hellenistisch-römischen Palästen überall im römischen Reich: Da liegen Geflügelreste, Obst, Brotstücke auf dem Boden. […] Sie zeigen den Reichtum im Spiegel seiner Abfälle voller Stolz.“89 Die Beziehung oder vielmehr Nicht-Beziehung zwischen den Protagonisten lässt sich am Motiv des Tisches sowie des Eingangstors als Verbindung zwischen beiden ablesen, wie Hans-Georg Gradl die Ausgangssituation des Gleichnisses deutet.90 Lazarus sucht eine Verbindung zur Welt des Reichen, und wenn sie bloß im Modus der Abfallverwertung erfolgt, der Reiche aber ignoriert den Armen vollkommen. Mit dem Übergang der Erzählung in die jenseitige Sphäre kommt Bewegung in die statische Darstellung: Der schroffe Wechsel der Wirklichkeitsebene, in der der arme Lazarus plötzlich von Engeln fortgetragen wird (vgl. V. 22c), wird erzählperspektivisch gleich wieder zurückgenommen: Es heißt vom Reichen lediglich, dass er begraben wird, obwohl der auktoriale Erzähler mehr über seinen Verbleib weiß, wie der weitere Gang der Erzählung offenbart. Doch steckt auch in der knappen Erwähnung eine Aussage über das Verhältnis von Arm und Reich im Gleichnis, denn begraben wurde in der Antike nur, wer es sich leisten konnte. Die Leichen von Sklaven und denjenigen, die nicht für die eigene Bestattung vorzusorgen im Stande waren, wurden zu den Abfällen geworfen.91 Mit der Figur des armen Lazarus dürfte der implizite Leser wohl ein solches Schicksal assoziiert haben, wie es sich auch in Aristophanes‘ Komödie Plutos literarisch niedergeschlagen hat: Der arme und anständige Chremylos beklagt im Dialog mit der allegorisierten Armut, dass sich der Arme plage und mühe und doch nicht genug zurücklegen könne, um sich ein Begräbnis zu leisten (ja· lowh^sar jatake_xei lgd³ tav/mai; Aristoph., Pl 556).92 Anders die Reichen: Es gab bei städtischen Honoratioren ein ausgeprägtes Bedürfnis, „durch Euergesien für Bestattungen die Erinnerung an die eigene Person unsterblich zu machen“93. Etwa ab dem Jahr 300 v. Chr. begannen Mitglieder der Oberschicht griechischer Städte Kapital zu stiften, das für jährliche Gedenkopfer nach ihrem Tod verwendet werden sollte. Diese Libationen und andere Opfer wurden mit einem Empfang oder Bankett für die Vereinigung verbunden, der dieser Totendienst anvertraut wurde. Es konnte sich dabei um die Familie des Verstorbenen, ausgewählte Freunde, einen ei89 L. Schottroff, Gleichnisse 220, mit Abbildung eines Fußbodenmosaiks mit Essensabfällen. 90 Vgl. H. Gradl, Arm 241 f. 91 Vgl. P. Veyne, Brot 63. In den Städten kann man von einem „organisierten Totengedenken sprechen, das in den Vereinen beheimatet ist bzw. ihnen anvertraut wird“ (M. Ebner, Stadt 197). 92 Wolter begründet das Fehlen einer Begräbnisnotiz damit, dass Lazarus nach dem Vorbild Moses, Henochs u. a. entrückt worden sei (vgl. ders., Lk 559). Dagegen spricht, dass im Gleichnis weder ein Begräbnis Lazarus’ noch ein Ausbleiben desselben erwähnt wird und es entsprechend keinen Bedarf gibt, ein fehlendes Grab mit einer Entrückung zu erläutern, wie dies etwa in AssMos der Fall ist. An diesen m. E. weit hergeholten Bezügen zeigt sich auch, inwiefern dem Text zugetraut wird, zeitgenössische soziokulturelle Verhältnisse wahr- und aufzunehmen. 93 P. Veyne, Brot 223; siehe Kap. 10.3.
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gens zu diesem Zweck gegründeten oder bereits vorhandenen Verein (Handwerker, Kaufleute), eine städtische Gruppierung wie den Rat der Alten (ceqous_a) oder, bei den Reichsten, die Stadt selbst handeln.94 „Dem Toten wurden diese Opfer zugestanden, weil er zu einem Heros gemacht oder mit den Göttern assoziiert wurde.“95 Das bedeutet, dass sich der Begüterte eines würdigen Angedenkens bei den Hinterbliebenen versicherte. Er konnte sich so der beruhigenden Vorstellung hingeben, auch über sein Ableben hinaus an wiederkehrenden Banketten zu seinen Ehren auf eine gewisse Art teilzuhaben. So endete nach gesellschaftlicher Auffassung die soziale Differenzierung nicht an der Schwelle zum Totenreich, übrigens auch nicht nach der des vorliegenden Gleichnisses: Sein Standesdenken bewahrt sich der Reiche auch dann noch, wenn er Abraham anweisen will Lazarus zu schicken, um ihm ein wenig Kühlung zu gewähren, bzw. seine Brüder zu warnen (vgl. V. 24d.27c). Nur wird dieses Denken im Gleichnis zurückgewiesen, sowie alle Aufforderungen und Bitten des Reichen überhaupt. Dass dieser den Armen namentlich nennt, zeigt nach Ansicht Fitzmyers, dass er ihn zu Lebzeiten durchaus registriert, sich also bewusst nicht mit ihm abgegeben hat. Daher meint er: „His request is callous, stemming from his selfish concern.“96 Die Separation der beiden Protagonisten voneinander im Diesseits wie Jenseits ist jedenfalls als eine beziehungsreiche gestaltet: In der Ausgangssituation sind, wie bereits erwähnt, Tor und Tisch die Medien eines nicht zustande kommenden Kontaktes. Im zweiten Teil sind es die seltsam stumme Unzugänglichkeit Lazarus’, den der Reiche an der Seite Abrahams lediglich erblicken aber nicht ansprechen kann (vgl. V. 23 f) sowie der noch näher zu betrachtende große Schlund (w\sla l]ca; V. 26a). Sprachlich wird die Beziehung beider durch Parallelismen zum Ausdruck gebracht, wie etwa durch das wiederholte d´ tir (V. 19a.20a) zu Beginn sowie die Notiz des Versterbens beider unter doppelter Verwendung von !pohm-sjy (V. 22b–d). Diese Parallelismen werden ergänzt durch kontrastive Gegenüberstellungen wie, gleich zu Beginn, pko¼sior und ptyw¹r d´ (vgl. V. 19a.20a), !cah\ und jaj\ (V. 25c) oder paqajak]y und adum\y (V. 25d.e). Ronald Hock meint, die Ausgangssituation der Beispielerzählung bestehe darin, dass die verkommenen Sitten des Reichen der hochgeschätzten Armut Lazarus’ mittels Synkrisis gegenübergestellt würden. Im Hintergrund stehe kynisches Gedankengut.97 Er führt die Theaterstücke Gallus und Cataplus Lukians von Samosata an, in denen dem Reichtum bzw. den Umständen seines Erwerbs und Gebrauchs ein verheerendes moralisches Zeugnis ausgestellt wird. Davon ausgehend postuliert er eine in der Beschreibung des Reichen im Gleichnis mitgelieferte negative Charakterisierung, die als hinreichender 94 95 96 97
Vgl. P. Veyne, Brot 224; M. Ebner, Stadt 196 f. P. Veyne, Brot 223. J.A. Fitzmyer, Lk II 1133. Vgl. R.F. Hock, Lazarus 448; 456 f.
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Grund für die Umkehrung der Schicksale im Hades zu verstehen sei.98 Der von kynischer Seite vorgebrachte Vorwurf des Hedonismus gegen die Reichen „includes, of course, the luxury of the tables of the rich [and] the sexual immorality that occurred during and after the banquets“99. Dagegen hält Wolter, der auch die Vergleichbarkeit der lukianischen und lukanischen Texte stark in Zweifel zieht: „Mit keinem Wort deutet Lukas an, dass Jesus den Reichen wegen seines Hedonismus kritisiert“100. Damit steht die Frage im Raum, was denn als plausibler Grund für die Umkehrung der Schicksale im Gleichnis in Frage kommen kann, mit anderen Worten: Wird hier das ethische Verhalten des Reichen oder sein Reichtum an sich verurteilt,101 oder geht es um eine reine Ausgleichslogik, die zum Gedanken der Umkehrparänese in anderen Texten des Lukasevangeliums in Spannung stünde? Letztere Option vertritt Hanna Roose, die den in 16,25 begründeten „Ausgleich als nicht moralisch geprägtes Prinzip“102 auffasst. Darin sieht sie einen Gegensatz zur Pointe des Gleichnisses vom verschwenderischen Sohn, die in dessen Umkehr (let\moia) liege. Da es sich um Schwestererzählungen handele, ergebe sich durch den Gegensatz zwischen beiden Prinzipien eine „Spannung, die nicht harmonisiert werden darf“103: Lukas gehe es sowohl um persönliche Verfehlungen als auch um strukturelle Ungerechtigkeit.104 Schnider und Stenger suchen dagegen in der Struktur des Textes selbst nach Indizien für die mögliche Schuld des Reichen: Wenn wir […] nach der „Schuld“ fragen, die über den puren „Ausgleich des irdischen Schicksals“ hinaus erkennbar sein müßte, zeigt sich […], daß die Schuld des Reichen nicht in der Verweigerung von Hilfe gegenüber einer ihm offenbaren Not bestand, sondern darin, daß er zu Lebzeiten die Tür überhaupt nicht durchschritten hat, weder dazu, um Lazarus zu verjagen, noch dazu, um ihm zu helfen. Warum dem so ist, zeigt die Beobachtung, daß in der Geschichte jeweils nur der in der Not befindliche des anderen gewahr wird.105
Dass der Reiche den Armen vor seiner Tür nicht gesehen im Sinne von nicht beachtet hat, macht ihm die Erzählung zum Vorwurf. So wird unter Berück98 99 100 101
102 103 104 105
Vgl. R.F. Hock, Lazarus 461. R.F. Hock, Lazarus 460. M. Wolter, Lk 558. Amanda Miller ist der Ansicht, „the main problem is the basic injustice that the rich man received good things during his life while someone else received only evil.“ Reichtum impliziere aber eine „responsibility to use it ethically“ (dies., Rumors 223). Luise Schottroff geht nicht davon aus, dass im Gleichnis „von individuellem Fehlverhalten des Reichen“ die Rede ist. „Tatsächlich […] sagt dieser Text: Allein durch die Teilhabe am Reichtum auf Kosten der Armen geschieht der Mammonsdienst, der die Beziehung zu Gott zerstört“ (dies., Gleichnisse 222). H. Roose, Umkehr 8. H. Roose, Umkehr 21. Vgl. H. Roose, Umkehr 21. F. Schnider/W. Stenger, Tür 281.
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sichtigung des Verweises Abrahams auf Mose und die Propheten (vgl. V. 29b.31b) die Schuld des Reichen dahingehend präzisiert, dass die „Blindheit für die durchschreitbare Tür und den davorliegenden Lazarus […] ihre Ursache im mangelnden Hören auf die Schrift“106 hatte. Es ist also die Beziehung zwischen dem Reichen und dem armen Lazarus, welche die Umkehrung der Schicksale motiviert. Nachfolgend soll die Einbettung dieser Beziehung im konkreten Gastmahlskontext vertiefend untersucht werden. Dabei werden auch die architektonischen Gegebenheiten berücksichtigt sowie die im Text verwendeten Jenseits-Motive. Durch Einbezug des Reziprozitätshintergrundes wird eine Deutung der Schicksalsumkehrung angeboten, welche den Vorwurf des Textes an den Reichen in der Linie der Ausführungen Schniders und Stengers präziser benennen kann.
9.2.3 Architektur- und sozialgeschichtliche Verortung der Gastmahlsmotivik Wie schon in der Erzählung vom Ausschluss von der eschatologischen cena in Lk 13,22–30 ist auch im hier zu untersuchenden Gleichnis der Zusammenhang festlicher Gastmähler zu unterstellen. Das mit eqvqa_my (V. 19c) beschriebene tägliche Feiern des Reichen, seine überbordende tq\pefa (V. 21c) sowie, nach dem Tod der Protagonisten, der Transfer Lazarus’ eQr t¹m jºkpom )bqa²l (V. 22c.23c) gehören in dieses Bezugsfeld. Doch auch die irdische Position vor dem Tor ist dem sozialen Ereignis cena zugeordnet, das sich in der Sphäre des mit Purpur bekleideten Oberschichtenmitglieds abspielt: Der Arme hält sich vor dem puk~m (V. 20b) des Reichen auf. Vincent Tanghe, der nicht von einer Tür im engeren Sinne ausgeht, meint: „Le pulo¯n n’est donc pas proprement parler la porte, mais le portail ou une esp ce de vestibule, auquel la porte donne acc s.“107 Die Tür als Teil des Portals findet Tanghe in Apg 12,13, wo es von Petrus heißt, dass er nach seiner Flucht aus dem Kerker „am Außentor“ des Hauses Marias, der Mutter des Johannes anklopfte, wie die Einheitsübersetzung die Angabe tµm h¼qam toO puk_mor wiedergibt. Es handelt sich also beim puk~m wohl um ein Portal, verstanden als eigenständiger Aufenthaltsort; auch Liddell-Scott-Jones weist darauf hin, dass der puk~m für gewöhnlich vom Haus oder Tempel, dessen Eingang er darstellt, separiert ist.108 Für den Eingangsbereich vornehmer Wohnhäuser und Adelspalais der hellenistischen Epoche hält Hans Lauter fest: Der Durchgang bildet nach außen eine breite, häufig offene Vorhalle, das Prothyron, von dem aus der Pferdestall und wohl auch die Kammer des Türwächters zugänglich sind (Vitruv VI 7,1 mit Blick auf etwas schlichtere Beispiele). Es folgt die Türwand, 106 F. Schnider/W. Stenger, Tür 283. 107 V. Tanghe, Abraham 566. In diesem Sinne versteht er z. B. auch Mt 26,71. 108 LSJ s.v. puk~m.
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die etwa aus einem großen, selten geöffneten Haupttor und einer engeren alltäglichen Nebenpforte bestehen kann; dahinter führt der Gang auf das Peristyl.109
Besagtes Prothyron konnte die Form eines integrierten Propylons, also eines säulenumstandenen Torbaus annehmen.110 Lauter schließt derartige Propyla für Privathäuser zur Zeit des Hellenismus aus,111 Vitruv spricht in Bezug auf repräsentative Privatbauten seiner Zeit jedoch immerhin von magnifica vestibula (Vitr., Arch VI 5,1) mit Pilastern und Halbsäulen.112 Zu denken wäre beispielsweise an das wuchtige Portal der casa del fauno in Pompeji (VI 12) mit ins Vestibül zurückgesetzter Eingangstür. Vorausgesetzt also, der puk~m kann im Bereich des vestibulum der italischen städtischen domus verortet werden, so wäre mit der h¼qa toO puk_mor in Apg 12,13 möglicherweise die Außentür im Unterschied zu weiteren Innentüren im Haus bezeichnet, z. B. der des tablinum. Was bedeutet das nun für die topographische und soziale Position Lazarus’? Er hielte sich entsprechend in oder vor einem magnifico vestibulo auf, jedenfalls außerhalb des äußeren Eingangstores, also auf dem Gehsteig oder der Straße. Das würde bedeuten, dass er nicht einmal Zugang zu denjenigen Räumlichkeiten des Hauses bekommt, die das gemeine Volk nach Auffassung Vitruvs betreten darf, nämlich vestibula, cava aedium [Atriumbereich, M.A.], peristylia (Vitr., Arch VI 5,1) und weitere in dieser Weise genutzte Räume.113 Bzgl. der erwähnten Hunde (vgl. V. 21d–e) meint Gradl, wohl mit Blick auf jüdische Kreise: „Hunde machen Lazarus in der Vorstellung der damaligen Welt kultisch unrein“114, was als ein weiterer Hinweis auf dessen ausgegrenzte Position zu verstehen wäre. Diese Gastmahlssituation jedenfalls ist es, die sich im Jenseits umkehrt: Der Ausgeschlossene, der nicht einmal als amicus inferior (Plin. d.J., Ep II 6,2 f) zur Tafel des Reichen geladen war, hat sich nun an herausgehobener Stelle niederlassen dürfen, nämlich an der Brust Abrahams: Lehtipuu verweist auf die frühjüdisch-apokalyptische Vorstellung eines messianischen Banketts und die innerlukanischen Gastmahlsbezüge, die nicht selten eine eschatologische Umkehrung der Schicksale enthalten, wie 109 H. Lauter, Architektur 153. 110 „Der ,Kern‘ des Propylons ist nicht mehr als die innere Querwand, die von einer, meist drei, selten fünf, in ihrer Größe symmetrisch gestaffelten Türen durchbrochen wird. Davor und dahinter ordnet sich je eine Säulenhalle, die das Ganze erst zu einem Torbau machen“ (H. Lauter, Architektur 39). Als Beispiel eines integrierten Propylons nennt Lauter das Gymnasium von Sykyon (vgl. ders., Architektur 153, Abb. 41b). 111 Lauter sieht als „einzige Ausnahme vielleicht ein Haus Olbia, Sektor NGF“ (ders., Architektur 201 f). 112 Es ist von einer gewissen Variabilität der Räumlichkeiten und ihrer Bezeichnungen auszugehen; so ordnet Vitruvius dem Eingangsbereich des griechischen Hauses u. a. die cella des ostiarius zu (vgl. Vitr., Arch VI 7,1), die in der Cena Trimalchionis als Teil des süditalischen Hauses Trimalchios Erwähnung findet (vgl. Petr., Sat 28,8 f). 113 „Lazarus was stuck near the outer vestibule of the entry way into the rich man’s fine house“ (J. Nolland, Lk II 832). 114 H. Gradl, Arm 243.
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u. a. auch in der Erzählung von der engen Tür.115 Sie ist der Ansicht, der j|kpor )bqa\l „is here best interpreted as an honorary place for guests at a banquet“116. Schon Joachim Jeremias sieht die Angabe als „Bezeichnung des Ehrenplatzes beim himmlischen Gastmahl zur Rechten (vgl. Joh 13,23) des Hausvaters“117. Gemäß der Konvention zeitgenössischer griechisch-römischer Gastmähler ist der Ehrenplatz klar definiert: „Der Gastgeber lag summus in imo, der Ehrengast direkt neben ihm imus in medio (auf dem sog. locus praetorius oder locus consularis).“118 Die Position der Plätze veranschaulicht folgende Grafik:
Schema 2: Liegeposition der Gäste in einem Triclinium. Quelle: P. Schmitt-Pantel, Art. Triclinium, DNP 12,1, 2002, 807 f., 807.
Auf dem Ehrenplatz in intimer Vertrautheit beim Gastgeber, liegt hier Lazarus bei Abraham. Vorstellbar wäre auch, Lazarus als Kind Abrahams medius in imo zu verorten. Diese Kline war der Gastgeberfamilie vorbehalten.119 So würde der Charakter von Schutz und Zuwendung hervorgehoben, den Hock bei der Verwendung von j|kpor auf griechisch-römischen Grabinschriften betont sieht.120 Zudem würde damit der Topos der Abrahamkindschaft auf115 116 117 118 119 120
Vgl. O. Lehtipuu, Characterization 92. O. Lehtipuu, Characterization 92. J. Jeremias, Gleichnisse 182. P. Schmitt-Pantel, Art. Triclinium, DNP 12,1, 2002, 807 f, 808. Vgl. P. Schmitt-Pantel, Art. Triclinium, DNP 12,1, 2002, 807 f. Vgl. R.F. Hock, Lazarus 456.
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gegriffen, die in der Anrede Abrahams als „Vater“ (V. 24b.27b.30) und des ehemals Reichen als „Kind“ (V. 25) zum Ausdruck gebracht wird.121 So oder so, Lazarus ist zum eschatologischen Gastmahl gerufen: mOm d³ ¨de paqajake?tai – „nun aber ist er hierher eingeladen“ (V. 25d), wie m. E. zu übersetzen ist. Denn ¨de kann eine Richtungsangabe enthalten, und die allgemeine Festlegung auf „trösten“, was die Wiedergabe von paqajak]y angeht, ist bei Annahme besagten cena-Hintergrunds nicht gerechtfertigt. Dabei zählt, ob man eingeladen ist – und an welcher Position man sich niederlasen darf: Als öffentliche Schande gilt es im LkEv, beim Gastmahl auf die sprichwörtlich billigen Plätze verwiesen zu werden (vgl. Lk 14,9e). Noch stärker drückt dies das Heulen und Zähneknirschen der endzeitlich-endgültig Ausgestoßenen in Lk 13,28 f aus, die wie der Reiche sehen, was ihnen entgeht. Hier wie dort hebt der Evangelist diese Sicht besonders hervor (vgl. Lk 13,28 diff Mt 8,11; Lk 16,23a.c). Das könnte mit der Axialität in der römischen domus zu tun haben, die einen von den Akteuren der cena gelenkten Blick auf ihre Bankettinszenierung freigibt. Auch in die Jenseitsbeschreibung des vorliegenden Gleichnisses scheint die Vorstellung dieses Blicks eingetragen. Entsprechend verzichten beide genannten Erzählungen auf ein, neben Feuer und Durst (vgl. V. 24) charakteristisches Element jüdischer wie paganer Darstellungen des Ortes postmortaler Qualen: auf Dunkelheit, denn auf das Sehen kommt es jeweils an!122 Dass der Reiche !p¹ lajqºhem (V. 23c) auf das Gastmahlsgeschehen blickt, steht dabei nicht im Kontrast zu der irdischen Situation Lazarus’ vor dem Tor des Reichen,123 wenn diese unter Berücksichtigung des Grundrisses der typischen domus jenseits der fauces lokalisiert wird: Bei Unterstellung eines triclinium etwa im Peristyl blickt der auf die Straße Verbannte ebenfalls von weitem auf die unerreichbaren Freuden der feiernden InGroup. So gibt es keinen flagranten Gegensatz, sondern vielmehr eine semantische Verwandtschaft zwischen dem „insurmountable chasm“124 und dem undurchschreitbaren Tor, was zur Deutung des w\sla l]ca (V. 26a) innerhalb der lukanischen Jenseitsdarstellung führt: Lehtipuu erläutert zum zweiten Teil der Erzählung, „the afterlife scene in the Rich Man and Lazarus is constructed with well-known imagery that is used all over the ancient Mediterranean world“125. Dabei formten sich bei Lukas die unterschiedlichen Motive nicht zu einem kohärenten System, sondern es würden Vorstellungen zusammengefügt, die aus dem Judentum und/oder dem griechisch-römischen Heidentum stammen. Die Darstellung im Lukasevangelium ordne sich entsprechend in 121 Freilich bringt es dem Reichen hier nichts, Abraham die familiäre Verbindung in Erinnerung zu rufen, auch wenn der ihn als Kind bezeichnet – was ganz auf der Linie von Lk 3,8 liegt. 122 Vgl. O. Lehtipuu, Afterlife 233 f. 123 Gegen O. Lehtipuu, Characterization 93. 124 O. Lehtipuu, Characterization 93. 125 Vgl. O. Lehtipuu, Afterlife 41.
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die zeitgenössische „diversity of beliefs concerning post-mortem fate“126 ein. Zu den Motiven: Das Bankett als Bild einer segensreichen postmortalen Existenz sei besonders in paganen Quellen belegt, Abgründe und andere Barrieren seien ebenfalls diesem Kulturkreis zuzuordnen und hätten in der Regel die Funktion, die Welt der Toten von der der Lebenden zu trennen. So etwa in der Theogonie Hesiods,127 anders bei Plato: „The rendering of the word is not a gulf or pit but an opening“128, es gibt zwei derartige Öffnungen, die den Menschen von dazwischen sitzenden Richtern zugewiesen werden: Die eine führt in den Himmel, die andere, für die Gottlosen, zurück auf die Erde (t¹ w\sla toO oqqamoO te ja· t/r c/r; Plat., Resp 614d). Da laut Lehtipuu viele antike Jenseitsdarstellungen von der Platos beeinflusst sind,129 ist es wichtig festzuhalten, dass das platonische w\sla dort eine Durchgangsfunktion hat. Diese Funktion steht auch bei Lukas im Hintergrund, sonst müsste die Unmöglichkeit des Durchgehens nicht umständlich betont werden (vgl. Lk 16,26c.e). Des Weiteren ist davon die Rede, dass das w\sla aufgerichtet (1st¶qijtai) sei, was Bovon stilistisch „ein wenig ungeschickt“130 findet. Wirklich? Als errichteter oder gebauter Schlund hat das griechische w\sla die gleiche Bedeutung wie die lateinischen fauces. Im Plural bezeichnet das Wort eben jenen Raum, der in beiden Teilen des Gleichnisses die fatale Distanz schafft zwischen Arm und Reich. Fauces und w\sla sind zwei Seiten derselben Medaille, bei letzterem sind architektonische Obertöne mit zu hören. Der Unterschied besteht darin, dass das w\sla von keiner, der puk~m zumindest noch von einer Seite her überwindbar ist – von der des Reichen nämlich. Ein weiteres beliebtes Motiv antiker Schilderungen der Zustände nach dem Tod ist die Wiederkehr eines Verstorbenen auf die Erde zur Warnung Hinterbliebener. Richard Bauckham führt neben dem Gilgamesch-Epos und Beispielen aus der rabbinischen Literatur die aus jüdischem oder christlichem Kontext stammende Erzählung von Jannes und Jambres an, die als Brüderpaar der jüdischen Tradition als Magier und Mosegegner bekannt waren. Jannes stirbt, sein Schatten wird mit Hilfe von Magie von Jambres beschworen, und der Geist erklärt seinen jetzigen Aufenthalt im Feuer des Hades. Sodann ermahnt er den Bruder ein gutes Leben zu führen, um nicht wie er selbst in die düstere Unterwelt hinabzusinken.131 Von diesen Parallelen aus untersucht er den Sprachgebrauch des vom Reichen erbetenen Erscheinens Lazarus’ vor seinen Brüdern und hält !mash0 wie 1ceqh0 für „a later attempt to give a christological reference“132. Mit Blick auf die Überblendung von Jenseits- und 126 127 128 129 130 131 132
O. Lehtipuu, Afterlife 81. Vgl. O. Lehtipuu, Afterlife 234. O. Lehtipuu, Afterlife 221. Vgl. O. Lehtipuu, Afterlife 55. F. Bovon, Lk III 124. Vgl. R. Bauckham, Man 240–242. R. Bauckham, Man 243.
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Gastmahlsmotivik ist zudem die parallele Verwendung von 1ceqh0 in Lk 13,25a zu beachten, denn der Hausherr dort erhebt sich vom Bankett, wie der Reiche hier dies auch tun müsste.133 In der Beispielerzählung werden verschiedene Topoi und Traditionen kreativ kombiniert und für die eigene Kommunikationsabsicht eingespannt. Die Motive für die Jenseitsdarstellung werden aus einem Fundus so zusammengestellt, dass sie sich den Erfordernissen der Erzählung fügen: Die verbreiteten Charakteristika Feuer und Durst werden eingeflochten, um an geprägte Vorstellungen anzuknüpfen, Dunkelheit wird weggelassen, weil diese im Zusammenhang des Blicks auf das Bankett hinderlich wäre. Ebenso wird ein w\sla in die Erzählung aufgenommen, die damit verbundene Jenseitsassoziation aber mit Architektursemantik überblendet, weil dadurch die Verkehrung der Schicksale im Gastmahlskontext veranschaulicht wird. Eine derartige Kompositionsweise zielt nicht auf die epische Ankündigung statischer, unabänderlicher Wahrheiten, noch ist sie Ausdruck einer unbeweglichen Ideologie, bei der Ausgleichs- und Umkehrlogik zueinander in Spannung gerieten oder vorausgesetzt würde, die Adressaten hätten ihre Chance bereits vertan.134 Der Erzählung geht es „um die Zeit des Lebens als um die Zeit der durchschreitbaren Tür und um das Gewahrwerden dieser Möglichkeit, die einmal zu Ende sein wird“135. Die angesprochenen Hauseigner sollen aufgerüttelt werden, ihrer Verantwortung entsprechend zu handeln, und auf diese Verantwortung wird mit Begriffen hingewiesen, die der Vorstellungswelt der Adressaten entlehnt sind. Es sind die an zentraler Stelle genannten Agath (V. 25c), die eine präzisere Angabe von Versäumnis und Aufgabe der Adressierten erlauben.
9.2.4 Der Gebrauch der Agath als Grund für das Schicksal des Reichen Die strukturelle Ungerechtigkeit, an der der Reiche partizipiert, beschreibt Nolland mit Blick auf den Wohltätigkeitskontext: The rich man was doing no more than living out the life of his class, influenced as it was by the patterns of conspicuous consumption developed in Imperial Rome. He could have been a rich benefactor, but instead his extravagance was focused on his own enjoyment of the good things of life. But no man is an island, and not far away was a neighbor whose experience of life was quite different.136 133 Freilich um unterschiedliche Dinge zu tun: die Tür zur basike_a für die Reichen abzuschließen resp. die Hinterbliebenen zu warnen. 134 Vgl. O. Lehtipuu, Characterization 103, die offenbar meint, für die Pharisäer sei schon alles zu spät. 135 F. Schnider/W. Stenger, Tür 282. 136 J. Nolland, Lk II 832.
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Demnach ist es der Privatgenuss der guten Dinge im Leben – der Agath , der wie schon beim reichen Kornbauern Negativfolgen nach sich zieht. Im Bewusstsein der griechisch-römischen Antike mussten Agath weitergegeben werden: von Kaiser zu Untertan, Euerget zu Mitbürger, Patron zu Klient oder Freund zu Freund, nicht aber: von Reich zu Arm. Eigentlich ergibt sich schon aus der Reziprozitätslogik selbst, dass, wer nichts zu vergelten hat, nicht hochgeachtet wird.137 Ob man darin wie Veyne ein „hartes Klima“138 spürt oder nicht, die kollektiven Wohltaten sind an die Allgemeinheit gerichtet, nicht speziell an Arme. Darin wirken sie integrativ: „Wenn ein öffentliches Bankett wirklich das ist, was es sein sollte, dann ist genug zu essen für alle da.“139 Im Lob Marias auf ihren Herrn wird dieser dafür gepriesen, dass er gerade hier Unterschiede macht und mit seinen Agath exklusiv die Armen bedenkt (Lk 1,53). Seneca zeigt sich in seinen Überlegungen zum Austausch von Wohltaten ebenfalls sozial sensibel, wenn er dafür wirbt, beneficia von Sklaven und anderen Untergebenen nicht auszuschließen (vgl. Ben III 28,1). Umgekehrt soll man die Bediensteten im und am Haus nicht einfach übersehen. So fragt er seine Standesgenossen, wohin sie sich in ihren Sänften tragen lassen: „zur Haustür irgendeines Türhüters, zu den Gärten irgendeines Menschen, der nicht einmal ein gewöhnliches Amt innehat“ (Ben III 28,5)? Die Türhüter vor den Portalen und die Gärtner der Peristyle erweisen durch ihre niederen Dienste Wohltaten, die eine gewisse Dankbarkeit fordern. Dieser wohlwollende Blick auf die unteren Chargen bleibt bei aller beigefügten Standeskritik freilich immer ein Blick sozusagen aus der Sänfte heraus.
Dion von Prusa, der selbst wohl eine Weile unter einfachen Bedingungen als Wanderphilosoph gelebt hat, lässt gar einen Hang zur Verklärung der Armut erkennen. Er preist die Hilfsbereitschaft, Gastfreundschaft und Gebefreudigkeit der Armen – und kritisiert die Reichen: Dagegen gäbe kein Reicher einem Schiffbrüchigen etwas, ein Purpurkleid seiner Frau oder Tochter oder ein viel wertloseres Kleidungsstück, einen Mantel oder einen Rock, obwohl er unzählig viele davon hat, ja nicht einmal einen Sklavenkittel (Dio Chrys., Or VII 82).
An anderer Stelle legt er dem Kyniker Diogenes ein Loblied auf wilde Tiere und Vögel in den Mund, das an Lk 12,24–26 erinnert. Zwar hätten diese keine Hände oder menschlichen Verstand: „Und dennoch haben sie als Ausgleich für alle diese Mängel das beste Los (l]cistom !cah|m): Eigentum ist ihnen unbekannt“ (Or X 16). Besitzlosigkeit als größter Segen? Immerhin muss man dann der fordernden Allgemeinheit nichts mehr abgeben – man versteht, warum dieser Gedanke dem Honoratioren Dion gefiel (vgl. Or XLVI). Die 137 Siehe Kap. 6.2.2. 138 P. Veyne, Brot 42. 139 P. Veyne, Brot 25.
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Klage des Chremylos darüber, sich trotz aller Plackerei nicht einmal ein Begräbnis leisten zu können (siehe oben), dürfte wohl näher an ein Lebensgefühl am Rande des Existenzminimums heranführen. Armut als l]cistom !cah|m zu verklären, käme auch Abraham im Hades nicht in den Sinn: 25
t´jmom, lm¶shgti fti !p´kaber t± !cah² sou 1m t0 fy0 sou, ja· K²faqor blo¸yr t± jaj²… 25
Kind, erinnere dich daran, dass du deine Wohltaten in deinem Leben erhalten hast, und Lazarus in gleicher Weise die Übel…
Der Reiche hat im Leben viel Segensreiches erfahren, Purpur und Essen im Überfluss verdankt er göttlichem Los, womit gleichwohl nichts über die Gottgewolltheit seines Reichtums ausgesagt ist. Gottgewollt an seinen Agath ist allenfalls, dass er diese freigebig austeilt – wie Gott selbst es bei ihm getan hat. Das Interesse der Erzählung ist nicht auf die Umstände gerichtet, wie der Reichtum erworben wurde oder wie er moralisch gerechtfertigt werden kann, sondern darauf, wozu er gebraucht wird. Hier verfehlt sich der Reiche, weil er der Verpflichtung, die ihm aus seiner begünstigten Existenz erwächst, nicht gerecht wird: Er hat von seinen reichlichen Agath nichts an Lazarus weitergegeben und sich so an dessen Übeln (jaj²) schuldig gemacht.140 Das entspricht der bei Dion geäußerten Auffassung, dass erstere göttlichen Ursprungs, letztere aber menschlichem Ehrgeiz und Hang zum Luxus zuzuschreiben sind (Or XXXII 15). Die jaj² des Lazarus kommen also nicht von ungefähr und sind schon gar nicht gottgewollt, im Gegenteil: Sie sind das Ergebnis dessen, dass sein Gegenüber sich im eigenen Reichtum abgeschottet hat, dass er für sich im unzugänglichen Haus gefeiert,141 Lazarus vor die Tür geworfen und ihm dort nicht einmal die Abfälle seiner üppigen Tafel zugestanden hat. Durch einen Hauseingang wie eine Kluft (w\sla) hat er sich baulich von dem vor seine Tür Geworfenen abgetrennt und sich für dessen Belange unerreichbar gemacht. All diese Anstrengungen, den hautkranken Bettler aus seinem Gesichtskreis zu verbannen, wirken sich für das Schicksal des Reichen fatal aus: Ebenso wie er Lazarus nicht an seine Tafel eingeladen hat (paqajak]y), wird auch er endgültig nicht eingeladen. Die Leserin des Evangeliums erkennt darin eine Sanktionierung der klaren Aufforderung Jesu an Gastgeber, eben nicht diejenigen einzuladen, von denen reziproker Nutzen zu erwarten ist: „Sondern wenn du ein Gastmahl gibst, dann lade Arme, Verkrüppelte, Lahme und Blinde ein“ (Lk 14,13). Somit ist das Verdikt über den Reichen in V. 25 nicht Ausdruck einer automatisierten Austauschlogik, die in Spannung zu einer Umkehrlogik 140 Dass hier „rein weltliche Güter angesprochen sind“ bzw. es sich bei den Agath des Reichen nur um „ein scheinbar Gutes“ (J. Rçder, Testament 117; 119) handelt, ist angesichts des oben Ausgeführten nicht zu erkennen. 141 Man beachte das Ideal eines offenen Hauses; siehe Kap. 9.1.2.
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geriete, sondern bezieht sich auf ein explizit genanntes Fehlverhalten, das jeder Hörer, der sich angesprochen fühlt, ändern kann.142
9.2.5 Adressierte Bovon beantwortet die Frage nach den von Lukas Adressierten wie folgt: Er richtet diese Beispielerzählung an die reichen Leserinnen und Leser (eher an jene von außen als von innen, eher an Heiden als an Juden), die Gefahr laufen, ebenso die Armen vor ihren Türen zu mißachten wie jene „Armen“, welche die christliche Gemeinschaft bilden.143
Die Reichen unter den Hörenden sind aufgefordert ihr Verhalten zu ändern. Lehtipuu sieht die Pharisäer aus Lk 16,14 adressiert und vertritt die Ansicht, dass sie nach der lukanischen Ideologie ihre Chance bereits vertan haben.144 Doch befinden sich die Adressierten in der „Zeit der durchschreitbaren Tür“ (Schnider und Stenger) und können, ja sollen ihr Verhalten noch ändern. Auch wenn die Gleichsetzung „Pharisees are like the rich man in the parable“145 zutreffen sollte, zielt die endzeitliche Strafandrohung gewiss auf ein Umdenken. Dafür spricht das kreativ zusammengestellte Motivinventar der Jenseitsbeschreibung, das für diesen Zweck eingespannt wird. Auch die paränetische Funktion dieser Schreckensdarstellungen hat Vorbilder. So erklärt Wilfried Eisele, warum Sokrates im Gorgias das Schicksal der schlechten Seelen so ausführlich beschreibt: Sokrates möchte Kallikles ein möglichst lebendiges Bild des Schreckens vor Augen stellen, der ihn im Jenseits erwartet, wenn er an seiner verkehrten Lebensauffassung festhält. Dadurch will er ihn zu einer wahrhaft philosophischen Lebensweise bekehren.146
Ebenso liegt auch Lukas daran, das Verhalten derer zu ändern, die er über die Figur des Reichen anspricht. Der ist ein „Kind“ Abrahams (16,25), spricht ihn als „Vater“ an (V. 24b.27b.30). Auch die von Abraham ins Spiel gebrachten Instanzen Moses und die Propheten (vgl. Lk 16,29b.31b) deuten auf ein Milieu 142 Moxnes meint in Bezug auf den reichen Kornbauern und den Reichen aus der vorliegenden Erzählung: „From these parables, then, ‘the rich’ as an elite group are effectively dismissed as benefactors in the world of Luke’s Gospel; they are portrayed as unwilling to show such generosity as one should rightly expect from them“ (ders., Patron 255). 143 F. Bovon, Lk III 113. 144 Vgl. O. Lehtipuu, Characterization 103. 145 O. Lehtipuu, Characterization 103. Hoppe ist der Ansicht: „Paränetisch ist das Gleichnis dann nicht nur an die Pharisäer gerichtet, sondern vor allem an die eigenen christlichen Adressaten, die die Gefahr des Reichtums erkennen sollen“ (U. Berges/R. Hoppe, Arm 91). Hier wird freilich dafür argumentiert, dass beides nicht als Gegensatz zu sehen ist. 146 W. Eisele, Jenseitsmythen 319.
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Enge Tür oder großer Schlund: was trennt Arm und Reich
hin, das mit Verweis auf Schriftautorität ansprechbar ist. Doch muss genau hingesehen werden, welche Autoritäten hier zurate gezogen werden, denn das „Syntagma ,Moses und die Propheten‘ wird außerhalb des lukanischen Doppelwerks nicht verwendet“147. Wie schon bei der lukanischen Erweiterung ja· p²mtar to»r pqov¶tar (13,28b) wird das Prophetentum besonders betont. Aber welches? Hier wie dort gibt es eine Identifikation von Propheten mit den gesellschaftlich Marginalisierten. Zudem sind die möglicherweise christologischen Obertöne bei der Erwähnung des Rückkehrers aus dem Totenreich miteinzubeziehen (vgl. 16,30): Nicht die „jüdische Ablehnung der christlichen Verkündigung“148 wird hier ausgesprochen, sondern ein Appell an Hörerinnen und Hörer, die auf einem Ohr für die mosaische Tradition ansprechbar sind und auf dem anderen für die Auferstehung Jesu. Insofern ist (gegen Bovon) in der Tat davon auszugehen, dass in der Beispielerzählung die Pharisäer aus 16,14 angesprochen sind, allerdings nicht als Gegner der Gemeinde, sondern als eine Gruppe darin, die in Apg 15,5 sichtbar wird: Dort wird die Fraktion der Pharisäer erwähnt, die auf Beschneidung und Gesetzesobservanz als Eintrittsbedingung zur Glaubensgemeinschaft besteht.149 Im Hintergrund der Erzählung von Lazarus und dem Reichen scheint demnach der gleiche innergemeindliche Konflikt wie in Lk 13,22–30 zu schwelen, der sich in etwa so darstellen könnte: Hauseigner judenchristlicher Provenienz verschließen ihre Türen vor wandernden Propheten, die sich auf eine Tradition berufen, in der Johannes der Täufer eine prophetische Autorität darstellt (vgl. 16,16).150 Die Berufung auf Autoritäten aber wurde in einer Situation erforderlich, in der den eigenen Worten Gewicht verliehen werden musste, weil sie vor Ort auf eine möglicherweise abweichende mündliche oder bereits kodifizierte Überlieferung trafen, die von einem resident leader verwaltet wurde.151 Das dunkle Wort vom gewaltsamen Eindringen in die Gottesherrschaft (vgl. V. 16) könnte ebenfalls mit Blick auf den Hauskontext zu verstehen sein: Jeder versucht zu dem Gastmahl der basike¸a zu gelangen, das jederzeit kollektiv oder für den Einzelnen aktuell werden kann, wie das jähe Ende des reichen Kornbauern (vgl. Lk 12,20), das Aufstehen des Hausherrn zum Verschließen der Tür (vgl. Lk 13,25) oder das Versterben des Reichen wie des Armen (vgl. 147 J. Hintzen, Verkündigung 238. 148 M. Wolter, Lk 563. 149 Vgl. H. Moxnes, Economy 12 f. Zur Verortung auch der „Reichen“ in dieser Gruppe in Lk 6 siehe Kap. 6. 150 Johannes ist die Lehrautorität, die Kenntnis der Rettung bringen soll (Lk 1,77). Zudem ist er es, der in seiner Umkehrpredigt ansagt, was der Reiche dann im Hades erfährt: dass Abrahamskindschaft allein nicht rettet (vgl. Lk 3,8; 16,24b.25.27b.30). Damit sind die hier angesprochenen prophetischen Wandermissionare freilich nicht mit dem Anhängerkreis des Johannes zu verwechseln, wie er in Person der Johannesjünger u. a. in Lk 3,18 in Erscheinung tritt. Rolle Johannes’ im Verhältnis zu Jesus ist bei Lk im Rahmen eines Vorläufer- und Grenzwächtermodells zu deuten (vgl. C. Bçttrich, Art. Johannes der Täufer, in: WiBiLex). 151 Siehe das vorherige Teilkapitel 9.1.5.
Für wen die Tür zum Schlund wird: Lazarus und der Reiche
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Lk 16,22) vor Augen führen.152 Das Chaos und Gewalt evozierende bi\folai soll den Hauseignern klar machen, dass es für sie keine Sicherheit hinter dem puk~m gibt: Es kommt darauf an, dass sie ihr Verhalten im Sinne der Einladung derer ändern, die – gesellschaftlich wie innergemeindlich – von den residierenden Autoritäten marginalisiert werden. Wie auf der anderen Seite das korrekte Verhalten der wandernden Propheten im Sinne der Didache (vgl. Did 11–13) aussieht, zeigt Petrus in Apg 12,17, der nach Anklopfen und Einlass ins Haus seine Geschichte erzählt und von dem es dann mustergültig heißt: ja· 1nekh½m 1poqe¼hg eQr 6teqom tºpom.
152 Dass in der Beispielerzählung vom Reichen und armen Lazarus nicht explizit das Bild der Gottesherrschaft beschworen wird, steht dem nicht entgegen, da sich bei Lk 13,22–30 und 16,19–31 das semantische Feld vom Gastmahl im Haus durchhält. Barbara Reid bringt das p÷r eQr aqtµm bi²fetai mit !m²cjasom eQsekhe?m (Lk 14,23) in Verbindung (vgl. dies., Violent Endings in Matthew’s Parables and Christian Nonviolence, in: CBQ 66,2 (2004) 237–255, 240).
10. Sanktionsmacht im lukanischen Austauschsystem: Scham und Gericht auf engstem Sozialraum (Apg 5,1–12) Wenn zwischenmenschlicher Austausch funktionieren soll, muss er irgendwie sanktioniert werden, d. h. gewünschtes Handeln bestärkt, unerwünschtes wirksam geahndet werden. Im Rahmen von Reziprozitätsverhältnissen geschieht das dezentral über die Rückmeldungen des sozialen Nahbereichs, tendenziell im Rückgriff auf die personale Beziehung der Interaktionspartner. Mit diesen Erwartungen und Zuschreibungen geht oftmals eine gewisse Unschärfe einher, was den Umfang von Pflichten und Gratifikationen angeht. Im Rahmen des Austausches auf der Basis rechtsbewehrter Vertragsverhältnisse hingegen wird eine weitgehende Eindeutigkeit in dieser Hinsicht angestrebt, die Einforderung des jeweiligen Handelsgutes geschieht auf der Grundlage zuvor getroffener Vereinbarungen, die prinzipiell personenunabhängig greifen (sollen). Die Be- oder Verurteilung setzt entsprechend auch nicht bei der persönlichen Beziehung, sondern beim vereinbarten Gegenstand des Austausches an, also beim Objekt, nicht beim Subjekt. Angesichts der lukanischen Vision einer Gütergemeinschaft unter Vorsitz der Apostel, wie sie in Apg 2,42–47 und 4,32–35 gemalt wird, stellt sich das Problem, wie denn diese Utopie eines gemeindebasierten Austausches sanktioniert werden soll. Verschiedene Optionen werden literarisch bemüht, um echte Wohltäter der Gemeinde wie Barnabas zu ehren, falsche aber – wie Hananias und Saphira – abzuschrecken.
10.1 Sanktionierung echter Wohltätigkeit Im Zusammenhang mit dem Geldverleih behandelt Seneca die Frage, ob es ermöglicht werden soll Wohltaten einzuklagen. Dagegen wird eindeutig Stellung bezogen: „Immer und immer wieder bedenke, wem du eine Wohltat erweisen willst: kein Klagerecht wird es geben, kein Rückforderungsrecht“ (nulla actio erit, nulla repetitio; Ben III 14,2). Wohltaten dürfen weder zum Gegenstand von gerichtlichen Streitereien (lites; III 14,2) noch zur „Ware“ (merces; III 14,4) gemacht werden, womit die Abgrenzung von einer rechtsbewehrten Ökonomisierung bezeichnet ist. Der gewünschte zwischenmenschliche Umgang auf Basis gegenseitigen Vertrauens sollte am besten
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Sanktionsmacht im lukanischen Austauschsystem: Scham und Gericht
sogar umgekehrt auf den Bereich von Geldverleih und Handel ausgedehnt werden: Könnten wir doch dazu überreden, geschuldetes Geld nur von Menschen, die das wollen, entgegenzunehmen! Wollte doch kein Vertrag den Käufer dem Verkäufer verpflichten, wollten Absprachen und Vereinbarungen nicht durch Aufdruck von Siegeln bekräftigt werden, wollte lieber die Vertrauenswürdigkeit sie bewahren und eine das Gerechte pflegende Gesinnung (III 15,1)!
Lieber wäre es dem Autor, Vertrauensbrüche vereinzelt zu tolerieren, als dass de facto alle diese fürchten müssen – zumindest theoretisch. Wenigstens aber die Sphäre der Wohltaten soll von Verrechnung und Verrechtlichung ausgenommen bleiben (vgl. III 15,3 f). Damit steht die Frage im Raum, mit welchen Sanktionsmöglichkeiten ein funktionierender Benefizienaustausch im Sinne Senecas gewährleistet werden kann, und zwar unter der Bedingung, dass die gerichtliche Einklagbarkeit von Dank nicht statthaft ist. Der Autor meint hierzu, dass weder ein Gottloser noch ein Boshafter, Habsüchtiger, Unbeherrschter oder Grausamer unbestraft bleibt, denn, so wird rhetorisch gefragt, „hältst du irgendeine Strafe für schwerer, als allgemein verhasst zu sein“ (aut ullum supplicium gravisus existimas publico odio; III 17,1)? Zusätzlich zum äußerlichen Umstand, vor aller Augen abgestempelt zu sein, kommt innerlich hinzu, das „Gefühl für Wohltaten“ (sensum beneficiorum; III 17,2) verloren zu haben: Undankbarkeit verursacht Schaden nicht nur für die Reputation, sondern auch für die Seele. Es ist also zunächst der öffentliche Hass, die soziale Ächtung, die den Austausch von Benefizien sanktioniert. Da die Öffentlichkeit sich aber eventuell in ihrem Urteil irren kann (vgl. IV 21,5 f), bleibt noch die davon unabhängige seelische Ebene, positiv formuliert die innere Freude, die echter Dankbarkeit über eine empfangene Wohltat entspringt (vgl. III 17,3). Für den Bereich des Geldverkehrs scheint die Orientierung an der Gesinnung (animus; fides; voluntas) vom Autor bereits aufgegeben. Doch auch in anderen Lebensbereichen zeitigt deren Schwinden gesellschaftliche Negativfolgen, veranschaulicht am Beispiel ehebrecherischer Damen aus gehobenen Kreisen: Es greifen Schamlosigkeit und Sittenverfall um sich (vgl. III 16,2–4). Diese Missstände seien auf die multitudo peccantium (III 16,1) zurückzuführen, also die schiere Masse derer, die ein solches Verhalten ungestraft praktizieren. Dem Moralphilosophen scheint ein Sozialgefüge vor Augen zu stehen, in dem aufgrund verlängerter Handlungsketten und unübersichtlicher Beziehungsverhältnisse eine gewisse regulative Scham verschwunden ist. Die andernorts ins Feld geführte Sanktionierung publico odio scheint hier nicht mehr zu greifen. Einerseits soll folglich die auf fides, bona voluntas und amicitia basierende Wohltätigkeit nicht verrechtlicht werden, andererseits wird beklagt, dass die Voraussetzung dafür verloren gegangen sei. Wie aber soll wohltätiges Verhalten beurteilt werden, wenn es einerseits nicht verrechtlicht und ökonomisiert werden soll, andererseits aber die Regulierung durch das soziale Umfeld nicht mehr gewährleistet ist? Es ist be-
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zeichnend, dass Seneca so viel Wert auf die feinen „Innenansichten“, die scharfen Nahaufnahmen zwischenmenschlicher Psychologie legt. Auf dieser Ebene wird richtiges und falsches Verhalten sichtbar gemacht: Schon im Zusammenhang mit dem adressatenorientierten Erweisen einer Wohltat spielt der Habitus des Wohltäters bis in sein Mienenspiel hinein eine Rolle: Statt mit hoher Nase und maskenhaftem Gesichtsausdruck soll „mit liebevoller Stirn, jedenfalls mit sanfter und friedlicher“ (II 13,2) gewährt werden. Wohltuende und Empfangende sind gleichermaßen bestrebt, einander durch Taten ihre Gesinnung zu zeigen (ostendere animum; II 35,3 f). Die Unmöglichkeit der rechtlichen Beurteilung wird mit Bezug auf Gestik und Mimik begründet: „Wie wird an dieser Dinge Beurteilung ein Richter herangehen, da ein Gespräch, ein Zögern und eine Miene den Freundschaft stiftenden Wert eines Verdienstes zerstören“ (gratiam destruant; III 8,4)? Auf sichtbare Zeichen ist achtzugeben: Den sich mühenden Schuldner entlässt der gütige Wohltäter aus der Pflicht, „wenn er gesehen hat, wie du hin und her läufst, besorgt und ängstlich bist“ (VII 14,5). Im Gegensatz dazu ist der hier direkt Angesprochene ungerecht, „wenn du eine Forderung an mich richtest, obwohl du siehst, dass es mir an der Gesinnung nicht fehlt“ (VII 14,6). Zusammengefasst: Seneca bringt in stark moralischem Tonfall einen Funktionsverlust des sozialen Schamregulativs zum Ausdruck, lehnt aber zugleich eine Verrechtlichung der Benefiziensphäre ab. Seine Lösung: Die Geberseite wird nicht rechtlich, sondern affektiv angesprochen, um ihre Forderungen zu humanisieren und letztlich die aus den Fugen geratenen Wohltätigkeitsverhältnisse wieder instand zu setzen. Dazu wird eine hohe Sensibilität für die sichtbaren Zeichen der Gesinnung eingefordert, da nur diese als Beurteilungskriterium dient, ob jemand korrekt gegeben bzw. entgegengenommen hat. Die Stärke dieses Ansatzes liegt in der psychologisch feinen Durchdringung dyadischer Beziehungsverhältnisse. Zugleich scheint damit aber auch die Grenze der sozialen Reichweite markiert.
10.2 Gefährdete Gütergemeinschaft In der als „Strafwunder“1 bezeichneten Erzählung von Hananias und Saphira zeigt sich die dargestellte Opposition beider Austauschsemantiken in einem Begriff: til^ (Apg 5,2). Dieser kann mit Ehre und Ansehen wiedergegeben werden, bezeichnet hier aber zunächst den Erlös aus dem Grundstücksverkauf des Ehepaares.2 Dessen Verhalten ist im Lichte des Vorausgegangenen zu 1 R. Pesch, Apg I 195; Aufbau und Gliederung ebenfalls dort. Eine Übersicht über die verschiedenen Lesarten der Erzählung gibt J.A. Harrill, Divine Judgment against Ananias and Sapphira (Acts 5:1–11): A Stock Scene of Perjury and Death, in: JBL 130,2 (2011) 351–369, 352 f. 2 Vgl. LSJ, s.v. til^. Der Begriff wird durch die Wiederholung in der wörtlichen Rede des Petrus
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deuten, denn Hananias stellt sich vor der Gemeindeöffentlichkeit in die Reihe derer, die im Sinne von Apg 4,34 f Häuser und Grundstücke verkaufen und den Erlös an die Apostel zur Redistribution weitergeben – und zwar den gesamten Erlös!3 Wie dieser Vorgang genau zu verstehen ist, lässt sich Apg 4,34 f nicht präzise entnehmen. Brian Capper meint, „the language is that of organized common life, rather than of charity and almsgiving“4. Gab jeder alles weg oder nur die Reichen einen Teil, wie Capper meint?5 Das Beispiel des Barnabas in Apg 4,37 zur Unterstützung dieser Auffassung wird von Capper jedoch irreführend eingespannt, denn die Aussage lautet nicht, dass Barnabas einen Acker (von potentiell vielen in seinem Besitz) verkaufte, sondern dass er einen Acker hatte und diesen dann verkaufte (Genitivus absolutus!). Gaben nach der Idealvorstellung also nur die Reichen alles weg und wurden dadurch zu Empfängern der zentral bei den Aposteln deponierten Gaben? Apg 2,42–47 spricht davon, dass „alle Gläubigen alles gemeinsam“ hatten, was wenig Raum für Spekulationen lässt. Andererseits gibt Klauck zurecht zu bedenken: „Demnach hätte Maria aus Apg 12,12 ihr Haus eigentlich schon verkauft haben müssen. Aber wo hätte man sich dann versammelt? Es gab offenkundig in der Gemeinde Begüterte und Arme.“6 Die von „hellenistischen Sozialutopien“7 beeinflusste Darstellung Lks verweise historisch auf die Jerusalemer Urgemeinde, in der „eine praktizierte Gütergemeinschaft auf charismatisch-enthusiastischer Grundlage“8 existierte. Klauck ist freilich der Meinung, dass deren literarischer „Ertrag nur noch im Aufruf zur radikalen Wohltätigkeit“9 bestehe. Auf der Textebene unstrittig ist in jedem Fall, dass der Erlös des Verkauften – ob das nun den gesamten Besitz oder einen Teil davon betraf – vollständig den Aposteln zu übergeben war.
Das gewünschte Verhalten erfüllt paradigmatisch Barnabas, über den neben Angaben zu seiner Herkunft noch mitgeteilt wird, dass sein Name uR¹r paqajk¶seyr (4,36) bedeute, was allgemein mit „Sohn des Trostes“ wiedergegeben wird. Diese griechische Namensdeutung ist aber offenbar unzutreffend, was zu der Frage führt, weshalb hier die paq\jkgsir angeführt wird und was sie im gegebenen Kontext bedeutet.10 Dazu soll am Ende des Kapitels im Anschluss an die kulturgeschichtliche Anbindung der Erzählung, die beim zweifachen Auftritt der Jünglinge (oR me¾teqoi bzw. meam¸sjoi; 5,6.10) ansetzt, Stellung genommen werden. Dabei wird deutlich, dass sich narrative und semantische
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betont (vgl. V. 3). Dass in V. 6.10 ein Ritual aus dem Euergetismus angesprochen wird, wofür hier argumentiert wird, lässt auch die Konnotation von Ehre anklingen. Vgl. J.A. Fitzmeyer, Acts 316. B.J. Capper, Interpretation 117. So B.J. Capper, Interpretation 122. H.J. Klauck, Gütergemeinschaft 90; vgl. auch J.D.G. Dunn, Acts 63. H.J. Klauck, Gütergemeinschaft 93. H.J. Klauck, Gütergemeinschaft 97. H.J. Klauck, Gütergemeinschaft 99. Vgl. E. Haenchen, Apg 228.
Gefährdete Gütergemeinschaft
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Schwierigkeiten lösen, wenn das kulturelle Skript des Euergetismus angelegt wird. Hananias hält im Gegensatz zu Barnabas betrügerisch etwas zum eigenen Vorteil zurück (1mosv¸sato; 5,2), wie seine Frau, der auktoriale Erzähler und Petrus wissen (vgl. 5,3).11 Letzterer empfängt Hananias irgendwo in einem Gebäude, in Anwesenheit dabei sitzender Jünglinge, die später aufstehen und zunächst die Leiche des Hananias heraustragen, sodann wiederkommen und das Gleiche mit seiner Frau tun (vgl. V. 6.10). Der Anlass der Szene ist das Herbeibringen der Erträge zu Füßen der Apostel entsprechend der in Apg 4,35–37 beschriebenen „Sitte“12 – möglicherweise schon eine Art öffentliches Ritual.13 Soweit die eher vage angedeutete Szenerie. Nach den Worten des Petrus liegt das offenbar todeswürdige Vergehen der beiden nun nicht darin, dass sie über ihren Verkaufserlös frei verfügen, sondern dass sie vorgeben, ihn gänzlich abgegeben zu haben. Mit anderen Worten wird verurteilt, dass Hananias sich die Ehre, die ihm (und seiner Frau) für eine vollständige Abgabe des Erlöses aus dem Grundstücksverkauf zuteilwürde, zum ermäßigten Preis erhandeln wollte (vgl. V. 4).14 Paradoxerweise werden dem falschen Wohltäter und seiner Frau für dieses Verhalten euergetische Ehren zuteil, wie nachstehend gezeigt werden soll: Die Jünglinge (5,6.10) übernehmen die Bestattung. Hatte Otto Bauernfeind noch in Erwägung gezogen, dass es sich bei diesen um eine – dann von Lk unkenntlich gemachte – institutionell zu greifende Gruppe, also um Amtsträger handeln könnte, ist das in der nachfolgenden Kommentarliteratur breit bestritten worden.15 Eine Begründung gegen eine solche Verortung der Jünglinge 11 Dieses unheimliche Wissen macht die Erzählung I.H. Marshall zufolge für moderne Leserinnen und Leser schwer anschlussfähig, wird sie dadurch doch in die Nähe magischer Geschehnisse gerückt (vgl. ders., Acts 117). 12 J. Jervell, Apg 196. 13 Brian J. Capper spricht von einem „formal ceremonial“ (ders., Interpretation 119). 14 Schneider meint, es „ist auch inhaltlich zu erkennen, daß er [Lk, M.A.] den Gedanken eines pflichtgemäßen Besitzverzichts zurückweist und die Freiwilligkeit sowohl des Verkaufs des Gutes als auch die der Ablieferung des Erlöses unterstreicht. Es bleibt also als eigentliches Vergehen die ,Lüge‘ des Hananias, der gegenüber den Aposteln den Anschein eines totalen Besitzverzichts erwecken wollte“ (ders., Apg I 375). Ob diese besitzfreundliche Einschätzung, der sich viele Kommentatoren angeschlossen haben, auch der Pragmatik des Textes entspricht, scheint jedoch fraglich. Jedenfalls muss zur Erklärung von V. 4 nicht auf einen Eigentumsvorbehalt zurückgegriffen werden, der in bestimmten Fällen auch nach Verkauf eines Grundstücks bestünde (vgl. J. Jervell, Apg 196). Es bedeutet, dass der Erlös aus dem Verkauf (pqah]m) weiterhin Hananias zur Verfügung stand und nicht – wie er mit seinem Auftritt suggerieren will – den Aposteln (siehe unten Kap. 10.4). 15 Vgl. O. Bauernfeind, Apg 86 f. E. Preuschen meint zur Stelle, me¾teqoi (und meam¸sjoi; V. 10) „ist eine Alters-, nicht Amtsbezeichnung“ (ders., Apg 29; zitiert bei E. Haenchen, Apg 233). Auch H. Conzelmann ist laut Schneider der Ansicht: „Die Stellung der me¾teqoi ist nicht ,amtlich‘ zu definieren“ (G. Schneider, Apg I 375, Zitat ohne Seitenangabe); so auch R. Pesch, Apg 200; J. Jervell, Apg 197, der sich auch gegen die damit einhergehenden Qumran-Assoziationen wendet. J.D.G. Dunn mutmaßt, ob im Hintergrund die Szene in Lev 10,4–7 stehen
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scheint den meisten freilich nicht vonnöten, von Luke Timothy Johnson wird dazu immerhin vorgebracht, der variable Gebrauch der Bezeichnungen (oR me¾teqoi bzw. meam¸sjoi) mache unwahrscheinlich, dass es sich um geprägte Titel handeln könne.16
10.3 Bestattungsaufgaben junger Männer in der Polis Der Vergleich mit städtischen Kollegien lohnt jedoch. In den Poleis des griechischen Ostens gab es altersspezifische Verbände, wobei die Jugendlichen als Epheben (5vgboi) im Alter zwischen etwa zwölf und 20 Jahren organisiert waren.17 Diese zeichneten sich durch ein klar erkennbares Äußeres etwa in Kleidung und Frisur aus und hatten neben einer militärisch-agonalen Ausbildung bestimmte kultische Aufgaben zu absolvieren, wodurch sie – teils mit einem elitären Einschlag – in ihre Polis integriert werden sollten. Der mit der Ephebeia am stärksten verknüpfte Ort ist das Gymnasion als Bildungs- und Sportstätte.18 Die nächst ältere Kohorte organisierte sich in der Gruppe der sog. Neoi (m]oi): Am häufigsten bezeugt sind die Verbände der m]oi (junge Männer) sowie der ceqous_a (alte Männer). Beide hatten zweifellos ursprünglich einen athletischen Hintergrund. In aller Regel verfügten sie jeweils über ein eigenes Gymnasion. In der Kaiserzeit handelte es sich jedoch um Clubs, deren Aktivitäten sich keineswegs auf den sportlich-agonistischen Bereich beschränkten. Sowohl Gerusie als auch Neoi waren gut organisiert und hatten jeweils ihren eigenen Vorstand sowie Sekretäre und Schatzmeister. In der Öffentlichkeit traten sie häufig als Urheber von Ehreninschriften auf. Die Gerusie scheint mancherorts in Verbindung mit Rat und Volksvertretung auch andere Dekrete beschlossen zu haben. Darüber hinaus korrespondierten sowohl Neoi als auch Gerusie gelegentlich als Organisation mit den römischen Autoritäten bis hin zum Kaiser. Im Theater hatten beide Vereinigungen häufig ihre eigenen, speziell für sie reservierten Sitze.19
Alte und Junge leisteten sich gegenseitig Gefälligkeiten. So verfügte der Philosoph Lykon in seinem Testament, wie Diogenes Laertios es wiedergibt: Von meinen Ölbäumen in Ägina soll Lykon [gleichnamiger Neffe des Testierenden, M.A.] nach meinem Tod den jungen Leuten das für die Einölung Nötige überlassen
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könnte, wo die Leichen von Nadab und Abihu nach einem Frevel gegen Gott von jungen Männern abtransportiert werden sollen (vgl. ders., Acts 64). So L.T. Johnson, Acts 88. Zur prägenden Rolle der diversen Vereine für die Stadt vgl. M. Ebner, Stadt 190–235. Vgl. H.-J. Gehrke, Art. Ephebeia, DNP 3, 1997, 1071–1075, mit Verweis u. a. auf 2 Makk 4,7–12; Strabo V 4,7. E. Stephan, Honoratioren 63 f.
Bestattungsaufgaben junger Männer in der Polis
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(to?r meam_sjoir eQr 1kaiowqgst_am), damit die Erinnerung an mich und an den, der mir Respekt erwiesen, nicht verblasst, solange das geschieht (toO til^samtor 1l³ lm^lg c_mgtai di± t/r wqe_ar avtg B pqos^jousa). Auch mein Standbild möge er aufstellen und den passenden Platz dafür […] auswählen (Diog. L. V 71).
Lykon stellt den jungen Männern Öl für das Gymnasion zur Verfügung, im Gegenzug sollen sie ihn in ehrenvoller Erinnerung halten. Das konnte durch Gedenkopfer zu bestimmten wiederkehrenden Anlässen geschehen.20 Möglicherweise könnte eQr 1kaiowqgst_am auch die Einölung des Leichnams Lykons durch die Jünglinge bedeuten. Ein Hinweis darauf könnte bei Pausanias (IX 39,5–40,1) in seiner Beschreibung des Trophonios-Orakels zu finden sein. „Wer es konsultieren wollte, mußte sich einer komplizierten Abfolge von Riten unterziehen, bevor er zum Abstieg (kat basis) und zur Weihe (my´e¯sis) zugelassen wurde“21. Den ersten Schritt des tatsächlichen Abstiegs beschreibt Pausanias so: „Zuerst führen ihn in der Nacht an den Fluss Herkyna und salben und waschen ihn dabei zwei etwa dreizehn Jahre alte Bürgersöhne, die Hermai heißen (1ka_\ wq_ousi ja· ko}ousi d}o pa?der t_m !st_m 5tg tq_a pou ja· d]ja cecom|ter, otr :ql÷r 1pomol\fousim). Diese Knaben (pa?der) also waschen den Hinabsteigenden und besorgen sonst das Nötige“ (Paus. IX 39,7). Wenn also der Abstieg in die Unterwelt als Bestattung inszeniert wird, könnte hier ein bestattungstypischer Ritus für die Orakelkonsultation übernommen sein.
Spekulativ aber vorstellbar ist zudem, dass die Stadt nach Lykons Tod beschloss, den Leichnam von jungen Leuten durch die Stadt tragen und begraben zu lassen. So jedenfalls berichtet es Plutarch über die Bestattung des Politikers und Heerführers Timoleon durch die Syrakusier: Nachdem man einige Tage angesetzt hatte für die Syrakusier, um die Bestattung vorzubereiten, und für die Landbewohner und Fremden, um sich zu versammeln, wurde eine glänzende Leichenfeier veranstaltet, und vom Volk erwählte Jünglinge trugen die reichgeschmückte Bahre durch die damals geschleifte Tyrannenburg des Dionysios (ja· t¹ k]wor oR x^v\ t_m meam_sjym pqojqih]mter 5veqom). Viele Zehntausende von Männern und Frauen bildeten das Geleit, das zwar einen festlichen Anblick bot, weil alle bekränzt waren und weiße Gewänder trugen, aber die Wehklagen und Tränen, die sich mit der Glücklichpreisung des Toten mischten, zeigten, daß es sich nicht um äußerliche Erfüllung einer Ehrenpflicht oder die bloße Ausführung eines Ratsbeschlusses handelte, sondern um echte Trauer und den Ausdruck wahrer Liebe und Dankbarkeit (Timol 39).
Der Leichnam wird sodann auf den Scheiterhaufen gelegt und ein Herold verliest ein Ehrendekret. Darin wird zunächst die Höhe der von der Stadt aufgewendeten Bestattungskosten genannt sowie die Stiftung von Wett20 Siehe Kap. 9.2.2. Dieser Philosoph ist zudem darauf erpicht, einen schönen, d. h. gut sichtbaren Platz für sein Standbild zu bekommen. 21 L. K ppel, Art. Trophonios, DNP 12,1, 2002, 875 f, 875; Hervorhebung im Original.
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Sanktionsmacht im lukanischen Austauschsystem: Scham und Gericht
kämpfen zu Ehren des großen Mannes angekündigt. Schließlich werden Timoleons öffentliche Verdienste kurz gewürdigt. Plutarch berichtet zudem, dass später um den Markt, wo Timoleons Asche beigesetzt werden sollte, Säulenhallen, Übungsplätze und eine „Timoleonteion“ genannte Turnanstalt für die jungen Leute angelegt wurden.22 Hier sind es also die Jünglinge der Stadt, die Bestattungspflichten für einen verdienten Mann übernehmen. Auch inschriftlich sind derartige Aufgaben junger Männer belegt. In einem Ehrendekret aus Kyme, zu datieren in die Zeit zwischen 2 v. Chr. und 14 n. Chr., werden für einen L. Vaccius Labeo eine Reihe von Ehrungen verfügt.23 In den nur teilweise erhaltenen ersten Zeilen ist die Rede davon, dass der Wohltäter dem Volk „aus den Vermögenswerten, die er besitzt“ (ta?r rpaqwo¸sair aqt` jt¶siar; Z. 2 f), Zuwendungen gemacht habe.24 Als Gymnasiarch habe er sich hervorgetan und das Gymnasion auf eigene Kosten renovieren lassen (vgl. Z. 41 f). Dafür soll er neben anderem im Theater bei allen agonistischen Festen einen Ehrenplatz (pqoedq¸am; Z. 29) bekommen. V. a. aber ist interessant, was nach seinem Tod geschehen soll: Sein Leichnam soll zunächst auf die Agora getragen werden, und zwar von den Epheben und Neoi (rp¹ t_m 1v²bym ja· t_m m´ym eQr t±m !coq±m; Z. 45). Dort soll er mit einem goldenen Kranz gekrönt und ein Ehrendekret verlesen werden, indem man ihn u. a. als eqeqc´tam (Z. 48) ausruft. Sodann haben die vorgenannten Jünglingsgruppen die Aufgabe, den verblichenen Wohltäter ins Gymnasion zu tragen, wo er ehrenhalber begraben wird (Z. 49–51). Der Ablauf ähnelt dem von Plutarch beschriebenen. Jesus wirft den Pharisäern Ehrgeiz ähnlicher Art vor, indem er ihnen unterstellt, sie liebten den „Vorsitz in den Synagogen“ (tµm pqytojahedq¸am 1m ta?r sumacyca?r; Lk 11,43).25 Ihre eigenen Grab- oder Denkmäler (lmgle?a; V. 44) würden ihnen jedoch keinen Nachruhm verschaffen. Wie wichtig lm^lg den städtischen Euergeten war, lässt sich an den Anweisungen Lykons (siehe oben) ablesen. Auf der anderen Seite bauten die ebenfalls kritisierten Gesetzeslehrer lmgle?a (V. 47) für Propheten, die von ihren Vätern getötet worden seien. Lk unterstellt Pharisäern und Gesetzeslehrern demnach einen Hang zu öffentlichen Auszeichnungen, wie sie im Euergetismus üblich waren – ein weiterer Hinweis darauf, dass der intendierten Leserschaft mit jüdischem Hintergrund dieses kulturelle Skript vertraut war.
22 Plutarch zufolge scheint diese Bauten allerdings nicht Timoleon, sondern die Stadt gestiftet zu haben. 23 Vgl. IGR IV 1302 = SEG 27,791; vgl. R. Hodot, D cret; A. Zuiderhoek, Politics 127. 24 R. Hodot übersetzt: „rappelant que Lab on … avait fait donation au peuple] des propri t s qu’il poss de“ (ders., D cret 124); siehe auch Z. 41. Zur Wendung 1j t_m rpaqwºmtym aqt` und Varianten siehe Kap. 8.2. 25 Im selben Atemzug wird kritisiert, sie liebten zudem „die Aufwartungen auf den Marktplätzen (ja· to»r !spaslo»r 1m ta?r !coqa?r; Lk 11,43). Man ist versucht, an die anteambulationes einflussreicher Persönlichkeiten zu denken, wie sie aus Rom bekannt sind.
Wohltätigkeitsrituale und Sanktionsmechanismen in der neuen Ekklesia 319
10.4 Wohltätigkeitsrituale und Sanktionsmechanismen in der neuen Ekklesia Mit Blick auf ihre soziale Rolle in der Stadt ist erneut die Frage nach dem Fehlverhalten von Hananias und Saphira zu stellen. Mit einem Übertritt in die Gütergemeinschaft der Jerusalemer Gemeinde, wie sie in den entsprechenden Summarien der Apostelgeschichte dargestellt wird, geht für die Besitzenden ein Rollenwechsel einher. Dieser wird schon im Anschluss an die Erzählung vom reichen Kornbauern in Lk 12 erkennbar.26 Denn durch den Verkauf von Grund und Boden stehen dessen Erträge den städtischen Mitbürgern nicht mehr zur Verfügung. Noch einmal sei an die Verteidigungsrede Dions von Prusa vor seinen aufgebrachten Mitbürgern erinnert: Der bedrängte Rhetor beteuert, er habe weder genug Getreide, um etwas davon abzugeben, noch Geld für dessen Ankauf (vgl. Or XLVI 8). Eben diesen Eindruck, weder Land noch Geld zu besitzen, wollte offenbar auch Hananias bei seinen Mitbürgern erwecken: Wer nichts hat, braucht nichts mehr abzugeben und kann so aus dem lästigen Spiel des Euergetismus ausscheren, wie das auf andere Weise auch der reiche Kornbauer versucht. Dazu speist Hananias zum Schein seine zu Geld gemachten Güter in die Christus-Gruppe ein. Petrus bringt in 5,4 auf den Punkt, was Hananias verschleiern will: 4
oqw· l´mom so· 5lemem ja· pqah³m 1m t0 s0 1nous¸ô rp/qwem.
4
Und blieb dir nicht etwas übrig, und war das Verkaufte nicht zu deiner Verfügung?
Gängige Übersetzungen sehen die Sinnspitze der rhetorischen Frage des Petrus darin, dass Hananias seinen Acker und auch noch sein Geld für sich hätte behalten können. So übersetzt etwa die Zürcher: „Hättest du den Acker nicht behalten können, als du ihn hattest? Und konntest du nicht auch, als er verkauft war, noch tun, was du wolltest?“ Doch wird hier etwas anderes akzentuiert, nämlich, wie schon in 5,2, das Faktum des Zurückhaltens und dessen Konsequenzen.27 Hananias’ geheimes Ziel war es ja, sein Geld – endlich – zur eigenen Verfügung zu haben, wozu er seinen Mitbürgern glaubhaft machen musste, dass das Gegenteil der Fall sei und er gerade keine 1nous¸a mehr über sein liquidiertes Immobilienkapital habe. Dass Petrus diese Absicht erkennt, bringt er an dieser Stelle präzise ins Wort. Dass den beiden dafür ein Ehrenbegräbnis bereitet wird, wie es verdienten Euergeten zukommt, erscheint bei dieser Lesart als purer Sarkasmus, denn vor seinen Wohltätigkeitspflichten versucht sich das Ehepaar ja gerade zu drücken, indem es die „Nazoräersekte“ (Apg 24,5) sozusagen zur Geldwäsche 26 Siehe Kap. 8. 27 So lösen sich die „Spannungen“ (H.J. Klauck, Gütergemeinschaft 91) zwischen dieser Aussage und 5,2 f, denn an beiden Stellen richtet sich der Vorwurf auf das Zurückhalten.
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Sanktionsmacht im lukanischen Austauschsystem: Scham und Gericht
nutzen will. Die Bestattungspflichten junger Männer in der Polis erklären das Auftreten derer in Apg 5,5.10: Ein städtischer Wohltäter, einer also, der aus eigenen Mitteln seine Mitmenschen begünstigt, wird ehrenhalber von jungen Leuten im Leichenzug getragen und/oder begraben. Dabei ist die Variabilität der Bezeichnungen (oR me¾teqoi bzw. meam¸sjoi) nicht ausschlaggebend, denn in den Vergleichstexten ist diese ebenfalls zu finden. Die meam¸sjoi in der Beschreibung Lykons haben eine irgendwie institutionell zu verortende Funktion; diejenigen, die Timoleons Bahre tragen, sind von der Stadt dazu bestimmt worden. Hinzu kommen 5vgboi und m]oi, wobei diese klar abgrenzbare Gruppierungen bezeichnen und darin spezifischer sind.28 Hananias und seine Frau wollten demnach zwei Solidarsysteme übervorteilen: zum einen die städtische Ekklesia, aus deren euergetischen Verstrickungen nur entkommt, wer sein Vermögen unsichtbar macht, zum anderen die gemeindliche, in der man durch Besitzeinspeisung sogar eine gewisse Anerkennung erlangen kann. So zumindest scheint es bei Barnabas der Fall zu sein, und auch das Versprechen in Lk 6,35 an die Reichen, „Söhne des Höchsten“ genannt zu werden, wenn sie ihr Geld auch an die abgeben, die es nicht zurückzahlen können, deutet in diese Richtung.29 Mit Blick auf das eingangs gestellte Sanktionierungsproblem besteht in dieser Anerkennung die positive Motivation, sich den neuen Austauschregeln zu fügen. Damit zu der seltsamen Etymologie von Barnabas und dessen Bezeichnung als uR¹r paqajk¶seyr (4,36), was mit „Sohn des Trostes“ m. E. nicht zutreffend übersetzt ist. In Rekurs auf die Überlegungen zum Weheruf an die Reichen, sie hätten ihre paq\jkgsir (Lk 6,24) bereits erhalten bzw. verwirkt, ist auch hier für ein politisches Verständnis der paq\jkgsir als Appell zur Güterabgabe zu plädieren, wie er in den Poleis des griechischen Ostens an finanzstarke Bürger durch öffentliche Gremien erging. Diese wurden aufgefordert (paqajkghe_r) oder, etwas vornehmer ausgedrückt, für würdig befunden (!niyhe_r) sich zu einer Leistung an die Allgemeinheit aus eigener Tasche zu verpflichten, was als rp|swgsir oder 1paccek_a bzw. pollicitatio bezeichnet wurde.30 Das geschah teilweise unter öffentlichem Druck in der Volksversammlung. Die Schilderung des Jägers in Dions euböischer Rede, wie er im Theater zur Leistung von Geldbeiträgen drangsaliert wird und sich dann zur Abgabe einiger unbedeutender Naturalien bereit erklärt, stellt eine solche Szene – stark verzeichnet – vor Augen (vgl. Or VII 42).31 Barnabas wird demnach als jemand dargestellt, der der Aufforderung nachgekommen ist, nämlich den gesamten Erlös seines Ackers dem neuen Verteilungsgremium der Apostel zu Füßen zu legen. Dafür bekommt er das Ansehen, nämlich die lobende Erwähnung, die sich Hananias 28 Von einer parallelen Differenzierung in Apg 5,5.10 ist wohl nicht auszugehen. 29 Siehe Kap. 6.3.7. 30 Siehe Kap. 6.2.4. Zum Vorschlag E. Nestles, Barnabas etymologisch als Sohn der Aufforderung („request“) zu verstehen, vgl. S. Brock, BAQMABAS: UIOS PAQAJKGSEYS, in: JTS 25,1 (1974) 93–98, 95. 31 Vgl. Dio Chrys., Or VII 27; siehe Kap. 8.3.3.
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und Saphira offenbar unrechtmäßig anzueignen versuchten. So fungiert er als exemplum für eine neue, auf den neuen Sozialraum hin transformierte Wohltätigkeit. Die Erzählung von Hananias und Saphira führt komplementär die Strategie zur Abwehr unerwünschten Verhaltens, dass die Begüterten den Aposteln Geld vorenthalten, drastisch vor Augen. Geprägte Vorstellungen von Ehrungen für verstorbene Euergeten werden persiflierend aufgegriffen: In diesem Leichenzug kann man gerade nicht „echte Trauer und den Ausdruck wahrer Liebe und Dankbarkeit“ (Plut., Timol 39) erblicken. Hinzu kommen Schauerelemente mit magisch-seherischem Einschlag, die für den sozialen Breiteneffekt sorgen sollen, dass sich die Schreckensnachricht herumspricht und Nachahmung verhindert (Apg 5,11): 11
ja· 1c´meto vºbor l´car 1v’ fkgm tµm 1jjkgs¸am ja· 1p· p²mtar to»r !jo¼omtar taOta.
Wie anders klingen demgegenüber Senecas Klagen über den Verlust der Scham, die in immer neuen und letztlich resignativen Litaneien vorgebracht werden. Gegenüber dem groß und unübersichtlich dargestellten Sozialraum Senecas spricht aus den Verhältnissen, wie sie in vorliegender Erzählung zutage treten, eine große soziale Nähe, um nicht zu sagen Enge. Darin wird gewünschtes Sozialverhalten nicht primär durch moralisierende Appelle angemahnt, sondern, zumindest auf einer literarisch-fiktiven Ebene, ähnlich durchgesetzt wie im gesellschaftlichen Umfeld auch, und zwar durch Gewalteinsatz einer Zentralinstanz: dort Rom, hier Gott.32
32 Josephus versucht, wie an anderer Stelle gezeigt, Arme in das Reziprozitätsdenken einzubeziehen, indem er ihnen zugunsten die Nachlese verbietet (siehe Kap. 8.3.2.2). Auch diese Regelung wird sanktioniert: „Wer gegen diese Gebote handelt, soll öffentlich neununddreißig Stockprügel erhalten und selbst als freier Mann diese schimpfliche Strafe erleiden, weil er aus Gewinnsucht sich in seiner Würde vergeben hat“ (Ant IV 238).
11. Römische Provinzjustiz als Austausch von Gefälligkeiten (Apg 24–26) Reziprozitätsverhältnisse gedeihen im poltischen Bereich v. a. in schwach bürokratisierten Gesellschaften.1 Güter und Dienstleistungen werden über persönliche Beziehungen vermittelt, statt, wie es in modernen Gesellschaften angezielt ist, auf der Basis prinzipieller Chancengleichheit für alle.2 Im römischen Kaiserreich wurden Akte wie die Verleihung des römischen Bürgerrechts oder die Verteilung von Posten als beneficia principis aufgefasst, wodurch sich der Kaiser als oberster Wohltäter bei seinen Untergebenen gratia, also Treue aufgrund ihrer Dankesschuld erwirkte.3 Somit wurden auch Entscheidungen im bürokratisch-rechtlichen Bereich, die modernem Verständnis zufolge nach formalen Kriterien zu fällen wären, zumindest teilweise von persönlichen Bindungen, also partikularen Gesichtspunkten abhängig gemacht. Koenrad Verboven differenziert, es gebe „a crucial link between the Roman civil order (based on universalist criteria) and the Roman social order (based on particularist criteria)“4. Im Bereich des Rechts scheint also ein gewisses Bewusstsein von allgemein gültigen Normen zumindest mit Blick auf die Gruppe der römischen Bürger vorhanden gewesen zu sein, wie nicht zuletzt die Paulus’ Appellation an den Kaiser zeigt (vgl. Apg 25,11i). Von einer Rechtsgleichheit aller Menschen im neuzeitlichen Sinne ist dabei nicht auszugehen. Paulus klagt aber eine Beurteilung seines Falls auf Basis objektiv nachvollziehbarer Fakten an, während seine Gegner und Richter ihre Partikularinteressen im Austausch von persönlichen Gefälligkeiten zu bedienen versuchen. Deren politische Absichten werden mit w\qir-Semantik zum Ausdruck gebracht, mit der das Gezerre um das Justizopfer Paulus dargestellt wird.5 An der Passage der Prozessverschleppung vor Felix und Festus in Apg 24–26 wird deutlich, wie im politisch-juristischen Bereich Ideal und Wirklichkeit, Gegenseitigkeitsethos und Rechtsansprüche aufeinandertreffen.
1 Vgl. K. Verboven, Economy 289. 2 „Patrons supply protection and special access to certain goods and services for their clients; as state administrations expand, providing protection and services to all citizens on the basis of universal, impersonal criteria, the clients’ need for patrons declines“ (R.P. Saller, Patronage 3). 3 Vgl. R.P. Saller, Patronage 34. Mit Blick auf das Anwachsen einer ritterlichen Verwaltung in frühem Prinzipat heißt es: „It can be shown that these offices at all levels and in all periods could be treated as imperial beneficia and distributed through patronage“ (R.P. Saller, Patronage 46). 4 K. Verboven, Economy 326. Eine trennscharfe Zuordnung scheint angesichts oben angerissener Verhältnisse jedoch schwierig; siehe auch Kap. 3.4. 5 Siehe eqwaqist¸a (24,3); w\qir (24,27; 25,3.9); waq_folai (25,11.16).
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Römische Provinzjustiz als Austausch von Gefälligkeiten
11.1 Absichten und Vorgehen der am Prozess beteiligten Gruppen An dem in Apg 24–26 geschilderten Prozess sind vier Gruppen beteiligt, nämlich (1) die Jerusalemer: der Hohepriester Hananias mit Presbytern und dem professionellen Rhetor Tertullus (Apg 24,1), bzw. mehrere nicht genannte Hohepriester und „die Ersten der Judäer“ (oR pq_toi t_m Youda¸ym; 25,2), die von Festus als dumato_ (25,5) angesprochen werden, (2) die römischen Behörden in Person des als Bcel~m6 bezeichneten Felix (23,24; 24,1) und, diesen ablösend Festus (24,27), (3) der von erster Gruppe angeklagte Paulus (24,1) und schließlich (4), als Bindeglied zwischen Römern und Judäern, Agrippa und Berenike (25,13). Was wollen diese Parteien jeweils und wie gehen sie vor, um ihre Ziele zu erreichen? Das Wortfeld von w\qir prägt die Interaktion der hohepriesterlichen Fraktion mit den römischen Beamten und wird vom Angeklagten aufgenommen. Dieser fungiert als lebendige Verhandlungsmasse, die freilich das schmutzige Spiel und die eigene Rolle darin durchschaut, anprangert und Gerechtigkeit einfordert (vgl. 24,10–21.25; 25,10 f).7 Der Hohepriester Hananias und die Presbyter gehören zu der Gruppe, die bereits in Jerusalem von den vierzig Judäern in deren Verschwörung eingeweiht wurde, um an dem Hinterhalt mitzuwirken, in dem Paulus getötet werden soll (vgl. 23,12–15). Die Neuauflage dieses Plans wird bei Amtsantritt des Festus erwähnt (vgl. 25,3c–e). Zur Realisierung wird auf zweierlei Weise vorgegangen: Zunächst wird ein professioneller Anwalt namens Tertullus engagiert, um Paulus auf gerichtlichem Wege zur Strecke zu bringen.8 Dabei wird dem Statthalter versichert, dass seine friedens- und fortschrittsförderliche Tätigkeit „mit aller Dankbarkeit“ (let± p²sgr eqwaqist¸ar; 24,3) angenommen werde. Erreicht wird damit zunächst eine Haftverlängerung (vgl. 24,27e–f). Von Felix’ Stellennachfolger erbittet die Gruppe, die nun etwas unspezifischer gefasst ist (vgl. 25,2), dann direkt eine Gefälligkeit (aQto¼lemoi w²qim; 25,3a), nämlich Paulus nach Jerusalem zu schicken, um ihn unterwegs meucheln zu können. Dass Festus diese letzte Information verborgen bliebe,
6 Von Josephus 1p_tqopor (Bell II 252) genannt. Wie er war sein Nachfolger Porcius Festus „höchster unmittelbarer Repräsentant Roms in Iudaea. Ob er aber dort nur als praefectus tätig war und dem Statthalter von Syrien unterstand, oder ob er als Praesidialprocurator einer unabhängigen Prov. Iudaea anzusehen ist, kann noch nicht geklärt werden“ (K.-L. Elvers, Art. Porcius, DNP 10, 2001, 157–164, 163). 7 „Only Paul is rock solid in his stance and in his repeated denial of any wrongdoing against his people (25.8,10–11). But these replies are too brief. What the dramatic storyline cries out for is a final and complete refutation of the charges and the resolution of the suspense“ (J.D.G. Dunn, Acts 318). 8 Für antike Prozesse scheint zu gelten, „it was advisable to secure the services of a lawyer when one of the parties wanted to secure gratia (favour) with the judge. This was particularly true when one party perceived that the opposite one might have exerted power and influence over the judge“ (O. Padilla, Speeches 211).
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geht aus dem Text nicht hervor.9 Überhaupt: Was die zweite, Prozess entscheidende Gruppe der römischen Beamten weiß und will, scheint ambivalent und vielschichtig. Mit Blick auf die öffentliche Ordnung sollen konfliktträchtige Volksaufläufe wie in Apg 21,30 f verhindert werden, wie bereits das Eingreifen des Obersts Lysias am Jerusalemer Tempel zeigt (vgl. 21,31 f). Hinzu kommen Eigeninteressen hinsichtlich Karriere und persönlicher Bereicherung. Schon die Aussage Lysias’ gegenüber Paulus, sein römisches Bürgerrecht habe ihn einiges gekostet (vgl. 22,28), könnte dieser auf dem Appell-Ohr hören und als Bestechungsangebot verstehen. Geld von Paulus will jedenfalls Felix, wie der auktoriale Erzähler eindeutig mitteilt (vgl. 24,26). Die beiden römischen Hegemone Felix und Festus wollen „den Judäern eine Gefälligkeit erweisen“ (w²qita bzw. w²qim jatah´shai to?r Youda¸oir; 24,27; 25,9), doch warum eigentlich? Um „sich die Juden günstig zu stimmen“10, wie Ernst Haenchen lapidar und pauschalisierend notiert? Im innertextlichen Wortfeld bleibend geht es zunächst darum, sich für die Gewährung einer Gefälligkeit (w\qir) des Dankes (eqwaqist¸a; 24,3) seitens des begünstigten Gegenübers zu versichern, die ebenso konkret zu verstehen ist. Die Dankesschuld provinzialer Statusgruppen konnte sich dabei für römische Karrieren förderlich auswirken, wie im Folgekapitel zu erläutern ist. Schließlich scheint noch ein gewisser Unterhaltungsfaktor beim Handeln der Römer eine Rolle zu spielen: Felix und seine Frau Drusilla lassen sich von Paulus über dessen Glauben erzählen (vgl. 24,24), wobei der Statthalter die Ausführungen über Gerechtigkeit, Selbstbeherrschung und das kommende Gericht schon bald verschreckt abbricht (vgl. 24,25). Agrippa will Paulus ebenfalls hören (vgl. 25,22), was er dann am Folgetag im Audienzsaal (!jqoat¶qiom; 25,23) inszeniert, in den er mit seiner Schwester-Frau Berenike, großem Gefolge und „viel Pomp“ (let± pokk/r vamtas¸ar) Einzug hält. „One can hardly avoid the impression that Paul is intended to supply the entertainment for this splendid assemblage“11. Wie setzen die Römer ihre Ziele um? Jacob Jervell merkt an, Felix wolle sich sowohl mit den Judäern gut stellen als auch Geld von Paulus.12 Zumindest soll eines der beiden Ziele erreicht werden. Der Statthalter verfolgt eine Doppelstrategie: Durch Vertagung des Prozesses und Haftverlängerung verärgert er die Judäer nicht und kann andererseits abwarten, ob seine Bestechungswünsche in Erfüllung gehen – das Geld käme dann von den Leuten des Paulus, 9 Die Aussage wird partizipial an die an Festus gerichtete Bitte angeschlossen (vgl. 25,3c–d). Dass dieser nichts von den Mordplänen wisse, behaupten G. Schneider, Apg II 357; L.T. Johnson, Acts 420; J.A. Fitzmyer, Acts 742. Ein Unwissen des Statthalters setzen voraus I.H. Marshall, Acts 403; R. Pesch, Apg II 265. Dagegen stellt Jervell zurecht die Aussage Paulus’ heraus: „Ob Festus ihren Plan kennt, wird hier nicht gesagt, aber die Rechtsbelehrung, die Paulus später dem Statthalter gibt, rechnet mit einer Auslieferung an die Juden, V. 11“ (ders., Apg 579). 10 E. Haenchen, Apg 634; ähnlich I.H. Marshall Acts 402. 11 L.T. Johnson, Acts 426 f. 12 Vgl. J. Jervell, Apg 576 f.
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weshalb er ihnen wohl auch Zugang zu ihm gewährt (vgl. 24,22 f.26).13 Würde Paulus ihm Geld geben, würde er ihn vielleicht freilassen. Da Felix das Geld nicht bekommt, lässt er den Angeklagten eben in Gefangenschaft, um sich dadurch zumindest das Wohlwollen der Ältestengruppe aus Jerusalem – also w\qir im Sinne von Einfluss – zu erwirken. Konkret soll Festus ihnen die Gefälligkeit erweisen (w²qim jatah´shai; 25,9), Paulus den Mordplänen der Judäer auszuliefern. Mit einem Begriff aus derselben Wortfamilie gibt Paulus bei seiner Appellation an den Kaiser zu erkennen, dass er diesen Plan entlarvt hat: Ist „aber nichts an dem, was diese hier gegen mich vorbringen, so kann mich niemand ihnen preisgeben“ (waq¸sashai; 25,11). Zugleich will Festus vor König Agrippa als gewissenhafter Beamter erscheinen, dem gegenüber er die Allgemeingültigkeit römischer Rechtsnormen betont. Den Ältesten der Juden habe er gesagt, „es sei bei den Römern nicht Brauch, einen Menschen preiszugeben (oqj 5stim 5hor Uyla¸oir waq¸fesha¸ tima %mhqypom), bevor er als Angeklagter seine Ankläger zu Gesicht bekommen und Gelegenheit erhalten habe, sich gegen die Anschuldigungen zu verteidigen“ (25,16). Durch die acht Verse umspannende Stichwortverknüpfung mit waq–Vokabular wird dem impliziten Leser die Unlauterkeit des Festus deutlich gemacht.14 Was Paulus will, zeigt sich im semantischen Inventar von forensischem Gericht und Gerechtigkeit, das seine Reden dominiert.15 Der Gegensatz zur Haltung der übrigen Fraktionen wird schon in seiner Reaktion auf die Rede des Tertullus deutlich:16 Dieser betont in seiner captatio benevolentiae die 13 Dass als Grund für die Vertagung angegeben wird, dass Felix „über den neuen ,Weg‘ recht genau Bescheid wusste“ (24,22), ist wohl so zu deuten, dass er sich über die Unschuld des Paulus im Klaren ist (vgl. I.H. Marshall, Acts 400; G. Schneider, Apg II 350; R. Pesch, Apg II 259; J. Jervell, Apg 572). Verschiedentlich ist spekuliert worden, ob Paulus Geld für die Jerusalemer Kollekte (vgl. 2 Kor 8–9; Gal 2,10; 1 Kor 16,1–4; Röm 15,25–32) bei sich gehabt habe (dagegen vgl. E. Haenchen, Apg 632, mit Verweisen auf die ältere Diskussion i.d.Anm., und G. Schneider, Apg II 352 f). Von der Jerusalemer Kollekte ist in der Apg nirgends explizit die Rede, nach Ansicht David J. Downs’ auch nicht in der Bemerkung 1keglos¼mar poi¶sym eQr t¹ 5hmor lou paqecemºlgm ja· pqosvoq²r, die Paulus lediglich als frommen Juden ausweisen soll (24,17; vgl. ders., Collection 50). In den Paulusbegleitern aus Apg 20,4 erkennt Christfried Bçttrich freilich „die in 1 Kor 16,3 bereits anvisierte Kollektendelegation“ (ders., Art. Jerusalemkollekte, in: WiBiLex). 14 Insofern scheinen die Einschätzungen zweifelhaft, denen zufolge Festus der gegenüber Felix solidere Römer sei (vgl. z. B. E. Haenchen, Apg 640; I.H. Marshall, Acts 402). „Opportunismus“ (R. Pesch, Apg II 270) oder Doppelzüngigkeit (vgl. O. Padilla, Speeches 226 f) trifft es eher. Dass in der Ansprache an Agrippa keine Rede davon ist, dass Festus den judäischen Eliten einen Gefallen tun wollte, scheint angesichts dessen eine effektvolle Ellipse: „Luke shows neither shock nor surprise at such creative shaping of the story. Politicians do such things“ (L.T. Johnson, Acts 429). 15 Jqit^r (24,10); jat± t¹m m|lom (24,14); !m\stasir dija_ym te ja· !d_jym (24,15); !d_jgla (24,20); jq_molai (24,21; 25,9.10; 26,6.8); dijaios}mg (24,25); jq_la (24,25); !dij]y (25,10.11); !pokoc]olai (26,3); jatgcoq]y (24,19;25,11). 16 Die dikanische Rede des Tertullus gliedert sich in exordium (V. 2e–3), narratio (V. 4 f), confirmatio (V. 6) und peroratio (V. 8; vgl. O. Padilla, Speeches 218, im Rückgriff auf eine Einteilung von Bruce Winter).
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Beziehungsebene zwischen Felix und dem von ihm vertretenen „Volk“ (24,2 f) sowie die „Dankbarkeit“ (eqwaqist¸a; 24,3) für den vom Statthalter gebrachten Frieden und Fortschritt. Die Erinnerung daran suggeriert die Notwendigkeit, den als Friedensstörer Angeklagten zu verurteilen (vgl. 24,5 f).17 Dass die in der Folge vorgebrachten Vorwürfe offenbar haltlos sind, spielt eine untergeordnete Rolle, insofern die römische Autorität bei ihrem Interesse an Ruhe und Ordnung gepackt werden soll.18 Was sich eine Einzelperson tatsächlich hat zuschulden kommen lassen, mag hierbei weniger wichtig sein, als dass durch diese Person der soziale Friede gestört werden könnte. Demgegenüber scheint Paulus nicht viel Wert auf rhetorische Finessen oder Konventionen zu legen – in seiner Verteidigungsrede fehlen Anrede und Abschluss.19 Felix wird in seiner amtlichen Rolle als Richter angesprochen (vgl. 24,10), der Angeklagte bietet Zahlen und Fakten zu seiner Verteidigung auf (vgl. V. 11–13). Diese Diskrepanz zwischen der Akzentuierung von Recht und Gerechtigkeit und dem Verhandeln von Partikularinteressen setzt sich fort in dem, was Paulus Felix und Drusilla erzählt: Der Apostel spricht von Gerechtigkeit, Felix will Geld (vgl. 24,25 f). Paulus durchschaut die Dynamiken, will bzw. kann sich aber offenbar nicht in sie einklinken, wie die Bemerkung Agrippas zu Festus am Ende der Passage deutlich macht: „Dieser Mensch hätte frei werden können, hätte er nicht den Kaiser angerufen“ (26,32). Die Leserin weiß: Paulus wäre tot, hätte er nicht den Kaiser angerufen, sondern eingewilligt, sich nach Jerusalem überführen zu lassen. Sein Leben selbst stellt ja die darzubringende w\qir im Spiel der Mächte dar, weshalb der Apostel gut daran tut, es nicht mitzuspielen. Damit stellt die lukanische Darstellung römischer Jurisdiktion aus der Perspektive eines Opfers die Frage, inwieweit die Beamten der imperialen Schutzmacht Rechtssicherheit gegenüber einer religiösen Minderheitenauffassung garantieren, deren Akteure in die etablierten Reziprozitätsnetzwerke weniger gut eingebunden sind als ihre Gegner.
17 Vgl. O. Padilla, Speeches 219. „Wie seinerzeit vor Pilatus gegen Jesus (vgl. Lk 20,20; 23,2.5.14) müssen die Juden vor dem römischen Richter eine Anklage formulieren, die Felix im Sinn des römischen Strafrechts bei seiner Zuständigkeit behaftet, da die römischen Richter sich nicht mit innerjüdischen Streitfragen befassen (vgl. 18,15; 23,29)“ (R. Pesch, Apg II 255). 18 Eine analoge Vorstellung wird in der Aussage des Kaiaphas gegenüber dem Hohen Rat deutlich, dessen Mitglieder nicht bedächten, „dass es für euch von Vorteil wäre, wenn ein einzelner Mensch für das Volk stirbt und nicht das ganze Volk zugrunde geht“ (Joh 11,50; vgl. 18,14). 19 Vgl. J. Jervell, Apg 573.
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11.2 Provinziale Gunst als Karrierefaktor für römische Beamte und der Fall Paulus Noch einmal ist auf den begrifflichen Gehalt von w\qir zurückzukommen, die sich von wa_qy herleitet und so essentiell mit Freude verbunden ist.20 So ist die w\qir als konkrete Gunst nicht als schäbige Kumpanei, sondern als erfreulichliebreizende Gefälligkeit aufzufassen: Auf vorliegende Passage der Apostelgeschichte bezogen, wollen sich die Fraktion des Hohepriesters und die römischen Statthalter gegenseitig eine Freude machen: Für erhaltene Wohltaten wie Frieden und Verbesserungen (pokk/r eQq¶mgr tucw²momter di± soO ja· dioqhyl²tym; 24,2) versichern die Klagenden ihrem Statthalter Dank (eqwaqist¸a; 24,3), der wiederum die Grundlage dafür bildet, eine weitere w\qir (24,27; 25,3.9) zu erbitten. Die eqwaqist¸a in diesem Sinne entspricht einer Auffassung von gratia als aktive Vergeltung eines empfangenen beneficium.21 Eine weitere Bedeutungsebene von gratia kommt hinzu: Mutual gratification was crucial in Roman friendship. The connection between favours and counterfavours was so strong that gratia not only meant “gratitude” and the “desire to reciprocate” but also “influence”.22
Dieser Einfluss aufgrund von Wohltätigkeit war ein reflektierter Herrschaftsfaktor neben anderen, Philo zählt darüber hinaus Ehrwürdigkeit und Schrecken auf und kommt so auf die drei Prinzipien selm|tgta ja· deim|tgta ja· eqeqces_am (Praem Poen 97).23 Mit Euergesien bemühten sich römische Provinz-Hegemonen bei den einheimischen Eliten um gratia, weil diese sich auf ihr Ansehen in Rom auswirkte: Man kannte offenbar die Anzahl der Statuen, mit denen jemand in der Provinz geehrt wurde, und beurteilte ihn entsprechend.24 Die Kommunikation lief über Gesandtschaften, die unauf20 Vgl. D. Zeller, Charis 13. 21 Vgl. R.P. Saller, Patronage 21. Dass das jüdische Volk, wie Josephus meint, generell kein gutes Verhältnis zur Verleihung von Ehren habe (vgl. Ant XVI 158), scheint von Lk nicht vorausgesetzt zu werden. 22 K. Verboven, Economy 287. 23 Vgl. J.E. Lendon, Empire 130 i.d.Anm. Tiberius’ Rivale Seianus bringt Leute auf seine Seite durch t¹ l³m eqeqces_air t¹ d³ 1kp_si t¹ d³ ja· v|b\ (Dio C. LVIII 4,2, vgl. J.E. Lendon, Empire 142 und i.d.Anm.). Dass Felix und Festus auch mit Abschreckung (deim|tgr) regiert haben, wird von Josephus berichtet: Felix habe bestimmte Räubergruppen bekämpft und sich anderer wie der sog. Sikarier bedient, um etwa einen Meuchelmord an einem Hohepriester in Auftrag zu geben (vgl. Bell II 253–263; Ant XX 161–165; vgl. E. Haenchen, Apg 624). Statt gegen die Sikarier, Josephus zufolge extrem gefährliche Attentäter, vorzugehen, habe Felix’ Nachfolger Festus einen harmlosen Sektenanführer mit militärischem Großaufgebot zur Strecke gebracht (vgl. Ant XX 187 f). 24 Vgl. C.P. Jones, World 106–108; J.E. Lendon, Empire 78; 195 f, mit Verweisen auf Suet., Titus 4,1; Vesp 1,2; Tac., Dial 8; Plut., Praec Ger Reip 820D; Dio Chrys., Or XXXI 108; XLVI 2–4; siehe Kap. 1.4.
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hörlich Dank und Beschwerden nach Rom trugen, wodurch es für Regierungsbeamte von Interesse war, von den Provinzialen neben Geld auch Ehrungen zu erlangen.25 Nicht immer schien die Transformation zu funktionieren: Dass eine gute Amtsführung sich kaum auf Gratifikationserwartungen in Rom auswirkte, stellt Plinius in seinem Panegyrikus auf Trajan für die Vergangenheit fest: Mochte bislang die Gesinnung eines Mannes noch so gerade und aufrecht sein, er wurde, wenn schon nicht davon abgebracht, so doch entmutigt durch die deprimierende, aber richtige Überlegung: „Du siehst es doch: wenn ich etwas Tüchtiges leiste, wird der Caesar davon erfahren? Und wenn er es erfährt, wird er es offiziell anerkennen“ (Paneg 70,7)?
Weil die früheren Principes gute Amtsführung nicht ausreichend wahrgenommen und entsprechend honoriert hätten, habe es keine Anreize gegeben, sich im Außendienst hervorzutun. Anders heute: wenn jetzt jemand seine Provinz gut verwaltet hat, wird ihm die Rangerhöhung angeboten, auf die er kraft seiner Leistung Anspruch hat (Paneg 70,8).
Dank Trajan lohnt sich Leistung also wieder. Dadurch, so ist sich der Dankredner sicher, würden nun auch bald die Beschwerden aufhören: Auch hast du die Provinzen für die Zukunft vor der Furcht vor Misshandlungen befreit und sie dem Zwang enthoben Klagen einzureichen. Denn wenn ihr offizieller Dank (gratias egerint) dem Empfänger wirklich zugute kommt, wird für sie kein Anlass mehr bestehen, sich über irgendjemand zu beschweren (Paneg 70,8).
Schließlich macht Plinius noch den Vorschlag, das Feedback der Regierten zu ihrem Amtsträger bei den entscheidenden Stellen stärker zu implementieren: Ich meine, es sollte ein Provinzgouverneur nach Ablauf seiner Amtszeit nicht nur die Empfehlungsschreiben seiner Freunde vorlegen, nicht nur Referenzen, die er sich durch gute Beziehungen in der Hauptstadt heimlich erwirkt hat, sondern amtliche Zeugnisse der Kolonien und Provinzstädte. Es macht sich trefflich, wenn zu der Unterstützung durch einzelne Konsulare auch die Stimmen ganzer Städte, Völker und Nationen hinzukommen (urbes populi gentes). Dann ist die wirksamste Art, sich für einen Kandidaten einzusetzen: ihm Dank auszusprechen (gratias agere; Paneg 70,9).
Das auch für Plinius selbstverständliche Mittel der commendatio, mit dem einflussreiche Freunde Kandidaten in ihr Amt zu heben halfen, soll hier 25 „In ad 11 this caused Augustus, extending Republican precedent, to forbid the voting of laudatory decrees to a governor during his tenure and for sixty days after he departed – so oppressive had the officals’ solicitation of honour become. Honours to governors during their terms were still limited in the third century, and in the fourth“ (J.E. Lendon, Empire 196).
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harmonisch erweitert werden um Empfehlungen der Provinzialen.26 Ein solches Testat wollen sich wohl auch Felix und Festus bei der judäischen Volksgruppe (t` 5hmei to¼t\; 24,2) sichern: Felix, indem er Paulus bei seinem Weggang als Gefangenen zurücklässt, Festus, indem er ihn den Judäern – offenbar zur Beseitigung – preisgeben (waq¸sashai; 25,11) will. Wie und ob sich die eqwaqist¸a der Judäer konkretisierte, berichtet die Apostelgeschichte nicht; Josephus zufolge schickten die Juden von Cäsarea nach Felix’ Abschied sogleich eine Gesandtschaft nach Rom – um sich bei Nero für die in seiner Amtszeit erlittenen Demütigungen zu beschweren. Nur die massive Intervention von Felix’ Bruder Pallas beim Kaiser konnte diesen noch gnädig stimmen (vgl. Ant XX 182).27 Was also, um die lukanische Prozesserzählung mit Plinius zu verknüpfen, wenn die Fraktion der Judäer ihren Gefallen bekommen hätte? Möglicherweise hätte sie eine Abordnung nach Rom geschickt, jedenfalls den Beamten ob seiner friedensstiftenden Amtsführung dort empfohlen. Der wäre nach dem im Panegyrikus formulierten Ideal befördert worden, und zwar letztlich dafür, dass ein religiöser Scharlatan (c|gr; Jos., Ant XX 160.167 f.188) beseitigt wird – was Felix ebenso wie Festus offenbar immer wieder taten. Diese Aktionen gegen teils harmlose Sektenanführer erwähnt Josephus durchaus kritisch, allerdings nur in Randnotizen. Die Prozessdarstellung der Apostelgeschichte bietet hingegen eine dramatisch ausgestaltete Nahaufnahme aus Sicht einer solchen rechtspolitischen Randnotiz. Sie führt vor Augen, wie sich römische Gerichtsbarkeit auf diejenigen auswirkt, die keine oder kaum gratia geltend machen können und daher nicht in den Reziprozitätskreislauf der politischen
26 Zu commendationes und gratia vgl. K. Verboven, Economy 287–327. Zudem wird von Plinius mehrfach der Wert und Nutzen des gratias agere hervorgehoben, das nach Seneca das Danksagen in der richtigen Gesinnung (voluntas) ausdrückt. Dieses ist dem von Seneca übernommenen Ideal zufolge zur Vergeltung einer Wohltat hinreichend, unabhängig davon, ob man den Dank auch konkret abstatten kann (gratiam referre; Sen., Ben II 17,6). Seneca setzt den inneren, gesinnungsmäßigen Dank gegen dessen materielle Konkretion ab, weil er das Ehrenhafte vom Nützlichen, honestum von utile trennt. Dass beides eben nicht (mehr) konvergiert, wie Cicero noch verzweifelt hochzuhalten versucht (vgl. Off II 9), ist die Grundlage für Senecas Konzeption der Wohltat als per se expetenda res (siehe Kap. 2 und 3). Durch die Herrschaft Trajans, so kann man Plinius auch verstehen, findet nun beides wieder zusammen: Danksagen (gratias agere) wirkt sich aus wie Dankabstattung (gratiam referre), nämlich lohnend. So finden Ehrenhaftes und Nutzen wieder zusammen. 27 Poqj_ou d³ V^stou diad|wou V^kiji pelvh]mtor rp¹ M]qymor oR pqyte}omter t_m tµm Jais\qeiam jatoijo}mtym Youda_ym eQr tµm U~lgm !maba_mousim V^kijor jatgcoqoOmter, ja· p\mtyr #m 1ded~jei tilyq_am t_m eQr Youda_our !dijgl\tym, eQ lµ pokk± aqt¹m b M]qym t!dekv` P\kkamti paqajak]samti sumew~qgsem l\kista dµ t|te di± til/r %cym 1je?mom. Das bedeutet, wenngleich hier im negativen Sinne, dass Gesandtschaften in Rom nicht ohne Einfluss waren. „Da die Juden ohnehin die Amtsführung des Felix beim Kaiser beklagten, (JosAnt [sic] 20,182–185), wird es zutreffen, daß Felix sie nicht weiter verärgern wollte und ihnen den Gefallen tat, Paulus als Gefangenen seinem Nachfolger zu überlassen“ (R. Pesch, Apg II 262; vgl. auch G. Schneider, Apg II 345 i.d.Anm.).
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Kräfte gelangen.28 Daher scheint es umso nachvollziehbarer, dass der Angeklagte bei Lukas gegen den Konsens von Ankläger und Richter immer wieder auf das allen – oder zumindest den römischen Bürgern – zugängliche Recht pochen muss. Recht, Gerechtigkeit und Gesetz ziehen sich durch die Semantik von Paulus’ Reden:29 Wider das Gesetz lasse der Hohepriester ihn schlagen, so empört sich Paulus schon vor dem Hohen Rat (23,3). Nicht das mosaische, sondern das römische Gesetz ist hier gemeint, wie die vorangehende Szene zeigt, in der die Leute des römischen Obersts von ihm ablassen, als dieser erfährt, dass Paulus römischer Bürger ist (vgl. 22,29).30 Auch von den Vertretern der imperialen Rechtsordnung fordert er deren Umsetzung ein, wenn er gegenüber Festus auf einem Verbleib am Gerichtsort Cäsarea beharrt: „Der Gefangene gibt jetzt dem römischen Richter eine reguläre Rechtsbelehrung. Dadurch zeigt Lukas auch, wie kritisch er dem römischen Staat gegenüber eigentlich steht.“31 Mit der darauffolgenden Appellation an den Kaiser nimmt er ein römisches Bürgerrecht „gegen die magistratische Zwangsgewalt“32 in Anspruch. Die Amtsträger waren als oberste Repräsentanten Roms mit einer großen Machtfülle ausgestattet, die sie in den Provinzen „fast allmächtig“33 agieren ließ. Sich (zumindest in der Theorie) direkt an den Kaiser wenden zu können, stellte ein gewisses Gegengewicht dazu dar, das auch sanktionsbewehrt war: „Im Prinzipat stand auf Mißbrauch magistratischer Koerzition die Todesstrafe“34. Festus selbst referiert an anderer Stelle einen römisch-universalen Rechtsgrundsatz, freilich nur im forum externum, um sich vor Agrippa als integrer Richter zu profilieren. Den Jerusalemer Eliten gegenüber will er die „römische Sitte“ (5hor Uyla¸oir; 25,16) betont haben, nach der ein Angeklagter das Recht habe sich zu verteidigen. Auch der zur Gefälligkeitsjustiz neigende Richter Festus weiß, „das römische Verfahren ist das eines Rechtsstaates, der einen Angeklagten nicht schutzlos preisgibt“35. Agrippa und Berenike in den von der Faktenlage her erschöpften Prozess einzubinden, scheint wiederum politisch motiviert: „On one side they represented the Jews. On the other side, they were ardent clients of the Roman state, and familiar with Caesar’s fa28 Zur Rolle von gratia in der römischen Justiz, v. a. freilich beschränkt auf das Beispiel Ciceros vgl. K. Verboven, Economy 303–309. 29 Der lukanische Paulus macht seine Treue auch zum Gesetz des „väterlichen Gottes“ geltend (Apg 24,14), was angesichts der Anfragen seiner Jerusalemer Glaubensbrüder offenbar klärungsbedürftig war (vgl. Apg 21,21). 30 E. Haenchen hat stattdessen Lev 19,15 als im Hintergrund stehend vorgeschlagen (vgl. ders., Apg 610). 31 J. Jervell, Apg 580 f. 32 L. de Libero, Art. Provocatio, DNP 10, 2001, 475 f, 475. 33 Vgl. W. Eck, Ämter 14. 34 L. de Libero, Art. Provocatio, DNP 10, 2001, 475 f, 475. Dabei bezeichnet Koerzition im Gegensatz zur juristischen Untersuchung „das unmittelbare, dem Ermessen anheimgestellte Einschreiten des Magistrats“ (W. Kunkel/H. Galsterer, Staatsordnung 175). 35 E. Haenchen, Apg 643; mit Verweis auf Dig XLVIII 17,1.
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mily“36. Um sich derart gut vernetzte Leute gewogen zu machen, bietet Festus ihnen die Ehre, zu dem Fall von den Römern befragt zu werden sowie die Möglichkeit, sich in einer Art „show trial“37 in Szene zu setzen. Fazit: Indem er die w\qir-Terminologie des erfreulichen Austausches von Gefälligkeiten aufnimmt, entlarvt Paulus, wer dabei unter die Räder kommt: Dass ihn niemand zum Geschenk darbringen könne (waq¸sashai; 25,16) bringt auf den Punkt, was von den Jerusalemer Eliten und den römischen Politikern verschleiert zur Sprache kommt: Tauschobjekt ist Paulus selbst, der auf einen gerechten Prozess nach römischen Idealen pocht, an die er Festus erinnert und die ihn veranlassen, den Kaiser anzurufen (vgl. 25,10 f). Gegen diese von Partikularinteressen geleitete Gefälligkeitsjustiz macht der lukanische Paulus die universalistischen Gehalte der römischen Rechtsordnung beharrlich geltend – eben weil er als Vertreter einer religiösen Sondergruppe (Mafyqa¸ym aRq´seyr; 24,5) bei diesem Chariten-Reigen der Großen aus Politik und Religion nicht mittanzen kann.38 Wie schon die Überlegungen zu den Hintergründen von Magnificat und Benedictus nahelegen, scheinen sich die impliziten Leserinnen und Leser in einer ähnlichen Position zu befinden.39 Geraten sie aufgrund ihres noch kaum sozial gefestigten Bekenntnishintergrundes in juristische Schwierigkeiten, tun sie gut daran, die imperiale Schutzmacht an das römische 5hor (25,16) zu erinnern, um beim Ballspiel des Wohltatenaustausches nicht zum Spielgerät zu werden.40
36 L.T. Johnson, Acts 428. 37 L.T. Johnson, Acts 428, mit Beispielen für solche Spektakel bei Jos., Ant XVII 93; Bell I 620; Ant XVI 30. Zudem verweist er auf die Parallelen zum Jesus-Prozess in Lk 23,6–12 und besonders auf den Umstand, dass Herodes und Pilatus darüber Freunde werden (vgl. Lk 23,12). 38 Der Mensch als Tauschobjekt zwischen Kollektiven verweist zurück auf Mauss’ „System der totalen Leistungen“ (ders., Gabe 22), das hier offenbar mit einem Verständnis in Konflikt gerät, nach dem Mensch und Sache strikt zu scheiden sind. 39 Siehe Kap. 7.2.7; 7.3. 40 Zur Metapher vgl. Sen., Ben II 17,3–5.
Schluss Die Auswahl der lukanischen Themen und Texte ist eine Schwerpunktsetzung und hat natürlicherweise enge Grenzen. Der Entwicklung des Agath n-Motivs ist breiter Raum gegeben worden, ebenso sind Lukas-Texte in den Fokus gerückt worden, die bislang nicht oder nicht in dem Maße mit Reziprozitätsfragestellungen in Verbindung gebracht worden sind. Demgegenüber mussten andere, gleichwohl wichtige Aspekte zurücktreten. Hier ist etwa Lks Auffassung von p_stir zu nennen, die als Beziehungsvokabel eine bedeutende Rolle im sozialen Austausch spielte. Vor kurzem hat Theresa Morgan eine umfangreiche Monografie zu dem Konzept im griechisch-römischen Raum sowie im Neuen Testament vorgelegt, die u. a. auch Lks Verwendung behandelt.1 Auf der Basis des Ausgeführten scheint eine weitergehende Auseinandersetzung damit lohnenswert. Das Forschungsdesiderat, das mit vorliegender Arbeit erfüllt werden sollte, besteht darin, (1) die Reziprozitätsauffassungen des kulturellen Umfeldes nuanciert darzustellen, (2) den Niederschlag dieser Vorstellungen in Struktur, Semantik und Inhalt der Lukas-Texte aufzuzeigen sowie (3) die diesbezüglichen lukanischen Akzentsetzungen sichtbar zu machen. Ad (1): Die lukanischen Texte entstanden in einer Welt, in der sozialer Austausch zu einem großen Teil vom „Prinzip der Gegenseitigkeit“ (Bolkestein) geprägt war. Dieses Ethos manifestierte sich auf allen gesellschaftlichen Ebenen wie Familie, Haus, Stadt und Reich. In unterschiedlich stark ritualisierten Ausdrucksformen regulierte es die Interaktion zwischen Menschen gleichen und verschiedenen sozialen Ranges sowie die Kommunikation mit dem Göttlichen. Dabei galt zunächst als selbstverständlich, dass in einer Atmosphäre des Wohlwollens ein Austausch stattfand, bei dem Gebende und Empfangende sowohl auf den eigenen als auch auf den Nutzen des Gegenübers achteten. Wie dieses Gefüge aus der Balance geriet, lässt sich literarisch an Ciceros Traktat De Officiis ablesen: Was nach dessen Auffassung republikanischen Eliten als ehrenhaftes Verhalten gut ansteht, täten sie letztlich zu ihrem eigenen Nutzen. Persönlicher Ruhm legitimiere sich durch den Einsatz für das Gemeinwesen – und sei zugleich deren Frucht, so die beschwörende Protreptik (vgl. Off II 85). Doch lässt sich diese Behauptung einer Konvergenz von honestum und utile angesichts der makropolitischen Umbrüche im 1 Vgl. T. Morgan, Faith 374–391; vgl. zudem C. Bçttrich, Glaube im lukanischen Doppelwerk, in: J. Frey/B. Schließer/N. Ueberschaer (Hg.), Glaube. Das Verständnis des Glaubens im frühen Christentum und in seiner jüdischen und hellenistisch-römischen Umwelt (WUNT 373), Tübingen 2017, 399–421.
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Schluss
Übergang zu einer neuen Gesellschaftsordnung den adressierten Eliten offenbar kaum noch plausibel machen. Besonders deutlich wird das an Senecas Konzeption des beneficium als einer um ihrer selbst willen zu erstrebenden Sache (per se expetenda res). Ein Close Reading von De Beneficiis ergibt, dass die semantischen Inventare von Wohltätigkeit (beneficentia) und Kreditgeschäft (feneratio/creditum) einerseits kontrastiv gegenübergestellt werden, sich andererseits verschiedenartig überschneiden. Dies ist zum einen schlicht der eingeschränkten Terminologie geschuldet, die für beide Bereiche verwendet wurde. Zum anderen verweisen diese Überschneidungen auf eine tiefe Verflechtung von reziprokalem und kommerziellem Austausch. Dass diese Verflechtung in den Lebenswelten von LkEv und Apg weit vorangeschritten zu sein scheint, zeigt der resignative Grundzug gegenüber allem, was mit Handel und Geldverleih zu tun hat, nicht nur in De Beneficiis. Die Anstrengungen, eine Ethik des Austausches zu entwickeln, in der das Ehrenhafte radikal vom Nützlichen getrennt wird, sind vor ihrem zeitgeschichtlichen Hintergrund zu lesen: Mit dem Prinzipat wurden überkommene aristokratische Werte und Habitusformen durch teilweise veränderte Machtzugänge in Frage gestellt. Die voranschreitende wirtschaftliche Integration des Reiches und eine erhöhte soziale Mobilität führten dazu, dass sich etablierte Eliten mit Aufsteigern messen mussten, die sie in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht herausforderten und ihre gesellschaftliche Position anfochten.2 Diesen Prozessen entspricht im griechischsprachigen Osten des Reiches eine Veränderung von Wohltätigkeitsritualen im städtischen Kontext: Öffentliche Feste etwa, zuvor als Ausdruck bürgerlicher Gleichheit abgehalten, wurden nun verstärkt unter dem Aspekt inszeniert, die hierarchische Ordnung der Polis darzustellen. Durch Verausgabungen im Festrahmen und zu anderen Gelegenheiten ergab sich für die lokalen Eliten unter Umständen die Möglichkeit, sich bei den Römern ins Spiel zu bringen und Karriere zu machen. Oft genug aber scheinen die von ihren Heimatstädten zum Euergetismus Genötigten den Eindruck gewonnen zu haben, dass ihr privater Ressourcenaufwand in keinem befriedigenden Verhältnis zu dem stand, was die begünstigte Öffentlichkeit im Gegenzug anbot. Der standardisierten, als hohl empfundenen Rituale zur Erhöhung des Ansehens waren nicht wenige überdrüssig.3 So wurde die Ausflucht vor kostenintensiven Verpflichtungen gegenüber der Heimatstadt zur Begleiterscheinung eines blühenden Euergetismus. Viele Vermögende wollten lieber für den persönlichen Gewinn (j]qdor) wirtschaften als für den meist auf die Heimatpolis beschränkten, zudem oft als 2 Als Stichworte, die im ersten Teil der Arbeit näher erläutert worden sind, wären zu nennen: das Auseinanderklaffen von magistraler Ehrenposition und realpolitischem Einfluss, der instrumentelle Bedeutungsverlust von Freundschafts- und Klientelverhältnissen bei gleichzeitiger symbolischer Bedeutungszunahme, damit verbunden die Klientelisierung der Eliten und die Verdrängung traditioneller Klientengruppen (siehe Kap. 4.3). 3 Vgl. Plut., Cup 525D; Dio Chrys., Or LXVI 2; siehe Kap. 5.3.
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kurzlebig beklagten Ruhm (d|na).4 Die Haltung zur largitio bzw. 1keuheqi|tgr oder lecakopq]peia veränderte sich entsprechend: Ehrgeiziger Aufwand wird von Plutarch missbilligt, ja lächerlich gemacht. Bei Dion von Prusa ensteht gelegentlich der Eindruck, die Besitzenden, die vor der Volksversammlung erscheinen und zu Euergesien aufgefordert werden, rechneten sich dort regelrecht arm.5 Zur Kultivierung dieser Abneigung gegenüber dem großspurig Spendablen passt ein Ethos der Frugalität, das im Ergebnis wohl kaum von der nach wie vor getadelten Habsucht zu unterscheiden war. Zusammengenommen lassen diese Beobachtungen eine kulturgeschichtliche Situation erkennen, die von der Koexistenz und dem Konflikt zweier unterschiedlicher sozialer Austauschformen geprägt ist, nämlich Reziprozität und Marktwirtschaft. Der Hauptunterschied zwischen beiden liegt in der jeweils zugrunde liegenden Vorstellung von Beziehung: Beim Übergang vom Gaben- zum Warentausch löst sich eine individuelle Kalkulation persönlichen Nutzens aus ihrer Einbettung in den Resonanzraum des sozialen Umfeldes.6 Mit der gesellschaftlichen Bedeutungszunahme des Handels tritt dieser als eigenständig wahrnehmbarer Regelkreis aus dem der Reziprozität heraus.7 Dies ist weder als eine einlinige historische Entwicklung noch als notwendig problematisch anzusehen. Doch wo sich Marktmentalität allzu deutlich in einem Bereich ausbreitet, der zuvor vom Prinzip der Gegenseitigkeit beherrscht war, scheint es zu knirschen: Vernehmbar ist dieses Knirschen bei der Professionalisierung des Geldverleihs in der römischen Oberschicht ebenso wie beim Versuch lokaler Eliten, mit den eigenen Gütern profitorientiert zu wirtschaften, statt sie im Rahmen euergetischer Pflichten zu verausgaben. Es ist zunächst so vage zu formulieren: Irgendwo in dieser Gemengelage, zwischen sich wandelnden Wohltätigkeitsauffassungen und handfesten Eigeninteressen politischer und hier v. a. wirtschaftlicher Art, ist der vermögende Teil der impliziten Leserinnen und Leser von LkEv und Apg zu verorten. Ad (2) & (3): Reziprozitätsverhältnisse werden von Lukas oftmals in Zusammenhängen aufgegriffen, in denen die Beziehung zwischen Gruppen mit unterschiedlichen sozialen und materiellen Möglichkeiten ausgelotet wird. Zum einen werden dabei (a) innergemeindliche Verteilungskonflikte bearbeitet, zum anderen (b) der Umgang mit dem außergemeindlichen städtischen Umfeld. 4 Vgl. Plut., Praec Ger Reip 820. 5 Siehe Kap. 8.5; vgl. Dio Chrys., Or VII 21–49; Or XLVI u. ö. 6 Diese Formen von Herauslösung sind nicht als einmaliger oder einliniger Prozess einer großen Transformation zu verstehen. Wohl sind in bestimmten historischen Situationen immer wieder kleine Transformationen zu beobachten. Dass hier Entwicklungen von Reziprozität hin zu Formen marktwirtschaftlichen Handelns und Denkens beschrieben werden, impliziert nicht einmal, dass die Entwicklung notwendig und teleologisch immer in dieser Richtung verlaufen müsste. 7 Damit ist keine Aussage darüber gemacht, ob das Römische Reich als ganzes, wie Peter Temin vorschlägt, als Marktwirtschaft bezeichnet werden sollte (siehe Kap. 5.2).
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Schluss
(a) Innergemeindliche Verteilungsfragen: In den Makarismen und Weherufen (Lk 6,20–26) werden arme und reiche Jünger einander gegenübergestellt, wobei ersteren der Zugang zu gewissen Nahrungsmittelverteilungen, möglicherweise im Festzusammenhang, verwehrt ist. Während diese marginalisierte Gruppe belobigt wird, wird den Reichen vorgeworfen, sie nähmen öffentliche Ehrungen in Empfang, ohne ihrer Aufforderung zur Wohltätigkeit (paq\jkgsir) überhaupt nachgekommen zu sein. Dass beides in Zusammenhang steht, verweist auf ein Funktionsprinzip des Euergetismus. Zu dessen alltäglichen Erscheinungsformen gehörte, dass sich Wohlhabende unwillig zeigten, Aufwendungen für die Allgemeinheit zu tätigen, die diese ihnen wiederum, vorzugsweise vor einem öffentlichen Forum, abzupressen versuchte. Auf dieses Spiel, das teilweise bis an die Grenze offener Gewalt reichte, wird hier mit Blick auf den innergemeindlichen Umgang rekurriert. Die Verpflichtung der Wohlhabenden ist mit dem Ausdruck Agath n auf den Begriff gebracht. Dieser erinnert daran, dass sie selbst Empfangende sind und nur weitergeben, was ihnen göttlicherseits gewährt worden ist. Auf Basis dieses reziprokal eingefärbten Begriffs wird das Verhalten des Kornbauern (Lk 12,13–21) beurteilt. Dabei prallen die Austauschsysteme aufeinander: Der reiche Grundbesitzer versucht einen Rollenwechsel vom Euergeten zum Getreidehändler, dem das Scheitern vorausgesagt wird. Dieses wird in Form eines gewaltsamen Übergriffs derer angekündigt, die ihren Anteil an den Gütern fordern. Dass die Kalkulation des Kornbauern nicht aufgeht, ergibt sich eigentlich schon aus den Begriffsgehalten des Agath n selbst: Wie die Verwendung bei Josephus, Dion von Prusa und auch in Inschriften zeigt, bezeichnen Agath nicht etwas, das man individuell für sich thesaurieren könnte, jedenfalls nichts Materielles. Im Anschluss an den fehlgeschlagenen Rollenwechsel vom Euergeten zum Händler wird den Wohlhabenden in der Gemeinde ein anderer Weg aufgezeigt. Dieser führt dahin, die eigenen Besitztümer zu verkaufen und Almosen zu geben (vgl. Lk 12,33), bzw. den Erlös in die neue Gemeinschaft einzuspeisen und ihr dadurch beizutreten (vgl. Apg 4,32). Die Erzählung von Hananias und Saphira (Apg 5,1–12) dient offenbar der Abschreckung von Leuten, die die Gemeindekasse als Scheindepot zu nutzen versuchten, um ihr Vermögen für die Zugriffe o.g. Gruppen unsichtbar zu machen. Damit geht Hananias noch einen Schritt raffinierter vor, als es der Kornbauer in Lk 12 tut, da er nicht vorhat, weithin sichtbare Scheunen zu bauen. Stattdessen will er seinem Umfeld weismachen, er könne von seinem Grund und Boden keine Abgaben leisten, weil er diesen gänzlich der Christus-Gruppe übereignet habe. Es muss wohl als beißende Ironie verstanden werden, dass dem betrügerischen Ehepaar, das sich aus seinen Wohltätigkeits-Verpflichtungen herauszuwinden versucht, in der Erzählung euergetische Begräbnis-Ehren zuteilwerden. Der Umgang von gemeindlichen Hauseignern mit wandernden Propheten (vgl. Lk 13,22–30) wird vor dem Hintergrund der cena in einer römischen domus thematisiert. Lk ruft Reminiszenzen an das schikanöse Gebaren eines
Schluss
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Hausherrn im Umgang mit Bittstellern vor der Tür wach und ergreift damit ein weiteres Mal Partei für die aktuell Marginalisierten gegenüber den Etablierten. Unter diesen sind Persönlichkeiten judenchristlicher Provenienz zu vermuten.8 Diese impliziten Leserinnen und Leser kennen jedenfalls die kulturellen Skripte des Euergetismus und anderer Formen von Reziprozität. Zugleich sind sie offenbar ansprechbar für biblische Motive und Konzepte wie die Aufforderung zur 1keglos}mg (12,33a), die Autorität Abrahams (vgl. 16,23) oder das Schuldrecht des Pentateuch (vgl. Lk 6,29). Greift Lk auf Reziprozitätsmechanismen zuweilen wie auf Naturgesetze zurück, erscheinen die alttestamentlichen Bezüge eher in normativen Zusammenhängen. Hier werden jüdische Lehrautoritäten der Gemeinde angefragt, die dort aufgrund ihrer Mittel Einfluss hatten, aber auch außerhalb in ihrem städtischen Umfeld nach einem gewissen Ansehen strebten. Um ihren Ehrgeiz und ihre Gewinnkalkulation auf den Binnenraum der Gemeinde zu richten, bedient sich Lk der o.g. Kategorien von Belohnung und Drohung. Damit zum Austausch mit der außergemeindlichen Umwelt (b): Verantwortung und Versagen städtischer Eliten werden in den Hymnen in Lk 1 thematisiert. Dort wird ebenfalls eine marginalisierte Gruppe, hier als Hungernde beschrieben, bei einer Verteilungssituation den Reichen vorgezogen (vgl. Lk 1,53). Auf die sozialgeschichtliche Ebene gehoben, dürfte dies ihren Erfahrungen bei städtischen Festen oder alltäglichen Essensverteilungen (frumentationes) entgegenstehen. Vor dem Hintergrund des Amtsprophetentums in den Städten des griechischen Ostens gelesen, scheinen die in Lk 1 dargestellten prophetischen Gestalten eine mehr oder weniger fiktive Gegenelite darzustellen. Diese verhält sich – offenbar im Gegensatz zu den tatsächlich tonangebenden Gestalten im eigenen Umfeld – gegenüber der JesusBotschaft richtig, indem sie ihn als den wahren Retter (syt^q; Lk 2,11) anerkennt. Die Trägergruppe dieser Texte steht allem Anschein nach außerhalb der städtischen Reziprozitätsnetzwerke, was auch die Darstellung des Prozesses gegen Paulus vor den römischen Behörden deutlich macht (vgl. Apg 24–26). Der Apostel droht zum Spielball im Wohltatenaustausch der politischen Kräfte zu werden, was Erfahrungen früher Christen mit der Justiz entsprochen haben dürfte. Offenbar wird hier am Vorbild des unerschrockenen Paulus dazu geraten, es ihm gleichzutun und die Richter möglichst bei ihrem römischen 5hor (Apg 25,16) zu packen. In Lks Verhältnisbestimmungen hinsichtlich des sozialen Austausches nach innen wie außen spiegelt sich die hybride gesellschaftliche Situation zwischen Reziprozität und Marktwirtschaft wider. Anders als etwa bei Seneca und Plutarch wird dabei die Ebene von Handel und Geldverleih nicht ausgespart oder verächtlich gemacht. Beim Lesen von De Beneficiis entsteht der Eindruck, für Seneca gebe es letztlich kein richtiges Leben im falschen, weshalb er das richtige ins Reich der Weisen verlagert und sich im falschen gut einzurichten weiß. 8 Siehe die Überlegungen in Kap. 6.2.5; 6.4; 7.3; 8.6 und 9.2.5.
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Schluss
Demgegenüber nehmen die Lukastexte immer wieder die ungeschönten sozialen Realitäten zum Ausgangspunkt, um auf deren Basis die nicht selten radikalen Konsequenzen im Sinne Jesu resp. der Basileia Gottes zu ziehen. Das zeigt sich etwa in den praecepta, die vordergründig an Schuldner, textpragmatisch gesehen aber wohl an innergemeindliche Gläubiger gerichtet sind (vgl. Lk 6,27b–30). An die Schuldner ergehen absurde Maximalforderungen, wie etwa den Mantel und das letzte Hemd wegzugeben. Sie sollen sich spendabel zeigen wie gutmütige Wohltäter, als die ihnen ihre „grausamen Gläubiger“ (Seneca) begegnen könnten – genau dazu sollen sie auf paradoxe Weise bewogen werden. Im elitären Wohltätigkeitsdiskurs wurde der kommerzielle Geldverleih zwar als unfein und moralisch fragwürdig diskreditiert, zugleich aber betätigten sich die Eliten selbst in diesem Gewerbe. Dabei wurde kaum der gleiche sittliche Anspruch an das Verleihen und Eintreiben von Geld wie an die private beneficentia angelegt. Gerade beim Geldverleih aber sollen sich die Geldverleiher Lk zufolge w\qir erwerben (Lk 6,32–35), und zwar eine w\qir, die sich von einem kommerziell verrechenbaren Nutzen wesentlich unterscheidet. Dabei lassen die Lukas-Texte immer wieder Sympathien für solche Wohlhabenden erkennen, die ihre Mittel spendabel einsetzen – etwa zum Wohle der Jünger oder der Armen (vgl. Lk 8,3; 19,8; Apg 10,2 u. ö.). Doch auch diejenigen, die der Vorwurf trifft, ihre oder gar anderer Leute Güter zu verschleudern (diasjoqp_feim; Lk 15,13; 16,1), scheinen dem lukanischen Jesus noch lieber zu sein als jedweder Knauser, „der nur für sich selbst aufspeichert“ (Lk 12,21). Gott zeigt sich wohltätig gegenüber Bankrotteuren, wie Jesus in der Feldrede sinngemäß zum Ausdruck bringt (vgl. Lk 6,35). Wer viel liebt, dem wird viel vergeben (vgl. Lk 7,47), ist Jesu Motto nach einer ressourcenintensiven Behandlung durch die sog. „Sünderin“, die ihr teures Öl an ihm verschwendet (vgl. 7,37 f). Das Wohltätigkeitsversprechen (1paccek_a) des Zachäus führt entsprechend zur Rettung (sytgq_a) seines Hauses (19,8 f).9 Die hier vorgestellte Freigebigkeit im lukanischen Dialekt hat weder Sinn für ein elitäres Bescheidenheitsethos, mit dem Knauserigkeit zur Tugend erklärt werden soll, noch dafür, dass sich Strukturen unter den Jesus-Anhängern einschleichen, in denen die Reichen mit ihren Ressourcen um Einfluss in der Community wetteifern – und sich dafür noch als Wohltäter feiern lassen (vgl. Lk 22,25). Sozialer Austausch wird demnach nicht aus der Perspektive hochphilosophischer Ideale beurteilt, sondern danach, wie sich das Handeln der Eliten auf diejenigen auswirkt, die aus Reziprozitäts- und Marktkreisläufen gleichermaßen ausgeschlossen sind. Im Gegensatz zu Seneca gibt es für Lukas demnach durchaus ein richtiges Leben im falschen – oder mittels des falschen. Das macht Jesus deutlich, wenn er etwa in Lk 16,9 dazu rät sich Freunde zu kaufen, damit sie einem nützen, wenn man sie braucht. 9 „Im Zusammenhang mit der Geschichte vom reichen Obersten zeigt diese Geschichte deutlich, dass auch die Reichen durch Freigebigkeit gerettet werden können“ (K. Mineshige, Besitzverzicht 26).
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Abbildungen Schema 1: Idealer Austausch von Wohltaten. Quelle: Verfasser. Schema 2: Liegeposition der Gäste in einem Triclinium. Quelle: P. SchmittPantel, Art. Triclinium, DNP 12,1, 2002, 807 f, 808.
S. 62 S. 301
Abb. 1: Plan einer hypothetischen domus mit Terminologie Vitruvs. Quelle: P.M. Allison, Domestic Spaces and Activities, in: J.J. Dobbins/P.W. Foss (Hg.), The World of Pompeii, London 2007, 269–278, 270. S. 278 Abb. 2: Casa del Poeta Tragico, Pompeji (VI 8,3–5), Blick durch die fauces. Quelle: Martin Ebner.
S. 278
Abb. 3: Casa del Poeta Tragico, Pompeji (VI 8,3–5), Blick aus dem tablinum. Quelle: Verfasser. S. 279 Abb. 4: Casa del Tramezzo di Legno, Herculaneum (III 11), tablinum aus Holz. Quelle: Verfasser. S. 279 Abb. 5: Casa del Gran Portale, Herculaneum (V 34–35), Eingang. Quelle: Verfasser.
S. 280
Register Sachregister Anmerkung: Dieses Sachregister enthält die wichtigsten Sachstichworte, historische, biblische und fiktive Namen sowie zentrale quellensprachliche Begriffe. Griechisch und Hebräisch sind in lateinische Buchstaben transkribiert, das jeweilige Lemma wird in transkribierter Form alphabetisch eingeordnet (z. B. rp\qwomta als hyp rchonta unter „H“) Achior 208 adsectatio 28 f, 107, 285 Aebutius Liberalis 55 aemulatio principis 31 Agath n, Agath , siehe auch Wohltat 20 f, 38, 41, 52, 67 f, 84, 138, 159, 171, 177, 179, 181, 183, 186, 193, 233, 235, 237, 241, 244 f, 247, 294, 297, 305 f Agon 24, 42, 56, 64 f, 72, 74, 88, 94, 120, 134, 136, 152, 200, 241 f Agoranom 190 Agrippa 324–327, 331 Almosen/Barmherzigkeit 50, 132, 262 f, 265, 314, 337 ambitio siehe Ehrgeiz amicitia siehe Freundschaft Amtsprophetentum 198, 206, 337 an deixis 200, 211 anatole¯ 207, 209, 211–214, 218, 223 ane¯r/ ntro¯pos agath s 36, 91, 155, 171 f, 260 f animus 67, 69, 71 f, 76, 89, 312 anteambulatio siehe adsectatio apelp zo¯ 13, 162 f Apollo 136 f, 160, 198, 202–205, 207, 211, 213, 218 arca 86, 171, 226, 265 Aristophanes 133, 154, 296 Aristoteles 21, 32 f, 37, 67, 114 f, 120, 150 f, 160, 168 f Atriumhaus siehe domus Aufspeichern 226, 248, 259, 265, 268, 336
Augustus 31, 43, 135 f, 148, 177, 182–184, 187–189, 192, 212 f, 220 f, 231, 234, 277, 329 aurea aetas 212, 220 f aut rkeia 114, 151, 156 avaritia siehe Habgier Benedictus 177 f, 180 f, 193 f, 197, 199, 207, 209 f, 212–214, 218, 220, 222, 332 beneficentia siehe Wohltätigkeit beneficium siehe Wohltat Berenike 324 f, 331 bona voluntas siehe Gesinnung bule¯ 139 f Bürokratisierung 18 f Caligula 30, 184 celeberrimus locus/epiphan statos t pos 33, 264 cena siehe Gastmahl certamen siehe Agon ch ris, siehe auch gratia 14, 24, 26 f, 36–40, 45, 52 f, 63, 65, 98, 104 f, 108, 114, 116, 122 f, 125, 146, 149 f, 152, 155, 158–164, 166, 168–170, 174, 176 f, 182–185, 190, 230, 234, 239 f, 242, 245, 260, 263, 277, 283, 323–328, 330, 332, 338 Chariten siehe Grazien ch sma 52, 78, 271, 292 f, 297, 302–304, 306 chre¯st te¯s 125, 146, 167 f
360
Register
Cicero 15, 36, 48, 50, 55, 63, 68, 76, 83–95, 97–103, 105, 111, 115, 119–121, 133, 151, 153, 185, 225, 252, 261, 282, 330 f, 333 Claudius 90, 184, 187 f, 232, 251, 258 cliens siehe Klient commendatio 27, 86, 329 commodum 69, 92, 99 congiarium siehe Geldverteilung cornucopia 221 creditor siehe Geldverleiher creditum siehe Darlehen d neion siehe Darlehen daneiste¯s siehe Geldverleiher Darlehen, siehe auch Geldverleih 14, 55, 69 f, 73 f, 79 f, 97, 334 Deborah 181, 207 f de¯mothoin a 135, 242 de sua pecunia fecit 231 f Diogenes Laertios 316 Dion von Prusa 24, 32, 41, 68, 78, 86, 120, 122 f, 132 f, 140, 142, 152 f, 156, 161, 173, 176, 204, 227, 235, 238, 245, 253–255, 305, 319, 335 f domus 28 f, 51 f, 171, 229, 271, 275–278, 280, 282 f, 285, 290 f, 300, 302, 336, 357 d xa 26 f, 29, 33 f, 61, 90, 93, 98, 105, 109, 121 f, 131, 137, 139 f, 142–144, 148 f, 163, 168, 172–174, 193, 198, 231, 239, 264, 271, 289, 313, 320, 328, 334 f, 337 Drusilla 325, 327 dyn ste¯s 178, 180, 192 dynat s 138, 177, 180, 186, 191 f, 255, 324 Ehre 17, 19 f, 23, 25, 31, 33, 36, 41, 44, 61 f, 68, 87, 89, 91, 93, 99, 104 f, 111, 113 f, 118–123, 125, 131, 139, 143 f, 147, 149, 151, 164, 166, 172, 174, 176, 190, 197, 203, 228, 231, 238, 244, 248, 250, 262–265, 290, 297, 311, 313–315, 318, 328, 332, 336 Ehrenplatz 44, 139, 301, 318 Ehrgeiz 33 f, 90, 94, 119–123, 138 f, 148–150, 165, 173, 192, 238 f, 241, 245, 252, 264, 306, 318, 337 Eid 194–196, 210
ekkle¯s a 140–142, 146, 188, 232, 246 f, 319 f, 335 ek to¯n hyparch nto¯n auto¯/autu¯ 128, 226 f, 229–232, 266, 268, 318 eleimosy´ne¯/ leos siehe Almosen/Barmherzigkeit eleutheri te¯s siehe Freigebigkeit Elija 205 f, 218 Elisabeth 129, 204, 206 Enkomion 50, 177, 181–183, 185, 193, 197, 234 Epameinondas von Acraiphia 135 epangel a 141, 232, 246, 320, 338 pheboi siehe Jünglinge Epiktet 108 epulum siehe Gastmahl Euergesie siehe Wohltat Euergetismus 14, 22, 25 f, 30, 32–36, 40–44, 46–48, 116, 118, 136, 138, 141, 143, 155, 160, 189, 199 f, 251–254, 263, 265, 314 f, 318 f, 334, 336 f efflnoia siehe Wohlwollen Euphrosynos von Mantinea 252 eus beia 40 f, 178, 206 eut leia siehe frugalitas existimatio 31, 36 fauces 276, 278, 280, 285 f, 291, 302 f, 357 Feindesliebe 126 f, 145–148, 154, 156, 162, 170, 175, 288 – soziale Feindschaft 148, 170, 173, 176 Felix 323–328, 330 feneratio siehe Geldverleih fenerator siehe Geldverleiher Festus 323–328, 330–332 fides, siehe auch p stis 25 f, 31, 60, 97, 106, 238 f, 312 Flavius Josephus 39 f, 44, 50, 67, 133, 140, 191, 235–237, 239 f, 242–244, 252, 257, 263, 268, 294, 321, 324, 328, 330, 336 Flavius Philostratus 255 Fleischverteilung 86, 131 Freigebigkeit 32, 76, 84–88, 90–92, 100, 120, 123, 136, 138 f, 151, 155, 166 f, 171, 241, 253, 335, 338 Freundschaft 21, 25, 27–29, 31 f, 45, 47, 71–73, 75 f, 80, 86, 104 f, 107, 114, 144,
Register 150, 152, 161, 173, 175, 248, 282, 286 f, 300, 312 f, 328, 334 frugalitas 123, 151, 261 f, 283 frumentatio/frumentum publicum siehe Getreideverteilung Füllhorn siehe cornucopia Gabe 17–22, 25, 30, 37 f, 43, 45 f, 57, 65–67, 71 f, 78, 80, 100, 104, 106, 112–114, 118, 132 f, 143, 145, 157 f, 164, 167 f, 178, 184, 192, 194, 220 f, 232, 237, 239–242, 244, 246, 249, 261, 265, 270, 314, 332, 335 – Gabentausch 17, 19–22, 80, 111–113, 228 Gallus und Cataplus 297 Gastmahl 27–30, 51 f, 86, 104, 107–109, 123, 136, 140, 143 f, 172, 186, 193, 229, 271, 274, 277, 280, 282–289, 291 f, 299–302, 306, 308 f, 336 Gefälligkeit siehe ch ris Geldverleih 13 f, 52, 55, 67, 69, 71–74, 77–81, 97, 99, 101, 105 f, 108, 117 f, 125 f, 146 f, 149–152, 156–163, 167 f, 170, 175 f, 311 f, 334 f, 337 f – Professionalisierung 97, 106, 116, 175, 335 Geldverleiher 71 f, 74, 77, 79, 92, 101 f, 115 f, 122, 147, 150 f, 157 f, 160 f, 175 f, 262, 338 Geldverteilung 32, 188, 190, 200, 254 Geldwirtschaft 55, 75–77, 81, 103, 111, 116 f – Geldumlauf 78, 80 Genethliakon 197 f, 205 gerus a 135, 190, 192, 316 Gesinnung 37, 57 f, 61 f, 64 f, 70–72, 75 f, 80, 84 f, 89, 108, 152, 155, 159, 171, 175, 241, 248, 312 f, 329 f Getreideverteilung 14, 49, 61, 125 f, 137 f, 145, 154, 169, 188 f, 192, 242, 244, 254 Gewinn 33, 36, 102, 114, 118, 244 Goldenes Zeitalter siehe aurea aetas gratia, siehe auch ch ris 24, 28, 31, 36, 38, 60, 63, 71, 76, 86, 90, 114, 221, 313, 323 f, 328–331 – gratiam referre 23, 64 f, 71, 85, 90, 330
361
– gratias agere 64, 71, 90, 329 f Grazien, drei 62, 332 Gütergemeinschaft 130, 311, 313 f, 319 gymnasia siehe Gymnasion Gymnasion 240, 316–318 Habgier 62, 73, 87, 102, 119–123, 174, 225–229, 234, 261, 267 f Hades 293, 298, 303, 306, 308 hæsæd 40 ˙ Handel 14, 18 f, 35, 38, 40, 44, 57, 64, 66–68, 76, 79 f, 83 f, 86, 88–91, 94, 99, 103, 108, 111, 114–117, 148 f, 152, 158, 168, 175–178, 193, 210, 214, 225, 230, 236, 241 f, 244 f, 254–256, 261 f, 287, 297 f, 304, 311 f, 315 f, 325, 334 f, 337 f Hanna 177 f, 180–182, 197, 206–208, 223, 298 Helios 201–207, 213, 218 f Henotheismus 216 Hesiod 303 hidden transcript 185, 222 f Hieropoioi 250 f Höchster Gott 214–220 Holofernes 208 honestum 14, 55, 66–68, 83–85, 88 f, 91, 94, 97, 100, 105, 108 f, 111, 144, 176, 330, 333 Honoratioren 24, 34, 41, 132, 134 f, 139–141, 190 f, 200, 209, 247, 252, 254, 256, 269, 296, 305, 316 Horaz 172, 185 Hulda 207 f Hymnos 38, 50, 52, 177 f, 181–186, 191–194, 197 f, 200–204, 209–211, 337 hyp rchonta 226, 230, 232, 258, 261 imitatio dei 38, 40, 55, 58 f, 65, 68, 156, 162, 167 f, 241 f, 245 iudicium 74, 89, 98, 157, 168, 176 Jakob 164, 237–239, 288 Johannes Chrysostomos 13, 162 Judith 181, 208 Jünglinge 53, 190, 314–318, 320 Juvenal 28, 108, 169
362
Register
Kapitalerwerbswesen 114 k ras so¯te¯r as 194, 209 Kleanax aus Kyme 135 Klient 14, 18, 22, 25–31, 35, 46 f, 50, 52, 60, 63, 86, 93, 98, 107–109, 113, 118, 144, 164, 169, 236, 238 f, 276, 280, 282, 285, 305 kr no¯ 125, 146, 168 Kyniker 133, 142, 144, 156, 297 f, 305 Laban 164 largitio siehe Verschwendung leiturg a 206 lex frumentaria 187, 189 liberalitas siehe Freigebigkeit Livius Drusus 251, 277 Lohn 42 f, 58, 66 f, 71, 76, 90, 92, 99, 118, 125, 129 f, 143, 145, 147, 149 f, 159, 162–166, 174, 176, 240, 258, 265, 270 Lukian von Samosata 297 Lykon 316–318, 320 Lysias 256, 325 Magnificat 138, 177, 179–182, 185 f, 191–195, 197, 210, 214, 217, 220, 222, 273, 332 Mammia 231 Maria 49, 52, 129, 177 f, 181 f, 185, 191 f, 194, 206 f, 299, 305, 314 Marktmentalität 14 f, 116, 118, 255, 261, 335 Marktwirtschaft 15, 18, 47, 79, 102, 111 f, 114–117, 168, 335, 337 megalopr peia siehe Freigebigkeit memoria 40 f Micha 164 misth s siehe Lohn mne¯me¯ 33, 41, 165, 317 f Morgenbegrüßung 28 f, 76, 107, 109, 118, 229, 271, 276 f, 280, 283, 285, 290 munificentia siehe Wohltätigkeit munus 60, 64 munusculum 22, 60, 113, 221 Nachahmung Gottes siehe imitatio dei nean skoi siehe Jünglinge
n oi siehe Jünglinge neo¯teroi siehe Jünglinge officium 15, 21, 23, 28, 34, 48, 55, 60, 83–85, 88 f, 91, 93, 95, 97–102, 115, 248, 268, 277, 284, 333 Orakelkult 198 f, 201–204, 206, 208, 213, 223, 317 ostiarius 277, 282, 300, 305 par kle¯sis 130, 140–142, 314, 320, 336 Parthenopaios/Pasineikos 231 Patron 14, 18, 21–31, 34–36, 38, 42, 46–48, 50, 52, 60, 63, 76, 86, 98, 107–109, 113, 144, 166, 169, 185, 229, 236–239, 256, 281, 284, 290, 305, 307, 323 Patronage 18 f, 21 f, 25–28, 30 f, 35–38, 40, 42, 45–48, 60, 63, 72, 98, 103 f, 116, 118, 136, 146, 157, 160, 185, 221, 239, 248, 323, 328 p tro¯n siehe Patron patronus siehe Patron pax Romana 78, 116, 222 pel te¯s siehe Klient per se expetenda res 13, 55, 60, 65, 67, 74, 80, 119, 123, 165, 330, 334 Petronius 79, 282 Pharisäer 128, 172–174, 226, 290, 304, 307 f, 318 philargyr a 173 ph lia siehe Freundschaft Philo 184 Philostratus, Sohn des Philostratus 206 f philotim a siehe Ehrgeiz Philo von Alexandrien 38, 182 p stis, siehe auch fides 25 f, 238, 333 Plato 37, 68, 120, 122, 171, 174, 181, 259, 303 pleonex a siehe Habgier Plinius d.J. 23, 28, 34, 74, 89, 144, 253 Plutarch 24, 27, 33, 35, 43, 48, 50, 56, 65, 121–123, 132 f, 140, 150–152, 154, 156, 161 f, 166, 169, 188, 254, 261, 282, 317 f, 335, 337 pneu¯ma 205 pollicitatio 141, 232, 246, 266, 320 Potlatsch 19 f, 42
Register Prinzip der Gegenseitigkeit 14 f, 17, 50, 102, 113, 125, 132, 150, 245, 333, 335 proedr a siehe Ehrenplatz Prophet 131, 137, 143, 165, 174, 177, 193–195, 197–200, 202, 205 f, 209–213, 222 f, 272, 288 f, 292 f, 299, 307–309, 318, 336 – Prophet des Höchsten 194 f, 222 f Prophet des Höchsten 195, 211, 217, 222 Prophetie 142, 177–179, 195, 197 f, 201, 204–207, 211, 213, 223 f, 273, 289 pro¯tokathedr a siehe Ehrenplatz Prozession 134, 200, 203 f, 211, 213, 223 Ratsversammlung siehe bule¯ regnum sapientiae 75, 102, 118, 149, 175, 337 Reich der Weisen siehe regnum sapientiae Retter 46, 52, 139, 177 f, 180, 185 f, 191–194, 201, 204, 210, 212 f, 220–223, 242, 244, 252, 337 Rettung 93, 194 f, 197 f, 201 f, 204, 209–211, 213, 220, 250, 308, 338 Reziprozität 14 f, 17–23, 25, 27, 37–39, 42 f, 45–50, 52 f, 55, 67, 72, 78 f, 83, 86, 88, 93, 97, 99, 111–114, 118, 125 f, 131, 143, 146, 149, 153, 155, 158, 160 f, 163, 168, 175, 199, 201 f, 225, 228, 236, 239, 248, 253, 261, 263, 265, 268, 290, 306, 334–338 salarium 118, 166 salutatio siehe Morgenbegrüßung Scham, siehe auch Ehre 23, 156, 285, 311 f, 321 – Schamkultur 20, 23, 91, 139 Seneca 13 f, 22, 28, 36, 38, 40, 42 f, 45, 48, 50, 52, 55 f, 60 f, 63–73, 75–81, 83, 88–90, 97–103, 105, 107–109, 111, 116, 118, 120, 133, 143, 149–155, 157, 160–163, 167 f, 175, 183, 187, 228, 238, 241 f, 245, 248, 253 f, 277, 281 f, 284 f, 290, 305, 311–313, 321, 330, 334, 337 f Simeon 177 f, 197, 206–208, 223 sitom trion siehe Getreideverteilung sito¯ne¯s 190
363
so¯te¯r a siehe Rettung so¯te¯r siehe Retter sozialer Austausch 14 f, 17 f, 38 f, 51, 76, 97, 102, 111, 149, 160, 280, 333, 337 f Stephanus 137 Stoa 55, 72, 75, 83 f, 88, 93 f, 102, 153, 155, 159, 167 Sueton 30, 188, 258 suffragator 104, 222 the s hy´psistos siehe höchster Gott the¯saur s siehe arca thyro¯r s siehe ostiarius Tiberius 34 f, 136, 187 f, 232, 282, 328 time¯ siehe Ehre triclinium 143, 301 f, 357 Trimalchio 79, 300 utile 14, 55, 66, 68 f, 76, 83–85, 88–91, 94, 97, 99, 105, 111, 144, 167, 176, 330, 333 Vergeltung 14, 17 f, 31, 33, 37, 59, 62–64, 71, 79, 86, 89, 132, 144, 147, 149 f, 152, 160–164, 203, 235, 237, 253, 261, 265, 286, 328, 330 Verschwendung 20, 84–87, 94 f, 100, 120, 122 f, 136, 139, 150 f, 157, 166, 171, 244, 283, 298, 335 Verteilungen 87, 131, 134, 136–138, 144, 188–192, 240, 253 vir bonus siehe ane¯r/ ntro¯pos agath s visceratio siehe Fleischverteilung Vitruvius 276, 278, 284, 299 f, 357 Voconius Romanus 238 Volksspeisung 87, 106 Volksversammlung siehe ekkle¯s a Ware 14, 18 f, 27, 29, 34 f, 38, 41, 44, 79, 87, 90, 101, 103, 105–109, 111, 113 f, 116, 118, 122, 134–136, 138 f, 142, 144, 169, 186–190, 198–200, 202–205, 217, 220, 223, 240, 247, 252, 256 f, 264, 276, 282, 296, 303, 311, 316–318, 330 f, 334 Wohltat, siehe auch Agath n 13 f, 24 f, 28, 32, 34, 37–40, 42 f, 45, 47, 50, 52, 55 f, 58–65, 67–80, 83, 85 f, 89, 97–104, 114, 118, 153, 156 f, 159, 162 f, 165–167, 183,
364
Register
191 f, 225, 231, 236 f, 241, 244 f, 248, 251–254, 256, 263, 267, 290, 296, 312, 328, 334 f, 337 Wohltäter 14, 22–24, 31 f, 38, 40 f, 43–49, 52, 56, 58, 63 f, 70–73, 91 f, 97, 101 f, 119, 125, 139, 141, 147 f, 155, 158 f, 161–163, 185, 191 f, 220, 222, 231, 239, 242, 247, 250 f, 255, 261, 263, 265, 304, 307, 311, 313, 315, 318, 320, 323, 338 – Euerget 30, 32, 34 f, 39, 53, 116, 135, 143, 155, 157, 172, 176, 186, 189, 193, 200, 231, 234 f, 239, 250, 253, 255 f, 262, 264 f, 268, 305, 318 f, 321, 336
Wohltätigkeit 13 f, 17, 24–26, 28, 32–36, 39, 43, 46–48, 55, 57, 60, 66, 69 f, 73, 75, 81, 84, 86, 88, 91–93, 97, 99, 101, 103, 109, 111, 116, 119, 125, 131–133, 139, 144, 146–150, 152 f, 156, 158–161, 163, 165–169, 175 f, 189, 210, 222, 225 f, 231 f, 245, 249, 253, 261, 263, 311 f, 314, 321, 328, 334, 336, 338 Wohlwollen 31, 33 f, 36, 39, 80, 85, 88, 90, 101, 114, 139, 151 f, 159, 165, 193, 238, 241 f, 248, 250, 253 f, 266, 326, 333 Zacharias 49, 52, 177, 194–196, 204–206, 212–214, 223 Zins 66, 73 f, 106, 125, 135, 149, 152 f, 160–162
365
Register
Stellenregister Altes Testament1
Genesis 15,18 196 22,16 f 196 28,13 239 30,31 164 32,13 155 49,9 212
Exodus 15,20 f 181 15,20 207 22,26 156 22,27 156 23,4 f 148 Levitikus 10,4–7 315 19,9 f 239 19,15 331 23,22 239 Numeri 10,32 155, 159 24,17 212 Deuteronomium 18,15 205 18,18 205 24,13 156 24,19 240 24,20 f 239 Richter 4,4 207 4,5 208 13,5 180 1 Samuel 2,1–10 180 f 2,2 182 1 Die Zählung der Psalmen richtet sich nach der LXX.
2,3 182 2,4 180 2,10 194 2 Könige 22,14 207 1 Chronik 16,8–36 181 2 Chronik 34,21–28 208 Esra 19,27
180
Tobit 4,9 261 12,1 159 12,7 159 12,8 f 261 12,8 159 12,13 159 Judit 5,5–23 208 6,2 208 8,1 f 208 8,5 208 8,6 208 8,10–27 208 8,28 f 208 11,17 208 11,19 208 16,23 208 Esther 2,9 40 2,23 181 4,17 181 8,12 155 1 Makkabäer 8,14 294 11,53 39
366 2 Makkabäer 3,24 180 4,2 39 4,7–12 316 8,9 180 10,38 39 12,15 180 12,28 180 12,30 f 39 15,3–5 180 15,3 180 15,5 180 15,29 180 Ijob 2,10 246 22,6–9 181 22,9 181 22,18 181 29,10 f 142 Psalmen 6,9 273 13,1 257 f 17,3 209 23,5 180 23,8 180 24,5 180 32 181 46 181 47 181 52,2 258 88,25 209 112 181 116 181 134 181 135 181 106,9 181 126,3–5 142 131,17 209 139,6 273 Sprichwörter 12,14 86 13,21–23 260 13,21 246 17,8 165 19,17 42
Register 25,21 f
148
Kohelet 4,9 165 9,5 165 Weisheit 16,1 246 16,2 246 16,15–29 246 17,1–6 246 Jesus Sirach 3,4 261 4,8–10 167 6,14 261 7,15 115 11,18 f 258 11,19 254 11,20–24 258 12,2 261 14,3–10 121 16,29 181 17,22 f 260 20,15 157 20,16 160 20,28 115 26,1 142 26,29 115 27,1–3 115 29,4–6 151 29,6 154 29,10–12 260 31,1 f 122 31,3 122 31,4 122 38,24 115 51,1 180 Jesaja 8,3 207 11,1 212 23,5 209, 211 40,3 205 57,1 40 Jeremia 1,5 273
Register 38,12
233
Ezechiel 34,23 209 Hosea 5,3 273 13,5 273 Amos 2,8 156 3,2 273 Micha 3,11 165 Habakuk 3,18 180 Zefanja 3,17 180 Sacharja 3,8 211 f 6,12 211 f 10,2 212 Maleachi 3,1 205, 213 3,2 213 3,3 213 3,10 256 3,23 f 205
Neues Testament
Logienquelle Q 13,24–27 272, 275 Matthäusevangelium 3,12 233 5,11 129 5,12 164 5,39 155 5,45 164 5,46 164 6,12 170 6,26 233 7,13 272 7,14 272 7,22 272
8,11 f 274 8,11 302 8,12 274 8,21–23 273 10,41 f 164 12,29 258 13,30 233 20,1 164 20,8 164 25,10–12 272 25,12 272 27,24 198 Markusevangelium 3,27 258 5,7 217 10,22 267 10,31 271 12,41–44 158 15,17 294 15,20 294 Lukasevangelium 1–2 177, 191, 206, 217 f 1 50, 52, 337 1,5–7 204 1,5 177 1,6 204 1,9 177, 205 1,11–22 196 1,11–20 177, 204, 218 1,11–13 205 1,13–17 205 1,15 205 1,16 213 1,17 205, 207 1,19 206 1,21 f 206 1,21 206 1,22 206, 214 1,23 206 1,26–38 177, 206, 218 1,28 185 1,32 217 1,35 217 1,45 129, 206 1,46–55 177
367
368
Register
1,46–49 178 1,46 f 178 1,46 185 1,47 177, 179 f, 185 f, 191, 194 1,48 f 182 1,48 177 f, 185 1,49–55 180 1,49–54 185 1,49–53 178 1,49 f 179, 192 1,49 177, 186, 191 1,50 214, 217 1,51–53 179, 186, 273 1,51 f 192 1,51 178 f 1,52 f 214 1,52 138, 178, 180, 183, 192 1,53 20, 38, 52, 138, 177–179, 181, 183, 186, 192, 305, 337 1,54 f 185 1,54 179, 214 1,55 185, 206, 214 1,67 177, 195 1,68–79 177 1,68–75 194, 197, 210 1,68 197, 214 1,69 194 f, 197, 209, 210 f 1,70 f 209 1,70 194 f, 197, 206 1,71 194, 196, 197, 210 1,72 f 210, 214 1,72 180, 194 f, 197, 210 1,73–75 195 1,73 194–197, 210 1,74 195–197, 210 1,75 194, 196 f, 210 1,76–79 177, 194, 197 f 1,76 f 195, 197 1,76 177, 195, 197, 205, 211, 213, 217, 222 1,77 f 214 1,77 194, 197, 212, 308, 211 1,78 194, 196 f, 207, 211 1,79 197, 214 1,80 211 2 51, 52, 221 2,1 213, 221
2,9–12 177, 218 2,11 46, 191, 213, 221, 337 2,13–15 218 2,13 221 2,14 217 2,17 f 206 2,20 206 2,25–38 208 2,25 f 177 2,25 177, 206 2,26–35 178 2,27 177, 207 2,28 207 2,29–34 198 2,29–32 207 2,32 207 2,33 206 2,34 f 177, 197, 207 2,36–38 178 2,36 177, 207 f 2,37 f 207 f 2,37 177, 207 f 2,38 197, 206, 208 2,46 177 2,53 264 3,17 233 3,18 308 3,8 302, 308 4,18 173 4,43 173 6,12–16 126 6,17–38 47 6,17–19 126 6,17 127 f 6,20–38 49, 127, 137 6,20–26 126 f, 209, 289, 290, 336 6,20–23 127, 147 6,20 126–128, 130, 186 6,21–23 126 6,21 128, 192 6,22–26 131 6,22 127–130, 136, 145, 157, 167, 186, 192, 290 6,23–26 172 6,23 128–130, 137, 143, 145, 149, 164 6,24–26 290 6,24 127–130, 140, 263, 320
Register 6,25 128, 140 6,26 127 f, 130, 137, 141, 148, 170, 193, 289 6,27–49 126 6,27–38 126, 145–147, 149, 173 f 6,27–35 126 6,27–30 127, 145 f, 154, 158, 168, 170, 176, 193, 338 6,27 126, 145 f, 148, 155, 158 6,28 145 f 6,29 145 f, 155, 337 6,30–32 127 6,30 125, 145 f, 155 f, 168 6,31 145 f, 148 6,32–38 158 6,32–35 125, 145, 149, 162, 338 6,32 52, 125, 164, 174 6,33 125, 127, 159 6,34 f 52, 162, 170 6,34 149, 156, 160 6,35 f 172 6,35 13, 125 f, 145 f, 156, 162–164, 174, 176, 217 167, 265, 320, 338 6,36–38 145 f, 148, 168, 176, 222 6,36 147, 176 6,37 125, 147, 168 f, 273 6,38 125 f, 137, 145–148, 169, 186 6,39–49 126 6,39 f 173 6,39 126, 174 6,40 174 6,45 170 f 6,46–49 145 7,1–10 169, 172 7,1 126 7,4 155 7,5 215 7,23 129 7,26–27 213 7,36–50 172 7,37 f 338 7,43 168 7,47 338 8,2 f 128 8,3 172, 265, 300, 338 8,28 217 9 137
9,1–6 156 9,15 136 9,17 136 9,26 286 f 10 51 10,5–12 286 10,5 286 10,7 164, 286 10,10 286 10,12 286 10,23 129 10,30–37 226 10,37 180 11,3 170, 287 11,4 170 11,5–13 287 11,5–7 287 11,5 f 287 11,7 287 11,9 287 11,9 f 287 11,14–36 226 11,14–20 253 11,21 f 258 11,22 258 11,27 129 11,28 129 11,43 318 11,44 318 11,47 318 11,49 136 11,37–44 174, 226 12 319, 336 12,1–13,21 226 12,1–13,9 226 12,1 128, 226 12,8–10 226 12,13–21 52, 127, 232, 336 12,13–15 226 12,13 f 226 12,14 267 12,15 f 226, 261, 268 12,15 227, 229, 234 12,16–21 225 f 12,16 226 12,17 f 268 12,17 227, 233
369
370
Register
12,18 f 20 12,18 227, 233, 254, 268 12,19 38, 227, 234, 253, 259, 268, 294 f 12,20 227, 234, 257–259, 265, 268, 295, 308 12,21 226 f, 257, 259, 261, 268 f, 338 12,22–34 226 12,22 128, 263 12,24–26 305 12,24 233 12,25 263 12,26 264, 271 12,27 f 264 12,30 264 12,33 128, 226 f, 232, 261 f, 265 f, 269, 336 f 12,34 226 f 12,37 129 12,38 129 12,42 154 12,43 129 13,9 226 13,22–30 52, 148, 193, 271, 284, 287, 291–293, 299, 308 f, 336 13,22 271, 273, 285 13,23 272, 286 f 13,24–29 284 13,24 51, 272, 275, 287, 292 13,25–29 275 13,25–27 272 13,25 229, 272–274, 287, 292, 304, 308 13,26 272 f, 284–286 13,27 229, 273 f, 286 13,28 128, 143, 272, 274, 284, 288, 292, 302, 308 13,29 143, 186, 284 f 13,30 273, 288 14,1–24 47 14,7–24 49, 273 14,7–14 174 14,7–11 287 14,9 287, 302 14,11 273 14,12–14 286 14,13 306 14,14 129, 144 14,15 129, 186
14,16 287 14,21–24 287 14,21 287 14,23 287, 309 14,33 266 15,13 164, 338 15,15 164 15,17 164 15,19 164 15,21 164 15,23 294 f 15,24 f 294 15,24 295 15,29 294 f 15,30 295 15,32 294 f 16,1–9 293 16,1 338 16,2 14 16,3 154 16,8 154 16,9 154, 295, 338 16,10–13 293 16,14 128, 173 f, 290, 293, 307 f 16,15 173 f, 293 16,16 293, 308 16,17 293 16,18 293 16,19–31 130, 148, 193, 226, 271, 309 16,19–27 273 16,19–25 293 16,19–21 293 f 16,19 294, 297, 299 16,20 292, 295, 297, 299 16,21 295, 299 f 16,22 294, 296 f, 299, 309 16,23–31 294 16,23 292, 294, 337, 297, 299, 302 16,24 294, 297, 302, 307 f, 337 16,25 130, 140, 143, 294, 297 f, 302, 306–308 16,26 52, 229, 273, 292 f, 297, 302 f 16,27–31 293 16,27 294, 296, 302, 307 f 16,28 294 16,29 292, 299, 307 16,30 f 292
Register 16,30 302, 307 f 16,31 292, 299, 307 17,10 168 18,1–8 158 18,1–5 146 18,9–14 226 18,15 327 18,18 266 18,19 267 18,22 258, 267 18,23 267 19,2 128 19,3 264 19,7 172 19,8 f 338 19,8 230, 266, 338 19,11–27 154 19,17 154 19,22 154, 167 f 19,23 162 19,38 217 20,20 327 20,45 128 21,12 136 21,57 168 22,4 51 22,14–34 47 22,16 128 22,25 35, 48, 338 22,30 128 22,52 52 23,2 327 23,5 327 23,13 267 23,14 327 23,29 129, 327 23,35 222, 267 23,37 222 23,38 222 23,39 222 23,41 222 23,42 222 23,50 172 23,52 172 24,20 267
Johannesevangelium 11,50 327 13,23 301 18,14 327 Apostelgeschichte 1,18 164 2,42–47 311, 314 2,44 f 130 3,2 295 3,17 267 4,1 136 4,32–37 130 4,32–35 311 4,32 230, 265, 336 4,34 f 314 4,34 230 4,35–37 315 4,35 258 4,36 230, 269, 314, 320 4,37 269, 314 4–5 51 5,1–12 336 5,1–11 49, 269 5,2 f 319 5,2 111, 313, 315, 319 5,3 314 f 5,4 315, 319 5,5 320 5,6 53, 314 f 5,10 53, 267, 314 f, 320 5,11 321 5,17 136 6,9–8,3 136 7,48 217 7,52 137 7,58 137 8,27 180 10–11 266 10,2 214, 338 10,22 206 11,26 142 12,12 314 12,13 299 f 12,17 215, 309 13,1 223 13,6 f 289
371
372 13,27 267 13,50 136, 215 14,1 215 14,2 136 14,5 267 14,8 295 15,5 308 16,9 51 16,12 51 16,14 215 16,17 217 16,19 267 17,4 215 17,5 136 17,14 215 17,17 215 18,7 215 19,10 215 19,40 257 20,33–35 173 20,35 129 21,21 331 21,30 f 325 21,31 f 325 22,28 325 22,29 331 23,3 331 23,6–12 332 23,12–15 324 23,12 332 23,24 324 24–26 53, 323 f, 337 24,1 324 24,2 f 327 24,2 328, 330 24,3 323 f, 325, 327 f 24,5 319, 327, 332 24,10–21 324 24,10 326 f 24,11–13 327 24,14 326, 331 24,15 326 24,17 326 24,19 326 24,20 326 24,21 326 24,22 326
Register 24,22 f 326 24,24 325 24,25 f 327 24,25 324 f, 326 24,26 325 f 24,27 160, 323 f, 325, 328 25,2 324 25,3 160, 323 f, 325, 328 25,5 324 25,8 324 25,9 160, 323, 325 f, 326, 328 25,10 f 324, 332 25,10 326 25,11 323, 326, 330 25,13 324 25,16 323, 326, 331 f, 337 25,22 325 25,23 325 26,2 129 26,3 326 26,6 326 26,8 326 26,32 327 Römerbrief 4,4 165 5,17 157 5,19 157 15,25–32 326 15,25–28 270 1. Korintherbrief 9,1–11 165 9,12 166 9,15–18 166 9,17 f 165 12,28 288 16,1–4 326 16,3 326 2. Korintherbrief 8–9 326 11,7–10 166 12,15 165 12,17 f 166 Galaterbrief 2,10 326
Register 6,6
269
Philipperbrief 4,10–20 270 4,15 165 1. Thessalonicherbrief 2,5 f 165, 173 2,9 165 1. Timotheusbrief 2,11–15 289 5,11–16 289 6,1 f 289 6,5 173 6,15 180 2. Timotheusbrief 3,2 173 Titusbrief 1,11 173 2,3–5 289 Hebräerbrief 7,1 217 1. Petrusbrief 3,16 146 4,14 129, 137 Offenbarung des Johannes 20,12 130
Frühjüdische Literatur
3 Makkabäer (3 Makk) 2,3 180 5,51 180 6,4 180 6,39 180
Äthiopisches Henochbuch (äthHen) 90,9 212 Joseph und Aseneth (JosAs) 8,9 180 25,6 191 Psalmen Salomos (PsSal) 9,5 261 17 f 212
Testamentum Abraham A (Test-AbrA) 11,3 272 Testamentum Benjamin (Test B) 4,2 f 148 5,1 148 Flavius Josephus Antiquitates Judaicae (Ant) I 5 235 I 14 235 I 272 f 237 I 278–284 237 I 280 f 238 I 281 235 II 48 235 II 73 235 II 80 235, 242 II 84–94 242 II 86 243 II 88 235, 243 II 90 243 II 91 244 II 93 f 244 II 94 191, 244 II 195 235 II 243 140 III 300 237 IV 212 235 IV 231–239 239 IV 231 f 239 IV 234 240 IV 235 235, 240 IV 237 235, 240, 241 IV 238 321 VI 293 237 VI 341 68, 235, 237, 263 VIII 111 43 VIII 175 175, 235 XIII 282 205 XIV 152 235 XV 299–316 252 XV 308 252 XV 315 f 252 XVI 30 332 XVI 158 328 XVII 93 332
373
374
Register
XVIII 221 235 XX 51–53 244 XX 160 330 XX 161–165 328 XX 167 f 330 XX 182–185 330 XX 182 330 XX 187 f 328 XX188 330
143 184 145–147 183 146 183 147 f 234 147 183 154 184 157 184 158 188, 192 280 43
De Bello Judaico (Bell) I 620 332 I 632 237 II 252 324 II 253–263 328 II 372 237 IV 615 237 IV 618 220 IV 655 f 220 VI 636 235 VII 124 294
De Praemiis et Poenis (Praem Poen) 97 34, 39, 328 104 261 118 261 127 173
Contra Apionem (Ap) 2,74 f 43
Quod Deus Sit Immutabilis (Deus Imm) 176 43
Philo De Abrahamo (Abr) 242 43
De Virtutibus (Virt) 5 242, 261 7 174 83 150 90 241 92 241 165 241 166–170 68 168 68 169 68, 242 170 242
De Cherubim (Cher) 48 261 122 f 150 122 39 De Decalogo (Decal) 167 150 176 246
Quis Rerum Divinarum Heres (Her) 104 150 Quod Deterius Potiori Insidiari Soleat (Det Pons Ins) 35 261
In Flaccum (Flacc) 1,4 f 182 1,4 183 4,6 183 5,1 183
De Vita Mosis (Vit Mos) II 256 43
De Gigantibus (Gig) 37 173
Syrische Psalmen (syrPs) 2 209
Legatio ad Gaium (Leg Gai) 54–56 184 143–147 43, 177, 182
Sibyllinen (Sib) IV 4–6 205
Rabbinische Literatur Babylonischer Talmud Bava Batra (b.BB)
Register 11a
261
Mischna Sanhedrin (m.San) 10,1 289 Tosefta PeBa (t.Pea) 4,18 261
Frühchristliche Literatur
Didache (Did) 1,2–5 288 1,5–6 289 8,2 170 11–13 309 11 288 11,2 288 11,5 f 288 11,6 288 11,8 288 11,9 288 12,5 288 13,1–2 288 15,11 289
Griechisch-römische Literatur
Apuleius (Ap.) Metamorphosen (Met) VIII 26–28 142
Aristophanes (Aristoph.), Aves (Av) 1432 154 Plutus (Pl) 90 f 174 551 f 133 556 296
1119b–1120a 32 1132b21.35 114 1133b14 114 1134a26 114 1156a–b 21 1161a12 f 32 1167b31 150 1256b40 114 1257a25–30 114 1258a40–b8 114 1258b20–28 114 Politica (Pol) 1285b3–9 32 Rhetorica (Rhet) 1361a 33 1361b 120 1362a 67 1385b 168 Pseudo-Aristoteles (Pseud-Aristot.) Athenaion Politeia (Ath Pol) 27,3 169 Artemidor von Daldis (Artemid.), Oneirocritica (Oneirocr) 1,78 132 3,47 132 3,53 132 Augustus Res Gestae (R Gest div Aug) 1,3 148 4,24 148 Aulus Gellius (Gell.) 9,2,1–6 133
Ethica Magna (Eth M) 1191b42 151
Cassius Dio (Dio C.) XLII 2,1 152 LV 10 187 LVIII 4,2 34 LV 10 187 LVII 11,3 282 LVIII 4,2 34, 328 LXXVII 5,3 f 277
Ethica Nicomachea (Eth Nic) 1107b 151
Cicero (Cic.) De Officiis (Off)
Aristoteles (Aristot.) Ethica Eudemia (Eth Eud) 1221a 151 1231b 151
375
376 I 5 93 I 8 94 I 11–15 90 I 14 92 I 15 85, 93, 98 I 17 85 I 18–151 84 I 18 f 84 I 20–60 84 I 20 86, 167 I 22 85, 98 I 24 97, 119 I 25 f 120 I 25 85, 88, 100, 119, 120 I 26 87 I 31 85 I 32 85, 86, 97 I 41 98 I 42–60 84 I 42 98 I 44 98 I 45 85, 89, 157 I 46 84 I 47 85, 98 I 49 98 I 51 99 I 52 86 I 56 85 I 58 85, 86, 92 I 59 86, 89, 98 I 61–92 84 I 62 99 I 68 92, 98 I 87 94 I 88 97 I 83 f 90 I 90 101 I 91 101 I 92 92, 98 I 93–151 84 I 102 97 I 123 92 I 150 92, 115 I 151 115 II 7 f 93 II 9 f 85 II 9 88, 330
Register II 13 97, 102 II 15 88, 99 II 18 88, 92 II 23–29 88 II 26 f 88 II 27 84 II 30 85 II 31b–52 84 II 32 84, 88 II 42 89, 98 II 45 93 II 52–71 84, 86, 87, 89 II 52 f 84, 86 II 52 86, 120, 171 II 52–60 100 II 54–60 84 II 54 92, 98 II 55 87 II 57 95 II 58 87, 93, 252 II 58 f 87 II 59 87 II 60 85, 87 II 61–71 84 II 61–63 84 II 62 89, 98, 103 II 63 89, 98, 102, 157 II 64 84, 98 II 65–71 101 II 65–67 84 II 65 86, 90, 93, 157 II 66 85, 93 II 67 86, 97 II 68 84 II 68–71 84 II 69 24, 27, 90, 97 II 71 97 II 72–85 100, 101 II 75 85 II 78 92 II 84 92 II 85 90, 92, 333 III 18 91 III 20 93 III 34 91 III 42 85 III 44 97
Register III 45 97 III 46 91 III 50 225 III 59 97 III 79 97 III 81 91 III 83 97 III 84 f 91 III 95 97 III 116–120 89 III 118 89, 99 Epistulae ad Atticum (Att) V 21,8 252 Epistulae ad Familiares (Fam) XIII 6,4 157 Columella (Colum.) De re rustica (Res Rust) I 6,9 233 Pseudo-Demetrius (Pseud-Demetr.) De elocutione (Eloc) 108 294 Demosthenes (Demosth.), Orationes (Or) IV 15 140 XX 31–33 28, 252 XXIV 111 180 XXVII 64 230 LVI 7–10 256 Digesten (Dig) XLVIII 17,1 331 Diodorus Siculus (Diod. S.) XX 5,2,7 162 Diogenes Laertius (Diog. L.) V 71 317 V 82 174 VI 46 133 VI 49 133 VI 59 133 X 113 169 Dion von Prusa (Dio Chrys.), Orationes (Or)
I 12 68 I 17 68, 245 I 23 245 I 24 68, 245 II 72–75 68 III 41 68 III 52 68 III 53 41 III 57 68 III 73 68 III 82 69 III 83 69 III 110 248 IV 91 121 IV 91–100 120 IV 101 121 IV 114 235, 246 IV 116 121, 245 IV 122 121 IV 129 235, 246 VI 26 235 VI 45 245, 247 VII 28, 146, 246 VII 21–49 146, 335 VII 27–63 24 VII 27 141, 247, 320 VII 28 30, 169, 247 VII 42 235, 247 VII 82 305 VII 88 f 152, 161, 175 VII 88 153, 160 VII 89 73 VII 91–93 153 VII 94 235 VII 97 235 VII 104 f 161 VII 104 143, 153 VII 103–152 133 VII 104 143, 153 VII 114–116 154 VIII 30 245 X 16 245, 247, 305 X 17 245 XII 11 235, 247 XII 74 235 XII 77 235 XIII 31 235
377
378 XVII 120 XVII 12 235 XVII 18 120 XX 17 f 151 XX 31–33 252 XXIX 7 235 XXIX 21 241 XXX 8 245 XXX 29 235 XXXI 33, 41 XXXI 3 86 XXXI 7 41 XXXI 11 204 XXXI 20 241 XXXI 38 172 XXXI 87 f 33, 264 XXXI 108 34, 328 XXXI 125 235 XXXII 10 f 173 XXXII 15 68, 235, 306 XXXII 26 235 XXXIII 15 245 XXXIV 30 235 XXXIV 48 235 XXXV 1 173 XXXVIII 10 247 XXXVIII 45 228 XLIV 2 264 XLIV 8 235 XLVI 225, 254, 256, 305, 335 XLVI 2–4 328 XLVI 4–8 24 XLVI 4 238, 255 XLVI 6 255 XLVI 8 255, 319 XLVI 14 35, 257 XLIX 1 32 L 8 140 LIV 1–3 173 LVI 7–10 256 LXIV 2 33, 334 LXIV 7 235 LXV 5 235 LXV 10 f 248 LXV 10 235, 253, 260 LXV 13 235 LXVI 1 f 122
Register LXVI 1 121 LXVI 2 156, 334 LXVI 2–4 34 LXXIII 3 235 Dionysius von Halikarnassos Antiquitates Romanae (Ant Rom) II 9–11 26 II 9,2 26 II 9,3 26 II 10,1 26 II 10,2 26 II 10,3 f 27 II 10,4 72 Epictetus (Epict.) Dissertationes (Diss) IV 1,48 30 IV 8,4–6 142 Flavius Philostratus (Philostr.) Vita Apollonii (Vit Ap) I 15 225, 254 I 15,25 192, 255 Fronto Epistulae Graecae (Ep Graec) V 1 282 Homer (Hom.) Ilias (Il) VI 96 141 Odyssee (Od) XVII 10–15 152 XVIII 1–7 133 Horaz (Horat.) Epistulae (Ep) I 16,40–43 172 I 17 174 II 1,248–250 185 Isocrates (Isoc.) I 29,3 260 V 154 32 VII 35 253 VII 83 132 IX 45 32
Register Juvenal (Juv.) I 95 f. 29
Satyrica (Sat) 28,8 f 282, 300
Livius (Liv.) XLV 15,5 188
Plato Apologia (Ap) 21c–22e 171
Lucian (Luc.) Fugitivi (Fug) 17,26 288
Crito 44e 171
De Mercede Conductis Potentium Familiaribus (Merc Cond) 10 f 29
Leges (Leg) 700b 181 717b–c 73 936b–c 132
De Morte Peregrini (Pergr Mort) 13 288 16 288
Politicus (Pol) 276a–b 32
Saturnalia (Sat.) 33 254 35 254 Lysias (Lys.) XXII 11 f 256 Martial (Mart.) I 108 282 II 18 285 III 7 118, 166 III 46 285 III 60 284 IV 68 29 V 22 107 IX 22,6 123 X 10 282 X 10,2 107, 282 X 10,11 108 X 31,48 283 X 75,11 29 Menander (Menand.) Diskylus (Disk) 284 f 133 Pausanius (Paus.) IX 39,5–40,1 317 IX 39,7 317 Petronius (Petr.),
Protagoras (Prot) 353 A 171 Respublica (Resp) 548a–f 120 550d 259 550e 259 551e 259 553c 120 555a 120 554b 174 607a 181 614d 303 Theaetetus (Theaet) 176b 68 Pseudo-Plato (Pseud-Plat.) Definitiones (Def) 415d,6 f 171 Plinius d.Ä. (Plin. d.Ä.) Naturalis Historia (Nat) VIII 53 87 Plinius d.J. (Plin. d.J.) Epistulae (Ep) I 8 76, 166 II 4 76 II 4,3 76 II 4,4 76 II 6,2 f 300
379
380
Register
II 6,2 28, 29, 283 II 6,3–6 123, 283 II 13 238 II 13,4 238 II 13,10 238 II 14,14 76 III 4,2 232 IV 1,3 23 IV 1,5 23 IV 8,1 157 IV 15 157 VII 3,2 28, 283 VII 23,3 238 IX 30,1 157 X 253 X 31,48 283 X 39,3 246
Marius (Mar) 5,4 27
Panegyrikus (Paneg) 25,3 188 25,4 189 26,3 187 26,5 144, 188 28,4 144, 188 44,7 157 70,7 329 70,8 34, 329 70,9 329 71,7 157
Moralia An seni sit gerenda respublica (An Sen Resp) 796F 140
Plutarch (Plut.) Vitae Parallelae Aratus (Arat) 7,1 140 Cato Maior 18,4 133 Cicero (Cic) 6 121 36,3 282 Comparatio Alcibiadis et Marcii Coriolani (Alc et Marc Cor) 3,3,3 146 Demetrius (Demetr) 32,7,8 133
Pompeius (Pomp) 40,4 282 58,3 140 73,6 140 Romulus (Rom) 15,4 140 Theseus (Thes) 24,2 140 Timoleon (Timol) 39 317, 321 Titus Flamininus (Tit Flam) 18,2 146
Apophthegmata Regum et Imperatorum (Apophth) 170E 65 172B 56, 65 235E 132 De Audiendis Poetis (Aud Poet) 21B 133 De Cupiditate Divitiarum (Cup) 524E 121 525B 121 525D–E 121 f, 157, 262 525D 334 525E 35, 121 526 A 121 De fraterno Amore (Frat Am) 479D 73 Mulierum virtutes (Mul Virt) 257C 140 Praecepta Gerendae Reipublicae (Praec Ger Reip) 814 A–C 257
Register 814F–815B 257 818D 188 819–820 43 819F 121 820 33, 41, 335 820D 34, 328 820E 166 822 A 254 824 A 257 824F 144 828F 151 Quaestiones Convivales (Quaest Conv) 618F 133 620 A 140 Quomodo Adulator ab Amico internoscatur (Adulat) 63 A 133 De vitando aere alieno (Vit Aer) 827F 150 828B–E 151 828D 123, 156 828E 151, 161 f, 169 829E–830E 123 829E 151 830 154 830 A–B 151 830B 154, 282 830D 152 830E 122, 150 Polybios (Polyb.) XX 9 f. 24 Quintilian (Quint.) Institutio Oratoria (Inst Orat) XII 1,7 165 Seneca (Sen.) De Beneficiis (Ben) I 1,1–4,6 58 I 1,2 62 I 1,5 62, 77 I 1,7 62, 63, 76, 77 I 1,8 60 I 1,9 38, 58, 70 I 1,10 64
I 2,1 f 100 I 2,2 63, 99 I 2,3 13, 69, 70, 71, 72, 101, 108 I 3,1 63 I 3,2 62 I 4,3 60, 63–65, 70, 72–74, 76, 152 I 5,1 61, 62 I 5,2 61 I 5,5 61 I 6,1 60, 63 I 6,2 61 I 6,2 61, 68 I 7,1 62 I 7,2 62 I 7,3 76 f I 9,2 62 I 10,5 64 I 11,6 63 I 12,1 63 f I 12,2 60, 64 I 12,3 64 I 12,4 64 I 13,3 62 I 14 100 I 15 157 I 15,3 157 I 15,6 62 II 1–17 70 II 1,2 100 II 1,3 64 II 1,4 63 II 2,2 64 II 3,1 77, 100 II 4,1–5,4 100 II 4,1 62, 76, 77, 100 II 4,2 62 f II 4,3 63 II 4,4–5,1 28 II 10,1 70, 120 II 10,2 63 II 10,4 70 II 11,1 63, 70, 76 II 11,2 63, 70, 74, 157 II 11,4 64 II 11,5 f 70 II 11,6 77, 100 II 13,1 f 70
381
382 II 13,2 63, 77, 313 II 14,1 61, 63, 70 II 14,4 61 II 15,2 70 II 17,3–5 332 II 17,6 64, 71, 330 II 17,7 70 II 18,2–8 62 II 18,5 63, 72, 73, 113, 162 II 19,2 63 II 21,1 63 II 21,2 63 II 21,3 99 II 23,1–3 27 II 23,1 27, 70 II 23,2 63, 99 II 23,3 63 II 24,2 28 II 25,1 64, 74 II 27,1 63 II 27,3 f 120 II 27,3 62, 120 II 30,2 64, 74 II 31,1 63, 71 II 31,2 43, 63, 70 II 31,3 63, 153 II 33 99 II 33,3 63, 71 II 34,1 63, 73, 285 II 35,1 63 f, 74 II 35,3 f 313 II 35,4 63 II 35,5 71 III 1,4 62 III 6–17 114 III 6,1 70 III 6,2 72, 123 III 6–17 114 III 7,3 70, 99 III 7,6 71, 162 III 8,2 63 III 8,3 f 162 III 8,3 61 III 8,4 76, 313 III 9 61 III 9,3 61, 62 III 10,1–3 61
Register III 11,2 63 III 12,1 61 III 13,1 63 III 13,2 61, 63 III 14,1 60 III 14,2 62, 311 III 14,4 311 III 15,1 75, 118, 312 III 15,1–4 118 III 15,3 312 III 15,4 158 III 16,1 312 III 16,2–4 312 III 17,1 312 III 17,2 312 III 17,3 63, 312 III 17,4 63 III 18–28 42, 101 III 18 f 23 III 18,1 60 f, 70 III 18,2 75, 155 III 18,3 75 III 19,1 61, 63 III 20,2 75, 108 III 21,1 61 III 22,3 75 III 23,3 63 III 23,5 61 III 28,1 305 III 28,5 305 III 31,4 70 III 31,5 63 III 33,4 63 III 37 60 IV 1–15 65 IV 1,1 65 IV 1,2 60 f, 66, 149, 165 IV 1,3 66, 68 IV 2,4 69, 99 IV 3,1 66 IV 3,2 66 IV 3,3 63, 66, 99 IV 4–6 67, 245 IV 4,1 66 IV 4,3 60, 66 IV 5,1 66 f IV 5,2 60
Register IV 6,2 60 IV 6,3 66 IV 7,1 66 IV 9 61 IV 9,1 59, 61, 63, 67 IV 10,1 61 IV 10,2 157 IV 10,3 60 IV 11,1 62, 67, 166 IV 11,2 59, 67 IV 11,3 61, 63 IV 11,4 63 IV 11,6 64 IV 12,1 61, 73 IV 12,4 67 IV 13,1 f 69 IV 15,1 61 IV 15,2 63 IV 16–25 65 IV 16,1 61 IV 16,2 61 IV 17,3 61 IV 17,4 60 IV 18,1 60 IV 18,4 99 IV 21,1 f 89 IV 21,5 f 312 IV 22,2 69 IV 22,4 61 IV 23–24 59, 69 IV 23,1 69 IV 23,2 69 IV 23,3 69 IV 23,4 69 IV 24,1 69 IV 26–33 65 IV 26,1–3 167 IV 26,3 70 IV 28 67 IV 28,1 63 IV 28,2 61, 187 IV 28,5 157 IV 29,3 153 IV 30,1 157 IV 30,3 f 238 IV 32,3 73 IV 32,4 74
IV 34–40 65 IV 36,2 74 IV 37,2 63 IV 39,2 70 IV 40,4 22, 60, 62, 113 V 2–5 42 V 5,3 41, 72, 241 V 7–11 64 V 8,2 63 V 9,4 62 V 10,1 64, 73 V 11,5 64 V 11,6 64 V 12,3 64 V 14,4 74 V 17,7 73 V 19,3–5 74 V 19,4 63, 99, 253 V 20,1 61 V 20,2 74 V 20,7 71 V 21,2 63 V 21,3 74 V 22,1 71 V 25,1–3 71 V 25,3 71, 102 VI 2–3 74 VI 3,1 248 VI 4,2 62 VI 4,5 74 VI 5,2 17, 64, 73 VI 6,1 101 VI 8,3 76 VI 12,2 70, 175 VI 14,3 13, 72, 75, 113 VI 16,1 75 VI 17,1 75, 78 VI 33,3–34,5 28 VI 33,3 281 VI 33,4 63, 285 VI 34,1 285 VI 34,2 107 VI 34,3 282, 284 f VI 34,4 f 107 VI 38,1 225 VI 38,2 225 VI 39,1 225
383
384 VI 41,2 100 VII 10,1–5 120 VII 10 80 VII 10,2 f 102 VII 10,3 70, 80, 225 VII 10,6 102 VII 10,6 75, 102 VII 14,5 71 f, 116, 151, 161, 313 VII 14,6 313 VII 22,1 71 VII 23 102 VII 23,2 63, 71, 74, 157 VII 26–32 58 VII 27 320 VII 31–32 167 VII 31,2 163 VII 31,5 163 VII 32 13, 67, 85, 163 VII 42 320 De Brevitate Vitae (Brev Vit) 14,3 29 De Clementia (Clem) I 13,5 28, 104 II 6,2 153 De Constantia (Const) 15,1 30 18,2 30 Epistulae Morales (Ep) IX 28,5 74 XIX 11 282 XLI 7 154 XLV 4 282 XLV 4 f 277 L 3 120 LXXVII 3 152 CXVII 2 68 De Tranquilitate Animi (Tranq) 12,6 282
Register III 273
168
Strabo V 4,7 316 IX 3,5 205 Sueton (Suet.) Augustus (Aug) 94,1–6 213 Claudius (Claud) 8 30 18,2 258 Gaius (Gai) 39,2 30 Titus (Tit) 4,1 34, 328 Vespasian (Vesp) 1,2 34, 328 2,2 285 Vitellius (Vit) 7,1 104 Tacitus (Tac.) Annales (Ann) IV 39,2 157 VI 7,3 f 78 VI 17,1 78 XI 5 90 XII 3 258 XIII 42 152 Dialogus de Oratoribus (Dial) 8 34, 328 Thukydides (Thuc.) II 40,4 37 Velleius Paterculus (Vell. Pat.) II 14,3 277
De Vita Beata (Vit Beat) XXI 4 120
Vergil (Verg.) Eclogae (Ecl) 4,18–20 221
Stoicorum Veterum Fragmenta (SVF) III 264 168
Vitruvius (Vitr.) De Architectura Libri Decem (Arch)
385
Register II 6,1 283 IV 6 283 IV 6,6 283 f VI 3,6 276, 283 VI 5,1 300 VI 5,2 277 VI 7,1 299 f VI 12 300 Xenophon (Xenoph.) Anabasis (An) VI 4,9 230 Cyropaedia (Cyrop) I 6,24 32 VIII 1,1 32 VIII 1,12 32 VIII 2,2 32 Memorabilia (Mem) II 1,28 160 II 2,1 f 37
XIV 4499–4512
187
Danker, Benefactor Nr. 19 159 Inschriften von Didyma (IDidyma) 214 A 206 215 B 206 218 I 207 221B I 207 285 201 Inschriften von Ephesos (IEph) Ia 22 155 Ia 27 212 III 630b 28 VI 2113 190 Inschriften von Kyzikos und Umgebung (IKyz) 400,2–5 231 Inschriften von Mylasa (IMyl) 830 169
Oeconomicus (Oec) V 20 233 XI 8 210
Inschriften von Pergamon (IPerg) II 330 218 II 410 39
Papyri
Inschriften von Priene (IPriene) 47 141 108,272–274 135 111 137 118 137
Oxyrhynchus Papyri (P. Oxy) VII 1021,10 234 XXII 2332,66 234
Inschriften
Collection of Ancient Greek Inscriptions in the British Museum (GIBM) IV 1,894 220 Corpus Inscriptionum Latinarum (CIL) II 738 44 VI 10223 187 VI 10228 187 VII 11 232 X 796 232 X 802 232 X 816 231 X 820 232 X 875 118 X 998 231 XIII 1642 232
Inscriptiones Graecae (IG) II/III3 1,416 250 II/III3 1,887 250 II/III3 1,888 250 II/III3 1,900 250 II/III3 1,896 250 II/III3 1,1147 141 V 2,268 252 VII 2712 136–138 XI 4,636 155 XII 2,484 166 XII 3,1270 141 XII 4,1,205 155 XII 5,1,129 232 XII 6,1,18 159, 235, 249 f XII 6,1,57 155
386 XII 6,1,145 141 XII 6,1,370 251 XII 6,1,371 251 XII Suppl. p.142 Nr. 330
Register 756
133
Inscriptiones Graecae ad Res Romanas Pertinentes (IGR) III 739 159 IV 116 166 IV 200 220 IV 1236 33, 264 IV 1302 318 L’Ann e pigraphique (AE) 1959,81 232 Laum, Stiftungen I Nr. 102,4 135 Orientis Graeci Inscriptiones Selectae (OGIS) 54 159 167 159 755 220
220
Supplementum Epigraphicum Graecum (SEG) 4,418 155, 191 4,491 135 13,390 141 13,540 210 17,35 250 27,791 318 28,1116 191 32,1097 191 32,1243 135 33,1056 200 f Sylloge, 3. Auflage (Syll3) 976 189 1268 160 Tituli Asiae Minoris (TAM) II 791 235 II 791,2 f 251
Register
387
Personenregister Abel, K. 55 f, 58 f, 67, 75 Adenstedt, I. 291 Alexander, W. 90 f, 119 Alföldy, G. 79, 103, 116, 188 Allison, P.M. 276, 357 Asamer, B. 291 Baker, M. 220 Barclay, J.M.G. 25, 28, 31, 36, 38 f, 45, 112, 157, 164, 237, 261, 263 Barghop, D. 76, 105 Bartels, J. 24, 32, 41, 51, 141, 254, 294 Bataille, G. 19 f Bauckham, R. 303 Bäumler, A. 30 Begg, C. 237, 239 Bekker-Nielsen, T. 257 Belayche, N. 217 Berchem, D. van 187 Berger, K. 197 f, 205 Berges, U. 173, 290, 307 Berry, J. 231 Betz, H.D. 171 f, 261, 339 Blanton, T.R. 45, 70, 73 Blümel, W. 203 Bolkestein, H. 14, 17, 33, 36, 125, 131–133, 150, 153, 159 f, 167, 169, 189, 210, 249, 253, 263, 333 Bourdieu, P. 36, 76 Bousset, W. 137 Bovon, F. 51, 125 f, 129 f, 136, 145, 149, 161, 169, 179, 181, 194, 200, 205 f, 211, 226 f, 263 f, 269, 271, 274, 294 f, 303, 307 f Bowditch, P.L. 36, 113, 185, 221 Burkert, W. 17, 37, 185, 203, 254 Busine, A. 206 Capper, B.J. 269, 314 f Carl , F. 111 f, 114 Connor, A.E. 206 f
Crook, Z.A. 17, 20–23, 25, 28, 37 f, 40, 45, 104, 185 Crossan, J.D. 288 f Croy, N.C. 206 f Dahlheim, W. 23 f, 31 Danker, F.W. 25, 45 f, 125–127, 129 f, 136, 145, 148 f, 157, 159, 169 Därmann, I. 18, 20 D’Arms, J.H. 79, 116 DeFelice, J. 87 Delling, G. 183, 234 De Martino, F. 79 Derrett, J.D.M. 229, 234, 253 DeSilva, D.A. 45, 172 Dickmann, J.-A. 171 Dillery, J. 199 Dmitriev, S. 122, 139 f, 192, 201 Downs, D.J. 326 Drexhage, H.-J. 78, 94, 117, 254, 256, 277 Dunn, J.D.G. 314 f, 324 Dyck, A.R. 83 f, 87, 90, 92, 94 f, 98 f, 102 Ebner, M. 11, 35, 45, 125–127, 134, 146, 148 f, 151, 154–156, 162, 182, 184, 199, 206, 240, 287, 296 f, 316, 357 Eck, W. 33, 35, 141, 191 f, 200, 257, 277, 331 Edelmann, B. 211, 222 f Edwards, J.R. 51, 125, 129, 155, 263 f Ego, B. 39 Eilers, C. 25, 27 f, 30 Eisele, W. 307 Feldman, L.H. 237, 239 Fellmeth, U. 115, 117, 256 f Finley, M.I. 101, 104, 117, 151 Fitzmyer, J.A. 129 f, 136, 142, 149, 156, 174, 179–182, 194, 196, 230, 263 f, 273–275, 289, 293–295, 297, 325 Fontenrose, J.E. 199–201, 204, 206 Furley, W.D. 181 f, 203
388
Register
Galsterer, H. 331 Ganter, A. 25, 101, 108, 118, 166, 283 f Garnsey, P. 33, 79, 116 Gärtner, H.A. 91, 94, 220, 305 Gathercole, S. 211 f Giardina, A. 118, 225, 256 Gori, M. 111 f, Goldbeck, A. 25, 29, 107, 276 f, 280 f, 283, 290 f Gordon, R. 200 Goulder, M.D. 126, 136 Gradl, H. 295 f, 300 Graeber, D. 112 f Graf, F. 198, 202, 204 f, 207 Green, J.B. 14, 46, 50, 125–129, 145 f, 149, 163, 168, 221 f, 226, 264 f, 274 Gregory, G.A. 17, 19, 113 Griffin, M.T. 28, 56, 60, 67, 76 f, 80, 101, 103, 163, 168 Haenchen, E. 314 f, 325 f, 328, 331 Hales, S. 87, 277, 283 f Hands, A.R. 133, 165, 252 Harrison, J.R. 36 f, 45 Hartmann, E. 28–30, 107–109 Hays, C.M. 28, 47, 127, 131, 149, 261, 266 Hedrick, C.W. 233, 268 Heil, C. 179, 195, 250, 272, 275 Heininger, B. 182, 184 Herda, A. 211 Herrmann-Otto, E. 144 Herz, P. 107, 117, 120, 138, 178, 182, 230, 256 Hintzen, J. 308 Hirschmann, V. 218 Hock, R.F. 226, 228, 234, 258, 297 f, 301 Hodot, R. 318 Hoffmann, P. 272 Hopkins, K. 35 Hoppe, R. 173, 290, 307 Horbury, W. 205 Horn, F.W. 195, 209, 211, 228, 261 Horrell, D. 288 f Horst, P.W. van der 214–216 Hossenfelder, M. 66, 72, 75 Inwood, B.
76 f
Jaeger, W. 120 Jantsch, T. 46, 191, 210–212, 220 f Jeremias, J. 274, 287, 301 Jervell, J. 315, 325–327, 331 Johnson, L.T. 126, 316, 325 f, 332 Jonas, D. 275 Jones, C.P. 34, 119, 294, 299, 328, 339 Joubert, S. 25, 43, 45, 150 Kampling, R. 11, 50 Karrer, M. 191 Kennerly, M. 93 Klauck, H.-J. 214 f, 258, 314, 319 Kloppenborg, J.S. 46, 141 Koch, D.-A. 215, 288 Konen, H. 78, 94, 117, 254, 256, 277 Konstan, D. 21 Kramer, H., 258 Kries, D. 93 f Krüger, R. 256–258, 267 Kunkel, W. 331 Kunst, C. 198, 276 f, 280, 285 Lambert, S. 250 f Lang, F.G. 196 Lang-Auinger, C. 291 Lauter, H. 299 f Lawrence, L.J. 164 Lehmann, G.A. 143 f, 152, 247, 257 Lehtipuu, O. 133, 295, 300–304, 307 Lendon, J.E. 23–25, 27 f, 30, 33 f, 139, 252, 254, 257 f, 264, 281, 328 f Lohfink, N. 196 Löhr, H. 165 f, 269 f Longenecker, B.W. 133, 136 Ma, J. 27, 33, 41, 46, 86, 117, 139, 141, 170, 184, 190, 219, 230–232, 245, 264, 302 f, 306, 318, 328 Macro, A.D. 119, 122 Marshall, I.H. 45, 126–129, 136, 145 f, 156, 161 f, 168 f, 174, 180 f, 194, 196, 207 f, 214, 226, 263 f, 272–274, 315, 325 f Marshall, J. 22, 24 f, 27, 37, 47 f, 125, 148 f, 155, 159, 167 Mason, S. 236 f, 239 Mauss, M. 18–20, 42, 78, 113, 332
389
Register McLean, B.H. 249 f Merkelbach, R. 135, 203 Miller, A.C. 48, 51, 181, 185 f, 222 f, 298 Mineshige, K. 170, 338 Mitchell, S. 215–219 Morgan, T. 26, 238, 333 Moxnes, H. 21, 46–48, 131, 173 f, 256, 263, 266, 275, 307 f Mroz˙ek, S. 66, 74, 77, 79, 120, 149, 152 Müller, U.B. 46, 212 Mylonopoulos, J. 41 Neumann, N. 151, 156 Nicols, J. 26 f, 30 f Nock, A.D. 139, 180, 191, 201 Nolland, J. 37, 195, 204, 213, 264, 273, 289, 300, 304 Nutton, V. 200 Oesterheld, C.
200–204, 206
Padilla, O. 324, 326 f Parkin, A. 132 f, 142, 144, 153, 168 Peek, W. 201 f Pesch, R. 313, 315, 325–327, 330 Pilhofer, P. 51 Pleket, H.W. 119 Polanyi, K. 21, 46, 111 f, 114 f, 118, 262 Potter, D.S. 198, 200, 202, 211 Prostmeier, F.R. 288 f Quass, F. 121 f, 134 f, 139, 141, 166, 190–192, 200 f, 238 f, 257, 264 Radl, W. 179, 195 f Rajak, T. 44, 50 Rathmayr, E. 291 Reden, S. von 17 f, 77 f, 101 f, 108, 117, 154, 164, 211, 227, 245, 326, 331 Reinach, T. 163 Richardson, P. 275 Rickman, G. 187 f Robert, L. 120 Röder, J. 171, 306 Rogers, G.M. 202 Roller, M.B. 23–25, 27–30, 36, 104 f, 109, 176, 235, 277
Roose, H. 298 Rosenberger, V. 203 Ruffing, K. 78, 94, 117, 254, 256, 277 Saller, R.P. 18 f, 21, 27 f, 35, 37, 46, 50, 60, 63, 98, 103 f, 157, 239, 248, 323, 328 Satlow, M.L. 17, 20 Schimank, U. 118 Schmitt Pantel, P. 135, 137 Schneider, G. 11, 315, 325 f, 330 Schnider, F. 271, 292–294, 298 f, 304, 307 Schnurbusch, D. 29, 282 f Schottroff, L. 121, 126 f, 142, 162, 172 f, 293, 295 f, 298 Schreiber, S. 39, 178, 182, 185, 191 f, 209, 212 f, 220–222 Schürmann, H. 136, 173 f Schwartz, S. 39, 42 f, 52, 111 f, 115, 157, 183, 261 Seo, P.S. 47 f Smend, R. 183 Sorek, S. 38, 40–43 Spilsbury, P. 236, 239 Standhartinger, A. 30, 41, 135–137, 139 Stavrianopoulou, E. 134, 136 f Stegemann, E.W. 20–23, 239 Stegemann, W. 20–23, 45, 121, 126 f, 129, 136, 142, 162, 172 f, 214, 239 Stein-Hölkeskamp, E. 28–30, 104, 108, 123, 283 f Stenger, W. 128, 136 f, 271, 292–294, 298 f, 304, 307 Stephan, E. 34, 43, 132, 134 f, 139, 190 f, 200, 316 Talbert, C.H. 211 Temin, P. 18, 79, 111, 116 f, 335 Theissen, G. 37, 115, 131, 148, 155, 158, 288 Thomas, J.D. 229 Thür, H. 291 Trebilco, P. 142 Tuckett, C.M. 272 Unnik, W.C. van
125, 149, 152, 159 f
390
Register
Verboven, K. 21, 27, 31, 36, 60, 90, 106, 113, 323, 328, 330 f Veyne, P. 24, 32 f, 35, 41, 136, 189, 230–232, 237, 240 f, 246 f, 253 f, 256, 296 f, 305 Virlouvet, C. 188–190 Vivenza, G. 79 f, 117, 157, 225 Volkmann, U. 118 Vollenweider, S. 182, 185 Vössing, K. 30 Wallace-Hadrill, A. 276 Weaver, P.R.C. 35, 104 f Wees, H. van 18, 22, 112 Weitzman, S. 39, 43 f Wildberger, J. 68 Wilker, J. 32, 252
Winterling, A. 21, 25, 27, 104 f, 107, 144, 282 Wischmeyer, W. 215, 217 Wolkenhauer, J. 21 f, 26–28, 55, 63, 69 f, 73, 77, 79 f, 89, 102–107, 109, 120, 122 f, 139, 152, 157, 175 Wolter, M. 50 f, 125–130, 133, 136, 138, 146, 148, 154, 170, 173 f, 179 f, 185 f, 194, 196 f, 200, 205, 207–209, 211, 222, 226, 228 f, 246, 261, 263 f, 266, 268, 272, 275, 293–296, 298, 308 Zeichmann, C.B. 51 Zeller, D. 37, 40, 45, 73, 150, 160, 261, 328 Zuiderhoek, A. 32–34, 41, 116, 139 f, 246, 252 f, 318