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German Pages [330] Year 2012
Mozart und Schönberg Wiener Klassik und Wiener Schule
Wissenschaftszentrum Arnold Schönberg am Institut für Musikalische Stilforschung der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien
Schriften des Wissenschaftszentrums Arnold Schönberg Herausgegeben von Hartmut Krones
Band 7 (zugleich Journal of the Arnold Schönberg Center 8/2010) Hartmut Krones und Christian Meyer (Hg.) Mozart und Schönberg Wiener Klassik und Wiener Schule
Mozart und Schönberg Wiener Klassik und Wiener Schule
Herausgegeben von Hartmut Krones und Christian Meyer
BÖHLAU VERLAG WIEN · KÖLN · WEIMAR
Gedruckt mit Unterstützung durch die MA 7 – Kulturamt der Stadt Wien – Wissenschafts- und Forschungsförderung, die Universität für Musik und darstellende Kunst Wien sowie das Arnold Schönberg Center.
Redaktion: Eike Feß und Therese Muxeneder Layout: Maria Helfgott Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar ISBN 978-3-205-78695-5 Gestaltung des Titelbildes: Christoph Edtmayr Textmanuskript: Nationale Musik (ASC, Wien, T35.39, ASSV 5.3.1.87) @ Belmont Music Publishers, Pacific Palisades Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2012 by Böhlau Verlag Ges. m. b. H. und Co. KG, Wien · Köln · Weimar www.boehlau-verlag.com Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem Papier. Druck: Prime Rate kft., Budapest
Inhalt Vorwort der Herausgeber ........................................................................................................... 7 MANFRED WAGNER (Wien) Zum kulturellen Ambiente der Wiener Klassik und der Wiener Schule........................... 11 HELMUT LOOS (Leipzig) Zur Rezeption von „Wiener Klassik“ und „Wiener Schule“ als Schule ........................... 17 PETER ANDRASCHKE (Perchtoldsdorf) Volkstümlichkeit (Ländler, Walzer, Marsch) in der Wiener Klassik und in der Wiener Schule .................................................................................................................. 29 HERMANN JUNG (Mannheim) „Man hört vier vernünftige Leute sich untereinander unterhalten ...“ Zum Streichquartett in der Wiener Klassik und der Wiener Schule.................................. 57 DIETER GUTKNECHT (Köln) Die Wiener Schule und die Aufführungspraxis der klassischen Musik (Kolisch) ........... 71 HANS-JOACHIM HINRICHSEN (Zürich) Schönberg – Mozart – Bach. Geschichte und Legitimation ................................................................................................... 81 CHRISTIAN MARTIN SCHMIDT (Berlin) Individuelle oder kollektive Rezeption? Die Wiener Klassiker in der Sicht Arnold Schönbergs ........................................................ 95 EIKE FEß (Wien) „Was ich von Mozart gelernt habe ...“ Nachforschungen auf Schönbergs Spuren ........................................................................... 101 HARTMUT KRONES (Wien) „Redende Musik“ bei Wolfgang Amadeus Mozart und Arnold Schönberg .................. 119 MARKUS BÖGGEMANN (Kassel) Schönbergs Mozart: Zwischen Radikalisierung und neuer Normativität ....................... 149 SIEGFRIED OECHSLE (Kiel) Von Schönberg zu Mozart. Versuch über den Prozeßcharakter Mozartscher Musik.................................................... 159 JAMES K. WRIGHT (Ottawa) Schoenberg, Mozart, and the Viennese Spieltrieb................................................................. 177
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Inhalt
WOLFRAM STEINBECK (Köln) Arnold Schönberg und das klassische Menuett................................................................... 195 ULLRICH SCHEIDELER (Berlin) Wissenschaft oder Kunst? Arnold Schönbergs Generalbaßaussetzungen zu Werken von Mathias Georg Monn und Johann Christoph Mann .......................................................... 205 SIEGFRIED MAUSER (München) Auf der Suche nach Schönbergs Mozart. Eine kritisch-essayistische Hinterfragung............................................................................. 223 FERENC LÁSZLÓ (Cluj/Klausenburg) † Wolfgang Amadeus Mozart als „Zwölftöner“? ................................................................... 227 BRYAN PROKSCH (Lake Charles, LA) Schönberg’s Analyses and Reception of Haydn’s Music ................................................... 243 NIKOLAUS URBANEK (Wien) „Man kann nicht mehr wie Beethoven komponieren, aber man muß so denken wie er komponierte.“ Beethoven in der Kompositionslehre der Wiener Schule ................................................. 261 FERDINAND ZEHENTREITER (Frankfurt am Main) Die Wiener Klassik als Balance von Extremzuständen. Zur Wahlverwandtschaft zwischen Ludwig van Beethoven und Arnold Schönberg ... 289 CONSTANTIN FLOROS (Hamburg) Zum Mozart-Bild von Alban Berg ........................................................................................ 301 Podiumsdiskussion ................................................................................................................... 309 Personenregister ....................................................................................................................... 323
Vorwort der Herausgeber Alljährlich veranstaltet das am „Institut für Musikalische Stilforschung“ der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien beheimatete „Wissenschaftszentrum Arnold Schönberg“ um den 13. September herum (dem Geburtstag des 1874 in Wien geborenen Komponisten) gemeinsam mit dem Arnold Schönberg Center ein großes internationales Symposion, das verschiedene Aspekte des Lebens und Schaffens von Arnold Schönberg in den Blick nimmt. Aus vom „Mozartjahr 2006“ gegebenem „aktuellem“ Anlaß ging es daher vom 10.–13. September 2006 um das Verhältnis unseres Komponisten und seiner Schule zur Wiener Klassik im allgemeinen bzw. zu Wolfgang Amadeus Mozart im besonderen. Doch nicht nur der „aktuelle Anlaß“ war Grund, dieses Verhältnis näher zu untersuchen, sondern weit mehr die Tatsache, daß sich Schönberg in hohem Maße der Tradition verpflichtet fühlte, und hier speziell auch der Wiener Klassik, wie er dies selbst unmißverständlich äußerte: „Meine Lehrmeister waren in erster Linie Bach und Mozart; in zweiter: Beethoven, Brahms und Wagner.“1 Doch kann gerade Mozarts Musik über dieses allgemeine „Lehrmeister“-Schüler-Verhältnis hinaus sogar ganz speziell als Vorfahre der Materialsicht Schönbergs gelten, wenn wir einen seiner Aphorismen aus dem Jahre 1929 wörtlichnehmen: „Mozarts Kunst erfüllt in der Entwicklung der Musik die Aufgabe, einen Gedanken in allen seinen tiefsten und reifsten Konsequenzen so darzustellen, dass alle die Einzelheit, die sich aus ihm ergeben[,] an einer vielgestaltigen Oberfläche sichtbar werden: sozusagen auf eine Ebene projiciert. Seine Methode besteht darin, in den Teilen das Gemeinsame, das Zusammenhangbildende soweit zu verschleiern oder so weit zu enthüllen, dass die Unregelmäßigkeit ihrer Formen zwar merkbar, aber nicht verwirrend wirkt.“2
Angesichts dieser Jahrhunderte übergreifenden Zusammenhänge nahm das Symposion „Mozart und Schönberg – Wiener Klassik und Wiener Schule“ nach allgemeinen Betrachtungen des kulturellen Ambientes im Wien sowohl des späteren 18. als auch des späteren 19. Jahrhunderts sowie nach dem Hinterfragen des „Schule“Begriffs für die drei Meister der Wiener Klassik zunächst das an diesen Komponisten ausgerichtete Traditionsbewußtsein der Wiener Schule in den Blick. Dabei ging es auch um die Frage, in wie weit sowohl das Strukturdenken Schönbergs, Bergs und Weberns als auch deren Betrachtung von Musik als „Sprache“ in der Musik der Wiener „Klassiker“ verwurzelt ist. Dies vor allem angesichts der (auch aufführungspraktisch zu realisierenden) sprachanalogen Bauweise ihrer eigenen Musik: Da laut Schönberg der musikalische „Gedanke, sobald er ausgedrückt wird, 1
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Arnold Schönberg, Nationale Musik (Arnold Schönberg Center, Wien [T35.39]), S. b, vgl. Arnold Schönberg, Nationale Musik, in: ders., Stil und Gedanke. Aufsätze zur Musik, hrsg. von Ivan Vojtěch (= Gesammelte Schriften 1), Frankfurt am Main 1976, S. 250–254, hier S. 253. Arnold Schönberg, Jede blinde Henne (Arnold Schönberg Center, Wien [T03.42]), S. 3.
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[eine Gliederung nötig hat,] weil wir einen Gedanken zwar auf einmal, als Ganzes denken, aber nicht auf einmal sagen können“3, ging es für ihn beim Komponieren immer auch darum, „jedem Satz die ganze Bedeutungsschwere einer Maxime, eines Sprichworts, eines Aphorismus“4 zu geben, womit nicht zuletzt eine inhaltlichsemantische Seite seiner Musik angesprochen erscheint. Mit dieser Meinung schloß Schönberg direkt an Anschauungen bzw. an kompositorische Verfahrensweisen der „Wiener Klassiker“ an, und wenn er gar meinte, daß die „Organisation“ der Musik „wie Reim, Rhythmus, Metrum und wie die Einteilung in Strophen, Sätze, Abschnitte, Kapitel etc. in Poesie und Prosa [funktioniert]“5, so vertrat er fast mit denselben Worten wie Leopold Mozart eine Formsicht, deren Basierung auf den „alten“ Prinzipien von musikalischer Rhetorik und Poetik Willi Reichs Wort von Schönberg als „konservativem Revolutionär“ eine zusätzliche Wahrheit verleiht. Unterstrichen wird dies noch durch Schönbergs Aufzählung dessen, was er im einzelnen von Mozart gelernt habe: 1. Die Ungleichheit der Phrasenlänge. 2. Die Zusammenfassung heterogener Charaktere in eine thematische Einheit. 3. Die Abweichung von der Gradtaktigkeit im Thema und in seinen Bestandteilen. 4. Die Kunst der Nebengedankenformung. 5. Die Kunst der Ein- und Überleitung.6
Neben diesen grundsätzlichen ästhetischen Fragen wurden in dem Symposion aber auch beleuchtet, in welchem Maße die Werke beider Komponistengruppen auf kontrapunktischer Linienführung basieren: auch in akkordisch verdichtetem Satz treten niemals „Füllstimmen“ oder reine Verstärkungsfunktion besitzende Töne auf. An der Entwicklung teilhabende Linien werden aus der motivischen Verarbeitung der thematischen Gedanken bezogen. Weitere Betrachtungen galten traditionellen Formen wie dem Menuett, dem Ländler oder dem Walzer, Formen, die sich bei beiden Komponistengruppen finden und vor allem Schönberg immer wieder zu fast nostalgischer Heraufbeschwörung „wienerischer“ Elemente führten. Doch auch formale Parallelen bei der Behandlung der großen zyklischen Entwürfe sowie grundsätzlich ähnliche Überlegungen zur Aufführungspraxis wurden aufgedeckt, Überlegungen, die vor allem den unbedingten Primat der Komponisten-Intention (einschließlich der von ihm vorgesehenen Freiheiten) vor allfälligen subjektiven Interpreten-Meinungen postulierten. An dieser Stelle sei nun auch noch einmal dem „Wiener Mozartjahr 2006“ und speziell dessen Intendanten Dr. Peter Marboe für die finanzielle und auch ideelle Unterstützung des Symposions gedankt, darüber hinaus aber auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Arnold Schönberg Center sowie des „Institutes für 3 4 5 6
Arnold Schönberg, Harmonielehre, Leipzig–Wien 1911, S. 322. Arnold Schönberg, Brahms, der Fortschrittliche, in: ders., Stil und Gedanke (Anm. 1), S. 35–71, hier S. 49. Ebenda, S. 36. Arnold Schönberg, Nationale Musik (Anm. 1), S. 253.
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Musikalische Stilforschung“, die bei dessen Durchführung mitgeholfen haben. Ein spezieller Dank gilt Eike Feß und Therese Muxeneder für die wissenschaftliche Redaktion sowie Maria Helfgott für das Layout des vorliegenden Bandes, der sowohl sämtliche Referate des Symposions abdruckt als auch die Statements des Round tables wiedergibt. Die Summe der Beiträge wird, so hoffen wir, nicht nur zum tieferen Verständnis der Schönbergschen Musik beitragen, sondern vielleicht auch dazu, daß Schönbergs „kurz vor 1933 am Mikrophon der Berliner Funkstunde“ Heinrich Strobel gegenüber formulierte Überzeugung tatsächlich Wahrheit werde: „Die Gegenwart ist ohne Interesse für mich – in 150 Jahren wird meine Musik ebenso verständlich sein wie heute die Musik von Mozart….“7
Wien, im Dezember 2011 Christian Meyer Arnold Schönberg Center
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Hartmut Krones Wissenschaftszentrum Arnold Schönberg
Zit. nach: Heinrich Strobel, Abschied von Schönberg, in: Melos 18 (1951), Heft 8 (August), S. 209–211, hier S. 211.
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Abbildung: Arnold Schönberg, Nationale Musik (Arnold Schönberg Center, Wien [T35.39]), S. b.
MANFRED WAGNER (Wien)
Zum kulturellen Ambiente der Wiener Klassik und der Wiener Schule In der Neuzeit standen Paris und Wien einander zweimal als unmittelbare und starke Antipoden im Geist gegenüber. Von uns aus gesehen das letzte Mal war dies an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, dem Fin de Siècle, der Fall, als die Pariser Moderne und die Wiener Moderne letztlich unversöhnbare Kontraste bildeten. Die Pariser Moderne setzte auf die Autonomie der Kunst, und die Wiener Moderne setzte auf die Autonomie der Seele. Paris präferierte Literatur und Malerei, Wien dominierte mit Psychologie und Musik. Im 18. Jahrhundert, oder besser in seiner zweiten Hälfte, gab es eine ähnliche Konfrontation geistiger Haltungen. Paris schuf mit den Gelehrten der Aufklärung, den „Hommes de Lettres“, die philosophischen Grundlagen zu jenem republikanischen Umsturz, der bis heute das Wesen unserer Demokratie bestimmt, und vollzog diesen mit der blutigen Absetzung des Königshauses. Wien lebte eher eine praktische Aufklärung, getragen vom Reformwillen Maria Theresias und Josephs II., und präsentierte als deren bedeutendstes Ergebnis das, was wir heute Wiener Klassik nennen. Deswegen war auch Wien „für sein Metier der beste ort von der Welt“, wie es Mozart selbst in einem Brief an den Vater vom 4. April 1781 beteuerte.1 Beide Epochen sind Umbruchzeiten, mit einem vergleichbaren geschichtlichen Ambiente, mit dem Willen, die Welt neu zu erfinden oder zumindest zu definieren, mit sich andeutenden und später vollzogenen politisch radikalen Veränderungen und – oder vielleicht deswegen – mit einem riesigen Output an künstlerischen Produktionen aller Genres, die weltweit Beachtung erzielten. Die politischen Veränderungen in Wien hatten sowohl im 18. Jahrhundert als auch zu Ende des 19. Jahrhunderts eine einzige Ausgangslage: die Konkurrenz von altem Denken und neuem Geist. Dieses alte Denken, ein Kennzeichen der österreichischen Monarchie, das, wie viele behaupten, letztlich zu ihrem Untergang führte, brauchte Reformen, die zu Zeiten der Klassik noch von oben verordnet werden konnten, sodaß die renommierte Historikerin Brigitte Mazohl-Wallnig Joseph II. das Epitheton „der Kaiser als Revolutionär“ verpaßte. Später waren die noch heute existierenden modernen demokratischen Parteien, Deutschnationale, Sozialdemokraten und Christlichsoziale, die allesamt zwischen 1882 und 1893 gegründet wurden, die Hoffnungsträger der Zukunft.
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Mozart. Briefe und Aufzeichnungen. Gesamtausgabe, Bd. 3: 1780–1786, hrsg. von Wilhelm A. Bauer und Otto Erich Deutsch, Kassel etc. 1963, S. 102.
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Ging es zu Zeiten der Wiener Klassik um eine Neudefinition des Staates und der Mitwirkung der Bürger in seiner Verwaltung, so im Fin de Siècle um die Ablösung einer längst hohlen, äußeren Kontur und die Weiterentwicklung jenes Unheilgedankens des Nationalismus, der sich seit den republikanischen Ambitionen über das Habsburgerreich und Deutschland ausgedehnt hatte. Waren es einmal Reformen zu jener Bürgerlichkeit, die uns heute als selbstverständlich erscheint, mit dem freien Markt des Adam Smith, der Liebesheirat (wie sie Mozart gegenüber seinem Vater durchsetzte), dem Gewinn der beruflichen Autonomie bis hin zum selbst verantwortenden Alleinunternehmer, so sind es in der vorletzten Jahrhundertwende jene eher auf innen ausgerichteten Merkworte der Epoche, wie sie Hugo von Hofmannsthal nannte, die von „Décadence, Synästhesie, Dilettantismus, Neurotika“ bis „Moderne und Leben“ reichten.2 Beide Epochen waren migrationsgesteuert – selbstverständlich würde man dies für Österreichs Vergangenheit und Gegenwart immer behaupten müssen –, damit nahezu automatisch polykulturell, mit Wien als Magneten, der wahrscheinlich stärker zur Zeit Josephs II. wirkte als in der verfallenden Epoche Kaiser Franz Josephs I. Aber beiden Epochen war auch gemeinsam, daß man noch nicht auf die lokale Herkunft schaute, auch wenn in der letzten Epoche um 1900 Böhmen und Mähren eindeutig die Immigrationsliste anführten. Migration bedeutet immer auch Durchmischung, was damals wie heute einer der wesentlichen Parameter künstlerischer Erneuerungen sein dürfte. Auch immateriell war dieser Migrationsgedanke vorherrschend. Einmal in der Wiener Klassik, als die Ideen der französischen „Hommes de Lettres“ und der aus England stammenden Freimaurerei die Wiener Denksysteme prägten und die Beschäftigung mit entsprechender Literatur und letztlich auch Musik nach sich zogen. Diese Intellektualität wurde von den Philosophen der Zeit getragen – so auch von den in Mozarts Nachlaß aufgefundenen Schriften der Autoren Johann Pezzl (Faustin), Salomon Geßner (Schriften I–IV), Joseph von Sonnenfels (Gesammelte Schriften I–VI), Christoph Martin Wieland (Oberon, Diogenes von Sinope), Moses Mendelssohn (Phädon) oder Aloys Blumauer (Gedichte, Wiener Musenalmanach). Dann, im Fin de Siècle, waren es vor allem die beiden Physiker Ernst Mach und Ludwig Boltzmann auf den Lehrstühlen für Philosophie in Wien mit ihrer Neubegründung der Erkenntnistheorie. Die Dichter unterwarfen sich ebenso dem Diktat des Neuen, in beiden Zeitabschnitten oft an Frankreich angelehnt, selbstredend mit Deutschland korreliert. Die Zeiten der Wiener Klassik und der Wiener Schule sind im wesentlichen informationsgesteuert. In beiden Epochen explodieren die Zahlen der Druckwerke, der Fachzeitschriften, der Tageszeitungen. In der ersteren nimmt der Notendruck mit seiner Garantie für Einnahmen rasend schnell zu und bildet nebenbei bemerkt den Homunkulus der unseligen Trennung von E- und U-Musik heraus. In der letzteren ist der Druck an sich kein Problem mehr, sondern eher die Verbreitung und Auf2
Hugo von Hofmannsthal, Merkworte der Epoche, in: Frankfurter Zeitung 37/129 (9. August 1893), S. 1.
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führung von vormals Unbekanntem, was Schönberg zur Gründung des „Vereins für musikalische Privataufführungen“ bewog. Beide Epochen sind vom Liberalismus geprägt, allerdings unterschiedlicher Provenienzen. War die erste Phase die Folge neuer Staatsideen, neuer Bürgervorstellungen und von Joseph II. in Patenten und Vorschriften sorgfältig dosiert, so war die letztere primär ökonomisch begründet, weil reiche Bürger sich ihre Freiräume merkantilistisch erobert hatten. Andererseits war Liberalität aus Schwäche des Regierungsappartes quasi zugelassen, weil dieser sich nur in wenigen Aspekten durchsetzen konnte. Auch wenn in Richtung der ersten Weltkriegskatastrophe der Einfluß der Liberalen sank, blieb jener der für Österreichs Geistigkeit unentbehrlichen jüdischen weltoffenen Denker bestehen, weil sie im Gegensatz zu vielen Kollegen in Deutschland an der Bedeutung der ästhetischen Materialität festhielten und sie nicht zum Sklaven irgendwelcher außerkünstlerischen Ziele machen wollten. Diese Liberalität war es auch, die jene blutige Schärfe der Revolutionen verunmöglichte, die vorher schon Paris und Frankfurt, später Berlin und Petersburg heimsuchen sollte. So war die Wiener Secession kein Revoluzzerverein mit Auslöschungstendenzen ihrer Konkurrenten (wie ich in meiner Studie über Alfred Roller3 nachgewiesen habe), sondern eine zögerlich gegründete Abspaltung des Künstlerhauses mit Reformvorstellungen und dem Ziel, nicht nur höhere Honorare zu erringen. Es ging auch darum, mehr physische Korrelationen der österreichischen Künstler in den habsburgischen Kronländern und im Ausland „mit den hervorragenden fremdländischen Künstlern“ zu evozieren, mit gewählten kleinen Ausstellungen geläuterte, moderne Kunstanschauungen in erweiterten Kreisen zu wecken und dem Publikum einen – vor allem höheren – Maßstab für die Bewertung der heimischen Hervorbringungen zu geben. Diese Liberalität schuf auch einen neuen Religionszugang. Waren es zu Zeiten der Wiener Klassik im wesentlichen die kritischen Töne gegenüber der Amtskirche (explodierende Mozart-Briefe über das Verhalten des „Erzlimmels“4 Hieronymus Graf Colloredo – immerhin der Erzbischof von Salzburg!), so ging es am Ende des 19. Jahrhunderts um die Substanz der Religion, um den Glauben an sich, den auch das historisch unselige Bündnis zwischen Thron und Altar nicht mehr schützen konnte. War die eine Seite dieser Liberalität die Suche nach Innovation, die quer durch alle Gebiete florierte und ähnlich wie im 18. Jahrhundert viele naturwissenschaftliche Erkenntnisse gebar, die heute noch zu unserem Grundlagenwissen zählen, war es andererseits die Krise, die ebenso alle Gebiete durchzog und in ihrer „Ambivalenz und Schizophrenie“, wie Norbert Leser meinte, verantwortlich für andere intellektuelle Hochleistungen war, die das offiziöse Österreich manchmal gar nicht bemerkte. Moral war längst nicht mehr allgemein verbindlich, sexuelle Freizügigkeit bis zur Perversion Otto Weiningers literaturfähig, die alten Ordnungen in Militär und Bü3 4
Manfred Wagner, Alfred Roller in seiner Zeit, Salzburg 1996. Vgl. Brief an seinen Vater vom 4. April 1781, in: Mozart. Briefe und Aufzeichnungen (Anm. 1).
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rokratie zerbrochen, die Infragestellung aller Werte, die man gerade noch im humanistischen Gymnasium gelernt hatte, Selbstverständlichkeit. Diese Krise schreckte vor einer Art virtuellen Raumvorstellung nicht zurück, hob die Einteilung der Zeiten auf, durchmischte die Genres, analysierte und synthetisierte die Sprachen, riß die Töne aus ihren alten Beziehungen, mixte die Materialien, verschob die Rhythmen. Auf den ersten Anblick wurde ein erschreckendes Chaos erzeugt, das sich erst in der Rückschau zum Fruchtbaren verkehren sollte. Dieses Krisengefühl mußte sich auf die Nerven der Intellektuellen auswirken, sodaß sie ihre Erlösung teils im Tod suchten wie Otto Weininger, Ferdinand von Saar oder Ludwig Boltzmann. Nahezu alle träumten vom Berufswechsel oder zumindest von Ausflügen in fremde Reviere, sodaß Kokoschka und Schiele Gedichte schrieben oder Schönberg und Hauer zur Malerei flüchteten. Das konservative Vaterbild wankte, wie auch die Achtung des Schülers vor dem Lehrer. In der Wiener Klassik war die Etablierung des Bürgers in Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit jenes utopische Ziel, das Philosophie, Literatur und Musik und auch deren Produzenten für sich selbst anstrebten, also die Vorstellung einer zukünftigen republikanisch demokratischen Umgangsform. Im Fin de Siècle war die Utopie der Griff nach dem Ganzen, die Befreiung aus jedweden Begrenzungen, die keine Schranken mehr behindern sollten. Für Utopie stand damals oft der Begriff Vision, bei Kokoschka noch in seinem viel beachteten Vortrag Von der Natur der Gesichte von 1912, in der altdeutschen Formulierung Vision als Gesicht übersetzt. Diese Vision reichte bis zur fröhlichen „Apokalypse“, die Karl Kraus schon 1908 als „Weltverkehr auf schmalspurigen Gehirnbahnen“5 apostrophiert hatte, reichte in das Autodafé der Technologie, wie es Franz Werfel thematisierte, zu Kafkas Traum vom Ganzen. Vision waren die Themata von Schönbergs Malerei, von den Gedichten Trakls und Petzolds, von Kokoschkas Drama Mörder, Hoffnung der Frauen (1907), letztlich auch zu jenem gefährlichen Totalitarismus neigend, den später die Ästhetisierung der Politik durch Adolf Hitler oder die Raumskulptur im Lichtdom Albert Speers zur äußersten Konsequenz trieb. Beide Epochen, Wiener Klassik und Fin de Siècle, stellten ein neues Ich in den Mittelpunkt ihrer Arbeitswelt: Einmal den neu zu bestimmenden Individualismus des Bürgers, der sich in nichts von jenem anderer Stände unterscheiden sollte (so zumindest die Botschaft von Mozarts Opernfiguren!), andererseits das Ich mit der neu gefundenen Seele, das nahezu alles erlaubte, aber nicht oder kaum den völligen Ausstieg aus der Realität. Denn auffallend ist, daß die Zeit der Wiener Schule immer noch und stark betont das Verhaftet-Sein in der handwerklichen Praxis präferierte (Webern und Schönberg arbeiten als Kapellmeister!), die Institutionalisierung in einem partnerschaftlichen Betrieb suchte (Wiener Werkstätte) und daß die Architekten der ökonomisch orientierten Adaption von Gebäuden Vorrang einräumten (Otto Wagner). 5
Die Fackel 10/261–262 (13. Oktober 1908), S. 1.
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Die Entpolitisierung des Lebens, der Verzicht auf die Heimat, der Ausstieg aus der eigenen Geschichte und der des Landes, das Verlassen der sozialen Konnexion, der Vorrang von Ungebundenheit gegenüber Solidarität und Gerechtigkeit sowie das Bestehen auf der Individualität sind zwar Kategorien, die den Schein oftmals über das Sein stellten und somit trotz permanenter Reformidee Gewöhnungsphasen für die Rezipienten brauchten, aber immer unter der Absolutsetzung der Subjektivität, der absoluten Priorität des Ich, vor allem, was Materie, Außengesellschaft, Welt bezeichnete. Alles, selbst die Schule der Nationalökonomie, war dieser Idee der Subjektivität unterworfen, wenn sie den Wert als etwas Objektives verneinte und die subjektive Wertung zur alleinigen Geltung erhob. In der Psychoanalyse setzte sich dieser Individualismus durch, indem er vielleicht gerade noch Umgebung und Familie inkludierte, aber die Einblendung in die Gesamtgesellschaft dementierte. In der zeitgenössischen Philosophie des Ernst Mach war der Subjektivismus so verankert, daß nicht einmal das Ich als konstante Bezugsgröße übrigblieb und die Welt sich demnach in Einzelempfindungen auflöste. Das Ich war soweit maßgebend, daß Norbert Leser als gemeinsame Metapher für die Wiener Schulen der Nationalökonomie, der Philosophie, der Tiefenpsychologie (der Medizin und des Rechts wären noch beizufügen) das Nietzsche-Wort verwendete: „Solche Menschen leben in ihrem eigenen Sonnensystem; darin muß man sie aufsuchen.“6 Waren beide Epochen Hochzeiten naturwissenschaftlicher Grundlagenforschung, also Hochspezialistentum kognitiver Intelligenz, so müssen sie aber auch als Hochzeiten emotionaler Intelligenz angesehen werden. Versteht sich dies angesichts der Subjektivität des 19. Jahrhunderts von selbst, die literarisch mit den Termini der Décadence, des Symbolismus, des Impressionismus signiert war, so stand dem zu Mozarts Zeiten jene schwergewichtige „Empfindsamkeit“ gegenüber, die eines der zentralen Konstitutiva der Wiener Klassik ausmacht. Diese Empfindsamkeit, von Alexander Gottlieb Baumgarten in seiner Aesthetica (1750–1758) vom Verstand emanzipiert und an die Sinnlichkeit verwiesen (was in Wahrheit nur die Zusammenfassung der Idee war, daß die Kultivierung des Gefühls als Bereicherung, als Steigerung des Menschlichen zwecks Hebung der gesellschaftlichen Stellung des Bürgers Einzug halten sollte) war allgemeines Wissen und letztlich auch aus der Subjektivität des Eigenmenschlichen und der Selbstabsolutierung des bürgerlichen Ich verständlich. Diese Empfindsamkeit war ein Konstruktionselement der Wiener Klassik, weil einerseits auf die Reaktionsfähigkeit des seelischen Gefühls gebaut wurde, und andererseits dieses Fühlen aktiviert, bewußt gesteuert, oder wo es fehlte, sogar bewußt erzeugt wurde. Mozart hatte in seiner Sozialisation quasi über ganz Europa hinweg die Elemente dieser differenzierten Empfindungsmethodik in Lite6
Friedrich Nietzsche, Fünf Vorreden zu fünf ungeschriebenen Büchern, zit. nach ders., Digitale Kritische Gesamtausgabe. Werke und Briefe, hrsg. von Paolo D’Iorio auf der Grundlage der Kritischen Gesamtausgabe Werke, hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Berlin–New York 1967ff. und Nietzsche Briefwechsel Kritische Gesamtausgabe, Berlin–New York 1975ff. [http://www.nietzschesource.org/texts/eKGWB, Zugriff am 31. August 2011].
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ratur und Musik erfahren und durch seine Verankerung in der eigenen Volksmusik und jener der von ihm besuchten Länder ein Kompendium des Ich-Bezugs entwickelt, wie es kein anderer Komponist vor und nach ihm zustandebrachte. Die Projektion dieser Erkenntnis auf seine Opernfiguren, aber auch auf die Interpreten der Kirchen-, Vokal- und Instrumentalmusik, ja sogar der Tänze, verschafften den einzelnen Objektträgern jene Glaubwürdigkeit, die wahrscheinlich den Hauptanteil an Mozarts Wertschätzung in der ganzen Welt überhaupt ausmacht. Damit wird aber auch ein Problem angesprochen, das wiederum die Umgebung von Wiener Klassik und Wiener Schule einte: das emanzipierte Verhältnis von Produzent und Rezipient. Da der Begriff Dilettant noch zu Mozarts Zeiten den selbst musizierenden Bürger definierte, war neu komponierte Musik für Jahrhunderte darauf ausgerichtet, auch von nicht professionellen Musikern ausgeführt zu werden. Nicht zuletzt deshalb trat das Clavichord im 17. Jahrhundert seinen Siegeszug als Hausinstrument an. Im Fin de Siècle mußte der Begriff Dilettant hingegen gerettet werden, weil die Professionalisierung im Virtuosentum ihm einen pejorativen Beigeschmack verliehen hatte. Jetzt ging es um die Elevation des Empfängers der Botschaft und folgerichtig um seine Miteinbeziehung in den Verständnisprozeß des Werkes. Damit war einerseits eine neue Grundlage der Achtung vor dem Publikum geschaffen worden, andererseits die alte Wissensgemeinschaft zwischen Produzenten und Rezipienten als Bündnisgemeinschaft des Verstehens neu formalisiert worden. Eine Gemeinsamkeit beider Epochen stimmt nachdenklich. Nach dem großen Ansatz der Aufklärung mit ihren Hoffnungsexegesen fiel die damalige Welt sowohl in Paris als auch in Wien wieder in alte Schemata zurück. Paris wurde nach und nach zum Kaisertum Napoleons reduziert, in Wien zog Restauration und Kleinmut ein, scheiterte die Revolution von 1848 an sich selbst sowie an der Härte Radetzkys und seines jungen Kaisers Franz Joseph I. und breitete sich langsam jener Deutschnationalismus aus, der Antisemitismus, Fremdenhaß und letztlich die Folgenationalismen der Kronländer nach sich zog. Die Aufbruchsphase des Fin de Siècle zerbrach im Grauen des Ersten Weltkrieges, reduzierte Österreich auf ein Zehntel seiner vormaligen Bevölkerung und konnte auch jenem Krebsgeschwür des Deutschnationalismus trotz Sozialismus und „Rotem Wien“ nicht Einhalt gebieten, sodaß der Hitler-Faschismus, noch lange bevor er hier an die Macht kam, die Köpfe vergiftet hatte. Menschen wurden vertrieben, die jüdische Bevölkerung und andere wurden exiliert oder getötet. Großflächig gesehen neigt man als Historiker dazu, geschichtliche Pendelbewegung als normal hinzunehmen, ohne Wiederholungen der Geschichte in Betracht zu ziehen. Aber daß bestimmte ideologische oder ideell gesteuerte Richtungen immer wiederkehren, wird selbst der genaueste Beobachter nicht leugnen wollen.
HELMUT LOOS (Leipzig)
Zur Rezeption von „Wiener Klassik“ und „Wiener Schule“ als Schule „Man muss [...] jene Beiden als Stifter einer neuen Schule bezeichnen, welche man die deutsche, oder [...] die ‚Wiener Schule‘ nennen mag.“
Gemeint sind Haydn und Mozart, die Raphael Georg Kiesewetter im Kapitel „Die Epoche 1780 bis 1800“ seiner Geschichte der europäisch-abendländischen oder unsrer heutigen Musik (Leipzig 1834, S. 96) nennt. Beethoven folgt im nächsten Kapitel als ihr „herrlichster Zögling“ (S. 97). Das Auftauchen des Terminus „Wiener Schule“ in der frühen Begriffsgeschichte der heute so selbstverständlich benannten „Wiener Klassik“ verdeutlicht schlagartig die Problematik historischer Begrifflichkeit, wird doch hier die Bedeutung meines zweiten zu untersuchenden Terminus schlicht zu zwei Dritteln mit dem ersten gleichgesetzt. Die Zusammengehörigkeit der Wiener Trias Haydn-Mozart-Beethoven hat sich jedoch bald unter der Bezeichnung „klassisch“ durchgesetzt. Wie sich dieser Begriff einer musikalischen Klassik ausgebildet hat, ist musikhistorisch auf großes Interesse gestoßen und in seinen Grundzügen nicht zuletzt aus den Darstellungen von Ludwig Finscher (Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Zweite Auflage, 1996) und Hans Heinrich Eggebrecht (Handwörterbuch der musikalischen Terminologie, 1998) bekannt. Von Graf Ferdinand von Waldsteins berühmtem Eintrag in Beethovens Stammbuch vom 29. Oktober 1792 („Durch ununterbrochenen Fleiß erhalten Sie Mozarts Geist aus Haydns Händen“) über Amadeus Wendts Verbindung dieser Trias mit dem Begriff des Klassischen (Ueber den gegenwärtigen Zustand der Musik, besonders in Deutschland und wie er geworden, 1836) sollte allerdings noch einige Zeit bis zum griffigen Schlagwort der „Wiener Klassik“ vergehen. Soweit bislang ohne eingehende Untersuchungen geurteilt werden kann, dauerte dies bis zu der Zeit von Guido Adler: Dieser spricht in seinem Buch Der Stil in der Musik (Leipzig 1911, S. 225) von den „Wiener Klassikern” oder der „neuklassischen Schule“ (in Abgrenzung zur altklassischen Schule von Bach und Händel) und verwendet in seinem bekannten Handbuch der Musikgeschichte (Frankfurt am Main 1924, S. 787) gelegentlich den Ausdruck „Wiener Klassik“. Hugo Riemann dagegen, sein großer Gegenspieler, vermeidet den Begriff „Wiener Klassiker“ oder gar „Wiener Klassik“. Er behandelt in seinem Handbuch der Musikgeschichte Haydn und Mozart unter der Überschrift „Die Mannheimer Stilreform“1 und rückt Beethoven in einem neuen Kapitel davon ab. Später (im Kleinen 1
Hugo Riemann, Handbuch der Musikgeschichte, Bd. 2, Teil 3: Die Musik des 18. und 19. Jahrhunderts, Leipzig 1913, S. 127ff.
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Helmut Loos
Handbuch der Musikgeschichte) faßt er die drei Komponisten mit Gluck und Schubert in einem Kapitel „Die großen Wiener Meister“ zusammen.2 Die Differenz zwischen Adler und Riemann rührt von dem bekannten Streit um die musikalische Herkunft der drei klassischen Meister her. Riemann hatte die „Mannheimer Schule“ als ihren direkten Vorläufer in Anspruch genommen und damit lokale Rivalitäten ausgelöst. Guido Adler bezeichnete Mannheim im Gegenzug nicht ohne Ranküne als „auswärtige Pflegestätte“ Wiener Musiker und damit als Wiener „Filialschule“3. Damit nicht genug postulierte er eine ortseigene Tradition, die er mit ihren Protagonisten Georg Christoph Wagenseil und Mathias Georg Monn, mit Karl Georg von Reutter, Matthäus Schlögel und Josef Starzer als „Wiener Schule um und vor 1750“ bezeichnete.4 Im Vorwort zu diesem wichtigen Band der Denkmäler der Tonkunst in Österreich verwendet Adler konsequent die Ausdrücke „Wiener klassische Schule“ für Haydn, Mozart, Beethoven, „Wiener Schule“ für den größeren Zusammenhang unter Einschluß der entsprechenden „Vorklassiker“. Diese Bezeichnung hat er bis in das Handbuch der Musikgeschichte beibehalten und auch als Kapitelüberschrift eingesetzt („Die Wiener klassische Schule“, S. 768), ja sie gelegentlich auch zu „Wiener Schule“ oder eben „Wiener Klassik“ verkürzt (S. 769). Damit umreißt Adler die Zeit von 1780 bis 1810 und speziell die Musik der drei „Heroen“ Haydn, Mozart und Beethoven (S. 773); die „Vorbereitungsstadien dieser Schule“ (S. 774), ihre „Entstehung, Entfaltung“ (S. 768) werden hier unter dieser Überschrift subsumiert. Bereits im 18. Jahrhundert hatte es noch fern jeder Überlegungen zur Klassizität die Bezeichnung städtischer Komponistenschulen gegeben: Georg Joseph Vogler hatte 1778–1787 Betrachtungen der Mannheimer Tonschule veröffentlicht, und Christian Friedrich Daniel Schubart schildert in seinen Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst u. a. die „Wiener Schule“ (S. 87) und die „Berliner Schule“ (S. 89). Diese Namen haben nun, ohne direkt damit in Verbindung zu stehen, Eingang in die Musikgeschichtsschreibung gefunden. Bemerkenswert ist die Vorsicht der Autoren, die „Wiener Klassiker“ zu einer „Wiener Klassik“ zu bündeln, ein wichtiger und nicht zu unterschätzender Schritt, denn damit verbindet sich eine Vorstellung, die in ihrer Geschlossenheit noch über den Begriff der „Schule“ hinausgeht. Wo der Begriff „Schule“ einen gemeinsamen Bezugspunkt, meist eine Stadt oder eine Lehrerpersönlichkeit, oder eine (beispielsweise künstlerische) Richtung benennt, der eine sehr individuelle Eigenentwicklung oder Eigenprägung der Mitglieder durchaus als Möglichkeit einschließt, da unterstellt der Begriff „Wiener Klassik“ eine gewisse Homogenität, eine bestimmte Geschlossenheit. Solange dieser – wie etwa bei Guido Adler – im Sinne eines Synonyms gleichberechtigt mit anderen Bezeichnungen verwendet wird, hält sich 2 3 4
Hugo Riemann, Kleines Handbuch der Musikgeschichte mit Periodisierung nach Stilprinzipien und Formen, Leipzig 1932, S. 206. Guido Adler, Handbuch der Musikgeschichte, Frankfurt am Main 1924, S. 774. Wiener Instrumentalmusik vor und um 1750. Vorläufer der Wiener Klassiker, bearbeitet von Karl Horwitz und Karl Riedel (= Denkmäler der Tonkunst in Österreich 31), Wien 1908, S. XV.
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diese Bedeutung in Grenzen, wenn der Terminus aber in den Mittelpunkt einer Betrachtung gestellt wird, so entfaltet er seine ganze suggestive Wirkung. Insofern ist die Beobachtung nicht ohne Interesse, daß sich der Begriff „Wiener Klassik“ erst relativ spät im 20. Jahrhundert verbreitet hat, denn er beinhaltet die gesamte Emphase romantischer Musikanschauung. Die Geschlossenheit der „Wiener Klassik“ setzt einen „klassischen Stil“ voraus, aber diese Vorstellung wird erst im Jahre 1900 von Adolf Sandberger formuliert.5 Die „thematische Arbeit“, entwickelt in Haydns Streichquartetten op. 33 (1781), liefert die notwendige Begründung für den Begriff der „Wiener Klassik“. Die Durchsetzung dieses Begriffs auf wissenschaftlichem Gebiet erfolgte seit den 1930er Jahren zunächst vor allem in Dissertationstiteln;6 insbesondere zu nennen ist die Dissertation von Kurt Westphal mit dem Titel Der Begriff der musikalischen Form in der Wiener Klassik. Versuch einer Grundlegung der Theorie der musikalischen Formung. Abgesehen von der Verwendung des Begriffs im allgemeinen Sprachgebrauch und insbesondere im Musikleben, einem Bereich, der schwer zu überschauen ist, ist er aber in der Musikwissenschaft weiterhin sehr vorsichtig verwendet worden. In allgemeine Musikgeschichtsbücher hat er zunächst keinen Eingang gefunden. Hans Joachim Moser etwa spricht 1930 noch von der Möglichkeit, ausgehend vom Gipfel des Barock ein „Crescendo zur eigentlichen und zentralen Gipfelung in dem ‚Wiener Dreigestirn‘ zu erblicken.“7 1938 in der Kleinen Deutschen Musikgeschichte vermerkt er noch süffisant: „Kaum einer der ‚Wiener‘ Meister ist ein echter Niederösterreicher gewesen“.8 Dann jedoch, in seinem Lehrbuch der Musikgeschichte überschreibt er das entscheidende Kapitel doch mit „Wiener Klassik“9, zählt zu Haydn, Mozart und Beethoven jedoch auch Gluck dazu. Eine bis dahin etwas ungewöhnliche Gruppierung unternimmt auch Ernst Bücken: er spricht 1941 in seinem gänzlich nationalsozialistisch geprägten Buch Musik der Deutschen. Eine Kulturgeschichte der deutschen Musik von dem „Auftreten der ersten Wiener Schule um G. von Reutter, Monn und Wagenseil“10, später von der „klassischen Epoche“ und sogar von der „Wiener Hochklassik“11. Es kann hier nicht genauer auf die Entwicklung des Begriffs „Wiener Klassik“ zur Zeit des Nationalsozialismus eingegangen werden, aber auffallend ist doch, daß es 5 6
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Adolf Sandberger, Zur Geschichte des Haydnschen Streichquartetts (1900), in: ders., Ausgewählte Aufsätze zur Musikgeschichte, Bd. 1, München 1921, S. 224–265. Margarethe von Dewitz, Jean Baptiste Vanhal. Leben und Klavierwerke. Ein Beitrag zur Wiener Klassik, München 1933 (Diss. München 1932). – Kurt Westphal, Der Begriff der musikalischen Form in der Wiener Klassik. Versuch einer Grundlegung der Theorie der musikalischen Formung (= Veröffentlichung des Fürstlichen Instituts für musikwissenschaftliche Forschung zu Bückeburg 5. Stilkritische Studien 4), Leipzig 1935 (Diss. Berlin 1933). – Hans Sabel, Maximilian Stadlers weltliche Werke und seine Beziehungen zur Wiener Klassik (Masch. Diss. Köln 1941). Hans Joachim Moser, Die Epochen der Musikgeschichte im Überblick, Stuttgart–Berlin 1930, S. 122. Ders., Kleine Deutsche Musikgeschichte, Stuttgart 1938, S. 219. Ders., Lehrbuch der Musikgeschichte, Berlin 141959, S. 191. Ernst Bücken, Musik der Deutschen. Eine Kulturgeschichte der deutschen Musik, Köln 1941, S. 179, ebenso 196f. Ebenda S. 201.
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offensichtlich die Zeit war, in der der Begriff sich durchgesetzt hat. So wie ihn Moser in seinem gerade in Schulen sehr verbreiteten Lehrwerk als griffige Formel verwendet hat, so geschah es auch in Österreich nach dem Krieg mit dem im Österreichischen Bundesverlag für Unterricht, Wissenschaft, und Kunst erschienenen Lehrwerk von Fritz Högler, einer Geschichte der Musik in zwei Teilen: Teil 1 Von der Antike bis zur Wiener Klassik, Teil 2 Von der Wiener Klassik bis zur Gegenwart.12 Die weitere Karriere des Begriffs sei nur durch den Hinweis auf das Musikleben (Konzertreihen mit ausschließlich Werken der Wiener Klassik) und die Musikwirtschaft (insbesondere den Schallplattenmarkt) angedeutet. Aber auch in der Musikwissenschaft wurde der Begriff durch Hans Heinrich Eggebrechts Versuch über die Wiener Klassik 1972 gewissermaßen geadelt.13 In der DDR wurde er ebenso verwendet, etwa bei Walther Siegmund-Schultze im Bericht über die wissenschaftliche Konferenz zu den 26. Händelfestspielen der DDR in Halle (Saale) 1977 mit dem Thema Georg Friedrich Händel als Wegbereiter der Wiener Klassik.14 Nicht überblickt werden kann hier der englischsprachige Bereich, der eigene sprachliche Eigenheiten aufweist. Immerhin findet man auch hier die Bezeichnung „Viennese Classicism“ 15 in einer Musikgeschichte von 1976, dem Jahr, in dem auch Charles Rosen sein Buch über den klassischen Stil herausbrachte, auch dies eine Apotheose der „Wiener Klassik“ („the Viennese classical style“).16 Plakativ in entsprechenden Kapitelüberschriften taucht die „Wiener Klassik“ in einschlägigen Musikgeschichtsdarstellungen auf: in der Musikgeschichte Österreichs von Rudolf Flotzinger und Gernot Gruber 197917 und im Neuen Handbuch der Musikwissenschaft Band 5 (18. Jahrhundert) von Carl Dahlhaus 1985.18 Die inhaltlichen Strukturierungen und die Einschätzung der Stellung in der Musikgeschichte allerdings differieren erheblich, vor allem, was das Alleinstellungsmerkmal der „Wiener Klassik“ betrifft. Eine radikale Kritik am Konzept der „Wiener Klassik“ erfolgte 1991 durch James Webster, der Sandbergers Argumentation schlicht als „a fairy-tale“19 bezeichnet. Er macht auf die wissenschaftstheoretische Problematik solcher Geschichtskonstruktionen aufmerksam und lehnt Begriffe wie „Classical period“ und „Classical style“ auf Grund von „primarily conservative ideological implications for analysis and
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Fritz Högler, Geschichte der Musik, Teil 1: Von der Antike bis zur Wiener Klassik; Teil 2: Von der Wiener Klassik bis zur Gegenwart, Wien 1949/1951. Hans Heinrich Eggebrecht, Versuch über die Wiener Klassik. Die Tanzszene in Mozarts „Don Giovanni“ (= Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft 12), Wiesbaden 1972. Walther Siegmund-Schultze (Hg.), Georg Friedrich Händel als Wegbereiter der Wiener Klassik. Bericht über die wissenschaftliche Konferenz zu den 26. Händelfestspielen der DDR in Halle (Saale) am 24. u. 25. Juni 1977 (= Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Wissenschaftliche Beiträge 39), Halle 1977. Edith Borroff/Majory Irvin, Music in Perspective, New York etc. 1976. Charles Rosen, The Classical Style. Haydn, Mozart, Beethoven. Revised edition, London 1976. Rudolf Flotzinger/Gernot Gruber (Hg.), Musikgeschichte Österreichs, Bd. 2: Vom Barock zur Gegenwart, Graz etc. 1979, S. 115. Carl Dahlhaus (Hg.), Die Musik des 18. Jahrhunderts (= Neues Handbuch der Musikwissenschaft 5), Laaber 1985, S. 232 und 338. James Webster, Haydn’s „Farewell“ Symphony and the Idea of Classical Style, Cambridge 1991, S. 343.
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historical studies“ grundsätzlich ab.20 Die Diskussion um den Begriff hat dies nicht beendet, die Diskussion um Konstruktion und Dekonstruktion historischer Einheiten speziell dieser Zeitspanne hält an; neben die Untersuchung der sachlichen Grundlagen aber ist unabweisbar die Frage nach der Motivation des Argumentierenden getreten, also die Einbeziehung des Rezeptionsstandpunkts und seiner sozialen Funktion. In die Zeit des Aufstiegs einer Geschichtskonstruktion der „Wiener Klassik“ fällt die Ausbildung dessen, was wir heute als „Wiener Schule“ zu bezeichnen gewohnt sind. Martin Thrun hat Bekanntwerdung und Begriffsbildung der „Wiener Schule“ im deutschen Sprachgebiet beschrieben und festgestellt, daß es verschiedene Vorstufen gegeben hat. Hämisch wurde in Wien zunächst von „Schönberg-Clique“ gesprochen, unverfänglicher auch von „Schönbergianern“, „Schönbergs Schule“ oder „Schönberg-Schule“, „Schönbergkreis“ oder „Schönberggruppe“.21 Daneben kursierte seit den frühen 1910er Jahren auch der Ausdruck „Jungwiener Schule“, der tendenziell alle lebenden Wiener Komponisten bezeichnet hat, nicht speziell Schönberg und seine Schüler. Auch hier gab es noch keine Festlegung auf die zwei Meisterschüler Berg und Webern, vielmehr wurden eine ganze Reihe junger Leute diesem Kreis zugezählt: Karl Horwitz, Heinrich Jalowetz, Egon Wellesz, Erwin Stein, Robert Neumann, Karl Linke, Fritz Zweig, Paul Königer u. a. Der Ausdruck „Jungwiener Schule“ verdichtete sich bis etwa 1920 auf zwei innovative Wiener Kompositionsschulen, die ältere „Schönberg-Schule“ und die jüngere „SchrekerSchule“. Auch wurde er nun bereits gelegentlich abgekürzt zu „Wiener Schule“. Mit der Berufung Schrekers nach Berlin 1920 konzentrierte sich der Begriff auf Schönberg und seine Schüler. In diesem Sinne gebrauchten Hermann Erpf und Guido Adler bereits 1922 und 1924 den Begriff, während unter den „Schönbergianern“ der Ausdruck „Schönberg-Schule“ noch länger gebräuchlich blieb.22 Dabei war die Eigendefinition durchaus eindeutig. Zwar legte Arnold Schönberg durchaus auf die Selbständigkeit seiner Schüler Wert, aber wie schon Alban Berg in seinem ‚Wozzeck‘-Vortrag von 1929 ganz unbefangen von sich als Mitglied „der Wiener Schule (mit ihrem Führer Arnold Schönberg)“23 sprach, so bestätigte Schönberg dies später: „Man wird uns drei – Berg, Webern, Schoenberg – zusammen nennen müssen“24. Eine zentrale Persönlichkeit als gemeinsamer Bezugspunkt der Schule liegt in diesem Falle also dem Selbstverständnis der Mitglieder zugrunde, was allerdings auf die meisten bedeutenden Schüler Schönbergs zutraf. Welche Empha20 21 22 23 24
Ebenda S. 347. Martin Thrun, Neue Musik im deutschen Musikleben bis 1933, Bd. 1, Bonn 1995, S. 88. Christoph von Blumröder, Der Begriff „neue Musik“ im 20. Jahrhundert (= Freiburger Schriften zur Musikwissenschaft 12), München–Salzburg 1981, S. 89ff. Alban Berg, [Wozzeck-Vortrag von 1929], in: ders., Glaube, Hoffnung und Liebe. Schriften zur Musik, Leipzig 1981, S. 267. Arnold Schönberg, Lasst uns – für den Augenblick wenigstens – …, 1947 (Arnold Schönberg Center, Wien [T 58.01]).
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se dieses Selbstverständnis trug, ist dem Widmungsbuch zu entnehmen, das seine Schüler 1912, um Schönberg zu ehren, veröffentlichten. In deutlicher Entsprechung zu Kants Definition des Genies als Schule bildend – darauf hat Rudolf Stephan hingewiesen25 –, aber mit starkem religiösen Akzent schreibt darin Alban Berg: „Das Genie wirkt von vornherein belehrend. Seine Rede ist Unterricht, sein Tun ist vorbildlich, seine Werke sind Offenbarungen. In ihm steckt der Lehrer, der Prophet, der Messias; und der Geist der Sprache, der besser als der Geist derer, die sie misshandeln, das Wesen des Genies erfasst, gibt dem schaffenden Künstler den Namen ‚Meister‘ und sagt von ihm, dass er ‚Schule macht‘.“26
Eine weitere Verbreitung fand der Begriff „Wiener Schule“ jedoch zunächst nicht, in den Signalen für die Musikalische Welt und in der Zeitschrift für Musik habe ich den Begriff nicht finden können. Zunächst war also gar keine Abgrenzung zu der „Wiener klassischen Schule“ im Sinne Adlers notwendig geworden. Dieser für die neue Kompositionsbewegung durchaus aufgeschlossene Musikwissenschaftler war in seiner Begrifflichkeit nicht nachlässig, und so ist seine Formulierung besonders interessant: Er spricht in Bezug auf die zeitgenössischen Komponisten in Wien von einer „sich in unserer Zeit neu etablierenden Wiener Schule“27. Geht man davon aus, daß Adler „Die Wiener klassische Schule“ und die „Wiener Schule“ als Begriffe für das 18. Jahrhundert mit konstituiert hat, so liegt der Begriff einer „zweiten Wiener Schule“ nicht fern, er wurde von Adler jedoch nicht eingeführt, Berg und Webern kommen ausdrücklich in seiner Musikgeschichte noch gar nicht vor. Peter Rummenhöller verweist auf die Verwendung des Begriffs „Erste Wiener Schule“ für die „Vorklassik“,28 aber von einem beabsichtigten Bezug der Vorstellung einer „zweiten Wiener Schule“ auf dieses musikhistorische Vorbild kann nicht gesprochen werden. Die Begriffsbildung der „Wiener Schule“ im heutigen Sinne setzte nach dem Zweiten Weltkrieg ein. René Leibowitz brachte 1947 sein Buch Schoenberg et son école heraus29, Karl H. Wörner sprach in seinem Buch von 1949 in Entsprechung zu Adlers „Wiener klassischen Schule“ von Schönbergs „Wiener atonalen Schule“30. Egon Wellesz veröffentlichte 1960 einen Artikel über Arnold Schönberg und die Anfänge der Wiener Schule 31, ein Jahr später kam ein ganzes Sonderheft über Die
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Rudolf Stephan, Wiener Schule – Neue Musik. Überlegungen zu Begriff, Anfang und Ende, in: Hudební věda 41 (2004), S. 8. Beitrag von Alban Berg in: Arnold Schönberg. Mit Beiträgen von Alban Berg, Paris von Gütersloh, K. Horwitz, Heinrich Jalowetz, W. Kandinsky, Paul Königer, Karl Linke, Robert Neumann, Erwin Stein, Ant. von Webern, Egon Wellesz, München 1912, S. 89. Guido Adler, Handbuch der Musikgeschichte (Anm. 3), S. 902. Peter Rummenhöller, Art. Wiener Schule, in: Marc Honegger/Günther Massenkeil (Hg.), Das Große Lexikon der Musik, Bd. 8, Freiburg etc. 1982, S. 363. Rene Leibowitz, Schoenberg et son école, Paris 1947. Karl H. Wörner, Musik der Gegenwart. Geschichte der neuen Musik, Mainz 1949, S. 84–92. Egon Wellesz, Arnold Schönberg und die Anfänge der Wiener Schule, in: Österreichische Musikzeitschrift 15/5 (1960), S. 237–239.
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Wiener Schule und ihre Bedeutung für die Musikentwicklung im 20. Jahrhundert 32 heraus. Der eigentliche Impetus zur Durchsetzung des Begriffs dürfte aber von den Schriften Theodor W. Adornos ausgegangen sein. Zwar hat er in frühen Schriften von der „Wiener Schule“ als der Philosophie des „Wiener Kreises“ des logischen Empirismus oder Neopositivismus gesprochen, nur ganz ausnahmsweise einmal etwa von der „jungen Wiener Schule“ im Sinne des „Schönbergkreises“.33 Seit den 1950er Jahren häufen sich dann die Belege für die Verwendung des Ausdrucks „Wiener Schule“, in den Gesammelten Schriften finden sich etwa 80 Belegfälle, darunter auch die Bezeichnung „zweite Wiener Schule“ und – ein bezeichnender Einzelfall – die Bezeichnung „erste Wiener Schule“, als er von der durchbrochenen Arbeit der Klassiker als Vorbild für Alban Berg spricht.34 Etwa gleich häufig wie „Wiener Schule“ verwendet Adorno auch den Ausdruck „Schönbergschule“. Nun kann hier nicht für die verschiedenen Ausdrücke eine umfängliche, auf breiter Quellenbasis aufbauende Begriffsgeschichte gegeben werden, ich beschränke mich auf einschlägige musikwissenschaftliche Werke als wichtige Verdichtungspunkte des Wortgebrauchs, auf demonstrative Setzungen als Überschriften u. Ä. Winfried Zillig verwendet 1959 den Begriff „Wiener Schule“35, und erwähnenswert ist jedenfalls das Buch von Robert Schollum Die Wiener Schule. Entwicklung und Ergebnis aus dem Jahre 1969, hervorgegangen aus einer gleichnamigen Rundfunkreihe der Jahre 1967/68.36 Zu dieser Zeit war der Begriff schon geläufig, auch Josef Häusler verwendet ihn in seiner programmatischen Geschichte der Musik im 20. Jahrhundert. Von Schönberg bis Penderecki ganz selbstverständlich.37 Das Kolloquium zu Brno 1970 stand unter dem Motto The Viennese School and Czech music of the 20th century, Rudolf Stephan referierte über Haba and Schoenberg.38 Bereits zwei Jahre zuvor hatte Miloš Štedron in Brno einen Aufsatz über Leoš Janáček und die zweite Wiener Schule veröffentlicht (wobei er im Text nur von „Wiener Schule“ spricht).39 1971 erscheint in der Musikforschung ein Aufsatz von Reinhard Gerlach über Leos Janacek und die Erste und Zweite Wiener Schule 40. Es ist interessant zu beobachten, daß trotz der sachlichen Distanz, die konstatiert wird, doch immer die Verbindung zur klassischen Wiener Tradition hergestellt wird. Im Jahre 1990 hatte sich laut Otto Kolleritsch der Sprachgebrauch etabliert: 32 33 34 35 36 37 38 39 40
Die Wiener Schule und ihre Bedeutung für die Musikentwicklung im 20. Jahrhundert. Sonderheft Österreichische Musikzeitschrift 16/6–7 (1961). Theodor W. Adorno, Warum Zwölftonmusik?, in: ders., Musikalische Schriften V (= Gesammelte Schriften 18), Frankfurt am Main 1984, S. 115. Theodor W. Adorno, Berg. Der Meister des kleinsten Übergangs, in: ders., Die musikalischen Monographien (= Gesammelte Schriften 13), Frankfurt am Main 1971, S. 329. Winfried Zillig, Variationen über Neue Musik, München 1959, S. 140. Robert Schollum, Die Wiener Schule. Entwicklung und Ergebnis, Wien 1969. Josef Häusler, Musik im 20. Jahrhundert. Von Schönberg bis Penderecki, Bremen 21969, S. 14 passim. Rudolf Stephan, Haba and Schoenberg (The Viennese School in Czech music of the 20thc century), in: Rudolf Pečman (Hg.), Colloquium Musica Bohemica et Europaea Brno 1970, Brno 1972, S. 407–418. Miloš Štedron, Leoš Janáček und die zweite Wiener Schule, in: Acta Janáčekiana I, Brno 1968, S. 55–59. Reinhard Gerlach, Leoš Janáček und die Erste und Zweite Wiener Schule. Ein Beitrag zur Stilkritik seines instrumentalen Spätwerkes, in: Die Musikforschung 24/1 (1971), S. 19–34.
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„Heute ist der Begriff ‚Wiener Schule‘ so fest auf den Kreis um Arnold Schönberg bezogen, daß ihre Numerierung als Zweite entfallen kann und zugleich ist sie ästhetisch programmatisch mit der Wiener Klassik, der möglichen Ersten Wiener Schule also, verbunden, die übrigens die Schönberg-Generation als selbstverständlich die ‚erste‘ empfand und nicht die Vorklassik, von der Guido Adler sprach“.41
Abgesehen davon, daß die Begrifflichkeit Adlers hier nicht ganz richtig wiedergegeben wird, charakterisiert Otto Kolleritsch das Ergebnis aus dem Aufstieg des Begriffs „Wiener Klassik“ (entwachsen der „Wiener klassischen Schule“ oder „Ersten Wiener Schule“) und der programmatischen Umbenennung des Schönbergkreises in „Zweite Wiener Schule“. Der Name zielt unabweislich auf die Legitimation seiner Mitglieder als wahre Nachfolger Haydns, Mozarts und Beethovens. Dieses Programm wurde gerne in wissenschaftlichen und künstlerischen Veranstaltung thematisiert, die Tagung von Kolleritsch 1990 war nicht zufällig mit einem gleichnamigen Festival verbunden: „Die Zweite Wiener Schule und Beethoven“. Dies problematisieren Rudolf Flotzinger und Gernot Gruber in ihrer Musikgeschichte Österreichs; zuerst bringen sie den Ausdruck „Erste Wiener Schule“ als Kolumnentitel und bezeichnen damit die „Wiener vorklassische Schule“.42 Erst später, im Kapitel Die Avantgarde, erläutern sie die Begriffe „erste“ und „zweite Wiener Schule“.43 Sie schreiben letzterem einen „Anruch der Apologetik oder Polemik“ zu, da die Anspielung „tendenziös auf die klassische Tradition hin gerichtet“ sei. Bemerkenswerterweise fehlt die Unterscheidung „erste/zweite“ in der späteren Auflage von 1995,44 eine Tendenz, die sich im Deutschen im Unterschied zum Englischen fortgesetzt hat.45 Die gelegentlich zu findende Bezeichnung „Neue Wiener Schule“ hat sich nicht durchgesetzt. 46 Dagegen häufen sich in den 1980er Jahren die einschlägigen Buchtitel,47 und noch dichter wird die Reihe in den 1990er Jahren.48 41
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Otto Kolleritsch, Die Zweite Wiener Schule und Beethoven. Ein Versuch über die Selbstbefreiung von Musik, in: ders. (Hg.), Beethoven und die Zweite Wiener Schule (= Studien zur Wertungsforschung 25), Wien–Graz 1992, S. 215. Bereits zuvor ist der Begriff in Graz geläufig: Otto Kolleritsch (Hg.), Alexander Zemlinsky. Tradition im Umkreis der Wiener Schule (= Studien zur Wertungsforschung 7), Wien 1976. Flotzinger/Gruber (Hg.), Musikgeschichte Österreichs, Bd. 2 (Anm. 17), S. 92f. Ebenda. Rudolf Flotzinger/Gernot Gruber (Hg.), Musikgeschichte Österreichs, Bd. 3: Von der Revolution 1848 zur Gegenwart, Wien etc. 21995, S. 147. Bryan R. Simms (Hg.), Schoenberg, Berg, and Webern. A Companion to the Second Viennese School, Westport/Conn. 1999. – Lorraine Gorrell, Discordant Melody. Alexander Zemlinsky, His songs, and the Second Viennese School (= Contributions to the Study of Music and Dance 64), Westport/Conn. etc. 2002. Neue Wiener Schule – Alban Berg – Arnold Schönberg – Anton Webern. Neun Konzerte und Opernabende, Musikfest Basel 13. Mai bis 2. Juni 1973, durchgeführt vom Verein für Basler Kunst- und Musikveranstaltungen, Basel 1973. Im Text (S. 3) wird ohne weitere Erläuterung nur von der „Zweite[n] Wiener Schule“ gesprochen. – Angelika Abel, Die Zwölftontechnik Weberns und Goethes Methodik der Farbenlehre. Zur Kompositionstheorie und Ästhetik der Neuen Wiener Schule (= Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft 19), Wiesbaden 1982. – Volker Kalisch, „...ich konnte nur gelegentlich bei entscheidenden Manifestationen dabeisein“. Willi Reich als Musikhistoriograph der Neuen Wiener Schule, in: Schweizer Jahrbuch für Musikwissenschaft, Neue Folge 13/14 (1993/94). Carl Dahlhaus (Hg.), Die Wiener Schule heute. Neun Beiträge (= Veröffentlichungen des Instituts für Neue Musik und Musikerziehung Darmstadt 24), Mainz 1983 – Rudolf Stephan/Sigrid Wiesmann (Hg.), Bericht über den
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Auffallend sind nicht nur die fortgesetzten Apologien der „Wiener Schule“,49 sondern auch sehr oft unreflektierte Verwendungen des Begriffes, synonym mit anderen hier bereits genannten Ausdrücken.50 Im Fokus des Interesses steht die Darstellung der Komponisten Schönberg, Berg und Webern, die ohne weitere Erklärung zusammengebracht werden, so wie es besonders kraß in der Bündelung der drei Komponistenartikel aus The New Grove in einer eigenen Publikation in englischer und deutscher Sprache unter dem Titel Second Viennese School 51 bzw. Die zweite Wiener Schule geschehen ist.52 Differenzierter geht beispielsweise Hartmut Krones vor, wenn er ähnliche musiksemantische Traditionen in den beiden Wiener Schulen feststellt.53 Bei speziellen Fragestellungen, etwa der musikalischer Aufführungen, wird der Kreis der bezeichneten Personen auch größer gezogen.54 Auffallend aber ist, daß es nicht annähernd so viele Auseinandersetzungen zur Begründung der „Wiener Schule“ als Schule gibt wie bei dem Konstrukt der „Wiener Klassik“. Sicher spielt das Phänomen „Schönberg als Lehrer“, der schulbildend wirkt, eine große Rolle; darauf verweist Rudolf Stephan in der Einleitung zum Sammelband Die Wiener Schule in der Reihe Wege der Forschung.55 Eingehender behandelt Reinhold Brinkmann die Frage anläßlich der Eröffnung der Tagung des
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2. Kongreß der Internationalen Schönberg-Gesellschaft. „Die Wiener Schule in der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts“. Wien, 12. bis 15. Juni 1984 (= Publikationen der Internationalen Schönberg-Gesellschaft 2), Wien 1986. – Reinhard Gerlach, Musik und Jugendstil der Wiener Schule. 1900–1908, Laaber 1985. – Rudolf Stephan, Die Wiener Schule (= Wege der Forschung 643), Darmstadt 1989. – Otto Kolleritsch (Hg.), Die Wiener Schule und das Hakenkreuz. Das Schicksal der Moderne im gesellschaftspolitischen Kontext des 20. Jahrhunderts (= Studien zur Wertungsforschung 22), Wien–Graz 1990. Otto Kolleritsch (Hg.), Beethoven und die Zweite Wiener Schule (Anm. 41). – Mark Delaere, Funktionelle Atonalität. Analytische Strategien für die frei-atonale Musik der Wiener Schule (= Veröffentlichungen zur Musikforschung 14), Wilhelmshaven 1993. – Horst Weber (Hg.), Alexander Zemlinsky. Briefwechsel mit Arnold Schönberg, Anton Webern, Alban Berg und Franz Schreker (= Briefwechsel der Wiener Schule 1), Darmstadt 1995. – Die von Friedrich C. Heller herausgegebenen Bände Studien zur Wiener Schule 1 (= Musikleben. Studien zur Musikgeschichte Österreichs 4), Frankfurt am Main 1996, und Studien zur Wiener Schule 2 (= Musikleben. Studien zur Musikgeschichte Österreichs 6), Frankfurt am Main 1997. – Matthias Schmidt, Theorie und Praxis der Zwölftontechnik. Ernst Krenek und die Reihenkomposition der Wiener Schule, Laaber 1998. – Hartmut Krones (Hg.), Struktur und Freiheit in der Musik des 20. Jahrhunderts. Zum Weiterwirken der Wiener Schule (= Wiener Schriften zur Stilkunde und Aufführungspraxis. Sonderreihe Symposien zu Wien Modern 2), Wien etc. 2002. Manfred Wagner, Wiener Klassik und Wiener Schule. Kernepochen der zentraleuropäischen Musikgeschichte, in: Österreichische Musikzeitschrift 60/1–2 (2005), S. 17–24. Einen umfangreicheren und klärenden Lexikonartikel bringt erst Rudolf Stephan, Art. Wiener Schule, in: Ludwig Finscher (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik begründet von Friedrich Blume. Zweite, neubearbeitete Ausgabe, Sachteil Bd. 9, Kassel etc. 1998, Sp. 2034–2045. Oliver Neighbour/Paul Griffiths/George Perle, Second Viennese School. Schönberg, Webern, Berg (= The New Grove. The Composer Biography Series), London etc. 1985. Oliver Neighbour/Paul Griffiths/George Perle, Schönberg, Webern, Berg. Die zweite Wiener Schule (= The New Grove. Die großen Komponisten), Stuttgart–Weimar 1992. Hartmut Krones, „Wiener“ Symbolik? Zu musiksemantischen Traditionen in den beiden Wiener Schulen, in: Kolleritsch (Hg.), Beethoven und die Zweite Wiener Schule (Anm. 41), S. 51–79. Markus Grassl/Reinhard Kapp (Hg.), Die Lehre von der musikalischen Aufführung in der Wiener Schule. Verhandlungen des Internationalen Colloquiums Wien 1995 (= Wiener Veröffentlichungen zur Musikgeschichte 3), Wien–Köln–Weimar 2002. Stephan, Die Wiener Schule (Anm. 47).
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Instituts für Neue Musik und Musikerziehung Darmstadt 1983.56 Er schreibt der Wiener Schule eine besondere „Einheit des Denkens und Glaubens“ zu, benennt aber auch das Trennende in künstlerischer und persönlicher (politischer) Hinsicht. Er stellt über Berg und Webern hinaus dezidiert die Frage nach der Zugehörigkeit zur Wiener Schule auch in gradueller Abstufung (mit besonderem Hinweis auf Amerika), benennt als Wirkungsfelder neben der Komposition auch die Aufführungspraxis und die ästhetische Theoriebildung. Letztere hat für die Wiener Schule Theodor W. Adorno übernommen, wozu Brinkmann schreibt: „Nicht nur ist das Bild der Wiener Schule nach dem Zweiten Weltkrieg entscheidend von Adorno geprägt worden, ihre internationale Geltung als eine der großen ästhetischen Konzeptionen in der Kunst des 20. Jahrhunderts überhaupt hat wesentlich Adorno vermittelt. [...] Daß Intellektuellen nach dem Zweiten Weltkrieg, gerade auch solchen, die nicht Musiker waren, die Musik Schönbergs und Weberns als kritische Instanz einer gesellschaftlichen Wahrheitsfindung durch Kunst galt, ist allein den Schriften Adornos zu danken.“57
Zu diesem Ansatz gehört auch ein Projekt zur Wiener Schule Arnold Schönbergs in einem Graduiertenkolleg „Ästhetische Bildung“ an der Universität Hamburg in den 1990er Jahren, über dessen Ergebnis mir nichts vorliegt.58 Die Prägung der „Wiener Schule“ durch Adorno ist gewiß ein Thema, das noch nicht ausreichend behandelt ist, geht es hier doch über die Frage des Selbstverständnisses und der inhaltlich musikalischen Begründung weit hinaus in den Bereich der gesellschaftlichen „Geltung“, was immer dieses Wort bedeuten mag. Geht man von der Ethik des Hermann Lotze aus, so geht es um die objektive Geltung ethischer Werte, d. h. eine moralische Verpflichtung. Nun sind gerade die hohe Einschätzung und die Bedeutung der „Wiener Klassik“ auf die lange verbreitete und gesellschaftlich verbürgte Auffassung von ihrer „Geltung“ zurückzuführen, man denke nur an die schulische Vermittlung. Und gerade dieser Gedanke soll offenbar auch auf die „Wiener Schule“ übertragen werden, man betrachte nur die Einrichtung des „Instituts für Neue Musik und Musikerziehung, Darmstadt“. Inwieweit dies wissenschaftlich zu begründen ist, stellt eine Grundfrage der Wissenschaftsauffassung dar. Es macht die Kritik Websters an der „Wiener Klassik“ so virulent, eine Kritik, der Adornos Bild der „Wiener Schule“ erst noch zu unterziehen wäre. Auffallend ist das Wort „Kunstreligion“, das im Zusammenhang mit Schönbergs Musikdenken neuerlich auftaucht.59 Es liegt eigentlich nicht fern, wenn der Bedeutung der „Wahrhaftigkeit“ in Schönbergs Musikdenken Rechnung getragen wird, es liegt aber andererseits auch nahe auf Grund der allgemeinen gesellschaftlichen Funktion der Kunstmusik zu Lebzeiten Schönbergs. In den letzten 56 57 58
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Reinhold Brinkmann, Einleitung am Rande, in: Dahlhaus, Die Wiener Schule heute (Anm. 47), S. 9–18. Ebenda S. 16. Thomas Schäfer, Die „Wiener Schule“ Arnold Schönbergs. Überlegungen zum Schulbegriff, in: Gottfried Krieger/Matthias Spindler (Hg.), Musik als Lebensprogramm. Festschrift für Constantin Floros zum 70. Geburtstag, Frankfurt am Main 2000, S. 183–192. Ebenda S. 192.
Zur Rezeption von „Wiener Klassik“ und „Wiener Schule“ als Schule
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Jahren hat sich immer stärker der Begriff „Kunstreligion“ für das eingebürgert, was Carl Dahlhaus als Musik „im emphatischen Sinne“ zu bezeichnen pflegte, was im Musikleben als „E-Musik“ bezeichnet wird. Der „Kultus“ um die Wiener Klassiker, wie er sich im 19. Jahrhundert entwickelt hat, hat sich im 20. Jahrhundert trotz gegenläufiger Strömungen im weiteren Bereich der Jugendbewegung durchgesetzt. (Dies muß hier nicht weiter ausgeführt werden.) Wenn also die Musik eine „kritische Instanz einer gesellschaftlichen Wahrheitsfindung“ (Brinkmann) darstellt oder als „authentische“ Musik Erkenntnischarakter besitzt (Adorno), mithin die Funktion von Glaubenswahrheit, d. h. einer Kirche, erfüllt, dann bedeutet die ästhetische Theorie deren Exegese. Diese hat zuerst die wahren Quellen von den falschen zu unterscheiden, eine rechte Auslegung der heiligen Texte zu formulieren und für einen angemessenen, würdigen Umgang mit den Gegenständen der Verehrung/Anbetung zu sorgen. Doch eines ist klar: Der gesamte komplizierte Bau hängt einzig von der Anfangsentscheidung ab, ob es sich um „wahre Kunstmusik“ handelt oder nicht. Die innere Ausgestaltung des Glaubensgebäudes hat weniger mit Erkenntnis zu tun als mit Überzeugungskunst. Die Geschichten, die um die heiligen Gegenstände gesponnen werden, werden üblicherweise Legenden genannt, es ist aber genau das, was Webster „fairy-tale“ nennt.60 Letztlich muß sich auch die Religion vom Historiker leidenschaftslos auf ihre gesellschaftliche Bedeutung hin befragen zu lassen. Sicher kann festgestellt werden, daß die „Wiener Klassik“ als Pendant zur „Weimarer Klassik“ eine lange und eindrucksvolle Rezeptionsgeschichte aufzuweisen hat. Schwieriger ist es mit der „Wiener Schule“. Außerhalb des Kreises der Musikwissenschaft und einiger angrenzender sympathisierender Gruppen ist „Wiener Schule“ ein von vielfältigen Bedeutungen belegter Begriff. In der Brockhaus Enzyklopädie von 1974 finden sich unter dem Stichwort „Wiener Schule“ folgende Bereiche aufgeführt: Philosophie, Psychologie, Rechtswissenschaft, Völkerkunde, Volkswirtschaftslehre, nicht Musik!61 Geht man heute auf Suche im Internet, so findet man „Wiener Schule“ als Bezeichnung für verschiedene, in Wien wirkende oder entstandene akademische Schulen in folgenden Fachgebieten: Zunächst drei Wiener Schulen der Psychotherapie, sodann die Wiener medizinische Schule, die Wiener Schule der Musiktherapie, die Wiener Schule der operativen Gynäkologie, die Wiener Schule der Nationalökonomie, die Wiener Schule der Motivforschung, Guido Adler und die Wiener Schule der Musikwissenschaft, die Wiener Schule der Entwicklungspsychologie, die Wiener Schule der Nationalökonomie, die Wiener Schule des Phantastischen Realismus, die Wiener Schule der Kunstgeschichte, die Wiener Schule der Geschichtswissenschaft, die Wiener rechtstheoretische Schule, die Wiener Theologische Schule des 19. Jahrhunderts, die Wiener Dialektologische Schule, die Wiener Schule der Theorie der Evolution und schließlich auch die zwei Wiener Schulen der Musik. Auf eine direkte Identifizierung des Begriffs mit einem musikalischen Phänomen 60 61
Webster, Haydn’s „Farewell“ Symphony (Anm. 19), passim. Brockhaus Enzyklopädie in zwanzig Bänden, Wiesbaden 171974.
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Helmut Loos
kann in der Öffentlichkeit nicht gerechnet werden. Daraus folgt die Frage, inwieweit sich ein Wissenschaftler im Sinne eines bestimmten Sendungsbewußtseins in den Dienst der Propagierung einer Glaubensgemeinschaft stellen darf. Neben die Untersuchung der sachlichen Grundlagen ist unabweisbar die Frage nach der Motivation des Argumentierenden getreten, also die Einbeziehung des Rezeptionsstandpunkts und seiner sozialen Funktion.
PETER ANDRASCHKE (Perchtoldsdorf)
Volkstümlichkeit (Ländler, Walzer, Marsch) in der Wiener Klassik und in der Wiener Schule 1. Volks- und Unterhaltungsmusik als Inspirationsquelle Der Einbezug von Volksmusikalischem ist in der abendländischen Kunstmusik seit dem Mittelalter zu finden und reicht bis in die Gegenwart. So bringt beispielsweise Vinko Globokar in Sternbild der Grenze für 18 Musiker, 5 Sänger, Mezzosopran und Bariton Solo, dem dritten Teil seines Triptychons Les Emigrés (1982–85), auf zahlreichen Mundharmonikas gespielte Intonationen slowenischer Folklore ein. Sie sind ihm wichtig, um einen Heimatbezug sinnfällig zu machen. Aber zu Globokar und seinen Zeitgenossen führt, anders als zu den Komponisten der Wiener Schule, keine kontinuierliche Rezeption mehr. Denn dazwischen liegen gegenläufige Entwicklungen im Bereich der Moderne.1 Insbesondere bedeutete ein extremes avantgardistisches Denken, für das der Darmstädter Kreis einen Ausgangspunkt bildete, einen Bruch. Hier wurde die Absicht, sich von Werten der Tradition zu lösen, radikal konzipiert. Deshalb sind etwa bei Luigi Nono sowie bei seinen deutschen Schülern Helmut Lachenmann und Nicolaus A. Huber kompositorische Hinweise auf Folkloristisches in der Bandbreite zwischen Zitat und Idiom stets ein notwendiges, der avantgardistischen Kompositionsart jedoch fremdes und zuweilen mit ihr unvereinbares semantisches Mittel, um Kultur- und Gesellschaftspolitisches herauszuarbeiten.2 Entsprechendes kann man bei Karlheinz Stockhausen, Hans Werner Henze, Luciano Berio, Mauricio Kagel und vielen anderen beobachten. Bei den Komponisten der Wiener Schule hingegen finden wir noch einen selbstverständlichen Umgang mit Volks- und Unterhaltungsmusik, der als Tradition zumindest bis zur Wiener Klassik zurückreicht. Das betrifft die Auswahl der Texte (z. B. Peter Rosegger 3, Des Knaben Wunderhorn 4), vor allem aber die Rezeption musikalischer Gattungen wie Ländler, Walzer und Marsch. Das Zitat und die Integration
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Peter Andraschke, Moderne. VI. Musik, in: Gert Ueding (Hg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 5, Tübingen 2001, Sp. 1415–1422. Peter Andraschke, Das revolutionär-politische Zitat in der avantgardistischen Musik nach 1965, in: Musik und Bildung 11/5 (1979), S. 313–318. Peter Andraschke, Webern und die Volkstümlichkeit, in: Hartmut Krones (Hg.), Anton Webern. Persönlichkeit zwischen Kunst und Politik (= Wiener Schriften zur Stilkunde und Aufführungspraxis, Sonderband 2), Wien– Köln–Weimar 1999, S. 25–41. Peter Andraschke, Der schwierige Umgang mit dem Volkstümlichen. Über die „Drei Lieder“ op. 18 von Anton Webern, in: Rudolf Flotzinger (Hg.), Fremdheit in der Moderne (= Studien zur Moderne 3), Wien 1999, S. 85– 108.
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Peter Andraschke
des Kärntner Ländlerliedes „A Vögele af’n Zweschpm-bam“ in Alban Bergs Violinkonzert (1935)5 ist ein überzeugendes Beispiel. 2. Wolfgang Amadeus Mozart: „[...] ich bin kein tanzer, ich kan es aber durch töne [...]“6
Nachdem Mozart am 6. Dezember 1787 von Kaiser Joseph II. zum k. k. Kammerkompositeur ernannt worden war, gehörte es zu seinen Aufgaben, für die Bälle in den Redoutensälen Wiens, hauptsächlich in der Faschingszeit, Tanzmusik zu schreiben. Er komponierte Menuette, Kontretänze, vor allem aber „Deutsche“. Letztgenannte bilden in der Volksmusik eine Gruppe von Tänzen mit zahlreichen und unterschiedlichen choreographischen und musikalischen Ausprägungen. Sie sind mit dem Ländler verwandt, nach anderer Auffassung gehören sie zur Familie des Ländlers.7 Nach Rudolf Flotzinger entspricht der Deutsche als Gesellschaftstanz zur Zeit Joseph Haydns und Wolfgang Amadeus Mozarts dem Ländler, zur Zeit Ludwig van Beethovens und Franz Schuberts dem Walzer.8 In Mozarts Werkverzeichnis finden sich Deutsche Tänze erst ab 1787. Die drei Tänze Menuett, Kontretanz und Deutscher gehörten ursprünglich zu unterschiedlichen sozialen Schichten, wie noch die Tanzszene in Mozarts Don Giovanni veranschaulicht. Hier tanzt das adlige Paar Don Ottavio und Donna Anna ein Menuett, Don Giovanni und die junge Bäuerin Zerlina einen Kontretanz im 2/4Takt und die Dienstboten „teitsch“ im raschen 3/8-Takt; Anweisung im Part des Leporello: „Balla la Teitsch con MASETTO“. Diese Hierarchie von Adel, Bürgertum und einfachem Volk hatte z. B. in den 1770er Jahren der Engländer John Moore in seinem Abriß des gesellschaftlichen Lebens [...] in Frankreich, der Schweiz und Deutschland beschrieben.9 Doch war die soziale Zuordnung bereits zur Zeit der Komposition des Don Giovanni brüchig und durchlässig geworden. An der aufkommenden Dominanz des Deutschen Tanzes und dem gleichzeitigen Rückgang der Menuettkompositionen beim späten Mozart kann man einen Wandel im Tanzmilieu erkennen. Es ist der Geschmack des bürgerlichen Ballpublikums, der die damals aktuelle Tanzmode bestimmte und dem sich der Adel zunehmend anschloß.
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Abgedruckt bei Rudolf Stephan, Alban Berg. Violinkonzert (1935) (= Meisterwerke der Musik. Werkmonographien zur Musikgeschichte 49), München 1988, S. 42. Brief von Wolfgang Amadeus Mozart aus Mannheim vom 8. November 1777 an seinen Vater Leopold Mozart, zit. nach Mozart. Briefe und Aufzeichnungen. Gesamtausgabe, hrsg. von der Internationalen Stiftung Mozarteum Salzburg. Gesammelt und erläutert von Wilhelm A. Bauer und Otto Erich Deutsch, Bd. 2, Kassel etc. 1962, S. 111. Rainer Gstrein, Deutsche Tänze, in: Walter Salmen (Hg.), Mozart in der Tanzkultur seiner Zeit, Innsbruck 1990, S. 117. Rudolf Flotzinger, Belege zum Alter des Ländlers, in: Walter Deutsch/Gerlinde Haid/Arnold Blöchl (Hg.), Beiträge zur Volksmusik in Oberösterreich, Bd. 1, Wien 1982, S. 69–76. Helmut Günther, Tanzunterricht in Deutschland – eine kultursoziologische Studie, Berlin 1970, S. 27.
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Unter den Deutschen Tänzen von Mozart findet sich die Sammlung Sechs Ländlerische Tänze, KV 606, datiert Wien, 28. Februar 1791 (Beispiel 1). In der Neuen Mozart-Ausgabe merkt Marius Flothuis an: „Der Bläsersatz ist nicht erhalten.“
Beispiel 1: Wolfgang Amadeus Mozart, Sechs Ländlerische Tänze, KV 606, Nr. 3.
Der überlieferte dreistimmige Satz für zwei Violinen und Bässe ist aber bereits allein für sich sinnvoll, und seine Struktur erinnert auffallend an die Musik der sogenannten Linzer Geiger, die zur Mozartzeit auf Donauschiffen nach Wien kamen, um mit ihrer Ländlermusik für wenig Geld aufzuspielen. Ihre Besetzung bestand aus zwei Geigen (eine melodieführende, eine begleitende) und Kontrabaß. Oft erhielten die Musiker nur ein Essen, weshalb sie „Bratlgeiger“ genannt wurden. Mozart kannte diese Tanzmusik, denn sie erschien auch im Druck, und nach diesen Noten wurde musiziert; desgleichen existieren Bearbeitungen für Klavier. Eine Ausgabe von Mozarts Ländlerischen Tänzen in dieser dreistimmigen Besetzung erschien 1795 in Wien bei Artaria et Comp.: VI Ländlerische Taenze für zwey Violin und Basso von W. A. Mozart.10 Sie ist im Köchelverzeichnis nicht vermerkt, dort ist nur ein im selben Jahr bei Artaria gedruckter Klavierauszug genannt.11 Die gleiche Besetzung und Struktur haben auch Ludwig van Beethovens Sechs Ländlerische Tänze für zwei Violinen und Baß, WoO 15, aus dem Jahr 1802, die im September des gleichen Jahres bei Artaria erschienen sind (Beispiel 2). Übrigens haben auch der Kontretanz und der Deutsche im Don Giovanni diese einfache Besetzung, im Gegensatz zum aufwendiger instrumentierten Menuett.
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Siehe Abbildung 73 in: Walter Salmen (Hg.), Mozart in der Tanzkultur seiner Zeit, Innsbruck 1990, S. 124. Ludwig Ritter von Köchel, Chronologisch-thematisches Verzeichnis sämtlicher Tonwerke Wolfgang Amadé Mozarts, bearbeitet von Franz Giegling, Alexander Weinmann, Gerd Sievers, Wiesbaden 61964, S. 693.
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Beispiel 2: Ludwig van Beethoven, Sechs Ländlerische Tänze für zwei Violinen und Baß, WoO 15, Nr. 3.
Die Ländlerischen Tänze von Mozart und Beethoven stehen ebenso wie die Deutschen Tänze dieser Komponisten im 3/4-Takt.12 Sie und auch die Kontretänze sind aus regelmäßigen achttaktigen Abschnitten gefügt. Das hängt mit der Choreographie zusammen, denn die Tanzfiguren umfassen jeweils genau acht Takte, im Gegensatz zum Menuett, das auf zweitaktigen Einheiten basiert und daher zu verschieden langen Phrasen gefügt werden kann. In der periodischen Struktur kann man ein Öffnen und Schließen der Bewegung im Harmonischen und Melodischen beobachten. Der Ländler wird in der Folgezeit zum Haupttanz einer weitverzweigten Tanzfamilie, die die Wissenschaft nach geographischen, choreographischen und musikalischen Kriterien sowie auf Grund verschiedener Spielweisen zu systematisieren versucht. Doch existieren mannigfache Überschneidungen. Die kompositorische Rezeption des Ländlers führt über Franz Schubert, als dem mit zahlreichen Beispielen wichtigsten Komponisten, und über symphonische Ausformungen bei Anton Bruckner und Gustav Mahler hin zur Wiener Schule. Hier scheint vor allem Schuberts Ländlerton ein wichtiger Bezugspunkt zu sein. Erinnert sei an die Bearbeitungen Anton Weberns von Schuberts Deutschen Tänzen, D 820, für Orchester, die er wiederholt dirigiert hat, z. B. am 29. Dezember 1932 mit dem Frankfurter Rundfunkorchester. Schönberg lobte die Partitur in einem Brief vom 11. Oktober 1931: „Sie entspricht wirklich in allem den Erwartungen, die man sich von Deinem feinen Gehör macht und muss entzückend klingen. Dabei ist sie staunenswert einfach, einheitlich im Stil und zart, wie ein echter Webern: das Beste, was man sagen kann!“13 12 13
Eine Ausnahme bilden bei Mozart die Sechs Deutschen Tänze, KV 509, die er für Prag komponierte und die einen speziellen zyklischen Charakter haben; es sind seine ersten Deutschen. Wienbibliothek im Rathaus (I.N. 185.528); veröffentlicht in: Hans und Rosaleen Moldenhauer, Anton von Webern. Chronik seines Lebens und Werkes, Zürich 1980, S. 399.
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3. Anton Weberns Folklorerezeption In Ergänzung zu seinem Tagebucheintrag Wien, 9. März 1942, schreibt Luigi Dallapiccola mehr als zwei Jahrzehnte später: „Was mir 1942 unverständlich erschien, ist heute allen klar, die mit Anton Weberns Werk vertraut sind. Ohne alle Anstrengung sehen wir, wieviel er der Tradition, dem ‚Ländler‘ verdankt [...].“14
In Weberns Kompositionen kann man immer wieder Bezugnahmen auf Volksmusikalisches entdecken, auch wenn dies auf Grund der kompositorischen Stilisierung oft nicht unmittelbar zu hören ist. So hat er dem Geiger Rudolf Kolisch, Schönbergs Schwager, folgende Hinweise für die Interpretation seines zwölftönigen Streichquartetts, op. 28 (1937–38), gegeben: „Der erste Satz [in der Druckfassung ist es der zweite, Anm. d. Verf.] nun ist ein Miniatur-Rondo, oder eben auch ein Scherzo mit Trio! [...] Nun kommt das zweite Thema des Satzes, gewissermaßen das Trio. (Ein 3/8 gegenüber einem 2/4 – wie ein langsamer Walzer zu einer ganz bedächtigen Polka; das Tempo dieser Polka ist sehr heiklig, muß ganz, ganz ‚gemächlich‘, so meine tempo-Vorschrift, sein.) Also dieses 2. Thema: es ist periodisch geformt, aber auch hier alles canonisch, sich spiegelnd usw.“15
Vielleicht vermag es eine speziell darauf abzielende Interpretation, den Volkston wieder erahnen zu lassen. Anton Webern, Kinderstücke Weberns Kinderstück für Klavier, M 267, komponiert im Herbst 192416, hat die Vortragsbezeichnung „Lieblich“. Die gleiche Anweisung trägt das Fragment eines frühen Entwurfs zu einem weiteren Kinderstück, M 266. Es steht gleichfalls im 3/4Takt und ist im Satztypus durch seinen walzermäßigen Duktus mit M 267 verwandt.17 Angeregt durch seinen Verleger Emil Hertzka von der Universal-Edition in Wien, plante Webern eine Sammlung von Klavierstücken für Kinder, die er aufgrund seiner Arbeit an den Liedern op. 16 und 17 unterbrach und schließlich liegenließ. Möglicherweise gehört das aus dem Nachlaß edierte Klavierstück, M 277, mit der 14 15 16
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Luigi Dallapiccola, Begegnung mit Anton Webern, in: Melos 32/4 (1965), S. 117, Tagebucheintrag Wien, 9. März 1942. Brief von Webern an Rudolf Kolisch vom 19. April 1938; zit. nach Ursula von Rauchhaupt (Hg.), Schönberg. Berg. Webern. Die Streichquartette der Wiener Schule. Eine Dokumentation, Hamburg 1971, S. 133. Anton Webern, Kinderstück, New York 1964, veröffentlicht bei Carl Fischer, Inc.; Faksimile der ersten Seite bei Felix Meyer, Anton Webern: Kinderstück M. 267, 1924, in: Gottfried Boehm/Ulrich Mosch/Katharina Schmidt (Hg.), Canto d’amore. Klassizistische Moderne in Musik und bildender Kunst 1914– 1935, Basel 1996, S. 356. Skizze von Anton Webern in der Paul Sacher Stiftung, Basel (Sammlung Anton Webern, Mappe 49, S. [1]); Faksimile bei Meyer, Anton Webern: Kinderstück (Anm. 16), S. 357, und bei Regina Busch, Über die Transkription einer Skizzenseite von Anton Webern, in: TextKritische Beiträge, Heft 9: Textkonstitution (2004), S. 25–45, Faksimile S. 39.
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Vortragsbezeichnung „Im Tempo eines Menuetts“18 zu dieser geplanten Reihe, wie Regina Busch vermutet. Rechts oben über der Skizze zum Kinderstück, M 266, hat Webern Stichworte für weitere Kinderstücke notiert (Beispiel 3). Er faßte diese frühen Überlegungen für eine spätere Auswahl in fünf nebeneinander stehenden Rubriken zusammen, dachte zunächst an „Charakterstücke / mit Titel / ohne“, nennt aber nur wenige: ein Naturbild „Wintergrün“, „Melodie“ und „Etude“. Häufiger vermerkt sind einzelne Gattungen und Formen, die ihn und die Komponisten der Wiener Schule prinzipiell interessiert haben: Variation (gesondert ist zusätzlich die Choralvariation genannt), diverse kontrapunktische Formen (Passacaglia, Kanon und als Satzpaar „Präludium u. Fuge“) und auffallend viel Tänzerisches: Walzer, Polka, Musette, Menuett, Ländler, Reigen und Mazurka.
Beispiel 3: Anton Webern, Kinderstück für Klavier, M 266, Ausschnitt (Paul Sacher Stiftung Basel, Sammlung Anton Webern).
4. Volks- und Unterhaltungsmusik bei Arnold Schönberg Das Einbeziehen von Volks- und volkstümlicher Musik in Kompositionen war den in Österreich wirkenden Komponisten seit jeher selbstverständlich. An Folklore ist es insbesondere das Volkslied (Text und Musik) und die instrumentale Volksmusik (Ländler, Walzer und Marsch). Arnold Schönberg und seine Schüler haben ein je unterschiedliches Verhältnis zur Folklore und zur Unterhaltungsmusik. Das ist nicht in den verschiedenen Generationen, sondern in der Herkunft und Biographie begründet: Schönberg wuchs in der Großstadt Wien auf, ebenso wie Alban Berg, der jedoch aus einer reichen Kaufmannsfamilie stammt und für den die regelmäßigen Sommeraufenthalte auf dem familieneigenen „Berghof“ am Ossiacher See für seine Naturverbundenheit und für sein Verständnis von Volksmusik sehr prägend waren, während Anton Webern seine Schulzeit in der Steiermark und in Kärnten, also in ländlicher Umgebung, verlebte. 18
Wien 1966. Es ist auch veröffentlicht unter dem Titel Klavierstück im UE-Buch der Klaviermusik des 20. Jahrhunderts, Wien 1966, S. 41f.
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Ein enger Zusammenhang zwischen Biographie und dem Einfluß von Unterhaltungsmusik zieht sich durch das gesamte Werk Schönbergs. Die entsprechenden Kompositionen sind meist Gelegenheitsarbeiten aus seiner frühen Schaffensphase und tragen keine Opuszahlen, andere entstammen der Zeit, da Schönberg sich der Zwölftontechnik zuwandte, doch reichen die Beispiele bis in die amerikanische Zeit, wie etwa am 4. Streichquartett, op. 37 (1936), und an der Bearbeitung der Drei Volkslieder für gemischten Chor a cappella, op. 49 (1948), belegt werden kann. Zur leichten Muse seiner Zeit hatte Schönberg seit seiner Jugend ein selbstverständliches, unkompliziert gutes Verhältnis. In seinen im Jahr 1949 notierten Erinnerungen heißt es: „Obwohl mich mein Onkel Fritz, der ein Poet war, der Vater von Hans Nachod, sehr frühzeitig Französich gelehrt hatte, wurden die Zeichen von musikalischem Talent, die bei mir erschienen, nicht ernstlich beachtet. Deshalb sind alle Kompositionen, die ich vor meinem siebzehnten Jahr geschrieben habe, nichts als Imitationen solcher Musik, die mir zugänglich war. Die einzigen Quellen, aus denen ich schöpfen konnte, waren Violinduette und Arrangements von Opernpotpourris für zwei Violinen, wozu noch die Musik gerechnet werden darf, die ich durch Militärkapellen kennenlernte, die in öffentlichen Gärten Konzerte gaben. Man darf übrigens nicht vergessen, daß zu dieser Zeit Noten sehr teuer waren, daß es weder Platten noch Radio gab, und daß Wien nur ein einziges Opernhaus und einen einzigen Zyklus von philharmonischen Konzerten hatte.“19
Hanns Eisler ergänzte und vertiefte diese Hinweise in einem Gespräch mit Nathan Notowicz: „Übrigens, das ist wenig bekannt, Schönbergs Lieblingsmusik war zum Teil Wiener Lieder und auch Walzer von Johann Strauß. Die Begeisterung, mit der er uns den Johann Strauß erklärte – er hat übrigens einige Walzer auch bearbeitet – machte auf mich einen außerordentlichen Eindruck. Meine Vorliebe für Wiener Musik, aber auch für andere Volksmusiken verdanke ich auch Schönberg. Denn als junger Mann in der Schönbergschen Schule pflegte ich natürlich diese Art von Musizieren von Heurigen-Liedern zu verachten. Erst Schönberg zeigte mir, was darin für Feinheiten sind. Ich erinnere mich, wie er mir einmal erklärte, wie hübsch das sogenannte Fiakerlied harmonisiert ist. Da es sich in solchem tonalen Stück doch nur um einige Dreiklänge und deren Umkehrungen handelt, muß man schon ein großer Geist sein, um darin die Feinheiten zu sehen. Diese Art des Hörens scheint mir heute nicht so leicht vorzukommen, nämlich, daß man in den einfachsten Tonverbindungen Geschmack und Sicherheit beweist. Auch das konnte man von Schönberg lernen.“20 19 20
Arnold Schönberg, Rückblick, in: ders., Stil und Gedanke. Aufsätze zur Musik, hrsg. von Ivan Vojtĕch (= Gesammelte Schriften 1), Frankfurt am Main 1976, S. 397. Nathan Notowicz, Wir reden hier nicht von Napoleon. Wir reden von Ihnen! Gespräche mit Hanns Eisler und Gerhart Eisler, Berlin 1971, S. 47f.
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Beispiel 4: Arnold Schönberg, „Wiener Fiakerlied“ für zwei Violinen (Arnold Schoenberg – Hans Nachod Collection, Library of North Texas State University, Item 68, 68a).
Das Fiakerlied stammt von Gustav Pick (1832–1921), ist dem Grabenfiaker gewidmet und wurde erstmals am 24. Mai 1885 von Alexander Girardi gesungen. Sein Refrain ist weltberühmt: Mei Stolz is, i bin halt an echt’s Weaner Kind, an Fiaker so wia man net alle Tag find’t, und mei Bluat is so lüftig, so leicht wia da Wind, i bin halt an echt’s Weaner Kind.
Schönberg hat dieses Wiener Fiakerlied, das in zahlreichen populären Alben mit Wiener-Liedern verbreitet ist, für zwei Violinen bearbeitet (Beispiel 4). Das Autograph liegt in der Arnold Schoenberg – Hans Nachod Collection der Library of North Texas State University.21 In der Sammlung befinden sich u. a. auch die beiden Kompositionen Schönbergs für zwei Violinen: „Alliance“ Walzer 22 und „Sonnenschein“ Polka schnell.23 Das Fiakerlied hat einen sentimental-nostalgischen Ausdruck, der für zahlreiche Wiener-Lieder typisch ist. Der Refrain im langsamen Walzertempo enthält volksmusikalische Züge und gegen Ende einen jodelartigen Akzentsprung abwärts. 21 22 23
Veröffentlicht bei John A. Kimmey, jr., The Arnold Schoenberg – Hans Nachod Collection (= Detroit Studies in Music Bibliography 41), Detroit 1979, S. 182f. Ebenda S. 176–179. Der Walzer hat die Teile: Introduktion – Walzer I – Walzer II – Walzer III – Coda. Ebenda S. 184f.
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Zu den frühen Kompositionen Schönbergs gehören das ländlerartige Stück für Violine und Klavier (1893/94)24 und die zehn Walzer für Streichorchester25, die Therese Muxeneder auf Grund graphologischer Indizien und des benützten Notenpapiers zwischen Frühjahr und Herbst 1897 datiert.26 Sie sind vermutlich für das von Alexander Zemlinsky geleitete Amateurorchester des „Musikalischen Vereins Polyhymnia“ in Wien komponiert, in dem der junge Autodidakt Schönberg laut Zemlinskys Erinnerungen am einzigen Cellopult saß und „ebenso feurig wie falsch sein Instrument mißhandelte (das übrigens nichts Besseres verdiente – es war von seinem Spieler um sauer ersparte drei Gulden, am sogenannten Tandelmarkt in Wien gekauft)“27.
Es sind abwechslungsreiche charmante Stücke, die sich im Ton neben dem Wiener Walzer der Strauß-Dynastie zuweilen auch an anderen Vorbildern wie z. B. Antonín Dvořák und Franz Schubert orientieren. Ein Walzerfragment für Klavier, das nach 13 Takten abbricht, steht auf der Rückseite der ersten Niederschrift des Klavierliedes Erhebung, op. 2, Nr. 3, die mit 16. November 1899 datiert ist.28 Die Nieder24 25 26 27 28
Veröffentlicht 2001 durch Belmont Music Publishers, Los Angeles. Veröffentlicht 2003 durch Belmont Music Publishers, Los Angeles. Ein elfter Walzer blieb Fragment. Therese Muxeneder, Walzer für Streichorchester (ca. 1897). Einführung, in: Salzburger Festspiele 2004. Programmheft der Uraufführung am 27. August 2004. Alexander Zemlinsky, Jugenderinnerungen, in: Arnold Schönberg zum 60. Geburtstag 13. September 1934, Wien 1934, S. 34. Arnold Schönberg Center, Wien (MS 2, 230av).
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schrift mit Tinte macht den Eindruck einer Reinschrift. Sie wurde von Schönberg mit Blaustift durchgestrichen. Die zahlreichen biographischen Hinweise, die Schönbergs Verhältnis zur unterhaltenden Musik belegen, überraschen nicht. Sie zeigen, daß er musikalisch ein Kind seiner Zeit war. Eine solch immense soziale Kluft, wie sie sich im Laufe des 20. Jahrhunderts zwischen den Hörern der sogenannten E- sowie der U-Musik herausgebildet hat, war im Wien der Jahrhundertwende noch nicht vorhanden. Arnold Schönberg, Serenade, op. 24 Schönbergs Serenade für Klarinette, Baßklarinette, Mandoline, Gitarre, Geige, Bratsche, Violoncello und tiefe Männerstimme, op. 24 (1920–1923), ist eine seiner heitersten und liebenswürdigsten Kompositionen. Den Serenadencharakter, der sich traditionell zum leichten Genre der Musik hin öffnet, bestimmen schon äußerlich Besetzung und Satztitel: 1. Marsch 2. Menuett 3. Variationen 4. Sonett von Petrarca (für eine tiefe Männerstimme) 5. Tanzscene 6. Lied (ohne Worte) 7. Finale (Im Marschtempo des 1. Satzes)
Beispiel 5: Arnold Schönberg, Serenade, op. 24, Skizze des Finales, Anfang (Arnold Schönberg Center, Wien [MS79]).
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Die Komposition gehört zu einer Gruppe von Werken, in denen sich Schönberg der Zwölftontechnik nähert. Reihentechnische Verfahren sind jedoch – mit Ausnahme der Petrarca-Vertonung – noch nicht streng durchgeführt. Auf Volksmusik verweisen hier vor allem der mittlere Teil der Tanzscene – ein Ländler – und die den Satzzyklus umgrenzenden Marschsätze, die thematisch aufeinander bezogen sind. Zum Teil entsprechen einander längere Verläufe, zuweilen sogar tongetreu. Im Finale sind zudem Erinnerungen an weitere Sätze der Serenade einkomponiert, entsprechend der zyklischen Tradition. In seinen Skizzen bezeichnet Schönberg dieses resümierende Verfahren als „Potpourri“ (Beispiel 5), dem im 19. Jahrhundert verbreiteten Arrangement beliebter Melodien, zu denen auch Walzer- und MarschPotpourris gehören. Die beiden Marschsätze in der Serenade gehören nicht dem in der spätromantischen Symphonie entwickelten gewichtigen Marschtypus an, den vor allem Gustav Mahler mit besonderer Bedeutung gefüllt hat29 und der für die Komponisten der Wiener Schule Vorbild war, siehe Alban Bergs Marsch aus den Drei Orchesterstücken, op. 6 (1914). Vielmehr orientiert sich Schönberg im Ausdruck an den forsch-heiteren Märschen der Unterhaltungsmusik. Sie sind jedoch in einer Weise ironisch verfremdet, die Igor Strawinskys klassizistischem Stil verwandt erscheint. Das sei an einem kurzen Ausschnitt aus dem Finale gezeigt (Beispiel 6). Mit dem Takt 45 beginnt ein Abschnitt, der die Takte 33–136 des ersten Satzes wiederholt; nach einem Einschub werden ab Takt 155 bis Ende die daran anschließenden Takte 137 bis Ende aus dem ersten Satz zitiert. Ein solch ausführliches Rekapitulieren ist ungewöhnlich; zudem steht innerhalb der zitierten Partie ein Abschnitt mit Repetitionszeichen (Finale, T. 61–107 = 1. Satz, T. 49–95), so daß dieser Marschteil im Verlauf der Serenade insgesamt viermal zu hören ist. Schönberg arbeitet hier mit dem in der Unterhaltungsmusik gängigen Mittel der Wiederholung. Marschtypisch sind im abgebildeten Beispiel das Tempo (das Finale trägt die Vorschrift „Im Marschtempo des 1. Satzes (= 100)“, die Taktart (2/2), die viertaktige Periodik und charakteristische Marschrhythmen und -bewegungen. Mit Takt 41 beginnt eine viertaktige Steigerung „poco pesante“. Geige und Bratsche spielen abwärts gerichtete viertönige Sekundfolgen, die Geige im Rahmen einer Quarte wie im tonalen Marsch (siehe etwa Schönbergs Brettl-Lied Galathea, in dem sie die Melodie bilden). Ihre Bewegung ist zunächst regelmäßig (T. 41), danach wird ihr Rhythmus, von Pausen unterbrochen, unregelmäßig, der Marsch kommt aus dem Tritt, gerät ins Stolpern und Stocken und bleibt schließlich stehen (siehe die Generalpause am Ende von Takt 44, die Baßstimme hat bereits im Takt 43 aufgehört). In Mandoline und Gitarre geschieht dies zeitversetzt in Aufwärtsbewegung, unterstrichen von einem Crescendo, als ob die Marschkolonne eine anstrengende Steigung erzwingen müsse. Ein musikalischer Höhepunkt wird jedoch nicht erreicht. 29
Vgl. Peter Andraschke, Struktur und Gehalt im ersten Satz von Gustav Mahlers Sechster Symphonie, in: Archiv für Musikwissenschaft 35/4 (1978), S. 275–296.
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Beispiel 6: Arnold Schönberg, Serenade, op. 24, Finale, Ausschnitt.
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An der Stelle, an der er einsetzen müßte, in Takt 45, wechselt die Dynamik überraschend zum Piano, und es verändert sich die gesamte Struktur, einschließlich der Spielart der drei Streicher (pizzicato zu arco). Neu sind die zu Akzenten führenden Vorschläge auf der Takteins, die Trommelwirbel andeuten könnten30 (erstmals im Takt 45 in den melodieführenden Klarinetten zusammen mit der Geige). Die durch eckige Klammern markierten Quartschritte in der Baßlage nehmen den Beginn des Finales auf (siehe Beispiel 5), sind um ein Quartglied erweitert und erinnern – zusammen mit den nachfolgenden Akkorden in Mandoline, Gitarre und Bratsche – an funktional-harmonische Marschbegleitung. Auffallend ist, daß jeweils die auf einen Quartschritt bezogenen Klänge gleich (T. 45f.: d–cis1, T. 46 f.: gis–h etc.) oder zumindest klanglich eng verwandt sind. Die Begleitung zeigt im Rahmen des vorgeschriebenen 2/2-Metrums einen verwirrend unregelmäßigen Wechsel von Zweier- und Dreierbewegungen, von Marschund Walzergestik. Auch die melodisch geführte Hauptstimme in den Klarinetten und in der Geige hat an den entsprechenden Stellen unabhängig vom Taktmetrum Walzergestik (T. 46, T. 48f.), so daß man fast vergißt, daß es sich um einen Marschsatz handelt. Schönberg überzeichnet und karikiert durch dieses rhythmische Spiel den Satztypus.31 Der beständige Bewegungswechsel bewirkt, daß man wegen des vorangehenden fester gefügten Marsches den grundlegenden Zweiertakt noch weiterdenkt und weiterspürt, er verleiht der Musik einen schwebend-federnden Ausdruck der Bewegung sowie eine beabsichtigte Leichtigkeit und Spritzigkeit, die dem Serenadencharakter entspricht. Arnold Schönberg, Suite, op. 29 Im Jahre 1924 notiert Schönberg ein erstes Konzept für seine Suite für Kleine Klarinette, Klarinette, Baßklarinette, Geige, Bratsche, Violoncello und Klavier, op. 29 (1924–26), die ursprünglich sieben Sätze haben sollte: 1. 6/8 leicht,elegant,flott,Bluff 2. Jo-Jo-Foxtrott 3. Fl.Kschw. Walzer 4. FrAS Adagio Erzherzg 5. IbeBMuaertsch Var 6. FilmDva 7. TennSki 32
30 31 32
Auch die col-legno-Passagen an anderen Stellen des Satzes könnten klanglich entsprechend gedeutet werden. Möglicherweise sind auch Momente des Zwiefachen Vorbild. Vgl. Arnold Schönberg, Skizzenbuch V (Arnold Schönberg Center, Wien [MS79, Sk580]).
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Beispiel 7: Arnold Schönberg, Suite, op. 29 (Arnold Schönberg Center, Wien [MS29, 1186]).
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Diese Notizen, deren biographischen Hintergrund Hartmut Krones aufdeckte,33 betreffen alle Schönbergs Frau Gertrud, geborene Kolisch, mit der er damals (1924) frisch verheiratet war. Sie besagen, daß Schönberg als Geburtstagsgeschenk für sie – ihr ist die Komposition gewidmet – eine heitere Musik geplant hatte, in der auch zeitgenössische Tanztypen verwendet werden sollten. In der endgültigen, nunmehr viersätzigen Fassung ist davon kaum etwas wiederzufinden. Die Ouverture im 6/8-Takt mit ihrer Vortragsanweisung „Allegretto ( = 72) Sehr flott“ scheint der Konzeption des ursprünglichen ersten Satzes verwandt zu sein, dem geplanten fünften Satz entspricht das Thema mit Variationen. Es sind dafür andere Tanztypen eingegliedert: Ländler und Gigue. Auch im unteren Teil der Skizze (Beispiel 7) notierte Schönberg Überlegungen zur Komposition, die den Überschriften der geplanten sieben Sätze entsprechen und sie zum Teil musikalisch veranschaulichen. Darunter findet sich zweimal der Name des Gastronomiebetriebs Erzherzog Rainer („Erzh“, „Erzh Adagio“) in der Wiedner Hauptstraße, in dem auch getanzt wurde; die Schönbergs wohnten ab Anfang 1925, als die Suite entstand, schräg gegenüber in der Wohnung von Gertruds Vater und waren sicherlich Gäste in diesem Lokal. Zwei Tänze sind genannt: ein Flotter Kolisch-Schönberg-Walzer („Fl.KS Walzer“)34 und ein „Foxtrott“. Der Flotte Kolisch-Schönberg-Walzer bezieht sich auf die „Flotte Kolisch-Schwester“ („Flotte K. S“), gemeint ist seine Frau Gertrud, die Schwester seines Freundes Rudolf Kolisch.35 Dies geht aus einem Brief vom 28. Juli 1924 hervor, in dem Schönberg ihr schreibt: „Du schaust jetzt ganz anders als früher. Und so glaubwürdig, daß ich die flotte ‚Kolisch-Schwester‘ gar nicht erkenne. Sowas feines und inniges und warmes.“36
Genannt sind ihre sportlichen Interessen („Tennis Dame“) und ihr Pseudonym Jolly Joker („Jo-Jo“), unter dem sie später Film-Scripts verfaßte. In der Skizze 1186 (Beispiel 7) erscheint die Zwölftonreihe in verschiedenen thematischen Formungen, und zwar jeweils im Umfang eines Reihenverlaufs. In der Grundgestalt beginnt sie mit den Tönen es und g, den Anfangsbuchstaben von Schönberg und Gertrud, mit denen alle Sätze der Suite beginnen. Diese Grundgestalt hat das 6/8-Thema im siebenten System von unten, der Foxtrott und das obere System des Adagios; seiner Begleitung liegt die Reihe U5 zugrunde; das Thema des Walzers ist mit U4 gestaltet.
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Hartmut Krones, Suite für drei Bläser, drei Streicher und Klavier op. 29, in: Gerold W. Gruber (Hg.), Arnold Schönberg. Interpretationen seiner Werke, Bd. 1, Laaber 2002, S. 429–446. Die Abkürzung könnte auch aufgelöst werden als Flotter Kolisch-Schwester-Walzer. Der Geiger Rudolf Kolisch war einer der wichtigsten frühen Interpreten seiner Kompositionen. The Library of Congress, Washington D.C., Music Division (Arnold Schoenberg Collection); zit. nach Krones, Suite (Anm. 33), S. 431.
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Beispiel 8: Arnold Schönberg, Suite, op. 29 (Arnold Schönberg Center, Wien [MS29, 1180]).
Schönberg versteht seine Reihengestalten als Themen. Dies erklärt er in einem Brief vom 5. Februar 1951 an Josef Rufer: „der erste Einfall einer Reihe erfolgt
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immer in Form eines thematischen Charakters.“37 Im Fall der Suite, op. 29, zeigt sich dies im Bezug des Reihenbeginns zur Widmungsträgerin sowie durch die Themengestalten auf der Skizze. Das Thema des Schlußsatzes in der endgültigen Version, es ist eine Gigue, erklingt zunächst einstimmig als rhythmisch gestaltete Reihe. In den Reihentabellen zur Suite, so z. B. in der Skizze 1180, ist die Grundreihe mit „T“ bezeichnet, was als Hinweis auf den thematischen Charakter zu deuten ist. Mit der Abkürzung „T“ verbindet Schönberg zugleich die Vorstellung von Tonika, laut Auffassung von Reinhold Brinkmann, formuliert im Bezug auf die Suite für Klavier, op. 25, sogar primär.38 Das bekräftigt Hartmut Krones hinsichtlich der Suite, op. 29. Er verweist auf Reihenkombinationen in den Vorarbeiten, in denen die Grundreihe mit ihren Transpositionen in die Ober- und Unterquinte (d. h. in die fünfte und vierte Stufe, die Dominante und Subdominante) kombiniert ist39, und er zitiert aus einen Brief Schönbergs an Alexander Zemlinsky, in dem steht: „So fängt der erste Satz meiner Suite an: 4 sechsstimmige Akkorde, I–IV–V–I.Ouverture.“40
Im Skizzenausschnitt 1186 findet man auf der rechten Seite in roter Tinte die erste Reihenhälfte (9. System von oben) sowie darüber und darunter ihre Transpositionen in die Ober- und Unterquinte. Unter die Grundreihe T in der Reihentabelle (Beispiel 8) hat Schönberg die Umkehrung mit ihren elf Transpositionen notiert. Sie sind jeweils tiefer transponiert, der Intervallabstand zur Grundform steht am Beginn (U8: 1 Oktave tiefer als T, U+3: eine große Terz darunter, U-3: eine kleine Terz darunter usw.). Schönberg schrieb die Umkehrungen vermutlich zuerst, denn jede der Reihen steht in einem eigenen Notensystem, während die Notensysteme für die Transpositionen der Grundgestalt wegen des beschränkten Platzes meist zwei Reihen enthalten. Anders als die Umkehrungen sind sie aufwärts transponiert. Die beiden Reihen im ersten System über T sind keine Sext-Transpositionen aufwärts, sondern die TerzTranspositionen T-3 und T+3. Die richtigen Transpositionen T-6 und T+6 stehen im vierten System. Wie Schönberg zu dieser irrtümlichen Kennzeichnung kam und weshalb er sie nicht korrigiert hat, darüber kann nur spekuliert werden.
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Josef Rufer, Begriff und Funktion der Grundgestalt bei Schönberg, in: Rudolf Stephan (Hg.), Bericht über den 1. Kongreß der Internationalen Schönberg-Gesellschaft. Wien, 4. bis 9. Juni 1974 (= Publikationen der Internationalen Schönberg-Gesellschaft 1), Wien 1978, S. 173. Vgl. Arnold Schönberg, Sämtliche Werke. Abteilung II: Klavier- und Orgelmusik, Reihe B, Bd. 4: Werke für Klavier zu zwei Händen. Kritischer Bericht, Skizzen, Fragmente, hrsg. von Reinhold Brinkmann, Mainz–Wien 1975, S. 77. Schönberg bezeichnet hier die Grundreihe mit T und die Tritonus-Transposition abwärts mit D. Krones, Suite (Anm. 33), S. 434f. Brief vom 17. Juni 1925 an Alexander Zemlinsky, zit. nach Alexander Zemlinsky. Briefwechsel mit Arnold Schönberg, Anton Webern, Alban Berg und Franz Schreker, hrsg. von Horst Weber (= Briefwechsel der Wiener Schule 1), Darmstadt 1995, S. 267f.
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An einem Beispiel aus dem ersten Satz der Suite, op. 29, soll die Verwendung von Volksmusikalischem aufgezeigt werden. Doch könnten gerade in dieser Komposition weitere Stellen herangezogen werden, beispielsweise der Variationensatz über Friedrich Silchers zum Volkslied gewordenen Chor Ännchen von Tharau auf eine Nachdichtung von Johann Gottfried Herder.41 Der mittlere Abschnitt (T. 68 ff.) der Ouverture ist ein Ländler. Er wird in den Takten 202–220, kurz vor Beginn der Coda, wiederaufgenommen. Schönbergs Auseinandersetzung mit dem Ländler ist reizvoll und intelligent, ein Spiel mit Normen der Periodenbildung. Der einfache Satz der Takte 68–79 fällt nach der komplexen Gestaltung zuvor besonders auf (Beispiel 9). Es ist die Exposition des Ländlerthemas. Eine in vielen Merkmalen typische Ländlermelodie in der Bratsche wird vom Klavier mit jeweils nur drei Tönen begleitet. Die Baßtöne D und A stehen im Quintabstand und erinnern damit an eine tonale Kadenz mit Tonika und Dominante, denn ihnen sind nach einem periodischen Konzept über einem längeren Zeitraum die gleichen Zweiklänge zugeordnet: dem D in den Takten 68–71 die große Septime ges–f 1, dem A in den Takten 72f. die große Sexte des–b. In den Takten 74–79 wechselt diese Zuordnung, der Tonvorrat bleibt jedoch konstant. Der Baßton D erweckt den Eindruck eines Grundtons, mit ihm beginnt und endet der Abschnitt. Schönberg komponiert in der Begleitung drei viertaktige Perioden. Das zehntaktige Thema, das nach zwei Takten einsetzt, ist aus vier zweitaktigen Motiven mit deutlicher Auf- und Abwärtsgestik gebildet, wobei das letzte variiert wiederholt wird. Das erinnert an tonale Ländlerstrukturen, dennoch ist die Musik zwölftönig. Es werden nacheinander drei Reihen verwendet: T+7, U+6 und U-5. Dabei hat Schönberg versucht, Merkmale klassischer Periodizität42 auch bei der Verteilung der Reihentöne zu berücksichtigen. Denn die Tonfolge der aufwärts gerichteten, also sich öffnenden Bewegungen ist aus einer aufsteigenden Zahlenfolge von Reihentönen im Umfang von zwei Takten gebildet, die der absteigenden, also schließenden Phrasen aus einer rückläufigen Folge. Das bedingt auch den Wechsel der Reihenformen. Besonders auffallend ist dies in den Takten 70–71 und 72–73, in denen jeweils zwei Melodieteile der Reihe T+7 krebsläufig aufeinanderfolgen: zunächst die Töne 12–7, anschließend 7–12. Auch in der Begleitung gilt dieses Prinzip. Die sich vom D zum A öffnende bzw. vom A zum D schließende Baßbewegung und die zugehörenden Zweiklänge haben entsprechend auf- und absteigende Zahlenfolgen (T. 68–73: T+7 1–6, T. 74–76: U+6 12–7). Die Töne der Klavierbegleitung ergänzen die Melodietöne zu vollständigen Reihen. 41
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Peter Andraschke, Der volkstümliche Herder: Ausblicke in die Moderne. Eine musikalische Dokumentation, in: Peter Andraschke/Helmut Loos (Hg.), Ideen und Ideale. Johann Gottfried Herder in Ost und West (= Rombach Wissenschaften. Reihe Litterae 103), Freiburg im Breisgau 2002, S. 167–207, darin: 3. Ännchen von Tharau, S. 186–203. Zum Prinzip klassischer Periodik siehe Hans Heinrich Eggebrecht, Versuch über die Wiener Klassik. Die Tanzszene in Mozarts „Don Giovanni“ (= Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft 12), Wiesbaden 1972, vor allem S. 18ff. Die Kompositionsprinzipien, die Eggebrecht am Menuett aus der Tanzszene in Mozarts Oper Don Giovanni aufzeigt, bestimmen, wenn auch in einfacherer Gestaltung, einen Ländler.
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Beispiel 9: Arnold Schönberg, Suite, op. 29, 1. Satz, T. 63–86.
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In den letzten beiden Takten 78–79 hat Schönberg eine Schlußwirkung herausgearbeitet. Die Bratsche spielt, im Rhythmus gleich, in den Tonfolgen nur leicht verändert, die Melodie der beiden vorangehenden Takte. Schönberg wählte deshalb mit U-5 eine neue Umkehrungstransposition, die es ihm ermöglichte, wichtige Töne zu wiederholen: den Anfangston h1 und den länger gehaltenen Ton e1 mit den nachfolgenden Repetitionen mit springendem Bogen es1. Der fallende Quintschritt im Baß und das „poco ritardando“ unterstreichen das Ende der Ländlerexposition. Der Wechsel der Reihengestalten betont die Gliederung des Themas von 4+4+2 Takten, markiert seine Mitte und die zweitaktige Erweiterung am Schluß. Wenngleich die Zahlenfolgen der Reihentöne für das Hören nicht von gleicher Relevanz sind wie melodische und harmonische Formungen im tonalen Satz, auf die sich Schönberg hier bezieht, so ist dieser Versuch, Strukturmomente klassischer Periodizität und Korrespondenz mit Hilfe von Reihenverfahren nachzubilden, kennzeichnend für seine intensive Bindung an die Tradition. Ab Takt 80 folgt die erste Durchführung des Themas im Umfang von zehn Takten, da die zweitaktige Einleitung aus der Exposition fehlt. Es findet ein Klangwechsel statt. Die Instrumentation ist voller. Das Thema liegt jetzt in der Kleinen Klarinette, das Klavier pausiert, seine Baßstimme übernimmt verändert die Baßklarinette. Der komplexere Satz erfordert eine vermehrte Anzahl von Reihen. Dadurch kommt es zum Teil zu einer Auflösung der zuvor exponierten festen Strukturen. Die Ländlermelodie ist im Rhythmus und in der Bewegungsgestik gleich geblieben bis auf die Springbogen-Repetitionen (vgl. die Takte 86 und 88 mit den Takten 76 und 78). Die drei Anfangstöne entsprechen sogar dem ursprünglichen Beginn. Durch diese deutliche Wiederaufnahme des Themas prägt es sich auch in Details dergestalt ein, daß es bei seinen weiteren Durchführungen gut erkannt werden kann. Es ist jetzt ausschließlich aus den aufsteigenden Reihentönen 1 bis 6 der ersten Reihenhälften gestaltet, die jeweils ein zweitaktiges Motiv umfassen: zweimal von T+6 (T. 80–83, bei Austausch der letzten beiden Reihentöne in T. 83), zweimal von U+6 (T. 84–87, bei Austausch der letzten beiden Reihentöne in T. 87) und in den beiden abschließenden Takten 88 bis 89 einmal von T-2. Die übrigen Instrumente ergänzen jeweils taktweise die Töne 7 bis 12 der zweiten Reihenhälfte. Dabei kommt es in der Baßklarinette zu einer regelmäßigen Abfolge, wegen des Reihenwechsels bei verschiedenen Tönen: 12, 9, 11, 7, dann 7, 11, 9, 12 und beim zweitaktigen Abschluß nur der Beginn mit 12, 9. Dies unterstreicht zusätzlich, wenn auch nicht hörbar, die periodische Gliederung von 4+4+2 Takten. Schönberg hat hier, ebensowenig wie im Marschfinale der Serenade, nicht allein versucht, einen volksmusikalischen Typus zwölftönig nachzubilden. Er hat die musikalischen Spezifika eines Ländlers zugleich kompositorisch neu gedeutet, dabei aber den ihm wichtigen Ländlerton beibehalten und reflektiert. Trotz der zahlreichen ländlerspezifischen Merkmale wirkt die Exposition wie eine Verfremdung. Und dieser Klangeindruck entsteht nicht allein durch die zugrundeliegende Zwölftontechnik. Er ist zum einen durch die Instrumentierung bedingt. Die Melodie wird hier von einer Bratsche gespielt und nicht von einer Geige oder Klarinette, und sie
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wird vom Klavier begleitet. Das Thema ist zudem für eine Volksmusikmelodie rhythmisch zu differenziert, in seiner Gestik geradezu verschnörkelt. Und auch die Begleitung beschränkt sich nicht auf die ruhige und gleichmäßige Dreierbewegung eines Ländlers, sondern enthält manchmal komplizierte Rhythmen in kleineren Werten (siehe z. B. T. 71). Vor allem aber sind die an sich korrekten Periodenbildungen zwischen Begleitung und Melodie nicht kongruent. Denn das Klavier beginnt zwei Takte vor dem Thema, und seine viertaktigen Phrasen fallen deshalb nicht mit denen der Melodie zusammen, sondern überlappen sich; und die Bratsche setzt in irregulärer Bewegungsfolge zuerst mit einem schließenden und danach sich öffnenden Motiv ein. Die künstlerische Verformung ist demnach nicht allein in der Übertragung tonaler Modelle in die Zwölftönigkeit zu sehen, bereits der Grundtypus des Ländlers ist artifiziell neu gestaltet. Eine versuchsweise Übertragung in die Tonalität (Beispiel 10) macht dies aus einem anderen Blickwinkel zusätzlich deutlich. Für diesen Versuch wurden nur die Tonhöhen verändert. Die Bewegungsgestik und der lediglich zum 3/4-Takt augmentierte Rhythmus der Klavierbegleitung sind beibehalten. Die harmonische Folge von erster und fünfter Stufe wurde leicht verändert, um die Störung in den harmonischen Verhältnissen zwischen Thema und Begleitung zu vermeiden, die in dem zwölftönigen Klangbild nicht zur Geltung kommt. Das Ergebnis der Übertragung macht, da die Distanz durch das zwölftönige Konzept aufgehoben ist, die Nähe zum Ländler hörbarer und verdeutlicht zugleich die kunstvolle, den originalen Volksmusiktypus verfremdende Aneignung.
Beispiel 10: Arnold Schönberg, Suite, op. 29, 1. Satz, Übertragung der Takte 68–79 in ein tonales Modell.
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Der Ländler in der Suite soll langsam und ppp dolce vorgetragen werden. Nach der vorangehenden turbulenten Musik ist der Klang ganz zurückgenommen, wirkt geradezu introvertiert.43 Volksmusik und Volksdichtung stehen bei den Komponisten der Wiener Schule in engem Bezug zum Ländlichen und zum Naturempfinden. In ihrer stillen Intonation wirken die Ländler-Reminiszenzen bei Schönberg wie ein Sich-Erinnern, Sehnen oder ein sich Zurückziehen in eine als heil empfundene Welt. Diese Passage im ersten Satz ist damit Naturepisoden in den Symphonien Gustav Mahlers verwandt, etwa in der 6. Symphonie, in denen durch Naturlaute, Herdenglocken und volksmusikalische Thematik ein ähnlicher Sinngehalt komponiert ist. Mahlers Musik hat hier sicher weitergewirkt. Doch während bei ihm zahlreiche unterschiedliche Klangmomente zu einem Naturbild collageartig verbunden sind, bildet Schönberg in diesem Teil der Ouverture einen einzigen Volksmusiktyp in seiner neuen zwölftönigen Musiksprache nach. Arnold Schönberg, 4. Streichquartett, op. 37, 2. Satz Der zweite Satz des zwölftönigen 4. Streichquartetts, op. 37 (1936), hat die Vortragsbezeichnung „Comodo“ und die Metronomangabe = 54. Das vorgegebene Tempo entspricht ungefähr dem der vierten Variation des Opus 31, die Schönberg in seinem Vortrag über op. 31 wie folgt beschrieben hat: „Diese Variation hat Walzercharakter. Kein Tanzwalzer, selbstverständlich, sondern ein idealisierter, langsamer, gesanglicher Typ, der sich dem Ländler nähert.“44
Es ist jedenfalls kein menuettartiger Satz, wie Matthias Schmidt ohne nähere Begründung meint.45 Schönberg empfand ihn „mit dem Intermezzotyp eng verwandt“46. Den tänzerischen Charakter im ersten Teil prägen der Dreiertakt, Bewegungsgesten und die deutliche Aufteilung in Hauptstimme und Begleitung (Beispiel 11). Das Hauptthema, das zuerst in der Bratsche erklingt, ist stets auftaktig phrasiert, und die Taktanfänge werden zusätzlich durch Akzente betont. Es wird im Takt 292 von der 1. Violine im Rhythmus gleich, nur in den Tonhöhen variiert, wiederaufgenommen. Die Begleitung ist walzer- bzw. ländlermäßig artikuliert. Die Reihentöne zu Beginn des Satzes hat Schönberg so aufgeteilt, daß sich tonale Zentren bilden. So spielt die erste Violine am Anfang ein deutliches As-Dur, die zweite Violine kadenziert in den Takten 2–3 in G-Dur, desgleichen das Violoncello in den Takten 4–5. Überall finden sich Terzfolgen und Quintschritte, vor allem im Violoncello, dessen Gestaltung an die traditionelle Funktion der Baßstimme als Harmonieträger im tonalen Satz erinnert. Insgesamt aber ergeben die vier Instru43 44 45 46
Ähnlich im Ausdruck ist auch der ländlermäßige Seitengedanke im tonalen 1. Streichquartett, op. 7. Arnold Schönberg, Vortrag über op. 31, in: ders., Stil und Gedanke (Anm. 19), S. 255–271, hier S. 267. Matthias Schmidt, IV. Streichquartett op. 37, in: Gerold W. Gruber (Hg.), Arnold Schönberg. Interpretationen seiner Werke, Bd. 2, Laaber 2002, S. 28. Arnold Schönberg, Bemerkungen zu den vier Streichquartetten, in: ders., Stil und Gedanke (Anm. 19), S. 431.
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mentalstimmen keine tonale Struktur. Tonales existiert hier nur in Teilmomenten; es ist zur Charakterisierung des volksmusikalischen Tanztypus integriert.
Beispiel 11: Arnold Schönberg, 4. Streichquartett, op. 37, 2. Satz, Anfang.
Schönberg hat in den Reihentabellen zum Streichquartett47 die Grundgestalt und die Umkehrung mit ihren elf Transpositionen notiert (Beispiel 12). Er verwendet für das in den USA entstandene Werk die amerikanischen Bezeichnungen „B[asic set]“ und „I[nversion]“, die Krebsformen wären demnach als Retrograde beziehungsweise Retrograde inversion zu benennen. Die Transpositionen sind fortlaufend nach sich vergrößernden Intervallen geordnet. Dabei achtet Schönberg darauf, daß er keine zusätzlichen Notenlinien benötigt, und oktaviert daher ab der Transposition B+3. Die Reihe ist durch Balken und vertikale Linien in vier Dreitongruppen gegliedert, die Reihenhälften sind durch Doppelstriche getrennt. Josef Rufer hat am Anfang des ersten Satzes gezeigt, daß diese drei- und sechstönigen
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Arnold Schönberg Center, Wien; Quellensigel A93 und A94 in: Arnold Schönberg, Sämtliche Werke. Abteilung VI: Kammermusik, Reihe B, Band 21: Streichquartette II, Streichtrio. Kritischer Bericht, Skizzen, Fragmente, hrsg. von Christian Martin Schmidt, Mainz–Wien 1984, S. 68.
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Reihenteile strukturbestimmend sind.48 Der katalanische Komponist Robert(o) Gerhard (1896–1970), von 1923–28 Schüler Schönbergs an der Akademie der Künste in Berlin, widmete den zweiten Satz seines Violinkonzerts (1943, rev. 1945) seinem Lehrer zum 70. Geburtstag und verwendete in den zwölftönigen Partien die Reihe aus Schönbergs 4. Streichquartett.49 Wie Schönberg arbeitete er mit drei- und vor allem sechstönigen Reihensegmenten.
Beispiel 12: Arnold Schönberg, 4. Streichquartett, op. 37, Skizze A 93 und 94.
Die einzelnen Sätze sind für sich abgeschlossen und folgen nicht attacca aufeinander, dennoch hat Schönberg die Takte für das gesamte Werk fortlaufend durchnumeriert. Der zweite Satz, der mit dem Takt 285 beginnt, zeigt eine bereits fortgeschrittene Kompositionsentwicklung. Doch sind auch hier die dreitönigen Strukturen für die Erfindung und Gestaltung von Thema und Begleitung prägend. Ausgangspunkt der Komposition war nicht der Satzanfang, sondern die Takte 292ff. Das machen die Skizzen deutlich, ebenso aber die Analyse der Komposition. Die Skizze A1950 (Beispiel 13) ist noch „vor der endgültigen Konzeption niedergeschrieben“51. Die Reihengestalten hat Schönberg eingetragen, für die Krebsform 48 49
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Josef Rufer, Die Komposition mit zwölf Tönen (= Stimmen des XX. Jahrhunderts 2), Berlin–Wunsiedel 1952, Beiheft mit Notenbeispielen, S. VI. Den Hinweis verdanke ich einem Referat, das Frau Ester Font-Bardolet in meiner Lehrveranstaltung am Wissenschaftszentrum Arnold Schönberg des Instituts für Musikalische Stilforschung (Universität für Musik und darstellende Kunst Wien) gehalten hat. Arnold Schönberg Center, Wien (MS41, 1010); dieses wie die folgenden Quellensigeln A22 und A59 beziehen sich auf die Ausgabe Schönberg, Sämtliche Werke (Anm. 47).
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verwendet er anstelle des englischen Retrograde die deutsche Abkürzung K. Der erste Takt entspricht dem Beginn von Takt 292 (1. Violine, hier noch eine Oktave tiefer als in der endgültigen Fassung, und erster Begleitakkord, hier in anderer Umkehrung). Der vierstimmige Satz zeigt bereits die klare Aufteilung in Melodiestimme und akkordische Begleitung. Schönberg hat in diesem frühen Stadium noch die Vorstellung von einem raschen Satz und schreibt „Presto“ vor.
Beispiel 13: Arnold Schönberg, 4. Streichquartett, op. 37, Skizze A 19.
Die Skizze A 22 (Beispiel 14) ist ausführlicher. Die drei Anfangstakte beziehen sich bereits weitgehend auf die späteren Takte 292–294. Schönberg hat hier eine erst vorläufige Vorstellung vom weiteren Verlauf der Oberstimme und von einem erneuten Einsetzen des Hauptthemas, die er aber später nicht weiter verfolgt. Das Tempo ist bereits deutlich auf „ = 64 ( = 192)“ verlangsamt. Das endgültige Tempo ist auf dem Skizzenblatt Archiv-Nr. 1027 (Quellensigel A 59) eingetragen (Beispiel 15), doch steht statt des späteren „Comodo“ noch „Moderato“. Auch in diesem Entwurf geht Schönberg von der Konzeption der melodieführenden Oberstimme aus. Sie stimmt in den Takten 292–298 bereits mit der endgültigen Gestalt überein, verläuft danach anders, behält aber weiterhin ihren walzermäßigen Duktus. Schönberg gestaltet die tänzerischen Gesten mit Dreitongruppen, allerdings nicht in der fortlaufenden Folge der zwölftönigen Reihen. Die fehlenden Dreitongruppen sind für die Begleitung reserviert.
Beispiel 14: Arnold Schönberg, 4. Streichquartett, op. 37, Skizze A 22.
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Ebenda S. 69. Vgl. dazu auch Rudolf Stephan, Zur Genesis von Schönbergs viertem Streichquartett, in: Wolfgang Gratzer/Andrea Lindmayr (Hg.), De editione musices. Festschrift Gerhard Croll zum 65. Geburtstag, Laaber 1992, S. 99–105.
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Beispiel 15: Arnold Schönberg, 4. Streichquartett, op. 37, Skizze A 59.
Das in den Skizzen angedeutete Prinzip, das Thema aus Dreitongruppen zu bilden, zeigt auch die endgültige Komposition. Dabei hat Schönberg diese Bauteile so gereiht, daß die beiden Hälften des Themas (T. 292–294 und T. 295–298) jeweils das chromatische Total enthalten, obgleich sie unterschiedlichen Reihenformen zugehören. Das Thema wirkt geschlossen, da sich das letzte Motiv (T. 297f.) deutlich auf das erste (T. 292f.) bezieht und dabei die Anfangs- und Schlußtöne d 2 und des 2 jeweils gleich sind. Auch die zunächst homophone und rhythmisch oft synchron laufende dreistimmige Begleitung setzt sich aus vertikal angeordneten Dreitongruppen zusammen. Sie besitzt in den Takten 292–295 einen ausgeprägten Walzercharakter, der durch Phrasierung und Artikulation unterstrichen wird. Auffallend sind die häufigen Akkordwiederholungen. Im weiteren Verlauf des ersten Teils, ab der zweiten Takthälfte von Takt 298 bis Takt 306, löst sich der Satz zunehmend von der exponierten Struktur und entwickelt sich freier. Das Thema wird zwischen Bratsche und 1. Violine aufgeteilt, anfangs in sechstönige, dann in dreitönige Gruppen. Die Bewegungsgesten bleiben in Rhythmus und Phrasierung konstant, behalten ihren walzermäßig auftaktigen Schwung, ändern aber ihre Bewegungsrichtungen und verschieben sich auch im Takt. In der endgültigen Version sind dem ursprünglichen Beginn im Takt 292 sieben Takte vorangestellt, die sich im Konzept trotz zahlreicher Übereinstimmungen von den nachfolgenden unterscheiden. Mit ihnen hat Schönberg eine Themenexposition im gleichen Umfang von sieben Takten wie die folgende Themendarstellung gestaltet. Nur die erste Themenhälfte enthält wiederum das chromatische Total, ist aber nicht aus Dreitongruppen einer einzigen Reihe gefügt. Das machte es Schönberg möglich, tonale Qualitäten herauszuarbeiten. Die Reihentöne sind zu diesem Zweck in einer Weise verteilt, daß es schwer fällt, sich auf eine eindeutige Reihengestalt festzulegen. Bei der Analyse wurde Reihen der Vorzug gegeben, bei denen die Töne des Beginns früh auftreten. Für die dritte Reihe, die mit dem Auftakt zu Takt 288 einsetzt, fiel die Entscheidung für die Krebsgestalt BK anstelle einer erneuten Wiederholung der Grundreihe, da auf diese Weise am Satzanfang alle Reihenformen exponiert sind: B, B, BK, I5K und I5, ein Verfahren, das bei Schönberg
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des öfteren zu finden ist. Das hat zur Folge, daß gleiche Begleitakkorde zur ersten und zur zweiten Themenhälfte unterschiedliche Reihenzahlen haben; so enthält der Klang A–d 1–b 1 im Takt 2 die Reihentöne B 3, 1, 4, im Takt 288 hingegen K 10, 12, 9. Die tonalen Momente, die Schönberg erarbeitet hat, betreffen in erster Linie die einzelnen Stimmen der Begleitung. Im Zusammenklingen sind nur gelegentlich Assoziationen an tonale Akkorde zu finden. So läßt die Nähe der Töne es1, des 2, g und b1 in den Takten 287f. an einen Septakkord von Es-Dur denken, was durch die As-Dur-Wendung der 1. Violine an dieser Stelle gestützt wird. Allerdings wird dies durch akkordfremde Töne weitgehend paralysiert. Da das Thema in einer Mittelstimme liegt und zudem mit Dämpfer zu spielen ist, erhalten die tonalen Wendungen in der Oberstimme, trotz der etwas leiseren Dynamik, hörbares Gewicht, auch dadurch, daß das Motiv des Anfangs unmittelbar wiederholt wird. Ebenso ist die Baßstimme mit ihren Terz-Quintschritten tonalen Vorstellungen näher als bei der folgenden Themendarstellung. Der erste Teil des Satzes gliedert sich in 7+7+7+8 Takte. Die dreistimmige Begleitung zeigt, daß sich die Siebentakter auf eine Grundstruktur von sechs Takten zurückführen lassen. Durch den beschleunigten Auftakt zum Takt 288 bei der Wiederholung ergibt sich nämlich ein Zweitakter. Der erste Takt 285 könnte entsprechend als gedehnter Auftakt gedeutet werden, als ein verlangsamtes Anheben des Walzers, wie es in der Aufführungspraxis zu finden ist. Das Thema selbst ist aus zweitaktigen Einheiten gebaut, die erst durch Pausen auf sieben Takte verlängert werden. Die beiden Schlußtakte der ersten Themendarstellung laufen in langen Notenwerten aus, die Bewegung hält an. Schönberg setzt gleichsam einen Doppelpunkt vor der eigentlichen Entwicklung des Satzes. Ländler und Walzer sind in Schönbergs Kompositionen miteinander verwandt und oft kaum zu unterscheiden. 52 So hat er, wie bereits erwähnt, die vierte Variation des Opus 31 als idealisierten Tanz in der Art eines langsameren Walzers oder als einen rascher als in der Volksmusik üblichen Ländler charakterisiert. Für ihren Vortrag hat Schönberg angegeben: Walzertempo ( = ca. 144 im 3/4-Takt). Der Walzer in den Fünf Klavierstücken, op. 23, ( = 72 im 3/8-Takt) hingegen ist ein rascherer Walzer, das Melodram Valse de Chopin im Pierrot lunaire, op. 21, ein „Langsamer Walzer“ ( = 46–50 im 3/4-Takt, nach der Ausgabe von 1923). Sein „melancholisch düstrer“ Tonfall (Strophe 3, Vers 1f.: „Heiß und jauchzend, süß und schmachtend, / Melancholisch düstrer Walzer“) geht auf den Text von Albert Giraud in der Übertragung von Otto Erich Hartleben ein, der die Situation des kranken Komponisten reflektiert (auch wenn im Gedicht von einer weiblichen Person die Rede ist: „Wie ein blasser Tropfen Bluts / Färbt die Lippen einer Kranken.“). Die Serenade im Pierrot lunaire ist ein „Sehr langsamer Walzer (mäßige ) = ca 120–132“. Auch in den Brettl-Liedern, die Schönberg 1901 für Ernst von Wolzogens Berliner Kaba52
Ländler und Walzer sind, sobald sie in den Kompositionen stilisiert erscheinen, nicht immer genau auseinanderzuhalten, da sie zu viele gemeinsame stilistische Merkmale haben. Anders als in der Tanzmusik bietet auch das oft nicht mehr originale Tempo kaum mehr eine Handhabe zur Unterscheidung.
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Peter Andraschke
rett Überbrettl schrieb, finden sich langsame Walzer: die Arie aus dem Spiegel von Arcadien (Text: Emanuel Schikaneder) hat diese Vortragsbezeichnung; ihr verwandt ist Mahnung (Text: Gustav Hochstetter) im Tempo „Leicht bewegt“. Der Ländlerteil in der Tanzscene der Serenade, op. 24, hat das „Ländler-Tempo“ = 116 im 3/8-Takt.
HERMANN JUNG (Mannheim)
„Man hört vier vernünftige Leute sich untereinander unterhalten ...“ Zum Streichquartett in der Wiener Klassik und der Wiener Schule I Die Musikgeschichtsschreibung der älteren und neueren Zeit hat sich angewöhnt, kompositorisch-stilistische wie ästhetische Zusammenhänge, Abhängigkeiten und Gemeinsamkeiten als „Schulen“ zu bezeichnen. Dabei kann es sich um direkt greifbare Werkbeziehungen zwischen zwei Komponisten wie beim älteren Leonin und dem jüngeren Perotin in der „Notre Dame-Schule“ zwischen 1150 und 1250 handeln oder auch um eine Art Komponistenwerkstatt mit vorgeprägten Stil- und Formelementen, die mehrere Generationen umfassen, wie in der „Mannheimer Schule“ der 50er bis ausgehenden 70er Jahre des 18. Jahrhunderts. Als die beiden wohl bekanntesten Gruppierungen, auch im Bezug auf sogenannte „LehrerSchüler“-Verhältnisse, dürfen die Wiener Klassik und die Wiener Schule in der zweiten Hälfte des 18. und der ersten des 20. Jahrhunderts gelten. Neu ist hier freilich eine vielschichtige, ausdifferenzierte Kommunikation dieser „Schulen“ in historisch entwickelnder wie in ästhetisch systematisierender Weise. Unter der Fokussierung auf die Gattung Streichquartett soll im folgenden versucht werden, nicht nur die jeweiligen Eigenleistungen der Komponisten-Kreise zu charakterisieren, sondern vor allem die Gemeinsamkeiten der beiden „Wiener Schulen“ in den Blick zu nehmen. Die sozialgeschichtliche Situation im Wien des ausgehenden 18. Jahrhunderts war insbesondere von den Umbrüchen in der europäischen Politik und den daraus resultierenden Wandlungen des gesellschaftlichen Lebens geprägt. Die zunehmend gewichtigere Rolle der Industrialisierung brachte eine Veränderung der Lebensverhältnisse mit sich, so ein allmähliches Bewußtwerden des Ausgleichs von Arbeit und Freizeit bei den Bürgern, ein sich wandelndes Verhalten zur Zeit, u. a. bedingt durch das erste künstliche Licht von Straßenlaternen, das den Tag in die Nacht hinein verlängerte, oder durch die Schaffung neuer Räume der geselligen Kommunikation wie Kaffehäuser, die zugleich auch für musikalische Veranstaltungen einsetzbar waren.1 Das besondere Mischungsverhältnis unterschiedlicher Ethnien als 1
Vgl. Bernd Roeck, Musik und Alltag im 18. Jahrhundert. Die Kunst der Mozarts und die Entstehung der Freizeit, in: Matthias Schmidt (Hg.), Mozarts Klavier- und Kammermusik (= Das Mozart-Handbuch, hrsg. von Gernot Gruber in Verbindung mit Dieter Borchmeyer, Bd. 2), Laaber 2006, S. 333–347.
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Hermann Jung
„Schmelztiegel“ der Kulturen, die Wien in besonderem Maße auszeichnete, die Salons des Adels und des finanziell gutgestellten Bürgertums als „Knotenpunkte [des] suboffiziellen Netzwerkes“2 taten ein Übriges, um neue Formen musikalischer Unterhaltung zu befördern. Gerade die Kammermusik hat davon besonders profitiert, indem sie nicht wie die Symphonien in den Akademien ausschließlich gehört, sondern in kleineren Kreisen und oft nur halböffentlichem Rahmen vor allem gespielt wurde. Im absolutistisch aufgeklärten Mannheim fanden musikalische Veranstaltungen im Rittersaal des Schlosses statt. „Man unterhielt sich an kleinen Tischen bei Tee und Kartenspiel, während Stamitz, Cannabich, Holzbauer ihre symphonischen Werke dirigierten oder Kammermusik von Richter, Toëschi, Filtz und anderen Vertretern der Mannheimer Schule erklingt. Auf Stehplätzen sind ausnahmsweise Freunde und kunstsinnige Bürger zugelassen.“3
Der berühmte Satz von Fontenelle, gegen die reine Instrumentalmusik gerichtet: „Sonate, was willst Du mir?“, den auch D’Alembert noch eine ganze Weile vertrat, schien in solcher Mannheimer „Hintergrundsmusik“ zeitweise noch seine Berechtigung gehabt zu haben.4 In Wien ist dagegen ein Wandel bereits absehbar. Die Profilierung des Bürgers gegenüber der Adelsgesellschaft bringt es mit sich, daß Kammermusik im kleinen Kreis allmählich „ungeteilte Aufmerksamkeit“ erhält und „geistige Auseinandersetzung fordert“5. Oder mit den Worten Heinrich Christoph Kochs: „Das Quatuor“ ist „anjezt das Lieblingsstück kleiner musikalische[r] Gesellschaften“6. Warum, so ist zu fragen, gerade das Streichquartett? Die vier ausführenden Musiker scheinen die optimale Zahl für ein Ensemble zu sein, das durch seinen stilisierten musikalischen Sprachcharakter nicht auf ein interpretatorische Effekte erwartendes Publikum angewiesen ist. Sie verkörpern zugleich modellhaft das „Ideal einer individuierten bürgerlichen Gleichheit“7. Durch Haydn und Mozart sowie durch die von ihnen angeregte, rasch ansteigende Produktion und den Absatz gedruckter Werke unterschiedlichsten künstlerischen Anspruchs wird Wien „zur neuen Metropole der Gattung Streichquartett“8.
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Matthias Schmidt, Entwickelnde Vielfalt. Mozart und die Kammermusik, in: Gruber / Borchmeyer (Hg.): Das Mozart-Hand-Buch, Bd. 2 (Anm. 1), S. 18. Vgl. auch die umfassende Studie von Matthias Schmidt, Schönberg und Mozart. Aspekte einer Rezeptionsgeschichte (= Publikationen der Internationalen SchönbergGesellschaft 5), Wien 2004. Roeck, Musik und Alltag (Anm. 1), S. 341. Vgl. auch Hermann Jung (Hg.), Mozart in Mannheim. Station auf dem Weg eines musikalischen Genies, Frankfurt am Main etc. 2006. Roeck, Musik und Alltag (Anm. 1), S. 341. Heinrich Christoph Koch, Versuch einer Anleitung zur Composition, Bd. 3, Leipzig 1793, S. 325. Schmidt, Entwickelnde Vielfalt (Anm. 2), S. 29. Ludwig Finscher, Streichquartett, in: Ludwig Finscher (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Zweite, neubearbeitete Ausgabe [2MGG], Sachteil Bd. 8, Kassel etc. 1998, Sp. 1934.
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Das Wien des beginnenden 20. Jahrhunderts ist in gleicher Weise wie am Ende des 18. Jahrhunderts mit stil- und ideengeschichtlichen Umbrüchen, mit politischem und sozialem Wandel befaßt. „Fin de siècle“ und Aufbruch in die Moderne sind die diese Situation kennzeichnenden Schlagworte. Sie kündigen einerseits das Ende der Donaumonarchie unter Kaiser Franz Joseph und damit auch der politischen Vorrangstellung Europas an, setzen andererseits mit der rasant fortschreitenden Industrialisierung, der Entwicklung neuer physikalischer Strukturmodelle durch Albert Einstein oder durch bislang unbekannte Wahrnehmungsweisen in den Künsten Signale für die Zukunft. Auch im Wiener Musikleben zeigt sich ein Generationenwechsel. Nach dem Tod von Anton Bruckner und Johannes Brahms wird zunächst Gustav Mahler als Führer in die Moderne gefeiert, auch ab 1902 in seiner Funktion als musikalischer Berater der „Secession“ junger bildender Künstler. Im Spätherbst 1907 dirigiert Mahler in Wien noch seine II. Symphonie und wird wenig später nach Amerika verabschiedet. Dem gut situierten Bürgertum wächst mit der Arbeiterschaft der Stadt eine neue gesellschaftliche Klasse zu, die im Dezember 1905 mit dem ersten Arbeiter-Sinfonie-Konzert ganz bewußt das große musikalische Erbe der Vergangenheit antreten will. Anton Webern wird in den folgenden Jahren als Dirigent dieser Konzerte mit zunehmend der Moderne verpflichteten Werken tätig sein. Es ist dabei freilich nicht zu übersehen, daß in der Auseinandersetzung zwischen spätromantischer und neuer Musik Künstler wie Komponisten der Avantgarde zu Außenseitern werden.9 Noch stärker als groß besetzte Kompositionen ist davon die kleinformatige Kammermusik und insbesondere das Streichquartett betroffen. Die Dichotomie des 19. Jahrhunderts von häuslicher, weitgehend den Dilettanten vorbehaltener Musizierpraxis und professioneller Darbietung im Konzertsaal sowie die Kanonisierung von Werken des klassisch-romantischen Repertoires für einen Kreis von Kennern und musikverständigen Liebhabern behält auch in den ersten beiden Jahrzehnten des neuen Jahrhunderts in Wien seine Gültigkeit. Einzig bei Arnold Schönberg wird das Streichquartett zur zentralen Gattung innerhalb seines Œuvres. Welches sind nun die Felder, die einen Vergleich der beiden „Wiener Schulen“ zulassen? Sie zeigen sich einmal im Umgang mit musikalischen Stil- und Satzstrukturen, in Lehrer-Schüler-Beziehungen bzw. im gegenseitigen kompositorischen Reagieren aufeinander, im Rückgriff auf Strukturen „alter“ Musik sowie in der Zeichenhaftigkeit eines musikalischen Diskurses von vier Protagonisten. II Die bei Haydn und Mozart sich allmählich, doch stetig festigende, an Gattungsprofil gewinnenden Satzstrukturen erwachsen zunächst aus den DivertimentoKompositionen mehr unterhaltsamen Zuschnitts. Das Probieren und Experimentieren, das Ausloten von Möglichkeiten, wie Binnenstrukturen einzelner Satzcharak9
Vgl. Hartmut Krones, Wien. VIII. 20. Jahrhundert, in: 2MGG, Sachteil Bd. 9, Kassel etc. 1998, Sp. 2014.
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tere an Zusammenhang und Konzentration gewinnen können, oder die Verlagerung des Schwerpunktes im Zyklus vom Kopfsatz auf die Finali – all dies findet sich bei beiden Komponisten, im übrigen auch gleichzeitig in anderen Gattungen, insbesondere im Bereich der Symphonik. Zwischen den einzelnen Opera oder Werkgruppen liegen immer wieder mehrjährige künstlerische „Denkpausen“. Mit Haydns sechs Quartetten, op. 33 (1781), und Mozarts sechs Haydn gewidmeten Werken (1782–1785) sind „Vorstellungen von der besonderen Geistigkeit des Quartettsatzes“10 erreicht, eines Niveaus, das bei beiden Komponisten in den nachfolgenden Kompositionen nicht mehr gesteigert, sondern nur noch weiter ausdifferenziert wird. Dieser Höhepunkt des klassischen Streichquartetts läßt sich mit geplanter systematischer Ordnung, hoher Konzentration im Motivisch-Thematischen, spielerischem wie streng kontrapunktischem Umgang mit technischen Verfahrensweisen, differenzierter Harmonik oder ausbalancierter Klanglichkeit nur annäherungsweise beschreiben. Von der rasch einsetzenden Kanonisierung des Satzbildes und einzelner Werke wird Arnold Schönberg und sein Kreis Gewinn ziehen. Schönberg selbst rezipiert zunächst auf gleichsam naiv anrührende Weise Charakteristika des spätromantischen Quartettschaffens, insbesondere Dvořákscher Prägung. Mit dem Experiment im Formalen, die vier Charaktere des Quartettzyklus in seinem Opus 7 in einem einzigen Satz miteinander zu verbinden und zugleich das thematische Material in „entwickelnder Variation“ zu gestalten, überschreitet er bereits die Schwelle zur Neuen Musik. Im 2. Streichquartett, op. 10 (1907/08), kehrt Schönberg zwar zum traditionellen Zyklus zurück, erprobt jedoch wiederum Neues mit dem Einsatz der Vokalstimme in zwei Sätzen und mit einer Erweiterung zur freien Atonalität. Was kompositorische Abstraktion, verbunden mit bewußt eingesetzter Klangregie betrifft, so knüpft Alban Bergs Quartett, op. 3 (1910), an Schönbergs Quartett Nr. 2, op. 10, unmittelbar an und führt die eingeschlagene Richtung selbständig weiter. Schönbergs Streichquartette Nr. 3, op. 30 (1927), und Nr. 4, op. 37 (1936) – im zeitlichen Abstand zum zweiten von nahezu zwei bzw. drei Jahrzehnten – bringen die dodekaphonischen Prinzipien erstmals zur Geltung, nachdem er sie zuvor auch in anderen Gattungen erprobt hatte. Schönberg hält freilich an den tradierten Formen des Zyklus fest und richtet sein kompositorisches Denken mehr an einer motivischen Gestaltung aus als an einer nach strenger Regelhaftigkeit durchgeführten Reihentechnik. Aus der Perspektive des entwickelnden Variierens dient ihm dabei die Reihe „als Abfolge und Vorrat zugleich“11. Anton Webern, der Schönbergs Streichquartett-Schaffen eigenschöpferisch wie analytisch reflektierend verfolgt, orientiert sich in seinem ersten Quartett (1905) noch am Opus 7 (1904/05) seines Lehrers. Mit dem Quartett, op. 28 (1937/38), führt die Verarbeitung der Reihe zu Konzentration, Abstraktion und Determinie10 11
Finscher, Streichquartett (Anm. 8), Sp. 1926. Friedhelm Krummacher, Das Streichquartett, Teilband 2: Von Mendelssohn bis zur Gegenwart (= Handbuch der musikalischen Gattungen, hrsg. von Siegfried Mauser, Bd. 6.2), Laaber 2003, S. 274.
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rung in einer Weise, die thematische Gestalten im Sinne Schönbergs und auch den bis dahin noch immer virulenten Diskurscharakter der Gattung hinter sich lassen. III Die Vorbild- und Mentorfunktion von Haydn auf dem Gebiet des Streichquartetts ist lange Zeit überschätzt worden. Dabei stand nie in Frage, daß der Komponist durch seine Opera 9 (1769), 17 (1772), 20 (1772) und schließlich durch sein Opus 33 kompositorische Maßstäbe für die Gattung gesetzt hat. Zu hinterfragen ist dabei, in welchem Maße Mozart als Aufnehmender wie als Gebender an dieser Entwicklung teilhatte. Schon bei den Quartetten KV 168–173 (1773) sieht Ludwig Finscher Haydn als Vorbild an, dem Mozart allerdings noch nicht gewachsen sei. Haydn wiederum sei in seinem Opus 42 (Quartett d-Moll), insbesondere im Finale, durch Mozart „irritiert“ gewesen – im gleichen Jahr 1785 erscheint mit KV 465 das letzte seiner Haydn gewidmeten Quartette. KV 499 (1786) sei dann eine „erneute Auseinandersetzung“ mit Haydn, die sich auch in dessen Preußischen Quartetten, op. 50 (1787), und Mozarts letzten drei Quartetten – KV 575, 589, 590 (1789, 1790) – fortsetzt. Beide schreiben ihre Werke für König Friedrich Wilhelm von Preußen, einen cellospielenden Musikliebhaber.12 Man ist in der jüngeren Forschung geneigt, die Einflußnahmen auf Mozart gerade beim Streichquartett mit Zurückhaltung anzugehen.13 Der Respekt Mozarts gegenüber dem älteren Kollegen, die Kenntnis einer großen Zahl seiner Werke, eine Bindung durch gemeinsames Arbeiten am motivisch-thematisch verdichteten Satz stehen außer Frage. Die Stärke Mozarts auf dem Gebiet des Streichquartetts kommt, so scheint es, weniger in Abhängigkeiten und Reaktionen auf Vorbilder zur Geltung, sondern viel eher in der Fülle kreativer Gedanken, in der Individualität des einzelnen Werkes und der anscheinend spielerisch gelungenen Kombination heterogener Stil- und Ausdruckselemente zu einem musikalischen Organismus. In diesem Kontext sollte einerseits Mozarts Widmung seiner sechs Quartette an Haydn nicht überbewertet werden, andererseits Haydns von Leopold überlieferte Bemerkung über Mozart Beachtung finden. Er soll sie im Februar 1785 nach dem Anhören der drei Quartette KV 458, 464 und 465 gemacht haben: „H: Haydn sagte mir: ich sage ihnen vor Gott, als ein ehrlicher Mann, ihr Sohn ist der größte Componist, den ich von Person und dem Nahmen nach kenne: er hat geschmack, und über das die größte Compositionswissenschaft.“14
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Vgl. Finscher, Streichquartett (Anm. 8), Sp. 1931–1935 (III. Haydn und Mozart). Diese Einschätzung wird vor allem von Friedhelm Krummacher vertreten. Vgl. Krummacher, Das Streichquartett, Teilband 1: Von Haydn bis Schubert (= Handbuch der musikalischen Gattungen, hrsg. von Siegfried Mauser, Bd. 6.1), Laaber 2001, S. 144–146. Brief Leopold Mozarts an seine Tochter vom 16. Februar 1785, in: Mozart. Briefe und Aufzeichnungen. Gesamtausgabe. Herausgegeben von der Internationalen Stiftung Mozarteum Salzburg. Gesammelt und erläutert von Wilhelm A. Bauer und Otto Erich Deutsch, Bd. 3, Kassel etc. 1963, S. 373.
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Bei Schönberg und seinem Kreis liegen die kompositorischen Beziehungen etwas anders. Die anfänglichen Abhängigkeiten Bergs und Weberns von ihrem Lehrmeister, was Stil und Formgestalt betrifft, sind bereits angesprochen worden und treten gleichsam zeitversetzt zutage. Während Berg in der Lyrischen Suite von 1925/26 eine sehr persönliche Richtung nach Programmatik und Zykluswechsel einschlägt, verfolgt Webern einmal in den 5 Sätzen für Streichquartett, op. 5 (1909), und den 6 Bagatellen, op. 9 (1913), den Sonderweg der „Miniaturisierung“ und damit einer Auflösung der tradierten Gattung; zum anderen treibt er, wie beschrieben, im Quartett op. 28 die kompositorische Verdichtung und Konzentration des Satzes auf die Spitze. IV Was die Rückgriffe auf „alte“ Musik und kontrapunktische Techniken betrifft, so erkannte Heinrich Christoph Koch im vierstimmigen Satzgefüge den besonderen Rang Mozarts: „Unter den neuern Tonsetzern haben Haydn, Pleyl und Hofmeister am mehresten das Publikum mit dieser Gattung der Sonaten bereichert. Auch der sel. Mozard hat in Wien sechs Quartetten für zwey Violinen, Viole und Violoncell unter einer Zuschrift an Haydn stechen lassen, die unter allen modernen vierstimmigen Sonaten, am mehresten dem Begriffe eines eigentlichen Quatuor entsprechen, und die wegen ihrer eigenthümlichen Vermischung des gebundenen und freyen Stils, und wegen der Behandlung der Harmonie einzig in ihrer Art sind.“15
Und Mozart selbst schreibt in seinem Brief an Leopold vom 29. März 1783, in dem er von einer Akademie berichtet und um verschiedene Noten bittet: „– denn wir lieben uns mit allen möglichen Meistern zu unterhalten; – mit alten und mit Modernen.“16
Die „Vermischung“ wie die feinsinnige Balance von „gebundenem“ und „freyem“ Stil, von „gelehrt“ und „galant“, kennzeichnet in besonderem Maße Mozarts Quartett-Schaffen ab 1782. Die ihn tief beeindruckenden neuen Erfahrungen mit Werken Bachs und Händels bei den Zusammenkünften im Hause Baron Gottfried van Swietens spiegeln sich in den folgenden Jahren auch in weiteren Gattungen und Werken, so in der Bearbeitung Bachscher Fugen für Streichquartett, KV 405 (1782), in der Jupiter-Symphonie, KV 551 (1788), bis hin zum Requiem, KV 626 (1791). Haydn hatte in drei Quartetten seines Opus 20 (1772) zumindest den Versuch unternommen, das Finalproblem durch Fugensätze zu lösen. Auch hier kann Koch als Gewährsmann herangezogen werden, der zum „Quatuor“ bemerkt, daß es bei „vier obligaten Stimmen [...] nach Art der Fuge“ zu behandeln sei.17 15 16 17
Koch, Versuch einer Anleitung zur Composition (Anm. 6), S. 326f. Mozart, Briefe und Aufzeichnungen (Anm. 14), Bd. 3, S. 262. Koch, Versuch einer Anleitung zur Composition (Anm. 6), S. 326.
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Auch Schönberg bezieht sich bei seiner neuen Technik auf den Kontrapunktiker Bach, bei dem „man geneigt sein könnte, ihn als den ersten Zwölftonkomponisten zu bezeichnen. Hat man bemerkt, daß die kontrapunktische Flexibilität der Themen Bachs aller Wahrscheinlichkeit nach auf seinem instinktiven Denken in mehrfachem Kontrapunkt beruht, das Spielraum für zusätzliche Stimmen läßt, und vergleicht man seinen Kontrapunkt dann mit Händels, so scheint der Kontrapunkt des letzteren dürftig und einfach, und seine Nebenstimmen sind wirklich minderwertig.“18
Kontrapunktische Stimmverflechtung und b-a-c-h-Hommage finden sich auch in Weberns Quartett, op. 28 (1937/38), dort in der Aufgliederung der Reihe in drei Viertongruppen aus b-a-c-h. V Ein entscheidendes gemeinsames Merkmal, das zugleich den Kern des Phänomens Streichquartett betrifft, ist der Charakter eines musikalischen Diskurses.19 Daß es gerade vier Instrumentalisten sind, die ein solches Gespräch führen, läßt sich mit dem in der Wiener Klassik als ideal angesehenen vierstimmigen Kammermusikund Orchestersatz einigermaßen hinreichend erklären gegenüber der barocken Triosonate oder einer in der niederländischen Vokalpolyphonie als besonders kunstvoll angesehenen Fünfstimmigkeit. Möglicherweise ist dabei auch der kosmologische, auf die mittelalterliche Zahlensymbolik zurückgehende Aspekt der „irdischen“ Zahl Vier (Jahreszeiten, Himmelsrichtungen, Lebensalter etc.) mitzubedenken.20 Für die Metapher der vier miteinander und zunächst ohne weitere aktive Teilnehmer oder passive Zuhörer ins musikalische Gespräch vertiefte Menschen stehen zahlreiche Bildbelege des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts. Der Pariser Quartett-Tisch, ein Stich von Pierre Migeon um 1750 (Abb. 1), darf als ein Symbol für die häusliche Musizierpraxis im privaten Salon der Zeit gelten. Weitere Beispiele wie ein anonymes Gemälde des 18. Jahrhunderts aus der Villa Bertramka des Ehepaars Duschek (Abb. 2), in der Mozart während seines ersten Prag-Aufenthaltes verkehrte, die scherenschnittartige Silhouette eines Quartetts am OettingenWallersteinschen Hof um 1790 (Abb. 3) oder das von Carl Heinrich Arnold um 1835 im Hause Louis Spohrs festgehaltene Musizieren (Abb. 4), jetzt mit Zuhörern, zeigen eine noch nicht festgelegte Plazierung der Ausführenden zumeist in Form eines Kreises mit gegenseitigem Blickkontakt. Dieser Bildtypus setzt sich bis ins 20. Jahrhundert fort, so in einer Zeichnung von Fred Dolbin des Kolisch-Quartetts 18 19
20
Arnold Schönberg, Neue Musik, veraltete Musik, Stil und Gedanke, in: ders., Stil und Gedanke. Aufsätze zur Musik, hrsg. von Ivan Vojtĕch (= Gesammelte Schriften 1), Frankfurt am Main 1976, S. 45. Vgl. zu dieser Thematik den nach Abschluß des Manuskripts erschienenen Sammelband: Manfred Angerer/Carmen Ottner/Eike Rathgeber (Hg.), Musikalische Gesprächskultur. Das Streichquartett im habsburgischen Vielvölkerstaat (= Beiträge der Österreichischen Gesellschaft für Musik 12), Wien 2006. Vgl. hierzu auch Finscher, Streichquartett (Anm. 8), Sp. 1925.
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(Abb. 5), das sich für die Kompositionen des Schönberg-Kreises einsetzte. Auf dieser Zeichnung sind auch Schönberg (rechts stehend) und Berg (in der Mitte sitzend) zu sehen. In dem Maße, wie das Streichquartettspiel im Laufe des 19. Jahrhunderts auch im öffentlichen Konzert mit kanonisierten Werken heimisch wurde, etwa die Besetzung des Quartetts von Joseph Joachim (Abb. 6) oder das 1919 gegründete Quartett um Adolf Busch (Abb. 7), wurde auch die Sitzordnung normiert und öffnete sich gleichzeitig zu einem das Publikum einbeziehenden Halbkreis. Als weitere Belege seien die Gemälde des Klingler-Quartetts von 1917 (Abb. 8) und des Rosé-Quartetts von 1925 (Abb. 9) von Max Oppenheimer angeführt. Arnold Joseph Rosé, bis 1931 Konzertmeister der Wiener Philharmoniker, brachte mit seinem 1882 gegründeten Ensemble Schönbergs erstes (5. Februar 1907) und zweites (21. Dezember 1908) Streichquartett in Wien zur Uraufführung. Im Wohnhaus in Mödling ist ein Quartett-Notenpult erhalten (Abb. 10), das Schönberg selbst nach eigenen Entwürfen angefertigt hat.
Abbildung 1: Pierre Migeon, Pariser Quartett-Tisch. Stich, um 1750. Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (nach Krummacher, Das Streichquartett, Teilband 1 [Anm. 13], S. 69).
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Abbildung 2: Anonym, Quartettspiel im Salon. 18. Jahrhundert. Mozart-Museum Villa Bertramka, Prag (nach 2MGG, Sachteil Bd. 8 [Anm. 8], Sp. 1936).
Abbildung 3: Quartettspiel am Hof des Fürsten Kraft Ernst zu Oettingen-Wallerstein. Silhouette, um 1790 (nach Krummacher, Das Streichquartett, Teilband 1 [Anm. 13], S. 103).
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Abbildung 4: Carl Heinrich Arnold, Streichquartett im Hause Spohrs. Nach 1835 (nach Krummacher, Das Streichquartett, Teilband 1 [Anm. 13], S. 313).
Abbildung 5: Fred Dolbin, Das Kolisch-Quartett. Zeichnung (nach Krummacher, Das Streichquartett, Teilband 2 [Anm. 11], S. 275).
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Abbildung 6: Joachim-Quartett (nach Krummacher, Das Streichquartett, Teilband 2 [Anm. 11], S. 85).
Abbildung 7: Busch-Quartett, 1931 (nach Krummacher, Das Streichquartett, Teilband 2 [Anm. 11], S. 238).
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Abbildung 8: Max Oppenheimer, Klingler-Quartett, 1917. Österreichische Galerie im Oberen Belvedere, Wien (nach Marie-Agnes von Puttkamer, Max Oppenheimer – MOPP [1885–1954]. Leben und malerisches Werk mit einem Werkverzeichnis der Gemälde, Wien 1999, Farbtafel 17).
Abbildung 9: Max Oppenheimer, RoséQuartett, 1925. Stadtgeschichtliche Museen, Nürnberg (nach Leon Botstein/Werner Hanak [Hg.], Vienna. Jews and the City of Music. 1870–1938, Hofheim 2004, S. 60).
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Abbildung 10: Quartettnotenpult, nach einem Entwurf von Arnold Schönberg angefertigt. SchönbergHaus Mödling, Bernhardgasse 6 (Arnold Schönberg Center, Wien).
Die bildlichen Darstellungen des Instrumentalgesprächs werden durch literarische Äußerungen flankiert, die bald die Qualität eines Topos annehmen. Sie resultieren nicht zuletzt aus dem Bemühen, den Sprachcharakter von Musik und deren rhetorische Traditionen im Bewußtsein der Zeit zu verankern und dem kompositionstechnischen Prinzip des Sonatensatzes auch eine zeichenhafte Deutung an die Seite zu stellen. Johann Matthesons Begrifflichkeit einer „Klangrede“ und „Tonsprache“ von 1739,21 die nicht nur in wortgebundener Musik, sondern ebenso auch in der „reinen“ Instrumentalmusik ihre Berechtigung hat, scheint neben Johann Adolf Scheibe22 der Impulsgeber für die weitere Übertragung auf die Kammermusik und das Streichquartett gewesen zu sein. 1773 spricht Johann Friedrich Reichardt von der „Idee eines Gesprächs unter vier Personen“, die er „bei dem Quartett“ gehabt habe.23 Johann Georg Sulzer wählt, möglicherweise als Reflex auf die französische Ästhetik eines Fontenelle oder D’Alembert, die Sonate als Paradigma. „Der Tonsetzer kann bey einer Sonate die Absicht haben, in Tönen der Traurigkeit, des Jammers, des Schmerzens, oder der Zärtlichkeit, oder des Vergnügens und der Frölichkeit ein Monolog auszudrüken; oder ein empfindsames Gespräch in blos leidenschaftlichen Tönen unter gleichen, oder von einander abstechenden Charakteren zu unterhalten [...].“24
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Johann Mattheson, Der Vollkommene Capellmeister, Hamburg 1739. Faksimile-Nachdruck, hrsg. von Margarete Reimann, Kassel–Basel 1954, S. 82 (10. Kpt., § 63). Johann Adolf Scheibe, Der Critischer Musicus, Leipzig ²1745, S. 560. Johann Friedrich Reichardt, Vermischte Musikalien, Vorrede, Riga 1773, zit. nach Finscher, Streichquartett (Anm. 8), Sp. 1926. Johann Georg Sulzer, Allgemeine Theorie der schönen Künste. Vierter Theil. Reprographischer Nachdruck der 2. vermehrten Auflage Leipzig 1794, Hildesheim 1967, S. 425.
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Auch bei Christian Friedrich Daniel Schubart taucht die „Sonate“ mit rhetorischem Bezug unter den „musikalischen Kunstwörtern“ auf, hier noch in der älteren Dreistimmigkeit. „Sonate. Ein Spiel der Instrumente; traulich und gesellschaftlich. Zwey Stimmen bilden nie eine Sonate, aber drey; und diese drey Stimmen sind eben so viel Freunde, die sich im traulichen Chore mit einander unterhalten. Die Sonate ist mithin musikalische Conversation, oder Nachäffung des Menschengesprächs mit todten Instrumenten.“25
Durch Reichardt mag die Gesprächs-Metapher an Goethe weitervermittelt worden sein, der sie 1829 in einem Brief an Carl Friedrich Zelter, jetzt wieder auf das Quartettspiel bezogen, mit kühler Rationalität und vom Standpunkt eines sinnlich begabten „Augenmenschen“ deutet: „Wär’ ich in Berlin, so würde ich die Möserischen Quartettabende selten versäumen. Diese Art Exhibitionen waren mir von jeher von der Instrumentalmusik das Verständlichste: man hört vier vernünftige Leute sich untereinander unterhalten, glaubt ihren Diskursen etwas abzugewinnen und die Eigentümlichkeiten der Instrumente kennenzulernen.“26
Ob die Wiener um Schönberg Goethes berühmt gewordene Einschätzung gekannt haben, ist kaum zu belegen. Die dichte, an musikalischer Logik orientierte Diskursivität ihrer Quartette, auch das von der Reihentechnik dominierte Netzwerk aus Motiv- und Themensubstanzen und nicht zuletzt die Freude am gemeinsamen Musizieren könnte es jedoch glaubhaft werden lassen. Alban Berg schreibt am 2. August 1923 aus Hallein an seine Frau über das damals renommierte HavemannQuartett: „Ich sage Dir, reizende Menschen. Vier blonde, lustige, sehr begeisterte und eifrige Musiker. Wir hatten uns nach den ersten zehn Minuten lieb gewonnen. Und zwar, als ich sah, wie die mein Quartett fast auswendig kennen, wie die das von selbst schon als ganz richtiggehende Musik empfanden und hinlegten, ging mir das Herz auf! Es ist halt doch was anderes, als diese DilettantenQuartettspielereien im ‚Verein‘. Wie die vier Leute zusammengespielt sind, wie das bei den Proben klappt, wie glücklich die über das Material sind! Wie jeder alle vier Stimmen kennt, ja einer den anderen kontrolliert!! – Hoffentlich wird’s heut abend so gut, wie es werden könnte, wenn kein Malheur passiert! …“27
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26 27
Christian Friedrich Daniel Schubart, Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst. 2. Nachdruck der Ausgabe Wien 1806, hrsg. von Fritz und Margit Kaiser, Hildesheim 1990, S. 360 („Von den musikalischen Kunstwörtern“). Karl Friedrich Zelter, Johann Wolfgang Goethe, Briefwechsel. Eine Auswahl, hrsg. von Hans-Günter Ottenberg, Leipzig 1987, S. 369 (Brief vom 9. November 1829). Zit. nach Ursula v. Rauchhaupt (Hg.), Schönberg – Webern – Berg: Die Streichquartette. Eine Dokumentation, Hamburg 1971, S. 109f.
DIETER GUTKNECHT (Köln)
Die Wiener Schule und die Aufführungspraxis der klassischen Musik (Kolisch) „Überhaupt: während bei der modernen Musik das vollkommene Durchschauen der scheinbar komplizierten Form zur Klarheit verhilft, werden bei der klassischen unter der scheinbaren Einfachheit ungeahnte Tiefen aufgedeckt. Dort erweist sich auch am eklatantesten die Originalität von Schönbergs Darstellung. Da sie unmittelbar von der Anschauung des Kunstwerkes ausgeht, ist sie nicht auf Tradition angewiesen. Für Schönberg sind alle Weisungen in den Noten selbst enthalten, die man nur richtig lesen können muß. Den Gedankenreichtum, den er in s e i n e Noten zwängt, weiß er aus denen der alten Meister zu schöpfen, ihr geistreichster Interpret! An seiner Wiedergabe ihrer Werke wird seine geistige Verbundenheit mit ihnen offenbar.“1
Mit diesen Sätzen beschließt Rudolf Kolisch (1896–1978), der wohl kompetenteste Interpret Schönbergscher Musik, seinen Festschriftbeitrag zu dessen fünfzigstem Geburtstag. Es sind Gedanken, die er später in seinen zahllosen Kursen, Gesprächen und Veröffentlichungen zur Interpretation, vornehmlich des Schönbergschen und Beethovenschen Werkes, als Grundlage auch seines Musizierens wiederholen sollte. Auf einen kurzen Nenner gebracht lautet die interpretatorische Erkenntnis: Die Kriterien und die Sorgfalt, die man der Verklanglichung der Musik der Wiener Schule zugrundelegt, zugrundelegen muß, sind dieselben, die man auch für die Darstellung der klassischen Musik wirksam werden lassen sollte. Das oberste Prinzip einer werkgerechten Interpretation wäre demnach, aus der notierten Form eines musikalischen Kunstwerks all die Kompositionsmittel in Struktur und Akzidenz klanglich zu verdeutlichen, mit Hilfe derer ein Komponist sein musikalisches Kunstwerk schriftlich fixierte. Ein solcher Ansatz setzt vor dem praktischen Ausführen genaueste Analyse voraus, die bei Kolisch so weit geht, daß er getreu dem bekannten Schönbergschen Aperçu „Is performance necessary? (not the author, but the audience only needs it)“2 als letzte Konsequenz gar fordert, Musik sollte gelesen und nicht gehört werden.3 Diese elitäre Forderung von Kolisch entstammt den letzten Monaten vor seinem Tode 1978 und stellt somit wohl mehr ein Musikerfazit nach lebenslangen Erfahrungen im Konzertbetrieb dar als eine zu 1 2
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Rudolf Kolisch, Schönberg als nachschaffender Künstler, in: Arnold Schönberg zum fünfzigsten Geburtstage, 13. September 1924, Sonderheft der Musikblätter des Anbruch 6/7–8 (August–September 1924), S. 307. Handschriftliche Notiz zur Theory of Performance (Interpretation) Execution, ca. 1945 (Arnold Schönberg Center, Wien [T 75.01]). Das Zitat ist abgedruckt bei: Rudolf Kolisch, Zur Theorie der Aufführung. Ein Gespräch mit Berthold Türcke (= Musik-Konzepte 29/30), München 1983, S. 9. Ebenda S. 10.
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verallgemeinernde Maxime. Sie zielt ganz auf die Privatisierung, somit den Schutz der Musik vor einer öffentlichen, vermeintlich oberflächlichen und wohl auch viel zu häufigen Interpretationshaltung, die darüber hinaus den Interpreten mehr in den Vordergrund stellt als das aufzuführende musikalische Kunstwerk. Solche Interpretatoren-Sehnsüchte, ja „Verprivatisierungen“ von Musik, das in schriftlicher Form fixierte Musikwerk dem eigentlichen Endzweck, nämlich der Verklanglichung, zu entziehen, sind nicht neu. Man wird an die KunstkammerGedanken des 16. Jahrhunderts erinnert, als Orlando di Lassos Dienstherr Albrecht V. dessen Prophetiae sibyllarum und Septem psalmi poenitentiales der öffentlichen Aufführung entzog und sie nur dem privaten „Anschauen“ reservierte.4 Ja, die Idee wirkt wie die erneute Forderung nach einer „Augenmusik“, die seit dem 16. Jahrhundert ihre Geheimnisse nicht dem Ohr, sondern allein dem Auge preisgibt und damit ihre wahre einkomponierte „Schönheit“ in Form, Struktur und Formelhaftigkeit nur dem gebildeten, musikverständigen „Leser“ offenbart. Was die Forderung nach dem Zurücktreten bzw. gänzlichen Verschwinden des subjektiven Interpreten anbelangt, erinnert man sich schnell an die Ästhetik der Historischen Aufführungspraxis in ihren Anfangsbestrebungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts im allgemeinen, worauf Markus Grassl bereits verwies,5 an die Jugendmusikbewegung 6 im speziellen. Bei der letztgenannten findet sich z. B. im Programmheft der „Kasseler Musiktage“ (1933) der programmatische Satz: „Die Wirkung auf nur zuhörende Dritte ist [...] nicht in erster Linie wesentlich“7, womit einerseits die eigene individuelle Musikerfahrung angesprochen wurde, die zwar nicht durch Lesen, sondern durch Musizieren in einer Gruppe Gleichgesinnter geschah, andererseits aber auch das Moment, daß die Wirkung nach einem Außen außerhalb der musizierenden Gruppe nicht angestrebt wurde. Das Ziel der individuellen Privatisierung von Musik wurde hier auf diese Weise zu erreichen versucht. Als ein Beispiel verwandten Ansinnens sei Dieter Schnebels komponiertes LeseStück Mo – No. Musik zum Lesen 8 aus dem Jahre 1969 genannt, in dem er den Leser (Hörer) mit Hilfe von Text und Noten durch seine Komposition führt. Kolisch unterliegt in seinem Wunsche nicht der Verallgemeinerung, sondern fordert eine solche Privatisierung von Musik von dem, der „jedes Zeichen in der Vorstellung identifizieren kann“9.
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Zum Gedanken der „Kunstkammer“ vgl. Horst Bredekamp, Antikensehnsucht und Maschinenglauben. Die Geschichte der Kunstkammer und die Zukunft der Kunstgeschichte, Berlin 1993; Alfred Einstein, Augenmusik im Madrigal, in: Zeitschrift der Internationalen Musikgesellschaft 15 (1912/13). Markus Grassl, „Webern conducted Bach best of all“. Die Wiener Schule und die alte Musik, in: Markus Grassl/Reinhard Kapp (Hg.), Die Lehre von der musikalischen Aufführung in der Wiener Schule. Verhandlungen des Internationalen Colloquiums Wien 1995 (= Wiener Veröffentlichungen zur Musikgeschichte 3), Wien–Köln– Weimar 2002, S. 520. Dieter Gutknecht, Studien zur Geschichte der Aufführungspraxis Alter Musik, Köln 21997, S. 266ff. Ebenda S. 266. Dieter Schnebel, Mo – No. Musik zum Lesen, Köln 1970. Kolisch, Theorie der Aufführung (Anm. 2), S. 13.
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Um jedes Zeichen einer Komposition lesend verstehen zu können, sie auf diese Weise in Klang zu verwandeln, um die Komposition, das von einem Komponisten geschaffene Kunstwerk, in seiner unverfälschten Form erkennen zu können, muß Kolisch natürlich von der Auffassung ausgehen, daß im notierten Musikwerk alles unzweifelhaft festgehalten ist, was dieses im Ganzen ausmacht.10 Durch die genaueste Beachtung des im Notentext Fixierten meint er, nicht nur das Werk exakt wiedergeben, sondern auch die Subjektivität des Ausübenden einschränken zu können. Hierzu dienen „objektive[…] Bestimmungen“, die seiner Auffassung nach keinerlei Interpreten-Willkür unterliegen, nämlich: „Tonhöhe, Tondauer, Tonstärke und Geschwindigkeit des Ablaufs“11.
Diese vier Parameter nennt er auch das „Rohmaterial der Aufführung“, dessen genaueste Beachtung bei der Ausführung zur eigentlichen Aufgabe der Interpretation führt: „die Enträtselung des Sinnes“ 12 eines musikalischen Kunstwerks. Mit dieser Interpretenhaltung erzielte Kolisch zunächst sicherlich Befremden, ging und geht doch jeder Streicher davon aus, daß der lineare und vertikale musikalische Zusammenhang letztlich Tonhöhen-, Tondauern-, Tonstärken-, ja auch Tempomodifikationen erfordert.13 Für Kolisch galt aber als Intonationsgrundlage die zwölftönige chromatische Tonleiter mit exakt gleichen Tonabständen, ferner die mathematisch organisierte Tondauerrelation, die vom Komponisten geforderte Tonstärkenangabe und ein dem Satztyp und Satzcharakter innewohnendes unveränderbares Tempo, das er z. B. der Beethovenschen Kammermusik metronomisch präzise zu Grunde legte.14 Schönberg vertrat offensichtlich keine annähernd so rigide Auffassung vom notierten Musikwerk. In einer englischsprachigen Notiz, die, wie zahlreiche andere, wohl zur späteren Ausarbeitung seiner geplanten Theory of Performance | (Interpretation) | Execution, wie es auf einem Umschlag zu lesen ist, dienen sollte, heißt es zu Beginn: „Musical notation is as multiple meaning as are rebusses [Bilderrätsel]“ 15 – ein häufiger zitierter Ausspruch. Für ihn war es wohl so, daß die Notation durchaus Unex-
10 11 12 13 14
15
Ebenda. Ebenda S. 14. Ebenda. Rudolf Kolisch, Religion der Streicher, in: ders., Theorie der Aufführung (Anm. 2), S. 113–119. Rudolf Kolisch, Tempo und Charakter in Beethovens Musik (= Musik-Konzepte 76/77), München 1992, S. 88ff. (Index); Kolisch, Begleittext zum Seminar „Theory of Performance“: „Die Theorie der Aufführung konstruiert die epistemologische Basis für die Aufführung als eine disciplina sui generis, losgelöst von der Unterweisung am Instrument. Gehalt und Bedeutung der Zeichen der Notation werden systematisch untersucht und definiert als ‚Elemente der Aufführung‘. Indem ein Maximum an objektiver Information aus diesen Zeichen herausgebildet wird, werden die Bereiche der Interpretation, nämlich die der subjektiven Entscheidungen, verringert.“ (Veröffentlicht in ders., Theorie der Aufführung [Anm. 2], S. 14f.). Schönberg, Theory of Performance (Anm. 2); vgl. auch Grassl, „Webern conducted Bach best of all“ (Anm. 5), S. 520.
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aktheiten enthielt, deren sinngerechte Deutung dem Entscheid des Interpreten anheimgestellt war. Im weiteren Verlauf dieses Typoskripts fragt Schönberg: „What is: Fliessend? Pesante? Rallentando? --- Vibrato? Portamento Schl[ei]fenSchmieren? How far goes Rit, Accelerando, and how does it develop: Gradually? or how?“16
Diesen Fragen, die sicherlich zur späteren Ausarbeitung katalogartig zusammengestellt wurden, folgen eine Menge anderer ausführungspraktischer Probleme, die allesamt verdeutlichen, daß Schönberg weit davon entfernt war, die musikalische Notenschrift als eine von Zweifeln freie aufzufassen überzeugt war. Natürlich endet mit den beschriebenen Ausführungen Kolischs Theorie der Aufführung keinesfalls. Zwar einem Text Schönbergs von vor 1932 folgend: „Es soll nicht geleugnet werden, dass eine gewisse Lebendigkeit in Rhythmus und Tempo, eine gewisse Eindringlichkeit im Vortrag der Phrasen, in ihrer Kontrastierung, Gegenüber- und Nebeneinanderstellung, ein gewisser Aufbau in Tempo und Dynamik, eine zweckmäßige Verteilung des espressivo und seines Gegenteils nicht wenig dazu beiträgt, die Gedanken des Autors und ihren Ablauf verständlich zu machen“17,
modifiziert Kolisch diesen dahingehend, daß trotz des „Eintritt[s] der Person“ des Interpreten in die Interpretation, was seine Definition des „Espressivo“18 ausmacht, Objektivität und nicht subjektive Willkür dem musikalischen Kunstwerk gegenüber walten muß. Die Qualität der Espressivo-Musik sieht er vor allem im, wie es bei ihm in einem Interview heißt, „Element der Konstruktion. Keine Rührung – Erkenntnis“19: „In diesen Bereich des Espressivo gehört ja alles, was sich in einem Musikstück vollzieht. Das ist ja beinahe unerschöpflich. Die Frage ist eben, ob überhaupt etwas non espressivo sein kann. Non Espressivo ist auch Espressivo, durch die bloße Negation wird es das. Was wir meinen, ist eine spezifische Art von Expressivität. Ich nenne es das Wiener Espressivo, um es deutlicher zu kennzeichnen.“20
Was Kolisch hier umschreibt, verdeutlicht seine Kompositionsauffassung, daß ein Espressivo einem musikalischen Werk eingeschrieben ist, es gehört somit nicht zur Sphäre des Interpreten.21 Der Gedanke der Objektivität der Interpretation findet sich etwa auch in all den Überlegungen innerhalb der Wiener Schule über die Metronomisierung, zu der auch 16 17 18 19 20 21
Schönberg, Theory of Performance (Anm. 2). Arnold Schönberg, Zur Vortragslehre (Arnold Schönberg Center, Wien [T 35.50]). Kolisch, Theorie der Aufführung (Anm. 2), S. 28. Ebenda S. 35. Ebenda S. 36. Matthias Schmidt, Schönberg und Mozart. Aspekte einer Rezeptionsgeschichte (= Publikationen der Internationalen Schönberg-Gesellschaft 5), Wien 2004, S. 12.
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Adorno einiges beitrug.22 Sein zentraler Gedanke mag die Auffassung von der zwar Zeitgebundenheit der Bezeichnungen, aber auch ihrer Notwendigkeiten sein. Seine Schriften über Kolisch oder Erwin Stein sowie Der getreue Korrepetitor zeigen ihn u. a. als Verehrer der Wiener-Schule-Praxis, die bei ihm jedoch mit der Darmstädter Auffassung verknüpft wird.23 Schönbergs Auffassung einer „musikalischen Reproduktion“ war um 1930 wohl eine differenziertere, wenn nicht in einigen wesentlichen Bereichen von derjenigen Kolischs, wohl auch Adornos, zu unterscheidende. In einem Typoskript aus dem Jahre 1932 mit der Überschrift Zur Vortragslehre, woraus ich weiter oben bereits zitierte, legt Schönberg dar: „Das oberste Prinzip aller musikalischen Reproduktion müsste es sein: was der Komponist geschrieben hat, auf solche Weise zum Klingen zu bringen, dass jede Note auch wirklich gehört wird und dass alles, ob es nun gleichzeitig oder ungleichzeitig klingt, in einem solchen Verhältniss [sic!] zu einander steht, dass keine Stimme in keinem Augenblick die andere verdeckt sondern im Gegenteil dazu beiträgt, dass alle sich von einander gut abheben. Jeder Komponist von einiger Erfahrung setzt seine Noten auf eine solche Weise, gleichviel, ob er nun für ein Soloinstrument, oder ein kleines Kammermusikensemble oder für Orchester schreibt. Das ist die Vorbedingung allen Musizierens und wer ihr nicht entspricht, dem wird es mit allen andern Mitteln des Vortrages, und wenn dieser auch noch so lebendig ist, nicht gelingen, einen feinsinnigen Kenner zu befriedigen.“24
Der erste Teil des Zitats geht konform mit den Auffassungen Kolischs, wobei die Fortsetzung den Ansatz- und Ausgangspunkt zu dessen Interpretationshaltung liefern könnte: Da ein Komponist alle Parameter seines Werkes so abgewogen gewählt und plaziert hat, ist es die oberste Aufgabe des interpretierenden bzw. reproduzierenden Künstlers, all das im Klang zu verdeutlichen, hörbar zu machen. In ähnlicher Weise äußerte sich Hans Swarowski, der große Dirigent nicht nur des klassischen Repertoires, sondern gerade auch desjenigen der Wiener Schule. Für ihn ist die genaueste Darstellung des Komponistenwillens gleichfalls zentrales Anliegen,25 wie es ebenfalls für Erwin Stein26 und Anton Webern gilt, dessen Forderung nach den Urtext-Ausgaben als Grundlage des Musizierens des klassischen Repertoires signifikant war.27 22 23
24 25 26 27
Theodor W. Adorno, Metronomisierung, in: Pult und Taktstock. Fachzeitschrift für Dirigenten 3/7–8 (September/Oktober 1926), S. 130–134. Ein Gesamtverzeichnis von Adornos Schriften zur Aufführungspraxis der Wiener Schule findet sich bei: Grassl/Kapp (Hg.), Die Lehre von der musikalischen Aufführung in der Wiener Schule (Anm. 5), S. 667f.; vgl. auch Theodor W. Adorno, Der getreue Korrepetitor. Lehrschriften zur musikalischen Praxis (= Gesammelte Schriften 15), Frankfurt am Main 1997, S. 157–402. Schönberg, Zur Vortragslehre (Anm. 17). Hans Swarowsky, Wahrung der Gestalt. Schriften über Werk und Wiedergabe, Stil und Interpretation in der Musik, hrsg. und redigiert von Manfred Huss, Wien 1979, S. 13. Erwin Stein, Musik. Form und Darstellung, München 1964, S. 19: „[...] der Akt künstlerischen Schaffens besteht in der Formung des Materials.“ Grassl, „Webern conducted Bach best of all“ (Anm. 5), S. 522ff.
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Zu Schönbergs „Vortragslehre“ gehört aber noch etwas hinzu, das er des öfteren mit „Lebendigkeit“ bezeichnet: „Ja es scheint, dass der naive und minder kultivierte Zuhörer [weiter oben hatte er auch den Musikkenner genannt] durch solche sinnfällige, gestikulierende Vortragsart leichter zu überzeugen ist, als durch noch so fein abgetönte, wohlerwogene Wiedergabe der gedanklichen Verhältnisse.“28
Auch wenn nach diesem letzten Zitat primär der Eindruck entstehen könnte, Schönberg möchte eine prinzipielle Unterscheidung zwischen dem „naïve[n] und minder kultivierte[n] Zuhörer“ und einem fachlich kompetenten, gebildeten vollziehen, scheint es doch eher so zu sein, daß er lediglich das Moment der „Lebendigkeit“ des Vortrags für additiv unumgänglich hinzufordern möchte. Diesem Gedanken vorgeschaltet ist die Frage nach der Exaktheit des Vortrags durch genauere und zahlreichere Bezeichnung im Notenbild. Schönbergs Haltung hierzu fällt differenziert und eindeutig aus. In einem Typoskript, das offenbar gleichfalls als Vorstudie zu einer „Vortragslehre“ dienen sollte, führt Schönberg aus: „Die Bezeichnung des Vortrages wird, je genauer, desto unvollkommener. Die Versuchung jedoch, den Gedanken nicht nur was Inhalt und Konstruktion betrifft – vollendet darzustellen, sondern ihn durch die Lebhaftigkeit des Vortrags über die Sphäre zeitgemässer Deutungsnotwendigkeit hinauszuheben: diese Versuchung ist zu gross, als dass ein Autor, der sich so klar ausdrücken will, dass wenigstens er immer versteht, ihr nicht in fortschreitendem Masse erliegen sollte. Einer späteren Zeit wird allerdings diese Bezeichnung wieder zu eng oder zu ungenau sein und sie wird sie darum entweder ergänzen und modificieren oder ignorieren müssen. Trotzdem aber kann die einmal betretene Bahn nicht ohneweiters verlassen werden: wir können nicht wieder so wenig bezeichnen, wie Beethoven und Mozart oder gar wie Bach. Die Frage, ob wir mehr hören, als unsere Vorgänger, oder bloss dem Ausführenden weniger Freiheit lassen wollen, als sie, darf hier unbeantwortet bleiben; umsomehr, als die Antwort nur auf bedingte Glaubwürdigkeit Anspruch machen dürfte.“29
Hieraus spricht die Erkenntnis, daß nicht sämtliche Parameter des Vortrags durch Zeichen vorgegeben werden können, auch wenn es in höchster Akribie geschieht. Denn alles das, was durch die „Lebhaftigkeit“, „Lebendigkeit“ der Darstellung in der Verklanglichung hinzukommt, läßt sich nicht fixieren, was zur Konsequenz hat, 28 29
Schönberg, Zur Vortragslehre (Anm. 17). Arnold Schönberg, Zur Vortragslehre (Arnold Schönberg Center, Wien [T 36.05]), „etwa 1923 oder 1924“; das Zitat ist ferner abgedruckt bei: Hermann Danuser, Zu Schönbergs „Vortragslehre“, in: Rudolf Stephan/Sigrid Wiesmann (Hg.), Bericht über den 2. Kongreß der Internationalen Schönberg-Gesellschaft. „Die Wiener Schule in der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts“. Wien, 12. bis 15. Juni 1984 (= Publikationen der Internationalen Schönberg-Gesellschaft 2), Wien 1986, S. 256f.; Danusers in den Zitattext hineingesetzten Deutungen zweier Textstellen möchte ich, wenigstens im ersten Falle, so nicht folgen. Wenn er zu Schönbergs häufiger benutztem Begriff „Lebhaftigkeit des Vortrags“ den Zusatz „d. h. durch sehr genaue Bezeichnung“ ergänzt, dann deutet er den Terminus meines Erachtens zu eng. Schönberg versteht unter dem Begriff das, was er sagt, und nicht, wodurch er erzielt wird.
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daß das musikalische Kunstwerk stets dem zeitgemäßen Interpretationsgeschmack anheimfällt. Ein dem Zeitgeschmack offensichtlich nicht unterlegenes Moment scheint in der Interpretensicht Kolischs das Tempo zu sein, dessen richtige Wahl zur Darstellung des richtigen Charakters einer Komposition führt. Auch wenn Kolisch diese Erkenntnis vornehmlich bei der Interpretation der Beethovenschen Werke fand, so legt er sie aber auch den Kompositionen Haydns, Mozarts und Brahms zugrunde, 30 ja nicht nur diesen, sondern überhaupt sämtlichen bis in seine Gegenwart. Das bisher Ausgeführte als Grundlage des Musizierens läßt sich an zahlreichen Aufnahmen des Kolisch-Quartetts sowohl an Werken der Wiener Schule, speziell derjenigen Schönbergs, als auch des klassischen Repertoires belegen. Seit kurzem ist die Aufnahme des Kolisch-Quartetts von Mozarts Streichquartett D-Dur, KV 575, wieder leicht zugänglich.31 Sie entstand 1934 in London. Nach dem ersten Höreindruck bleibt eine nicht näher zu bestimmende Klarheit in Erinnerung, die bei genauerem Hinsehen offensichtlich aus der deutlichen Darstellung der Phrasen, Themen und des Hervorhebens thematischen Materials in den unteren Stimmen resultiert. Die Phrasen und Themen werden deutlich in der Form gespielt, daß stets einem ruhigen Beginn ein ruhig auslaufendes Ende folgt, in dem niemals die Zielnote betont wird, wie man es in zahlreichen Aufnahmen oder in Konzerten auch heute noch hören kann. Als Belege seien hierfür die Phrasen-Schlüsse in den Takten 7, 19, 23 und insbesondere Takt 32 angeführt. Zur Klarheit der Darstellung trägt ferner die stets getreue, von Mozart akribisch notierte Artikulation bei, wobei die schon fast überpointiert in StaccatissimoManier gespielte Sechzehntelkette in den Takten 29 und 31 der ersten Geige (was nicht von Mozart stammt, da damals noch unbekannt) ein Zugeständnis an Kolischs Virtuosität sein mag. Sie ist aber so leicht gespielt, daß die darunter liegenden Stimmen deutlich ihr melodisch abgewandeltes Notenmaterial vortragen können, ohne forcieren zu müssen. Die genaueste Beachtung der dynamischen Vorzeichnung gehört mit zu den Selbstverständlichkeiten und Grundlagen von Kolischs Aufführungstheorie. So werden vor allem die beiden subito eintretenden laut-leise-Stellen in den Takten 45 und 46 sowie das auf engem Raum auszuführende Crescendo vom Piano zum Forte getreu der Notation ausgeführt.
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Kolisch, Theorie der Aufführung (Anm. 2), S. 38. The Kolisch-Quartett. Mozart, Schumann, Wolf (rec. 1929–1937), archiphon ARC-108 (1993); neben Wolfgang Amadeus Mozarts Streichquartett D-Dur, KV 575, enthält die CD: Mozart, Streichquartett F-Dur, KV 590 (Minuetto. Allegretto – Trio); Mozart, Sextett F-Dur (Ein musikalischer Spaß), KV 522; Robert Schumann, Klavier-Quartett Es-Dur, op. 47, und Hugo Wolf, Italienische Serenade.
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Notenbeispiel: Wolfgang Amadeus Mozart, Quartett D-Dur, KV 575, 1. Satz, T. 1–46 (nach Wolfgang Amadeus Mozart, Die zehn berühmten Streichquartette, hrsg. von Ludwig Finscher. Urtext der Neuen Mozart-Ausgabe, Kassel etc. 1990).
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Die Tempo-Wahl entspricht im Grunde den Metronom-Angaben, wie sie Kolisch vor allem für Beethovens Musik fand.32 Den einleitenden Allegretto-Satz in Alla breve nimmt er in = 80, ein Tempo, das er bei Beethoven nicht fand. Hier entspricht ein solches einem Allegro moderato bis Allegro ma non troppo. Den zweiten Satz – Andante im Dreiviertel Takt – gibt er nach Beethoven mit = 60–76 an, was in seiner Mozart-Aufnahme den Mittelwert MM = 66 ausmacht, ein im Vergleich zu anderen Aufnahmen eher langsames Tempo. Die Tempo-Wahl im Menuett ist außergewöhnlich rasch, aber konsequent nach Beethovens/Kolischs Vorstellungen. Für den ganzen Takt wählt er als Grundzeitmaß, wie im Andante des zweiten Satzes, = 66, was im Vergleich zu anderen Interpretationen immens schnell ist. Der letzte Satz, ein Allegretto in Alla breve – also dieselbe Vorzeichnung wie der erste! –, erklingt im Tempo MM 96, ein Zeitmaß, das – wie gesagt – bei Beethoven nicht vorkommt. Ein solches Tempo entspricht einem Allegro ma non troppo33. Betrachtet man die Satz-Tempofolge (MM 80 – 66 – 66 – 96 ), so läßt sich durchaus eine klare Konzeption auf der Basis der Beethovenschen Tempo-Charakteristik ausmachen, die im Ganzen des Werkes betrachtet auf eine Steigerung hin ausgelegt ist und ferner dem Charakter eines jeden Satzes entsprechen soll. Das Grundtempo wird in den einzelnen Sätzen natürlich nicht permanent metronomisch gleichbleibend durchgehalten, sondern je nach dynamischer Gestaltung einer Phrase durchaus variiert. Trotz dieser Schwankungen bleibt jedoch das Grundtempo stets erkennbar, da Kolisch immer zu ihm zurückkehrt. An dieser Stelle folgte im Vortrag ein Klangbeispiel: Wolfgang Amadeus Mozart, Quartett D-Dur, KV 575, 1. Satz, Exposition: a) Kolisch-Quartett b) Buxbaum-Quartett34 Abschließend sei der Frage nachgegangen, inwieweit die Interpretation eines klassischen Streichquartetts durch das Kolisch-Quartett den Maximen einer Aufführungspraxis der Wiener Schule – da insbesondere der Theorie, die in zahlreichen Ansätzen vor allem von Arnold Schönberg geprägt wurde – gehorchte. An der Darstellung war konstatiert worden, daß sie durch penible Beachtung der dynamischen Vorzeichnung, durch die klare Darstellung des Tempos, der Artikulation, der Phrasierung und des wichtigen Stimmenverlaufs ein Höchstmaß an Klarheit erziel32 33 34
Kolisch, Tempo und Charakter (Anm. 14), S. 13 und 88ff. Siehe Tabelle, ebenda S. 13. Friedrich Buxbaum (geb. 1869 in Wien, gest. 1948), Studium am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde, 1893–1938 1. Cellist der Wiener Philharmoniker. 1893–1900 Mitglied des Fitzner-, 1900–1921 des Rosé-Quartetts, gründete 1921 ein eigenes Streichquartett. 1938 Emigration nach Schottland, wo er zunächst als erster Cellist des Glasgow Symphony Orchestra, später als Solo-Cellist tätig war; Cellist im Quartett mit Felix Eyle, Max Starkmann und Ernst Moravec. Es wurde eine Aufnahme aus dem Bestand des Musikwissenschaftlichen Instituts der Universität zu Köln, Sign. M 1461, verwendet.
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te. Die Elemente des „musikalischen Gedankens“, die der Konstruktion eines musikalischen Kunstwerks, wurden demnach getreu ihrer Vorgaben herausgearbeitet. Aber die Frage nach der Objektivität, die durch das Herausnehmen des Interpreten aus der Darstellung erzielt werden sollte, sodaß keinerlei „Sentimentalität“ entstehen kann, diese Frage ist schwer zu beantworten, zumal in dieser Aufnahme der individuelle Künstler Rudolf Kolisch in seiner Subjektivität durchaus an vielen Stellen durchscheint. Es sei nur an sein Lagengeschmiere in den Auftakten zu 66 und 70 erinnert, an Tondehnungen und Verkürzungen, auch an die Intonationsauffälligkeit z. B. in der zweiten Violine im Übergang vom Takt 39 zu Takt 40, die natürlich durch die zugrundegelegte Intonation der gleich großen Halbtöne bedingt wird. Es scheint so, als wenn zum angestrebten Interpretationsstandard – „g e i s t i g und nicht s e n t i m e n t a l , g e i s t r e i c h und nicht g e f ü h l v o l l“35 – der für Schönberg unbedingt zu einer klanglichen Reproduktion zugehörige Parameter hinzukommen muß: der Bereich der Lebendigkeit oder Lebhaftigkeit der Interpretation.36 Aber die Frage bleibt überdeutlich: Sind die Ansätze einer Aufführungstheorie der Wiener Schule durchsetzbar oder bleibt diese nicht doch im ganzen Utopie, was verständlich machen würde, daß sowohl Schönbergs als auch Kolischs „Theorie der Aufführung/Theory of Performance“ nur bis zu Skizzen gedieh und nicht abgeschlossen wurde?
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Kolisch, Schönberg als nachschaffender Künstler (Anm. 1), S. 306. In dem frühen Aufsatz zu Schönbergs 50. Geburtstag Schönberg als nachschaffender Künstler führt Kolisch diesen Parameter als dem Schönbergschen Musizierideal zugehörig auf: „Das Überraschendste an Schönbergs Darstellung ist aber, daß diese demonstrierte Analyse zugleich lebendigstes Musizieren ist. Die Lebendigkeit ergibt sich nicht aus dem üblichen äußerlichen Temperament (das ja nur die Überbetonung der schwungvollen Elemente eines Stückes, meist auf Kosten des Ebenmaßes der Darstellung ist), sondern aus der Phantasie, dem geistigen Temperament, der Intensität, mit der jeder Gestalt die charakteristische Form verliehen wird.“ Ebenda S. 307.
HANS-JOACHIM HINRICHSEN (Zürich)
Schönberg – Mozart – Bach Geschichte und Legitimation Den 50. Geburtstag Arnold Schönbergs im September 1924 nahm sein Schüler Alban Berg bekanntlich zum Anlaß für seinen berühmt gewordenen Aufsatz über die Frage, warum „Schönbergs Musik so schwer verständlich“ sei. Dessen Schlußabsatz mündet in zwei schwerwiegende Behauptungen, in denen Berg dem verehrten Lehrer eine herausragende musikhistorische Doppelposition prophezeit: die als Klassiker von zeitloser Gültigkeit und als Retter der Weltgeltung der deutschen Musik. Berg äußert in diesem Schlußpassus die „Gewißheit, daß hier das Werk eines Meisters vorliegt, der – wenn nur erst einmal die ‚Klassiker unserer Zeit‘ der Vergangenheit angehören – einer der ganz wenigen sein wird, die die Bezeichnung Klassiker – für alle Zeiten führen werden. Denn er hat nicht nur, wie Adolf Weißmann in seinem Buch: Die Musik in der Weltkrise treffend sagt, ‚aus deutscher Musikkultur die letzten, kühnsten Schlußfolgerungen gezogen‘, er ist damit auch w e i t e r gekommen als die, welche voraussetzungslos neue Wege suchten und – bewußt oder unbewußt – die Kunst dieser Musikkultur mehr oder weniger negierten. So daß man schon heute, an Schönbergs fünfzigstem Geburtstage, ohne ein Prophet zu sein, sagen kann, daß durch das Werk, das er der Welt bisher geschenkt hat, die Vorherrschaft nicht nur seiner persönlichen Kunst gesichert erscheint, sondern, was noch mehr ist: die der deutschen Musik für die nächsten fünfzig Jahre.“1
Diese Vorstellung von einer „Vorherrschaft der deutschen Musik“, als deren Retter Schönberg den Rang des überzeitlich gültigen Klassikers einnehmen soll, liegt implizit aber auch schon in der Argumentationslogik des von Berg zustimmend zitierten Buchs von Adolf Weißmann selbst. Der Verfasser weist in seiner 1922 erschienenen Monographie Die Musik in der Weltkrise dem damals knapp fünfzigjährigen Schönberg in der Tat die Rolle desjenigen zu, der aus deutscher Musikkultur die letzten Konsequenzen gezogen habe (was Berg, soweit ich sehe, in Zusammenfassung mehrerer Stellen nur paraphrasiert, nicht genau zitiert), und er bringt die akut gefährdete, von ihm selbst ausdrücklich so genannte „Vorherrschaft der deutschen Musik“, allerdings ohne Prognosen hinsichtlich ihrer Rettung, zur Sprache.2 Alban Berg nun benutzt die Berufung auf Weißmann, um weitaus stärker als dieser selbst den Traditionsbezug als den fundamentalen Zug von Schönbergs kompositori1 2
Alban Berg, Warum ist Schönbergs Musik so schwer verständlich?, in: Arnold Schönberg zum fünfzigsten Geburtstage, 13. September 1924, Sonderheft der Musikblätter des Anbruch 6/7–8 (August–September 1924), S. 341. Adolf Weißmann, Die Musik in der Weltkrise, Stuttgart–Berlin 1922, S. 194.
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Hans-Joachim Hinrichsen
schem Denken zu betonen und auf eben diesen signifikanten Zug sein Vertrauen auf Schönbergs musikhistorische Rolle zu stützen. Dieser Traditionsbezug verbindet das Selbstverständliche mit dem Paradoxen. Für einen Komponisten der Schönberg-Generation mochten eher Wagner und Brahms als geradezu selbstverständliche Einflußfaktoren erscheinen, Bach und Mozart dagegen nicht. Freilich liegt gerade darin die von Schönberg stets mit einer gewissen Ostentation hervorgehobene Pointe: „Meine Lehrmeister waren in erster Linie Bach und Mozart; in zweiter: Beethoven, Brahms und Wagner“.3 Ausgerechnet Bach und Mozart also, „in erster Linie“. Und in der Tat ist Schönbergs gedankliche Auseinandersetzung mit diesen beiden Komponisten in einer Fülle von veröffentlichten und unveröffentlichten Äußerungen, Beobachtungen und Einzelanalysen allein unter rein quantitativem Aspekt beeindruckend. Mit Bach hatte er sich schon vor dem Ersten Weltkrieg umfassend in Beziehung gebracht – in der Harmonielehre etwa; die Auseinandersetzung mit Mozart begann Schönberg in öffentlich wahrnehmbarer Form erst später, mit dem Übergang zur Komposition größerer Formen in der neu gefundenen Methode der Dodekaphonie, hervorzuheben. Man sollte sich aber hüten, daraus voreilige Schlüsse auf Schönbergs kompositorische Bach- oder Mozart-Rezeption zu ziehen. Getreu dem hermeneutischen Grundsatz, daß die autopoetischen Aussagen eines Autors nicht Instrumente zu seiner Interpretation, sondern ihrerseits deren Gegenstände sind, möchte ich im folgenden einige der publizistischen Bachiana und Mozartiana Arnold Schönbergs exemplarisch zur Diskussion stellen und sie grundsätzlich auf ihren heuristischen Wert für rezeptions- und wirkungsgeschichtliche Schönberg-Studien hin befragen. Daß ich aus der Fülle des Materials absichtlich extreme Beispiele wähle, hat zum Grund, daß diese das Grundsätzliche deutlicher, schneller und in größerer Fülle erkennen lassen.4 Bach 1. Die größte Zahl der Literaturbeispiele in Schönbergs 1911 publizierter Harmonielehre stammt von Bach – eine Tatsache, die angesichts der Erwartungshaltung an eine Harmonielehre der Nach-Wagner-Ära immerhin bemerkenswert ist. Fast ausnahmslos gehören sie dem Bachschen Vokalwerk an, was für Schönbergs Argumentation freilich ohne jede Relevanz ist. Die meisten dieser Bach-Beispiele entnahm Schönberg der Sammlung von vierstimmigen Choralsätzen. Ihre Diskussion macht sein Anliegen unmißverständlich klar: Es geht ihm fast stets um die strukturelle Funktion scheinbar „harmoniefremder Töne“ bei Bach und damit um die schon weitgehende Autonomie (wenn auch noch nicht vollständige Emanzipation) dissonanter Klänge. Denn die, wie Schönberg natürlich weiß, durch Vorhalte 3 4
Arnold Schönberg, Nationale Musik, in: ders, Stil und Gedanke. Aufsätze zur Musik, hrsg. von Ivan Vojtĕch (= Gesammelte Schriften 1), Frankfurt am Main 1976, S. 253. Der vorliegende Text führt anderenorts angestellte Überlegungen des Verfassers weiter; vgl. HansJoachim Hinrichsen, Schönberg, Bach und der Kontrapunkt. Zur Konstruktion einer Legitimationsfigur, in: Andreas Meyer/Ullrich Scheideler (Hg.), Autorschaft als historische Konstruktion. Arnold Schönberg – Vorgänger, Zeitgenossen, Nachfolger und Interpreten, Stuttgart–Weimar 2001, S. 29–63.
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und Durchgänge entstehenden Dissonanzen seien nach seiner Überzeugung bei Bach dennoch „nicht o r n a m e n t a l , sondern k o n s t r u k t i v , also nicht Zufälle, nicht harmoniefremd, sondern Notwendigkeiten, Akkorde“5.
In dem grundlegenden Kapitel über „Harmoniefremde Töne“ schließlich – einen musiktheoretischen Terminus, den er bekanntlich heftig ablehnte – diskutiert Schönberg einige Ausschnitte aus Bachs Motette Komm, Jesu, komm (BWV 229) (die er 1907 in Wien einstudiert und auch aufgeführt hatte6). Die Perspektive, aus der diese ausführliche Diskussion erfolgt, wird im Einleitungssatz klar angegeben: „Und da habe ich neulich erst bei Bach folgende vier Akkorde gefunden, die wohl nie einem Ästhetiker gefallen könnten, wenn er sie bemerkte:“7
Beispiel 1: Arnold Schönberg, Harmonielehre (Nr. 232, S. 391).
Beispiel 2: Arnold Schönberg, Harmonielehre (Nr. 234, S. 395).
5 6
7
Arnold Schönberg, Harmonielehre, Wien 71966 [Revidierter Wiederabdruck der Auflage Wien 31922], S. 366. Chorkonzert des Chormusikvereins im Festsaal des Österreichischen Ingenieur- und Architektenvereines, 24. Februar 1907; vgl. Rudolf Stephan, Zum Thema „Schönberg und Bach“, in: Bach-Jahrbuch 64 (1978), S. 233. Schönberg, Harmonielehre (Anm. 5), S. 391.
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Der Akkordsatz, den Schönberg hier als Notenbeispiel präsentiert (Beispiel 1: Schönbergs Beispiel 232), wirkt in der Tat erstaunlich. Daß diese bei Schönberg selbständigen Akkordbildungen in Bachs Original sich konsequent stimmigen Durchgangsbewegungen im achtstimmigen Satz verdanken, erfährt der Leser erst einige Seiten später; und auch hier erscheint das Beispiel – es handelt sich um die Takte 14 und 41–43 der Motette – immer noch in einer die Härte der Klänge betonenden Zuspitzung (Beispiel 2: Schönbergs Beispiel 234). Sehr bezeichnend für Schönbergs Blick auf Bach ist der Umstand, daß er die Oktavparallele im ersten Takt seines Beispiels 234 (zwischen zweitem Sopran und erstem Alt) – in Wirklichkeit ein Lesefehler der von ihm benutzten Peters-Edition – als weitere satztechnische Kühnheit verbucht.8 (Eigentlich lautet die Stelle wie im Notenbeispiel 3.)
Beispiel 3: Johann Sebastian Bach, Motette Komm, Jesu, komm, BWV 229, T. 12–16.
So wird der dem berühmten Vorgänger unterstellte „Trieb, kompliziertere Zusammenklänge unterzubringen“, schließlich generalisiert zum „Trieb, harte Zusammenklänge zu schreiben“, auf den sich – als „Trieb, fernerliegende Obertöne heranzuziehen“ – abschließend auch Schönberg selbst beruft. Nun erst wird die Tatsache, daß die harten Klänge bei Bach lediglich auf leichter Zeit erscheinen, ausdrücklich gewürdigt, aber sogleich durch Historisierung relativiert und damit entschieden aktualisiert: 8
Ebenda S. 396.
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„Er setzte sie im Durchgang, damit wir sie frei verwenden können; er nahm einen Schwimmgürtel, damit wir frei schwimmen lernen.“9
Die Tatsache, daß harte Zusammenklänge bei Bach als Resultate der Stimmführung erscheinen, wertet Schönberg jedoch nicht als Aufforderung zu polyphoner Legitimation dissonanter Akkorde, sondern umgekehrt als historische Vorstufe zu deren Emanzipation und Verselbständigung. Nicht die melodische, sondern ausdrücklich die „harmonische“ Rechtfertigung der emanzipierten Dissonanz ist Schönbergs Anliegen. Die vielzitierte Formulierung Schönbergs, der zufolge in Zukunft die Zusammenklänge als „Ergebnis der Stimmführung“ entstehen und damit ihre „Rechtfertigung durchs Melodische allein“ erfahren sollen, findet sich überhaupt erst in der dritten Auflage des Buchs von 1922.10 Um diese Zeit hatte sich der Komponist längst auf die Entwicklung der Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen konzentriert, und mit ihr verband sich ein durchaus veränderter Stellenwert der Polyphonie. Zur Zeit des Übergangs in die freie Atonalität aber scheint für Schönberg Bach, der Harmoniker, noch wichtiger gewesen zu sein als Bach, der Kontrapunktiker. Bach 2. Die „Rechtfertigung durchs Melodische allein“, die in der dritten Auflage der Harmonielehre nun als neuer Gedankengang erscheint, klingt wie ein Reflex von Ernst Kurths großer Bach-Monographie (Bern 1917), die das berühmte Schlagwort vom „linearen Kontrapunkt“ im Titel führt. Erstaunlicherweise aber hat Schönberg Wert auf die Feststellung gelegt, das Buch nie gelesen zu haben. Als er 1931 ein umfangreiches Manuskript mit eben dem Titel Der lineare Kontrapunkt anzulegen begann, in dem er dem nur vom Hörensagen bekannten Kurthschen Ansatz eine Alternative entgegensetzen wollte, fühlte er sich „wie Jean Pauls ‚Schulmeisterlein-Wuz‘ genötigt, mir zu diesem Titel selbst ein Buch zu schreiben; zu diesem Schlagwort selbst die Theorie zu konstruieren.“11
Hat Schönberg also Kurths einflußreiche Monographie kaum zur Kenntnis genommen, so hat er dagegen ein anderes Werk sogar intensiv, auch mit Schülern, studiert – und zwar bezeichnenderweise ein Bach-Buch, das von der akademischen Zunft in zahlreichen Rezensionen regelrecht vernichtet worden war: Wilhelm Werkers 1922 erschienene Monographie über das Wohltemperierte Klavier.12 Die Pointe dieses merkwürdigen Buchs besteht in dem Nachweis ausgeklügelter Zahlenbeziehungen zwischen Bachschen Themen und den aus ihnen gebauten Präludien und Fugen. Die Anzahl der Themeneinsätze bildet zum Beispiel das genaue Vielfache 9 10 11 12
Ebenda. Ebenda S. 466. Arnold Schönberg, Der lineare Kontrapunkt, 1931 (Arnold Schönberg Center, Wien [T 35.22]). Schönberg erwähnt Werkers Buch u. a. in Structural Functions of Harmony. Revised Edition with Corrections, hrsg. von Leonard Stein, New York 1969, S. 166. In Zu Werkers Bach-Studien, 1928 (Arnold Schönberg Center, Wien [T 35.33]) merkt Schönberg an, daß er Werkers Schrift mit seinem Schüler Roberto Gerhard durchgenommen hat.
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der Thematöne, in denen sich wiederum die Quantität einzelner Motivgruppen in thematischen und unthematischen Teilen widerspiegeln kann – eine mit stupender Spitzfindigkeit durchgeführte Analyse, die fast zwangsläufig bei der Abgrenzung der Themen und Motive mit jener Willkür zu Werke geht, die Arnold Schering in seiner vernichtenden Kritik im Bach-Jahrbuch aufspießte: „Die Lage [des Motivs] im Takt ist ihm einerlei. Er zerreißt es, wo es sein muß, gefühllos wie einen Fetzen Papier.“13
Schönberg hingegen hat Werkers Buch, wie wiederholte anerkennende Äußerungen belegen, offenbar lebenslang geschätzt. Daß Werker von der akademischen BachForschung nicht ernstgenommen wurde,14 dürfte ihm also gleichgültig gewesen sein. Statt der Frage nachzugehen, ob diese auffällige Wertschätzung Werkers seinem Bach-Verständnis ein gutes Zeugnis ausstellt, sollte man sich daher klarmachen, daß gerade die Faszination durch Werkers sektiererisches Buch bezeichnend ist für Schönbergs spezielle Perspektive auf Bach. Natürlich hat sich Schönberg mit dem Wohltemperierten Klavier auch selbst analytisch befaßt. Aus den späten amerikanischen Jahren stammt ein umfangreiches handschriftliches Konvolut mit dem Titel Bach’s Counterpoint.15 Es versammelt eine Fülle von Beispielen aus dem ersten Band des Wohltemperierten Klaviers unter Stichworten wie „dissonances (1. free, 2. prepared, 3. passing)“, „rhythm“, „harmonies“, „chromaticism“, „cross relations“ etc. und belegt das Ausmaß, in dem Schönberg vor allem an den Härten und (scheinbaren) Regelverstößen bei Bach interessiert ist. Wesentlicher noch ist aber sein Versuch, den Nachweis zu führen, daß Bachs Kontrapunkt kein „harmonischer“ Kontrapunkt sei, daß seine Kohärenz sich aber auch nicht – wie er es dem Ansatz von Kurth unterstellt – der Linearität verdanke, sondern einem motivischen (und submotivischen) Beziehungsreichtum. Das Beispiel zeigt einen Ausschnitt aus der Analyse der c-Moll-Fuge. Es handelt sich um den Nachweis einer „motival derivation“ aller Zwischenspiele von den Hauptthemen. Das letzte Beispiel auf der abgebildeten Seite sei besonders hervorgehoben: Hier wird die Beziehung zwischen der Mittelstimme des Taktes 24 (oberes System) und derjenigen im Takt 8 (unteres System) hergestellt: Die erstgenannte „derives from end of 3rd subj[ect]“. Damit beweist Schönberg die Unabhängigkeit seiner Motivauffassung von der metrischen Stellung des Motivs. Genau dies gehört denn auch zum Katalog des angeblich bei Bach Gelernten, wie Schönberg schon 1931 in seinem Aufsatz Nationale Musik zu Protokoll gegeben hatte:
13 14
15
Bach-Jahrbuch 19 (1922), S. 85. Ebenda S. 88: „Die deutsche Bachforschung wird es jedenfalls ablehnen müssen, auf solcher Grundlage mit Werker gemeinsame Sache zu machen, und sich hüten, das Buch etwa als eine Leistung der deutschen Musikwissenschaft zu betrachten.“ – Weitere Verrisse von Werkers Buch erschienen in der Neuen Zeitschrift für Musik (Alfred Heuß) und in der Zeitschrift für Musikwissenschaft (Georg Schünemann, Rudolf Steglich). Arnold Schönberg, Bach’s Counterpoint, 194? (Arnold Schönberg Center, Wien [T 48.04]).
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„Von Bach habe ich gelernt: 1. Das kontrapunktische Denken; d. i. die Kunst Tongestalten zu erfinden, die sich selbst begleiten können. 2. die Kunst, alles aus Einem zu erzeugen und die Gestalten ineinander überzuführen. 3. Die Unabhängigkeit vom Taktteil.“16
Zugleich verdeutlicht diese Analyse, warum ihm die oben zitierte Kritik Arnold Scherings an Wilhelm Werkers Motivbegriff gleichgültig sein konnte.
Beispiel 4: Arnold Schönberg, Bach’s Counterpoint (Arnold Schönberg Center, Wien [T 48.04]).
16
Schönberg, Nationale Musik (Anm. 3), S. 253f.
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Bach 3. Neben solchen zugespitzten Betonungen einzelner Bachscher Kühnheiten heben spätere Äußerungen, freilich kaum weniger einseitig, die historische Vorläuferschaft Bachs in einer sehr viel grundsätzlicheren Bedeutung hervor. Hier wird dann Bach geradezu zum „ersten Zwölftonkomponisten“. Diese Formulierung prägte Schönberg beim Rückblick auf eine mittlerweile zehnjährige Erfahrung mit der Dodekaphonie und betonte damit an Bach einen Aspekt, der nicht mehr nur auf Analogien und Übereinstimmungen kompositorischer Verfahrensweisen zielte, sondern auf die tiefstmögliche, gleichsam axiomatische Schicht der Gemeinsamkeit: die der Materialorganisation im Sinne eines der Komposition vorausgesetzten Tonsystems. Die Formel von Bach als dem „ersten Zwölftonkomponisten“ findet sich erstmals in einer handschriftlichen Notiz vom Juli 1932. Ihr Kontext zeigt, wie sehr in diesem Aperçu Schönbergs jahrelange Überlegungen zur Emanzipation der Dissonanz, zum linearen Kontrapunkt, zur Polyphonie Bachs und zur Dodekaphonie in einem zentralen Punkt zusammenlaufen: „Bach ist (paradox ausgedrückt) der erste Zwölfton-Komponist. | Aber in der Tat: | Bach hat die Geheimnisse des niederländischen Kontrapunkts (d. i.: | die Kunst 7 Töne in solche gegenseitige Lagen zu bringen, dass in der Bewegung jeder Zusammenklang auffassbar wird, wie eine Konsonnanz [!] [)] | dieses Geheimnis hat er auf die zwölf Töne erweitert.“17
In einem nachgelassenen Manuskript aus dem Bach-Jubiläumsjahr (1950) heißt es schließlich: „I used to say, ,Bach is the first composer with twelve tones.‘ This was a joke, of course.“18 Trotz dieser halben Zurücknahme verstärkt Schönberg diese Position jedoch nun noch mit konkreten Beispielen.
Beispiel 5: Johann Sebastian Bach, Fuge h-Moll, BWV 869, aus Das Wohltemperierte Klavier I, Anfang. Exemplar aus Schönbergs Bibliothek (Arnold Schönberg Center, Wien [SCO B 21]).
Das für seine Argumentation zentrale Exempel ist die h-Moll-Fuge aus dem Wohltemperierten Klavier I, denn sie „begins with a Dux in which all twelve tones appear“19 (Beispiel 5). Freilich offenbart gerade dieses konkrete Beispiel einen Denkfehler: 17 18
19
Arnold Schönberg, Bach und die 12 Töne, 23. Juli 1932 (Arnold Schönberg Center, Wien [T 35.35]). Arnold Schönberg, Bach, 10. März 1950 (Arnold Schönberg Center, Wien [T 31.09]); veröffentlicht in: Arnold Schönberg, Bach, in: ders., Style and Idea. Selected Writings, hrsg. von Leonard Stein, London– Boston 1984, S. 393. Ebenda.
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Die logische Schwäche der Argumentation liegt darin, daß Schönberg der Bachschen Zwölftönigkeit zu Unrecht denselben Status wie dem Tonsystem der Dodekaphonie unterstellt: „In Fugue 24 the chromatically altered tones are neither substitute tones nor parts of scales. They distinctly possess an independence resembling that of unrelated tones of the chromatic scale in a basic set of a twelvetone composition. The only essential difference between their nature and modern chromaticism is that they do not yet take advantage of their multiple meaning as a means of changing direction in a modulatory fashion.“20
In Wirklichkeit jedoch ist die Differenz, die Schönberg ausdrücklich mit einem „only“ marginalisiert, von nicht gradueller, sondern prinzipieller und systematischer Natur. Was Schönberg am Thema der h-Moll-Fuge vermißt, nämlich den Richtungswechsel einzelner Töne, weisen andere Kompositionen Bachs selbstverständlich auf: beispielsweise, um bei der Tonart h-Moll zu bleiben, die Flötensonate BWV 1030 (siehe Beispiel 6). Gerade aber dieses Beispiel, in dem eis und f, ais und b als differente Töne zum Einsatz kommen, zeigt, daß Bachs Tonraumvorstellung mit dem Begriff der Zwölftönigkeit nicht zu erfassen ist. Schönbergs oben zitierte Charakterisierung der von ihm so genannten „Niederländer“ wäre mit Blick auf Bach durchaus anders, als von Schönberg selbst aufgefaßt, konsequent zu Ende zu denken: So wie die franko-flämische Vokalpolyphonie mit weniger als zwölf Tönen auskommt, so komponiert Bach mit mehr als zwölf Tönen. Darüber, daß zwischen der vollständigen Gleichberechtigung der zwölf Töne in Schönbergs Dodekaphonie und der weiterhin existierenden Hierarchie der Tonbeziehungen bei Bach Welten liegen, sieht Schönberg schlicht hinweg.
Beispiel 6: Johann Sebastian Bach, Flötensonate h-Moll, BWV 1030, 1. Satz, T. 44–46.
20
Ebenda, zit. nach dem Original.
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Ich versuche eine knappe Bilanz: Auffällig an diesen Stationen der Schönbergschen Bach-Rezeption, wenn man sie denn als solche bezeichnen will, ist also erstens ihre extreme Ausschnitthaftigkeit. Der sektiererische Zug, zu dem sie durch diese Eigenschaft gern tendieren, ist keineswegs akzidentiell, sondern geradezu ihre raison d’être. Ihr zweites Merkmal, der bemerkenswerte historische Wandel der ausgewählten Aspekte, steht zum ersten nicht im Widerspruch, sondern begründet sich vielmehr aus ihm: Gerade die Kasuistik der rigorosen Selektion erlaubt die flexible Anpassung der analysierten Bachschen Werkfacetten an die mit dem Fortgang des eigenen Œuvres oft radikal wechselnden Fragestellungen. Mozart. Der Blick auf Schönbergs Mozart-Rezeption braucht von hier aus nicht mehr in gleichem Maße gründlich auszufallen – nicht allein aus dem Grund, daß inzwischen mit Matthias Schmidts Studie21 eine aktuelle und umfassende Monographie zu dieser Thematik vorliegt. Vielmehr genügt für meinen Zweck die Feststellung, daß sich für sie cum grano salis fast dieselbe Bilanz formulieren ließe wie für die Bach-Beispiele. Mozart, der – wie erwähnt – in Schönbergs Argumentation erst in den 1920er Jahren wirklich wichtig wird, begegnet natürlich auch schon in der Harmonielehre, zum Beispiel direkt im Anschluß an das Bachsche Motettenbeispiel mit einer frei eintretenden Dissonanz aus der Durchführung der g-MollSymphonie, KV 550. Schönbergs bezeichnender Kommentar: „Aber dem haben es die Theoretiker auch bei Lebzeiten gesagt, was er für ein Dissonanzenjäger sei, und wie er nur zu oft der Sucht unterliege, das Unschöne zu schreiben, was er bei seinem Talent ja wirklich nicht nötig hätte. Es scheint, daß sie es doch nötig haben. Daß sie es nötig haben, just das zu schreiben, was den Ästhetikern nicht gefällt, just das, was die für unschön erklären.“22
Schönbergs Bezugnahmen auf Mozart, so vielfältig sie sein mögen, unterscheiden sich in formaler Hinsicht in nichts von den eben vorgestellten Deutungsbemühungen um Bach. Vor allem in den späten Schülerberichten aus dem Kompositionsunterricht wie auch in der späten Publizistik finden sich, wenig erstaunlich, viele MozartBeispiele von ganz ähnlicher Zuspitzung und Selektivität wie die zu Bach: etwa die Betonung eines Arbeitens mit heterogenen Phrasen verschiedener Länge, also des Moments extremer Unregelmäßigkeit, im zweiten Akt des Figaro (während doch gerade die Techniken ausgleichender Proportionierung für das Verständnis dieser Stelle mindestens genauso entscheidend sind),23 oder die Hervorhebung syntaktischer Asymmetrien und auskomponierter Taktwechsel im Kopfsatz des g-MollKlavierquintetts, KV 478 (die indessen als planvolle Störung in eine übergeordnete 21 22 23
Matthias Schmidt, Schönberg und Mozart. Aspekte einer Rezeptionsgeschichte (= Publikationen der Internationalen Schönberg-Gesellschaft 5), Wien 2004. Schönberg, Harmonielehre (Anm. 5), S. 392. Schmidt, Schönberg und Mozart (Anm. 21), S. 169.
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Regelmäßigkeit gehören).24 Die Rückgriffe auf Bach und auf Mozart gehorchen derselben Logik, aber in einer Art von Arbeitsteilung: Sie werfen Licht auf unterschiedliche Aspekte des Tonsatzes, so daß an Bach vorwiegend harmonische und kontrapunktische Besonderheiten, an Mozart dagegen eher syntaktisch-formale Fragen erörtert werden. Ausgesucht werden die Ausschnitte häufig nach dem Ausmaß der in ihnen aufweisbaren Irregularität. Ihre (formale) Gemeinsamkeit haben sie somit gerade durch ihre (inhaltliche) Differenz: Sie ergänzen einander – für Schönberg immerhin in der Weise, daß er beide Klassiker zusammen als seine wichtigsten „Lehrmeister“ bezeichnen konnte. Diese Analysen entspringen natürlich der Intention des Komponisten, nicht des Musikhistorikers, der Schönberg weder war noch sein wollte. Es braucht kaum eigens betont zu werden, daß die analytischen Funde bei Bach und bei Mozart im Lichte des eigenen Komponierens erfolgen; diese Interessengeleitetheit erklärt natürlich auch den Wechsel der Perspektiven auf Bach zwischen 1911, 1931 und 1950; für die Blicke auf Mozart lassen sich ähnliche, mit dem eigenen Werk Schritt haltende historische Wandlungen benennen. Es handelt sich also fast stets um Musikdeutungen pro domo, aber aus ihnen Rückschlüsse auf Schönbergs kompositorische Bachoder Mozart-Rezeption zu ziehen, ist weniger leicht als es anfänglich scheinen mag. Denn Komponieren müßte einer kohärenten und geschlossenen Axiomatik folgen, und diese dürfte gerade nicht mit dem zu identifizieren sein, was an der Oberfläche von Schönbergs publizierten oder gesprächsweise überlieferten Argumentationsketten in der Vereinzelung zugespitzter analytischer Kasuistik erscheint. Mozart und Bach fungieren, pointiert ausgedrückt, in Schönbergs Argumentation als Paten für höchst unterschiedliche Eigenschaften seiner eigenen Kompositionen, nicht etwa als stillschweigender Beleg für eine bruchlose Kontinuität der deutschen Musik seit Bach. In der Logik dieser absichtsvollen Kasuistik liegt es denn auch begründet, daß Schönberg gar nicht erst auf den Gedanken kommen kann, aus der rezeptionsgeschichtlichen Konstellation seiner beiden wichtigsten „Lehrmeister“ argumentativen Gewinn zu schlagen: aus Mozarts in der Musikhistoriographie vielbeschworener Bach-Rezeption. Mozarts Auseinandersetzung mit Bach, an deren Stilisierung zu einer Sternstunde der abendländischen Musikgeschichte die deutsche MozartLiteratur von Hermann Abert bis Alfred Einstein sich zu Schönbergs Lebzeiten abarbeitete (und die in Wirklichkeit kaum von der Bedeutung ist, die man Mozarts Händel- oder gar seiner Haydn-Rezeption zusprechen darf25), hätte in Schönbergs Argumentationsmuster selbst dann keinen Platz gehabt, wenn der notorische Verächter musikwissenschaftlicher Literatur sie zur Kenntnis genommen hätte: Dieses Argumentationsmuster war in seiner Grundlegung absichtsvoll nicht auf historische Kontinuität, sondern auf selektive Komplementarität ausgerichtet. Mozart wurde für an24 25
Ebenda S. 179–181. Vgl. Michael Heinemann/Hans-Joachim Hinrichsen (Hg.), Bach und die Nachwelt, Bd. 1: 1750–1850, Laaber 1997, S. 16–19.
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dere Aspekte in Anspruch genommen als Bach, und an Mozarts Tonsprache eigens das zu betonen, was dieser angeblich seinem Bach-Erlebnis zu verdanken hatte, wäre Schönberg schwerlich in den Sinn gekommen. Es liegt daher schließlich in der Natur der Sache, daß man nach der Ergiebigkeit von Themenformulierungen wie „Schönberg und Bach“, „Schönberg und Mozart“ oder „Schönberg und Brahms“ zu fragen gezwungen wird – also nach dem Wert von rezeptionsgeschichtlichen Zuspitzungen auf individuelle Œuvres über die wichtige propädeutische Funktion der umfassenden Materialerschließung hinaus. Sie sind zwar zweifellos durch die Selbstaussagen des Komponisten legitimiert. Es scheint indessen, als erfordere Schönbergs planvoll selektives Rezeptionsverhalten eine systematisch darüber hinausgehende Fragestellung, die als integralen Bestandteil seines Umgangs mit der Tradition eine virtuos gehandhabte Technik rezeptionssteuernder Selbstdeutung zu verstehen erlaubt. Daß seine Bach-, Mozart- oder Brahms-Analysen dezidiert in eigener Sache erfolgen, hat zur Konsequenz, daß Schönberg meist gerade das dem Rezeptionsklischee Widersprechende, oft aber auch das nur noch Periphere, betont. Darin mag die unbezweifelbare Originalität dieser Deutungen liegen, aber genau diese Eigenschaft macht sie denn auch weit eher zu beredten Kommentaren für Schönbergs eigene kompositorische Poetik und zu Dokumenten seines Selbstbewußtseins als zu brauchbaren Belegen für eine kompositorische Rezeption. Das Schönberg-Kapitel des von Alban Berg so zustimmend zitierten Buchs von Adolf Weißmann endet mit einer zwar kurzen, aber für die Erwartungshaltung der Epoche überaus charakteristischen Bemerkung über die Harmonielehre: Diese, so Weißmann, spreche „den Willen des Lehrers lange nicht so rücksichtslos aus wie sein Werk“26. Bei den Zeitgenossen hat es immer wieder Verwunderung erregt, daß Schönbergs Schriften von der Harmonielehre bis zu den Structural Functions of Harmony ebenso wie sein Kompositionsunterricht vorwiegend nicht eigene, sondern klassische Beispiele zugrundelegten. Doch ist gerade dieser Umstand nichts als folgerichtig. Es handelt sich um die planvolle Verankerung des Kompositionsunterrichts (und auch des eigenen Komponierens) in Geschichte und Tradition – das betont Alban Berg in seinem eingangs zitierten Aufsatz völlig zu Recht –, dies jedoch so, daß gerade der Aspekt der Geschichtlichkeit verschwindet. Die Legitimation aus Geschichte hat, nur scheinbar paradox, deren Entfernung zur Folge. Tatsächlich geht es Schönberg nicht um die Selbstpositionierung in einem zeitlichen Kontinuum, sondern zutiefst um Zeitlosigkeit oder, wie Berg in seinem Geburtstagsaufsatz von 1924 ebenfalls deutlich genug formuliert, um klassische Gültigkeit „für alle Zeiten“. Schönbergs publizistischer Klassikerrezeption liegt ein aus der Sukzessivität der Geschichte in die Simultaneität einer Konstellation überführtes Corpus exemplorum zugrunde, und es handelt sich bei dieser Rezeption um die überaus 26
Weißmann, Die Musik in der Weltkrise (Anm. 2), S. 191.
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selektive Lektüre jenes Corpus auf das eigene kompositorische Denken hin. Das ist eine für den Komponisten Schönberg legitime Haltung, die allerdings mehr über ihn selbst als über die ausgewählten Beispiele sagt und zu der seine gern zur Schau getragene Unkenntnis musikhistorischer und musiktheoretischer Literatur27 in präzisem Sinne paßt. Daß Schönbergs Publizistik die geradezu ostentative Traditionsverankerung mit einem ebenso demonstrativen Desinteresse an musikhistorischer Konstruktion kombinierte, hat ihn selbst vor der Ausformulierung geschlossener historiographischer Ideologie bewahrt und lediglich der musikwissenschaftlichen Nachwelt ein ausgedehntes Materialfeld zur Ausziehung historischer Kontinuitätslinien hinterlassen. Doch sollte genau dieses Material von der noch stets besonders ideologieanfälligen Zunft der Musikhistoriographie mit äußerster Delikatesse behandelt werden. Es ist etwas anderes, ob einer im Fokus seines kreativen Selbstverständnisses oder aber im Kontext einer musikgeschichtlichen Gesamterzählung ein „Schüler“ Bachs oder Mozarts ist.
27
Vgl. Schmidt, Schönberg und Mozart (Anm. 21), S. 114–118, auch S. 32 und S. 137.
CHRISTIAN MARTIN SCHMIDT (Berlin)
Individuelle oder kollektive Rezeption? Die Wiener Klassiker in der Sicht Arnold Schönbergs Das musikalische Denken Arnolds Schönbergs war – das dürfte mittlerweile allseits bekannt sein – in erster Linie konservativ gerichtet. Er stellte sich in vollem Bewußtsein und größtenteils zu Recht in eine Tradition, nämlich in die seit dem 18. Jahrhundert existierende und geschichtsprägende Reihe großer deutscher Komponisten. Willi Reich hat seiner Monographie den auf den ersten Blick suggestiven Titel Arnold Schönberg oder Der konservative Revolutionär 1 gegeben. Man hat beklagt, daß diese Formulierung zum Schlagwort verkommen sei, und Matthias Schmidt, dessen gründliche Studien zu unserem Gegenstand wohl vielen Referenten dieser Tagung nützlich gewesen sind, hat irrigerweise unterstellt, daß es ihre angebliche Qualität als contradictio in adiecto sei, die ihre Aussagekraft schwäche.2 Problematisch an dem Titel ist aber etwas ganz anderes: Er setzt die Akzente falsch. Schönberg war nicht Revolutionär mit konservativen Zügen, sondern in allererster Linie ein Wertkonservativer, der sich zur Verteidigung seiner Ideale auch genötigt sah, zu revolutionären Maßnahmen zu greifen. Dies war Willi Reich vermutlich klar, aber die umgedrehte und korrekte Formulierung Schönberg, der revolutionäre Konservative wäre zumal als Buchtitel sprachlich nicht so schlagkräftig gewesen. Hanns Eisler hat den Sachverhalt bereits 1924 sehr viel genauer getroffen: Schönberg habe „sich ein neues Material [geschaffen], um in der Fülle und Geschlossenheit der Klassiker zu musizieren. E r i s t d e r w a h r e K o n s e r v a t i v e : e r schuf sich sogar eine Revolution, um Reaktionär sein z u k ö n n e n .“3
All dies sei vorweggeschickt, um den besonderen Stellenwert unseres Kongreßthemas, dessen wesentliche inhaltliche Bedeutung deutlich machen zu können. Wiener Klassik und Wiener Schule – das ist kein landläufiges Thema wie etwa Brahms und Bruckner oder Musik und Religion oder Die Frau in der Musik, sondern geht an die Substanz des Kreises um Arnold Schönberg, an einen konstitutiven Bestandteil von dessen musikalischem Denken und Handeln. Um nur ein Beispiel zu nennen: Be1 2
3
Wien 1968. Matthias Schmidt, Klassiker? Mozart – Beethoven – Schönberg, in: Andreas Meyer/Ullrich Scheideler (Hg.), Autorschaft als historische Konstruktion. Arnold Schönberg – Vorgänger, Zeitgenossen, Nachfolger und Interpreten, Stuttgart–Weimar 2001, S. 65–90, insbes. S. 65. Han[n]s Eisler, Arnold Schönberg, der musikalische Reaktionär, in: Arnold Schönberg zum fünfzigsten Geburtstage, 13. September 1924, Sonderheft der Musikblätter des Anbruch 6/7–8 (August–September 1924), S. 313.
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Christian Martin Schmidt
reits 1927 hat Schönbergs Schüler Erwin Stein die Auffassung vertreten, daß die Zwölftontechnik mit ihrer „streng thematische[n] Einheitlichkeit“ als „letzte Konsequenz“ aus Beethovens Verfahren der motivisch-thematischen Arbeit hervorgegangen sei.4 Neuere Untersuchungen haben gezeigt, daß wohl Brahms in dieser Entwicklungslinie die vermittelnde Instanz darstellt. Aber es ging bei der Beziehung zur Wiener Klassik nicht allein um kompositionstechnische Details oder Verfahrensweisen. Die bewußte Einbettung in die kompositorische Tradition seit Bach rührt vielmehr an das kompositorische Selbstverständnis von Schönberg ebenso wie von Berg und Webern, an die Ethik ihres künstlerischen Handelns. Niemand hat dies so trefflich in Worte zu fassen gewußt wie Rudolf Stephan, dessen Formulierung über den Kern von Schönbergs Unterricht bei Alexander Zemlinsky hier erneut zitiert sei: „Dabei war die Unterweisung durch Zemlinsky, sofern davon überhaupt gesprochen werden kann, nicht einmal das Wichtigste, obwohl angenommen werden darf, daß in diesem Unterricht das Beste, was die musikalische Tradition neben dem satztechnischen Vermögen der klassischen Zeit zu bieten hatte, übermittelt wurde, nämlich die verpflichtende Erkenntnis von der Bedeutung und Würde der Tonkunst, die dem, der sich ihr widmet, als moralisch empfundene künstlerische Pflichten auferlegt.“5
Diese künstlerische Haltung hat sich auch allen Schülern Schönbergs tief eingeprägt. Selbst Hanns Eisler, der ja in entscheidenden ästhetischen Fragen mit Schönberg im Zwist lag, hat in seinen letzten Jahren in der DDR, als über die kompositionstechnischen Errungenschaften seines Lehrers wie namentlich die Zwölftontechnik nicht geredet werden durfte, seine Verteidigungsstrategie Schönbergs in erster Linie auf dessen moralisch hochstehendes Künstlerethos aufgebaut, das auch für Komponisten des sozialistischen Realismus vorbildhaft genannt werden müsse. Und noch ein Weiteres soll am Anfang unseres Kongresses der Verblaßtheit des Selbstverständlichen entzogen werden: Schönbergs Bild der Wiener Klassik war vermittelt und dürfte sich allenfalls durch die beruflich bedingte Intensität, mit der er sich dem Wirken insbesondere von Mozart und Beethoven widmete, von dem seiner Zeitgenossen unterscheiden. Hinter ihm lag ein Jahrhundert, das von der beständigen Auseinandersetzung namentlich mit Beethoven geprägt war und an dessen Ende die Bedeutung und der prägende Einfluß der Wiener Klassiker unverändert Bestand hatten. Ganz selbstverständlich also, daß er in seiner frühen Jugend als erstes Anschauungsmaterial für die geplante Komposition von Streichquartetten antiquarisch einige Partituren von Beethoven erwarb. Schönberg selbst hat ganz konkret auf die Vermittlerrolle hingewiesen, die einerseits Brahms, andererseits Wagner für sein Verständnis von Mozart auf der einen, 4 5
Erwin Stein, Das gedankliche Prinzip in Beethovens Musik und seine Auswirkung bei Schönberg, in: Musikblätter des Anbruch 9/3 (März 1927), S. 119 und 121. Rudolf Stephan, Alexander Zemlinsky – ein unbekannter Meister der Wiener Schule (= Kieler Vorträge zum Theater 4), Kiel 1978, S. 11.
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von Beethoven auf der anderen Seite gespielt hat. In den Gesprächen mit Warren Langlie von 1950 hat Schönberg – worauf Matthias Schmidt hinweist – die Rolle betont, die Brahms für seine Erkenntnis Mozartscher Werke gespielt hat. „Von diesem habe er ‚bewußt‘ und konkret gelernt, was er Mozart im ‚Prinzipiellen‘ verdanke.“6 Bekannt dagegen ist der aufschlußreiche Satz aus der Harmonielehre, in dem Schönberg nicht nur auf Wagners aufklärerische Funktion bezüglich Beethovens hinweist: „Muß man daran erinnern, daß Mendelssohn – auch der war einmal neu – Bach ausgegraben, Schumann Schubert entdeckt und Wagner mit Werk, Wort und Tat erst das wahre Verständnis für Beethoven geweckt hat?“7
Diskussionswürdig an diesem Satz ist weniger die Frage der faktischen Richtigkeit; unser Interesse aber verdient die Tatsache, daß er ganz und gar dem Geschichtsbild seiner Zeit entspricht. Dies gilt gleichermaßen für das Phänomen, daß Joseph Haydn von Schönberg in seinem Bild der Wiener Klassik nahezu ausgeklammert bleibt. Zu sehr war der Ruhm Haydns – mit Ausnahme wohl bei den Streichquartettspielern – am Anfang des 20. Jahrhunderts verblaßt, zu sehr hatte sich das Bild vom „Papa Haydn“ verbreitet, und Schönberg, dem in diesem Fall kein Vermittler hilfreich zur Seite stand, folgte den Vorstellungen seiner Zeit ohne weitere Überlegung. Unangefochten blieb all die Jahre das Bild Beethovens, in der Musikwelt allgemein ebenso wie bei Schönberg. Aufschlußreich ist wiederum der offenkundige Wandel der Wertschätzung von Mozart, die bei Schönberg im Laufe seines Lebens immer mehr zunahm. Aber auch das war – wenn sie mir den Ausdruck erlauben – Mode. Mozart war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewissermaßen zu einem Geheimtip geworden, der sich zwar zögerlich beim Publikum und bei den Aufführenden, umsomehr aber bei den Komponisten und insbesondere bei denen von neuer Musik durchsetzte. Bei allen anderweitigen Differenzen war sich Schönberg in dieser Hinsicht mit Strawinsky völlig einig. Die Sätze, die Schönberg gegen Ende seines Lebens formulierte: „A man like Mozart can not be compared to anything living or dead. Anything he did was the right thing“,
oder: „Mozart surpasses always everybody“, oder: „Mozart, the most modern of all“8, hätten auch von Strawinsky geäußert werden können. Strawinsky erhoffte sich sogar das Erscheinen der Gesamtausgabe seiner Werke in demselben Verlag, in dem auch die Neue Mozart-Ausgabe erschien. So schreibt Robert Craft am 3. August 1994 an Dietrich Berke (Bärenreiter-Verlag):
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Schmidt, Klassiker? (Anm. 2), S. 71. Arnold Schönberg, Harmonielehre, Wien 71966 [Revidierter Wiederabdruck der Auflage Wien 31922], S. 479. Schmidt, Klassiker? (Anm. 2), S. 74; dort zit. nach Unterrichtstranskripten von Warren Langlie, Erinnerungen von Max Deutsch und weiteren Quellen.
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„Strawinsky himself, I know, would have considered it the highest honor of his life to appear in the same series as Mozart, whom he loved above all composers.“
Zurück zu Schönberg: Derjenige Bereich, in dem sein Wertkonservatismus am deutlichsten wird, ist die Kompositionslehre, die von spätestens 1904 an bis zu seinem Lebensende eine feste Konstante seiner Existenz blieb und in der es keine nennenswerten inhaltlichen Veränderungen gab. Er war davon überzeugt, daß nur das Studium der Klassiker angehenden Komponisten die notwendigen Grundlagen ihres Metiers verschaffen könne, und konzentrierte seine Unterweisung dementsprechend auf die großen Meister des 18. und 19. Jahrhunderts. Neue Musik wurde allenfalls am Rande gestreift, und seine eigenen Kompositionen schloß er weitgehend von der Unterweisung aus. Noch 1949 gab er in einem Interview auf die Frage von Halsey Stevens, ob seine kompositionstechnischen Errungenschaft zukünftig wohl an Bedeutung gewinnen könnten, die Antwort: „I think […] there is a possibility to learn something of my technical achievements. But I think it is even better to go back to those men from whom I learned them: I mean, to Mozart, Beethoven, Brahms, and Bach.“9
Noch unmißverständlicher geht seine Position bezüglich des Lehrinhalts aus einem Briefwechsel hervor, den Schönberg Ende 1926 über Vermittlung des preußischen Kultusministeriums mit Gertrud Fuhrmann, einer renommierten Privatlehrerin für Klavier, Theorie und Komposition, führte. Diese hatte an das Ministerium das Ersuchen gerichtet, in Schönbergs Unterricht an der Akademie der Künste hospitieren zu dürfen, weil sie sich „gern weiterbilden, besonders die neueste ‚atonale‘ Musik und ihre Entwicklung kennen lernen“10 wolle. Schönberg antwortete zwar wohlwollend, stellte am Anfang seines Schreibens vom 17. Dezember 1926 aber ganz klar: „Vor allem liegt hier ein Irrtum vor: ich unterrichte nicht ‚atonale Musik‘ – sondern: Musik. Es ist allerhöchste Zeit, atonale Musik noch nicht zu unterrichten! Es wäre nur von Übel, wenn man es täte, dagegen ist es notwendig, anständig componieren zu lehren!“11
Von dieser Haltung sind auch alle theoretischen Schriften und insbesondere die Lehrschriften Schönbergs geprägt. Das gilt zu allererst für seine Harmonielehre, die 1911 erschien und deren Vorwort mit dem Satz anhebt: „Dieses Buch habe ich von meinen Schülern gelernt.“ Man mag sich die Verblüffung der Musikwelt bei Er9 10
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Sprachaufzeichnung (Arnold Schönberg Center, Wien); zit. nach: Halsey Stevens, A Conversation with Schoenberg about Painting, in: Journal of the Arnold Schoenberg Institute 2/3 (June 1978), S. 180. Archiv der Universität der Künste (Berlin); zit. nach: H. H. Stuckenschmidt, Schönbergs Berliner Jahre 1926–1933, in: Ernst Hilmar (Hg.), Arnold Schönberg Gedenkausstellung 1974, Wien 1974, S. 37–43, insbes. S. 38f. Ebenda.
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scheinen der Schrift vorstellen, denn es war in der Tat schwer zu begreifen, daß der Komponist von so umstürzlerischer Musik, deren Aufführungen regelmäßig von Skandalen begleitet waren, ein so überzeugend traditionelles und in keiner Weise revolutionäres Lehrbuch vorlegen konnte. Nun ist der Kompositionsunterricht auch derjenige Bereich im Wirken Schönbergs, der am leichtesten zu erfassen und inhaltlich in den Griff zu bekommen ist. Denn es gibt genügend Dokumente, die Auskunft darüber geben, welche Komponisten bzw. welche Kompositionen er zu seinen Lehrzwecken herangezogen hat, seien es eigene Aufzeichnungen oder solche der Schüler, seien es schließlich auch die veröffentlichten Lehrbücher selbst. Und die Wahl der konkreten Unterrichtsgegenstände läßt kein konsistentes Geschichtsbild erkennen, weil sie zuerst und vor allem vom intendierten Unterrichtsziel bestimmt wurden. Sehr viel schwieriger ist der zweite wesentliche, ja entscheidende Bereich in den Griff zu bekommen, nämlich der Einfluß der Klassik auf Schönbergs eigene kompositorische Tätigkeit. Wie schwer es ist, in diesem Bereich zu überzeugenden Antworten zu gelangen, zeigt bereits Erwin Steins Aufsatz Das gedankliche Prinzip in Beethovens Musik und seine Auswirkung bei Schönberg von 1927 (s. Anm. 4). Zwar meint Stein in älteren Werken, insbesondere dem Streichquartett op. 7, konkrete Bezüge zu Beethoven festmachen zu können, bei späteren dagegen muß er sich darauf zurückziehen, daß der Einfluß nur noch im Abstrakten, Prinzipiellen spürbar sei. Doch selbst bei den älteren Stücken kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß der angebliche Beethoven-Einfluß dem Wunsch als Vater des Gedankens entspringe. Allzu übermächtig sind in diesen Kompositionen die zeitlich näheren Ratgeber Brahms, Wagner oder auch Liszt. Was nun das I. Streichquartett angeht, so gibt es ja Schönbergs konkreten Hinweis auf den Kopfsatz der Eroica, dem er bei der Komposition des Quartetts einen „tremendous amount of advice“12 verdanke. Schon diese überaus emphatische Formulierung läßt aufhorchen, die Erwähnung der „analysts“ in diesem Zusammenhang indes, denen Schönberg – soweit sie Musikwissenschaftler waren – zutiefst mißtraute, läßt den Verdacht aufkommen, als habe er hier bewußt eine falsche Fährte gelegt. Sicher ist, daß sich alle Analytiker bis auf den heutigen Tag bei dem Versuch der Verifizierung von Schönbergs Hinweis die Zähne ausgebissen haben. „The great expansion of this work required careful organization. It might perhaps interest an analyst to learn that I received and took advantage of the tremendous amount of advice suggested to me by a model I had chosen for this task: the first movement of the ‚Eroica‘ Symphony. Alexander von Zemlinsky told me that Brahms had said that every time he faced difficult problems he would consult a significant work of Bach and one of Beethoven, both of which he always used to keep near his standig-desk (Stehpult). How did they handle a similar problem? Of course the model was not copied mechanically, but its men12
Arnold Schoenberg, Notes on the Four String Quartets, in: Ursula von Rauchhaupt (Hg.), Schoenberg – Berg – Webern: Die Streichquartette. Eine Dokumentation, Hamburg 1971, S. 37 und 40.
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tal essence was applied accommodatingly. In the same manner I learned, from the ‚Eroica,‘ solutions to my problems: how to avoid monotony and emptiness; how to create variety out of unity; how to create new forms out of basic material; how much can be achieved by slight modifications if not by developing variation out of often rather insignificant little formulations. From this masterpiece I learned also much of the creation of harmonic contrasts and their application.“13
Nimmt man diesen Bericht jedenfalls bezüglich des Verfahrens ernst, so ist die Zielrichtung des Rekurses auf die Klassiker klar. Er diente dazu, eigene kompositorische Probleme zu lösen. Und die Wahl der Komponisten oder der Komposition hing weniger von deren allgemeiner Wertschätzung, von deren individuellen Qualitäten ab, sondern war funktional auf die Lösung des aktuellen Problems bezogen. Schönberg nutzte also die Werke der Klassiker als kollektive Fundgrube zur Behebung der eigenen kompositorischen Schwierigkeiten. Das Bild der kollektiven Fundgrube bestätigt sich, wenn man zum Schluß einen Blick auf den dritten Bereich, Schönbergs allgemeine, also nicht ausdrücklich musikpädagogische Schriften richtet. Dazu eine Passage aus Schönbergs Brief vom 20. Jänner 1931 an Anton Webern; dieser bereitete gerade seinen öffentlichen Kurs vor, der dann letztlich und auf Schönbergs Rat hin „Der Weg zur Komposition mit 12 Tönen“ heißen sollte: „Nur würde ich di[r] empfehlen, die Analysen eventuell so anzulegen (durch die Auswahl der Werke) dass die Entwicklung der Komposition mit 12 Tönen sich daraus ergiebt. Also zB Niederländer, Bach, fürs Kontrapunktische, Mozart für die Phrasenbildung, aber auch für die Motivik, Beethoven, aber auch Bach für die Entwicklung, Brahms und ev. Mahler für den vari[ie]rten, vielfach verschränkten Ablauf.“14
Die Briefstelle stellt einen besonders deutlichen Beleg für Schönbergs Zusammendenken von Bach, Mozart und Beethoven dar. Diese drei – mit Bach an Stelle von Haydn – waren für ihn die klassische Trias.
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Ebenda. Original nicht nachweisbar, Durchschlag aufbewahrt in The Library of Congress, Washington D.C. (Arnold Schoenberg Collection); veröffentlicht in: Arnold Schönberg, Briefe, ausgewählt und herausgegeben von Erwin Stein, Mainz 1958, S. 158.
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„Was ich von Mozart gelernt habe ...“ Nachforschungen auf Schönbergs Spuren „Analysts of my music will have to realize how much I personally owe to Mozart. People who looked unbelievingly at me, thinking I made a poor joke, will now understand why I called myself a pupil of Mozart [...].“1 „Von Mozart [habe ich gelernt]: 1. Die Ungleichheit der Phrasenlänge 2. Die Zusammenfassung heterogener Charaktere in eine thematische Einheit 3. Die Abweichung von der Gradtaktigkeit im Thema und in seinen Bestandteilen. 4. Die Kunst der Nebengedankenformung. 5. Die Kunst der Ein- und Ueberleitung.“2
I Arnold Schönberg äußerte häufig Mißtrauen oder Ablehnung gegenüber der Musikwissenschaft.3 Als Komponist hatte er wenig Verständnis für die kontextorientierte Perspektive des Historikers, die er als übersteigertes Interesse an Nebenschauplätzen der Musikgeschichte wahrnahm.4 Vor allem aber fürchtete er, irgendwann selbst Opfer der Forschung und damit einer (aus seiner Sicht) Fehldeutung der musikgeschichtlichen Entwicklung zu werden.5 Um dem vorzubeugen, hinterließ Schönberg eine Vielzahl von Hinweisen, seine Position innerhalb der musikalischen Avantgarde, aber auch als Glied einer weit zurückweisenden Traditionskette klarzustellen.
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Arnold Schönberg, Brahms the progressive (Arnold Schönberg Center, Wien [T45.03]), S. 17 (Schönbergs Paginierung). Arnold Schönberg, Nationale Musik (Arnold Schönberg Center, Wien [T35.39]). Vgl. u. a. die Texte Theoretiker-Sitten (Arnold Schönberg Center, Wien [T02.04]); Es gibt kein Entrinnen (Arnold Schönberg Center, Wien [T04.45]); Musikgeschichte auf Vorrat (Arnold Schönberg Center, Wien [T03.05]). Vgl. Arnold Schönberg, Brahms the progressive (Anm. 1), S. 12: „[...] these musicians [Keiser, Telemann, Mattheson] live only because of the musicologist’s interest in dead, decayed matters.“ Vgl. Es gibt kein Entrinnen (Anm. 3) und vor allem die Satire Hugo Triebsamen (Arnold Schönberg Center, Wien [T60.11]).
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Heute äußert kaum jemand noch grundsätzliche Zweifel an Schönbergs historischer Bedeutung, dem Stellenwert seines kompositorischen Schaffens, wie auch dessen Herkunft aus der klassisch-romantischen Tradition. Beim Symposium Mozart und Schönberg. Wiener Klassik und Wiener Schule (Arnold Schönberg Center, Wien 2006), das im vorliegenden Bericht dokumentiert ist, gerieten jedoch gerade die Quellen, Wege und Modi der Tradierung sowie insbesondere Schönbergs Selbstdeutung in die Diskussion – auf welche Weise Spuren älterer Musik im Schaffen Schönbergs wie in seiner Eigendarstellung zu lesen sind. Für Schönberg beruht die historische Begründung seiner Musik auf einer Art von Schülerschaft. Das intensive Studium der Werke der Klassiker und deren Verinnerlichung galt ihm als Voraussetzung, zu einer eigenen musikalischen Sprache zu kommen. Diese Vorstellung prägte seine Methode des Unterrichtens, die – sobald es über die bloße Harmonielehre hinausging – wesentlich von der Vermittlung der Arbeitstechniken der „Meister“ geprägt war. Dabei ging es ihm natürlich nicht um die Schulung zu Stilkopien, sondern um die Vermittlung der kompositionstechnischen Essenz der Werke. Sein Verständnis des Klassischen gründete „auf streng ‚handwerklichen‘ Maximen“. Der „ ‚tiefere Sinn‘ musikalischer ‚Formen‘ “ sei „aus der genauen Betrachtung der ‚Erscheinung‘ [...] zu destillieren“.6 In der propädeutischen Kompositionslehre Fundamentals of Musical Composition wie auch dem musiktheoretischen Hauptwerk Der musikalische Gedanke ist wenig über die Position von Schönbergs eigenem Werk in diesem Kontext zu erfahren. Bezeichnend für seine diesbezügliche Haltung ist die Widmung einer Partitur des 1. Streichquartetts, op. 7, an den Schüler Karl Horwitz: „Trachten Sie, davon nic h t s, vielmehr von Mozart, Beethoven und Brahms zu lernen! Dann wird Ihnen hierin vielleicht manches beachtenswert erscheinen.“7
Der Verweis ist ebenso dezidiert wie wenig konkret, es bleibt dem Leser überlassen, sich anhand der Analyse ein eigenes Bild der Wirkungszusammenhänge zu verschaffen. Es ist daher wenig überraschend, wenn Schönbergs in dieser Hinsicht ausgesprochen detailliert Auskunft gebender Text Nationale Musik besondere Aufmerksamkeit seitens der Forschung erfahren hat. Das Manuskript, in der Regel zitiert aus einer der posthum publizierten Schriftensammlungen, lädt ebenso zur Verwendung als pauschaler Beleg für Schönbergs historische Verankerung ein, wie zur kritischen Auseinandersetzung mit den genannten Einflußspähren. Zitiert wird häufig nur die übersichtliche Aufzählung der Vorbilder samt zugeordneter kompositorischer Fertigkeiten. Das ist allerdings lediglich ein Ausschnitt eines Konvoluts von insgesamt elf handschriftlichen Seiten: sieben davon unter dem Titel „Nationale Musik“, datiert Februar 1931, vier weitere (welche besagte Stelle enthalten) auf der ersten Seite 6
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Matthias Schmidt, Klassiker? Mozart – Beethoven – Schönberg, in: Andreas Meyer/Ullrich Scheideler (Hg.), Autorschaft als historische Konstruktion. Arnold Schönberg: Vorgänger, Zeitgenossen, Nachfolger und Interpreten, Stuttgart 2001, S. 73. Beitrag von Karl Horwitz, in: Arnold Schönberg – in höchster Verehrung, München 1912, S. 84.
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überschrieben „zu Nationale Musik“ mit dem Enddatum 24. Februar 1931. Im Gegensatz zu anderen Schriften Schönbergs gibt es keine Durchschläge, typographische Fassungen oder Korrekturexemplare, woraus geschlossen werden kann, daß der Text nie zur Publikation bestimmt war. Dafür spricht auch Schönbergs abschließende, mehrfach eingeklammerte Bemerkung: „[[Nur eine Analyse dessen, was ich ‚getan‘ habe]]“. Die sich oft über einen längeren Zeitraum spannende, scheinbar selbstreflexive Auseinandersetzung mit ihn unmittelbar berührenden Fragen begegnet auch in anderen Texten Schönbergs.8 Zunächst befremdlich wirkt die im Titel bereits avisierte Auseinandersetzung mit Musik und Nation: Schönberg verortet sich in der Tradition der Musik des deutschen Sprachraums, deren Dominanz über andere Kulturen er seit Johann Sebastian Bach als gegeben betrachtet. Manche Passagen scheinen isoliert gelesen dem Arsenal deutschnationaler Propaganda nahezustehen.9 Sie irritieren ähnlich wie Schönbergs im Zusammenhang der Entstehung der Zwölftonmethode geäußertes, vieldiskutiertes Diktum über die „Vorherrschaft der deutschen Musik“.10 Wenngleich Schönberg hier wie an anderer Stelle nationalistische Tendenzen nicht abzusprechen sind,11 ist festzustellen, daß er dabei keineswegs in die Nähe eines politischen Nationalismus gerät. Vorherrschaft – so militaristisch der Begriff auch klingen mag – wird als transitorisches, kulturelles Phänomen definiert, nicht als gewissermaßen genetische Veranlagung. Der Text argumentiert hier vielschichtig und stellt die Hegemonie verschiedener Nationen in unterschiedlichen Bereichen der Kunst zu jeder Zeit – unabhängig von politischen oder
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Eindrückliches Beispiel für diese Textsorte ist die auf zahlreichen Manuskriptseiten aus unterschiedlichen Lebensphasen dokumentierte Auseinandersetzung mit Anton Webern, vornehmlich über Prioritätsfragen, zu der auch ein abschließender Kommentar von Schönberg selbst überliefert ist (Webern [Arnold Schönberg Center, Wien, T05.51]); womöglich wollte Schönberg mit der Aufbewahrung von An- und Entschuldigung die komplizierte Natur dieses Konflikts vermitteln. Seine Vorgehensweise belegt jedenfalls, daß auch unveröffentlichte Texte, die hinsichtlich der Durcharbeitung in keiner Weise den schließlich publizierten entsprechen müssen, über die bloße Selbstreflexion hinausgehen und Botschaftscharakter haben können. „Wie sehr nun aber die Kunst Rassische[m] und Nationale[m] verhaftet ist, wie überzeugend diese aus ihr sprechen, wie untrennbar eins mit dem andern verknüpft ist, so zeigt sich aber doch, sobald ausgeprägte nationale Kunst zur Hegemonie gelangt, dass die gesamte übrige Kulturwelt nur ein Bestreben kennt: dieser nationalen Kunst nachzueifern, ohne dabei zu bedenken, ob und wieweit ihr Vorbild erreichbar ist.“ (Nationale Musik, Anm. 2). An anderer Stelle heißt es: „es ist […] merkwürdig, dass noch niemand beachtet hat, dass in meiner Musik, die vo[m] Ausland unbeeinflusst auf deutschem Boden entstanden ist, eine Kunst vorliegt, die, wie sie den Hegemoniebestrebungen der Romanen und Slawen aufs Wirksamste entgegentritt, durchaus den Traditionen der deutschen Musik entsprungen ist.“ Überlieferungsbelege und Kontexte der Aussage sind dokumentiert in Therese Muxeneder, Arnold Schönbergs Verkündung der Zwölftonmethode. Daten, Dokumente, Berichte, Anekdoten, in: Christian Meyer (Hg.), Arnold Schönbergs Schachzüge/Arnold Schönbergs Brilliant Moves. Bericht zum Symposium/Report of the Symposium 3.–5. Juni 2004 (= Journal of the Arnold Schönberg Center 7), S. 301–313. Vgl. etwa den Brief an Erwin Schulhoff vom 20. Juni 1919, in dem die entsprechende Passage in dem Satz kulminiert: „Wenn ich an Musik denke, so fällt mir nur die deutsche ein!“; zit. nach Matthias Hermann, Arnold Schönberg in Dresden, Dresden 2001, S. 43f.
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ökonomischen Gegebenheiten – als möglich dar.12 Der „Aufstieg zur Hegemonie“ als Folge der Verknüpfung höchster kontrapunktischer Kunst mit der Erschließung neuer harmonischer Bereiche im Werk Johann Sebastian Bachs wird parallelisiert zur Entwicklung der Zwölftonmethode, deren hegemoniale Möglichkeiten in der erneuten, mehrdimensionalen Weitung des musikalischen Raums liegen. Schönbergs Nationalismus läßt an Johann Nikolaus Forkel denken, der ebenfalls für Bach die Position des „Ersten aller deutschen und ausländischen Künstler“ reklamierte.13 In den damaligen Bestrebungen zu einer Bach-Gesamtausgabe (an der Forkel beteiligt war) sah er eine „National-Angelegenheit“ im Sinne der Verbreitung eines Werkes, dem „kein anderes Volk ähnliches entgegensetzen kann“14. Dabei ging es allerdings kaum um nationale Selbstbestätigung, da es um 1802 gerade auf breiter Basis noch galt, Bachs Schaffen vor dem Vergessen zu bewahren und seine Bedeutung für folgende Generationen deutlichzumachen. Schönberg erfährt aufgrund seiner ästhetischen Position Feindschaft von Seiten der (politischen und rassistischen) Nationalisten und ist gleichwohl davon überzeugt, deren hegemoniale Ziele zumindest im Bereich der Musik auch gegen deren Widerstand durchsetzen zu können.15 Matthias Schmidt interpretiert Schönbergs Haltung als Folge einer „wachsende[n] politische[n] und soziale[n] Verunsicherung als gebürtiger Jude in Deutschland“, der sichtlich bemüht war, „die Rückführbarkeit seiner kompositorischen Innovationen auf überlieferte Zusammenhänge zu unterstreichen“16.
Die Hervorhebung Mozarts als wichtiges Vorbild, bestätigt durch Aussagen an anderen Stellen, ist auch als Gegenthese zum zeittypischen Mozart-Bild zu verstehen. Seit seiner Klassik-Sprechung17 im 19. Jahrhundert wurde Mozart allgemein „als Bollwerk des zuverlässig Maßvollen und harmonisch Gerundeten“ vereinnahmt. Seine Musik erfüllte für konservative Strömungen eine „strategische Gegenfunktion zum wuchernden ‚Fortschritts‘-Geist in der Musikästhetik und dem zunehmenden kompositorischen Originalitätsdruck“.18
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Näher hierzu E. Randol Schoenberg, The Most Famous Thing He Never Said, in: Christian Meyer (Hg.), Arnold Schönberg und sein Gott/Arnold Schönberg and His God. Bericht zum Symposium/Report of the Symposium 26.–29. Juni 2002 (= Journal of the Arnold Schönberg Center 5), S. 30. Johann Nikolaus Forkel, Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke, Leipzig 1802, S. VII. Ebenda S. Vf. Zum ironischen Ton, den das Diktum von der Vorherrschaft der deutschen Musik in diesem Zusammenhang häufig erhält, vgl. auch E. Randol Schoenberg, The Most Famous Thing (Anm. 12), S. 28f. Allgemein zur Bedeutung des Begriffs „deutsche Musik“ für Schönberg vgl. Hartmut Krones, Arnold Schönberg. Werk und Leben (= Neue Musikerportraits 1), Wien 2005, S. 224–227. Matthias Schmidt, Schönberg und Mozart. Aspekte einer Rezeptionsgeschichte (= Publikationen der Internationalen Schönberg-Gesellschaft 5), Wien 2004, S. 143f. Der Begriff stammt von Jürgen Wertheimer: Goethes Glück und Ende. Vom verhängnisvollen Schicksal, Klassiker zu sein, in: Über das Klassische. Hrsg. von Rudolf Bockholdt. Frankfurt am Main 1987, S. 102. Matthias Schmidt, Klassiker? (Anm. 6), S. 70.
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In Opposition gegen dieses Klischeebild führt Schönberg in Nationale Musik unter dem Stichwort „Mozart“ vor allem Aspekte an, die eine Abweichung von der Norm ausdrücken. Beethoven, gewöhnlich Inbild des Aufbegehrens gegen Konventionen, wird mit der vorbildlichen Erfüllung formaler Ansprüche in Verbindung gebracht. Abgesehen von konservativen Strömungen sah sich Schönberg jedoch auch noch als Kämpfer an einer zweiten Front, nämlich „als Komponist, der bei der jungen Generation […] ‚outmoded‘ war“.19 Die 1920er Jahre und frühen 1930er Jahre waren ja nicht nur von reaktionären, nationalistischen Strömungen geprägt, sondern auch eine Zeit der kulturellen, internationalen Vielfalt. Innerhalb einer lebendigen, zunehmend von französischen und osteuropäischen Strömungen geprägten „Neuen Musik“ wurde Schönberg gar selbst als Konservativer abgestempelt. Mit der Verteidigung der eigenen Traditionsverbundenheit grenzt er sich von Zeittendenzen ab, die durch unterschiedliche Einflußsphären entstanden sind, um „eine wahrhaft neue Musik“ zu schreiben, „welche, wie sie auf der Tradition beruht, zur Tradition zu werden bestimmt ist.“20 Trotz dieser zweifellos zeithistorisch bedingten Prägung von Nationale Musik stellt sich die Frage, inwiefern der Text auch als ein der Zeit enthobenes Dokument, als Botschaft an eine Nachwelt zu verstehen ist. Das nationale, abgrenzende Moment fällt nämlich in den letzten Abschnitten, die mit der Auflistung der „Lehrmeister“ beginnen, gänzlich weg. Die Passage ist durchaus als künstlerisches Bekenntnis zu lesen. Die Ambivalenz des Textes zwischen Engagiertheit in der Diktion und Privatheit in der Überlieferungsform läßt vermuten, daß Schönberg an eine Betrachtung und Auswertung aus historischer Distanz dachte, für die er eine Spur zum Verständnis seines Schaffens legen wollte. II Der offensive Botschaftscharakter von Nationale Musik macht diesen Text in seiner Bedeutung für das Verständnis von Schönbergs Musik diskussionswürdig. Vordergründig scheinen viele der auf Mozart bezogenen strukturellen Merkmale mit größerer Schlüssigkeit auf Brahms beziehbar zu sein.21 Handelt es sich bei Schönbergs wiederholter Bezugnahme auf seine Vorbilder also – zumindest im Falle Mozarts – um bloße Selbstapologetik? Angesichts seiner nachgewiesenen Repertoirekenntnis muß jedenfalls von einer beträchtlichen virtuellen Präsenz historischer Musik ausgegangen werden, deren konkrete Wirkung im eigenen Schaffen wahrscheinlich auch für Schönberg nur im seltensten Fall unmittelbar differenziert werden konnte. Vielleicht schweigt er sich deshalb weitestgehend darüber aus, in wel19 20 21
Ebenda S. 70f. Arnold Schönberg, Nationale Musik (Anm. 2). Vgl. vor allem die hier wiedergegebenen Diskussionsbeiträge des Roundtable sowie zur Bedeutung Schönbergs für die Mozartanalyse die Beiträge von Siegfried Oechsle, Von Schönberg zu Mozart. Versuch über den Prozeßcharakter Mozartscher Musik (S. 159–175), und Siegfried Mauser, Auf der Suche nach Schönbergs Mozart. Eine kritisch-essayistische Hinterfragung (S. 223–225).
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cher Form und auf welche Weise die namhaft gemachten Vorbilder im konkreten Fall nachhallen. Im folgenden soll der Versuch unternommen werden, Schönbergs auch in Nationale Musik wiederholte Aussage, die Traditionsverbundenheit sei trotz der „Schwierigkeit meiner Noten“ ebendort „zu sehen“,22 am Beispiel Mozarts und auf Grundlage der dort angeführten Vergleichspunkte praktisch zu verifizieren. Dabei geht es zunächst nicht darum, Vorbilder in einzelnen Werken zweifelsfrei nachzuweisen, sondern um die Untersuchung der bloßen Möglichkeit, solche Verbindungen herzustellen. Schönbergs reichlich vorhandene Analysen zu Werken Mozarts fungieren als Basis. Sie müssen dabei in Bezug auf Mozart nicht auf letzte analytische Schlüssigkeit überprüft werden – hier geht es gerade um die Perspektive, aus der Schönberg diese Werke subjektiv rezipiert, auf das einem späteren Betrachter „manches hierin [also in Schönbergs Werk] vielleicht beachtenswert erscheinen“ mag. Die herangezogenen Analysen Schönbergs stammen aus Der musikalische Gedanke und dem Vortrag Brahms the progressive – Texte, die entsprechend ihrem Zielpublikum unterschiedlichen Charakter haben. Der Vortrag wendet sich an eine breitere Hörerschaft, weshalb die Beispiele im Hinblick auf unmittelbare Verständlichkeit und Überzeugungskraft gewählt wurden. Vordergründig geht es um eine Neudeutung Brahms’ als „Fortschrittlichen“ – gegenüber der bis ins 20. Jahrhundert verbreiteten Wertung des Komponisten als „konservativ“ in Absetzung von Bruckner und Wagner. Als Subtext ist eine Selbstdeutung der eigenen Musiksprache unübersehbar, auch in der umfänglichen Bezugnahme auf Mozart. Der musikalische Gedanke ist trotz der fragmentarischen Überlieferung Schönbergs konzentrierteste Auseinandersetzung mit musikalischen Grundbegriffen und kompositorischer Poiesis. Die Fundamentals of Musical Composition sind in der Wahl der (äußerst zahlreichen) Beispiele wie auch der Darstellungsweise auf Studierende, eigentlich Anfänger im Kompositionsunterricht ausgerichtet. Der gewaltige Überhang von BeethovenAnalysen liegt in der besonderen Eignung als Modell begründet. Beim GedankeManuskript steht dagegen Mozart im Vordergrund – Schönberg mußte hier keine Rücksicht auf die Vermittlung einer Technik legen, es ging ihm primär um die Darlegung einer Ästhetik. ... die Ungleichheit der Phrasenlänge und die Abweichung von der Gradtaktigkeit Punkte eins und drei in Schönbergs Auflistung betreffen Momente, in denen Mozart von der Norm der Geradtaktigkeit und dem einheitlichen Periodenbau abweicht. Die für die Musik des 20. Jahrhunderts charakteristische Flexibilisierung des Rhythmus, so wird insinuiert, sei bei Mozart bereits vorausgenommen. Die Hervorhebung des Asymmetrischen in Bezug auf Mozart dürfte nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Verklärung des Komponisten „zu einem ‚appolinischen‘ Ide22
Arnold Schönberg, Nationale Musik (Anm. 2).
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albild“ seit Mitte des 19. Jahrhunderts stehen.23 Einseitige und glättende Darstellungsweisen, wie sie unter anderem auch in der in Schönbergs Bibliothek befindlichen Mozart-Biographie von Otto Jahn zutagetreten, gehörten zum argumentativen Rüstzeug der Fortschrittskritik.24 Dem über die Neue Musik häufig gesprochenen Verdikt des „Chaotischen“ setzt Schönberg nun die subtilen Unregelmäßigkeiten bei Mozart entgegen, woraufhin Mozart selbst als fortschrittlicher Komponist erscheint, der mit den Konventionen spielt, wie etwa im Menuett des Streichquartetts G-Dur, KV 387, welches „einen scharfen Protest gegen vorlaute 1. Taktteile einlegt.“25 Durch ständigen Wechsel von sforzato und piano erhält eine chromatische Linie hier einen dem vorgeschriebenen 3/4-Takt entgegengesetzten metrischen Verlauf. Der Effekt gewinnt durch die schematische Betonung des Rhythmus in den vorhergehenden Takten seinen besonderen Witz: Isoliert gehört, könnte man die Stelle nämlich durchaus als 2/4-Takt mit Auftakt auffassen (Bsp. 1).
Beispiel 1: Wolfgang Amadeus Mozart, Streichquartett G-Dur, KV 387, 3. Satz, T. 1–8.
Ähnliche Irritationen ruft Schönberg in seinem Streichquartett d-Moll, op. 7, zu Beginn des Scherzo-Abschnitts hervor. Durch den wiederholten Einsatz von Hemiolen wird der 3/4-Takt bei der Höranalyse zunächst als 2/2-Takt wahrgenommen, dessen Identität jedoch bereits mit der Überbindung in T. 401/402, dann mit einem sforzato auf dem angenommenen schwachen Taktteil in T. 403 und schließlich mit der eindeutig im Sinne eines Dreier-Taktes zu hörenden Gruppe in T. 405 zurechtgerückt (Bsp. 2). Das Klavierquartett g-Moll, KV 478, zieht Schönberg als Beispiel für die Begrenztheit eines auf dem Taktmaß basierenden rhythmischen Systems heran. Um den angestrebten metrischen Verlauf hörbar zu machen, bedient sich Mozart feiner dynamischer Differenzierung. Schönberg markiert zunächst die daraus resultierende Phrasierung, um daraufhin die Passage in zwei Varianten einer „modernen“ Notation zu übertragen (Bsp. 3). 23 24
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Matthias Schmidt, Schönberg und Mozart (Anm. 16), S. 82. Ebenda S. 83. Im Gegensatz zu zahlreichen Büchern, gegenüber denen Schönberg eine kritische Haltung einnahm, finden sich in seinem Exemplar der Jahn-Biographie allerdings keine Anmerkungen; vgl. Otto Jahn, W. A. Mozart. Bearbeitet und ergänzt von Hermann Dieters, Leipzig 1904–1907 (Arnold Schönberg Center, Wien [BOOK J2]). Arnold Schönberg, Der musikalische Gedanke (Arnold Schönberg Center, Wien [T65.03]), S. 193f. (Schönbergs Paginierung).
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Dieselben Betonungszeichen verwendet Schönberg auch in seinen eigenen Werken, etwa im Violinkonzert, op. 36, um ein die Taktgrenzen überschreitendes DreierMetrum mit sich deutlich hervorhebenden Zweier-Gruppen zu realisieren (Bsp. 4).
Beispiel 2: Arnold Schönberg, Streichquartett d-Moll, op. 7, T. 399–406.
Beispiel 3: Wolfgang Amadeus Mozart, Klavierquartett g-Moll, KV 478. Darstellung nach Arnold Schönberg.26
Beispiel 4: Arnold Schönberg, Violinkonzert, op. 36, T. 106–113 (Violine solo).
An anderer Stelle wird Mozart schließlich als direktes Vorbild für die Entstehung musikalischer Prosa namhaft gemacht.27 Im Klavierauszug des Streichquartetts 26 27
Vgl. Arnold Schönberg, Brahms the progressive (Anm. 1), Beispiele 51 a, d, e. „Ich mag es mir nicht versagen, ein Beispiel vorzuführen, welches seitjeher [!] grössten Einfluss auf mich gehabt hat“. Arnold Schönberg, Vortrag über Brahms (Arnold Schönberg Center, Wien [T17.02]); in der späteren, englischen Fassung des Vortrags verzichtet Schönberg darauf, Mozarts Beispiel ausdrücklich als Vorbild für sein eigenes Schaffen zu benennen.
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d-Moll, KV 421, markiert Schönberg insgesamt 17 Phrasen von fast durchgehend unterschiedlicher Länge, deren Gestaltung sich nicht nach den Gesetzen der formalen Symmetrie richtet, sondern – gleich freier Dichtung – als „direct and straightforward presentation of ideas“ erscheint. Tatsächlich läßt sich diese Darstellungsweise problemlos auf den Anfang von Schönbergs zweitem Klavierstück aus den Drei Klavierstücken, op. 11, übertragen, das im Sinne Schönbergs eindeutig als Beispiel musikalischer Prosa zu identifizieren ist. ... die Kunst der Ein- und Überleitung Schönbergs weitgehende Weigerung, die Zwölftonmethode zum Inhalt seiner Lehre zu machen,28 war in der Überzeugung begründet, daß die kompositionstechnischen Grundlagen von Dur/Moll-tonaler und zwölftöniger Musik im Prinzip die gleichen seien. Aus einem nachhaltigen Verständnis der klassischen Formen sollte sich auch ohne weitere Anleitung ein der gewandelten Musiksprache adäquates Vorgehen entwickeln lassen. Als eine an Mozart zu schulende Gestaltungsweise gilt für Schönberg die „Liquidations-Technik“, die der Verbindung zweier unterschiedlicher Themen mit Hilfe einer überleitenden Passage dienen kann. Zum Gelingen der Themenauflösung komme es darauf an, „möglichst rasch alles C ha r a kte r is ti sc he fallen zu lassen, die Spannung abfliessen zu lassen und die Verpflichtungen der früheren Gestalten so zu l iq u i d ie r e n , dass sozusagen ‚reiner Tisch‘ gemacht wird, dass eine Möglichkeit gegeben wird, Anderes auftreten zu lassen.“29
In der Praxis kann mit der Liquidation des einen Themas auch die Vorbereitung eines anderen einhergehen. Schönberg demonstriert dies am Beispiel des Übergangs vom Hauptgedanken zum Seitengedanken des ersten Satzes aus Mozarts Streichquartett C-Dur, KV 465 (Bsp. 5). Schon bald nach der ersten Formulierung des Hauptthemas erfährt dessen charakteristischer Quintgang eine Auflösung. Zunächst bleiben die aufsteigende Richtung der Melodie und ansatzweise die Tonabstände erhalten. Dann erinnern nur noch Gruppen von Achtel-Noten an den Beginn (Bsp. 6). In T. 40 bleibt die Quint zwar präsent, wird jedoch in zwei Terzen unterteilt. Später erweist sich das hier eingeführte Intervall der Terz als zentral für den Seitengedanken. Die nächste Passage ergänzt die Terzen noch um Sechzehntel-Gruppen – ein weiteres Merkmal des Seitengedankens (Bsp. 7). Im letzten Abschnitt er28
29
Pauline Alderman berichtet, daß Schönberg sich nur äußerst zögerlich dazu bereit fand, mit seinen Schülern über sein 3. Streichquartett, op. 30, und die Anwendung der Zwölftonmethode zu sprechen, da er seine eigentliche Aufgabe in der Vermittlung der europäischen Tradition und seiner Verbindung mit dieser sah (vgl. Pauline Alderman, Reminiscences. Arnold Schoenberg at USC, in: Journal of the Arnold Schoenberg Institute 5/2 [November 1981], S. 206); John Cage berichtet, Schönberg habe die Bitte eines Schülers, über die Zwölftonmethode zu sprechen, gar kategorisch abgelehnt: „That is none of your business.“; vgl. John Cage, Silence. Lectures and Writings, Middletown/Conn. 1961, S. 33. Arnold Schönberg, Der musikalische Gedanke (Anm. 25), S. 33.
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scheint noch einmal der vom Anfang bekannte Skalenaufgang (T. 53) – statt in Achtel-Noten hier jedoch in Sechzehnteln. Die rasche Spielweise verwandelt die letzten Takte der Überleitung in ein athematisches Feld, in dem Motive nur noch angedeutet sind. Dieser verwirrende Moment löst sich mit dem entschlossenen Eintritt des Seitengedankens, den der Hörer als Ziel des musikalischen Prozesses erkennt (Bsp. 8).
Beispiel 5: Wolfgang Amadeus Mozart, Streichquartett C-Dur, KV 465, 1. Satz, Hauptthema und Überleitung.
Beispiel 6: Mozart, Streichquartett C-Dur, KV 465, 1. Satz, T. 23–24 und T. 29–30.
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Beispiel 7: Mozart, Streichquartett C-Dur, KV 465, 1. Satz, T. 40–44 und T. 49–51.
Beispiel 8: Mozart, Streichquartett C-Dur, KV 465, 1. Satz, T. 53–57.
Nach der Entwicklung der Zwölftonmethode beschäftigte sich Schönberg verstärkt mit tradierten Formmodellen. In der Suite für Klavier, op. 25, dem ersten vollständigen Zwölftonwerk, sind dies vor allem stilisierte Tänze aus der barocken Suitenfolge. Später, vor allem in den Streichquartetten, reflektiert Schönberg Modelle der Wiener Klassik. Durch den Wegfall des tonartenbasierten Themendualismus30 fin-
30
Wobei anzumerken ist, daß auf der Ebene der Reihenordnung den Tonarten parallele Strukturen geschaffen werden können – so etwa im Intermezzo der Suite op. 25, in der eine Begleitfigur zunächst auf der Grundreihe, dann auf deren Tritonustransposition basiert. Schönberg selbst verstand dieses Verhältnis als Reminiszenz an tonale Verhältnisse, wie die Bezeichnung der Reihenformen in einer Skizze mit den Buchstaben T und D unterstreicht (Arnold Schönberg Center, Wien [MS 25, Skizze 27h]).
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det einer weitere Differenzierung auf der Ebene der motivischen Gestaltung statt, welche Schönberg bereits bei Mozart nachhaltig hervorgehoben hat. Im dritten Satz seines 3. Streichquartetts, op. 30, bedient er sich einer dem obigen Beispiel verwandten Liquidationstechnik. Ausgangspunkt ist ein Seitengedanke, der zu einer Reprise des Hauptgedankens führen soll. Der Hauptgedanke ist – typisch für einen scherzoartigen Satz – durch ein Dreier-Metrum geprägt, während der Seitengedanke vier deutlich markierte Schlagzeiten mit an unterschiedlichen Stellen zugefügter Achtel-Note aufweist (Bsp. 9). Schon nach seinem ersten Auftritt wird der Seitengedanke in einer Wiederholung variiert. Die Tonabstände sind nun breiter, die Konturen der Melodie lösen sich auf. Eine vereinzelte Dreiergruppe in der 1. Violine (T. 32) verweist dezent auf den Hauptgedanken (Bsp. 10). In den folgenden beiden Takten treten Dreiergruppen in Melodie- und Begleitstimmen noch deutlicher hervor (Bsp. 11). Ohne den Seitengedanken in seinen melodischen Konturen noch erkennen zu lassen, wird die charakteristische Vierergruppe mit hinzugefügter Achtel-Note noch einmal angedeutet (Bsp. 12). Schließlich wendet Schönberg einen Kunstgriff an: In einem sich steigernden Klangfeld, das kaum noch melodische Konturen aufweist, werden die Figuren in Zweiergruppen angeordnet, während sie zugleich aus Gruppen von je drei Noten bestehen (Bsp. 13). Die sich anschließende Wiederkehr des Hauptgedankens im gleichmäßigen Dreier-Metrum geht aus diesem alles Thematische auflösenden Klangfeld hervor. Sie wirkt überraschend, ohne unvorbereitet zu sein (Bsp. 14).
Beispiel 9: Arnold Schönberg, 3. Streichquartett, op. 30, 3. Satz, Hauptgedanke und Seitengedanke.
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Beispiel 10: Schönberg, 3. Streichquartett, op. 30, 3. Satz, T. 31–32.
Beispiel 11: Schönberg, 3. Streichquartett, op. 30, 3. Satz, T. 33–34.
Beispiel 12: Schönberg, 3. Streichquartett, op. 30, 3. Satz, T. 35–36.
Beispiel 13: Schönberg, 3. Streichquartett, op. 30, 3. Satz, T. 37–38.
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Beispiel 14: Schönberg, 3. Streichquartett, op. 30, 3. Satz, T. 40–44.
… die Zusammenfassung heterogener Charaktere in eine thematische Einheit Im Musiktheater erfordern unterschiedliche Befindlichkeiten der agierenden Personen wie auch Stimmungswechsel eine Vielzahl musikalischer Ausdrucksmittel, die in einen dramatisch wie musikalisch überzeugenden Zusammenhang zu führen sind. In der Musikgeschichte finden sich dazu unterschiedliche Lösungsansätze, wobei die Trennung zwischen Handlungsfortschritt in den Rezitativen und Kommentar in den Arien in Formen wie der Opera seria eine Verknüpfung der Affekte weitgehend erübrigte. Dies änderte sich mit dem Aufkommen der Opera buffa, die durch den rascheren, mit Überraschungseffekten versetzten Handlungsfortschritt neue Strukturtypen erforderte. Die komplexen Ensembleszenen der drei Da-PonteOpern Mozarts gelten als meisterhaft hinsichtlich der Verbindung disparater Gefühlszustände zu einer musikalisch sinnvollen Einheit. Schönberg demonstriert Mozarts Vorgehen am Beispiel der zentralen Ensembleszene aus dem Finale des II. Aktes von Le nozze di Figaro: „In pieces of this type a composer must be capable of turning within the smallest space. Mozart, anticipating this necessity, begins […] with a melody consisting of a number of phrases of various length and character, each of them pertaining to a different phase of the action and the mood. They are in their first formulation loosely joined together, and often simply juxtaposed, thus admitting to be broken asunder and used independently as motival material for small formal segments.“31
Die Analyse führt fünf unterschiedliche Phrasen an, die auf recht knappem Raum vorgestellt werden.32 Der gesamte Abschnitt umfaßt
31 32
Arnold Schönberg, Brahms the progressive (Anm. 1), S. 15. Ebenda Beispiel 17a–e.
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„160 measures and contains an astonishingly great number of segments, all of which are built, almost exclusively by variations of these five little phrases in a constantly changing order“33.
Schönbergs analytische Ausdrucksweise gibt zu verstehen, daß er die musikalische Konstruktion nicht als bloße Abfolge von signalgebenden Motiven begreift, welche die Ereignisse verknüpfen, sondern als einen auch unabhängig von der Handlung sinnvollen Strukturzusammenhang. Als Beispiel für die Verknüpfung heterogener Charaktere in Schönbergs Werk kann der zweite Satz aus dem 2. Streichquartett, op. 10, herangezogen werden, dessen Form abgesehen von der Scherzo-typischen Dreiteiligkeit kaum in ein übliches Schema zu bringen ist.34 In der Eröffnungsphase (T. 1–19) werden auf engem Raum vier verschiedene motivische Bildungen einander gegenübergestellt (Bsp. 15): a)
b)
c)
d)
Beispiel 15: Arnold Schönberg, 2. Streichquartett fis-Moll, op. 10, Motive a–d.
Der Satz beginnt mit einer rhythmischen Wiederholungsfigur (a), die in eine Gestalt mündet, welche als kontrapunktische Kombination eines Skalengangs (in T. 7 zu einer Figur in Oktavsprüngen erweitert) mit einem Staccatomotiv angelegt ist (b). Nach einer Fermate schließt sich ein zurückhaltendes, den Tonraum von f 1 nach gis 2 durchschreitendes Motiv an (c), auf das nach einer erneuten Fermate ein Auflö33 34
Ebenda S. 16. Vgl. hierzu die eingehende Analyse von Severine Neff, in: Arnold Schönberg: The Second String Quartet in F-sharp minor, Opus 10. Authoritative Score, Background and Analysis Commentary. Edited by Severine Neff, S. 141–154.
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sungsfeld folgt (d). Nun durchlaufen diese Motive eine variantenreiche, von unterschiedlichen Ausdrucksvaleurs geprägte Entwicklung: Motiv b steigert sich bis in die höchsten Register, wobei es in T. 31 seine kontrapunktische Faktur zugunsten des Oktavsprungs fallenläßt und im fortissimo von einem Akkord begleitet wird, dessen rhythmische Gestaltung aus der pianissimo-Wiederholungsfigur des Beginns hergeleitet ist. Nach einer leichten Zurücknahme von Tempo und Dynamik setzt überraschend Motiv c ein, das bis an die Grenze der Widererkennbarkeit variiert und gesteigert wird (T. 35–62), um nach einer Fermate in einer vorbeihuschenden Episode mit Motiv d zu verebben (T. 62–64). Nach einer weiteren Fermate tritt wieder die Oktavgestalt aus b hervor (T. 65–80). Der damit verbundene Stimmungswechsel erweist sich als Vorschein des Mittelteils, in dem die Melodie des Liedes „O du lieber Augustin“, mit Motiv b als zweiter Begleitstimme, zitiert wird (ab T. 165). Schließlich werden noch einmal alle Motive in verhaltener Dynamik und – wie im Rückzug begriffen – auf ihre Erkennbarkeit reduziert wiederholt (T. 80–97). Severine Neff hat einer Studie zu Schönbergs 2. Streichquartett dessen heterogenen Verlauf als „Juxtaposition“ eingehend analysiert.35 Als formale Parallele führt sie jedoch nicht Mozarts Ensembleszene, sondern das Scherzo aus Brahms’ 3. Symphonie F-Dur, op. 90, an. Der Vergleich erscheint plausibel, zumal hier zwei Instrumentalwerke ohne unmittelbare programmatische Konnotation, und nicht ein Streichquartett und eine Oper gegenübergestellt werden. Allerdings hat Schönbergs Quartett bereits zahlreiche Deutungen im Hinblick auf außermusikalische Inhalte erfahren, wozu seine damaligen Lebensumstände wie auch die Einbindung des semantisch belegten Liedzitats genug Anlaß geben.36 Die musikalische Oberfläche läßt sich in der harschen Gegenüberstellung kontrastierender Charaktere durchaus dramatisch lesen – als musikalische Sublimation eines inneren Erlebens.37 Das Problem der Verbindlichkeit solcher Vergleiche läßt sich jedoch nicht einfach ausräumen: die Gemeinsamkeiten der kompositionstechnischen Bewältigung der Überleitungspassagen aus dem 3. Streichquartett, op. 30, und Mozarts Streichquar35 36
37
Severine Neff, Juxtaposing Popular Music in the Second String Quartet, Op. 10, in: James K. Wright/Alan M. Gillmor (Hg.), Schoenberg’s Chamber Music, Schoenberg’s World, Hillsdale/NY 2009, S. 65–96. Vgl. unter anderem Bryan R. Simms, „My Dear Hagerl“: Self-Representation in Schoenberg’s String Quartet No. 2, in: 19th Century Music 26/3 (Spring 2003), S. 258–277. Eine Gegenposition nimmt Ethan Haimo ein: The Interaction of Art and Music in Schönberg’s Career. A Reexamination, in: Christian Meyer (Hg.), Der Maler Arnold Schönberg/Arnold Schönberg the Painter. Bericht zum Symposium 11.–13. September 2003 (= Journal of the Arnold Schönberg Center 6/2004), Wien 2004, S. 77–88. Eine Zusammenfassung der Forschung zum Thema liefert Severine Neff, in Arnold Schönberg: The Second String Quartet (Anm. 33), S. 149f. Als Beispiel für ein solches Vorgehen seien genannt: das „Geheime Programm“ zum 1. Streichquartett, op. 7 (Arnold Schönberg Center, Wien [MS 75, Sk1: Innenseite Cover]), erstmals identifiziert von Christian Martin Schmidt, Schönbergs „very definite – but private“ Programm zum Streichquartett opus 7, in: Rudolf Stephan/Sigrid Wiesmann (Hg.), Bericht über den 2. Kongreß der Internationalen Schönberg-Gesellschaft. „Die Wiener Schule in der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts“. Wien, 12. bis 15. Juni 1984 (= Publikationen der Internationalen Schönberg-Gesellschaft 2), Wien 1986, S. 230–234; oder die in den Skizzen festgehaltenen programmatischen Hinweise zum Concerto for piano, op. 42 (Arnold Schönberg Center, Wien [MS 45, Skizze Nr. 148]).
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tett, KV 465, sind zwar offensichtlich, weshalb man die Analyse in Der musikalische Gedanke gar als nachträglichen Kommentar zum eigenen Werk lesen könnte. Allerdings dürften sich leicht auch andere Beispiele entsprechender Vorgehensweisen finden lassen, insbesondere angesichts des engen Zusammenhangs der Liquidations-Technik mit dem Prinzip der entwickelnden Variation. Wenn Schönberg angesichts seiner Streichquartette explizit auf die Vorbildfunktion Mozarts verweist,38 überrascht dies angesichts näherliegender Modelle bei Beethoven und Brahms. Ähnlich verhält es sich hinsichtlich der Arbeit mit hemiolisch oder synkopisch verschobener Metrik, wie sie anfangs dargestellt wurde – es fragt sich, warum hier nicht an erster Stelle Schubert genannt wird; erst recht für die Entwicklungsgeschichte musikalischer Prosa scheint Mozart eher eine Fußnote zu sein: eine Untersuchung, welche diese von den Drei Klavierstücken, op. 11, aus rekonstruieren wollte, würde wohl kaum zuerst auf das Streichquartett d-Moll, KV 421, kommen.39 Schönberg selbst bestätigt den auch in der Diskussionsrunde des Symposiums geäußerten Eindruck, daß für viele der in Zusammenhang mit Mozart gebrachten kompositorischen Probleme und Lösungsansätze eigentlich Brahms eine wesentliche Rolle spielte – allerdings insofern, als Brahms ihm dazu verhalf, die bei Mozart „unbewusst“ aufgenommenen Inhalte schließlich zu vertiefen und zu entwickeln.40 Schönbergs früheste Kenntnisse des klassischen Repertoires sind auf musikalische Praxis im Freundeskreis zurückzuführen; daß dabei Werke von Mozart und Beethoven am Anfang standen, ist plausibel.41 Aus heutiger Sicht können die Verzweigungen, mit denen unterschiedliche Einflüsse schließlich in vollendeten Werken münden, kaum mit letzter Schlüssigkeit nachgewiesen werden. Außer Zweifel steht jedoch, daß dieses Bezugsgeflecht Schönbergs Denken als Künstler bestimmte. Seine schriftlich niedergelegte Kommentierung der Zusammenhänge kann als dokumentierte Selbsteinschätzung ausgewertet werden: „Seine Äußerungen […] sind nicht die eines Philologen und Historikers, sondern die eines um Legitimation in bewußt gewählter Tradition suchenden Komponisten Neuer Musik: extreme und subjektive Akzentuierungen dessen, was für die eigene Praxis als aktuell empfunden wurde.“42
38 39
40 41 42
Unter anderem im Museum Talk on Painting (Arnold Schönberg Center, Wien [VR 41]). Da die heutige Verwendung des Begriffs jedoch wesentlich durch Schönberg geprägt ist, kann sein Ansatz kaum ignoriert werden; ausführlich äußert sich zur Begriffsgeschichte Hermann Danuser, Art. Musikalische Prosa, in: Ludwig Finscher (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Zweite, neubearbeitete Ausgabe, Sachteil Bd. 6, Kassel etc. 1997, Sp. 857–866. Schönberg, Nationale Musik (Anm. 2). Vgl. Analysis, (in the form of program notes) of the four String Quartets (Arnold Schönberg Center, Wien [T70.02]). Hans-Joachim Hinrichsen, Schönberg, Bach und der Kontrapunkt. Zur Konstruktion einer Legitimationsfigur, in: Meyer/Scheideler (Hg.), Autorschaft als historische Konstruktion (Anm. 8), S. 29f. Hinrichsen bezieht sich auf Schönbergs Bach-Rezeption, die Aussage trifft aber auch in Bezug auf Mozart zu.
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Ziel der Forschung kann neben dem Nachweis tatsächlicher Einflüsse auch sein, ein Verständnis dafür zu entwickeln, inwiefern die zahlreichen theoretischen Äußerungen in Zusammenhang mit dem kompositorischen Schaffen stehen und neue Perspektiven darauf eröffnen können.
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„Redende Musik“ bei Wolfgang Amadeus Mozart und Arnold Schönberg „Redende Musik“ bei Wolfgang Amadeus Mozart und Arnold Schönberg. Die Palette der Reaktionen auf diesen Referatstitel, die ich nach der Ankündigung unseres Symposions erfahren habe, reichte insgesamt zwar von dem – Insiderwissen signalisierenden – Epitheton „Königsthema“ bis hin zu weitgehendem Unverständnis, doch bewegten sich die weitaus meisten Kommentare ungefähr in folgendem Feld: „Ja, wenn es um Beethoven und Webern ginge, aber Mozart und Schönberg… ?“ Wenngleich meine erste Antwort auf Zweifel dieser Art zunächst ein knappes „Beethoven und Webern wäre zu leicht“ war, so versuchte ich dann doch – auch dies nicht ohne Ironie – folgendes zu argumentieren: Es wäre doch völlig unlogisch, wenn Webern, der älteste Schüler der sogenannten (und auch leider bisweilen so genannten) „Zweiten Wiener Schule“ in dieser „Schule“ das Prinzip einer „redenden Musik“ gelernt hätte, ohne daß der Lehrer (also Arnold Schönberg) dieses nicht selbst vertreten bzw. gepflegt hätte. Und gerade der gleichsam prononcierteste (und zum Teil sogar wirkungsmächtigste) Schüler der tatsächlich einzigen „Wiener Schule“ (wenn man von der Guido Adlerschen „Wiener Schule“ der Vorklassik eines Georg Christoph Wagenseil, Mathias Georg Monn/Mann oder Johann Christoph Mann einmal absieht1) – nämlich Anton Webern – könne seine Ansicht, Musik sei eine Sprache, in der gewisse Mitteilungen möglich seien, die „anders nicht zu sagen“2 wären, wohl nur von seinem Lehrer haben. Bekannterweise manifestieren sich Parallelität und Verwandtschaft zwischen Musik und Sprache auf drei bzw. sogar vier Ebenen:3 Erstens einer „sprachlichgrammatikalischen“, die sich in ähnlichen metrorhythmischen Bauweisen bzw. Gliederungen durch den Komponisten niederschlägt, wozu in den meisten Fällen auch sprachähnliche „deklamatorische“ Akzentuierungen zählen (Ebene „1b“ wäre 1
2
3
Die oft als „Erste Wiener Schule“ bezeichneten (bzw. angedachten) Komponisten Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven stellen keinesfalls eine „Schule“ dar (denn: wer wäre dann der „Lehrer“?); wenn sie aber doch als „Schule“ (und zwar als Fortsetzung der Wiener Vorklassiker) gesehen würden, wären sie als „Schule“ eigentlich eine Rohrau-Salzburger Schule. „Es muß ein Bedürfnis bestanden haben, eine Notwendigkeit vorgelegen sein, daß das entstand, was wir Musik nennen. – Welche Notwendigkeit? – Etwas zu sagen, auszudrücken, einen Gedanken auszudrücken, der nicht anders auszudrücken ist als in Tönen. – Anders kann es nicht gewesen sein. Wozu die Arbeit, wenn man es in Worten sagen konnte? – Die Analogie finden wir bei der Malerei: Auch der Maler hat von der Farbe in gleicher Weise Besitz ergriffen. Es will jemand in Tönen etwas mitteilen, was anders nicht zu sagen ist. Die Musik ist in diesem Sinne eine Sprache.“ Anton Webern, Der Weg zur Neuen Musik, hrsg. von Willi Reich, Wien 1960, S. 17. Hiezu siehe u. a. Hartmut Krones, Art. Musik und Rhetorik, in: Ludwig Finscher (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Zweite, neubearbeitete Ausgabe [2MGG], Sachteil Bd. 6, Kassel etc. 1997, Sp. 814– 852, sowie Hartmut Krones, Art. Musik, in: Gert Ueding (Hg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 5, Tübingen 2001, Sp. 1532–1567.
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Hartmut Krones
dann die Darstellung dieser metrorhythmisch-deklamatorischen „Sprachlichkeit“ durch eine möglichst analoge Artikulation und Phrasierung durch die Interpreten). – Die zweite Ebene ist semantischer Natur und betrifft allfällige, durch die Musik weitergegebene „Inhalte“ und Botschaften; diese können a) „nur“ allgemein affektiver Natur sein, also Gefühle hervorrufen bzw. „Wirkungen“ anstreben, können b) aber auch spezifischere Aussagen treffen wollen, Programme darstellen usw. Die hiefür verwendeten Zeichen sind je nach ihrer Inhaltlichkeit bildhafter, indexikaler oder symbolhafter Natur.4 – Die dritte Ebene schließlich ist die großformale, die größer dimensionierten „Inhalten“ eine dementsprechende, dem gewünschten Ausdrucksbogen adäquate Großform bzw. auch Gattung zuordnet, wobei hier nur die laut Reicha dem Drama nachgebildete Sonatenhauptsatzform5 oder die gemäß Koch der antiken Tragödie nachempfundene Gattung des Konzertes6 genannt sein sollen. Dieser Kategorisierung folgend sowie gleichzeitig den Untertitel dieses Symposions (Wiener Klassik und Wiener Schule) bedenkend, sollen nun einige – in vielen Fällen allgemein bekannte – Zitate dokumentieren, in welch hohem Maße sich die Vertreter sowohl der „Wiener Klassik“ als auch der „Wiener Schule“ dieser (sich auf den genannten Ebenen manifestierenden) Sprachlichkeit der Musik auch tatsächlich 4
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Zur „Zeichenfunktion“ musikalischer Bausteine siehe u. a. Christian Kaden, Art. Zeichen, in: 2MGG, Sachteil Bd. 9, Kassel etc. 1998, Sp. 2149–2220, sowie Hartmut Krones, Art. Symbol. D. Musik, in: Ueding (Hg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik (Anm. 3), Bd. 9, Tübingen 2009, Sp. 321–331. Noch Anton Reicha sah die Sonate als zweiteiliges Drama, das einerseits aus der „Exposition der Vorgeschichte“, andererseits aus der „Schürzung des Knotens“ (bzw. der „Intrige“) sowie aus dessen „Auflösung“ bestand. Daß ein solches „Drama“ ein (einziges) Hauptthema besaß und alle anderen Schattierungen, Kontraste, Gedanken sowie „Sätze“ aus diesem hervorgingen, war nur eine logische Folge dieser Anschauung. Anton Reicha, Traité de haute Composition Musicale II, Paris o. J. [1826], S. 296: „La première partie sert à l’exposition des idées inventées. La seconde partie se subdivise en deux SECTIONS dont la première sert au développemt [sic!] des idées, et la seconde à leur transposition.“ Ebenda S. 298: „La première partie de cette coupe est l’exposition du morceau; La première section [de la deuxième partie] en est l’intrigue, ou le noeud; La seconde section en est le dénoûment.“ Der „Traité“ (zwei Bände, Paris 1824 und 1826) wurde von Carl Czerny als Band III und Band IV der (ausgewählten) Schriften Reichas in den Jahren 1832–1834 in Wien zweisprachig (französisch/deutsch) herausgegeben. – Weitere Gewährsmänner für die seinerzeit vertretene Theorie der Sonatenform als zweiteiliges, einthematisches Gebilde sind Johann Nicolaus Forkel, Francesco Galeazzi oder Friedrich August Kanne. Hiezu siehe u. a. Fred Ritzel, Die Entwicklung der „Sonatenform“ im musiktheoretischen Schrifttum des 18. und 19. Jahrhunderts, Wiesbaden 21969, S. 233 und 253ff.; Carl Dahlhaus, Der rhetorische Formbegriff H. Chr. Kochs und die Theorie der Sonatenform, in: Archiv für Musikwissenschaft 35/3 (1978), S. 155–177, hier S. 159f.; Siegfried Schmalzriedt, Charakter und Drama. Zur historischen Analyse von Haydnschen und Beethovenschen Sonatensätzen, in: Archiv für Musikwissenschaft 42/1 (1985) S. 37–66; Hartmut Krones, Rhetorik und rhetorische Symbolik in der Musik um 1800. Vom Weiterleben eines Prinzips, in: Musiktheorie 3 (1988), S. 124f.; Hartmut Krones, Art. Musik (Anm. 3), Sp. 1532–1567, hier Sp. 1539. So sah Heinrich Christoph Koch das Konzert als „leidenschaftliche[…] Unterhaltung des Concertspielers mit dem ihm begleitenden Orchester […]; diesem theilt der Concertspieler gleichsam seine Empfindungen mit; dieses winkt ihm durch kurze eingestreute Nachahmungen bald seinen Beyfall zu, bald bejahet es seinen Ausdruck [...]. Kurz, das Concert hat viele Aehnlichkeit mit der Tragödie der Alten, wo der Schauspieler seine Empfindungen nicht gegen das Parterre, sondern gegen den Chor äußerte, und dieser [...] berechtigt war, an dem Ausdrucke der Empfindung Antheil zu haben. Man vollende sich dieses scizzirte Gemälde und vergleiche damit Mozarts Meisterwerke in diesem Fache der Kunstprodukte, so hat man eine genaue Beschreibung der Eigenschaften eines guten Concertes“. Heinrich Christoph Koch, Musikalisches Lexikon, Frankfurt am Main 1802, Sp. 354.
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bewußt waren. Danach werden jeweils direkte Verbindungen und Parallelitäten sowie einige musikalische Beispiele das Gesagte unterstreichen. Die Auswahl der Zitate ist eine eher kleine und beschränkt sich auf einige besonders deutliche und eindeutige Äußerungen.7 I Wir beginnen mit Aussagen über die „sprachlich-grammatikalischen“ Parallelen zwischen Musik und Sprache und lassen zunächst Leopold Mozart zu Wort kommen: „Die Abschnitte und Einschnitte [in der Musik] sind die Incisiones, Distinctiones, Interpunctiones, u. s. f. Was aber dieß vor Thiere sind muß ein guter Grammatikus, noch mehr ein Rhetor und Poet wissen. Hier sieht man aber, daß es auch ein guter Violinist wissen soll. Einem rechtschaffenen Componisten ist diese Wissenschaft unentbehrlich; sonst ist er das fünfte Rad am Wagen.“8
Fast wörtlich lesen wir dies auch in Arnold Schönbergs Vortrag von 1933, „Brahms, der Fortschrittliche“, allerdings deutlich um die inhaltliche Komponente erweitert: „Die Sprache, in der musikalische Gedanken durch Töne ausgedrückt werden, entspricht der Sprache, die Gefühle oder Gedanken durch Worte ausdrückt, insofern, als ihr Wortschatz dem Intellekt, den sie anspricht, angemessen sein muß, und insofern, als die oben erwähnten Elemente ihrer Organisation funktionieren wie Reim, Rhythmus, Metrum und wie die Einteilung in Strophen, Sätze, Abschnitte, Kapitel etc. in Poesie oder Prosa.“9
Die von Schönberg so bezeichnete „Angemessenheit“ von „signifier“ bzw. Zeichen einerseits, Adressat und Denotat andererseits entspricht nun voll und ganz dem Peirceschen System10 im allgemeinen und der Ecoschen „kulturellen Einheit“11 im besonderen, zeigt also Schönbergs immer wieder zu bewundernde Universalität systematischen Denkens auch auf dem Gebiet der Semiotik.
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Weitere Beispiele siehe in der in den Anm. 3 und 5 genannten Literatur sowie bezüglich Mozart: Hartmut Krones, Traditionen der musikalischen Rhetorik, in: Thomas Hochradner/Günther Massenkeil (Hg.), Mozarts Kirchenmusik, Lieder und Chormusik (= Das Mozart-Handbuch, hrsg. von Gernot Gruber in Verbindung mit Dieter Borchmeyer, Bd. 4), Laaber 2006, S. 353–365; bezüglich Schönberg: Hartmut Krones, Arnold Schönberg. Werk und Leben (= Neue Musikportraits 1), Wien 2005. Leopold Mozart, Versuch einer gründlichen Violinschule, Augsburg 1756, S. 107. Arnold Schönberg, Brahms, der Fortschrittliche, in: ders., Stil und Gedanke. Aufsätze zur Musik, hrsg. von Ivan Vojtěch (= Gesammelte Schriften 1), Frankfurt am Main 1976, S. 35–71, hier S. 36. Charles Hartshorne/Paul Weiss/Arthur W. Burk (Hg.), Collected Papers of Ch. S. Peirce (1931–1958), Cambridge/Mass. 21960, Bd. 2, S. 143f. Umberto Eco, Einführung in die Semiotik, München 1972, S. 7f.
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Hier möge noch ein Schönbergsches Annotat folgen, das er 1923 einem Zeitungsartikel über Riemanns Metrik und insbesondere über dessen verquere AuftaktTheorie12 beifügte: „Wenn ich nicht irre nimmt Riemann als Beweis für die Auftaktigkeit aller musikalischen Motive den Umstand, dass jeder Schritt mit dem Erheben des Fusses beginnt und mit dem Niedersetzen endet. Das ist gewiss auf den ersten Blick bestechend und dennoch falsch. [...] Riemann ist der verkehrteste Schulmeister der jemals da war, oder mindestens der überschätzteste [hs. Zusatz: da ich ja außer ihm keinen kenne]. Eine so verkehrte Idee: wenn man weiss, dass es Jamben und Trochäen, Anapeste [!] u[n]d Daktylen giebt, wenn man somit ein sinnfällig aufdringliches Vorbild für eine ausserdem vorhandene Tatsache vor sich hat, anzunehmen, dass es nur ein Metrum gebe! Das ist der Schulmeister, der für alle Schüler nur eine Regel hat. [hs. Zusatz: Alle dürfen nur einmal hinaus und in der Pause.] Dieser geht noch weiter: er ändert die Tatsachen soweit, dass es für alle nur ein Gesetz giebt (Bei den Ausnahmen wird allerdings auch er poetisch!)“13
Wenn Schönberg dann in einer Fußnote („NB“ = nota bene) zum Walzer (Nr. 5) aus seinen Fünf Klavierstücken, op. 23, „zwei betonte 16-tel nacheinander“ als „Spondeus“14 bezeichnet und wenn er (erstmals) in Takt 13 der Verklärten Nacht eine kurze Pause in der 1. Violine mit einem Keil versieht und diesen in einer Fußnote als „kleine Luftpause“ ausgeführt haben will, schließt sich der Kreis von Sprache, „vokalmusikalischer“ Artikulation und Musik zu einem Ganzen, das knapp 200 Jahre zuvor „Klangrede“15 hieß. Auf einem weiteren Gebiet schloß Schönbergs Denken an der „Sprachlichkeit“ der Wiener Klassik an, und hier explizit an einem Mozartschen Beispiel. Erinnern wir uns zuvor aber an das im späteren 18. Jahrhundert nicht unübliche Unterlegen von Texten ähnlichen Affektgehalts unter Instrumentalmusik, wie dies etwa noch Fritz Wegeler „mit Beethoven’s Gutheißen“16 bei dessen f-Moll-Klaviersonate tat,17 und wie Beethoven dies laut Anton Schindler auch grundsätzlich als für das Verstehen (und ,richtige‘ Interpretieren) von Musik zielführend ansah:
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Zu dieser völlig ahistorischen Theorie siehe Hartmut Krones, Hugo Riemanns Überlegungen zu Phrasierung und Artikulation, in: Tatjana Böhme-Mehner/Klaus Mehner (Hg.), Hugo Riemann (1849–1919). Musikwissenschaftler mit Universalanspruch [Kongreß Sondershausen 1999], Köln–Weimar–Wien 2001, S. 93–115. Zur Frage der Metrik, 10. August 1923 (Arnold Schönberg Center, Wien [T34.28]). Es handelt sich um Kommentare zu Theodor Wiehmayer, Zur Aufklärung! Hugo Riemanns metrisches Betonungsschema, Sonderdruck aus dem Mai-Heft 1923 der Neuen Musik-Zeitung. Auch in seiner Schrift Der musikalische Gedanke und die Logik, Technik, und Kunst seiner Darstellung sieht Schönberg „2 Betonte [Noten] nebeneinander“ als „spondäisch“. Siehe The Musical Idea and the Logic, Technique, and Art of Its Presentation, hrsg. und übersetzt von Patricia Carpenter und Severine Neff, New York 1993, S. 212. Johann Mattheson, Der Vollkommene Capellmeister, Hamburg 1739, S. 180ff. Franz Gerhard Wegeler und Ferdinand Ries, Biographische Notizen über Ludwig van Beethoven, Coblenz 1838, S. 48. Überschrift: „Die Klage“, Text: „Mein Glück ist entflohen! / Meine Ruhe ist dahin! [...].“ Ebenda im Anhang.
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„Beethoven [...] rieth ferner bisweilen passende Worte einer streitigen Stelle unterzulegen und sie zu singen“18.
Angesichts des in mannigfacher Form, vor allem in den Schriften über Brahms sowie über „Nationale Musik“ ausgesprochenen Lobes für Mozarts „Unregelmäßigkeiten“ im Melodiebau befand Schönberg, daß „eine Überleitung vom Ende des Hauptthemas zum Nebenthema im ersten Satz von Mozarts Streichquartett in d-Moll [...] sicher als musikalische Prosa klassifiziert zu werden [verdient]“.
Beispiel 1: Mozart, Streichquartett d-Moll, KV 421, 1. Satz, T. 12–24.
Und er fährt fort: „Selbst wenn man die vier ersten kleinen Phrasen, die das Hauptthema beschließen, beiseite läßt und auch die Imitationen (als 14. und 17. bezeichnet), mit denen die Modulation endet, bleiben in nur acht Takten neun kleine Phrasen verschiedener Größe und verschiedenen Charakters übrig. Die kleinsten (die 5., 6. und 7.) sind nur drei Achtelnoten lang – trotzdem sind sie so ausdrucksvoll, daß 18
Anton Schindler, Biographie von Ludwig van Beethoven. Zweiter Theil. Dritte, neu bearbeitete und vermehrte Auflage, Münster 1860, S. 237. Zu diesem Thema siehe insbesondere Hartmut Krones, Von der „Beethoven’schen Redekunst am Pianoforte“. Beethovens Klavierwerk in der Sicht Czernys, Kannes und Schindlers, in: Musik als Klangrede. Festschrift zum 70. Geburtstag von Günter Fleischhauer. Im Auftrag der Ständigen Konferenz Mitteldeutsche Barockmusik hrsg. von Wolfgang Ruf, Köln etc. 2001, S. 94–113.
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man beinah versucht ist, Worte zu unterlegen. Man bedauert, nicht die Macht eines Dichters zu besitzen, um in Worte zu fassen, was diese Phrasen sagen. Jedoch würden Poesie und Lyrik sie nicht ihrer prosahaften Qualität berauben, die sich in der unübertroffenen Freiheit ihres Rhythmus und in der völligen Unabhängigkeit von formaler Symmetrie offenbart.“19
Schönberg sieht also Kleinphrasen (analog dem Sprachduktus) als „sprechend“ an und versteht die weit ausschwingende Melodie Mozarts als Summe von (auch als solche zu artikulierenden) Kleinphrasen.
Beispiel 2: Arnold Schönberg, Verklärte Nacht, op. 4, T. 26–36.
Blicken wir jetzt auf Musik von Arnold Schönberg, Musik, zu der es sehr wohl Worte eines Dichters gibt: auf das Streichsextett Verklärte Nacht, op. 4, über ein Gedicht aus Richard Dehmels Gedichtzyklus Weib und Welt. Als erstes Beispiel betrachten wir den Beginn jenes T. 29 „etwas bewegter“ anhebenden und sehr bald „steigernd“ auszuführenden Abschnittes (Beispiel 2), dessen Inhalt Schönberg in seiner Eigenanalyse mit den Worten „bekennt die Frau dem Mann in einem drama19
Arnold Schönberg, Brahms, der Fortschrittliche (Anm. 9), S. 50f.
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tischen Ausbruch eine Tragödie“20 umrissen hat. Auch hier muß man „beinah versucht [sein], Worte zu unterlegen“ (Schönberg), doch wollen wir der Versuchung nachgeben, da wir ja jene Dehmelschen Worte kennen, die die Musik ausgelöst haben: „Ich trag ein Kind, und nit von Dir / ich geh in Sünde neben Dir“. Je nach Geneigtheit können wir nun entweder nur die Worte „Ich trag ein Kind“ als deklamatorisches Vorbild für das so sehr „sprechende“ Motiv (T. 29) ansehen, wobei das inhaltlich wichtigste Wort „Kind“ den bereits im Vorspiel latent vorhandenen Seufzer d-cis erhielte, also von der Tonika zum Leitton führt; wir können die Wiederholung (T. 30) des Geschehens aber auch mit den Worten „und nit von Dir“ versehen, und wir können sogar den „steigernden“ Ausbruch bis zum hohen „b1“ noch als („sprachliche“) Nachempfindung des Verses „ich geh in Sünde neben Dir“ empfinden. Daß das Motiv dann im weiteren Geschehen diverseste thematische Verarbeitungen erfährt, ändert nichts an seinem prinzipiellen Gestus und wohl auch Inhalt; denn selbst in Partien ruhigen Charakters – wie gleich nach der Antwort des Mannes, wo es im 1. Violoncello „espress.[ivo]“ bzw. in der 1. Bratsche „innig“ erklingt (4 Takte vor Buchstabe M bzw. im Takt M) – erhält es durch die Spielanweisungen „crescendo“ sowie „decrescendo“ jene innere Unruhe, die für das erste „Bekenntnis“ der Sünde charakteristisch war. – Ergänzt werden soll noch, daß wir, wenn wir die Phrasen in ähnlicher Art zählen, wie dies Schönberg bei Mozart getan hat, sowohl auf ähnlich viele als auch auf ähnlich kleine Phrasen kommen, und auch in unserem Beispiel erfahren einige von ihnen sowohl Wiederholungen als auch Imitationen. Jener erste Ausbruch, dessen Beginn wir soeben betrachtet haben, mündet übrigens T. 41 in einen pausendurchfurchten Abgesang (Beispiel 3), dessen Oberstimme (1. Violine) nach der Abphrasierung ebenso wie die 1. Bratsche den chromatischen Quartfall e-es-d-des-c-h erklingen läßt (eine besonders „schmerzhafte“ Form eines passus duriusculus), während der Baß (2. Violoncello) den „flehentlich bittenden“ chromatischen Quartanstieg a-b-h-c-des-d intoniert;21 dieses Gegeneinander kennen wir unter anderem aus dem Lied Der Wegweiser aus Schuberts Winterreise, aus der Schönberg in seinen Grundlagen der musikalischen Komposition einige Male Beispiele für spezielle Gestaltungen bezog.22 20 21
22
Ders., Programm-Anmerkungen zu Verklärte Nacht, in: ders., Stil und Gedanke (Anm. 9), S. 453–457, hier S. 454. Zu den musikalisch-rhetorischen Figuren und ihren Bedeutungsfeldern siehe vor allem Hartmut Krones/Robert Schollum, Vokale und allgemeine Aufführungspraxis, Wien–Köln 1983, hier S. 37–63; Hartmut Krones, Art. Musik und Rhetorik, in: 2MGG, Sachteil Bd. 6, Kassel etc. 1997, Sp. 814–852, insbes. Sp. 826–832; Hartmut Krones, Art. Musikalische Figurenlehre, in: Ueding (Hg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik (Anm. 3), Bd. 5, Tübingen 2001, Sp. 1567–1590; sowie Dietrich Bartel, Handbuch der musikalischen Figurenlehre (1985), Laaber 52007. Arnold Schönberg, Die Grundlagen der musikalischen Komposition. Ins Deutsche übertragen von Rudolf Kolisch, hrsg. von Rudolf Stephan, Wien 1979, [2. Band:] Notenbeispiele, Beispiele 62c (S. 57), 68e (S. 62), 73abc (S. 64). Zu Funktion und Inhalt dieser gegenläufigen passus duriusculi in Schuberts Wegweiser siehe Elmar Seidel, Ein chromatisches Harmonisierungsmodell in Schuberts Winterreise, in: Archiv für Musikwissenschaft 26/4 (1969), S. 285–296, sowie Elmar Budde, Schuberts Liederzyklen. Ein musikalischer Werkführer, München 2003, S. 89f.
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Beispiel 3: Arnold Schönberg, Verklärte Nacht, op. 4, T. 37–54.
Daß er diese beiden Vokabeln aus dem Fundus der musikalisch-rhetorischen Figuren in vielen seiner Werke in einschlägiger inhaltlicher Weise eingesetzt hat, ist
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mittlerweile wohl allgemein bekannt.23 Und nach dem chromatischen Quartfall erklingen T. 44 in 1. Violine und 1. Bratsche der „teuflische“ Tritonus sowie im 2. Violoncello und in der 2. Bratsche eine komplementäre verminderte Quint (die alte quinta deficiens, die traditionell einen „zärtlich traurigen“24 Affekt verströmte und gemäß ihrem Namen sehr oft „Fehlendes“ symbolisierte25); danach faßt die 1. Bratsche, die das Geständnis der Frau eröffnete, das Geschehen gleichsam zusammen (T. 46ff.): Dreimal erklingt der Quartsprung c-g abwärts mit jeweils folgendem Seufzer von der Zwischentonika g zum Leitton fis, worauf sich naturgemäß zweimal die verminderte Quint fis-c aufwärts anschließt.
Beispiel 4: Arnold Schönberg, Verklärte Nacht, op. 4, T. 59–68. 23
24 25
Auf diesen Sachverhalt hat der Autor erstmals 1990 hingewiesen: Hartmut Krones, „Wiener“ Symbolik? Zu musiksemantischen Traditionen in den beiden Wiener Schulen, in: Otto Kolleritsch (Hg.), Beethoven und die Zweite Wiener Schule [Symposion Graz 1990] (= Studien zur Wertungsforschung 25), Wien–Graz 1992, S. 51– 79. Vgl. auch Hartmut Krones, Arnold Schönberg. Werk und Leben (= Neue Musikportraits 1), Wien 2005, S. 158–165. Johann Philipp Kirnberger, Die Kunst des reinen Satzes in der Musik II, Berlin und Königsberg 1776–79, S. 103. Hiezu siehe u. a. Hartmut Krones, „Luise“ verstehen. Zu einem „Dramma per musica“ in 20 Takten (KV 520), in: Musikgeschichte als Verstehensgeschichte. Festschrift für Gernot Gruber zum 65. Geburtstag, hrsg. von Joachim Brügge, Franz Födermayr, Wolfgang Gratzer, Thomas Hochradner, Siegfried Mauser, Tutzing 2004, S. 241–259, hier S. 251f. und 254; weiters Hartmut Krones, Ludwig van Beethoven. Sein Werk – sein Leben, Wien 1999, S. 47 und S. 83–86, sowie ders., Zu Wort-Ton-Verhältnis und musikalischer Symbolik in den Bühnenwerken von Kurt Weill, in: Kurt Weill – Auf dem Weg zum »Weg der Verheißung«, hrsg. von Helmut Loos und Guy Stern, Freiburg im Breisgau 2000, S. 111–129, hier S. 127.
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Der chromatische Quartfall erklingt auch in weiterer Folge überaus häufig (so z. B. „ohne Dämpfer“ T. 64f. in der 1. Violine, also Takte 1f. nach Takt E, Beispiel 4), um die schmerzlichen Empfindungen der Frau hörbar zu machen, und auch wir wollen diese Empfindungen nun hören.26 – Jene Melodie, mit der die Frau wahrscheinlich ihr von Schönberg (gemäß Dehmel) als „Pflichterfüllung gegenüber den Forderungen der Natur“27 angesprochenes Vergehen entschuldigt, wird hingegen von einem zweimaligen absteigenden Tritonus-Sprung eröffnet, dem alten „diabolus in musica“, der traditionell „Teuflisches“ oder „Sündhaftes“ versinnbildlichte (Beispiel 5, 10 Takte vor Takt F).
Beispiel 5: Arnold Schönberg, Verklärte Nacht, op. 4, T. 105–109.
Und es mag auch kein Zufall sein, daß jene T. 188ff. „sehr ausdrucksvoll“ erklingende rezitativische Linie der 1. Violine, die das Geständnis der Frau nach wiederholten Steigerungen des Bekenntnis-Motives abrundet, an eine augmentierte Deklamation der Worte „Ich trag ein Kind“ gemahnt (Beispiel 6, Buchstabe K). Die T. 229 folgenden Worte des Mannes „Das Kind, das Du empfangen hast / sei Deiner Seele keine Last“ scheinen von Schönberg dann eher allgemein atmosphärisch eingefangen worden zu sein („Sehr breit und langsam“), wenngleich der erste Vers vom 1. Violoncello durchaus deklamatorisch nachempfunden sein könnte. Das gilt noch mehr für die „weich“ zu spielende Schluß-Phrase, die das alte Umarmungsmotiv der kyklosis (circulatio) bildet und absolut „passend“ für die Worte „empfangen hast“ bzw. für deren körperliche Ausführung wäre (11 Takte vor Buchstabe M, Beispiel 7).
26
27
Hier wurden die Takte 29–68 des Werkes vorgespielt, und zwar in einer von Schönberg selbst dirigierten Einspielung der Takte 1–200 der Orchesterfassung (Originalschallplatten im Arnold Schönberg Center, Wien). Arnold Schönberg, Programm-Anmerkungen zu Verklärte Nacht (Anm. 20), S. 454.
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Beispiel 6: Arnold Schönberg, Verklärte Nacht, op. 4, T. 186–202.
Beispiel 7: Arnold Schönberg, Verklärte Nacht, op. 4, T. 229–236.
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Jedenfalls heißt es in Schönbergs Programm-Anmerkungen: „Aber ‚die Stimme eines Mannes spricht‘, eines Mannes, dessen Großmut so erhaben ist wie seine Liebe.“28
Der Mann wird von „Schönbergs Instrument“, dem Violoncello, dargestellt, aus dem Halbton-Seufzer wird ein Melisma einer großen Terz, der Dreiklang würde der Charakterisierung „Großmut“ bestens entsprechen. Schönbergs musikalische Sprache ist jedenfalls sehr gut (und dies vor allem auch in semantischer Hinsicht) verständlich. Es ist völlig logisch, daß Schönbergs Musik gerade in dem Sextett Verklärte Nacht sowohl derart motiv- und stimmungsreich als auch semantisch durchwirkt ist und daß sie somit von einem schnellen Wechsel der Ausdruckssphären bestimmt erscheint – ist der Ablauf doch zu großen Teilen durch eine Handlung vorgegeben. Unser Komponist hat Ähnliches mit dem Blick auf Mozart selbst deutlich ausgedrückt. Lobt er doch nicht nur Sprachlichkeit und „Prosa“ von Mozarts Musik, sondern auch deren „Ungleichheit der Phrasenlänge“, deren „Zusammenfassung heterogener Charaktere in eine thematische Einheit“ sowie deren „Abweichung von der Gradtaktigkeit im Thema und in seinen Bestandteilen“.29 Und bezüglich eines fünftaktigen Themas in Verklärte Nacht meinte er stolz: „Da muß man schon mit Brahms bis auf Mozart zurückgehn, um ähnliches zu finden.“30 Einer der wichtigsten Gründe für diese „Abweichungen“ bzw. für dieses „Prosa“Prinzip bei Mozart (und vielleicht auch bei sich selbst) ist für Schönberg somit primär in seiner prinzipiellen Feststellung zu suchen, Mozart sei ein „dramatischer Komponist“ gewesen, der seine Musik sowohl „materiell“ als auch „psychologisch [...] an jeglichen Wechsel der Stimmung oder der Handlung“ angepaßt habe. Insbesondere in den Finali oder Ensembles gäbe es heterogene Elemente, und der Komponist müsse sich hier „auf engstem Raum bewegen“: „Diese Notwendigkeit voraussehend, beginnt Mozart ein solches Stück mit einer Melodie, die aus einer Anzahl von Phrasen verschiedener Länge und verschiedenen Charakters besteht, deren jede zu einer anderen Phase der Handlung und der Stimmung gehört [...].“31
Und aus diesem Grund sei es, wie er Anton Webern in einem Brief mitteilte, auch zielführend, bei der Auswahl von zu analysierenden Werken
28 29 30 31
Ebenda S. 455. Arnold Schönberg, Nationale Musik, in: ders., Stil und Gedanke (Anm. 9), S. 250–254, hier S. 253. Ders., Zu: Nationale Musik, Manuskript vom 24. Februar 1930 (Arnold Schönberg Center, Wien [T35.39]). [Arnold Schönberg], Diskussion im Berliner Rundfunk, in: ders., Stil und Gedanke (Anm. 9), 272–282, hier S. 275. Arnold Schönberg, Brahms, der Fortschrittliche (Anm. 9), S. 46.
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„Niederländer, Bach fürs Kontrapunktische, Mozart für die Phrasenbildung, aber auch für die Motivik, Beethoven, aber auch Bach, für die Entwicklung [...]“32
heranzuziehen. Dementsprechend tendierte Schönberg auch – in bewußtem und in seiner Abhandlung Phrasierung auch ausgesprochenem Gegensatz zu Heinrich Schenker – dazu, Mozarts motivisch „weitgehendste Variation, Zerlegung, Vereinfachung, Erweiterung, Kürzung, Ueberschneidung, Verschiebung, Dehnung, Kontraktion und dgl[.]“
durch eine analoge, jeweils andere Phrasierung darzustellen, also „die Motivik zu verschleiern, welches Bestreben derjenige sicher anerkennenswert finden wird, der in der Musik ein ,Leben in mehreren Ebenen‘ fühlt und dementsprechend eher eine Art ,Kontrapunktik‘ zwischen Motiv und Phrase hören möchte: ein ergänzendes Gegeneinander.“33
Das Resultat war jene „sprachliche“ Artikulation, die davon ausgeht, daß man dasselbe nicht zweimal in gleicher Form „sagt“, wie dies im 18. und frühen 19. Jahrhundert immer wieder unterstrichen wurde und u. a. zu verpflichtender Verzierung bei Wiederholungen führte – bis hin zu Carl Philipp Emanuel Bachs „Sonaten mit veränderten Reprisen“. Als besonders schönes Beispiel sei hier Schönbergs 1. Streichquartett betrachtet, in dem etwa die Phrase der 1. Violine T. 100 (Segment A, Takt 4) beim ersten Mal mit einem weitreichenden, durch ein crescendo zusätzlich expressiv gestalteten Legato sowie T. 101 mit neu anhebender Artikulation mit dem Ton g des Quartsprungs d-g zu spielen ist, beim zweiten Mal T. 104 (Segment A, Takt 8) in der 2. Violine hingegen mit ganz anderer Phrasierung: Diese besteht zuerst aus zwei kleinen Einheiten, der dann eine weitaus größere folgt (Beispiel 8). Später (Takt 130–132 [Segment A, T. 34ff.], aber auch schon T. 127 [Segment A, T. 31] vorbereitet) ist die Artikulation dieser Linie (2. Violine, dann 1. Violine) wieder eine ganz andere, jetzt kleingliedrige, seufzerartige (Beispiel 9). Dadurch, daß nun aber laut Schönberg in handlungsorientierter Musik alle motivischen und sprachlichen Veränderungen Ausfluß der Handlung sind, vertreten sie erst recht die Ebene der ohnehin bereits vielfach angesprochenen „Inhaltlichkeit“, darüber hinaus bisweilen aber auch die Ebene der sprachlich-inhaltlich geprägten formalen Gestaltung. Auf der anderen Seite gibt es bei Schönberg aber auch Gedanken, in denen er ganz bewußt eine „klassische“ Periodizität mit versanaloger regelmäßiger Gliederung anstrebte, die auch in seinen der Dodekaphonie verpflichteten Werken völlig unabhängig vom Reihendenken sein konnte. So sprach er selbst die als viertaktige Periode gegliederten ersten 16 (!) Noten der Bratsche im Intermezzo (3. Satz) seines 3. Streichquartettes, op. 30, als dessen 32 33
Brief vom 22. Jänner 1931 an Anton Webern, zit. nach: Arnold Schönberg, Briefe. Ausgewählt und herausgegeben von Erwin Stein, Mainz 1958, S. 158. Arnold Schönberg, Phrasierung (7. XII. 31) (Arnold Schönberg Center, Wien [T35.21]).
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„Haupthema“ an, das aus 2 mal 2 Takten besteht und nach den 12 Tönen der Reihe (g-e-dis-a-c-f-fis-h-ais-cis-gis-d) vier Töne (eis, h, fis, a) wiederholt (Beispiel 10);34 die vier Takte sind ihrerseits wieder jeweils in Vorder- und Nachsatz gegliedert, bilden dabei zunächst gleichsam Frage und Antwort und lassen dann einer These (mit der die Reihe vervollständigt wird) eine (erneute) Fragestellung folgen.
Beispiel 8: Arnold Schönberg, 1. Streichquartett, op. 7, T. 97–108.
34
Arnold Schönberg, Bemerkungen zu den vier Streichquartetten, in: ders., Stil und Gedanke (Anm. 9), S. 409– 436, hier S. 427f.
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Beispiel 9: Arnold Schönberg, 1. Streichquartett, op. 7, T. 125–133.
Beispiel 10: Arnold Schönberg, 3. Streichquartett, op. 30, 3. Satz, T. 1–7.
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Beispiel 11: Arnold Schönberg, Klavierkonzert, op. 42, T. 1–16.
Das (ebenfalls periodisch gebaute) Thema des Klavierkonzertes, op. 42, besteht hingegen zwar genau aus den 12 Tönen der Reihe, wiederholt aber zunächst zweimal den 8. Ton (as) sowie danach die Abfolge vom 9. bis zum 11. Ton (des/cis-a-h), um eine „sprachliche“ Phrasierung sowie eine „quadratische“ Periodik zu erhalten. Dabei exponiert der Vordersatz die Töne Nr. 1–8, der Nachsatz die Töne Nr. 9– 12, sodaß „redender“, thematischer Duktus und strenge Reihenstruktur auseinanderklaffen; insbesondere kann, was die Melodik betrifft, von einer im SchönbergSchrifttum so oft strapazierten symmetrischen, „hexachordal“ erfundenen Abfolge nicht die Rede sein. – Die Takte 9–16 der Klaviermelodik erfüllen dann ebenfalls eine Periode, wobei der Rhythmus der Takte 9–12 identisch mit jenem der Takte
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5–8 ist, ehe die Takte 13–16 die Linie mit einer Weiterentwicklung (einer „entwickelnden Variation“) dieses Rhythmus’ abschließen. – Betonte „Klassizität“ also in einem, wie wir wissen, deutlich programmatischen und ungemein dramatischen Werk, und somit vielleicht auch (wie so oft bei Schönberg) als ostentativ eingebrachtes Element der Tradition in einer extrem prononcierten Schöpfung. II Bevor wir nun den inhaltsbezogenen Kategorien nachspüren, wollen wir noch kurz die interpretatorische Seite der metrorhythmisch-deklamatorischen „Sprachlichkeit“ bedenken und zunächst wieder einige Zitate einbringen; als erstes eine Darstellung von Mozarts eigener Musizierweise, wie sie durch seinen ersten Biographen Franz Xaver Niemetschek überliefert ist: „Sein Spiel auf dem Pianoforte fand zuerst Bewunderer und Liebhaber; [...] Feinheit und Delikatesse, der schönste, redendeste Ausdruck und ein Gefühl, das unwiderstehlich zum Herzen drang, sind die Vorzüge seines Spieles gewesen.“35
Analog dazu lautet es in einer Ausführungsanweisung Carl Czernys für den Beginn des Finales aus Beethovens Klaviertrio B-Dur, op. 97: „Die ersten 2 Takte kräftig und kurz, gleich einer unerwarteten Frage. Die folgende schöne Melodie mit zartem deklamatorischen Ausdruck: mehr Sprache als Gesang.“36
Für die Wiener Schule lassen wir diesbezüglich zunächst Peter Stadlen über seine Arbeit mit Anton Webern an dessen Klavier-Variationen op. 27 berichten: „Wenn er sang und schrie, seine Arme bewegte und mit den Füßen stampfte beim Versuch, das auszudrücken, was er die Bedeutung der Musik nannte, war ich erstaunt zu sehen, daß er diese wenigen für sich allein stehenden Noten behandelte, als ob es Tonkaskaden wären. Er bezog sich ständig auf die Melodie, welche, wie er sagte, reden müsse wie ein gesprochener Satz. [...] Sie wurde geformt durch einen riesigen Aufwand von ständigem Rubato und einer unmöglich vorherzusehenden Verteilung von Akzenten. Aber es gab auch alle paar Takte entscheidende Tempowechsel, um den Anfang eines ,neuen gesprochenen Satzes‘ zu kennzeichnen […].“
Und an anderer Stelle:
35
36
Franz Xaver Niemetschek, Lebensbeschreibung des k. k. Kapellmeisters Wolfgang Amadeus Mozart. Reprint der Ausgabe Prag 1808. Mit einem Nachwort, Berichtigungen und Ergänzungen von Peter Krause, Leipzig 1978, S. 32. Carl Czerny, Die Kunst des Vortrags der ältern und neuen Claviercompositionen oder: Die Fortschritte bis zur neuesten Zeit. Supplement (oder 4ter Theil) zur grossen Pianoforte-Schule, op. 500, Wien o. J. [1842], S. 103.
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„[...] er bemühte sich mit unermüdlichem Eifer, mir die Poetik des Werkes bis zur letzten, feinsten Nuance zu vermitteln, taktierend, gestikulierend, singend [...].“37
Weberns Ausführungsanweisungen forderten darüber hinaus ganz spezielle „Sprachlichkeiten“ (auch inhaltlicher Natur) ein: „verhaltener Klageruf“, „letzter Seufzer“, „in Parenthese“, „exaltiert“ oder „nachdenklich“.38 Nicht derart in Ausdrucks-Details gehend, aber dennoch deutlich auf das Prinzip der „Sprachlichkeit“ eingehend, äußerte sich Rudolf Kolisch über „Schönberg als nachschaffenden Künstler“: „Die Gliederung wird durch eine Interpunktion verdeutlicht, die nicht nur die Hauptabschnitte trennt, sondern jedes Phrasenende deutlich macht [...]. Die Interpunktion erfüllt also hier eine ähnliche Aufgabe wie bei der Sprache, deckt die Analogie zwischen dem musikalischen und dem Sprachkunstwerk auf, und wer Schönbergs Prosa kennt, wird erfinden können, wie er um diese Dinge Bescheid weiß. (Einen drastischen Gebrauch von dieser Analogie macht Schönberg, wenn er von jemand, der ein Musikstück ohne Gliederung vorträgt, sagt, er musiziere so, wie eine böhmische Köchin spricht.)“39
III Gehen wir nun noch auf die Parallelen zwischen Wiener Klassik und Wiener Schule auf dem Gebiet der „Inhaltlichkeit“ nach und blicken zunächst in einige hiefür relevante Quellen. Zunächst soll Joseph Haydn über Mittelsmänner wie Georg August Griesinger zu Wort kommen: „Haydn [...] erzählte, daß er in seinen Symphonien öfters – moralische Charaktere geschildert habe.“40
Noch Genaueres erfahren wir von Giuseppe Antonio Carpani, ebenfalls auf der Basis von Interviews: Haydn habe laut eigener Aussage vielen Symphonien und Sonaten „eine Art Roman oder Programm“ („una specie di romanzo, ossia programma“) als Folie untergelegt und dann die Ausarbeitung der Gedanken und 37
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40
Peter Stadlen, Serialism Reconsidered, in: The Score 10 (1958), Heft 2, S. 12ff.; deutsche Übersetzung zitiert nach Hans und Rosaleen Moldenhauer, Anton von Webern. Chronik seines Lebens und Werkes, Zürich 1980, S. 441. Zum richtigen Verständnis Webernscher Musik (und insgesamt der Musik der Wiener Schule) siehe auch: Peter Stadlen, Das pointillistische Mißverständnis, in: Österreichische Musikzeitschrift 27/3 (1972), S. 161. Zit. nach: Anton Webern, Variationen für Klavier. Op. 27. Weberns Interpretationsvorstellungen erstmals erläutert von Peter Stadlen an Hand des Faksimiles seines Arbeitsexemplares mit Anweisungen Weberns für die Uraufführung, Wien: Universal Edition 1979. Rudolf Kolisch, Schönberg als nachschaffender Künstler, in: Musikblätter des Anbruch 6 (1924), Nummer 7–8, S. 306f., hier S. 306. Zum Begriff der „Musikalischen Interpunktion“ in der Wiener Schule sowie bei Rudolf Kolisch siehe u. a. Karoly Csipak, Die Wiener Schule: Grundbegriffe ihrer Aufführungspraxis, in: Albrecht Dümling (Hg.), Verteidigung des musikalischen Fortschritts. Brahms und Schönberg, Hamburg 1990, S. 145–159, hier S. 152. Georg August Griesinger, Biographische Notizen über Joseph Haydn, Wien 1810. Neudruck Wien 1954, S. 62.
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Schattierungen („le idee, i colori musicali“) auf die inhaltliche Vorlage bezogen. „Damit entzündete und leitete er gleichzeitig seine Phantasie auf ein gegebenes Ziel“ („Con ciò egli riscaldava insieme e dirigeva ad un dato scopo la sua immaginazione“) – dieses Ziel aber, das Programm, „verbarg er wie ein Geheimnis“ („e lo nascondeva come un segreto“); hie und da jedoch lüftete er den Schleier ein wenig, wodurch wir glücklicherweise einige Anhaltspunkte besitzen, um den „verborgenen Sinnhaftigkeiten“ nachzuspüren.41 In Arnold Schönbergs Berliner Tagebuch finden sich am 28. Jänner 1912 einige im Hinblick auf die gewünschte ,Geheimhaltung‘ von Inhalten durchaus ähnliche Sätze: „Brief von Peters [...] Will Titel für die Orchesterstücke; aus verlagstechnischen Gründen. Werde vielleicht nachgeben, da ich Titel gefunden habe, die immerhin möglich sind. Im ganzen die Idee nicht sympatisch. Denn Musik ist darin wunderbar, dass man alles sagen kann, so dass der Wissende alles versteht[,] und trotzdem hat man seine Geheimnisse, die, die man sich selbst nicht gesteht, nicht ausgeplaudert. Titel aber plaudert aus.“42
Ganz persönlich wird Schönberg hingegen, wenn er 1928 nicht widerspricht, daß das Sujet des Einakters Die Glückliche Hand, also des von der Frau wegen eines ,Besseren‘ verlassenen Mannes, angesichts seines knapp vor deren Entstehung stattgehabten eigenen Ehedramas durchaus autobiographische Züge trägt (was übrigens auch von Schönbergs Schwiegersohn Felix Greissle bestätigt wird43): man könne „leicht diesen ganzen Vorgang real deuten, als den Ausdruck eifersüchtiger Gefühle und Vorahnungen“ heißt es bei Schönberg ebenso wie, daß „dieses Crescendo rein äußerlich in die Form eines wachsenden Schmerzes gekleidet“ sei.44 Am 7. Oktober 1910 gab er hingegen (in einem Brief an Alma Mahler) noch vor, „gedacht“ habe er sich „gar nichts dabei“, relativierte diese Aussage aber sofort: „aber dass man sich manches dabei denken kann, habe ich wohl geahnt. Wenn ich aufrichtig sein soll und über meine Sachen etwas sagen soll (was ich nicht gerne tue, denn ich schreibe sie ja eigentlich, um mich recht gut dahinter verstecken zu können, um nicht gesehen zu werden), so könnte es nur das sein: es ist nicht symbolisch gemeint, sondern nur geschaut, empfunden. Gar nicht ge41 42
43
44
Giuseppe Antonio Carpani, Le Haydine ovvero Lettere sulla vita e le opere del celebre maestro Giuseppe Haydn, Mailand 1812, S. 69. Arnold Schönberg, Versuch eines Tagebuches (Arnold Schönberg Center, Wien [T26.02]); publiziert als Berliner Tagebuch. Mit einer Hommage à Schönberg vom Herausgeber Josef Rufer, Frankfurt am Main– Berlin–Wien 1974, S. 13f. Felix Greissle, Arnold Schoenberg – Versuch eines Porträts, Gespräch mit Berthold Tuercke, Typoskript der Transkription, S. 49 (Arnold Schönberg Center, Wien [Felix Greissle Collection]): „Der Inhalt der glücklichen Hand ist eine Anspielung auf das Verhältnis, das zwischen der ersten Frau Schönberg und dem Maler Gertl [!] bestand, der aufgrund seiner unglücklichen Liebe zu Frau Schönberg Selbstmord beging.“ (Die Schreibweise Gertl beruht wahrscheinlich auf einem Schreibfehler – gemeint ist der Maler Richard Gerstl). Arnold Schönberg, Die glückliche Hand [1928], in: Arnold Schönberg, Stil und Gedanke (Anm. 9), S. 235– 239, hier S. 238.
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dacht. Es sollen Farben, Geräusche, Lichter, Klänge, Bewegungen, Blicke, Gesten [...] in bunter Weise aneinandergereiht sein. Sonst nichts. – Mir hat es, für mein Gefühl, etwas zu bedeuten gehabt, als ich das niederschrieb. Ergeben die Bestandteile, wenn man sie zusammensetzt[,] ein ähnliches Bild, dann solls mir recht sein. Wenn nicht, dann ist es mir sogar noch lieber. Denn ich will nicht verstanden werden. Ich will mich ausdrücken – aber ich hoffe, man wird mich missverstehen. Mir wäre es furchtbar, wenn man mich durchschauen könnte. Deswegen sage ich über meine Sachen am liebsten Technisches; oder Aesthetisches; oder Philosophisches. Oder eines: symbolisch ist bestimmt nichts gemeint. Das ist Alles unmittelbare Anschauung.“45
Wir erkennen hier unmißverständlich, daß Schönbergs so gerne zitierter Satz „es ist nicht symbolisch gemeint, sondern nur geschaut, empfunden“ deutlich – und zwar nahezu ins Gegenteil – relativiert werden muß; denn wenige Zeilen zuvor betonte Schönberg, sich hinter „seinen Sachen“ verstecken zu wollen. Und gleich darauf bezeichnete er es als „furchtbar“, „wenn man mich durchschauen könnte“. Schönberg schrieb also nicht, daß seine Musik „nicht symbolisch gemeint ist“, sondern daß er diese Aussage „am liebsten“ treffen würde, um nicht durchschaut (!) zu werden; und daß er deswegen auch am liebsten „Technisches; oder Aesthetisches; oder Philosophisches“ sagen würde. Daß es bei Alban Berg in gleicher Weise autobiographische Anlässe sonder Zahl gibt, muß hier nicht breit dargelegt werden; ich verweise nur kurz auf die Korrespondenz und die Quellen zur „Lyrischen Suite“, etwa auf den zwischen 11. und 23. Juli 1925 geschriebenen Brief an Hanna Fuchs-Robettin: „Wird es mir vergönnt sein, die Ruhe zu finden, in Tönen das auszudrücken, was ich in und seit diesen Tagen in P. B. [Prag-Bubeneč] erlebt habe? […] Am liebsten schriebe ich Lieder. Aber wie könnte ich !: die Worte der Texte verrieten mich. So müssen es Lieder ohne Worte sein, in denen nur der Wissende - nur Du wirst lesen können. Vielleicht wird’s ein Streichquartett ! Im Rahmen dieser vier Sätze soll sich alles abspielen, was ich seit dem Moment, wo ich Euer Haus betrat, durchmachte.“
Und am 23. Oktober 1926, nach der Vollendung des Werkes: „Wird jemand außer Dir ahnen, was diese Töne, welche vier einfache Instrumente so vor sich hin spielen, zu sagen haben?“46 –
Wie bei Schönberg ging es also auch hier darum, daß nur der „Wissende“ die musikalischen Botschaften zu verstehen vermag (und auch nur dieser dazu imstande sein soll).
45 46
Zit. nach der Übertragung des Briefes in der Alma Mahler-Werfel Collection, University of Pennsylvania, Charles Patterson van Pelt Library; Kopie im Arnold Schönberg Center. Zit. nach: Constantin Floros, Alban Berg und Hanna Fuchs. Briefe und Studien. Erstveröffentlichungen, ÖMZ Special zum 50. Jg. 1995, S. 35 und 51.
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Selbstverständlich muß jetzt auch noch Anton Webern kurz zu Wort kommen; ihn wollen wir aus einem Brief vom 12. Juli 1912 zitieren: „Sag, wie kommst Du zum Komponieren? Bei mir ist es so: ein Erlebnis geht so lange in mir um, bis Musik daraus wird; mit ganz bestimmter Beziehung auf dieses Erlebnis. Oft bis ins Detail. Und zwar wird es öfters zu Musik. Mit Ausnahme der Violinstücke und einiger meiner letzten Orchesterstücke beziehen sich alle meine Kompositionen von der ,Passacaglia‘ an auf den Tod meiner Mutter.“47
Nun muß der Blick aber endlich auf Wolfgang Amadeus Mozart fallen, denn gerade er war laut eigener Aussage vollkommen davon überzeugt, in bzw. mit seiner Musik „Inhaltliches“ ausdrücken zu können; in einem Brief vom 8. November 1777 an seinen Vater hat er dies unmißverständlich ausgedrückt: „Ich kann nicht Poetisch schreiben; ich bin kein dichter. ich kann die redensarten nicht so künstlich eintheilen, daß sie schatten und licht geben; ich bin kein mahler. ich kann sogar durchs deüten und durch Pantomime meine gesinnungen und gedancken nicht ausdrücken; ich bin kein tanzer. ich kan es aber durch töne; ich bin ein Musikus.“48
Ludwig van Beethovens und Arnold Schönbergs Hinweise zu einer jeweils ganz speziellen Programmatik mögen unseren Rundblick beschließen. Ersterer bot in seinem Brief vom 8. April 1815 seinem Auftraggeber Dr. Jan (Johann) Nepomuk Kanka, einem auch als Pianist hervortretenden Prager Juristen, für eine Klavierkomposition folgende Programme an: „[...] womit soll ich ihnen in meiner Kunst dienen, sprechen sie wollen sie das selbstgespräch eines geflüchteten Königs oder den Meyneid eines Usurpators besungen haben – oder das Nebeneinanderwohnen zweier Freunde, welche sich nie sehen?“49 –
Arnold Schönberg hinwiederum blickte 1949 mit folgenden Worten auf sein 47 Jahre zuvor entstandenes Opus 5 zurück: „Ich komponierte die symphonische Dichtung Pelleas und Melisande 1902. Sie ist ganz und gar von Maurice Maeterlincks wundervollem Drama inspiriert. Abgesehen von nur wenigen Auslassungen und geringfügigen Veränderungen in der Reihenfolge der Szenen, versuchte ich jede Einzelheit widerzuspiegeln. Viel47 48
49
Brief aus Stettin an Alban Berg; zit. nach Ernst Hilmar (Hg.), Anton Webern. 1883. 1983. Eine Festschrift zum 100. Geburtstag, Wien 1983, S. 65f. Mozart. Briefe und Aufzeichnungen. Gesamtausgabe, hrsg. von der Internationalen Stiftung Mozarteum Salzburg, gesammelt und erläutert von Wilhelm A. Bauer und Otto Erich Deutsch. Band II: 1777–1779, Kassel etc. 1962, S. 110f. Ludwig van Beethoven, Briefwechsel. Gesamtausgabe. Band 3. 1814–1816, hrsg. von Sieghard Brandenburg, München 1996, S. 134. Auch laut seinem Freund Ferdinand Ries dachte sich Beethoven „bei seinen Compositionen oft einen bestimmten Gegenstand“ (bzw. eine Person), den (die) er mit Hilfe seiner Musik darstellte. Wegeler und Ries, Biographische Notizen über Ludwig van Beethoven (Anm. 16), Zweite Abtheilung, S. 77f.
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leicht ist, wie es in der Musik oft geschieht, den Liebesszenen mehr Raum gewidmet.“50
Obwohl Schönberg 1936 im Rahmen der Einführung zu seinen vier Streichquartetten meinte, nach Pelleas und Melisande von der Programmusik „abgelassen“51 zu haben, gibt es nahezu in allen seinen Werken – und zwar auch in seinen Instrumentalwerken – Hinweise programmatischer Natur. Das begann mit den frühen symphonischen Dichtungen Die Räuber nach Schiller oder Frühlings Tod nach Lenau, setzte sich mit dem „very definite – but private program“52 fort, zeitigte in den Orchesterstücken, op. 16, den programmatischen Symphonieplänen der Jahre 1914/15, der Liebeserklärung der Suite, op. 29, dem (partiell) ein Bild nachzeichnenden 3. Streichquartett oder dem „geheimen Motto“ der Orchestervariationen, op. 31, weitere eindeutige Ergebnisse und gipfelte in dem laut Schönberg ein Rezitativ und „Kommentare“ zu diesem einbauenden 3. Satz des 4. Streichquartettes53 sowie in dem autobiographischen Streichtrio. – Und wo ihm die Instrumente die intendierten Botschaften zu wenig deutlich formulieren konnten, wo also „Worte nötig“ waren, zog er immer wieder die menschliche Stimme heran oder komponierte Texte ein, die man zwar nicht zu hören bekam, die aber durch das musikalische Material gleichsam mittransportiert wurden. Ersteres etwa in seinem 2. Streichquartett (mit den Vertonungen der Gedichte Litanei und Entrückung) oder in der Serenade, op. 24, zweiteres etwa in seiner Suite, op. 29 (mit den Variationen über Ännchen von Tharau), im Kol nidre, op. 39 (über einen jüdischen liturgischen Gesang), oder in seinem Klavierkonzert, op. 42, dessen vier Sätze laut den Skizzen jeweils ein inhaltliches Motto aus dem Bereich von „Unglück und Hoffnung für die Juden“54 in Musik setzen. Auch in diesen Werken wollte Schönberg offensichtlich etwas mitteilen, „sagen“, das sich „mit Musik allein“ dann doch nicht ausdrücken ließ. Vor allem sah sich Schönberg offensichtlich in seiner Musik selbst widergespiegelt, und dies bis in seine letzten Schaffensjahre. Noch in seinen in den 1940er Jahren niedergeschriebenen, grundsätzliche Gedanken notierenden Notizen mit dem Incipit „Construction of endings“ sind folgende Sätze zu lesen:
50 51
52
53 54
Arnold Schönberg, Analyse von Pelleas und Melisande, in: ders., Stil und Gedanke (Anm. 9), S. 437–439, hier S. 437. Arnold Schönberg, Bemerkungen zu den vier Streichquartetten (Anm. 31), S. 410. Englischer Originaltext: „Thereafter I abandoned program-music [...].“ Zit. nach Ursula Rauchhaupt (Hg.), Schoenberg. Berg. Webern. Die Streichquartette. Eine Dokumentation, Hamburg 1971, S. 37. Christian Martin Schmidt, Schönbergs „very definite – but private“ Programm zum Streichquartett Opus 7, in: Rudolf Stephan/Sigrid Wiesmann (Hg.), Bericht über den 2. Kongreß der Internationalen Schönberg-Gesellschaft „Die Wiener Schule in der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts“ [Wien 1984] (= Publikationen der Internationalen Schönberg-Gesellschaft 2), Wien 1986, S. 233f. Arnold Schönberg, Bemerkungen zu den vier Streichquartetten (Anm. 34), S. 433. Peter Petersen, „A grave situation was created“. Schönbergs Klavierkonzert von 1942, in: Otto Kolleritsch (Hg.), Die Wiener Schule und das Hakenkreuz. Das Schicksal der Moderne im gesellschaftspolitischen Kontext des 20. Jahrhunderts (= Studien zur Wertungsforschung 22), Wien–Graz 1990, S. 65–91, hier S. 82.
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„Music is certainly biographical. Your fingerprints and your handwriting is. And soon they will also declare your liver to be it. Why should a poem and a composition present something neutral – like artificial stone – ? Then an ending would be the result of the feeling: all has been told.“55
Beispiel 12: Wolfgang Amadeus Mozart, Duett Figaro-Susanna (T. 1–3) in Schönbergs Sicht.
Beispiel 13: Wolfgang Amadeus Mozart, Duett Figaro-Susanna (T. 9–11) in Schönbergs Sicht.
Angesichts dieser Einstellung ist es nur verständlich, daß Schönberg auch eine Art „wissendes Gespür“ für inhaltliche Elemente in Werken anderer Komponisten entwickelte; dies dokumentiert sich z. B. in ganz spezieller Art und Weise bei seiner Betrachtung des Eröffnungsduetts aus Mozarts Oper Le nozze di Figaro, wo er der Musik ganz bestimmte, Mozarts Musik deutlich entsprechende Handlungselemente zuordnet (Beispiele 12 und 13): „So versucht Susanna, während Figaro den Zollstock auslegt ([…] Phrase a), ihn weiterrückt (Phrase b, Synkope im Baß) und die Anzahl der Längen zählt (,cinque‘, Phrase c) […], vergebens, sein Interesse auf ihren Putz zu lenken.“56
IV Abschließend soll noch auf Schönbergs ebenfalls auf Sprachlichkeit und Poetik basierende Formsicht eingegangen werden, die der Formsicht der Zeit vor und um 1800 verblüffend ähnlich ist und ihn auch bei der Betrachtung Mozartscher Werke zu adäquaten (gleichsam ,historisch richtigen‘) analytischen Ergebnissen kommen läßt. Dabei stellt er in seiner Schrift Die Symphonie historisch völlig richtig fest, daß „[der] wichtigste Unterschied zwischen der alten Symphonie von Haydn bis Brahms und der neuen, von Bruckner an, […] im Konstruktionsprinzip [liegt]. Während nämlich in der älteren das Hauptthema (ja sogar bloß das Hauptmotiv) 55 56
Arnold Schönberg, Construction of endings, Blatt 2 recto (Arnold Schönberg Center, Wien [T51.13]). Ders., Brahms, der Fortschrittliche (Anm. 9), S. 48.
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tatsächlich als K e i m d e s G a n z e n anzusehen ist, aus dem sich alles e n t w i c k e l t, was geschieht, […] besteht die Anordnungstechnik der modernen Symphonie etwas mehr im Nebeneinanderstellen; das Hauptthema ist nicht der wirkliche H a u p t gedanke der Komposition, sondern nur ihr Anfang; der wirkliche, wirkende Hauptgedanke liegt hinter d e n T h e m e n und alles scheint von ihm sich gleichsam a b z u r o l l e n; die Motive sind vielmehr B a u m a t e r i a l, als K e i m […].“57
In Stichworten stellt er dann auch für die „ältere Symphonie“ eine „Identität von Idee und Motiv“ fest, hingegen sei in der „neuere[n] Symphonie das Motiv [...] der Idee untergeordnet“. Daher enthält „in der älteren S.[ymphonie] […] jedes Thema irgendwie die I d e e des Hauptmotivs oder Teile davon“, „in der neuern färbt natürlicherweise das Hauptmotiv auch auf alles ab; aber es giebt daneben eine m.[ehr] o.[der] w.[eniger] große Zahl von Nebenmotiven die ebenso berechtigte Bausteine sind“.
Dementsprechend sieht Schönberg die Sonatenhauptsatzform keineswegs so strikt auf (mehrere) Einzelthemen bezogen wie Adolph Bernhard Marx oder spätere Theoretiker, sondern weit eher im Sinne der rhetorisch geprägten, von einer „sprechend“ entwickelten Form ausgehenden Sicht Heinrich Christoph Kochs. Er spricht wie Koch von einem (einzigen !) „Grundmotiv“ des Sonatenallegros und betont, daß die Exposition „eine große Zahl von verschiedenen [!] Themen aus einem [!] Grundmotiv entwickelt“.58 In logischer Konsequenz vertritt er somit auch die Meinung, daß die (mehreren !) Haupt- und Nebenthemen zwar kontrastierend angelegt seien, doch zeige „eine Analyse die zwischen ihnen bestehende Beziehung durch gemeinsame Verwendung von Merkmalen des Grundmotivs“.
Unter diesem Aspekt ist die von Schönberg entwickelte „Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“ mit ihrer Reihentechnik eine konsequente Weiterentwicklung der Idee, sämtliche Motive und Entwicklungen aus einem „Grundmotiv“ abzuleiten. Auch Anton Webern sah dies so, wenn er den „Stil also, den Schönberg und seine Schule sucht“, als eine „neue Durchdringung des musikali-
57 58
Arnold Schönberg, Die Symphonie (Arnold Schönberg Center, Wien [T73.17]). Ders., Die Grundlagen der musikalischen Komposition (Anm. 22), [Textband] S. 106 und 110. Ähnlich lautet es in einem Aphorismus (Arnold Schönberg Center, Wien [T03.42]): „Mozarts Kunst erfüllt in der Entwicklung der Musik die Aufgabe, einen [!] Gedanken in allen seinen tiefsten und reifsten Konsequenzen so darzustellen, dass alle die Einzelheit[en], die sich aus ihm ergeben[,] an einer vielgestaltigen Oberfläche sichtbar werden: sozusagen auf eine Ebene projiciert.“ Vgl. Heinrich Christoph Koch, Versuch einer Anleitung zur Composition II, Leipzig 1787, S. 347f.: „[...] den Hauptgedanken, [...] der gleichsam die Empfindung bestimmt, welche das Ganze erwecken soll, und dieser wird das Thema oder der Hauptsatz genennet, die übrigen Absätze aber, die gleichsam die verschiedenen Aeusserungen dieser Empfindung darstellen, kann man billig, weil sie in der Ausführung auf verschiedene Art zergliedert werden, Zergliederungssätze nennen.“
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schen Materials in der Horizontalen und in der Vertikalen“ sieht, die durch „das Bestreben, aus einem Hauptgedanken möglichst viel abzuleiten“, erreicht werde.59 Im Sinne dieser Grundsicht betont Schönberg auch, daß die „Wichtigkeit und Bedeutung“ der Durchführung „während der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts stark überschätzt [wurde]“, da ja sowohl die (auf einer Grundidee) basierenden unterschiedlichen Charaktere als auch die durch diese Mannigfaltigkeit gegebene Kontrastfülle bereits in der Exposition präsent gewesen seien.60 Beispiele sind ihm gerade hier wieder die Werke der Wiener Klassiker sowie auch von Franz Schubert oder Johannes Brahms, die laut Schönberg zudem noch – trotz aller Periodizität ihrer Gedanken – (neben Johann Sebastian Bach) die interessantesten Beispiele für die Bildung von „Sätzen“61 (vergleiche Beispiel 14) liefern:
Beispiel 14: Arnold Schönberg, Sentences. 59 60 61
Anton Webern, Der Weg zur Neuen Musik (Anm. 1), S. 37. Arnold Schönberg, Die Grundlagen der musikalischen Komposition (Anm. 22), S. 110. Ebenda passim. Für die Quelle in Beispiel 14 gilt: Arnold Schönberg Center, Wien (TBK 8).
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Die hier angesprochene Unterschiedlichkeit der (bereits in der „Exposition“ vorgestellten) Charaktere sowie der dadurch gegebene Kontrastreichtum ergaben sich im 18. und frühen 19. Jahrhundert aber nicht nur durch den unterschiedlichen Bau der von der Grundidee abgeleiteten bzw. der aus ihr gewonnenen Themen und Motive, sondern auch durch jeweils andere Artikulationen. Schönberg war dies offensichtlich bewußt, und so waren ihm für die Notenbeispiele seiner Lehrwerke (wie wir dies weiter oben schon einmal betrachtet haben) die Artikulationszeichen extrem wichtig. Ein kurzer Blick auf seine oft sehr schnell geschriebenen und dennoch gerade die Artikulationszeichen genau ausführenden Unterrichtsmaterialien beweist dies unmißverständlich. Im Falle des für seine Grundlagen der musikalischen Komposition hergestellten Beispieles des 1. Satzes aus Mozarts A-Dur-Sonate, KV 331, sieht man zudem besonders schön, wie wichtig Schönberg die Erkenntnis ist, daß MotivDuktus und „sprachliche Artikulation“ keineswegs übereinstimmen müssen (Beispiel 15);62 man sieht an den originalen Mozartschen Artikulationshinweisen aber auch, daß bereits Mozarts Komponieren von diesem Bewußtsein ausging. Und auch bei der Niederschrift des Rondo-Beginns aus Mozarts B-Dur-Sonate, KV 333, notierte Gerald Strang akribisch die von Schönberg vorgegebenen Artikulationen, wobei er wie der A-Dur-Sonate auch die über den Taktstrich spannenden Bögen eintrug (Beispiel 16).63
Beispiel 15 und 16: Wolfgang Amadeus Mozart, Sonate A-Dur, KV 331, 1. und 3. Satz (notiert von Gerald Strang mit Ergänzungen von Arnold Schönberg).
Wenn wir nun eine von Schönbergs Annotationen zu Ferruccio Busonis Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst betrachten, so schließt sich der Kreis zur Ästhetik der Zeit der Wiener Klassik völlig: „Die wahre Aufgabe der Theaterkunst ist eine andere: die Mittel des Theaters zur äußeren Darstellung innerer Vorgänge zu benutzen. Das Theater ist eigent-
62 63
Arnold Schönberg, Die Grundlagen (Anm. 22), Notenbeispiele, S. 21. Handschriftliches Notenbeispiel aus Fundamentals of Musical Composition (Arnold Schönberg Center, Wien). Ebenda.
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lich für den Künstler auch nichts anderes als ein Orchester und das Drama eine Symphonie; denn es giebt nur eine Art von Kunst.“64
Die Gleichsetzung von Drama und Symphonie ist bekanntlich eine der wichtigsten Aussagen der Kompositionslehren von Heinrich Christoph Koch sowie insbesondere von Anton Reicha (siehe oben und Anm. 5). Und das Lehrbuch Reichas war (in der Übersetzung Carl Czernys) am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde durchaus präsent, und es ist anzunehmen, daß auch Gustav Mahler und Alexander Zemlinsky noch mit seinen Thesen und Ansichten vertraut waren. In welch hohem Maß Schönberg die „Dramatik“ der Mozartschen Musik auch in den Instrumentalwerken des „Klassikers“ ortete, ersehen wir nicht zuletzt aus seinen (zunächst für den Unterricht erstellten ?) Spannungsdiagrammen, insbesondere aus der ersten Skizzierung des Diagramms des Menuetts aus dem D-DurStreichquartett, KV 575 (Beispiel 17), das vor allem den Gesamt-Gestus bzw. den grundsätzlichen Affekt-Verlauf der Melodielinie einfängt.65 Hier zeigt sich, daß Schönberg genau jene durch Halbschluß und Pause noch vergrößerte Spannung zwischen dem auf der Dominante A-Dur schließenden Vordersatz und dem auf derselben Harmonie auftaktig nach D-Dur weiterdrängenden Nachsatz verspürte, jene Spannung über eine Pause „von kurzer Dauer“ hinweg, die von Autoren wie Leopold Mozart daher auch nicht als „Pause“, sondern als „Sospir“66 bzw. „Suspiratio“ bezeichnet wurde.
Beispiel 17: Wolfgang Amadeus Mozart, Menuett aus dem Streichquartett D-Dur, KV 575, Schönbergs hs. Verlaufsdiagramm (erste Skizzierung). 64
65 66
Ferruccio Busoni, Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst. Mit Anmerkungen von Arnold Schönberg und einem Nachwort von H. H. Stuckenschmidt, Frankfurt am Main 1974, S. 63f. Die annotierte Stelle in Busonis Schrift lautet: „Der größte Teil neuerer Theatermusik leidet an dem Fehler, daß sie die Vorgänge, die sich auf der Bühne abspielen, wiederholen will, anstatt ihrer eigentlichen Aufgabe nachzugehen, den Seelenzustand der handelnden Personen während jener Vorgänge zu tragen.“ (S. 21). Handschriftliche Verlaufsbeispiel aus Fundamentals of Musical Composition (Arnold Schönberg Center, Wien [TBK1, folder 15]). Leopold Mozart, Violinschule (Anm. 8), S. 33f.
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Dementsprechend sah Schönberg Mozarts Melodie-Linie (Beispiel 18) in seinem ersten Diagramm auch nicht als unterbrochen an, sondern empfand sie als nach oben spannende und dort – nach einer (den Melodieverlauf nicht wirklich unterbrechenden) „Sospir“ – ohne (,echte‘) Zäsur sowie auf derselben (Gefühls-)Ebene weiterdrängende musikalische Einheit. Eine wohl später niedergelegte, vielleicht als Druckvorlage gedachte zweite Ausführung des Spannungsdiagramms (Beispiel 19)67 gab diese „sprachlich-dramatische“ Darstellung des (von Schönberg richtig empfundenen) Affekt-Verlaufs schließlich zugunsten einer akribischen Notentreue auf, die dann von den viele Jahre nach Schönbergs Tod tätig gewordenen Herausgebern der Grundlagen der musikalischen Komposition kommentarlos und ohne Hinweis auf die ursprüngliche Form übernommen wurde (Beispiel 20)68.
Verlaufs-Diagramm.
Beispiel 18: Wolfgang Amadeus Mozart, Menuett aus dem Streichquartett D-Dur, KV 575, T. 1–16.
Beispiel 19: Wolfgang Amadeus Mozart, Menuett aus dem Streichquartett D-Dur, KV 575, Schönbergs hs. Verlaufsdiagramm (zweite Ausführung). 67 68
Handschriftliches Verlaufsbeispiel aus Fundamentals of Musical Composition (Arnold Schönberg Center, Wien [TBK1, folder 11]). Arnold Schoenberg, Fundamentals of Musical Composition, ed. by Gerald Strang with the collaboration of Leonard Stein, London-Boston 1967, S. 114, sowie, der englischen Ausgabe folgend, Schönberg, Die Grundlagen (Anm. 22), Notenbeispiele, S. 72.
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Nicht zuletzt solche ,statisch-analytische‘ Darstellungen waren es, die in den 1950er und 1960er Jahren jene irrige Auffassung von der Musik der Wiener Schule (und hier insbesondere Anton Weberns) als eine Art von musikalischem „Pointillismus“ begünstigten, die insbesondere von den Komponisten und Theoretikern des ,Darmstädter Serialismus‘ vertreten wurde und gegen die sich die noch lebenden Schüler und Wegfährten Schönbergs, Bergs und Weberns so vehement (und leider oft vergeblich) wandten.69
Beispiel 20: Schönbergs Verlaufs-Diagramm des Menuetts aus KV 575 in der Druckausgabe.
Sie alle wissen, daß hier nur ein kursorischer Abriß von Schönbergs in vieler Hinsicht an Mozart geschulter „Sprachlichkeit“ gegeben werden konnte. Materialien, die das Gesagte immer wieder und immer wieder anders beweisen bzw. unterstreichen, existieren im Wiener Arnold Schönberg Center aufbewahrten Nachlaß des Komponisten in großer Anzahl. Und, wie Sie gesehen haben, geben uns oft erst die Originale die Möglichkeit, Mißverständnisse aufzuklären, gutgemeinte Fälschungen zu entlarven oder „Nicht-Schönbergische“ Zusätze, Umformulierungen und Umdeutungen wieder zurechtzurücken. Oberster Zweck aller unserer Bemühungen sollte dabei sein, Schönbergs Musik im Sinne seiner Wiener Tradition zu verstehen: als eine Musik, die ergreift, berührt, aber uns auch im wahrsten Sinne des Wortes etwas mitteilt; kurz: als eine Musik, die eine Sprache ist.
69
Hiezu siehe vor allem die in den Anm. 37 und 38 zitierten Publikationen von Peter Stadlen.
MARKUS BÖGGEMANN (Kassel)
Schönbergs Mozart: Zwischen Radikalisierung und neuer Normativität „Um die wirklichen Kausalzusammenhänge zu durchschauen, konstruieren wir unwirkliche.“ Max Weber1
Schönbergs Stellungnahmen zur Musikgeschichte im allgemeinen und seine argumentativen Rückgriffe auf Mozart im besonderen sind interessegeleitet. Ihr Geltungsanspruch ist ein anderer als z. B. der von Aussagen der Wissenschaft, die Objektivität beanspruchen bzw. diese doch als regulative Idee mit sich führen. Das schränkt ihre Verwendbarkeit als Belege für eine Traditionsbindung, als welche sie von Schönberg insbesondere ab den zwanziger Jahren nachdrücklich artikuliert wurden, ein. Sie sind nicht schon die Antwort auf eine den Musikhistorikern damit zugleich nahegelegte Frage nach der Verankerung von Schönbergs Schaffen in der Tradition, sondern bedürfen der Einordnung in einen historischen Diskurszusammenhang, in jene ideengeschichtlichen und kulturellen Kontexte, in denen sie stehen und in die hinein sie gesprochen wurden. Diese Zusammenhänge gilt es zu rekonstruieren. Sie konturieren Schönbergs ästhetische Anschauungen, die keineswegs homogen sind und vor allem in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg entscheidend von seinen späteren (und ungleich besser dokumentierten) poetologischen Positionen der zwanziger und dreißiger Jahre abweichen.2 Das gilt in besonderem Maße für das Verhältnis Schönbergs zu Mozart. Es bleibt sich nicht unwandelbar gleich, sondern folgt in verschiedenen Phasen seines Schaffens unterschiedlichen Intentionen, die nicht losgelöst von übergeordneten zeittypischen Problemlagen und Diskussionszusammenhängen zu denken sind. Insbesondere die „Zentralfrage der Moderne“3 überhaupt, die nach dem Verhältnis zur Tradition bzw. 1 2
3
Max Weber, Kritische Studien auf dem Gebiet der kulturwissenschaftlichen Logik (1906), in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen 71988, S. 287. Vgl. dazu Joseph Auner, Schoenberg’s Compositional and Aesthetic Transformations 1910–1913: The Genesis of Die glückliche Hand, Ph.D.diss., University of Chicago 1991; ders., Schoenberg’s Aesthetic Transformations and the Evolution of Form in Die glückliche Hand, in: Journal of the Arnold Schoenberg Institute 12/1 (1989), S. 103– 128, sowie Markus Böggemann, Gesichte und Geschichte. Arnold Schönbergs musikalischer Expressionismus zwischen avantgardistischer Kunstprogrammatik und Historismusproblem (= Publikationen der Internationalen SchönbergGesellschaft 7), Wien 2007. Gotthart Wunberg, Wien und Berlin: Zum Thema Tradition und Moderne, in: Maurice Godé/Ingrid Haag/Jacques Le Rider (Hg.), Wien – Berlin: deux sites de la modernité. Zwei Metropolen der Moderne (1900– 1930); actes du colloque international de Montpellier (2–4 avril 1992) (= Cahiers d’études germaniques 24), Aix-enProvence 1993, S. 227.
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Markus Böggemann
zum Phänomen der historischen Überlieferung, spielt dabei eine Rolle. Darum vor allem soll es in den folgenden Bemerkungen gehen. Zuvor aber ist ein Blick auf die Quellenlage vonnöten: Schönbergs Äußerungen zu Mozart sind über den Zeitraum seines Lebens ungleich verteilt. Mit der zunehmenden Fülle von allgemeinen Aussagen und analytischen Detailbeobachtungen seit den zwanziger und vollends seit den dreißiger Jahren kontrastiert eine relative Spärlichkeit an Quellen für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Daraus allerdings auf eine Geringschätzung oder mangelnde Rezeption Mozarts zu schließen, wäre ebenso abwegig wie die – methodisch unzulässige – Verabsolutierung von Schönbergs späteren Verlautbarungen, ihre Verwendung als Belege auch für sein Denken in früheren Jahren. Gegen solcherart generalisierende Aussagen steht das „Veto der Quellen“ (Reinhart Koselleck), auch dann, wenn sie nicht geradezu widersprechen, sondern indifferent bleiben oder schweigen. Das heißt: Schönberg hat nicht zeitlebens die Rolle Mozarts als Lehrmeister und kompositorisches Vorbild betont, sondern erst ab einem bestimmten Zeitpunkt. Von diesem Befund hat die Untersuchung ihren Ausgang zu nehmen. I. „Zurück zu Mozart!“ – Debatten um 1900 Die medialen Begleiterscheinungen des Mozartjahres 1906 bestanden nicht nur aus Festreden, sondern auch aus einer Debatte, die sich am Schlagwort „Zurück zu Mozart!“4 festmachte. Die mit dieser Parole intendierte Neuausrichtung des kompositorischen Schaffens der Gegenwart basierte auf dem „Gefühl“, so Felix von Weingartner, einer der Stichwortgeber, „daß in der Gesamtentwicklung, welche die Tonkunst in unseren Tagen genommen hat, etwas nicht stimme, daß irgendwo etwas faul sei“5 – genauer: „daß man seinerzeit versucht hat, die Musik in die Gehschule der Poesie zwängen zu wollen, und sie dadurch zu entmündigen, nachdem sie sich den höchsten Thron erobert hatte; einer der schwersten Irrtümer, die man begehen konnte. […] Ihrer Schwesterkunst dienen oder bestenfalls im Gesamtkunstwerke aufgehen, wie Wagners egoistischste Forderung lautete, sollte künftig ihre Aufgabe sein.“6
Die Parole „Zurück zu Mozart!“ – die Weingartner in ein „Vorwärts zu Mozart!“7 umgeschrieben wissen wollte – bedeutete also recht eigentlich ein „Weg von Wagner!“ bzw. von dem, was seine Epigonen ins 20. Jahrhundert hinübertrugen. In ihr artikulierte sich das schon länger schwelende Unbehagen einer jüngeren Generation am Erbe der wagnerschen und nach-wagnerschen Ästhetik, in dem man immer weniger eine Option für die Zukunft, sondern ein „Harfenspiel zu der Götterdäm4
5 6 7
Vgl. dazu Thomas Seedorf, Studien zur kompositorischen Mozart-Rezeption im frühen 20. Jahrhundert (= Publikationen der Hochschule für Musik und Theater Hannover 2), Laaber 1990, S. 32–36; Leon Botstein, Aesthetics and Ideology in the Fin-de-Siècle Mozart Revival, in: Current Musicology 56 (1994), S. 5–25. Felix (von) Weingartner, Zurück zu Mozart?, in: ders., Akkorde. Gesammelte Aufsätze, Leipzig 1912, S. 108. Ebenda S. 110. Ebenda S. 111f.
Schönbergs Mozart: Zwischen Radikalisierung und neuer Normativität
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merung der alten Cultur“8 erblickte. Zugleich war sie Teil einer umfassenderen Kontroverse über die Grundlagen des musikalischen Schaffens der Gegenwart, einer Kontroverse, die von der Bewertung der jüngsten musikalischen Moderne, namentlich der Werke Max Regers und Richard Strauss’ ausging, sich aber nicht darauf beschränkte. Ohne näher auf die Details dieser vielstimmigen Debatte einzugehen:9 Sie kreiste letzten Endes um die Frage, auf welchen normativen Grundlagen das Musikschaffen der Gegenwart noch aufruhen könne. Zur Beantwortung dieser Frage wurde dabei nicht nur die Option „Mozart“ ins Spiel gebracht: Man propagierte ebenso ein „Zurück zu Bach!“ wie eine Reaktualisierung von neudeutschen Positionen der Jahrhundertmitte, eine vehemente Verteidigung der Straussschen Richtung stand neben einem – allerdings zunehmend verbitterten – Festhalten am Stil Mendelssohns und des Leipziger Konservatoriums. Dieses Nebeneinander unterschiedlichster Orientierungsangebote erscheint im Rückblick allerdings weniger als Lösung denn als Symptom des zugrundeliegenden Problems: Die einzelnen Optionen konkurrieren in ihren Geltungsansprüchen miteinander und relativieren einander gegenseitig, die in der Debatte diagnostizierte Unübersichtlichkeit oder „Konfusion in der Musik“ wird von ihnen nicht behoben, sondern vielmehr bestätigt. Schönberg spielt in diesen Debatten noch keine Rolle, weder publizistisch noch als Komponist. Das liegt zum einen zweifellos daran, daß er zu diesem Zeitpunkt noch nicht nachhaltig ins Blickfeld einer überregionalen Öffentlichkeit getreten ist (trotz der 1907 erfolgenden Aufführung des 1. Streichquartetts, op. 7, auf dem Tonkünstlerfest in Dresden), zum anderen aber auch an dem Umstand, daß die dort verhandelten Probleme ihn nicht in gleichem Maße betreffen. Zur Kenntnis genommen hat er die Diskussionen aber durchaus, wie eine Bemerkung in seinem (von ihm nicht autorisierten) Interview mit Paul Wilhelm im Neuen Wiener Journal (Ausgabe vom 10. Jänner 1909) zeigt. Beiläufig stellt er dort fest, daß „es gewiß kein Zufall [war], daß vor zehn Jahren die Wagnerianer begonnen haben, Mozart und Beethoven zu entdecken. Aber nicht diese haben sie entdeckt, sondern den Wagner haben sie verloren.“10
Gerade diese Beiläufigkeit dokumentiert, was sich auch an der Musik zeigen ließe: Schönberg hat die Lösung aus dem Einflußbereich Wagners schon frühzeitig für sich vollzogen. Die Souveränität, mit der er z. B. in seinem Streichsextett Verklärte Nacht, op. 4, Programmusik sowie kammermusikalische Faktur und Besetzung miteinander verbindet, ist ein Hinweis darauf, daß er den Zeitgenossen vielfach noch unvereinbare Traditionsstränge zusammendenken konnte, weil deren normative 8 9
10
Max Graf, Wagner-Probleme und andere Studien, Wien 1900, S. 22. Sie sind umfassend dokumentiert in: „Die Konfusion in der Musik“. Felix Draesekes Kampfschrift von 1906 und ihre Folgen, hrsg. von Susanne Shigihara (= Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft 4), Bonn 1990. Arnold Schönberg, Ein Interview, in: ders., Stil und Gedanke. Aufsätze zur Musik, hrsg. von Ivan Vojtĕch (= Gesammelte Schriften 1), Frankfurt am Main 1976, S. 158.
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Implikationen für ihn nicht mehr verbindlich waren. Ein als „Zurück zu Mozart!“ maskiertes „Weg von Wagner!“ ist für ihn um 1906 nicht mehr relevant. Anders steht es freilich um die generelle Frage nach dem Umgang mit und der Geltung von Tradition in der Moderne: Die oben erwähnten Debatten um das Woher und Wohin in der Musik repräsentieren musterhaft den Verlust verbindlicher Wertorientierungen, der als allgemeine Orientierungskrise der Moderne die Diskurse in Wissenschaft, Politik und medialer Öffentlichkeit um 1900 und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein nahezu flächendeckend prägt. Allenthalben konstatierte man die Zersplitterung und Fragmentierung des Lebens, den „Mangel an Definitivem im Zentrum der Seele“11 – um es mit Georg Simmel, einem der profiliertesten Vertreter dieser Diskussion, zu sagen – und die Ausdifferenzierung der kulturellen Sphäre in eine Vielzahl von Elementen, die mit den überlieferten Deutungsmustern nicht länger zu überwölben war.12 Die Ursachen dieser Krise der Moderne werden unten noch zur Sprache kommen; hier ist zunächst festzuhalten, daß der diagnostizierte Relativismus für einen irreversiblen „Traditionszerfall“13 verantwortlich ist, daß er aber auch die Zerfallsprodukte der Verfügung durch das Subjekt überantwortet, sei es im Sinne einer „invention of tradition“14, einer Traditionswahl, oder auch einer Radikalisierung der vorgefundenen Überlieferungsbestände. Was damit gemeint ist, sei im folgenden an der Indienstnahme Mozarts in Schönbergs Harmonielehre erläutert. II. Radikalisierung: Mozart in Schönbergs H armonielehre In seiner Harmonielehre vertritt Schönberg bekanntlich mit Nachdruck die Auffassung von der eigenständigen harmonischen Qualität der durch sogenannte „harmoniefremde Töne“ entstehenden Klangbildungen. Daß diese vom traditionellen System der Harmonielehre nicht erfaßt werden, stellt einen seiner Hauptkritikpunkte dar: „Harmoniefremde Töne gibt es […] nicht, sondern nur dem Harmoniesystem fremde.“15
Schönbergs Ausgangspunkt ist dabei das von ihm als Inkonsequenz kritisierte Abweichen von der vertikal orientierten Betrachtung der Klänge zugunsten ihrer Erklärung unter Zuhilfenahme horizontaler Ereignisse. Dem setzt er das Prinzip entgegen, „das Wesen der Verbindungen lediglich aus dem Wesen der Akkorde“16 11 12
13 14 15 16
Georg Simmel, Philosophie des Geldes, hrsg. von David P. Frisby und Klaus Christian Köhnke (= Georg Simmel Gesamtausgabe 6), Frankfurt am Main 1989, S. 675. Vgl. dazu stellvertretend die beiden Sammelbände Kultur und Kulturwissenschaften um 1900, Bd. 1: Krise der Moderne und Glaube an die Wissenschaft, hrsg. von Rüdiger vom Bruch, Friedrich Wilhelm Graf und Gangolf Hübinger, Stuttgart 1989, Bd 2: Idealismus und Positivismus, hrsg. von dens., Stuttgart 1997. Carl Dahlhaus, Traditionszerfall im 19. und 20. Jahrhundert, in: Hans Heinrich Eggebrecht/Max Lütolf (Hg.), Studien zur Tradition in der Musik. Kurt von Fischer zum 60. Geburtstag, München 1973, S. 177–190. Eric Hobsbawm/Terence Ranger (Hg.), The Invention of Tradition, Cambridge 1983. Arnold Schönberg, Harmonielehre, Leipzig–Wien 1911, S. 360. Ebenda S. 9.
Schönbergs Mozart: Zwischen Radikalisierung und neuer Normativität
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abzuleiten, Horizontale und Vertikale also strikt zu entkoppeln. Schönberg nimmt es demnach mit einigen Darstellungsprinzipien der traditionellen Harmonielehre genauer als diese selbst; er radikalisiert bestimmte Aspekte und gelangt so zu Ergebnissen, die in ihrer Rigorosität nicht mehr traditionskonform sind. Die Phänomene werden vollständig dekontextualisiert und einzig der Betrachtungsweise und den Regeln des historisch entqualifizierten Darstellungssystems unterworfen. Auf diese Weise betrachtet er auch einen „Akkord von Mozart“17, eine Bläserfigur aus dem 1. Satz der Symphonie g-Moll, KV 550 (T. 150 bzw. 152):
Beispiel 1: Arnold Schönberg, Harmonielehre, Wien 1911, Bsp. 233.
Nach gängigem Verständnis handelt es sich hierbei um eine primär motivisch begründete mehrfache Vorhaltsbildung zu einem Dominantseptakkord, deren Gewagtheit sich durch die formale Position am Ende der Durchführung und durch die damit verbundene übergeordnete harmonische Absicherung innerhalb einer Dominantfläche rechtfertigt.18 Schönberg jedoch hypostasiert den ersten der beiden Klänge zu einem selbständigen Akkord und entwirft sogleich eine Sequenz dieses Klanges (Beispiel 2, b und c) und seiner Auflösung, nicht ohne die süffisante Bemerkung, dagegen könne man doch nichts haben, das sei ja von Mozart.19
Beispiel 2: Arnold Schönberg, Harmonielehre, Wien 1911, Bsp. 305.
Hier tritt die polemische Komponente von Schönbergs Argumentation zutage: Mozarts zum „Akkord“ radikalisierte Vorhaltsbildung dient ihm als Nachweis, daß die Grenzen des herkömmlichen Theoriesystems nicht die Grenzen der Musik sind – „Ich behaupte, das sind Akkorde: nicht die des Systems, aber die der Mu17 18
19
Ebenda S. 363, Bsp. 233, und S. 412f., Bsp. 305. Das Beispiel wird auch von anderen zeitgenössischen Theoretikern behandelt und als exzeptionell eingestuft, vgl. August Halm, Harmonielehre, Leipzig 1905, S. 58 und S. X, Bsp. 28, sowie Ludwig Bussler, Harmonielehre, Berlin 31892, S. 209. Schönberg, Harmonielehre (Anm. 15), S. 413.
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sik“20 – und daß sie es auch schon zu Mozarts Zeit nicht waren. Mozart in der Harmonielehre ist der polemisch gemeinte Fall, der gegen die Prätentionen einer herrschenden Kunstlehre angeführt wird: Diese kritisiert mit angemaßten und theoretisch inkonsistenten ästhetischen Urteilen harmonische Phänomene in der Musik der Gegenwart, die ganz ähnlich auch schon bei Mozart vorkommen – jenem Komponisten, der nach allgemeiner Übereinstimmung als Ideal dessen betrachtet wird, was Schönheit in der Musik sei. Intendiert ist also gerade nicht, Mozart zu reaktualisieren, wie dies einige Jahre zuvor mit der Parole „Zurück zu Mozart!“ versucht worden war; entscheidend ist vielmehr die historische und ästhetische Distanz: Schönberg setzt die Mozart zugewiesene Rolle als ferngerücktes und erst wieder zu gewinnendes Ideal, als Gegenbild zu einer in Kakophonien schwelgenden Moderne voraus, um ein desto wirkungsvolleres Argument (auch) in eigener Sache zur Hand zu haben. Eine spätere Analyse von KV 550 aus Schönbergs amerikanischer Zeit verzichtet bezeichnenderweise auf die polemische Komponente bzw. zeigt durch ihre konventionelle, theoriekonforme Deutung derselben Stelle, daß es sich bei der Argumentation von 1911 tatsächlich um ein bewußtes, radikalisierendes „misreading“ in polemischer Absicht handelt. Der besagte „Akkord“ taucht in der dort vorgenommenen harmonischen Analyse der Durchführung überhaupt nicht mehr auf. Er wird unter die übergeordnete Dominante subsumiert, seine melodisch-motivische Komponente jedoch angedeutet.21
Beispiel 3: Arnold Schönberg, Structural Functions of Harmony, New York 1969, S. 151.
20 21
Ebenda S. 361. Arnold Schönberg, Structural Functions of Harmony. Revised Edition with Corrections, hrsg. von Leonard Stein, New York 1969, S. 151.
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III. Mozart der Überhistorische: Neue Normativität und Antihistorismus nach dem Ersten Weltkrieg Die Tonalität und ihr Theoriesystem sind historisch kontingent, weshalb darauf aufbauende ästhetische Urteile keine normative Geltung beanspruchen können – das wird Schönberg in seiner Harmonielehre nicht müde zu zeigen. Damit macht er sich argumentativ zunutze, was von den Zeitgenossen als Ursache der oben schon angesprochenen Orientierungskrise der Moderne erfahren wurde: Ein um sich greifender Relativismus, für den verantwortlich sei „die Historisierung unseres ganzen Wissens und Empfindens der geistigen Welt, wie sie im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts geworden ist. Wir sehen hier alles im Flusse des Werdens, in der endlosen und immer neuen Individualisierung, in der Bestimmtheit durch Vergangenes und in der Richtung auf unerkanntes Zukünftiges. Staat, Recht, Moral, Religion, Kunst sind in den Fluß des historischen Werdens aufgelöst und uns überall nur als Bestandteil geschichtlicher Entwicklungen verständlich.“22
„Das geistige Leben“, so der Theologe und Kulturphilosoph Ernst Troeltsch, ist unter diesen Umständen „nicht mehr Teilhaber an überirdischen und übersinnlichen, festen, unveränderlichen Wahrheiten“23. Die Einordnung der historischen Einzelerkenntnisse in einen übergeordneten ideellen Rahmen will nicht mehr gelingen, weil die Grundlagen der Sinnstiftungsfunktion von Geschichte, Kohärenz und Kontinuität jenseits eines kausalen Zusammenhangs der Einzelbezüge, zweifelhaft geworden sind. Historische Kontinuität ist unter den Bedingungen des Relativismus ein bloßer „Glaubensbegriff“.24 Diese sogenannte „Krise des Historismus“ wird nicht allein von der Geschichtstheorie thematisiert:25 Der Historismus als Wertrelativismus ist ein „öffentliches Problem“26, und entsprechend vielgestaltig und weitgestreut sind die Phänomene, die sich in seinen Diskurszusammenhang einordnen lassen: Der Sensationserfolg von Oswald Spenglers Untergang des Abendlandes als Ausdruck eines vehementen Bedürfnisses nach synthetisierenden Deutungsmodellen gehört ebenso dazu wie 22
23 24
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26
Ernst Troeltsch, Die Krisis des Historismus, in: ders., Schriften zur Politik und Kulturphilosophie (1918–1923), hrsg. von Gangolf Hübinger in Zusammenarbeit mit Johannes Mikuteit (= Kritische Gesamtausgabe 15), Berlin–New York 2002, S. 437 (Erstdruck in: Die Neue Rundschau 33 [1922], S. 572–590). Ebenda S. 438. Kurt Nowak, Die „antihistoristische Revolution“. Symptome und Folgen der Krise historischer Weltorientierung nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland, in: Horst Renz/Friedrich Wilhelm Graf (Hg.), Umstrittene Moderne. Die Zukunft der Neuzeit im Urteil der Epoche Ernst Troeltschs (= Troeltsch-Studien 4), Gütersloh 1987, S. 151. Vgl. stellvertretend für die reichhaltige Literatur zum Thema: Otto Gerhard Oexle, „Historismus“. Überlegungen zur Geschichte des Phänomens und des Begriffs, in: ders., Geschichtswissenschaft im Zeichen des Historismus. Studien zu Problemgeschichten der Moderne (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 116), Göttingen 1996, S. 41–72; Wolfgang Bialas/Gérard Raulet (Hg.), Die Historismusdebatte in der Weimarer Republik, Frankfurt am Main 1996. Gunter Scholtz, Das Historismusproblem und die Geisteswissenschaften im 20. Jahrhundert, in: ders., Zwischen Wissenschaftsanspruch und Orientierungsbedürfnis. Zu Grundlage und Wandel der Geisteswissenschaften, Frankfurt am Main 1991, S. 133.
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der „ästhetische Fundamentalismus“ des George-Kreises27 oder philosophische Neuansätze wie die Anthropologie28 oder die Phänomenologie Husserls.29 Geschichte als Orientierungsinstanz hat dabei vielfach ausgespielt, ja man hat geradezu von einer „im gesamten Geisteskosmos der zwanziger Jahre rumorende[n] ‚antihistoristische[n] Revolution‘“ gesprochen.30 Daran hat auch die Kunst ihren Anteil: Die „ästhetische Mentalität der Moderne“31 ist durchzogen von einem virulenten Antihistorismus, von Setzungen einer „Neuen Normativität“, die gegen die Erfahrung historischer Kontingenz in Anschlag gebracht wird. Die Beispiele sind allein schon in der Musik zahlreich – man denke an Busonis wie auch immer schemenhafte Idee einer „Jungen Klassizität“, Hauers Tropenlehre, Hindemiths auf Naturgrundlagen rekurrierende „Unterweisung im Tonsatz“ und nicht zuletzt an Schönbergs Konzept des „musikalischen Gedankens“.32 Komplementär zu solchen ahistorischen Konzeptionen verhält sich die Marginalisierung der geschichtlichen Überlieferung, die es als Faktum selbstverständlich weiterhin gibt, deren Status aber radikal in Frage gestellt wird. Das kommt in zwei Stellungnahmen Schönbergs vom Beginn der dreißiger Jahre exemplarisch zur Sprache. Die erste ist – nach ihren Anfangsworten – „Max Liebermann“ überschrieben; sie könnte aber auch „Plausch net, Pepi“ heißen, denn, so Schönberg: „So möchte man am liebsten sagen, wenn man von Liebermann interpelliert wird, wie man sich denn eigentlich zur Tradition stelle. […] Ich hatte das peinliche Gefühl, dass er mit den Worten (etwa): ‚Meinen Sie nicht auch, dass alle wahre Kunst mit der Tradition zusammenhänge‘ den Zweifel daran ausdrücken woll[t]e, dass meine Musik mit der Tradition zusammenhänge. Am liebsten hätte ich ja grob geantwortet: ‚Ich hab noch nicht nachgeschaut‘, oder, da ja Tradition ‚mündliche Ueberlieferung‘ ist, etwas Mundartliches, eben jenes: ‚Plausch net, Pepi‘. […] Man bedenke wie viele ungeübte und unproduktive Köpfe an der Fortpflanzung der Tradition beteiligt sind. Ich erinnere mich nicht mehr, ob das während meiner Kriegsdienstausbildung in Bruck als Scherz gezeigt wurde, oder ob es nur zufällig sich ereignete: Es war die Aufgabe, einen Befehl durch eine geöffnete Schwarmlinie im Flüsterton von Mann zu Mann weiterzugeben.
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30 31 32
Vgl. Stefan Breuer, Ästhetischer Fundamentalismus. Stefan George und der deutsche Antimodernismus, Darmstadt 1995. Vgl. die Beiträge in: Thomas Keller/Wolfgang Eßbach (Hg.), Leben und Geschichte. Anthropologische und ethnologische Diskurse in der Zwischenkriegszeit, München 2006. Vgl. Scholtz, Das Historismusproblem und die Geisteswissenschaften im 20. Jahrhundert (Anm. 26), sowie ders., Zum Strukturwandel in den Grundlagen kulturwissenschaftlichen Denkens, in: Wolfgang Küttler/Jörn Rüsen/Ernst Schulin (Hg.), Krisenbewußtsein, Katastrophenerfahrungen und Innovationen 1880–1945 (= Geschichtsdiskurs 4), Frankfurt am Main 1997, S. 19–50. Nowak, Die „antihistoristische Revolution“ (Anm. 24), S. 137. Beat Wyss, Der Wille zur Kunst. Zur ästhetischen Mentalität der Moderne, Köln 1996. Vgl. dazu Andreas Jacob, Grundbegriffe der Musiktheorie Arnold Schönbergs, Bd. 1 (= Folkwang Studien 1), Hildesheim 2005, S. 126–173.
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Es war staunenswert was dabei herauskam: etwas vollkommen Verschiedenes. So sieht die Tradition aus und Mahler hatte Recht, wenn er sagte: ‚Tradition ist Schlamperei‘.“33
Wie eine Erläuterung hierzu nimmt sich ein etwa zeitgleicher Aphorismus Schönbergs aus. Er greift die Kritik am historischen Überlieferungsprozeß auf und formuliert zugleich die Alternative dazu: „Es gibt nur einen direkten Weg des Anschlusses an die Vergangenheit, an die Tradition, an das Denken unserer Vorgänger: es noch einmal von vorne anzufangen, so als ob alles frühere falsch wäre; sich noch einmal mit dem Wesen der Dinge in Verbindung zu setzen, anstatt bloß die Technik der Verarbeitung gegebenen Materials zu erweitern.“34
Der Rekurs auf das „Wesen der Dinge“, das Immer-wieder-von-vorne-Anfangen ist beredter Ausdruck des Mißtrauens gegenüber einem linearen Kontinuitätsdenken und darüber hinaus ein Topos der Moderne. An die Stelle einer Einordnung in den Prozeß der Überlieferung tritt die direkte Fühlungnahme mit den Vorbildern, an die Stelle entwicklungsgeschichtlichen Denkens die Emphatisierung des Ursprungs.35 In diesem Sinne und aus dem geschilderten ideengeschichtlichen Kontext heraus müssen auch Schönbergs zahlreiche Bezugnahmen ab den 1920/30er Jahren auf Mozart verstanden werden:36 Äußerungen wie „A man like Mozart can not be compared to anything living or dead“37 oder „Mozart, the most modern of all!“38 zeigen, daß Schönbergs ostentativ herausgestrichene Affinität zu Mozart kein Traditionsbezug im Sinne von linear-ungebrochener Kontinuität ist, sondern eine ahistorische Konstruktion. In ihr wird der historische Abstand in einem Sprung überbrückt, der zugleich ein Sprung heraus aus der Geschichte, aus der in ihr herrschenden „Anarchie der Werte“39 und den „entnervenden Wirkungen des historischen Relativismus“40 ist. Schönbergs Mozart wird so zu einem ideellen Zeitgenossen, zu einem direkten Gegenüber im Rahmen des von Nietzsche imaginierten „Geistergesprächs“ über „die öden Zwischenräume der Zeiten“ hinweg.41 33 34 35 36 37 38 39
40 41
Arnold Schönberg, Max Liebermann (datiert mit 20. VII. und 27. VIII. 1932), (Arnold Schönberg Center, Wien [T 04.40]). Arnold Schönberg, Aphorismen (1932), (Arnold Schönberg Center, Wien [T 50.09]). Wyss, Der Wille zur Kunst (Anm. 31), S. 98 und passim. Siehe dazu Matthias Schmidt, Schönberg und Mozart. Aspekte einer Rezeptionsgeschichte (= Publikationen der Internationalen Schönberg-Gesellschaft 5), Wien 2004. Schönberg im Gespräch mit Warren Langlie (1948), zit. nach: Ebenda S. 15. Joan Allen Smith, Schoenberg and his Circle. A Viennese Protrait, New York–London 1986, S. 145. Troeltsch, Die Krisis des Historismus (Anm. 22), S. 448, mit direktem Bezug auf Max Weber. Vgl. Max Weber, Wissenschaft als Beruf, in: Max-Weber-Gesamtausgabe, Abt. I, Bd. 17, hrsg. von Wolfgang J. Mommsen und Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Birgit Morgenbrod, Tübingen 1992, S. 99f. Ernst Troeltsch, Das neunzehnte Jahrhundert, in: ders., Aufsätze zur Geistesgeschichte und Religionssoziologie, hrsg. von Hans Baron (= Gesammelte Schriften 4), Tübingen 1925, S. 628. Friedrich Nietzsche, Unzeitgemässe Betrachtungen. Zweites Stück: Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben, in: ders., Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe, Bd. 1, hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München 21988, S. 317.
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Das ließe sich in gewisser Weise auch von anderen Komponisten sagen, denen Schönberg sich verbunden fühlte, von Bach, Beethoven und Brahms. Schönberg differenziert jedoch, nicht nur hinsichtlich dessen, was ihm jeweils kompositionstechnisch bemerkenswert scheint42, sondern auch im Hinblick auf die der einzelnen Komponistenpersönlichkeit von ihm zugewiesene Position:43 Brahms beispielsweise ist für ihn „der Fortschrittliche“ in dem Maße, wie Verfahren syntaktischer Irregularität und metrischer Flexibilität bei ihm zur Anwendung kommen, die Schönberg bereits bei Mozart gültig formuliert findet. Mozart erscheint mithin als der feststehende Maßstab, während das Hervorhebenswerte bei Brahms gerade dort liegt, wo er sich diesem Maßstab anbequemt. Schönbergs Mozart-Analyse geht dabei – so die Kritik einer historisch argumentierenden Musiktheorie44 – nicht ohne Gewaltsamkeiten ab, so, wenn er in der Überleitungspassage aus dem 1. Satz des Streichquartetts d-Moll, KV 421, „in nur acht Takten neun kleine Phrasen verschiedener Größe und verschiedenen Charakters“ (darunter auch einen einzelnen Akkord) entdeckt und die Stelle insgesamt als „musikalische Prosa“ klassifiziert.45 Das Beispiel zeigt freilich weniger, daß Schönberg „kein großer Analytiker vor dem Herrn war“46, als vielmehr, daß hier zwei radikal verschiedene Erkenntnisinteressen aufeinanderprallen. Schönberg geht es gerade nicht um eine historische Argumentation, um ein Verstehen der Mozartschen Musiksprache aus den Bedingungen ihrer Entstehungszeit heraus, sondern um ihre ahistorische Indienstnahme via Brahms für Aspekte seines eigenen Komponierens. Schönbergs Installierung von Mozart als Repräsentant zeitlos-überhistorischer kompositorischer Normen erfolgt erst in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg. Sie ist eine Spielart einer auch in anderen Bereichen feststellbaren, strikt antihistoristischen „Neuen Normativität“, die auf das zeittypische Problem eines allgemeinen Wertrelativismus reagiert. Wie die gleichfalls überhistorische Kategorie des „Gedankens“ für das „Was“, so repräsentiert die Chiffre „Mozart“ für „das ‚Wie‘ der Darstellung“47 eine der Geschichte enthobene Instanz, die auch das eigene kompositorische Schaffen normativ unterfüttern soll. Schönbergs Mozart verkörpert somit eine Strategie geschichtsresistenter Normenbegründung, wie sie Friedrich Wilhelm Graf für die protestantische Theologie der 1920er Jahre treffend umschrieben hat: Sie ist der Versuch, „Geschichte durch Übergeschichte [zu] überwinden“48. 42 43 44 45 46 47 48
Vgl. Arnold Schönberg, Nationale Musik, in: ders., Stil und Gedanke (Anm. 10), S. 250–254. Vgl. Schmidt, Schönberg und Mozart (Anm. 36), S. 147ff. Vgl. Claudia Maurer-Zenck, Gegenprobe: Das Überleben traditionellen Formdenkens bei Schönberg, in: Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz 1998, Stuttgart–Weimar 1998, S. 245–267. Arnold Schönberg, Brahms, der Fortschrittliche, in: ders., Stil und Gedanke (Anm. 10), S. 50. Maurer-Zenck, Gegenprobe (Anm. 44), S. 253. Arnold Schönberg, Zur Frage des modernen Kompositionsunterrichts, in: ders., Stil und Gedanke (Anm. 10), S. 245. Friedrich Wilhelm Graf, Geschichte durch Übergeschichte überwinden. Antihistoristisches Geschichtsdenken in der protestantischen Theologie der 1920er Jahre, in: Küttler/Rüsen/Schulin (Hg.) Krisenbewußtsein, Katastrophenerfahrungen und Innovationen (Anm. 29), S. 217–244.
SIEGFRIED OECHSLE (Kiel)
Von Schönberg zu Mozart Versuch über den Prozeßcharakter Mozartscher Musik I Der Mozart Schönbergs ist maßgeblich das Produkt historischer Selbstlegitimierung. Schönberg steht dabei noch tief in den Traditionen des 19. Jahrhunderts. Auf Wagner, den „große(n) Histrione“1, läßt sich der Versuch zurückführen, Geschichte als ein der eigenen Mission zuarbeitendes System zu perspektivieren. Die Kategorie der „entwickelnden Variation“ fungiert dabei auch als ein Instrument der Selektion und der gradweisen Bestimmung historischer Wegbereitung für das eigene Œuvre. Auf Brahms’ historisches Selbstverständnis kann wiederum die Tendenz bezogen werden, kanonische Figuren der Musikgeschichte über „die öden Zwischenräume der Zeiten“2 hinweg als imaginäre Zeitgenossen aufzufassen und zum fiktionalen Forum eines „Geistergesprächs“3 zu versammeln. Dadurch gerät auch Mozart zu einer überzeitlichen Instanz, deren Status ein eigentümliches Ineinander von Nähe und Ferne aufweist. Distanzen werden auf den Eichpunkt des eigenen Œuvres bezogen – so auch Brahms, der Fortschrittliche, dessen Progressivität danach bemessen wird, wie nahe er dem Mozart der irregulären musikalischen Syntax kommt.4 Daß seine Sicht auf Mozart für das Verständnis eigener Schaffenskonzepte von zentraler Bedeutung sei, hat Schönberg selbst unterstrichen.5 Ob sein Mozart-Bild dem Verständnis von Mozarts Musik aufhilft, bleibt allerdings fraglich. Zumindest wäre zwischen analytischen Mozart-Diagnosen und kompositorischen Konsequenzen für das eigene Komponieren zu unterscheiden. Die Strategie der Selbsthistorisierung muß aber keinesfalls den Blick für die Sache trüben6 – obschon der vielzitierte Aufsatz Nationale Musik, in dem Schönberg seine wichtigsten musikge-
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6
Peter Gülke, Brahms – Bruckner. Zwei Studien, Kassel etc. 1989, S. 47. Friedrich Nietzsche, Unzeitgemäße Betrachtungen. Zweites Stück: Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben (= Werke in sechs Bänden 1), München–Wien 1980, S. 270. Ebenda. Siehe dazu auch den Beitrag von Markus Böggemann im vorliegenden Band (S. 149–158). „Analytiker meiner Musik müssen sich darüber klar werden, wieviel ich persönlich Mozart verdanke. Die Leute, die mich ungläubig angesehen und gedacht haben, ich mache einen schlechten Witz, werden jetzt begreifen, warum ich mich selbst einen ‚Schüler Mozarts‘ genannt habe, und müssen jetzt meine Gründe verstehen. Das wird ihnen nicht dazu verhelfen, meine Musik zu schätzen, sondern Mozart zu verstehen.“ Arnold Schönberg, Brahms, der Fortschrittliche, in: ders., Stil und Gedanke. Aufsätze zur Musik, hrsg. von Ivan Vojtĕch (= Gesammelte Schriften 1), Frankfurt am Main 1976, S. 49. Dazu ausführlich Matthias Schmidt, Schönberg und Mozart. Aspekte einer Rezeptionsgeschichte (= Publikationen der Internationalen Schönberg-Gesellschaft 5), Wien 2004, insbes. S. 25ff.
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Siegfried Oechsle
schichtlichen „Lehrmeister“7 durch kompositorische Lehrinhalte charakterisiert, einen radikalen und wenig differenzierten Eklektizismus verrät. Statt bei der aktuellen Arbeit an dem Thema „Schönberg und Mozart“ in hermeneutischer Tradition den Akzent auf historische Kontinuitäten und zeitlich übergreifende Analogien zu legen, wären deshalb auch Brüche, Mißverständnisse oder andere erhellende Dysfunktionalisierungen herauszuarbeiten.8 Die Eigenart der Musik Mozarts jedenfalls könnte dadurch in klarerem Licht erscheinen. II Schönbergs Aufzählung dessen, was er von Mozart gelernt hat, läßt sich auf drei Aspekte zentrieren: 1) thematisch-motivische Heterogenität9, 2) syntaktische Irregularität und 3) Gewinnung sekundärer Formzonen (Ein- und Überleitungen, Nebengedanken). Am stärksten in Schönbergs Mozart-Rezeption ist fraglos jene „Interpretationslinie“ ausgeprägt, die „Elemente des Irregulären und Asymmetrischen in Mozarts Werk hervorhebt“10. Als satztechnische Ursache derartiger Bildungen nennt Schönberg die „Dehnung eines Abschnitts durch Binnenwiederholungen oder Verkürzungen und Verdichtungen“11. An anderer Stelle ist von „Einschaltungen“12 die Rede, und davon, daß die Extension regulärer Gebilde gelegentlich „durch den Gebrauch von entfernten Motivformen verursacht [wird], deren Befestigung mehr als eine einzige Wiederholung erfordert“13.
Die Bemerkungen zur Entstehung irregulärer Phrasenlängen reflektieren selten formzeitliche Zusammenhänge. Wenn Schönberg Beispiele aus Mozartwerken anführt, vermitteln sie meist das Interesse an der Identifizierung musikalischer Phra7 8
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Arnold Schönberg, Nationale Musik, in: ders., Stil und Gedanke (Anm. 5), S. 253. Dazu Rudolf Stephan: „Schönberg und Mozart zusammen ergeben nun einmal keine Mozartsche Harmonie.“ (Überlegungen zum Thema „Schönberg und Mozart“, in: Wolfgang Gratzer/Siegfried Mauser [Hg.], Mozart in der Musik des 20. Jahrhunderts. Formen ästhetischer und kompositionstechnischer Rezeption [= Schriften zur musikalischen Hermeneutik 2], Laaber 1992, S. 105). „Mozarts einzigartiges Vermögen, heterogene Elemente auf engstem Raum zu verknüpfen“. Arnold Schönberg, J. S. Bach, in: ders., Stil und Gedanke (Anm. 5), S. 450. Schmidt, Schönberg und Mozart (Anm. 6), S. 17. Zwar liegt es nahe, im Hinblick auf die Frage nach Form bildenden Qualitäten des Mozartschen Satzbaus die unter 3) genannten Stichworte zu untersuchen, denn in diesem Zusammenhang fallen die Worte Kunst und Formung („die Kunst der Nebengedankenformung“ [Schönberg, Nationale Musik (Anm. 7), S. 253]). Doch ist das veröffentlichte Material dazu wenig ergiebig. Schönberg hat in Mozart-Ausgaben seiner Notenbibliothek zwar analytische Eintragungen wie „extension“ oder „second idea“ vorgenommen (Schmidt, Schönberg und Mozart [Anm. 6], S. 15ff., 193 und die Notenbeispiele auf S. 102). Die Notenbände müßten indes noch weiter ausgewertet werden. Schönberg, Brahms, der Forschrittliche (Anm. 5), S. 45. In der Kompositionslehre heißt es dazu: „Es ist charakteristisch für Mozarts ‚barocke‘ Technik, Unregelmäßigkeiten in der Phrasierung durch gelegentliche Einschiebung von Wiederholungen kleiner Segmente, Reste einer vorhergehenden Phrase, herzustellen.“ (Arnold Schönberg, Die Grundlagen der musikalischen Komposition, ins Deutsche übertragen von Rudolf Kolisch, hrsg. von Rudolf Stephan, Wien 1979, Textband, S. 33). Ebenda S. 33. Ebenda. Arnold Schönberg, Schulung des Ohrs durch Komponieren, in: ders., Stil und Gedanke (Anm. 5), S. 101.
Von Schönberg zu Mozart
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sen und „Gedanken“ an sich, kaum aber an einer genaueren Betrachtung metrischharmonischer oder gar formfunktionaler Ambivalenzen. Bei der Charakterisierung des „Lehrmeisters“ Beethoven spielen formspezifische Momente hingegen eine ungleich größere Rolle. Für die „Kunst der Entwicklung der Themen und Sätze“ sowie „die Kunst der Variation und der Variierung“ ist dies offensichtlich. Weil bei Beethoven offenbar die diskreten motivischen Gebilde stets in einem individuellen Ableitungszusammenhang verankert sind, bedeutet die „Mannigfaltigkeit des Aufbaus großer Sätze“ auch keine Gefährdung der Form und sichert so die Kunst, je nach „Sachlage“ entweder „unbedenklich lang“ oder „herzlos kurz zu schreiben“15. Die idealtypische Polarisierung von Mozart und Beethoven gehört zu den zentralen historiographischen Stereotypen seit dem 19. Jahrhundert. Darin steht Beethoven für einen zeitlich-prozessualen und Mozart für einen räumlich-tektonischen Formbegriff. Zwar ließe sich die Unterscheidung prozessual versus tektonisch durch eine breite Linie der Rezeptionsgeschichte der „Wiener Klassik“ unterstreichen.16 Nicht wenige Äußerungen Schönbergs zu Mozart bringen jedoch schon auch die Kategorien des Logischen, des Organischen und des Dramatischen ins Spiel. Die darin enthaltenen Momente von Prozessualität scheinen die starre Antithese aufzuweichen.17 III Detaillierte Darstellungen von Schönbergs Musiktheorie liegen u. a. durch die Arbeiten von Matthias Schmidt18 und Andreas Jacob19 vor. Deshalb mögen knappe Hinweise zur Frage nach dem Verständnis von musikalischer Prozessualität genügen (wobei in für Schönberg typischer Weise kaum einmal exakt zwischen ästhetischen Forderungen und historischen Hypothesen zu trennen ist). Was die Kategorie des Organischen anbetrifft, so verzichtet Schönberg zwar nicht auf dieses Erbstück des späten 18. Jahrhunderts. Er nimmt sie jedoch hauptsächlich in Anspruch, 15 16
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18 19
Arnold Schönberg, Nationale Musik (Anm. 7), S. 253. Stellvertretend und in leicht abgemilderter Entgegensetzung Clemens Kühn, Formenlehre der Musik, Kassel etc. 1987, S. 74: „Kunstvolle Gruppierung musikalischer Gedanken, gestützt von der Harmonik, überwiegt bei ihm [sc. Mozart], nicht zwingende Ableitung und Entwicklung aus mitunter unscheinbarsten motivischen Zellen: Das ist Haydns Errungenschaft, an die Beethoven anknüpft.“ Die Kategorie des Prosaischen sei an dieser Stelle ausgeklammert, denn sie führt zu weit ab von Mozarts Satzbau. Siehe dazu Hermann Danuser, Vers- oder Prosaprinzip? Mozarts Streichquartett in d-Moll (KV 421) in der Deutung Jérôme-Joseph de Momignys und Arnold Schönbergs, in: Musiktheorie 7/3 (1992), S. 245–263. – Nachdem Schönberg die Kategorien des Dramatischen und des Prosaischen bei der Betrachtung Mozarts in seinem Brahms-Vortrag eingeführt hat, relativiert er beide Begriffe. Die „unregelmäßige und asymmetrische Konstruktion“ sei kein „absolutes und unentrinnbares Resultat dramatischen Komponierens“, und „große Fortschritte im Hinblick auf die musikalische Prosa“ habe Wagner gemacht, obwohl er „selten die Zwei-plus-zwei-Takt-Konstruktion aufgegeben“ habe: „Große Kunst muß zu Präzision und Kürze fortschreiten. […] Das sollte musikalische Prosa sein – eine direkte und unumwundene Darstellung von Gedanken ohne jegliches Flickwerk, ohne bloßes Beiwerk und leere Wiederholungen“ (Schönberg, Brahms, der Fortschrittliche [Anm. 5], S. 49). Schmidt, Schönberg und Mozart (Anm. 6). Andreas Jacob, Grundbegriffe der Musiktheorie Arnold Schönbergs, 2 Bde. (= Folkwang Studien 1), Hildesheim 2005.
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um die Gegenseite des Unorganischen im Sinne eines bloß zufälligen Nebeneinanders einzelner Teile abzuwehren.20 In der Kompositionslehre spricht Schönberg von einer „Organisation von verständlichen musikalischen Gedanken“, die „logisch gegliedert“21 sein müssen. Die Vorstellung einer morphogenetischen und zielgerichteten Entwicklung eines thematisch-motivischen Keims zu einem organischen Ganzen spielt in seinem musikalischen Denken indes eine untergeordnete Rolle. Mit dem Aspekt des Organischen verbinden sich vielmehr Momente wie Stimmigkeit, Balance und Gliederung.22 Während Beethoven den Inbegriff einer kausal- und teleologischen Entwicklung musikalischer Motive darstellt, dominiert in Schönbergs Aneignung der Musik Mozarts hingegen ein Formverständnis, das auf die stimmige Konfiguration von Verhältnissen ausgerichtet ist und Form mehr als Relations- denn als Funktionsgefüge auffaßt. Auf der Grundlage motivischer „Gedanken“ entsteht demnach ein gleichsam vektoriell aufgespanntes Beziehungsgefüge. Form vollzieht sich so primär als Ausschreiten eines Kreises, als Auseinanderlegung einer Substanz. Zeit ist in diesem Formbegriff eine Größe, die aus der Notwendigkeit der Darstellung von Zusammenhang entsteht; sie bildet aber keine essentielle, nicht mehr hintergehbare Qualität der thematisch-motivischen Stoffe selbst: „Mozarts Kunst erfüllt in der Entwicklung der Musik die Aufgabe, einen Gedanken in allen seinen tiefsten und reichsten Konsequenzen so darzustellen, dass alle die Einzelheit[en], die sich aus ihm ergeben an einer vielgestaltigen Oberfläche sichtbar werden: sozusagen auf eine Ebene projiciert. Seine Methode besteht darin, in den Teilen das Gemeinsame, das Zusammenhangbildende soweit zu verschleiern oder soweit zu enthüllen, dass die Unregelmäßigkeit ihrer Formen zwar merkbar, aber nicht verwirrend wirkt.“23
Zwar taucht hier der Begriff der „Konsequenz“ auf. Die Folgeprodukte entsteigen jedoch gewissermaßen dem Medium Zeit und versammeln sich zu räumlicher Anordnung. Um es paradoxal auszudrücken: „Zusammenhang“ ist letztlich a priori gegeben. „Entwicklung“ produziert nicht Phrasen oder Motive, die als feste Stellen in einer irreversiblen Kausalkette definiert wären. Entwicklung besitzt vielmehr den Status eines Instrumentes, dessen sich der Komponist bedient, um ein Spiel von Verschleierung und Enthüllung zu betreiben. Zeit scheint der Didaktik der Formveranstaltung zu entspringen.
20 21 22 23
Siehe dazu die Charakterisierung des Themas aus dem Andante der VI. Symphonie Mahlers, in: Arnold Schönberg, Gustav Mahler, in: ders., Stil und Gedanke (Anm. 5), S. 16f. Schönberg, Grundlagen der musikalischen Komposition (Anm. 11), S. 117. Zu Schönbergs Verständnis musikalischer Logik siehe Jacob, Grundbegriffe (Anm. 19), Bd. 1, S. 174ff. Schmidt, Schönberg und Mozart (Anm. 6), S. 201ff. Arnold Schönberg, Jede blinde Henne …, Aphorismen auf einem Manuskript datiert mit „1930/31??“ (Arnold Schönberg Center, Wien [T 03.42]).
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IV Von diesem Punkt der Überlegungen aus ließen sich unterschiedliche Wege in der Frage skizzieren, wie mit Schönbergs ‚Mozart-Erzählung‘ im Hinblick auf die Analyse Mozartscher Musik umzugehen wäre. 1. Die von Schönberg einberufene ‚heroische Versammlung‘ und ihr kompositionsgeschichtliches Programm, das zumindest dem engeren Wortsinn nach ein „master narrative“ genannt werden könnte und das auch sein Verständnis von Mozarts kompositorischer Formung beschreibt, wird hermeneutisch beansprucht und dient über alle satzgeschichtlichen Brüche und Systemgrenzen hinweg als ein ausgezeichneter Zugang zur aktuellen Mozart-Analyse. Dies begegnet bei Matthias Schmidt, wenn etwa im Hinblick auf die Klaviersonate a-Moll, KV 333, konstatiert wird: „Mozarts Themen setzen mit dem Ausgangsmaterial auch gleich die folgende Entwicklung mit, die eben nicht das logisch-diskursiv gewonnene Ergebnis eines Prozesses ist, sondern immer nur Variante eines gleichsam holistisch als Ganzes gesetzten.“24
Wenn von da aus wiederum Schönberg-Werke entsprechend charakterisiert werden (und damit das in ihnen gesucht wird, was Schönberg möglicherweise im Blick hatte, als er sich im Interesse der Selbstlegitimierung auf Mozart berief25), dann entsteht eine Art exegetischer „double-bind“-Situation. So reizvoll sie mitunter sein mag, läuft sie doch Gefahr, einen bereits im Ansatz gesetzten methodischen Zirkel als einen hermeneutischen erscheinen zu lassen. 2. Schönbergs Mozart-Erzählung wird auf den Aspekt der musikalischen Syntax zentriert und an Mozartschen Modellen geprüft. Im Vordergrund steht dabei die Frage, ob die Rede von der primär ‚tektonischen‘ Beschaffenheit dieser Musik ihre prozessualen Qualitäten angemessen beschreibt. Den dafür günstigsten Ansatzpunkt bieten fraglos die metrischen Asymmetrien im Satzbau Mozarts. Ob sie indes die ‚Autonomie‘ der „Glieder“ oder „Phrasen“ anzeigen, worin sich ihre Distanz zu Ebenen von Entwicklung, Diskursivität und prozessualer Unumkehrbarkeit bekundet, oder ob umgekehrt die metrischen Befunde auch das Resultat prozessualer Abweichungen von Normen und Konventionen darstellen – dies scheint freilich keineswegs ausgemacht. Nicht hätte es dabei in erster Instanz um eine Entscheidung für oder wider die Reduktionsmethode zu gehen und damit auch nicht um die „Entwicklung von Kriterien“, „durch die sich reduzierbare Irregularitäten von nicht reduzierbaren begründet abgrenzen lassen“26. Statt jedoch zwischen „selbständigen“ und „unselbständigen“ 3-, 5- oder 7-Taktgruppen zu unterscheiden, wäre besser 24
25 26
Schmidt, Schönberg und Mozart (Anm. 6), S. 260. Die Passage, der dieses Zitat entnommen ist, findet sich auch in: ders., „Der ungelöste Rest als Differenz“. Zu Schönbergs kompositorischer Mozart-Rezeption, in: Archiv für Musikwissenschaft 56/3 (1999), S. 176. Vgl. dazu das Zitat in Anm. 5. Carl Dahlhaus, Über Symmetrie und Asymmetrie in Mozarts Instrumentalwerken, in: Neue Zeitschrift für Musik 124 (1963), S. 208 (Rez. von: Günther Massenkeil, Untersuchungen zum Problem der Symmetrie in der Instrumentalmusik W. A. Mozarts, Wiesbaden 1962).
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nach Möglichkeiten zu suchen, Abweichungen von der symmetrischen Syntax in den Zusammenhang formbildender Strategien zu stellen. Im folgenden wird hauptsächlich diese Fragestellung an einem prominenten Fallbeispiel zu prüfen sein. V Legt man mit Wilhelm Seidel den Begriff der „Temporalstruktur“27 für die Musik der „Wiener Klassik“ auseinander in die Ebene des Taktmetrums (der bloßen gleichförmigen Taktfolge), der taktrhythmischen Ordnung (des quadratischen Satzbaus) und der konkreten rhythmisch-melodischen Bewegung, dann stellt sich die Frage, welche der beiden ‚Hintergrundstrukturen‘ zur Bestimmung asymmetrischer melodischer Gebilde herangezogen wird. Hält man, wie in Thrasybulos Georgiades’ Mozart-Analyse, einen „leere[n] Takt“28 als „konstruktive[n] Hintergrund“ gegen den „sinnliche[n] Vordergrund“29 aus melodisch-rhythmischen Gestalten, dann wird die Ebene des kadenzmetrischen Satzbaus weitgehend vernachlässigt. Man gewinnt eine Abfolge von „weder kausal noch final zu begründenden, sondern stets frei einsetzenden eigenwilligen festen Gestalten“30.
Die Autonomie der einzelnen „Glieder“ wird mit fast schon künstlerisch zu nennenden sprachlichen Mitteln veranschaulicht: „Nichts Kontinuierliches, jedes Glied ist in sich kompakt, einheitlich, für sich hermetisch geschlossen, ein fester Körper, den anderen heterogen; die Aufeinanderfolge ruckweise, für sich unbegreiflich“31.
Georgiades’ Charakterisierung des Mozartschen Satzes und seiner „Diskontinuität“ weist eine unübersehbare Nähe zu Schönbergs Deutung auf. Carl Dahlhaus bestimmt demgegenüber asymmetrische Bildungen als Verschiebung zwischen einem hintergründigen Takt, dem jedoch selbst schon immer eine harmonischrhythmische Grundstruktur eingeschrieben ist, und dem melodischen Geschehen, das seine eigene harmonisch-metrische „Gewichtsabstufung“ aufweist.32 Beide Sichtweisen in der Erklärung von metrischen Asymmetrien divergieren prinzipiell. Der Bezug der konkreten melodisch-motivischen Formulierungen auf die Ebene des abstrakten „leeren“ Taktes läßt keine Verschränkungen, Dehnungen und Kontraktionen zu. Asymmetrien entstehen als absolute Ereignisse und sind deshalb auch nicht ableitbar. Dahlhaus negiert indes den „leeren Takt“ in Georgiades’ Ar27 28 29 30 31 32
Wilhelm Seidel, Art. Rhythmus, Metrum, Takt, in: Ludwig Finscher (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Zweite, neubearbeitete Ausgabe, Sachteil Bd. 8, Kassel etc. 1998, Sp. 290, passim. Vgl. Thrasybulos Georgiades, Aus der Musiksprache des Mozart-Theaters, zit. nach: ders., Kleine Schriften (= Münchner Veröffentlichungen zur Musikgeschichte 26), Tutzing 1977, S. 19. Ebenda S. 29. Ebenda S. 17. Ebenda S. 17f. Carl Dahlhaus, Musikalische Prosa, in: ders., Schönberg und andere. Gesammelte Aufsätze zur Neuen Musik, Mainz etc. 1978, S. 134–145, insbesondere S. 141f.
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gumentation und betont zu Recht, daß mit diesem Konstrukt ein unvereinbarer Gegensatz zwischen einer je schon präexistenten und dadurch quasi metaphysischen Größe und dem „Funktionszusammenhang […] des Tonsatzes“33 entsteht. Der Takt „an sich“ bleibt unhörbar, während die Bezugsebene des kadenzmetrischen Satzbaus auch den Takt als Resultat von „Wechselwirkungen zwischen harmonischen, metrischen und rhythmischen Merkmalen“34 begreift. Die Frage nach der Bezugsebene in der syntaktischen Bewertung melodischmotivischer Größen ist letztlich eine nach dem Verhältnis von Prozeß und Struktur. Dabei mag die Feststellung, daß Wandel nur vor dem Hintergrund fester, invarianter Gegebenheiten wahrnehmbar sei, noch als trivial gelten. Schwieriger wird es, wenn zur Bestimmung musikalischer Prozessualität zu klären verlangt wird, welche Strukturen Musik voraussetzt, wenn sie wiederum eigene als deren Verzeitlichung erzeugt, und was dabei unumkehrbar zu heißen verdient. Zur Veranschaulichung der Probleme mag das Divertimento KV 247 (die Erste Lodronische Nachtmusik) von 1776 dienen.
Beispiel 1: Wolfgang Amadeus Mozart, Divertimento KV 247, 1. Satz, T. 1–16 (1. Violine).
Zunächst hat Günther Massenkeil eine Gliederung des knapp 16-taktigen Themas in 2+2+4½+3+4 Takte vorgeschlagen.35 Eine derartige ‚Sektion‘ schneidet den Melodieverlauf gewissermaßen bis auf den „leeren Takt“ durch. Dahlhaus geht in seiner Kritik dieser Betrachtungsweise dagegen von einem „Widerspruch zwischen Motivschwerpunkt und Taktschwerpunkt“ im maßgeblichen neunten Takt aus. Der Eindruck des Irregulären in diesem Takt entstehe, weil hier zwei Dreitaktgruppen
33
34 35
Carl Dahlhaus, Zum Taktbegriff der Wiener Klassik, in: Carl Dahlhaus. Gesammelte Schriften in 10 Bänden, hrsg. von Hermann Danuser, Bd. 3, Laaber 2001, S. 751 und 763 (zuerst in: Archiv für Musikwissenschaft 45 [1988], S. 1–15). Ebenda S. 759. Massenkeil, Untersuchungen (Anm. 26), S. 134.
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zusammenstoßen. Die Gruppe Takt 7–9 sei unreduzierbar, da ihr harmonisches Fundament von einer Kadenz gebildet werde. Die Gruppe Takt 9–12 sei dagegen „keine originäre, sondern eine abgeleitete, durch Motivwiederholung entstandene 3-Takt-Gruppe. Die reduzierbare 3-Takt-Gruppe 9–12 vermittelt zwischen der unreduzierbaren 3-Takt-Gruppe 7–9 und der 4-Takt-Gruppe 12–16“36.
Während es in Takt 9 den Anschein habe, als fehle ein halber Takt, sei in Takt 12 „die Differenz wieder aufgehoben: die fünf Achtel, die in Takt 9 das Taktgefühl verwirren, bilden in Takt 12 unmißverständlich einen langen oder überlangen Auftakt“37.
Daß Takt 9 eine Art Krisis des Themas darstellt, bleibt zwar unbestritten. Hinzuweisen wäre jedoch darauf, daß Takt 9 nicht nur metrisch, sondern auch rhythmisch-diastematisch dem Eröffnungstakt 1 korrespondiert, dessen erste Hälfte in der Unteroktav wörtlich wiederkehrt. Wenn für den späteren Takt der Eindruck gilt, daß die fünf Achtel vorgezogen seien, daß mithin „ein halber Takt zu fehlen“38 scheint, dann muß dies auch für den ersten behauptet werden. Trotz der gleichen rhythmischen Grundstruktur wird jedoch die Achtelgruppe in Takt 9 eindeutiger als ‚langer‘ 5/8-Auftakt wahrgenommen, während die Dinge in Takt 1 komplizierter liegen. Um den ersten Takt syntaktisch zu dekonstruieren, muß seine initiale Stellung mitbedacht werden. Hält man ihn gegen die typische Eröffnungsformel nach dem Modell eines „Vorhangs“, dann wird das Moment der Kontraktion deutlich, das diesem Anfang innewohnt.
Beispiel 2: Takte 1–4 mit „Vorhang“ (Zeile 1), dto. melodisch profiliert (Zeile 2) und in Mozarts Fassung (Zeile 3).
36 37 38
Dahlhaus, Über Symmetrie und Asymmetrie (Anm. 26), S. 213. Ebenda. Ebenda.
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Auf den Vorhangsgestus weist in Mozarts Formulierung nur noch die erste Viertelnote. Nach diesem scheinbar voraussetzungslosen Ereignis wird die weitere Themenaufstellung rhythmisch-metrisch aufgeladen. Dies baut ein Potential auf, das den gesamten weiteren Satzverlauf prägt. Durch die Achtelpause rückt der zweite Ton zwar auf eine Auftaktposition, die freilich noch nicht in den Vordergrund des Geschehens tritt. Der dynamische Wechsel von forte zu piano verstärkt indes die Zäsur. Indem die dritte Viertelnote einen langen Vorschlag erhält, entsteht eine 5/8-Folge. Der Vorschlag gibt jedoch noch den Blick frei auf die in Beispiel 2 angedeutete Formel aus drei eröffnenden Viertelschlägen.39 Genau genommen liegen zwei Anfänge in einem 2/4-Takt vor: der erste ‚absolute‘ des Akkord-Initiums, und der zweite mit dem Achtelauftakt. Ihr Verbund läßt sich als Resultat einer Kontraktion der beiden Formeln verstehen. Nicht erst in Takt 9 wäre demnach das Fehlen eines halben Taktes zu konstatieren, sondern bereits in Takt 1. Wie der weitere Fortgang des Themas zeigt, markiert diese rhythmischmetrische Naht eine produktive Krisis der Erfindung. Im viertaktigen Nachsatz Takt 5–8 scheint sich das syntaktische Profil zu normalisieren. Die auftaktige Setzung der Eins wird dargestellt, um dann diese Zählzeit sukzessive in eine kontinuierliche Achtelbewegung einfließen zu lassen (wobei der Unterschied zwischen stakkiertem und legiertem Achtel in den Takten 7 und 8 zeigt, wie hoch der Feinheitsgrad in der syntaktischen Themenzeichnung ist). In Takt 9 restituiert sich jedoch die intrikate Anlage von Takt 1. Ihre Struktur wird indes weiterentwickelt. Der tonikale Akkord auf der ersten Zählzeit bildet nun zugleich das metrisch ‚überständige‘ Ende der ersten und das Initium der zweiten Achttaktgruppe. Nicht nur diese Ambivalenz verstärkt die ‚Kerbe‘ zwischen ihm und der nachfolgenden 5/8-Gruppe, sondern auch deren Kohärenz mittels forteEinsatz und klopftöniger Formel. Sie wirkt ungleich deutlicher als Neuansatz denn die analoge Prägung in Takt 1. Dieses Moment gelangt in Takt 10/11 noch markanter in den Vordergrund des Satzes. Mit der fallenden Terz c’’–a’ und ihrer Wiederholung in der Oberoktav – der Vorgang wirkt wie ein Ausrufezeichen – wird der metrische Schwerpunkt auf den jeweiligen Hochton c’’ bzw. c’’’ vorgezogen. Das sanktioniert den Eindruck des vorgezogenen Beginns in Takt 9, und ein unbelesenes, partiturloses Hören muß den 5/8-Auftakt als 1/8-Auftakt der zweiten Themenhälfte wahrnehmen. Bestätigt wird dies durch die dreimalige Folge des chromatisch modifizierten Klopfmotivs in Takt 12b–15. Erst hier gerät die zweite Achttaktgruppe in einen homogenen Taktgruppenrhythmus aus sequenzierten eintaktigen Einheiten. Nicht nur kann so die zuvor gestaute melodische Bewegung abfließen. Auch der Impuls des Motivs aus Quartsprung und klopfenden Repetitionen, die gut eine typische Spielfuge initiieren könnten, vermag seine ‚linearen‘ Anlagen zu entfalten. Daß es bei der Kontraktion und damit bei der faktischen Vorverlagerung des Taktstriches nicht bleibt, besorgen die Synkopen im melodischen Ab39
Wie nicht selten bei Mozart besitzt der Vorschlag die Funktion eines Notabene-Zeichens.
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stieg in Takt 15. Sie entziehen dem Hören die zuvor etablierte metrische Orientierung und kehren zur ursprünglichen 4/4-Ordnung zurück. In welchem Maße der syntaktische Strukturvorrat des Satz- und Themenbeginns den weiteren Formverlauf prägt, kann hier nur angedeutet werden. Zunächst scheinen mit der Eröffnung des Seitensatzes (T. 26ff.) die Verschiebung von Takt- und Motivschwerpunkten und die daraus erwachsenden syntaktischen Doppeldeutigkeiten der Vergangenheit des Satzes anzugehören. Doch bereits die Schlußgruppe setzt mit dem 5/8-Auftakt des Hauptthemennachsatzes ein (T. 56ff.), um in den letzten Takten der Exposition ihr Spiel mit der Verwischung und Verlagerung metrisch-harmonischer Zäsuren zu treiben (Notenbeispiel 3). Im Hinblick auf die Wiederholung der Exposition liefert sie so dem Hauptthema vom Satzbeginn nachträglich die ‚Vorgeschichte‘, die seinem ersten Erscheinen als strukturelle Information innewohnte.
Beispiel 3: Wolfgang Amadeus Mozart, Divertimento, KV 247, 1. Satz, Schluß der Exposition T. 70–78 (1. Violine).
Die Dekonstruktion des Satzanfangs mit Hilfe des historischen Initialmodells „Vorhang“, das genau genommen einen Anfang vor dem Anfang beschreibt, gewinnt durch den Blick auf den Beginn des Mittelteils der Gesamtform weiter an Plausibilität. Hier begegnet ein einzelner vorangestellter Takt, der taktgruppenmetrisch einen nahezu externen Status besitzt und weder retro- noch prospektiv schlüssig integrierbar ist (T. 79, Notenbeispiel 4). Ihm folgt ein sechstaktiges Gebilde, dessen irreguläre Struktur die erneute Vorziehung des 5/8-Initiums mit seinen markanten Tonwiederholungen aufweist (T. 80–85). Nun unterbleibt jedoch die Wiederholung des rufartigen Terzfalls. Die Dehnung zur Dreitaktgruppe wird dadurch deutlicher markiert, da der melodische Fluß stockt. Die unmittelbar sich anschließende Sequenzierung bestätigt den metrisch verschobenen ‚Absatz‘, indem sie die sechstaktige Gruppe (T. 80–85) bestätigt. Sie erfährt nun jedoch eine Extension um 10 Takte, deren letzter Takt mit dem ersten der Reprise verschnitten ist (T. 101ff.). Weil diese Dehnung genau von jener Passage ihren Ausgang nimmt, die auf die Dreitaktgruppe Takt 9–12 des Hauptthemas zurückgeht, kann die Entwicklung des Mittelteils auf die im Thema erzeugte syntaktische Instabilität bezogen werden. Metaphorisch formuliert: Syntaktische Abweichungen von der „Quadratur“ geben den Blick frei auf formbildende Kräfte. Oder vorsichtiger gesagt: Sie machen dem Hören Angebote, formlogische Kausalverbindungen zu knüpfen.
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Beispiel 4: Wolfgang Amadeus Mozart, Divertimento KV 247, 1. Satz, T. 79–87 (1. Violine).
Es bleibt Aufgabe der Coda, eine gleichsam entschärfte Fassung des Hauptthemas zu bringen. Das Konfliktpotential, das zu Beginn des Mittelteils genutzt wird und das genetisch auf den allerersten Takt zurückgeht, fehlt nun. Die Coda besteht aus einem achttaktigen ‚Konzentrat‘ des Hauptthemas, das den vorgezogenen Einsatz des Nachsatzes und damit das Phänomen des 5/8-Auftaktes nicht mehr kennt (siehe Notenbeispiel 5). Nun wirkt die Wiederholung der eintaktigen Fixierung des Hochtons c’’ bzw. c’’’ nur noch als retardierendes Moment und dient nicht mehr der Umsetzung eines Normenkonfliktes zu entwickelnden Konsequenzen. Die Notwendigkeit des Bremseffektes rührt allerdings erneut vom Nachsatz mit seinem 5/8-Kopf her (T. 179 mit Auftakt). Während nämlich die ersten beiden Zweitaktgruppen (T. 175–178) als Schlußglieder mit der Folge T–D–T fungieren, hebt der auftaktig initiierte Nachsatz mit einem Kettenglied T–D an. Dessen öffnender Impuls wird jedoch durch den im Oktavsprung erreichten Terzfall abgeriegelt. Es entsteht eine achsensymmetrische Anlage: | T – D | T | T | D – T | (T. 179–182). Wie eine Form in der Form steht die Coda, die mit dieser Themengestalt identisch ist, am Ende da – als markiere sie eine eigene Ebene, wie sie durch Begriffe wie Kommentar oder Epilog angezeigt werden könnten.
Beispiel 5: Wolfgang Amadeus Mozart, Divertimento KV 247, 1. Satz, T. 175–182 (1. Violine).
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VI Wenn Dahlhaus die Codafassung des Themas als dessen „ ‚Originalgestalt‘ “ bezeichnet, kann das zum Anlaß für die Frage nach der Rekonstruierbarkeit kausaler, formzeitlicher Zusammenhänge genommen werden. Abgesehen von der Abwehr des wenig ergiebigen Gedankens, die Zeit liefe in KV 247 rückwärts, scheinen die relativierenden Anführungszeichen auch die Unterscheidung zwischen analytischer und formimmanenter Ableitung zu signalisieren. Die musiktheoretische Perspektive geht von Normen aus, so daß hier die reguläre Gestalt als Original gelten kann. Was aber bedeutet es für das musikalische Konzept von Form, wenn dieses ‚Original‘ am Ende des Ganzen steht? Sind Ziel und Ausgang doch auf einer ‚hinter‘ oder ‚über‘ den phänomenalen Ereignissen liegenden Ebene vertauschbar? Welchen Status besäße dann Zeit in einem derartigen Formkonzept? Statt jedoch zu Fragen nach dem ‚Wesen‘ von Zeit abzuschweifen, wäre besser zu versuchen, das oben bereits angesprochene Verhältnis von Struktur und Prozeß näher zu beleuchten. Soll der in Rede stehende tektonische Formbegriff Mozarts einer Kritik unterzogen werden, dann reicht der flaue Hinweis, die Musik verlaufe ja „in der Zeit“ und sei deshalb „nicht wirklich“ ein räumliches Gefüge, nicht aus, um ihr bereits prozessuale Eigenschaften zu bescheinigen. Prozesse stellen bekanntlich zeitlich irreversible Verkettungen von Ereignissen her. Sichtbar wird dies nur vor dem Hintergrund dauerhafter Strukturen. Woraus aber bestehen Strukturen? Es kann sich nicht allein um Elemente eines Prozesses (einer prozessualen Form, eines Systems) und um deren Beziehungen handeln, denn als Ereignisse sind sie ohne Dauer und müssen immer wieder reproduziert werden. Strukturlose Formen etwa kann es zwar nicht geben. Dennoch sind Struktur und Form nicht identisch. Formen können sich erhalten, auch wenn sich ihre Strukturen ändern. Selbst wenn es als banal erscheint: Das Verhältnis von Struktur und Form ist nicht mit dem von Teil und Ganzem identisch. Strukturen besitzen vielmehr eine doppelte Identität. Zum einen werden sie im Formprozeß hervorgebracht. Zum anderen können sie als das verstanden werden, was sich in und durch die Wiederholung von Identischem in unterschiedlichen Kontexten erhält. Strukturen sind demnach Kondensate, die sich niederschlagen an Ebenen von Abstraktion. Auch der kadenzmetrische Satz ist ein ‚System‘ von Strukturen, das sich durch die im weitesten Sinne musikkulturell zu nennenden Diskurse der Generalisierung (Normenbildung) und der Aktualisierung (in einzelnen Formen/Werken) erhält. Bislang scheint außer der Erkenntnis, daß Mozart bereits im ersten Takt von KV 247 auf musikalische Strukturen zugreift, noch wenig gewonnen. Ob deren Verzeitlichung ein Prozeß genannt zu werden verdient, hängt wesentlich vom Gesichtspunkt der Irreversibilität ab. Der Frage kann man sich über die Zeitlichkeit des Bezugssystems nähern. Wird dies nur durch den „leeren Takt“ gebildet, dann läßt sich davon nicht mehr in Anspruch nehmen als das, was Henri Bergson „temps espace“ genannt hat und was im Prinzip mit Lage- und Längenangaben auf dem Zeitstrahl der Physik identisch ist. Vor diesem neutralen Hintergrund bewegen sich
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die musikalischen Motive oder Melodieteile entweder mehr oder weniger zufällig oder wie Bühnenfiguren nach einem Regieplan, dessen Herkunft und Inhalt durch die Vorstellung einer nichtmusikalischen Instanz konstruiert werden müssen. Beide Möglichkeiten haben offenbar auch Schönberg vorgeschwebt. Einerseits sah er sich versucht, asymmetrische Themenphrasen bei Mozart „einem barocken Formgefühl zuzuordnen, das heißt einem Verlangen, ungleiche, wenn nicht gänzlich verschiedene Elemente zu einer formalen Einheit zusammenzufügen“40.
Andererseits und mehr noch leitete er syntaktische Irregularitäten von musikdramatischen Notwendigkeiten her, von der „Anpassung der Musik an jeglichen Wechsel der Stimmung oder der Handlung“41. Insbesondere in diesem Erklärungsmodell läßt sich Folgerichtigkeit kaum ausschließlich musikalisch begründen. Zwar ist im Vergleich zur bloßen Taktfolge die Temporalstruktur des kadenzmetrischen Satzes höher aggregiert. Immerhin können öffnende oder schließende syntaktische Glieder nicht frei verschoben werden. Doch damit bleibt Folgerichtigkeit kaum mehr als ein lokales Phänomen, begrenzt auf knappe Formdistanzen. Abweichungen von der quadratischen Syntax erzeugen lokale Spannungszustände, die jedoch erlöschen, wenn die melodisch-motivischen Aktivitäten sich wieder mit dem Raster der „Quadratur“ decken. Und die progredierende Verkürzung metrischharmonischer Einheiten kann zwar beschleunigende Wirkung zeitigen.42 Das Verfahren erreicht aber nicht die teleologische Bestimmtheit motivisch-thematischer Arbeit im engeren Sinne. Mozarts Instrumentalmusik aktualisiert in ihrem konkreten Formverlauf jedoch nicht nur den Strukturvorrat des kadenzmetrischen Satzes. Aufgegriffen werden auch satztechnische Muster und Stereotypen, die eine ihnen musikhistorisch zugewachsene Semantik transportieren können. Deren temporale Qualitäten versorgen den Formverlauf mit zeitlich gerichteten Impulsen. Im Verein mit motivischer Variantenbildung (diese Ebene wurde bislang bewußt wenig bemüht, weil die Gefahr besteht, genuin nichtmotivischen Stoff wie Spielformeln zu Trägern von Prozessen zu ‚formatieren‘) können musikalische Ereignissequenzen entstehen, in denen der Übergang von einer Operation zur anderen eine derart hohe Anschlußdichte aufweist, daß sich Satzverläufe als unumkehrbare Prozesse darstellen. Ein letzter Blick auf den Hauptsatz des ersten Allegro von KV 247 mag dies verdeutlichen. Die Strukturen, die dem Beginn als dessen Voraussetzung dienen, lassen sich als Erwartungsstrukturen verstehen. Der erste Akkordschlag rekurriert darauf, indem er die Konvention signalhafter, im weitesten Sinne symphonischer Eröffnungsgesten aufruft. Der Auftritt der sanglichen Figur nach einem halben Takt bricht die Vorhangsgeste ab. Durch die Wiederholung ab Takt 3 verliert auch der Tonikaschlag auf der Eins seinen Rang als initiale ‚Singularität‘. Daß er damit nicht restlos 40 Schönberg, Brahms, der Fortschrittliche (Anm. 5), S. 46. 41 Ebenda. 42 Siehe Kühn, Formenlehre (Anm. 16), S. 72 ff. (zum Kopfsatz
der Klaviersonate F-Dur, KV 332).
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der Vergangenheit angehört, wird sich in Takt 9 zeigen. Der Akt begrenzt aber auch die Ausbreitung der sanglichen Linie zugunsten metrischer und harmonischer Gliederung. Einzig die Versetzung der wellenförmigen Linie in die Unterterz stiftet minimale melodische Varianz. Mit dem fünften Takt ereignet sich ein für Prozesse entscheidendes Geschehen. Das neue T–D-Glied aktualisiert Momente vergangener Ereignisse. Vom Beginn des ersten Taktes stammt der Tonika-Akkord auf der ersten Zählzeit, von der sanglichen Phrase der Auftakt und die fallende Sekund. Das sind zwar nur Details. Doch sie repräsentieren die für Prozesse wesentliche Tätigkeit der fortlaufenden Selektion, durch die nicht nur entschieden wird, was gemacht wird, sondern auch, auf welche vergangenen Ereignisse dabei zurückgegriffen wird. Der Ausbau der Viertaktgruppe in Takt 5–9 kombiniert die Einrichtung eines Kadenzgliedes mit der Auflösung des Vorhergehenden in Achtelfiguration. Figurative Liquidierung und metrisch-harmonische Schließung sind Ereignisse, die in der Herstellung von zeitlicher Ordnung genau diesen Abschnitt des Themas auszeichnen und nicht sinnvoll an andere Orte verschoben werden können.
Beispiel 6: Wolfgang Amadeus Mozart, Divertimento KV 247, 1. Satz, T. 1–25 (1. Violine).
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Die Schließung des Vordersatzes mit der Verlangsamung des harmonischen Tempos43 bewirkt die Verlängerung der Gruppe auf Dreitaktformat. Während im Moment des metrischen ‚Überstandes‘ die externe Stellung des Akkords vom Satzanfang reproduziert wird, kassiert das Verfahren der Takterstickung (|9| = |1|) dies sofort wieder ein. Mit dem Rückgriff auf den allerersten Anfang entsteht indes der 5/8-Auftakt. Diese Erfindung mit dem Merkmalen Unisono, Quartsprung und Tonrepetitionen stellt ein typisches Initialmotiv dar, das – anders als der „Vorhang“ – ein völlig immanenter Teil des Formgeschehens ist. So fangen liedhafte Gebilde an, doch die Prägung könnte auch einen populären Typus fugaler Themenköpfe repräsentieren. Zugleich bindet der Achtelpuls des Motivs sowohl die Begleitung der Violen von Takt 1ff. als auch die Fortspinnungsketten im Vordersatz ins weitere Geschehen ein. Gegen den Neuansatz des 5/8-Kopfes wirkt das aus der Unteroktav angesprungene Terzfallmotiv wie ein Zwischenruf.44 Seine oktavversetzte Wiederholung unterstreicht die Zäsurierung. Die syntaktische Spannung zwischen expansivem Nachsatzkopf und retardierendem Terzfall einerseits und der semantische Kontrast zwischen Aufbruchsignal und Einhalt gebietendem Ruf gehören zusammen wie die beiden Seiten einer Medaille. Die Abfolge ist nicht sinnvoll umkehrbar; zumindest stiftet sie an dieser Stelle ein Moment prozessualer Folgerichtigkeit. Aus der Extension des Themas zum Hauptsatz ragen noch zwei Ereignisse heraus, die wenigstens knapp zu nennen wären. Da sticht zum einen das lautstarke melodische Kreisen der Takte 20ff. hervor, die den dynamischen Höhepunkt des Formabschnitts markieren. Dieses Moment von Befestigung geht aber ins überleitende Spiel mit dem Leitton über (b versus h). Einhalt und Dominantfixierung gebietet eine Figur, die erneut eine ‚starke‘ Semantik aufweist: ein von den Hörnern ‚pedalisiertes‘ Streichersignal, das eindeutig als Schlußfanfare auszumachen ist (T. 23f.). Auch diese Aktion bezeichnet einen form- und diskurslogisch irreversiblen Vorgang. Die den Hauptsatz (T. 1–25) bestreitenden Formereignisse könnten auch als eine Handlungssequenz aufgefaßt werden: Akt I (Vordersatz Thema): Vorhang/Startsignal, Kantilene, Synthesemotiv, figurative Liquidierung zu harmonischem Schluß. Akt II (Nachsatz Thema): Neuanfang mit ‚Fugato‘/Unisono-Motiv, Zwischenruf, Regulierung 1: Sequenzmodell, Regulierung 2: Synkopen als metrische ‚Ausgleichszone‘. Akt III (Fortspinnung, Überleitung): lärmende und kreisende Findung und Feier der Wechseldominante, Abriegelung durch Schlußfanfare. 43
44
An dieser Stelle erfolgt der erste Einsatz der Subdominante im Thema überhaupt. Dies demonstriert eindrucksvoll deren elementare Fähigkeit, im System von T–D- bzw. D–T-Beziehungen zeitstrukturelle Umlenkungen oder Richtungsänderungen zu bewirken. Wolfram Steinbeck bezeichnet das Partikel als „Ruf- oder Winkmotiv“ (Duos, Trios und größere Besetzungen für Streicher und Bläser, in: Matthias Schmidt [Hg.], Das Mozart-Handbuch, Bd. 2: Mozarts Klavier- und Kammermusik, Laaber 2006, S. 308).
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Von Akten zu sprechen, zielt zwar auch auf die Ebene des Dramatischen. Als ‚Akteure‘ treten indes musikalische Strukturen auf, die auf Grund funktionaler (Kadenz, Fortspinnung), gattungsspezifischer (Cantabile, Thementypus Spielfuge) und zum Teil soziokulturell-semantischer Aspekte (Vorhang, Fanfare, Unisono) formzeitliche Informationen vermitteln können. Im Zusammenspiel mit dem System des kadenzmetrischen Satzes und mit Bewegungsmustern wie Fortspinnung und Sequenzierung werden diese Strukturen zu einer unumkehrbaren Folge von Ereignissen verzeitlicht, die den individuellen Formprozeß der Musik beschreibt. Daß Mozarts Instrumentalmusik meist nicht die Dichte und Kontinuität motivischer Ableitungen kennt, wie sie bei Haydn und dann vor allem bei Beethoven begegnen, verhindert demnach keineswegs die Ausprägung formlogischer Unumkehrbarkeit. Je deutlicher sich motivische Varianten als eine Kette von Entwicklungsstadien einund derselben ‚Substanz‘ präsentieren, wie dies meist bei Beethoven der Fall ist, desto mehr scheinen Motive einen ‚geschichtlichen‘ Prozeß auszubilden. Im dafür maßgeblichen Medium rhythmisch-diastematischer Strukturen prägt sich die Irreversibilität von Mozarts Formverläufen jedoch weit weniger aus. Das fördert fraglos die Tendenz, der Musik Zeitlosigkeit, Zwanglosigkeit und überhaupt räumlichtektonische Qualitäten zu attestieren. Was die motivisch-thematischen Substanzen nicht oder nur eingeschränkt leisten, nämlich durch Änderungen ‚an sich‘ Formzeit zu generieren, vermitteln sie durch ihren Bezug auf satzspezifische Erwartungsstrukturen und die darin enthaltenen Möglichkeiten, Zeitstellen der Form zu ordnen. Die Folge formbildender Ereignisse erhält ihre unumkehrbare Ordnung auch aus diesem im weitesten Sinne kommunikativ zu nennenden Referenzraum. Davon ‚hergebrachte‘ Strukturen werden im Formprozeß aktualisiert und modifiziert, um so wiederum anschlußfähige Strukturen zu bilden, in denen Zeit werkhaft ‚gespeichert‘ ist. Wenn am Ende die ‚Originalgestalt‘ des Themas erscheint, dann veranschaulicht dies auch die sinnstiftenden Prozessen wesentliche Eigenschaft der Reflexivität, die durch die Unterscheidung von Vorher und Nachher ‚herausgestellt‘ wird. Indem dies im nachhinein, vom Ende her, ins Werk gesetzt wird, sucht der Formprozeß jedoch nicht seinen Anfang auf, sondern zieht sich gewissermaßen auf sich selbst zurück: Formung bezieht sich nicht mehr in dem Sinne auf „Gedanken“ oder Motive, daß damit etwas Neues zu veranstalten sei. Vielmehr reflektiert die Coda Formung abschließend als Form. Selbst eine der unbeschwerten Unterhaltung gewidmete Komposition wie die Erste Lodronische Nachtmusik agiert auf einem Formniveau, das mit der Logik selbsttragender Prozesse zumindest ansatzweise beschrieben werden kann – auch wenn zuzugeben wäre, daß sich die dafür einschlägige Begrifflichkeit kaum immer mit der altbewährten, von neueren wissenschaftsgeschichtlichen Entwicklungen kaum berührten Analysesprache des Faches verträgt. Diese „Zeitlosigkeit“ indes kann sich methodisch auch als Substanzlastigkeit der Analyse niederschlagen. (Im Falle von Schönbergs Mozart-Verständnis wird diese Tendenz auch dadurch gefördert, daß dem Komponisten Schönberg formzeitliche Grundlagen abhanden gekommen sind, die Mozart noch zur Verfügung standen.) Mozarts Musik ist in ihrer scheinbar
Von Schönberg zu Mozart
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selbstverständlichen Komplexität freilich zu anspruchsvoll, um die Frage nach dem je Form gewordenen Verhältnis von Prozeß und Struktur aus den Augen zu verlieren: „Schließlich ist nichts als Musik zu hören, textlos und ohne irgendwie szenischvisualisierbare Aktion – reine Musik, die nicht selten, wie in unserem Beispiel, sogar deutlich länger als dreißig Minuten dauert.“45
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Steinbeck, Duos, Trios (Anm. 44) (zu KV 247 insgesamt).
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Schoenberg, Mozart, and the Viennese Spieltrieb Throughout music history it seems that a disproportionate number of composers have exhibited a personality trait that might be described as “the play-drive” – “der Spieltrieb” (to borrow Schiller’s terminology)1 – making gaming almost as central to the daily routine of their lives as compositional work. The play-drive was particularly prominent in the progenitors of the First and Second Viennese Schools: Mozart was an intensely passionate billiards player, bowler, and card player,2 and Schoenberg’s fondness for games and gaming has likewise been well documented.3 Given the aesthetic gulf that separates eighteenth-century Viennese classicism from early twentieth-century Viennese modernism, Schoenberg’s oft-cited remark that he was a “pupil of Mozart”4 is generally thought to refer to his vaguely Mozartian formal values and conception of the ways in which musical ideas are formulated and made comprehensible.5 I will argue that it is ultimately a more primal personality trait, the Viennese Spieltrieb, that most strongly binds Schoenberg to Mozart. To consider the compositional activity of Mozart and Schoenberg sub specie ludi – from the perspective of gaming – is more than a mere rhetorical move, or metaphorical play. I will argue that it is at the level of the Spieltrieb that Mozart can be understood as a harbinger of musical modernism (however unlikely his candidacy for that role may seem), and that elements of game-cultural and game-theoretical thinking lie at the very core of Schoenberg’s modernist project. I will begin by considering the role of the play-drive in the creative and personal lives of Mozart and Schoenberg, and conclude with an examination of the rela1 2 3
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5
Friedrich Schiller, On the Aesthetic Education of Man in a Series of Letters [Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen, 1794]. Translation by Reginald Snell, New York 1954. See Günther G. Bauer, Mozart: A Great Lover of Game [Mozart: Glück, Spiel, und Leidenschaft, 2002]. Translation by Raymond Flanagan, Bad Honnef 2006. Arnold Schönberg – Spiele, Konstruktionen, Bricolagen | Games, Constructions, Bricolages, hrsg. von Christian Meyer, Wien 2004; Arnold Schönbergs Schachzüge | Brilliant Moves: Dodekaphonie und Spiele-Konstruktionen. Bericht zum Symposium, 3.–5. Juni 2004 | Dodecaphony and Game Constructions. Report of the Symposium, 3–5 June 2004, hrsg. von Christian Meyer (Journal of the Arnold Schönberg Center 7), Wien 2006; Nuria Schoenberg Nono, The Role of the Extra-Musical Pursuits in Arnold Schoenberg’s Creative Life, in: Journal of the Arnold Schoenberg Institute 5/1 (June 1981), p. 47–54; Susan L. Sloan, Archival Exhibit: Schoenberg’s Dodecaphonic Devices, in: Journal of the Arnold Schoenberg Institute 12/2 (November 1989), p. 202–206. “People who looked unbelievingly at me, thinking I made a poor joke will now understand why I called myself a ‘pupil of Mozart’, must now understand my reasons. This will not help them to appreciate my music, but to understand Mozart.” Schoenberg first made this remark in a radio presentation for the Brahms centenary of 1933, and later (1947, rev. 1950) published in translation as Brahms the Progressive, in: idem, Style and Idea, edited by Leonard Stein with translations by Leo Black, Berkeley 1975, p. 414. See for example Martha Hyde, Neo-Classic and Anachronistic Impulses in Twentieth-Century Music, in: Music Theory Spectrum 18 (1996), p. 200–235; idem, Musical Form and the Development of Schoenberg’s Twelve-Tone Method, in: Journal of Music Theory 29/1 (Spring, 1985), p. 85–143.
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tionship between composition and gaming more generally, adopting the theoretical framework set forth in Homo Ludens, Johan Huizinga’s field-defining study of play and gaming culture.6 Huizinga notes that “music, the wig, the grace of rococo and the charm of the salon are all an essential part of the playfulness which nobody will deny the eighteenth century, and for which we are often tempted to envy it.”7
Focusing on the widespread passion for gaming in eighteenth-century Austria, Günther Bauer has described Mozart’s gaming habits in a series of published papers which culminated in the publication of his recent monograph on the topic.8 We have ample evidence of “Mozart’s obsession with play, and his lifelong involvement in games of all sorts”, Bauer writes, noting that some have suggested that Mozart was “a foolhardy, incorrigible, and even addicted player of games”9. He describes Mozart as a “Homo semper ludens”10, who was “essentially always at play with the things about him, with musical and literary ideas, with the people in his company, and with the games that were within his reach”11. Mozart clearly found Vienna congenial – “the best place in the world”12 – not only because it suited his career needs, but because it was a hub of social gaming. The coffeehouses of late eighteenth-century Vienna were frequented not by the flâneurs and intellectuals who had appropriated them by the early twentieth century, but by players of board games, card games and billiards. While Mozart clearly enjoyed gaming for its own sake, he undoubtedly also understood its social importance. The social imperative of gaming is summarized in a contemporary Viennese account: “Today playing is almost everywhere looked upon as an element of savoir-vivre, and has become such a necessary social accomplishment that in our enlightened times it is hardly possible to enjoy the reputation of being a pleasant society person if one is completely inexperienced in the art of playing. This in particular appears to be one of the most indispensable prerequisites of a person who desires to make himself popular in the world [...] Men or women of the world must be adept not in one, but in many, games.”13 6 7 8 9 10 11
12 13
Johan Huizinga, Homo Ludens: A Study of the Play-Element in Culture. [Homo Ludens: Vom Ursprung der Kultur im Spiel, 1944] Trans. by R. F. C. Hull, Boston 1950. Ibid. p. 157. Bauer, Mozart: A Great Lover of Games (fn. 2). Ibid. p. 164. Ibid. p. 12. Ibid. p. 187. The composer’s sister-in-law Sophie writes: “His hands and feet were always in motion, he was always playing with something; e.g., his hat, pockets, watch-fob, tables, chairs, as if they were a clavier” (cited in: Otto Erich Deutsch, Mozart: A Documentary Biography, Stanford 1966, p. 515f.). The Letters of Mozart and His Family, edited and translated by Emily Anderson, New York 31985, p. 720– 721 (Letter to Leopold Mozart dated April 4, 1781). Der beliebte Weltmensch, welcher lehret die üblichsten Arten der Spiele in kurzer Zeit nach den Regeln und der Kunst von sich selbst zu begreiffen, und in allen Gesellschaften als Meister aufzutretten. [The Popular Man of the World who Teaches how One can Learn for Oneself, in a Short Time, the Rules and Skills of the most Common Kinds of Card
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We know that Mozart was a passionate billiards player who had an excellent table in his home.14 In the Age of Enlightenment, billiards was considered an exercise in mathematics and geometry, and Mozart adored and excelled in all three. According to the architectural historian Sulpiz Boisserée, one of Mozart’s favourite billiards companions,15 “he played for high stakes, whole nights long, and whenever a famous billiardplayer arrived in Vienna, it was of more interest to him than the arrival of a famous musician”16.
From both Constanza’s diaries and those of his friends Vincent and Mary Novello we know also that “he was very fond of billiards, but he composed while he played, and if he also conversed with his friends, he was always at work in his mind”17. Georg Nissen, Mozart’s first biographer (and the widowed Constanza’s second husband), confirms that while writing La Clemenza di Tito, the composer “went almost daily with his friends to a coffeehouse not far removed from where he lived in order to divert himself at billiards [...]. [There he would] quietly hum a tune to himself while he was playing, taking a book out of his pocket to write down his ideas when it was his partner’s turn.”18
Mozart’s closest billiards companions would thus have heard many of his bestloved operatic melodies long before they were first heard in rehearsal. The popular game of skittles (ten-pin bowling) was another of Mozart’s gaming passions. The Austrian Biedermeier novelist Karoline Pichler recalled seeing Mozart engaged in composition during a game of skittles in Prague in 1786. “When it was his turn”, she wrote, “he stood up, took his go at the skittles, and as soon as he had finished he resumed his compositional work without being disturbed by the chatter and laughter of those around him”19.
Mozart is thought to have written one of his most charming chamber works during a game of skittles. Tradition has it that the Trio for piano, clarinet and viola, K. 498
14 15 16
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Games and make his appearance as a Master Therein in any Society Whatsoever], Wien 1795, p. 1 (cited in: Bauer, Mozart: A Great Lover of Games [fn. 2], p. 146). Otto Erich Deutsch, Mozart: Die Dokumente seines Lebens, Kassel 1961, p. 496–500. Michael Kelly, the Irish tenor, was another. See Michael Kelly, Reminiscences of Michael Kelly of the King’s Theatre and Theatre Royal Drury Lane, 1826, New York 1968, p. 123. Sulpiz Boisserée, Tagebücher, hrsg. von Hans-Joseph Weit, Darmstadt 1862. Translated in: Peter Pesic, The Child and the Daemon: Mozart and Deep Play, in: 19th-Century Music 25/2–3 (Autumn, 2001 – Spring, 2002), p. 91–107. A Mozart Pilgrimage: Being the Travel Diaries of Vincent & Mary Novello in the Year 1829. Edited by Rosemary Hughes, transcribed and compiled by Nerina Medici di Marignano, London 1955, p. 95. Georg Nikolaus Nissen, Biographie W. A. Mozarts. Nach Originalbriefen, Sammlungen alles über ihn Geschriebenen, mit vielen neuen Beylagen, Steindrücken, Musikblättern und einem Facsimile, Vierter Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1828, p. 559. Translated in: Bauer, Mozart: A Great Lover of Games (fn. 2), p. 161, 214. Schriftstellerinnen und Schwesterseelen: der Briefwechsel zwischen Therèse Huber (1764–1829) und Karoline Pichler (1769–1843), hrsg. von Brigitte Leuschner, Marburg 1995.
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(1786), was written during a game of skittles at the home of Gottfried von Jacquin (which housed a bowling alley). It therefore became popularly known as “the Kegelstatt ” (“Bowling Alley”) Trio. Mozart reports to his father that he spent many contented leisure hours at the Jacquin mansion in “discussions, games, and musicmaking”20. The Horn Duos, K. 487, composed about the same time as the Trio, are also known as the “Kegelduette,” since Mozart explicitly wrote “untern Kegelscheiben” (“written while bowling”) on the manuscript.
Figure 1: Eighteenth-century etchings of gaming activities (billiards and bowling) by Martin Engelbrecht (Kupferstichkabinett Dresden, c. 1740).
Later the same year Mozart penned a “musical dice game”, again as a domestic entertainment for the von Jacquin household. Although several so-called musical dice games were later fraudulently published under Mozart’s name,21 a signed autograph manuscript of his authentic Musikalische Würfelspiele is archived in the Bibliotèque Nationale de Paris, and listed in Köchel’s index as K. Anh. 294d/516f.22 According to the subtitle of Simrock’s 1792 edition, Mozart created this game “in order to show the amateur how to compose, without the least knowledge of music, by throwing a certain number with two dice”23. The rules of the game were rudimentary: the first two tosses of the dice refer the player to measures that are conceived in the tonic, while the third toss yields a measure in the dominant, etc. Mozart is indulging here in an eighteenth-century fad
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The Letters of Mozart and His Family (fn. 12). One of which was nonetheless designated as K. Anh. 294d/Anh. C 30.01 in the sixth Köchel edition of 1964. MS. 253, Malherbe collection, Bibliotèque Nationale. Wolfgang Amadeus Mozart, Musikalische Würfelspiele: mit zwei Würfeln zu componieren, so viel man will, ohne etwas von der Musik oder der Composition zu verstehen, Bonn 1792. See also Richard Shadinger, How to Compose Without the Least Knowledge of Music, by Throwing a Certain Number with Two Dice, in: American Music Teacher (October/November 2002).
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for compositional games of chance, a genre to which other contemporary contributors include Kirnberger, C. P. E. Bach, and Haydn.24 Card games were another of Mozart’s passions. During a typical evening of card playing, Mozart and his friends would play not one but many of “the usual [games],” including Piquet, Tresette, Tarot, Marriage, Brandeln, Schmieren, Halftwelve, Tarock, and Faro.25 References to card games are commonplace in the letters of the Mozart family. “May God receive us all into Heaven and invite us to a never-ending game of Brandeln,” Leopold Mozart quips at the end of a personal letter.26 In both his music and correspondence, Mozart often shows the typically Viennese predilection for engaging in semantically empty linguistic play, punning, riddling, ciphering and ludling.27 He seemed to be particularly amused by combinatorial and word-order play. In his letters to Nannerl, for example, Mozart would often reverse the letters in both his signature and salutation (writing “addio” as “oidda”), and one of the more notorious scatological passages in his letters takes the form of an acrostic on the word “Papa”28. The following transliteration of a passage from his correspondence captures the essence of Mozart’s verbal playfulness: “I cannot write anything sensible today, as I am rails off the quite. Papa be annoyed not must. I that just like today feel. I help it cannot. Warefell, I gish you nood wight. Sound sleepily. Next time I’ll sensible more writely.”29
To this category of play we might also add the oft-cited multilingual entry in his diary: “Wir habemus joués colle carte di Tarock”30, and the “Pa-pa-pa-papagena” duet from The Magic Flute.31 These and other eccentricities led neurologist Oliver Sacks to suggest that Mozart may have suffered from Tourette’s syndrome.32 24
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Stephen A. Hedges, Dice Music in the Eighteenth Century, in: Music & Letters 59/2 (April 1978), p. 180–187; Leonard Ratner, Ars Combinatoria: Chance and Choice in Eighteenth-Century Music, in: Studies in EighteenthCentury Music. A Tribute to Karl Geiringer on his Seventieth Birthday, edited by H. C. Robbins-Landon and Robert Chapman, New York 1970, p. 345–360; Sebastian Klotz, Kombinatorik und die Verbindungskünste der Zeichen in der Musik zwischen 1630 und 1780, Berlin 2006. Meiner tag ordnungen. Nannerl Mozarts Tagebuchblätter 1775–1783, hrsg. von Geneviève Geffray und Rudolf Angermüller, Bad Honnef 1998, p. 78 (translated in: Bauer, Mozart: A Great Lover of Games [fn. 2], p. 125). Anderson, The Letters of Mozart and His Family (fn. 12), p. 6 (letter from Leopold Mozart to his landlord Lorenz Hagenauer, dated October 16, 1762). Renate Bebermeyer, Mozarts Sprache, in: Sprachspiegel 47 (1991), p. 129–34; Kurt Aterman, Should Mozart Have Been Psychoanalysed? Some Comments on Mozart’s Language in His Letters, in: Dalhousie Review 73/2 (Summer 1993), p. 175–186; Wolfgang Meider, “Now I Sit Like a Rabbit in the Pepper”: Proverbial Language in the Letters of Wolfgang Amadeus Mozart, in: Journal of Folklore Research 40/1 (January–April 2003), p. 33– 70. Nannerl Mozarts Tagebuchblätter (fn. 25). The Letters of Mozart and His Family (fn. 12), p. 818. Nannerl Mozarts Tagebuchblätter (fn. 12), p. 88 (translated in: Bauer, Mozart, A Great Lover of Games [fn. 2], p. 117). Stuttering seems to have been of particular source of amusement for Mozart; the stuttering Don Basilio in Le nozze di Figaro is another example. Linguistic play and references to gaming are commonplace in Mozart’s operas. At the end of Act III of Idomeneo, the libretto refers to prophecy and oracle games. In the finale of Figaro the characters in the garden are fooled by a game of mask and shadow that re-
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Figure 2: Schönberg, Baden-Baden 1930 (Arnold Schönberg Center, Wien).
Let us now consider the role of gaming in the life, music and thought of Arnold Schoenberg. We know that racket sports were a virtual obsession for Schoenberg, and that his regular roster of Bel Air opponents included Groucho Marx, Charlie Chaplin and George Gershwin.33 Schoenberg’s eldest son reports that the mastery of tennis was one of his father’s constant preoccupations. He was even playing tennis when his son Ronald was born.34 If Schoenberg’s tennis partner Martin Bernstein is to be believed, Schoenberg was not a particularly highly-skilled player,35 but his penchant for systematic thinking is clearly evident in his approach to the game. “Keep him close to the net” was his favourite piece of strategic advice,36 and he designed a symbolic notation-system for graphically recording tennis matches for post-game analysis.37 Looking at images of Schoenberg at play, it seems hard to reconcile the composer of Erwartung, or the expressionistic portraits he had painted of himself twenty five years earlier, with this amiable figure who seems to have been quite sociable in congenial company on the tennis court. In-
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sembles the popular contemporary children’s games of hide-and-seek or “blindman’s bluff”. There is also a significant reference to the game of Lotto in Act II, scene 8 of Così fan tutte , where Fiordiligi asks Guglielmo whether he has scored “un ambo, o un terno?” Guglielmo replies with much enthusiasm: “Una cinquina!” in reference to a lucky Lotto score of all 5 numbers in a row. The very character of Don Giovanni may have been modeled on “Mozart’s friend” Giacomo Casanova, the most celebrated libertine, gamer and gambler of his time, who is thought to have contributed significantly to the final libretto. See Friedrich Georg Jünger, Casanova, Giacomo: Geschichte meines Lebens, Vol. VII. Berlin 1985, p. 7f. (Forward: “Spiel und Spieler”) (cited in: Bauer, Mozart: A Great Lover of Games [fn. 2], p. 132). Oliver Sacks, Tourette’s Syndrome and Creativity, in: British Medical Journal 305 (December 19–26, 1992), p. 1515–1516. A charming piece for piano solo entitled “Schoenberg versus Gershwin”, by Canadian composer Eldon Rathburn (Crystal Records CD 520, Mostly Railroad Music) musically evokes a tennis match between the famous pair. A frequently recounted anecdote involves a tennis match between Schoenberg and Gershwin. At the break, Gershwin allegedly asked him for some lessons in composition, but Schoenberg declined: “I would only make you a bad Schoenberg”, he explained, “and you’re such a good Gershwin already!” (Norman Lebrecht, The Book of Musical Anecdotes, New York 1985, p. 319). Walter H. Rubsamen, Schoenberg in America, in: The Musical Quarterly 37/4 (October 1951), p. 469– 489, here p. 474. Martin Bernstein, On the Genesis of Schoenberg’s Suite for School Orchestra, in: Journal of the Arnold Schoenberg Institute 11/2 (June 1981), p. 158–162. Pauline Alderman, Reminiscences: Arnold Schoenberg at USC, in: Journal of the Arnold Schoenberg Institute, 5/2 (November 1981), p. 208. Schoenberg Nono, The Role of the Extra-Musical Pursuits (fn. 3), p. 50f.
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deed Schoenberg seemed to be aware of the apparent contradiction. According to an anecdote, when asked by a Los Angeles reporter for permission to perform a recent piece, he replied, with mock horror: “But I have friends here who play tennis with me. What will they think of me when they hear such music?!” Nuria Schoenberg Nono has written about the role of games and other extramusical pursuits in her father’s creative life. “Games are as much a part of a man’s life as his clothes, his furniture or the music he loved,” she writes. “[But] a game could not be an escape or mere recreation for the mind of a man who had participated in the great cultural and artistic movements in Vienna at the turn of the century.”38 She describes how her father designed toys, decks of cards, and a game of “coalition chess”39. He also fashioned a pair of dice with the twelve pitch-classes of the chromatic-scale written on each of the faces, though it is not known whether these die were ever used for compositional purposes.40 Toward the end of his life, Schoenberg penned a fictional dialogue in which Napoleon engages in a game of Patience with General Chairmont, to whom he expresses regret about the strategic moves which led to his ultimate defeat on the battlefield.41 He even employed a gaming metaphor to express religious thought: “Our Lord is an extremely good chess player.”42 We have seen that the Viennese penchant for gaming can be traced back at least to the eighteenth century. But can we argue that Viennese musical style has long embodied gaming concepts? Schoenberg tells us explicitly that his methods were modeled largely on those of his great Viennese predecessors, Mozart and Brahms. We know that one aspect of Mozart’s classicism held particular interest for Schoenberg. Throughout his theoretical writings, Schoenberg shows an abiding interest in the perceptual and cognitive comprehensibility of musical ideas. He was particularly attentive to phrase-structural aspects of classical style, about which he wrote exten38 39
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Schoenberg Nono, The Role of the Extra-Musical Pursuits (fn. 3), p. 50f. Ibid. p. 47–54. In collaboration with Lawrence Schoenberg, Canadian computer scientist Michel Paquette has recently launched an online version of Schoenberg’s Coalition Chess at www.schoenbergchess.com. “[Among Schoenberg’s twelve-tone devices] is a curious pair of red dice on which Schoenberg wrote German pitch names, one on each of the twelve sides of the dice. But was the purpose of these dice compositional, or were they merely a game for his children?” Sloan, Schoenberg’s Dodecaphonic Devices (fn. 3), p. 204. Arnold Schoenberg, Napoleon Patience (Arnold Schönberg Center, Wien [T 31.19]), published in: Journal of the Arnold Schoenberg Institute 5/1 (June 1981), p. 55–57. Laurel Fay (Shostakovich: A Life, Oxford 1999, p. 121) describes how Dimitri Shostokovich was also an avid card player (of Patience, in particular), an ardent soccer fan, and a qualified referee. Anton Arensky was another Russian composer/gamer (Stravinsky was another, see footnote 77, below). He suffered from a debilitating gambling habit since adolescence, an addiction which may have precipitated his early death, in 1906, at the age of forty four (see The New Groves Dictionary of Music and Musicians, Second Edition, Article Arensky, Anton). Arnold Schoenberg, Brahms the Progressive (fn. 4), p. 429. It should be noted in this connection that this image of the gods engaged in gaming is one that has origins in Germanic mythology. Huizinga tells of “game played by the gods on a playing-board; when the world was ordained the gods assembled for dicing together, and when it is to be born again after its destruction the rejuvenated Ases will find the golden playing-boards they originally had.” (Huizinga, Homo Ludens [fn. 6], p. 57).
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sively in Fundamentals of Musical Composition and elsewhere.43 Perhaps the alternation, competition, and thematic statement-and-answer features of Viennese sonata form can be understood as a kind of playful rhetoric roughly corresponding to the toand-fro “parry and thrust” of a competitive sport such as tennis.44 Huizinga describes how “the juristic [and] sportsmanlike passion for indulging in argument and counterargument” gives rise to these playful dialogues.45 Classical phrase-structural dialogue can also be understood in somewhat friendlier terms. The complex interaction between the three unusual instrumental collaborators in the opening Andante of the Kegelstatt Trio, for example, has been described as follows: “Delicacy and intimacy are skillfully expressed in the questions and answers exchanged by the protagonists. The second motif, on the clarinet, is also similar to the first theme; there are no great conflicts, therefore. On the contrary, a dialogue is gradually built up, a series of confidences like those one shares with friends.”46
To press our analogy farther still: the “virtual reprise” of Schoenberg’s Fourth String Quartet – modeled as it was on the pseudo-reprise of Mozart’s Symphony in G Minor, K. 550 – might be understood as a kind of tennis feint in one direction, intended to disorient the listener (the other player, in our analogy), only to surprise him by triumphantly slamming home the overhead drive of the recapitulation in the moment that follows. Elements of Schoenberg’s play-drive are also evident in his reverence for Brahms, his other important Viennese model. Schoenberg draws particular attention to Brahms’ habit of endlessly working over short motives, a technique he calls “developing variation”47. For Schoenberg, it was Brahms’ playful treatment of melodic intervals – juggling them forward, backward, and upside down – that would serve as the logical substitute for the old relationships of tonality. This notion would ultimately become the precursor for Schoenberg’s twelve-tone technique, in which he often partitioned his rows into eminently variable Brahmsian units of four and six. Brahms himself described this aspect of his variation technique as “playing around” with the germinal motive. “The bass line, the firm footing on which I build my tales, is sacred”, he writes. “What I do with the melody is merely clever playing 43 44
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Arnold Schoenberg, Fundamentals of Musical Composition, edited by Gerald Strang and Leonard Stein, New York 1967. Though whether we should consider gaming play “musical” in this sense, or music “playful”, depends upon whether we regard musical instincts or the play-drive as more primal. See William Caplin, Classical Form: A Theory of Formal Functions for the Instrumental Music of Haydn, Mozart, and Beethoven, Oxford 1998. Consider also how the phrase-structural asymmetries that Schoenberg admired most are characteristic of the to-and-fro rhythmic dialogues of competitive sports such as tennis and ping pong. See Brahms the Progressive (fn. 4), p. 398–441. Huizinga, Homo Ludens (fn. 6), p. 77–78. French musicologist Jean Gallois is cited, without attribution, in “Mozart: Kegelstatt-Trio.” Classical Album Reviews, All Media Guide, 2006. See Arnold Schoenberg, New Music, Outmoded Music, Style and Idea (1946) and Brahms the Progressive (1947) in: idem, Style and Idea (fn. 3), p. 113–124 and 398–441. See also Walter Frisch, Brahms and the Principle of Developing Variation, Berkeley 1990.
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around [Spielerei].”48 Schoenberg also claimed that the prevalence of large leaping melodic intervals in his music is another stylistic mannerism borrowed from Brahms. Possibly originating in the alpine yodeling tradition, such large intervals are also commonplace in the waltzes of Johann Strauß, and in Austrian folk music generally. The energetic leap, which every animal enacts in its play, is arguably the most primal gesture of play. We have seen that Mozart showed a keen interest in combinatorial and order games, both in his music and in various forms of linguistic play. Schoenberg likewise shows this typically Viennese predilection for order gaming, not only in his music, but also in written and spoken language.49 Playing on an order variant of his own first name, for example, Schoenberg named his eldest son “Ronald”, inaugurating a family tradition that was adopted by Ronald Schoenberg in the naming of his own children: E. Randol, F. Roland, M. Lorand, and M. Raldon. And in his operatic masterpiece Moses und Aron, Schoenberg spells Aaron somewhat idiosyncratically with a single “A”, such that the opera’s title contained twelve letters, a subliminal reference to the twelve-tone row that he employs throughout the work. We might think of these as rudimentary examples of the kind linguistic ciphering that Allen Forte insists Schoenberg is employing with his recurrent use of the “signature” EsCHBEG set-class, derived from his last name.50 In his field-defining study of the cultural history of play, Johan Huizinga first coined the term Homo Ludens. From an anthropological standpoint, we might assert that there are at least four species-defining aspects of human behaviour that combine and culminate in the creation of works of art: the rationality of Homo Sapientia (“knowing man”), the constructivism of Homo Faber (“man the maker”), the linguistic prowess of Homo Lingua (“man the linguistic communicator”), and the playfulness of Homo Ludens (“man the player”). I will conclude with an enumeration of fourteen prominent elements of Huizinga’s definition of play, noting how each can be applied equally well to music generally, and to the music and thought of Mozart and Schoenberg in particular: Like music, play is rule-governed. It is characterized by sets of rules, freely accepted, that determine the constraints that are in force within the temporary world it circumscribes. Both music and play create order, worlds in which processes occur, relationships are established, and elements are regulated. Citing Valéry, Huizinga 48
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Johannes Brahms, Briefwechsel, Bd. 8, hrsg. von Max Kalbeck, Berlin, 1915, p. 217–18 (translated in Elaine R. Sisman, Brahms and the Variation Canon, in: Nineteenth-Century Music 14/2 [Autumn 1990], p. 134). In Haydn and the Classical Variation, Cambridge/Mass. 1993, p. 29, Elaine Sisman likewise describes how Haydn the Homo Ludens is most fully revealed in his variation technique. John Keats concurred: “Haydn is like a child, for there is no knowing what he will do next” (Walther Jackson Bate, John Keats, Cambridge/Mass. 1964, p. 677). Creative language play was something of a cultural norm in Schoenberg’s Vienna. It plays a significant role in the writings of Karl Kraus and Ludwig Wittgenstein, for example. EsCHBEG=Eb–C–H–Hb(=B)–E–G in German Tonhöhe notation. See Allen Forte, The Atonal Music of Anton Webern, New Haven 1999. Webern also employs the EsCHBEG motive, and Berg embeds a variety of ciphers in the Lyric Suite, Chamber Concerto, and Violin Concerto. See Richard Taruskin, Oxford History of Western Music, Oxford 2005, Chapter 52.
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writes: “No skepticism is possible where the rules of a game are concerned […] As soon as the rules are transgressed, the whole play-world collapses; the umpire’s whistle breaks the spell and sets ‘real’ life going again.”51 Consider the game of billiards. Like the music of Schoenberg and Mozart, it features seemingly infinite variety within strict sets of rules and codes of conduct. Marvelling at the rule-bounded freedom of the Mozart symphony, George Antheil goes so far as to compare it to an exhilarating baseball game.52 John Rahn likewise likens all compositional activity to gaming: “Music is definitely a game [...] To choose to be a composer is to play the composing game [...] The pleasure in the real-time working-out of its rules is the major pleasure of music. The sensuous effects do exist [...] but the sensuous effect of the material sound does not in itself constitute the music. Sound becomes music when it is perceived as arranged [...] Sound which is heard as music is a kind of games-room for the mind’s faculty of abstract organization [...] [Therein lies] the secret to music’s peculiarity and appeal.”53
The modernist/constructivist conception of music as a kind of “game” – a definable domain of action that unfolds in real-time with its own self-referential internal logic – owes much to Schoenberg. Indeed the working out of organizational principles in real-time is perhaps the central defining aesthetic preoccupation of musical modernism. With a tip of the hat to Schoenberg, post-tonal theorist Michel Philippot calls for a wholly game-theoretical account of the history of harmonic language. “One thing appears obvious from the history of music”, he writes. “The quantity of constraints (or rules) remains constant, while at the same time the nature of these constraints (or rules) changes according to the periods and musical style […] [In sum,] the coherence of a given musical system of any kind is proportional to the quantity of its constraints, but independent of their natures.”54
Huizinga may have been thinking of Schoenberg’s twelve-tone revolution when he wrote: “Music is the highest and purest expression of the facultas ludendi [...] Like play, it is based on the voluntary acceptance and strict application of a system of con-
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Huizinga, Homo Ludens (fn. 6), p. 11. “The ‘fun’ in a Mozart symphony is not entirely unlike that of a baseball game. In baseball all plays are severely within the rules [...] and to make certain that the rules are kept, umpires stand right on the field. The composers of [Mozart’s time] derived their main excitement, their spiritual exaltation, from the masterly way in which they could knock out home runs or move and skip about inside of these binding, limiting classic rules. Mozart’s mastery was so superb that his listeners experienced exactly the same sensation which a modern baseball audience might feel today should its home-town team be blind-folded and still win hands down against a super-excellent non-blindfolded visiting team!” (George Antheil, Bad Boy of Music, New York 1981, p. 100–103). John Rahn, Composing and the Sense of Self, in: Open Space Magazine 1 (Spring 1999), 48–49. Michel Philippot, Ear, Heart and Brain, in: Perspectives of New Music 14-2/15-1(Spring-Summer/FallWinter 1976), p. 45–60.
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ventional rules – time, tone, melody, harmony, etc. This is true even where all the rules with which we are familiar have been abandoned.”55
While Schoenberg scholars are sometimes repelled by the notion that his music might be understood as a kind of sonorous game,56 it is clear that the ludic notion of freedom within systematic rule-following was central for Schoenberg. Like music, play is other-worldly.57 It sustains a world of illusion and takes us out of ordinary life into a temporary sphere of activity with a disposition and logic all of its own. Gottfried Semper describes play as a manifestation of the same creative cosmogonic (world-creating) instinct through which the artist builds miniature worlds which mediate his contact with the outer world,58 an aspect of art and music that Nelson Goodman and John Covach have described as “worldmaking”59 or “worlding”60. The notion that music is a world in itself is one that resonates through nineteenth- and twentieth-century metaphysics and aesthetics, from Kant to Schiller, Schopenhauer, Hanslick, and Wittgenstein. Indeed it is precisely this aspect of musical modernism – its intense focus on creating “artificial worlds” (Schiller’s Schattenwelt)61 – that gave rise to the cultivation of a particular form of hubris, a kind of God-complex, among some of the composers in the generation that followed Schoenberg.62 One thinks here of Stockhausen and Babbitt, among others. Stephen Soderland writes: “The notion of possible worlds, possible geometries, and possible musics is a very conscious one for Babbitt [...] He created musical worlds which were always a complexity beyond daily reality [...] He also wrote about these worlds – and implied the existence of others – in words which were always a refreshing complexity beyond daily reality.”63
Like musical activity, play is gratifying in itself.64 It generally lies outside the sphere of necessity, material utility, wants and appetites. It is done for its own sake, and it can 55 56
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Huizinga, Homo Ludens (fn. 6), p. 187–188 (italics added). Alexander Ringer, for example, writes that “[Schoenberg] abhorred the very notion of music reduced to a sonorous game” (Arnold Schoenberg and the Prophetic Image in Music, in: Journal of the Arnold Schoenberg Institute, 1/1 [October 1976], p. 27). Huizinga, Homo Ludens (fn. 6), p. 26. Gottfried Semper, Style in the Technical and Tectonic Arts or Practical Aesthetics. [Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten, oder Praktische Aesthetik, Frankfurt 1860] Trans. by Harry Francis Mallgrave and Michael Robinson, Oxford 2004. Nelson Goodman, Ways of Worldmaking, Cambridge/Mass. 1978. John Covach, Schoenberg’s Turn to an ‘Other’ World, in: Music Theory Online 1/5 (September 1995). Schiller, On the Aesthetic Education of Man (fn. 1), Letter 4. See James K. Wright, The Autonomy of Musical Languages: Creating Worlds of Our Own Making, in: Schoenberg, Wittgenstein, and the Vienna Circle, Bern 2005, p. 113–119. Stephen Soderberg, Riemannian Variations on a Theme by Milton Babbitt, in: Perspectives of New Music, 35/2 (Summer 1997), p. 10. Huizinga, Homo Ludens (fn. 6), p. 7–10. Herbert Marcuse (Eros and Civilization: A Philosophical Inquiry into Freud, London 1955, p. 187, 195) likewise offers a Marxist perspective on the disinterestedness of play: “The play impulse does not aim at playing with something; rather it is the play of life itself, beyond want and external compulsion – the manifestation of an existence without fear and anxiety, and thus the ma-
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never be a task. It is voluntary and disinterested, and therefore tends to resists analysis and logical interpretation. As a concept, it cannot be reduced to any other mental or behavioral category.65 Inspired by Kant’s Critique of Judgment, Schiller asserts that the creation of works of art involves the Spieltrieb: a free play of the faculties without ulterior motive. For Schiller, an experience is aesthetic only insofar as it leaves reality – “raises itself bodily above necessity and neediness” – and is enjoyed without desire and without “asking after its purpose”66. In the twentieth century, the rallying cry “l’art pour l’art ” (“art for art’s sake”) became a watchword for the entire modernist project.67 Like music, play is often perceived as beautiful. Schiller tells us that play purges a certain grossness from sensuality and thereby discloses a new kind of beauty.68 Many of the words we use to denote its elements are common to the domain of music aesthetics: tension, poise, balance, contrast, variation, technique, virtuosity, dexterity, joy, instinct, rhythm, harmony, uncertainty, problem, solution, resolution. Lamenting the way in which “psychologists have attacked play directly with the quantitative methods of experimental science, without first paying attention to its profoundly aesthetic quality”69, Huizinga writes: “In play the beauty of the human body in motion reaches its zenith; in its more developed forms it is saturated with rhythm and harmony, the noblest gifts of aesthetic perception known to man”70.
Like musical activity, playful activity can be thought to carry us back to the preconceptual, pre-linguistic domain that is the province of early childhood.71 The play-mood is undoubtedly one of childlike rapture and enthusiasm, but it is not therefore necessarily frivolous.72 Most games – tennis or chess, for example – are played in profound seriousness; the players do not have the slightest inclination to laugh.73 Alfred Einstein insists that the intensely intelligent, creative, and sensitive Mozart turned to “childish” gaming behaviour in order to relax, to purge his mind of detritus,74 and to conceal his deeper self.75 Such an explanation of this singular
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nifestation of freedom itself […] Play is unproductive and useless because it cancels the repressive and exploitive traits of labour and leisure; it ‘just plays’ with reality.” Huizinga, Homo Ludens (fn. 6), p. 3. Schiller, On the Aesthetic Education of Man (fn. 1), Letter 2. The expression has been attributed to both Théophile Gauthier and Edgar Allan Poe, who uses it in his essay The Poetic Principle, in: The Works of the Late Edgar Allan Poe, Vol. III, 1850, p. 1–20. See also Alan Gillmor, Erik Satie and the Concept of the Avant-Garde, in: Musical Quarterly 69/1 (Winter 1983), p. 104–119; Margarete Reimann, Musik und Spiel, in: Archiv für Musikwissenschaft, 24/4 (1967), p. 225–236. Schiller, The Aesthetic Education of Man (fn. 1). See also Peter Pesic, The Child and the Daemon (fn. 16). Ibid. p. 2. Huizinga, Homo Ludens (fn. 6), p. 7. Ibid. p. 26. Though Huizinga (Homo Ludens [fn. 6], p. 21) notes that “frivolity and ecstasy are the twin poles between which play moves”. See Victor Turner, The Human Seriousness of Play, New York 1982. This seems to be a commonly-held view of the psychological role of gaming. For example: “Stravinsky was particularly fond of poker and would play solitaire during breaks from composing. The game was a
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aspect of Mozart’s character may be wholly wrong-minded. Huizinga’s account of the play-drive offers a more positive and fully integrated view of the kind of childish playfulness we witness in Mozart. “Really to play”, Huizinga writes, “a man must play like a child”76. “[To the extent that] art becomes adolescent, self-conscious of its own grace, it loses something of its eternal child-like innocence.”77
Mozart’s childlike behavior, Schoenberg’s fascination with the world of the child, and the heightened play-drive that we observe in both, seems to suggest that they understood childlike playfulness as a kind of fons et origo from which their creative energies could be fueled and rejuvenated. In Baudelaire’s memorable phrase: “Genius is nothing more nor less than childhood recovered at will.”78 Like play, music involves an element of the irrational.79 Huizinga points out that art, “like everything else that transcends the bounds of logical and deliberative judgment [...] moves in the play sphere [...] not to say a lower sphere, for it may well be that art, so playing, can soar to heights of insight beyond the reach of reason”80. Much recent music criticism has been characterized by a new esteem for the irrational. “[Music has an] ability to express, project, or evoke a good deal besides a commitment to its own logic”,
writes Rose Subotnik. “The rational substratum of musical knowledge rests finally on some act, choice, or principle which is not itself rationally demonstrable.”81 Citing Schopenhauer’s remarks on the ineffable in music, Schoenberg concurs: “ ‘The composer reveals the inmost essence of the world and utters the most profound wisdom in a language which his reason does not understand, just as a magnetic somnambulist gives disclosures about things which he has no idea of when awake’—even he loses himself later when he tries to translate details of this language which the reason does not understand into our terms.”82
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pleasant occupation that required little brain power, during which the musical part of him could let the current composition stew a little” (David Mead, program notes, Austin Symphony Orchestra, October 21, 2006). Alfred Einstein, Mozart: His Character, His Work, translated by Arthur Rendel and Nathan Broder, Oxford 1945. For other accounts of the “myth of the eternal child”, see Maynard Solomon, Mozart: A Life, New York 1996, p. 12–18; Peter Kivy, Child Mozart as an Aesthetic Symbol, in: Journal of the History of Ideas 28/2 (April – June 1967), p. 249–258; Peter Pesic, The Child and the Daemon (fn. 16). Pesic cites contemporary accounts by Jean Baptiste-Antoine Suard (“Mozart was all his life a sort of child”) and Adolph von Schlichtegroll (“Apart from his music he was almost always a child, and thus he remained”). Huizinga, Homo Ludens (fn. 6), p. 174, 199. Ibid. p. 202. Charles Baudelaire, The Point of Modern Life and Other Essays, London 1995, p. 8. Huizinga, Homo Ludens (fn. 6), p. 4. Ibid. p. 129. Ibid. p. 114–16. Arthur Schopenhauer, The World as Will and Representation, Vol. I, translated by E. F. J. Payne, New York 1966, p. 260. Cited in: Arnold Schoenberg, The Relationship to the Text, in: Style and Idea (fn. 4), p. 141–42.
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Like music, play casts a spell over us. It enchants, transports, captivates and engages us. Indeed it is difficult to think of anything else when we are fully engaged in the activity of listening to music or playing a game. Herein undoubtedly lies at least a partial explanation for the therapeutic value of both music and play. Like music, play takes place in specially-designated spaces: in arenas, pool halls, wrestling rings, and bowling alleys, on card tables, rugby turfs, tennis courts, hopscotch grids, chess boards, and playgrounds. In essence, the concept of the play-space is formally indistinguishable from that of the concert hall.83 These spaces are dedicated to the performance of an act apart, where special rules and customs obtain. The play-spaces within which games and music are played are circumscribed both spatially and temporally. Like play, music is generally performed within specified time constraints; it plays itself to an end.84 Like much of Western music, play is often characterized by quasi-erotic movement. Its rhythms, repetitions, alternations, successions, and associations are generally accompanied by feelings of exaltation, ecstasy, intensity, and tension followed by satisfaction, satiation, and relaxation, on a number of hierarchical levels. Susan McClary, Lawrence Kramer and others have insisted that it is precisely these elements in the canon of Western music that render it sexually exploitive and misogynistic.85 I would argue that, at perhaps a more fundamental level, these elements reflect the play instincts that underlie Western music, instincts that can manifest themselves in aggressive (but benign) play and gaming, as well as in sexual behavior. Like much Western music, play is formally ritualistic.86 Here we think in particular of twentieth-century composers such as Stravinsky, John Tavener, and Olivier Messiaen, for whom music was often consciously conceived in hieratic, quasiliturgical forms. Like music, games, once played, are culturally permanent. They endure as new-found creations of the mind and assume a fixed form as cultural phenomena that can be repeated at any time. Like music, play is often cultic. It tends to promote the formation of social groups which stress their superiority and difference from the common world. Mozart’s Masonic membership, and Schoenberg’s establishment of the Society for Private
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(Emphasis added by Schoenberg.). See also my own comments on Schoenberg and the irrational in: Wright, Schoenberg, Wittgenstein, and the Vienna Circle (fn. 62), p. 97–102. Huizinga, Homo Ludens, (fn. 6), p. 10, 20. See Jonathan D. Kramer, The Time of Music, New York 1988. McClary offers a sexist and misogynistic interpretation of sonata form: “The point of recapitulation in the first movement of the [Beethoven] Ninth is one of the most horrifying moments in music, as the carefully prepared cadence is frustrated, damming up energy which finally explodes in the throttling murderous rage of a rapist, incapable of attaining release.” (Minnesota Composers’ Forum Newsletter, January 1987). See also Susan McClary, Feminine Endings: Music, Gender, & Sexuality. Minneapolis 22002, and Lawrence Kramer, Classical Music and Postmodern Knowledge, Berkeley 1995. Huizinga, Homo Ludens (fn. 6), p. 19, 41, 129.
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Musical Performances,87 show evidence of their interest in quasi-cultic elite societies, a trait that can be associated with the Spieltrieb. Like music, play is performed. It lives only in an atmosphere of performance in a way that the plastic arts do not.88 As if to emphasize this connection, the manipulation of musical instruments is called “playing”, and the infinitive “to play” is employed to refer to musical performance in disparate linguistic traditions.89 In play, gaming, and music, the prominence of the performance element has often led to an emphasis on virtuosity. Mozart’s published variations, for example, have often been described as attempts to notate extempore virtuoso performances. Huizinga reminds us that for most of its history, non-sacred music has been regarded as divertissement: “What was admired most about it was its virtuosity. It was only quite late that music was appreciated and openly acknowledged as the source of some of our deepest personal experiences [...] For a long time its function was purely social and ludic, and though the technical ability of the executant was greatly admired, the musicians themselves were looked down upon and their art was ranked among the menial occupations. Aristotle called them low people, and vagrants they remained – on a par with jugglers, tumblers, mummers, etc., almost up to our own time.”90
Like the progress of music, that of play – gambling play in particular – often involves the pleasures of expectation, tension, arousal, surprise, uncertainty, and triumph against all odds over adversity. Mozart was an inveterate gambler,91 and when Huizinga writes about the gambling element of play, he could equally well be describing the spirit underlying so much of Mozart’s music: “Like all forms of gambling, play is a struggle with fate limited by certain rules [...] Pure avarice neither trades nor plays; it does not gamble. To dare, to take risks, to bear uncertainty, to endure tension – these are in the essence of the play spirit.”92
Perhaps herein lies a solution to the seeming contradiction between the seriousness of purpose of Schoenberg the atonal expressionist, and the playfulness of Schoenberg the Homo Ludens. Expressionist aesthetics often portray life as a series of reactions to unpredictable events, a kind of game played on the individual by unseen agents. The prototypical expressionist protagonist is caught up in a machine which manipulates his fate, indifferent to notions of good and evil. In Die Glückliche Hand 87 88 89 90 91 92
Bryan Simms, The Society for Private Musical Performances: Resources and Documents, in: Journal of the Arnold Schoenberg Institute 3/2 (October, 1979), p. 127–149. Huizinga, Homo Ludens (fn. 6), p. 167. German, English, French, Japanese, Modern Greek, Russian, and Turkish, to name a few. See Huizinga, Homo Ludens (fn. 6), p. 28–45 (Chapter II: “The Play-Concept as Expressed in Language”). Ibid. p. 162f. Bauer, Mozart: A Great Lover of Games (fn. 2), describes and documents Mozart’s gambling habits in great detail. Huizinga, Homo Ludens (fn. 6), p. 41, 51.
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or Pierrot Lunaire, for example, fate itself is the omnipresent opponent. While various hands are played strategically along the way, the rules of the game are tragically unclear, if they exist at all, and the hero is left to taste the bitterness of defeat from a hand that is dealt to him with indifference. The theme of the game archetype, and that of the archetypal game-hero’s journey to self-knowledge, have underpinned the Western fine arts since at least Homer’s Odyssey. When we consider the number of prominent examples of twentieth-century music inspired by gaming – Debussy’s Jeux, Satie’s Sports et divertissements, Hauer’s Twelve-tone Games, Prokofiev’s The Gambler, Hindemith’s Ludus tonalis, Cage’s Chess Pieces, Stravinsky’s Jeux de Cartes and Agon, Orff’s Carmina Burana, Kurtág’s Games for piano solo (Játékok), Xenakis Duell and Stratégie, Bartóks Game of Paris (Concerto for Orchestra, 2nd movement), and Lutosławski’s Venetian Games, to name only a few – it becomes clear that the allure and metaphor of the game has been a particularly compelling theme for composers of the last century. With the quest for meaning that followed the Nietzschean “death of God” and “transvaluation of values”, this theme seemed to take on new resonance and urgency in the twentieth century. It could be argued that the glorification of sport in capitalist consumer societies – perhaps best demonstrated by the average salary levels of professional athletes – is reflective of the modern and post-modern world’s hunger for a fully self-enclosed, self-referential meaning, a hunger that only gaming can satisfy.93 Mozart expressed this idea succinctly two centuries ago: “If forgiveness cannot be obtained, the game must go on: Lusus enim suum habet ambitum.” [“for the game has its own bounds”].94 In all of his theoretical writings on the twelve-tone method it appears clear that in devising a stable set of rules for a systematic atonality, Schoenberg was attempting to regain the kind of compositional and expressive freedom that Mozart enjoyed within the stable rules of the tonality game. In short, he yearned for a musical world in which he could “play” as freely as Mozart had played in his. We know that Schoenberg was a student of Schiller, and that like Schiller he yearned above all for freedom, for emancipation.95 In the evolutionary historical narrative that Schiller envisages, human culture will ultimately reach a Utopian state in which playful aesthetic sensibilities are employed to maximum potential in the diverse domains of politics and commerce, art and leisure.96 In Schiller’s Utopia, cultivation of playful 93
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In his classic essay The World of Wrestling, Roland Barthes states a related thesis. He decodes wrestling matches as a semiotic system of participants, actions, rules, intended emotional responses, and underlying notions of justice and injustice which govern the prevailing cultural rhetoric. Roland Barthes, Mythologies, trans. by Annette Lavers, New York 1984, p. 15–25. The Letters of Mozart and His Family (fn. 12), p. 373 (letter to his father, dated November 14, 1777). Schoenberg owned an edition of Schiller’s writings in his personal library: Schillers Werke, herausgegeben von Ludwig Bellermann, Leipzig [1895?] (Arnold Schönberg Center, Wien [BOOK S11]); see also Clara Steuermann, From the Archives: Schoenberg’s Library Catalogue, in: Journal of the Arnold Schoenberg Institute 3/2 (October, 1979), p. 217. In On the Aesthetic Education of Man, Schiller proposes that a primal affinity exists between play and the aesthetic modes of thought and action. Bifurcating all aspects of human culture into two fundamental animating drives – the sensual–drive (der Stofftrieb) of instinctual man, and the form-drive (der Formtrieb) of rational, moral man – he describes a kind of dialectical process whereby these drives inevitably clash,
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aesthetic experience – the Spieltrieb – is both the means to civil liberty and harmony, and the end to be enjoyed as its most lofty expression: How Schoenberg’s heart must have leapt when he first read Schiller’s Letters on the Aesthetic Education of Man. For Schiller, since the artist has the power to create aesthetic play in a virtual universe, “it is through art that we arrive at freedom”97. “Man only plays when in the full meaning of the word he is a man, and he is only completely a man when he plays. I promise you that the whole edifice of aesthetic art, and the still more difficult art of life, will be supported by this principle.” 98
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necessitating the development of a third evolutionary means, the play-drive (der Spieltrieb), to reconcile them on a higher level of culture. Schiller, On the Aesthetic Education of Man (fn. 1), Letter 2. Ibid. Letter 15.
WOLFRAM STEINBECK (Köln)
Arnold Schönberg und das klassische Menuett Schönberg hat zwei atonale „Menuette“1 geschrieben. Daß sie überhaupt entstanden, ist bemerkenswert, wann sie komponiert wurden ebenso bedeutsam, und warum beide Sätze überhaupt so heißen, kann Einblick sowohl in Schönbergs musikalisches Formverständnis bieten wie auch in seinen Umgang mit historischen Vorbildern oder tradierten Formmodellen. I Was ein Menuett ist, wußte Schönberg sehr gut. Seine Formenlehre zeigt es.2 Ihm war aber durchaus auch bewußt, daß seit Beethoven so gut wie keiner mehr zu dieser altehrwürdigen, höfisch-aristokratischen Form gegriffen hatte. Das letzte Menuett war mit der 8. Symphonie (1812) geschrieben worden,3 wenn nicht schon 1800 mit dem Streichquartett A-Dur, op. 18, Nr. 5. Das 19. Jahrhundert hatte sich, ebenfalls seit Beethoven, dem Scherzo verschrieben – oder, außerhalb der etablierten Instrumentalzyklen, dem Walzer.4 Scherzo und Walzer können wir als die Modernisierung, wenn nicht sogar als die demokratische Überwindung des Menuetts begreifen, eines Satztyps, der in der Musik des 19. Jahrhundert seine ursprüngliche Bedeutung gründlich verlor. Allenfalls bei konservativen Komponisten konnte das Menuett als nostalgische Erinnerung in Serenaden oder Suiten bewußt im Abseits musikalischen Fortschritts sein mitunter durchaus fragwürdiges Dasein behaupten. Menuette zu komponieren bekommt im 19. Jahrhundert zunehmend reaktionäre Züge – es sei denn, sie werden bewußt als Zitat oder programmatischer Rückgriff auf Geschichte und Vergangenheit eingesetzt, wie etwa in Brahms’ beiden Serenaden op. 11 und 16.5 Wie ist das bei Schönberg? Wo Tanzsätze in zyklischen Formen ihren Platz haben, verwendet Schönberg historisch folgerichtig das Scherzo oder besser: den scherzoähnlichen Satz, wie die schnellen Mittelsätze seiner Instrumentalzyklen zeigen. In seinem frühen Streichquartett steht statt des Scherzos ein Intermezzo; in Opus 7 1
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Ein weiteres, jedoch tonales Menuett findet sich in der Suite für Streichorchester in G-Dur, New York 1935. Vgl. dazu Matthias Schmidt, Suite für Streichorchester G-Dur, in: Gerold W. Gruber (Hg.), Arnold Schönberg. Interpretationen seiner Werke, Bd. 2, Laaber 2002, S. 382–394. Matthias Schmidt danke ich für den Hinweis auf dieses Stück. Arnold Schönberg, Die Grundlagen der musikalischen Komposition, ins Deutsche übertragen von Rudolf Kolisch, hrsg. von Rudolf Stephan, Wien 1979. Vgl. dazu auch Matthias Schmidt, Schönberg und Mozart. Aspekte einer Rezeptionsgeschichte (= Publikationen der Internationalen Schönberg-Gesellschaft 5), Wien 2004. Und hieß nicht einmal mehr „Menuett“, sondern „Tempo di Minuetto“. Vgl. den Beitrag in vorliegendem Band von Peter Andraschke (S. 29–56). In Opus 11 gibt es neben dem Menuett als viertem Satz als geradezu ahistorische Gegenstücke sogar zwei Scherzi, in Opus 16 neben einem Scherzo einen mit „Quasi Menuetto“ überschriebenen Satz.
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mit seiner viersätzigen Einsätzigkeit folgt der zweite Abschnitt klar einem Scherzotypus, in Opus 10 wird die Folie des Scherzos schon dadurch gebraucht, daß just in diesem Satz gesagt wird, daß „alles hin“ ist: Scherzo als End-Spiel sozusagen.6 Später gibt es dann nur noch ein „Scherzando“ (im Quintett, op. 26) und wieder ein „Intermezzo“ (im 3. Streichquartett, op. 30) sowie schließlich ein „Comodo“ (4. Streichquartett, op. 37). Echte oder wirklich so genannte „Scherzi“ hat Schönberg in zyklischen Werken also nicht geschrieben. Offenbar war es für ihn auch damit vorbei, was durchaus der geschichtlichen Entwicklung entspricht. Menuette jedoch hat Schönberg sehr wohl geschrieben. Anders als Scherzi hatten Menuette keine kontinuierliche Geschichte mehr. Ihre Verwendung oder ihr Einsatz dürfte für Schönberg folglich einen besonderen Sinn gehabt haben. Um es so zu formulieren: Scherzi schrieben die Komponisten in primär viersätzigen Instrumentalzyklen aus Tradition, um sich zunehmend davon zu verabschieden, Menuette – wenn nicht gedankenlos – in (meist) bewußtem Bruch mit ihr. Menuette zeugen von ihrer Vergangenheit und zwar von einer weit zurückliegenden. Anders als Scherzi, deren fortdauernde Kompositionsgeschichte sie stets modern hält, sind Menuette in der Lage, einen historischen Sprung, einen unvermittelten und damit unmittelbaren Rückgriff auf ihre Herkunft zu erzeugen, mithin eine Brücke zum historischen Ort ihrer Blüte zu schlagen: der Wiener Klassik. Schönbergs Menuette stehen freilich nicht allein, sondern gehören jeweils in einen zyklischen Zusammenhang, der allerdings ebenfalls kaum mehr Geschichte hatte: in eine Serenade und eine Klaviersuite.7 Auch Serenaden waren passé, erst recht Suiten, jedenfalls war das für Schönberg bis dahin so. Das beginnende 20. Jahrhundert besinnt sich bekanntlich zunehmend auf alte, vorromantische Formen. Schönberg, der sich gern auch als Brahms-Nachfolger begriff, hatte daran jedoch nur wenig direkten Anteil. Schon an der Titelwahl wird das erkennbar. Außer für unsere beiden Opera greift er nur in der Suite, op. 29 (1924)8 explizit auf die altklassische Nomenklatur zurück. Wenn Schönberg zurückgreift – auf wen oder was bezieht er sich? Brahms komponierte Serenaden, um mit ihnen dem Anspruch symphonischer Größe auszuweichen. Aber er spielte damit zugleich auf hintergründige Weise. Warum schreibt Schönberg eine Serenade? Sie scheint sich – wie übrigens auch die beiden von Brahms – auf Mozart zu beziehen. Gerade im Menuett hat Erwin Stein schon 1925 Anklänge gehört. Er wollte den Bau des Menuett-Themas, einer „achttaktigen Melodie“, wie er es nennt, tatsächlich „geradezu mit Mozart vergleichen“9. Das mag wegen der Gattung naheliegen, die Mozart die berühmtesten und schön6 7 8 9
Im zweiten Satz aus Opus 10 wird bekanntlich der Gassenhauer „O du lieber Augustin, alles ist hin“ ins bewußt Schräge verballhornt. Das Menuett aus der Suite für Orchester in G-Dur wird hier wegen seines völlig anderen Kontextes ausgeklammert (vgl. Anm. 1). Mit den Sätzen „Ouverture“, „Tanzschritte“, „Thema mit Variationen“ und „Gigue“. Erwin Stein, Neue Formprinzipien, in: Heinrich Grues/Eigel Kruttge/Else Thalheimer (Hg.), Von neuer Musik. Beiträge zur Erkenntnis der neuzeitlichen Tonkunst, Köln 1925, S. 71.
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sten Beispiele verdankt und in der das Menuett bekanntlich seinen angestammten, ja geradezu ursprünglichen Platz hat. Meist tritt es sogar zweimal auf. Selbstverständlich kennt auch Schönberg diese Tradition. Und so schreibt er in seiner typischerweise siebensätzigen Serenade mit genreüblichem Marsch an Anfang und Schluß ebenfalls zwei Tanzsätze, nennt jedoch nur den ersten „Menuett“, während der zweite „Tanzszene“ überschrieben ist. Warum? Anders als Brahms sucht Schönberg nicht den Serenadenton (um ihn wie jener zum Gegenstand reflexiven Komponierens zu machen). Schönberg nennt seine Serenade zwar Serenade und mischt ihr durchaus serenadentypische Ingredienzien bei, wie z. B. die Siebensätzigkeit – aber er bricht zugleich mit allem, was eine Serenade ausmacht, hält nicht ein, was sie zu versprechen scheint. Schon die Besetzung spielt mit deren Funktion: Klarinette und drei Streicher gehören dazu, die Verwendung einer Mandoline – zumal in der Doppelung mit einer Gitarre – nicht, obgleich beide Instrumente durchaus auf den Ständchencharakter verweisen, der Serenaden zukommt. Auch ein „Lied (ohne Worte)“ läßt sich als (zweiter) langsamer Satz traditionell rechtfertigen – allerdings nicht unter diesem Titel, keineswegs jedoch der wohl berühmteste (und eigentümlichste) Satz: das Petrarca-Sonett für tiefe Männerstimme „Oh könnt’ ich je der Rach’ an ihr genesen“ (aus Schönbergs Serenade, op. 24). O könnt’ ich je der Rach’ an ihr genesen, die mich durch Blick und Rede gleich zerstöret, und dann zu grösserm Leid sich von mir kehret, die Augen bergend mir, die süssen, bösen! So meiner Geister matt bekümmert Wesen sauget mir aus allmählich und verzehret[.] und brüllend, wie ein Leu, ans Herz mir fähret die Nacht, die ich zur Ruhe mir erlesen! Die Seele, die sonst nur der Tod verdränget, trennt sich von mir, und, ihrer Haft entkommen, fliegt sie zu ihr, die drohend sie empfänget. Wohl hat es manchmal Wunder mich genommen, wenn die nun spricht und weint und sie umfänget, dass fort sie schläft, wann solches sie vernommen.
Aber wie dieser Satz die Mitte des Werkes bildet (Satz 4 von 7), so führt er vor allem durch seinen Text auch ins Zentrum der Aussage, einer Aussage, die Martina Sichardt plausibel unter dem Stichwort „Weltanschauungsmusik“ analysiert und in enge Beziehung zur Jakobsleiter gestellt hat.10 Mir scheint darüber hinaus aber auch ein Wink auf Schönbergs kompositorische Lage darin enthalten zu sein, wenn wir die Angebetete (Laura) bei aller Vieldeutigkeit (auch) als „Musik“ identifizieren. 10
Martina Sichardt, Die Entstehung der Zwölftonmethode Arnold Schönbergs, Mainz 1990, S. 10ff.
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Danach wäre das Sonett der Ausdruck des ungesicherten, heiklen und „verzehrenden“ Zustands des Komponisten Schönberg, der den Weg zu „ihr“, zum rettenden Durchbruch (zur Lösung ungesicherter Freitonalität) sucht und sich „wundert“, daß „sie“ (die Musik) bei aller „Drohung“ gegen den „Flug“ seiner „Seele“ und aller „Rache“, zu der er sich angestachelt fühlte, aufnehmend und gerührt zwar und doch ruhig „fortschläft“, das heißt letztlich in einer Art dunkler Zuversicht den „Flug“ (die Suche also) zuläßt. Und Schönberg ist auf der Suche – das führt zum zweiten Aspekt. II Bekanntlich entstand die Serenade, op. 24, Anfang der 1920er Jahre, und zwar in mehreren Schüben.11 Es ist die Zeit des Umbruchs, gleichsam der Höhepunkt auf Schönbergs Weg zur Dodekaphonie. Opus 24 ist noch nicht zwölftönig angelegt, Teile davon aber wurden erst komponiert, nachdem Schönberg das „Gesetz“ gefunden und konsequent angewandt hatte: in der Klaviersuite, op. 25. Die Klaviersuite wiederum ist das andere Werk, in dem das zweite der beiden Menuette Schönbergs steht. Ausgerechnet das Menuett aus Opus 24 aber bleibt nach der Erstniederschrift vom 8. Oktober 1921 unbeendet liegen (das Trio wird nicht zu Ende geführt) und wird erst am 16. März 1923 vollendet, d. h. rund zwei Wochen nach der Erstniederschrift des (zwölftönigen) Menuetts aus Opus 25. Die Sätze aus der Klaviersuite, op. 25, sind bekanntlich dodekaphon angelegt, die nachträglich zu Ende gebrachten Teile aus Opus 24 nicht. Schauen wir auf die Anlage beider Opera, so ist zumindest zweierlei festzuhalten. Zum einen: Schönberg greift bekanntlich erstmals wieder zu längst überwunden geglaubten Werk- und Satzbezeichnungen, die den neoklassizistischen Anspruch evozieren, sich mit Musik der Vorromantik auseinanderzusetzen und sich zugleich mit ihr messen zu wollen. Beide Werke rekurrieren dabei, d. h. bei der Namensgebung der Werke und ihrer Sätze, auf zwei diametral verschiedene Vorlagen: Die Serenade verweist klar auf klassische Vorbilder, wie gesagt möglicherweise direkt auf Mozart; die Suite für Klavier aber dürfte sich an barocken Traditionen, z. B. an Bach, ausrichten. Während in der Serenade Sätze und Satzüberschriften auftauchen, die alles andere als neoklassizistischer Diktion und Konzeption zu entstammen scheinen, wird in Opus 25 eine mögliche Satzfolge Bachscher Suiten durchaus nachgebildet: Präludium, Gavotte, Musette, Intermezzo, Menuett mit Trio sowie eine Gigue. Die Folge kommt so bei Bach nicht vor, ist aber soweit wiederum nicht entfernt vom möglichen Vorbild wie die Satzanordnung der Serenade von der einer Mozartschen. Wozu dienen also diese Rückgriffe, zumal so heterogene? Zum andern: Unter den Sätzen beider Opera sind die Menuette die einzig übereinstimmenden Bezeichnungen. Das hängt mit ihrer Bedeutung sowohl für die barocke Suite wie für die klassische Serenade zusammen. Das Menuett ist der einzige Satz, der dort wie hier zu Hause ist. Aber nicht nur das. Wie wir wissen, wird das 11
Ebenda S. 207ff.
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Menuett Anfang der 1750er Jahre zu jenem Satz, an dem die Kompositionsschüler die Grundlagen ihres Handwerks erlernten, zu einer Art Mustersatz also. Und ferner können wir feststellen, daß Schönberg mit dem Rückgriff auf das Menuett die im Vergleich zu den übrigen Sätzen strengste Form gewählt hat. In seiner Formenlehre ist das Menuett der einzige Tanzsatz, der – neben der Fortentwicklung des Scherzos – überhaupt noch erläutert wird, und zwar bewußt mit Beispielen aus beiden Epochen: von Bach einerseits sowie Mozart, Haydn und Beethoven andererseits.12 Ist diese Feststellung geeignet, etwas über Schönbergs Verhältnis zu einem – wenn auch nicht allein Wiener klassischen, so doch im weiteren Sinne klassischen Satztyp zu erfahren? Das führt zum dritten Aspekt, der sich auf die Untersuchung der Sätze selbst zu richten hat. III Das Menuett aus Opus 24, noch nicht dodekaphon, wurde von Martina Sichardt ausführlich und umsichtig untersucht. Dabei geht es der Autorin, der Zielsetzung ihres Buches entsprechend, um die „Entstehung der Zwölftonmethode Arnold Schönbergs“, also um grundsätzliche satztechnische Fragen.13 Eigentümlicherweise aber gehen weder Sichardt noch andere Autoren, zuletzt z. B. Christian Baier in den Schönberg-Interpretationen,14 darauf ein, warum der Satz eigentlich Menuett heißt oder besser: was daran „Menuett“ ist, oder ganz einfach: ob es überhaupt ein Menuett ist. Die Frage scheint nicht ganz unberechtigt zu sein, vor allem bei diesem Menuett. Denn außer der Überschrift, der Dreivierteltakt-Vorzeichnung, der Abtrennung eines Trios und der Da-capo-Wiederholung des Menuetts weist augenscheinlich wenig auf die Konsistenz als Menuett hin. Im zweiten Beispiel, aus Opus 25, wird immerhin die äußere Form bei weitem deutlicher gewahrt als in dem aus Opus 24. Hier wird der erste Abschnitt durch Wiederholungszeichen abgesetzt, das Trio sogar in beiden Abschnitten wiederholt. Dabei sind die Autoren unterschiedlicher Ansicht darüber, wo im Menuett z. B. die Reprise beginnt.15 Rat holen könnte man zwar, und das wurde natürlich auch getan, bei Schönberg selbst, der in seiner Formenlehre festhielt, seit Mozart sei es „fast Ehrensache geworden, keine tongetreue Wiederholung zu bieten, sondern diese neu zu formulieren und neu zu konstruieren“16. Dem scheint Schönberg zu folgen, dort wie hier. Aber dennoch: Was macht das Menuett zu einem Menuett? 12 13
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Schönberg, Grundlagen der musikalischen Komposition (Anm. 2), S. 64ff. Verfolgt werden unter verschiedenen, fein differenzierten Aspekten vor allem die Vorformen der Reihentechnik (von „ordered“ und „unordered tone sets“, deren Transpositionen etc.) sowie die Substitution der tonalen Harmonik durch individuelle Intervallkonstellationen sowohl im vertikalen Zusammenklang und der horizontalen Abfolge als auch größerer Formeinheiten. Christian Baier, Serenade op. 24, in: Gerold W. Gruber (Hg.), Arnold Schönberg. Interpretationen seiner Werke, Bd. 1, Laaber 2002, S. 353ff. Stein (vgl. Neue Formprinzipien [Anm. 9], S. 70) erkennt den Reprisenbeginn in Takt 34, Sichardt (Die Entstehung der Zwölftonmethode Arnold Schönbergs [Anm. 10], S. 174f ) in Takt 26. Schönberg, Grundlagen der musikalischen Komposition (Anm. 2), S. 66.
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Wir könnten genauer hinschauen und folgendes feststellen: Das Menuett aus Opus 24 hat tatsächlich zu Anfang eine doppelt achttaktige Struktur, die sich sogar jeweils genau in zwei Viertakter gliedern läßt, jedoch trotz der Paarigkeit keine Vordersatz-Nachsatz-Struktur entstehen läßt, jedenfalls keine, die metrisch-melodisch begründet wäre, da weder Takt, noch Metrik, noch die Melodik der Hauptstimme aufeinander entsprechend bezogen sind. Wohl aber gibt es Entsprechungen anderer Art, und zwar solcher, wie Schönberg sie in dieser Zeit extensiv erprobt: reihentechnische, solche der Bildung von Tongruppen und ihrer Umformungen (Umkehrung etc.) sowie Transpositionen und Verschiebungen von Rhythmus und Tonfolge. In Takt 5 z. B. sehen wir, daß die Baßklarinette die Hauptstimme aus Takt 1 aufgreift, und zwar – typischerweise – im Tritonusabstand. Ob damit eine Maßnahme vollzogen wird, die dem Dur-Moll-tonalen Wechsel von I. und V. Stufe entspricht,17 mag dahin gestellt sein, Teil der Satzkonstruktion ist sie allemal, wie auch die Vielfalt weiterer Beziehungen im Rahmen des achttaktigen Satzes sowie dessen Wiederholung, die das Prinzip der reihentechnischen Veränderungen selbstverständlich auf ein intensiviertes Niveau hebt. Daß man sich nicht einig ist darüber, wo welcher Teil endet und beginnt, ist demzufolge nicht Mangel formaler Klarheit, sondern Folge des Weges, der von Anfang an eingeschlagen wurde, nämlich durch reihentechnische Varianten sowohl Zusammenhang und ein dichtes Netz von Entsprechungen zu erzeugen als auch vor der Folie menuett-typischer Paarigkeit die Herkunft dieses Prinzips anzugeben, das seine Auflösung dialektisch in sich trägt, mithin auch die Auflösung der Form (ein Prinzip, das Schönberg ja zugleich bei Mozart schon in Gang gebracht sieht). Das Menuett ist kein Menuett, wenn man Kriterien des Tanzsatzes, metrischer Geschlossenheit und schon gar einer althergebrachten und sei es noch so gebrochenen oder transzendierten Tanzform zu Grunde legt. Und das Mozartsche an der Melodie, wie Stein es hörte, mag eher eine Projektion sein, die sich aus dem Kontext der Serenade speist. Und wie ist es mit dem Menuett aus Opus 25? Klassisch mag es sein, schon den äußeren Formen nach, wie gesagt, aber wodurch wird es zum Menuett? Auch hier ist der A-Teil durch ein achttaktiges Thema ausgezeichnet, das sich, vergleichbar dem Opus 24, aus paarigen Taktgruppen zusammensetzt. Takt 9–11 aber fallen aus dem Rahmen, erweitern eine Struktur, die sich an der Menuett-Metrik orientierte, zu unpaariger Erweiterung. Allerdings gilt auch hier: Die reihentechnischen Entsprechungen, nun tatsächlich auf Basis einer dodekaphonen Reihe, sind äußerst vielfältig, man schaue nur auf die Umformungen der einzelnen Sinneinheiten, die vom gleichen Tonmaterial leben, und ebenso motivisch variantenreich aufeinander bezogen sind. Auch hier wird, trotz der äußerlich gestrafften Form, die Reprise
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So Sichardt, Die Entstehung der Zwölftonmethode Arnold Schönbergs (Anm. 10), S. 104.
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nicht eindeutig abgegrenzt,18 obgleich die Reihentechnik mehr formale Klarheit ermöglicht, ohne daß die Wirkung der Gliederung dadurch deutlicher wahrnehmbar würde. Erstaunlich ist übrigens die Verwandtschaft beider Menuett-Anfänge, von denen der aus Opus 25 wie ein Zitat von Opus 24 wirkt (Tonfolge, Rhythmus und Tonmaterial). Was aber hat sich geändert? Das Menuett aus Opus 25 ist knapper, strenger, in den motivischen Beziehungen klarer, noch strenger und kürzer ist das Trio aus Opus 25, das einschließlich der Wiederholungen 18 Takte umfaßt und aus einem streng durchgeführten, zweistimmigen Kanon besteht. Auf wen oder was verweist nun dieses Menuett? Schönberg hat in seiner Formenlehre das Menuett aus Mozarts Streichquartett A-Dur, KV 464, besonders hervorgehoben und als „ein seltenes Beispiel einer wirklichen Verschmelzung“ zweier gegensätzlicher, epochaler Techniken bezeichnet: dem „homophonmelodische[n] Verfahren“, das „im wesentlichen aus Entwicklung durch Variation eines Motivs“ besteht, und dem „kontrapunktische[n] Verfahren“, das das Motiv nicht verändert, sondern „die kombinatorischen Möglichkeiten“ aufzeigt, die in „den Themen enthalten sind“19. Das Menuett aus Opus 25 tut genau dies, aber auch das Menuett aus Opus 24 läßt sich in gleicher Weise charakterisieren – oder können wir sagen: der Schönbergsche Satz tut genau dies, und zwar beständig – hier allerdings in der besonderen Weise eines Rückgriffs und Haltepunkts an der Geschichte? Fassen wir zusammen: Warum schreibt Schönberg – zumal im Kulminationspunkt des Umbruchs – zwei Menuette, wenn sie doch keine sind oder doch nur die äußeren Kennzeichen einhalten, während es „drinnen“ ganz anders aussieht, – so nämlich wie in anderen Sätzen auch? Spricht man den Menuetten ihre Identität ab20 oder geht, wie die meisten Autoren, erst gar nicht darauf ein, so bleibt die Frage, wozu sie ihre Form und ihre Titel denn eigentlich haben. Eine historistische Handhabung vorromantischer Satzzyklen, wie sie die Neoklassizisten, insbesondere Igor Strawinsky, nahezu zeitgleich auf eigene Weise zu Musik über Musik machten,21 wird man Schönberg, der sich davon zu distanzieren suchte, kaum attestieren wollen. Wenn hier dennoch – zumindest zeitweise – eine gewisse 18
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21
Barbara Dobretsberger, Suite für Klavier op. 25, in: Gruber (Hg.), Schönberg Interpretationen, Bd. 1 (Anm. 14), S. 390, erkennt den Reprisenbeginn in Takt 17, Claus Ganter, Ordnungsprinzip oder Konstruktion? Die Entwicklung der Tonsprache Arnold Schönbergs am Beispiel seiner Klavierwerke (= Musikwissenschaftliche Schriften 32), München 1997, S. 281ff., dagegen in Takt 19. Schönberg, Grundlagen der musikalischen Komposition (Anm. 2), S. 65. So beispielsweise für Opus 25: Ganter, Ordnungsprinzip oder Konstruktion? (Anm. 18), S. 278. Das Menuett aus Opus 24 bestimmt Martina Sichardt, „will man […] dem Stück als solchem gerecht werden“, als „Thema […] mit Variationen“; Sichardt, Die Entstehung der Zwölftonmethode Arnold Schönbergs (Anm. 10), S. 176. Theodor W. Adorno, Strawinsky und die Restauration, in: ders., Philosophie der neuen Musik (= Gesammelte Schriften 12), Frankfurt am Main 2003, ist unter diesem Stichwort gegen Strawinskys Neoklassizismus zu Felde gezogen, in welchem er restaurative, ja sogar „parasitäre“ Züge glaubte geißeln zu müssen (S. 196).
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Nähe zu neoklassizistischen Zielen unterstellt wird,22 so ist doch zu konstatieren, daß der kompositorische Satz selbst alles andere als neoklassizistisch oder historistisch angelegt ist. Im Gegenteil. Schönbergs freitonale Musik seit Opus 10 bis hin zu Opus 24 und die dodekaphone seit Opus 25 sind der dezidierte Versuch einer kontinuierlichen Fortsetzung komplexen motivisch-thematischen Komponierens in der Brahms-Nachfolge. Der Rückgriff auf vorromantische Satzmuster – freilich nur im Punkt des Durchbruchs (einschließlich Opus 29) – mag Ausdruck sowohl eines Mangels als auch eines Programms sein: eines Mangels an formbildenden Alternativen im Kontext noch ungesicherter Satzfundamente, eines Programms aber auch, das sich der alten Formen versichert, um sie einzubeziehen und deutlich zu machen, was alles, oder besser: daß alles mit dem neuen, freitonalen bzw. dodekaphonen Satz zu formen möglich ist. In diesem Sinne findet mit den Werken keine Umformung und keine kompositorisch-selbstreflexive Auseinandersetzung mit den historischen Vorbildern statt, sondern deren Nutzung als Formgarant und Demonstrationsobjekt. Schauen wir aus diesem Blickwinkel auf die beiden Menuette, die ja als Satztyp genuin zu den alten ‚Gattungen‘ Serenade und Suite gehören, so ist festzustellen, daß sie zwar einige wenige äußere Merkmale einhalten, im Inneren aber mit allem brechen, was die satztechnische Konsistenz eines Menuetts ausmacht. Der Bruch aber ist als solcher erst dann greifbar, wenn zumindest jene äußeren Kennzeichen den Verweis auf das Muster leisten. Und im Verweis auf wie im Bruch mit Satztyp und historischem Habitus eines Menuetts scheint Schönbergs Absicht greifbar: Das Menuett scheint ihm als Muster kompositorischen Handwerks zu gelten. Schönberg griff zweimal zum Menuett als sichtbarem Rückgriff ins „Klassische“ und verwies damit auf seine Bedeutung für sich selbst. Die Menuette erscheinen als Paradigmen zum einen des Schönbergschen „Satzes“ (Opus 24, noch nicht dodekaphon), zum andern des „Gesetzes“ (Opus 25), in letzterem Fall einschließlich seiner zahlreichen und ungebundenen, offenen Möglichkeiten der „unordered sets“ im Kontext strenger Dodekaphonie. Beide Sätze stehen jedenfalls unmittelbar am Scheideweg freier und gebundener Atonalität, Sätze, die keine andere Funktion zu haben scheinen, als eben dies zu sein: reines Muster oder zentraler, unverstellter, unverhüllter Kern von Komponieren, Lehrstück der Techniken als Werk. Damit aber wäre Schönberg der Wiener Klassik, Haydn, Mozart und Beethoven, so nah wie kein anderer. Denn genau dazu haben auch sie Menuette komponiert: als Muster kompositorischen Satzes und der Grundbedingungen seiner jeweils individuellen Realisierung. Vergleichbares läßt sich auch für den Bach-Bezug aus Opus 25 sagen. Das Menuett stilisiert barocke Mittel: den Anapäst zu Anfang, floskelhafte Figuren (Zweiunddreißigstel) oder etwa den strengen Kanon im Trio. Außerdem tritt hier das 22
So tat es zum Beispiel Theodor W. Adorno, Schönbergs Klavierwerk, in: ders., Musikalische Schriften 5, (= Gesammelte Schriften 18), Frankfurt am Main 2003. Die Suite, op. 25, die insgesamt auf ihn wie „Stahlmöbel aus dem Bauhaus“ wirkte, nähere sich „vom Gegenpol her dem gleichzeitigen Neoklassizismus“ (S. 425).
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Kontrapunktische, wie Schönberg es beschrieb, stärker in den Vordergrund als in der Serenade, wohin es auch weniger gehört als hierher. Aber auch dieses Menuett formuliert grundsätzlich und musterhaft Schönbergs kompositorischen Satz, hier nun die neuen Möglichkeiten der Dodekaphonie, entkleidet von anderen Aufgaben im Satz-Zyklus (wie dem Beginnen und Schließen, dem Motorischen oder Langsam-Sanglichen) und zugleich mit dem Anspruch des ‚reinen Satzes‘. Die Menuette dürften, über die eigene ‚neoklassizistische‘ Begründung hinaus, als stille Verweise auf ihre historische Funktion zu begreifen sein: als Lehrstück und Werk zugleich. Darin haben sie ihren Sinn. Und nachdem zwei solch exemplarische Beispiele geschrieben waren, waren keine weiteren mehr nötig – aber, ohne Gefahr der Wiederholung, auch keine mehr möglich.
ULLRICH SCHEIDELER (Berlin)
Wissenschaft oder Kunst? Arnold Schönbergs Generalbaßaussetzungen zu Werken von Mathias Georg Monn und Johann Christoph Mann Arnold Schönbergs Generalbaßaussetzungen zu Werken von Mathias Georg Monn und Johann Christoph Mann, die 1912 im Rahmen des Bandes 39 der Denkmäler der Tonkunst in Österreich publiziert wurden,1 nehmen im Œuvre des Komponisten zweifellos eine nur periphere Stellung ein. Und doch waren sie Schönberg so wichtig, daß er noch Jahrzehnte später auf sie zurückkam: zum einen 1928 in einem längeren unpubliziert gebliebenen Text,2 zum anderen 1933 in einer Bearbeitung eines der Stücke, die dann ausdrücklich als „freie Umgestaltung“ bezeichnet wurde.3 Diese späte neuerliche Beschäftigung – so die im folgenden auszuführende These – dürfte auch damit zusammenhängen, daß einige (grundsätzliche) Probleme, die die Generalbaßaussetzung aufgeworfen hatte, 1912 nur unzureichend gelöst worden waren. Erst im Zuge einer nochmaligen Hinwendung zur Bearbeitungspraxis älterer Werke hat Schönberg dann fast 20 Jahre später aus diesen Schwierigkeiten für ihn befriedigende Konsequenzen gezogen. I Wann Schönberg an den Herausgeber der Denkmälerreihe, Guido Adler, erstmals herangetreten war, um sein Interesse an Generalbaßaussetzungen zu bekunden, ist nicht bekannt. Die erste Erwähnung findet sich in einem undatierten Brief, der – dem Adressenstempel zufolge – spätestens im Januar 1910 geschrieben worden sein muß. In ihm bat Schönberg darum, daß Adler ihn als Lehrer empfehle, was er 1
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Wiener Instrumentalmusik vor und um 1750, Vorläufer der Wiener Klassiker, 2. Auswahl: Matthias Georg Monn, fünf Sinfonien und zwei Konzerte, Johann Christoph Mann, Divertimento, bearbeitet von Wilhelm Fischer (= Denkmäler der Tonkunst in Österreich, 19. Jg., Bd. 39), Wien 1912, Reprint Graz 1959. Arnold Schönberg, Dr. Graf, Monn Bearbeitungen, datiert 11. Mai 1928 (Arnold Schönberg Center, Wien [T05.21]); Übertragung publiziert in: Arnold Schoenberg correspondence: a collection of translated and annotated letters exchanged with Guido Adler, Pablo Casals, Emanuel Feuermann and Olin Downes, hrsg. von Egbert M. Ennulat, Metuchen/NJ, 1991, S. 288–292. Vgl. Arnold Schönberg, Konzert für Violoncello und Orchester D-Dur in freier Umgestaltung nach dem Concerto per Clavicembalo von M. G. Monn, in: Arnold Schönberg, Sämtliche Werke, Abteilung VII: Bearbeitungen III, Reihe A, Bd. 27: Instrumentalkonzerte nach Werken Alter Meister, hrsg. von Nikos Kokkinis, Mainz–Wien 1976, sowie die zugehörigen Teilbände 1 und 2 der Reihe B, hrsg. von Nikos Kokkinis, Mainz–Wien 1977, 1987. Vgl. hierzu auch: Beat A. Föllmi, Bearbeitung als künstlerische Reflexion. Schönbergs Bearbeitungen des „Concerto per Clavicembalo“ von Matthias Georg Monn, in: Christian Meyer (Hg.), Arnold Schönberg in Berlin. Bericht zum Symposium 28.–30. September 2000 (= Journal of the Arnold Schönberg Center 3), Wien 2001, S. 104–113.
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u. a. wie folgt begründete: „Abgesehen davon bin ich ja doch einer der ganz Wenigen, die einem wirklich zeigen können, wie ein Continuo auszuführen wäre. Ich meine vom Standpunkt künstlerischer Schönheit und musikalisch-formeller Durcharbeitung und Glätte“. Und diesen Hinweis nahm Schönberg zum Anlaß, um gleich noch eine Bitte anzufügen: „Ausserdem möchte ich mir erlauben, Sie an Ihre Absicht mir ContinuoBearbeitungen für die Denkmäler zu verschaffen, zu erinnern“.4
Adler, der also wußte, worauf er sich einließ, muß dann bis Anfang Februar 1910 einige Stücke zur Ansicht geschickt haben, denn Schönberg berichtete am 9. Februar, er habe sich etwas ausgesucht. Gleichzeitig bat Schönberg um Stücke von Monn, die Adler offensichtlich angeboten (aber nicht mitgeschickt) hatte. Ein knappes Jahr später, im Januar 1911, waren dann acht Stücke vollendet, ein weiteres Jahr später auch die Korrekturlesung abgeschlossen, so daß Band 39 der Denkmäler der Tonkunst in Österreich um die Jahreswende 1912/13 erscheinen konnte. Er enthielt allerdings nur vier Aussetzungen von Schönberg, nämlich die zu einer Symphonia a quattro A-Dur, zum Cellokonzert g-Moll und zum Klavierkonzert D-Dur von Mathias Georg Monn sowie zu einer Sinfonie von Johann Christoph Mann.5 Aussetzungen zu vier weiteren Stücken hatte Josef Labor angefertigt.6 Am 2. April 1913 erschien in der Zeitschrift Signale für die musikalische Welt eine ausführliche Rezension des Bandes von Max Graf,7 auf die Schönberg – so eine briefliche Mitteilung an Adler – umgehend reagieren wollte. Davon nahm Schönberg jedoch rasch Abstand, forderte aber Adler auf, seinerseits eine Erwiderung zu schreiben (an der sich Schönberg beteiligen wollte).8 Als Adler dies ablehnte,9 ließ auch Schönberg die Sache auf sich beruhen.10 Damit schien die Angelegenheit erledigt – vergessen war sie allerdings nicht. Denn 15 Jahre später, am 11. Mai 1928, schrieb Schönberg einen zu Lebzeiten unpubliziert gebliebenen Text, in dem er zu den Vorwürfen detailliert Stellung nahm.
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Arnold Schönberg an Guido Adler, ohne Datum, zit. nach: Arnold Schoenberg correspondence (Anm. 2), S. 72ff. Die vier weiteren zu Schönbergs Lebzeiten unveröffentlicht gebliebenen Aussetzungen betrafen Werke des Komponisten Franz Seraf Ignaz Anton Tuma (1704–1774): die Sinfonia a quattro für Streichorchester e-Moll sowie drei Partiten a tre für zwei Violinen, Violoncello und Basso continuo in A-Dur, c-Moll und G-Dur. Josef Labor fertigte Aussetzungen zu zwei Sinfonien in D-Dur sowie Sinfonien in G-Dur und B-Dur von Monn an. Max Graf, Arnold Schönberg’s Basso Continuo, in: Signale für die musikalische Welt 71/14 (2. April 1913), S. 505–507. Vgl. Schönbergs Brief an Adler, datiert 14. März 1913 (dieser Brief dürfte erst am 14. April 1913 geschrieben worden sein, da Grafs Kritik in den Signalen für die musikalische Welt ja erst am 2. April 1913 erschien), publiziert in: Arnold Schoenberg correspondence (Anm. 2), S. 100ff. Vgl. Adlers Brief an Schönberg vom 16. April 1913, publiziert in: Arnold Schoenberg correspondence (Anm. 2), S. 110ff. Vgl. Schönbergs Brief an Adler vom 9. Mai 1913, publiziert ebenda S. 112ff.
Wissenschaft oder Kunst?
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II In Grafs Musikkritik ist der polemische Ton offenkundig. „Der neueste Band der ‚Denkmäler der Tonkunst in Oesterreich‘ [...] weist eine besondere Kuriosität auf: bei vier der in diesem Bande veröffentlichten Musikstücken hat Arnold Sc hönbe r g den Basso Continuo ausgesetzt. Man sieht, die Musikwissenschaft modernisiert sich und trägt die radikalsten Krawatten. Noch kein Museumsdirektor hat vernünftigerweise daran gedacht, ein altes Bild von einem futuristischen Maler konservieren zu lassen, weil eine solche Aufgabe Stilgefühl, historische Bildung, Erfahrung und Takt voraussetzt und Eigenschaften dieser Art bei den Vertretern futuristischer Malerei nicht vorausgesetzt werden können“.11
Der Vergleich mit der bildenden Kunst und einem Museumsdirektor deutet zwar an, daß Graf die Aussetzung Schönbergs in erster Linie im Rahmen einer wissenschaftlichen Denkmälerausgabe als unangemessen betrachtete,12 doch hielt er auch davon unabhängig Schönbergs Arbeit für verfehlt. Graf versuchte seinen zunächst pauschal erhobenen Vorwurf anhand einzelner Stellen zu belegen. Die Kritik zielte dabei im wesentlichen auf zwei Punkte: Erstens habe Schönberg die Harmonik bisweilen falsch interpretiert: „Ich sage eine Banalität, wenn ich darauf hinweise, dass es eine Aufgabe der Basso Continuobearbeitung sei, den Gang der Harmonien eines Werkes zu verdeutlichen, zu unterstützen, zu kräftigen. Das richtige Verständnis der Harmoniefolge ist eine Voraussetzung der Arbeit, aber Schönberg’s an moderne Harmonien gewöhntes Ohr kann sich solchen einfachen Klängen wie der Monn’schen Harmonik nicht mehr anpassen“.13
Zweitens wird eine unangemessene Motivarbeit gerügt. In der Tat hat Graf wesentliche Eigenheiten von Schönbergs Aussetzung benannt, wobei man die Rangfolge allerdings umkehren muß. Denn im Hinblick auf die Harmonik besaß Schönberg nur selten Interpretationsspielraum. Um so mehr trat ein Generalbaß in den Vordergrund, der sich motivisch zu legitimieren suchte. Graf kritisierte im Hinblick auf die Harmonik u. a. Schönbergs Aussetzung in T. 173ff. im 2. Satz der A-Dur-Symphonia (vgl. Notenbeispiel 1): „Den Modulationsgang am Schlusse hat Arnold Schönberg ebenfalls nicht verstanden [...], obzwar er ganz einfach ist: fortgesetzter Quintenfall von h bis a, bei dem meist Sekund- und Sextakkorde miteinander wechseln“.14
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Max Graf, Arnold Schönberg’s Basso Continuo (Anm. 7), S. 505. Darauf verweist auch der Schluß der Rezension, in der Graf zusammenfassend bemerkte, daß Schönberg „als Bearbeiter des Basso-Continuo, noch dazu in einer wissenschaftlichen Publikation, nicht am Platze war“ und „der kritische Sinn der strengen Wissenschaft […] sich durch einen Modenamen [= Schönberg] nicht so leicht aus der Fassung bringen lassen“ sollte; vgl. ebenda S. 506f. Ebenda S. 505f. Ebenda S. 506.
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Grafs Interpretation der Stelle als Quintfallsequenz ist allerdings fragwürdig. Zwar läßt sich in T. 174 die erste Halbe (mit Einschränkungen) als h-Moll mit Septime im Baß und die zweite Halbe als E-Dur interpretieren, auch hat die II. Violine eine Spielfigur, die sich mittels der von Graf benannten Stufen und somit als Quintfallsequenz harmonisieren ließe, doch scheint die Interpretation der ersten Hälfte von T. 175 als A-Dur angesichts des fis im Baß kaum plausibel.15 Schönbergs Aussetzung ist nicht so schlecht, wie es Graf Glauben machen möchte. Allerdings ignoriert sie sowohl die Tatsache, daß in T. 174, T. 176 und T. 178 der erste Baßton stets ein Vorhalt und somit eine Dissonanz ist (was in Grafs Deutung der Fall ist), als auch den zu erwartenden Fundamentwechsel beim Übergang zu T. 174 etc.
Beispiel 1: Mathias Georg Monn, Symphonia a quattro A-Dur, 2. Satz, T. 173–179, einschließlich Schönbergs Generalbaßaussetzung.
Der Grund für die Schwierigkeit, hier zu einer adäquaten Aussetzung zu kommen, war ein musikalischer Satz, der nicht primär durch die Harmonik, sondern die Kontrapunktik reguliert wird. Er wird durch vier Momente konstituiert: erstens einen Kanon in der Oberquinte zwischen den Außenstimmen, zweitens die Folge von Sextakkorden, die den Takten 174–177 als Gerüst zugrunde liegt (vgl. Notenbeispiel 2), drittens die Abweichung vom Gerüst durch Synkopen in den Außenstimmen, die im Hinblick auf das Modell (notwendigerweise) in unterschiedlicher Weise erfolgt (im Baß als kontrapunktische Bewegung von der Sekunde in die Terz, akkordisch als Quartvorhalt; in der I. Violine als Bewegung von der Septime in die Sexte), viertens die Progression der Mittelstimmen, die ebenfalls synkopisch verläuft und sich an die Oberstimme anschließt. Eine Aussetzung, die all diese Momente berücksichtigt, hätte sich relativ eng an einen Gerüstsatz anlehnen müssen, wie ihn Notenbeispiel 3 bietet. Schönbergs Aussetzung aber ist von diesem Modell 15
In seiner Kennzeichnung der Akkordtöne unterschlägt Graf diesen Ton.
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nicht allzu weit entfernt. Insofern war Grafs Vorwurf, Schönberg habe den harmonischen Verlauf dieser Takte nicht verstanden, nur teilweise berechtigt. Eher verhielt es sich umgekehrt: Grafs Deutung der Harmonik war grob simplifizierend.
Beispiel 2: Mathias Georg Monn, Symphonia a quattro A-Dur, 2. Satz, T. 173–180, vereinfachter Gerüstsatz.
Beispiel 3: Mathias Georg Monn, Symphonia a quattro A-Dur, 2. Satz, T. 173–180, Gerüstsatz.
Ein Beispiel, das Grafs Behauptung bestätigt, Schönberg habe eine kompliziertere Harmonik gewählt, wo eine einfachere Harmonik möglich und naheliegend gewesen sei, findet sich im 1. Satz des D-Dur-Klavierkonzerts in den Takten 20–22 (Notenbeispiel 4): Da die Violinen an dieser Stelle pausieren, spielen allein die Bassostimme und das Soloinstrument. Ähnlich wie im vorherigen Beispiel ist der musikalische Satz nicht primär von der Harmonik, sondern von der Stimmführung her erfunden, da sich (mit Ausnahme von T. 20, 2. Achtel) der Gerüstsatz strikt in parallelen Terzen bewegt. Ab der Mitte von T. 20 wäre im einfachsten Fall eine Aussetzung wie in Notenbeispiel 5 möglich gewesen. Schönberg wählte unverkennbar eine kompliziertere Lösung, die zugleich die Regelmäßigkeit der Stimmbewegungen (deutlich im Verhältnis der Bassostimme zur Oberstimme des Klaviers) durchbricht: Schon in der ersten Takthälfte von T. 20 bringt er die Zwischendominante zur Subdominante D-Dur, danach am Ende von T. 20 eine Zwischendominante zum nachfolgenden h-Moll (Fis-Dur-Septakkord; der Baßton cis wird also nicht als Terz von A-Dur, sondern als Quinte von Fis-Dur aufgefaßt). Analoges schrieb Schönberg am Ende des folgenden Taktes (fis ist Quinte der Dominante H7 zu E-Dur), doch wird dies motivisch anders gelöst (Figur mit Achteln statt Sechzehnteln); schlecht möglich war eine Zwischendominante jedoch auf dem vierten Achtel in T. 21. Hier folgte Schönberg zwar einem einfachen, der Terzfallsequenz entlehnten Modell, indem er der Baßton a zunächst mit fis-Moll harmonisierte, doch wird einerseits nun eine Zwischendominante auf das dritte Achtel gesetzt, so daß innerhalb der Folge h-Moll–fis-Moll noch der Cis7-Akkord eingeschoben ist, und andererseits mit dem Ton dis1 in T. 21 kurz vor der Taktmitte doch noch eine
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Zwischendominante H7 angedeutet erscheint. Zu der ganz regelmäßigen Stimmbewegung setzte Schönberg somit eine Harmonik, die diese Eigenschaft gerade nicht erfüllt: Sie ist recht komplex und auch an solchen Stellen unregelmäßig gebaut, die ein Regelmaß zulassen würden. Was Schönbergs harmonische Interpretation jedoch zusammenhält, ist die Motivik: In allen drei Fällen ist seine Harmonisierung nämlich mit der gleichen motivischen Bewegung verbunden: einer kurzen dreitönigen Phrase eines Tonleiteraufstiegs (fis1–gis1–ais1 in T. 20, fis1–gis1–a1 sowie h–cis1– dis1 in T. 21).
Beispiel 4: Mathias Georg Monn, Klavierkonzert D-Dur, 1. Satz, T. 20–22, einschließlich Schönbergs Generalbaßaussetzung.
Beispiel 5: Mathias Georg Monn, Klavierkonzert D-Dur, 1. Satz, T. 20–22, hypothetische einfache Generalbaßaussetzung.
In der Tat bezeichnet die Motivik dasjenige Moment, das bei Schönbergs Generalbaßaussetzung im Vordergrund steht. Graf hielt sie an einigen Stellen jedoch für unangemessen: Über den Beginn der Fuge in der A-Dur-Symphonia (vgl. Notenbeispiel 6) schrieb er: In T. 21 „beginnt in einer Fuge ein Zwischensatz, der den rhythmisch charakteristischen Teil des Fugenthemas acht Takte lang mit Absicht nicht verwendet. Schönberg, welcher diese künstlerische Absicht nicht bemerkt hat, läßt das vom Künstler nicht benutzte Motiv in den Bass fortwährend hineinklappern und bringt damit den neuen Einsatz des Motivs [...] um jede Wirkung“.16 16
Max Graf, Arnold Schönberg’s Basso Continuo (Anm. 7), S. 506.
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Beispiel 6: Mathias Georg Monn, Symphonia a quattro A-Dur, 2. Satz, T. 1–31, einschließlich Schönbergs Generalbaßaussetzung.
Schönberg hat noch an einer Reihe weiterer Stellen die drei Hauptmotive – also den Beginn des Themas der Bassostimme von T. 1–4, das Motiv mit der Dreiklangsbrechung der II. Violine von T. 1–2 sowie das Motiv von T. 3–4 mit den Viertelnoten und dem Vorhalt – eingefügt: In T. 16 und T. 18–20 erklingt das Dreiklangsmotiv in Achteln von T. 2 (d. h. ohne den ersten Takt), in T. 12–14, 23, 24, 27 und 28 wird das auftaktige Viertelmotiv (teilweise mit, teilweise ohne die
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Fortsetzung) gespielt, und in T. 27–29 und T. 29–31 erklingt das Thema der Bassostimme von T. 1–4 in diminuierten Notenwerten (Halbe statt Ganze Noten). Schließlich wird in T. 21–22 ein neues Motiv eingeführt, das auch in T. 24–26 noch einmal auftaucht.17 Bei dem Versuch, die Angemessenheit der Motivarbeit zu beurteilen, gilt es insbesondere die Frage zu beantworten, ob diese Motivinterpolationen einer Logik folgen. Leicht einsehbar ist der Sinn der hinzukomponierten Achtelbewegung in T. 16. Sie dient dem Zweck, einerseits die Bewegung aufrecht zu erhalten und andererseits das Ende eines Viertakters zu markieren. Die Einfügung desselben Motivs in T. 18–20 erfolgt jedoch weder im Hinblick auf die Wahrung rhythmischer Kontinuität oder die Kennzeichnung eines Formteils noch wird sie systematisch vorgenommen, da sie erst in halbtaktigem Abstand (T. 18/19), dann in ganztaktigem Abstand gesetzt ist. Ähnlich verhält es sich auch mit dem auftaktigen Repetitionsmotiv: Ab T. 11 erklingt es in Engführung und nimmt somit die Engführung, die bei Monn erst ab T. 29 erfolgt, vorweg. Zwar setzt das Motiv ganz regelmäßig nach einem Takt ein, doch geht dieses Gleichmaß nicht mit einem Regelmaß der Einsatztöne einher (anders als bei Monn ab T. 29), denn auf d 1 folgen Einsätze auf cis 2, e1, cis 2 und fis 1, wobei das Motiv in T. 14 auch intervallisch verändert wird. Schönbergs Aussetzung scheint somit zwar motivisch legitimiert, doch erweckt ihre unsystematische Einpassung den Eindruck des Zufälligen, wodurch die Legitimation sogleich geschwächt wird, weil keine zwingende Logik mehr erkennbar ist.
Beispiel 7: Mathias Georg Monn, Cellokonzert g-Moll, 1. Satz, T. 12–13, einschließlich Schönbergs Generalbaßaussetzung. 17
Diese Einführung eines neuen Motivs hat in T. 24–26 auch Auswirkungen auf die Harmonik. Monns musikalischer Satz legt eine Quintstiegsequenz nahe, hier die Folge E-Dur, H-Dur (mit Quartvorhalt) sowie Fis-Dur (ebenfalls mit Quartvorhalt). Bei Schönberg werden jedoch nicht nur diese Akkorde durch Septimen und Nonen angereichert, sondern auch weitere Akkorde eingeschoben: in T. 25 FisDur, in T. 26 cis-Moll, wodurch die Akkordfolge E–Fis–H–cis–Fis–H entsteht.
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Daß Schönberg nicht allein in kontrapunktisch-imitatorischen Formen wie dieser Doppelfuge, sondern auch in anderen Sätzen Motive einflechtet, läßt sich an zwei weiteren Stellen aus anderen Werken zeigen: Im Cellokonzert g-Moll (Notenbeispiel 7) wird die Imitation des Cellothemas von T. 12 durch die I. Violinen in T. 13 gewissermaßen potenziert, indem in der Generalbaßaussetzung die SechzehntelFiguren des Cellos (T. 12, 3. Viertel, T. 13, 1. Viertel) jeweils ein Viertel später noch einmal erklingen. Und im D-Dur-Klavierkonzert wendet Schönberg von Beginn an alle möglichen Formen der Imitation an (Notenbeispiel 8): In T. 1–4 wird zunächst nur der Sechzehntel-Aufgang imitiert (T. 2), danach auch das Motiv der repetierten Achtel (T. 3–4); und in T. 71–73 erscheint das Hauptthema dann in dreifacher Engführung.
Beispiel 8: Mathias Georg Monn, Klavierkonzert D-Dur, 1. Satz, T. 1–4, T. 71–73, einschließlich Schönbergs Generalbaßaussetzung.
Zwar kritisierte Graf auch einige satztechnische Fehler (Parallelen, Verdoppelungen von Dissonanzen), doch dreht sich der Kern seiner Argumentation um die Kategorie der Angemessenheit: Schönbergs Aussetzung sei sowohl dem Werk in seiner Einfachheit als auch innerhalb einer wissenschaftlichen Ausgabe unangemessen.
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Und so unbestreitbar der von Graf konstatierte Sachverhalt ist, so strittig bleibt doch die Bewertung. Soll man Schönbergs Aussetzung also wirklich für unangemessen halten? In seinem Text aus dem Jahre 1928 hat Schönberg diese Frage mit einer Argumentation zu beantworten gesucht, die weniger die interne Logik als vielmehr die historischen Vorbilder bemüht, und zwar in einem doppelten Sinn: zum einen im Hinblick auf Generalbaßlehren des 18. Jahrhunderts, zum anderen im Hinblick auf Bearbeitungen älterer Musik durch Komponisten des späten 18. und 19. Jahrhunderts. Schönberg vertrat mithin die Auffassung, daß die Qualität seiner Aussetzung sich gerade in der Verbindung von Wissenschaft und Kunst zeige. III In Schönbergs Aufzeichnungen aus dem Jahre 1928 klingt zunächst ein Tenor an, der ganz dem des eingangs zitierten Briefs an Adler entspricht: „Endlich nämlich wurden solche Bearbeitungen wieder einmal (seit Mozart und Brahms) von einem gemacht, der Formsinn, Phantasie und Klangsinn besitzt und Kontrapunkt kann.“18
Der hier angedeutete Bezug auf andere Komponisten wird dann mit dem Satz „[i]mmerhin hatte ich vorher die Händel-Bearbeitungen von Mozart und Brahms genau studiert“ noch einmal bekräftigt.19 Stellte sich Schönberg hier also einerseits in eine Traditionslinie bedeutender Komponisten, die als Bearbeiter älterer Musik tätig waren, so wird andererseits auch der Vorwurf mangelnder Wissenschaftlichkeit zurückgewiesen: „Immerhin hatte ich auch sonst aus J. S. Bach und Ph. Em. Bach sowie aus Quantz (was Jalowetz bezeugen wird, und auch Stein) zu erfahren getrachtet, wie derlei gemacht worden ist.“20
Dann jedoch gesteht er ein: „meine Bearbeitung [zeigt] oft mehr Uebereifer, mehr guten Willen, als Geschmack [...] ich decke oft die nicht immer bedeutenden Themen mit der Ueberfülle meiner Begleitungsstimmen und mit meinem Kontrapunkt zu.“21
18 19 20
21
Arnold Schönberg, Dr. Graf, Monn Bearbeitungen (Anm. 2). Ebenda. Ebenda. Mit „Ph. Em. Bach“ ist Carl Philipp Emanuel Bachs Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen (1. Theil Berlin 1753, 2. Theil Berlin 1762), mit „Quantz“ ist Johann Joachim Quantz’ Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen, Berlin 1752, gemeint. „J. S. Bach“ könnte sich auf die durch ein Manuskript Johann Peter Kellners überlieferten Vorschriften und Grundsätze zum vierstimmigen Spielen des General-Bass oder Accompagnement von 1738 beziehen, die dem 2. Band der Bach-Biographie Philipp Spittas (Leipzig 1880) als Musikbeilage beigegeben sind. Möglicherweise spielt die Bemerkung aber auch auf bestimmte Werke Bachs (mit obligater Cembalobegleitung?) an. Arnold Schönberg, Dr. Graf, Monn Bearbeitungen (Anm. 2).
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Schließlich merkt er noch an:
„und wenn ich auch manches modernisiert hatte, so war ich s o w e i t kaum jemals gegangen, als Mozart in seiner Bearbeitung des ‚Messias‘ von Händel, wo Mozart z. B. (in Peters Edition, No. 8287; Seite 106 No. 24 Coro) eine Illustration des Textes hineinkomponiert hat, die allerdings schon fast zu kühn ist (uns nicht!): er bringt nämlich im 1.–4, 6.–9 Takt und einigen andern Stellen in den Bläsern ein Motiv an, von welchem sich bei Händel auch nicht eine Spur findet, welches offenbar die Herde charakterisieren soll:
Hiefür findet sich bei Händel höchstens ein ‚Anhaltspunkt‘ in Takt 4–7 nach Buchstabe E […]“.22
Wie die zitierten Ausschnitte zeigen, zielte Schönbergs Argumentation in verschiedene Richtungen. Zum einen legte er großen Wert auf die Feststellung, er habe die Generalbaßliteratur des 18. Jahrhunderts eingesehen, zum anderen berief er sich auf die Vorbilder von Brahms und Mozart. Schließlich verwies er auf seine Modernisierungs- und Verbesserungsabsicht. Die Relation der drei Argumente bleibt allerdings offen. Denn es ist unklar, ob der gleichzeitige Hinweis auf Carl Philipp Emanuel Bachs Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen und Mozarts HändelBearbeitungen im Sinne eines gleichgerichteten Arguments zu verstehen ist, oder aber bedeuten soll, daß Schönberg zwar aus der historischen Literatur wisse, wie man einen Generalbaß ausgesetzt habe, in dieser Beziehung aber dem anderen Verständnis Mozarts gefolgt sei. Wie läßt sich also das Verhältnis zu den Vorbildern einschätzen? Schönbergs Hinweis auf die ‚Händelbearbeitungen von Brahms‘ bezieht sich auf die Generalbaßaussetzungen zu insgesamt 13 Duetten und zwei Trios, die 1870 in einer ersten und 1880 in einer erweiterten zweiten Auflage im Rahmen der von Friedrich Chrysander herausgegebenen Händel-Gesamtausgabe erschienen waren.23 Insofern liegt ein ähnlicher Kontext wie bei Schönberg vor: Es handelt sich ebenfalls um eine Generalbaßaussetzung, die in einer Ausgabe mit wissenschaftlichem Anspruch publiziert worden war. Allerdings unterscheidet sich der Generalbaß von Brahms recht deutlich von dem Schönbergs: Brahms’ Aussetzung ist über weite Strecken nur zweistimmig, so daß sich zusammen mit der Bassostimme ein lediglich dreistimmiger Satz ergibt. Außerdem verzichtete Brahms auf das sogenannte ‚getheilte Accompagnement‘, läßt also die linke Hand durchgängig die Noten der Bassostimme spielen, während bei Schönberg der Satz oft vier- und fünfstimmig ist und auch in der linken Hand mehr als eine Stimme spielt (es gibt bei Schönberg 22 23
Ebenda. G. F. Händel’s Werke, Lieferung XXXII, Italienische Duette und Trios, für die Deutsche Händelgesellschaft hrsg. von Friedrich Chrysander, Leipzig 1870, zweite, vervollständigte Ausgabe, Leipzig 1880.
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außerdem gar nicht so wenige Stellen, an denen die linke Hand nicht die Noten der Bassostimme hat). Vor allem aber ist Brahms’ Aussetzung nicht motivisch legitimiert, obwohl es an vielen Stellen gut möglich gewesen wäre. So schrieb Brahms in Duetto XII im 3. Stück etwa in T. 17 lediglich ein Akkordgerüst, imitiert aber die Gesangsstimmen nicht (Notenbeispiel 9). Ähnlich wird auch am Beginn von Duetto XIII in T. 7 auf eine Imitation der Singstimme des unmittelbar vorangehenden Taktes verzichtet (Notenbeispiel 10). Brahms’ Aussetzung genügt somit dem von Carl Philipp Emanuel Bach formulierten Anspruch einer „diskreten Begleitung“24, und nur ganz selten findet man Stellen, die eine gewisse Eigenständigkeit aufweisen.
Beispiel 9: Georg Friedrich Händel, Duetto XII, 3. Stück „Dunque annoda pur“, T. 17–18 (Generalbaßaussetzung von Johannes Brahms und hypothetische Alternativfassung).
Beispiel 10: Georg Friedrich Händel, Duetto XIII, 1. Stück „Langue, geme, sospira“, T. 1–8 (Generalbaßaussetzung von Johannes Brahms und hypothetische Alternativfassung).
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Schönbergs24Verweis auf Mozart trifft die Tendenz seiner eigenen Bearbeitung schon besser, obwohl die Bearbeitungsform mit der Instrumentation (oder genauer: der Hinzufügung von Bläserstimmen) doch in eine ganz andere Richtung weist. Sie war aber für den Kontext des Jahres 1928 ungleich wichtiger, was sich schon daran zeigt, daß Schönberg hier ganz konkret auf eine Stelle hinweist (Notenbeispiel 11). Von Händel stammen nur der Chor- und Streichersatz, von Mozart hingegen die Holzbläser und die Hornstimmen. Und Schönberg nahm hier mit Erstaunen zur Kenntnis, daß sich zwar die repetierenden Achtel von Flöte und Horn, nicht aber die Motive der Mittelstimmen auf Motive im Chorsatz beziehen lassen. Seine Bemerkung unterstreicht aber noch einmal die Rolle, die Schönberg der motivischen Fundierung einer Bearbeitung weiterhin zumaß.
Beispiel 11: Georg Friedrich Händel, Der Messias (instrumentiert von Mozart), Nr. 24, T. 1–4. 24
Carl Philipp Emanuel Bach, Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen, Zweyter Theil, Berlin 1762 [Reprint Wiesbaden 1986], S. 268ff. (32. Kapitel: Von gewissen Zierlichkeiten des Accompagnements, wo es am Beginn von § 3 heißt [S. 269]: „Der gewöhnlichste Ausdruck, wodurch man einen guten Accompagnisten kennbar machet, pfleget dieser zu seyn: er accompagniret mit Discretion. Dieses Lob ist von weitläufiger Bedeutung, und man will damit so viel sagen: Der Begleiter weiß gut zu unterscheiden, und hiernach seine Einrichtungen zu machen, nachdem der Inhalt eines Stückes, dessen Vollstimmigkeit, die Mitgehülfen in der Ausführung, besonders der Ausführer der Hauptstimme, die Instrumente oder Singstimmen, der Ort, die Zuhörer u. s. w. beschaffen sind.“)
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Schönbergs weitgehend von der Motivik her erfundene Aussetzung steht indes nicht nur im Gegensatz zu Mozarts Messias-Bearbeitung, sondern kann sich auch kaum auf Belegstellen in den von ihm als historische Generalbaßliteratur genannten Werken von Quantz und C. Ph. E. Bach berufen. Bei Quantz, in dessen Buch allein die Seiten 223–238 „[v]on dem Clavieristen insbesondere“ und somit vom Generalbaß handeln, werden Nachahmungen nur in einem kurzen Paragraphen (§ 26, S. 236) ohne Notenbeispiele thematisiert. Bei C. Ph. E. Bach nehmen die Ausführungen zum Generalbaßspiel einen deutlich breiteren Raum ein. Die Frage nach einer adäquaten Realisierung eines bezifferten Basses (jenseits der technischen Umsetzung) wird hier vor allem in dem Kapitel „Von gewissen Zierlichkeiten des Accompagnements“ (S. 268–290) angesprochen. Bachs Darlegungen zielen dabei vor allem auf eine Flexibilisierung des Spiels in Abhängigkeit sowohl von der Baßstimme, vom Tempo als auch vom zu begleitenden Ensemble bzw. Soloinstrument. Wert legt er hier noch einmal auf eine nicht-obligate Stimmenzahl (vgl. bereits in § 23ff. der Einleitung des 2. Theils) oder auf Parallelführung in Terzen (beides findet sich in Schönbergs Aussetzung wieder). Motivarbeit im Schönbergschen Sinn als (zusätzliche) Einflechtung von Motiven in einen gar nicht oder nur partiell imitatorischen Satz findet sich hier sowohl in Beispiel a) auf S. 282 als auch in § 6f. des nachfolgenden, „Von der Nachahmung“ überschriebenen Kapitels (S. 293–295). In diesem letztgenannten Abschnitt schlägt Bach vor: „Wer eine gute Einsicht in die Setzkunst besitzet, kann auch zuweilen, statt der gewöhnlichen Begleitung, eine Mittelstimme erfinden, welche die Hauptstimme zierlich nachahmet. Die Sätze, wobey viele Septimen- und Sextquintenaccorde vorkommen, indem die Grundnoten steigen und fallen, sind hierzu die bequemsten.“
Sowohl die zitierte Bemerkung als auch die sich daran anschließenden Notenbeispiele zeigen, daß Bach empfahl, sich vor allem innerhalb von Quintfallsequenzen dieser Technik zu bedienen. Es erscheint denkbar, daß Schönberg solche Stellen zum Anlaß nahm (oder eher als Bestätigung sah), seine Aussetzung der Stücke von Monn ebenfalls mit Nachahmungen zu versehen. Was bei Bach indes nur als Möglichkeit innerhalb eines recht engumgrenzten Kontextes gedacht war, wurde von Schönberg nun zu einer zentralen Kategorie der Generalbaßrealisierung erhoben. IV Warum hat sich Schönberg 1928 noch einmal mit den Generalbaßaussetzungen befaßt? In dem mit dem Datum 11. Mai 1928 versehenen Text wird gleich zu Beginn ein Grund genannt: Am 24. März 1928 hatte Schönberg der sogenannten ‚reichsdeutschen Uraufführung‘ seines Einakters Die glückliche Hand in Breslau beigewohnt und bei dieser Gelegenheit auch Herbert Graf kennengelernt, der die Regie geführt hatte. Herbert Graf aber war der Sohn des Kritikers Max Graf. Hatte Schönberg also nur ein enormes Langzeitgedächtnis, das auch nach 15 Jahren eine in seinen Augen begangene Ungerechtigkeit nicht vergessen konnte und nun einen
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äußeren Anlaß gegeben sah, doch noch darauf zu reagieren? Auffällig ist allerdings, daß Schönberg seinen Text erst Mitte Mai und somit etwa sechs Wochen nach der Begegnung niederschrieb. So liegt eine andere Erklärung möglicherweise näher: Am 1. Mai (also 10 Tage zuvor) hatte der Komponist ein neues Werk begonnen: die Instrumentation von Johann Sebastian Bachs Präludium und Fuge Es-Dur, BWV 552. Man kann daher Schönbergs Text (auch) als ein Dokument der Reflexion und Selbstvergewisserung lesen (vor diesem Hintergrund macht dann auch die detaillierte Beschäftigung mit Mozarts Messias-Bearbeitung Sinn): Schönberg versuchte sich hier in der (virtuellen) Auseinandersetzung mit Max Graf Klarheit über die angemessene Form der Bearbeitung zu verschaffen. Und in der Tat zog Schönberg 1928 Konsequenzen aus einigen Einsichten, die er über die 15 Jahre zuvor angefertigte Generalbaßaussetzung gewonnen hatte, denn er hielt sich nun mit zusätzlichen Stimmen, mit Imitationen und ‚Motivarbeit‘ (oder gar harmonischen Änderungen) zwar nicht vollständig, aber doch weitgehend zurück.25 Wenn er sie dann doch anwendete, dann stehen sie nun im Dienste der Formdramaturgie. Sie wurden nicht – wie noch bei Monn – teilweise wahllos dort eingefügt, wo es eben ging, sondern dienen jetzt der Verdeutlichung der Form, indem sie die Steigerungsanlage sinnfällig zu machen suchen, so daß zusätzliche Motive erst am Ende von Teilen interpoliert werden. So erlaubte sich Schönberg innerhalb der fünfteiligen AB-A-B-A-Form des Präludiums erst am Ende des in T. 71 bzw. in T. 130 jeweils beginnenden B-Teils eine Instrumentation, die in ihrem Motivbestand deutlich über die Bachsche Vorlage hinausging (Notenbeispiele 12/13). In T. 90 präparierte Schönberg beispielsweise aus der bei Bach durchgehenden Sechzehntel-Bewegung ein eigenständiges auftaktiges Dreiton-Motiv heraus (bei Bach 2.–4. Sechzehntel: c 2–b 1–a 1), das er zunächst in den Es-Klarinetten, dann in Piccoloflöte und Flöte erklingen läßt. Die Töne entsprechen zwar noch der Bachschen Vorlage, nicht aber ihre motivische Bedeutung. Gleichzeitig aber läßt Schönberg das Motiv in Umkehrung in Oboen und B-Klarinetten spielen, außerdem erklingt es bereits in T. 87 in den B-Klarinetten und dann vor allem in T. 88f. in Augmentation als Achtelnoten und einer zunächst ähnlichen Fortführung in den Hörnern (sowie als Variante in den II. Geigen in T. 87). In ähnlicher Weise hat Schönberg dann den Schluß des zweiten B-Teils ab T. 154 gestaltet, wobei er nun (wie bei Monn) außerdem zu Techniken der Imitation zurückgriff (vgl. T. 155 in den Fagotten eine Imitation der I. Geigen in Umkehrung im Abstand eines Achtels, sowie T. 158 mit Auftakt in Piccoloflöte und Klarinetten eine Imitation der I. Trompete sowie die Vorwegnahme von T. 159).
25
Zu den Bachbearbeitungen der frühen 1920er-Jahre (Choralvorspiele Komm, Gott, Schöpfer, Heilger Geist und Schmücke Dich, o liebe Seele) und zu der Rolle, die dort der motivische Zusammenhang spielt, vgl. Hans-Joachim Hinrichsen, Schönberg, Bach und der Kontrapunkt. Zur Konstruktion einer Legitimationsfigur, in: Andreas Meyer/Ullrich Scheideler (Hg.), Autorschaft als historische Konstruktion. Arnold Schönberg, Vorgänger, Zeitgenossen, Nachfolger und Interpreten, Stuttgart 2001, S. 29–63, insbes. S. 39ff.
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Beispiel 12: Johann Sebastian Bach, Präludium Es-Dur, BWV 552, T. 87–90. Instrumentation Schönbergs und Original nach der Ausgabe des Komponisten (Arnold Schönberg Center, Wien [SCO B17]).
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Beispiel 13: Johann Sebastian Bach, Präludium Es-Dur, BWV 552, T. 154–157, Instrumentation Schönbergs und Original nach der Ausgabe des Komponisten (Arnold Schönberg Center, Wien [SCO B17]).
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Sowohl die Bach-Bearbeitung als auch der Text von 1928 deuten somit eine gewisse Distanzierung von den Generalbaßaussetzungen des Jahres 1912 an, was zugleich auf ein gewandeltes Verständnis im Hinblick auf den Umgang mit den Frühklassikern schließen läßt. Die im Rückblick als Versuch einer Ausbalancierung von Wissenschaft und Kunst charakterisierte Bearbeitung schien ihm nun zwar nicht vollends mißglückt, aber doch immerhin fragwürdig. Denn abgesehen von dem generellen Problem, daß für diese Stücke gar keine Generalbaßaussetzung erforderlich ist, wirken Schönbergs motivische Einpassungen wie manche harmonischen Deutungen wenig stimmig, daher beliebig und willkürlich. Es fehlte ihnen mithin an ‚musikalisch-formeller Durcharbeitung‘ und musikalischer Logik. Damit aber geht der Generalbaßaussetzung gerade jene Qualität ab, die Schönberg doch zur Konstituierung als Kunstwerk unabdingbar schien. Schönbergs BachInstrumentation von 1928 und die Bearbeitung des Monn-Konzerts von 1933 waren die Konsequenz der Einsicht, daß die Integrität des klassischen Kunstwerks es entweder zu wahren oder aber (durch eine freie Umgestaltung) völlig neu herzustellen galt. Der Mittelweg, den Schönberg 1912 mit den Generalbaßaussetzungen eingeschlagen hatte, war – um eine Formulierung aus seinem Vorwort zu den 1926 veröffentlichten Chorsatiren, op. 28, heranzuziehen – gerade derjenige, welcher nicht nach Rom geführt hatte.
SIEGFRIED MAUSER (München)
Auf der Suche nach Schönbergs Mozart Eine kritisch-essayistische Hinterfragung
Geschichte wurde im Kontext der Wiener Schule von jeher als Tradition verstanden, in der man stand oder von der man sich abzusetzen trachtete. Insofern macht es tatsächlich Sinn, den Traditionsbegriff als „hermeneutische Kategorie bei Arnold Schönberg“ in Anschlag zu bringen, wie das Beat Föllmi 1996 in einer entsprechend betitelten Studie tat.1 Die dort aufgespannten wirkungsgeschichtlichen Zusammenhänge zwischen Kompositionstechnik, Ästhetik und geistesgeschichtlichen Kontexten enthalten auch ein kurzes Kapitel zum Verhältnis Schönberg/Mozart. Im Jahr 2003 widmet Matthias Schmidt dieser Beziehung gar ein ganzes Buch, das mit weit ausholender Geste von ganz allgemeinen Aspekten zu konkreten Referenzen in Werken führt.2 Innerhalb dieser „Aspekte einer Rezeptionsgeschichte“ wird eine Intensität und Nähe zwischen beiden Komponisten rekonstruiert, die einerseits in einer merkwürdigen Spannung zur leicht unverbindlichen sprachlichen Diktion und andererseits zu den nicht eben zwangsläufig erscheinenden Werkbezügen – z. B. im Falle von Schönbergs Phantasy, op. 47 – steht. Ein ähnlich indifferenter Eindruck drängt sich bereits in Föllmis kurzem Kapitel auf, dessen Referat der hinlänglich bekannten verbalen Bezugnahmen Schönbergs entschieden weniger dezidiert ausfällt als etwa die Diskussion der Bezugnahmen zu Bach oder Beethoven. Könnte es nicht sein, daß trotz der emphatischen Proklamation Schönbergs in Nationale Musik (1931), die bekanntlich Mozart als Lehrmeister erster Ordnung deklariert, und anderweitiger gelegentlicher Rückverweise in den theoretischen Schriften mehr ein gewolltes, zum Teil vielleicht sogar abstraktes Programm hinter der Mozartverehrung steht, die sich dementsprechend schwer in konkreten, bedeutenden Werken nachweisen läßt. Bereits ein einfacher Blick auf das Musiktheater, das zweifellos Mozarts insgeheimes Schaffenszentrum bildet, zeigt eine geradezu provozierende Andersartigkeit, die Schönberg deutlich in der Tradition des Wagnerschen Musikdramas ausweist; selbst Von heute auf morgen, das im weitesten Sinne dem buffonesken Genre zugeordnet werden könnte, repräsentiert eine typische Variante neusachlicher Zeitoper, die in ihrem deskriptiv-objektivierenden Gestus weit ent-
1 2
Beat Föllmi, Tradition als hermeneutische Kategorie bei Arnold Schönberg, Bern 1996. Matthias Schmidt, Schönberg und Mozart (= Publikationen der Internationalen Schönberg-Gesellschaft 5), Wien 2003.
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Siegfried Mauser
fernt vom Mozartschen Geist einer psychologisch die Personen durchdringenden Opera buffa steht. Innerhalb der Gattungsspezifik beider Œuvres wird man generell kaum fündig, sodaß der Bezug auf die Phantasy for Violin with Piano Accompaniment, op. 47, oder auch das vierte Streichquartett in den weiträumig kontextualisierenden Ausführungen Matthias Schmidts fast schon wie der berühmte Griff nach einem Strohhalm wirkt. Schon die kapitale Analyse der Phantasy von Adorno in Der getreue Korrepetitor läßt Bezugnahmen zu polyvalenten Formkonzepten Beethovens wahrscheinlicher erscheinen als zu Mozarts c-Moll-Fantasie, KV 475 – gar nicht zu reden von der über weite Strecken dialektisch gespannten Ausdruckdimension in strukturellen und charakterlichen Gegensätzen. Auch im Falle des vierten Streichquartetts, das ebenso wie das dritte durchaus Orientierungen an den Formkonzeptionen der Wiener Klassiker generell erkennen läßt, drängt sich meines Erachtens ein detaillierter Mozartbezug nicht auf, selbst wenn er, wie Schmidt begründet ausführt, von Schönberg selbst programmatisch ins Spiel gebracht wurde – nicht selten dienen solche Äußerungen einer Legitimation, die dann doch ganz andere Wege in der gestaltenden Durchführung geht. Allerdings gibt es ja noch die berühmten satztechnischen Analogien, die Schönberg in Nationale Musik aufmacht, jedoch gelegentlich mit weiteren Bezüglichkeiten, z. B. auf Johannes Brahms, durchsetzt. Vor allem „die Ungleichheit der Phrasenlänge“ bzw. „die Abweichung von der Geradtaktigkeit im Thema und seinen Bestandteilen“ – letztlich zwei mögliche Seiten derselben Münze – erlauben einen gleichwertigen Bezug auf das Brahmssche Komponieren. Wohl nicht zufällig hat Glenn Gould das Klavierstück op. 11/1, dessen Beginn offensichtlich auf entsprechenden Gestaltungsprinzipien beruht, als verspätetes Brahmssches Intermezzo bezeichnet. Tatsächlich läßt die virtuos durchgeführte entwickelnde Variation im motivischthematischen Bereich, die die Irregularitäten überwölbt, entschieden eher an eine Referenz zu Strukturprinzipien des Brahmsschen denn des Mozartschen Komponierens denken. Die psychologisch-dramaturgische Entfaltung von irregulären Proportionen im Komponieren Mozarts zeigt ein deutlich andersartiges strukturelles und ausdrucksspezifisches Profil als die diasthematischen und rhythmischen Entwicklungsimpulse eines Schönberg oder Brahms. Das Faktum der Irregularität allein scheint mir nicht ausreichend, um eine tatsächlich intensive Nähe zu begründen. Schönberg selbst deutet das ja mit der Formulierung an, da er bei Brahms vieles von dem bewußt erkannt und für seine Zwecke begriffen habe, „was mir durch Mozart unbewusst zugeflogen war, insbesondere Ungradtaktigkeit, Erweiterung und Verkürzung der Phrasen“3. Sollte demnach das Wort vom „Lehrmeister in erster Linie“ eine Beschwörungsformel sein, die Schönberg selbst in bestimmter Absicht und Interessensgeleitetheit propagierte – zumindest im Hinblick auf die österreichische und Wiener Tradition, in der sich die Wiener Schule generell sah – so darf eine vorrangige Legitimationsfi3
Arnold Schönberg, Nationale Musik (Arnold Schönberg Center, Wien [T35.39]).
Auf der Suche nach Schönbergs Mozart
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gur wie Mozart kaum fehlen, da die drei großen „B“, die wohl ein detaillierter Werkbezug als die tatsächlich zentralen Anknüpfungspunkte Schönbergs auswiese, letztlich einerseits völlig außerhalb dieser Tradition angesiedelt sind (Bach) bzw. andererseits trotz unbestreitbarer Assimilationen zunächst dem deutschen Kontext entstammen (Brahms und Beethoven). Vielleicht rückte tatsächlich aus lokalen, patriotischen Beweggründen Mozart, dessen Einfluss in einer weiteren, zweiten Linie nicht bestritten werden kann, in die erste Reihe ein, damit der Wiener Geist und das Wiener espressivo als zentrale Bestandteile des eigenen Komponierens ausgewiesen und legitimiert werden. Ein derart programmatisch-intentionales Vorgehen, das den traditionsbewußten Theoretiker Schönberg charakterisiert und ganz in der Rolle möglichst umfassender Legitimation eines eigenen Standortes zeigt, mag schon auch mal mehr oder weniger deutliche Selbsttäuschungsmanöver in Kauf nehmen, um einen als zentral empfundenen rezeptionsästhetischen Aspekt ins rechte Licht zu rücken. Dazu würde auch eine frühe Bemerkung aus dem Jahr 1926 in Pult und Taktstock passen, die eine „moralische Pflicht zur Erhaltung dieses Andenkens“4 – gemeint ist das Mozartsche – vermerkt. Sollte die emphatisch beschworene Nähe zur Musik Mozarts bei Schönberg tatsächlich mehr Programm als kompositorische Realität sein, was, wie unser Kongreßthema belegt, bis heute die Wissenschaft verführt, so bleibt es doch unbestritten, daß Geist, Form- und Strukturbewusstsein der Wiener Klassik entscheidenden Einfluß auf die Entfaltung der Musik Schönbergs wie der Wiener Schule überhaupt hatten. Im Falle Beethovens liegt der Zusammenhang offen und klar, bei Mozart könnte zumindest teilweise mehr der Wunsch Vater des Gedankens als die tatsächlichen Sachverhalte im kompositorischen Werk gewesen sein.
4
Eine sehr lehrreiche Rede Felix Mottls, in: Pult und Taktstock 3/9–10 (1926), S. 159.
FERENC LÁSZLÓ (Cluj/Klausenburg) †
Wolfgang Amadeus Mozart als „Zwölftöner“? Diese Fallstudien wurden in den 1970er Jahren geschrieben und veröffentlicht, zuerst in ungarischer,1 danach – unter einem gemeinsamen Titel zusammengefügt – in rumänischer Sprache.2 Alle drei Publikationen wurden in der MozartBibliographie des Salzburger Mozarteums verzeichnet, aber wer liest schon einen Artikel über Mozarts Chromatik auf Ungarisch oder Rumänisch? Zu jener Zeit gab es für mich als rumänischem Staatsbürger keine Möglichkeit, diese Studien in deutscher oder englischer Sprache erscheinen zu lassen. Am 23. Juni 2007 hatte ich anläßlich einer Tagung im Wiener Schönberg Center die Gelegenheit, die Ausstellung „Mozart und Schönberg“ zu besichtigen. Es fiel mir auf, daß sich die ausgestellten Dokumente im wesentlichen auf das Thema „Schönberg über Mozart“ bezogen und kaum Exponate in unmittelbarem Zusammenhang mit dem mir vertrauteren Thema „Mozart als Schönberg-Vorgänger“ standen. Auch unter den Vortrags-Abstracts zum Symposion „Mozart und Schönberg. Wiener Klassik und Wiener Schule“ fand ich keine Überschneidungen mit meinen Darlegungen aus den 1970er Jahren. Hartmut Krones, der unseren Ausstellungsbesuch führte, hat mich freundlich ermutigt, eine deutsche Version meiner Studien anzufertigen, wofür ich ihm an dieser Stelle meinen Dank aussprechen möchte. Zwischen den Übersetzungen und den Originalfassungen – abgesehen von der 17. und der 20. Fußnote – bestehen keine wesentlichen inhaltlichen Unterschiede. 1. Chromatik im zweiten Satz des Klavierquintetts Es-Dur, KV 452 In seinem Existenzkampf gegen den Widerstand der Tradition beruft sich das Neue, um sich zu rechtfertigen, oft auf die anerkannten Werte der Vergangenheit und ist zu beweisen bemüht, daß es die organische und notwendige Fortsetzung oder gar die vollständige Entfaltung derselben ist. Es gab eine Zeit, in der im Kampf um die Anerkennung der Dodekaphonie folgendermaßen argumentiert wurde: Schönberg und seine Schule hätten eigentlich nur die in den Werken von Wagner, Bach oder Gesualdo gelegentlich schon auftretenden panchromatischen Ansätze in ein System gefaßt. In unseren Tagen braucht die Dodekaphonie keine solchen Rechtfertigungen, ist sie doch selbst ein anerkannter Wert der (nicht einmal nahen) Vergangenheit. In diesem Sinne teilen wir die Ansicht von Ulrich Dibelius: 1
2
Wolfgang Amadeus Mozart mint „Zwölftöner“. Kromatika a KV 452 jelzetű kvintett második tételében, in: Magyar Zene 17/3 (September 1975), S. 248–254; „Atonális sziget“ Mozart g-moll szimfóniájában, in: Magyar Zene 17/4 (Dezember 1977), S. 402–405. Wolfgang Amadeus Mozart – dodecafonist?, in: Muzica 28/8 (September 1978), S. 24–29.
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Ferenc László
„[…] nutzlos ist der Versuch, der meist in apologetischer Absicht unternommen wird, Vorformen des Atonalen oder gar der Dodekaphonie in tonal konzipierten Partituren aufdecken zu wollen.“3
Diese Mahnung des Fürsprechers der Neuen Musik wäre jedoch nur dann ein „rechtskräftiges“ Verbot, wenn die Erforschung der Zusammenhänge zwischen dem (ewig) Neuen und seinen klassischen Vorbildern ausschließlich durch die Interessen des Neuen gerechtfertigt wäre, wenn sich dieser Vergleich vom Standpunkt des besseren, zeitgemäßen Kennenlernens der Vorbilder gegebenenfalls nicht als noch fruchtbarer erweisen würde. Das Verstehen und Auswerten der Vergangenheit ändert sich von Generation zu Generation, und zwar vor allem deshalb, weil sich die Kriterien selbst ständig erneuern. Wer möchte bestreiten, daß die Kenntnis der Gesetzmäßigkeiten des zum System geordneten Zwölftonraums die Musikwissenschaft näher an das Verständnis der Gesualdo-Chromatik herangeführt hat; daß die Musikwissenschaft heute mehr und Essentielleres über Bachs Chromatik weiß als vor, sagen wir, hundert Jahren, als die Welt die für die damalige Zeit geschriebene Monographie von Albert Schweitzer bejubelte – und als Schönberg den Taumel der Befreiung aus der Enge der Tonalität erst zu spüren begann? Wir wollen uns also im folgenden mit Mozart auseinandersetzen und nicht mit der Dodekaphonie. Unsere Zielsetzung ist vor allem dadurch gerechtfertigt, daß die einschlägige Fachliteratur zwar voll von Hinweisen auf Wagner ist und die Musikwissenschaft des post-dodekaphonischen Zeitalters auch das Lebenswerk von Bach und Gesualdo gründlich erforscht hat,4 wir in der Mozart-Literatur jedoch kaum Hinweise auf diesen neuen Blickwinkel finden. Die Zusammenfassung von Hans Joachim Moser5, in welcher die Charakteristika der Mozartschen Chromatik vor allem in seinen Vokalwerken untersucht werden, bemerkt bei einem chromatischen Satz nur beiläufig, daß er „eine Wonne für alle Dodekaphonisten“ sein müßte! Die Panchromatik als ordnendes Kriterium tritt in seiner Studie gar nicht in Erscheinung. Das ist umso erstaunlicher, als sich der Autor selbst an einer Stelle auf einen seiner früheren, unter dem Titel Seb. Bach als Zwölftöner? Das „Gesetz der unabgebrauchten Tonstufe“ 6 erschienenen Artikel bezieht. Das durch Mosers Studie erweckte Mangelgefühl wird durch einen – ebenfalls anläßlich des zweihundertjährigen Jubiläums – publizierten Aufsatz einer weiteren namhaften Persönlichkeit, Alois Hába, bestärkt. In ihm äußert sich der Prophet der Chromatisierung jenseits der Zwölftönigkeit folgendermaßen: 3 4
5 6
Ulrich Dibelius, Moderne Musik I 1945–1965. Voraussetzungen, Verlauf, Material, München–Zürich 31984, S. 318. Zwei einschlägige Titel aus der rumänischen Fachliteratur: Max Eisikovits, Unele elemente şi aspecte moderne anticipate în creaţia lui Gesualdo di Venosa [Einige moderne Elemente und Aspekte vorweggenommen im Schaffen von Gesualdo da Venosa], in: Lucrări de muzicologie 1 (1965), 59–73; ders., Elemente ale limbajului muzical bachian în lumina muzicii din prima parte a secolului XX. [Elemente der Bachschen Musiksprache im Lichte der Musik der ersten Hälfte des XX. Jahrhunderts], in: Lucrări de muzicologie 2 (1966), S. 43–62. Hans Joachim Moser, Über Mozarts Chromatik, in: Mozart-Jahrbuch 1956, S. 167–199. Das Musikleben 6 (1953), S. 86f.
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„Melodik und Harmonik baute Mozart hauptsächlich auf den drei Hauptfunktionen der Tonika, Dominante und Subdominante in Dur und Moll auf. Die Chromatik und sogenannte Neben-Vierklänge wendete er nur ausnahmsweise an. Dadurch ist die Musik Mozarts der Musik seiner Vorgänger Scarlatti, Rameau, Händel und Stamic näher als der harmonisch komplizierten Musik J. S. Bachs.“7
Selbst wenn Hába hier recht hat, so hat er nicht das (alleinige) Recht, vor allem nicht jenes Recht, welches man in seinem Aufsatz Mozart und die weitere Entwicklung der Musik von ihm erwarten kann! Wenn kein anderer, so hätte eben Hába der einseitigen Darstellung des „diatonischen“ Mozarts jene – zwar ebenfalls einseitige, jedoch vielleicht nicht so einseitige – Sichtweise gegenüberstellen sollen, nach der Mozarts zukunftsträchtige chromatische Formeln den Komponisten zum Glied der Kette Gesualdo–Bach–Wagner–Schönberg qualifizieren. Sie weihen ihn zum Meister jener Avantgarde, die die panchromatischen stilistischen Bestrebungen des 20. Jahrhunderts bereits im 18. Jahrhundert vorwegnahmen. Bahnbrecher in der Frage „Mozart und die Dodekaphonie“ war unseres Wissens kein Theoretiker, sondern ein kreativer Musiker: Darius Milhaud. Der in Italien lebende rumänische Komponist und Musikwissenschaftler Roman Vlad verweist in seiner Storia della Dodecafonia 8 auf einen offenen Brief Milhauds an Luigi Dallapiccola, in dem er aus dem Finale des Don Giovanni eine zwölf Töne umfassende „Reihe“ zitiert:9
Beispiel 1: Wolfgang Amadeus Mozart, Don Giovanni, KV 527, Finale, T. 456–461.
Das höchst Bemerkenswerte an diesem Beispiel: Alle zwölf Töne erklingen darin, ohne daß sich bis zum Ende der „Reihe“ ein Ton wiederholte, ohne daß die Melodie eine einzige Sequenz oder einen chromatischen Sekundgang enthalten würde. Als solches ist es ein Musterbeispiel dafür, was Moser in der erwähnten Studie „distributive Chromatik“ nennt.10 Wir müssen jedoch bemerken, daß die von Milhaud zitierte „Reihe“ ein Auszug ist, eine schematische Darstellung gewisser Haupttöne des betreffenden Ausschnittes. Wenn wir die Harmonien der gegebenen Baß7 8 9 10
Alois Hába, Wolfgang Amadeus Mozart und die weitere Entwicklung der Musik, in: Pavel Eckstein (Red.), Internationale Konferenz über das Leben und Werk W. A. Mozarts, Praha, 27.–31. Mai, 1956, Prag o. J., S. 57. Milano 1958, S. 29. Darius Milhaud, Lettre ouverte à Luigi Dallapiccola, in: Rassegna Musicale 23/1 (1953); Datierung des Briefes: Mills, 11. Jänner 1953. „Ich meine damit all jene Erscheinungen, wo auf engstem Raum sich die Fülle chromatischer Stufen häuft, die Alternative von Stammstufe und alterierter Ableitung begegnet, ohne doch direkte Halbtonketten zu bilden.“ Moser, Über Mozarts Chromatik (Anm. 5), S. 171.
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töne und die über den ersten Baßtönen erklingenden Töne der Partie des Komturs in Betracht ziehen, ist der Auszug nicht frei von Wiederholungen. Jenes Werk, dessen zweiter Satz sich hervorragend für die Erforschung von Mozarts Panchromatik eignet, ist allgemein bekannt: Es handelt sich um das Quintett für Klavier, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott Es-Dur, KV 452. Seine Bekanntheit soll uns nicht der Pflicht entbinden, in aller Kürze an die damit verbundenen biographischen Daten zu erinnern. Das einzige Klavierquintett Mozarts11 ist am 30. März 1784 beendet und am 1. April 1784 im Wiener Hoftheater uraufgeführt worden. Nach der Uraufführung schrieb Mozart an seinen Vater: „ich selbst halte es für das beste was ich noch in meinem leben geschrieben habe.“12 Schon zu Mozarts Lebzeiten entstanden Bearbeitungen davon – die berühmteste ist jene für Klavier, Violine, Bratsche und Violoncello, die in zahlreichen Auflagen erschienen ist.13 Das Quintett wurde zu einem großen Erfolg, und die Nachfrage nach dem Werk war enorm. Es ist ein Gemeinplatz der Musikliteratur, daß Beethoven unter dem Einfluß dieses Werkes sein Quintett Es-Dur, op. 16, in derselben Tonart und für dieselbe Besetzung komponiert hat. Der Gegenstand unserer Untersuchung ist der Mittelsatz des Es-Dur-Quintetts, KV 452, eine mit „Larghetto“ bezeichnete Sonatenhauptsatzform in B-Dur im 3/8Takt, deren thematisches Material von durchaus diatonischer Prägung ist. Das Hauptthema, eine 8 + 10 Takte zählende Periode (Teil a auf der Dominante – Teil a’ auf der Tonika: T. 1–18, in der Reprise T. 74–91) beinhaltet eine einzige chromatisierte, wechseldominantische Wendung (T. 15–16, in der Reprise T. 74–91, mit einer subtilen subdominantischen Wendung in T. 83). Im zweimal vier Takte zählenden Nebenthema (T. 32–40 bzw. T. 113–121) hört man keine einzige profiliert chromatische Wendung. Vielleicht ist nichts so charakteristisch für diesen Satz wie die Tatsache, daß Mozart zwischen den diatonischen Themenpfeilern als Gegengewicht oder Kontrastmaterial betont chromatische Passagen komponiert hat. Drei Passagen dieser Art wollen wir untersuchen: (a) die Überleitung zum Nebenthema in der Exposition, (b) den entsprechenden Abschnitt der Durchführung und (c) die Überleitung in der Reprise. Für alle drei sind der diatonisch-periodisierende Beginn und die chromatisch-nichtperiodisierende, phantasieartige Fortsetzung mehr oder weniger kennzeichnend. (a) Die Überleitung der Exposition (T. 18–32) könnten wir auch als eine aus 4 + 4 + 6 Takten bestehende Barform interpretieren.14 In den zwei Stollen-Phrasen be11
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13 14
Außerdem wissen wir von einem 35 Takte umfassenden Bruchstück eines für Klavier, Oboe, Klarinette, Bassetthorn und Fagott begonnenen Quintetts (KV 452a) und von einem Adagio und Rondo für Glasharmonika, Flöte, Oboe, Viola und Violoncello (KV 617). Ludwig Ritter von Köchel, Chronologischthematisches Verzeichnis sämtlicher Tonwerke Wolfgang Amadé Mozarts, Wiesbaden 81983, S. 488, 703f. Mozart. Briefe und Aufzeichnungen. Gesamtausgabe, hrsg. von der Internationalen Stiftung Mozarteum Salzburg. Gesammelt und erläutert von Wilhelm A. Bauer und Otto Erich Deutsch, Bd. 3, Kassel etc. 1987, S. 309. Vgl. Köchel, Chronologisch-thematisches Verzeichnis (Anm. 11), S. 786. In der Fachliteratur ist der Glaube verbreitet, daß die Barform, „die in der klassischen Musik ungewöhnlicher ist, in der alten Musik häufig vorkommt [und] durch Richard Wagner zu neuem Ruhm ge-
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kommen alle vier Blasinstrumente dankbare Solistenrollen; es kommt – über g-Moll – zu der obligaten Modulation in die Dominant-Tonart F-Dur. In den ersten vier Takten der Abgesang-Phrase gleicht sich der Rhythmus kontinuierlich zu einer Achtelbewegung aus, die Melodie gestaltet sich zu einer Folge von Sekundschritten, und überraschenderweise wird die Harmonik reicher. Die aus zwei Tönen bestehende Melodiezelle, aus deren Sequenzreihe sich der Baß formt, ist ein sich nach oben lösender Leittonschritt. Seine Harmonisierung ist sehr mannigfaltig: ein Dominantseptim-Akkord (a–cis–e–g), der sich trugschlußartig in die VI. Stufe von d-Moll (= B-Dur) auflöst, dann ein sich zur Dur-VI.-Stufe (G-Dur) auflösender verminderter Septimenakkord der VII. Stufe von g-Moll (auf fis), dann ein weiterer verminderter Septimenakkord (auf der VII. Stufe von d-Moll, somit auf cis stehend), der sich zur III. Stufe hin auflöst (d-Moll), sowie ein G-Dur-Sextakkord, der (als Wechseldominante von F-Dur) zum (im Hinblick auf F-Dur) dominantischen C-Dur-Quart-Sext-Akkord (c-f-a) weiterschreitet – wenn wir die Akkordpaare einzeln untersuchen. Im ganzen genommen hören wir aber trotz der bis zur Elfstufigkeit15 erweiterten Diatonik stets F-Dur, was nach vier Takten durch eine nachdrückliche Kadenz bestätigt wird.16
Beispiel 2: Wolfgang Amadeus Mozart, Quintett Es-Dur, KV 452, 2. Satz, T. 27–30 (schematische Darstellung).
(b) Die ersten acht Takte der Durchführung (T. 44–51) modulieren von der Dominant-Tonart in die Subdominante (nach Es-Dur, der Grundtonart des Horns). In Takt 51 erscheint ein neues, diatonisches Thema, welches zwei Dreitakt-Phrasen
15
16
langt ist“ (Hugo Leichtentritt, Musikalische Formenlehre, Leipzig 51952, S. 24). Dieser Ansicht halten wir entgegen, daß wir in der Analyse der Mozartschen Musik auf den Begriff nicht verzichten können, da die bar- (AAB) und gegenbarartigen (ABB) Formteile bei Mozart sehr häufig anzutreffen sind. Damit folgen wir den in der Mozart-Literatur bahnbrechenden Behauptungen von Hans Dennerlein, Der unbekannte Mozart. Die Welt seiner Klavierwerke, Leipzig 1951; vgl. auch Ferenc László, Untersuchungen zum zweiten Opus 1 Nr. 1, in: Mozart-Jahrbuch 1971/72, Salzburg 1973, S. 149–156; ders., Contribuţii la studiul formei de sonată la Mozart [Beiträge zur Erforschung der Sonatenform bei Mozart], in: Studii de muzicologie 9, Bukarest 1973, S. 481–504. Das Fachwort „Elfstufigkeit“ verwenden wir in dem von Lajos Bárdos geprägten Sinn. Im vorliegenden Fall ist dieselbe Elfstufigkeit nachweisbar, die er im Zusammenhang mit der Musik Palestrinas beschreibt: „ein Tonvorrat, der die diatonische Siebenstufigkeit um drei obere und einen unteren Ausschnitt des Quintenzirkels übersteigt“. Lajos Bárdos, Natürliche Tonsysteme, in: Zoltan Kodály/László Lajtha (Hg.), Studia memoriae Belae Bartók sacra, Budapest 21957, S. 218. Der Leser soll es nicht als „Beckmesserei“ betrachten, daß wir im folgenden Notenbeispiel den parallelen Oktavschritt zwischen dem Horn und dem Baß eingezeichnet haben. Wenn wir glauben würden, daß das Aufdecken solch eines Schreibfehlers das „Prestige“ Mozarts auch nur minimal beeinträchtigen würde, würden wir so tun, als ob wir ihn gar nicht bemerkt hätten. Im 101. und im 103. Takt hören wir Oktavparallelen zwischen der Oboe und dem Horn.
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bildet und dann in eine neue chromatische Passage mündet. Diese Takte sind für uns der spannendste Teil des Satzes.
Beispiel 3: Wolfgang Amadeus Mozart, Quintett Es-Dur, KV 452, 2. Satz, T. 57–62.
Die Melodiezelle, aus der sich die Takte entfalten, ist ein sich nach unten auflösender Halbtonschritt, das Spiegelbild der im vorherigen Notenbeispiel aufgezeichneten Leittonzelle. Was in dieser Passage weitgehend neu ist, ist vor allem die konsequente Ordnung der Aufeinanderfolge der Zweitonzellen – im Vergleich zu dem vorher analysierten Ausschnitt, wo wir in der Aufeinanderfolge der Akkordpaare kein einheitlich ordnendes Prinzip entdecken konnten. In diesem Fall folgen die Seufzermotive im Baß in einer Sequenzreihe von unteren Quinten bzw. oberen Quarten aufeinander, wobei die Tonfolge zum Ausgangston Es zurückkehrt. Eine genauere Untersuchung ergibt, daß in dem aus zwölf Tönen gebildeten Baßgang dieses Es die erste und einzige Tonwiederholung ist und daß wir es eigentlich mit einer aus elf Tönen bestehenden „Reihe“ zu tun haben, in der – um zwölftönig zu sein – nur das A fehlt, das, gemäß der Sequenzlogik als B–A vor dem ersten Ton hätte erklingen können. So sieht die reine, von gelegentlichen OktavTransponierungen freie „Reihe“ aus:
Beispiel 4: Wolfgang Amadeus Mozart, Quintett Es-Dur, KV 452, 2. Satz, T. 57–62, Baß.
Auch die übrigen Stimmen werden konsequent aus dieser Zweitonzelle gebildet. Mit gewisser Vereinfachung – indem die ornamentalen Töne weggelassen werden – können wir die fünf Takte in dem folgenden Auszug wiedergeben:
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Beispiel 5: Wolfgang Amadeus Mozart, Quintett Es-Dur, KV 452, 2. Satz, T. 57–62, Schema.
In unserem Auszug haben wir jene Töne, die einander fortsetzen, mit einer geraden Linie verbunden. Wenn wir auf die solcherart „redundant“ gewordenen Töne verzichten und – gemäß dem in den übrigen Tönen konsequent sich abzeichnenden Modell – im ersten und letzten Takt jene Rhythmusabweichungen verändern, die als Verbindung zum Vorangegangenen bzw. zum Darauffolgenden dienen, bekommen wir folgende „ideale“ Abbildung:
Beispiel 6: Wolfgang Amadeus Mozart, Quintett Es-Dur, KV 452, 2. Satz, T. 57–62, Modell.
Wenn wir die Töne der oberen Stimmen aufreihen, stellt sich heraus, daß in den Takten 57–62 die oberen drei Stimmen die Transposition der gesamten Form der im Baß erklingenden „unvollständigen Reihe“ intonieren, und zwar ohne eine einzige Tonwiederholung:
Beispiel 7: Wolfgang Amadeus Mozart, Quintett Es-Dur, KV 452, 2. Satz, T. 57–62, Oberstimmen.
Also ist das Gerüst des Fragmentes ein aus einer einzigen Reihe bestehender Terzkanon, in dem die Risposta mit einer Abweichung von einem Taktteil eintritt:17
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Der Komponist und Hochschulprofessor Hans Peter Türk hat unsere Aufmerksamkeit auf die verblüffende Ähnlichkeit dieses Kanons mit dem Anfang der Trauermusik à la mémoire de Béla Bartók von Lutosławski gelenkt:
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Beispiel 8: Wolfgang Amadeus Mozart, Quintett Es-Dur, KV 452, 2. Satz, T. 57–62, kanonisches Gerüst.
So weit führt die Analyse, wenn wir die den panchromatischen Bestrebungen des 20. Jahrhunderts entsprechende Sicht anwenden – bei der Untersuchung einer perfekt tonalen und auf den Gesetzen der Harmonielehre basierenden Musik. Es ist jedoch höchste Zeit, daß wir aus der immer abstrakter werdenden Welt der Notenbeispiele zur Mozart-Partitur selbst zurückkehren und festhalten: Dieser Auszug, der Mozart zum Vorläufer einer streng strukturierten Chromatik, zu einem die Dodekaphonie fast anachronistisch vorausahnenden „Zukunftsmusiker“ macht, hat seine Wurzeln doch im Zeitstil. Den Baßgang an und für sich – beziehungsweise seine Segmente – können wir in mehreren Werken finden (in seiner Schönheit gleichwertig: in den Takten 243–252 im Finale der Jupiter-Symphonie). Eigentlich handelt es sich um nichts anderes, als um eine auf dem Quintenzirkel von rechts nach links fortschreitende Kette von Dominant-Septimen, in welcher der Grundton konsequent durch einen fallenden Sekundschritt eingeführt wird. Das Übrige, also der Oberterzkanon mit einer Zwei-Achtel-Abweichung in Baß und Tenor sowie der in den oberen Stimmen in doppeltem Kontrapunkt mit einer Ein-Takt-Abweichung geschaffene untere Quintkanon, aus denen Mozart die Dominantseptimenkette aufbaut, bleibt auch ein Bravourstück innerhalb des Zeitstils, selbst wenn es dessen Rahmen in zukunftsweisender Richtung zu sprengen versucht. Die harmonischen Verwicklungen der nächsten dreizehn Takte (T. 62–72) gehören nicht in den Bereich unserer Untersuchungen. Von der Dominante in Es-Dur in Takt 61 bis zur Reprise in Takt 74 durchwandern wir mit Mozart ein wahres Labyrinth von Trugschlüssen, chromatischen und enharmonischen Ausweichungen sowie in Dissonanzen sich auflösende Dissonanzen. Doch geht es uns diesmal nicht um die Harmoniewelt Mozarts, sondern nur um bestimmte Bezüge der Mozartschen Chromatik, mit besonderem Augenmerk auf die organisierte Panchromatik, deren so einfaches Beispiel wir zuvor betrachtet haben. Darum verzichten wir auf eine detaillierte Analyse dieser von Es-Dur über e-Moll nach B-Dur führenden Modulation. Gleichzeitig möchten wir bemerken, daß, obwohl hier keine Rede von einer Zwölfstufigkeit ist (von den 12 chromatischen Stufen kommen in den drei Viertakt-Gliedern des Abschnitts [T. 62–65, 66–69, 70–74] nur je 7, 10 und 9 vor), diese Mozartsche Sequenz doch als ein Vorläufer der Versuche zur Neutralisierung der Tonalität aufgefaßt werden kann. Seine Harmoniekette bricht nicht mit den Regeln der klassischen Harmonielehre, nutzt aber im Rahmen des Systems vollauf jene Möglichkeiten, die zu einer zeitweiligen und relativen Außerkraftsetzung des tonalen Bezugs führen.
Wolfgang Amadeus Mozart als „Zwölftöner“
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(c) Die Überleitung der Reprise (T. 91–109) geht vom Muster der Exposition aus. Die ersten acht Takte (T. 91–98) führen nach der Berührung mit c-Moll – wie zu erwarten war – zur Grundtonart zurück. Statt des folgenden Sechs-TakteAbschnitts der Exposition folgt hier ein seiner Art nach ähnlicher, aber längerer chromatischer Gang (T. 100–105). Das Übergewicht der gleichmäßigen Achtelbewegung und der Sekundschritte sowie die Zweiunddreißigstel-Figuration des Klaviers erinnern an die Parallelstelle in der Exposition; präsent ist auch die Leittonzelle des Basses, wenn auch nicht – wie in der Exposition – von ausschließlicher Gültigkeit. Im letzten Achtel des Taktes 105 hören wir den Dominant-Terzquartakkord c–es–f–a, welcher sich in die Tonika der Grundtonart auflösen könnte. In diesem Fall würden wir die sieben Takte als eine geschlossene, an tonalen Ausweichungen reiche, jedoch ins anfängliche B-Dur zurückkehrende Phrase betrachten. Statt der Auflösung in die Tonika und des erwarteten Eintritts des Nebenthemas bringt Mozart jedoch T. 106 den verminderten Septimakkord gis–h–d–f, welchen er aber nicht in den Tonika-Dreiklang auflöst (analog zu den Takten 102 und 104), sondern weiterführt, gefolgt von einer Serie verminderter Septimakkorde. Wir haben es hier mit einem ganz außergewöhnlichen Fall zu tun, zu dem uns keine Analogie in der Wiener Klassik bekannt ist: Wir hören während dreier Takte insgesamt neun Schritte einer chromatisch steigenden, verminderten Septimakkord-Mixtur. Der vorhergehende Akkord sowie die die Akkordkette beschließende Harmonie vertreten die Dominante der Grundtonart. Im Verhältnis dazu können wir den ersten und den letzten der neun verminderten Septimakkorde noch auf Grund der Regeln der tonal-funktionalen Harmonielehre interpretieren, aber für die dazwischen liegenden sieben Achteln hat Mozart jeden funktionalen Bezug außer Kraft gesetzt und jenseits der Gesetze der klassischen Harmonielehre eine atonale Insel geschaffen.18 Alle drei Takte dieser Insel beinhalten die Totalität des chromatischen Tonspektrums, ohne daß sich ein Ton wiederholen würde. 18
Unsere Interpretation unterstützen wir mit einem Zitat von Ernst Kurth: „Bei den Klassikern kommt in geschlossenen Sätzen oder modulatorischen Übergängen eine wirkliche Durchbrechung des tonalen Zusammenhanges, d. h. ein Aufhören logischer Klangbeziehung, das auch nicht mehr Abweichungen mittels gemeinsamer Tonartklänge, Enharmonik oder Alteration usw. darstellt, nur auf Grund zweier technischer Erscheinungen vor, der Sequenz oder einer freien Folge verminderter Septakkorde […]. Der erste dieser verminderten Septakkorde gehört noch (unmittelbar oder auch als zwischendominantischer Klang) der Haupttonart an; ihm können unter völliger Durchbrechung tonaler Aufeinanderbeziehung mehrere andere verminderte Septakkorde folgen, an deren letzten aber wieder in logischem Harmoniezusammenhang angeknüpft wird“. Ernst Kurth, Romantische Harmonik und ihre Krise in Wagners Tristan, Berlin 1920, S. 322; die Kursivsetzungen stammen vom zitierten Autor. Hermann Erpf stellt eindeutig fest, daß „zu Beginn und Ende der Mixturführung der Mixturklang oder das Mixturintervall funktionell bezogen ist“ (Studien zur Harmonie- und Klangtechnik der neuen Musik, Wiesbaden 1969, S. 79). Vom Standpunkt unserer Untersuchungen aus sind die Anmerkungen von Heinrich Husmann von besonderer Bedeutung: „Chromatische Bässe sind bereits eine viel angewandte Spezialität des Barockzeitalters. Dagegen sind chromatische Rückungen ganzer Takte oder sogar ganzer Gruppen wieder eine Technik, die die Romantik aufs höchste entwickelt hat; ein Paradebeispiel etwa die chromatischen Ketten von verminderten Septimakkorden in Liszts Préludes, mit denen er den Sturmwind veranschaulicht. Diese Erscheinungen sind – in bescheidener Form – wiederum in der Klassik und auch bei Mozart vorgebildet. Etwa im 1. Satz der großen Es-Dur Sinfonie moduliert er (T. 181–183) in verminderten Septimakkorden von e über es nach d“. (Zur Entwicklung der Mozartschen Sonatenform, Teil I, in: Eckstein (Red.), Internationale Konferenz über das Leben und Werk W. A. Mozarts [Anm. 7], S. 243). Der Mozart-Ausschnitt, auf
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Ferenc László
Beispiel 9: Wolfgang Amadeus Mozart, Quintett Es-Dur, KV 452, 2. Satz, T. 106–109.
Nach diesem „Schock“ führt eine vier Takte dauernde, „beruhigende“ Akkordreihe über einen Dominant-Orgelpunkt zum Nebenthema. Fassen wir zusammen: Im mittleren Satz seines einzigen Klavierquintetts gleicht Mozart durch Einfügung betont chromatischer Abschnitte die Diatonik der Themen aus. Das Nebenthema der Exposition und das Haupt- und Nebenthema der Reprise treten als Auflösungen je eines solchen chromatischen Abschnittes ein. Im abschließenden Teil der Überleitung der Exposition (T. 27–30) erweitert eine Harmoniereihe, die sich über die Sequenzen einer zwei Töne umfassenden BaßZelle entfaltet (welche wiederum ein aus einem Leitton und seiner Auflösung bestehendes Tonpaar darstellt), die Tonalität ( F-Dur) zu einer freien Elfstufigkeit. Im Zentrum der Durchführung (T. 57–63) entsteht aus der Spiegelumkehrung dieser Baß-Zelle – auf Grund der Rationalisierung des Sequenzablaufs – eine elfstufige „Reihe“ ohne Tonwiederholungen. Das gleichzeitig erklingende Material kontrapunktischer Natur der oberen drei Stimmen kann auf die Transposition der auf zwölf Stufen vervollständigten Form der „Reihe“ zurückgeführt werden, die ebenfalls bar jeder Tonwiederholung ist. Der nächste Abschnitt der Durchführung (T. 66–74) ist eine phantasieartige, Konsonanzen meidende, den tonalen Bezug relativ schwächende Überleitung. In der Überleitung der Reprise folgt nach dem diatonischen Beginn ein phantasieartiger, an chromatischen Tönen reicher Abschnitt (T. 100–109), in dessen drei letzten Takten eine neunstufige verminderte Septimakkord-Mixtur zeitweilig die Tonalität aufhebt und eine tonartlose „Insel“ schafft. In jedem dieser drei Takte erklingt der gesamte zwölfstufige Tonvorrat ohne jegliche Wiederholung. Diese Tatsachen stellen Mozart seiner Nachwelt als einen Avantgarde-Autor vor, der im Jahre 1784, ohne den Zeitstil zu verleugnen, dessen Möglichkeiten erschöpfend ausnützte, bis an seine Grenzen ging und damit seiner Zeit um 100 bis 150 den sich der Autor bezieht, ist tatsächlich ein sehr bescheidener Vorschuß auf die Liszt-Mixturen; Mozart hat die drei verminderten Septimakkorde nicht unter Anwendung der Mixtur-Technik, sondern nach den traditionellen Regeln der Stimmführung verbunden. Unser Beispiel dagegen kann mit gutem Recht – um mit Husmann zu sprechen – als „Paradebeispiel“ betrachtet werden.
Wolfgang Amadeus Mozart als „Zwölftöner“
237
Jahre voraus war. Inwieweit sich die Ergebnisse unserer Untersuchungen auf das Gesamtwerk, auf das Schöpferportrait Mozarts ausdehnen lassen könnten, müssen zukünftige Forschungen entscheiden. Die Analyse dieses Satzes spricht aber auch alleine für die Notwendigkeit dieser Forschungen und rechtfertigt unsere Vermutung: In Kürze wird die Musikwissenschaft auch Mozart als Vorbote der von Schönberg artikulierten, systematischen Panchromatik würdigen, so wie dies bei Gesualdo und Bach, Liszt und Wagner der Fall ist. 2. „Atonale Insel“ in Mozarts g-Moll-Symphonie, KV 550 Nach dem Erscheinen meines Aufsatzes über Wolfgang Amadeus Mozart als „Zwölftöner“ war László Somfai so liebenswürdig, mich auf den bemerkenswerten Unisonogang im Finale der g-Moll-Symphonie, KV 550, und auf die analytischen Bemerkungen von Heinrich Jalowetz aufmerksam zu machen19, welche Nathan Broder auch im Vorwort der Norton-Ausgabe des Werkes zitiert hat. Hier der Notenausschnitt mit den Einzeichnungen von Jalowetz:
Beispiel 10: Wolfgang Amadeus Mozart, Symphonie g-Moll, KV 550, Finale, T. 125–135.
In seinem Kommentar zeigt Jalowetz auf, daß wir – wenn wir den Rutscher (slide) vor dem 5. Takt nicht beachten – vom C des 2. Taktes bis zum 9. Takt eine aus zehn Tönen bestehende „Reihe“ hören, deren chromatische Töne – im Gegensatz zum traditionellen Begriff der Chromatik – gleichwertig sind. Die Töne des Satzes gruppiert Jalowetz zu je drei; jede dieser Dreiergruppen (three-note-groups) besteht aus einer verminderten Quart und einer verminderten, fallenden Septim, und es fehlt ihr der diatonische Stützpunkt (diatonic point of support), so daß die Sequenzreihe vom tonalen Einflußbereich befreit wird und ein atonaler Abschnitt entsteht. Die harmonische Auflösung (dissolution) wird mit einer rhythmischen Auflösung unterstrichen. Wir danken László Somfai für diesen Hinweis. In den analytischen Bemerkungen von Jalowetz haben wir den ältesten und wichtigsten Präzedenzfall unserer Untersuchungen über die Panchromatik und die Atonalität bei Mozart kennengelernt, von dem wir hätten wissen müssen. Natürlich kannten wir den von Jalowetz analysierten Ausschnitt. In unserer Untersuchung haben wir uns darauf nicht bezogen, weil wir der Meinung waren, daß er mit seinen zehn chromatischen Tönen weniger komplex ist als die Beispiele aus dem Es-Dur-Quintett, KV 452. Erst Jalowetz’ Ausführungen haben uns bewußt19
On the Spontaneity of Schoenberg’s Music, in: The Musical Quarterly 30/4 (October 1944), S. 389.
238
Ferenc László
gemacht, wie genau dieser Fall zu unserem Thema paßt. Wir holen unser Versäumnis nun nach. Wir interpretieren den Ausschnitt als vier voneinander im Quart-Abstand erklingende Sprünge verminderter Septimen, wie folgt:
Beispiel 11: Wolfgang Amadeus Mozart, Symphonie g-Moll, KV 550, T. 127–132, Schema.
Wenn wir den Tonvorrat dieses Gebildes (ab dem Auftakt) betrachten, erhalten wir einen breiten Ausschnitt eines Modus, die konsequente Anwendung des Lendvaischen Modells 1:420 innerhalb zweier Oktaven:
Beispiel 12: Wolfgang Amadeus Mozart, Symphonie g-Moll, KV 550, T. 126–132, Modell-Schema.
Es ist kein Zufall, daß dieser Modus nicht in den Bereich der von Ernő Lendvai vorgenommenen Untersuchung der Modelle 1:2, 1:3 und 1:5 sowie ihrer Vorkommen fällt. Zum Unterschied von denselben paßt dieser verhältnismäßig leicht in den diatonischen Rahmen. Die benachbarten sechs Stufen könnten als eine unvollständige Siebenstufigkeit wirken; in unserem Fall erklingt in der Reihe je H-, Fis- und Cis-Dur, deren zweite Stufen fehlen.
Beispiel 13: Wolfgang Amadeus Mozart, Symphonie g-Moll, KV 550, T. 127–132, diatonische Reihe.
Wahrscheinlich würden wir in Bartóks Musik umsonst nach diesem Modell suchen. Aber völlig klar tritt es in einem klassischen Unisonogang von Beethoven hervor, 20
Von den zahlreichen Büchern des Bartók-Analytikers, dessen Terminologie ich hier verwende, empfehle ich dem deutschsprachigen Leser dieser Studie sein posthumes Buch: Ernő Lendvai, Symmetrien in der Musik. Einführung in die musikalische Semantik, Kecskemét–Wien 1995, S. 30–38. Das Modell 1:2 „entspricht einer unendlichen Kette aus abwechselnden kleinen und großen Sekunden“, das Modell 1:3 „entspricht einer unendlichen Kette aus abwechselnden kleinen Sekunden und kleinen Terzen“, das Modell 1:5 „entspricht einer unendlichen Kette aus abwechselnden kleinen Sekunden und Quarten“ (S. 30). Lendvais System ist zweifelsohne eine persönliche und auf Bartóks musikalische Sprache ausgedehnte Weiterentwicklung der Theorie der Modi aus Olivier Messiaens Technique de mon langage musical, Paris 1944. Das Modell 1:2 Lendvais ist die Ausdehnung in das Unendliche der „Mode 2“ von Messiaen (Notenbeispiel 312 auf S. 50 des mit Exemples musicaux betitelten zweiten Bandes). Das von Lendvai vermiedene Modell 1:4 würde „einer unendlichen Kette aus abwechselnden kleinen Sekunden und großen Terzen“ entsprechen. Der aus der Durchführung des Quintetts, KV 452, oben zitierte Baßgang ist die Verkörperung des Modells 1:6.
Wolfgang Amadeus Mozart als „Zwölftöner“
239
und zwar am Beginn des Allegro ma non tanto aus seinem Streichquartett a-Moll, opus 132:
Beispiel 14: Ludwig van Beethoven, Streichquartett a-Moll, op. 132, 2. Satz, T. 1–4.
Wenn wir auf den Spuren von Jalowetz’ Methode nun den Unisonogang der g-Moll-Symphonie als eine Folge von Dreiklängen interpretieren, gewinnen wir über enharmonische Umdeutungen eigentlich vier Dur-Quartsextakkorde, von denen je drei in dieselbe diatonische Siebenstufigkeit gereiht werden können, nämlich als die „Hauptstufen“ IV, I und V von H- bzw. Fis-Dur: Beispiel 15: Wolfgang Amadeus Mozart, Symphonie g-Moll, KV 550, T. 126–132, harmonisches Modell.
An diesem Punkt unserer Untersuchungen stellt sich die Frage: Warum hören wir diesen aus Dur-Hauptstufendreiklängen bestehenden Ausschnitt doch als atonale Insel (mehr noch, laut Jalowetz als „a genuine twelve-tone line“21)? Es kann keine Rede sein von einer Erklärung, die argumentiert, es klinge so, weil Mozart nicht große Terzen, sondern verminderte Quarten, nicht große Sexten, sondern verminderte Septimen geschrieben hat. Wir analysieren doch ein Hörerlebnis – ein Tonbild, nicht ein Notenbild. Um auf unsere Frage eine zutreffende Antwort zu erhalten, müssen wir der von Jalowetz angewandten Vorgehensweise eine Prämisse entgegenstellen. Betrachten wir nur diesen – Jalowetz’ Meinung nach zu vernachlässigenden, ja vernachlässigten – „Rutscher“ h–c–d–es: Als ein vier Töne umfassender Ausschnitt des Modell-Modus 1:2 ist er kein diatonischer Gang, im traditionellen Sinn der tonalen Musik jedoch unzweifelhaft eine eindeutige Formel, und zwar das verminderte Tetrachord der harmonischen c-Moll-Skala – zwischen dem in unserem H-Dur als IV. Stufe verstandenen E-Dur-Quartsextakkord und dem in H-Dur als I., bzw. in Fis-Dur als IV. Stufe zu betrachtenden H-Dur-Quartsextakkord, was, auf dem Quintenzirkel abgezählt, eine Distanz von sieben bis neun Zwölftelsegmenten bedeutet! Beispiel 16: Wolfgang Amadeus Mozart, Symphonie g-Moll, KV 550, T. 126–132, harmonisch-melodisches Modell.
21
Jalowetz, On the Spontaneity of Schoenberg’s Music (Anm. 19), S. 387.
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Diesem Weg folgend, betrachten wir die andere 1:2-Vierergruppe f–e–d–cis, die das verminderte Tetrachord von d-Moll ist – nach drei Fis-Dur-Hauptdreiklängen, was ebenfalls eine Distanz von sieben Segmenten des Quintenzirkels darstellt: Beispiel 17: Transposition und Umkehrung des harmonisch-melodischen Modells.
Dem ersten Auftreten des, auf b-Moll weisenden, verminderten Tetrachords a–b–c– des (mit einer Umkehrung in der Reihenfolge) folgen, auch auf einer Distanz über sechs Vorzeichen, die drei H-Dur-Hauptdreiklänge: Beispiel 18: Transposition des variierten harmonisch-melodischen Modells.
Mozart zerstört also mit dem ostentativen Erklingen dieses aus dem Hauptthema entnommenen 1:2-Tetrachords – als Antezedens, als eingefügter „Rutscher“ und als Abschluß – jenen tonalen Anziehungsbereich, den diese „H-Dur-Fis-Dur-Insel“ der g-Moll-Symphonie im Hörer erwecken könnte. Die Folge „unserer“ DurDreiklänge wird von entfernten Moll-Klängen gefärbt; diese 1:2-Gänge verhindern, daß unser Gehör Mozarts verminderte Quarten zu großen Terzen und die verminderten Septimen zu großen Sexten umdeutet. So wird die Reihe a–e–h–fis–cis–gis in unseren Ohren zu einer Folge von Leittönen und des–as–es–b–f zu Terzen der MollTonarten, die sich auf dem Quintenzirkel von rechts nach links reihen. In diesem Beispiel finden wir einen Berührungspunkt zu jenem chromatischen Satz, den wir in unserem ersten Aufsatz analysiert haben: Sowohl hier wie dort handelt es sich um Ausschnitte von Quint zu Quint modulierender Sequenzsätze, mit dem essentiellen Unterschied, daß die Richtung jener „authentisch“ (von der Dominante zur Tonika), die Richtung dieser jedoch „plagal“ (von der Subdominante zur Tonika) ist. Wir müssen Jalowetz recht geben bezüglich dessen, was er über die auflösende, abbauende Rolle des Rhythmus in diesem Ausschnitt sagt. Wir können diesen Satz nicht als Sequenz von Quartsext-Dreiklängen hören, auch weil das viermalige Erscheinen der drei Töne sich mit vier voneinander ganz abweichenden Rhythmen paart (die im NB 10 mit Klammern markiert sind):
Beispiel 19: Wolfgang Amadeus Mozart, Symphonie g-Moll, KV 550, RhythmusModelle.
Wolfgang Amadeus Mozart als „Zwölftöner“
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Schließlich können wir festhalten, daß Mozart in diesem Gang den Eindruck des Atonalen noch im Rahmen des tonalen Denkens erweckt, dessen Grenzen er aber sozusagen „aggressiv attackiert“. In der Quint-Sequenzfolge zeigt er die Modulationen nur durch charakteristische Schlüssel-Töne an und meidet beharrlich die Tonika der berührten Tonarten. Das so entstandene Gefühl der „Schwerelosigkeit“ potenziert er durch den unregelmäßigen Umbruch des Rhythmus.
BRYAN PROKSCH (Lake Charles, LA)
Schönberg’s Analyses and Reception of Haydn’s Music* Arnold Schönberg defended his compositional aesthetic by tracing his heritage through the canonic composers of music history. His thoughts concerning Beethoven, Mozart, Brahms, and Bach have become common knowledge.1 His thoughts on Joseph Haydn, on the other hand, have been little investigated and are somewhat more difficult to evaluate.2 To be sure, he was familiar with a large number of Haydn’s works. In fact, Schönberg performed quite a few works by Haydn and owned a significant number of Haydn scores, all at a time when Haydn’s reputation was suffering after a century of general neglect.3 Analyses of Haydn’s music appear in practically all of his books and in a number of unpublished manuscripts as well. Yet Schönberg never wrote an extended essay on his first Viennese school counterpart, nor did he refer to this composer in his published writings with the frequency typical of some other composers. This paper will examine the extent of Schönberg’s interest in Haydn, beginning with his library of scores and continuing through his analyses and essays, both published and unpublished. What will emerge is a clearer picture of his thoughts and interests on Haydn’s music, including his extensive knowledge of Haydn’s output and the aspects of Haydn’s approaches to composition that he found especially interesting. My study will reveal that Schönberg’s knowledge of Haydn’s music was both extensive and detailed and that Schönberg thought of Haydn as a master composer and part of his own compositional heritage. Furthermore, he formulated his viewpoint in the early decades of the twentieth-century put him at the forefront of what would eventually become a complete turnaround in Haydn’s reputation.4 * A special thanks to Severine Neff (University of North Carolina at Chapel Hill) for her consistent sup1
2
3
port of my work on Schönberg. See for example his essays Brahms the Progressive and Bach, in: Arnold Schönberg, Style and Idea: Selected Writings of Arnold Schoenberg, edited by Leonard Stein, translated by Leo Black, Berkeley 1975. See also Matthias Schmidt, Schönberg und Mozart. Aspekte einer Rezeptionsgeschichte (Publikationen der Internationalen Schönberg-Gesellschaft 5), Wien 2004; Christian Martin Schmidt, Schönberg und Brahms, in: Autorschaft als historische Konstruktion. Arnold Schönberg – Vorgänger, Zeitgenossen, Nachfolger und Interpreten, hrsg. von Andreas Meyer und Ullrich Scheideler, Stuttgart 2001, p. 91–116. On Schönberg’s reception of Haydn see also my Precedents of Schoenberg’s Compositional Practice in the Chamber Works of Haydn, in: ‘I Feel the Air of Another Planet’: Schoenberg’s Chamber Music, Schoenberg’s World, edited by James Wright and Alan Gilmor, Stuyvesant, New York 2009, p. 149–160; Haydn’s “London” Symphony and Schoenberg’s Analytic Methods, in: Miscellanea. Referate zweier Haydn-Tagungen 2003, hrsg. von Georg Feder und Walter Reicher (Eisenstädter Haydn-Berichte 3), Tutzing 2004, p. 11–29. For a general overview of Haydn’s reception in Germany and Austria see James Garratt, Haydn and Posterity: The Long Nineteenth Century, in: The Cambridge Companion to Haydn, edited by Caryl Clark, Cambridge/Mass., 2005, p. 226–238; Leon Botstein, The Demise of Philosophical Listening: Haydn in the 19th Cen-
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Bryan Proksch
In terms of reception, compared to other German and Austrian theorists and musicologists of the late-nineteenth and early-twentieth centuries, Schönberg was on the leading edge of Haydn’s revival just in his analyzing the music in close detail.5 The majority of his contemporaries and predecessors, including Robert Schumann, Adolph Bernhard Marx, and Richard Wagner, avoided analyzing Haydn’s music in favor of Beethoven’s. Wagner, for instance, argued that Haydn’s symphonies “moved with all the blithesome freshness of youth: [their] entwinements […] hardly show a trace of the results of such ingenious treatment but rather take the character peculiar to a dance […]. [He fails] to achieve dramatic pathos or continuity of action – their works are characterized by a ‘lofty glee.’ ”6
Haydn infused music with a superficial “mirth” but failed to penetrate the “whole depth of endless heart’s-desire.” In fact, even some of Schönberg’s most influential disciples, for instance, Rudolph Retí and Hans Keller, showed a certain reluctance at approaching Haydn’s music analytically.7 Retí, for instance, felt that Haydn’s practice did not include the “thematic process” until after the death of Mozart, hardly a ringing endorsement of Haydn’s compositional abilities and innovations. In analyzing Haydn’s phrase structures, Grundgestalten, and implementation of developing variation, Schönberg tacitly recognized Haydn’s innovations and compositional accomplishments. This viewpoint in turn affirmed Haydn’s influence on and continuing relevance to music aesthetics, theory, and composition. Many of Schönberg’s analytic points (e. g. odd-measure hypermeter, motivic development, and Haydn’s balance of absolute music and opera/song topoi) would eventually become core topics for Haydn scholarship. From a theoretical perspective, Schönberg blazed a new path in Haydn’s reception that remains current with the interests of modern scholarship.
4
5
6 7
tury, in: Haydn and His World, edited by Elaine Sisman, Princeton 1997, p. 255–285; idem, The Consequences of Presumed Innocence: The Nineteenth-Century Reception of Joseph Haydn, in: Haydn Studies, edited by W. Dean Sutcliffe, Cambridge/Mass. 1998, p. 1–34. James Webster (Rosen’s Modernist Haydn, in: Variations on the Canon, edited by Robert Curry, David Gable and Robert L. Marshall, Rochester 2008, p. 283–290) dates the scholarly revival of Haydn to the 1950s and the work of H. C. Robbins Landon. As far as I can determine, the first claim of a general resurgence of interest in Haydn’s music was made by Rosemary Hughes (The Rediscovery of Haydn, in: The Musical Times 100 [May 1959], p. 258–259), who latched on to Donald Francis Tovey’s (Haydn the Inaccessible, in: idem, Essays in Music Analysis, Vol. 1, Symphonies [Oxford 1935], p. 138–140) work on Haydn, stating that earlier efforts were stillborn because of World War I. A notable non-German exception to this is Vincent d’Indy and some of his French colleagues. See Bryan Proksch, Vincent d’Indy as Harbinger of the Haydn Revival, in: Journal of Musicological Research 28 (2009), p. 162–188. In the German-speaking world Hermann Kretzschmar’s Führer durch den Konzertsaal, Leipzig 1932, examines a number of Haydn’s works closely, but more as a general concertgoers guide. Richard Wagner, The Artwork of the Future, in: Richard Wagner’s Prose Works, Vol. 1, translated by William Ashton Ellis, London 1895, p. 120–121. Keller generally avoids the music of Haydn in favor of Mozart in his published analyses, while Retí (The Thematic Process in Music, Westport, Conn., 1951, p. 276–278) feels that Haydn’s practice did not include the “thematic process” until after the death of Mozart.
Schönberg’s Analyses and Reception of Haydn’s Music
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Haydn Scores Owned by Schönberg Before assessing Schönberg’s views on Haydn, it is necessary to determine just what Haydn music he knew and in how much detail. With over 100 symphonies, more than 50 piano sonatas, dozens of string quartets and piano trios, and two significant oratorios (let alone operas, masses, etc.), Haydn wrote quantitatively more music in more varied styles than any other composer Schönberg would have encountered in music history. In fact, Schönberg’s knowledge encompassed a substantial portion of Haydn’s output. His personal library included a surprisingly large number of works, and his writings reference works beyond those in his personal possession. A list of Haydn’s works analyzed and/or owned by Schönberg is given in Table 1. In addition to the works listed on this table, Schönberg owned a number of arrangements of Haydn’s works, though these contain no annotations. As can be seen on Table 1, Schönberg owned a majority of the string quartets and piano trios, a number of the piano sonatas, and many of Haydn’s symphonies, including most of the late “Paris” and “London” sets. From the op. 20 quartets Schönberg would have been aware of Haydn’s 1770s interest in fugue and learned counterpoint. The op. 54 set would have shown Haydn’s formal quirkiness at its height. He owned a wide enough variety of piano sonatas to know the essence of Haydn’s approaches to the instrument. His collection of symphonies, though focused on the late “public” works, nevertheless included the Sturm und Drang Symphony No. 45. Finally the oratorios, both of which he owned, show Haydn’s text painting and vocal writing in a way that clearly influenced Gurre-Lieder. The sunrise near the end of Gurre-Lieder mimics the famous “Let there be light” moment at the opening of The Creation in substance, harmony, and orchestration.8 Schönberg’s interest in Haydn took root in actual performance, not merely abstract study. Numerous annotations useful only in performance, such as fingerings and small corrections appear in a number of the scores, indicate that Schönberg played from them at least on occasion. In some cases, Schönberg owned duplicate copies of certain string quartets, using one copy for performance and the other for analysis. For example, one volume of three string quartets includes hand-written corrections of the score and violin fingerings, while different scores of these works include only analytic remarks.9 Since most of the published editions of Haydn’s music 8
9
Both works move from intense chromaticism to a brilliantly clear C major in a sun-related text. The performance annotations in his copy of Haydn’s oratorio demonstrate that Schoenberg had a knowledge of this work at the very time he composed his own work in the genre (March 1900 to March 1901). It is plausible that he presented The Creation as early as 1895, when he quit his job as a banker and assumed the conductor’s positions with the Mödling Choral Society and the Stockerau Metalworkers’ Singers’ Union. At the very least, his exposure to the work came over the course of 1895 – c. 1901, the years when he actively conducted a number of choral societies. A program for a concert directed by Schönberg on 24 February 1907 includes the finale to Part 1 of The Creation as well as the Danklied zu Gott, Hob. XXVc:8, demonstrating his knowledge of Haydn’s oratorio at approximately the same period of time. Streichquartette für 2 Violinen, Viola und Violoncello [U.E.63], Wien [s. a.] (Arnold Schönberg Center, Wien [SCO S19]).
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Bryan Proksch
available to Schönberg were full of errors and inaccuracies, the corrections, like the fingerings, would have been necessary for an acceptable performance of these works. Thus when Schönberg told the Kolisch Quartet to play one of his quartets “as if it were a Haydn”, he knew the music itself, its stylistic idiosyncrasies, and Haydn’s demands on the performer.10 A collection of Haydn string quartets, Berühmte Quartette für Streich-Instrumente (Leipzig [s. a.]; Arnold Schönberg Center, Wien [SCO H4]) and another of his piano sonatas Sonaten, Piano Solo (rev. by Wilhelm Rauch, Leipzig [s. a.]; Arnold Schönberg Center, Wien [SCO H7]) are Schönberg’s most heavily annotated scores in terms of musical analysis. Schönberg included a variety of analyses in these scores, many of which eventually found their way into his 1938–1942 book Fundamentals of Musical Composition.11 As performance annotations and hand-numbered measures also appear in a number of other works in these volumes, he may have skimmed through the volume for musical examples suitable for inclusion in this and other books.
Works analyzed either in print or handwritten in score 1. Phrase Analyses String Quartets: op. 20/4, op. 54/1, op. 64/4–5, op. 74/3, op. 76/2–5 Piano Sonatas Hob. XVI: 27, 28, 30, 31, 33, 34, 41 2. Motivic/Melodic Analyses String Quartets: op. 54/1, op. 64/4, op. 74/3, op. 76/1–5 Piano Sonatas Hob. XVI: 28, 30, 35, 42, 48 Symphony: 104 3. Formal Analyses String Quartets op. 54/1, op. 76/3 Piano Sonatas Hob. XVI: 35, 40, 42, 48 4. Harmonic Analyses String Quartets: op. 54/1, op. 64/4, op. 76/1 & 3 Piano Sonatas Hob. XVI: 28, 40 Symphony: 94 Piano Trio Hob. XV: 29
10
11
Christoph Wolff, Schoenberg, Kolisch, and the Continuity of Viennese Quartet Culture, in: Music of My Future: The Schoenberg Quartets and Trios, edited by Reinhold Brinkmann and Christoph Wolff, Cambridge/Mass. 2000, p. 19. Arnold Schönberg, Fundamentals of Musical Composition, edited by Gerald Strang and Leonard Stein, New York 1967, p. 121ff.
Schönberg’s Analyses and Reception of Haydn’s Music
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Works Owned But Not Analyzed String Quartets op. 17/5, op. 20/6, op. 33/2–4, op. 54/2, op. 64/3, op. 77/1–2 Symphonies: 45, 82, 85, 88, 92, 97, 100–103 Piano Trios Hob. XV: 1, 5, 6, 7, 9, 10, 11, 13, 14, 15, 17, 19, 20, 23, 28, 31 Other: “Die Schöpfung” (with performance annotations) “Die Jahreszeiten” Table 1: Works by Haydn either owned or analyzed by Schönberg.12
Schönberg’s analytic annotations in these scores demonstrate his interest in several areas of Haydn’s style, including form, phrase structure, harmonic ingenuity, and motivic unity. Generally speaking, his motivic analyses focus on the unity of intervals and rhythms from moment to moment rather than on large-scale relationships. His notes on phrase structure scrutinize odd-measured, oddly grouped, or otherwise irregular phrases. Schönberg’s formal analyses are limited to Haydn’s shorter forms (minuets, scherzos and the like). By contrast, he shows no interest in Haydn’s idiosyncratic sonata forms, perhaps because they were less suited to his pedagogical purposes and perhaps because as an avant-garde composer Schönberg may have thought that straightforward forms were a prerequisite of coherence in his own compositions. Schönberg’s Interest in Phrase Analysis and Counterpoint Of all the diverse ways in which Schönberg analyzed Haydn’s music, his most sustained interest was in Haydn’s use of odd or unconventional phrase structures. Schönberg’s approach was, in a sense, a study of the ways in which one could foster a sense of intelligibility and “regularity” without the aid of conventional gestures. Comprehensibility in the absence of expected gestures was, naturally, a topic of direct import to Schönberg and his own compositions. Schönberg tells us in his 1947 essay “Brahms the Progressive” that asymmetric phrase structures eliminate one of the “most efficient aids to comprehension”13. He latched on to both Haydn and Mozart in his examination of irregular phrase structure because “irregularity is more frequently present” in their works than in Beethoven’s.14 His consistent refer12
13 14
This list is updated and revised from my essay Haydn’s ‘London’ Symphony (fn. 2), as it now includes entries from the Arnold Schönberg Center’s latest catalog. It has been compiled from scanning Schönberg’s published books as well as from the holdings of the Arnold Schönberg Center in Vienna as listed in: Kathryn P. Glennan, Jerry L. McBride, and R. Wayne Shoaf, Arnold Schoenberg Institute Archives Preliminary Catalog, Los Angeles 1986, and its updated electronic version available on the Schönberg Center’s website [http://www.schoenberg.at, 07.09.2010]. Schönberg’s publications scanned for Haydn examples include: Fundamentals of Musical Composition (fn. 11); Style and Idea (fn. 1); Theory of Harmony, translated by Roy E. Carter, London 1978; The Musical Idea and the Logic, Technique, and Art of Its Presentation, edited and translated by Patricia Carpenter and Severine Neff, New York 1995; and Structural Functions of Harmony, edited by Leonard Stein, New York 1969. Schönberg, Brahms the Progressive (fn. 1). Ibid. p. 409.
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ence to Haydn’s minuets is particularly insightful, considering that regular phrase patterns were the expected norm in this stylized dance form. Schönberg points out that Haydn’s departures from conventional phrase structure were a result of his emotional approach to composition (as if working in the “realm of song”), and indicate a dismissal of abstract “dance music.” In this, he directly contradicts Wagner’s argument that Haydn’s use of dance gestures made him less expressive. Schönberg goes on to argue that Haydn’s phrase structures were instead more similar in conception and emotional content to the music of Brahms. In analyzing Haydn’s phrase structures, Schönberg emphasized Haydn’s use of theme rather than melody. Melodies encouraged “regularity, simple repetitions and even symmetry” for Schönberg whereas themes “follow ‘adventures’, ‘predicaments’, which ask for solution, for elaboration, for development, for contrast”15. That is, motivic development often provided an opening for the creation of irregular phrase structures. Thematic development, and its use in the context of emotional expression, underlies every aspect of Haydn’s music for Schönberg, in much the same way that it was central to Schönberg’s own compositional practice.
Example 1: Schönberg’s analysis of Haydn’s String Quartet in D minor, “Quinten”, op. 76/2/iii.16
Schönberg approaches Haydn’s irregular phrase structures from two different angles. In some cases, such as in the minuet of op. 76/2 “Quinten”, he sees a connection back to the contrapuntal unfolding and spinning out of phrases used by J. S. Bach (see example 1). In op. 76/2/iii Schönberg notes that the use of canon creates an ambiguity of phrase length. The phrase can be divided in sections of either 5+6 measures (divided at m. 6) or 4+4+3 (divided at mm. 4 and 8), depend15 16
Schönberg, Fundamentals (fn. 10), p. 102f. I have used the editions owned by Schönberg in creating these examples even in cases where a newer critical edition is available. The editions available to Schönberg were, of course, filled with mistakes. It does not seem that the particular analyses done by Schönberg would have been substantially altered given more accurate editions, however.
Schönberg’s Analyses and Reception of Haydn’s Music
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ing upon which voice takes precedence.17 The point of this particular example is its emphasis on contrapuntal combination as a form of motivic development. Schönberg saw it as, in essence, Baroque in conception and structure: an example of the Baroque’s influence lingering in the background of Haydn’s art. Haydn’s counterpoint evoked comment from Schönberg when discussion the nature of “outmoded” music. Here Schönberg argued that neither Haydn’s music, nor that of any other musical genius, could ever become obsolete: “There is no great work of art which does not convey a new message to humanity; there is no great artist who fails in this respect. This is the code of honor of all the great in art, and consequently in all great works of the great we will find that newness which never perishes, whether it be of Josquin des Prés, of Bach or Haydn, or of any other great master.”18
Schönberg’s overall argument rests on the notion that the Viennese Classicists created the style of homophonic composition and developing variation out of a need for newness. Nevertheless Haydn, Mozart, and Beethoven still felt the effects of Bach, whose music was still living to them. Schönberg states this explicitly: “One should be surprised to find that the classic composers – Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Mendelssohn, Schumann, Brahms and even Wagner – after Bach’s contrapuntal climax, in spite of their in essence homophonic style, so often interpolate strict counterpoint, differing from Bach’s counterpoint only by such features as the progress in music had brought about; that is, a more elaborated development through variations of the motive.”19
Schönberg found this “surprising” because homophony demands developing variation while counterpoint requires an unchanged motive. The fact that he had analyzed Haydn’s counterpoint, and that Haydn was, notably, the earliest chronologically on his list, indicate the role he felt that Haydn played in the “progress” of composition and the merging counterpoint with developing variation. Many of Haydn’s odd phrase structures fall under a different analytic rubric for Schönberg, one where non-contrapuntal small-scale development or variation of a rhythmic figure generates an unusual phrase structure almost accidentally or as a by-product. In these instances Haydn looks forward to Beethoven and his successors. Schönberg examines the minuet of Haydn’s String Quartet in G major, op. 54/1 in exactly this manner. He discusses the movement in both the harmonic caesura and minuet form sections of Fundamentals of Musical Composition. Example 2 is a composite of these analyses created by combining Schönberg’s prose comments with his musical examples.
17 18 19
Ibid. p. 142 and 146. Schönberg, New Music, Outmoded Music, Style and Idea (1946), in: Style and Idea (fn. 1), p. 114f. Schönberg, On Revient Toujours (1948), in: Style and Idea (fn. 1), p. 108f.
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Example 2: Schönberg’s Analysis of Haydn’s String Quartet in G Major, op. 54/1/iii (Bold/large print denotes Schönberg’s analysis, italics denotes my additional remarks, ossia is Schönberg’s).20
Haydn’s approach to irregular phrases evolves over the course of the movement, and the application of development to an underlying phrase structure was of great import to Schönberg. He begins by pointing out the ten-measure phrases of op. 54/1/iii and the manner in which Haydn created an irregular-length phrase (5+5) by stretching and distorting a standard eight-measure (4+4) period structure. The ossia above the top system of example 2 gives Schönberg’s reconstruction of the “original” eight-measure period that Haydn manipulated from within. The A and A’ sections of this work both maintain a rigid adherence to 5-measure subphrases, however the deceptive cadence at m. 34 (given in the second system), forces the movement into an additional coda phrase. Haydn again alters his con20
Schönberg, Fundamentals (fn. 11), p. 26 and 141f., with examples from p. 34 and 145f.
Schönberg’s Analyses and Reception of Haydn’s Music
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struction technique to write a ten-measure phrase, now built using a sentence structure (1+9) commencing with a rest. Schönberg argues that this change in phrase structure gives the movement a sense of closure that would not have been possible by simply ending the movement with another 5+5-measure period. Rhythmic/motivic development lies at the heart of this movement’s irregular phrase structures. The motives marked as a and a’ by Schönberg receive constant attention throughout the movement, including the movement’s B section. In the opening phrase Haydn repeats both a and a’, including a developed form of a’ at m. 7. The descending eighth-note run in the first violin (which I have labeled motive b) is related to similar gestures in the viola in m. 4 and cello in m. 5. Haydn inserts motive b at measure 8 to help round out the phrase by developing a secondary motive, and this insertion is what creates the ten-measure period.
Figure 1: Schönberg’s original analysis of Haydn’s Piano Sonata in C major, Hob. XVI:35/iii (Arnold Schönberg Center, Wien [TBK 1, folder 9]) Schönberg’s corrections in m. 16–17 are in red pencil.
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Example 3: Schönberg’s analysis of Hob. XVI:35/iii as printed posthumously in Fundamentals of Musical Composition, Ex. 102.
In contrast to the extractable insertions of the movement’s opening phrase, the closing phrase is an excellent example of the use of organic growth though motivic liquidation. None of the measures in this phrase could be extracted without destroying the integrity of the entire phrase: each measure is essential. In mm. 39 to 42, Haydn liquidates the a’ motive through constant repetition. This integral “phrase extension”, as Schönberg thought of it, is a much different approach to the distortion of phrase structure than seen in the opening phrase of the movement.21 It is markedly closer in practice to the continual growth of developing variation. Phrase extension plays a crucial role in Schönberg’s analysis of Haydn’s Piano Sonata in C major, Hob. XVI:35 (figure 1 and example 3).22 This example again features Haydn’s irregularity and inventiveness within the confines of a limited contrasting middle phrase in “small ternary form”. Schönberg notes that he has selected it as a textbook example because of its differences with Beethoven’s practice. Schönberg’s analysis divides Haydn’s nine-measure contrasting phrase into shorter sub-phrases of 2+4+2+1. Measures 9–10 state the idea which is repeated in m. 11, sequenced in m. 12, varied in m. 13 and finally concluded in m. 14. This is at heart a sentence structure, though the “dominant” statement has been altered and the liquidation extended. Schönberg’s analysis of Hob. XVI:35 focuses on the “organic” nature of Haydn’s nine-measure phrase. In this case, unlike op. 54/1/iii, Haydn could terminate his phrase at nearly any point because of his adept approach to liquidating his motive. One need only replace either m. 16 with m. 17 to shorten the phrase to a more regular eight measures. Haydn chose to avoid this shortening, preferring the “extended” and irregular nine-measure phrase. This ingenious solution more fully de21 22
In his score of the finale of Haydn’s String Quartet in C major, op. 76/3 (see fn. 23), Schönberg labels a similar passage with the word “extension”. Schönberg, Fundamentals (fn. 11), p. 121 and 126. N. B. footnote 1.
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velop his idea, plays with the listeners’ expectations regarding the immanent onset of the recapitulated A phrase (m. 18), and makes the instability of the B phrase more evident. Many of Schönberg’s unpublished in-score analyses of Haydn’s phrase structures have a much different flavor than his published analyses. In these, he often pushes the limits of analysis in an attempt to uncover very unusual or striking types of phrase construction. This is evident, for instance, in his score of Haydn’s String Quartet in D major, op. 20/4, where he wrote brackets to delineate the phrase structure of this quartet’s opening movement in the hopes of uncovering a threebeat hypermeter (see figure 2). He divides the opening twelve-measure phrase of the work into three-measure units, but the analysis just does not work because the cadences consistently appear on weak beats. What Schönberg uncovered was actually a two-beat hypermeter where the opening measure is an upbeat, an unusual occurance in Haydn’s music but less so in, for instance, Mozart’s compositions. His analysis, though possibly left incomplete, offers a clear example of Schönberg’s willingness to give Haydn a fresh hearing and reinterpretation. It also demonstrates that Haydn’s music still spoke to Schönberg in new and exciting ways.
Figure 2: Schönberg’s unpublished analysis of Haydn’s String Quartet in D major, op. 20/4/i.23
23
Joseph Haydn, Berühmte Quartette für Streich-Instrumente, Leipzig [s. a.], p. 15 (Arnold Schönberg Center, Wien [SCO H4]).
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Developing Variation in Haydn’s Music Schönberg’s interest in Haydn’s music also extended to the development and variation of motives and harmonies over the course of time apart from phrase structure. Given that Schönberg’s views on unity and variety were remarkably similar to those of eighteenth-century theorists, it should come as no surprise that his method of analysis works quite well with Haydn’s output. Like Koch, Galeazzi, and others, Schönberg believed that multi-movement works function through the cooperation of similar and contrasting elements. He saw key, tempo, meter, form, and expressive character as elements of variety that distinguish movements and maintain the listener’s interest, while he saw relationships of key and motive as elements of unity that foster comprehension and intelligibility in a work.24 Part of this continuity in and among movements for Schönberg was, of course, developing variation. His comments in Style and Idea as well as his analyses indicate that he felt the presence and effects of developing variation in a number of Haydn’s works.25 While a partial analysis of these traits has already been given in example 2 above, Schönberg’s analyses of developing variation typically have larger-scale implications. One instance of this is Schönberg’s analysis of Haydn’s Symphony No. 104 in D major “London”26. Its location in the “Gedanke” manuscripts means that it is, unfortunately, incomplete. Like so many of Schönberg’s analyses there is also very little accompanying prose to describe the full nature and extent of the thematic connections. Schönberg’s sketch has been reproduced in facsimile as figure 3. The analysis indicates that he saw a strong connection between the introductory “motto” of the work and the primary theme of the first movement. Both themes center on motion from D to A, beginning with a rising fourth from D to A and concluding with a falling fifth from D to A. In essence Schönberg saw the opening moments of the symphony as a classic example of the use of a Grundgestalt or underlying compositional problem-idea.27 Schönberg’s analysis can guide us to finding similar motivic gestures in the three remaining movements, which in turn raises the issue of cyclic integration in this composition. Schönberg’s most detailed analysis of any Haydn movement is that of the opening movement of the Piano Sonata in D major, Hob. XVI: 42, published in Fundamentals of Musical Composition and reproduced as figure 4.28 Here Schönberg analyzes the full extent of Haydn’s concentrated approach to developing variation. This movement is in theme and variations form, but as Schönberg’s analysis demonstrates the 24 25
26 27
28
Schönberg, Fundamentals (fn. 11), p. 199. See for example his discussion of developing variation in the “homophonic” (i. e. post-Bach) style in: On Revient Toujours (fn. 19), 108f. Schönberg notes that homophonic composers, beginning with Haydn, typically worked using “more elaborated development through variations of the motive”. Proksch, London Symphony (fn. 2), p. 17–21. Schönberg never explicitly defined his term “Grundgestalt ”; a complete discussion of its implications is available in: Arnold Schönberg, The Second String Quartet in F-sharp minor, opus 10, edited by Severine Neff, New York 2006, p. 129ff. Schönberg, Fundamentals (fn. 11), p. 128f.
Schönberg’s Analyses and Reception of Haydn’s Music
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theme itself is constructed using the variation principle – the variations actually begin immediately and continue throughout.
Figure 3: Schönberg’s analysis of Haydn’s Symphony No. 104 in D major, “London”, from the “Gedanke” manuscripts (top: the opening of the first movement’s introduction; bottom: the movement’s primary theme; lines indicate points of similarity).29
The first two pitches provide all the motivic material that Haydn needed to construct the entire movement, literally a textbook-perfect Grundgestalt. Schönberg identifies two specific musical elements here: a dotted rhythm on the pitch D labeled as motive a and an anacrusis on the pitch A labeled as motive b. After their initial presentation in the first measure, Haydn immediately varies the thematic and rhythmic material of two motives. Eventually he also varies their metric placement. In the pickup to m. 2, motive b is varied through rhythmic embellishment, while motive a is varied through the use of a double neighbor figure around the pitch D. 29
The example from Haydn 104 is transcribed in: Schönberg, The Musical Idea (fn. 27), p. 285. The facsimile is from page 180 of the text (Arnold Schönberg Center, Wien [T 65.03]).
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At this point Schönberg notes the pitch connections inherit to the a motive, demonstrating that the descending scale from F sharp to D of m. 3 grows out of the move from dotted repeated note (a) to dotted neighbor note (a’ ). These have been unfortunately transcribed as motive c in the published version edited by Leonard Stein, making it appear as though an entirely new motive appears at m. 3.30
Figure 4: Schönberg’s analysis of Haydn’s Piano Sonata in D major, Hob. XVI: 4231. 30
31
Schönberg’s manuscript indicates that he sees motive “b” as rhythmic (demarcated with a pointed bracket) and motive “a” as both rhythmic and pitch orientated (the motives marked “c” in figure 3 are labeled as “a” by Schönberg and demarcated with a square bracket). Arnold Schönberg Center, Wien (TBK 1, folder 9); see also Schönberg, Fundamentals (fn. 11), p. 128f.
Schönberg’s Analyses and Reception of Haydn’s Music
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The variations continue throughout the entire theme of this movement and have been listed in their order of appearance in example 4. At m. 2, motive b becomes a four-note embellishment, and one measure later it also begins to appear within the measure as an anticipation figure. The pitch content of the a motive expands further as the theme progresses, beginning as a three-note descent, immediately becoming a five-note descent in m. 3, and eventually becoming a seven-note descent with chromatic inflections in m. 11–12. By the end of the section, Schönberg identifies over a dozen permutations of the a motive and six variations on the b idea. Schönberg’s analysis of another theme and variations movement, that of Haydn’s String Quartet in C major, op. 76/3 “Emperor”, demonstrates that harmonic elaboration, just like thematic development, can propel music forwards as an integral part of developing variation. First, he essentially cites harmonic development as one of Haydn’s primary innovations as a composer. In Structural Functions of Harmony, Schönberg derides the theme and variation movements of Handel and the Baroque in general as “annoying” because of their focus on pianistic figuration at the expense of harmonic intensification.32 In Haydn’s most famous variations movement, the “Emperor Hymn”, the melody remains essentially unchanged between some of the variations. Instead, the enrichment of harmony propels the movement from one variation to the next as an effective means of maintaining the listeners’ interest (see figure 5). Here, unity and coherence result from the recurring theme while harmonic variation provides the much-needed variety and contrast, fulfilling what eighteenthcentury theorists would have termed Mannigfaltigkeit or “many-sidedness.” In his entries on Mannigfaltigkeit and Ausführung (“execution”), H. C. Koch makes it clear that development was a necessary part of every piece of music, as well as one of the characteristics linking music to rhetoric.33 In this case, Schönberg’s analysis follows in the eighteenth-century analytic tradition while simultaneously maintaining the aesthetics of the era. Schönberg specifically cites Haydn’s fourth variation for its use of harmonic development. The variation opens off-tonic on the submediant (vi), an interesting and unusual gesture, and it continues with the inclusion of a number of secondary chords (for example III as dominant to vi in the second full measure). The opening on vi might be taken as the opening of a conventional minore variation, but this turns out not to be the case. Haydn stays in major by modulating to the dominant at the end of the A phrase and by concluding the variation with a strong tonic 32 33
Schönberg, Structural Functions (fn. 12), p. 90f. Heinrich Christoph Koch, Musikalisches Lexikon, Frankfurt am Main 1802. Koch was influenced by Sulzer, and so it should come as no surprise that Sulzer says much the same: Johann Georg Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, vol. 2, Frankfurt–Leipzig 31798, p. 525; translated and edited by Nancy Kovaleff Baker and Thomas Christensen as Aesthetics and the Art of Musical Composition in the German Enlightenment: Selected Writings of Johann Georg Sulzer and Heinrich Christoph Koch, Cambridge/Mass. 1995, p. 101.
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major cadence, not a cadence in the submediant. The submediant chord in this variation is thus as much of a harmonic element of developing variation as the inserted secondary dominant chords are. Haydn’s harmonic elaboration also appears in the B and A’ phrases of the fourth variation. The B phrase of this variation is a four-measure dominant pedal, a similar notion to the first version of the theme.
Figure 5: Schönberg’s analysis of Haydn’s String Quartet in C major “Emperor”, op. 76/3/ii34.
However, Haydn no longer breaks off of his pedal to prepare for the A’ phrase. The pedal now remains through the end of the B phrase. The A’ phrase is the most heavily altered phrase of the variation. Haydn vastly increases the harmonic rhythm 34
Schönberg, Structural Functions (fn. 12), p. 90f.
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now, to the point where he has secondary chords appearing on practically every eighth note. Harmonic variation and development appear pervasively in this movement. For Schönberg it is a set of variations premised on harmony rather than melody, a step away from what he saw as the empty pianistic variations of the Baroque era.35 Schönberg’s Reception of Haydn’s Music Having examined a number of Schönberg’s analyses, the question remains as to what he actually thought of Haydn’s music and place in music history. The very fact that Schönberg would discuss Haydn in a detailed manner indicates the amount of respect he had for his Viennese precursor. There was, after all, no real reason for him to address Haydn in the first place, as Haydn was generally unpopular with critics, theorists, and his fellow composers. He just as easily could have confined his comments on phrase structure and developing variation to Mozart or Beethoven exclusively and still have made the relevant points regarding his own compositional practice. Instead Schönberg cites Haydn’s music on a regular basis. Schönberg’s decision to deal with Haydn’s music demonstrates his desire to connect himself as fully as possible to the music of earlier eras and to justify his practice using composers that he thought were most useful in making his arguments. Schönberg’s comments show that he saw Haydn’s music as distinct and unique even in close comparison to Mozart’s music. Haydn linked J. S. Bach’s contrapuntal mode of composition with Beethoven’s motivic mode of composition and moved forward towards developing variation within a homophonic context. This is also how he viewed Mozart in many ways, but Haydn and Mozart had different impacts on the course of Schönberg’s version of music history. Haydn’s innovations lay in his quirky phrase structures, and his insistence on the continuous development of motives and harmonies, while Mozart later took these innovations and furthered them through more adventuresome and distant variations.36 Beethoven, using Haydn and Mozart’s practice as guides, then found a way to instill dramatic function into his music.37 In viewing Beethoven in this light, Schönberg participated in a long tradition of nineteenth-century music criticism, and in this respect his views are remarkably similar to those of, for example, Wagner and A. B. Marx. However, in granting the precedence of innovation to Haydn, by in essence viewing Haydn as an equal to Mozart and as a palpable influence on Beethoven’s practice, Schönberg was among the earliest writers to reverse the nineteenth-century trend of seeing Haydn as a subordinate and merely conventional or convention-defining composer.
35 36 37
Ibid. p. 89f. Ibid. p. 149 and 167f. E. g. ibid. p. 153 and 167f. Schönberg notes the harmonic function of Haydn and Mozart’s slow introductions in comparison to the dramatic function of Beethoven’s.
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Assessing Haydn’s relative position in Schönberg’s grand scheme of music history is somewhat more difficult. For example, in his unfinished orchestration textbook Schönberg plotted out the ratio of examples to be included by each composer before beginning writing. He predetermined to have 20% of his examples taken from Beethoven and 18% from Mozart. Haydn was his third-ranked composer at 12%.38 While we do not know the full extent of the examples he planned on including, Schönberg did get far enough to write up examples taken from Symphonies Nos. 92, “Oxford”, and 100, “Military.”39 That Schönberg would use Haydn in an orchestration text is all the more interesting considering the greater orchestral palate at the disposal of nineteenth-century composers. The simple fact that he would include more examples from Haydn than from a number of later composers such as Berlioz, Mendelssohn, Schubert, and Schumann, indicates the regard Schönberg had for Haydn’s compositional prowess. The occasional comment in Schönberg’s published analyses supports this view of his esteem for Haydn’s practice. As noted earlier, Schönberg preferred Haydn’s approach to theme and variation movements over that of Handel and others. Elsewhere Schönberg hints at a preference for Haydn’s harmonic and motivic economy as well as his developmental ingenuity: “long segments of a Haydn theme may be based on one or two harmonies only, while the first theme of Schumann’s Piano Quintet requires a rich succession of harmonies. Nevertheless, [as my analyses show,] the distance of [harmonic] regions reached in Haydn’s symphony [Hob. I/94, ‘Surprise’] is greater than that of those in the Schumann example.”40
He felt that Haydn did more with less material than most other composers. In essence, Schönberg’s Haydn stands above most other composers in importance, lasting impact, and compositional economy. In conclusion, then, Schönberg had a great esteem for Haydn’s music. He recognized Haydn’s numerous innovations, the composer’s pioneering role on music after Bach’s death, and Haydn’s influences on Beethoven and the music of the nineteenth century. Schönberg’s interest in Haydn’s phrase structure, harmonic motion, and developing variation was more intense than it was for most other composers, and he frequently used examples from Haydn’s output to demonstrate the continuity of tradition from Bach’s music up to his own music. That is, Schönberg’s deep interest in Haydn’s music assisted Schönberg and his Second Viennese school colleagues in justifying their own compositional practice by providing them with a tangible lineage and precedent in tandem with more often-cited examples by Bach, Beethoven, and Brahms. 38
39 40
Orchestration I (Arnold Schönberg Center, Wien [T 68.12]). There is a second version of this hypothetical table of contents with slightly different numbers, but the same order of composers with Haydn having the third most number of examples. Orchestration (Arnold Schönberg Center, Wien [T 68.14]). Schönberg, Structural Functions (fn. 11), p. 164.
NIKOLAUS URBANEK (Wien)
„Man kann nicht mehr wie Beethoven komponieren, aber man muß so denken wie er komponierte.“ Beethoven in der Kompositionslehre der Wiener Schule* Die Bezugnahme der Wiener Schule auf Beethoven, deren Bedeutung für ihr musikalisches Denken kaum überschätzt werden kann, zeigt sich in einer an seinen Werken entwickelten „Theorie der Sprachähnlichkeit der Musik“ ebenso wie in Fragen einer „musikalischen Logik“, die Analyse seiner Kompositionen bildet die Basis ihrer musikalischen Formenlehre, stellt das Orientierung bietende tonale Gegen-Modell für die (pädagogische) Explikation der Zwölftonkomposition und die Entwicklung einer dodekaphonen Formenlehre dar und prägt weiters zentral die Überlegungen zu einer „Theorie der musikalischen Reproduktion“ respektive einer Vortrags- oder Aufführungslehre.1 Bevor ich im Folgenden versuche, eine provisorische Karte derjenigen Gebiete zu skizzieren, in welchen die Bezugnahme auf Beethoven innerhalb der Kompositionslehre der Wiener Schule eine besonders herausragende Rolle spielt, möchte ich die durch den Titel meiner Überlegungen implizierte These, die Wiener Schule habe eine Kompositionslehre ausgeprägt, mit einigen Anmerkungen begründen. Zum Begriff einer „integralen Kompositionslehre“ der Wiener Schule Die zentrale Rolle, die dem Unterricht in der Wiener Schule prinzipiell beigemessen werden kann, lässt es durchaus angemessen erscheinen, von einer „Schule“ in emphatischem Sinne zu sprechen; eben in diesem Aspekt liegt nicht nur der innere * Anm. d. Hrsg.: Gemäß dem Wunsch des Autors ist der Artikel in der neuen Rechtschreibung gehalten. Anm. d. Verf.: Die Arbeit am Manuskript dieses Textes wurde im Jänner 2007 abgeschlossen. 1 Dass sich die spezifische Bedeutung Beethovens für die Wiener Schule jedoch keineswegs in einer bloßen Bezugnahme auf rein kompositionstechnische Sachverhalte beschränkt, sondern auch Beethovens künstlerisch-ethischer Anspruch eine breite und wirkungsmächtige Widerspiegelung erfuhr, kann hier nur erwähnt werden. Dies hängt unmittelbar damit zusammen, dass die Letztbegründung aller musiktheoretischen Überlegungen bei Schönberg stets durch einen bruchartigen Wechsel der Diskursebene bewerkstelligt wird; die Musiktheorie ist – nicht zuletzt seit dem Vorwort der Harmonielehre – bei Schönberg in einer künstlerischen Ethik fundiert, plakativ ist eben dies in seiner berühmten Sentenz „Kunst kommt nicht von können, sondern vom Müssen“ (Arnold Schönberg, Probleme des Kunstunterrichts, in: Musikalisches Taschenbuch 2 [1911] [= Illustrierter Kalender für Musikstudierende und Freunde der Tonkunst], S. 22–27; auch in: Arnold Schönberg, Stil und Gedanke. Aufsätze zur Musik, hrsg. von Ivan Vojtĕch [= Gesammelte Schriften 1], Frankfurt am Main 1976, S. 165–168) zusammengefasst. Danken möchte ich an dieser Stelle Julia Bungardt und Eike Rathgeber für ihre kritische Lektüre des Manuskripts sowie Regina Busch für ihre wertvollen Hinweise und Anregungen auf meinem Weg zur Wiener Schule.
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Nikolaus Urbanek
Zusammenhalt2 aller der Wiener Schule zuzurechnenden Komponisten begründet,3 sondern die herausragende Bedeutung des Unterrichtens führte in letzter Konsequenz auch dazu, dass in der Tradierung musikhistorischer, musikästhetischer, musikanalytischer, kompositionstechnischer und aufführungstheoretischer Überlegungen so etwas wie ein dezidiertes Lehrgebäude ausgeprägt werden konnte.4 Auffallend ist hierbei, dass grundlegende Überlegungen insbesondere von den Schülern und Enkelschülern kommunizierbar respektive lehrbar gemacht wurden; nach dem Ende der Wiener Schule im engeren Sinne eines quasi intertextuellen Systems von aufeinander reagierend miteinander verzahnten Kompositionen Schönbergs, Bergs und Weberns5 gingen die Bemühungen vor allem in die Richtung, die „Lehre der Wiener Schule“ zu fixieren und weiterzugeben, woraus einige Lehrbücher der Formenlehre6 und der Zwölftontechnik7 sowie einige Fragment gebliebene Ansätze zu einer Theorie der musikalischen Aufführung respektive der musikalischen Reproduktion8 resultierten. Darüber hinaus war auch ein Großteil der Schüler in weiterer Folge selbst als Lehrer tätig.9 Freilich gehen alle Bemühungen des Lehrbar-Machens 2
3 4
5
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7
8
9
Vgl. zur näheren Charakterisierung des Schönbergschen Unterrichts, der gewissermaßen den Nukleus der Wiener Schule darstellt, vor allem die Berichte der Schüler Schönbergs in der ersten Festschrift Arnold Schönberg in höchster Verehrung, München 1912, hier insbesondere S. 75–90. Vgl. Harald Kaufmann, hans erich apostel (= Österreichische Komponisten des XX. Jahrhunderts, Bd. 4), Wien o. J., S. 7f. Vgl. hiezu Rudolf Stephan, Vorwort, in: ders. (Hg.), Die Wiener Schule (Wege der Forschung 643), Darmstadt 1989, S. IX. Hierin unterscheidet sich im Übrigen die mitunter als „zweite“ nummerierte „Wiener Schule“ wesentlich von einer eventuell so zu nummerierenden „ersten“; freilich hatten Haydn, Mozart und Beethoven diverse Schüler, vielleicht könnte man sogar sagen, dass Beethoven „Mozarts Geist aus Haydns Händen“ empfangen habe, all dies jedoch erreicht nie die essentielle Bedeutung des Unterrichtes in der Wiener Schule um Schönberg. Vgl. in Bezug auf die dergestalt implizierte duale Prägung des Begriffs der Wiener Schule auch bereits Nikolaus Urbanek, Nähe und Distanz. Notizen zum Verhältnis Karl Schiskes zur Wiener Schule, in: Markus Grassl/Reinhard Kapp/Eike Rathgeber (Hg.), Österreichs Neue Musik nach 1945: Karl Schiske (= Wiener Veröffentlichungen zur Musikgeschichte, Bd. 7), Wien 2008, S. 281–297. Erwin Ratz, Einführung in die musikalische Formenlehre. Über Formprinzipien in den Inventionen und Fugen J. S. Bachs und ihre Bedeutung für die Kompositionstechnik Beethovens, dritte, erweiterte und neugestaltete Ausgabe, Wien 1978. Die erste Auflage datiert im Jahre 1951. Hingewiesen sei in unserem Zusammenhang insbesondere auf die beiden im deutschsprachigen Raum wohl einflussreichsten Zwölftonlehrwerke von: Josef Rufer, Die Komposition mit zwölf Tönen (= Stimmen des XX. Jahrhunderts, Bd. 2), Berlin – Wunsiedel 1952; Hanns Jelinek, Anleitung zur Zwölftonkomposition nebst allerlei Paralipomena. Appendix zu „Zwölftonwerk“, op. 15, Wien 1952; sowie die kurze und prägnante englischsprachige Einführung von Leopold Spinner, A short Introduction to the Technique of Twelve-Tone Composition, London 1960. Zu nennen wären neben den im Nachlass erhaltenen Fragmenten Schönbergs zu einer Theory of Performance vor allem die Schriften von Rudolf Kolisch, Zur Theorie der Aufführung. Ein Gespräch mit Berthold Türcke (= Musik-Konzepte, Bd. 29/30), München 1983, und Tempo und Charakter in Beethovens Musik (= Musik-Konzepte, Bd. 76/77), München 1992; Erwin Stein, Form and Performance, London 1962; Hans Swarowsky, Wahrung der Gestalt, hrsg. von Manfred Huss, Wien 1979; und die nicht vollendete Theorie der musikalischen Reproduktion von Theodor W. Adorno, Zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion. Aufzeichnungen, ein Entwurf und zwei Schemata, hrsg. von Henri Lonitz (= Nachgelassene Schriften, Abteilung I: Fragment gebliebene Schriften, Bd. 2), Frankfurt am Main 2001. Zu untersuchen wäre diesbezüglich erstens, ob und wenn ja welche Unterschiede sich ergeben haben, wenn der Unterricht auf institutionalisierter (z. B. Ratz, Rufer, Jelinek) oder privater Ebene (z. B. Webern, Berg, Polnauer, Spinner, Herschkowitz) stattgefunden hat, und zweitens, ob sich in der Gesamtbetrachtung der Lehrer-Schüler-Verhältnisse der Wiener Schule gewisse „genealogische Linien“ erge-
Beethoven in der Kompositionslehre der Wiener Schule
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notwendigerweise mit einer Tendenz zur Präzisierung und damit gleichzeitig auch mit einer Tendenz zur Simplifizierung10 einher. So ist zu beobachten, dass zentrale Argumentationen und Begriffe, die bei Schönberg noch in steter begrifflicher Bewegung sind und deren konsistenter Begriffskern sich erst im Laufe der Zeit herauskristallisiert, durch die unterschiedlichen Lehrer-Schüler-Verhältnisse hindurch immer weiter sich verfestigen (Abbildung 1).11 Wenngleich nun bei dem Zusammentragen einzelner musiktheoretischer Mosaiksteinchen naturgemäß eine gewisse Vorsicht geboten ist, da von Missverständnissen, Unterbrechungen in der Überlieferungskette, persönlichen Pointierungen, musikhistorisch evozierten Modifikationen, kulturellen und sprachlichen Unterschieden und der Tatsache, dass der Unterricht mitnichten direkt in den Lehrbüchern abgebildet wird, auszugehen ist, zeigt sich im Vergleich der einzelnen Argumentationsstränge, Analysebeispiele und Termini doch ein bemerkenswert konsistenter, allen Autoren gemeinsamer Kanon an „Lehrmeinungen“, der sich über erstaunlich lange Zeiträume in weit auseinanderliegenden kulturellen Kreisen nahezu unverändert halten konnte.
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ben, konkret: ob beispielsweise Tendenzen einer dezidierten Webern-Schule zu beobachten wären, wie dies seit Neuerem in Hinblick auf Leopold Spinner diskutiert wird. Vgl. diesbezüglich Reinhard Kapp, Leopold Spinner und die Möglichkeit einer Webern-Schule (Radiosendung, gesendet am 6. und 13. Juli 2006 im SWR 2 [Ms.]) und Klaus Lippe, ,Evolution of purely musical concept‘. Leopold Spinner und die Webern-Nachfolge, in: Österreichische Musikzeitschrift 62/4 (2006), S. 14–23. Dies hat beispielsweise in Bezug auf das Zwölftonwerk von Hanns Jelinek bereits Harald Kaufmann angemerkt: „Dem Zwölftonwerk Jelineks hat man vorgeworfen, es simplifiziere einen an sich schwierigen und nur durch das Schwierige vertretbaren Sachverhalt. Diese Kritik trifft etwas Richtiges.“ (Harald Kaufmann, Die Zweite Generation, in: Österreichische Musikzeitschrift 16 (Sonderband Die Wiener Schule) [1961], S. 290–295, hier S. 294). Zu zeigen ist dies exemplarisch an einem Vergleich der musiktheoretischen Sprache in einer Reihe der Schriften/Vorträge von Schönberg über Webern zu Spinner: Freilich prägte der Autodidakt – und im Gegensatz zu Webern und Spinner auch: Nicht-Musikwissenschaftler – Schönberg in seiner an Karl Kraus geschulten Sprache so manch zitables Diktum, nichtsdestotrotz eignet seinen Texten insbesondere in terminologischer Hinsicht oftmals eine gewisse Ambivalenz. An zahlreichen Beispielen aus den Vorträgen Weberns (z. B. an der Gleichsetzung von Musik und Sprache, vgl. beispielsweise Anton Webern, Der Weg zur Neuen Musik, in: ders., Wege zur Neuen Musik, hrsg. von Willi Reich, Wien 1960, S. 9– 44, hier insbesondere S. 18) lässt sich hingegen aufweisen, dass durch eine vereinfachende Präzisierung (gewissermaßen durch das für den Vorlesungsbetrieb notwendige „Auf-den-Begriff-Bringen“) die Überlegungen nicht nur leichter „handhabbar“ werden, sondern eben durch die simplifizierende Apodiktizität auch ihre „Durchschlagkraft“ sich bedeutend erhöht. An der analytischen Sprache Spinners erweist sich schließlich eine weitere Stufe; das, was Spinner von Webern als bereits gefestigtes analytisches Instrumentarium kennengelernt hatte, wird nun – gleichsam in erneuter analytischer Feldforschung – wiederum auf die Kompositionen selbst angewandt; Schönberg hatte seine Terminologie noch viel stärker – freilich in Anlehnung an die traditionelle musiktheoretische Begrifflichkeit, die ihm mitnichten so unbekannt gewesen sein dürfte, wie manches seiner Malmots in Hinsicht auf die musiktheoretische Literatur glauben machen will – aus den Werken selbst „destilliert“. Erste Hinweise in diesem Zusammenhang hat bereits vor Längerem Albrecht Riethmüller in Bezug auf einige der zentralen musiktheoretischen Begriffe zur Diskussion gestellt: „Während deutlich zu sehen ist, wie sich Schönberg auf verschiedene Weise mit den auseinanderstrebenden Momenten von Faßlichkeit und schwieriger Wahrnehmbarkeit auseinandersetzt und wie er davon beunruhigt ist, zeigt sich Webern in diesen Fragen weitaus apodiktischer.“ (Albrecht Riethmüller, Hermetik, Schock, Faßlichkeit. Zum Verhältnis von Musikwerk und Publikum in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundertst, in: Archiv für Musikwissenschaft 37/1 [1980], S. 32–60, hier S. 56).
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Abbildung 1: Lehrer-Schüler-Verhältnisse der Wiener Schule.12
In Form einer behutsamen Rückprojektion der teilweise präziseren, einfacheren, und darob auch eindeutigeren Lehrschriften, Vorträge und Vorlesungsreihen der Schüler und Schülerschüler ließe sich – so meine Hoffnung – in einigen Aspekten größere Klarheit auch über Schönbergs Fragment gebliebenes Projekt einer „integralen Kompositionslehre“ erlangen.13 Eine „alle Teilgegenstände umfassende Kompositionslehre“14 zu verfassen, plante Schönberg bekanntlich an signifikanten Schlüsselpunkten seiner eigenen theoreti12
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Die obige Graphik, die einige der in vorliegendem Zusammenhang maßgeblichen Lehrer-SchülerVerhältnisse der Wiener Schule unter Einbeziehung wichtiger Schriften verzeichnet, versteht sich als modifizierende Weiterführung einer Tabelle Neil Boyntons, in: Neil Boynton, ,And two times two equals four in every climate‘. Die Formenlehre der Wiener Schule als internationales Projekt, in: Dörte Schmidt (Hg.), Musiktheoretisches Denken und kultureller Kontext (= Forum Musikwissenschaft, Bd. 1), Schliengen 2005, S. 203– 230, hier S. 205. So kann es beispielsweise in Bezug auf terminologische Fragen, die mit dem emigrationsbedingten Sprachwechsel eine enorme Virulenz in Hinblick auf die Schriften Schönbergs erfuhren, mitunter sehr hilfreich sein, die Schriften derjenigen Schüler zu Rate zu ziehen, die ebenfalls zur Emigration nach England oder Amerika gezwungen waren. So schreibt Schönberg in einem Brief an Edgar Prinzhorn am 17. April 1932: „Seit fast zwanzig Jahren sammle ich zwar Material, Ideen und Entwürfe, zu einer alle Teilgegegenstände umfassenden Kompositionslehre. Wann ich sie vollenden kann, weiss ich nicht.“ (Durchschlag aufbewahrt in The Library of Congress, Washington D.C., Music Division [Arnold Schoenberg Collection]; publiziert in: Josef Rufer, Das Werk Arnold Schönbergs, Kassel 1959, S. 129f.) Zur Entstehung seines groß angelegten „musiktheoretischen Projekts“ vgl. insbesondere die Forschungen von Andreas Jacob, zusammengefasst in: Andreas Jacob, Grundbegriffe der Musiktheorie Arnold Schönbergs (= Folkwangstudien, Bd. 1), Hildesheim 2005, so-
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schen wie kompositorischen Entwicklung; als in diesem Zusammenhang wichtigste Stationen sei verwiesen auf den Entwurf Das Komponieren mit selbständigen Stimmen15 von 1911, das Fragment Zusammenhang, Kontrapunkt, Instrumentation und Formenlehre16 aus dem Jahre 1917 und die große fragmentarische Skizze Der musikalische Gedanke und die Kunst, Technik und Logik seiner Darstellung17 aus den Jahren 1934 und 1936.18 In diesem Projekt einer umfassenden Kompositionslehre ging es, wie eine stereoskopische Lektüre der entsprechenden Dokumente erweist,19 vorrangig darum, neben den üblichen Disziplinen Harmonielehre und Kontrapunkt auch eine Lehre der musikalischen Form zu integrieren, die sich keineswegs in einer Besprechung musi-
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wie die zahlreichen einschlägigen Publikationen von Severine Neff, Patricia Carpenter und Charlotte M. Cross, in welchen auch eine Vielzahl von Kontext-Dokumenten eingearbeitet und ausgewertet werden. Arnold Schönberg, Das Komponieren mit selbständigen Stimmen. Kritik einer alten Kontrapunkt Lehrmethode und Aufstellung einer neuen (Manuskript vom 29. Juni 1911 im Besitz der Universal Edition Wien, derzeit aufbewahrt im Archiv des Arnold Schönberg Center, Wien [UEQ1615]). Bereits hier zeigt sich Schönbergs Bemühen um die Formulierung einer umfassenden Kompositionslehre: „In diesem Entwurf skizzierte Schönberg einen kompletten Kompositionslehrgang, der nicht mehr von der Harmonik als der Grundlage der Satzbildung ausgeht, sondern von der ,selbständigen Stimme‘, d. h. einer Stimme, die ,dem Entwicklungsbedürfnis eines Motivs‘ folgt. […] Dieses Grundprinzip läuft auf nichts Geringeres als auf eine Neuordnung des Verhältnisses der traditionellen Tonsatzdisziplinen Harmonielehre und Kontrapunkt sowie der in den Bereich der ,Kompositionslehre‘ fallenden Disziplinen Formenlehre und Instrumentalsatz hinaus, die sich dann auch unschwer in den einzelnen Teilen des Entwurfs wiederfinden. Im Unterschied zu den enzyklopädisch angelegten Lehrwerken des 19. Jahrhunderts begnügt sich Schönberg jedoch nicht mit einer lockeren Verbindung der verschiedenen Disziplinen unter dem Dach einer übergeordneten Kompositionslehre, sondern bemüht sich vielmehr um eine wirkliche Durchdringung, indem er den gesamten Lehrgang auf die Grundlage der kontrapunktischen Satztechnik, des Denkens in selbständigen Stimmen stellt: Allen Teilen des Entwurfs liegt gewissermaßen als Klammer das Prinzip der sukzessiven Erweiterung der Stimmenzahl zugrunde, wobei die Einzelstimme Ausgangspunkt sowohl des ganzen als auch der einzelnen Abschnitte (Modulation, Formenlehre, Instrumentalsatz) ist.“ (Ulrich Krämer, Alban Berg als Schüler Arnold Schönbergs. Quellenstudien und Analysen zum Frühwerk [= Alban Berg Studien, Bd. 4], Wien 1996, S. 277 und 282). Arnold Schönberg, Zusammenhang, Kontrapunkt, Formenlehre und Instrumentation (Manuskript-Konvolute T37.03 und T37.17–19 im Archiv des Arnold Schönberg Center, Wien; vgl. die Transkription und englische Übersetzung in: Arnold Schoenberg, Coherence, Counterpoint, Instrumentation, Instruction in Form, hrsg. von Severine Neff, übersetzt von Charlotte M. Cross und Severine Neff, Lincoln–London 1994, S. 1– 107.) Hier manifestiert sich das Programm der einander durchdringenden Zusammenführung der einzelnen Disziplinen evidentermaßen bereits im Titel der geplanten Schrift. Schönberg, Der musikalische Gedanke und die Logik, Technik, und Kunst seiner Darstellung (Manuskript von 1934/36, T65.01–05 im Archiv des Arnold Schönberg Center, Wien; vgl. die Transkription und englische Übersetzung in: Arnold Schoenberg, The Musical Idea and the Logic, Technique, and Art of its Presentation, hrsg. und übersetzt von Patricia Carpenter und Severine Neff, New York 1995, S. 87–349). Das Zusammen-Denken der unterschiedlichen musikbezogenen Disziplinen erweist sich hier beispielsweise in der Hereinnahme von Überlegungen zu „Vortrag und Gestalt“ oder in der spezifischen Prägung des Begriffes der Fasslichkeit als interdiskursielle Scharnierstelle in dem ausführlichen Typoskript „Gesetze der Fasslichkeit“. Mit Ausnahme von Structural Functions of Harmony, wo Schönberg Harmonie- und Formenlehre zu verknüpfen versucht, zeigen die übrigen amerikanischen Lehrschriften (Fundamentals of Musical Composition, Models for Beginners und Preliminary Exercises in Counterpoint), wiewohl sie einige wichtige musiktheoretische Linien weiterführen, nur in Ansätzen die Tendenz einer Integration der verschiedenen Disziplinen. Dies ist meines Erachtens jedoch hauptsächlich auf ihre spezifische Funktion innerhalb des amerikanischen Lehrbetriebes zurückzuführen, keineswegs lässt es sich als Zurücknahme des aufgestellten Anspruchs lesen. Matthias Hansen spricht in diesem Zusammenhang vom „Netzwerkcharakter der Entwürfe“ (Matthias Hansen, Arnold Schönberg. Ein Konzept der Moderne, Kassel 1993, S. 175).
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kalischer Formen erschöpft, sondern direkt mit einer Lehre des musikalischen Zusammenhangs und einer Theorie der Sprachähnlichkeit zusammenhängt. Weiters sollten sowohl eine Lehre der Instrumentation, die als eine der musikalischen Satzlehre direkt korrespondierende Setz lehre, und nicht als bloße Orchestrationsschule konzipiert ist, sowie eine Lehre des musikalischen Vortrags, die ihrerseits über verschiedene theoretische Brücken auf das Engste mit den übrigen Disziplinen verzahnt ist, integrale Bestandteile der Kompositionslehre darstellen. Dieses „Gesamtprojekt“ bleibt nun auch für die Schüler verbindlich; selbst wenn sie nur einzelne Teilbereiche bearbeiten, ist hierbei stets die Möglichkeit und Notwendigkeit der Verbindung mit den anderen „Disziplinen“ a priori mitgedacht.20 Im Folgenden möchte ich versuchen, die spezifische Bedeutung Beethovens innerhalb dieser oben skizzierten integralen Kompositionslehre und mithin des musiktheoretisch-pädagogischen Diskurses der Wiener Schule anhand einiger ausgewählter Beispiele aus dem Bereich der tonalen Formenlehre, dem Umfeld der theoretischen Fundierung der Zwölftontechnik sowie dem Kontext der Vortragslehre einzufangen. „Tonale“ Formenlehre In einem Brief vom 10. Dezember 1967 schreibt Josef Polnauer – als Schüler Schönbergs (1909–1911) und Bergs (1911–1913)21 nach 1945 einer der wichtigsten „Flaschenpost-Boten“ in Hinblick auf die „inoffizielle“ Weitergabe der Lehre der Wiener Schule in Wien – an Philip Herschkowitz, der als Schüler Bergs (1929– 1931) und Weberns (1935–1938) vermutlich eine ähnliche Rolle in Moskau gespielt haben dürfte: „Ich habe Jahrzehnte hindurch unterrichtet; nach 1945 auch etliche vorgebildete Schüler. Ich habe es da so gehalten. Die Formelemente und die wichtigsten Formen selbst habe ich, wie dies auch Schönberg gehalten hat, an den Sonaten des jungen Beethoven erläutert. Dann habe ich die zahlreichen mehr oder minder weitgehenden Modifikationen bei Brahms demonstriert, wo man derlei am besten zeigen kann. Dann ging ich zum letzten Beethoven über und zu den Frühwerken von Schönberg, Berg und Webern und ganz zuletzt erst nahm ich Mozart vor. Und ich würde es heute nicht anders machen.“22
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Als ein offensichtliches Beispiel hierfür könnte bereits allein auf den Titel von Erwin Steins Buch Form and Performance verwiesen werden. Vgl. die entsprechenden Angaben bei Boynton, ,And two times two equals four in every climate‘ (Anm. 12), S. 205. Brief von Josef Polnauer an Philip Herschkowitz vom 10. Dezember 1967, zit. nach Philip Herschkowitz, Über Musik, viertes Buch, hrsg. von Lena Herschkowitz und Klaus Linder, Wien 1997, S. 137f. Josef Polnauer wurde nach dem Krieg in Bezug auf die Tradierung der Überlegungen der Wiener Schule zu einer Art „Pilgerstation für Eingeweihte“ (Gertraud Cerha, Neue Musik aus Wien 1945–1990, in: Österreichische Musikzeitschrift 45/11 [1990], S. 539–560, hier S. 546).
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Das Fundament dieses „Lehrgangs“ stellt die für die Wiener Schule charakteristische Unterscheidung zwischen festem und lockerem musikalischen Gefüge dar.23 In seinem großen Gedanke-Manuskript führt Schönberg diese Unterscheidung anhand Beethovens erster Klaviersonate, op. 2/1,24 im Gegensatz zu Mozarts Streichquartett in C-Dur, KV 465,25 ein; während jenes ein „gutes Beispiel“26 eines „concentrisch“ fest gefügten Hauptsatzes darstelle, sei in diesem insbesondere in der Überleitung vom Haupt- zum Seitenthema die „excentrische“ Tendenz, die Grundgestalten zu paralysieren und dergestalt ihre Charakteristik aufzulösen, außerordentlich auffallend.27 Dass diese Unterscheidung auch in den Überlegungen einiger Schüler eine zentrale Rolle spielt, lässt sich durch einen kursorischen Rundblick veranschaulichen: Webern beispielsweise verweist in seinen Vorträgen Über musikalische Formen28 vor allem im Zusammenhang mit der Bildung kontrastierender Mittelteile auf den Unter23 24
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„Schoenberg’s most basic shaping principle is the contrast between stable and loose formation.“ (Carpenter/Neff, Commentary, in: Schoenberg, The Musical Idea [Anm. 17], S. 49). In Hinblick auf das weiter unten Auszuführende sei darauf hingewiesen, dass sich auch bereits hier eine Parallelisierung von eigenen Werken mit Werken Beethovens anzeigt, dergestalt, dass Schönberg in direktem Zusammenhang mit diesem Beethoven-Beispiel auf die „feste Formung“ seines eigenen Bläserquintetts verweist; vgl. das gesamte Kapitel „Feste Formung (Aufstellung eines Themas)“, in: Schönberg, Der musikalische Gedanke (T65.03 im Archiv des Arnold Schönberg Center, S. 21ff.) bzw. die Transkription und Übersetzung in: Schoenberg, The Musical Idea (Anm. 17), S. 176f. Hiezu sei verwiesen auf die einschlägigen analytischen Untersuchungen Norton Dudeques in: Norton Dudeque, Music Theory and Analysis in the Writings of Arnold Schoenberg (1874–1951), Aldershot 2005, insbesondere S. 174–192. Schönberg, Der musikalische Gedanke, S. 25 (Arnold Schönberg Center, Wien [T65.03]) bzw. Schoenberg, The Musical Idea [Anm. 17], S. 178): „Festgeformt ist ein Satz dann, wenn seine k l e i n e r e n B e s t a n d t e i l e nicht die Tendenz haben, sich von einem fühlbaren Centrum (z. B. einem harmonischen) zu entfernen, sondern sich sozusagen: rund um dasselbe anordnen.“ (Ebenda S. 21, Hervorhebung original). Vgl. das „Kapitel“ „Was ist: Auflösung“ in: Schönberg, Der musikalische Gedanke, S. 33 und 34 (Arnold Schönberg Center, Wien [T65.03] bzw. Schoenberg, The Musical Idea [Anm. 17], S. 252ff.): „Auflösung ist das strickte [!] Gegenteil von Aufstellung, f e s t e r F o r m u n g , P r ä g u n g . Ist es bei diesen das Bestreben, durch die Variierung der Grundgestalten deren C h a r a k t e r i s t i s c h e s möglichst scharf vor Augen zu führen, die einzelnen Gestalten möglichst i n n i g m i t e i n a n d e r z u v e r b i n d e n , die S p a n n u n g zwischen den Teilen hoch zu erhalten, so ist bei der A u f l ö s u n g das Wichtigste möglichst rasch alles C h a r a k t e r i s t i s c h e fallen zu lassen, die Spannungen abfliessen zu lassen und die Verpflichtungen der früheren Gestalten so zu neutralisieren, zu l i q u i d i e r e n , dass sozusagen ‚reiner Tisch‘ gemacht wird, dass eine Möglichkeit gegeben wird, Anderes auftreten zu lassen. – Ist ferner beim Festgeformten die T e n d e n z c o n c e n t r i s c h , so ist sie bei der Auflösung e x c e n t r i s c h . D. h. streben bei der festen Formung alle Motivformen danach die H a u p t t e n d e n z der G r u n d g e s t a l t e n eindringlich, f a s s l i c h und c h a r a k t e r i s t i s c h darzustellen und drehen sich alle Harmonien um die Tonica, so streben bei der Auflösung alle Motivverwandlungen danach die Tendenz der Grundgestalten zu paralysieren und die Harmonie strebt weg von der Tonart.“ (Hervorhebungen original). Einige Mitschriften dieser Vortragsreihe sind zugänglich; vgl. Anton Webern, Über musikalische Formen. Aus den Vortragsmitschriften von Ludwig Zenk, Siegfried Oehlgiesser, Rudolf Schopf und Erna Apostel, hrsg. von Neil Boynton (= Veröffentlichungen der Paul Sacher Stiftung 8), Mainz 2002. Diese Vortragsreihe war in der Zeitschrift 23 (23. Eine Wiener Musikzeitschrift, Nr. 22/23 vom 10. Oktober 1935) unter genanntem Titel als „Formenlehre erläutert durch Analysen“ angekündigt, vgl. das Faksimile in: Webern, Über musikalische Formen, S. 67.
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schied von fester und lockerer Prägung;29 von seinen Schülern wird wiederholt berichtet, dass diese Unterscheidung in seinen Überlegungen „fundamental“ gewesen sei.30 Seine breit angelegte Analyse von Beethovens Klaviersonate c-Moll, op. 10/1, anhand welcher er die seinem Zwölftonlehrbuch31 zugrundeliegende „Grundgestalt-Theorie“32 entwickelt, leitet Josef Rufer mit der Feststellung ein: „D e r S t r u k t u r n a c h u n t e r s c h e i d e n w i r : f e s t u n d l o s e g e f o r m t e T h e m e n “33, um dann – gestützt durch Verweise auf Beispiele aus Beethovens frühen Klaviersonaten – einige Charakteristika dieser beiden „strukturellen Formen“ zu geben: „Charakteristisch für eine l o c k e r e F o r m u n g ist das bloße Nebeneinanderstellen verschiedener Gebilde. […] In f e s t e n F o r m e n sind die Teile fest miteinander verbunden. Thematische Formen die in der Tonart bleiben, wie Haupt- und Seitenthemen, sind schon dadurch fester geformt als modulierende Teile wie z. B. ein Überleitungsgedanke, die harmonisch in Bewegung und daher ohne Bindungskraft sind. […] Ein H a u p t t h e m a wird von allen Themen die relativ festeste Zusammenfassung seiner Teile aufweisen. […] Ein S e i t e n t h e m a wird loser geformt sein als ein Hauptgedanke, aber relativ fester als ein Überleitungsgedanke.“34
Die Differenzierung dieser beiden strukturellen Formprinzipien ist bei Rufer notwendige Bedingung zur Darstellung der Komposition mit zwölf Tönen, da es ihm –
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Vgl. ebenda S. 264ff. So berichtet beispielsweise Herschkowitz in einem Brief an Alban Berg am 3. August 1935 (aufbewahrt in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, F21 Berg 845/16; vgl. den Abdruck in: Herschkowitz, Über Musik [Anm. 22], viertes Buch, S. 51–52), dass er im Unterricht bei Webern zum ersten Mal dieser Unterscheidung begegnet sei: „Bei Gelegenheit der ersten Arbeit habe ich zum ersten Mal den Begriffen ,festgefügt‘ und ,locker gefügt‘ begegnet“. Auch Willi Reich, der in seinem Nachwort zu der von ihm besorgten Ausgabe von Weberns Vorträgen Wege zur Neuen Musik einige seiner eigenen Notizen, die er während seines Unterrichtes bei Webern 1935 und 1936 gemacht hatte, mitteilt, verweist eben hierauf: „Fundamental ist der Gegensatz von fest und locker. Die Festigkeit des Hauptgedankens (Hinstellung des Themas!) ist aber eine andere als die des Schlußsatzes.“ (Willi Reich, Nachwort, in: Webern, Wege zur Neuen Musik [Anm. 11], S. 64). Rufer, Die Komposition mit zwölf Tönen (Anm. 7). Wenn man – gewissermaßen in theoretischer Berufung auf Gérard Genettes Studie Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches (dt.: Frankfurt am Main 2001) – auch der äußeren Gestaltung einer Publikation eine gewisse Aussagekraft beimisst, so ist bemerkenswert, dass der Einband von Rufers in Berlin erschienenem Zwölftonlehrbuch die identische Farbgestaltung (ein auffallendes Orange mit goldenem Schriftzug) aufweist wie Schönbergs zwei Jahre zuvor in New York publizierter Sammelband Style and Idea. Vgl. zu der spezifischen (terminologischen wie analytischen) Problematik dieses Begriffs, der in dieser Prägung sich auch nur in den Überlegungen Rufers findet, und – vermutlich auf einer missverständlichen Rezeption von Schönbergs zweifacher Verwendung des Begriffes „Gestalt“ beruhend – in den übrigen Schriften der Wiener Schule so nicht anzutreffen ist, die Ausführungen von Gianmario Borio, Zwölftontechnik und Formenlehre. Zu den Abhandlungen von René Leibowitz und Josef Rufer, in: Andreas Meyer/Ullrich Scheideler (Hg.), Autorschaft als historische Konstruktion. Arnold Schönberg: Vorgänger, Zeitgenossen, Nachfolger und Interpreten, Stuttgart 2001, S. 287–321, hier insbesondere S. 292ff. Rufer, Die Komposition mit zwölf Tönen (Anm. 7), S. 38, Hervorhebung durch Sperrung original. Ebenda S. 38, Hervorhebung durch Sperrung original.
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wie auch bereits die Überschrift des dritten Kapitels erkennen lässt35 – insbesondere um eine Konstruktion einer materialfortschrittlichen Legitimationserzählung geht, die „vom motivisch-thematischen Komponieren [Beethovens] bis zur Zwölftontechnik [Schönbergs] führt“:36 „Es war notwendig, die Entwicklungs- und Formprinzipien der klassischen und der kontrapunktischen Musik – so, wie sie Schönberg formuliert, gelehrt und in seiner Musik angewendet hat – wenigstens in ihren Grundzügen darzulegen. Denn ihre Kenntnis und Handhabung ist die Voraussetzung für die Komposition mit zwölf Tönen, da sie in dieser wirksam und ein integrierender Bestandteil von ihr sind.“37
Auch innerhalb der „tonalen“ Formenlehre kommt dieser Unterscheidung zentrale Bedeutung zu, wie sich in einer Passage aus dem ersten Kapitel „Typische Formstrukturen bei Beethoven“ der Einführung in die musikalische Formenlehre von Erwin Ratz aus dem Jahre 1951 erweist: „Das charakteristische Merkmal der klassischen Instrumentalformen ist die Ausbildung verschiedener, in ihrer Funktion deutlich unterscheidbarer Gebilde: Hauptgedanke, Überleitung, Seitensatz bzw. Nebengedankengruppe, Schlußsätze, Durchführung. Allgemein ausgedrückt können wir zwei Gestaltungsprinzipien feststellen: fester Gefügtes (hierher rechnen wir vor allem den Hauptgedanken, bis zu einem gewissen Grade auch die Schlußsätze) und locker Gefügtes (vor allem: Seitensatz, Überleitung, Rückführung, Durchführung, aber auch schon innerhalb des Hauptgedankens – sofern er als dreiteiliges Lied gebaut ist – den zweiten Teil).“38
Eng damit verknüpft sind im Denken der Wiener Schule die grundlegenden Strukturen musikalischer Syntax,39 die als Gliederungsmechanismen zur Darstellung musikalischer Gedanken eine direkte Verbindung zur Sprache herstellen.40 Auf dieser 35 36 37 38 39
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„Die kompositionstechnischen Voraussetzungen der Zwölftonkomposition in der klassischen und vorklassischen (kontrapunktischen) Musik“, in: Ebenda S. 28–47. Borio, Zwölftontechnik und Formenlehre (Anm. 32), S. 292. Rufer, Die Komposition mit zwölf Tönen (Anm. 7), S. 41. Ratz, Einführung in die musikalische Formenlehre (Anm. 6), S. 21. Bei Ratz heißt es weiter: „Zur Erzielung des festen Zustandes dienen vor allem harmonische Mittel (das eindeutige Feststellen und Festhalten der Haupttonart mittels Kadenz), ferner bestimmte thematische, bzw. motivische Strukturen, als deren wichtigste wir für die Form des Hauptgedankens die achttaktige Periode, den achttaktigen Satz und das dreiteilige Lied (8+4+4) anzusehen haben.“ (Ebenda S. 21). Die Frage nach der Verbindung von Musik und Sprache und deren spezifischer Ausprägung in der Wiener Schule als einer „Theorie der Sprachähnlichkeit“ ist nach wie vor eine prekäre; eine wissenschaftliche Annäherung an dieses Thema wäre vermutlich anzusiedeln zwischen den Extrempunkten der direkten Analogisierung bei Webern (vgl. beispielsweise folgende Passage: „Was ist denn die Musik? – Die Musik ist Sprache. Ein Mensch will in dieser Sprache Gedanken ausdrücken; aber nicht Gedanken, die sich in Begriffe umsetzen lassen, sondern musikalische Gedanken.“ [Webern, Der Weg zur Komposition mit zwölf Tönen, in: ders., Wege zur Neuen Musik (Anm. 11), S. 46.]) und der kritischen Beleuchtung in Adornos „Fragment über Musik und Sprache“ („Musik ist sprachähnlich. […] Aber Musik ist nicht Sprache. Ihre Sprachähnlichkeit weist den Weg ins Innere, doch auch ins Vage. Wer Musik wörtlich als Sprache nimmt, den führt sie irre.“ [Adorno, Fragment über Musik und Sprache, XVI/251]). Wenngleich freilich nicht zu leugnen ist, dass sich in der Wiener Schule mancherorts auch Tendenzen zeigen, die
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Basis baut nun ein Curriculum der musikalischen Formenlehre auf, das sich in ähnlicher Weise bei den unterschiedlichen Protagonisten zeigt.41 Webern schreibt an Schönberg, dessen Schüler er während Schönbergs Aufenthalt in Holland im Herbst 1920 unterrichtete: „[…] Da muss ich nun Einiges fragen: ich habe vor mit ihnen den Weg zu gehen, den ich bei dir kennen lernte: Satz-, Perioden-Bau, zweiteilige Liedform, dreiteilige; u. mit der gleich ins Menuett, Scherzo hinein; Erweiterungen, freierer Bau des Temas [!]. Dann Variation, Andante- (Adagio)-Form, Rondo, Sonate. Soll ich es so machen? Oder bist du jetzt anderer Anschauung? Ich bitte dich, mir einige Aufklärungen zu geben.“42
Da die „Periode und der achttaktige Satz […] am reinsten bei Beethoven festzustellen [sind]“43, finden sich zu Beginn dieses Curriculums in den unterschiedlichen Schriften auch zumeist dieselben Beispiele aus Beethovens frühen Klaviersonaten, um diese beiden in der Wiener Schule grundlegenden formalen Gestaltungsprinzipien zu erläutern. Bezüglich des Baus einer Periode verweisen Schönberg44, Webern45, Ratz46 und Spinner47 einheitlich auf die langsamen Sätze der Klaviersonaten op. 2/1 und 2. Besonders deutlich wird der Zusammenhalt der Wiener Schule jedoch in den teils identischen Texten und Kontexten der Beschreibung eines Satzes48: Neben dem ersten Satz der Sonate op. 2/3, der gerne als Beispiel für zergliedernde Variation herangezogen wird,49 und dem ersten Satz der Sonate op. 10/1, der bei Josef Rufer die Grundlage seiner formanalytischen Überlegungen darstellt,
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tatsächlich in die Nähe eines „Wörtlich-Nehmens“ der Musik gelangen könnten, soll hier und im Folgenden lediglich von einer Sprachähnlichkeit der Musik in Bezug auf ihre gleichsam syntaktischgrammatikalische Ebene ausgegangen werden, die – unterschiedlich nuanciert – von allen Autoren als grundlegend angenommen wird. Unmittelbar erhellend ist in diesem Zusammenhang der von Neil Boynton erstellte tabellarische Vergleich der Curricula, der die Formenlehre von Ratz, die Formvorträge Weberns und die Fundamentals of Musical Composition von Schönberg gegenüberstellt; zu ergänzen wären hier vielleicht noch die curricularischen Hinweise in Schönbergs Gedanke-Manuskript (Kapitel „Formelemente“) sowie einige Angaben in Rufers Zwölftonlehre. (Vgl. Boynton, ,And two times two equals four in every climate‘ [Anm. 12], S. 210.) Brief von Anton Webern an Arnold Schönberg September 1920, Original in der Library of Congress (Anm. 14). Webern, Der Weg zur Neuen Musik (Anm. 11), S. 28. Arnold Schoenberg, Fundamentals of Musical Composition, hrsg. von Gerald Strang unter Mitarbeit von Leonard Stein, London 1967, S. 25; in Bezug auf op. 2/2 S. 120 (dort bereits als „small ternary form“); sowie Arnold Schoenberg, Structural Functions of Harmony, hrsg. von Humphrey Searle, London 1954, S. 118. Webern, Über musikalische Formen (Anm. 28), S. 235f.; in Bezug auf op. 2/2 S. 331 (dort hinsichtlich der Form des langsamen Satzes). Ratz, Einführung in die musikalische Formenlehre (Anm. 6), S. 22 (op. 2/2). Spinner, A short Introduction, Text-Teil, S. 7. Vgl. in Bezug auf terminologische Fragen auch den Briefwechsel Spinner – Schönberg, vor allem den Brief Schönbergs an Spinner vom 25. Februar 1942 (Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, F66 Spinner 65/2; faksimiliert und transkribiert in: Regina Busch, Leopold Spinner (= Musik der Zeit, Bd. 6 [Sonderband]), Bonn 1987, S. 38 respektive S. 210). Diese Überlegung findet sich bereits in dem Kapitel Arten der Variation in: Schönberg, Der musikalische Gedanke (T65.03 im Archiv des Arnold Schönberg Center, S. 171ff.) bzw. Schoenberg, The Musical Idea (Anm. 17), S. 230–237.
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dient bei Schönberg50, Webern51, Stein52, Ratz53, Spinner54 und Leibowitz55 die Sonate in f-Moll, op. 2/1, als das Paradigma eines festgefügten, achttaktigen Satzes. Zentrales Beispiel für eine auf einem Satz aufbauende dreiteilige (Lied-)Form ist bei Rufer, Webern und Schönberg das Largo der Klaviersonate op. 7, in Hinblick auf eine auf einer Periode aufbauende dreiteilige (Lied-)Form wird von den Genannten sowie von Leopold Spinner der zweite Satz der Klaviersonate A-Dur, op. 2/2, herangezogen. Ich breche diese schnell ins Uferlose führenden Auflistung bereits an dieser Stelle ab, das Ausgeführte mag vorderhand ausreichen, um als Hypothese formulieren zu können: Je weiter wir in diesem „Form-Lehrgang“ fortschreiten, desto mehr lassen sich zwar anhand der jeweils gewählten Lehr- und Analysebeispiele spezifische Eigenheiten und individuelle Intentionen der einzelnen Autoren ablesen. In Bezug auf den Aufbau des Curriculums selbst und den Beginn der einzelnen Kompositions-, Zwölfton- oder Formenlehren sind jedoch große Übereinstimmungen zu 50
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Schoenberg, Fundamentals of Musical Composition (Anm. 44), S. 20ff, Notenbeispiele S. 23 und S. 63; Schoenberg, Structural Functions of Harmony (Anm. 44), S. 115; Schönberg, Der musikalische Gedanke (T65.03 im Archiv des Arnold Schönberg Center, S. 21ff.) bzw. die Transkription und Übersetzung in: Schoenberg, The Musical Idea (Anm. 17), S. 176f. Dieses Beispiel findet sich sogar als eines der wenigen Fremdbeispiele in: Schoenberg, Models for Beginners in Composition, New York ²1943, S. 19. „Ich will Ihnen jetzt eine Stelle aus einer Sonate Beethovens zeigen, die als achttaktiger Satz zu bezeichnen ist: [folgt: Notenbeispiel, Beethoven, op. 2/1, 1. Satz] Wir sehen wieder eine Gestalt, die wiederholt und entwickelt wird.“ (Webern, Der Weg zur Neuen Musik [Anm. 11], S. 32, vgl. auch Webern, Über musikalische Formen [Anm. 28], S. 238–242.). Vgl. Stein, Form and Performance (Anm. 8), S. 93–98, in welcher Stein die Unterscheidung zwischen Satzund Periodentypus einführt, hierbei betonend, dass der Satz im Gegensatz zur Periode offener gestaltet sei – deswegen die in unserem Zusammenhang zunächst vielleicht irritierende Aussage: „The overall shape of a sentence is loose“ (S. 93), mit welcher Stein das Notenbeispiel mit Beethovens op. 2/1 einleitet: „A clear distinction should be made between a sentence and a period – there is much confusion in the use of the terms. In a sentence, the first phrase or clause is immediately repeated – more or less exactly and often in the form of a sequence – and developed further by way of variations, in the course of which the phrase (or clause) is reduced to shorter rhythmic units. In a period, the second phrase is an antithesis to the first, and both together form a larger rhythmic unit (the antecedent).“ (Ebenda S. 95). Schönberg und Webern betonen gleichermaßen, dass die Periode im Vergleich zum Satz die geschlossenere Form sei, weil sie im Gegensatz zu diesem nicht sofort das Thema entwickle und sich als darob fester gefügte auch insbesondere für (geschlossenere) Satzformen wie Variationen, Rondoformen und langsame liedmäßige Sätze eigne, während der Satz aus sich heraus in gleichsam dynamischer Prozessualität auf eine weiter zu verfolgende Entwicklung verweise. „Als Beispiel für den achttaktigen Satz sei das Hauptthema des ersten Satzes der f-Moll Sonate Op 2 Nr 1 angeführt: [folgt: Notenbeispiel, Beethoven op. 2/1, 1. Satz] Deutlich können wir hier die oben erwähnten Merkmale erkennen.“ (Ratz, Einführung in die musikalische Formenlehre [Anm. 6], S. 23). „An example of the eight-bar sentence is found in the principal subject of the first movement of Beethoven’s Piano Sonata Op. 2 No.1. A two-bar phrase on the tonic is answered in bars 3 and 4 on the dominant. In bar 5 (the liquidation) only the second bar of the model phrase is used; this bar is repeated (bar 6), to be followed by the cadential bars (7 and 8) leading to the dominant.“ (Spinner, A short Introduction [Anm. 7], S. 3). Vgl. beispielsweise René Leibowitz, A treatise on Twelve-Tone Composition, translated by Nancy Francois, S. 12f. (Ich beziehe mich auf ein Typoskript im Arnold Schönberg Center in – teilweise recht problematischer – englischer Übersetzung, das französische Original Traité de la Composition avec Douze Sons wird in der Paul Sacher Stiftung in Basel aufbewahrt: Einige Angaben hiezu machen Gianmario Borio in: Borio, Zwölftontechnik und Formenlehre [Anm. 32], S. 288f. und Will Ogdon, Concernig an Unpublished Treatise of René Leibowitz, in: Journal of the Arnold Schoenberg Institute 2/1 [October 1977], S. 34–41).
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erkennen; allen dienen die frühen Klaviersonaten Beethovens als konstanter Bezugspunkt, wobei sich signifikanterweise die analytischen Bemerkungen und Annotationen bisweilen bis in einzelne Details gleichen. Dodekaphone Legitimationsfiguren Auch wenn allerorten gerne betont wird, dass Schönberg selbst nie „Zwölftonkomposition“ unterrichtet habe, gehört die Lehre der Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen durchaus zum Curriculum der Wiener Schule, wobei insbesondere das Verhältnis von Zwölftontechnik und musikalischer Formenlehre im Zentrum der Überlegungen steht. Naturgemäß ist Beethoven, dessen frühe Klaviersonaten spätestens seit der Bahn brechenden Studie von Adolph Bernhard Marx56 stets diejenigen Werke gewesen waren, die zur Explikation und Entwicklung einer tonalen Formenlehre herangezogen wurden, das paradigmatische Beispiel, auf dessen Fundament nunmehr das Verhältnis von Zwölftontechnik und Formenlehre in Hinsicht auf die Entwicklung einer dodekaphonen Formenlehre artikuliert wird. Evident wird dies nicht zuletzt in einer hiermit zusammenhängenden Argumentationsfigur der Wiener Schule, die sich in einer direkten Parallelisierung von eigenen Werken und Kompositionen Beethovens innerhalb einer zugrunde gelegten großen musikhistorischen Legitimationserzählung manifestiert. Dieser Topos durchzieht die gesamte Literatur von und über die Wiener Schule, findet sich in den Schriften Schönbergs,57 in den Schönberg-Analysen Bergs,58 in Weberns Analysen eigener Werke,59 in Aufsätzen Erwin Steins,60 in der Zwölftonlehre Rufers61 und zeigt sich 56 57
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Adolph Bernhard Marx, Ludwig van Beethoven. Leben und Schaffen, Berlin 1859. Verwiesen sei auf die von Schönberg erwähnte direkte Bezugnahme auf den ersten Satz der Eroica im Zusammenhang mit der Komposition des ersten Satzes des 1. Streichquartettes, op. 7; vgl. Arnold Schönberg, Notes on the Four String Quartets (Arnold Schönberg Center, Wien [T70.02 und T70.03]; der Text ist greifbar in: Ursula von Rauchhaupt, Die Streichquartette der Wiener Schule. Eine Dokumentation, München 1971, S. 37ff., eine deutsche Übersetzung findet sich in: Schönberg, Stil und Gedanke (Anm. 1), S. 411). Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Überlegungen von Peter Schleuning, Schönberg und die E r o i c a . Ein Vorschlag zu einer anderen Art von Rezeptionsforschung, in: Otto Kolleritsch (Hg.), Beethoven und die Zweite Wiener Schule (= Studien zur Wertungsforschung, Bd. 25), Wien – Graz 1992, S. 25–50. Alban Berg, Sämtliche Werke, hrsg. von der Alban Berg Stiftung, III. Abteilung: Musikalische Schriften und Dichtungen, Band 1: Analysen musikalischer Werke von Arnold Schönberg, vorgelegt von Rudolf Stephan und Regina Busch, Wien 1994. Vgl. beispielsweise den Brief Weberns an Kolisch in Hinblick auf sein Streichquartett, op. 28, dessen analytische Hinweise in einer direkten Parallelisierung mit Klaviersonaten Beethovens münden: „[…] Als Ganzes mußt Du das ‚Quartett‘ in seiner formalen Erscheinung so aufnehmen, wie es so manche der dreisätzigen Beethovenschen Klavier-Sonaten sind! In diesem Sinne habe ich zu gestalten versucht. (Schau Dir diese Satz-Formen bei Beethoven einmal recht genau an!) […].“ Der Brief ist vollständig transkribiert und teilweise faksimiliert in: Rauchhaupt, Die Streichquartette der Wiener Schule (Anm. 57), S. 131–135, Zitat auf S. 133, dort auch weitere Angaben zum Kontext des Briefes. Karlheinz Essl ist der Bedeutung der Webernschen Analysen seines Streichquartetts op. 28 und seiner Variationen op. 30 auch unter Hinweise auf die eminente Bedeutung Beethovens nachgegangen; vgl. Karlheinz Essl, Das Synthese-Denken bei Anton Webern. Studien zur Musikauffassung des späten Webern unter besonderer Berücksichtigung seiner eigenen Analysen zu op. 28 und 30 (= Wiener Veröffentlichungen zur Musikwissenschaft, Bd. 24), Tutzing 1991. Vgl. auch Neil Boynton, Formal Combination in Webern’s Variations Op. 30, in: Music Analysis 14 (1995), S. 193–220.
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nicht zuletzt besonders augenfällig in den direkten Gegenüberstellungen von Werken Weberns und Beethovens bei René Leibowitz62 und Leopold Spinner.63 Der Bezug auf Beethoven erschöpft sich hier freilich nicht nur in einer direkten Gegenüberstellung,64 vielmehr ist zu konstatieren, dass darüber hinaus das identi60 61
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Vgl. besonders Erwin Stein, Das gedankliche Prinzip in Beethovens Musik und seine Auswirkung bei Schönberg, in: Musikblätter des Anbruch 9/3 (März 1927), S. 113–154. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Rufer seiner gesamten Zwölftonlehre eine spezifische Grundgestalt-Theorie zugrunde legt, die er aus einer breit angelegten Analyse von Beethovens Sonate op. 10/1 destilliert. Leibowitz koppelt in seinem Traité de la Composition avec Douze Sons immer zwölftönige und „klassische“ Werke; die Beantwortung der Frage Qu’est-ce que la musique de douze sons? bewerkstelligt er bekanntlich in einer direkten Gegenüberstellung von Weberns erstem Satz aus dem Konzert, op. 24, und Beethovens erstem Satz aus der Sonate, op. 2/1. Borio bemerkt hiezu: „Leibowitz hatte bereits in seinen früheren Büchern auf die enge Verwandtschaft hingewiesen, die zwischen der Phrasenstruktur der klassischen Instrumentalmusik und jener in den Zwölftonkompositionen der Wiener Schule besteht. Der Vergleich zwischen der Exposition des ersten Satzes aus Beethovens Klaviersonate, op. 2/1, und Weberns Themenexposition im ersten Satz des Konzerts, op. 24, ist das bekannteste Beispiel dafür [Fußnote hiezu: Vgl. Leibowitz, Qu’est-ce que la musique de douze sons? Le Concerto pour neuf instruments op. 24 d’Anton Webern, Liège 1948, S. 22–26.] Jedoch zeigen dort die Terminologie und die Einschätzung der formalen Funktionen eine noch ungenügende Kenntnis der Formenlehre deutscher Tradition, insbesondere deren Reformulierung durch Schönberg und seine Schüler. […] Erst nach dem Besuch bei Schönberg fühlte sich Leibowitz imstande, eine normative Kompositionstheorie zu verfassen, die von der Zwölftontechnik her Licht auf die ‚strukturellen Funktionen‘ der tonalen Musik wirft.“ (Borio, Zwölftontechnik und Formenlehre [Anm. 32], S. 291.) Leibowitz hatte bei seinem Aufenthalt in Amerika im Herbst/Winter 1947/48 und im Frühjahr 1950 Gelegenheit, mit Schönberg das „Gedanke-Manuskript“ durchzuarbeiten; vgl. dazu Leibowitz, A treatise on Twelve-Tone Composition (Anm. 55), S. 4, sowie auch Leibowitz, Besuch bei Arnold Schönberg, in: Schweizerische Musikzeitung 89 (1949), S. 324–328. Es ist in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass auch einige der anderen Autoren direkt oder indirekt Kenntnis von Denkfiguren und auch spezifischen Formulierungen aus den Schriften Schönbergs hatten resp. haben konnten, auch wenn sich diese lediglich in zu seinen Lebzeiten unpubliziertem Material finden. Infolgedessen wäre zu konzedieren, dass auch die nicht publizierten Schriften dergestalt eine eigene – quasi inoffizielle – Rezeptionsgeschichte besitzen (können). Verwiesen sei auf die direkte analytische Gegenüberstellung des zweiten Satzes von Weberns Streichquartett, op. 28, und des dritten Satzes aus Beethovens Streichquartett f-Moll, op. 95 (Leopold Spinner, „2 Scherzo-Analysen“, in: Busch: Leopold Spinner [Anm. 48], S. 180–191.) und einer fragmentarischen Analyse des zweiten Satzes aus Beethovens V. Symphonie, der – wie Regina Busch vermutet – möglicherweise eine ähnlich gelagerte Analyse des ersten Satzes von Weberns Streichquartett, op. 28, hätte gegenübergestellt werden sollen. Diese Beethoven-Analyse ist unpubliziert und wird in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek unter der Signatur F66.Spinner/64 aufbewahrt. Zu diesen Analysen und zu einigen sich hierin offenbarenden „Querverbindungen“ vgl. Busch: „Die Abhandlungen über die Scherzo- und Adagioform wurden sicherlich auch im Hinblick auf eine erhoffte Lehrtätigkeit oder Publikation verfaßt. Sie entstanden zu einer Zeit, als die Lehre der Schönberg-Schule, insbesondere in der Webernschen Ausprägung, noch nicht in verbindlicher, schriftlicher Form vorlag. Spinner hatte zwar einige der Vorträge Weberns gehört, kannte vielleicht auch solche von Schönberg, aber hier handelte es sich, wie auch beim Unterricht, gewissermaßen um mündliche Überlieferung. Jedoch hat sich gerade durch jahrelange Diskussionen die Schule herausbilden und ihre ‚Theorien‘ formulieren können. Das ist unter anderem auch daran zu erkennen, daß die Terminologie in Spinners Abhandlungen (z. B. ‚horizontale und vertikale Darstellung‘, ‚fest und locker‘) mit Weberns Sprech- und Schreibweise ebenso übereinstimmt wie mit derjenigen der Formenlehre von Erwin Ratz, die 1951 zum ersten Mal erschien. […] Man kann davon ausgehen, daß Spinner eine deutliche Vorstellung davon hatte, was Schönbergs Lehre beinhaltet und wie sie sich in der Terminologie manifestiert.“ (Ebenda S. 174). Zu erwähnen wäre in diesem Zusammenhang, dass die beiden Schriften, die im Prinzip das Zentrum des musikästhetischen und musikphilosophischen Denkens Adornos markieren, genau diese Konstella-
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sche analytische Instrumentarium für die Analyse der Werke der Wiener Schule wie für die Kompositionen Beethovens verwendet wird. Da der an dieser Stelle notwendige umfassende Vergleich der „analytischen Sprachen“ der einzelnen Autoren den Rahmen sprengen würde, möchte ich im Folgenden versuchen, diese große Frage mit dem Hinweis auf ein kleines Detail ansatzweise zu erhellen: Vertraut ist die hier zugrundeliegende Argumentationsfigur nicht zuletzt aus Schönbergs berühmtem Aufsatz Composition with Twelve Tones, der auf Vorträgen aus den Jahren 1934 in Princeton/Chicago65 und 1941 an der UCLA66 fußend in den späten Vierzigerjahren für Style and Idea umfangreich umgearbeitet wurde. Hier rekurriert Schönberg, um die Verwendung von gespiegelten Reihenformen zu rechtfertigen, nun erstaunlicherweise nicht auf Beispiele Bachs oder der „Niederländer“67, sondern auf die Verbindung der Themen des vierten Satzes von Beethovens letztem Streichquartett in F-Dur, op. 135,68 die in „spiegelverwandtschaftlichen“ Verhältnissen zueinander stehen.69
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tion ausbuchstabieren: seiner Philosophie der neuen Musik, die sogar im Strawinsky-Kapitel eigentlich eine Schönberg-Monographie darstellt, stünde, wäre sie vollendet worden, direkt eine Philosophie der Musik – das Fragment gebliebene Beethoven-Buch – gegenüber. Arnold Schönberg, Method of Composing with 12 Tones (Arnold Schönberg Center, Wien [T25.01]). Der Vortrag wurde im Jänner 1934 geschrieben und weist die gleiche Form der Textorganisation wie das große Gedanke-Manuskript auf. Der Vortrag war geplant für Jänner 1934 in Princeton, wurde jedoch abgesagt und schließlich am 10. Februar 1934 in Chicago erstmals gehalten; vgl. diesbezüglich Hans Heinz Stuckenschmidt, Schönberg. Leben – Umwelt – Werk, Zürich 1974, S. 344. Vortrag vom 26. März 1941 in Los Angeles (Arnold Schönberg Center, Wien [T61.04]); die entsprechenden Notenbeispiele zu Beethovens op. 135 und Schönbergs op. 9 befinden sich gemeinsam auf einer Extraseite (T61.04, 17v) und stehen direkt untereinander. In einem Brief vom 20. Jänner 1931 bezüglich einiger von Webern projektierter Kurse in Mondsee empfiehlt Schönberg, „die Analysen eventuell so anzulegen (durch die Auswahl der Werke) dass die Entwicklung der Komposition mit 12 Tönen sich daraus ergiebt“, wobei hierbei dezidiert die „Niederländer [und] Bach fürs Kontrapunktische“ heranzuziehen wären. (Brief von Schönberg an Webern vom 20. Jänner 1931; Durchschlag aufbewahrt in der Library of Congress [Anm. 14], publiziert in: Arnold Schönberg, Briefe, ausgewählt und hrsg. von Erwin Stein, Mainz 1958, S. 158f., dort falsches Datum.) Dass die von Schönberg zitierte Inschrift Beethovens „Muss es sein, ja, es muss sein“ für die Auswahl gerade dieses Anknüpfungspunkts in Hinsicht auf die darzulegende Notwendigkeit der Zwölftontechnik nicht ganz unwesentlich gewesen sein dürfte und dergestalt diversen hermeneutischen Ausdeutungen offenstünde, sei natürlich nicht verschwiegen. In Hinblick auf die zahlreichen Querverbindungen einzelner Schriften unterschiedlicher Autoren der Wiener Schule sei darauf verwiesen, dass Rufer in seiner Zwölftonlehre an genau dieses „ingeniöse Beispiel thematischer Konstruktion bei Beethoven“, das Schönberg „gefunden“ habe, dezidiert mit einem Notenbeispiel erinnert, um seinerseits – analog zu Schönberg – die Nebensächlichkeit der Frage, ob ein Komponist diesen oder jenen musikalischen Sachverhalt bewusst oder unbewusst komponiert habe, zu demonstrieren. Vgl. Rufer, Die Komposition mit zwölf Tönen (Anm. 7), S. 17f.
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Abbildung 2: Style and Idea (1950), S. 110f.70
Jedoch schließt Schönberg hier wider Erwarten nicht mit weiteren Erläuterungen zu der Reihentechnik an, sondern verweist abermals71 auf die subkutanen72 Verbin70
71
Obige Abbildung zeigt die entsprechende Seite aus dem Widmungsexemplar Josef Polnauers von Arnold Schoenberg, Style and Idea, hrsg. von Dika Newlin, New York 1950, mit folgenden Anmerkungen: „Solche ‚Ausfüllungen‘ von Intervallen sind bei der Dodekaphonie aber nicht möglich; überhaupt keine Diminuition und Figuration. Es gibt ja keine ‚Stammtöne‘ [?]! Sondern die Aufeinanderfolge der Töne ist streng gebunden!“ (Das Handexemplar befindet sich in der Bibliothek der Internationalen Schönberg-Gesellschaft, Wien.) Die Art und Weise der Annotationen, die eine gewisse Skepsis gegenüber neueren Denkfiguren bei gleichzeitigem Festhalten an Denkmustern resp. Dogmen der Zwanzigerjahre verrät, ist meines Erachtens signifikant für die Rezeption der späteren Überlegungen Schönbergs durch die in Europa verbliebenen übrigen Schulmitglieder; der Zusammenhalt der Wiener Schule war – nicht nur durch die großen Distanzen, die zwischen den einzelnen verstreuten Mitgliedern bestanden, sondern auch durch die unterschiedlichen kulturellen Kontexte – spätestens nach 1945 ein anderer geworden. Dieser auf mehreren Ebenen „auto-analytische“ Hinweis findet sich in einer Vielzahl von Texten, so in dem Vortrag „My Evolution“ vom 29. November 1949 in Los Angeles; vgl. die authentische Aufzeichnung des Vortrags unter VR 29 und 39, sowie das Vortrags-Skript (Arnold Schönberg Center, Wien [T64.14]); veröffentlicht zuerst in spanischer Übersetzung als Mi evolución, in: Nuestra música 4 (1949), S. 239–249, in deutscher Sprache als Rückblick, in: Stimmen 2/4 (1948/49), S. 433–438; sowie den Vor-
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dungen der beiden Themen aus seiner Kammersymphonie, op. 9, wobei der mit einem ausführlich erläuterten Notenbeispiel bewerkstelligte Hinweis an dieser Stelle seltsam unmotiviert erscheint. Auch im großen Fragment zum „Musikalischen Gedanken“ von 1934/36 findet sich in einem Notenbeispiel zu dem Kapitel „Zusammenhang der neuen Bestandteile“ ein Hinweis, der nun zusätzlich zu den schon dargelegten Verbindungen der Gestalten des vierten Satzes die thematischen Verbindungen zwischen dem ersten und dem vierten Satz in Beethovens letztem Streichquartett, op. 135, aufdeckt:
Abbildung 3: Schönberg, Der musikalische Gedanke (T65.01, 5r).
72
trag Heart and Brain in Music vom 7. Mai 1946 in Chicago (Arnold Schönberg Center, Wien [T55.06]; veröffentlicht zuerst in: Schoenberg, Style and Idea [Anm. 70], S. 159–179). Der – mittlerweile zur Allerweltsvokabel herabgesunkene – Begriff der (thematischen) Subkutaneität, den Adorno von Schönberg übernehmen wird, ist in Hinblick auf die Bedeutung Beethovens in der Wiener Schule zentral, eine größere Studie zu diesem Themenkreis müsste diesen Begriff fraglos zu einem Ausgangspunkt ihrer Überlegungen machen, nicht nur in Hinblick auf das Komponieren Beethovens, sondern insbesondere auch in Bezug auf das analytische Denken der Wiener Schule.
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Abbildung 4: Verbindungen der Themen von I. und IV. Satz (Transkription).
Abbildung 5: Verbindungen der Themen im IV. Satz (Transkription73).
Seine unmittelbare Signifikanz erhält dieses Beispiel, das in seiner Selektivität als äußerst typisch für das analytische Verfahren Schönbergs angesehen werden kann, meines Erachtens wiederum eher aufgrund seiner Beiläufigkeit;74 es stellt gewissermaßen kein analytisch zu erreichendes Ergebnis, sondern vielmehr eine nicht weiter hinterfragte „Selbstverständlichkeit“ dar. Darüber hinaus findet abermals eine Parallelisierung zwischen Schönberg und Beethoven statt, dergestalt, dass das Beispiel, in welchem Schönberg die subkutanen Beziehungen der beiden Themen aus seiner Kammersymphonie, op. 9, in kunstvollster Analyse auskonstruiert, auch innerhalb des Gedanke-Manuskriptes in nicht allzu weiter Ferne zu finden ist. Beethoven, anhand dessen die Wiener Schule bereits eine tonale Formenlehre konzipiert hatte, wird – so ließe sich zusammenfassen – in diesen und ähnlich gearteten Argumentationsfiguren als grundlegende Kontrastfolie herangezogen, um auf dieser Basis eine dodekaphone Formenlehre zu entwickeln.
73 74
Für den Notensatz dieser Transkriptionen habe ich Herrn Thomas Stark herzlich zu danken. Wiederum erscheint das Beispiel innerhalb des Textkorpus etwas unmotiviert, da Schönberg in seinem Text nicht weiter auf die mit diesem Notenbeispiel aufgeworfenen Fragen eingeht.
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Theory of Performance Dass alle Versuche der Wiener Schule, eine „Lehre der musikalischen Reproduktion“ zu formulieren, über den Status des Fragmentarischen nicht herausgekommen sind, mag – wie Hermann Danuser vermutet75 – in der Sache selbst begründet liegen. Dennoch lässt sich meines Erachtens ein Netzwerk mit den vorhandenen Notizen und Aufzeichnungen flechten, wodurch nicht nur die fundamentalen Unterschiede,76 die sich bereits in der beträchtlichen Varianz der Terminologie erweist,77 sondern auch einige signifikante Gemeinsamkeiten dieser fragmentarisch skizzierten „Vortragslehre“ unter besonderer Berücksichtigung der Rolle Beethovens sichtbar gemacht werden können.78 Wie seit jeher in der theoretischen Auseinandersetzung mit der musikalischen Interpretation,79 waren auch innerhalb des Diskurses der Wiener Schule die Kompositionen Beethovens diejenigen, an welchen Fragen bezüglich des Vortrags, der Aufführung respektive der musikalischen Reproduktion generell verhandelt wurden.80 So dürfte es nicht verwundern, dass Kolisch, Steuermann und Adorno das 75 76
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Vgl. Hermann Danuser, „Zur Haut ‚zurückkehren‘“. Zu Theodor W. Adornos Theorie der musikalischen Reproduktion, in: Musik & Ästhetik 25 (2003), S. 5–22, hier S. 5. „Einige Stellen in den Fragmenten [Adornos] lesen sich gewiß so, als sei Rudolf Kolisch, der Freund, die Person gewordene Erfüllung von Adornos Theorie. Sieht man aber genauer zu, wird deutlich, daß in bezug auf das Verständnis von Text, Werk und Geschichte zwischen beiden fundamentale Unterschiede wirksam waren.“ (Richard Klein, Das musikalische Werk und seine Interpretation, in: Otto Kolleritsch (Hg.); Musikalische Produktion und Interpretation. Zur historischen Unaufhebbarkeit einer ästhetischen Konstellation (= Studien zur Wertungsforschung, Bd. 43), Wien–Graz 2003, S. 101–120, hier S. 120. Auf diesen Zusammenhang wird zurückzukommen sein. Nicht ohne Grund dürfte Schönberg von „Vortrag“ respektive „Performance“, Kolisch von „Aufführung“ und Adorno von „musikalischer Reproduktion“ sprechen. Bereits in ersten rudimentären Aufzeichnungen zu diesem Themenkomplex wirft Schönberg die Frage zur Terminologie auf, indem er Begriffe wie „performance“, „interpretation“, „execution“ zur Diskussion stellt, vgl. Arnold Schönberg, Theory of Performance (Arnold Schönberg Center, Wien [T75.01]). Erste Ansätze zur Klärung dieser terminologischen Fragen finden sich bei Hans-Joachim Hinrichsen und Hermann Danuser; vgl. HansJoachim Hinrichsen, ,Zwei Buchstaben mehr‘. Komposition als Produktion, Interpretation als Reproduktion?, in: Kolleritsch (Hg.), Musikalische Produktion und Interpretation (Anm. 76), S. 15–32, hier S. 15ff., und Danuser, „Zur Haut ‚zurückkehren‘“ (Anm. 75), S. 11–14. Darauf, dass bei allen Unterschieden die grundsätzlichen Verbindungslinien aber auch von den Protagonisten selbst als solche angesehen wurden, mag pars pro toto ein Brief Kolischs an Leibowitz hinweisen, in dem es heißt: „Eben lese ich ein Büchlein von Erwin Stein [Form and Performance], das leider fragmentarisch und unsystematisch ist, dessen Grundideen sich aber mit unseren decken.“ Brief von Rudolf Kolisch an René Leibowitz vom 1. Juli 1962, zit. nach: Kolisch, Tempo und Charakter (Anm. 8), S. 118. Hinrichsen führt in ähnlichem Zusammenhang ein Zitat Hugo Riemanns an, dessen unmittelbare Aktualität mehr als hundert Jahre nach seiner Formulierung auch heute nicht zu leugnen ist: „Riemann beklagte, das Publikum habe sich so an das Kritisieren gewöhnt, daß es auch die Aufführung einer Beethovenschen Symphonie nicht mehr anhören kann, ohne sich in erster Linie immer die Frage, ob die Aufführung eine gute, eine mustergültige oder eine mäßige ist, zu beantworten‘.“ (Hinrichsen, ,Zwei Buchstaben mehr‘. Komposition als Produktion (Anm. 77), S. 15. Zitat im Zitat: Hugo Riemann, Das Überhandnehmen des musikalischen Virtuosenthums, in: ders., Präludien und Studien. Gesammelte Aufsätze zur Ästhetik, Theorie und Geschichte der Musik, Bd. 1, Leipzig 1895, S. 8.) „Beethoven bot damals insofern einen fast singulären Glücksfall für Theorie und Praxis musikalischer Aufführung, als die der Erfahrung der kompositorischen avant-garde gerade jener Epoche verdankte ,lebendige Auffassung‘ hier nahezu unvermittelt, doch nicht unversehens mit der Restitution des ,authentischen Willens des Komponisten‘ zusammenfiel.“ (Heinz-Klaus Metzger, Restitutio Musicae. Zur
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mittlere der drei Rasumowsky-Quartette, op. 59/2, in das Zentrum ihrer Überlegungen während ihres gemeinsam veranstalteten Seminars Neue Musik und Interpretation bei den Darmstädter Ferienkursen im Jahre 1954 stellten – man wird hierin im Übrigen nichts anders als einen bewusst gesetzten Kontrapunkt in der Hochphase des Serialismus sehen können.81 In diesem Seminar komme es, wie Adorno in einem Brief an Kolisch bemerkt, „am meisten […] doch wohl darauf an, den Schülern klar zu machen, was strukturell-sinnvolles Interpretieren eigentlich heißt.“82
In den Fragmenten Adornos83 finden sich nun einige Hinweise, in welche Richtung die auf Analyse aufbauende „Interpretation“ des ersten Satzes von op. 59/2 wohl gedacht werden könnte: „Thematisch musizieren: das heißt die Geschichte eines Themas darstellen und nicht einfach: die Themen verdeutlichen. […] Man kann den 1. Satz von op. 59,2 begreifen als einen Verlauf, in dem ein Exterritoriales – das Quintintervall e–h des ersten Taktes – hereingezogen, immanent, thematisch wird. Daran ist die ungemein schwierige Interpretation des Hauptthemen-Komplexes zu messen. Z. B. im ersten Takt muß die Oberstimme deutlich genug sein, um als Substrat der Geschichte aufgefaßt zu werden, aber nicht schon so deutlich, um das Resultat, das Thematischwerden, vorwegzunehmen, und die Schwierigkeit besteht darin, diese materiale Logik der Musik ins Mensurale zu übersetzen. […] Denn man könnte sehr ernst fragen: daß diese Zusammenhänge subkutan sind, gehört selbst zu ihrem Sinn: sie enthüllen, würde ihn verletzen d. h. schlüge in Pedanterie um. Aber das wäre undialektisch gedacht, und die Logik der Musik ist die dialektische. Der ganze, unendlich feine, aber entscheidende Unterschied ist: ob durch die ,Haut‘ (die bei Beethoven auch zum Komponierten gehört) das Subkutane durchscheint oder ob sie, als Phänomen anstelle des Wesens hypostasiert wird. […]“84
Der Anfang dieses Quartetts ist – wie nicht selten bei Beethoven – eine verblüffend simple musikalische Struktur und könnte als Beispiel für den grundlegenden Satz
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Intervention Kolischs, in: Heinz-Klaus Metzger/Rainer Riehn (Hg.), Beethoven. Das Problem der Interpretation (= Musik-Konzepte, Bd. 8), München 1979, S. 54–69, hier S. 57f. Zur Geschichte und musikhistorischen Bedeutung der Darmstädter Ferienkurse vgl. die umfassende, von Gianmario Borio und Hermann Danuser unter Mitarbeit von Pascal Decroupet, Inge Kovács, Andreas Meyer und Wilhelm Schlüter herausgegebene Dokumentation Im Zenit der Moderne. Die Internationalen Ferienkurse für Neue Musik Darmstadt 1946–1966 (= Rombach Wissenschaften. Reihe Musicae, hrsg. von Peter Andraschke), Freiburg 1997, in Bezug auf Fragen der Interpretationsgeschichte insbesondere Band 2, S. 119–187. Brief Adorno an Kolisch vom 4. Juni 1954, zit. nach der „Editorische[n] Nachbemerkung“ von Henri Lonitz, in: Adorno, Zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion (Anm. 8), S. 383. … und zwar in denjenigen zu Beethoven wie auch in denjenigen zur musikalischen Reproduktion, vgl. Adorno, Beethoven. Philosophie der Musik, hrsg. von Rolf Tiedemann (= Adorno, Nachgelassene Schriften, Abteilung I: Fragment gebliebene Schriften 1), Frankfurt am Main 1993, passim, und Adorno, Zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion (Anm. 8), passim. Adorno, Zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion (Anm. 8), S. 143.
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Adornos, Beethoven komponiere die Tonalität aus,85 herangezogen werden. „Exterritoriales“ – die Tonalität markierende Quinte – wird in die Komposition „hereingezogen“ und wird selbst „thematisch“;86 der ganze Satz beschreibt, da auch das Seitenthema direkt mit dem Hauptthema verbunden ist,87 die „Geschichte dieses Themas“ – eine Formulierung übrigens, die Adorno des Öfteren als von Schönberg stammend kennzeichnet88 – als „Geschichte der Einleitungsquint.“89 Gewissermaßen eine Kurzfassung seiner gesamten Reproduktionstheorie skizzierend, zeichnet Adorno ein Idealbild dieser Konstellation in seiner Beschreibung des Musizierens von Rudolf Kolisch als „integrale Interpretation“: „Der Gedanke des integralen Komponierens, eines Verfahrens, in dem jede Noten thematisch, im Zusammenhang des Ganzen zu verantworten ist, wurde von Kolisch auf die musikalische Darstellung übertragen. Man kann von integraler Interpretation reden. Sie setzt sich zur Aufgabe, nicht etwa in bloßem Wohllaut und glattem Ablauf das Werk widerzuspiegeln, sondern dessen Struktur ganz und gar in seiner Erscheinung zu verwirklichen, die ,Röntgenphotographie des Werks‘ zu bieten. Dies Interpretationsideal geht nicht von der klanglichen Fassade aus, sondern bestimmt diese funktionell, von den vielfach latenten musikalischen Ereignissen her. Die genaueste Analyse des Werkes, die präzise Erfahrung seiner ,subkutanen‘ Elemente werden vorausgesetzt.“90
Wenn „integrales“ respektive „strukturell-sinnvolles“ Musizieren also heißen dürfte, den in der Analyse der „integralen Komposition“ gewonnenen Befund musikalisch zur Darstellung zu bringen, ohne dabei die das Subkutane überziehende „Haut“ zu verletzen,91 so verweist dies nicht zuletzt auf das komplexe dialektische Verhältnis von musikalischer Analyse und musikalischer Reproduktion. Thetisch formuliert: 85 86
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Vgl. hiezu beispielsweise Adorno, Beethoven (Anm. 83), S. 40, sowie insbesondere die vom Herausgeber Rolf Tiedemann unter diesem Gesichtspunkt zusammengestellten Fragmente auf den Seiten 82–96. Zum Problem des Thematischen sei an die alte Streifrage erinnert, ob im ersten Satz der Eroica jemals (zu Beginn oder auch erst in der Coda) ein „Hauptthema“ erklinge oder nicht; vgl. hiezu die grundlegenden, auch auf der Basis einer „Kompositionslehre“ der Wiener Schule durchaus plausiblen Überlegungen von Carl Dahlhaus in Bezug auf den Begriff einer „thematischen Konfiguration“ (Dahlhaus, Ludwig van Beethoven und seine Zeit [= Große Komponisten und ihre Zeit], Laaber 1987, S. 214–217) und die daran anknüpfenden analytischen Ausführungen von Reinhold Brinkmann (Reinhold Brinkmann, Die Zeit der Eroica, in: Richard Klein/Eckehard Kiem/Wolfram Ette [Hg.], Musik in der Zeit. Zeit in der Musik, Weilerswist 2000, S. 183–211, hier S. 207ff.). Erinnert sei in diesem Zusammenhang an ähnlich lautende analytische Überlegungen Schönbergs. Vgl. beispielsweise in Bezug auf Beethovens op. 59/2: Adorno, Beethoven (Anm. 83), S. 35; die exakte Formulierung lässt sich innerhalb der Schriften Schönbergs (noch) nicht nachweisen, freilich gibt es jedoch eine Vielzahl von Überlegungen, die in diesem Umkreis zu verorten wären. Vgl. ebenda S. 35. Hiezu auch: „Analyse des 1. Satzes von op. 59,2. Der ganze Satz ist die Geschichte der Relation des 1. und 3. Taktes d. h. ihrer Identität. Sie wird erst in der Coda realisiert d. h. erst von der Coda aus ist der Anfang verständlich. Teleologie bei Beethoven: rückwirkende Kraft in der Zeit.“ (Ebenda S. 114.) Vgl. in diesem Zusammenhang auch das faksimilierte Notenbeispiel in: Adorno, Zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion (Anm. 8), S. 142. Theodor W. Adorno, Kolisch und die neue Interpretation, in: ders., Musikalische Schriften VI. Opern und Konzertkritiken – Buchrezensionen – Zur Praxis des Musiklebens (= Gesammelte Schriften, Bd. 19), Frankfurt am Main 2003, S. 460f. Vgl. hiezu auch Danuser, „Zur Haut ‚zurückkehren‘“ (Anm. 75), S. 16–22.
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Ohne nun die bloße, gleichsam positivistische Realisierung des analytischen Befundes zu sein,92 ist der musikalischen Reproduktion Analyse stets vorausgesetzt;93 musikalische Analyse ist notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung der „wahren Aufführung“.94 Innerhalb des musikanalytischen Diskurses der Wiener Schule ist nun auffällig, dass das konkrete musikalische Motiv immer in Bezug auf das gesamte Stück gedacht wird; dies erweist sich bereits in der Möglichkeit der Identifikation eines einzelnen Tones als Motiv.95 Die Überlegung, vom Kleinsten ausgehend auf das Gesamte zu schließen, ist ihrerseits umkehrbar: die Anlage des gesamte Satzes, der die Geschichte eines Themas, eines einzelnen Motivs beschreibt, ist hier im Kleinsten, in der ersten Quinte bereits angelegt, dem Ursprung wohnt bereits der Keim des Gesamten inne.96 Eine hiermit unmittelbar zusammenhängende Denkfigur zeichnet auch die Überlegungen zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion aus, auch hier geht es darum, am Einzelnen, am Individuellen, das Gesamte, das Allgemeine zu begreifen:
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„Wahre Reproduktion ist nicht einfach die Realisierung des analytischen Befundes (der übrigens prinzipiell nicht als abgeschlossener vorzustellen ist). Sondern sie enthält das idiomatische Element als aufgehobenes in sich. Und damit schließt sie notwendig die Subjektivität des Interpreten ein, die jedem Werk gegenüber das idiomatische Element präsentiert (Schlüssel zur Subjekt-Objekt-Theorie). Sie ist also weder die irrationale (idiomatische) noch die chemisch-reine, analytische, sondern die Wiederherstellung des mimischen Elements durchs analytische hindurch.“ (Adorno, Zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion [Anm. 8], S. 91; vgl. hiezu auch die darauf Bezug nehmende Notiz S. 106f.) „Genaue Analyse als selbstverständliche Voraussetzung der Interpretation. Ihr Kanon ist der fortgeschrittenste Stand der kompositionstechnischen Einsicht.“ Ebenda S. 10. So ein zeitweise in Erwägung gezogener Titel für Adornos Reproduktionsbuch, vgl. ebenda S. 54. Vgl. die analytischen Hinweise im Notenbeispiel 25 der Mitschrift von Weberns Vorlesungen Über musikalische Formen von Rudolf Schopf, in welchem der erste Akkord der Sonate op.10/1 als „M[otiv]1“ gekennzeichnet wird, aus dem sich sodann die weiteren Motive ergeben. (Webern, Über musikalische Formen [Anm. 28], S. 247). Vor diesem Hintergrund kann auch plausibel werden, dass in manchen Werken der Wiener Schule einzelnen Tönen, rhythmischen Figuren etc. eine so eminente motivische Bedeutung beigemessen werden kann. Diese Überlegungen dürften in spezifischen organologischen Vorstellungen Schönbergs ihren Ursprung finden, verwiesen sei im Kontext der Wiener Schule in diesem Zusammenhang auf eine signifikante metaphorische Erklärung des Kunstwerks, die sich bereits in Schönbergs Beitrag zum Blauen Reiter beobachten lässt: „Mir war daraus klar, dass es sich mit dem Kunstwerk so verhalte, wie mit jedem vollkommenen Organismus. Es ist so homogen in seiner Zusammensetzung, dass es in jeder Kleinigkeit sein wahrstes, innerstes Wesen enthüllt. Wenn man an irgendeiner Stelle des menschlichen Körpers hineinsticht, kommt immer dasselbe, immer Blut heraus. Wenn man einen Vers von einem Gedicht, einen Takt von einem Tonstück hört, ist man imstande, das Ganze zu erfassen. Genau so wie ein Wort, ein Blick, eine Geste, der Gang, ja sogar die Haarfarbe genügen, um das Wesen eines Menschen zu erkennen.“ (Arnold Schönberg, Das Verhältnis zum Text, in: Franz Marc/Wassily Kandinsky [Hg.], Der Blaue Reiter, München 1912, S. 27–33, hier S. 32.) Diese Metaphorik setzt sich in späteren Schriften fort, so beispielsweise in einem zum Komplex um den musikalischen Gedanken gehörigen Typoskript vermutlich aus der Berliner Zeit 1925–1933, in dem es heißt: „Ich halte es zwar für gewiss dass es sich mit dem Kunstwerk ebenso verhält wie mit jeder anderen homogene[n] Erscheinung: wo immer man in eine[n] menschlichen Körper hineinsticht, kommt dasselbe, Blut, heraus; was immer man aus einem Kunstwerk herausbringt ist irgendwie richtig, irgendwie bezeichnend für es, enthält irgendwie sein ganzes Wesen und kann alles lehren was wissenswert ist.“ (Arnold Schönberg, Der musikalische Gedanke; seine Darstellung und Durchführung, Arnold Schönberg Center, Wien [T37.06]).
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„Zu kritisieren die Auffassung, als wäre die Wahrheit der Interpretation so gebaut, daß es im Ganzen stimmen muß und die Details, gewissermaßen als Luxus, hinzutreten. In der Kunst entscheidet das kleinste über die Totale: vgl. S. 41 – wie übrigens auch in der Philosophie.“97
Beethoven ist in diesem Zusammenhang naturgemäß das Paradigma, nicht zuletzt, da in seinen Kompositionen insbesondere der mittleren Phase98 der „paradoxe Einstand“ der Dialektik von Besonderem und Allgemeinem99 in Hinblick auf eine prozessuale Entwicklungslogik100 omnipräsent ist. Adorno wird eben diese Überlegung insbesondere in seinen Beethoven-Fragmenten, seiner Ästhetischen Theorie und der Negativen Dialektik, die in Bezug auf diese Problematik parallel zu lesen wären, bekanntlich philosophisch entfalten; was dies aber in der konkreten Theoriearbeit heißt, ist meines Erachtens in Hinblick auf den Analyse-Begriff der Wiener Schule noch nicht ausreichend durchdacht.
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Adorno, Zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion (Anm. 8), S. 181. Der genannte Querverweis – „vgl. S. 41“ – zielt auf eine Stelle in den Aufzeichnungen Adornos, die die ganze Tragweite des Zusammenhangs von musikalischer Analyse und musikalischer Reproduktion erhellen könnte: „Zu Darstellung neuer Musik: es ist wohl, nächst der Verdeutlichung des ‚roten Fadens‘, das wichtigste, daß Identisches als solches kenntlich ist. Ich hörte z. B. eine Aufführung von Bergs op. 3 (jetzt, April 1953, L. A.) in der in der Durchführung des 1. Satzes kurz vor dem Höhepunkt, infolge der Drängung, Takt 91f das 1/32 nach dem punktierten Achtel nicht zu erkennen war. Dadurch ging aber verloren, daß das Thema identisch ist mit der Gestalt des Cellos Takt 51–52 – und damit der Sinn der Durchführung und eigentlich des ganzen Satzes. Von einer Note, die unter den Tisch fällt, kann eine Formtotalität abhängen, und die übliche Darstellung neuer Musik besteht nur aus solchen Versäumnissen. Daher ist sie dann mit Recht unverständlich.“ (Ebenda S. 98) Danuser weist in diesem Zusammenhang völlig zu Recht auf die enge Verbindung zu dem „mikrologischen Verfahren“ Benjamins hin, das Adorno an diesem theoretischen Ort – expressis verbis darauf hinweisend – übernimmt (Vgl. Danuser, „Zur Haut ‚zurückkehren‘“ [Anm. 75], S. 20, und entsprechend Adorno, Zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion [Anm. 8], S. 9.) 98 Auch Adorno geht – hierin durchaus im Einverständnis mit der akademischen Musikwissenschaft – von einer dreiteiligen Periodisierung des Beethovenschen Œuvres mit einer frühen, einer durch den „neuen Weg“ eingeleiteten mittleren Phase und einer Phase des Spätstils aus. Matthias Schmidt hat in diesem Zusammenhang auf eine weitere Parallelität von Beethoven und Schönberg aufmerksam gemacht, auch Schönbergs Werk wird – analog zu demjenigen Beethovens – nicht selten in drei Phasen mit der signifikanten Phase eines „Spätwerks“ eingeteilt; vgl. Matthias Schmidt, Grenzklänge. Einige Bemerkungen zu Schönbergs Alterswerk, in: Christian Meyer (Hg.), Arnold Schoenberg in America. Bericht zum Symposium 2.–4. Mai 2001 (= Journal of the Arnold Schönberg Center 4/2002), Wien 2002, S. 8–16. 99 Vgl. diesbezüglich beispielsweise Adorno, Zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion (Anm. 8), S. 92, weiters ders., Philosophie der neuen Musik (= Gesammelte Schriften, Bd. 12), Frankfurt am Main 2003, S. 55 und 180f., sowie ders., Beethoven (Anm. 83), passim. 100 Dies adäquat auszuführen, ist mir in diesem Rahmen nicht möglich, verwiesen sei in Hinblick auf die Aspekte einer „Temporalisierung der Form“ und auf Überlegungen zu dem Stichwort „Form als Prozeß“ auf die analytischen Ausführungen von Reinhold Brinkmann zum ersten Satz der Eroica (Brinkmann, Die Zeit der Eroica [Anm. 86], insbesondere S. 204ff.) und auf die grundlegenden Überlegungen zu einer neuen „Formidee“ des mittleren Beethoven (ab etwa op. 31) von Carl Dahlhaus wiederum in Hinblick auf die Eroica (Dahlhaus, Ludwig van Beethoven [Anm. 86], S. 214–222). In diesem Kontext sind auch die Überlegungen Adornos zum „intensiven Zeittypus“, für den naturgemäß wiederum die Eroica das paradigmatische Beispiel darstelle, zu sehen; vgl. Adorno, Beethoven (Anm. 83), passim, insbesondere jedoch S. 151–158.
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Die spezifische Bedeutung Beethovens für Rudolf Kolisch, der wohl als einer der profiliertesten Interpreten aus dem Umfeld der Wiener Schule zu gelten hat,101 ist nicht zuletzt in Hinsicht auf seinen Bahn brechenden Beitrag zur Interpretation der Musik Beethovens in seinem Aufsatz „Tempo und Charakter“102 evident und bedürfte in unserem Zusammenhang keiner weiteren Erklärung, wenn sich nicht in der teils recht kritischen Reaktion einzelner „Schulmitglieder“ – insbesondere Schönberg und Adorno – signifikante Details offenbarten, die die Bedeutung Beethovens für die Wiener Schule in dem Bereich der musikalischen Reproduktion ihrerseits quasi indirekt zu erhellen vermögen. Bekanntlich geht es in diesem Unternehmen Kolischs darum, auf der Basis der von Beethoven selbst fixierten Tempoangaben durch die Verknüpfung der Kategorien „Tempo“ und „Charakter“ in einem umfassenden Vergleich die nicht fixierten Tempoangaben induktiv zu erschließen.103 In einem Brief vom 16. November 1943 an Kolisch formuliert nun Adorno seine grundlegende Skepsis und fundamentale Kritik, hinter Kolischs Vorgehen die „Gefahr des Mechanistischen“ respektive „Positivistischen“ witternd.104 Ausgehend von der Nennung einiger seines Erachtens nicht zu subsumierender, der Klassifizierung Kolischs gewissermaßen widerstreitender Beispiele,105 bemängelt er letztlich eine zu geringe Beachtung des Individuellen – der einzelnen Werke 101
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Vielerorts wurde bereits darauf hingewiesen, dass sich das Musizieren Kolischs durch eine besondere Klarheit der syntaktischen Gliederung, einer besonders „fasslichen“ Darstellung von Phrasen, Motiven, Themen, Perioden etc. auszeichnet; dies ist an nahezu jeder der erhaltenen Aufnahmen mit Beteiligung Kolischs sofort zu hören und wäre in Zusammenhang mit der Verknüpfung der Aufführungslehre mit der „Theorie der Sprachähnlichkeit“ zu bringen: „Ein kompetenter Musiker muß wissen, ob eine bestimmte musikalische Gestalt die Funktion einer Fortsetzung, einer Wiederholung, einer Frage oder eines Gegensatzes hat, ob sie eine Steigerung oder eine Auflösung ist. Kolisch nannte das ,musikalische Interpunktion‘. Er stellte sich in einem musikalischen Text Kommas, Semikolons, Parenthesen, Gedankenstriche, Fragezeichen usw. vor und machte sie in seinem Musizieren hörbar. Durch diese Darstellungsweise erhält die Musik einen heutzutage ganz ungewohnten Charakter, sie wirkt tatsächlich als Sprache, und eine Komposition wird zu einem mehr oder weniger einleuchtenden Gedankengang.“ (Karoly Csipak, Die Wiener Schule: Grundbegriffe ihrer Aufführungspraxis, in: Albrecht Dümling [Hg.], Verteidigung des musikalischen Fortschritts. Brahms und Schönberg, Hamburg 1990, S. 145–159, hier S. 152.) Kolisch, Tempo und Charakter (Anm. 8). Der Text, der als Vortrag am 29. Dezember 1942 bei der American Musicological Society gehalten wurde, wurde zuerst veröffentlicht in: The Musical Quarterly 29/2 (1943), S. 169–187, und 29/3 (1943), S. 291–312. Vgl. Kolisch, Tempo und Charakter (Anm. 8), S. 12. „Aber ich sehe hier eine gewisse Gefahr. ich möchte sie – verzeih’ den banalen Ausdruck – die des Mechanistischen oder Positivistischen nennen.“ (Adorno, Brief an Rudolf Kolisch vom 16. November 1943, zit. nach: Adorno, Beethoven [Anm. 83], S. 255–257, hier S. 256.) Auf eben diesen Brief stützt sich auch substantiell die kritische Argumentation Richard Kleins; vgl. Das musikalische Werk und seine Interpretation (Anm. 76), S. 120. Adorno nennt beispielsweise die Beziehung des ersten Satzes des Streichquartetts, op.18/6, und des ersten Satzes der IV. Symphonie, die bei Kolisch mit dem identischen Tempo klassifiziert werden, während Adorno hingegen bezweifelt, dass die „Sätze, ihrem musikalischen Wesen nach, wirklich etwas miteinander zu tun“ haben, in Frage stellend, ob nicht zwischen den beiden Sätzen die „Weltalter der Musik – Divertissement und Ernstfall“ lägen. In der allen identischen Klassifikation sieht Adorno die Gefahr, dass die „Differenzen des Wesens“ nivelliert werden könnten. (Vgl. den Brief Adornos an Kolisch vom 16. November 1943, in: Adorno, Beethoven [Anm. 83], S. 257.) Dieser Einwand Adornos ist naturgemäß vor dem Hintergrund der „Kritik des identifizierenden Denkens“, die gewissermaßen den Kern seines Denkens seit der Dialektik der Aufklärung darstellen dürfte, zu sehen.
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ebenso wie des individuellen „Ausdrucks“ –, die zugunsten der übergeordneten, quasi absolut gesetzten Kategorie des Tempos „unterdrückt“ werden.106 Adorno hält gewissermaßen am „notwendigen Widerspruch“ von Tempo und Charakter fest, den er – auf eine prinzipielle „Unlösbarkeit des Tempos“107 in Hinsicht auf die „Unversöhnlichkeit von Ganzem und Teil in thematischer Musik“108 insistierend, auch nicht metronomisch reduzierend nivelliert wissen will. René Leibowitz hat auf der Basis der Überlegungen zu Tempo und Charakter von Kolisch alle Symphonien Beethovens auf Schallplatte eingespielt.109 Diese Aufnahmen wiederum wurden von Adorno – auch hinsichtlich des engen Zusammenhangs mit den Überlegungen Kolischs – verschiedentlich als eindrückliche Zeugnisse der Aufführungslehre der Wiener Schule hervorgehoben;110 gewissermaßen schließt sich im Durchgang der Theorie durch die (Aufführungs-)Praxis also ein konstellativer Kreis. Schönberg wiederum, der sich bereits in anderen Zusammenhängen zur Frage nach der Bedeutung der Metronomisierung geäußert hatte,111 wobei diese Ausführungen die Überlegungen Kolischs in gewisser Weise stützen könnten,112 schreibt in einem Brief vom 2. Dezember 1943 an Kolisch: 106
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Vgl. insbesondere den Brief an Kolisch vom 16. November 1943, in: Adorno, Beethoven (Anm. 83), S. 256, und einige der kritischen Fragmente in Adorno, Zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion (Anm. 8), S. 134ff. „Es ist nicht schwer, die richtigen Charaktere, und ebensowenig, die richtigen Tempi zu finden. Aber beides zugleich – das ist fast unmöglich, und das verweist auf einen notwendigen Widerspruch in der Sache.“ (Ebenda S. 100). Ebenda S. 135. Der Briefwechsel von Kolisch und Leibowitz lässt den diesbezüglichen Konnex deutlich hervortreten; vgl. die abgedruckten Briefe in: Kolisch, Tempo und Charakter (Anm. 8), S. 112–122. Weiters ist zu erwähnen, dass auch eine in diesem Zusammenhang aufschlussreiche Aufnahme von Beethovens Violinkonzert mit Kolisch und Leibowitz existert; vgl. hiezu auch Rudolf Kolisch und René Leibowitz, Aufführungsprobleme im Violinkonzert von Beethoven, in: Musica 33 (1979), S. 148–155. „Es dirigiert René Leibowitz aus Paris, Komponist, Webern-Schüler und – was man in Deutschland kaum weiß – der eigentliche Träger der Überlieferung der Wiener Schule in Paris. […] Seine Platten zeigen erstmals einem großen Publikum, was sonst, sieht man etwa von den unvergessenen, aber auf keinem Band aufbewahrten Orchesteraufführungen unter Anton von Webern ab, der Kammermusik reserviert schien. Er überträgt die musikalischen Erkenntnisse und Erfahrungen der Schönbergschule auf die Wiedergabe allgemein bekannter, authentischer Werke der Vergangenheit. Diese sind von den Veränderungen des musikalischen Bewußtseins bis ins Innerste betroffen.“ (Theodor W. Adorno, Beethoven im Geist der Moderne. Eine Gesamtaufnahme der neun Symphonien unter René Leibowitz, in: ders., Musikalische Schriften VI [Anm. 90], S. 535–538, hier S. 535f.). Verwiesen sei auf einige Texte zum Bereich der Metronomisierung, die Schönberg hinsichtlich einer Rundfrage der Zeitschrift Pult und Taktstock im Jahr 1926 formulierte. Selbstverständlich ist auch hier Beethoven das paradigmatische Beispiel, anhand dessen die Fragen zur Metronomisierung schlechthin verhandelt werden, Schönberg pocht im Gegensatz zu der von dem Dirigenten Albert Bing in seiner Antwort (in: Pult und Taktstock Heft 3–4 [März–April 1926], S. 90) beanspruchten „Individualität des Dirigenten“ nun vehement auf das „Recht des Autors“, der einen „Anspruch“ darauf habe „seine Meinung über die Aufführung des Werkes festzulegen“, wozu eben auch die Frage des zu wählenden Tempos zu zählen sei. Die diesbezüglichen drei Typoskripte Schönbergs werden im Arnold Schönberg Center, Wien (T35.11), aufbewahrt, ein Abdruck findet sich in: Metzger/Riehn (Hg.), Beethoven. Das Problem der Interpretation (Anm. 80), S. 9–12 unter dem Titel Über Metronomisierung; vgl. auch das von Schönberg glossierte Handexemplar von Pult und Taktstock (Arnold Schönberg Center, Wien [T41.10]). Bei Schönberg ist diese Frage darüber hinaus eingezwängt in das prekäre Verhältnis von Komponist und Interpreten, das auch bei Kolisch, der entschieden für die Musik und gegen das Instrument votiert,
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„[…] If I understand you correctly, your subjects are: (1) that character in Beethoven’s music is of the greatest importance in performances of his works; (2) that true character cannot be produced without the right tempo; (3) that Beethoven himself, conscious of these facts, indicated his will (in many of his works) by metronomical marks; (4) that while the metronom[e]s are absolutely obligatory, there exists a certain margin left for the interpretation of those Italian tempo marks. All that is very good and clear. […] If this essay would be known by universities they might at once engage you as a professor of musicology. But unfortunately, most musicians do not know that this kind of musical analysis is really, what I call ,musical philology‘, the science of musical language, its structural conditions and its manner of forming its ,vocables‘.“113
Evident dürfte sein, dass an dieser theoriearchitektonischen Schnittstelle die einzelnen Diskurse – musikalische Formenlehre, musikalische Analyse und musikalische Reproduktion – nicht nur ineinandergreifen, sondern geradezu zu einer eigenen theoretischen Konstellation, die die Musik aus den unterschiedlichen Perspektiven des Produzenten, Reproduzenten und Rezipienten in den Blick zu nehmen versucht, zusammenschießen. Der Vorschlag Schönbergs hinsichtlich einer „musikalischen Philologie“ als (musik-)wissenschaftliche Disziplin, die ebenfalls eine Verbindung von musikalischer Formenlehre, einer spezifischen Theorie der Sprachähnlichkeit der Musik, sowie auch einer Theorie der musikalischen Aufführung unter-
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verschiedentlich anklingt. So bildet ein prägnantes Zitat Beethovens, welches das Verhältnis von produzierendem und reproduzierendem Künstler auf das Polemischste verkürzt, den Schlusssatz von Rudolf Kolischs Aufsatz Religion der Streicher: „Der Geiger muß sich endlich von den Fesseln befreien, welche die Verankerung im tonalen Denken mit sich bringt. Das mag den Verzicht auf viele Momente des speziellen Streichercharismas bedeuten, welche die traditionelle Idiomatik etabliert hat und auf welche die Rezeption eingeschliffen ist. Aber diese vollzieht sich jenseits der musikalischen Idee und oft auf deren Kosten. Im Bewußtsein jedes Geigers sollte immer gegenwärtig sein, was ein großer Autor unspielbarer Violinmusik einem revoltierenden Spieler zugerufen hat: ‚Glaubt Er, daß ich an [s]eine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht, und ich es aufschreibe.‘ “ (Rudolf Kolisch, Religion der Streicher, in: ders., Zur Theorie der Aufführung [Anm. 8], S. 119). Mit eben diesem Zitat – den Geschichten einiger prägnanter Dikta Beethovens, die in zahlreichen Schriften der Wiener Schule in teils identischen, teils auch signifikant unterschiedlichen Konstellationen auftreten, wäre an anderer Stelle näher nachzugehen – beginnt Schönberg eine Glosse zu einer Rezension von Elsa Bienenfeld über die berühmten zehn öffentlichen Proben zur Kammersymphonie (Arnold Schönberg Center, Wien [T41.09]). Nun entzündet sich Schönbergs äußerst kritische Polemik seltsamerweise nicht an irgendeiner auf ihn, seine Produktion oder seine Reproduktion bezogene negative Äußerung Bienenfelds, sondern an ihrem lobenden Hinweis auf das jüngst erschienene Beethoven-Buch Paul Bekkers (Paul Bekker, Beethoven, Berlin 1911) und dessen dort eingeführte, mittlerweile wohl zur unbestrittenen Lehrmeinung avancierte Charakterisierung der Symphonie als Rede an die Masse, die ihrerseits mit der Annahme, die Symphonien seien „prinzipiell einfacher“ gestaltet als die kammermusikalischen, auf das Engste verbunden sind; Adorno hingegen, für dessen Überlegungen zu Beethoven jenes Buch Bekkers eine der wichtigsten Quellen war, wird das dann in diesem Zusammenhang bekanntlich in das Diktum der „Volksreden an die Menschheit“ (Theodor W. Adorno, Einleitung in die Musiksoziologie, in: ders., Dissonanzen. Einleitung in die Musiksoziologie [= Gesammelte Schriften, Bd. 14], Frankfurt am Main 2003, S. 281) transformieren. Brief von Arnold Schönberg an Rudolf Kolisch vom 2. Dezember 1943, Original in der Harvard University, Houghton Library (Kolisch Collection), publiziert in: Kolisch, Tempo und Character (Anm. 8), S. 108.
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nimmt, stellt gewissermaßen ein Analogon zu dem Projekt einer „integralen Kompositionslehre“ dar. In den Aufzeichnungen Adornos zu einer – zunächst mit Kolisch gemeinsam geplanten – Theorie der musikalischen Reproduktion114 finden sich einige Notizen, die sich, ausgehend von eben diesem zweiten Rasumowsky-Quartett, dessen strukturbildendes Spiel mit enharmonischen Verwechslungen insbesondere zu Beginn der Durchführung nur auf der Basis einer temperierten Wiedergabe überhaupt verständlich werden könne, mit einem Kernanliegen Kolischs auseinandersetzen: der Notwendigkeit des Musizierens in temperierter Stimmung.115 Diese Forderung ist bei Kolisch bestechend klar begründet; dass die Aufführung zwölftöniger Werke überhaupt nur auf diese Weise sinnvoll möglich sein könne, verstehe sich von selbst, davon jedoch ausgehend, dass die Geschichte der Reproduktion der Geschichte der Produktion in diesem Aspekt signifikant hinterher hinke, sei es notwendig, die nunmehr etwa 250 Jahre alte kompositionstechnische Neuerung der temperierten Stimmung nun auch endlich in Bezug auf das Aufführen von Musik zu vollziehen, wodurch dieses Prinzip keineswegs für die Neue Musik allein zu gelten habe, sondern auf die gesamte – schließlich ja auch wohltemperiert komponierte – Musik auszudehnen sei:116 „Hier drehe ich aber den Spieß um: mit aller Entschiedenheit vertrete ich den Standpunkt, daß jederzeit traditionelle Musik nur von dem vorgeschobensten Posten der Reproduktion aus gültig aufgeführt werden kann. Wer heute Webern nicht aufführen kann, kann auch Mozart nicht aufführen.“117
In dieser nicht nur in Fragen der Stimmung Gültigkeit beanspruchenden und überdies für die Wiener Schule insgesamt typischen Denkbewegung, von der neueren Musik aus die ältere zu denken,118 trifft sich Kolisch wiederum mit Adornos zentra114
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Bereits in seinem ersten Schema zu einer „Theorie der musikalischen Reproduktion“ – signifikanterweise im Dezember des Beethovenjahres 1927 niedergeschrieben – ist im Übrigen ein eigenes Kapitel (von insgesamt nur 8 Kapiteln) vorgesehen, das ausschließlich dem Thema „BeethovenAnalyse“ gewidmet sein soll. Vgl. Adorno, Zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion (Anm. 8), S. 315. „Zur Frage der temperierten Stimmung. Schulfall des Musizierens traditioneller Musik von der neuen her, gegen die Spielweise. Daß neue Musik Galimathias wird, wenn man nicht enharmonische Töne identisch spielt, weil dann die Akkorde nicht mehr zu erkennen sind, liegt ja auf der Hand. Aber das gilt auch für die traditionelle, sobald man den Zusammenhang realisiert. Beispiel Beethoven, op. 59, erster Satz, Takt 72f. Die einzelnen Akkorde blieben ja vielleicht noch verständlich, wenn man das es tiefer spielt als das darauf folgende dis. Aber der Sinn der Stelle ist die Identität in der Nichtidentität, d. h. die harmonische Differenz der beiden Akkordfolgen wird gefühlt nur gegen den verbindenden Ton als ihr Gleiches. […] Mit anderen Worten, folgt man der Spielweise, die nicht enharmonische Identität anstrebt, so wird der gesamte musikalische Zusammenhang sinnlos.“ (Ebenda S. 129f.). Vgl. Kolisch, Religion der Streicher (Anm. 112), S. 113–119. Ebenda S. 118. „Die Theorie von der geschichtlichen Veränderung der Werke und der wahren – d. h. nicht historistischen – Interpretation ist vermittelt dadurch, daß der Prozeß, als den die Interpretationen die Komposition darzustellen hat, eben der geschichtliche ist: daher die ältere von der fortgeschrittensten her.“ (Adorno, Zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion [Anm. 8], S. 121). Dies trifft sich – gleichsam aus
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ler These der geschichtlichen Veränderung der musikalischen Reproduktion, die sich nicht nur aus der Abfolge unterschiedlicher Interpretationsstile ergibt, sondern eine notwendige Folge des Fortlebens der Kunstwerke – ihrer immanenten „Nachreife“ – darstellt. Diese „Nachreife“ des Werks, die Adorno in direkter Fortführung119 der Bestimmung des Verhältnisses von Original und Übersetzung bei Benjamin entwickelt120 hatte, bezieht sich auf die dem musikalischen Kunstwerk inhärente Möglichkeit, auf die sich ständig verändernde musikhistorische Umgebung zu reagieren; die Werke entwickeln sich nicht nur in, sondern auch an der Musikgeschichte.121 Die Idee einer hiermit korrelierenden Geschichtlichkeit der musikalischen (Re-)Produktion steht in direktem Bezug zu einem grundlegenden traditionsaktualisierenden Kerngedanken der Wiener Schule; Ansätze zu einer „Theorie der Zeit- (und Orts-)Gebundenheit der musikalischen Reproduktion“ finden sich bereits in Schriften Schönbergs.122 Dieses Argument weiterführend, ergibt sich die
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der Perspektive der Reproduktion – mit Adornos wirkungsmächtiger „These“ der geschichtlichen Tendenz des musikalischen Materials, welches der Komponist nur auf seiner avanciertesten Stufe ergreifen könne. Bei Benjamin heißt es: „Denn in seinem Fortleben, das so nicht heißen dürfte, ändert sich das Original. Es gibt eine Nachreife auch der festgelegten Worte. Was zur Zeit eines Autors Tendenz seiner dichterischen Sprache gewesen sein mag, kann später erledigt sein, immanente Tendenzen vermögen neu aus dem Geformten sich zu ergeben. Was damals jung, kann später abgebraucht, was damals gebräuchlich, später archaisch klingen.“ (Walter Benjamin, Die Aufgabe des Übersetzers, in: ders., Kleine Prosa. Baudelaire-Übertragungen, hrsg. von Tillman Rexroth [= Gesammelte Schriften 4.1], Frankfurt am Main 1991, S. 12f.). Zu der Bedeutung Benjamins für die Reproduktionstheorie Adornos vgl. auch insbesondere Elvira Seiwert, „Interpretation ist eine Form.“ Benjamins Spur in Adornos Reproduktionstheorie und wohin sie wohl führt, in: Adolf Nowak/Markus Fahlbusch (Hg.), Musikalische Analyse und Kritische Theorie. Zu Adornos Philosophie der Musik, Tübingen 2007. „Interpretation, als autonome Form, ist notwendig auf ihren Widerspruch verwiesen, das autonome musikalische Gebilde. Darin gemahnt sie unmittelbar an die Übersetzung sprachlicher Texte. ‚Übersetzung ist eine Form. Sie als solche zu erfassen, gilt zurückzugehen auf das Original. Denn in ihm liegt deren Gesetz als in dessen Übersetzbarkeit beschlossen.‘ Von der Übersetzung aus der fremden Sprache jedoch unterscheidet die musikalische Reproduktion grundsätzlich sich darin, daß bis zum heutigen Tage Musik ihrer bedarf, nicht jedoch die Dichtung ihres Übersetzers.“ (Adorno, Zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion, S. 291f.; Zitat im Zitat: Benjamin, „Die Aufgabe des Übersetzers“, S. 9.) Carl Dahlhaus hat eben dies auch in Bezug auf den analytischen Zugang zu Musik exemplifiziert, wenn er in Hinblick auf die musikästhetische Kategorie der „Abstraktion“ mit den Erfahrungen der Analyse von seriellen Kompositionen die Diabelli-Variationen analysiert. Vgl. Dahlhaus, Ludwig van Beethoven (Anm. 86), insbesondere S. 268–271. Hinzuweisen wäre in diesem Zusammenhang auch auf die Analysen der Diabelli-Variationen Schönbergs in seinen amerikanischen Lehrbüchern Structural Functions of Harmony und Fundamentals of Musical Composition. Analoges manifestiert sich auch im Bereich der Reproduktion, so verlange – um zu einem Beispiel aus den Notizen Adornos zur Reproduktionstheorie zurückzukehren – die ungewohnte Neuheit der harmonischen Faktur des Tristanvorspiels, um vom Hörer zum ersten Male hörend nachvollzogen werden zu können, bei der Uraufführung von sich aus ein langsameres Tempo der reproduzierenden Darstellung. Hörer, die ein halbes Jahrhundert später ihrerseits in einem vollständig anderen musikhistorischen Kontext stehen und beispielsweise bereits die Auflösung der Tonalität hörend mitzuvollziehen die Gelegenheit hatten, bedürften nun nicht mehr dieser Hilfe durch die musikalische Reproduktion; ein zu langsames Tempo werde nicht nur sinn-los, sondern wirke eo ipso geradezu sinn-entstellend; vgl. Adorno, Zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion (Anm. 8), S. 256f. So beispielsweise der Text Today’s Manner of Performing Classical Music von 1948, der in den nicht realisierten Nachfolgeband von Style and Idea, welcher unter dem Titel Program Notes konzipiert worden war, hätte aufgenommen werden sollen, vgl. Schönberg, Today’s Manner of Performing Classical Music (Arnold
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bereits angesprochene Conclusio, dass von den „neueren Werken […] ein Licht auf die älteren [falle]“123 oder, um die Parallelität dieser Überlegung mit derjenigen Kolischs auch bis in die Formulierung hinein zu verdeutlichen: „Wer heute Schönberg nicht versteht, kann Beethoven nicht verstehen, sondern verstellt sich durch die verdinglichte Gestalt seiner Wirkung die Beziehung zum Werke.“124
Musikalisches Denken In der Bezugnahme auf Beethoven – so ließe sich vielleicht ein vorläufiges Résumée formulieren – erweist sich das grund-legende Selbstverständnis der Wiener Schule als einer tatsächlichen Schule des Analysierens, Komponierens und Aufführens von Musik. Beethoven wird hierbei – in Hinblick auf eine zu konstruierende „Musikgeschichte aus Gedanken“125 – gewissermaßen ent-historisiert; diejenigen Dinge, die an seinen Kompositionen zu lehren und lernen sind, gelten der Wiener Schule als gleichsam ewig gültige Gesetze des logischen musikalischen Denkens. Aus dieser Perspektive dürfte plausibel werden, wenn Schönberg 1927 notiert, er „spüre noch heute in jeder Wendung Beethovens das Neue“126, und Erwin Stein ebenfalls im Beethoven-Jubeljahr die Antwort auf Adornos Forderung, „man [könne] nicht mehr wie Beethoven komponieren, aber man [müsse] so denken, wie Beethoven komponierte“,127
vorwegnimmt und vermutlich auch durchaus in Hinsicht auf den eigenen Lernerfolg emphatisch vermeldet: „Die Musik hat durch Beethoven denken gelernt.“128
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Schönberg Center, Wien [T30.04]); publiziert in: ders., Style and Idea. Selected Writings of Arnold Schoenberg, hrsg. von Leonard Stein mit Übersetzungen von Leo Black, London 1975, S. 320–322. Um die immanente Notwendigkeit dessen herauszustellen, sei auf den geschichtsphilosophischen Zusammenhang in Bezug auf die Konzeption eines notwendigen Fortschritts, in welchem diese Idee meines Erachtens theoriearchitektonisch einzubetten wäre, verwiesen: „Kein Bewußtsein kann naiver sich äußern, als es ist. Der Versuch, um der vermeintlich oder wirklich höheren Qualität des minder Fortgeschrittenen willen ins ehemals Substantielle sich zu verbeißen, als hätte man nichts dazu gelernt, hätte keine Chance.“ (Adorno, Vers une musique informelle, in: ders., Musikalische Schriften I–III [= Gesammelte Schriften, Bd. 16], Frankfurt am Main 2003, S. 499). Adorno, Zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion (Anm. 8), S. 258. „Schönbergs Vorstellung von einer Musikgeschichte aus ,Gedanken‘ verflüssigt Namen und Daten des historischen Kanons, indem sie zumeist nur die Verhältnisse einzelner greifbarer Fakten zueinander bestimmt.“ (Matthias Schmidt, Schönberg und Mozart. Aspekte einer Rezeptionsgeschichte [= Publikationen der Internationalen Schönberg-Gesellschaft 5], Wien 2004, S. 152.) Diese Formulierung findet sich in einem Konvolut von Notizen, die Schönberg vermutlich in Hinblick auf einen projektierten, aber tatsächlich wohl nicht realisierten Vortrag an der Pariser Sorbonne zu dem Thema „Kriterien des musikalischen Wertes“ im Dezember 1927 festhielt. (Arnold Schönberg Center, Wien [T41.04]). Vgl. Adorno, Beethoven (Anm. 83), S. 231. Fragment von 1948. Stein, Das gedankliche Prinzip (Anm. 60), S. 118.
FERDINAND ZEHENTREITER (Frankfurt am Main)
Die Wiener Klassik als Balance von Extremzuständen Zur Wahlverwandtschaft zwischen Ludwig van Beethoven und Arnold Schönberg „Als ich zuerst nach Rom kam, bemerkte ich bald, daß ich von Kunst eigentlich gar nichts verstand und daß ich bis dahin nur den allgemeinen Abglanz der Natur in den Kunstwerken bewundert und genossen habe. Hier tat sich eine andere Natur, ein weiteres Feld der Kunst vor mir auf, ja ein Abgrund der Kunst, in den ich mit desto mehr Freude hineinschaute, als mein Blick an die Abgründe der Natur gewöhnt war.“ Johann Wolfgang von Goethe an Herzog Karl August von Sachsen-Weimar-Eisenach (25. Januar 1788)
Die ästhetische Wahlverwandtschaft Hector Berlioz berichtet in seinen Memoiren über eine Begegnung mit seinem Lehrer Lesueur nach einer Aufführung von Beethovens Fünfter Symphonie im Rahmen der Pariser Conservatoire-Konzerte. Lesueur wird als verstört geschildert. Er kam wohl aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus, murmelte unter anderem etwas von „unerhört“ und „wunderbar“ und meinte schließlich, er sei so bewegt, daß er eben bei dem Versuch, seinen Hut aufzusetzen, den Kopf kaum hatte finden können – nicht ohne lächelnd hinzuzufügen: „Dennoch, solche Musik sollte man nicht machen“.1 Höchst aufschlußreich ist diese Anekdote – unabhängig davon, ob sie auf ein tatsächliches Ereignis zurückgeht oder nur gut erfunden ist – u. a., weil das darin verpackte Urteil über Beethoven eine innere Ambivalenz enthält, die bis ins Innerste des Phänomens reicht, ganz anders etwa als jene zeitgenössische Kritik, die in Beethovens Symphonik, und zwar von der „Ersten“ an, nur Bizarrerien und Neuerungswut erkennen konnte. Im Gegensatz dazu ist Lesueurs Entsetzen gepaart mit einer Empfänglichkeit für die, wie Berlioz schreibt, „Macht und Schönheit“ von Beethovens Kunst. Berlioz’ Lesueur trifft so genau das Ineinander von skandalösem Tabubruch und künstlerischer Größe. Eben deswegen sollte seiner Ansicht nach solche Musik nicht gemacht werden, und nicht, weil sie nur provokant über die Stränge schlagen würde. Lesueur erschauerte vor ihr – im Grunde nicht unähn1
Hector Berlioz, Memoiren, München 1979, S. 76.
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lich wie E. T. A. Hoffmann, nur mit umgekehrten Schlußfolgerungen: Bereiche, wie Beethoven sie zu eröffnen vermochte, sollten besser unter Verschluß gehalten werden. Die Kunst selbst wurde also zur Ordnung gerufen, aus, wie Berlioz diagnostizierte, „Furcht vor dem Unbekannten“ und einem „unausgesprochenen Eingeständnis von Ohnmacht“2. Bloße Normverstöße erschienen da eher verdaulich, mit solchen konnte man in Paris, soweit sie der dortigen Vorliebe für Illustratives entgegenkamen, sogar reüssieren.3 Stefan Kunze hat diese Form der Originalität durch Abweichung treffsicher abgehoben von der folgenreichen Form-Individuierung bei Beethoven: „Daß aus besonderem Anlaß Sinfonien von […] ungewöhnlichem Zuschnitt seit den achtziger Jahren [des 18. Jahrhunderts] nicht selten begegnen, sollte zur Vorsicht mahnen, die Einzigartigkeit von Werken wie Ludwig van Beethovens Eroica oder Pastoralsinfonie mit dem vordergründigen Aspekt der Absage an Konventionen zu vermengen.“
Kunze fügt hinzu, daß gegenüber den Gattungs-Abweichungen etwa in der Symphonie funèbre von Joseph Martin Kraus „Beethovens Eroica unter gattungsspezifischem Gesichtspunkt sogar traditionell anmuten würde.“4
Dieses letzte Argument nun im Sinne einer bloßen Umkehrung so zu wenden, daß Beethovens Neuerungen eine traditionelle Hülle hätten, seine Musik damit auf morphologischer Ebene konventionell sei (also von der Themenbildung bis zur Architektonik), würde nur die Kehrseite der von Kunze kritisierten vordergründigen Gleichsetzung von Abweichung und Originalität bedeuten: nämlich die Gleichsetzung von Traditionsbindung und Konventionalität. Für das, was Kunze Individuierung der Form nennt, bliebe dann überhaupt kein Raum mehr. Dagegen gilt – in den Worten von August Halm: „Der Konvention untertan sein, führt zu Sklaverei und Unfruchtbarkeit; dem Geist dienen zu Leben schaffender Freiheit“.5
Auf Beethoven rückbezogen: man kommt dem Phänomen nur nahe, wenn man in der Polarität, die seine Einschätzung bis heute prägt, nach der inneren Verbindung sucht, wenn also Bizarrerie, radikale Individualität oder Ausdruckswucht auf der einen Seite und „Klassizität“ der Form auf der anderen Seite nicht auseinandergerissen werden. Dem entspricht im übrigen auch, daß der Begriff der „Klassik“ als ästhetisches und historisches Haupt-Rubrum für Beethovens Musik sich erst seit 2 3
4 5
Ebenda S. 76. Man denke etwa an Jean-Féry Rebels Suite Les Élémens von 1737, die anhebt mit dem ersten Cluster der Musikgeschichte, oder die 1792 entstandene Symphonie funèbre des damals europaweit bekannten Joseph Martin Kraus mit ihrer originellen Satzfolge (Andante mesto, Larghetto, Choral, Adagio). Stefan Kunze, Die Sinfonie im 18. Jahrhundert. Von der Opernsinfonie zur Konzertsinfonie (= Handbuch der musikalischen Gattungen, hrsg. von Siegfried Mauser, Bd. 1), Laaber 1993, S. 210. August Halm, Die Symphonie Anton Bruckners, Hildesheim–New York 1975, S. 11.
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Mitte des 19. Jahrhunderts durchzusetzen begann. E. T. A. Hoffmann sah Beethoven ohnehin als den „romantischen“ Komponisten par excellence. Soweit er klassische Momente daran würdigte, wie etwa in der Egmont-Musik, waren ihm diese Ausdruck einer selbst gewählten „Einfachheit“ und „Gediegenheit“.6 Der erste, der den Begriff des „Klassischen“ in Bezug auf die Wiener Trias in den Mittelpunkt stellte, Amadeus Johann Gottlieb Wendt,7 verstand diesen keineswegs als Gegensatz zum „Romantischen“, sondern beide als verschiedene Momente derselben Sache. Schließlich: Erst wenn man bei Beethoven die wechselseitige Steigerung von kompositorischer Logik und bisweilen immer noch verstörender Ausdrucksradikalität in den Blick bekommen hat, wird auch klar, wieso er als Vertreter der musikalischen Klassik eine so brisante Aktualität besitzen konnte für die musikalische Avantgarde des 20. Jahrhunderts, insbesondere innerhalb der Wiener Musikkultur. Als Beispiel für die Schwierigkeiten, die die genannte ästhetische Polarität bei Beethoven bis heute macht, möchte ich kurz den Vergleich zwischen dem späten und dem mittleren Beethoven bei Carl Dahlhaus unter die Lupe nehmen. Seine Argumentation verdichtet sich in der folgenden Unterscheidung: „Der eigentliche Formprozeß […] zieht sich [in den Spätwerken] gleichsam von der Oberfläche der Musik – die […] zerklüftet erscheint – ins Innere zurück: in einen ‚subthematischen‘ Bereich, in dem kreuz und quer Fäden geknüpft werden, statt daß – wie in den Werken der mittleren Periode – die musikalische Logik sich als zwingender, zielgerichteter Gang der tönende Ereignisse manifestiert.“8
Dagegen ist folgendes zu sagen: 1.) kann der „eigentliche“ Formprozeß niemals nur in der motivischen Vernetzung bestehen, da dies einen radikalen Gestaltverlust zur Folge hätte. Vielmehr ist er stets als mehrdimensional anzusehen: d. h. in ihm vollzieht sich eine innere Beziehung zwischen den Mikro-Schritten der Motiv-Entfaltung und einer kumulativen Aufschichtung oder Hierarchisierung von Gestaltbögen. Das Motiv-Netz darf nie nur Netz sein, sondern es muß die Abfolge seiner Entfaltungsschritte eine morphologische Perspektivität markieren: ohne das würde sie nur eine Addition verwandter Elemente zuwege bringen, also eine recht primitive Gestaltform. Und in dieser morphologischen Perspektivität müssen übergreifend gegliederter Prozeß und die Fülle der Motivbewegung miteinander korrespondieren. Sonst würde diese Bewegung nur relativ austauschbares Füllmaterial übergeordneter Gehäuse darstellen: ebenfalls keine besonders interessante Gestaltform, wenngleich nicht ganz so primitiv wie die bloße Reihung. Aber die von Dahlhaus diagnostizierte Autonomisierung der beständigen Motivmetamorphose bedeutet eben nicht ein Abtauchen der For-
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E. T. A. Hoffmann, Beethoven, Musik zu Goethes Egmont (1813), in: ders., Schriften zur Musik, München o. J., S. 170, 172 und 175. In seiner Schrift Über den gegenwärtigen Zustand der Musik, Göttingen 1836. Carl Dahlhaus, Ludwig van Beethoven und seine Zeit (= Große Komponisten und ihre Zeit), Laaber 1987, S. 247.
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mung aus der morphologischen Oberfläche in den Motivuntergrund, sondern dient im Gegenteil einer Individuierung der Gesamtgestalt bis in die kleinste Bewegung. 2) Dahlhaus’ Charakterisierung des mittleren Beethoven stellt nur die Kehrseite seiner Reduktion der Beethovenschen Spätphase dar. Das Problem, für diese ebenso zwingende Form-Modelle zu finden wie für die mittlere Phase, wird unterlaufen durch eine ex-negativo-Strategie: Für die Formenwelt des späten Beethoven sei im Gegensatz zu der des mittleren die Nicht-Geschlossenheit charakteristisch; – der eigentlich zentrale analytische Schritt, diese positiv zu bestimmen, also als Ausdruck einer charakteristischen Formtotalität, darf dann entfallen, da diese Ebene ja das Szepter an die Motivvernetzung abgegeben hätte. Dabei gibt es nun ein komplementäres Problem für den mittleren Beethoven: Dahlhaus’ Gleichsetzung von Offenheit und Formlosigkeit (auf übermotivischer Ebene) beim späten Beethoven entspricht die von dramatischer Gerichtetheit und „Teleologie der Form“9 beim mittleren. Damit wird aber genau das zerstört, was man, etwa mit August Halm, als die wichtigste Errungenschaft der Beethovenschen Form bezeichnen kann: ihre Thematisierung von Musik als Zeitkunst, als Prozeß. Denn die vorgängige Determiniertheit durch eine Zielursache macht jedem Werden als Entwicklungsprozeß den Garaus. Um Beethovens musikalische Dramatik angemessen zu erfassen, ihr also, in den Worten von Halm, die Qualität des „Werdens, somit des Nicht-vorher-Berechenbaren, des stets neu zu Erringenden, des jedesmal wieder Problematischen“10
zu lassen, muß man unterscheiden zwischen zwei verschiedenen Begriffen von Gerichtetheit, damit auch von übergreifender Werktotalität als Zentral-Perspektive dieser inneren Notwendigkeit. Das ist aber bei Dahlhaus ebenso blinder Fleck wie bei Adorno mit seiner Gleichsetzung von Totalität und Identitätszwang oder der des Ganzen mit dem Falschen. Zu unterscheiden ist also zwischen einem subsumtionslogischen Begriff von Totalität und einem rekonstruktionslogischen. Ersterer steht für ein vorgegebenes Ganzes, das nur verschieden gefüllt oder, sei es auch durch Abweichung, modifiziert wird, zweiterer für ein Ganzes, das sich erst im Vollzug ins Offene, ins Dunkle hinein herauskristallisiert und nur nachträglich in seinem von Anfang an wirkenden inneren Zwang rekonstruierbar ist.11 Letzeres gilt im Prinzip unabhängig davon, ob tradierte Modelle in Anspruch genommen werden bzw. Modelle gesteigerter Balance wie beim mittleren Beethoven oder nicht. Es kommt nur darauf an, ob diese Modelle von einer individuellen Gestalterfindung als Material benutzt, damit: gleichsam je neu erfunden werden, oder ob sie einfach als Schemata instrumentalisiert werden, hinter denen keine individuelle Gestaltidee steht. Darin steckt eine Mehrdimensionalität des Totalitätsbegriffs, die – um vor9 10 11
Ebenda S. 248. August Halm, Beethoven (= Hesses illustrierte Handbücher, Bd. 85), Berlin 1927, S. 125. Adorno hat diese Logik schöpferischer Prozesse in den Kriterien der neuen Musik in den Mittelpunkt gestellt. Siehe dazu Theodor W. Adorno, Kriterien der neuen Musik, in: ders., Klangfiguren. Musikalische Schriften I (= Gesammelte Schriften, Bd. 16), Frankfurt am Main 1978, S. 173, 176 und 188.
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zugreifen – bei Schönberg im Mittelpunkt seiner Ästhetik des Gedankens anzutreffen ist: die Totalität einer intuitiv, gleichsam wie im Traum erfaßten individuellen Gestalt und die Formtotalität des Werkes, das aus dieser Gestalt geschöpft wird – unter Neubestimmung der dafür in Anspruch genommenen Sprachmittel der Tradition. Ebensowenig wie der Gebrauch tradierter Formmodelle per se das Moment der Offenheit aufhebt, zerstört die Bewegung in gattungssprengende Bezirke, wie etwa im Falle des neuartigen Gattungspluralismus in den späten Beethoven-Quartetten, das Moment der Gerichtetheit – sobald man die Sache aus der Perspektive eines rekonstruktionslogischen Totalitätsbegriffs betrachtet. Die an Dahlhaus eben kritisierte Spaltung zwischen mittlerem und spätem Beethoven kann so vermieden werden. Und das ist die Voraussetzung dafür, Beethoven gleichzeitig als Wiener Klassiker und in seiner Modernitätsbedeutsamkeit lesen zu können. Ich würde daher vorschlagen, seine Klassizität nicht mißverständlich festzumachen an deterministischen Begriffen wie Geschlossenheit, Einheit oder Teleologie – letzterer ist ohnehin unbrauchbar, die ersten beiden sind es nur in Kombination mit ihrem Gegenpol, also: Wechselseitigkeit von Geschlossenheit bzw. Einheit und Offenheit. Es besteht sonst eben die Gefahr, den explosiven Ausdrucksreichtum Beethovens und seine Klassizität in ein Gegenverhältnis zu rücken, womit auch der romantischen oder modernen Dimension in dieser Klassizität selbst nicht Rechnung getragen wird. Stattdessen wäre diese zu suchen in einer Wechselseitigkeit von Ausdrucksreichtum und dessen exemplarischer Formung – anders ausgedrückt: in der Wechselseitigkeit von expandierender Ausdrucksdynamik und prozessualer Schlüssigkeit. Mit Händen zu greifen ist das etwa in Beethovens Harmonik, vor allem in der Schlüsselrolle der Dominante innerhalb einer weiträumig entwickelnden harmonischen Disposition. Nicht die gerundete Kadenz stellt den Nukleus seiner Harmonik dar, sondern ein mit Spannungselementen durchsetzter Zug von der Tonika zur Dominante mit ihrem beschließenden Quintschritt. So führt Beethoven am Anfang der Eroica gleich in der ersten thematischen Floskel ein Moment der Instabilität ein, den berühmten chromatischen Gang vom Grundton es zum cis, der aber sofort aufgefangen wird, indem er übergeht in eine fünftaktige Dominantbewegung. Diese schließt in die kurze Ausgangsfigur, die nunmehr zwar stabil den Tonikaklang umspielt, aber sofort weiterführt in eine rasche Modulation zur Dominante. Als Beschließung auf einer nunmehr bereits höheren Gestaltebene wird diese 14 Takte gestaut, bis sie in das dritte Erscheinen der Ausgangsfloskel schließt. Am Ende des Satzes wird das Dominant-Tonika-Feld schließlich auf über 60 Takte angewachsen sein. Das alles hat Methode. Im kleinen kann man hier sehen, wie Beethoven auf kunstvolle Weise eine wechselseitige Steigerung herstellt zwischen der bezwingenden integrativen Kraft des Dominant-TonikaFluchtpunktes und den Möglichkeiten, diese gerade wegen ihres elementaren Charakters in Spannung zu versetzen: durch Instabilitäten, Weitungen, Zusammenbrüche oder das Hinausschieben eines in Gang befindlichen Schlußschrittes. Daß ein Satz, wie der Kopfsatz der Eroica, der in seiner Zeit an harmonischer Radikalität
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nicht zu überbieten war, gleichzeitig ein dominantisches Beschließungsfeld von über 60 Takten besitzt, gehört unmittelbar zusammen und drückt kein Gegeneinander aus. Ebenso führt dieser massive Fluchtpunkt Schlüssigkeit hier zu einer enormen Expansion der dramatischen Bögen und ihrer vielfachen inneren Segmentierung. Denn die besagten Dominantzüge führen nicht zu einer Rundung von Einzelfiguren und Gruppen – kehrseitig dazu ist das melodische Material zwar dramatisch vernetzt, aber kurz und floskelhaft –, sondern schließen immer wieder in die Eröffnung je neuer Segmente, so daß sich der Eindruck beständig sich fortzeugender, vielgliedriger Rastlosigkeit ergibt. Dabei sind diese Segmente gebunden in einer ebenso klar proportionierten wie beziehungsreichen dramatischen Gesamtanlage. (Man denke etwa an die Reprise des neuen Themas aus der Durchführung in der Coda). All dies war für Schönberg von zentraler Bedeutung: die wechselseitige Steigerung von Ausdrucksradikalität und Schlüssigkeit sowie die damit verbundene je individuelle Differenzierung der Form. Nicht zuletzt seine Erfahrungen mit der Eroica, die er – wie Brahms – stets in Griffweite hatte, um darin eventuell die Bearbeitung von Formproblemen studieren zu können, dürften Pate gestanden haben für den Beethoven-Absatz in dem Artikel Nationale Musik. Von Beethoven hätte er gelernt: „1. Die Kunst der Entwicklung der Themen und Sätze. | 2. Die Kunst der Variation und Variierung. | 3. Die Mannigfaltigkeit des Aufbaus großer Sätze“,12
also entwickelnde Segmentierung. Besonders deutlich wird dieses BeethovenCurriculum in der Frühphase seines Komponierens bis zur Kammersymphonie, op. 9. Die für ihn so überaus bezeichnende postwagnerianische Ausstufung des Chromas bei gleichzeitiger Aneignung der einsätzigen Form in der Tradition von Liszt bis Strauss ging auch durch ein Beethovensches Nadelöhr. Wie kein anderer Komponist seiner Generation war es ihm nicht nur zu tun um eine harmonische Gesamtdisposition in den Fluten der radikalisierten Klangmittel, sondern auch um hochintegrative, apodiktisch klingende Schlußbildungen – die etwa im Falle von Pelleas und Melisande, op. 5, sogar Zemlinsky zu dem Vorschlag einer massiven Kürzung der Schlußpassagen des Stückes veranlaßten. Denn diese seien „ein Ueberbleibsel aus der Zeit des Formalismus“13. Selbstverständlich hat Schönberg dieses „Streichattentat“ heftig zurückgewiesen. Auf drei weiteren Ebenen ist von Schönberg der Beethovensche Faden der individuellen Formdifferenzierung, der schließlich in die Selbstaufhebung der Sonate überging, aufgenommen worden: auf der Ebene der entwickelnden motivischen
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Arnold Schönberg, Nationale Musik, in: ders., Stil und Gedanke. Aufsätze zur Musik, hrsg. von Ivan Vojtĕch (= Gesammelte Schriften 1), Frankfurt am Main 1976, S. 253. Brief an Schönberg vom 17. Februar 1918, in: Horst Weber (Hg.), Alexander Zemlinsky. Briefwechsel mit Arnold Schönberg, Anton Webern, Alban Berg und Franz Schreker (= Briefwechsel der Wiener Schule 1), Darmstadt 1995, S. 184. Analoge Streichvorschläge existieren auch für die Verklärte Nacht, op. 4, etwa von Bruno Walter.
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Vernetzung, im Anspruch, dezidiert komplexe Musik zu schreiben, und in dem Programm, eine Optimierung der zentralen Gattungen zu leisten. Die habituelle Wahlverwandtschaft Die Verpflichtung gegenüber einer zu optimierenden geistigen Totalität bedeutete für Beethoven ein Ideal, das weit über die Kunst hinaus ausstrahlte auf die Lebensführung im ganzen. Es wurde nicht nur geltend gemacht im Anspruch der Musik, entscheidend zur Veredelung und Befreiung der Menschheit beizutragen, sondern auch im ewigen Kampf mit den verschiedenen Miserabilitäten des Alltags, mit dem ein ethischer Rigorist von vorneherein in Konflikt kommen muß. Klaus Kropfinger hat dies etwa festgemacht an Beethovens Beziehung bzw. eben Nichtbeziehung zu dem Neffen Karl. „Beethoven hatte sich mit der Erziehung seines Neffen ein Ziel gesetzt, dessen Gewicht nur mit dem seiner kompositorischen Intentionen in Parallele gesetzt werden kann. Beethovens Neffen-Kompositionsplan hatte nur einen gravierenden Fehler: der Einfall – Neffe Karl – taugte nicht für die Rigorosität seiner Zielsetzung, allein schon deswegen, weil dieser sich jedweder Skizzenarbeit widersetzte.“14
Nicht nur hier zeigt sich der kompensative Charakter von Beethovens Idealbildungen, die ebenso in schreiendem Kontrast stehen zur Zerrüttung seiner Haushaltsführung wie zu seiner Unfähigkeit, Beziehungen auszuhalten, sondern auch in dem Bild, das er bisweilen von seiner Erziehung vermitteln wollte: „Nie werden sie mich unedel finden, von Kindheit an lernte ich die Tugend lieben.“15
Das zeigt auch, dass seine ethische Programmatik nicht nur zurückgeht auf das Gedankengut der Zeitläufte, etwa auf die Ideen, die er an der Bonner Universität bei Eulogius Schneider gehört hatte, sondern auf tiefergehende habitusbestimmende biographische Grundlagen. So ist auch sein dezidiertes Autonomiebestreben verknüpft mit einer „anxiety of influence“, die in jenen verwurzelt sein dürften. Diese Verbindung von Ästhetik und Moral ist auch charakteristisch für Schönberg und in vielerlei Hinsicht vergleichbar mit der von Beethoven, wobei ein entscheidender Unterschied sicher der sein dürfte, daß ersterem die eigentätige „Durchkomposition“ des Alltags weit eher gelungen ist als Beethoven – aber mit diesem teilt er eben den Antrieb dazu aus demselben radikalen Autonomiestreben, dem auch bei ihm die unruhige „anxiety of influence“ nicht fremd ist. Diese habituelle Verwandtschaft dürfte Schönberg nicht entgangen sein, und schon allein aus diesem Grund konnte er sich Beethoven besonders nahe fühlen – moduliert sicher auch durch Wagnereinflüsse, die für die Wiener jüdischen Intellektuellen seiner 14 15
Klaus Kropfinger, Beethoven, Kassel etc. 2001, S. 136. Zit. nach ebenda S. 112.
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Generation eine entscheidende Rolle gespielt haben. Schönbergs jüdische Herkunft dürfte auch die biographische Basis gewesen sein für die Strukturhomologie seines auf verschiedensten Feldern sich zeigenden ethischen Rigorismus mit dem Beethovenschen Idealismus. Gerade in den vorbürgerlichen Verhältnissen der Leopoldstadt, die nicht zu vergleichen waren mit der bildungsbürgerlichen Kultur der Juden des 1. Wiener Bezirks, waren die alltagspraktischen Folgen der alttestamentlichen Gesetzesethik, für die es nicht die kleinsten moralischen Nebensächlichkeiten gibt, noch besonders virulent, auch wo keine religiösen Praktiken mehr verfolgt wurden. Wie im Falle von Beethoven wurde diese ethische Vervollkommnungsperspektive potenziert durch das Moment des kulturellen „Aufsteigertums“. Die theoretische Wahlverwandtschaft Kommen wir abschließend zur zentralen Kategorie des Schönbergschen Denkens, der des „Gedankens“ – es wird sich zeigen, daß es auch hierfür eine Homologie zu Beethoven gibt. Die Kategorie verklammert aufgrund des Ineinanders von Ästhetik und Moral bei Schönberg dessen alltagsethische, politische, theologische und ästhetische Vorstellungen – und er stellt so den archimedischen Punkt der letzteren dar. Zunächst ist festzuhalten, daß er etwas trennunscharf drei verschiedene Dimensionen des kompositorischen Schaffens bezeichnet, die allerdings systematisch zusammenhängen: a) das Einzelmotiv, also Gedanke im herkömmlichen musiktheoretischen Sinn, b) die Totalität eines Werkes16 und c) die Gestaltquelle dafür in der spontanen Vision des Künstlers17. Zwischen dieser und der Formtotalität liegt der Weg der ausführenden Darstellung, die zu einem „faßlichen“, allgemein perzipierbaren Ergebnis führen soll18 – wobei die Vision einerseits konkrete Gestalt gewinnt, andererseits immer etwas von ihrer Substanz verliert19. Nicht nur, weil Schönberg 16
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„In seiner weitesten Bedeutung wird der Begriff Gedanke als Synonym für Thema, Melodie, Phrase oder Motiv gebraucht. Ich selbst betrachte die Totalität eines Stückes als den Gedanken: den Gedanken, den sein Schöpfer vorstellen wollte.“ Arnold Schönberg, Neue Musik, veraltete Musik, Stil und Gedanke, in: ders., Stil und Gedanke (Anm. 12), S. 33. Die „Formen“, die der Künstler „wie im Traum empfangen“ hat (Arnold Schönberg, Komposition mit zwölf Tönen, in: ders., Stil und Gedanke [Anm. 12], S. 75), existieren daher auch zunächst nur als flüchtige innere Bilder, bevor sie als faßbare sinnliche Gestalten zur objektivierenden Darstellung kommen. Bezeichnend ist Schönbergs Charakterisierung des Gedankens als Quelle von „Unruhe“, in der seine (Freud im übrigen sehr nahestehende) Vorstellung der Konstitution der geistigen Struktur des Werkes im sinnlichen Ausdruck der Vision nochmals auf eigene Weise durchgespielt wird. „Durch die Erklärung des musikalischen Gedankens aus einer Unruhe ist auch erklärt, warum die Entwicklung der Musik, den Weg gegangen ist, immer neue Arten von ‚Unruhen‘ herzustellen: die alten konnten die Nerven nicht mehr beunruhigen, es bedurfte stärkerer Reize, es en[t]stand das Interesse zu erfahren und zu erleben, wie stärkere Unruhen bewältigt, d. i. wieder zur Ruhe gelangten.“ Arnold Schoenberg, The Musical Idea and the Logic, Technique, and Art of its Presentation, hrsg. und übersetzt von Patricia Carpenter und Severine Neff, New York 1995, S. 106. Die Gleichsetzung von Gedanke und Unruhe verweist auch nochmals auf die innere Affinität zwischen Beethoven und Schönberg, ohne, daß dies hier genauer ausgeführt werden könnte. Vgl. dafür vor allem Schönberg, Komposition mit zwölf Tönen (Anm. 17). In einem Gespräch mit José Rodriguez (im Frühjahr 1937) bekannte Schönberg: „Zuerst sehe ich das Werk als Ganzes. Dann komponiere ich die Einzelteile“. Es würde sich nicht vermeiden lassen, daß bei
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diese Vision auch als Quelle einer genuin ästhetischen „Botschaft“ betrachtet, taucht Beethoven hier im Hintergrund wieder auf, sondern auch, da es zu diesem Modell eine deutliche Parallele in Beethovens schriftlichen Äußerungen gibt: da ist einmal „das Ganze“, das er „immer vor Augen hätte“, und andererseits die zum Teil in Zuständen des Halbschlafes tätige Phantasie, die beständig spontane Notate erzeugt.20 Exkurs: Musik, Traum und Gedanke Ich möchte bei dieser Gelegenheit auf zwei weitere Parallelen zwischen Schönbergs Theorie des Gedankens und der Wiener bzw. österreichischen Geistesgeschichte verweisen, die m. E. bislang noch keine Erwähnung gefunden haben. Dabei geht es nicht darum, konkrete Berührungen zwischen diesen und Schönbergs Denken zu aufzurufen, die es sicher nicht geben dürfte, sondern darum, Schönbergs zentralem Denkmodell genaueres Profil zu geben – als ästhetiktheoretischer Ausprägung einer revolutionären Denkfigur innerhalb der Kulturwissenschaften und der Philosophie im allgemeinen, die gerade in Österreich durch die produktive Rolle eines sich säkularisierenden Judentums einerseits und der paradoxen Modernität eines nur in einer katholischen Kultur prosperierenden neo-ontologischen Denkens andererseits besondere Relevanz gewinnen sollte. Zum einen gibt es eine zentrale Parallele zu Sigmund Freud, bei dem ebenfalls der Begriff des Gedankens in der genannten Bedeutung eine zentrale Rolle spielt, nämlich in der Traumdeutung, die er ja selbst als wichtigsten Beitrag zur Tiefenpsychologie bezeichnet hat. Wie bei Schönberg ist auch bei Freud der „Gedanke“ nicht allein der begrifflichen Reflexion vorbehalten: die systematische Gleichsetzung von latentem Traumgedanken und latentem Trauminhalt enthält bis heute Zündstoff, da letzterer ja nichts anderes darstellt als die Welt der leibnah-vorbegrifflichen Wünsche der Kindheit. Diese hätten so von sich aus Gedankencharakter, ohne schon Produktion einer biographisch bzw. ontogenetisch entfalteten begrifflichen Refle-
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der Ausarbeitung „etwas verloren geht. […] Der Verlust, der sich immer einstellt, wenn wir gestaltten [!], wird durch einen Gewinn an Vitalität aufgewogen. Wir haben alle gewisse technische Schwierigkeiten, die jedoch nicht auf einer Unfähigkeit zur Materialbehandlung beruhen, sondern mit dem auszuschöpfenden Gedanken zusammenhängen. Es ist der erste Gedanke, die zugrundeliegende Idee, die Anlage und Gestalt des Werkes bestimmen müssen“. Englisches Original publiziert in Merle Armitage (Hg.), Schoenberg, New York 1937, S. 135–156; hier zit. nach Peter Gradenwitz, Arnold Schönberg, Streichquartett Nr. 4, op. 37 (= Meisterwerke der Musik 43), München 1986, S. 19. Dieser Verweis auf den unübersteigbaren Hiatus zwischen der spontan empfangenen Vision des Ganzen eines Werkes und ihrer technischen Darstellung entspricht Schönbergs Abneigung gegen das Organismus-Modell des Werkes: „Der Versuch den musikalischen Gedanken zu erkennen und zu definieren steht in klarem Widerspruch zu der sentimentalen poetisierenden Idee, eine Komposition entstünde aus dem Motiv als Keim des Ganzen so wie eine Pflanze aus dem Samen. […] Jedenfalls aber sind natürliche und organische Vorgänge nicht mit menschlichen Tätigkeiten ohne Weiteres vergleichbar.“ Schoenberg, The Musical Idea (Anm. 17), S. 108. Hinter dieser Kritik verbirgt sich eine geheime Sehnsucht: denn die Natur steht in ihrer Naivität, die nicht die Unruhe des Ringens um die Darstellung des Darzustellenden kennt, der mühelosen göttlichen Perfektion näher als die menschliche Tätigkeit. Kropfinger, Beethoven (Anm. 14), S. 181.
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xionsfähigkeit sein zu können. Wenn Schönberg davon ausgeht, daß der Komponist musikalische Strukturen entwirft in seinen spontanen vorbegrifflich-ästhetischen Impulsen, so unterstellt Freud analogen Sinnes, daß die Halluzination infantiler Wünsche im Traum gleichzeitig (deren) Gedanken entfaltet bzw. Strukturcharakter besitzt, wodurch der Traum auch in seiner Irrationalität ein „Sinngebilde“ darstellt, das gedeutet werden kann (nur als Gedanke kann der infantile Wunsch auch geweckt werden durch „sinn-affine“ rezente Erlebnisse des Erwachsenendaseins und sich mit deren Inhalten vermengen im Zuge der Traumarbeit). Voraussetzung für diese Konstruktion ist die Unterstellung objektiver Gedanken außerhalb der Reflexions-Tätigkeit des Subjektes, die dann auch ästhetisch-vorbegrifflich erfaßt werden können. Hier nun kommt die andere Bewegung der österreichischen Geistesgeschichte ins Spiel, zu der Schönbergs (und Freuds) Ausdruckstheorie die Kehrseite darstellt – jene konservative Revolution in der österreichischen Philosophiegeschichte, die durch die Namen Bolzano, Brentano und Meinong bezeichnet wird und wesentlich zur Geburt zentraler Spielarten der philosophischen Moderne beitragen sollte: vor allem der Phänomenologie Edmund Husserls und der Symboltheorie von Frege, die nicht zuletzt formuliert wurde in einem Aufsatz mit dem Titel: „Der Gedanke“. In einer immanenten Kritik der Erkenntnistheorie, vor allem des deutschprotestantischen Kritizismus, wird auch hier der Akt des Empfangens eines möglichen Denkgegenstandes in dessen objektiver Realität noch vor den Akt seiner reflexiv-symbolhaften Entfaltung gestellt. Schönberg hat dazu gleichsam die ästhetiktheoretische Parallele formuliert. (Ende des Exkurses). Schluß: Die Mozart-Sehnsucht als Ausdruck der schwierigen Wahlverwandtschaft mit Beethoven Zusammenfassend möchte ich, auch wenn dies hier nur skizzenhaft ausgeführt werden konnte, festhalten: Es ist wenig wahrscheinlich, daß es einen anderen Vertreter der musikalischen Tradition gibt, der Schönberg innerlich näher gestanden hätte als Beethoven – was nicht heißt, daß er nicht bisweilen einen anderen höher gestellt hätte, nämlich Bach. Aber die Wertschätzung des letzteren bedeutet nicht gleichzeitig eine entsprechende innere Distanzierung von ersterem. Um so bedeutsamer sind Bemerkungen Schönbergs, die eine solche Distanzierung zu enthalten scheinen, vor allem in dem Aufsatz Brahms der Fortschrittliche. Dort wird Beethoven als Vertreter der geistigen Schönheit von Musik auf überraschende Weise relativiert. „Beethoven ist ein großer Neuerer in bezug auf den Rhythmus. […] Aber strukturell ist er, wie schon gesagt, im allgemeinen ziemlich einfach. Obwohl jedoch die Durchsichtigkeit der Darstellung die Last der Gefühle, mit denen seine Gedanken beladen sind, in befriedigender Weise aufwiegt, ist es überflüssig zu sagen, daß die Abkehr von der ungleichen und asymmetrischen Konstruktion, wie sie Mozart begründet hatte, ein äußerst bedauerlicher Verlust gewesen wäre. Die Vorstellung, daß das geistige, von struktureller Schönheit verursachte Vergnü-
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gen genauso groß sein kann wie das Vergnügen, das seinen Ursprung in gefühlsmäßigen Qualitäten hat, ist nicht abzuweisen. In diesem Sinne wäre das Verdienst von Brahms unermeßlich, selbst wenn er diese Denkweise nur als eine Art technischen Mittels beibehalten hätte.“ 21
Zunächst verwundert es, daß Beethoven als „strukturell ziemlich einfach“ charakterisiert wird – und sofort stellt sich dabei die Frage nach dem hier in Anschlag gebrachten Strukturbegriff. Man sieht gleich, daß Schönberg dabei nicht die Dimension der Form im Auge hatte, was kaum nachvollziehbar gewesen wäre, sondern die des Satzbildes, und zwar bezogen auf die Phrasenkonstruktion: Beethovens Themen sind regelmäßiger gebaut als die von Mozart oder Brahms. Das macht Schönbergs Kritik aber nicht entscheidend überzeugender, läuft sie doch hinaus auf den Hader, Beethovens Themen seien Ausdruck eines musikhistorisch „äußerst bedauerlichen Verlustes“ an „geistiger Schönheit“, der erst durch Brahms wieder überwunden worden ist. Abgesehen davon, daß die geistige Qualität der Beethovenschen Themen erst an dem Stellenwert erkannt und gewürdigt werden kann, den sie im Formganzen besitzen, und nicht an ihrem isolierten Zuschnitt, erstaunt die Gleichung: ein Mehr an „emotionalem Ausdruck“ (S. 68) würde zu einem Minus an geistiger Qualität führen (durch den Zwang, Klarheit durch strukturelle Vereinfachung herzustellen) bzw. die Trennung von „gefühlsmäßig“ und „geistig“. Denn auch ihre Ausdruckswucht bekommen die Beethovenschen Themen ja nur als Momente einer dramatischen Gesamtkonstruktion und nicht als isolierte Gesten – und umgekehrt lebt diese Konstruktion von der Koordination expressiver Gesten. Geistige Qualität bzw. Schönheit und emotionelle Qualität sind hier nicht voneinander zu trennen – ebenso wenig wie, und hier wäre man wieder im Zentrum der Thematik, der Klassiker Beethoven und der Ausdrucksmusiker. Schönberg weiß das eigentlich, das darf man getrost unterstellen. Aber wieso kapriziert er sich dann so tendenziös auf die Betrachtung der musikalischen Einzelgestalt beim Vergleich der geistigen Qualität von Beethoven und Mozart? Hält man sich seine Gleichsetzung von „Gedanke“ und „Unruhe“ vor Augen, müßte er doch eigentlich zur gegenteiligen Einschätzung kommen: der emotionelle Überdruck als Ausdrucksgrund komplexer musikalischer Gedanken. Statt dessen ist hier nur negativ die Rede von der „Last der Gefühle“, mit denen die Beethovenschen „Gedanken beladen“ seien, damit zu erdenschwer, um jene rein geistige Sphäre zu erreichen, wie sie charakteristisch sei für Mozart – eine Sphäre jenseits jeder Emotion ? Die Art der Formulierung ist verräterisch: Man wird den Eindruck nicht los, daß Schönberg hier von seiner eigenen Erfahrung spricht, wie belastend es ist, eine Grundunruhe in musikalische Gedanken zu transformieren, verbunden mit der Sehnsucht nach einer wunderkindhaften Leichtigkeit. Die Distanzierung wider besseres Wissen von dem emotionsbelasteten Beethoven und ihre kehrseitige identifikatorische Idealisierung
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Arnold Schönberg, Brahms, der Fortschrittliche, in: ders., Stil und Gedanke (Anm. 12), S. 68f.
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Ferdinand Zehentreiter
Mozarts22 scheint so eigentlich eine verkappte (projektive) Abwehr der eigenen kompositorischen Grundhaltung darzustellen, die immer wieder als zu schmerzvoll empfunden wurde. Schönbergs unerfüllte Sehnsucht nach der spielerisch „leichten Hand“23 beweist aber wiederum nur aufs neue, wie nahe er innerlich der Beethovenschen Gedanken-Arbeit stand.
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„Die Leute, die mich ungläubig angesehen und gedacht haben, ich mache einen schlechten Witz, werden jetzt begreifen, warum ich mich selbst einen ‚Schüler Mozarts‘ genannt habe, und müssen jetzt meine Gründe verstehen.“ Ebenda S. 49. Die sich auch ausdrückt in seiner Bewunderung für „Naturtalente“ wie Johann Strauß Sohn, George Gershwin oder sogar Oscar Levant.
CONSTANTIN FLOROS (Hamburg)
Zum Mozart-Bild von Alban Berg In einem Nachruf auf seinen Freund Alban Berg nannte Soma Morgenstern als dessen „Leitsterne“ Peter Altenberg, Gustav Mahler, Arnold Schönberg, Adolf Loos und Karl Kraus und sprach von Sternen seiner Welt, die er „nicht in einen fernen Himmel verlegte“, sondern in deren Nähe er lebte.1 Von den Komponisten der vorklassischen und der klassischen Zeit verehrte Berg am meisten Bach, Mozart und Beethoven. Obgleich der Name Mozart in seinen Briefen und Schriften relativ selten vorkommt, gewinnt sein Mozart-Bild Konturen, wenn man die einschlägigen Quellen einer behutsamen vergleichenden Untersuchung unterzieht. Mozart gehörte zu jenen Komponisten, auf die er sich gerne berief, wenn es darum ging, die künstlerischen Bestrebungen der Wiener Schule zu legitimieren. Allem Anschein nach wurde das Interesse des jungen Berg an der Musik und am Klavierspiel durch seine jüngere Schwester Smaragda geweckt, die eine hervorragende Pianistin war. Mit ihr gemeinsam erarbeitete er sich ein ziemlich umfangreiches musikalisches Repertoire, über das er Buch führte. Ein dreibändiges eigenhändiges Verzeichnis gibt Auskunft über die Klavier-, Kammermusik und Orchesterwerke, die er am Klavier durchspielte und mitunter auch kommentierte.2 Eine Zeit lang scheint er eine besondere Neigung zur skandinavischen, französischen, slawischen und russischen Musik gehabt zu haben. Edvard Griegs Klavierkonzert beeindruckte ihn zutiefst. Zu den Meistern der Klassik hatte er zunächst anscheinend ein ambivalentes Verhältnis. Haydn bedeutete ihm „sehr liebe, nette flüssige Musik“. Für Beethovens Kompositionen empfand er Hochachtung. Über Mozarts Werke (er kannte das Requiem, die Zauberflöte, ein Klavierquartett sowie Klaviersonaten zu zwei und vier Händen) urteilte er sehr differenziert. Die Zauberflöten-Ouvertüre dünkte ihm „herrlich schwungvoll“. Drei Klaviersonaten zu zwei Händen fand er dagegen „fad“ und „geistlos“. Sehr aufschlußreich ist folgender Kommentar zu den vierhändigen Klaviersonaten: „Mozart schrieb auch oft, wenn er keine Eingebung hatte, der tiefe Geist fehlte ihm, und so entstanden dann solche ungenialen und geistlosen Werke wie die 3te Sonate. Hat er hingegen Eingebung, so entstanden wirklich geniale Werke wie die 4te Sonate.“3
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Soma Morgenstern, Im Trauerhaus, in: 23. Eine Wiener Musikzeitschrift. Alban Berg zum Gedenken, Nr. 24/25 (1. Februar 1936), S. 16. Dazu Rosemary Hilmar, Alban Berg. Leben und Wirken in Wien bis zu seinen ersten Erfolgen als Komponist (= Wiener musikwissenschaftliche Beiträge 10), Wien–Köln–Graz 1978, S. 21 und Anhang 3 (S. 173–182). Ebenda, S. 179.
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Constantin Floros
Bis zu seinem Lebensende war Berg stolz darauf, Schüler Arnold Schönbergs gewesen zu sein. Seine Studien bei ihm dauerten mehrere Jahre, vom Herbst 1904 bis 1909. Nachdem er einen dreijährigen Kurs in Harmonielehre und Kontrapunkt absolviert hatte, fing er unter Schönbergs Aufsicht zu komponieren an. Es entstanden zahlreiche Klavierstücke, Lieder, nicht weniger als fünf Klaviersonaten und Sätze für Streichquartett.4 Zum Unterricht gehörte obligatorisch das Analysieren und Instrumentieren bekannter Meisterwerke nicht nur Beethovens, sondern auch Bachs, Mozarts, Schuberts und Brahms’.5 Erst während seiner Lehrzeit bei Schönberg scheint er tiefere Einsichten in Mozarts Schaffen gewonnen zu haben. In Bergs Korrespondenz taucht etliche Male der Name Mozart auf. Wir erfahren unter anderem, daß Schönberg ein besonderes Interesse an Mozarts g-MollSymphonie KV 550 hatte – ein Werk, das er wegen seiner Kühnheiten außerordentlich schätzte6 und auch zu dirigieren plante. Am 19. September 1911 bat er Berg, ihm Partituren von Symphonien Mozarts zu schicken, auch weil er die in g-Moll eingehend studieren wollte.7 Am 15. Mai 1913 besuchte Berg abends in der Hofoper eine Aufführung der Entführung aus dem Serail,8 und er war überglücklich, als ihm seine Mutter zu Weihnachten 1914 die vollständige Partitur der Zauberflöte schenkte.9 Am 14. Dezember 1925 wurde an der Berliner Staatsoper der Wozzeck unter Erich Kleiber uraufgeführt. Das Werk fand bekanntlich in der Presse geteilte Aufnahme. Während Paul Zschorlich Berg als „musikalischen Hochstapler“ und „gemeingefährlichen Tonsetzer“ apostrophierte, erkannten Adolf Weißmann und Hans Heinz Stuckenschmidt den außerordentlichen Rang des Musikdramas.10 Diese Uraufführung bedeutete zweifellos einen Durchbruch, in der Spielzeit 1925/1926 wurde die Oper nicht weniger als zehnmal gegeben. Am 25. Januar 1926 gab Berg einer Berliner Zeitschrift, dem „Kleinen Journal“, ein aufschlußreiches Interview, in dem er sich zur deutschen Musik und zu den Wiener Klassikern bekannte und sich ebenso als Schüler Mozarts wie Schönbergs bezeichnete. Der entscheidende Passus hat folgenden Wortlaut: „Wie alle Schönberg-Schüler, ist mein Bestreben auf dem Weg, den die Klassiker vorangeschritten sind, in gerader Richtung weiterzugehen. Ist man nur einmal so weit, in Ihren Werken wirklich lesen zu können, fühlt man sich schließlich ebenso als Schüler Mozarts wie Schönbergs. Schönberg war es übrigens, der uns immer auf die Klassiker verwies, die für ihn allerdings nicht mit Wagner und 4 5 6 7 8 9 10
Dazu Ulrich Krämer, Alban Berg als Schüler Arnold Schönbergs. Quellenstudien und Analysen zum Frühwerk (= Alban Berg Studien 4), Wien 1996. Constantin Floros, Neue Ohren für neue Musik. Streifzüge durch die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts, Mainz 2006, S. 56. Arnold Schönberg, Harmonielehre, Leipzig–Wien 1911, S. 363. Juliane Brand/Christopher Hailey/Andreas Meyer (Hg.), Briefwechsel Arnold Schönberg – Alban Berg. Teilband I: 1906–1917 (= Briefwechsel der Wiener Schule 3), Mainz etc. 2007, S. 64. Ebenda S. 412. Ebenda S. 518. Vgl. Hans Ferdinand Redlich, Alban Berg. Versuch einer Würdigung, Wien–Zürich–London 1957, S. 151f.
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Brahms aufhörten. Sollte ich Namen von Künstlern anführen, deren Werk nach meinem Empfinden auf der von Bach bis zur Gegenwart liegenden Linie liegt und die ich als ‚klassisch‘ liebe und verehre, so würde ich neben ihrem allergrößten, Gustav Mahler, nur Reger, Debussy, Zemlinsky, Webern nennen. In ihren Arbeiten finde ich, was die Größe unserer Klassiker ausmachte, nämlich Melodie, kunstvollen formalen Bau, Polyphonie und Rhythmus. Wo auch nur eine dieser Komponenten vernachlässigt erscheint, entfernt sich meines Erachtens das musikalische Kunstwerk von dem, was wir unter deutscher Musik zu verstehen haben.“11
Innovative Musik hatte es schon immer schwer, sich durchzusetzen. Von den Komponisten der sogenannten Wiener Schule kann man aber behaupten, daß sie heftiger noch als alle ihre Kollegen kritisiert, diffamiert und verunglimpft wurden. Die Polemik gegen Schönberg verschärfte sich, als seine ersten Werke in freier Atonalität bekannt wurden und setzte sich fort, als er in die dodekaphonische Phase eintrat. Verständlich deshalb, daß Schönberg und seine prominentesten Schüler alles daran setzten, Mißverständnisse auszuräumen, ihre Intentionen transparent zu machen und ihre künstlerischen Bestrebungen durch die Berufung auf die Tradition der deutschen Musik, angefangen von Bach, Mozart und Beethoven, zu legitimieren. So versuchte Berg bereits 1924 in dem berühmt gewordenen Aufsatz die heikle Frage zu beantworten: Warum ist Schönbergs Musik so schwer verständlich? Dabei gelangte er zu dem Schluß, daß nicht so sehr „die sogenannte ‚Atonalität‘ […] die Schwierigkeit des Verstehens ausmacht“, sondern auch hier die „sonstige Struktur“ seiner Musik, ihre Komplexität, die er als „unermeßliche[n] Reichtum“12 verstanden wissen wollte. Bereits in diesem Aufsatz rekurriert Berg auf Mozart und Beethoven, um die gegen Schönberg vorgebrachten Einwände zu entkräften. Im folgenden konzentriere ich mich auf drei solcher Einwände: erstens den Vorwurf, daß in der atonalen Musik Melodie im herkömmlichen Sinne überhaupt nicht möglich sei; zweitens den Einwand, die Musik Schönbergs sei angeblich „arhythmisch“, und drittens das Problem des „asymmetrischen Melodienbaus“. Die Behandlung der Stimme in der Oper war ein Thema, über das Berg intensiv nachdachte. Bereits bei der Konzeption des Wozzeck war sein Bemühen darauf gerichtet, die Stimme möglichst differenziert einzusetzen, alle Möglichkeiten und Facetten zwischen Sprechen und Singen auszunutzen. In seinem 1928 entstandenen Aufsatz Die Stimme in der Oper meinte er grundsätzlich, daß in der Oper das gesprochene Wort ebenso am Platze sei wie das gesungene, und zwar dieses vom Rezitativ bis zum Parlando, von der Kantilene bis zur Koloratur.13 Dabei räumte er ein, daß in seinem Wozzeck vielleicht „nicht alle Möglichkeiten der Stimme gleichmäßig aus11
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Zit. nach: Alban Berg 1885–1935. Ausstellung der Österreichischen Nationalbibliothek. Prunksaal. 23. Mai bis 20. Oktober 1985, Zusammenstellung, Katalogtext und englische Kurzfassung: Rosemary Hilmar, Wien 1985, S. 115. Alban Berg, Warum ist Schönbergs Musik so schwer verständlich?, in: Arnold Schönberg zum fünfzigsten Geburtstage, 13. September 1924, Sonderheft der Musikblätter des Anbruch 6/7–8 (August–September 1924), S. 339. Alban Berg, Die Stimme in der Oper, in: ders., Glaube, Hoffnung und Liebe. Schriften zur Musik, hrsg. von Frank Schneider, Leipzig 1981, S. 260–262.
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Constantin Floros
genützt erscheinen“, doch legte er Wert auf die Feststellung, daß „auf die Gelegenheit der Entfaltung des belcanto“ darin keineswegs verzichtet sei. Außerdem verwies er darauf, daß der „Sprechgesang“ wie ihn Schönberg prägte in seinem Werk „zum ersten Male und lange Zeit als einziger in einer Oper“ zur Anwendung gekommen sei. Peter Petersen gelang es 1985, nicht weniger als 65 Abstufungen zwischen Singen und Sprechen in dieser einzigartigen Partitur nachzuweisen.14 Am 23. April 1930 sendete der Wiener Rundfunk einen Dialog zwischen Berg und einem „Opponenten“ (dem Wiener Journalisten Julius Bistron) über das damals brisante Thema „Was ist atonal?“. Willi Reich zufolge, der den Text nach Bergs Tod veröffentlichte, war dieser Radio-Dialog von Berg „vollständig entworfen“ und „im wesentlichen allein gestaltet“ worden.15 Konzipiert war der Dialog als eine Apologie der Zwölftonmethode. Dabei machte Berg deutlich, daß man das Wort „atonal“ damals als einen Sammelbegriff für eine Musik gebrauchte, von der man annahm, daß sie „keine Bezogenheit zu einem harmonischen Zentrum“, will heißen: zur Tonalität, habe und daß sie „auch allen Erfordernissen der Musik, wie Melodik, Rhythmik, formale Gliederung“, im kleinen wie im großen nicht mehr entspreche. Seiner Ansicht nach kam die Bezeichnung „atonal“ zweifellos in der Absicht auf, „herabzusetzen“, und dies sei der Fall auch bei den damit zusammenhängenden Schlagworten „amelodisch“, „arhythmisch“, „asymmetrisch“. Sein Anliegen war es, diese Fehlurteile anhand von mehreren Beispielen aus der Musikgeschichte zu widerlegen, und zu diesem Zweck zog er auch einzelne Stellen aus Mozarts drei Da-Ponte-Opern heran. Die provozierende Frage des Opponenten, ob innerhalb der sogenannten atonalen Musik „Melodie im herkömmlichen Sinn“ überhaupt möglich sei, bejahte Berg uneingeschränkt. Zwar konzedierte er, daß der Gesangspart in dieser Musik sich des öfteren „durch instrumental chromatische, verkrauste, verzackte, weitsprüngige Intervalle“ auszeichne, doch sah er darin keinen Widerspruch zur Gesanglichkeit. Solcherart Melodik fände sich – so meinte er – des öfteren in Meisterwerken der deutschen Musik. Geradezu hunderte Beispiele gebe es dafür bei Richard Wagner. Aber auch bei Franz Schubert, „diesem Melodiker par excellence“, fänden sich in seinen Liedern zahlreiche Fälle einer „reichlich verzackten“ und besonders „weitsprüngigen“ Singstimme. „Ähnliches, quasi Instrumentales“ – fügte er hinzu – „finden Sie in der Stimmführung Mozarts.“ Dafür liefere die Partitur des Don Giovanni mehrere Beispiele. Dabei verwies er unter anderem auf die Arie der Donna Elvira, Nr. 3, Ah chi mi dice mai, in deren Gesangspart geradezu eine „verkappte Klarinettenstelle“ vorkomme. Als Paradebeispiel einer „verzackten, weitsprüngigen“, den Umfang von zwei Oktaven überschreitenden Melodie nannte er aber die Arie Fiordiligis Come scoglio, Nr. 14, aus Così fan tutte.
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Peter Petersen, Alban Berg. Wozzeck. Eine semantische Analyse unter Einbeziehung der Skizzen und Dokumente aus dem Nachlaß Bergs (= Musik-Konzepte, Sonderband), München 1985, S. 251–255. Alban Berg, Was ist atonal?, in: ders., Glaube, Hoffnung und Liebe (Anm. 13), S. 297–306 und S. 359–361.
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Um Mozarts Vertonung in ihrer ganzen Tragweite verstehen zu können, ist es erforderlich, einige Aspekte zu berücksichtigen, auf die Berg nicht eingegangen ist. So ist die Arie Fiordiligis eine emphatische Seria-Arie, dem Typus der Bravourarie zugehörig.16 Alle Bravourarien weisen Koloraturen und infolgedessen auffällige instrumentale Züge auf. Maßgeblich für Mozarts Vertonung ist das poetische Bild des festen Felsens gewesen, der trotz Wind und Sturm unerschütterlich bleibt (Come scoglio immoto resta contra i venti e la tempestà). Die großen Intervallsprünge, die diesem Andante maestoso das Gepräge geben, bilden als musikalische Konfiguration die Härte und Entschlossenheit der Worte ab.
Beispiel: Wolfgang Amadeus Mozart, Così fan tutte, Arie Nr. 14, Come scoglio.
Die Komplexität der Musik Schönbergs und der seiner Schüler erstreckt sich auf alle Dimensionen des Musikalischen, also nicht nur auf die Melodik, die Harmonik und die Form, sondern auch auf die Rhythmik. Schönberg mußte sich den Vorwurf gefallen lassen, daß man seine an Rhythmen so reiche und vielgestaltige Musik „arhythmisch“ nannte. In seinem Aufsatz Warum ist Schönbergs Musik so schwer ver16
Zur Arientypologie des 18. Jahrhunderts und ihrer Anwendung auf das Opernschaffen Mozarts siehe Constantin Floros, Mozart-Studien I. Zu Mozarts Sinfonik, Opern- und Kirchenmusik, Wiesbaden 1979, S. 84–129.
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ständlich? kommt Berg auch darauf zu sprechen und gibt zu bedenken, daß diese Rubrizierung nur dann berechtigt ist, wenn man nicht alle Zeitmaßverhältnisse von einer „mechanischen Bewegung“ oder einer solchen des Körpers wie Marsch und Tanz direkt ableiten kann. In diesem Zusammenhang verweist er abermals auf Mozart und die Musik der klassischen Meister, die neben „leicht verständlichen“ Rhythmen durchaus auch „nicht gerade“, also komplexe Rhythmen aufweise.17 Mit dem Einwand der angeblichen Arhythmik der Schönbergschen Musik hängt ein weiterer Vorwurf zusammen, nämlich das Problem des sogenannten „asymmetrischen Melodienbaus“, anders formuliert die „Asymmetrie der melodischen Gliederung“. Für Schönberg und seine Schüler ist bekanntlich die achttaktige Periode keineswegs die Norm, vielmehr findet man bei ihnen des öfteren auch drei- oder fünftaktige Bildungen. Zur Begründung dieser Komplexität beruft sich Berg auf Ludwig Bußlers Musikalische Formenlehre – ein Buch, das im Schönberg-Kreis bekannt war und von dem Berg die dritte Auflage von 1909 besaß. In seinem Aufsatz Warum ist Schönbergs Musik so schwer verständlich? zitiert er zustimmend Bußlers Statement, daß „gerade die größten Meister der Form [gemeint sind Mozart und Beethoven] freie und kühne Konstruktionen lieben und sich keineswegs gern in die Schranken der geradzahligen Taktverbindungen einzwängen“.18 Zur Erhärtung dieser Aussage analysiert er einige Stücke aus Le nozze di Figaro nach dem Taktgruppenprinzip. Er verweist zu Recht auf den Hochzeitsmarsch des dritten Aktes (Nr. 23), „in dessen normale Viertaktigkeit ganz gegen alles Marschmäßige plötzlich zwei Dreitakter eingeschoben sind“19, und er macht aufmerksam auf die Arie der Susanna Deh vieni non tardar, Nr. 28, in der dreitaktige Gruppen überwiegen, und auf die Arie des Cherubino Non so più cosa son, Nr. 6, in der sich vier-, drei-, zwei und fünftaktige Gruppen nebeneinander finden. Diese Arie des Cherubino ist übrigens eine Aria parlante. Ihr sprechender Ausdruck verleiht der Erregung des Jünglings Ausdruck, und es ist besonders bemerkenswert, daß die chromatischen Wendungen, die hier auffallen, die Liebespein symbolisieren sollen. Kein Zweifel, daß der reife Mozart bei der Vertonung seiner Arien stets Rücksicht auf die Aussage der Verse nahm. Um aber jetzt noch einmal auf den unsymmetrischen Bau der melodischen Gliederung zurückzukommen: Berg erinnert daran, daß Max Reger und Arnold Schönberg diese Art der Linienführung der „Prosa“ des gesprochenenen Wortes gleichsetzten. Nach dem Dargelegten könnte man zusammenfassend sagen, daß Berg Mozart vor allem wegen der kühnen, progressiven Momente in seiner Musik schätzte. Von Anton Webern wird berichtet, daß er neben Beethoven insbesondere Mozart liebte, weil Mozarts Musik seiner eigenen Sensibilität und seinem eigenen Temperament eng verwandt war.20 In einem Gespräch mit dem Dirigenten Fritz Mahler 17 18 19 20
Berg, Warum ist Schönbergs Musik so schwer verständlich? (Anm. 12), S. 334. Ebenda S. 330. Berg, Was ist atonal? (Anm. 15), S. 303. Hans und Rosaleen Moldenhauer, Anton von Webern. Chronik seines Lebens und Werkes, Zürich 1980, S. 423.
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hob er die „sinnliche“ Qualität in Mozarts Musik besonders hervor. Anscheinend dachte und empfand er ähnlich wie Søren Kierkegaard, für den Mozarts Musik der Ausdruck „sinnlicher Genialität“ war.21 Entsprechende Äußerungen Alban Bergs über Mozart sind nicht bekannt. Immerhin berief er sich in einem Gespräch mit Soma Morgenstern auf ein Aperçu Peter Altenbergs, der einmal von dem „heiligen Lachen Mozarts“ sprach.22 Wir dürften jedoch in der Annahme nicht fehlgehen, daß Berg – der instinktsichere Dramatiker – auch um das Abgründige in Mozarts Musik wußte.
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Dazu Constantin Floros, Don Juan in Kierkegaards Deutung, in: Musik & Ästhetik 11/44 (Oktober 2007), S. 69–75. Soma Morgenstern, Alban Berg und seine Idole. Erinnerungen und Briefe, hrsg. von Ingolf Schulte, Berlin 1999, S. 311.
Podiumsdiskussion Gernot Gruber Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie im Namen meines Mitmoderators Matthias Schmidt, im Namen von Hartmut Krones und der anderen Herren am runden Tisch sowie im Namen von allen Referenten herzlich zu diesem Gespräch begrüßen. Ich sitze hier auch aus Freundschaft zu meinem Kollegen Krones, um zu demonstrieren, daß in Wien die Universität und die Musikuniversität sehr gut zusammenarbeiten und daß hier nicht – wie andernorts teilweise üblich – ein „Verdrängungswettkampf“ stattfindet. Ein Experte auf dem Gebiet der „Wiener Schule“ bin ich nämlich nicht. Ich habe vor etwa dreißig oder vierzig Jahren einen einzigen Schönberg-Aufsatz geschrieben: Er besaß den fürchterlichen Titel „Schönberg für Anti-Schönbergianer“1, war aber kein polemischer Artikel, und ich habe hier auch nicht an meinen verehrten Lehrer Helmut Federhofer gedacht; ich habe lediglich über jene Musik Schönbergs geschrieben, die damals einem breiteren Publikum zugänglich war. In den bisherigen Vorträgen sind nun einige Fragen angesprochen worden, die mich als jemanden, der über die Geschichte der Mozart-Rezeption gearbeitet hat, sehr interessieren. Es ist klar, daß zwischen Schönberg und der Wiener Schule einerseits, Mozart und der Wiener Klassik andererseits eine große Distanz besteht – eine historische, eine ästhetische, eine gesellschaftliche; und diese Distanz mußte von Schönberg in irgendeiner Weise bewältigt, „angegangen“ werden. Dieses Moment der Distanz ist in vielen Vorträgen deutlich geworden, und da gibt es eine Reihe von Diskussionsmöglichkeiten. Darüber hinaus ist die Frage interessant, welche „Phase“ der Geschichte der Mozart-Rezeption für die Rezeption der Person und der Musik Mozarts bei Schönberg, Berg und Webern gegeben war, aber auch, welche grundsätzliche Ausrichtung diese speziell bei Schönberg besaß. Hier muß zunächst vor allem festgestellt werden, daß gerade in der österreichischen bzw. Wiener Musikgeschichte eine auffällig pragmatisch-handwerksorientierte Tradition bestand, in die bereits Mozart hineingeboren wurde. Und aus dieser Tradition heraus ist auch verständlich, daß Schönberg in seiner Harmonielehre das Handwerkliche so stark betont. Bedenken Sie aber auch die Johann-Joseph-Fux-Tradition, die Tradition des Stimmensatzes, die gewisse Reserve gegen die Fundamentalbaßlehre, die sich dann über Schubert, Sechter und Bruckner bis Schönberg zieht. Aber völlig anders sieht es dann aus – ich denke hier an die Vorträge von Markus Böggemann und Christian Martin Schmidt – wenn klar wird, daß Mozart für Schönberg auf der einen Seite kompositorisch „nutzbar“ gemacht werden sollte, und daß auf der anderen Seite Mozart, vielleicht überhaupt die Zeit vor der franzö1
Gernot Gruber, „Schönberg für Anti-Schönbergianer“ – Zur ästhetischen Situation der Jahre um 1910, in: Musik und Bildung 6/10 (Oktober 1974), S. 537–542.
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Podiumsdiskussion
sischen Revolution 1789, in eine „ahistorische Sphäre“ gehoben wurde. Dabei wurde von einer neuen Normativität gesprochen, die sich auch durch Christian Martin Schmidts Überlegungen zum revolutionären Wertkonservativen Schönberg erklärt. Das ahistorische Rezeptionsverhalten ist hier auch ein nonhistorisches. Und hier ergäben sich eine ganze Reihe von Perspektiven, die wir ansprechen könnten. Ich bitte nun Matthias Schmidt, der wahrscheinlich überhaupt der wichtigste Fachmann für das Thema dieses Kongresses ist, ebenfalls um ein paar einleitende Worte. Matthias Schmidt Ich würde hier gerne anschließen. Ich konnte leider ebenfalls nicht den ganzen Kongreß miterleben, aber was ich den Abstracts und insbesondere dem methodisch orientierten Vortrag von Markus Böggemann entnommen habe, zeigt sich eine wichtige Frage, die Sie auch schon angesprochen haben und die ich vielleicht ein bißchen mehr polarisieren bzw. auf den Punkt bringen würde, um sie zu diskutieren: Es geht um unseren Umgang als Historiker mit dieser Beziehung zweier Komponisten, vor allen Dingen der Rückbeziehung eines Komponisten auf einen früheren, der schon keine – im Harold Bloom’schen Sinne – Vaterfigur für Schönberg mehr sein konnte, sondern (wie das Richard Taruskin polemisch im Hinblick auf Bloom gesagt hat) bereits eine Großvater- oder Urgroßvater-Distanz einnahm – was unsere Probleme als Historiker natürlich um so größer werden läßt. In meiner Forschung über Schönbergs Mozarts-Rezeption stellte sich das besondere Problem, zunächst die Rezeption Schönbergs beiseite stellen zu müssen, um auf Schönberg selber zu kommen, auf Schönbergs Mozartsicht. Diese Probleme haben wir heute morgen bereits angesprochen: Gibt es so etwas überhaupt? Ist Schönbergs Mozartbild normativ, also im Sinne einer neuen Normativität geschichtslos? Greift er sich einfach irgendetwas heraus, was er gebrauchen kann, für sein momentanes Geschichtsbild – das sich mit der Zeit natürlich gewandelt hat –, aber auch für den jeweiligen Zweck, den Adressaten. Seine „Formenlehre“ aus den (späten) vierziger Jahren2 hat natürlich einen völlig anderen Adressatenkreis als beispielsweise sein Brahms-Vortrag3 oder sein unveröffentlichtes Manuskript „Der musikalische Ge-
2
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Arnold Schönberg, Fundamentals of Musical Composition, hrsg. von Gerald Strang und Leonard Stein, New York 1967. Arnold Schönberg Center, Wien (Tbk 1, siehe ASSV 2.2.1.). – Das von Julia Bungardt und Nikolaus Urbanek unter Mitarbeit von Eike Feß, Hartmut Krones, Therese Muxeneder und Manuel Strauß erstellte Verzeichnis sämtlicher Schriften Arnold Schönbergs (Arnold-Schönberg-SchriftenVerzeichnis, ASSV) befindet sich in folgender, nach Redaktionsschluß des vorliegenden Bandes erschienener Publikation: Hartmut Krones (Hg.), Arnold Schönberg in seinen Schriften. Verzeichnis – Fragen – Editorisches (= Schriften des Wissenschaftszentrums Arnold Schönberg, Bd. 3), Wien–Köln–Weimar 2011, S. 331–568. Arnold Schönberg, Brahms, der Fortschrittliche, in: ders., Stil und Gedanke. Aufsätze zur Musik, hrsg. von Ivan Vojtĕch (= Gesammelte Schriften 1), Frankfurt am Main 1976, S. 35–71. (Arnold Schönberg Center, Wien [T45.01 nach T17.02], ASSV 3.1.2.4. [Brahms the Progressive], englische Aufsatzfassung von ASSV 4.1.12., Vortrag über Brahms, gehalten am 12. Februar 1933 in Frankfurt für den Südwestdeutschen Rundfunk).
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danke“4; man muß hier sehr deutlich differenzieren. Dann darf man auch nicht vergessen, was aus Schönbergs wie auch immer sich darstellendem normativen Zugriff auf den Komponisten Mozart von seinen Nachfolgern historisiert wurde. Rudolf Réti wurde heute schon angesprochen, Erwin Stein natürlich, Erwin Ratz, also die ganzen „Adlaten“ der Schönberg-Schule, die diese von Schönberg möglicherweise nur zur Selbstlegitimation herausgegriffenen einzelnen historischen Fakten zu einem linearen, kontinuierlichen Geschichtsbild geformt haben. Ein Beispiel, an dem wir ansetzen können in der Diskussion, ist der berühmte Brahms-Vortrag, der erst als ein Vortrag gehalten und später auf Englisch publiziert wurde und der eigentlich ein verkappter Mozart-Vortrag ist – eine interessante Ambivalenz. Der Vortrag heißt „Brahms the Progressive“, aber in einem riesigen Exkurs, der einen Großteil des Vortrags einnimmt, beschäftigt sich Schönberg mit der Frage: Wie ist der historische Zusammenhang zwischen Mozart und Brahms, und was hat Brahms von Mozart an Techniken gelernt, was Schönberg dann implizit auch wieder auf sich selber bezieht. Das war eine ,Steilvorlage‘ für die Musikhistoriker spätestens seit den siebziger Jahren, um diese Kette zwischen Mozart, Brahms und Schönberg herzustellen, vor allen Dingen hinsichtlich der „entwickelnden Variation“, aber auch im Hinblick auf die Idee der rhythmisch-metrischen Asymmetrien. Dabei wurde eine Beziehung, quasi ein Geschichtsbild zwischen Mozart und Schönberg hergestellt, das von Schönberg eigentlich nur in Ansätzen, in einem normativen Herausgreifen tatsächlich selbst realisiert wurde. Und das ist, glaube ich, der erste entscheidende Punkt, daß Schönberg eben kein Musikhistoriker war; er hatte wirklich die Freiheit als Künstler, sich an Bezugnahmen das herauszugreifen, was er wollte. Er hat zum Teil sogar die Analytiker in die Irre geführt oder darüber reflektiert, wie er das machen könnte, wenn er einmal in etwas ironischerer Stimmung war – darüber gibt es Schriftzeugnisse. Wir müssen also erstmal diesen Berg an Literatur abtragen, um zu Schönberg zu kommen. Dazu kommt die Frage nach der neuen Normativität, also einem ahistorischen Zugriff, oder eben einem Zugriff, der sich selber legitimiert – ich legitimiere mich als Komponisten, der in der Tradition der Klassiker steht, um mich damit vor den Zeitgenossen, wegen des Drucks, den ich durch sie erfahren habe, zu legitimieren; auf der anderen Seite greife ich normativ auf Kompositionen zu, fragend, ob mir das als Komponist in meiner derzeitigen Situation weiterhilft. Diese Punkte sind sehr schwer voneinander zu trennen und bieten zugleich eine gute Möglichkeit, um anzusetzen. Christian Martin Schmidt Ich möchte da etwas ergänzen und weiter ausholen. 1974 fand in Wien der erste Kongreß der Internationalen Schönberg-Gesellschaft statt. Damals hielt ein ungarischer Kollege, László Somfai, einen Vortrag mit dem Titel „Warum ist Schönberg 4
Arnold Schönberg Center, Wien (T65.01–05), ASSV 2.3.5.; publiziert als The Musical Idea and the Logic, Technique, and Art of its Presentation, hrsg. und übersetzt von Patricia Carpenter und Severine Neff, New York 1995.
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so leicht verabsolutierbar“?5 – und ich möchte das jetzt erweitern und auf den Beitrag eingehen: „Warum sind Schönbergs verbale Äußerungen so leicht verabsolutierbar?“ Das trifft nämlich genau auch auf diesen berühmten Brahms-Aufsatz zu. Jeder, der mit Brahms-Analyse vertraut ist, weiß ja, daß Schönbergs Analysen falsch sind. Zum großen Teil stimmen sie nicht, jedenfalls stimmen sie nicht, wenn man Brahms analysieren will, sie stimmen nur, wenn man die Schönbergschen Interessen an der Brahmsschen Musik und seine Sichtweise dazu studieren will. Das sagt mehr über den Autor aus als über den Gegenstand. Wir haben gestern darüber gesprochen, daß man die Zitate gerecht verteilen sollte, weil sie immer so schön passen – man findet bei Schönberg (wie in der Bibel) immer passende Zitate. Ich rufe einfach dazu auf, daß wir die Äußerungen Schönbergs nicht als bare Münze nehmen, sondern sie selbst zum Gegenstand der wissenschaftlichen Kritik machen. Wir müssen hinterfragen, wie Matthias Schmidt auch: An welches Publikum sind sie gerichtet, zu welcher Zeit sind sie gefallen, und was bezweckte Schönberg damit? Dieser Konnex zwischen Brahms und Mozart, den Schönberg in dem Artikel beschreibt, der hält doch keiner näheren Betrachtung stand. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Wir sollten also mit den Äußerungen Schönbergs sehr viel kritischer umgehen und sie selber hinterfragen und ihre Absichten und ihre Tendenz mit ins Auge fassen. Gernot Gruber Ich gebe gleich weiter – nur eine kleine Parenthese möchte ich anbringen: Herr Schmidt, was Sie eingefordert haben für die Schönberg-Exegese, daß man die Aussagen Schönbergs hinterfragt, das trifft auch für jeden anderen Komponisten zu, ganz besonders für einen, den wir heuer groß feiern. In den Briefen Mozarts findet man für jede Weltanschauung und für jede Kunstneigung das passende Zitat. Und wenn ich das herausbreche und nicht hinterfrage, dann wird der größte Unsinn daraus – ich ärgere mich tagtäglich darüber. Also, diesen Umstand kann man glaube ich verallgemeinern. Siegfried Mauser Vielleicht sollte man sogar vor allem die apologetischen Bezugnahmen Schönbergs auf Mozart kritischer hinterfragen. Vielleicht sind diese Bezugnahmen, die ja dann in der ,Lehrmeisterrolle‘, in erster Linie aber in Nationale Musik ihren Höhepunkt haben,6 doch mehr abstrakte Beschwörung, Proklamation, aus welchen Gründen auch immer. Trotz des enorm kenntnisreichen und reflektierten Buches von Dir, Matthias, habe ich eine Primärbezugnahme, die wirklich an Sachverhalten belegbar 5 6
Publiziert in Rudolf Stephan (Hg.), Bericht über den 1. Kongreß der Internationalen Schönberg-Gesellschaft. Wien, 4. bis 9. Juni 1974 (= Publikationen der Internationalen Schönberg-Gesellschaft 1), Wien 1978, S. 196–201. Arnold Schönberg, Nationale Musik (24. 2. 1931), in: ders., Stil und Gedanke. Aufsätze zur Musik, hrsg. von Ivan Vojtĕch (= Gesammelte Schriften 1), Frankfurt am Main 1976, S. 250–254. (Arnold Schönberg Center, Wien [T35.39], ASSV 5.3.1.87).
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wäre, kaum finden können. Die Dinge, auf die Schönberg sich als Komponist bezieht, sind ihm über Brahms zu Bewußtsein gekommen, und das gilt auch für Nationale Musik. Also ist der Mozartbezug sozusagen über die Brahms-Bande gespielt, und Mozart wäre eigentlich nicht nötig. Sowohl die asymmetrischen Strukturbildungen als auch das heteronome Material, die Bildung thematischer Einheiten aus asymmetrischem Bestand – all dies kann man anhand von Brahms’ Musik direkter und sogar zwingender belegen. Mir scheint vor allem auch im Werk selber die Bezugnahme sehr eigentümlich. Du hast ja in dem Buch Schönbergs Phantasy, op. 47, sehr schön analysiert und den Bezug zur Fantasie c-Moll, KV 475, von Mozart hergestellt, neben marginalen Bezügen zu Bachs Chromatische Fantasie und Fuge, BWV 903, und zu Beethovens Chorfantasie, op. 80, und dabei herausgearbeitet, daß die c-Moll-Fantasie das eigentliche Bezugswerk wäre. Dir ist eine ausgezeichnete Analyse der Phantasy, op. 47, gelungen, welche die Adornosche sehr schön ergänzt, aber die Parallelisierung zur c-Moll-Fantasie Mozarts hat mich ehrlich gesagt nicht überzeugt. Das eine ist ein Fantasiebegriff, der aus einem parataktischen Reihungsprinzip herauswächst, das andere ist ein Fantasiebegriff, der die Double-Bind-Theory eigentlich noch einmal artikuliert, so wie es Adorno in Der getreue Korrepetitor herausgearbeitet hat: Sonatenhauptsatz, Sonatenzyklus; eine der überzeugendsten Analysen von Adorno überhaupt, wie ich meine.7 Wo sind die Werke, wo wir wirklich mit einer gewissen Überzeugung und Faktizität den Einfluß kompositionsgeschichtlich nachweisen können? Bei Brahms traue ich mir das sofort zu. Und wenn ich Bezüge zwischen Mozart und Schönberg herstelle, so sind sie deshalb redundant, weil ich sie mit Brahmsschen Argumenten besser darstellen könnte. Und jetzt meine Frage: Zwei Aspekte sind in diesem kritischen Bereich überhaupt noch nicht nachgewiesen worden, weder von Schönberg noch hier in diesem Symposion. Schönberg erwähnt ja nicht nur Irregularisierungstendenzen, die Heteronomie des Materials usw., wo vielleicht am ehesten noch Bezüglichkeiten festzustellen sind, sondern noch zwei weitere Aspekte, die mir mit Bezug auf Mozart direkt kurios erscheinen: er habe nämlich die „Bildung von Nebengedanken“ von Mozart gelernt, von Nebengedanken, von Seitenthemen. Also wenn er das irgendwo gelernt hat, dann hat er das von Beethoven gelernt, oder wiederum bei Brahms. Wo er das von Mozart gelernt hat, möchte ich sehen! Und das Zweite scheint mir auch nicht ganz nachgewiesen, nämlich die Kunst des Ein- und Überleitens. Wo finden wir Mozartsche Kunst des Ein- und Überleitens im Werk von Schönberg? Matthias Schmidt Also grundsätzlich muß man erst einmal trennen: Natürlich gibt es diese vielfach festgestellte ideologische Rechtfertigungsstrategie, die Schönberg dazu veranlaßte, sich auf den Klassiker Mozart, der natürlich noch anerkannter als Brahms war, zurückzubeziehen. Aber ansonsten würde ich gerne eine Rückfrage stellen: Warum 7
Theodor W. Adorno, Phantasie für Geige mit Klavierbegleitung op. 47, in: ders., Der getreue Korrepetitor (= Gesammelte Schriften, Bd. 15), Frankfurt am Main 2003, S. 313–337.
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sollte er sich auf Brahms beziehen, wenn er sozusagen das Original hat? Wir können uns, glaube ich, darauf einigen, daß es nicht um stilistische Bezugnahmen geht, sondern um kompositionstechnische. Und wir wissen, daß er sich analytisch sehr mit Mozart auseinandergesetzt und das zum Teil auch in seinen Schriften gezeigt hat. Und ich denke, daß für Schönberg diese Punkte, die er dort angeführt hat, bei Mozart sehr viel klarer vermittelt waren, nicht nur im Hinblick auf seine pädagogischen Schriften, sondern auch für sein eigenes Denken. Mozart bot in klarer Form das, was er brauchte, zeigen konnte oder aufnehmen konnte. Wir versuchen, kompositorisches Denken nachzuvollziehen, also wie und aus welchen Gründen ein Komponist von einem anderen etwas übernimmt. Schönberg befindet sich Anfang der zwanziger Jahre beispielsweise in einer bestimmten historischen Situation: Er hat die Dur-Moll-Tonalität liquidiert, er hat die Zwölftonmethode entwickelt und hat nun die Schwierigkeit, das Prinzip der „Faßlichkeit“, das er später so benannt hat, der „Comprehensibility“, also quasi seine musikalischen Gedanken, ohne die Dur-Moll-Tonalität faßlich zu artikulieren. Und da würde ich sagen, es ist eindeutig, daß ihm da Mozart mit dieser Ökonomie der Mittel, einer viel deutlicheren, viel anschaulicheren Form des Spiels mit rhythmisch-metrischen Bausteinen, näher ist; daß es ihm näher liegt, sich dieses Prinzips zu bedienen als auf Brahms zurückzugreifen, der für einen erheblich komplexeren und auch (durch die Beethovenrezeption und gleichzeitig mit Mozart) sehr viel überformteren Ansatz steht – mit Prinzipien der entwickelnden Variation usw. Siegfried Mauser Aber das haben wir doch bei Schönberg auch. Die Heteronomie des Materials, wenn sie gesetzt ist, ist bei den Werken, die ich kenne, fast immer durch motivischthematische Prozesse vermittelt, also etwa in der Tradition Beethoven–Brahms– Schönberg. Und gerade die nicht vermittelte Heteronomie und die nicht vermittelte Irregularität, die bei Mozart zu finden ist, die finde ich bei Schönberg nicht. Matthias Schmidt Das hat er vielleicht von Brahms, aber auf der anderen Seite ist es auch schwierig, die Mozart-Rezeption von Brahms zu differenzieren (was ich in anderem Zusammenhang bereits versucht habe). Ich denke, das sind eher zwei Töpfe, aus denen er amalgamiert hat. Das Problem hatten wir heute auch mit der Suite für Klavier, op. 25: Da haben wir ein Trio in der Art eines Kontrapunktsatzes von Bach, auf der anderen Seite sind dann wieder Momente des Wiener Klassischen darin, oder in der Suite im alten Stile für Streichorchester einen Brahms-Ton im Menuettsatz – jedenfalls etwas, was durchaus diesem Geist eines Komponisten des „fin des siècle“ entspricht, dieses Assimilieren von unterschiedlichsten Bausteinen, weswegen Schönberg sich auch Mahler verbunden fühlte; er brachte das alles in den zwanziger Jahren in eine normative Form, also in eine versachlichte Form. Aber ich denke, die Beethoven-Tradition und die Mozart-Tradition sind unterschiedliche ,Töpfe‘, nicht
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nur im pädagogischen Sinne, sondern sie sind auch für Schönbergs Denken als verschiedene Bereiche relevant. Ich glaube nicht, daß sich das alles bei Mozart versammelt. Noch ein Punkt, und zwar ganz konkret zur Phantasy, op. 47: Ich glaube, dieser Bezug – die Kunst der Nebengedankenformung auf der einen Seite und die Kunst der Ein- und Überleitung auf der anderen –, das ist doch genau das, was Schönberg später auf eine ganz andere Weise als in dieser Beethoventradition formt: höchstens in der Tradition des späten Beethoven, aber nicht in der des mittleren. Hier sind Momente, wo wir nicht die Marxsche Sonatenform finden, sondern eben beispielsweise eine Exposition mit vier oder fünf Themen, wie im 1. Satz des 4. Streichquartetts, op. 37, wo er tatsächlich mit verschiedenen Themengruppen arbeitet und diese miteinander kommunizieren läßt. So etwas findet man beim mittleren Beethoven in dieser Form nicht, bei Mozart in späteren Jahren aber sehr wohl. Das ist ein Punkt, an dem ihm tatsächlich konkret ein Licht aufgegangen sein könnte. Gernot Gruber Aber ist es nicht doch so, daß Schönberg strukturell zweifellos Brahms näher steht als Mozart; und daß er deshalb nicht so sehr alles auf Brahms bezieht, sondern eigentlich auf Mozart zurückgeht, weil er in den zwanziger Jahren diese neue Normativität sucht – und sich sozusagen abhebt von den unmittelbaren Bezügen und stattdessen diese Idealbilder, diese platonischen Ideen aus Bach und Mozart heranholt; und daß gar nicht so sehr wirklich kompositionstechnische Gründe im Mittelpunkt stehen. Matthias Schmidt Vielleicht brauchte er ja einfach nur diese Befreiung als Schritt zum Ökonomischen. Siegfried Oechsle Ich kann nur nochmals unterstreichen: Schönberg hat Mozart als Komponist rezipiert, nicht als Musikwissenschaftler, und er ist dabei streng publizistisch vorgegangen. Schönberg schöpft Oberflächen ab, die er im Rahmen seiner eigenen Strategien gebrauchen kann. Das kann man deutlich machen anhand der Frage „tektonisch versus prozessual“. Ihn interessiert die Sicht der Mozartschen Musik als Fügung aus Bausteinen, weil die Spannung zwischen syntaktischer Irregularität und Regularität für ihn als Komponist nicht mehr verwendbar war. Ein Hauptmotiv der Schönbergschen Mozart-Rezeption ist bisher merkwürdigerweise nicht wörtlich genannt worden. In zentralen Passagen spricht Schönberg davon, daß ihn an Mozarts Musik – ich kann es nicht korrekt zitieren, aber dem Sinn nach – „die geistige Schönheit reiner Struktur“ fasziniert.8 Und der Gegenpol zur Aussage dieser Stelle 8
Vgl. Arnold Schönberg, Brahms, der Fortschrittliche (Anm. 3), S. 68f.: „Beethoven ist ein großer Neuerer in bezug auf den Rhythmus. [...]. Aber strukturell ist er, wie schon gesagt, im allgemeinen ziemlich einfach. Obwohl jedoch die Durchsichtigkeit der Darstellung die Last der Gefühle, mit denen seine Gedanken
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ist Beethoven. Beethovens Musik sei immer auch beladen mit Gefühlen und Inhalten. Mozart sei hingegen der Komponist der geistigen Schönheit reiner Struktur. Und ihm, Schönberg, gehe es um die völlige kompositorische Freiheit. Mozart wird als vorromantischer Bezugspunkt gesehen angesichts einer schier unendlichen Anzahl von Möglichkeiten kompositorischer Techniken und Verfahrensweisen. Das ist für mich das Entscheidende an der Mozart-Rezeption Schönbergs. Er hat sich Mozart auch auserkoren, weil Mozart außerhalb der Tradition steht, die mit den Namen Beethoven und Brahms zu verbinden ist. Das ist die eigene Tradition Schönbergs, aus der er selber kommt. Mozart ist demgegenüber ein neutralerer Bezugspunkt. Hartmut Krones Nachdem ich hier der einzige Wiener bin, muß ich das Ganze aus Wiener Sicht ergänzen. [Zu Gernot Gruber: Du als Grazer bist für die Fux-Schule (gleichsam eine „Hirtenfeld-Grazer Schule“) zuständig, die vorgebliche „Erste Wiener Schule“.] Zunächst: Als ich jung war, in meiner Gymnasialzeit, hatte mein Vater aus beruflichen Gründen sehr viele Gäste, die wesentlich älter waren als er. Und wenn über Musik geredet wurde, was zwar nicht oft, aber doch immer wieder der Fall war, dann gab es nur ein Thema: „Brahms gegen bzw. oder Bruckner“. Als Wiener konnte bzw. sogar mußte man um 1900 entweder für Bruckner oder für Brahms sein. Wenn man für Brahms war, dann wurde man von den Brucknerianern gesteinigt und umgekehrt. Auch das muß man bedenken, wenn man das Plädoyer Schönbergs für Brahms liest, daß er sein Schaffen durch Brahms legitimiert und weiter seine Wertschätzung für Brahms am Beispiel Mozart, um nur ja nicht die Idee aufkommen zu lassen, daß er ein Brucknerianer wäre. Und das sollte ebenfalls bedacht werden; man muß da vielleicht gar nicht so viel herumphilosophieren, weil es auch diesen viel handfesteren, nahezu ,gesellschaftspolitischen‘ Grund gibt. Das Zweite: Blicken wir in die Programme des frühen 20. Jahrhunderts, und zwar sowohl der Hofoper als auch des Musikvereins, wo an einem Abend wirklich ein Sammelsurium von aus völlig verschiedenen Epochen stammenden Kompositionen gespielt wurde, und lesen in den auch damals schon existierenden Programmheften etwa Einführungen von Robert Hirschfeld oder auch anderen, so sieht man, daß die Werke völlig ahistorisch vermittelt wurden: Jedes Stück wurde nach den gleichen Kriterien untersucht. Ob es da Entwicklungslinien über größere historische Zeitabschnitte bzw. völlig verschiedene Prämissen für den jeweiligen Schaffensvorgang gegeben hat, war den Autoren völlig egal. Und ich kann mir vorstellen, daß beladen sind, in befriedigender Weise aufwiegt, ist es überflüssig zu sagen, daß die Abkehr von der ungleichen und asymmetrischen Konstruktion, wie sie Mozart begründet hatte, ein äußerst bedauerlicher Verlust gewesen wäre. Die Vorstellung, daß das geistige, von struktureller Schönheit verursachte Vergnügen genauso groß sein kann wie das Vergnügen, das seinen Ursprung in gefühlsmäßigen Qualitäten hat, ist nicht abzuweisen. In diesem Sinne wäre das Verdienst von Brahms unermeßlich, selbst wenn er diese Denkweise nur als eine Art technischen Mittels beibehalten hätte. Aber – und das charakterisiert seinen hohen Rang – er ist darüber hinausgewachsen.“
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auch Schönbergs partieller ,Ahistorismus‘ dort eine seiner Quellen besitzt. Andererseits wissen wir, daß – im Vergleich zu Schönberg – Anton Webern später (in seinen Vorträgen in den dreißiger Jahren)9 die großen musikgeschichtlichen Entwicklungslinien sehr gut (wenn auch bisweilen sehr vereinfacht) herausgearbeitet hat und (als Schüler von Guido Adler) ein großartiges Verständnis für historische und stilgeschichtliche Zusammenhänge besaß. Und Schönberg hat doch wohl auch sein Analyse-Verständnis (wie seine Harmonielehre) laut seinen eigenen Worten „von seinen Schülern gelernt“. Es ist nun zwar völlig klar, daß man Schönbergs „musikologische“ Äußerungen (sowie auch seine Analyse-Ergebnisse) nicht hundertprozentig für bare Münze nehmen soll. Wenn man aber als Wiener Musikstudent genau die gleichen „Schönbergschen“ Äußerungen auch von Erwin Ratz, von Hanns Jelinek, von Robert Schollum oder von Hans Erich Apostel (der zwar kein Wiener war, aber ein echter Angehöriger der Wiener Schule) gehört hat, dann gelangt man schon zu der Überzeugung, daß Schönberg auch in seinem Schülerkreis gewisse Dinge so oft und so vehement gesagt hat, bis es alle geglaubt haben – und sie sollten es ja glauben. Denn Schönbergs Intention war es immer, daß seine Schüler hundertprozentig glauben, was er ihnen sagt. Und so ist es besonders interessant, seine Äußerungen im Zusammenhang und Vergleich mit Äußerungen anderer aus seinem Kreis kommender, insbesondere in Wien beheimateter Persönlichkeiten zu sehen. Mein dritter Punkt ist: Man muß trotzdem immer auch bedenken, daß Schönberg (egal, wie und in welchem Maß) Schüler von Alexander Zemlinsky war, der am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde studiert hat und dort sehr wohl ein musikalisches Geschichtsbild vermittelt bekam. Denn wenn man die Musikgeschichte von Adolf Prosniz liest, nach der Prosniz selbst dort unterrichtet hat,10 dann staunt man, wie grandios hier stilistische Zusammenhänge vermittelt werden. Zusammenfassend würde ich also sagen, daß Schönbergs Sicht der ,großen Werke‘ nicht prinzipiell ahistorisch gewesen sein kann – daß er sein historisches und stilgeschichtliches Wissen dann nicht immer benutzt oder gar bewußt ausgeschaltet hat, steht auf einem anderen Blatt. Gernot Gruber Ich würde gerne noch einen anderen Aspekt einbringen. Herr Oechsle, bei Ihrer Wortmeldung hatte ich eine Assoziation zu dem Philosophen Karl Popper, der eine intellektuelle Autobiographie geschrieben hat, Ausgangspunkte11 (Popper war ein 9 10
11
Anton Webern, Der Weg zur Neuen Musik [Februar–April 1933]. Der Weg zur Komposition in zwölf Tönen [Jänner–März 1932], hrsg. von Willi Reich, Wien 1960. Adolf Prosniz, Compendium der Musikgeschichte bis zum Ende des XVI. Jahrhunderts. Für Schulen und Conservatorien, Wien 1889; ders., Compendium der Musikgeschichte 1600–1750. Für Schulen und Conservatorien, Wien 1900; ders., Compendium der Musikgeschichte 1750–1830. (Neue Geschichte.), Wien 1915. Vgl. auch: Adolf Prosniz, Grundriss der allgemeinen Musiklehre für Musiker und Musik=Lehranstalten 2, Wien 41897 (1. Auflage Wien 1875). Karl Popper, Ausgangspunkte. Meine intellektuelle Entwicklung, Hamburg 1979.
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Besucher der musikalischen Privataufführungen). Popper schreibt hier: Für ihn wichtig oder für ihn interessant – und da nennt er u. a. Anton Webern – ist eine Musik, die nicht irgendwelche autobiographischen Dinge, aber auch nicht eigene Emotionen, wie ein Hemd an der Wäscheleine hochzieht. Das ist sein Einwand gegen Beethoven und gegen die Komponisten danach. Der Größte für ihn ist hingegen Johann Sebastian Bach, und danach kommt schon Wolfgang Amadeus Mozart. Das ist natürlich ein Denken, das sich bei dem nicht-professionellen Musiker Popper (der allerdings einmal Musiker werden wollte) entwickelt hat, und das vielleicht auch aus dem Geist der „Schönbergschule“. Und daher auch meine Frage an die hier versammelten Fachleute: Worüber ich heute und gestern wenig gehört habe, ist die Frage, wie die Wissenschaft das Verhältnis von Leben und Werk sieht? Mir ist das von der Mozart-Forschung her als ein sehr emotional geführtes Thema geläufig. Sie kennen alle diesen großen Essay von Wolfgang Hildesheimer,12 der einen Zusammenhang zwischen Leben und Werk tunlichst abzuschneiden sucht und in dieser Meinung von dem Soziologen Norbert Elias in seinem Mozartbuch scharf kritisiert wird.13 Wie sieht das bei Schönberg aus? Herr Andraschke, wenn ich jetzt an die Suite für Klarinetten, Streicher und Klavier, op. 29, denke, die zunächst einen ganz konkreten und offensichtlichen lebensweltlichen Bezug besitzt – wird dieser dann im Laufe der Arbeit überwunden oder stilisiert? Peter Andraschke Er wird stilisiert, vieles fällt weg, und er ist nicht mehr so direkt, aber er ist auf jeden Fall immer vorhanden! Das ist beispielsweise in der Gigue mit ihrer Bezugnahme auf Gertrud Schönberg ganz klar. Ich muß bei dieser Frage aber nicht nur an Schönberg denken, ich kann auch an Skizzen von Webern denken, die voll sind mit Naturbezug, mit Heimatbezug, wie die frühen Gedichte. Ich denke aber auch an Alban Berg und seine Kompositionen, die u. a. Constantin Floros aufgeschlüsselt hat.14 Genauso ist es bei Schönberg. Sein ganzes Werk ist in vielen Passagen und in vielen Momenten stark autobiographisch bestimmt. Gernot Gruber Also ist die wissenschaftliche Rezeptionsgeschichte verengend vorgegangen? Peter Andraschke Auf jeden Fall.
12 13 14
Wolfgang Hildesheimer, Mozart, Frankfurt am Main 1977. Norbert Elias, Mozart. Zur Soziologie eines Genies, Frankfurt am Main 1991. Constantin Floros, Alban Berg. Musik als Autobiographie, Wiesbaden–Leipzig–Paris 1992.
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Christian Martin Schmidt Das möchte ich ebenfalls ganz deutlich unterstreichen. Wir kennen ja die Geschichte von dem verschwiegenen Programm zur 1. Kammersymphonie, op. 9, oder zum 1. Streichquartett d-Moll, op. 7. Und auch das Streichtrio, op. 45, ist noch voll von autobiographischen Zügen. Schönberg hat ja selbst gesagt, daß seine musikdramatischen Figuren immer auch eine Facette von ihm selber präsentieren. Das war durchgehend und bis an sein Lebensende präsent, und das widerspricht seiner Verehrung von Mozart als Verkörperung von „Reinheit“ deutlich. Da war Schönberg ganz auf der ,Linie‘ Beethoven–Brahms–usw. Wobei ich noch einen methodologischen Punkt unterstreichen möchte: Wir müssen aufpassen, daß wir nicht die Äußerungen Schönbergs einerseits als Lehrer, zweitens als Selbstdarsteller und Apologet seiner eigenen Musik und drittens als Deuter seiner Kompositionen ineinander mischen. Das sind nämlich unterschiedliche Punkte. Man muß immer erst fragen: Als was redet er jetzt? Redet er jetzt als Lehrer? Und viele seiner Bücher und Artikel sind ja im Grunde „Lehrreden“ – da ist der pädagogische Bezug immer vorhanden. Er spricht immer so apodiktisch und man kann das immer so schön glauben – und das ist das Gefährliche! Hier redet er als Lehrer, und genau das tut er dann als Komponist nicht mehr: Da unterrichtet er nicht etwas, sondern produziert. Und dann sind die Gesetze plötzlich ganz anders. Siegfried Oechsle Zu der Bedeutung des Zitates von der geistigen Schönheit der Strukturen, das Sie auf Popper brachte, wollte ich gerne noch etwas sagen. Ich denke, daß Schönberg die spezifische Autonomie der Musik Mozarts so fasziniert hat. Und zwar geht es hier eigentlich um kompositorische Selbstreflexion. Wir sprechen über Irregularität und über Heterogenität, aber: was Mozart komponiert, sind Wechselverhältnisse. Er komponiert nicht Heterogenität, sondern ein Verhältnis zwischen Heterogenität, Homogenität und Integration. Er komponiert auch nicht Irregularität, sondern ein je spezifisch ausbalanciertes Verhältnis zwischen syntaktisch irregulären und regulären Bildungen und Prägungen. Diese komponierten Selbstverhältnisse in den musikalischen Strukturen, das hat Schönberg wohl am meisten fasziniert. Und dieses Moment grenzt er ab vom Begriff der Entwicklung Beethovenscher Musik. Aber zwischen der Faszination und der eigenen kompositorischen Umsetzung ist natürlich noch einmal ein großer Unterschied. Gernot Gruber Also ich glaube, diese Spannung wird sich nicht ohne weiteres lösen lassen. Wolfram Steinbeck Ich möchte noch einmal kritisch fragen: Wie weit ist das eigentlich her mit dem Mozartbezug? Du hast heute ja geäußert, daß Schönberg vielleicht doch nicht so weit weg ist vom Neoklassizismus. Der Neoklassizismus ist aber doch diejenige
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Denkweise, die gerade nicht mehr mit Beethoven umgeht, sondern gerade vor Beethoven, d. h. vorromantisch ansetzt (denn Beethoven ist ja Romantiker). Und alle, wenn ich das einmal so zuspitzen darf, alle haben sich doch auf Mozart berufen, auch Busoni, um nur einen Namen zu nennen. Wie ernst ist das eigentlich zu nehmen? Siegfried Mauser Im Hinblick auf das „Reinheitsgebot“, das Siegfried Oechsle mit Recht anbringt, würde ich Mozart auch nur als „Lehrmeister zweiter Ordnung“ ansehen. Vor allem, wenn man die Bezugnahmen auf Bach ansieht, tritt das ja noch viel deutlicher hervor. Hinsichtlich der Schönheit der Strukturen an und für sich, im Sinn einer absolut gewordenen Musik, würde ich ebenfalls sagen, ist der Mozart-Bezug eher dann das Ephemere. Matthias Schmidt Wobei ich glaube, das wir uns bei einem nächsten Symposion über Schönberg und Bach am Ende dieselbe Frage stellen könnten: Wie ernst ist das zu nehmen? Denn wir bewegen uns auch bei der Bach-Rezeption im 19. Jahrhundert auf einer Ebene von allgemeiner Akzeptanz, die das ganze sehr kompliziert macht. Und ich glaube, diese Idee, über verschiedene Banden zu spielen, ist eben genau der Punkt, der alles sehr interessant macht; er macht es aber natürlich auch um so schwerer, tatsächlich herauszufiltern, was es ist – schwerer als beim Neoklassizismus, der mit Stilallusionen und Zitaten usw. arbeitet, die bei Schönberg eben nicht da sind. Markus Grassl Ich möchte ein bißchen an das anschließen, was Herr Krones gesagt hat. Es gibt einen interessanten Brief von einem Schönberg-Schüler, geschrieben ungefähr ein Vierteljahrhundert nach Schönbergs Tod: Hans Swarowsky, der Schönberg-Schüler war, aber auch ein bekannter Dirigentenerzieher, den Sie wohl alle kennen, schrieb zwei Wochen vor seinem Tod im Jahr 1975 einen Brief an seine letzten zwanzig Schüler. Darin steht der bemerkenswerte Satz: „Bewahren Sie sich Ihr Qualitätsgefühl gegen die Notenschreiber, auch wenn sie ‚schöne‘ Noten schreiben, und orientieren Sie Ihren Geschmack an der Linie Bach bis Schönberg.“ Und jetzt kommt der interessante Satz: „Alles was nicht Anteil hat an diesem Geiste, nehmen Sie nur halb so ernst.“ Das ist natürlich ein problematischer Satz, denn was soll das heißen? Soll ein junger Dirigent jetzt Debussy nur halb so ernst nehmen wie Schönberg? Das ist ja ein Unsinn. Andererseits ist es, glaube ich, auch ein sehr wichtiger Satz. Wenn man an die heutige Zeit denkt, wenn man an Musikprogramme von Konzertveranstaltern denkt, an Musikprogramme von öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten – da heißt die Linie in Wirklichkeit nicht Bach-Mozart-Schönberg, sondern Bach-Mozart-Tschaikowskij. Und da habe ich Ihnen noch einen ganz guten Komponisten genannt – aber es wird sehr viel Dreck und Mist gespielt zwischen
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Mozart, Bach und Schönberg, und zwar aus dem einfachen Grund, weil man Karten verkaufen muß und weil natürlich auch die Quoten eine bestimmte Rolle spielen. Für die Gegenwart oder für die Zukunft glaube ich, daß es sehr gut ist, diese Linie immer im Auge zu behalten: „Bach-Mozart-Schönberg“. Aber im Einzelnen nachzuweisen, wo und in welchem Werk man etwaige Bezüge konkret finden kann, ist – glaube ich – eine Sackgasse. Es handelt sich einfach darum, was auch von Swarowsky noch sehr unterstrichen wird, indem er zwei Wochen vor seinem Tod äußert: „Halten Sie inzwischen fest, daß Musik auf geistiger Basis beruht, ohne diese nichts als leeres Geklingel ist.“ Dieser Unterschied von Qualität und weniger Qualität – ich glaube, das ist wichtig und das war auch Schönberg wichtig. Gernot Gruber Danke für dieses Wertbekenntnis. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, es ist jetzt völlig unsinnig, wenn ich versuche, irgendeine Synthese herzustellen. Spannungen sind ja wesentlich interessanter. Ich danke für die anregende Diskussion.
Personenregister Abert, Hermann 91 Adler, Guido 17f., 21f., 24, 27, 119, 205f., 214, 317 Adorno, Theodor Wiesengrund 23, 26f., 75, 202, 224, 264, 269, 273, 276, 278–288, 292, 313 Alderman, Pauline 109 Altenberg, Peter 301, 307 Andraschke, Peter 29–56, 195, 318 Antheil, George 186 Apostel, Hans Erich 316 Arensky, Anton 183 Armitage, Merle 297 Arnold, Carl Heinrich 63, 66 Bach, Carl Philipp Emanuel 131, 181, 214–218 Bach, Johann Sebastian 7, 17, 62f., 76, 81–93, 96–100, 103f., 131, 143, 151, 158, 198f., 202, 219– 223, 225, 227ff., 237, 243, 248f., 259f., 274, 298, 301ff., 313–316, 318–321. Baier, Christian 199 Barthes, Roland 192 Bartók, Béla 192, 238 Baudelaire, Charles 189 Bauer, Günther 178f. Baumgarten, Alexander Gottlieb 15 Beethoven, Karl van 295 Beethoven, Ludwig van 7, 17ff., 24, 30, 31f., 71, 73, 76f., 79, 82, 96f., 100, 105f., 117, 119, 122f., 131, 135, 139, 151, 158, 161f., 174, 190, 195, 199, 202, 223, 225, 238, 243f., 247, 249, 252, 259–262, 266–280, 282–303, 306, 313ff., 318ff. Bekker, Paul 285
Benjamin, Walter 282, 287 Berg, Smaragda 301 Berg, Alban 7, 21ff., 25f., 30, 34, 60, 64, 70, 81, 92, 96, 138f., 147, 262, 264, 266, 268, 272, 282, 301–307, 309, 318 Bergson, Henri 170 Berio, Luciano 29 Berke, Dietrich 97 Berlioz, Hector 260, 289f. Bernstein, Martin 182 Bienenfeld, Elsa 285 Bistron, Julius 304 Bloom, Harold 310 Blumauer, Aloys 12 Böggemann, Markus 149–159, 309f. Boisserée, Sulpiz 179 Boltzmann, Ludwig 12, 14 Bolzano, Bernard 298 Borio, Gianmario 268, 271, 273, 279 Botstein, Leon 68 Boynton, Neil 264, 267, 270, 272 Brahms, Johannes 7, 59, 77, 82, 92, 95–100, 102, 105f., 116f., 121, 123, 130, 142f., 158f., 161, 177, 183f., 195ff., 202, 214ff., 224f., 243, 247ff., 260, 266, 299, 302f., 310–316, 319 Brentano, Franz 298 Brinkmann, Reinhold 25ff., 45, 280, 282 Brother, Nathan 237 Bruckner, Anton 32, 59, 95, 106, 142, 309, 316 Bücken, Ernst 19 Bungardt, Julia 262 Busch, Regina 34, 262, 270 Busoni, Ferruccio 144, 156, 320 Bußler, Ludwig 306
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Personenregister
Buxbaum, Friedrich 79 Cage, John 109, 192 Cannabich, Johann Christian 58 Carpani, Giuseppe Antonio 136 Carpenter, Patricia 265, 296 Casanova, Giacomo 182 Chaplin, Charlie 182 Chrysander, Friedrich 215 Colloredo, Hieronymus 13 Covach, John 187 Craft, Robert 97 Cross, Charlotte M. 265 Czerny, Carl 120, 135, 145 D’Alembert, Jean Baptiste le Rond 69 Dahlhaus, Carl 20, 27, 164, 170, 280, 282, 287, 291ff. Dallapiccola, Luigi 33, 229 Danuser, Hermann 76, 117, 278, 282 Debussy, Claude 192, 303, 320 Dehmel, Richard 124f., 128 Dennerlein, Hans 231 Deutsch, Max 97 Dibelius, Ulrich 227 Dolbin, Fred 63, 66 Dudeques, Norton 267 Duschek, Franz 63 Duschek, Josephine 63 Dvořák, Antonín 37, 60 Eco, Umberto 121 Eggebrecht, Hans Heinrich 17, 20, 46 Einstein, Albert 59, 91, 188 Eisler, Hanns 35, 95f., 264 Elias, Norbert 318 Engelbrecht, Martin 180 Essl, Karlheinz 272 Eyle, Felix 79 Federhofer, Helmut 309 Feß, Eike 101–118
Filtz, Anton 58 Finscher, Ludwig 17, 61, 78 Floros, Constantin 301–307, 318 Flothuis, Marius 31 Flotzinger, Rudolf 20, 24, 30 Föllmi, Beat 223 Font-Bardolet, Ester 52 Fontenelle, Bernard le Bovier de 69 Forkel, Johann Nikolaus 104, 120 Franz Joseph I. 12, 16, 59 Frege, Gottlob 298 Freud, Sigmund 297f. Friedrich Wilhelm von Preußen 61 Fuchs-Robettin, Hanna 138 Fuhrmann, Gertrud 98 Fux, Johann Joseph 309, 316 Galeazzi, Francesco 254 Gauthier, Théophile 188 Genette, Gérard 268 George, Stefan 156 Georgiades, Thrasybulos 164 Gerhard, Robert(o) 52, 85 Gerlach, Reinhard 23 Gershwin, George 182, 300 Gerstl, Richard 137 Geßner, Salomon 12 Gesualdo, Carlo Venosa da 227ff., 237 Girardi, Alexander 36 Giraud, Albert 55 Globokar, Vinko 29 Gluck, Christoph Willibald 18f. Goethe, Johann Wolfgang von 70, 289 Goodman, Nelson 187 Gould, Glenn 224 Gradenwitz, Peter 297 Graf, Friedrich Wilhelm 158 Graf, Herbert 218 Graf, Max 206–210, 213f., 218f. Grassl, Markus 72, 75, 320f. Greissle, Felix 137
Personenregister
Grieg, Edvard 301 Griesinger, Georg August 136 Gruber, Gernot 20, 24, 309–321 Gutknecht, Dieter 71–80 Hába, Alois 228f. Halm, August 290, 292 Hanak, Werner 68 Händel, Georg Friedrich 17, 20, 62f., 91, 215ff., 229 Hansen, Matthias 265 Hanslick, Eduard 187 Hartleben, Otto Erich 55 Hauer, Josef Matthias 14, 156, 192 Häusler, Josef 23 Haydn, Joseph 17ff., 24, 30, 58–62, 77, 97, 119, 136, 142, 174, 181, 185, 199, 202, 243–260, 262, 301 Henze, Hans Werner 29 Herder, Johann Gottfried 46 Herschkowitz, Philip 262, 264, 266, 268 Hertzka, Emil 33 Heuß, Alfred 86 Hildesheimer, Wolfgang 318 Hindemith, Paul 156 Hinrichsen, Hans–Joachim 81–93, 117, 278 Hirschfeld, Robert 316 Hitler, Adolf 14 Hochstetter, Gustav 56 Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus 290 Hofmannsthal, Hugo von 12 Hoffmeister, Franz Anton [Hofmeister] 62 Högler, Fritz 20 Holzbauer, Ignaz 58 Horwitz, Karl 21, 102 Huber, Nicolaus A. 29 Huizinga, Johan 178, 183–191 Husserl, Edmund 156, 298 Jacob, Andreas 161, 264
325
Jacquin, Gottfried von 180 Jahn, Otto 107 Jalowetz, Heinrich 21, 214, 237, 239f. Janáček, Leoš 23 Jelinek, Hanns 262ff., 317 Joachim, Joseph 63 Joseph II. 11–13, 30 Josquin des Prez 249 Jung, Hermann 57–70 Kafka, Franz 14 Kagel, Mauricio 29 Kandinsky, Wassily 281 Kanka, Jan (Johann) Nepomuk 139 Kanne, Friedrich August 120 Kant, Immanuel 22, 187f. Kapp, Reinhard 75 Karl August von Sachsen-WeimarEisenach 289 Kaufmann, Harald 263 Keller, Hans 244 Kellner, Johann Peter 214 Kiesewetter, Raphael Georg 17 Kirnberger, Johann Philipp 181 Kleiber, Erich 302 Klein, Richard 283 Koch, Heinrich Christoph 58, 62, 120, 142, 145, 254, 257 Köchel, Ludwig von 180, 230 Kokoschka, Oskar 14 Kolisch, Rudolf 33, 43, 71–75, 77, 79f., 136, 264, 272, 278ff., 283– 286, 288 Kolleritsch, Otto 23f., 278 Königer, Paul 21 Koselleck, Reinhart 150 Kraft Ernst zu Oettingen-Wallerstein 65 Kramer, Lawrence 190 Krämer, Ulrich 265 Kraus, Joseph Martin 290 Kraus, Karl 14, 185, 263, 301
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Personenregister
Krones, Hartmut 7–10, 25, 43, 45, 119–147, 227, 309, 316f., 320 Kropfinger, Klaus 295 Krummacher, Friedhelm 61 Kühn, Clemens 161 Kunze, Stefan 290 Kurtág, György 192 Kurth, Ernst 85f., 235 Lachenmann, Helmut 29 Langlie, Warren 97 Lasso, Orlando di 72 László, Ferenc 227–241 Leibowitz, René 22, 264, 271, 273, 278, 284 Lenau, Nikolaus 140 Lendvai, Ernö 238 Leonin 57 Leser, Norbert 13, 15 Lesueur, Jean-François 289 Levant, Oscar 300 Liebermann, Max 156 Linke, Karl 21 Liszt, Franz 99, 237 Loos, Adolf 301 Loos, Helmut 17–28 Lotze, Hermann 26 Lutoslawski, Witold 192 Mach, Ernst 12, 15 Maeterlinck, Maurice 140 Mahler, Fritz 306 Mahler, Gustav 32, 39, 50, 59, 100, 145, 157, 301, 303, 315 Mahler-Werfel, Alma 137f. Mann, Johann Christoph 119, 205f. Marc, Franz 281 Marcuse, Herbert 187 Maria Theresia 11 Marx, Adolph Bernhard 142, 244, 259, 272, 315 Marx, Groucho 182 Massenkeil, Günther 165
Mattheson, Johann 69 Mauser, Siegfried 223–225, 312f., 314, 320 Mazohl-Wallnig, Brigitte 11 McClary, Susan 190 Meinong, Alexius 298 Mendelssohn Bartholdy, Felix 249, 260 Mendelssohn, Moses 12 Messiaen, Olivier 190, 238 Metzger, Heinz-Klaus 278 Migeon, Pierre 63f. Milhaud, Darius 229 Monn, Mathias Georg 18f., 119, 205f., 208–213, 219, 222 Moore, John 30 Moravec, Ernst 79 Morgenstern, Soma 301, 307 Moser, Hans Joachim 19, 228f. Mozart, Anna Maria (Nannerl) 181 Mozart, Leopold 8, 30, 61f., 121, 145, 181 Muxeneder, Therese 37 Napoleon I. 16 Neff, Severine 116, 265, 296 Neumann, Robert 21 Newlin, Dika 275 Nietzsche, Friedrich 15, 192 Nissen, Georg Nikolaus 179 Nono, Luigi 29 Notowicz, Nathan 35 Novello, Mary 179 Novello, Vincent 179 Oechsele, Siegfried 159–175, 315, 317–321 Oppenheimer, Max 63, 68 Orff, Carl 192 Palestrina, Giovanni Pierluigi da 231 Paquette, Michel 183 Peirce, Charles Sanders 121
Personenregister
Perotin 57 Petersen, Peter 304 Petrarca 39, 197 Petzold, Alfons 14 Pezzl, Johann 12 Philippot, Michel 186 Pichler, Karoline 179 Pick, Gustav 36 Pleyel, Ignaz Josef 62 Poe, Edgar Allan 188 Polnauer, Josef 262, 264, 266, 275 Popper, Karl 317ff. Prinzhorn, Edgar 264 Proksch, Bryan 243–260 Prosniz, Adolf 317 Puttkamer, Marie-Agnes von 68 Quantz, Johann Joachim 214, 218 Radetzky, Johann Josef Wenzel 16 Rahn, John 186 Rathburn, Eldon 182 Rathgeber, Eike 262 Ratz, Erwin 262, 264, 269ff., 273, 311, 317 Rauch, Wilhelm 246 Rauchhaupt, Ursula von 70 Rebel, Jean-Féry 290 Reger, Max 151, 303, 306 Reich, Willi 8, 95, 119, 263, 268, 304 Reicha, Anton 120, 145 Reichardt, Johann Friedrich 69f. Retí, Rudolph 244, 311 Reutter, Karl Georg von 18f. Richter, Franz Xaver 58 Riemann, Hugo 17f., 122, 278 Ries, Ferdinand 139 Riethmüller, Albrecht 263 Rodriguez, José 296 Roller, Alfred 13 Rosegger, Peter 29 Rosen, Charles 20
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Rufer, Josef 51, 262, 264, 268, 270– 274 Rummenhöller, Peter 22 Saar, Ferdinand von 14 Sacks, Oliver 181 Sandberger, Adolf 19 Satie, Erik 192 Scarlatti, Domenico 229 Scheibe, Johann Adolf 69 Scheideler, Ullrich 205–222 Schenker, Heinrich 131 Schering, Arnold 86f. Schiele, Egon 14 Schikaneder, Emanuel 56 Schiller, Friedrich 140, 177, 187f., 192f. Schindler, Anton 122 Schleuning, Peter 272 Schlögel, Matthäus 18 Schmidt, Christian Martin 95–100, 116, 309ff., 319 Schmidt, Matthias 50, 90, 95, 97, 104, 161, 163, 195, 223f., 282, 288, 310–315, 320 Schnebel, Dieter 72 Schneider, Eulogius 295 Schoenberg Nono, Nuria 183 Schoenberg, Lawrence 183 Schoenberg, Ronald 182, 185 Schollum, Robert 23, 317 Schönberg, Gertrud (geb. Kolisch) 43, 318 Schopenhauer, Arthur 187, 189 Schopf, Rudolf 281 Schostakowitsch, Dmitrij 183 Schreker, Franz 21 Schubart, Christian Friedrich Daniel 18, 70 Schubert, Franz 18, 30, 32, 37, 97, 117, 125, 143, 249, 260, 302, 304, 309 Schulhoff, Erwin 103
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Personenregister
Schumann, Robert 97, 244, 249, 260 Schünemann, Georg 86 Schweitzer, Albert 228 Sechter, Simon 309 Seidel, Wilhelm 164 Semper, Gottfried 187 Sichardt, Martina 197, 199, 201 Siegmund-Schultze, Walther 20 Silcher, Friedrich 46 Simmel, Georg 152 Simrock, Nikolaus 180 Sisman, Elaine 185 Smith, Adam 12 Soderland, Stephen 187 Somfai, László 237, 311 Sonnfels, Joseph von 12 Speer, Albert 14 Spengler, Oswald 155 Spinner, Leopold 262ff., 270f., 273 Spitta, Philipp 214 Spohr, Louis 63 Stadlen, Peter 135f., 147 Stamitz, Carl [Stamic] 58, 229 Stark, Thomas 277 Starkmann, Max 79 Starzer, Josef 18 Štedron, Miloš 23 Steglich, Rudolf 86 Stein, Erwin 21, 75, 96, 99, 196, 264, 266, 271f., 274, 278, 288, 311 Stein, Leonard 256 Steinbeck, Wolfram 173, 195–203, 319 Stephan, Rudolf 22f., 25, 96, 160 Steuermann, Eduard 264, 278 Stevens, Halsey 98f. Stockhausen, Karlheinz 29 Strang, Gerald 144 Strauß, Johann (Sohn) 185, 300 Strauß, Johann (Vater) 35 Strauss, Richard 151 Strawinsky, Igor 39, 97f., 188, 190, 192, 201, 274
Strobel, Heinrich 9 Stuckenschmidt, Hans Heinrich 98, 274, 302 Subotnik, Rose 189 Sulzer, Johann Georg 69, 257 Swarowski, Hans 75, 320f. Swieten, Gottfried van 62 Taruskin, Richard 310 Tavener, John 190 Thrun, Martin 21 Tiedemann, Rolf 280 Toëschi, Karl Joseph 58 Trakl, Georg 14 Troeltsch, Ernst 155 Tschaikowskij, Peter Iljitsch 320 Tuma, Franz Seraf Ignaz Anton 206 Türk, Hans Peter 233 Urbanek, Nikolaus 261–288 Valéry, Paul 185 Vlad, Roman 229 Vogler, Georg Joseph 18 Vojtěch, Ivan 262 Wagenseil, Georg Christoph 18f., 119 Wagner, Manfred 11–16 Wagner, Otto 14 Wagner, Richard 7, 82, 96f., 99, 106, 150ff., 161, 223, 227ff., 230, 237, 244, 248f., 259, 295, 302, 304 Waldstein, Ferdinand von 17 Walter, Bruno 294 Weber, Max 149 Webern, Anton 7, 14, 21f., 25f., 32ff., 59f., 62f., 75, 96, 100, 119, 130f., 135f., 139, 142, 147, 262ff., 266–274, 281, 284, 303, 309, 317f. Webster, James 20, 26 Wegeler, Fritz 122 Weingartner, Felix 150
Personenregister
Weininger, Otto 13f. Weißmann, Adolf 81, 92, 302 Wellesz, Egon 21f. Wendt, Amadeus 17 Wendt, Johann Gottlieb 291 Werfel, Franz 14 Werker, Wilhelm 85ff. Wertheimer, Jürgen 104 Westphal, Kurt 19 Wiehmayer, Theodor 122 Wieland, Christoph Martin 12 Wilhelm, Paul 151 Wittgenstein, Ludwig 185, 187 Wolzogen, Ernst von 55 Wörner, Karl H. 22 Wright, James K. 177–193 Xenakis, Iannis 192 Zehentreiter, Ferdinand 289–300 Zelter, Carl Friedrich 70 Zemlinsky, Alexander 37, 45, 96, 99, 145, 294, 303, 317 Zillig, Winfried 23 Zschorlich, Paul 302 Zweig, Fritz 21
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