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German Pages 418 Year 2015
Felix Krämer Moral Leaders
Histoire | Band 57
2015-01-21 10-26-52 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 03e2388235581264|(S.
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Felix Krämer arbeitet als Postdoktorand am DFG-Graduiertenkolleg 1599 »Dynamiken von Raum und Geschlecht« in Kassel und Göttingen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Geschichte Nordamerikas, der Diskursanalyse von Medien und den Gender Studies.
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Felix Krämer
Moral Leaders Medien, Gender und Glaube in den USA der 1970er und 1980er Jahre
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Dissertation Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Exzellenzcluster »Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und der Moderne«, 2012 Gedruckt aus Mitteln der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld
Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Felix Krämer Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-2645-2 PDF-ISBN 978-3-8394-2645-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
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Inhalt
Einleitung | 7 1. Gefährdete Emanzipationen
Nachrichten von den Körpern der Anderen | 43 Feminismus | 46 Abtreibung | 50 Kirche, welche Kirche? | 59 Gays | 63 Blacks | 74 Black Muslims | 81 Krise, wessen Krise? | 88 Zusammenfassung | 100 2. Wie Phönix aus der Asche
Nachrichten von der Wiedergeburt der Evangelikalen | 103 Die Körper der Präsidenten | 113 Der Gefallene | 115 Der Wiedergeborene | 121 Der Mann | 140 Gestalten im Wahlkampf | 145 Zusammenfassung | 155 3. Born again in Politics
Did the President walk …? | 159 Die Religion neuer Medien im Bild der Zeit | 167 Becoming the Moral Leader | 173 Telling his story | 178 The Moral Majority Report: Im Anfang war das Wort | 184 Zusammenfassung | 190
4. Das Wissen, der Gottesdienst und der Raum
Das religiöse Wissen der Öffentlichkeit | 195 Universitäten und Revivals – Orte der Vergangenheit, Räume der Zukunft | 204 Die evangelikale Universität der 1970er und 1980er Jahre | 208 Botschaften von „Liberty College“ und „Regent University“ | 212 Nachrichten vom Gottesdienst | 222 Botschaften vom „Wahren Christen“ | 224 … aus der Politik | 231 „The most dangerous place…“ Unterhaltung des Politischen | 237 Resonanzen aus den Räumen der Moral Leadership | 244 Zusammenfassung | 255 5. Der Prediger, das Medium und der Mann
Prediger des Politischen | 259 Von Gestalten aus der Vergangenheit zu Figuren der Zukunft | 263 Nachrichten von der Wiedergeburt des Predigers | 273 Vom Prediger zum Nachrichtensprecher | 279 God’s Man for the Hour | 285 Fighting God’s Men for the Hour | 292 Beyond Election and Choice | 301 Robertson for President – oder vom Ende der Televangelisten? | 310 Zusammenfassung | 318 6. The Decade of Destiny
Discovering the „Killer Disease“ | 321 Enduring AIDS | 333 Zwischenbemerkung zur „Sexuellen Revolution“ und AIDS | 341 Racism? | 345 Fighting the Gender Gap? | 355 Father’s Day is Every Day | 364 Die Körper der Anderen in der Politik | 369 „… the focus of evil in the modern world“ | 372 Zusammenfassung | 379 Schluss | 385 Dank | 395 Quellen- und Literaturverzeichnis | 397
Einleitung
In den landesweiten Nachrichten der Vereinigten Staaten wurde die Rückkehr der Religion an der Wende von den 1970er zu den 1980er Jahren zu einem raumgreifenden Thema. Bereits in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre war immer wieder von einer neuen Religiosität unter US-Amerikaner/inne/n, von Erweckung als neuer Massenbewegung schlechthin in Zeitungen, Magazinen und im Fernsehen die Rede. Im Wahlkampfjahr 1980 entdeckten schließlich die drei großen Fernsehanstalten ABC, CBS und NBC evangelikale Pastoren als politisches Phänomen, über das die Öffentlichkeit unbedingt aufgeklärt werden musste. Wie aus einer ganzen Reihe an Berichten in den täglichen Abendnachrichten zu erfahren war, entschied sich die evangelikale Bewegung, die sich selbst das Etikett einer „moralischen Mehrheit“ angeheftet hatte, im Präsidentschaftswahlkampf für den Republikaner Ronald Reagan.1 Und so verbuchten ihre Wortführer nach den Wahlen Reagans überwältigenden Sieg über Präsident Jimmy Carter gebetsmühlenartig als Erfolg ihrer Mobilisierungsarbeit im „christlichen Amerika“. In ihren Augen sollte sich die Nation auf die Wurzeln ihrer religiösen Tradition besinnen, um sich für die angebliche „Schicksalsdekade“ der 1980er Jahre zu wappnen. Als „evangelical chic“ hat die Journalistin Carol Flake jenen Trend einige Jahre später bezeichnet, den Jimmy Carter bereits im Wahlkampf 1976 mit dem Bekenntnis selbst ein wiedergeborener Christ, ein „born-again Christian“ zu sein, in die prominenteste Riege des Politischen eingeführt hatte.2 Doch während Carters erster Jahre im Amt war gewissermaßen unter seinen Füßen ein anderer Boden in der politischen Kultur eingezogen worden.3 In
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Die „Moral Majority“ wurde 1979 von Jerry Falwell in Lynchburg, Virginia gegründet.
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Flake, Carol, Redemptorama. Culture, Politics, and the New Evangelicalism, New York 1984, S. 5.
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Der Begriff der politischen Kultur orientiert sich an der Diskussion um eine Kulturgeschichte des Politischen. Vgl. Stollberg-Rilinger, Barbara (Hg.), Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, Berlin 2005, S. 9-24. Anwendung auf zeitgeschichtliche Zu-
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der zweiten Hälfte der 1970er Jahre war die idealtypische Figur der moral leadership in der Medienlandschaft entstanden, so eine leitende These dieser Untersuchung. Diese Figur wurde einerseits von weißer heterosexueller Männlichkeit ausgefüllt und sollte andererseits einen evangelikal geprägten Begriff von Moral von der Spitze her ins Politische integrieren. Ronald Reagan verkörperte moral leadership in den 1980er Jahren. Doch auch er wurde nicht etwa am Wahltag oder im Moment seiner zeremoniellen Inauguration zum moral leader. Die Geschichte der moral leadership im Präsidentenamt begann im Fernsehen am 30. März 1981 in neuer Qualität in der Berichterstattung über Ereignisse auf dem Vorplatz eines Hotels in Washington, D.C., wo auf Reagan geschossen worden war. Als die Nachrichten von ABC, CBS und NBC vom Attentat berichteten, wurde Reagan in den langen Minuten der Ungewissheit als nationaler Führer medial inauguriert, als der Mann des Schicksals in den 1980er Jahren. Im Gegensatz zum privaten Erweckungserlebnis Carters, erlebte Reagan seine Wiedergeburt live über die Fernsehnachrichten. Dieses Zusammenfallen von Medienkultur, Religion und Politik stellt eine Schaltstelle der Analyse in der vorliegenden Arbeit dar. Wie im dritten Kapitel ausgeführt wird, kamen in dem Moment zeitgeschichtliche Verläufe mit synchroner Verbreitung zusammen. An der Berichterstattung über das Attentat lässt sich zeigen, wie die Muster des religiösen Revivals kulturelle Bedeutung in einer nur scheinbar säkularen Sphäre, nämlich im MainstreamJournalismus erlangten. Auch in der Folgezeit wurden in unzähligen TV-Berichten alle möglichen gesellschaftlichen Probleme auf die Führungsfigur Reagan und seinen „männlichen Körper“ bezogen. Die Wiedergeburt des moral leader im Medium Fernsehen half in den 1980er Jahren eine Politik der Freiheit abzusichern, die als kultureller Verteilungskampf zwischen unterschiedlichen Identitätsgruppen betrachtet werden muss. Entlang dieser Linien wurde die Ausgangsfrage des Projektes bearbeitet: Wie hat sich unter dem Einfluss des politischen Evangelikalismus die Geschlechterordnung in den USA zwischen 1969 und 1989 verschoben?4 Ort und
sammenhänge in den USA findet das Konzept bereits bei: Dorestal, Philipp, Style Politics. Mode, Geschlecht und Schwarzsein in den USA, 1943-1975, Bielefeld 2012, S. 6671. In kulturgeschichtlicher Lesart von Politik ist unter anderem der Ansatz enthalten, Führungsfiguren nicht auszublenden, sondern ihre Rollen vor dem Hintergrund ihrer Verstrickung mit einer diskursiven Kultur neu zu deuten. 4
Die Geschlechterordnung wird dabei als intersektional verwoben mit anderen Untersuchungskategorien wie „Rasse“, Sexualität, Klasse und eben Religion verstanden. Es wird in der Analyse ein Konzept von Intersektionalität verwendet, das sich unter anderem aus der interdisziplinären Geschlechterforschung entwickelt hat. Walgenbach, Katharina u.a. (Hg.), Gender als interdependente Kategorie. Neue Perspektiven auf Intersektionalität, Diversität und Heterogenität, Opladen 2007.
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wichtigste Quelle der Betrachtung ist das Fernsehen im zeitgeschichtlichen Wandel. Die Methode ist eine Diskursanalyse. Das medial-politische Machtarrangement um moral leadership war ein Ergebnis kultureller Kämpfe um Gleichberechtigung verschiedener Identitätsgruppen, die seit den späten 1960er Jahren von den Nachrichten in eine televisualisierte Öffentlichkeit transportiert worden waren. Die Forderung nach moral leadership richtete sich gegen die Emanzipationsbewegungen und speiste sich aus der evangelikalen Erweckungsbewegung, die in der Medienwelt gegen Ende der 1970er Jahre selbst im Gewande einer Emanzipationsbewegung auftrat. Das zweite Standbein des moral leader war das Verlangen nach selbstgewisser, männlicher Führung, das aus unterschiedlichsten Richtungen in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre immer wieder artikuliert wurde. Das Insistieren auf männliche Führungskraft war aus einer diffusen Krisenwahrnehmung Mitte der 1970er Jahre entstanden. Bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass das Subjekt der obsessiv beklagten Krise die hegemoniale USMännlichkeit war.5 Die Proklamation einer Krise ist als Kontern der verschiedenen Emanzipationsbewegungen, wie der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung, der Frauenbewegung und der Schwulen- und Lesbenbewegung von Seiten der weißen Männlichkeit der Mittelschicht zu betrachten. Als in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre die religiöse Erweckung in den USA ins Feld der Geschlechterpolitik einrückte, kam es zu einer Verstärkung des hegemonialen Ideals und es bildete sich ein Dispositiv der Männlichkeit aus, das Aufmerksamkeit auf sich zog und bei vielen Verhandlungen von gesellschaftlicher Führung auf den Plan rückte.6 5
Der Begriff der hegemonialen Männlichkeit wird in dieser Arbeit in der von Raewyn Connell ausgearbeiteten Belegung verwendet und bezeichnet das Modell der weißen heterosexuellen Männlichkeit der Mittelklasse. Vgl. Connell, Robert William, Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten (3. Aufl.), Wiesbaden 2006.
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In den 1970er Jahren war innerhalb der Fernsehöffentlichkeit die Hegemonie der weißen heterosexuellen Männlichkeit im Besonderen über die Rede von einer Krise der Gesellschaft und ihrer Führung hergestellt worden. Die Hegemonie-Produktion über die Krisenbeschreibungen zu Männlichkeit ist ab Mitte der 1970er Jahre der Modus der Macht, über den sich das Dispositiv Männlichkeit für das folgende Jahrzehnt herstellte. In Kombination mit dem evangelikalen Revival und dessen Führungsidealen, die auch sämtlich männlich konzipiert waren, konnte sich auf Grundlage einer im Krisenszenario kulturell verfestigten Männlichkeit im Wandel der Fernsehlandschaft die Figur der moral leadership immer wieder performativ in Szene setzen. Zu Hegemonie nach Ernesto Laclau: Marchart, Oliver (Hg.), Das Undarstellbare der Politik. Zur Hegemonietheorie Ernesto Laclaus, Wien 1998, insbesondere darin: Laclau, Ernesto, Von den Namen Gottes, S. 277; Zum Dispositivbegriff: Foucault, Michel, Sexualität und Wahrheit, Bd. 1, Der Wille zum Wissen, Frankfurt/M. 1983, S. 29; und unter Einbezug von Religion: Agamben, Giorgio, Was ist ein Dispositiv? Berlin 2008, S. 21.
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In der Berichterstattung der täglichen TV-Abendnachrichten ist dieser Prozess abzulesen.7 Aufmerksamkeit und Ressourcenverteilung wurden in den Fernsehnachrichten verhandelt.8 Den kulturellen Verhandlungsstoff der Verschiebungen, die sich in den 1980er Jahren schließlich deutlich zu materialisieren begannen, hatten die bereits genannten Emanzipationsbewegungen der späten 1960er und frühen 1970er Jahre geliefert, darin insbesondere Black Power, Feminismus und Gay Liberation. Seit den 1970er Jahren hatten die Gruppen auch in den Medienlandschaften um ihren Teil an gesellschaftlicher Repräsentation gekämpft. Darin waren die Abendnachrichten zu einem Nadelöhr der politischen Rationalität, zu einem entscheidenden Ort der gesellschaftlichen Wahrheitsbildung zu unterschiedlichen Identitätsgruppen geworden.9 In einer visuellen Kultur kamen die Bilder soziokultu7
Die Analyse war möglich durch das „Vanderbilt Television News Archive“, einem wichtigen Archiv für die Zeitgeschichtsschreibung, in dem die Fernsehnachrichten der USKabelsender nach Schlagworten zu durchsuchen sind, wie unten noch genauer beschrieben wird. Vgl. http://tvnews.vanderbilt.edu/, zuletzt besucht am 14.4.2012, um 16.52 Uhr.
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Insbesondere die Berichterstattung in den Fernsehnachrichten war das Terrain, auf dem die Verschiebung des Anforderungsprofils einer Führungsfigur bindende Kraft in der Öffentlichkeit erhielt. Das Fernsehen war zu einem kulturellen Leitmedium geworden. Die Abendnachrichten waren zum Schauplatz einer neuen politischen Öffentlichkeit geworden. In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre hatten bereits 70 Millionen USAmerikaner/innen Fernsehgeräte in ihren Haushalten. Im Verlaufe der 1970er Jahre etablierten die drei Sender NBC, CBS und ABC ihre dominante Stellung über das Kabelsystem. Kleinsteuber, Hans J., Das Mediensystem der USA, in: Hans-Bredow-Institut für Medienforschung an der Universität Hamburg (Hg.), Internationales Handbuch Medien, 28. Ausgabe, Hamburg 2009, S. 1216. Die TV-Abendnachrichten gewannen in den 1970er Jahren in der US-Medienlandschaft zunehmend an Bedeutung, was öffentliche Wahrnehmung, Nutzung und Bündelung der Information betrifft, während Zeitungen und Zeitschriften sich auf dem Nachrichtenmarkt ausdifferenzierten. Skewes, Elizabeth A. / Black, Heather, What’s News in the United States?, in: Shoemaker, Pamela J. / Cohen Akiba A., News around the World: Content, Practioners, and the Public, New York 2006, S. 309f. US-amerikanische Erwachsene sahen 1980 im Durchschnitt drei Stunden fern. LaFollette, Marcel C., Science on American Television: A History, Chicago 2013, S. 155. Vgl. außerdem zur Bedeutung des TV-Mediums in der Untersuchungszeit in den Vereinigten Staaten: Bösch, Frank, Mediengeschichte. Vom asiatischen Buchdruck zum Fernsehen, Frankfurt/M. 2011, insb. S. 212 u. 214.
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Rationalität wird in dieser Arbeit stets im machtanalytischen Sinne Michel Foucaults verwendet, verweist also nicht auf „rational choice“-Ansätze. Im speziellen Zusammenhang mit den Fernsehnachrichten wird die Bedeutung, die den Rationalitäten des Regierens in den „governmentality studies“ bislang zugewiesen wurde, in dieser Arbeit um die
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reller Spannungen und Differenzbildungen auch durch die Darstellungen der Anchor-Männer, der Reporter, durch Kommentare, Illustrationen und Berichtsfilme ins Sichtfeld der Öffentlichkeit.10 Daher lässt an den Fernsehnachrichten eine Geschichte der US-Öffentlichkeit zwischen 1969 und 1989 ablesen. Als eine kritische Diskursanalyse der Hegemonie kann diese Geschichte erfasst und geschrieben werden. Für die Frage nach dem Wandel der Öffentlichkeit am Jahrzehntewechsel zwischen 1970er und 1980er Jahren wurden drei Medienformen ausgemacht, die über den kulturellen Wandel innerhalb der Fernsehwelt entscheidend in die Sphäre des Politischen eindrangen – nämlich „die evangelikale Universität“, „der Gottesdienst“ und „die Predigerfigur“. Es werden also in dieser Arbeit zwei Medienbegriffe verwendet. Der erste und weite Medienbegriff bezieht sich auf die „televised culture“ und meint das Mediensystem als kulturellen Raum des Sag- und Sichtbaren, innerhalb dessen die politische Öffentlichkeit immer wieder artikuliert und ins Bild gesetzt wurde. Der zweite Medienbegriff bezieht sich auf drei traditionelle Medien, die sich in die televisualisierte Kultur der 1970er Jahre einschreiben bzw. ihr konstitutiver Bestandteil wurden. Sie werden in dieser Arbeit als „Medienformen“ vom weiten Medienbegriff abgegrenzt. Als Teil von evangelikalen Medienimperien speiste die christliche Universität der 1970er Jahre Wissen, Strategien und nicht zuletzt religiöse „Experten“ ins nationale Mediennetz ein. Der evangelikale Gottesdienst weitete seine Tore und wurde im Fernsehen zum Teil religiöser Erweckung und politischer Verkündung. In Bezug auf die konkrete Entwicklung von moral leadership in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre ist die Medienform „des Predigers“ hervorzuheben. Über diese Figur entstand in der TV-Öffentlichkeit Ende der 1970er Jahre eine hybride Gestalt am Übergang zwischen Prediger und Politiker. Die Form wurde in den 1980er Jahren zum „politischen Prediger“. Präsident Reagan wurde der markanteste Prototyp dieser Art. Zwar wurde Reagan mit dem Prädikat eines „großen Kommunikators“ versehen, seine Rolle als politischer Prediger Rationalität der Fernsehnachrichten im Kontext einer spezifischen Aufmerksamkeitsökonomie in der US-Öffentlichkeit der 1970er und 1980er Jahren erweitert. Lemke, Thomas / Krasmann, Susanne / Bröckling, Ulrich, Gouvernementalität. Neoliberalismus und Selbsttechnologien. Eine Einleitung, in: Dies., Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen, Frankfurt/M. 2000, S. 7 u. 14ff. 10 An dieser Stelle ist die Arbeit auch Teil einer Hinwendung zur visuellen Kultur. Allerdings erschöpft sich der Ansatz nicht etwa darin, dass behauptet wird, Bilder seien in den 1970er Jahren wichtiger als Texte, Rede oder Handlungen geworden. Aber im speziellen Fall der Fernsehnachrichten sind Bilder, Filmbilder auch Teil der Wahrheitskonstruktion und werden als diskursive Äußerungen mit beschrieben. Zur „visual culture“: Kromm, Jane / Bakewell, Susan B. (Hg.), A History of Visual Culture. Western Civilisation from the 18th to the 21st Century, Oxford 2010.
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im Gefüge der symbolischen Kommunikation der 1980er Jahre ist bisher jedoch noch nicht diskursanalytisch erfasst und weitergehend problematisiert worden.11 Am Beginn des Untersuchungszeitraumes dieser Arbeit stehen Nachrichtensendungen von ABC, CBS und NBC. Aus ihren Studios wurde ab 1969 in verstärktem Maße über Feminismus, die unterschiedlichen Richtungen der Black PowerBewegung, die Gay Liberation, über Frauen, schwarze und islamische Gruppen, Schwule und Lesben berichtet. Manchmal berichteten die Anchor-Männer und Reporter und die wenigen Journalistinnen, die in den 1970er Jahren allmählich auf die Bildschirme vorrückten, von den Aktionen der Emanzipationsbewegungen distanziert, manchmal offenbarten die Journalist/inn/en ihrem Publikum spürbare Sympathie für verschiedene soziale Anliegen. Stets behaupteten sie, sich um Objektivität zu bemühen. Dennoch blieben marginalisierte Gruppen in den Nachrichten aus der ersten Hälfte der 1970er Jahre immer als Abweichung von der Norm markiert. Es hatte sich ein Feld von Differenzen, bevölkert von körperlichen und sozialen Unterschieden aufgetan, das schließlich durch die Berichte über die Krise der Männlichkeit wieder eingegrenzt wurde. Ab Mitte der 1970er Jahre wurden verschiedenste gesellschaftliche Probleme in den landesweit ausgestrahlten Nachrichten auf die weiße Norm der US-Männlichkeit und der Mittelschichtsfamilie bezogen. Angeblich waren die Vertreter dieser Gruppen in der US-Bevölkerung am tiefsten von ökonomischen oder kulturellen Veränderungen betroffen. Themen wie die Watergate-Affäre oder der Vietnamkrieg fungierten in den zeitgenössischen Beschreibungen von Gesellschaft und Nation als symptomatische Bausteine der Krisenrhetorik, die ab 1975 weite Gesellschaftsbereiche bis in die unterschiedlichsten Winkel affiziert zu haben schien. Dieser Eindruck wurde auch über die Faktizität der Fernsehnachrichten kolportiert. Daher ist das Krisenszenario um Männlichkeit neben der Rückkehr der Religion ein Ausgangspunkt der Analyse. Krise und Revival der Religion sind die beiden interaktiven Begründungslinien, über die in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre moral leadership gefordert wurde. Diese Führungsfigur schien in der Medienlandschaft um das Jahr 1980 in Botschaften und Nachrichten aus allerlei Richtungen Bestätigung zu erfahren. Die Krisenanrufung ermöglichte es den Predigern aus dem Spektrum der Christlichen Rechten, sich als Teil der Lösung in das Führungsproblem zu integrieren, das die 11 Es gibt Arbeiten, welche die spezifischen Linien des historischen Wandels hinterfragen und sich mit Ökonomie oder mit der Genealogie des Rassismus in dieser Zeitspanne befassen – zum Beispiel: Edsall, Thomas Byrne / Mary Deutsch Edsall, Chain Reaction: The Impact of Race, Rights, and Taxes on American Politics, New York 1992. Und es gibt jüngere Arbeiten, die das Feld verengen und sich auf Akteure wie Reagan konzentrieren. Gil Troy geht beispielsweise in seinem Buch von 2005 der Frage nach, wie Reagan die 1980er Jahre „erfand“ – Troy, Gil, Morning in America, How Ronald Reagan Invented the 1980s, Princeton 2005.
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US-Gesellschaft angeblich heimgesucht hatte. Durch ein komplexes mediales System wurde der moral leader zum stetigen Begleiter und schließlich zum Dreh- und Angelpunkt des Politischen in den 1980er Jahren. Innerhalb des Kommunikationssystems waren neue mediale Formen entstanden, wie religiös-politische Zeitschriften, Wissensinstitutionen, neue TV-Gottesdienste, die Millionen Bürger/innen mit Botschaften vom Glauben versorgten. Insbesondere die angesprochenen TVPrediger waren die Resonanzkörper, die zunächst als politische Akteure Themen bündelten, verlauten ließen und in der Öffentlichkeit platzierten. Über ihre Gemeinden, Kirchen, Fernsehsender und Universitäten, speisten Pastoren wie Jerry Falwell, Pat Robertson, Oral Roberts oder James Robison das Problem der Moral in den kulturellen Text ein. In den Augen ihrer wachsenden Anhängerschaft verkörperten sie charismatische Führerschaft, was es ihnen erlaubte, Themen wie Abtreibung oder Pornografie als nationale Schicksalsfragen zu deklarieren.12 Ins Zentrum der Debatten wurden angeblich verfallene Familienwerte, schwule Lehrer in Schulen oder die Bedrohung durch die kommunistische Sowjetunion gerückt. Die Ausführungen der evangelikalen Glaubensführer zu Moral und Gesellschaft bevölkerten am Ende der 1970er Jahre die Politikseiten großer Tageszeitungen und füllten Sendezeit in Fernsehbeiträgen. Die Abendnachrichten der Kabelsender waren 1980 voll von emsig zusammengetragenen Botschaften aus den Vorstellungswelten der neuen Fundamentalisten. Funktionäre der Bewegung, evangelikale Prediger, ihre Organisationen und Gemeinden wurden über die Nachrichten der drei großen Sender ABC, CBS und NBC eindrücklich auf der politischen Bühne in Szene gesetzt. Auf dieser medial-diskursiven Ebene waren die Themen und politischen Problematisierungen weitaus mobiler als bisher festgestellt. Bislang wurde immer davon ausgegangen, dass die Evangelikalen in der fraglichen Zeit eigene Institutionen, TV-Netzwerke und Zeitschriften gegründet hatten, die aber in der Regel vom Mainstream der US-Öffentlichkeit nicht wahr- und schon gar nicht ernst genommen wurden.13 Die in dieser Arbeit dargestellte Geschichte der Öffentlichkeit zeigt dagegen, dass Medien viel komplexer mit historischen Kontexten und Diskursen verstrickt waren. Unterschiedliche sexualitäts- oder geschlechterpolitische Themen wurden erst in Wechselwirkung mit Machtverhältnissen in sich wandelnden Dis12 Jerry Falwell ist einer der wichtigsten Protagonisten der Christlichen Rechten. Der Pastor aus Lynchburg in Virginia wurde zum nationalen Symbol der evangelikalen Erweckung in der Politik. Von seiner Organisation stammt auch die politische Zeitschrift, die in dieser Arbeit neben den Abendnachrichten der Kabelsender den zweiten umfassenden Quellenkorpus darstellt – der Moral Majority Report. 13 Diese Interpretation zieht sich durch die meisten der Arbeiten zur Christlichen Rechten, die gleich noch ausführlicher besprochen werden und mischt sich mit der verwunderten Feststellung, dass die Bewegung doch unzweifelhaft irgendeinen politischen Einfluss auf die politische Landschaft der 1980er Jahre gehabt haben musste.
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kursen hervorgebracht, die zwischen Kirchenkanzel und Abendnachrichten und in gewisser Weise auch gerade durch Nachrichtenberichte „über“ die Kirchenkanzeln produziert wurden. Die Trennung von Nachrichten, Äußerungen und Aussagen aus dem evangelikalen Spektrum der Christlichen Rechten und den MainstreamWahrheiten, die sich von ihnen per se unterscheiden lassen, ist aus historischer Perspektive auf die Medienwelt in den USA der 1970er und 1980er Jahre nicht durchzuhalten. Das heißt, es gibt keine klare Trennung von säkularer und religiöser Sphäre in den Nachrichten von der US-Politik aus der fraglichen Zeit. Und die Akteure der Religiösen Rechten waren auch keineswegs lediglich ein Teil einer Modeerscheinung, wie der Begriff des „evangelical chic“ auf den ersten Blick nahe legt, sondern griffen in ihren Kampagnen gegen Abtreibung oder Homosexualität immer wieder über unterschiedliche Kanäle tiefliegende gesellschaftspolitische Machtverhandlungen auf, waren Teil einer nachhaltigen Neuorganisation der US-Kultur innerhalb einer Fernsehöffentlichkeit, in welcher die politischen Kritiken der 1960er Jahre hegemonial umgearbeitet wurden.14 Von dort konnte sich die soziokulturelle Ordnung im Innern sexualitäts- und geschlechterpolitisch über so unvorhersehbare Ereignisse wie das Auftauchen des AIDS-Virus auf ganz spezifische Weise rationalisieren. In der Außenpolitik wurde durch die evangelikale Linse auf Botschaften von einer Welt aus Gut und Böse geblickt. Auf diesem irdischen Wege konnte sogar ein Endkampf im Weltraum als eine logische Konsequenz der bedrohlichen Lage erscheinen. Die Nachrichten aus der Politik der 1980er Jahre zeigen aber auch, dass der Rückzug gesellschaftlicher Verteilung im Schatten der Botschaften von Familienwerten, Moral, aber vor allem auch von Freiheit und Erfolg unter der Schirmherrschaft von moral leaders die Türen für Marginalisierung in der Schicksalsdekade weit geöffnet hatte. In diesem Projekt war im Zuge der Recherchen zum diskursiven Wandel der Geschlechterordnung zwischen 1969 und 1989 die Figur der moral leadership als neue Regierungstechnik ins Sichtfeld geraten. In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre wurde das Ideal vor allem über die Fernsehlandschaft in der Öffentlichkeit etabliert und war auf den ersten Blick früheren Führungsgestalten in der US-Geschichte nicht unähnlich. Der moral leader war weiß, christlich, heterosexuell und hatte ein Mann zu sein. Beim genaueren Hinsehen war die Figur in ihrer medialen Omnipräsenz seit den späten 1970er Jahren unter zwei Gesichtspunkten unerbittlicher als die Vorgänger. Die Verkörperung der moral leadership musste sich im Politischen unbedingt zu Wiedergeburt und Evangelikalismus bekennen und musste Virilität immer wieder medial zugeschrieben bekommen. Im Hinblick auf diesen zweiten Teil der Blaupause war die Figur bereits in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre vom
14 Diamond, Sara, Not by Politics Alone. The Enduring Influence of the Christian Right, New York 1998, S. 3.
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Männlichkeitsdispositiv für das Schicksalsjahrzehnt der 1980er Jahre konfiguriert worden. Eine weitere politische Frage, die sich daraus ergibt, auch wenn sie in dieser Arbeit nicht abschließend beantwortet wird, soll zum Abschluss dieses ersten Themenumrisses angesprochen werden: Wie weit prägte die beschriebene Figur des moral leader, bzw. in wie weit prägte ein Idealtyp des politischen Predigers die soziokulturelle Ordnung in den US-Medienwelten der 1990er Jahre und darüber hinaus bis in die Zeiten der Präsidentschaften George W. Bushs oder gar Barack Obamas? Ein solcher Gegenwartsbezug schwingt im Hintergrund der historischen Frage stets mit, weil wir uns innerhalb eines historischen Zusammenhangs befinden, hinter welchen die Kulturgeschichte der Politik noch keinen Punkt gesetzt hat. Daher begreift sich diese Arbeit auch als Teil eines Forschungs- und Diskussionsprozesses, dessen Betrachtungsgegenstand zum einen mit dem Auftauchen der Christlichen Rechten am Ende der 1970er Jahre, zum anderen in der Trope einer Männlichkeitskrise seit Mitte der 1970er Jahre begann Wirkung zu entfalten. Die Diskurse aus diesem Zusammenhang haben sicher bis in die Gegenwart Einfluss auf Debatten in der medialen politischen Kultur der USA. Ein genealogischer Strang, der in dieser Arbeit durch die Linse der Fernsehnachrichten bis zum Ende der 1980er Jahre herausgearbeitet wird, reicht zurück zu den verschiedenen Emanzipationsbewegungen ans Ende der 1960er Jahre. Zur Zeitgeschichte der USA gibt es eine unüberschaubar Zahl an Betrachtungen, von denen im Folgenden diejenigen Arbeiten besprochen werden, welche ähnliche Fragen gestellt, diese aber anders beantwortet haben. * Forscht man kulturwissenschaftlich nach den Ursachen politischen Wandels in der US-Gesellschaft zwischen den 1970er und 1980er Jahren, so gibt es grob zwei Felder, auf denen bislang systematisch nach Antworten gesucht worden ist. Zum einen wurde im Auftauchen der Christlichen Rechten, zum anderen im Kampf um die Geschlechterordnung nach den Triebkräften der Veränderung gesucht.15 Neben der Erforschung von Religion und Geschlecht für die 1970er und 1980er Jahre gibt es allgemeinere Erklärungsmodelle für zeitgeschichtlichen Wandel. Die wohl bekannteste Darstellung, die sich der Zeitgeschichte der USA umfassend zu widmen versucht, ist Philip Jenkins Buch von 2006 „Decade of Nightmares. The End of the Sixties and the Making of Eighties America“. In seinem Text fließen zwar beide angesprochenen Forschungsperspektiven bis zu einem gewissen Grad ein, aber „Decade of Nightmares“ stellt im engeren Sinne keine Synthese der Forschungen zur Zeitge15 Die entsprechende Literatur wird auch am Ende der einzelnen Kapitel zu den jeweils dargestellten Ergebnissen nochmals in Bezug gebracht.
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schichte der Religion und der Geschlechtergeschichte in den USA dar. Und ein weiterer Unterschied zwischen Jenkins Ansatz im Vergleich zur vorliegenden Arbeit muss betont werden: Jenkins nimmt die performative Kraft der visuellen Kultur und den diskursiven Wandel der Öffentlichkeit nicht als Problem wahr. Wenn auch an vielen Stellen sehr durchdacht, beschreibt Jenkins um den Wendepunkt 1975 doch eine politische US-Kultur, ohne deren spezifische Modalitäten innerhalb des Medienwandels einzubeziehen. Stattdessen durchzieht eine obskure Krisenwahrnehmung das Buch vom Titel bis in die Darstellungen in den Kapiteln.16 Eine übergreifende Synthese der Frage nach Religion und Geschlecht für den Wandel der Jahrzehnte 1970er und 1980er Jahre fehlt. Die Beschäftigung mit der Christlichen Rechten beginnt in der intellektuellen Landschaft der Vereinigten Staaten bereits kurz nach dem Auftauchen der Bewegung zu Beginn der 1980er Jahre. Unter dem Oberbegriff „New Religious Right“ wird je nach Fokus in der Regel eine unterschiedliche Mischung von katholischen, jüdischen und evangelikalen Kräften subsumiert. Da in diesem Projekt das Augenmerk auf der evangelikalen Bewegung liegt, weil über diese Richtung am nachhaltigsten die mediale Kultur im Zuge der jüngsten Zeitgeschichte transformiert wurde, wird im Folgenden hauptsächlich Literatur betrachtet, die Evangelikale in der politischen Landschaft fokussiert. Schon 1980 veröffentlichte George M. Marsden eine Historisierung der Bewegung in „Fundamentalism and American Culture“ und beschrieb darin die Vorläufer der Neuen Christlichen Rechten an der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert.17 Manche der frühen Auseinandersetzungen mit der Bewegung in den 1980er Jahren sind auch als Quellen zu lesen, in denen sich die ablehnende Position vieler liberaler US-Wissenschaftler/innen und Journalist/inn/en gegenüber der evangelikalen Bewegung spiegelt.18 Mit der Untersuchungskategorie Gender arbeitet ein von Margarete Bendroth 1993 zum Fundamentalismus in den Vereinigten Staaten veröffentlichtes Buch.19 In ihrer Historisierung fällt allerdings Geschlechtszuschreibung mit dem Subjekt Frau 16 Jenkins, Philip, Decade of Nightmares. The End of the Sixties and the Making of the Eighties America, Oxford 2006. 17 Marsden, George M., Fundamentalism and American Culture: The Shaping of TwentiethCentury Evangelicalism 1870-1925, New York 1980. 18 Carol Flake beschrieb 1984 den Weg, über den sich das Revival der Religion in die USPolitik aufmachte. Flake, Carol, Redemptorama. Culture, Politics, and the New Evangelicalism, New York 1984. Jeffrey Hadden war einer der ersten, der die New Christian Right auch unter dem Aspekt ihrer Fernsehperformanz systematisch betrachtete. Hadden, Jeffrey K., Religious Broadcasting and the Mobilization of the New Christian Right, in: Journal for the Scientific Study of Religion, Vol. 26, No. 1 (Mar., 1987), S. 1-24. 19 Bendroth, Margaret Lamberts, Fundamentalism and Gender: 1875 to the Present, New Haven 1993.
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zusammen. Die weiteren Arbeiten, die im Verlauf der 1990er Jahre zur politischen Wirkung der Religiösen Rechten erschienen sind, waren vor allem geprägt von einer Interpretationslinie, in der politische Religion und insbesondere auch die evangelikale Bewegung nach einem Anschwellen ihres Einflusses durch Skandale und öffentliche Kritik in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre bereits wieder an Einfluss verloren hätten.20 Auch der Soziologe William Martin argumentiert in seiner Studie von 1997 ähnlich wie die meisten Autor/inn/en zum Thema in den 1990er Jahren, die Christliche Rechte sei in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre überraschend aufgetaucht und habe bereits im Verlauf der 1980er Jahre ihre politische Relevanz wieder eingebüßt.21 Die meisten Arbeiten, die in den 1990er Jahren zur Christlichen Rechten verfasst wurden, kamen aus den Sozialwissenschaften, bzw. waren von Politolog/inn/en verfasst worden.22 Daher vollzogen sie in aller Regel keine Historisierung der 1970er und 1980er Jahre, sondern begnügten sich, was die historische Dimension anbelangt, mit Rückgriffen auf eine Vorgeschichte der Neuen Christlichen Rechten, wie sie Marsden bereits 1980 geschildert hatte. Danach hatte die „New Christian Right“ in der „Old Religious Right“ ihre Vorläuferbewegung, die nach dem „Dayton Monkey Trial“ von 1925 für gut 50 Jahre in der Versenkung der Südstaaten verschwunden war, bevor eine evangelikale Rechte in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre wieder auftauchte.23 Aus kulturwissenschaftlicher Perspektive sind für die 1990er Jahre die Arbeiten von Stewart Hoover hervorzuheben. Zwar wird auch in Hoovers Forschungsprojekten und Texten die Christliche Rechte nicht ein-
20 Clyde Wilcox ist einer der meistzitierten Vertreter dieser Richtung. Er veröffentlichte 1996 erstmals „Onward Christian Soldiers?“, das mittlerweile in der vierten Auflage erschienen ist. Wilcox, Clyde, Onward Christian Soldiers: The Religious Right in American Politics, Boulder 1996. 21 Martin, William, With God on our Side. The Rise of the Religious Right, New York 1997. 22 In der deutschsprachigen Politologie untersuchte Martin Sterr die Bewegung als „Lobbyisten Gottes“ mit Gewichtung auf ihre Institutionalisierungen. Sterr, Martin, Lobbyisten Gottes. Die Christian Right in den USA von 1980 bis 1996, Berlin 1999. 23 Vgl. zur Historisierung von Religion in den USA insgesamt: Jewett, Robert / Wangerin, Ole, Mission und Verführung. Amerikas religiöser Weg in vier Jahrhunderten, Göttingen 2008; Und für die Geschichte des Evangelikalismus im Speziellen: Hochgeschwender, Michael, Amerikanische Religion. Evangelikalismus, Pfingstlertum und Fundamentalismus, Frankfurt a./M. / Leipzig 2007; für die Zeitgeschichte: Balbier, Uta Andrea: „Sag: Wie hast Du's mit der Religion?“ Das Verhältnis von Religion und Politik als Gretchenfrage der Zeitgeschichte, in: H-Soz-u-Kult, 10.11.2009, .
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gehend historisiert, aber dafür ist die mediale Dimension religiöser Bewegungen analytisch durchdacht.24 Das wichtigste Werk, das immer noch als kritische Inspiration für die Einordnung der Christlichen Rechten in vielerlei Hinsicht gelten kann, ist in den Arbeiten der Soziologin Sara Diamond zu finden. In ihren Texten wird die Medienlandschaft nicht als bloßes Supplement des politischen Wirkens der religiösen Bewegung oder gar als Quell „hysterischer Verzerrung“ eines ansonsten legitimen Bedürfnisses nach Religion in der Politik behandelt. Vielmehr gelten Diamond die Medien als Phänomen, über das Realität konstituiert wird. Zwar setzt sie auch in ihrem bekanntesten Buch von 1998 „Not by Politics Alone: The Enduring Influence of the Christian Right“ nach ein paar Vorbemerkungen zu den 1970er Jahren hauptsächlich in den 1980er Jahren an, aber für diese Dekade richtet sie das Augenmerk konsequent auf die Presselandschaft und den medialen Apparat der christlichen Bewegung.25 Sie stellt immer wieder die Frage nach Geschlechterpolitik, Sexualität und Macht, was im Grunde alle vier ihrer Bücher, die sie zwischen 1989 und 1998 zum Thema verfasst hat, interessant und anschlussfähig für diese Arbeit macht.26 Nachdem Sara Diamond sich mit dem Abschluss der Arbeit an „Not by Politics Alone“ aus der sozialwissenschaftlichen Forschung zur rechtsreligiösen Bewegung zurückgezogen hatte, erschien kurze Zeit darauf eine noch genauere Inspektion, ein ethnografischer Blick hinter die Kulissen der evangelikalen Macht im Jahr 2000: „Preachers, who are the nodes, the transformers, in the religion knowledge networks that articulate fundamentalist communities, are thus pivotal figures in moments of dramatic transformation.“27 So beschreibt Susan Harding das Wirken der Prediger auf der politischen Bühne. Ausgehend von der Persönlichkeit des Pastors Jerry Falwell vollzieht Harding in „The Book of Jerry Falwell“ die politischen Wellen nach, die der mediale Komplex geschlagen hat, den er um seine baptistische Kirche in Lynchburg ab den 1970er Jahren aufgebaut hat. Harding schreibt an an-
24 Vgl. Hoover, Stewart M. / Lundby, Knut (Hg.), Rethinking Media, Religion, and Culture, Thousand Oaks 1997. 25 Diamond, Sara, Not by Politics Alone: The Enduring Influence of the Christian Right, New York 1998. 26 Diamond, Sara, Spiritual Warfare: The Politics of the Christian Right, Boston 1989; Diamond, Sara, Roads to Dominion: Right-Wing Movements and Political Power in the United States, New York. 1995; Diamond, Sara, Facing the Wrath: Confronting the Right in Dangerous Times, Monroe 1996; Diamond, Sara, Not by Politics Alone. The Enduring Influence of the Christian Right, New York 1998. 27 Harding, Susan, The Book of Jerry Falwell. Fundamentalist Language and Politics, Princeton 2000, S. 12.
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derer Stelle: „Preachers and their people are third testament, the authors of always unfolding chapters and verses.“28 Zwischen 2000 und 2010 ist eine ganze Reihe an Titeln erschienen, die sich mit der Christlichen Rechten beschäftigen.29 Eines der jüngsten Bücher zum Thema stammt vom Politologen Jon A. Shields, welcher der evangelikalen Bewegung die Kraft zuschreibt, die „deliberative Demokratie“ in den USA befördert zu haben.30 Mediengeschichtliche Zusammenhänge bleiben bei Shields jedoch weitgehend ausgeklammert. Ihm gilt die Berichterstattung in den Medien als übertrieben polarisierend, und er meint, die Führer der religiösen Bewegung hätten weit integrativer gewirkt, als dies durch die Berichterstattung dargestellt worden sei. In Shields Buch, das gewissermaßen durch „teilnehmende Beobachtung“ erarbeitet wurde, bleiben auch Geschlecht, Sexualität, „Rasse“, Männlichkeit und andere Kategorien der Vermachtung weitgehend unberührt. Zumindest in Bezug auf Geschlechterachse und Sexualität gilt dies nicht für das wohl kompletteste Werk jüngeren Datums zur Christlichen Rechten, das 2010 erschienen ist. Daniel Williams historisiert in „God’s Own Party: The Making of the Christian Right“ die Christliche Rechte und wirft neue Perspektiven auf die Geschichte der Bewegung im 20. Jahrhundert. Er beschreibt sie dabei als eine Bewegung, die nie gänzlich verschwunden war. Für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts ist seine Darstellung eindrucksvoll. Er konzentriert sich auf die Vorläufer der Neuen Christlichen Rechten, die Ende der 1970er Jahre im nationalen Mediensystem evident wurde, blendet aber Themen aus, die nicht unmittelbar mit der politischen Religionsbewegung zusammenhängen. Doch anders als in vielen Arbeiten seitens der oben genannten Sozialwissenschaftler/innen, liegt Williams Schwerpunkt auf der Historisierung der Bewegung im Verlauf des 20. Jahrhunderts. Erst im letzten Drittel des Buchs gelangt er zu den 1980er Jahren.31 Die bisherigen theoretischen Versuche, Religion und Geschlecht zusammen zu denken, sind für die Zeitgeschichtsschreibung in Bezug auf die USA nicht problem-
28 Harding, Susan, The Book of Jerry Falwell. Fundamentalist Language and Politics, Princeton 2000, S. 28. 29 McGirr, Lisa, Suburban Warriors: The Origins of the New American Right, Princeton, 2001; Toplin, Robert Brent, Radical Conservatism: The Right’s Political Religion, Lawrence 2006. 30 Vgl. kritisch dazu und zum Begriff der „deliberativen Demokratie“: Felix Krämer: Rezension zu: Shields, Jon A.: Democratic Virtues of the Christian Right. Princeton 2009, in: H-Soz-u-Kult, 22.06.2009, . 31 Williams, Daniel K., God’s Own Party: The Making of the Christian Right, Oxford / New York 2010.
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los zu übertragen.32 Neben einer lesenswerten zeithistorischen Studie aus Perspektive einer ERA-Aktivistin widmen sich weitere Arbeiten in den vergangenen Jahren der Verbindung polit-religiöser Bewegungen aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive.33 Zum einen erschien 2005 ein Buch über Phyllis Schlafly, das auf die Person der prominenten Frau der Bewegung konzentriert ist und sich schon vom Ansatz nicht um die Spannweite einer intersektionalen Geschlechterforschung bemüht.34 Ein weiteres Buch, das mit der Analysekategorie Geschlecht arbeitete, erschien ein Jahr später unter dem Titel „Republican Women: Feminism and Conservatism from Suffrage through the Rise of the New Right“, worin Catherine Rymph historische Zusammenhänge herleitet, um die Rolle von Geschlechterverhältnissen in der Neuen Rechten zu bezeichnen.35 Blickt man auf konzeptionelle Arbeiten, dann fällt Benjamin Ziemanns „Sozialgeschichte der Religion“ ins Auge. Er hat sich in seinem einführenden Band auch mit unterschiedlichen Medienbegriffen, sowie ausführlich mit Geschlecht als Untersuchungskategorie befasst.36 In einer Synthese der beiden Bereiche in Bezug auf die Zeitgeschichte der USA beschreibt er die Entwicklung des politischen Predigers der 1980er Jahre aus dem Wirken Billy Grahams heraus: „Die evangelikalen crusades von Billy Graham sind nicht nur ein anschauliches Beispiel für die systematische Verwendung der neuen elektronischen Medien des 20. Jahrhunderts in der religiösen Kommunikation. Der Baptistenprediger war zugleich ein wichtiger Bezugspunkt, ein „Vorbild“ für eine neue Generation von Evangelisten, die ihre Fernsehauftritte seit etwa 32 Pezzoli-Olgiati, Daria, Einführung, in: Höpfinger, Anna-Katharina / Jeffers, Ann / Pezzoli-Olgiati, Daria (Hg.), Handbuch Gender und Religion, Göttingen 2008, S. 11-19. In der Religionssoziologie gibt es seit längerem Versuche einer Synthese der Analysekategorien, indem Texte von Max Weber und Niklas Luhmann sowie Mary Douglas einbezogen werden – vgl.: Wohlrab-Sahr, Monika / Rosenstock, Julika, Religion – soziale Ordnung – Geschlechterordnung. Zur Bedeutung der Unterscheidung von Reinheit und Unreinheit im religiösen Kontext, in Lukatis, Ingrid / Sommer, Regina / Wolf, Christof (Hg.), Religion und Geschlechterverhältnis, Opladen 2000, S. 279-298. Vgl. Für den Raum der englischsprachigen Soziologie: Woodhead, Linda, Gender Differences in Religious Practice and Signifiance, in: Beckford, James A. / Demerath, N.J. (Hg.), The Sage Handbook of the Sociology of Religion. London 2007, S. 566-586. 33 Brown, Ruth Murray, For a Christian America: A History of the Religious Right, New York 2002. 34 Critchlow, Donald T., Phyllis Schlafly and Grassroots Conservatism: A Woman’s Crusade, Princeton 2005. 35 Rymph, Catherine, Republican Women: Feminism and Conservatism from Suffrage through the Rise of the New Right, Chapel Hill 2006. 36 Ziemann, Benjamin, Sozialgeschichte der Religion, Frankfurt/M. 2009, S. 112-130f.
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1980 systematisch für die Formierung einer neuen religiösen Rechten benutzten. […] Sie politisierten die Reformulierung des religiösen Codes, die Graham mit der moralischen Dichotomie von Sünde und Erlösung begonnen hatte.“37
Ohne dabei die mediale Dimension systematisch einzubeziehen, die im Unterkapitel zu „Medien religiöser Kommunikation“ zuvor beschrieben ist, wird hier in Bezug auf das Wirken evangelikaler Prediger in der Geschlechter- und Sexualitätspolitik gefolgert, dass „die Neofundamentalisten“ der 1980er Jahre in Ableitung der Graham’schen Dichotomie von Gut und Böse ihre „hysterischen Polemiken nunmehr vor allem gegen den angeblichen Verfall von Familienwerten, gegen die Liberalisierung des Abtreibungsrechts und gegen Pornographie“ richteten.38 Nach Ziemann stellt die „neofundamentalistische Reformulierung des religiösen Codes“ eine Reaktion auf die Veränderungen „in den (religiösen) Geschlechterrollen“ seit den 1960er Jahren dar.39 Neben dem Umstand, dass dieser Zusammenhang von Geschlechterordnung und politischem Evangelikalismus einen Ansatzpunkt dieser Arbeit darstellt, ist bemerkenswert, dass in solchen Passagen immer noch eine Interpretationslinie durchklingt, welche die oben beschriebenen Arbeiten zur Christlichen Rechten aus den 1990er Jahren prägte, worin die Akteure als irrational verworfen werden, anstatt die Bewegung in ihrer medialen und letztlich diskursiven Wirkmacht ernst zu nehmen.
37 Ziemann, Benjamin, Sozialgeschichte der Religion, Frankfurt/M. 2009, S. 149. 38 Zu Begriff „Fundamentalismus“ muss festgehalten werden, dass dieser in der vorliegenden Arbeit als Beschreibung einer Praxis verstanden wird, in der politische Argumentationsmuster mit Bildern und Narrativstrukturen alttestamentarischer Geschichten verwoben sind. Anders als beispielsweise bei Martin Riesebrodt wird in diesem Projekt nicht a priori davon ausgegangen, dass es sich bei dieser Diskursformationen um antimoderne Erscheinungen handelt – vgl. Riesebrodt, Martin, Die Rückkehr der Religionen: Fundamentalismus und der ‚Kampf der Kulturen‘, München 2000. Vielmehr wird die Verschränkung von Religion und Politik als eine Formation begriffen, in der Kämpfe um legitime oder verwerfliche Körper nicht die Ausnahme sondern die Regel darstellen. In der politischen Geschichte der Vereinigten Staaten ist dies evident und wurde von USHistoriker/inne/n auch nie so grundlegend in Frage gestellt, wie etwa die Säkularisierungsthese europäische Geschichtsdarstellungen strukturierte – vgl. Braun, Christina von / Gräb, Wilhelm / Zachhuber, Johannes, Säkularisierung. Bilanz und Perspektive einer umstrittenen These, Berlin 2007. In diesem Sinne sind die evangelikalen Fundamentalisten auf der politischen Bühne der USA der 1970er und 1980er Jahre nur ein Zweig – wenn auch ein sehr wirkmächtiger – in den Machtverhandlungen innerhalb der Moderne in den USA. 39 Ziemann, Benjamin, Sozialgeschichte der Religion, Frankfurt/M. 2009, S. 149.
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Die systematische Verbindung aus Geschlechterpolitik und Mediengeschichte ist in Bezug auf die Christliche Rechte immer noch ein Desiderat. Dagmar Herzog hat in verschiedenen Arbeiten anregend gezeigt, welche Verbindung zwischen Sexualität und der christlich-evangelikalen Bewegung in den USA auszumachen ist.40 Wie im Zuge der medialen Repräsentation der Evangelikalen auch Männlichkeitsvorstellungen zitiert und somit produktiv hervorgebracht wurden, ist ein Aspekt, den man in den Untersuchungen zur Neuen Christlichen Rechten dagegen bislang vergeblich sucht.41 Daher soll von diesem Punkt aus der Blick nun auf die Entwicklung der geschlechtergeschichtlichen Forschung mit Fokus auf zeitgeschichtliche Zusammenhänge in den USA gerichtet werden. Dabei wird vor allem der Umgang mit Männlichkeit als Analysekategorie in der Zeitgeschichtsschreibung kritisch reflektiert. Kann die Geschlechtergeschichte als Erfolgsgeschichte der Kritik bezeichnet werden?42 Neben Vertiefungen des Analyseinstrumentariums zu Intersektionalität, beispielsweise aus dem Bereich der Queer Studies, wurden entscheidende Diskussionen für die Kulturgeschichtsschreibung bereits in den 1990er Jahren geführt.43 Beeinflusst von Foucaults Genealogie der Sexualität und feministischer Kritik hatte die Geschlechterforschung die Vergeschlechtlichung des Sozialen in der Moderne bereits zuvor aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet.44 Mit dem Begriff der In40 Herzog, Dagmar, Sex in Crisis: The New Sexual Revolution and the Future of American Politics, New York 2008. 41 Zu Männlichkeiten und intersektionalen Verzahnungen im Kontext mit der Christlichen Rechten existiert bislang keine Studie. Erst allmählich rücken Männlichkeiten in mediengeschichtlicher Reflexion in die Tagungsprogramme kulturwissenschaftlicher Veranstaltungen zu Religion ein. Auf der 7th International Conference on Media, Religion and Culture, die in Toronto an der Ryerson University vom 9. - 13. August 2010 stattfand, gab es gerade ein Panel zu Männlichkeiten. Neben einer Tagung zu „Religions and Masculinities en las Américas“ in Münster, fand in Jena eine Konferenz mit dem Titel „Religion und Männlichkeit in der Moderne. Neue interdisziplinäre und transnationale Forschungsperspektiven (18. bis 20. Jahrhundert)“ vom 14.09.2011 bis 16.09.2011 statt. 42 Opitz-Belakhal, Claudia, Geschlechtergeschichte, Frankfurt/M. 2010. 43 AG Queer Studies (Hg.), Verqueerte Verhältnisse: Intersektionale, ökonomiekritische und strategische Interventionen, Hamburg 2009; Martschukat, Jürgen / Stieglitz, Olaf, Geschichte der Männlichkeiten, Frankfurt/M. 2008. 44 Einen breit gefächerten Überblick bezüglich gegenwärtiger Perspektiven auf Gender- und Queer-Forschung bietet u.a.: Hark, Sabine (Hg.), Dis/Kontinuitäten. Feministische Theorie, Wiesbaden 2001; zudem: Hark, Sabine, Dissidente Partizipation. Eine Diskursgeschichte des Feminismus, Frankfurt/M. 2005; Vgl. auβerdem: Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit, Bd.1, Frankfurt/M. 1983, v.a. Einleitung S. 920; Scott, Joan W.: Gender and the Politics of History, New York 1988.
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tersektionalität wurde dann auf die gegenseitige Überlagerung der Identitätsachsen „Rasse“, Klasse und Geschlecht in soziokulturellen Ordnungen hingewiesen.45 Die Erkenntnis, dass Geschlechterverhältnisse nicht von eindeutigen Gegensätzen bestimmt werden, sondern in mehrfach relationalen Geflechten situiert sind, war die Voraussetzung für diese Entwicklung und lenkte den Blick auch auf die Differenzierungslinien innerhalb von Männlichkeiten.46 Judith Butler und andere haben die Konstruktionsbedingungen des heteronormativen Zweigeschlechtersystems aus verschiedenen Blickwinkeln hinterfragt.47 Für die Zeitgeschichte der USA bleibt die Frage offen, wie sich Geschlechterverhältnisse immer wieder reproduzieren und welche Rollen dabei Männlichkeit und der Begriff der Krise spielen. Von Susan Faludis Diagnose eines „Backlash“, den „die Männerwelt“ – laut ihrem Buch von 1991 – in den 1980er Jahren gegen die Errungenschaften des Feminismus geführt hat, bis zu ihrer Hinwendung zur Perspektive eben jener Männer als Vertreter des eigentlich „betrogenen Geschlechts“ im Jahr 1999, führt die Journalistin eine populäre Linie innerhalb der Geschlechterforschung.48 Sie arbeitet nicht mit dem Konzept der Intersektionalität, sowie ohne die Wahrnehmung von Performativität der Geschlechterzuweisungen und bleibt deshalb weitgehend dem dichotomen Modell verhaftet. Für Faludi sind die Streiter der Christlichen Rechten zunächst in ihrem Backlash-Buch ein Teil jener zurückschlagenden Männerschaft, ein knappes Jahrzehnt später sieht sie Män45 Unter anderen nachdrücklich von bell hooks. Vgl. bell hooks, Yearning: Race, Gender, and Cultural Politics, Boston 1990. Der Begriff Intersektionalität wurde von der Juristin Kimberlé Crenshaw 1989 für den beschriebenen Zusammenhang geprägt und steht gewissermaßen inhaltlich wie formal am Beginn der Dekade der „culture wars“. Vgl. zu den Problemen einer historiografischen Operationalisierung des Begriffes: Olaf Stieglitz: Rezension zu: Winker, Gabriele / Degele, Nina, Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten. Bielefeld 2009, in: H-Soz-u-Kult, 30.10.2009, , besucht am 23.4.2012, um 12.28 Uhr; zudem Haschemi Yekani, Elahe u.a., „Where, When and How? Contextualizing Intersectionality“, in, Golańska, Dorota / Rozalska, Aleksandra (Hg.), New Subjectivities: Negotiating Citizenship in the Context of Migration and Diversity, Lódź 2008, S. 19-47. 46 Raewyn Connell hat in den 1990er Jahren gezeigt, dass von mehreren unterschiedlichen Männlichkeiten auszugehen ist und die verschiedenen Männlichkeitsmodelle in den westlichen Gesellschaften hierarchisch angeordnet sind. Connell, Robert William: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, Wiesbaden 2006, u.a. S. 176. 47 Butler, Judith, Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity, New York 1990; Butler, Judith, Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, Frankfurt/M. 1995. 48 Faludi, Susan, Backlash: The Undeclared War Against American Women, New York 1991; Faludi, Susan, Stiffed: The Betrayal of the American Man, New York 1999.
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ner als Opfer einer verkrusteten Geschlechterordnung. Schon auf den ersten Blick ist erkennbar, dass Faludis Werk für eine Diskursanalyse nicht anschlussfähig ist. Tritt man einen Schritt zurück und betrachtet ihre beiden Bücher zur Geschlechterordnung in den USA noch einmal innerhalb der Forschungslandschaft, dann wird ersichtlich, dass ihre beiden Werke sich über eine Forschungsentwicklung spannen lassen, die sich im Verlaufe der 1990er Jahre auf Männlichkeiten zubewegt hat. Faludi ist den Weg von einer Kritik an Maskulinität hin zur Konstruktion eines Opfermannes innerhalb eines populären Teils der Geschlechterstudien mitgegangen. Dieser allgemeine Trend ist ein Problem innerhalb der Männlichkeits-Studien, der bereits von verschiedenen Seiten zum Gegenstand von Kritik geworden ist.49 Andererseits sind es die kritischen Männlichkeiten-Geschichten, die in den 1990er Jahren teils verdienstvoll Männlichkeit in die Analyse der Zeitgeschichte einbezogen haben. Die Studien erfüllen also nicht etwa nur ein Begehr jener Männerbewegung, die in der zweiten Hälfte der 1970er Jahren bereits damit begonnen hatte, Männerrechte und gesellschaftliche Aufmerksamkeit einzuklagen.50 Und doch schrieben manche Arbeiten an einer Rezentrierung einer bestimmten Männlichkeitskonzeption mit und waren Teil einer Fokusverschiebung innerhalb der Geschlechtergeschichte. Die entscheidende Frage ist, ob ausreichend zwischen der gegenwärtigen Krisenwahrnehmung und wirkmächtiger Zuweisung einer Krise der Männlichkeit differenziert wird. Daher stellt „Krise“ einen Schlüsselbegriff in der Auseinandersetzung mit dem Ansatz einer Geschlechtergeschichte dar. Wovon in dieser Arbeit ausgegangen wird und was auch die Quellenanalyse belegt: Ein Krisenszenario um die hegemoniale US-Männlichkeit wurde Mitte der 1970er Jahre medial in Stellung gebracht. Diese Formation war in diesem zeitspezifischen Kontext als historisches Relais aufgetaucht. Weil es für die vorliegende Arbeit ein entscheidender konzeptioneller, inhaltlicher wie theoretisch relevanter Punkt ist, soll dieses Problem im Folgenden ausführlicher betrachtet und Krise als Leitfaden der Zeitgeschichtsschreibung in Bezug auf hegemoniale Männlichkeit eingehend an verschiedenen Texten reflektiert werden. Mit Connells Arbeiten, die 1995 unter dem Titel „Masculinities“ Bekanntheit erlangten, kam die Verbindung von Männlichkeit und Krise in den analytischen Fokus, im selben Moment, als es zu einer Ausdifferenzierung, zu einem Plural in der Bezeichnung jener Identitätsgruppe kam. „Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten“ lautet der Titel der deutschsprachigen Ausgabe von
49 Traister, Bryce, Academic Viagra. The Rise of American Masculinity Studies, in: American Quaterly 52, 2 (2000), S. 274-304. 50 Martschukat, Jürgen / Stieglitz, Olaf, Geschichte der Männlichkeiten, Frankfurt/M. 2008, S. 77ff.
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1999.51 Connell argumentiert bei der Beschreibung verschiedener Männlichkeitskonzeptionen in ihrer sozialwissenschaftlichen Untersuchung auch historisch, was besonders in Rückgriffen auf das 19. Jahrhundert in den Erklärungen aktueller Geschlechterfigurationen deutlich wird.52 Allerdings historisiert sie die Krise nicht konsequent und geht einerseits von Krisensemantiken aus, die Männlichkeit herstellen sowie andererseits von einer echten Krise, die in ihren Arbeiten aus den 1990er Jahren das ganze Geschlechtersystem betrifft. Über die Zeitgeschichte hinaus kommt der Rede von einer „Krise der Männlichkeit“ eine entscheidende Rolle in der Konzeption von Geschlechtergeschichte zu. So widmete sich auch ein Themenheft der Zeitschrift „L’Homme“ jener umstrittenen Figur in unterschiedlichen Zeiträumen und aus unterschiedlichen Perspektiven kritisch.53 Für Arbeiten auf dem interdisziplinären Forschungsfeld der Männlichkeiten-Studien ist es eine entscheidende Frage, ob eine „wahrhafte“ Krise der Männlichkeit im Zuge einer Analyseprozedur für genau jenes Ideal, das Connell als hegemonial markiert hat, in die Geschichte eingeschrieben wird, oder ob die Krisenrede als eine von Macht durchdrungene, produktive Performanz einer umkämpften Geschlechterordnung begriffen wird. Als Gegenbeispiel zu einer machtanalytischen Einordnung der historischen Formation soll an dieser Stelle eines der meist rezipierten Werke zur Männlichkeitsgeschichte der USA genauer betrachtet werden. Michael Kimmels „Manhood in America“ erschien 1996. Kimmel ging von einer „Contemporary ‚Crisis‘ of Masculinity“ aus, was einen Hinweis auf sein Erkenntnisinteresse am Schreiben einer Kulturgeschichte der Männlichkeit in den USA gibt.54 Kimmel schöpft aus einer reichhaltigen Bandbreite an Textsorten bei der Rekonstruktion des dominanten Männlichkeitsbildes auf dem Weg in die angebliche Krise der 1980er Jahre. Von Literatur, Lifestyle-Magazinen und Filmen über politische Äußerungen bis hin zur Kontextualisierung wissenschaftlicher und pseudowissenschaftlicher Schriften bietet „Manhood in America“ einen breiten Einblick in die zeitspezifische Konstrukti51 Connell, Robert William, Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, Wiesbaden 2006. Vgl. außerdem: Connell, Robert William, The Big Picture. Formen der Männlichkeit in der neueren Weltgeschichte, in: Widersprüche 15 (1995), S. 23-45. Vgl. zur aktuellen Debatte um hegemoniale Männlichkeit und Krise bei Connell: Meuser, Michael, Geschlecht, Macht, Männlichkeit – Strukturwandel von Erwerbsarbeit und hegemonialer Männlichkeit, in: Erwägen, Wissen, Ethik, 21 (2010) H. 3, S. 335-336, sowie die folgenden Auseinandersetzungen mit Meusers Darstellung im selben Heft S. 336ff. 52 Connell, Robert William, Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, Wiesbaden 2006, S. 105. 53 Hämmerle, Christa / Opitz-Belakhal, Claudia, Krise(n) der Männlichkeit, L’Homme 19 (2008) H. 2. 54 Kimmel, Michael S., Manhood in America. A Cultural History, New York 1996, S. 261.
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on der hegemonialen Männlichkeit. Gerade in der Fokussierung des Buches auf eine realexistierende Krise und dominante Männlichkeit liegt ein Quell der Kritik. Eine solche Kritik formuliert vor allem Sally Robinson in ihrem Buch „Marked Men. White Masculinity in Crisis“, das 2000 erschien.55 Ihre Studie darüber, wann und in welchem Gewande weiße Männlichkeit sich in die Krise einschreibt, öffnet den Blick auf den Machtmechanismus, der sich hinter der Krisenanrufung verbirgt. Viktimisierung und Masochismus seitens des dominanten Geschlechtermodells sind demnach keine Spielarten harmloser Selbstbespiegelung, sondern knallharte Strategien im Kampf um kulturellen Anspruch und Deutungshoheit. Robinson weist in „Marked Men“ auf eine Doppelbewegung innerhalb des Prozesses der Markierung hin. Die Markierung der hegemonialen Männlichkeit in den 1970er Jahren macht diese zu einer Differenzkategorie, die nun scheinbar auf Augenhöhe mit den anderen Geschlechtsidentifikationen ausgehandelt werden musste. Im selben Moment wird aber die Krisenhaftigkeit des Entwurfs proklamiert, was die hegemoniale Männlichkeit zurück ins Zentrum des Interesses rückt. Robinson fragt: „Why is it that when dominant masculinity becomes visible, it becomes visible as wounded?“56 Die Strategie der Viktimisierung trägt dafür Sorge, dass der Aushandlungsprozess um kulturelle Teilhabe bzw. Vorherrschaft, der möglicherweise durch eine „krisenfreie“ Markierung gegeben wäre, schon im Moment seiner Hervorbringung zu Gunsten des hegemonialen Modells entschieden ist.57 Das wiederum scheint so zu sein, solange im Schreiben über die Krise der Männlichkeit von einer „realen Krise“ der hegemonialen Männlichkeit ausgegangen wird. Robinsons Kritik an Kimmels Ansatz wendet sich folgerichtig auch gegen die unreflektierte Übernahme einer normativen Männlichkeit als Leitfaden der Kultur- bzw. Zeitgeschichte. Mit Robinson gesprochen, handelt es sich um eine scheinbare Markierung, die gleichzeitig das ins Zentrum des Interesses rückt, was sie zu dezentrieren vorgibt. Zwar macht Kimmel in der Einleitung zu „Manhood in America“ darauf aufmerksam, dass sich sein Buch nur mit einer Version von Männlichkeit beschäftigt, nämlich mit der dominanten, Robinson kritisiert jedoch daran gerade, dass Kimmel auf diese Weise die Vorstellung einer ganz selbstverständlich im Zentrum der geschichtlichen Betrachtung stehenden Norm impliziere.58 Sie merkt an: „his language [...] unwittingly works to unmark white masculinity.“59
55 Robinson, Sally, Marked Men. White Masculinity in Crisis, New York 2000, S. 193. 56 Ebd., S. 12. 57 Ebd., S. 13. 58 Kimmel, Michael S., Manhood in America. A Cultural History, New York, S. 6. 59 Robinson, Sally, Marked Men. White Masculinity in Crisis, New York 2000, S. 193 – Zitat Robinson: „Kimmel points out, that some men „seek to reclaim the proving ground
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Weitere Verknüpfungen von Männlichkeitskrise mit den jüngeren kulturellen Verhandlungen bietet Sabine Sielke in ihrem Aufsatz „Crisis, What Crisis?“.60 Unter Bezugnahme auf Robinson und anhand von Beispielen aus Europa und den USA zeigt Sielke, wie die Rede von einer Krise dem westlich-männlichen Subjekt als Instrument einer Selbstvergewisserung, als strategische Positionierung der weißen, westlichen Männlichkeit im globalen Kontext dient. Die Krise des dominanten Männlichkeitsmodells wird gegen die Geschlechter- und Rassismuskritik des Poststrukturalismus in Stellung gebracht. Ein weiteres Krisenszenario um die weiße heterosexuelle Mittelklasse-Männlichkeit aus den späten 1990er Jahren hat Ines Kappert in Literatur und Film ausgemacht. Ihr Buch „Der Mann in der Krise“ von 2008 zeigt, dass sich die Rede von einer Krise des hegemonialen Modells als Machtstrategie in verschiedenen medialen Wellen immer wieder in Szene brachte.61 In der vorliegenden Arbeit wird davon ausgegangen, dass dieses Krisenszenario Mitte der 1970er Jahre „erfunden“ und über das Dispositiv Männlichkeit in einem hegemonialisierenden Prozess mit der Ordnung der 1980er Jahre in den Vereinigten Staaten verbunden wurde. Aus den beschriebenen Forschungserträgen und Diskussionen ergibt sich ein Arbeitsauftrag: Die Verschiebung zwischen 1970er und 1980er Jahren ist als historisches Machtarrangement zu analysieren, in dem die beiden Stränge kritisch zusammen gedacht werden müssen. Der Forschungsstand zur Christlichen Rechten und die relevante Literatur zum Topos einer Männlichkeitskrise müssen verbunden und an historischem Quellenmaterial neu durchgearbeitet werden. In der Figur der moral leadership liefen Geschlecht und Religion in der Zeitgeschichte der USA zusammen. Es ist das Desiderat der Analyse der Fernsehlandschaft, anhand dessen dieser Januskopf im vorliegenden Projekt entdeckt wurde. Insbesondere die Fernsehnachrichten zeigen sich in dem Feld als unerschlossene Quelle, über die sich die Zusammenhänge der Entwicklung einer moral leadership zwischen 1969 und 1989 from the interlopers–like blacks, gays and women“ (298). The „interlopers“ are racially (and sexually) marked, but the seekers are not“. 60 Sielke, Sabine, ‘Crisis, What Crisis?’ Männlichkeit, Körper und Transdisziplinarität, in: Martschukat, Jürgen / Stieglitz, Olaf (Hg.), Väter, Soldaten, Liebhaber, Männer und Männlichkeiten in der Geschichte Nordamerikas. Ein Reader, Bielefeld 2007, S. 43-61. 61 Felix Krämer: Rezension zu: Kappert, Ines: Der Mann in der Krise. Oder: Kapitalismuskritik in der Mainstreamkultur. Bielefeld 2008, in: H-Soz-u-Kult, 24.03.2009, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-1-239, besucht am 23. April 2012, um 19.58 Uhr. Eine weitere Arbeit, die aus historischer Perspektive hegemonialen Männlichkeitskonstruktionen anhand von Filmquellen nachspürt ist Uta Fenskes Untersuchung „Mannsbilder“, die zeigt, dass die Beschäftigung mit Filmen auch für historische Untersuchungen durchaus fruchtbar zu machen ist. Vgl. Fenske, Uta, Mannsbilder. Eine geschlechterhistorische Betrachtung von Hollywoodfilmen 1946-1960, Bielefeld 2008.
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diskursanalytisch herausarbeiten ließen. Wie das in der quellenanalytischen Arbeit an diesem Projekt erfolgte, wird nun genauer beschrieben. * Jede historische Diskursanalyse muss sich in spezifischer Weise ihrem Untersuchungsmaterial zuwenden und diesen Umgang mit den Quellen methodisch reflektieren. Da in Fernsehbeiträgen Symbole und Narrative auch über Bilder und akustische Akzente vermittelt werden, wurden die laufenden Bilder innerhalb dieser Arbeit als „visualisierter Kommentar“ begriffen. Durch ein „Stillstellen“ der Bilder konnte in der Auswertung der Berichtsfilme aus den Fernsehnachrichten die visuelle Dimension mit erfasst werden. Die unterschiedlichen Äußerungen – visuelle, lautsprachliche und textuelle – wurden in Aussage-Systeme zusammengeführt und als Diskurse beschrieben.62 Das sichtbare Setting im Fernsehstudio oder die Aufnahmen von Predigten und Reden wurden auf diese Weise in Text übertragbar. Bis auf einige wenige Beispiele, die exemplarisch einen Eindruck von den jeweiligen Bildpolitiken geben sollen, stellen Bildbesprechungen keinen wesentlichen Teil des analytischen Rahmens dieser Arbeit dar. Narrative Beschreibungen verknüpfen Äußerungen mit Bildinterpretation. Auf diese Weise führt eine historische Diskursanalyse durch die politische Szenerie „des Sicht- und Hörbaren“ in den 1970er und 1980er Jahren.63 Die Nachrichtensendungen von ABC, CBS und NBC zwischen 1969 und 1989 wurden in zwei Schritten anhand einer Begriffsrecherche analysiert. Das „Vanderbilt Television News Archive“ bot die Möglichkeit eines exakten Zugriffs auf alle TV-Nachrichtenbeiträge, da für den Zeitabschnitt von 1968 bis in die Gegenwart sämtliche Nachrichtenbeiträge in diesem online-Archiv durch eine Begriffssuche erfassbar sind.64 Am Bildschirm durchzuarbeiten waren die Sendungen in der 62 Ein solches Verfahren hat der Literaturwissenschaftler Moritz Baßler für den Umgang mit Medien vorgeschlagen. Vgl. Baßler, Moritz, Was nicht ins Archiv kommt. Zur Analysierbarkeit kultureller Selektion, in: Tyradellis, Daniel, Wolf, Burkhardt (Hg.), Die Szene der Gewalt. Bilder, Codes und Materialitäten, Frankfurt 2007, S. 61-75. Unter anderem hat Moritz Baßler die Idee bei der abschließenden Podiumsdiskussion mit Stefanie Rüther und Siegfried J. Schmidt bei der Konferenz „Disziplinierung der Wahrnehmung in Mediengesellschaften von der Antike bis zur Gegenwart“ am 13. 11. 2010 am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ ausgeführt. 63 Die letzte Jahrestagung zur Historischen Diskursanalyse beschäftigte sich mit Bildern. Tagungsbericht Bilder in historischen Diskursen: 3. Internationale Tagung zur Historischen Diskursanalyse. 29.09.2011-01.10.2011, Wien, in: H-Soz-u-Kult, 01.12.2011, . 64 http://tvnews.vanderbilt.edu/, zuletzt besucht am 14.4.2012, um 16.52 Uhr.
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„Library of Congress“ in Washington, D.C., da dort die Sichtung der jeweiligen Berichte möglich ist. Nach einem ersten Durchlauf, in dem qualitativ Aussagestränge und diskursive Muster identifiziert worden waren, wurden die Recherchen weiter spezifiziert. Anschließend wurden auf Grundlage eines Rasters an Begriffen – unter anderen zum Beispiel: „abortion“, „crisis“, „disease“, „evil“ „evangelical“, „homosexuals“, „leadership“, „masculinity“, „moral values“, „sexuality“, „weakness“ – die Abendnachrichten der drei großen Fernsehsender nach einzelne Berichten durchforstet. Die einzelnen Berichte sind in der Regel zwischen 10 Sekunden bis etwa 7 Minuten lang. Es gibt auch Aufnahmen von längeren Live-Berichterstattungen oder andere längere Fernsehdokumentationen zu sehen. Auf Grundlage dieser Berichtsdokumentation konnte eine Topografie der politischen Nachrichten zwischen 1969 und 1989 entlang der Frage nach den Überschneidungen von Religion und Politik, Geschlechterordnung und Moral erstellt werden. In diesem Schritt wurden diejenigen Kontexte, in welchen die Begriffe auftraten, qualitativ verknüpft und die Begriffe identitätspolitischen Feldern zugeordnet. Auf dem Wege wurde die im Ergebnis dargestellte Genealogie entwickelt. Zusammenhänge bestanden beispielsweise zwischen Berichten über „Feminismus“, „Abtreibung“ und der Thematisierung von „Abortion“ innerhalb der evangelikalen Bewegung, zu jener Zeit in den 1970er Jahren als die Frage nach Schwangerschaftsabbrüchen zum politisch-moralischen Argument wurde. Um noch drei weitere Beispiele zu nennen: Es wurden Verknüpfungen zwischen männlicher Homosexualität und obskuren Mordfällen hergestellt, Verbindungen zwischen muslimischer Identität und politischen Gewaltakten oder zwischen weißen Ernährern und Krise.65 In dieser Untersuchungsphase kristallisierte sich auch der Begriff der moral leadership als entscheidende Schaltstelle heraus, da in ihm viele der Themen zusammenliefen. Moralische Führung wurde in den unterschiedlichsten Kontexten gefordert, von der Problematisierung des angeblichen „Austrocknens der Mittelschicht“ in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre über die Krisenbeschreibungen der Gesundheitsversorgung bis hin zur explizit politischen Berichterstattung über die Arbeit von Abgeordneten oder Spitzenpolitikern unter den Gesichtspunkten „Führungsstärke“ und „Moral“. Besonders eindrucksvoll trat die Figur des moral leader in der Fernsehberichterstattung zum Attentat auf Präsident Reagan 1981 auf den Plan. Die Analyse der medialen Performanz des Attentats wurde verarbeitet mit einem zweiten Quellenbestand, der durchgearbeitet wurde. Es handelt sich um den „Moral Majority Report“, der Ende 1979 zum ersten Mal erschienen war.66 Im Januar 1986 wurde das Bulletin in „Liberty Report“ umbenannt, bevor das Erscheinen 65 In der Darstellung innerhalb der Kapitel werden die einzelnen Felder in ihrer Entwicklung immer wieder entlang der Berichtserzählungen chronologisch verfolgt. 66 Die Zeitschrift wurde herausgegeben von Jerry Fallwells Organisation in Lynchburg und ist als Gesamtbestand in der „Library of Congress“ einsehbar.
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am Ende der 1980er Jahre eingestellt wurde.67 Der Einbezug dieser Quelle ermöglichte es, unterschiedliche Themen auf ihrem Weg zwischen evangelikaler Sphäre und Mainstream-Nachrichten zu verfolgen. Anhand solch tagesaktueller Ereignisse wie dem Attentat auf Reagan ist die Bewegung von einer zur anderen Sphäre direkt nachvollziehbar. Die unterschiedlichen Interpretationen fächern auf den ersten Blick Differenzen zwischen Politik und Religion auf. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch – insbesondere unter Einbezug komplexer historischer Themen wie etwa Moral, Familie, Männlichkeit, Weiblichkeit, Sexualität, Krankheit, Sicherheit, Nation –, dass eine eindeutige und diachron stabile Differenzlinie zwischen den vermeintlich getrennten Sphären Religion und Politik überhaupt nicht auszumachen ist. Themen wurden in evangelikalen Veröffentlichungen gesetzt und tauchten in den Mainstream-News wieder auf und umgekehrt. Diese diskursive Verschränkung im Zirkulieren der Zuschreibungen kann die Diskursanalyse zeigen. Für die 1980er Jahre ist beispielsweise die Ordnung der Moral in der Öffentlichkeit als Verdichtung verschiedener körperpolitischer Themen zu verstehen. Dabei wurde eine Vielzahl an Bürger/inne/n dazu veranlasst, sich mit der Arbeit am Selbst (und mit dem Selbst der anderen – beispielsweise in der AIDS-Panik) täglich zu beschäftigen. Ob im Fernsehsessel, in der Küche oder in der Kirche: Es waren Botschaften über dieselben Themen zu vernehmen. Eine solche Perspektive fängt also nicht nur diskursiven Wandel ein, sondern bekommt auch synchronen Wechsel von Begriffen und Themen sowie Überschneidungen zwischen scheinbar getrennten Sphären in den Blick. Die Diskursanalyse der Fernsehnachrichten führt aber noch tiefer in die Konstruktionsbedingungen der Fernsehlandschaft. Die angesprochenen Medienformen, „die evangelikale Universität“, „der Gottesdienst“ und „die Predigerfigur“, wurden auf ihre Performanz in den Abendnachrichten untersucht. Zudem wurden auch Quellen genauer fokussiert, in denen die drei Medienformen ebenfalls produziert worden sind. So wurde exemplarisch anhand der Studienbücher des „Liberty Baptist College“ aus dem Archiv der „Liberty University“ in Lynchburg VA. die innere Ordnung einer evangelikalen Universität betrachtet. Die innere Ordnung der Wissensinstitution offenbart ein diskursives Muster, das auch im politischen Kampf in der Öffentlichkeit Anfang der 1980er Jahre wieder auftaucht, unter anderem im Denunzieren von Politikern als „unmoralische Akteure“. Zudem wurde im Zusammenhang mit der Medienform der evangelikalen Universität die Wissensproduktion anhand weiterer Texte untersucht, die teils aus der Quellensammlung Sara Dia-
67 Neben der Politik der Freiheit/freedom, die in den 1980er Jahren identitäre Hierarchisierungen überlagerte, war es auf der Seite der Evangelikalen vor allem der historisch aufgeladene Begriff „liberty“, mit dem sie ihre Agenda zwischen Erfolg und Moral historisch flankierten.
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monds stammen.68 Zunächst wurde durch den Einbezug von Diamonds umfangreichen Recherchen Anschluss an die bislang intensivste Arbeit zur medialen Dimension der Christlichen Rechten hergestellt. Darüber hinaus konnte ausgehend von den Pressetexten, die sich neben anderen Textsorten aus evangelikalen Institutionen in der Diamond-Sammlung finden, die in ihrer Arbeit von 1998 fehlende Dimension der bewegten Bilder mit analysiert werden. Das wurde insbesondere in der Untersuchung zu den weiteren beiden Medienformen geleistet. – An „Gottesdienst“ und „Predigerfigur“ ließ sich die neue Öffentlichkeit in einer bewegten Bildkultur betrachten, in deren Konstruktion Religion und Politik bereits immanent verzahnt waren. Wie der Gottesdienst in einen Ort politischer Verkündung transformiert wurde, konnte an verschiedenen Videoaufzeichnungen nachvollzogen werden. Wie Prediger in den 1970er Jahren Anschluss zur Politikerfigur fanden, wurde ebenfalls an Videoaufzeichnungen von Fernsehgottesdiensten, aber auch an den medialen Zitationen der Prediger in den Mainstream-Nachrichten von ABC, CBS und NBC nachvollzogen. Die drei Medienformen wurden als synchrone Drehscheiben zeitgeschichtlichen Wandels ausgemacht. Die drei Formen traten in evangelikalen Komplexen auch im Zusammenhang auf, beispielsweise an Jerry Falwells medialem Imperium in Lynchburg bestehend aus Universität, Kirche und seiner Person als Prediger, wie in den Kapiteln 4 und 5 eingehend dargestellt. Danach wurden die 1980er Jahre systematisch in allen verwendeten Quellenbeständen nach Themenfeldern durchkämmt, die zuvor ihre Zusammenhänge mit den Untersuchungskategorien Sexualität, Geschlecht, „Rasse“, Religion gezeigt hatten. Vor dem Hintergrund der herausgearbeiteten Figur der moral leadership wurden dabei die Felder AIDS, Rassismus, „gender gap“, „female leadership“, Vaterschaft und „star wars“ an ihre mediale Performanz innerhalb der Fernsehnachrichten rückgebunden. Auf diese Weise wurde eine historische Diskursanalyse durch das Fernsehen und seine politischen Kontexte operationalisiert. Dabei konnte immer wieder nachvollzogen werden, dass jenes vom Fernsehen dominierte Öffentlichkeitssystem, innerhalb dessen evangelikale Aktivisten für ihre Vorstellung von Moral kämpften und Journalist/inn/en glaubten, objektiv zu berichten und aufzuklären, selbst Teil des eigenen historischen Wandels geworden war. Es produzierte sich und produzierte Politik. Es reproduzierte Nachrichten vom Wandel und wandelte sich mit der Ordnung. Das Motiv der moral leadership zieht sich durch alle Bereiche der Quellenuntersuchung und -analyse ab der zweiten Hälfte der 1970er Jahre. Die Spuren dieser Figur wurden über die Televisualisierung der prekären Emanzipationsbewegungen zwischen 1969 und 1975 genealogisch zurückverfolgt. Dass sich danach moral lea68 Es handelt sich um eine Sammlung von 62 Kisten unorganisierten Quellenmaterials, die Sara Diamond nach dem Ende ihrer sozialwissenschaftlichen Forschung der „Bancroft Library“ in Berkeley übergeben hat.
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dership zu einer dominanten Größe im sich wandelnden Öffentlichkeitssystem aufbaute, ist Ergebnis des Verfolgens (m)eines Erkenntnisinteresses an den Kategorien Religion und Geschlecht. Wenn die Quellenwahl die Prämissen erfüllt, dass das Fernsehen erstens in dem untersuchten Zeitraum zu einer eminent wichtigen medialen Ebene innerhalb einer visualisierten politischen Kultur geworden ist und zweitens die TV-Nachrichten darin die wirkmächtigste Rationalisierung waren, dass drittens in diesem Medienwandel Prediger und Politiker sowie religiöse Räume mit politischer Öffentlichkeit verschmolzen, dann ist die Gestalt des moral leader der entscheidende Akteur in der Verschiebung zwischen 1970er und 1980er Jahren. Moral leadership integrierte ein Dispositiv der Männlichkeit und das evangelikale Revival. Maßgeblich in seiner Fernsehperformanz absorbierte die Forderung nach moralischer Führung Emanzipationsbewegungen in einer hegemonialen Operation. In der Folge gab es nicht nur eine neue evangelikal geprägte Moral, ein anderes Verständnis von Erfolg, sondern es war häufig auch von einer anderen Freiheit die Rede. Das zeigt schließlich eine Quellenanalyse, die über bisherige Forschungen zum diskursiven Wandel zwischen 1970er und 1980er Jahren hinausgehend historische und mediale Dimensionen an Videomaterial bzw. der Programmierung der Fernsehnachrichten sowie an schriftlichen Quellen aus der Zeitgeschichte untersucht. Warum dabei gerade Fernsehen und Fernsehnachrichten eine neue Quelle für die Untersuchung der Zeitgeschichte darstellen, soll nun eingehender reflektiert werden. * Der Medienwissenschaftler Knut Hickethier stellt gegen Ende seiner Beschäftigung mit dem Zusammenhang von Medienbetrachtung und Zeitgeschichte fest, dass Medien „als Ort des kulturellen Gedächtnisses“ Geschichte speichern und Vergangenes wieder aufrufen, da Fernsehen und Fernsehnachrichten in diesem Sinne „Formen ständigen Erinnerns“ sind.69 Die Geschichtswissenschaft selbst hat das Fernsehen jedoch noch nicht systematisch in ihre Quellenarbeit einbezogen.70 Zunächst scheint daher eine Überlegung zur funktionalen Bedeutung des Fernsehens für die historiografische Annäherung an mediale Komplexe sinnvoll. Die Medienwissenschaftlerin Constanze Bausch beschreibt die kulturelle Einflechtung des Mediums folgendermaßen: 69 Hickethier, Knut, Zeitgeschichte in der Mediengesellschaft. Dimensionen und Forschungsperspektiven, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 6 (2009), H., URL:
http://www.zeithistorische-forschungen.de/
16126041-Hickethier-3-2009, 20. 70 Bösch, Frank, Mediengeschichte. Vom asiatischen Buchdruck zum Fernsehen, Frankfurt/M. 2011, S. 198ff; S. 211.
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„Gemeinschaften bedürfen eines gebildeten und verkörperten Bedeutungskonsenses, um ihre Zusammengehörigkeit und Kontinuität ebenso zu imaginieren wie zu inszenieren. Dieser Bedeutungskonsens wird in neuer, in technischer Weise auch anhand der Bilder des Massenmediums Fernsehen hervorgebracht und dargestellt, indem die televisuell ausgestrahlten Bilder Lebenshaltungen und Überzeugungen verdichtet aufführen. In Prozessen mimetischer Einverleibung werden diese bedeutenden Bilder des Fernsehens bei ihren Zuschauenden für Vorstellungswelten wie Handlungspraxen effektiv.“71
Dabei ist insbesondere die Rückkopplung zwischen televisuellen und soziokulturellen Zusammenhängen interessant. In seinen Nachrichten behauptet das Fernsehen Realität abzubilden. Diese Realität hat historische Bezüge und wird gleichzeitig im Moment ihrer Ausstrahlung doch erst geschaffen. Sprachtheoretisch ausgedrückt stellt das Fernsehen auf synchroner Ebene historische Narrative in Bild und Text her. Diachrone Diskurse werden dabei vom Fernsehprogramm inkorporiert. Die Kopplung von Historischem an den Modus der Vergegenwärtigung ist eine Doppelbewegung, die sich immer wieder im alltäglichen Sendebetrieb in Fernsehformaten präsentiert.72 In dieser Arbeit wird der Prozess des Sendens innerhalb eines sich transformierenden Systems der Öffentlichkeit betrachtet. Für diesen Zusammenhang grundlegend weist die Philosophin Sybille Krämer auf die prinzipielle Offenheit medial produzierter Diskurse hin.73 Das bedeutet, dass die jeweils hergestellten Texte und Kontexte nicht nur arbiträr sondern auch ambivalent sind. Sie konstituieren Geschichte auf performative Weise.74 Rainer Leschke plädiert im Anschluss an Krämer darüber hinaus für ein Wahrnehmen von intermedialen Wechselwirkungen der Einzelmedien in einem Mediensystem und für ihre Kontextualisierung in histori-
71 Bausch, Constanze, Verkörperte Medien. Die soziale Macht televisueller Inszenierungen, Bielefeld 2006, S. 9. 72 Man denke im groben Rahmen auch an die vierteilige Serie „Holocaust“, als eines der prominentesten Beispiele für die historisierende Dimension eines Fernsehformats, die 1978 produziert und im deutschen Fernsehen 1979 ausgestrahlt wurde. Bösch, Frank, Film, NS-Vergangenheit und Geschichtswissenschaft, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 55 (2007), S. 1-32. 73 Krämer, Sybille, Boten, Engel, Geld, Computerviren. Medien als Überträger, in: Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie, Themenheft: Körpermaschinen - Maschinenkörper. Mediale Transformationen, 14 (2005) 2, S. 15-24. 74 Vgl. zum Verständnis von Performativität: Butler, Judith, Haβ spricht. Zur Politik des Performativen. Berlin 1998, S. 210.
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schen Zusammenhängen.75 Dies wird in der Quellenanalyse immer wieder anhand der Mobilität verschiedener Themen und Bilder nachvollzogen. Aber auch im Ganzen ist das Fernsehen in den Kontext des breiteren Mediensystems und in seinen historischen Zusammenhang einzuordnen. Dafür muss zunächst festgestellt werden, dass es bislang lediglich einzelne Versuche gegeben hat, das Fernsehen als Massenmedium in die Wirkungsgeschichte seiner Zeit im Verlaufe der vergangenen 60 Jahre einzuordnen. Die vorherrschenden Blickwinkel aus kommunikationsgeschichtlicher Perspektive verorten das Fernsehmedium zu wenig in seiner Plastizität im historischen Kontext. Lynn Spigel hat das Fernsehen für die Geschichte der USA nach dem zweiten Weltkrieg untersucht.76 Aus historiografischer Perspektive ist die monolithische Konzeption des Fernsehens als eine einheitliche technische Errungenschaft problematisch.77 Die bisherigen mediengeschichtlichen Versuche, das Fernsehen zu historisieren tendieren dazu, das Medium zu homologisieren.78 Reduzierte man das Fernsehmedium auf seine Funktion als technische Errungenschaft, über welche Öffentlichkeit hergestellt wird, kämen historische Subjektivierungen und Diskursivierungen zu kurz, die im Zusammenhang mit der Bilderproduktion des Mediums ebenso vonstattengehen. Daher muss bei der Arbeit mit dem Fernsehen – als historische Quelle – bedächtig versucht werden, die zeitspezifische Topologie und Genealogie der jeweiligen Medienlandschaft mitzudenken. Diesem Problem kann mit einem weiten Dispositivbe75 Leschke, Rainer, Mediale Konstellationen und mechanische Bräute. Überlegungen zur Konzeption von Kommunikationsgeschichte, in: Buck, Matthias / Hartling, Florian / Pfau, Sebastian (Hg.), Randgänge der Mediengeschichte, Wiesbaden 2010, S. 29-43, hier 40ff. 76 Spigel, Lynn, Make Room of TV. Television and the Family Ideal of Postwar America, Chicago 1992. 77 Tim Karis hat theoretisch beschrieben, wie sich Massenmedien und diskursive Machtstrukturen bedingen und stützen. Karis, Tim, Die Produktivität der Massenmedien: Massenmediale Eigenlogiken als diskursive Machtstrukturen. Oder: ich lasse mir von einem kaputten Fernseher doch nicht vorschreiben, wann ich ins Bett zu gehen habe, in: Dreesen, Philipp et al. (Hg.), Mediendiskursanalyse. Diskurse/Dispositive – Medien – Macht, Wiesbaden 2012, S. 47-70. 78 Faulstich, Werner, Grundkurs Fernsehanalyse, Stuttgart 2008. Zu wenig werden in vielen kommunikationswissenschaftlichen Historisierungen die von Marshall McLuhan bereits postulierten Inkorporierungen des Mediums in die Körper und darüber in die gesellschaftliche Ordnung analytisch verfolgt. McLuhan, Marshall, Understanding Media: The Extensions of Man, McGraw Hill, NY, 1964. Eine ähnliche Kritik äußert auch Frank Bösch in seiner Einführung am technikzentrierten Ansatz in der Analyse von Medien generell: Bösch, Frank, Mediengeschichte. Vom asiatischen Buchdruck zum Fernsehen, Frankfurt/M. 2011, S. 58.
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griff begegnet werden. Für die zeitgeschichtliche Konzeptionalisierung muss dieser weiter als beispielsweise bei Hickethier gefasst sein.79 Der Begriff muss über die technischen Aspekte des Mediums hinausweisen. Das Dispositiv des Fernsehens ist als Verdichtung von Geschichte und Politik zu verstehen, als Projektions- und Fabrikationsraum der Macht zugleich. Wenn von einem Dispositiv des Fernsehens gesprochen werden kann, anstatt von einem Leitmedium, entstand diese Vernetzungsfunktion unter anderem in der US-Politik der 1970er Jahre.80 Markus Stauffs Machtanalyse ist der theoretischen Einfassung des Fernsehens in der vorliegenden Arbeit am nächsten. Er beschreibt das Fernsehen als Teil eines gouvernementalen Regimes.81 Obwohl Stauffs Fluchtpunkt am Übergang von analogem zum digitalen Fernsehen liegt, sich also mit einer recht gegenwartsbezogenen Problemlage von Subjektivierung befasst, ist seine Konzeption anschlussfähig für die historiografische Arbeit an der US-Zeitgeschichte. Auch er versteht das TVMedium als Dispositiv, innerhalb dessen sich Strategien der Subjektivierung materialisieren.82 Diese Knotenfunktion wohnte auch den Fernsehnachrichten im nationalen Zusammenhang seit den 1970er Jahren inne. So wie gegenwärtig von einem „CNN-Effekt“ die Rede ist, wenn es in der englischsprachigen weltweit ausgestrahlten Medienlandschaft zur Konzentration auf ein Thema kommt, weil der USamerikanische Sender, das „Cable News Network“ (CNN), über ein Ereignis berichtet, stellten die Abendnachrichten von ABC, CBS und NBC im nationalen Mediensystem der 1970er Jahre und 1980er Jahren diskursive Nadelöhre der gesellschaftspolitischen Problematisierung dar. In ihren Abendnachrichten brachte das Fernsehen einen „visualisierten Kommentar“ auf die Bildschirme und in die Wohnzimmer der US-Amerikaner/innen. Dies korrelierte mit anderen Elementen diskur79 Knut Hickethier hat bereits 1995 über ein Dispositiv des Fernsehens geschrieben. Hickethier, Knut, Dispositiv Fernsehen. Skizze eines Modells, in: montage/AV, 4 (1995) 1, S. 63-84. 80 Durch die Verwendung eines weiten Dispositivbegriffs kann das Dispositiv des Fernsehens andere Dispositiv-Formationen im politischen Raum ablösen bzw. überwölben und dann ersetzen. So wird das Dispositiv Männlichkeit für den Übergang zwischen 1970er zu den 1980er Jahren Teil des Dispositivs Fernsehen in der US-Politik. Als Formation taucht die Figur der moral leadership genau an der Schaltstelle auf, als das Fernsehen zum Dispositiv wird und weist auf die Integration des einen in das andere Dispositiv hin. 81 Stauff, Markus, „Das neue Fernsehen“. Machtanalyse, Gouvernementalität und digitale Medien, Münster 2005, S. 144. 82 Stauffs Modell leitet sich aus Foucaults Überlegungen zur Gouvernementalität ab. Er entwickelt aber darüber hinaus medienwissenschaftlich weiterführende Elemente einer noch zu konzipierenden historischen Dispositivanalyse. Stauff, Markus, „Das neue Fernsehen“. Machtanalyse, Gouvernementalität und digitale Medien, Münster 2005, S. 109ff / 203ff.
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siven Wandels innerhalb der politischen Öffentlichkeit. In den Vereinigten Staaten waren es insbesondere evangelikale Medienformen, die sich in die Fernsehlandschaft und das politische Feld schoben. Der ganze Prozess war Teil einer weitgreifenden Televisualisierung des Politischen. Aus diesem Blickwinkel müssen geschichtliche Verschiebungen auch als Teil des Medienumbruchs im Fernsehen der 1970er Jahre betrachtet werden.83 Mit ihren Informationen erreichten die TVNachrichten eine stetig steigende Zahl an Menschen und waren kommerziell wie symbolisch die entscheidende Plattform der Informationsverbreitung.84 Die Fernsehnachrichten stellen dabei die spezifische Rationalisierung der soziokulturellen Ordnung innerhalb einer sich immer wieder neu bildenden (tele)visuellen Kultur dar. Das Fernsehen ist schließlich als Verbreitungskanal und Maschine der Hegemonie der politischen Landschaft der 1980er Jahre zu betrachten. Die Untersuchungsgrundlage in der Quellenanalyse ist demnach eine Televisualisierung der Kultur, in der sich Politik und politischer Wandel performativ ausbildeten. Die US-Fernsehkultur, die Programme der Nachrichten zwischen 1969 und 1989 werden in diesem Sinne als kultureller Resonanzkörper und Produktionsstätte der Ordnung zugleich betrachtet. Der Umgang mit diesem Resonanzkörper der Öffentlichkeit ist folgendermaßen konzipiert: Erstens werden Fernsehberichte als Quellen untersucht, die positive Machtarrangements abbilden. Zweitens wird untersucht, wie insbesondere über die TV-Nachrichten Identitäten sowie soziokulturelle Verhältnisse und Differenzen immer wieder ins Bild gesetzt und hergestellt wurden. Drittens wird die diachrone Verschiebung der soziokulturellen Ordnungsmuster betrachtet. Diese drei Dimensionen bilden das Gerüst der Untersuchung des politischen Raumes einer „televised culture“. Für den Umgang mit den innerhalb des Fernsehens auftauchenden Identitätsmustern gilt in der Quellenanalyse, was der Kulturwissenschaftler Stuart Hall zur Differenzbildung festgehalten hat: „Es gibt keine Identität, die ohne dialogische Beziehung zum Anderen existiert. Der Andere ist nicht draußen, sondern ebenso im Selbst, in der Identität. Daher ist Identität ein Prozess,
83 An anderer Stelle wurde jenseits des US-Kontextes bereits gezeigt, wie sich in den 1970er Jahren aus dem technischen Medium Fernsehen eine televisualisierte Kultur entwickelt hat, in der soziokulturelle Ordnungen der jeweiligen Zeit aufgingen. Bartz, Christina / Otto, Isabell / Schneider, Irmela (Hg.), Medienkultur der 70er Jahre. Diskursgeschichte der Medien nach 1945, Band 3, Wiesbaden 2004. 84 Kleinsteuber, Hans J., Das Mediensystem der USA, in: Hans-Bredow-Institut für Medienforschung an der Universität Hamburg (Hg.), Internationales Handbuch Medien, 28. Ausgabe, Hamburg 2009, S. 1216f.
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Identität ist Spaltung. Identität ist kein Fixpunkt, sondern ein ambivalenter Punkt. Identität ist auch die Beziehung des Anderen zu einem selbst.“85
Und Jacques Derrida bezieht dieses Muster auf die historische Dimension, wenn er in „Randgänge der Philosophie“ zu Beginn der 1970er Jahre schreibt: „Brächte das Wort Geschichte nicht an sich das Motiv der Unterdrückung von Differenz mit sich, so könnte man sagen, dass nur die Differenzen von Anbeginn des Spiels durch und durch historisch sein können“.86 Solche Beschreibungen umreißen nicht nur eine historische Praxis der Sprache oder des Medialen, sondern in der zitierten Formel steckt auch der Hinweis auf eine Realität des kulturellen Verteilungskampfes zwischen Identitätsgruppen um Bedeutung und Repräsentation. Differenzen und ihre sich immer wiederholenden und dabei verschiebenden Bedeutungsbildungen sind das historische Prinzip, das Derrida hier beschreibt. Auch das Dispositiv der Männlichkeit, das sich Mitte der 1970er neu bildete, war als historische Größe und Modus der Macht nur über seine Differenzen beschreibbar. In Frauen, Schwarzen, Schwulen und Lesben tauchten Differenzkörper zur dominanten Norm der weißen heterosexuellen Mittelklasse-Männlichkeit immer wieder in den Medienlandschaften der 1970er Jahre auf. Ihre Thematisierung von Benachteiligung wurde gewissermaßen enteignet und im hegemonialen Prozess auf weiße Männlichkeit bezogen.87 In den 1970er Jahren befanden sich die unterschiedlichen Identitätsmuster nicht nur in einem öffentlichen Verteilungskampf zwischen hegemonialer Männlichkeit und Emanzipationsbewegung, sondern in Männlichkeit inkludierte der HegemonieApparat die anderen Identitäten, schloss sie in sich ein. Männlichkeit wurde im Krisenszenario zu einem „privilegierten Signifikanten“, um es in der Terminologie Laclaus auszudrücken, in dem gleichzeitig andere Differenzen inkorporiert wurden.88 So lassen sich auch drei Merkmale beschreiben, die ab Mitte der 1970er Jah85 Hall, Stuart: Ethnizität, Identität und Differenz, in: Engelmann, Jan (Hg.), Die kleinen Unterschiede. Der Cultural Studies Reader, Frankfurt/M. 1999, S. 93. 86 Derrida, Jacques, Randgänge der Philosophie, Wien 1988, S. 17f. 87 Das zeigt, wie Männlichkeit zu Weiblichkeit, wie die anderen Identitätskategorien Weiß/Schwarzsein oder Hetero-/Homosexualität in historischer Wechselbeziehung standen. Die einzelnen Kategorien traten stets in intersektionalen Überschneidungen auf. Haschemi Yekani, Elahe u.a., „Where, When and How? Contextualizing Intersectionality“, in: Golańska, Dorota/Rozalska, Aleksandra (Hg.), New Subjectivities: Negotiating Citizenship in the Context of Migration and Diversity, Lódź 2008, S. 19-47. 88 Ausführlicher zur Wirkungsweise von Hegemonie: Krämer, Felix / Mackert, Nina, Wenn Subjekte die Krise bekommen. Hegemonie, Performanz und Wandel am Beispiel einer Geschichte moderner Männlichkeit, in: Landwehr, Achim (Hg.), Diskursiver Wandel, Wiesbaden 2010, S. 269f.
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re durch das Dispositiv strukturiert wurden. Erstens stellte sich hegemoniale Männlichkeit in der Krise als das Opfer aller gesellschaftlichen Veränderungen der 1960er und 1970er Jahre dar. Zweitens wurden in den Fernsehnachrichten alle anderen Emanzipationsansprüche auf die hegemoniale Männlichkeit bezogen. Drittens waren, was die Kritik in den Fernsehbeiträgen betrifft, soziale Differenzen in der „Schicksalsdekade“ der 1980er Jahre kaum mehr als politische Plätze des Anspruchs auf Teilhabe artikulierbar. Emanzipation war zu Gunsten eines bestimmten Freiheitsbegriffs, der wesentlich vom Dispositiv Männlichkeit vorstrukturiert worden war, aus den Sagbarkeitsfeldern gedrängt worden. Die Handlungsräume unterschiedlicher Identitätsgruppen wurden in den Mainstream-Nachrichten scheinbar objektiv zugewiesen. Differenzen wurden auf diese Weise nivelliert und unkenntlich gemacht. Die Nachrichten berichteten wie aus „dem Off“ der Politik über Politik.89 In körpergeschichtlichen Fragen zur Zeitgeschichtsschreibung finden sich häufig Überschneidungen zwischen historischem Kontext und den jeweiligen Identitätsentwürfen von sozialen Bewegungen, die sich im ständigen Kampf um Anerkennung und Widerstand gegen Unterdrückung befinden. Die unterschiedlichen Identitätsmuster aus den kulturellen Kämpfen um Emanzipation und gegen Diskriminierung wurden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu Untersuchungskategorien. Dabei ist es unumgänglich die Geschichtsmächtigkeit der jeweiligen Kategorien, sowie das Wechselspiel zwischen Identitäts- und Differenzbildung, das in der oben zitierten Formulierung von Stuart Hall beschrieben ist, zu bedenken. Für die vorliegende Arbeit ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der untersuchte Medienwandel eine Öffentlichkeit bildete, in der Subjektpositionen zugewiesen und Differenzen immer wieder aufs Neue in täglichen Nachrichten präsentiert wurden. Wenngleich Journalist/inn/en nach ihrem Selbstverständnis stets kritisch berichteten, waren ihre Darstellungen doch Teil des hegemonialen Prozesses, nicht dessen Opposition. Eine Kapitelübersicht wird nun zum Abschluss dieser Einleitung einen Überblick zur genauen Gliederung der Ergebnisse der Quellenanalyse zur Frage nach dem Wandel der Politik zwischen Geschlechterordnung und Religion in der US-Öffentlichkeit geben. * Im ersten Kapitel wird das Einsickern von Anliegen aus der Gleichberechtigungsbewegung der Afroamerikaner/innen, des Feminismus und der Gay Liberation in 89 Zunächst jenseits der Fernsehbildschirme bildete sich gegen Ende der 1980er Jahre bereits wieder Opposition u.a. in ACT UP-Gruppen. Wie es solche Bewegungen wiederum in den Mainstream schafften oder widerständig blieben, wäre eine Frage, die bereits aus der Sphäre des Politischen der 1980er Jahre hinausweist.
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die Rationalitäten der Fernsehwelt beschrieben. Ab Ende der 1960er Jahre wurde die Geschichte der Emanzipationsbewegungen auch über die Fernsehnachrichten maßgeblich mitgeschrieben. Zudem wurde über Leute berichtet, die darin als Zugehörige von Minderheiten markiert erschienen. Das Kapitel führt immer wieder systematisch entlang der Themen Feminismus, Abtreibung, Blacks, Gays durch die TV-News im Verlaufe der 1970er Jahre. Zwischendurch wird Religion in einem eigenen Unterkapitel behandelt und an der Frage nach „Abtreibung“ der Übergang von der Beschäftigung katholischer Priester mit dem Thema zum Aktivismus der evangelikalen Bewegung gezeigt. In diesem ersten Kapitel werden außerdem TVBerichte über Schwule und Lesben oder Nachrichten von schwarzen Bewegungsformen mit den anderen Untersuchungskategorien in Verbindung gebracht. Abschließend wird das Anschwellen des Krisenszenarios um hegemoniale Männlichkeit in seiner Verzahnung mit verwandten Themen in den Fernsehnachrichten nachgezeichnet. Das zweite Kapitel widmet sich der Wiedergeburt des Evangelikalismus in der Öffentlichkeit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre. Es wird zunächst die wachsende Aufmerksamkeit nachgezeichnet, welche einer „Rückkehr der Religion“ in der USGesellschaft geschenkt wurde. Gezeigt wird, wie die TV-Nachrichten in ihrer Berichterstattung über verschiedene Geschichten einen bestimmten Trend verstärkten, der parallel zur Wiederkehr des Religiösen in der obersten Riege der Politik verlief. Letztere Ebene rückt im Anschluss in den Vordergrund, indem die Körper der Präsidenten in ihrer TV-Darstellung beschrieben werden. Zunächst führt der Weg zurück zu Richard Nixon und seiner Performanz in der TV-Berichterstattung. Nach einer Beschreibung darüber, wie Nixons „Verfall“ auch von den Nachrichten wirkmächtig ins Bild gebracht wurde, rückt Jimmy Carter in den Mittelpunkt der Betrachtung. Anhand der Figur des 39. Präsidenten wird gezeigt, wie an Carters Körper im Verlauf seiner Präsidentschaft sowohl die Rückkehr der Religion, als auch die Forderung nach Virilität durchexerziert wurde. Die Beschreibung von Carters politischem Schicksal stellt bereits eine Perspektive auf die Entwicklung der Figur der moral leadership dar. An Reagans nationalpolitischen Ambitionen wird schließlich die schleichende Übernahme moralischer Führung durch einen weiteren Präsidenten beschrieben, der gewissermaßen aus dem Schatten der eingangs beschriebenen Predigerfigur in die Politik kam. Schließlich führt das Ende des Kapitels durch die Fernsehlandschaften der Wahlkampftage im Jahr 1980. Mit dem entscheidenden Moment, der in der politischen Zeitgeschichte der Vereinigten Staaten vielleicht einer der längsten geworden ist, beschäftigt sich das dritte Kapitel. In der Berichterstattung zum Attentat auf einen erst wenige Monate amtierenden Präsidenten wurde Reagan in Kommentaren und Reportagen als moral leader inauguriert. Er wurde in den Live-Berichten des Fernsehens als moralischer Führer medial wiedergeboren. Es wird in diesem Kapitel zunächst jener Moment beschrieben als die Nachricht von den Schüssen auf den Präsidenten die Nachrich-
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tenstudios erreichte. Anschließend wird die Wirkung der Bilder und die weitere journalistische Umarbeitung der Information betrachtet. Danach führt der Text durch die 1980er Jahre und verfolgt darüber hinaus, wie die Schilderungen des Attentats auf den 40. Präsidenten immer wieder seine schicksalshafte Berufung belegten. Schließlich wird zum Moment des Ereignisses zurückgegangen und der Sprung zwischen den politischen Nachrichten der Mainstream-Fernsehsender und evangelikalen Veröffentlichungen gezeigt. Das vierte Kapitel ist zwei der insgesamt drei identifizierten „Medienformen“ gewidmet, die in einer „televised culture“ aufgingen. „Die evangelikale Universität“ und der Raum „des Gottesdienstes“ werden in diesem Kapitel zusammen betrachtet, weil sie an zwei Flanken des gleichen diskursiven Feldes arbeiteten, als sie in den 1970er und 1980er Jahren zum Teil der politisierten Fernsehlandschaften wurden. Beide Medienformen waren beteiligt an einem Komplex aus Wissen und Verkündung zum Zwecke einer „Erweckung“ gesellschaftlicher Moral. Die Gründung evangelikaler Universitäten wird in diesem Kapitel in der Universitätsgeschichte der Vereinigten Staaten verortet. Der Raum des Gottesdienstes wird in seiner Wechselwirkung mit Wissen und der Verkündung politischer und religiöser Botschaften historisiert. Es wird entlang der Themen Schöpfungslehre und Schulgebet gezeigt, wie die religiösen Colleges zu Produzenten von Strategien und Argumenten wurden und das Gottesdienstformat die performativen Räume innerhalb der Fernsehlandschaft schuf, worin sich die politisch-moralischen Botschaften artikulieren konnten. Zum einen wurden diese beiden Räume in den MainstreamNachrichten zitiert, zum anderen bildeten sie eigene Formate, mit denen sie in die Fernsehwelten des Politischen eindringen konnten. So wird im weiteren Verlauf des Kapitels gezeigt, wie sich der Gottesdienst in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre selbst zur Nachrichtensendung transformierte. An einer Live-Sendung aus der Mitte der 1980er Jahre, die Jerry Falwells Netzwerk zu „Abtreibung“ produzierte, wird die Zusammenführung von politischer Botschaft und Unterhaltung gezeigt. Schließlich führt die Analyse zurück in die Mainstream-News, die sich und die Rolle des Journalismus in der Gestaltung und Verdichtung des Verkündungsraumes der Pressekonferenz des Weißen Hauses reflektieren. Auch an dieser Selbstbeobachtung lässt sich die Transformation des Politischen durch das Eindringen des TVGottesdienstes in die Öffentlichkeit nachvollziehen. Im fünften Kapitel steht die Schaltstelle der beiden zuvor betrachteten Medienformen im Mittelpunkt der Betrachtung: Die Medienform des Predigers. Der evangelikale Prediger wird, wie Universität und Gottesdienst zuvor, in der Geschichte ähnlicher Figuren in den Vereinigten Staaten verortet. Es wird nachgezeichnet, wie die Predigerfigur zur Nachricht in ABC, CBS und NBC wurde. Ausgehend von der Selbstsicht der Kabelnachrichten, worin Journalist/inn/en ältere Rundfunkprediger als die Vorläufer ihrer gegenwärtigen Kombattanten ausmachen, wird gezeigt, wie der Prediger dem Nachrichtenpublikum unwillkürlich näher gebracht wurde. In vie-
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len kleinen Geschichten wurden Predigergestalten in der zweiten Hälfte der 1970er Jahren als alte Vertraute und politische Akteure präsentiert. Des Weiteren wird in diesem Kapitel die Verwandlung eines Predigers zum Nachrichtensprecher betrachtet. Dann rückt Jerry Falwell in den Fokus. Als „Gottes Mann der Stunde“ in den Mainstream-Nachrichten bezeichnet, wird an seiner Gestalt nachvollzogen, wie die Berichterstattung 1980 evangelikale Pastoren zu berühmten politischen Figuren machen konnte. In diesem Kapitel werden auch die evangelikalen Zuschnitte der Begriffe Erfolg, Wahrheit und Freiheit behandelt und gezeigt, wie sie über die kritische Berichterstattung der drei großen Sender zu Beginn der 1980er Jahre kulturelle Bedeutung in der US-Öffentlichkeit erhielten. Schließlich führt die diachrone Linie weiter durch den Verlauf der 1980er Jahre über die mediale Silhouette des politischen Predigers in den Wahlen 1984 bis zu Pat Robertsons Idee als Fernsehprediger für das Präsidentschaftsamt zu kandidieren. Hierbei wird vor allem nachvollziehbar, dass die Bedeutung und der Erfolg des evangelikalen Predigers in den 1980er Jahren nicht an den TV-Pastoren selbst haftete, die Ende der 1970er Jahre in die Nachrichten geraten waren, sondern dass die Figur gerade dadurch nachhaltige Wirkung entfaltete, dass sie sich in den Körper des Politikers einschrieb. Das sechste und letzte Kapitel beschäftigt sich mit der Verhandlung der soziokulturellen Ordnung in der „Schicksalsdekade“, wie Jerry Falwell das Jahrzehnt der 1980er Jahre bezeichnet hat. Vor dem Hintergrund der drei zuvor beschrieben Medienformen wird deutlich, dass Religion und Politik in den USA kaum getrennt voneinander betrachtet werden können. Um dies für die soziokulturelle Ordnung der 1980er Jahre zu zeigen, wurde hauptsächlich anhand der beiden Quellenbestände, die für diese Arbeit am wichtigsten waren – die Fernsehnachrichten von ABC, CBS und NBC und der „Moral Majority Report“ –, nachvollzogen, wie sich in verschiedenen diskursiven Themensetzungen die Ordnung des Jahrzehnts ausbildete. Zunächst wird in dem Kapitel die Darstellung von AIDS in den Fernsehnachrichten der Vereinigten Staaten beschrieben. Dabei führt die Genealogie über die Entdeckung der Krankheit direkt in die Beschreibung verschiedener „Risikogruppen“ – homosexuelle Männer, Drogenabhängige, Prostituierte und Haitianer. Das Phänomen wird in seinem Zuschnitt durch das evangelikale Magazin gezeigt. Schließlich wird die kulturelle Bedeutung der Krankheit an den Topos der „Sexuellen Revolution“ vom Ende der 1960er Jahre rückgebunden. Insbesondere die moralische Verwerfung von Homosexualität steht dabei im Zentrum der kulturtheoretischen Überlegung. Anschließend werden die Analysekategorien „Rasse“ und Geschlecht in den Mittelpunkt gerückt. Zunächst wird die mediale Verhandlung der Bürgerrechtsbewegung in den 1980er Jahren betrachtet. Danach werden Berichte zu armen Schichten afroamerikanischer Bürger/innen in Städten fokussiert. Sowohl das Ausmanövrieren der Kritik eines strukturellen Rassismus als auch die Absicherung der Geschlechterhierarchie rücken dabei ins Zentrum. Anschließend werden Nachrichten analysiert, in denen die Zentrierung des Vaters in den 1980er Jahren mit indivi-
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duellen Pflichten sozial schwacher Väter verkoppelte wurde, bevor noch einmal die Wahlen 1984 und Reagans Herausforderer in den Blick genommen werden. Hierbei wird festgestellt, dass „die Anderen“ im Ergebnis keinen politischen Prediger neben Reagan in Stellung bringen konnten, der sich in das Feld der moral leadership hätte einschreiben können. Der These dieser Arbeit entsprechend liegt diese Unmöglichkeit des Einschreibens einer alternativen Figur eines nicht-weißen, nichtmännlichen, nicht-erweckten Führers bereits in den Konstitutionsbedingungen moralischer Führung, wie sie in den Fernsehlandschaften der zweiten Hälfte der 1970er Jahre entstanden war. Schließlich rückt das Muster aus Gut und Böse, das sich in der Schicksalsdekade mit anderen Dichotomien verbunden hatte, in den Blick und wird auf seine außenpolitischen sowie kulturellen Konnotationen hin betrachtet. Auch die TV-Nachrichten führten das Publikum hinauf in die phantasievollen Weiten der „star wars“ und wieder herab unter die Ägide moralischer Führung und in die soziale Ordnung auf Erden. Der Fluchtpunkt dieser Untersuchung liegt am Beginn der 1980er Jahre. Für die Gesamtstruktur der Arbeit betrachtet, bieten die ersten zwei Kapitel einen zeitgeschichtlichen Kontext, der aus der Quelle „Fernsehnachrichten“ heraus erarbeitet ist und worin Zuschreibungen im identitätspolitischen Feld nachgezeichnet werden. Im dritten Kapitel steht die Berichterstattung zum Attentat auf Ronald Reagan im Zentrum der Betrachtung. Die folgenden beiden Kapitel kontextualisieren die drei unterschiedlichen Medienformen historisch und in ihrer Bedeutung für die 1970er und 1980er Jahre. Das letzte Kapitel sucht wieder die Spuren aus den ersten beiden Kapiteln in der Nachrichtenlandschaft der 1980er Jahre auf. Zum Schluss der einzelnen Kapitel sind die Ergebnisse zusammengefasst und werden noch einmal zur Forschungsliteratur in Bezug gesetzt. Die Genealogie der moral leaders soll nun in Nachrichten über gefährdete Emanzipationen am Ende der 1960er Jahre beginnen.
1. Gefährdete Emanzipationen
N ACHRICHTEN VON DEN K ÖRPERN DER ANDEREN Ende November des Jahres 1969 kam Anchorman Howard K. Smith in den ABCAbendnachrichten auf feministische Gruppen zu sprechen, die überall auf der Welt zu protestieren schienen. Nach einem Bericht über politische Auseinandersetzungen in Rom kommentierte Smith, unter jenen, die für ein Scheidungsgesetz in Italien kämpften, sei eine Gruppe, die man als militante Feministinnen bezeichnen könne. Eine ähnliche Gruppe sei am gestrigen Abend in London aktiv geworden. Als die Miss World gekrönt wurde, waren Demonstrantinnen vor dem Gebäude auf und ab marschiert und hatten gerufen: „Beauty contests are cattle markets“ und „don’t make women sex objects“, berichtete der Nachrichtensprecher mit weit in die Stirn gezogenen Augenbrauen. Auch in Washington – fuhr Smith mit anhaltend besorgter Miene fort – hätten solche Bewegungen ihr Anliegen anscheinend schon in politische Repräsentation umgemünzt. Wie bekannt gegeben worden sei, wären nun allein drei Frauen in der engeren Auswahl für die Nominierung zu Supreme CourtRichterinnen. Nach all diesen Nachrichten zeigte sich der ABC-Mann erleichtert als er verkünden konnte, ganz gleich wie befreit Frauen auch seien, sie blieben einer großen Tradition verpflichtet: der andauernden Veränderung der Mode.90 Zu fragen wäre, ob der Nachrichtenmann sich und seinem Publikum auf diese Weise für den anscheinend bevorstehenden Geschlechterkampf Mut zusprechen konnte. Schauplatzwechsel: Im August 1970 berichtete die NBC von einem Friedhof in Florida, dessen Betreiber sich weigerte, einen in Vietnam gefallenen schwarzen GI zu beerdigen. In dem Fall waren Männlichkeit, Rasse und Nation miteinander verwoben. Es erschien jene strukturelle Gewalt auf der Oberfläche der medialen Verhandlung, die Afroamerikaner in Vietnam für die USA kämpfen und sterben ließ, während der Rassismus in vielen Gegenden der Vereinigten Staaten geduldig auf
90 ABC, EN – Friday, 1969, Nov. 28 – Women’s Liberation / Contest / Court Seat.
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sie gewartet hatte. Obwohl er in Vietnam angeblich sogar die Freiheit der gesamten westlichen Welt verteidigt hatte, wollte der private Betreiber den toten Soldaten nicht auf seinem Friedhof beerdigen lassen. Das Muster der Rassentrennung war bis in die letzte Ruhe hinein tief verwurzelt in der Ordnung. Die Spenderin des Grabes, eine ältere weiße Bürgerin, zeigte sich im Bericht empört, dass ihrem Gast die Grabstelle unter der Erde verwehrt bleiben sollte. Sie kam im Interview zu Wort und sagte, er sei schließlich ein Kriegsheld.91 Eine andere Nachrichtensendung aus den beginnenden 1970er Jahren führte die Fernsehzuschauer/innen hinter Gitter, wo unüblicher Weise mehr und mehr Frauen einsaßen. Die Rolle der Frau habe sich im sozialen Leben in den Vereinigten Staaten verändert, und damit auch ihre Rolle in der Kriminalität, soweit die Ursachenforschung zum Problem. In den vergangenen 10 Jahren habe sich die Zahl der Frauen, die an Verbrechen beteiligt waren, um 202 Prozent erhöht, moderierte John Chancellor eine Reportage zur erschreckenden Verbrechensentwicklung auf der Geschlechterachse an. Früher seien Frauen beim Ladendiebstahl oder als Prostituierte erwischt worden, erklärte Voice-over Liz Trotta. Nun stiegen die Zahlen gerade auch bei den „harten Verbrechen“. Mord, Totschlag, bewaffneter Raubüberfall, Drogendelikte und ähnlich schlimme Dinge seien in die Register der Verbrechensstatistiken eingerückt. Frauen würden dafür bestraft und rehabilitiert, so die Idee. Doch die Frauen-Gefängnisse seien nicht bereit für die Flut an Verbrecherinnen. Die Frauen müssten schwierige Dinge dort lernen; wie sie mit einer Lesbe umzugehen hatten oder sie wurden dort selbst lesbisch. Sie müssten mit Insassinnen „anderer Hautfarbe“ zurechtkommen, lernen ob man „ja“ oder „nein“ zu einem Überangebot an Drogen sage, müssten zurechtkommen in einer Welt, in der einem nichts wirklich gehörte, müssten als Mütter lernen, ohne ihre Kinder zu leben, müssten Einsamkeit verkraften. Letztere Erklärung wurde im Bericht mit einer bügelnden Frau bebildert. Männergefängnisse seien dagegen besser auf ihre Zielgruppe ausgerichtet, hätten viele das Gefühl – so die vergleichende Perspektive des Berichtes. Und diese Geschlechterunterschiede hinter Gittern prangerten etliche weibliche Verteidigerinnen auch an. Darüber hinaus beklagten betroffene Frauen im Interview, dass ein Mann sich wieder rehabilitieren könne. Eine Frau, die eine Säuferin gewesen sei, würde nach dem Verbüßen ihrer Strafe nie wieder respektiert. Sie bliebe eine moralisch Gefallene, erklärte eine Expertin am Ende des Berichts.92 So sehr Ausnahmesituationen, wie die skizzierten, auch von Seiten der Nachrichtenredaktionen immer aus Perspektive einer unmarkiert heterosexuellmännlichen weißen Mitte heraus erzählt wurden, rückten doch die Ränder immer stärker in den Fokus der politischen Berichterstattung. Gerade über die Markierung des Absonderlichen wurde in den Nachrichten aus der ersten Hälfte der 1970er Jah91 NBC, EN – Sunday, Aug. 23, 1970 – Florida / Burial Trouble. 92 NBC, EN – Monday, Nov. 1, 1971 – Women in Crime.
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re die Norm bestätigt. So hatten im Wahlkampf 1972 die Demokraten zu einer Veranstaltung nach Boston in die Faneuil Hall geladen, in der alle minorisierten und ausgegrenzten Gruppen zu Wort kommen sollten. CBS berichtete, es werde um alle gehen – von Alten bis zu Kindern, von Schwarzen bis zu Weißen, von der Women‘s bis zur Gay Liberation. Eine Frau von der NOW (National Organization for Women) erschien im Bild und erklärte die Zeit für beendet, in der Frauen nur die Briefumschläge zugeklebt hätten, vielmehr würden sie sich nun in die politischen Inhalte einmischen. Ein Aktivist der Schwulenbewegung sagte, er sei mittlerweile guter Hoffnung, weil sich immer mehr Leute darüber bewusst würden, in welchem Maße Homosexuelle unter Diskriminierung litten. Die schwarze Aktivistin Beulah Saunders von der Organisation für „welfare rights“ kam im Bericht zu Wort und beklagte die Aufregung um ein paar tausend Dollar, die Familien zur Bekämpfung ihrer Armut gezahlt bekämen. Im Bild der Abendnachrichten sagte sie, dies sei „absurdes Theater“. Ein Mann betonte, dass die Demokraten die Stimmen der Schwarzen nicht zum Nulltarif bekommen könnten, noch dürfe man den Republikanern erlauben Afroamerikaner zu ignorieren. Ein im Anschluss daran eingeblendeter weißer Abgeordneter sagte: „We cannot solve the problem of black America at the expense of the white working class!“93 Wie in den vier hier eingangs des Kapitels beschriebenen Sendungen skizziert, drangen zu Beginn der 1970er Jahre immer mehr Berichte über Minderheiten in die Nachrichten, wurden Gruppen in ihrer Geschichte und allen Lebenslagen problematisiert. Es wurde über Frauen, Frauenbewegung, kriminelle Frauen und Abtreibung berichtet. Die Nachrichten verhandelten Homosexualität, Rassismus, Black Power, die hohe Arbeitslosigkeit unter Afroamerikanern und eine Organisation namens „Nation of Islam“. Diese Identitätsgruppen tauchten als „die Anderen“ auf. Wie sich in den beschrieben Beiträgen aus den Jahren 1969 bis 1972 bereits andeutete, verstrickten sich die Problematisierungen auch im weiteren Verlaufe der 1970er zunehmend. Die Leute der Ränder erschienen auch in den Rationalitäten der Fernsehnachrichten als Schnittstellen verschiedener Identitäten. Manchmal versuchten sich die Journalisten darin, ein besonders homogenes Bild „der Frau“ oder „des Afroamerikaners“ zu zeichnen. „Der Homosexuelle“ blieb in den Nachrichten der 1970er Jahren am längsten eine recht diffuse, nichts desto weniger aber eine als äußerst bedrohlich dargestellte Figur. Immer, gerade auch in den progressiven Nachrichtenerzählungen, folgten sowohl Anmoderation, wie die Berichtsstimme aus dem Off, ebenso der berichtende Außenreporter vor Ort einer scheinbar objektiven Berichtslinie, in der sich die Perspektive „des Normalen“, der MainstreamGesellschaft auch in den Nachrichten über das angeblich Besondere finden konnte. Im Folgenden werden die unterschiedlichen Strickmuster des Auftauchens von Frauenkörpern, Schwulen und Lesben, sowie von Schwarzen in der Nachrichten93 CBS, News Broadcast – Tuesday, May 30, 1972 – 72 Campaign / Demo Platform.
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landschaft des Fernsehens aufeinander folgend nachgezeichnet. Wo implizite und explizite Überschneidungen hergestellt wurden, werden die Identitätsmuster in ihrer Verwobenheit belichtet.
F EMINISMUS Die „Women’s Liberation“ war ein Thema, welches auch im Fernsehen zu Beginn der 1970er Jahre alle möglichen gesellschaftlichen Bereiche affiziert zu haben schien.94 Die Frage nach Gleichberechtigung war längst in den kulturellen Text eingedrungen, auch weil die Nachrichten immer wieder von den Frauen der Bewegung und über sie als Querulantinnen berichteten, so sehr ihre Verkünder auch versuchten, das Thema an einzelne Gruppen von Aktivistinnen zu heften. Reporter Chet Huntley eröffnete den letzten Bericht einer Serie über unterschiedliche Facetten der US-Frauenbewegung mit der Erklärung, im ganzen Land wüchsen die Forderungen von Frauen nach gesellschaftlicher Gleichberechtigung; „different from men – but equal to them“ – übertrug der Nachrichtensprecher die aus der Segregationslogik des Rassismus stammenden Formel. Sowohl für den Arbeitsplatz als auch in der Politik galten die Forderungen, so der Journalist weiter. Dann kündigte er an, dass der folgende Bericht der Herkunft solcher Forderungen nachspüren werde, dass man Frauenorganisationen betrachten werde und Dinge, die Frauen sagten und taten. Es kam zunächst Alice Paul zu Wort, eine Grande Dame der Wahlrechtsbewegung. Paul strich den Erfolg der Wahlrechtsbewegung, die vor fünfzig Jahren für Frauen Zugang zu den Urnen erstritten hatte und zeigte sich hoffnungsfroh, dass der Prozess der Emanzipation nun zu einem guten Ende gekommen sei. Die „National Women’s Party“ (NWP) setzte sich von ihrem Hauptquartier, das sich, wie die Reporterin Aline Saarinen ihre Zuschauer/innen wissen ließ, „in einem von Washingtons liebenswertesten Häuser“ befand, nun für das 26. Amendement ein. Unter anderem sollte dieser Verfassungszusatz Frauen persönliche Rechte garantieren. Zehn Millionen Frauen unterstützten diese Aktivitäten der NWP. Von dieser großen Zahl wähnte sich allerdings lediglich ein Prozent dem engeren Kreis des „Women’s Liberation Movement“ zugehörig. Reporterin Saarinen betonte, dass es sich auf
94 Vgl. zum weiteren Hintergrund der Frauenbewegung in den USA der 1970er Jahre: Ruth, Rosen, The World Split Open: How the Modern Woman’s Movement Changed America, New York 2000. Vgl. außerdem zum Komplex der Darstellung von Frauenkörpern in der Fernsehkultur der 1970er Jahre: Felix Krämer: Rezension zu: Levine, Elana, Wallowing in Sex. The New Sexual Culture of 1970s American Television. Durham, 2007, in: HSoz-Kult, 16.08.2007, .
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dem Feld der Frauenrechte also um eine ganze Bandbreite an Aktivistinnen handele, von Reformerinnen bis hin zu Revolutionärinnen.95 Die Bilder im weiteren Verlauf des Berichtes zeigten Verhaftungen. Es wurde eine Verbindung zwischen Friedensbewegung und subversiven „SDS-girls“ hergestellt. Von den „Witches“, einer Satire-Gruppe mit dem bedrohlichen Namen „Women‘s International Terrorist Conspiracy from Hell“, über radikale Gruppierungen, in welchen die Auffassung herrschte, Männer seien aus dem Leben von Frauen und dem ihrer Kinder herauszuhalten, bis hin zur größten Organisation der „National Organization for Women“, deren Programm dagegen moderat war, stellte der Bericht dem Nachrichtenpublikum die Frauenbewegung vor. Über Selbsthilfegruppen, Zusammenkünfte zur Ermächtigung in Netzwerken bis hin zu JudoSelbstverteidigung zum Aufbau eines weiblichen Selbstbewusstseins wurden Bilder von Aktivitäten gezeigt. Eine schwarze Frauenrechtlerin betonte, dass es um nichts weniger gehe als zwei der grundlegenden Traditionen im Lande herauszufordern: Rassismus und Antifeminismus. Eine junge Rednerin sprach von Solidarität, von Loyalität zwischen Schwestern, Mut sei von Nöten, betonte sie. Es wurde festgestellt, dass Verständnis und Einfühlungsvermögen positive Eigenschaften seien – ganz entgegen der Tradition, die immer wieder versuche, Frauen für solche Fähigkeiten gering zu schätzen. Eine Frau erklärte: „It is not – as I have said and we are saying up and down the land – a fight to be fought in the bedroom but in the city – in the political arena.“96 Schönheitswettbewerbe waren ein Kulminationspunkt der Auseinandersetzung zwischen Feministinnen und einer sexistischen Gesellschaft an der Wende von den 1960er zu den 1970er Jahren. Immer wieder berichteten die Nachrichtensender über Ausschreitungen und Protestaktionen, wobei sich in einem ABC-Bericht aus dem November 1971 der Reporter Barrie Dunsmore im Interview mit der Miss America als Kritiker aufspielen konnte. Der Schönheitswettbewerb war zu einem umkämpften Feld um Frauenkörper und ihre Repräsentation geworden. Nachdem Reporter Harry Reasoner den Bericht mit den Worten eröffnet hatte: „Beauty contests in the United States are as American as, (let’s) say: apple pie.“ Der Reporter erklärte seinem Publikum, die Veranstaltungen seien überall auf der Welt beliebt, aber die Frauenbewegung mochte sie nicht. In London war an diesem Tage die Miss World gekürt worden, es habe Miss Brasilien gewonnen, doch stünden solche Wahlen zur Disposition, berichtete der ABC-Reporter weiter. Nachdem sie anständig angezogen war, wie die Sprecherstimme aus dem Off betonte, erschien Miss America aus Texas zum Interview mit dem Außenreporter. Die Frau stellte selbst die Frage, warum nicht immer das hübscheste Mädchen gewinne und lieferte auch gleich die Antwort, indem sie erklärte, die Gewinnerin müsse etwas ausdrücken, das mehr sei 95 NBC, EN – Friday, Apr. 3, 1970 – Commentary (Women‘s Organizations). 96 Ebd.
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als ihr bloßer Körper. Der Reporter fragte, ob es nicht nur um Sex gehe und Miss America geriet kurz aus der Fassung, um dann empört zu betonen, dass sie selbst, wenn es nur um Sex gegangen wäre, den US-Wettbewerb niemals für sich entschieden hätte. In dem Interview wird deutlich, wie der Körper der Frau zum Schauplatz der Auseinandersetzung um weibliche Selbstbestimmung im Fernsehen geworden war. Gleichzeitig erweiterte sich das Repertoire, innerhalb dessen der weibliche Körper als das Objekt der Betrachtung besprochen werden konnte. Dabei zeigte sich, wie Reporter Dunsmore den Rahmen des Berichtsinteresses an der Gestalt der jungen Frau genau umriss, im Grunde bevor sie überhaupt zu Wort kam. Dass dabei der Schönheitskönigin in der Interviewsituation eine „authentische Stimme“ verliehen wurde, war Teil des neuen Settings, in dem weibliche Körper und Sexualität im Fernsehen verhandelt werden konnten. Das Subjekt Frau wurde als Mitwirkende ein Stück aktiver in Szene gesetzt, ohne dass sie den Rahmen hätte verlassen können. Dadurch, dass die junge Texanerin den Wettbewerb selbst legitimierte, sollten die Kritiker/innen aus der Frauenbewegung Lügen gestraft werden. Der Nachrichtenreporter selbst nahm den Platz des richtenden Kritikers ein. Journalist Dunsmore erläuterte aus entsprechend überlegener Position, es sei egal, was die einzelnen Frauen vorzubringen hätten, eine habe sogar einen braunen Gürtel in Karate, doch letzten Endes obläge es dem Urteil einer Jury, die festlege, welche Frau vom Körper und Gesicht betrachtet die ideale Frau sei. Eine junge Frau mit blonden Locken wurde eingeblendet, als der Reporter zum finalen Schlag gegen die Veranstaltung ausholte und gegen die Sendung wetterte, die ihm gerade einen langen Bericht Wert gewesen war; es springe ins Auge, betrachte man das Feld der Siegerinnen, dass die Miss World-Leute zu viele 1940er Jahre Betty Grable-Filme gesehen hätten.97 Jenseits der Laufstege der Schönheitswettbewerbe hatten die Fernsehnachrichten, verkleidet im Modus der Kritik, selbst ein umfassendes mediales Bild der Frau, des Miss-Wahl-Objekts hergestellt und ausgestrahlt. Doch nicht nur in Äußerungen von Miss-Texas suchten Fernsehmacher nach dem Status weiblicher Freiheit zu Beginn der 1970er Jahre, die Beschäftigung mit der Rolle der Frau in den Nachrichten war weitreichender. Im September 1972 ließ NBC den Blick über die Grenzen der USA hinaus auf die andere Seite des Eisernen Vorhangs schweifen. Das universelle Subjekt Frau reichte bis ins System des Kommunismus. Und die Situation der Frauen in den Vereinigten Staaten musste jenen Vergleich der Systeme aus Sicht des TV-Journalismus nicht scheuen. Reporter Gerrick Utley eröffnete den Bericht, während in seinem Rücken ein gewaltiger Globus zu sehen war, auf dem die Grenzen der UdSSR und Moskau dick eingezeichnet waren, mit den Worten: „In Russia, women are not only able to work in all sorts of jobs – they have to!“ Der anschließende Bericht zeigte eine ältere Frau mit 97 ABC, EN – Nov. 10, 1971 – Miss World Contest.
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Kopftuch, die auf einem Feld zu Gange war. Reporter Robert Hager erklärte, dass in der Sowjetunion beinahe alle Frauen arbeiteten. Die Regierung brauche Frauen, um Engpässe unter russischen Arbeitern auszugleichen und um die Produktivität zu erhöhen. Die Frauen müssten wegen zu niedriger Löhne arbeiten, erklärte Hager weiter. Und dies sei hart für sie, weil sie auf dem Weg zur Arbeit noch einkaufen müssten und das bedeutete Schlange zu stehen. Es wurde ein Auflauf an Menschen vor einem Geschäft gezeigt, von denen allerdings nicht alle wartenden Frauen waren und der Nachrichtenmann lieferte zu den Bildern die Erläuterung, es sei besser, morgens zu kommen, abends seien kein Fleisch und auch keine Früchte mehr zu bekommen. Kleine Kinder müssten in der Obhut der Großmutter oder einer staatlichen Einrichtung gelassen werden, so die Berichtslage im US-Fernsehen zur familienfeindlichen Atmosphäre in der Sowjetunion. Zwar verdienten Ärztinnen im Krankenhaus dasselbe Gehalt wie die Männer, doch in der Politik lägen die Frauen zurück, frohlockte NBC; es gebe keine weiblichen Mitglieder im Politbüro.98 Der Nachrichtenbeitrag bildete allem Anschein nach eine Schnittmenge zwischen System- und Geschlechterachse. Die Frage nach Gleichberechtigung hatte – aus Sicht US-amerikanischer Nachrichten in kommunistischen Staaten eine andere sozioökonomische Dimension. Auf das Rezeptionsfeld der Männlichkeit brachte der Bericht seine Betrachter/innen, indem wieder Frauen auf Feldern gezeigt wurden, mit der Erklärung, dass die harte Feldarbeit in den weitläufigen Kollektivfarmen auch meist von Frauen verrichtet wurde. Die Männer seien für die Beaufsichtigung zuständig und für die Logistik. Frauen arbeiteten auch in Stahlfabrikation und Kohleminen. Die Reportage suggerierte an dieser Stelle, dass hier Frauen wie Sklavinnen zu harter Arbeit getrieben würden, während sich „der russische Mann“ in Gutsherrenart um die Mehrung seines Besitzes kümmerte. Es wurden Frauen mit Kopftüchern beim Straßenbau gezeigt und erklärt, die sowjetische Propaganda glorifiziere diese üblen Umstände und behaupte, die kommunistische Gesellschaft habe wahre Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern erreicht. In Wirklichkeit, so das Fazit, sei die Regierung weniger an feministischer Ideologie interessiert als an Produktion. Das habe das Leben vieler Frauen keineswegs verbessert, so das Resümee.99 In solchen Ausschnitten präsentierte sich den TV-Zuschauer/inne/n auf verschiedenen Sendern zu Beginn der 1970er Jahre eine Szenerie, in der Frauenkörper durch die Nachrichten bewegt wurden. Journalist/inn/en rationalisierten in ihren Fernsehberichten Frauenkörper und die Forderung nach Gleichberechtigung nach der Medienlogik der TV-Nachrichtenformate. Gleichzeitig zeichneten sie unterm Strich ein Bild, in dem das bedrohliche Heer der Frauenrechtlerinnen selbst ein diffuser Haufen war, der sich unentschieden zwischen moderaten und verdienten Mo98 NBC, EN – Sunday, Sept. 24, 1972 – Women’s Liberation USSR. 99 Ebd.
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dernisiererinnen und radikalen Feministinnen aufteilte. Es schien, schenkte man den TV-Nachrichten Glauben, kaum absehbar, wo genau das Geschlechterverhältnis aus diesem Prozess heraus kommen würde. In ihrer Zweitverwertung durch die Fernsehnachrichten blieben selbst Schönheitswettbewerbe ambivalent. Einerseits seien sie so amerikanisch wie „apple pie“, andererseits eine durchaus kritikwürdige Angelegenheit. Diesen letzten Umstand nahm der TV-Journalismus gerne zum Anlass, um den Körper der Frau als Besprechungsobjekt ins Bild zu rücken. Dass im Zuge der investigativen Bemühungen beispielsweise Miss Texas, inklusive eigener Haltung und Meinung ins Bild der Nachrichten gesetzt werden musste, war wohl Ziel und gleichzeitig Effekt des besprochenen ABC-Berichtes.100 Und schließlich wurde die Lage der Frauen im Kommunismus dargestellt, was in der globalen Perspektive auf das Subjekt Frau die weiblichen Bürgerinnen der USA unter anderem lehren konnte, wie gut es um sie in den Vereinigten Staaten bestellt war. NBC führte vor, dass die Lage der russischen Frauen, trotz (oder gerade wegen) eigener Erwerbstätigkeit nicht gerade rosig war und es ihrer Geschlechtsgenossinnen im USKapitalismus durchaus besser ging. Neben solchen kulturellen und ökonomischen Verhandlungen gab es ein Thema, das wie kein anderes moralisch und materiell um weibliche Selbstbestimmung und Zugriff auf Frauenkörper kreiste, über das auch die Fernsehnachrichten seit Ende der 1960er Jahre immer wieder berichteten.
ABTREIBUNG Die Mehrzahl der Berichte zu Abtreibung und Verhütung aus den späten 1960er Jahren mäanderten noch diffus zwischen lokaler Politik und nationaler Dimension. Auch zu Beginn des folgenden Jahrzehnts hatte das Thema noch keinen klaren Bezugspunkt. In verschiedenen Sendungen wurde die Fernsehöffentlichkeit über politische Forderungen zum Thema informiert, zum Beispiel seitens der „American Public Health Association“ – eine Organisation, die sich 1968 zum ersten Mal einen Afroamerikaner zum Präsidenten gewählt hatte.101 Doch in den allermeisten Fällen kamen Ende der 1960er und zu Beginn der 1970er Jahre in den Nachrichten zu Schwangerschaftsabbrüchen nicht etwa Gesundheitsexperten sondern Vertreter der katholischen Kirche zu Wort. Diese sprachen sich gegen die Praxis der „Abtreibung“ aus. Gab man den religiösen Männern keinen Raum im Bild, wurde häufig irgendein Geistlicher zitiert, der sowohl Verhütungsmethoden als auch Abreibungspraktiken vermaledeite. Im Dezember 1969 berichteten alle Sender über das Ergebnis der Arbeit eines Komitees, das der Bürgermeister von Washington, D.C. eingesetzt hatte. Abtreibungen waren nach Empfehlung des Gremiums im Bezirk nach 100 ABC, EN – Wednesday, Nov. 10, 1971 – Miss World Contest. 101 CBS, EN – Thursday, Nov. 14, 1968 – Abortion / Association President.
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Bedarf durchzuführen. In der ABC berichtete Reporter Frank Reynolds von der Debatte um die Entscheidung und bezog die Kritik des Washingtoner Erzbischofs ein; der katholische Kirchenmann habe von einer neuen Art der Gesundheitsvorsorge, von „einer tödlichen Medizin“ gesprochen.102 Uneindeutig blieb auch ein NBCBericht kurz vor Weihnachten 1969; darin kam der Arzt A. Frans Koome zum Vorschein, der im Untergrund gearbeitet hatte, bevor er sich entschloss, einen Brief an seinen Gouverneur zu schreiben, in dem er bekannte, 140 Abtreibungen durchgeführt zu haben. Er rühmte sich im Interview, statt der möglichen 500 bis 600 Dollar nur 150 Dollar von den Frauen genommen zu haben. Eine anonymisierte Patientin sprach hinter einer Schattenwand davon, welch sicheres Gefühl ihr der Mediziner vermittelt habe. Die Frau sagte, sie wünsche alle Abtreibungsärzte seien so qualifiziert wie er.103 Im Jahr 1970 berichteten alle Nachrichtensendungen in einer Fülle von verschiedenen Fallbeispielen von Schwangerschaftsabbrüchen. Sie zitierten moralische Einlassungen von Kirchenvertretern, berichteten von Demonstrationen der Frauenbewegung und von Stellungnahmen durch Senatsmitglieder. Die Beiträge zeigen eine Dynamik und Tiefe, mit der sich das Thema über die Nachrichten in die politische Kultur geschoben hatte. Es war mitunter bereits längst präsent in den Redaktionen, was es umso naheliegender erscheinen ließ, dass die Nachrichten durchgeführte oder verbotene, illegale oder durch eine Gesetzgebung erlaubte Abtreibungen beschrieben. Die Berichte handelten sämtlich von Geschichten, die nicht erst tags zuvor, sondern bereits in den letzten Jahren geschehen waren. Das Thema bot Journalist/inn/en die Möglichkeit, sich als Aufklärer über eine lange verschwiegene Praxis zu (re-)präsentieren als 1970 die Geschichten um Abtreibungen auf breiter Front in die Nachrichten einrückten. Nach nur 3 Sendungen im Jahr 1969 zum Thema wurde die Zuschauerschaft der ABC, CBS und NBC im Verlaufe des Jahres 1970 38 Mal über das Thema „Abortion“ informiert. Inhaltlich und in der moralischen Bewertung variierten die Berichte zum Thema noch immer immens im weitläufigen Feld. Das lag auch daran, dass sich Reporter/innen aus unterschiedlichen politischen Perspektiven einzelnen Fällen in der Rechtsprechung sowie Fallbeispielen aus unterschiedlichen Bundesstaaten widmeten. Einen Bezugspunkt schien die journalistische Beschäftigung allerdings bereits zu haben; das war der Fall des „District of Columbia“, der wie ein Stein des Anstoßes überall immer wieder auftauchte, wenn Reporter versuchten, in Bild und Ton irgendeine Ordnung zu den losen Fragmenten um weibliche Körper, Selbstbestimmung, Kriminalität und Tötung in die Wohnzimmer der US-Amerikaner/innen zu transportieren. So kamen in den NBC-Nachrichten vom 9. April 1970 die unterschiedlichen Positionen auf den Schirm. Aufhänger war ein Gesetz in New York, das – wie Da102 ABC, EN – Tuesday, Dec. 9, 1969 – Abortion. 103 NBC, EN – Thursday, Dec. 18, 1969 – Abortion / Koome / Washington.
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vid Binkley in seiner Anmoderation zum Bericht erklärte: „die Entscheidung der Frau zum Maßstab der Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch machte“. Der Bericht begann mit Drehorgel-Musik im Hintergrund und der Sprecherstimme von Catherine Mackin, die erklärte, Schwangerschaft sei eine sehr besondere Zeit im Leben einer Frau, in der sie behütet und respektiert werden müsse. Dies sollte eine glückliche Zeit sein, denn die meisten Frauen seien in dem Bewusstsein erzogen worden, ihre wahre Rolle wäre die einer Ehefrau und Mutter, legte die Sprecherin nach, bevor sie ihr Publikum in die Einflusssphäre medizinischer Möglichkeiten überführte und erklärte, dass manche Frauen an ihrer beschriebenen Vorbestimmung zweifelten. Es wurde ein Wartezimmer ins Bild gerückt. Reporterin Mackin erklärte, dass die Pille, aber auch Abtreibungsmöglichkeiten in Kliniken oder privaten Arztpraxen Frauen die Freiheit gewährten, sich nicht in die Rolle zu fügen. Anschließend schwenkte der Bericht in eine Senats-Anhörung, wo die Sicherheit und Gesundheitsverträglichkeit der Pille verhandelt wurden. Es wurden Frauen gezeigt, die aufgebracht in der Anhörung rebellierten und riefen, dass die Mitglieder nicht die Gesundheit von Frauen, sondern nur die eigenen Vorteile und Anschauungen im Sinn hätten. Die folgende Szene zeigte eine Frau, die allein in einem Raum mit einem Anrufbeantworter einer seelsorgerischen Hotline über das Telefon kommunizierte. Es wurde erklärt, eine Frau könne in Illinois und etlichen anderen Staaten, wo Abtreibungen verboten seien, Hilfe von kirchlichen Beratungsstellen bekommen, einfach durch einen Telefonanruf. Die technisch generierte Stimme am anderen Ende der Leitung sagte: „This is the Chicago area clergy consultation service on problem pregnancy. You are being answered electronically and need only take down one of the four clergymen, whose names will follow. Clergymen this week are ...“ Die Selbstbestimmung über den eigenen Körper kam im weiteren Verlauf des TV-Berichts zur Sprache, während eine Gruppe Aktivistinnen aus Chicago eingeblendet wurde. Es wurde erläutert, dass für die Frauen aus der Emanzipationsbewegung nicht die Frage entscheidend sei, ob nun die Pille oder eine Abtreibung das richtige Mittel gegen ungewollte Schwangerschaft wäre, sondern lediglich, dass jede Frau selbst über ihren Körper bestimmen könne.104 Im ersten Bericht zu Abtreibungen 1971 wurde das neue Abtreibungsgesetz in New York verhandelt. Eine Frau kam in einem Interview-Setting zu Wort und erklärte, die Abtreibung in einer Klinik koste 300, jedoch 350 Dollar, wenn man sie von einem Arzt durchführen lassen wolle. Ein Experte sagte, Privatunternehmen würde immensen Profit aus dieser Situation ziehen. Helfer von Non-ProfitOrganisationen brachten die Frauen vom Flughafen in die Kliniken. Der Hinterkopf einer jungen Frau in einem Auto wurde eingeblendet. Sie erzählte, ihre Eltern seien keine Hilfe bei der Entscheidung gewesen. Nur mit ihrem Pastor habe sie sprechen können. Der Familienarzt habe ihr gesagt, sie sei selbst schuld an ihrem Missge104 NBC, EN – Thursday, Apr. 9, 1970 – Abortion / New York / Chicago.
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schick, und ihre Strafe sei nun eben, ein Baby zu bekommen. Der Präsident der Organisation „Med Ref“ fuhr das Auto, in dem die Frau saß, und erklärte in die Kamera blickend, es sei gut, die Frauen zu begleiten. Man müsse mit ihnen über ihre Lage und über Verhütung sprechen, sodass sie nicht ein Jahr später wieder mit demselben Problem nach New York kommen müssten. Seit das neue Gesetz zur legalen Abtreibung verabschiedet worden sei, hätten in New York knapp 100 000 Abtreibungen stattgefunden, von denen die Hälfte der Frauen aus anderen Staaten gekommen seien, informierte die Reporterstimme am Ende des Berichts das Fernsehpublikum über den genauen Rahmen des Problems.105 Insgesamt gab es nicht mehr so viele variierende Berichte zum Thema Abtreibung im Jahr 1971. Anstehende Gerichtsurteile bündelten das TV-Interesse. So erklärte CBS Sprecher Walter Cronkite dem Publikum am 21. April 1971, dass der Supreme Court die Voraussetzungen für Abtreibungen erleichtert habe. Vor dem eingeblendeten Haupteingang des Obersten Gerichtshofes der Vereinigten Staaten erklärte Cronkite, dass mit der Supreme Court Entscheidung ein Urteil überstimmt worden war, das die Gesetzgebung in Washington, D.C. für zu schwammig erklärt habe. Demnach war unklar gewesen, wo die Grenzen der Gesundheitsgefährdung für die Mutter liegen müssten. Nun hatten die Obersten Richter fünf gegen zwei beschlossen, dass der psychische Zustand nicht aus der Gesamtverfassung von Frauen herausdefiniert werden könne. Das, so erläuterte der CBS-Mann, gebe Ärzten maximalen Spielraum, da die Strafverfolgung beweisen müsse, dass keine Gefahr für die Gesundheit einer Frau im Falle einer Geburt bestünde und nicht etwa Ärzte sich in der gegenteiligen Nachweispflicht befänden.106 Im Januar 1972 schien das Pendel in Sachen Abtreibungsrecht wieder in die andere Richtung ausgeschlagen zu haben als ABC ein Urteil eines Gerichtes vermeldete, nach welchem Abtreibungen, die in öffentlichen New Yorker-Krankenhäusern auf Wunsch der betroffenen Frauen durchgeführt werden sollten, nun gestoppt werden mussten. Die Legalisierung war eineinhalb Jahre zuvor, Ende 1970 erst in New York umgesetzt worden. Doch nun hatte ein renommierter Juraprofessor gegen die legalen Möglichkeiten zum Schwangerschaftsabbruch geklagt. Ausgangspunkt seiner Klage war die Behauptung, dass ungeborene Kinder verfassungsmäßig garantierte Rechte hätten, und dass jenes fragliche New Yorker Abtreibungsgesetz ihnen die daraus abzuleitende Gleichbehandlung vor dem Gesetz vorenthielte.107 Für CBS wiederum berichtete Walter Cronkite im Februar darüber, dass Vertreter der römisch-katholischen Kirche die amerikanische Rechtsanwaltskammer aufgrund ihrer
105 ABC, EN – Tuesday, Apr. 6, 1971 – Abortions. 106 CBS, EN – Wednesday, Apr. 21, 1971 – Supreme Court / Abortions. 107 ABC, EN – Wednesday, Jan. 5, 1972 – Abortion.
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befürwortenden Äußerungen zur Legalisierung von Abtreibungen kritisiert hatten.108 Auswirkungen hatten Schwangerschaftsabbrüche, dem Eindruck nach, den das Fernsehnachrichtenpublikum bekommen konnte, auch auf die US-Familie in ihrem Streben nach Vollkommenheit. Probleme bereiteten Schwangerschaftsabbrüche sogar solchen Familien, in denen noch nie eine Abtreibung stattgefunden hatte. Ein NBC-Beitrag dazu begann mit der Ankündigung: „You are about to see something very rare these days: a baby.“ Nach dieser obskuren Eröffnung erschien eine junge Frau im Bild mit einem Neugeborenen im Arm, eine weitere Frau mit einem Aktenordner unterm Arm ging neben ihr einen Flur hinunter. Dazu erläuterte Reporter Don Oliver: „this baby being turned over to a young couple who have adopted it.“ Es gäbe nur wenige Babys, die zur Adoption stünden, so die Beschreibung der Situation. – Viele hoffnungsvolle Eltern warteten drei Jahre, andere hätten bereits verzweifelt aufgegeben. Eine Koordinatorin der Vermittlungsstelle wurde eingeblendet und erläuterte dem Fernsehpublikum die dramatische Lage. 1967 und 1968 seien es noch mehr als 200 Kinder pro Monat gewesen, die vermittelt werden konnten, 1971 habe man im Schnitt lediglich noch etwas über 100 Babys im Monat zur Adoption gebracht. Die Kamera schwenkte durch die Hörerschaft des Kreises adoptionswilliger New Yorker Eltern. Währenddessen lautete die Information zur Kindersehnsucht der Leute: Alle wollten ein Kind, aber im ganzen Land sei die Geschichte dieselbe: Baby-Wartelisten – und das sowohl für schwarze als auch für weiße. Allerdings verhaspelte sich die Adoptionskoordinatorin in ihrer zugespitzten Erklärung der Vermittlungsprobleme: „There are times […] that we don’t have, you know, anglo-toddler blue eyed fair haired kind (ah) girl, you know, everybody, ah not everybody but most - many people want this kind of child and they’re just not around.“ Den adoptionswilligen Eltern wurde im weiteren Verlauf der Info-Veranstaltung erklärt, dass es viele Schulkinder auf dem Markt gebe. Dafür sei das Zusammenbrechen der Familienstrukturen in den Vereinigten Staaten ursächlich, erklärte Reporter Oliver seinem Fernsehpublikum. Aber die meisten Eltern wollten halt nun mal kein älteres Kind, so ein Grund des Vermittlungsproblems, das den verantwortlichen Stellen zu schaffen machte. Nach den Gründen für die Engpässe auf der Angebotsseite auf dem Babymarkt befragt, sagte der Vorsitzende der AdoptionsBehörde, Ursache sei die Pille und die liberale Abtreibungsgesetzgebung in Kalifornien. Ein weiteres Problem sei, dass junge unverheiratete Eltern ihre Kinder häufiger behielten. Dieses letzte Argument wollte nicht so recht zu dem im Beitrag beklagten Zusammenbrechen des US-amerikanischen Familienlebens passen. Zum Abschluss des Berichts wurde ein glückliches Elternpaar gezeigt, das eines jener raren Babys aus einem Krankenhaus trug. Reporter Don Olivers frohlockte im Kom108 CBS, EN – Tuesday, Feb. 8, 1972 – Abortion.
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mentar für einen Moment, als er sagte, diese beiden hätten Glück gehabt, nach 21 Monaten Wartezeit, habe das Paar nun ein „gesundes weißes Baby“ bekommen. Abschließend wurde die düstre Prognose von Leuten aus dem Adoptionsgeschäft zitiert, die behaupteten, der Tag sei nah, an dem lediglich noch Kinder mit „körperlichen oder geistigen Problemen“ zu bekommen wären.109 Wie die Beispiele zeigen, war die Debatte um Abtreibung von verschiedenen Seiten eröffnet. In etlichen Beiträgen war der Link zur Frauenbewegung kaum zu übersehen, in manchen Nachrichtenberichten grundierte eine Skepsis gegenüber der Position der „Selbstbestimmung“ von Frauen über ihren Körper den journalistischen Kommentar. Aber das Recht auf Abtreibung war tatsächlich mehr als eine Forderung der Frauenbewegung. Kulturell überschritt die Frage nach Schwangerschaftsabbrüchen und der Selbstbestimmung des Körpers die feministische Bewegung in mehreren Dimensionen. Abtreibung war eine Größe, über die sexuelle Praktiken, soziale Bindungen, Familien, Hierarchien, mögliche Weiblichkeiten und Männlichkeiten verhandelt wurden. In der Frage nach dem Recht und der Möglichkeit auf Abtreibung kreuzten sich Bevölkerungspolitik, Klassenprivileg, Individualität und Familie. Und wie anhand des letzten Beitrages aus dem Februar 1972 deutlich zu erkennen ist, wurde sogar die Möglichkeit Familien über Adoption zu „komplettieren“, „unglückliche“ in „heile“ Familien zu verwandeln in einen Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen gebracht. Und Abtreibung wurde auch in den TV-Nachrichten zu einem Thema an der Schnittstelle zwischen Säkularität und Glaube, über das – über die Haltung der katholischen Kirche zu dieser Frage hinaus – in der US-Zeitgeschichte von den 1970er Jahren bis in die Gegenwart gestritten werden sollte. * Das Jahr 1973 begann mit dem Paukenschlag, der die ungewisse Debatte um Abtreibung beim ersten Hinsehen auf eine andere Ebene rücken sollte. Howard K. Smith berichtete in der ABC von der Entscheidung „Roe vs. Wade“: „The Supreme Court today ruled that abortion is completely a private matter to be decided by mother and doctor in the first three month of pregnancy.“ Dann verhaspelte sich der Nachrichtensprecher in einem Satz, der die Mehrheitsverhältnisse der Entscheidung von sieben zu zwei Richterstimmen beinhalten sollte, bevor er sich wieder gefangen hatte und verkündete, dieses Urteil werde die Gesetzgebung der Einzelstaaten zu Abtreibung von Grund auf verändern. Der folgende Bericht wurde eingeleitet durch den zweiten viel beachteten Fall, der in New York anhängig war. Darin ging es um die Frage, ob nun der Fötus in den ersten Monaten im Mutterleib bereits ein Lebewesen sei. In diesem zweiten Zusammenhang hatte der Oberste Gerichtshof einen 109 NBC, EN – Thursday, Feb. 3, 1972 – Babies for Adoption.
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Antrag zurückgewiesen, der beinhaltete, dass alle Abtreibungen im Staat New York gestoppt werden sollten. Der folgende Bericht begann wieder mit dem Juraprofessor Robert Burn, „der allen ungeborenen Kindern ein Schutzengel sein wolle“, so die Formulierung des Reporters Lem Tucker. Der Professor hatte eine Klage angestrengt, um Abtreibungen Einhalt zu gebieten. Ein Gefolgsmann von Burn aus der „Right to Life“-Bewegung erklärte, wenn man erlaube, ein menschliches Leben in solch einem frühen Stadium zu töten, wie wolle man das menschliche Leben dann in allen anderen Stadien schützen. Während zunächst das Eingangsschild einer Abtreibungsklinik, dann eine diffuse Gruppe von Frauen eingeblendet wurde, von denen allerdings keine zu Wort kam, berichtete die Reporterstimme von über 150 000 Frauen, die in den vergangenen zweieinhalb Jahren in New York eine Abtreibung gehabt hätten. Lem Tucker erklärte hierzu, die meisten hätten mit dem sicheren Gefühl gehandelt, jedwedes moralische und legale Recht auf ihrer Seite zu haben, um für das ungeborene Kind die Entscheidung zu treffen. Daraufhin wurde wieder der Aktivist aus der Lebensrechtsbewegung hinter seinem Schreibtisch sitzend eingeblendet, der sagen durfte, es werde immer nur über die Frauen und ihre Entscheidung gesprochen, obwohl diese nur ein Drittel der Beteiligten stellten. Die anderen würden nicht gehört, der Vater oder das Kind, so die Klage des Abtreibungsgegner weiter. Es kam eine Frau zu Wort, die sich gegen Abtreibung aussprach und eine, die für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch Stellung bezog. Letztere wurde lediglich von hinten im Bild gezeigt, ihre Gestalt war in der schwarzen Schattensilhouette eines anonymisierenden Interviews lediglich zu erahnen, bevor die Sprecherstimme resümierte: „The arguments will go on, because perhaps more than any other issue in American life today the abortion question is loaded with the emotional arguments of life, death, and morality.“110 Nachdem das Thema Abtreibung im privaten wie politischen Rahmen der Familienpolitik auch im Wahlkampf 1972 eine zunehmend wichtige Rolle gespielt hatte, und nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zu Beginn des folgenden Jahres, kamen in der ersten Hälfte 1973 neue Perspektiven hinzu, in denen Abtreibung, Bevölkerungspolitik und Nation diskursiv verschmolzen. So berichtete NBC, dass noch vor einigen Jahren Experten vor einer Bevölkerungsexplosion in der Vereinigten Staaten gewarnt hätten, welche die Einwohnerzahl der USA angeblich mehr als verdoppeln könne und die ernsthafte Probleme durch Überbevölkerung hervorrufen würde. Der Babyboom sei nicht nur ausgeblieben – im Gegenteil, es gebe einen „baby-bust“. Im letzten Jahr hätten die Vereinigten Staaten die niedrigste Geburtenrate ihrer gesamten Geschichte zu verzeichnen gehabt. Der massive Geburtenrückgang war eine gewaltige soziale und ökonomisch folgenschwere Entwicklung, so ein Experte im Interview. Diese Entwicklung sei Ergebnis ungeplanter 110 ABC, EN – Monday, Jan. 22, 1973 – Abortion.
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und spontaner privater Entscheidungen, erläuterte Reporter Ron Nessen. Der Bericht zoomte an sein Objekt heran, indem ein Pärchen im Rahmen einer kleinen Home-Story seine Beweggründe für die eigene Kinderlosigkeit darlegte. Nach Abschluss der Privatgeschichte fasste die Voice-over die Gründe für Kinderlosigkeit im Jahre 1973 nochmal für die Zuschauerschaft zusammen: Es gebe zugängliche Verhütungsmittel, Kinder kosteten Geld und die Verfügbarkeit von Abtreibungen sei gestiegen.111 Als sich die Entscheidung des Obersten Gerichts zur Abtreibungsfrage im Fall „Roe vs. Wade“ am 22. Januar 1974 zum ersten Mal jährte, berichtete Walter Cronkite für die CBS von den Demonstrationen in Washington, D.C., durchgeführt sowohl von Befürworter/inne/n legaler Abtreibungsmöglichkeiten als auch von ihren Gegner/inne/n. In der Reportage aus der Hauptstadt stellte sich die Lage folgendermaßen dar: Im Stadtteil Capitol Hill feierte eine Gruppe die Entscheidung in einer religionsübergreifenden Veranstaltung in einem Kirchenraum. Mitglieder einer Protestgruppe gegen das Recht auf Abtreibung, die sich „Pro Life Forces“ nannte, waren zum Kapitol marschiert. Wie Sprecherin Marya McLaughlin betonte, demonstrierten sie dort, wo bereits über etliche Vorlagen gebrütet werde, um Abtreibungen auf irgendeinem Wege wieder zu verbieten.112 Im Verlauf des Jahres 1974 wurde der Supreme Court immer wieder im Zusammenhang mit jener „Roe vs. Wade“Entscheidung ins Bild der Fernsehnachrichten gerückt. Es wurde darüber berichtet, dass der höchste Gerichtshof entscheiden müsse, ob ein Staat seine Abtreibungsgesetze verfassungswidrig geregelt habe.113 Oder die Nachricht bestand darin, dass der Supreme Court sich weigerte, eine Klage gegen das Urteil aus dem vergangenen Jahr aufzunehmen. Auch waren Entscheidungen Gegenstand der Nachrichten, die mit der Durchsetzung des Abtreibungsrechtes beispielsweise an allen öffentlichen Krankenhäusern in Zusammenhang standen, wie NBC in einem Bericht im Herbst 1974 zum Beispiel vermeldete.114 * Ein halbes Jahrzehnt später sah die mediale Gemengelage in Sachen Abtreibung komplizierter und zugleich eindeutiger aus. Ende der 1970er Jahre waren evangelikale Gruppierungen aufgetaucht, die eine neue Art weiblicher Rollenzuschreibung beanspruchten. Die moralische Verwerflichkeit von Abtreibung und die „feministische Gefahr“ waren Kernthemen, die in evangelikalen Zeitschriften, Radio- und 111 NBC, EN – Sunday, Mar. 25, 1973 – Population Growth USA. 112 CBS, EN – Tuesday, Jan. 22, 1974 – Abortion First Amendment. 113 CBS, EN – Monday, May 13, 1974 – Supreme Court Rulings (das Beispiel ist Rhode Island an dieser Stelle). 114 NBC, EN – Monday, Oct. 21, 1974 – Supreme Court Abortion Ravenel.
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Fernsehsendungen, aber auch in den Mainstream-Nachrichten immer wieder zum Problem erhoben wurden. Neben jener Politik, welche die Gruppe der Evangelikalen am weiblichen Körper festmachen wollten, hatte sich „Feminismus“ als Begriff längst weit von der Frauenbewegung gelöst und war in den Nachrichten der späten 1970er Jahre selbst zum Politikum geworden. Der Begriff musste nicht mehr eindeutig mit Akteurinnen in Frauengruppen verbunden sein, sondern avancierte zum vielgestaltigen Argument gegen weibliche Selbstbestimmung und Emanzipation. Insbesondere in den TV-Nachrichten wurde Emanzipation mit allerlei Zeitkritik in Verbindung gebracht und beinahe überall, wo von Krise und Verunsicherung die Rede war, lauerte Ende der 1970er Jahre feministisches Gleichberechtigungsbegehr. Eine weitere angeblich durchdringend kulturelle Gefahr, die diffus mit Gleichheit der Geschlechter verbunden schien, firmierte unter dem Begriff „Effeminierung“. Auch diese konnte anscheinend plötzlich alle möglichen Gegenstände und Körper in der US-Gesellschaft befallen. Feminismus wurde in den Nachrichten häufig metonymisch für die Gefahr einer schädlichen und zugleich verführerischen Subversion bewährter Rollenverständnisse verwendet. Entmännlichung und Effeminierung hatten anscheinend die kulturelle Ordnung und im Kern ihrer Führung befallen. Mit diesem Problem in den Vereinigten Staaten im Rücken wandte sich NBC in einem Bericht von 1978 einem ebenfalls eminent zerrissenen Landstrich zu, was die Frage nach Moral und Abtreibung anbelangte. Jede Frau könne nach dem Gesetz in Italien eine Abtreibung legal bekommen, berichtete Anchorman John Chancellor, allerdings klappe das nicht so wie gewünscht. Der darauf folgende Bericht stellte eine Art journalistisches Substitut dar. Implizit wurden die Verhältnisse in den Vereinigten Staaten verhandelt während die Fernsehkamera auf Wohl und Weh der italienischen Abtreibungsregelungen gerichtet wurde. Nach einer kurzen Einblendung von Demonstrant/inn/en in Rom – unterlegt mit dem Kommentar, vier Jahre Protest hätten nun zu einer Regelung geführt, mit der keiner glücklich sei – wurde Dr. Mario Pignanelli eingeblendet, ein italienischer Arzt, der beteuern durfte, er habe noch nie Abtreibungen durchgeführt und ihm wäre es gleichgültig, ob dies legal oder illegal sei. Die Sprecherstimme von Reporter Fred Briggs erklärte dem USPublikum, italienische Feministinnen unterstellten, es gehe bei der Weigerung seitens katholischer Kreise in Italien ums Geld, nicht um Religion. Im Untergrund seien schlicht mit Schwangerschaftsabbrüchen viele Millionen umgesetzt worden, so die Erklärung von Briggs. Es wurde Papst Johannes Paul I. mit Anhängerschaft auf dem Petersplatz eingeblendet. Der Papst drohte, jeder Katholik, der Abtreibungen vollzöge, werde exkommuniziert. Eine Feministin sagte, das Gesetz zur Legalisierung stelle für diejenigen Ärzte einen Nachteil dar, die zuvor viel Geld für Schwangerschaftsabbrüche kassiert hätten. Reporter Briggs erklärte, in Italien sei es durch die legalisierten Abtreibungen zu einem Mangel an Krankenhausbetten gekommen. Dort werde nämlich für einen solchen Eingriff eine Liegezeit von einer Woche veranschlagt. Ein Vergleich mit den Vereinigten Staaten zeigte dem Journalisten, dass
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ein Schwangerschaftsabbruch in Italien keine so kurzweilige Geschichte wie in den USA oder in Großbritannien war, wie er sein Publikum wissen ließ. Das abschließende Urteil zu den italienischen Verhältnissen lautete, das Gesetz zu verabschieden, sei möglicherweise eine leichtere Angelegenheit gewesen, als es durchzusetzen.115 Mehr noch als Richterstühle oder Rednerpulte in Parlamentssälen waren die Fernsehnachrichten zur breiten Bühne geworden, auf der das Thema Abtreibung der US-Öffentlichkeit präsentiert wurde. Und gerade über die TV-Berichterstattung zum Thema schienen sich Feminismus und Feminisierung wieder und wieder als Gefahr für einen schwächelnden Gesellschaftskörper zu präsentieren. Aus Sicht konservativer Kräfte lauerten diese heimtückischen Figuren ohnehin überall und konnten beklagt und bekämpft werden. Aus solcher Perspektive waren Feminismus und Frauenbewegung allenthalben für Abtreibungen, den Verfall der Familie und kulturelle Verführungskräfte verantwortlich. Die Angst vor dem Feminismus wurde durch konservative oder religiöse Kreise und ihre Veröffentlichungen in den Mainstream eingespeist. Doch auch von Seiten des TV-Journalismus wurde über die Bildschirme eine Restaurierung einer „heilen“ Vergangenheit gefordert. Die Mainstream-News produzierten dadurch eine gewisse Krisenwahrnehmung mit. Das intersektionale Feld jener Moralverhandlung zwischen Körper und Gesellschaft, das über das Nadelöhr der Nachrichten Öffentlichkeit erlangte, wurde in diesem ersten Abschnitt des Kapitels ausgehend von der Geschlechterachse aufgerollt und anhand des Themas „Abtreibung“ an seiner TV-Präsenz betrachtet. Nach einem Blick auf die Rolle christlicher Vertreter in dieser Diskussion, der nun folgen wird, sollen im Anschluss die Untersuchungskategorien „Sexualität“ und „Rasse“ die weitere Betrachtung durch die Fernsehnachrichten der 1970er Jahren leiten.
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In der zweiten Hälfte des Jahrzehnts hatte sich im Vergleich zur ersten Hälfte der 1970er Jahre die Speerspitze der religiösen Kämpfer gegen Feminismus und Emanzipationsbestrebungen verändert. Hatte sich noch bis 1975 etwa die Opposition zu Schwangerschaftsabbrüchen vor allem in den katholischen Gemeinden in Nordamerika abgespielt, und waren die öffentlich auftretenden Wortführer der AntiAbtreibungsbewegung zumeist katholische Geistliche, so standen plötzlich ab 1976 immer öfter evangelikale Pastoren im Rampenlicht, wenn das Recht von Frauen diskutiert wurde, über ihren Körper zu entscheiden. Katholische Kreise schienen im politischen Spektrum der USA über die Mitte aus dem Zentrum der Debatte zu rücken. Evangelikale hatten begonnen, die entscheidende Position in der Anti115 NBC, EN – Friday, Jun. 16, 1978 – Italy / Legal Abortion / Problems.
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Abtreibungs-Moral einzunehmen. Diese Entwicklung lässt sich an den Fernsehnachrichten ablesen. Im Sommer 1978 moderierte NBC-Reporterin Jessica Savitch einen Bericht an, indem sie erklärte, dass sich zwar viele Christen in den Vereinigten Staaten dieser Tage in ihren Gotteshäusern zusammengefunden hätten, um für den gerade neu gewählten Papst zu beten, es aber auch eine Menge Dinge gebe, die Gläubige im Lande über das Wirken der katholischen Kirche spalte. Vieles müsse den neuen Papst Johannes Paul I. umtreiben, wie der folgende Beitrag nahe legen sollte. Die ersten Bilder der Nachricht zeigten eine singende Gemeinde in einer Kirche. Die Sprecherstimme erklärte, dass den Bischöfen in den USA klar sei, dass sie versuchen mussten, wieder mehr ihrer Gläubigen in die Gotteshäuser zu bekommen. Es sei ein „Komitee zur Evangelisierung“ gegründet worden, um so viele der zwölf Millionen Katholiken wie möglich für den Kirchgang zurück zu gewinnen. Der Vorsitzende des Aktionskomitees erklärte, man versuche nun alle „inaktiv“ lebenden Katholiken ausfindig zu machen, werde ihnen Briefe schreiben, um sie zu fragen, warum sie nicht mehr beim Gottesdienst seien. Man wolle ermitteln, was ihre Fragen und Probleme seien, um sie einzuladen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen, so der fromme Wunsch. Es wurden Bilder aus einem Familienkreis solcher Abtrünniger gezeigt, die ihrer Kirche anscheinend entfremdet waren. Eine Frau kam im Interview zu Wort und erklärte, warum sie als gläubige Katholikin nicht mehr ins Gotteshaus zum gemeinsamen Gebet käme: „And we look around and say: Well, where is church? … Where is the pope’s encyclical on feminism?“ Ein geschiedener Mann – zum zweiten Mal verheiratet – beklagte, seine Kinder könnten keine Kirche annehmen, die ihn als ihren Vater nicht akzeptiere. Eine ältere Frau erklärte, sie bräuchten die katholische Kirche für die Liturgie und das Abendmahl, aber nicht, um auf Schritt und Tritt im Leben von ihr begleitet und bevormundet zu werden.116 Während die katholische Gemeinschaft in den USA gegen Ende der 1970er Jahre anscheinend Probleme hatte, ihre Mitglieder zum Gottesdienst zu bewegen, hatten protestantische Evangelikale längst ihr antifeministisches Repertoire präpariert, um selbst als moralische Instanz sichtbar zu werden. Abtreibung war in den USA im Verlaufe der 1970er Jahre vom Kernthema des Katholizismus zum politischen Evangelikalismus gewechselt. Katholiken in den Vereinigten Staaten und darüber hinaus waren mit dem Thema Abtreibung befasst gewesen, seit es Gegenstand gesellschaftlicher Verhandlung geworden war. Doch evangelikale Kräfte aus dem protestantischen Spektrum waren nun auf dem Weg in die politische Landschaft und mit ihnen die Rede vom „Baby Holocaust“ oder vom „Mord an unschuldigen Babys“. Mit Gründung der Moral Majority hatten Evangelikale 1979 den Katholiken in den USA endgültig den Rang als „Retter der Babys“ abgelaufen. Immer wieder
116 NBC, EN – Sunday, Aug. 27, 1978 – Catholic Issue.
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tauchte das Thema in ihren Zeitschriften und Predigten auf.117 Zudem wurden zu diesem Zeitpunkt Evangelikale weit häufiger in den Mainstream-Nachrichten mit antifeministischen Haltungen zitiert als katholische Geistliche. Äußerungen, in denen die Frauenbewegung als nationale Bedrohung der Moral erschien, existierten zwar bereits zuvor zu Hauf in den evangelikalen Veröffentlichung und Verlautbarungen, der Antifeminismus aus dem evangelikalen Spektrum war aber bis zum Dekadenwechsel nur in sehr geringem Maße in den Mainstream transportiert worden. Galt doch bis dato der Katholizismus als Hort der Opposition zu Abtreibung und Antifeminismus, auch in den USA. Dies hatte den Effekt, dass die zunächst noch diffus versprengten Evangelikalen in ihren Predigten auf geschlechterpolitischem Terrain kaum als unerbittliche Abtreibungsgegner und Gegner von Frauenrechtlerinnen wahrgenommen worden waren. Im Verlaufe der zweiten Hälfte der 1970er Jahre hatten evangelikale Pastoren Abtreibung immer wieder genutzt, um in ihren Gemeinden über die Moral der Welt und den Verfall von christlichen Werten zu klagen. Auch dieser Vorlauf sorgte für eine sinkende Zustimmung in der US-Öffentlichkeit zu Feminismus und körperlicher Selbstbestimmung von Frauen. Diese Entwicklung wurde zu Beginn der 1980er Jahre in den Mainstream-Medien zum plötzlichen Meinungs-Shift erklärt. Als Evangelikale vermehrt nach ihrer moralischen Haltung als Christen befragt wurden, tauchte die ablehnende Haltung zum Abtreibungsrecht der Frau scheinbar unvermittelt auf der Bildfläche auf, weil dieser Zweig der diskursiven Verschiebung im Mainstream-Rauschen um die starre katholische Position untergegangen war. Während die neue Realität auf dem evangelikalen Flügel noch keine durchdringende Öffentlichkeit gefunden hatte, präsentierten sich dem Fernsehpublikum im Herbst 1979 die Dynamiken auf der Geschlechter-Achse in der katholischen Kirche innerhalb einer dreiteiligen Serie zur Institution mit dem Titel „John Paul’s Church“.118 Das zweite NBC-Special Segment zur Kirche Johannes Pauls wurde eröffnet mit der Erklärung John Chancellors, es habe seit Mitte der 1960er Jahre tiefgreifende Veränderungen in der katholischen Kirche gegeben. Auf manche Reform hätten Kirchenmitglieder gedrungen, gegen manche wehrten sie sich aber auch, so der Anchorman der NBC. Zunächst wurde Baby Meredith Ann schreiend über ihrem Taufstein im Bild gezeigt und Reporter Lee McCarthy erklärte, dass im Moment da sie ihre Taufe durch das heilige Öl des Baptismus empfangen habe, die 117 Moral Majority Report, January 1980, S. 1. 118 Bei der Sendereihe handelt es sich um eine US-Perspektive auf die Veränderungen, die von Johannes (John) Paul II. zu erwarten waren. Dabei waren manche Themen, die den US-Nachrichtensender besonders interessierten – beispielsweise Frauen in aktiver Rolle in der Kirche oder die Haltung der Kirche zu Abtreibung – zum Teil bereits medial mit dem Vorgänger des neuen Papstes eng verquickt gewesen.
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Kirche bereits Jahrhunderte alte Traditionen innerhalb von nur zwei Dekaden verändert habe. Nach zwei musikalischen Einspielern von „Halleluja“ und „Teach Me Your Way“, bei deren Begleitung eine Frau an einer Gitarre im Bild erschien, fuhr der Bericht fort, indem festgestellt wurde, dass Gläubige mittlerweile eine aktivere Rolle im Gottesdienst einnehmen. Laien hätten an Einfluss gewonnen und zwar Männer wie Frauen, betonte der Kommentator. Aufgrund von Personalknappheit würden manche Frauen mittlerweile die heilige Kommunion anleiten, wurde verkündet, worauf im Bild eine ältere Frau erschien, die vor dem Altar Hostien verteilte. Die Rolle der Kirche selbst habe sich gewandelt, vermeldete der Reporter, denn Kirchengemeinden seien nicht mehr der Lebensmittelpunkt vieler jüngerer Mitglieder. Dann wiederholte sich die Klage gebetsmühlenartig, während ältere Leute in einer Reihe beim Feiern des Abendmahls gezeigt wurden. Es gingen lediglich 50 Prozent aller Katholiken im Lande in die Kirche, so die erschütternde Botschaft. Zur Untermalung des Gegenbeispiels ertönte die Phrase eines frohen Liedes: „you gave me strength“, bevor eine Frau im Bild erschien, die einen ungewöhnlichen Tanz in einem Kirchenraum vorführte, was Hoffnung auf Besserung angesichts der ansonsten ausgelaugten Kirchenbelegschaft vermitteln sollte. Dazu wurde festgestellt, die Kirche sei bei diesem alternativen Gottesdienst in Phönix, Arizona ausnahmsweise wenigstens voll besetzt. Die Berichtslage steuerte unvermeidlich auf Scheidungsraten zu, weil nun auch Katholik/inn/en mit ihren Quoten den Durchschnitt in Nordamerika erreicht hatten. Zudem seien Hispanics die am rasantesten wachsende Gruppe in der Kirche und forderten daher mehr Repräsentation – auch auf der Ebene der Bischöfe. Die 2% schwarzer Katholiken forderten eine aktivere Rolle der Kirche im Kampf gegen Rassismus ein, so der Berichtstext weiter. Die jeweiligen Gruppen waren bei ihrer Erwähnung stets in ihren Kirchenhäusern beim Singen und Beten gezeigt worden. Reporter McCarthy sagte in der Abmoderation, dass dies erst ein Anfang sei, dass im nächsten Bericht der Serie die Forderungen von Homosexuellen und Frauen auf das Priesteramt genauer unter die Lupe genommen würden.119 Die Ressentiments, die gegen Schwule, Lesben, gegen Frauen ganz generell in den oberen Rängen des Klerus sowie in der öffentlichen Sphäre herrschten, schallten in den Berichten über die Kirchen wider. Die Fernsehnachrichten der Kabelsender konnten nicht umhin, über dieses Konfliktfeld zu berichten. Allerdings wurden, was die katholische Kirche betraf, aufgrund der hegemonialen Krisenerzählung vom Niedergang der katholischen Kirche alle Emanzipations- und Partizipationswilligen zu Krisenverursachern gestempelt. Die introvertierte, mal implizite, mal explizite Klage der US-Katholiken über „fremdes Eindringen“ in ihre Körperschaft von Seiten der Hispanics, oder die „Verunreinigung“ ihrer Institution durch eman119 NBC, EN – Thursday, Sept. 27, 1979 – Special Segment (John Paul’s Church).
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zipatorische Forderungen nach spirituellen und theologischen Führungspositionen von Seiten der Frauen oder Homosexuellen wurde von den Nachrichten ebenso verbreitet und zitiert, wie die extrovertierte Anklage der Evangelikalen, diese Emanzipationsgruppen gefährdeten die Nation im Ganzen. Während die katholische Kirche in den USA mit sich und der eigenen Krisenwahrnehmung beschäftigt war, hatten Evangelikale den weit größeren Anteil daran, Feminismus und Homosexualität als die Verursacher von Instabilität und Führungslosigkeit in der gesamten Nation am Jahrzehntewechsel zwischen 1970er und 1980er Jahren in den öffentliche Auseinandersetzung einzubringen. Die Verurteilung dieser Gruppen von Seiten katholischer Kreise hatte den argumentativen Fluchtpunkt weniger in einer Moral, die auf einen nationalen Endkampf zielte. Die evangelikale Bewegung wurde in ihrer nationalistischen Politik dagegen spätestens ab 1979 weit sichtbarer als nationalistische Kraft – auch und gerade über die Nachrichten. Die Offensive Evangelikaler gegen Feminismus, Homosexualität sowie gegen die Konkurrenz von Pastoren aus der afroamerikanischen Bewegung, war letztlich nicht exklusiv eine Erfindung profilierungssüchtiger TV-Pastoren oder einer sich gerade (er)findenden „Moralischen Mehrheit“, sondern bereits in den Nachrichtenlandschaften seit dem Ende der 1960er Jahre angelegt und artikulierte sich Ende der 1970er Jahre über die Berichte vom Revival der Religion lediglich neu.
G AYS Kein Bericht erschien im Jahr 1969 im Fernsehen zu jenem Ereignis, das später als „Stonewall Riots“ zum umstrittenen Ursprung der Schwulen- und Lesbenbewegung werden sollte und das seit den 1990er Jahren in keiner Einführung zur Geschichte sexueller Emanzipationen mehr fehlen darf. Mit Bild auf der Frontseite erschien ein Artikel in der „New York Daily News“ am 29. Juli 1969, am Folgetag der Auseinandersetzungen zwischen Barbesucher/inne/n und Polizei. Viele kontroverse Darstellungen haben sich seither mit der Deutung der Vorfälle beschäftigt, die gewissermaßen als Initiationsmoment der Lesben- und Schwulenbewegung gilt. Doch so konkret das Gebäude der Bar auf dem Stadtplan im Viertel Greenwich Village zu lokalisieren ist, die Suche nach dem Ursprung der Stonewall Riots in den Nachrichten offenbart die Omnipräsenz eines historischen Nicht-Ortes namens „Stonewall“. Wie Scott Bravmann in „Queere Fiktionen von Stonewall“ zeigt, stellt die Rezeption der „Stonewall Riots“ einen äußerst umkämpften Platz in der Geschichte marginalisierter Identitäten dar.120 Zugespitzt kulminieren die Auseinandersetzungen an Fragen wie: Waren es weiße, schwule Männer und lesbische Frauen, die sich im 120 Bravmann, Scott, Queere Fiktionen nach Stonewall, in: Kraß, Andreas (Hg.): Queer Denken, Frankfurt/M. 2003, S. 240-274.
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Sommer 1969 in einem New Yorker Lokal gegen eine Razzia der Polizei wehrten, wie es in der Presseberichterstattung vornehmlich insinuiert wurde? Oder waren es, wie in John D’Emilios Nacherzählung betont, mehrheitlich nicht-weiße, ethnisierte, prekarisierte „schwule Männer aus der Dritten Welt“? 121 Hatte der Aufstand somit auch eine Klassendimension? Und waren Lesben am Aufstand überhaupt beteiligt oder gar in der Funktion als „Türsteherinnen“ auf Seiten der Polizei um Ordnung bemüht, wie ein „Augenzeuge“ behauptete?122 Gleichgeschlechtliche Sexualität, ihre Praktiken und deren Bedeutung wurden auch in unzähligen Auseinandersetzungen in Presse und Öffentlichkeit der USA seit Ende der 1960er Jahre verhandelt. Darin taucht Homosexualität als das Andere, als Rand, als Grenze oder als Bedrohung der heterosexuellen Norm auf. In etlichen journalistischen Darstellungen kam die Gay Liberation ins Bild, wurde thematisiert, verworfen oder in liberaler Geste als geduldete Normabweichung markiert. Lesbische Körper wurden, ganz im Sinne von Judith Butlers Beschreibung aus den 1990er Jahren, auch in der US-Fernsehlandschaft der beginnenden 1970er Jahre produziert und doppelt verworfen.123 Lesben tauchten auch im Kontext der GayLiberation sowie der Frauenbewegung auf. Wenn von Bedrohungen für Jugend, Gesellschaft und Nation in Fernsehbeiträgen die Rede war, ging es jedoch in aller Regel um männliche Sexualität, schwule Identität und Praktiken. Der Kampfplatz der TV-Performanz von „Homosexualität“ drehte sich in den 1970er Jahren um mann-männliche Sexualität und war auch in der US-Medienlandschaft ein Kampf um Männlichkeit. Tief sitze ein Problem in der Männlichkeitslandschaft der Vereinigten Staaten, betonte NBC-Reporter Chet Huntley, bevor er den Staatsanwalt Arlen Specter aus Philadelphia mit der Äußerung zitierte, homosexuelle Praktiken seien weit verbrei-
121 Zitiert nach Bravmann, Scott, Queere Fiktionen nach Stonewall, S. 248. 122 Bravmann zitiert hier Richard Savin – einen Augenzeugen, verweist aber darauf, dass dessen Darstellung Dubermans ausführlichen Arbeiten zu Stonewall nicht standhalten kann. Bravmann Scott: Queere Fiktionen nach Stonewall, S. 250f . Mark Haile weist in „The Truth About Stonewall“ auf eine Tradition in der amerikanischen Geschichtsschreibung, in der „zufällige oder absichtliche Änderungen und Auslassungen nichts Neues sind [...], wenn sie ethnische Menschen, Schwule oder Frauen betreffen.“ Demnach ist wiederum entscheidend, aus welcher Position heraus eine nachhaltige Anrufung einer bestimmten Geschichte geschieht bzw. gelingen kann. Laut Hailes Darstellung von 1989 waren es jedenfalls „Drag Queens, Stricher, Minderjährige, sowie ethnische Schwule und Lesben [...], die die Ereignisse initiierten.“ Zitiert nach Bravmann, Scott: Queere Fiktionen nach Stonewall, S. 247. 123 Butler, Judith, Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung, Frankfurt 2001, u.a. S. 155.
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tet in den Gefängnissen der USA.124 Jenseits der Gefängnismauern beschäftigte sich Anfang April 1969 die NBC in einem Binkley-Report mit den Anzeichen eines Erdbebens in San Francisco. Reporter David Binkley wandte sich einer vorahnungsgeplagten Gruppe von Mondanbetern zu – Leuten, die übernatürlichen Kräften nachspürten und verschiedenen Mystikern, die bereits vor einiger Zeit dem Staat Kalifornien das Herannahen eines Beben vorausgesagt hätten, wie Journalist Binkley herausgefunden hatte. Einige behaupteten, dass „es“ diesen Monat noch geschehen würde. Sprecher David Burrington erklärte, ein Leben über dem Andreasgraben sei generell ein äußerst gefährdetes, Menschen hätten aber wegen der Überfüllung Kaliforniens dort trotzdem in großer Dichte Häuser gebaut und seien in die Hochhäuser der Küstenstädte gezogen. Innerhalb eines Jahres war es nun zu einer berichtenswerten Epidemie an unheilvollen Voraussagen gekommen, sodass hunderte von Leuten ihre Häuser verlassen hätten, erklärte der Reporter, und auch vier Kirchengemeinden hätten den Ort der Gefahr verlassen. Aus einer jener schicksalsflüchtigen Gemeinden, einer Bibel-Apostolischen Kirche kam Pastor Robert Theobald zu Wort, der die moralische Dimension der Gefahr einfing: „I believe that Southern California will feel a tremendous devastation. I don’t believe it will be limited to this area. I have belief it will go up the coast of California possibly even western United States. As I say once again, because of sin have I belief that southern California, with its various sins in the form of hippies, adultery, homosexuality, topless night clubs are so much a general rebellion against God, that will be the reason for such tremendous devastation.“125
Noch viel unmittelbarer hatte es eine kleine Gemeinde im Goldenen Staat von Kalifornien erwischt. Am 22. Oktober 1970 eröffnete John Chancellor einen Bericht der NBC-Abendnachrichten mit einer alarmierenden Entwicklung. Die 384 Einwohner des kleinen „Alpine County“ in Kalifornien fassten ihre Politik normalerweise tolerant und mit Humor auf, so die Ausgangslage. Doch nun sei etwas Außergewöhnliches, etwas Politisches geschehen, an das die Gründerväter nie gedacht hätten. Das laufende Bild zeigte drei Männer, die in einer Reihe saßen. Einer von ihnen trug lange Haaren, Bart und Kopftuch. Er sagte, sie suchten nach einem Ort in diesem Land, wo sie frei von Unterdrückung leben konnten. Wie andere Minderheiten seien sie unterdrückt und erhofften sich, in dem fraglichen Distrikt eine Gegenkultur erschaffen zu können, um dort frei und glücklich zu leben. Es war die Rede von einer schwulen Kommune, welche auf einer verwilderten 40-Acres-Ranch eine „Gay Liberation Colony“ bilden, sich dort dauerhaft niederlassen wollten, wie NBCAußenreporter Ray Cullen erklärte. Nach der Gesetzeslage konnten sie auf Grund124 NBC, EN – Monday, Mar. 3, 1969 – Prison Reform. 125 NBC, EN – Thursday, Apr. 3, 1969 – California Earthquake Forecast.
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lage ihrer Zahl an Mitgliedern eine neue Bezirkswahl herbeiführen und die Regierungsgewalt an sich bringen, was den Bezirksvorsitzenden in Aufregung versetzte: „We are going to make every effort that is in our legal powers to prevent that someone of that nature is taking over our county. We have a very beautiful county up there. People are very happy, and we have nothing of that nature – we don’t know much about it, but we hear that it is not desirable, and we gonna try to keep it out!“
Die Sprecherstimme kommentierte, die Einwohner der Bezirksstadt seien erschüttert von der Bedrohung durch eine schwule Übernahme. Beim Interview auf der Dorfstraße sagte ein Mann, er sei nun seit 45 Jahren immer über den Sommer da gewesen und habe viele Veränderungen gesehen. Das gehe ihm aber nun zu weit, weshalb er bei einer Übernahme die Gegend auf nimmer Wiedersehen verlassen würde. Eine ältere Frau fragte, was an der bisherigen Regierung falsch gewesen sein könne, weshalb „die“ überhaupt das Ruder übernehmen wollten. Und auf die Frage, ob sie grundsätzlich etwas gegen den Zuzug der Community-Leute habe, sagte nach kurzer Zeit des Sinnierens: „Well, if they don’t come to close it wouldn’t bother me.“126 Etwas über einen halben Monat darauf hatte sich der Ton in der Berichtslage um die schwulen Machtgelüste verschärft. Die Bilder zeigten ein langsam über eine verlassene Ortsstraße fahrendes Auto. Die Kameraeinstellung und das sich langsam durchs Bild an einer Häuserzeile vorbeischiebende Gefährt produzierte Westernatmosphäre. Die Voice-over erklärte, mittlerweile würde jeder Fremde misstrauisch beäugt. Jeder könne ein Späher der „Gay Liberation Front“ sein. Der nächste Bildschnitt zeigte Männer in Anzügen und Polizeiuniformen, die eine Treppe zu einem Steingebäude hinaufgingen, um durch die Tür einzutreten. Die Bezirksvertreter hatten das Treffen einberufen, um sich mit anderen Akteuren aus der Gegend abzustimmen, wie man einer „homosexuellen Invasion“ begegnen könne. Als erstes wurde der Vorsitzende des Countys eingeblendet, der berichtete, „sie“ (die GayAktivisten) hätten konkrete Pläne herzukommen und die Macht zu übernehmen. Es gebe keinen Unterschied zu der Übernahme Polens und anderer europäischer Länder durch die Nazis vor dreißig Jahren, meinte der Lokalpolitiker weiter. Später im Bericht sagte er, man würde den Bezirk eher auflösen, als ihn solch egoistischen Menschen zu überlassen, die ausschließlich eigene Interessen verfolgten, nicht etwa die der Gemeinschaft als Ganzes im Sinn hätten. Verschiedene Vertreter der örtlichen Gemeinschaft rückten bei der Versammlung ins Bild, durften über die Nachrichten kundtun welche Gedanken sie zum Fall der Fälle umtrieben. Der Sheriff des Ortes wurde eingeblendet. Hinter den dunklen Gläsern seiner Sonnenbrille war sein entschlossener Blick lediglich zu vermuten als 126 NBC, EN – Thursday, Oct. 22, 1970 – California Gay Politics.
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er versicherte, ihm hätten von verschiedener Seite Kollegen Unterstützung zugesagt, sodass er sich keine Sorgen um gewaltsame Ausschreitungen mache, die nicht in den Griff zu bekommen seien; außer – fügte der zu allem entschlossene Gesetzeshüter einschränkend hinzu – im Falle einer regelrechten Revolution. Doch auch auf diese Herausforderung lieferte der Mann die angemessene militärische Möglichkeit, indem er erklärte, in dem Fall würde eben die Nationalgarde einmarschieren. Die Vorsitzende des Mütterclubs sagte, es müsse alles getan werden, die Homosexuellen fern zu halten. Für den Fall, dass die Invasoren permanente Stellungen auf öffentlichem Grund errichten sollten, versprachen föderale Vertreter, vorläufige Inhaftierungen vorzunehmen. Der Indianer-Sprecher sagte: „Glaubt nicht für einen Moment, wir wären auf deren Seite, wir sind auf eurer!“ Ein Sozialarbeiter wurde eingeblendet. Der Mann habe in San Francisco mit Homosexuellen zu tun gehabt, erklärte die Sprecherstimme. Der Mann appellierte mit steigender Erregung in der Stimme an die Gemeinde, die Homosexuellen nicht zu unterschätzen: „I worked very, very close for five years with these people. I know them very, very well. I also know that they say: ‘I don’t want your young people! I don’t want your teenage boys!’ But let me encourage you people to fight this; and I mean fight it, because you don’t have any idea what can happen when a homosexual group moves into your county, moves even into your neighborhood!“
Reporter Don Oliver erklärte am Ende des Berichtes, dass die Einwohner zwar überzeugt seien, die Chancen für die Community das County zu übernehmen, stünden tausend zu eins, sie wollten aber durch solche Treffen, nur für den Fall aller Fälle, der Gay Liberation Front klar machen, dass ihre Erfolgschancen eine Million zu eins stünden.127 Im Jahr 1973 zeigten sich an allen möglichen Enden der Fernsehlandschaft unterschiedlichste Aushandlungen des Themas Homosexualität. Dabei ging es im Kern der Verhandlungen stets um schwule Identität, um deren gesellschaftliche Existenzberechtigung, um den Platz schwuler Männer im Identitätsspektrum der 1970er Jahre. Zwischen Universitätslandschaften, urbaner Vergnügungsszene und Militär lagen die Orte, wo medial um die Präsenz von gleichgeschlechtlichmännlichem Begehren gerungen wurde. Von der Gefahr durch sexuelle Zügellosigkeit ausgelöster Erdbeben am Graben des heiligen Andreas über den von schwuler Invasion bedrohten kalifornischen Verwaltungsbezirk führten die Problematisierungen nun zu Berichten über Schieberringe und mysteriöse Serienmorde. Die Topografie des Themas Homosexualität, von der die US-Gesellschaft über die TVLandschaften im weiteren Verlauf der 1970er erfahren sollte, schien sich zu weiten, vielschichtiger und dramatischer zu werden. 127 NBC, EN – Friday, Nov. 13, 1970 – California / Gay Def.
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Das Fernsehmedium wurde selbst zum Verhandlungsort, da keineswegs lediglich über Sexualität berichtete wurde, sondern diejenigen Normen, von denen ausgehend homosexuelle Praktiken als abweichend gebrandmarkt wurden, selbst über den Kontrast zu der Flut an heterosexuellen Pärchen im Fernsehen produziert wurden. Das Fernsehen stand in einem Wechselverhältnis zwischen dem Berichten und Produzieren sexueller Normen und ihrer Abweichung. So berichtete CBS im Dezember 1973 über die Kritik seitens eines schwulen Aktivisten an homophoben Unterhaltungsformaten im TV. Indem sich die Journalisten gleichzeitig gegen den Vorwurf verwahrten, legten sie die problematische Beziehung zwischen sexueller Ausgrenzung und Normierung durch das eigene Medium offen.128 Die Palette der Ansätze, unter denen über Sexualitäten berichtet wurde, schien sich zusehends zu weiten.129 In einem Bericht über die universitäre Szene in Iowa, die sich entsprechend liberal ausnahm, brachte die NBC das Thema Homosexualität aufs Tableau. Anerkannt als eine offizielle Studentengruppe seien homosexuelle Studenten nicht mehr angewiesen auf Treffen in Bars. Neben dem Partyraum, in dem die Fernsehzuschauer junge Studenten und Studentinnen beim Tanzen sehen konnten, und der Information, dass es so viele lesbische Frauen gebe wie schwule Männer, wurden auch zwei Kommilitonen im Interview gezeigt. Einer beschrieb, er habe das Problem des Geschwätzes ausgehebelt, bevor der Tratsch der Leute seine Eltern ohnehin erreicht hätte, indem er sich vor ihnen selbst geoutet habe. Der zweite junge Mann sagte auf die Frage nach seinem Begehren, es sei wichtig, dass die Gesellschaft begreife, dass sie ganz normale Menschen seien mit Bedürfnissen nach Liebe und Sexualität, und dass sie nicht alleine sein wollten, dass sie andere, die so seien wie sie selbst, um sich haben wollten. Das sei ein Hauptziel ihrer Organisation, bekannte der junge Mann. Dann moderierte die Reporterin Betty Rollin den NBC-Bericht auf dem Campus in Iowa City mit der Erklärung ab: „The question is: do homosexual organizations encourage homosexuality? Psychiatrists we spoke to think not. They point out that in this society nobody wants to be a homosexual, who isn’t one, and that if a kid goes that far as of joining a homosexual club – he is a homosexual.
128 CBS, EN – Tuesday, Dec. 11, 1973 – Protest / Explanation. 129 Vgl. zu einer Einordnung der Möglichkeitsbedingungen eines sich weiternden flexiblen Normalismus Entwicklung – Link, Jürgen: Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird, Wiesbaden 1997, v.a. S. 78f. Zu Links Diskursgeschichte des Normalismus im Anschluss an Foucaults Norm- bzw. Normalisierungsbegriff – vgl. (kurz zusammengefasst) Möhring, Maren: Marmorleiber. Körperbildung in der deutschen Nacktkultur (1890-1930), Köln 2004, S. 28-31.
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All the club does is make him feel less alone and less terrible about sexual feelings he has – and can’t help having.“130
Die Abendnachrichten der CBS berichteten am 25. Juni 1973 von einem Brand in New Orleans. Reporter Roger Mudd verlas die Meldung, nach der ein ArsenKommando der Polizei die Ruine eines Gebäudes untersuchte, wo am Vorabend 29 Menschen beim Brand in einer Schwulen-Bar ums Leben gekommen und 15 weitere verletzt worden seien. Zwei Augenzeugen, die nicht durch die Kamera gezeigt werden wollten, berichteten wie die Vordertüre in Flammen gestanden hätte. Einer sagte, dass der Brand kein Zufall gewesen sein könne. Die Fenster seien vergittert gewesen, was sich für die flüchtenden Leute als tragisch herausgestellt habe, da nur wenige sich durch die Gitter zwängen konnten, erklärte Reporter Bruce Hall. Es sei nahezu unmöglich, die Toten zu identifizieren, zitierte die Berichtsstimme die Polizei, da Homosexuelle häufig gefälschte Papiere bei sich tragen würden.131 Schockierendes vermeldete NBC-Reporter Gerrick Utley im August 1973 aus Texas. Die Polizei habe in Dallas einen über das ganze Land operierenden Kuppelei-Ring aufgedeckt. Sie hätten ein Apartment durchsucht und hunderte von Bildern junger Männer, die andere treffen wollten und Bewerbungsunterlagen für die Verkupplung solcher sexueller Verhältnisse sichergestellt. Die Polizei glaube aber, dass der Fall nichts mit den „Homosexuellen-Morden“ in Houston zu tun habe, betonte der Reporter mit ernster Miene, wobei er die Nachricht von der KuppeleiGeschichte in die Nähe der Mordmeldungen einer mysteriösen Serie gebracht hatte. Mudd betonte, dass man von vielen der 27 Jungen, die dort gefunden worden seien, glaube, es seien „runaways“. Ihre Ermordung habe die Aufmerksamkeit auf das Problem der Runaways gelenkt, die es im ganzen Lande gebe, so die Problembeschreibung. In dieser engen Verbindung, und zumal in dem verwendeten Begriff der „homosexual murders“ wurde eine untrennbare Verknüpfung zwischen schwulem Sex und Kapitalverbrechen hergestellt.132 CBS-Anchorman Cronkite berichtete dagegen Ende 1973 von einer anderen Form der Kriminalität homosexueller Provenienz – nämlich von einer Störungsattacke, herbeigeführt von einem Mann, der sich zu einer Organisation namens „gay raiders“ bekannt habe. Es sei eine Protestaktion gegen die Diffamierung Homosexueller im Unterhaltungsprogramm der CBS gewesen, wie der Reporter mit verständnislosem Unterton vorlas.133 Zwei Jahre nach solchen anscheinend unbotmäßigen Protestaktionen gegen eine etablierte liberale Medienanstalt wie die CBS hatte Homosexualität Mitte der 1970er Jahre schließlich das US-Militär erreicht. Ein prominenter Fall männlicher 130 NBC, EN – Friday, Apr. 13, 1973 – Homosexuals. 131 CBS, EN – Monday, Jun. 25, 1973 – New Orleans / Louisiana / Homosexuals. 132 NBC, EN – Wednesday Aug. 15, 1973 – Dallas / Possible Homosexual Ring. 133 CBS, EN – Tuesday, Dec. 11, 1973 – Protest / Explanation.
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Homosexualität, der in allen Sendern der Mainstream-Nachrichten verhandelt wurde, war der des Sergeant Leonard Matlovich. 12 Jahre war der Mann Soldat der Air Force gewesen, über Vietnam geflogen, hatte diverse Auszeichnungen erhalten, berichtete ABC. Nun habe er in einem Brief an einen Vorgesetzten seine Homosexualität bekannt. Der drohenden Entlassung sah der Sergeant aufrecht ins Auge, wie im ABC-Bericht betont wurde, obgleich er die Kündigung keineswegs herbeiwünsche. Nun würde ein Ausschuss im kommenden Monat seinen Ausschluss aus der Armee beschließen, da das Gesetz eine klare Sprache spreche und Matlovich, so die Voiceover weiter, werde daraufhin durch alle Instanzen bis zum Supreme Court gehen, um für seine Rechte zu kämpfen. Im Interview sagte der Soldat, er habe in der Armee in Ausbildertätigkeit Unterricht erteilt und im Zuge dessen mit Leuten über Druck und über Diskriminierung gesprochen. Daher begründete Sergeant Matlovich seinen Entschluss weiter zu kämpfen folgendermaßen: „You know, many people think if you wanna guarantee rights to homosexuals, what you are doing is giving them a license to rape. We don’t want a license to rape. We just want the right to work, nothing more, we want the same rights as any other American citizen in this country, nothing more, nothing less, no privileges. We don’t want to be a privileged class, because we’re not, we’re American citizens.“134
In einer knappen Meldung aus einer anderen Sphäre überbrachte NBC-Reporter John Chancellor dem US-amerikanischen Fernsehpublikum die Message eines der weltläufigsten nordamerikanischen Missionare aus Belgien: „Reverend Billy Graham said today in Brussels that he is in favor of permitting homosexuals to be ordained as ministers providing they are properly trained. Dr. Graham would not comment, however, on whether he thought women should be ordained.“ Aus New York wurde berichtet, dass 75 Priester eine Bewegung begonnen hätten, welche Gleichberechtigung von Frauen anstrebe, so Chancellor weiter. Die Forderung laute, Frauen zu römisch-katholische Priesterinnen zu weihen.135 Einige Wochen später musste Chancellor jenen Bericht, der mit Grahams anscheinend ungeheuerlicher Forderung begonnen hatte, mit einer Richtigstellung ergänzen. Der Reporter begründete seinen Nachtrag mit einer Flut an Zuschriften, die seit der letzten Meldung über schwulenfreundlichen Äußerungen des Evangelisten in Brüssel eingegangen waren. Es sei nur die halbe Wahrheit gewesen, bekannte der Nachrichtenmann. Graham habe auch gesagt, jeder schwule Anwärter auf das Priesteramt solle nach seiner Schulung im individuellen Falle beurteilt werden. Durchaus habe er dabei darauf verwiesen, dass Homosexualität eine Sünde sei und bereut werden müsse. Der NBC-Mann fuhr nach seiner Berichtigung mit der Erklärung fort, es gebe zwar 134 ABC, EN – Tuesday, May 27, 1975 – Sgt. Matlovich / Homosexuals. 135 NBC, EN – Wednesday Jul. 23, 1975 – Religion / Homosexuals / Women.
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Stellen in der Bibel, die Homosexualität verurteilten und viele Kirchenvertreter hätten eine ähnliche Haltung dazu wie Graham – aber es gebe viele jüngere Gläubige, die für eine Akzeptanz von Homosexualität einträten. Manche Theologen glaubten, dieses Thema würde in Zukunft noch eingehender kontrovers diskutiert werden als es im Moment der Fall sei.136 Im Jahr 1978 produzierte die mediale Auseinandersetzung um „Proposition 6“ eine immense Welle der medialen Aufmerksamkeit. Dem Gesetzesentwurf des kalifornischen Senators Briggs, der darauf zielte, homosexuelle Lehrer aus dem Schuldienst in Kalifornien und Florida zu entfernen, widmete NBC im November des Jahres zwei Berichte. John Hart hatte die Sendung eingeleitet, indem er hervorhob, neben den Themen, die gerade eine Rolle für die politischen Wahlen spielten – Gesundheitskosten, Glückspiel, Rauchen in der Öffentlichkeit und anderen – sei eine immer wiederkehrende Frage jene nach den Rechten Homosexueller; in Florida ginge es gerade wieder in einer Wahl um „gay rights“, in Kalifornien um eine neue Gesetzesvorlage, die bezwecke, schwule Lehrer feuern zu können. Heidi Schulman berichtete aus Los Angeles, wo der Gerichtshof entschieden hatte, dass die Schulbehörde keine Lehrer, deren Homosexualität bewiesen sei, entlassen dürfe, ohne nachzuweisen, dass ihre Homosexualität Schüler beeinträchtige. Nun wollte Senator John Briggs das per Gesetz ändern. Der Senator wurde am Rednerpult eingeblendet und sagte, er stehe in Kalifornien nahezu alleine. Jedoch betonte er im nächsten Atemzug, einige Politiker, Organisationen, und vor allem viele Eltern auf seiner Seite zu haben. Der Senator durfte sagen, er glaube, dass sicher auch Gott bei ihnen wäre. Dann wurde eine Glaubensgemeinschaft in einer Kirche gezeigt die „God bless America“ sang. Es seien fundamentalistische Christen gewesen, die dem Senator geholfen hätten, die meisten der Unterschriften zu sammeln, um die Proposition 6 auf die Liste der Parlamentsvorlagen zu bekommen, erklärte Schulman. Im Bild erschien ein Banner unter dem Kirchendach, auf dem stand: „Citizens > Decency > Morality“. Darunter war der Aufruf zu lesen: „Yes on 6“. Der Senator erklärte in der folgenden Einblendung selbstbewusst: „At one point or another somebody’s gotta draw the moral line in this country and say: enough is enough! […] and that’s what I’m going to do.“ Applaus folgte im Saal während von draußen die Buhrufe der Demonstrant/inn/en ertönten. Sie betonten, dass es gegen ihre Persönlichkeitsrechte verstoße und gegen die Meinungsfreiheit. Der Vorlage räumte der journalistische Kommentar des Berichtes kaum Chancen ein, waren doch der Ex-Gouverneur Brown und sogar Ronald Reagan gegen eine weitere Verschärfung einer Homose-
136 NBC, EN – Monday Sept. 8, 1975 – Editor’s Notebook (Homosexuality).
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xuellen feindlichen Gesetzeslage, letzterer, weil er meinte, es gäbe bereits ausreichend Gesetze, um Schulkinder zu schützen, so der Nachklang des Berichts.137 Gleich in mehrfacher Hinsicht zeigte sich in Florida ein anderes Bild, wie NBC im zweiten Bericht zum Thema Homosexualität berichtete. Dort sei eine erste Gesetzesinitiative, Schwule und Lesben in Ihren Mietverhältnissen und an ihren Arbeitsplätzen besser zu schützen, mit großer Mehrheit abgelehnt worden. Unverdrossen versuchten es Aktivist/inn/en nun wieder. Reporter Fred Francis berichtete, dass sie diesmal versuchten, eine ausgetüftelte Vorlage durchzubringen, von der jede „vorstellbare“ Gruppe profitieren solle. Behinderte, Schwangere, Hispanics, Gewerkschaftsmitglieder und eben auch Homosexuelle. Hatte im vorangegangenen Bericht Reporterin Heidi Schulman versucht, besonders neutral über die BriggsInitiative zu berichten, so war nun die Entrüstung über diesen Fall aus den Worten des NBC-Mannes förmlich heraus zu hören. Aus Perspektive des Journalisten war diese Strategie anmaßend. Er schien sich über die „Homosexuellen-Propaganda“ zu ärgern, die aufgrund aufrührerischer Neigung auf andere Gruppen ausgeweitet werden sollte, was im Verlauf des Berichtes nicht zu überhören war. Wie zum Beweis der angeblich schwulen Allmachtphantasie kam Bob Kunst, ein Gay-Aktivist im Interview zu Wort und sagte, was sie täten, sei ein Modell für den Rest des Landes und den Rest der Welt. Es sein ein Beweis dafür, dass sie an die Verfassung glaubten und an die Freiheit. Niemand müsse über Schwule abstimmen, jeder gebe seine Stimme nur für sich, für seine Familie, seine Gemeinschaft und sein Land ab. Danach wurden die Gegner der Initiative eingeblendet. Bei einer Informationsveranstaltung sah der Fernsehzuschauer Anita Bryant und Jerry Falwell in der ersten Reihe sitzen. Danach ruhte die Kamera auf Anita Bryant, einer glühenden Gegnerin allen homosexuellen Begehrens nach Freiheitsrechten. Der Kommentar informierte das Nachrichtenpublikum, sie sei bei einer religiösen Rally aufgetaucht, um ihre Sache nach vorne zu bringen, während man sie lächelnd vor einem etwas angegrauten Publikum am Pult stehen sah, das im Schwenk gezeigt wurde. Im Hintergrund ertönte Klaviermusik als sie den Herrn zitierte: „I can only blame it on the sinners – save our God’s words – not even love the homosexuals enough to tell’em the truth – that God doesn’t love them.“ Es war eine „bekannte Rede“, welche die Aktivistin zum Besten gab, wie im Bericht festgehalten wurde. Im abschließenden Kommentar prophezeite der NBC-Journalist, dass nicht die Moralisten, sondern die sexuellen Freiheitskämpfer dieses Mal ihre Nasen vorn haben könnten. Nachdem Miami das letzte Gay-Rights-Gesetz abgeschmettert habe, be-
137 NBC, EN – Sunday, Nov. 5, 1978 – Campaign ‘78 / Gay Rights / Florida and California.
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stünden dieses Mal bessere Chancen, weil so wenig Enthusiasmus auf beiden Seiten herrsche, folgerte Reporter Francis zum Schluss.138 Während die Politisierung von Homosexualität in den jeweiligen Wahlkämpfen und insbesondere über die Fernsehnachrichten verbreitet wurde, flackerte die ein Jahrzehnt alte Geschichte der Gay Liberation in den USA in San Francisco als Bürgerrechtsbewegung auf. Vor allem an der schwulenfeindlichen „Proposition 6“ entzündete sich eine Protestbewegung um die Führungsgestalt Harvey Milk. Milk erzeugte dabei eine breite mediale Resonanz.139 Über die Zeitungsrezeption und die Fernsehnachrichten hatte der Kampf für sexuelle Freiheit Einzug ins Politische gehalten. Ähnlich wie im Falle anderer Predigerfiguren baute die Führung, die Milk erfüllte, auf dem Männlichkeitsideal des Freiheitskämpfers auf. Allerdings stand die Konzeption von moral leadership, die in ihrem evangelikalen Zuschnitt stark auf homophobe Dogmatik setzte, natürlich im Gegensatz zu Milks Anliegen. Doch jenseits der Unterschiede – bezüglich der jeweiligen emanzipativen und körperpolitischen Ausrichtung – ist ein Merkmal der männlichen Predigerexistenz im Politischen, dass über sie soziale Bewegungen, die sich unter einem Führungskopf subsumieren ließen, immer wieder über auch die Fernsehnachrichten ins Bild gerückt werden konnten. Der renommierte und später durch seine Kommentierung der Bewegung in den 1980er Jahren bekannte Autor Randy Shilts schrieb im „Christopher Street Magazine“ 1979 zum ersten Mal über Leben und Tod des Politikers Milk, ein Jahrzehnt nachdem von den Stonewall Riots zwar in Zeitungen, aber nicht im Fernsehen berichtet worden war.140 Zu jener Zeit tauchte Homophobie allerdings, wie an unterschiedlichen Beispielen in diesem Abschnitt gezeigt wurde, verschränkt mit allen möglichen Feldern von Bezirksebene, Militär, Beruf, Kriminalität und Klasse im Fernsehen auf. Neben moralischer Männlichkeit in Führungspositionen wurde Sexualität eines der Schlüsselthemen, über das zunächst in den 1970er Jahren, dann in den 1980er Jahre die soziokulturelle Ordnung verhandelt wurde. Eine andere Bevölkerungsgruppe, die immer wieder in den TV-Nachrichten auftauchte, waren Afroamerikaner/innen. Das Auftreten und die Problematisierung schwarzer Gruppen bekam in den Fernsehnachrichten gerade nach den Morden an Figuren, denen Journalisten besondere Aufmerksamkeit schenkten, wie Martin Luther King oder Malcolm X, ein spannungsgeladenes Feld.
138 NBC, EN – Sunday, Nov. 5, 1978 – Campaign ’78 / Gay Rights / Florida and California. 139 Weiter wäre an dieser Stelle zu fragen, ob Milk nicht auch für seine Bewegung die Rolle eines Predigers einnahm. 140 Shilts, Randy, The Life and Death of Harvey Milk, in: Christopher Street Magazine, März 1979.
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B LACKS In einer Sitzung des „Juvenile Delinquency Committee“, über die NBC im März 1969 berichtete, fanden verschiedene Probleme zueinander.141 Zunächst sei in den Gefängnissen Homosexualität weit verbreitet, so eine erschütternde Erkenntnis. Und das Gefängniswesen sei so schlecht, dass es „fein geschliffene Waffen“ in die Gesellschaft ausspucke, so die Sichtweise eines Staatsanwalts. Wie zum Beweis erschien auf die Ausführungen des Staatsanwalts im Bericht über den DelinquenzAusschuss ein Häftling, der angeblich von einem Computer im Zufallsprinzip auserkoren worden war. Dieser Mann sollte die traurige Bilanz der Gefängnisse verkörpern, die Verhandlungsgegenstand der Sitzung des Komitees war. Zu seinem Schutz war die persönliche Identität hinter einem falschen Namen versteckt, wie der Nachrichtensprecher erläuterte. „Doe“ war jener Name, der ihm für seinen Auftritt gegeben worden war, was ihn allerdings nicht davor bewahrte, dass sein Gesicht über die Dauer einer knappen Minute im Bild der Abendnachrichten erschien. Doe war Afroamerikaner und indem er keine Frage beantwortete, wurde er zum Leumund des Schreckensberichtes über die Zustände in den Gefängnissen. Als der Vorsitzende ihn fragte, was im Gefängnis besser werden müsse, brauchte er eine Weile, ehe er eine Verbesserung des Verhältnisses zwischen Gefangenen und Wärtern anmahnte und mehr beschulenden Unterricht hinter Gittern forderte. Er erklärte dem Komitee, dass es keine Chancen für ehemalige Häftlinge gebe, nach Verbüßen ihrer Haft wieder in Arbeit zu kommen. Dann wurde er gefragt, was er täte, wenn er entlassen werde und antwortete: „… going to get a pistol and stick up anything that moves!“142 Im Verlaufe des Jahres 1969 häuften sich Berichte von Tumulten, die sich außerhalb der Gefängnismauern und -zäune abspielten. Es habe Kämpfe zwischen schwarzen, puerto-ricanischen und weißen Studenten gegeben, war einem Beitrag der CBS im Mai zu entnehmen, in dem unübersichtliche Verhältnisse auf laufenden Bildern von manchem Campus und aus Gebäuden verschiedener Universitäten gezeigt wurden. Es war zunächst keine konkrete Aussage über die Kontrahenten und Ursachen der Krawalle zu entnehmen, außer dass sich hier angeblich „Ethnien“ kämpfend gegenüber standen. In New York und Hanover, in New Hampshire spielten die ersten Szenen des Kampfes an den Hochschulen. Eine weitere Sequenz dieser Nachrichtensendung zeigte hauptsächlich weiße Studenten in Indianapolis, die von etlichen Universitäten in Indiana aus zusammengekommen waren, um für höhere Bildungsausgaben und geringere Studiengebühren zu demonstrieren. Nachdem der Staatssekretär im Bild gezeigt worden war, wie er zu den Protestlern sprach, 141 Ein anderer Teil des hier verwendeten Berichtes wurde bereits mit der Äußerung, Homosexualität sei weit verbreitet in Gefängnissen auf S. 64f. beschrieben. 142 NBC, EN – Monday, Mar. 3, 1969 – Prison Reform.
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moderierte Walter Cronkite den Beitrag ab und bemerkte in journalistischer Sorgfalt, dass aus dem Bericht „obszöne Szenen“ heraus geschnitten worden seien.143 Im Juni ließ CBS durch Cronkite von vier Nächten mit „Rassenprotesten“ und Ausschreitungen in Hartford in Connecticut berichten. Es sei nun der Ausnahmezustand ausgerufen worden. Die verantwortlichen Behörden hätten eine Ausgangssperre verhängt. Die nächste Nachricht in dieser Serie lautete, dass in New York schwarze Männer im Hauptquartier des „National Council of Churches“ drei Etagen besetzt hielten und 500 Millionen Dollar an Reparationen von den Kirchen forderten. Dann wusste Cronkite in eigener Sache zu berichten, was wie eine Entlastung des moralischen Drucks klang, der auf den TV-Welten des Mainstream-Amerika zu liegen schien: Die „Föderale Kommission für Kommunikation“ hatte die Fernsehanstalten angewiesen, rassistische Diskriminierungen in ihrer Einstellungspolitik zu beenden.144 Kontur nahm die afroamerikanische Emanzipationsbewegung in den Fernsehnachrichten an, als zunehmend von den „schwarzen Panthern“ die Rede war.145 Wenn über die Welle von Aktivitäten berichtet wurde, die von Schwarzen ausgingen, und die Panther ins Bild rückten, wurde neben ihren Gewalttaten häufig die marxistische Ausrichtung der Organisation als unamerikanisch markiert und hervorgehoben. In einem Bericht, den die ABC kurz vor Weihnachten 1969 ausstrahlte, saß Reporter Frank Reynolds im Studio, in seinem Rücken prangte das Bild einer riesigen schwarzen Raubkatze. Er stellte vorweg die Frage, wer genau diese Schwarzen Panther seien, welches ihre Ziele wären, wie ihre Programmatik aussähe und wie sie sich selbst betrachteten. Während schwarze Demonstranten eingeblendet wurden, die mit geballten Fäusten Parolen riefen, leitete Reporter Mal Goode seinen Bericht über die Bewegung mit der Geburtsstunde des Panthers ein: „The Black Panthers have been alive and angry for only five years, but the site of their black uniforms, and their black arrogance has done more to make white America uptight than any other symbol.“ Es wurden die Gitterstäbe einer Gefängniszelle eingeblendet, bevor Goode fortfuhr mit der Erklärung, Ergebnis der beschriebenen Haltung sei, dass Parteigründer Huey Newton in Kalifornien eine Strafe wegen Mordes absitzen müsse und die Partei vom Gefängnis aus führe. Newton wurde in der Gefängniszelle eingeblendet. Der Informationsminister der Partei sei im Exil in Algerien, erklärte Reporter Goode weiter. Dazu wurde Eldridge Cleaver, jene politische Gestalt, mit einem 143 CBS, EN – Wednesday, May 7, 1969 – Campus Unrest / Dartmouth / CCNY / Indiana. 144 CBS, EN – Friday, Jun. 6, 1969 – Racial Unrest / Connecticut / New York City / FCC. 145 Vgl. zur Konstruktion: Finzsch, Norbert, „Gay Punk, White Lesbian, Black Bitch“: Zur Konstruktion des schwarzen männlichen Revolutionärs durch die Black Panther Party, 1966 bis 1982, in: Hering, Rainer / Nicolaysen, Rainer (Hg.), Lebendige Sozialgeschichte, Wiesbaden 2003, S. 206-220.
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skeptischen Gesichtsausdruck eingeblendet, ebenfalls ohne im Bericht selbst zu Wort zu kommen. Vorsitzender Bobby Seale habe einen Gerichtsverhandlungstermin in Chicago und sehe anhängigen Mordanklagen in Connecticut entgegen. Es seien 28 Mitglieder der Panther über die letzten Jahre getötet worden, hunderte seien verhaftet worden oder würden gesucht. Dann drehte der Bericht ab vom Anklageton und gab der politischen Dimension der Bewegung Raum. Don Cox, unter dessen Namen seine Parteifunktion, nämlich „Panther Field Marshal“ geschrieben stand, durfte im Interview die gesellschaftspolitische Position der Bewegung vorstellen. Rauchend saß er vor der Kamera, locker ein Bein über das andere geschlagen, und erklärte: „Capitalism is capitalism, is bloodsucking, it’s exploitative, and we don’t need any of it. We want to destroy that, we want to smash that. We are not racists, the primary problem is capitalism and racism is only a tool that is used effectively to divide all the oppressed people. And as soon as all the people, blacks, whites, browns, yellows and red begin to recognize who their enemy is, than they would join together and be one united force, and we will have our American Revolution number two.“146
Danach wurde eine junge Frau gezeigt, die die Zeitschrift der Organisation verteilte. Es wurde eine Reihe an Kampffronten gegen die Armut aufgezählt, an denen die Partei mit der Fürsorge der unterdrückten, schwarzen Schichten beschäftigt war. So fand Erwähnung, dass die Panther in den Slums Krankenhäuser betrieben oder Frühstücksessen für Kinder aus den Ghettos veranstalteten. Damit versuchten sie, die Herzen der armen Leute zu gewinnen, so die Interpretation der ABC. Die Black Panther sähen sich als Symbole für „Black Pride“, fuhr der Reporter fort, um zu ergänzen, dass sie allerdings von der Polizei fast überall für gewalttätige Revolutionäre gehalten würden. Dann wurden Maschinen-Pistolen eingeblendet und vermerkt, die Polizei habe diese Waffen bei einer Razzia in Chicago gefunden. Zwei Mitglieder der Organisation seien im Zuge der Aktion erschossen worden. Ob es sich dabei, wie die Parteimitglieder sagten, um Mord an ihren Genossen handelte, eine Polizeiverschwörung, um die Partei auszulöschen, müsse nun eine Untersuchung feststellen, so die Berichtslage zum Verhältnis zwischen Staat und schwarzer Bewegung Ende der 1960er Jahre.147 * Von einem Informationsminister im Exil, über Kriminalität, revolutionärmarxistischen Umtrieben und Auseinandersetzung zwischen der weißen Mehrheits146 ABC, EN – Friday, Dec. 19, 1969 – Black Panthers / Leaders / Aims. 147 Ebd.
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gesellschaft und ihrer institutionellen Apparate mit einer politischen Black PowerBewegung im urbanen Raum, führte ein Nachrichtenbeitrag das Fernsehpublikum Anfang 1970 an eine innere Grenze im ländlichen Bereich der Südstaaten. In einer NBC-Nachrichtenserie „Binkley Report“ spielte im Februar Religion plötzlich eine Hauptrolle. Ein Bericht über eine „Black Muslim Community“ in Alabama erschütterte das Fernsehpublikum in allen möglichen Ecken der Vereinigten Staaten. Der Bericht begann mit dem Intro, in dem die Sprecherstimme verkündete: „To an outsider the Big Beaver Ranch East Saint Claire, East of Birmingham is not unlike any other Ranch in Alabama. But this farm is different – it is run by the Black Muslims.“ Die Hofarbeiter hätten behauptet, sie seien selbst gar keine Muslime, sah sich Sprecher Charles Quinn bemüßigt zu betonen. Sie hätten gesagt, dass sie schlicht Land bebauten und Vieh züchteten. Und doch stellte man auf der Ranch ausschließlich schwarze Arbeiter ein, so der misstrauische Kommentar weiter. Das begrüßte einer der Arbeiter, der im Interview zu Wort kam. Er sagte, nur auf diesem Wege habe er Arbeit finden können. Skepsis an der allzu gewöhnlichen Normalität, um die alle mit der Ranch affiliierten Männer bemüht schienen, grundierte den Berichtston. In der nächsten Einstellung blendete NBC die „Pine Forrest Missionary Baptist Church“ ein und die Reporterstimme hob hervor, dass dieses christliche Gotteshaus direkt neben dem Farmland der „Black Muslims“ gelegen sei. Viele der hiesigen Kirchenmitglieder glaubten nicht, dass die Muslime an Landwirtschaft interessiert seien. Und der Reporter erläuterte, was die Christen jener Gemeinde annahmen: „They believe the Muslims wanted to destroy the white race.“ – Sie wollten eine eigenständige schwarze Nation aufbauen und damit genau hier in Saint Claire, Alabama beginnen. Doch die Weißen hatten sich entschieden Widerstand zu leisten und hatten, wie Reporter Quinn erläuterte, die Sache vor Gericht gebracht. Im Bild erschienen die zu allem entschlossenen weißen Gläubige in ihrer Kirche beim Singen. Der Dekan der Kirche Wallace Wyatt trat ins Nachrichtenbild und wurde nicht nur als scharfer Gegner der Muslim Ranch vorgestellt, sondern er nannte seinen eigenen Bruder einen „Verräter an der weißen Rasse“. Dieser Bruder hatte nämlich den „Black Muslims“ das Land verkauft. Der aufgebrachte Anwohner Wyatt berichtete, Christen würden von den Eindringlingen als „white devils“ beschimpft. Und auch wenn Wyatt zugab, dass diese Leute vielleicht nicht mit Gewehrschüssen auf ihr Land gekommen waren, so seien sie doch nur da, um Ärger zu machen. Der Ku-Klux-Klan hatte sich ein angrenzendes Stück Land besorgt, wie über das Fernsehen außerdem zu erfahren war. Erst in der Abmoderation durften die Beschuldigten selbst zu Wort kommen und eine Art Friedenserklärung in die Nachrichtensendung einspeisen. Die Betreiber der Ranch hätten erklärt, erläuterte der Nachrichtenmann dem Fernsehpublikum, dass sie keine Weißen töten wollten, dass sie aber stattdessen viele schwarze Arbeiter einstellten. Die Ranch-Betreiber äußerten ihr Verwundern darüber, dass dieselben Leute, die sonst über die Faulheit von Schwar-
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zen schimpften, sie ignorante Sozialschmarotzer nannten, sich nun über die Muslime beschwerten, die sich anstrengten, hunderten von Leuten Arbeit verschafften, ihr eigenes Ding machten, um ihre Lebenssituation zu verbessern.148 Nach solchen unwägbaren Kampfeslinien im Inland gab es im Sommer neue Nachrichten aus den Untiefen des „Black Atlantic“, aus der Karibik, wo sich Dinge abzeichneten, die auch innerhalb der Vereinigten Staaten plötzlich denkbar wurden. Harry Reasoner eröffnete für CBS einen Bericht, der Mitte des Jahres 1970 über die Westindischen Inseln gesendet wurde, mit einer verblüffenden Erkenntnis: Obwohl in der Karibik mehrheitlich Schwarze an der Macht seien, bilde sich gerade in der Region eine beachtliche regimekritische Black Power-Bewegung.149 Eine riesenhafte Faust erschien im Bildhintergrund als der Reporter vom „Black Power Movement“ sprach. Reporter Robert Schakne erklärte dem US-Publikum im Bericht, man wisse ja bereits das meiste über die Westindischen Inseln. Die Reisewerbung behaupte ja, hier fände man etwas anderes, etwas Besonderes. Dabei wurden Frauen am Strand eingeblendet, im Hintergrund waren Trommeln und Tarzan-Geschrei zu hören. Das sei aber nicht alles, erläuterte der CBS-Reporter investigativ informiert – unweit des Strandes könne man noch etwas anderes entdecken. Es wurde eine ältere Frau, Mrs. Marcus Garvey, eingeblendet, die mit sich überschlagender Stimme rief, es würde behauptet, Jamaika habe einen Schwarzen zum Ministerpräsidenten und dies sei Black Power. Blödsinn wäre das, so Frau Garvey weiter, alles sei eine verdammte Lüge, ausschließlich an der eigenen Macht und der von Wirtschaftsleuten sei dieser Mann interessiert. Auch das seien die Westindischen Inseln, klärte CBS auf. Dann wurde eine Zeremonie zum 30. Jahrestag des Todes von „pioneer black nationalist“ Marcus Garvey in Kingston gezeigt. Nach der Einblendung einer Büste des jamaikanischen Helden an der Gedenkstätte, kam Marcus Garvey Jr. ins Bild und rief einer Menge zu: „… in our society we must rule, in our society we must control. What must we control? We must control every normal asset of civilized life in a modern community.“ Nun seien es nur wenige hundert Leute am Gedenktag für Garvey, erklärte Reporter Schakne, er wolle auch gar nicht behaupten, dass eine dieser Gruppen, die sich mit dem Label „Black Power“ versehen hätten, große Massen bewege, fügte er einschränkend hinzu. Aber es kristallisiere sich klar heraus, dessen war sich der Reporter sicher, dass sich die Bewegung mittlerweile über die gesamten karibischen Inseln ausgebreitet habe. Es kamen Mauern ins Bild, auf denen Schriftzüge wie „Blacks for Liberation“ oder „Black Power is the only Cure for Black People“ zu lesen waren. Jeder Regierung dieser ehemaligen britischen Kolonien mache die neue Bewegung zu schaffen. In Trinidad hätten drei Monate anhaltender Black Power-Demonstrationen sogar zu 148 NBC, EN – Monday, Feb. 23, 1970 – Black Muslim Community. 149 CBS, EN – Sunday, Jun. 14, 1970 – Jamaica / Black Power.
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einem Ausnahmezustand, zu einem „state of emergency“ geführt. Es seien nächtliche Ausgangssperren verhängt worden und ein Verbot von öffentlichen Versammlungen, Protestführer säßen im Gefängnis, erklärte der Reporter während zerstörte Geschäfte im Bild gezeigt wurden. Um das Image der Bewegung zu differenzieren, kamen auch intellektuelle Stimmen im Nachrichtenbeitrag zu Wort. Lloyd Best von der „University of the West Indies“ erklärte, dass die Regierungsform keine Opposition gestatte und die Ressourcen von außen gelenkt und abgeschöpft würden. Die Problemanalyse des Wissenschaftlers vertiefte der Bericht im Folgenden, indem anhand von Landbesitz-, Einkommensverhältnissen sowie der Ölförderung die strukturelle Color Line aufgezeigt wurde. Die Regierungsleute wären zwar Männer mit dunkler Hautfarbe, sagten viele, aber, sie seien im Herzen mehr britisch als afrikanisch, so der Bericht. Sie bezeichneten ihre Regierungskaste als afro-saxon, was kein Kompliment sei, wie Reporter Schakne erklärte. Ein Wissenschaftler erschien im Bild und sagte: „Black politicians in power isn’t Black Power certainly not in the West Indies. We have learned that black politicians in power can betray us as effectively as white colonialists in power.“ Der Tourismusminister von Jamaika erschien im Berichtsbild als Vertreter der gescholtenen Kaste und durfte dagegen setzen, das Problem der Leute sei nicht ihre dunkle Hautfarbe, sondern dass sie so ungebildet wären. Der CBS-Reporter sprach diesem Abwiegelungsversuch entsprechend in seiner Abmoderation darüber, dass die Unruhen sich auf den Tourismus auswirkten, und auch die Medienberichterstattung noch dafür sorgen könne, dass die Black Power Bewegung in der Karibik weiter anschwellen werde.150 Zurück in den eigenen Grenzen berichteten die CBS-Nachrichten im selben Sommer darüber, dass Black Panther Führer Huey Newton nach drei Jahren Haft nun wieder auf freiem Fuß sei.151 Die Nachrichten über schwarze Männlichkeit und ihre Führungsfiguren hatten sich in der Zwischenzeit verändert, häufig wurde über inneren Zwist, Verwerfungen und Führungsstreitigkeiten berichtet. Schwarze Führung wurde zwar immer noch als eine Bedrohung für die weiße Mehrheitsgesellschaft dargestellt, aber zunehmend auch als Problem für sich selbst und die eigene Gemeinschaft. So wurde Anfang 1971 die Kontroverse innerhalb der Black Panther Party zwischen dem im algerischen Exil sitzenden Eldridge Cleaver und Huey Newton zum Thema.152 Eigenmächtig kündigte Newton an, man werde nun das Hauptquartier von Oakland nach Atlanta in Georgia verlegen. Er erklärt, wie CBS das Nachrichtenpublikum informierte, es sei nur logisch, dass der Kampf um die Befreiung der Schwarzen im Süden beginne.153 NBC berichtete von der scheinbar 150 CBS, EN – Sunday, Jun. 14, 1970 – Jamaica / Black Power. 151 CBS, EN – Wednesday, Aug. 5, 1970 – Newton / Free; Newton war 1968 zu 15 Jahren für den Mord an einem Polizisten bei einer Schießerei in Oakland verurteilt worden. 152 CBS, EN – Friday, Feb. 26, 1971 – Black Panthers. 153 CBS, EN – Wednesday, Sept. 8, 1971 – Black Panther Headquaters.
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fatalistischen Haltung des Bürgermeister von Atlanta, der den Fernsehnachrichten zu Protokoll gegeben hatte, man habe in der Vergangenheit mit dem Ku-Klux-Klan zu tun gehabt und werde nun auch mit den Black Panther Party umzugehen wissen.154 In jener Äußerung wurde ein historischer Relativismus bezüglich Verbrechen und Morden des Ku-Klux-Klan manifest, in dem durch die Berichterstattung, ohne Kommentierung des bürgermeisterlichen Vergleichs seitens der Nachrichten, wiederum eine Ignoranz gegenüber Rassismus räsonierte. Nachdem alle drei Nachrichtensender im Dezember 1971 dagegen fleißig berichtet und kommentiert hatten, dass die Mordanklage gegen Newton fallen gelassen worden sei, wurde es ruhiger um die Partei und ihre schillernde Führungsfigur.155 Erst im Juli 1977, über ein halbes Jahrzehnt später, schien den drei Sendern Huey Newtons Rückkehr aus seinem Zufluchtsort Kuba wieder eine Nachricht wert. Wieder hatte sich die schwarze Führungsikone des vergangenen Jahrzehntewechsels einem Gericht zu stellen. Er war des Mordes an einer jungen Frau und einem älteren Mann angeklagt und wurde darüber hinaus beschuldigt, einen Polizisten angegriffen zu haben, wie NBC berichtete.156 Im September 1979 erfuhr man durch die Nachrichten von der endgültigen Einstellung des Verfahrens gegen Newton. Die Strafverfolger hätten nach 5 Jahren und zwei verlorenen Prozessen aufgegeben, erklärte Anchorman John Chancellor dem Fernsehpublikum, das den Nachrichten mittlerweile in Farbe beiwohnen durfte und auch das Portrait eines keineswegs ermatteten Newton zu sehen bekam, der im gerahmten Bildhintergrund des Fernsehstudios angriffslustig in Szene gesetzt war.157 In der Zwischenzeit war es auf den ersten Blick ruhig um die Black Panther gewesen, in der Nachrichtenberichterstattung waren sie im Jahr 1972 so gut wie gar nicht aufgetaucht. Allerdings hatte sich die mediale Auseinandersetzung um Emanzipation, Widerstand und Führungsqualitäten ins politische Feld gegraben und mäanderte zwischen den Figuren Cleaver und Newton mittlerweile durch einen vielfältigen Parcours. Die Verbindung von schwarzer Männlichkeit und Leadership, die Möglichkeit der nach Selbstbestimmung strebenden afroamerikanischen Gegenkultur, schien ein Problem in der soziokulturellen Ordnung geworden zu sein, dem mit kulturellen Interventionen begegnet werden sollte. So wurde zum Beispiel der Kampf um das Bürgermeisteramt in Los Angeles im Mai 1973 zu einem Schauplatz, wo Huey Newton einen Auftritt hatte, ohne tatsächlich dabei gewesen zu sein. 154 NBC, EN – Thursday, Sept. 9, 1971 – Atlanta, Georgia / Black Panthers. 155 ABC, EN – Wednesday, Dec. 15, 1971 – Panther Newton / Release; NBC, EN – Wednesday, Dec. 15, 1971 –Panther Newton / Release; CBS, EN – Wednesday, Dec. 15, 1971 – Panther Newton / Release. 156 NBC, EN – Monday, Jul. 4, 1977 – Newton Return. 157 NBC, EN – Thursday, Sept. 27, 1979 – Newton / Dismissal.
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Es sollte ein Bürgermeister gewählt werden, wie die CBS berichtete. Reporter Terry Drinkwater berichtete von einer Wiederauflage der Bürgermeisterwahlen vier Jahre zuvor zwischen dem schwarzen Kandidaten Tom Bradley und dem weißen Amtsinhaber Sam Yorty. Zunächst seien die Wähler uninteressiert gewesen. Aber dann habe Yorty die Kategorie „Rasse“ in den Wahlkampf „injiziert“, so die Sprecherstimme. Der Bürgermeister nannte seinen Opponenten einen gefährlichen Linksradikalen, der lediglich gut darin sei, seine Neigung zum Revolutionären zu verschleiern. Yorty beschuldigte Bradley, Black Panther Führer Huey Newton unterstütze seine Kandidatur. Bradley sagte, es handele sich um einen schmutzigen Wahlkampftrick. In polemischen Reden wiederum wurde Amtsinhaber Yorty gezeigt, der sich über die Vorstellung lustig machte, er habe Huey Newton angerufen und ihn gebeten seinen Gegenspieler zu unterstützen. Dabei habe sein Herausforderer die Unterstützung der Schwarzen, weil er sie nach seiner politischen Haltung verdiene, durfte Yorty im Fernsehbeitrag verlauten lassen, ohne sich etwa eine Rüge des berichtenden Journalisten einzuhandeln.158
B LACK M USLIMS Neben solchen Kämpfen um die Möglichkeit schwarzer Führerschaft in offiziellen politischen Ämtern, tauchte durch den Tod des Glaubensführers Mitte der 1970er Jahre ein weiteres Gespenst des Anderen wieder am vorderen Bühnenrand auf. Es waren die Black Muslims der „Nation of Islam“, über deren Existenz schwarze Männlichkeit immer wieder als unmögliches politisches Subjekt im christlichen Amerika verworfen wurde.159 Vom Tod Elijah Muhammads in Chicago berichtete 158 CBS, EN – Tuesday, May 29, 1973 – Mayoral Race / Los Angeles, California. 159 „The Lost-Found Nation of Islam in the Wilderness of North America“ – so der Name der Organisation, die seit ihrer Gründung 1929 unter dem Vorgänger von Elijah Mohammad Gegenstand von Berichten der Mainstream-Presse war. Auch weil sie aus dem diskursiven Kontext des Hegemonie-Apparates nicht heraus definiert werden kann, interessiert in dieser Arbeit vor allem ihr performativer Zuschnitt in den zeitgeschichtlichen Mainstream-Medien. Unter der besonderen Fokussierung von Männlichkeit und Leadership innerhalb des Komplexes geht es darum, innerhalb des Feldes der Hegemonie-Produktion Mitte der 1970er Jahre das politische Verhältnis der Black Muslims zur Mehrheitsgesellschaft kenntlich zu machen. Die Identität schwarzer Muslime wurde sowohl im Rückgriff als auch in Abgrenzung zu der Geschichte, die die Bewegung in den 1960er Jahren gehabt hatte, auf dem gesellschaftspolitischen Terrain hergestellt. Dieser Prozess stand ebenfalls in untrennbarer Interaktion mit den Mainstream-Medien und einem Meinungsmarkt, auf dem Taten und die Wahrheiten der damit zusammenhängenden gesellschaftspolitischen Aktionen bereits vor den Urteilen und in nachträgli-
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ABC am 25. Februar 1975. Er habe die „Nation of Islam“ bereits in den 1930er Jahren gegründet, die Besitztümer der Organisation seien Millionen schwer, eröffnete Harry Reasoner den Bericht. Einige der Anhänger Elijah Muhammads seien weit berühmter gewesen als er selbst, erklärter Lem Tucker, während eine InterviewSituation gezeigt wurde, in der der Glaubensführer neben dem jungen Boxer Muhammad Ali auf einer Couch saß. Dann wurde im Portrait Malcolm X eingeblendet und seine Mitgliedschaft in Muhammads ehrenwerter Gemeinschaft bis zu seinem Bruch mit der Organisation geschildert. Die Antworten des schwarzen Predigers und sogenannten Sektenführers auf die „sündige Natur weißer Sklavenhalter“ waren eine separate Nation und ökonomische Unabhängigkeit, wie im Bericht erklärt wurde. Währenddessen wurden Moscheen und Geschäfte im Bild gezeigt. Dann beschrieben die Journalisten in einer kurzen Dokumentation, dass sich nun überall, wo in einer größeren Stadt ein bedeutender schwarzer Bevölkerungsanteil gewesen sei, auch die Geschäfte der „Nation of Islam“ ausgebreitet hätten. In einem Interview hatte der Führer der Gemeinde 1967 seine Philosophie erklärt: „We are Muslims, we believe in peace, we believe in freedom, justice and equality. We are free today a hundred years away from slavery, and we now want to return to our own God and religion and people …“. Viele der zwei Millionen schwarzen Muslime in den Vereinigten Staaten teilten zwar die separatistischen Ideen Elijah Muhammads nicht, erklärte der Reporter des Nachrufs auf den Glaubensführer, aber etliche Afroamerikaner in den Vereinigten Staaten sähen in den ökonomischen Unternehmungen der „Nation of Islam“ eine Chance für ihre Gemeinden.160 „Over the years the image of the Muslims has changed“, leitete Reporter Dan Rather einen CBS-Bericht über die Gemeinschaft schwarzer US-Amerikanischer Muslime im Mai 1976 ein, deren Bild so verquickt im Feld der Differenzen zwischen Religion, „Rasse“, Männlichkeit und Sexualität lag und darin immer wieder perpetuiert wurde. Obwohl sie nicht mehr ausschließlich als „weiße-hassende“ Gemeinschaft wahrgenommen würden, wie der CBS-Mann vor dem Bildhintergrund der Kuppel einer Moschee verkündete, begann der Bericht aus dem Mai 1976 mit einer Rede des im Jahr zuvor verstorbenen Führers Elijah Mohammad, der sagte: „Men that have nothing good in [th]’em but sin – that’s the white race“. Reporter Randy Daniels erklärte, während eine weiße Frau mit Kopftuch durchs Bild in cher Aufarbeitung reproduziert wurden. Das performative Feld, in das die Identität ab 1975, dem Übergang von der einen zur nächsten Führungsfigur, eingeschrieben wurde, ist der Untersuchungsgegenstand, der hier weiter betrachtet wird. Vgl. zum Background: Finzsch, Norbert / Horton, James Oliver / Horton, Lois E., Von Benin nach Baltimore. Die Geschichte der African Americans, Hamburg 1999. Zur Nation of Islam: Dorestal, Philipp, Style Politics. Mode, Geschlecht und Schwarzsein in den USA, 19431975, Bielefeld 2012, S. 254ff. 160 ABC, EN – Tuesday, Feb. 25, 1975 – Elijah Muhammad Dies.
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Richtung des Eingangs einer Moschee huschte, dass der Tod Elijah Muhammads im Übergang der Sektenführung zu seinem Sohn radikalen Wandel gebracht habe: „The most visible difference in the Muslim movement today is the acceptance of whites and other races into the formerly all black sect.“ Es habe noch eine ganze Reihe weiterer Veränderungen gegeben, erklärte Reporter Daniels weiter; eine Moschee in Harlem sei nach Malcolm X benannt worden, der 1965 „abtrünnig geworden“ und später von muslimischen Attentätern umgebracht worden sei. Doch die „Nation of Islam“ hatte eine Beteiligung immer von sich gewiesen, so die Berichtsstimme, und das ehemals undurchsichtige Finanzimperium der Organisation sei transparenter geworden und habe just das Image eines durch und durch erfolgreichen, in allen Bereichen profitablen Imperiums verloren. In vielen muslimischen Betrieben habe nämlich Korruption geherrscht und nachdem die Organisation jahrelang Steuern nur unter Protest gezahlt hatte, weil Elijah Mohammad seine Organisation als Religionsgemeinschaft von den Abgaben befreit sehen wollte, ließe sie nun die Wirtschaftsprüfer ihre Bücher durchschauen, so die Integrationserzählung. Die „Nation of Islam“ expandiere weiter und lege nun auch ein Augenmerk auf Politik, erklärte der Reporter. Es werde den Mitgliedern nun nicht nur erlaubt, sie würden sogar aktiv gebeten an Wahlen teilzunehmen. Ein Sprecher der Organisation erklärte, es sei unbedingt notwendig eine politische Kraft zu werden, mit der gerechnet werden müsse, um die Struktur zu beeinflussen, in der man lebe. Jesse Jackson kam im Bericht zu Wort und sagte, dass es ein Vorteil sei, wenn es einen muslimischen Wählerblock gebe, der von der „Nation of Islam“ kontrolliert werde. Es beeinflusse die Wahlbereitschaft über die Zahl der Wähler hinaus, so Jackson. Sie könnten „Swing States“ beeinflussen, eigene Kandidaten aufstellen und ihr nationaler Einfluss sei bisher noch kaum angemessen ins Kalkül der Politologen eingeflossen. Mit der Feststellung, dass die Black Muslims eine entscheidende Größe im politischen Feld werden könnten, gerade in Staaten mit Städten, wo viele Muslime lebten, wurde der neue Führer der Glaubensgemeinschaft, Wallace Mohammad bei der Predigt in einer Moschee eingeblendet. Er rief seinen Anhängern zu: „Now let us get busy, right here, and build this new world, and I’m sure it won’t be ruled by any other – self-government in the new world – as-salam alaikum.“161 Ein knappes Jahr später sendete NBC im März 1977 aus ihrer Nachrichtenzentrale in New York die Nightly News. Berichtet wurde von einem Geiseldrama, das sich anscheinend aus einem Konflikt innerhalb der „Nation of Islam“ entwickelt hatte. Ort der Vorgänge war Washington, D.C.. David Binkley erklärte, in Washington seien über hundert Geiseln genommen worden und die Geiselnehmer hätten gedroht, ihre Gefangenen zu ermorden, sollten ihre Forderungen nicht erfüllt werden. Es werde verhandelt, aber es gäbe noch keinen Erfolg zu vermelden, so Binkley weiter. Strategie der Sicherheitskräfte sei nun, abzuwarten, damit den Gei161 CBS, EN – Tuesday, May 4, 1976 – Nation of Islam.
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seln nach Möglichkeit nichts geschehe. John Chancellor fuhr fort, dass zu den Forderungen der Terroristen zähle, einen Film über das Leben der Propheten Mohammed auf den Index und aus der Öffentlichkeit zu bekommen. Die Forderung sei bereits eingelöst, so die journalistische Aufklärung. Zudem hatten sie die Rückerstattung eines Strafgeldes von 750 Dollar gefordert, welches in einem Prozess 1974 verhängt worden war. Auch dies sei bereits geschehen. Aber die Terroristen forderten auch die Auslieferung derjenigen Männer, die in demselben Prozess zu Freiheitsstrafen für den Mord an Mitgliedern einer Hanafiten-Sekte verurteilt worden waren. Mutmaßlich wollten sie diese aus Rache exekutieren, wie die Nachrichtenzuschauerschaft erfuhr. Nach dieser schockierenden Meldung wurde das Bild Wallace Mohammads eingeblendet und berichtet, dass die Geiselnehmer auch nach einer Unterredung mit ihm verlangt hätten. Der Kopf der „Nation of Islam“ war sogleich nach Washington geflogen. Reporter Robert Bazell berichtete aus der Verhandlungszentrale des Bürgermeisters von Washington. Es bestehe die Gefahr, dass die Geiselnehmer sich im Jihad, im Heiligen Krieg wähnten und bereits beschlossen hätten zu sterben, erklärte er.162 Die Live-Berichterstattung von dem Geiseldrama war geprägt von einer Atmosphäre der Unsicherheit, wirkte unorganisiert wie Kriegsberichterstattung auf provisorischem Terrain. Reporter Bazell erschien im Bild und erklärte gerade, es seien auch Diplomaten aus arabischen Ländern ersucht worden mit den Geiselnehmern zu verhandeln. Währenddessen spielte sich in seinem Rücken eine Szene ab, in der ein Mann den Raum betrat, einen Moment fragend in die Runde schaute, dann die Kamera bemerkte, an der Tür hinab glitt, um aus dem Live-Bild zu kriechen. Hektische Betriebsamkeit beherrschte die Büroräumlichkeit. Es sei kein Wort über einen Fortschritt der Verhandlungen zu ihnen durchgedrungen, so Bazells vorläufiges Fazit. Die Moderatoren im Studio schalteten nach diesen Erklärungen weiter zu ihrer Korrespondenz vor eines der Gebäude, in denen Geiseln gefangen gehalten wurden. Die Delinquenten hatten im Rathaus des District of Columbia, in der Zentrale der „B’nai B’rith“, einer jüdischen Organisation und in einer Moschee Geiseln festgesetzt, so der Informationsstand am Abend. Die Bewaffneten sprächen nur mit der Polizei, wenn sie etwas wollten – Zigaretten, Essen, und sie hätten eine Verbindung zum Sektenführer im „B’nai B’rith“-Gebäude, erklärte ein weiterer Reporter namens Charles Quinn vom Rathaus, wo sieben Menschen gefangen gehalten wurden. In der „B’nai B’rith“-Zentrale, von welcher Linda Ellerbee kommentierte, waren über hundert Leute in der Gewalt der Geiselnehmer. Es waren zwei Geiseln frei gelassen, und die Scharfschützen seien vom Dach abkommandiert worden, so Reporterin Ellerbee, die vom Fenster einer Wohnung schräg über dem fraglichen Gebäude die Vorgänge verfolgte, in dem die überwiegende Zahl an Menschen festsaß. Im Fernsehbild waren einige Fenster des Baus erleuchtet zu sehen. Aber was genau 162 NBC, EN – Thursday, Mar. 10, 1977 – Washington, DC Hostages.
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hinter den Fenstern geschehe, verberge sich, wie Ellerbee erklärte, weil die Terroristen die Scheiben mit Farbe bemalt hatten. Vor dem „Islamic Center“ stand Carole Simpson, die erklärte, in der Moschee würden zwei Frauen und sieben Männer festgehalten. Eine Frau mit Herzproblemen sei freigelassen worden.163 Was dem Publikum der NBC-Berichterstattung bislang vollkommen fehlte, war eine Beschreibung, was die Sekte genau war, wer diese Männer waren, die mit Waffengewalt über hundert Menschen gefangen hielten, offensichtlich militant und wild entschlossen, für bestimmte Ziele zu kämpfen und zu sterben. Ein verdichtetes Portrait der Gruppierung und ihrer Entwicklung lieferte die ABC in einem Bericht am zweiten Tag, an dem das Geiseldrama in den Nachrichten verhandelt wurde. Einige der Geiseln seien von ihren Peinigern an Händen und Füßen gefesselt worden, erklärte Don Farmer dem ABC-Publikum. Es wurde eine Zeichnung eingeblendet, auf der Figuren mit schemenhaften Gesichtern durch ein Fenster zu erkennen waren. Auf der Skizze hatten zwei Figuren Pistolen, einer eine Waffe mit längerem Lauf in der Hand. Sie bedrohten eine Menge Leute, deren Gesichter ebenfalls schleierhaft verzeichnet blieben. Es gebe nicht mehr als etwa 1000 „HanifiMuslims“ in den USA, erklärte Reporter Charles Gibson zu Beginn seiner dichten Beschreibung vor einem im Repertoire der ABC-Außenberichterstattung unüblichen Bildhintergrund, auf dem Minarette und eine Fahne mit Sichelmond und Stern zu sehen waren. Die Hanafiten seien eine orthodoxe Gruppe und würden den Koran wörtlich nehmen. Dann wurde ein Bild von Hamaas Abdul Khaalis eingeblendet und Gibson erklärte, er sei der Führer der Gruppe. Geboren und katholisch getauft als Ernest Timothy McGhee in Indiana sei er in den späten 1950er Jahren zum Islam konvertiert, während er noch in New York als professioneller Drummer in bekannten Bands gespielt habe. Zunächst sei er bei den „Black Muslims“ gewesen, habe sich aber von ihnen getrennt, weil er nicht akzeptieren konnte, dass sie Rassentrennung predigten. Nach der skizzierten Herkunftsgeschichte des Terror-Anführers, in der sowohl die „Black Muslims“ als auch die Hanafiten nicht gerade als verlässliche Größe politischer Auseinandersetzung erschienen, erklärte Reporter Gibson die engeren Zusammenhänge des Kriminalspektakels, das in den drei Washingtoner Gebäuden im März 1977 einen vorläufigen Höhepunkt gefunden hatte. Ende 1972 habe Hamaas Abdul Khaalis einen Brief an Gotteshäuser der Black Muslims im ganzen Land geschickt und ihnen den Führungsanspruch abgesprochen. Kurze Zeit später seien binnen weniger Tage sieben Hanafiten ermordet worden, darunter fünf Kinder, so Gibson während das Hauptquartier der Sekte eingeblendet wurde. Das schöne Haus, in einer guten Wohngegend Washingtons gelegen, war der islamischen Gruppe von einem Basketball-Star zur Verfügung gestellt worden, erfuhr das Nachrichten-
163 NBC, EN – Thursday, Mar. 10, 1977 – Washington, DC Hostages.
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Publikum, als das ansehnliche Gebäude im Bild erschien. Bis dato hätte die Gruppe und ihr Führer Gewaltlosigkeit und Brüderlichkeit zwischen den Rassen gepredigt. Nach den Morden 1973 hatte sich die friedfertige Grundhaltung offensichtlich geändert, merkte die Voice-over an, während ein Stacheldrahtzaun und patrouillierende Männer mit Gewehren und Säbeln über den Schultern im Bild auftauchten. Die Nachbarn berichteten, die Anlage sei in ein Militärcamp verwandelt worden und sie hätten die Mitglieder bei Übungen beobachtet, die sie offensichtlich auf die gestrige Geiselnahme vorbereiten sollten. Als Reporterin Barbara Walters in ihrem Studio wieder eingeblendet wurde, erschien hinter ihr ein Bild Muhammad Alis. Sie erklärte, eine der Forderungen der Entführer sei, dass Ali, als Teil der „Nation of Islam“, zu ihnen nach Washington gebracht werden solle. Journalistin Walters berichtete, sie habe ihn in seinem Haus in Los Angeles erreicht. Die Reporterin erzählte von einem skurrilen Gespräch, das sie mit dem Boxer geführt hatte. Er habe immer wiederholt, er wolle nicht in die Sache hineingezogen werden. Aus seiner gedrückten Stimme sei keine Kampfeslust herauszuhören gewesen. Walters zitierte den Schwergewichtschampion mit den Worten: „If you are concerned with me, he said, don’t get me involved.“ Schließlich habe er zugestimmt mit Präsident Carter zu sprechen, allerdings werde er nicht probieren ihn anzurufen, wenn der Präsident anrufe, werde er ihn zurückrufen, so die Reporterin. Am Ende ihres Gesprächs habe sie Ali gefragt: „Are you scared? […] No answer! Did anyone ask you to come to Washington? The final answer: No ma’am!“164 Der muslimische Sportler wollte also nicht unbedingt zur Abwendung des Übels beitragen. Das Fernsehpublikum konnte den Eindruck gewinnen, die Galionsfiguren des schwarzen Islam in den USA könnten weder sich selbst noch anderen helfen. Bedrohlich erschien auf diese Weise, dass die berühmten Köpfe der Black Muslims von den Nachrichten als verantwortungslose Gestalten gestern wie heute in Szene gesetzt wurden. In historischer Bezugnahme begann auch der CBS-Bericht, der dem amerikanischen Publikum am selben Tag das Geflecht aus Islam, Führerschaft, Blackness, Gewalt und Kriminalität durch einen Blick in die jüngste Geschichte der muslimischen Bewegung in den USA nahe bringen sollte. Ebenfalls mit der in diesen Terror-Tagen anscheinend obligatorischen Sichelmond mit Stern-Beflaggung im Rücken seines Studiohintergrundes begann Walter Cronkite seine Genealogie, indem er feststellte, die Geschichte der Bewegung in den Vereinigten Staaten sei radikalen, manchmal gewaltsamen Veränderungen unterworfen gewesen und die internen Auseinandersetzungen, die in der Glaubensrichtung der Black Muslims immer wieder geherrscht hätten, zeigten sich nun wieder in den Taten der Abspaltung der Hanafiten-Fraktion. Der Bericht von Randy Daniels begann wieder mit einem Einspieler des Filmmaterials, das aus dem oben beschriebenen Bericht von 1976 bereits bekannt war, auf dem Elijah Muhammad mit Sonnenbrille und Hut vor Mikropho164 ABC, EN – Thursday, Mar. 10, 1977 – Washington DC Hostages.
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nen stehend zu sehen war und verkündet, die Weißen seien eine durch und durch sündige Rasse. Dieses Mal gab es keinen Ton zum Bild des Predigers. Da die Szene bereits sooft im Fernsehbild zitiert worden war, stand das Bild Muhammads ohne weitere Erklärung schockgefroren für die moralische Verwerfung aller Weißen. Der Reporter berichtete diesmal kritisch, dass der Islam seine Wurzeln tief in der US-Geschichte habe. Die Bewegung gehe auf die 1930er Jahre zurück, als Elijah eine Gruppierung geformt habe, um die Bedeutung des Islams wieder zum Leben zu erwecken und als „lost people“ zu führen. Er habe sich „Messenger of Allah“ genannt. Während der Sprecher die Geschichte erzählte, erschienen Männer in schwarzer Kleidung und Frauen mit Kopftüchern und weißen Kleidern. Geschlechtlich separiert saßen Menschen auf gestuften Emporen und wurden nacheinander eingeblendet. Er habe sie unter dem Dach dessen zusammenbringen wollen, was der Islam zu bieten habe, doch gerade Einheit war für Elijahs „Nation of Islam“ schwer herzustellen, wie sich herausstellen sollte, kommentierte der CBS-Mann während noch eine größere Menge an weiß gekleideten Frauen gezeigt wurde. Malcolm X, der „feurige Minister“ der Muslime, der in den 1960er Jahren zu Prominenz gekommen sei, war von muslimischen Mördern in New York erschossen worden, so die Darstellung. In diesem CBS-Bericht wurde die Täterschaft an jenem Mord eindeutiger adressiert als Ermittlungsbehörden sie je hatten feststellen können. Schon Malcolm X hatte fundamentale Differenzen zum Führer der „Nation of Islam“ öffentlich gemacht und Elijah Muhammad als einen Mann bezeichnet, der besessen von Reichtum und machtlüstern gewesen wäre, fasste Reporter Daniels sein Bild der unsäglichen Geschichte an Führungskapriolen zusammen. Dies war gewissermaßen die politische Pointe einer theologisch-politischen Auseinandersetzung um schwarzes Führertum und schwarze Männlichkeit im Politischen, wie sie die Journalisten dem Fernsehpublikum 1977 vor Augen führten.165 Neben solchen immer wieder zitierten historischen Rückgriffen wurden im Zuge des CBS-Berichts Parallelen zwischen den Führungsstreitigkeiten um Malcolm X in den 1960er Jahren und dem aktuellen Fall der Auseinandersetzung zwischen „Nation of Islam“ und der Hanafiten-Sekte gezogen. Der Hanafiten-Führer Hamaas Abdul Khaalis erschien im Nachrichtenbild und bekannte, dass er die Geiselnehmer in Washington leite. Hierzu erläuterte Reporter Daniels, der Mann sei einst ebenfalls ein starker Unterstützer Elijah Muhammads gewesen, habe sich aber ebenfalls in den frühen 1960er Jahren losgesagt und den Führer einen falschen Propheten genannt. 1972 hatte er einen kritischen Brief geschrieben, in dem er Elijah und die „Nation of Islam“ angriff, wovon er Kopien an andere Black Muslims versandt habe. Dann wurden noch einmal die grausamen Morde thematisiert, und ausführlich beschrieben, wie eine fünf-köpfige Bande von Muslimen aus Philadelphia diese an Mitgliedern der Hanafiten-Sekte verübt hatte. – Zwei Erwachsene und ein Kind wa165 CBS, EN – Thursday, Mar. 10, 1977 – Black Muslims / Hanafis.
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ren erschossen, vier Kinder waren sogar ersäuft worden. Ein aufgebrachtes Mitglied der Glaubensgemeinschaft sagte im Interview, es ginge nicht darum, die Individuen zu bekommen, die so grauenhafte Taten vollbrachten, sondern um das Wesen, das hinter solchen Taten stehe. Anschließend wurde Wallace Muhammad, der Nachfolger und Sohn des „Nation of Islam“-Führers Elija Mohammad in seiner Moschee eingeblendet, der beteuerte, er habe nur aus der Presse von den Morden gehört.166 Es blieb eine merkwürdige Leerstelle in der Frage nach schwarzen Führern, wenn die Nachrichten über sie berichteten. Schwarze Männlichkeit blieb bedrohlich und schien ihr Bedrohungspotential im Verlaufe der 1970er Jahre noch zu steigern. Schwarze Führung im Religiösen war ein unsteter Ort, irgendwo zwischen gefährlichem Unwissen und grausamen Morden. Bereits in den Berichten über die separatistische Ranch in Alabama oder die Führungsriege der Black Panther Party war die Bedrohung der weißen Norm immer Matrize der journalistischen Erzählung gewesen. Nun spitzte sich das Problem in den Live-Berichten der Fernsehnachrichten über den Terror aus dem Innern der schwarzen Muslim-Bewegung zu, war mitten in die scheinbare Normalität der Bundeshauptstadt eingebrochen. Die Übernahme verantwortlicher politischer Führung im Ganzen seitens schwarzer Führungsgestalten, so ein Effekt der Berichte, stellte sich auch im letzten Drittel der 1970er Jahre als geradezu unmöglich dar. Die unterschiedlichen Berichtswellen zu den Ereignissen um die Geiselnehmer in Washington zeigen, wie ausgehend vom Fall einer Geiselnahme seitens einer kleinen Gruppe, die Geschichte schwarzer und muslimischer Identität medial neu geschrieben wurde. Es war eine Geschichte äußerst gefährlicher Führung, explosiver, nicht-christlicher, schwarzer Männer entstanden. Doch es war nicht nur die innere Zerrissenheit einer Gemeinschaft, die in den Nachrichten von den Ereignissen 1977 in Washington schwarze Aktivisten zum Antagonismus der Mehrheitsgesellschaft machte. In ambivalenter Wechselwirkung hatte sich im Rücken solcher Beschreibungen über die Anderen die weiße Norm männlicher Führung selbst in eine Krise eingeschrieben und bezog alles auf die mangelnde Führungskraft des dominanten Modells. Genau darüber konnte sich die zentrale Norm exklusiv wieder herstellen, was nun eingehender betrachtet wird.
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Zu den scheinbar ubiquitären Unruheherden wie Feminismus, enigmatische Homosexualität und gewaltbereite Afroamerikaner gesellte sich in den TV-Nachrichten ab Mitte der 1970er Jahre ein weiteres Problem. Es war an verschiedenen Orten von einer Krise die Rede, die sich ins Zentrum der US-Kultur gegraben hatte. Weiße Führung und Männlichkeit schienen nach außen- und innenpolitischen Desastern 166 CBS, EN – Thursday, Mar. 10, 1977 – Black Muslims / Hanafis.
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wie Vietnam oder Watergate unsicherer denn je im gesellschaftspolitischen Feld. 167 Auf selten exakt adressierte Weise waren verschiedenste Aspekte im Krisenszenario seit 1974 aufeinander bezogen. Hatten zunächst weiße, heterosexuelle Männer der Mittelschicht über ihre Rolle in Familie und Gesellschaft geklagt, und die Verunsicherung ihrer Gruppe durch Anfechtungen aus allerlei Richtungen begründet, begann sich das Krisenszenario von den Männern der Mitte auf Strukturen und Körper schließlich auf die gesamte US-Nation auszuweiten. Das Untergangsszenario wurde diskursiv in einst ungetrübte Stabilitäten um Sportler, Väter, Politiker und Glaubensmänner getrieben. Immer wieder wurde im Zuge solcher Beschreibungen betont, dass man eigentlich auf großartige Kämpfe um Freiheit in der Geschichte der Vereinigten Staaten zurück blicken konnte. Kontrastiert wurden solche Glorifizierungen der Vergangenheit immer wieder durch die Beschreibung einer Krise des Maskulinen und männlicher Führungskraft. In der Klage über eine zerrüttete Gegenwart wurde das Problem perpetuiert. Von dort aus wurde die Problematisierung in die „ganz normale“ Mittelschichtsfamilie hinein getragen. Die weiße Familie war befallen von einem hartnäckigen Virus, wusste angeblich nicht mehr, wie sie das Zentrum der Gesellschaft künftig verkörpern sollte. Die Erschütterung der Norm im allgemeinen Fall wie im speziellen verlangte immer wieder unerbittlich nach Lösung. Und so wurde die Krise zu einem Modus der materiellen Aufmerksamkeitsökonomie. Damit war sie auch gleichzeitig ein Teil des kulturellen Verteilungskampfes. Ganz gleich welche Gruppen möglicherweise in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre unter wirtschaftlichen Druck gerieten, wer unter steigenden Preisen, Arbeitslosigkeit oder der Verknappung von gesellschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten am meisten zu leiden hatte, die Krise wurde stets exklusiv für die dominanten Normen weißer Männlichkeit und der Mittelschichtsfamilie ausgerufen. Und das Szenario um den Krisenmann stützte sich auf zwei auf einander bezogene Säulen. Erstens war die Potenz des weißen HeteroMannes bedroht, sowohl im Hinblick auf seine Sexualität als auch bezüglich seiner Kapazität die Familie zu führen. Und in engem Zusammenhang damit wurde zwei-
167 Ich habe den Mechanismus der Krisenproklamation eingehender anhand des PlayboyMagazins untersucht und als kulturellen Hegemonie-Motor analysiert. Im Playboy war die Krise in der September-Ausgabe 1974 erfunden worden. – vgl. Krämer, Felix, Playboy tells his story. Geschichte eines Krisenszenarios um die hegemoniale USMännlichkeit der 1970er Jahre, in: Feministische Studien – Zeitschrift für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung (27) 1, S. 83-96. In der Analyse der Fernsehnachrichten hat sich gezeigt, dass es sich um ein breites Phänomen handelte. Die Krise, von der Mitte der 1970er Jahren in allen möglichen Zusammenhängen die Rede war, wurde dabei sehr häufig auf hegemoniale Männlichkeit bezogen. Somit hatte das Szenario diese geschlechterpolitische Dimension und übersetzte diese ins weitere Politische.
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tens der treuesorgende Familienvater problematisiert, der kastriert erschien in seinen Kapazitäten die Familie zu ernähren.168 Bereits Anfang 1974 zeichnete sich Krisenhaftes in einem ABC-Bericht ab, der sich im Februar mit den Auswirkungen von Inflation und steigenden Lebenshaltungskosten für die Norm-Familie befasste. Innerhalb nur eines Monats seien Essenspreise und der Preis für Benzin sprunghaft angestiegen, erklärte Moderator Howard K. Smith dem Publikum, Heizöl sogar um 13 Prozent. Auf das Jahr gesehen seien die Lebenshaltungskosten um 9,4 Prozent gestiegen, so gewaltig wie seit 22 Jahren nicht mehr. Reporter Jim Kincaid hatte in einem Vorort von Chicago eine Mittelschichtsfamilie besucht. Doppelbödig stellte der Nachrichtenmann fest, es sei schwierig die Mittelschicht zu definieren, die Familien der Mitte zu finden dagegen nicht. Der Reporter hatte die Meyers gefunden. Mrs. Meyer arbeite in einem Teilzeitjob im Rathaus, stellte Kincaid dem Publikum das Betrachtungsobjekt der Krise vor. Der Journalist erklärte weiter, Mr. Meyer sei der Haupternährer der Familie und habe in den vergangenen Jahren in seinem Job jene Aufstiegsmöglichkeit genutzt, mit der wachsende Verantwortung und ein gestiegenes Einkommen einhergingen, während Mr. Meyer dabei gezeigt wurde, wie er Untergebene verantwortungsvoll in deren Tätigkeiten einwies. Zwei Töchter hatten die Meyers – ein Zwillingspärchen, das im Bericht beim vierhändigen Spielen eines Klavierstückes im Bild erschien. Dann wurde Marylin Meyer mit den Kindern hinter einem Einkaufswagen im Supermarkt gezeigt. Sie sagte, alles werde immer schwerer für sie. Während im Film wägende Hände suchend durch Supermarktregale fuhren, war die Klage von Frau Meyer zu hören: „In the last couple of months we have noticed the squeeze … because I look at all the prices, and I compare all the prices, and I think twice – do I really need it?“ Früher habe Marilyn frei entscheiden können, ob sie arbeiten wolle. Jetzt müsse sie dies tun, erfuhr das Fernsehpublikum von der ökonomischen Zwangslage der Frau Meyer. Und der Reporter erweiterte das bedrückende Szenario noch, indem er aufzählte, dass die neue ökonomische Lage für viele bedeute, einer Fahrgemeinschaft beizutreten, manches Vergnügen aufzugeben, Urlaubspläne zu streichen, sich den Gegebenheiten anzupassen oder sich schlicht Gedanken darüber machen zu müssen, wie es so weit gekommen war. Schließlich erklärte Familienoberhaupt und Ernährer Dan Meyers, er sei ein Optimist, glaube an bessere Zeiten im nächsten Jahr, man sei ja noch jung. Allerdings habe er für dieses Jahr keine Hoffnung mehr, gehörten dem Reporter die abschließenden Worte zur Beschreibung der Situation: „Worried? Yes! Hopeless? No! For Marilyn and Dan, I suppose it’s like one of those mornings when you wake up feeling not really bad and not re168 Krämer, Felix, Ernährer, in: Netzwerk Körper (Hg.), What can a body do? Praktiken und Figurationen des Körpers in den Kulturwissenschaften, Frankfurt/M. 2012, S. 6066.
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ally good. One of those uneasy feelings, you know something’s wrong, but you’re not sure what it is or what to do about it …“169 Gegen Ende 1974 verdichteten sich die Probleme auf dem Arbeitsmarkt, von denen ABC berichtete. Es ging in dem Beitrag um steigende Arbeitslosenzahlen und nach einem Bericht über eine dramatische Sitzung im „Bureau of Labor Statistics“, im Zuge der erklärt worden war, man befinde sich am Rande einer Depression, verkündete Anchorman Howard K. Smith: „The level of unemployment has already reached crisis proportions in some parts of the country.“ Doch die offiziellen Arbeitslosenzahlen im Rest des Landes von 5,8 Prozent sähen noch rosig aus gegenüber jenen von Flint in Michigan, so der folgende ABC-Bericht in dieser Sendung. Die dramatische Lage dort wurde wieder von Reporter Jim Kincaid beschrieben. Er berichtete von 15,1 Prozent an Arbeitslosen, bevor mit dem Familienvater Jim Burgess, wiederum ein Opfer der widrigen Umstände auf dem Arbeitsmarkt im Bild erschien. Aufgrund der Energiekrise hatte dieser Vater seinen Arbeitsplatz in der Automobil-Industrie verloren. Dabei hatte Burgess erst im vergangenen Jahr in der Autoindustrie angeheuert, getrieben von der Hoffnung, seiner Familie mit diesem Job eine sichere Zukunft bieten zu können. Die Dinge würden wieder besser, sagte der lethargisch wirkende Mann neben seiner Frau auf der Couch sitzend. Er nehme sein Schicksal nicht persönlich und es gäbe Leute, die übler dran seien als er, fuhr er fort. Andere Bilder des Berichtes, in denen die Normalität eines Familienlebens vor dem Hintergrund der Arbeitslosigkeit des Ernährers besonders dramatisch erschien, zeigten die Kinder bei Hausaufgaben am Küchentisch. Dann schob sich eine Geburtstagstorte ins Bild, wozu der Reporter die prekäre Lage beschrieb. Er betonte, bis die Dinge vielleicht endlich wieder besser würden, kämen noch die Geburtstage der Kinder und dramatischer Weise sei unklar, ob dafür noch Geld übrig sei. Schließlich interpretierte Reporter Kincaid das orientierungslose Verhalten des Familienvaters in der diffusen Situation: „Surprisingly, Jim Burgess expresses very little anger at the economic misfortunes of the past year. For one thing, he doesn’t know who to be mad at. But who could blame him that he wonders that the American Dream that he had believed in is only that: a dream.“170 Auf den ersten Blick brachte das Jahr 1975 dem Fernsehpublikum eine geringe Zahl an Nachrichten von Krisenklagen. Bei genauerer Betrachtung waren die Krisenszenarien allerdings immer tiefer in Gegenwartsbeschreibungen, in Körper und Normalitäten vorgedrungen, hatten sich intensiviert. Berichte über Zustände, in denen man sich im Jahr 1974 noch mehrheitlich unsicher über die letztgültige Dauer des krisenhaften Status Quo geäußert hatte, wurden nun mit einem Ton der Endgül169 ABC, EN – Friday, Feb. 22, 1974 – Costs of Living Incr. / Effects On Middle-Class Family. 170 ABC, EN – Friday, Oct. 4, 1974 – Unemployment.
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tigkeit versehen. Wenn Krisen auftauchten, blieben sie allem Anschein nach. Die meisten Nachrichten über die Zukunftschancen der Gegenwart waren nun vor allem schlechte Nachrichten. Beispielsweise berichtete Walter Cronkite für CBS im April 1975 von einem dramatischen Anstieg der Kriminalität unter Jugendlichen: „Violence, including murder and rape, and vandalism in the nationʼs schools has reached a crisis level.“ Der Reporter zitierte einen Bericht des „Juvenile Delinquency Subcommittee“, demzufolge waren 70 000 Lehrer zu Opfern ernsthafter Körperverletzungen geworden. Durch Vandalismus an Schulen war ein Schaden von einer halben Milliarde entstanden, so viel wie im Jahr 1972 für Schulbücher insgesamt ausgegeben worden sei, so die Nachricht.171 Ebenfalls um viel Geld ging es im Falle einer weiteren Krisenbeschreibung, auch wenn statt moralisch maroden Schulen alternde Körper am anderen Ende des Lebensweges Subjekt der Krise waren. „Ärztepfusch“ bei Behandlungen hatte sich aus der Mitte der Gesellschaft ausgebreitet und führte vom Krankenbett immer häufiger in die Gerichtsäle des Landes. Ärztefehler, mal geringfügig, mal schwerwiegend und lebensbedrohlich wurden zu einem Thema, welches US-Bürger/innen Mitte der 1970er Jahre am Fortschritt medizinischer Machbarkeit zweifeln ließ. Eine „malpractice crisis“ war der NBC im Juni 1975 mehrere Special Reports wert. Immer häufiger verklagten Patienten ihre behandelnden Ärzte. Zwischen den Kranken und den Medizinern wurde im Bericht eine tiefgreifende Entfremdung beklagt. Anders als in früheren Tagen, als der Hausarzt noch ein guter Bekannter gewesen sei, wäre es dieser Tage für die Patienten nicht schwer, einen Doktor zu verklagen, den sie nur einmal kurz getroffen hatten, wenn sie das Gefühl beschlich, ihr Befinden habe sich nach der Behandlung eher verschlechtert als gebessert.172 Eine Serie von drei Reportagen widmete CBS der „City in Crisis“. In der Beschreibung ging es um die finanzielle Verwahrlosung des kulturellen Zentrums New York. Die Stadt der Städte, ihre Urbanität und deren materielle Grundlagen steckten so tief in der Krise, dass kaum ein Ausweg in Sicht war. Big Apple war hoffnungslos verschuldet, so die erschreckende Berichtslage. Es sei kaum zu glauben, begann die erste Reportage über New York City im August 1975, dass die reichste und größte amerikanische Stadt tatsächlich Pleite gehen könne. Für die meisten New Yorker wäre die Fiskal-Krise nicht mehr als eine Zeitungsüberschrift, so der Bericht weiter. Allerdings habe sich der Müll bereits in den Straßen gestapelt und die Stadt habe 18 000 Angestellte entlassen müssen. Nach der Einblendung allerlei Zahlen, die Kosten einer Stadt mit 8 Millionen Einwohnern auflisteten und anhand derer New York mit Chicago im Vergleich stets ungünstig abschnitt, sagte Reporter Robert Schakne vor dem Bildhintergrund des Hudson-Rivers stehend: „For all its remaining appearances of normality New York is desperately, and some 171 CBS, EN – Wednesday, Apr. 9, 1975 – Juvenile Delinquency Report. 172 NBC, EN – Monday, Jun. 23, 1975 – Special Report / Malpractice.
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people think incurably sick, financially facing the risk of catastrophic fiscal collapse and major default.“173 Wie Schakne bereits im ersten Bericht zur Stadt in der Krise angedeutet hatte, lagen die finanziellen Probleme der großen Ostküsten-Metropole nicht dort, wo man sie vermutete. Im folgenden Bericht beschrieb er die strukturellen Probleme ganz deutlich. Demnach hatte die Malaise nichts mit fehlendem Augenmaß zu tun, sondern mit übermächtigen Gewerkschaften und der Einwanderung von ungebildeten Schwarzen aus dem Süden oder aus Puerto Rico. Daneben sei die Abwanderung gut ausgebildeter und wohlhabender weißer Schichten in die Suburbs des Großraums New Yorks über die vergangenen 25 Jahre das gewaltige Problem, welches in journalistischer Sorgfalt hervorgehoben werden musste. Der Niedergang der Demokratischen Partei habe zu einer massiven Stärkung der städtischen Gewerkschaften geführt, was politische Anwärter dazu verleitet habe, Geschenke zu versprechen und zu verteilen, so die Fehleranalyse weiter. Die Zuwanderung von jenen „Minderbemittelten“ aus dem Süden, die zu allem Überfluss auch noch weit mehr Geld verbrauchten, als sie einbrachten, bei gleichzeitiger Abwanderung der reicheren Weißen in die Außenbezirke habe dann das Problem in die gegenwärtige Blüte getrieben, so der Journalist. Der verarmte, kranke und hilflose Körper musste wieder zu Kräften kommen, musste Abwehrkräfte gegen Schwächung entwickeln, so die Diagnose unterm Strich.174 Roger Mudd leitete den letzten Beitrag der Serie ein, indem er berichtete, New York habe im vergangenen Monat den Bankrott noch gerade ebenso verhindern können. Auf die Fragen nach den Chancen und wie ein finanzielles Überleben von New Yorks City auch in Zukunft gestaltet werden könne, kenne sein Kollege Schakne die Antworten, kündigte Anchorman Mudd an. Und tatsächlich ließen sich die Genesungschancen der riesigen Stadt am Beispiel eines vergleichsweise kleinen Städtchens ablesen. Im dritten Teil der CBS-Reihe führte Schakne das Nachrichtenpublikum zunächst in eine überschaubare Gemeinde namens Fall River in Massachusetts. Der ehemalige Bürgermeister erzählte von jener Zeit während der Großen Depression als die kleine Stadt pleite gewesen war. Der Ort sei damals auf traurige Weise verwahrlost. Im Vergleich zu einer so kleinen Stadt wie Fall River sei die Katastrophe im Falle einer Millionenmetropole wie New York natürlich x-mal so gewaltig, erklärte Schakne. Es könne zu Unruhen kommen, die nationale Wirtschaft würde unter dem Kollaps leiden, wenn eine Stadt wie New York zahlungsunfähig werden würde, Banken würden in die Pleite rutschen – so die apokalyptischen Vorstellung weiter, die CBS dem Nachrichtenpublikum übermittelte. Keiner wisse,
173 CBS, EN – Wednesday, Aug. 20, 1975 – Special Report (City In Crisis). 174 CBS, EN – Thursday, Aug. 21, 1975 – Special Report (City In Crisis).
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was genau passieren würde, außer dass es übel ausgehen könne, so Schaknes vorläufige Prognose.175 Daher war eine Agency aus Bankern und Finanzfachleuten ins Leben gerufen worden, „Big MAC“ lautete ihr Spitzname. Der Plan, den „Big MAC“ erdacht hatte, um New York zu retten, lautete: Anteilsscheine von New York zum Verkauf anzubieten. Allerdings wolle keiner Anteile einer kranken Stadt kaufen, weswegen einzig die Hoffnung bliebe, dass man das Problem New Yorks zur nationalen Angelegenheit erkläre, um föderales Geld aus Washington zu bekommen, erläuterte der Journalist den Plan B. Der US-Finanzminister meinte allerdings, es sei keine Option für den Staat, New Yorks Schulden einfach zu übernehmen. Man würde viele Gouverneure und Bürgermeister vor den Kopf stoßen, welche harte Entscheidung getroffen hätten, um ihre Haushalte in Ordnung zu halten. Einer unbestätigten Meldung zufolge, würden nun aber doch aus föderalen Geldkreisläufen Mittel zur Verfügung gestellt, als letzter Rettungsanker, so die Berichtslage am Ende des dritten Teils der Reportage im August 1975. Im Fazit wiederholte sich die zuvor geäußerte Problembeschreibung und es wurde noch einmal betont, dass dies alles der grundlegenden Malaise der Stadt keine Abhilfe schaffen könne: Das niedrige Steueraufkommen, schrumpfende Bevölkerung, die Einwanderung armer und das Auswandern der wohlhabenden Bürger aus den Städten. Schakne subsumierte: „It’s also true that talk of fiscal collapse for most New Yorkers remains unbelievable, unreal, something surely financial and remote, a fiscal Armageddon that never comes – except: this time, it might.“176 Nach solch düstrer Lage im urbanen Raum an der Ostküste schien gegen Ende des Jahres 1975 auch eine andere Lebensader des amerikanischen Traumes unter Arterienverkalkung zu leiden. Durchs Programm der NBC flackerte im Oktober 1975 eine weitere Krise in Form eines seriellen Special Reports. Es war das mediale Auflodern jener Energiekrise, deren Original bereits 1973 den USAmerikaner/innen die Abhängigkeit ihrer Bewegungsfreiheiten und Verbrauchsgewohnheiten vom reibungslosen Zufluss immenser Energieströme deutlich gemacht hatte. In fünf Berichten werde man sich dem Problem widmen, kündigte NBCAnchorman John Chancellor an. Die Bilder zeigten Ölfelder mit Bohrtürmen und Silos aus der Luft, als George Lewis im Bericht das Problem ausbreitete. Das überflogene Ölfeld in Ost-Texas sei in den 1930er Jahren einmal das weltgrößte gewesen – heute trockne es langsam aus, so der Reporter. Eines nicht allzu fernen Tages hätten die Pumpen den letzten Tropfen aus dem Boden gesaugt. Es wurden Schattenbilder der gewaltigen Pumpen gezeigt. Weil die Ölproduktion in den USA rückläufig sei, müsse man bereits 40 Prozent aus Übersee importieren und diese Zahl stiege unaufhaltsam. Energieminister Frank Zarb wurde eingeblendet und sagte, 175 CBS, EN – Friday, Aug. 22, 1975 – Special Report (City In Crisis). 176 Ebd.
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man sei abhängig von dem Ölkartell. Dies werde gnadenlos ausgenutzt und habe den amerikanischen Konsumenten bereits haarsträubende Preise abverlangt. Der Minister sagte weiter, diese Leute würden den USA drohen, sie von der Energiezufuhr abzuschneiden. Er warnte vor dem nächsten Embargo: „… the next embargo – as compared to the last – the last one would look like a picnic.“ Es gebe im anbrechenden Winter eine Knappheit an Gas, die es in dieser Form noch nie gegeben habe, berichtete ein Experte. Und es seien auch keine Importmöglichkeiten in Aussicht, so die bittere Nachricht, es werde so viel Energie fehlen wie 1973 durch das Ölembargo. Während wieder Bilder aus der Luft gezeigt wurden, erklärte Reporter Lewis, dies bedeute, Fabriken müssten schließen und ihre Angestellten entlassen. Wenn der Winter kalt werde, könnten die Entlassungen weite Kreise ziehen. Das Ministerium und die Energieproduzenten müssten alle Ressourcen so schnell es ginge anzapfen, damit man nicht mehr von der Gnade der Araber und den Naturgewalten abhängig sei – im Wortlaut: „on the mercy of the Arabs and the elements“. Es müsse die Pipeline aus Alaska fertig gestellt und endlich an Offshore-Anlagen gearbeitet werden. Dagegen seien wiederum Umweltschützer und die Debatte zeige, so Lewis‘ Interpretation der eklatanten Lage, wie tief gespalten die Nation in der Frage der Energiepolitik sei. Ein Politiker durfte im Bericht warnen, es sei keineswegs einfach, das Öl im Atlantik vor der Ostküste zu finden, man brauche eine erhebliche Infrastruktur, um es zu raffinieren und im Land zu verteilen. Anschließend mahnte der Gouverneur von Louisiana: „It’s no longer a question if it’s good or desirable. It‘s just essential. This whole country is going down economically, and really the safety of the country is wound up with the question of whether or not we solve our energy crisis, and we can only do that on a long range basis by full development of our resources.“ Entgegen der Beschwörung arabischer Bedrohungen oder der Aussage des Gouverneurs, der in seinem Plädoyer eher eine Rückkehr zu den Potentialen der US-Nation einforderte, als etwa Mäßigung im Verbrauch, subsumierte der NBCJournalist seinen Bericht überraschender Weise in anderer Richtung. Er stellte nämlich fest, es gebe einige wenige Hinweise, dass das Land die Energiekrise ernst nehme. So sei, dank der Geschwindigkeitsbegrenzung auf 55 Meilen pro Stunde, der Verbrauch durch Autoverkehr leicht rückläufig, auch dank der Rezession und weil man in Detroit begonnen habe, kleinere sparsamere Autos zu bauen. Wissenschaftler glaubten, verkündete Lewis vor einem der Bohrtürme in Texas, deren Silhouetten den Beitrag einleitend bebildert hatten, dass die USA in 25 Jahren ihre Ölund Gasreserven komplett leer gepumpt hätten.177 In dem Bericht waren anhand der Energieverknappung beide Verhandlungsmomente der Männlichkeitskrise angelegt. Die eine Möglichkeit bestand nun im Drosseln der Geschwindigkeit, in Beschei177 NBC, EN – Monday, Oct. 13, 1975 – Special Report (Energy Crisis).
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denheit und Mäßigung im Innern der US-Gesellschaft, die andere im heilsgewissen Kampf gegen irgendein Außen, in dem Fall gegen angebliche Erpresser aus Arabien. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird gezeigt, auf welchen Wegen eine der beiden Richtungen die Oberhand gewann. * Im Jahr 1976 präparierten die Fernsehnachrichten verschiedene Körper aus der Krise heraus. Die Vertiefung des Krisenszenarios in den Fernsehnachrichten soll nun abschließend an drei Beispielen betrachtet werden. Erstens wurde Abtreibung plötzlich auf eine Krise der Normalität in den Vereinigten Staaten bezogen. Politiker, die für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen eingetreten waren, wurden von Abtreibungsgegnern attackiert, andere öffentliche Figuren wetteiferten im Wahlkampfjahr um Vorherrschaft auf dem religiös-politischen Markt der Schutzengel ungeborener Babys. Zweitens rückte afroamerikanische Männlichkeit für einen Moment in den Fokus der Berichte über grassierende Arbeitslosigkeit. Schwarze Männer beklagten darin den Verlust ihrer Männlichkeit. Allerdings zeigt hier der Blick in den Verlauf der Nachrichtensequenzen durch die zweite Hälfte der 1970er Jahre, dass gerade die Gruppe der Afroamerikaner/innen nicht zum politischen Subjekt der Krise wurde, da ihrer Lage nicht weitergehend als Teil der Gesellschaftskrise präsentiert wurde. Die Äußerungen afroamerikanischer Männer bestätigten letztlich lediglich das hegemoniale Zentrum der Männlichkeit als krisenhaft, ohne selbst nachhaltig in die Aufmerksamkeitsökonomie einzurücken. Drittens wird die Ambivalenz der Selbststilisierung zum Opfer an einem weißen Mörder gezeigt, der um seine Erschießung kämpft. Gary Gilmore wollte die eigene Hinrichtung durch Erschießen erreichen, um mit sich und seiner Geschlechtsidentität als Mann eins zu werden. Mit dem Fall wurde ein weißer Männerkörper Gegenstand der gesellschaftlichen Verhandlungen um Schuld und Sühne, Opfer und Buße, Ordnung und Recht. Die unterschiedlichen Geschichten um Frauenkörper, die vor sich selbst geschützt werden mussten, machtlose schwarze Männlichkeit und weiße Sühne-Phantasie erwuchsen 1976 aus der Krise der hegemonialen Männlichkeit und begannen sich in einem medialen Eigenleben gleichzeitig vom Krisenszenario in Richtung 1980er Jahre zu bewegen. Dabei waren die Nachrichten Teil der Produktion einer Geschlechterordnung, die über sie performiert wurde. Neben Homosexualität, die etwas später noch ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte, bildeten die nun in der Folge an den Nachrichten skizzierten Subjektpositionen den Rahmen der intersektionalen Körperpolitik in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre. Anfang 1976 berichtete CBS darüber, wie sich die Abtreibungsfrage in die Rede beinahe jeder männlichen Führungsfigur zwängte. CBS-Anchorman Walter Cronkite stellte fest, dass Abtreibung plötzlich in den Vorwahlen zu einem entscheidenden politischen Thema geworden sei. Birch Evans Bayh, Gegenkandidat in den demo-
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kratischen Vorwahlen, zeigte sich im Interview verärgert über Jimmy Carters ambivalente Haltung zum Thema. Bayh war Vorsitzender des Subkomitees gewesen, das jenes Amendment der Verfassung „gekillt“ hatte, das Schwangerschaftsabbrüche in den allermeisten Fällen zum Gesetzesverstoß deklarierte, so die Hintergrundinformation in der Nachrichtensendung. Auf den Senator, der sich für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen stark machte, konzentrierten sich nun die „Right to Life“Aktivisten. Wie der Fernsehbericht zeigte, musste Senator Bayh in jeder seiner Wahlkampf-Veranstaltungen die Frage beantworten, ob er einem Gesetzesentwurf zustimmen könne, der Abtreibungen verhindere. Sein Gegenspieler Carter sagte wiederum im Interview mit Ed Rabel, er denke Abtreibung sei falsch. Allerdings habe es der Supreme Court ja in die Entscheidungsgewalt der Frauen selbst gelegt, der Staat müsse nun aber alles tun, um die Eingriffe zu minimieren. Carter wurde der Doppelzüngigkeit bezichtigt, der Zulauf in „Right to Life“-Gruppen wäre angestiegen, so der Bericht. Reporter Ed Bradley erklärte, die Abtreibungsfrage wüchse sich gerade zu einem gewaltigen Thema aus, das überzukochen drohe. Die Vorsitzende einer „Right to Life“-Organisation aus New Hampshire, wo die Grassroots-Gruppen nun die Vorwahlen mit dem Thema bestimmen wollten, sagte im Interview, sie hätten zwar kein Geld, um Sendezeit zu erwerben, mit Senatorin McCormack nun aber einen Kandidaten für ihre Sache. Ihr Hauptziel sei, Radiound Fernsehzeit zu bekommen. Über Ellen McCormack bekämen sie nun eben diesen Zugriff auf Sendezeit. So konnten sie zur Prime-Time ihre Pro-Life-Botschaft über die Bildschirme bis in alle Winkel der Vereinigten Staaten tragen. Dann wurde ein Embryo-Spot gezeigt, in dem das Publikum gefragt wurde, ob es wisse, dass das Herz eines Babys nach drei Wochen zu schlagen beginne und die Herzen von Millionen von Babys jedes Jahr auf sehr schmerzhaftem Wege zum Stillstand gebracht würden. Daraufhin warb die demokratische Politikerin McCormack für sich und ihre Anti-Abtreibungs-Kandidatur. Neben anderen Befürwortern und Gegnern der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes wurde auch Ronald Reagan als klarer Abtreibungsgegner angeführt, der überdies für ein Gesetz gegen die Supreme Court Entscheidung war, wie Ed Bradley für CBS berichtete. Präsident Ford hingegen ließ über die Fernsehnachrichten ausrichten: „It’s a tough issue and deserves a lot of thought.“178 Ein anderes Thema der Problemdiagnose war die hohe Arbeitslosigkeit unter schwarzen Männern. In einem CBS-Bericht, der sich mit den dramatischen neuen Arbeitslosenzahlen von 7,9 Prozent in der gesamten US-Bevölkerung befasste, wurde ein Szenario entworfen, in dem Afroamerikaner ihre persönliche Krise mit ihrer Männlichkeit verknüpften und so die Problematisierung des hegemonialen Ideals bestätigten. Neben der überraschenden Information, Carter habe angekündigt, er wolle im kommenden Jahr, falls sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt 178 CBS, EN – Wednesday, Jan. 28, 1976 – Abortion / Issue.
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nicht bessere, die Steuern senken, wurde die Situation unter jungen afroamerikanischen Männern als Teil der nationalen Malaise gezeichnet. Interessanter Weise wurde seitens der Nachrichtenmacher für schwarze Männer und ihre Lage nicht der Begriff der Krise verwendet. Ein Vertreter der Chicago Urban League sagte im Bericht, die erschreckende Zahl von 40 Prozent an Arbeitslosen unter Chicagos schwarzen Männern zwischen 20 und 25 werde auf 50 Prozent steigen, wenn man die 16 bis 20-jährigen Teenager hinzurechne. Er warnte überdies, dass es für die Gesellschaft gefährlich sei, diese jungen Männer nicht in der Schule oder in Arbeitsverhältnissen „untergebracht“ zu haben. Ein arbeitsloser Mann, der in der Hoffnung zur Urban League gekommen war von der Organisation trotz seiner geringen Bildung und „unterentwickelten“ Fähigkeiten, wie die Voice-over ihn und seine Problem-Gruppe klassifizierte, einen Job zu bekommen, sagte: „I have two sons and they can’t – not one of them can look up to me and look at me as a provider and … I’m at home most of the time.“ Ein weiterer Betroffener bezog die Malaise noch deutlicher auf seine prekäre Männlichkeit und die eigene Ernährer-Rolle: „It takes your manhood away – you know – you know you are a grown man – you’re not even able to provide for your wife and your family that belittles you – you know – when you go out and try to get a job and you’re trying to put your best foot forward and really impress upon the people that were really out to get a job an’ when there’s nothing there? That takes everything away from you that makes you feel like you’re not even here.“179
Diese Stimmen afroamerikanischer Männer waren Teil einer Problematisierung der Männlichkeitskonzeption und bestätigten die hegemoniale Stellung des Männlichen in ihrer Misere und den erstrebenswerten Zustand des hegemonialen Ideals. In den Nachrichten zur Krise wurde 1976 zu einer Art Entscheidungsjahr wohin die mit Sorge behaftete Männlichkeit, wohin die Mittelschicht, wohin Familienführung und Führung der Gesellschaft in ihrer medialen Repräsentationen in den Jahren bis zum Dekadenwechsel steuern würden. In einem spektakulären Fall verdichtete sich diese Frage in einer Art Blaupause vor einem drohenden Abgrund im medialen Echo zum Mörder Gary Gilmore.180 Der Fall fand schließlich im Januar 1977 mit der Erschießung des Delinquenten zu einem ersten Ende.181 „The sooner, the
179 CBS, EN – Friday, Nov. 5, 1976 – Economy / Unemployment Up. 180 Vgl. Martschukat, Jürgen, „With Grace and Dignity“: Gary Gilmore, Todesstrafe und Männlichkeit in den USA der 1970er Jahre, Amerikastudien/American Studies 49, 3 (2004), S. 385-408. 181 Norman Mailers Buch „The Executioner’s Song“ über den den Fall Gilmore von 1977 ist ein weiterer Hinweis darauf, dass es sich um eine Verhandlung von transzendenter Männlichkeit handelte. Mailer war selbst mit etlichen Büchern und Texten berühmt, die
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better …“, sollte Gary Gilmore sterben, wenn es denn eine Exekution geben sollte, so jedenfalls das Credo etlicher wütender Bürger von Provo in Utah, erklärte Richard Threlkeld im Abspann eines CBS-Berichts zu einem Selbstmordversuch des zum Tode verurteilten Mörders. Ein Kirchenmann des Ortes, in dem Gilmore in einem Motel einen Familienvater umgebracht hatte, war im Interview zu Wort gekommen. Dieser sagte mit ernster Miene, er müsse qua Profession eigentlich der erste sein, der vergebe. Allein dazu sei er bisher nicht in der Lage gewesen, fuhr der Pastor fort. Die Tat Gary Gilmores sei ein gottloser Akt gewesen, da seien sich die erschütterten und höchst gottesgläubigen Bewohner von Provo einig. Und die Bewohner des Ortes wären ausgesprochen gottesfürchtige Menschen, so die Sprecherstimme des Berichtes. Sie seien verbittert, dass Gilmore zu einer Medienfigur geworden war. Es sei belämmernd, dass der kaltblütige Mörder prominente Berühmtheit erlangt habe. Gilmore selbst hatte dieser Tage von sich reden gemacht, indem er in der Todeszelle eine Überdosis Schlaftabletten genommen hatte und nun die medizinische Hilfe verweigerte. Er habe immer wieder die intravenöse Behandlung mit Antibiotika durch das Herausreißen der Kanülen unterbrochen, erklärte der behandelnde Arzt auf einer Pressekonferenz. Man werde ihm nun intramuskuläre Injektionen von Antibiotika verpassen. Nach seiner Freundin habe er sich auch erkundigt, erfuhr das Fernsehpublikum. Und Gilmore werde nicht hingerichtet, bis er nicht wieder bei guter Gesundheit sei, so die weitere Information seitens der CBS.182 Der Bericht um Gary Gilmore stellte in doppelter Hinsicht einen Marker für das Krisennarrativ zu Beginn der zweiten Hälfte der 1970er Jahre dar. Zum einen wurde die Frage nach Sünde, Gottlosigkeit und Vergeltung von Seiten der Einwohner des kleinen Ortes in Utah aufs Tableau gehoben. Dabei konnte Gottgefälligkeit zentriert und an diesem extremen Fall mit einer abgründigen mordlüsternen Realität kontrastiert werden. Diese verlangte nach unbedingtem Ausgleich in der Vollstreckung der Todesstrafe am Corpus Delicti. Zum anderen konnte am medialen Narrativ des Gilmore-Falls durchexerziert werden, was die Renaissance der TodesstrafeVollstreckungen tragen sollte. Der Delinquent selbst verlangte nach Sühne – mannhaft, authentisch, essenziell. In der klinischen Atmosphäre des Krankenzimmers hatte sich Gilmore mit Schlaftabletten vergiftet, um sich des medikamentösen Zugriffs von außen zu erwehren. Der Körper des Mehrfachmörders bereitete sich also keineswegs bruchlos auf den Akt der Sühne vor, wie in vielen Darstellungen beschrieben. Er war vielmehr ein komplizierter Teil der Verhandlung um Männlichkeit, Gewalt, Sühne, Glaube, Ordnung und Männerkörper, der in den Fernsehbe-
in der Sorge um (weiße) Männlichkeit rotieren (z.B. „The White Negro“, San Francisco 1957; „The Prisoner of Sex“, Boston 1971). 182 CBS, EN – Wednesday, Nov. 17, 1976 – Gilmore / Suicide Attempt.
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richten anhand solcher Beschreibungen zur Schau gestellt wurde und eine Art Wiedergeburt des Bösen im Todeskampf feierte.
Z USAMMENFASSUNG Das Kapitel nahm seinen Ausgangspunkt bei den Emanzipationsbewegungen, insbesondere am Zeitpunkt ihres verstärkten Auftauchens im Massenmedium Fernsehen. Bisherige Betrachtungen zu Emanzipation in den 1960er und 1970er Jahren haben in Bezug auf das Eindringen der Themen von identitätspolitischen Bewegungen in die TV-Kultur bislang vor allem betont, dass sie als neue Gruppen von Konsument/inn/en aufgenommen wurden.183 Zum Teil wurde der Fokus auch darauf gelegt, wie die Performanz von Bürgerrechts-, Frauen-, Lesben-, und Schwulenbewegung Inhalte in Film- und Fernsehen generierte und das Spektrum veränderte. So macht etwa Elana Levine in ihrer medienwissenschaftlichen Studie „Wallowing in Sex“ überzeugend die Idee stark, dass in der Fernsehkultur der 1970er Jahre die radikalen Forderungen aus den Emanzipationsbewegungen zugunsten von weniger polarisierenden Formen gekappt und so abgefederte Versionen in die Bewegtbildkultur in den Vereinigten Staaten übersetzt wurden.184 Ziel war es in diesem Kapitel, die Zuschreibungsmacht herauszuarbeiten, die im Sprechen über Emanzipation im Mainstream-Fernsehen, im Zeigen von Bildern, von bestimmten Ausschnitten und im Kontextualisieren politischer Zusammenhänge steckt.185 Beginnend 1969 wurden zunächst die Performanz des Feminismus und die Darstellung von Frauen in den TV-Nachrichten betrachtet. Dabei kam das Thema Abtreibung in den Fokus der Nachrichtenlandschaft. Es wurde beschrieben, wie das Thema Schwangerschaftsabbruch spätestens im Fall „Roe vs. Wade“ die ungeteilte Aufmerksamkeit einer nationalen Öffentlichkeit erlangte. Gezeigt wurde, wie Abtreibung zunächst in Äußerungen von Kirchenvertretern der katholischen Kirche auftauchte, dann zunehmend durch den Aktivismus evangelikaler Kreise als moralische Frage in die soziokulturelle Verhandlung einzog. Das Thema war Gegenstand einer ersten Rückbindung der körpergeschichtlichen Dimension an ein in wachsendem Maße politisiertes Feld der Religion. Ausgehend von der Geschlechterachse wurden im weiteren Verlauf des Kapitels schwule und schwarze Identitäten und deren diskur183 Lentz, Kirsten Marthe, Quality versus Relevance: Feminism, Race, and the Politics of the Sign in 1970s Television, Camera Obscura, 43 (2000) 15, 1, S. 44-93. 184 Levine, Elana: Wallowing in Sex. The New Sexual Culture of 1970s American Television. Durham, 2007, S. 253. 185 Zum theoretisch-historiografischen Ansatz beim Schreiben einer kritischen Geschichte der Hegemonie über das Fernsehen der 1970er Jahre: Spigel, Lynn / Olsson, Jan (Hg.), Television after TV: Essays on a Medium in Transition. Durham / London 2004, S. 9f.
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sive Einschreibungen in die Rationalität der TV-Nachrichten betrachtet. Durch die angestrebte Fokussierung eines intersektionalen Ineinandergreifens verschiedener Identitätsachsen, konnten auch die hegemonialen Mechanismen herausgearbeitet werden, von denen die Berichterstattung seitens des Mainstream-Journalismus geprägt war. Es konnte gezeigt werden, wie vor allem männliche Homosexualität in die Nähe von Kriminalität gerückt wurde. Ausgehend von Berichten zu kriminellen afroamerikanischen Männern vor dem Hintergrund einer Problematisierung des Gefängniswesens wurde im Anschluss die Darstellung von schwarzer Identität fokussiert. Es wurden die Auftritte und Zuschreibungen von Black Power-Aktivisten beschrieben. Dann rückte muslimische Identität in den Mittelpunkt der Analyse der Fernsehnachrichten. Dabei wurde gezeigt, wie von ersten Schilderungen zur „Nation of Islam“, als einer autoritären Sekte Mitte der 1970er Jahre bis hin zur LiveBerichterstattung von dem Geiseldrama 1977 die Darstellung muslimischer Männlichkeit in der Nachrichtenwelt jener Zeit immer drastischer wurde. Schließlich führte die Untersuchung in die Krisenbeschreibungen, die von weißen Männern, Familien, Städten und den daraus erwachsenden Problemen für die Nation handelten. Wie Sally Robinson in ihrem Buch „Marked Men“ für die literarischen Landschaften in den USA der 1970er Jahre gezeigt hat, wurde auch in den Fernsehnachrichten eine bestimmte Männlichkeit zum Subjekt der angeblichen Krise.186 Die machtvolle Zentrierung eines weißen Männlichkeitsideals wurde über das Krisenszenario um die hegemoniale Mitte der 1970er Jahre beschrieben. In den Fernsehnachrichten wurde die Krise für den weiteren Kreis des „nationalen Schicksals“ rationalisiert und war, wie an verschiedenen Beispielen gezeigt wurde, manchmal implizit, meist aber auch explizit auf die dominante Norm bezogen. Dabei wurden in vielen Fällen die anderen Achsen – Feminismus, Homosexualität oder schwarze Männlichkeit – mal zum Teil, mal zu Provokateuren der Krisensituation deklariert. Im Zusammenhang mit der Krisenproklamation ist es wichtig hervorzuheben, dass marginalisierte Identitäten in der Hegemonie-Produktion nicht nur als Unruheherde in Haft genommen wurden, sondern Stimmen aus jenen Gruppen die Krisendiagnose selbst durch das Beklagen von gesellschaftlichen Defiziten bestätigen mussten, was die Problematisierung in den Nachrichten wiederum verdichtete und authentifizierte. Gleichzeitig wurden sie selbst aber von der exklusiv hilfsbedürftigen Gruppe ausgeschlossen. Das ist der diskursive Effekt, den Ernesto Laclau als konstitutiv für die Wirkungsweise von Hegemonie beschreibt, und der bereits in Antonio Gramscis Hegemoniekonzept angelegt ist.187 Marginalisierte tragen zur Zentrierung von dominanten Machtverhältnissen bei, deren Teil sie schließ186 Robinson, Sally, Marked Men. White Masculinity in Crisis, New York 2000. 187 Krämer, Felix / Mackert, Nina, Wenn Subjekte die Krise bekommen. Hegemonie, Performanz und Wandel am Beispiel einer Geschichte moderner Männlichkeit, in: Landwehr, Achim (Hg.), Diskursiver Wandel. Wiesbaden 2010, S. 268ff.
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lich nicht sind. Eine solche Hegemonie-Produktion zeigt sich am historischen Beispiel im Krisenszenario deutlich, wenn afroamerikanische Männer ihre Männlichkeit als durch Arbeitslosigkeit und mangelndes Ernährertum bedroht beschreiben und dabei das dominante Ideal in seiner Zentralität und Krisenhaftigkeit bestätigen, ohne dabei selbst den erstrebenswerten Status einer beachteten Gruppe zu erlangen. Die Krisenmechanismen wurden in diesem Kapitel auf unterschiedlichen Pfaden verfolgt, über die sich eine bestimmte soziokulturelle Ordnung mit weißer heterosexueller Männlichkeit als unabdingbar in ihrer Mitte installierte. Die intersektionale Vielschichtigkeit der Geschlechterverhandlung stellte eine Verdichtung um normative Männlichkeit dar, die so zum Dispositiv aller künftigen Verhandlungen der soziokulturellen Ordnung werden konnte. Gleichzeitig herrschte eine Diffusion der Krisendiskurse, in die alle möglichen Themen integriert werden konnten. Dies begann 1974, vertiefte sich 1975, und lässt sich an den Themen zeigen, die in der Analyse anhand der Fernsehnachrichten genauer betrachtet wurden: Abtreibung und Männlichkeit in der Arbeitslosigkeit, sowie die Schuld des weißen Männerkörpers. In einem Fall – wie dem Gary Gilmores – hatte sich die Krise sogar in eine Herrschaftspraxis eingegraben, die mit der Todesstrafe Teil der Geschichte des Rassismus in den USA ist. Und an deren jüngstem Anfang stand ein weißer Mörder und forderte den eigenen „mannhaften“ Tod. All dies spielte sich vor dem Hintergrund eines Krisenszenarios ab, das auch über die Fernsehnachrichten bis in den letzten Winkel der US-Gesellschaft vorgedrungen war. Innerhalb einiger Jahre war Mitte der 1970er Jahre ein diskursives Feld entstanden, das verschiedene marginalisierte Körper in den Problemaufriss integrierte und sich dann sprunghaft in eine andere Sphäre übersetzen ließ. Führung und Schuld abstrahierten sich in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre und verbanden sich neu in der aufkeimenden Forderung nach moralischer Führung. Diese Figur schallte nun aus jedem Winkel medialer Beschäftigung ins politische Feld zurück, was schließlich auch innerhalb jener Diskurse Widerhall fand, die ein Revival der Religion proklamierten. In den Fernsehnachrichten wurden Räume erweckt, tauchten Räume der Erweckung auf, sowie Prediger und neue Politiker, die im letzten Drittel der 1970er Jahre Rahmen und Teil der Figur der moral leadership werden sollten. Darin räsonierten jene Themen, die von den Emanzipationsbewegungen über die Mainstream-Nachrichten in die soziokulturelle Ordnung diffundiert waren. Die Problematisierungen in den Nachrichten hatten offene Enden gelassen, die von Evangelikalen aufgegriffen wurden. Diese Akteure wollten die körperpolitischen Themen in einen moralischen Sturm verwandeln. Bevor im folgenden Kapitel die Präsidenten, die Darstellung ihrer Männlichkeit und ihrer Glaubensfestigkeit auf der repräsentativsten Riege des Politischen ins Betrachtungsfeld rücken werden, handelt das Kapitel von der medialen Performanz der evangelikalen Bewegung.
2. Wie Phönix aus der Asche
N ACHRICHTEN VON DER W IEDERGEBURT DER E VANGELIKALEN „The church, it turns out, is America’s most trusted institution, more trusted than the congress, or the supreme court, or the presidency“, erklärte Gary Shepard dem CBS-Publikum am Ende einer Reportage, im Zuge derer er im Sommer 1976 die Rückkehr der Religion in den Vereinigten Staaten verkündetet hatte. Die am rasantesten wachsende Glaubensrichtung in den Vereinigten Staaten seien Evangelikale, so die Botschaft. Scharen an Gläubigen hätten sich aufgemacht, um in der Geschichte ihres Glaubens nach Gegenwart und Zukunft zu suchen.188 Neben Berichten von traditionell ausgerichteten religiösen Gemeinschaften, in denen Menschen ihren Gott und Vorstellungen vom Jenseits fanden, kamen auch liberale Stimmen zu Wort, vor allem aus protestantischen Gefilden der Religionslandschaft in den USA. Auch Befürworter/innen von Schwangerschaftsabbrüchen durften sich in den Fernsehsendungen als aktive Revivalisten äußern. Die ambivalente Vielfalt in den Nachrichten von der Rückkehr der Religion in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre ließ die Bewegungen als ein soziokulturell äußerst breites und gesellschaftspolitisch tiefgründiges Phänomen erscheinen. Im September des Wahlkampfjahres 1976 hatte CBS zu vermelden, eine Kongregation aus jüdischen und protestantischen Vertreter/inne/n hielte den rigorosen Interventionismus der katholischen Kirche in der Abtreibungsfrage für übertrieben. Betty Miller, Vertreterin einer amerikanischen Baptistenvereinigung, erschien im Bild und kritisierte die Haltung der katholischen Führung diesbezüglich. Der Unitarier Robert West sagte in die Kamera, Abtreibung müsse eine individuelle Entscheidung sein, der Staat solle lediglich die Gesundheitsstandards bei der Durchfüh-
188 CBS, EN – Sunday, Aug. 1, 1976 – Organized Religion / Campaign 1976 / Bicentennial.
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rung garantieren. Letzten Endes sollte das Thema Abtreibung jedoch nicht zum Spielball im Wahlkampf werden, so der Tenor der Kritik. Eine jüdische Vertreterin sagte auf dem Konvent der Religionsvertreter/innen, der an diesem Nachrichtentag ins Bild gerückt worden war, das sei keine Angelegenheit, die über eine Verfassungsänderung geklärt werden könne. Vielmehr sei es eine Frage von „moral leadership“. Moralische Führung schien bereits an diesem Punkt eine der Exekutive wie Judikative überlegene Gestalt. Die Forderung nach moralischer Führung sollte in den folgenden Jahren immer wieder mit neuen politischen Bedeutungen aufgeladen werden, um sich schließlich um das Jahr 1980 zur politisch unumgänglichen Figur zu verdichten. An dieser Stelle zeigte sich der Signifikant in der medialen Berichterstattung in einer frühen Form – noch in ziemlich liberalem Gewand in Bezug auf Abtreibung. Die beschriebene Koalition aus religiös-liberalen Kräften, die sich 1973 als Reaktion auf den moralistisch motivierten Widerstand gegen die Entscheidung des Supreme Court in der Abtreibungsfrage gegründet hatte, kritisierte auch im Wahlkampfjahr 1976 ablehnende Haltungen, die beide Präsidentschaftskandidaten Ford und Carter in jener brisanten körperpolitischen Frage eingenommen hatten. Man habe die beiden von Seiten des Religionszirkels sogar zum Dialog gebeten, wie die CBS-Zuschauerschaft erfuhr. Erschienen sei lediglich ein Vertreter Jimmy Carters. Moralische Führung sah nach den Vorstellungen der Religionsvertreter/innen jedenfalls entschieden anders aus. Ein Sprecher Carters habe gesagt, er glaube nicht, dass durch Carters Aussagen zur Sexualmoral im Interview mit dem Playboy-Magazin Schaden entstanden sei, so CBS-Anchor Walter Cronkite in seiner Abmoderation.189 Man müsse sehen, welche Auswirkungen die Ausführungen des Kandidaten haben könnten, hatte der Sprecher Carters hinzugefügt.190 1976 war Bewegung in die Nachrichtenberichterstattung über Religion gekommen, die sich nicht auf die Bildschirme der Fernsehsender beschränkte. Zeitungen begleiteten die religiösen Schattierungen des Wahlkampfes und grundierten die öffentliche Szenerie mit religiösen Hintergründen aus allen möglichen gesellschaftlichen Ecken. Die überwiegende Mehrzahl dieser Nachrichten von der Wiederkehr der Religion beschäftigte sich mit evangelikalen Gruppen. Dabei lieferten die Fernsehstationen in ihren Bildern, in Ton und Kommentar eine Atmosphäre in die Wohnzimmer der US-Familien, in der Gottesdienste im politischen Feld plastisch 189 Neben seinen persönlichen Ausführungen zu Ehebruch im Geiste, hatte Carter in dem angesprochenen Playboy-Interview, das im November 1976 im Magazin abgedruckt worden war, gesagt, dass er persönlich gegen Abtreibung sei, sich aber nicht gegen die Entscheidungen der Gerichte einsetzen wolle. The Playboy Interview: Jimmy Carter. Robert Scheer. Playboy, November 1976, Vol. 23, Iss. 11, S. 63-86. 190 CBS, EN – Tuesday, Sept. 21, 1976 – Campaign 1976 / Abortion / Religious Coalition Group.
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wurden und erfahrbar schienen. Was zunächst als eine zweite Beobachtungsebene konzipiert war – der Blick in die Kirchenräume, durch Kirchenschiffe, auf singende Gemeinden, die Ausschnitte von Predigerfiguren – rückte in die Sphäre vertrauter Sicht- und Sehgewohnheiten ein. Die gesellschaftspolitischen Themen, die in diesen Berichten mit Religiosität verbunden wurden, waren breit gestreut. Sie reichten bis zur Kunde von der Existenz von „Christian Yellow Pages“, innerhalb derer evangelikale Konsumenten sicher gehen konnten, ihre Produkte und Leistungen von Unternehmern zu beziehen, die von wiedergeborenen Christen betrieben wurden. Das exklusive Suchregister nach den handelswilligen Glaubensgenossen wurde im Bericht vom CBS-Journalisten allerdings mit dem Rassismus in Nazi-Deutschland verglichen.191 Doch weit über solche Nachrichten von alltäglichen Praktiken, erstreckte sich das Feld der Religion bis tief hinein in den Wahlkampf 1980, in dem Fragen nach moralischer Qualität und maskuliner Kapazität zu den Ordnungskriterien im Zuschnitt der verschiedenen Kandidatenfiguren wurden. In ihrem Drang, das Publikum über die immense Zugkraft aufzuklären, die Religion in den USA wieder erreicht zu haben schien, hatten die Fernsehjournalisten den Dampfer, auf dem sich evangelikale Kräfte ins Zentrum der Öffentlichkeit schoben, in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre immer wieder in die Stromlinie bugsiert.192 Trotz der wiederkehrenden journalistischen Distanzierung bezüglich der körperpolitischen Agenda, war die performative Ebene des Religiösen in den Nachrichten in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre in hohem Maße anschlussfähig an gesellschaftliche Verhandlungen, die über das gesamte Jahrzehnt in den drei wichtigsten Sendern beackert wurden. Das religiöse Revival gestaltete die gesellschaftspolitischen Themen gleichsam selbst mit und schob die Erscheinung des Sozialen in ein anderes Licht. Die Berichtslinie, die im oben beschriebenen CBS-Beitrag über das Revival der Religion aus dem Jahr 1976 bereits angelegt ist, soll nun, entlang dreier Berichte, die NBC im Jahr 1977 ausstrahlte, weiter verfolgt werden. Darauf aufbauend wird schließlich der Fluchtpunkt der medialen Deklarationen anhand der dritten Folge eines „Special Assignment“ zu Religion und Politik, das die ABC 1980 mitten in der heißen Wahlkampfphase zwischen Carter und Reagan sendete, genauer beschrieben. 191 CBS, EN – Tuesday, Jun. 14, 1977 – Christian Yellow Pages. 192 So zum Beispiel in der Berichterstattung über Jerry Falwell und die Moral Majority in der NBC – vgl.: NBC, EN – Thuesday, Aug. 19, 1980 – Special Segment (Born Again Politics) oder das dreiteilige Special Assignment der ABC kurz vor der Wahl – vgl.: ABC, EN – Thursday, Sept. 23, 1980 – Special Assignment (Politics and Religion); ABC, EN – Thursday, Sept. 24, 1980 – Special Assignment (Politics and Religion); ABC, EN – Thursday, Sept. 25, 1980 – Special Assignment (Politics and Religion). Diese Berichte werden im fünften Kapitel im Unterpunkt „Fighting God’s Men for the Hour“ noch eingehender analysiert.
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David Binkley eröffnete in aufklärerischer Geste den ersten von drei „Segment 3“-Berichten mit dem Titel „The Evangelicals“. Für NBC erzählte der Journalist von der Wiederkehr des Religiösen, die sich im Lande vollzogen habe – allem Anschein nach paradoxerweise und ohne dass es die meisten Leute mitbekommen hatten: „There is a tremendous religious development in this country, and it is doubtful that most people even know about it or if they do realize the enormous scope of it. The Movement is that of born again Christians, or Evangelicals, and it is not just protestant, not just southern, and not just rural. Our figures show, it is more than a third of all the adult Christians in America and growing.“193
Nach dieser nachdrücklich vorgebrachten Neuigkeit begann der Bericht über das „rather startling development“, wie Reporter John Hart die religiöse Erneuerung in Gesellschaft und Medien nannte, mit Lobgesängen auf Jesus. Zunächst war nur eine Hand auf dem Bildschirm zu sehen, dann fuhr die Kamera den zugehörigen Arm hinab bis das Gesicht einer singenden Christin ins Bild kam. Wie die anderen Gläubigen stand sie mit erhobenen Armen und geschlossenen Augen in einem Kirchenraum. Alle huldigten singend dem Herrn. Die Kamera fuhr weiter durch die Reihen vom Glück erfüllt dreinblickender weißer Frauen und Männer, während Hart kommentierte: „This ecstasy comes from knowing you are possessed – by God.“ Es wurde eine weitere junge Frau eingeblendet, die mit hoher Stimme „Halleluja“ sang, während die Berichtsstimme aufklärte, dies sei charismatisch, ein Wort das aus dem Griechischen komme und „fromme Gabe“ bedeute. Man befinde sich also in einer Kirche der Charismatiker in Washington, D.C. Es handle sich in dieser Gemeinschaft um Leute aus der oberen Mittelklasse, ordnete NBC seine Bilder in die gesellschaftliche Struktur ein, während ein bärtiger junger Mann eingeblendet wurde, der in einer Gruppe mit geschlossenen Augen in einer Runde sitzender Menschen stand, die Arme weit ausgebreitet in die Luft gereckt. Unter den frommen Gaben, die in dieser Kirche verbreitet wurden, gab es jene des Zungensprechens, erfuhr das TV-Publikum zu den Bildern. Es wurde ein grauhaariger Mann eingeblendet, der das vom Heiligen Geist erfüllte Gemurmel über ein Mikrofon mit anderen Gläubigen teilte. Einst seien die Charismatiker Außenseiter gewesen, erklärte Reporter Hart, nun seien sie die kraftvollste Richtung der religiösen Bewegung. Im Potpourri des Fernsehberichtes von der Erweckung des Glaubens wurde als nächstes der Papst eingeblendet, der irgendwo auf seinem Tragestuhl durch eine Masse Gläubiger getragen wurde. Sogar einen Kardinal habe der Papst für die Vertreter aus dem katholischen Spektrum der Glaubensrichtung jener Pfingstler als Hirte bestimmt, lautete die Information zu den Bildern. Die bei193 NBC, EN – Friday, Oct. 19, 1977 – Segment 3 (The Evangelicals).
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den genannten Geistlichen wurden einträchtig beim Segnen von Pfingstlern gezeigt und das US-Nachrichtenpublikum konnte sich fragen, wer hier nun wen reformiert hatte. Die journalistische Aufklärung reichte allerdings nicht hinein bis in solche Details. Mit einem Schwenk geriet stattdessen eine riesige Arena ins Bild. Ein BaseballStadion in Kansas City beherbergte zehntausende Christen bei ihrer ersten nationalen Zusammenkunft. Die Bilder veranschaulichten die immense Dimension der Pentecostal-Bewegung, während NBC-Mann Hart erklärte, die gemeinsam feiernde Masse aus Katholiken und Protestanten sei möglicherweise die am schnellsten wachsende Glaubensrichtung innerhalb der Evangelikalen in den Vereinigten Staaten. Und selbst sie seien immer noch eine kleine Minderheit in der großen Zahl der Amerikaner/innen, die mittlerweile von sich sagten, sie wären „wiedergeborene Christen“. Die meisten gehörten traditionellen Gemeinden an. Doch nach und nach seien sie von Evangelisten, wie zum Beispiel Billy Graham, der in eben solchen Stadien predigte, zu ihrer Erweckung gebracht worden, so die Erklärung weiter. Wie zum Beweis wurde ein Gebetsraum einer Ostküsten-Gemeinde gezeigt, in dem Menschen in Kirchenbänken saßen. Dazu wurde erklärt, im Bild sei bereits der zweite stark besuchte Morgengottesdienst an diesem Tag zu sehen. Es wurde eine Statistik eingeblendet, wonach 35 Prozent der US-Amerikaner angaben, ein Wiedergeburtserlebnis gehabt zu haben. Zehn Millionen waren allein in den letzten Jahren konvertiert. Diese beeindruckenden Zahlen beinhalteten noch nicht einmal die wiedergeborenen Teenager, wie in der Nachrichtensendung betont wurde. Es wurde ein junger bärtiger Sänger am Mikrofon eingeblendet, der im „Joyful Noise“, einem Nachtclub für junge Christen „Lord I’m getting stronger“ sang. Hart erklärte, der Name des evangelikalen Chicagoer Nachtclubs stamme aus einem Bibelvers, in dem es hieße „make a joyful noise under the Lord.“ Es gebe dort keinen Alkohol, kein Koks und vom Rauchen werde abgeraten, so das cleane Image des Jugendraumes. Nichts desto weniger sei der Ort an Freitagabenden „gerammelt voll“, so die Botschaft der NBC. Während die Band wieder im Bild erschien, erklärte Hart, die Musik sei „Hard Rock“ und die Texte seien christlich. Es wurde ein junger Typ eingeblendet, der sagte, sie hätten eine Kirche im neutestamentarischen Sinne hier, in der sie zusammen beteten. Diese jungen Leute würden in absehbarer Zeit eine gewaltige soziale wie ökonomische Kraft im Lande darstellen, so die Abmoderation zu den sanften Klängen eines Hallelujas.194 Am nächsten Tag setzte Binkley im Zuge der Anmoderation der zweiten NBCSendung der „Evangelicals“-Serie noch einen drauf in der Beschreibung der Ausmaße der Bewegung. Der Journalist sagte, der Beitrag drehe sich um: „born-again Christians, Evangelicals, who are – believe it or not – one third of the adult Christians in America, a tremendous force, energetic, and growing rapidly not in any one 194 NBC, EN – Friday, Oct. 19, 1977 – Segment 3 (The Evangelicals).
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area of the country but in all of it, and in all the Christian’s faiths.“ Die erste Einstellung des Berichtes zeigte die Leuchtschrift eines Casinos. Ein Bläsersatz untermalte die erste Szene, in der die Kamera durch einen Spielraum fuhr, in dem Roulette-Tische zu sehen waren – eine Stimme kündigte an: „Ladies and Gentlemen: B. J. Thomas!“ Der Ort war die „Golden Nugget Lounge“ in Las Vegas und B. J. Thomas sang: „Raindrops are falling on the head ….“ Die Geschichte war die eines Comebacks, wie Reporter John Hart hervorhob. Bevor B. J. Thomas im vergangenen Jahr Pleite gegangen sei, beinahe seine Frau und sein Leben verloren hätte, habe er als Sänger viel Geld verdient – und viel für Drogen ausgegeben, fügte der Reporter die Hintergründe der wunderbaren Begebenheit um Thomas hinzu. Sein Publikum hätte nicht geahnt, dass seine Nerven von den Drogen so zerfressen gewesen seien, dass die Ärzte eine Hirnoperation empfohlen hätten, so der Bericht weiter. Der Sänger erschien zum Interview im Bild und bekannte, er habe hunderte von Pillen am Tag geschluckt. Die Sprecherstimme schilderte den weiteren Gang der Geschichte. Er sei ein hoffnungsloser Fall gewesen als seine verzweifelte Frau ihn einem Freund vorgestellt habe, der ihn zum Beten gebracht habe. Thomas berichtete: „Just by telling the Lord: Lord I can‘t quit the drugs, but you can. And I (- I) turned them over to him, and you know (- a lot of) I have to admit that I was just as surprised as anyone else when it happened. And when the Lord took the drug addiction from me I (- I) accepted the Lord, I accepted Jesus as my personal savior. And I mean I got up from this guy’s table, and I danced all over his house and he cried and it was such a feeling, I mean (- there was) had been so many years of just living on the bottom.“
Gospelmusik wurde eingespielt und Reporter John Hart erklärte, dies sei die essenzielle Erfahrung für Evangelikale, eine schicksalhafte Begegnung, die das Leben ändere. Im Bild erschien der geläuterte Sänger, der mit einem religiösen Album wieder die Hitparaden gestürmt hatte, wie er von der Bühne herabgebeugt an der erste Reihe entlangging, die Hände seiner Fans abklatschend. B. J. Thomas war mit seiner Wiedergeburt nicht nur spirituell ins Leben zurückgekehrt, sondern auch auf die Spur des Erfolges. Erweckung und Erfolg waren auch in vielen anderen Beispielen, von denen dem US-Fernsehpublikum in diesen Jahren berichtet wurde, zwei Seiten einer Medaille.195 Im NBC-Bericht 1977 wurde weiter aufgeklärt, der Begriff „evangel“ stamme aus dem Griechischen und bedeute „good news“. Es war eine regelrechte Übersetzungsleistung, welche die TV-Nachrichten erbrachten, um ihrer Zuschauerschaft das fremde Phänomen des Religiösen aus einer mit dem Altgriechischen ziemlich fremden Sprache nahe zu bringen. Der Reporter erklärte, just die unmittelbare Er195 Der Zusammenhang zwischen Evangelikalismus und Erfolg wird im fünften Kapitel noch genauer betrachtet.
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fahrung des „evangel“, der frohen Botschaft sei es, die man Wiedergeburt nenne, während Sänger Thomas im Hintergrund des Abspanns noch ein weiteres Loblied auf seinen Erretter sang. Thomas‘ Platte sei das bestverkaufte Gospel-Album auf einem großen Musikmarkt, auf dem christliche Sangesbotschaften zu einem riesigen Geschäft geworden waren. Wie zum Beweis erschien eine Bläsersektion aus Nashville im Bild und der Reporter erklärte, christlichen Labels machten 75 Millionen Umsatz, in ähnlicher Weise wüchse der religiöse Buchmarkt dreimal so schnell wie der säkulare. Es wurden Cover der Bestseller „Born Again“, „The Total Women“ und „The Late Great Planet Earth“ gezeigt und deren Verbreitung als immens beschrieben. Neben Untergangsszenarien der Zivilisation aus der Feder Francis A. Schaeffers erschienen christliche Comics auf der Bildfläche und auch die bereits erwähnten christlichen Gelben Seiten, ein Branchenbuch, in dem die Unternehmer der Betriebe garantierten, dass nur wiedergeborene Christen unter ihnen seien. Nun habe sogar der säkulare Markt begonnen, in den Trend zu investieren, berichtete die Sprecherstimme von der nächsten Stufe medial-kultureller Expansion des Religiösen. So plane das Frauen-Magazin Viva einen Artikel über Evangelikale, was die Herausgeberin Kathy Keeton in einem Fernsehinterview mit der Erläuterung versah: „Religion is business, and in America it is big business, very big business“, dabei lachte sie hintergründig. Christliche Sendungen seien ein riesiger Medienmarkt, auf welchem Sendezeiten für eine halbe Milliarde Dollar im Jahr erworben würden und das meiste davon für elektronische Gottesdienste, erklärte auch Reporter Hart, während Bilder aus einem Fernsehstudio eingeblendet wurden. Die „National Religious Broadcasters Association“ behauptete, die „elektronische Kirche“ habe die herkömmliche Kirche bezüglich der Besucherzahlen überflügelt. Pastoren erreichten über 100 Millionen Leute in der Woche über Rundfunkkanäle. Dann wurde eine Sendung des „The 700 Club“ eingeblendet. Pat Robertson, Pionier des evangelikalen Fernsehpredigertums, betrieb diese Interviewsendung mit religiöser Botschaft. Im Bericht wurde Robertson als christlicher Johnny Carson bezeichnet. Während im „Club der 700“ Prominente nach ihren Wiedergeburtserlebnissen befragt wurden, konnten die Zuschauer eine Hotline anrufen, um zu erfahren, welche Möglichkeiten ihnen selbst zur Wiedergeburt offen standen, erklärte Hart seinem Publikum, während eine engagiert telefonierende Frau im Bildausschnitt erschien. Die treibende evangelikale Vision sei es, Jesus nach Amerika zu bringen – und Amerika zu Jesus, erklärte der Journalist, bevor Pat Robertson im Interview mit der NBC festhalten durfte: „I feel that for the next five years we have an unprecedented opportunity for America to fulfill the dream of the early settlers that came right here to Virginia in 1607 – that this land would be used to glorify God.“196 Christen hätten vom Kolosseum im antiken Rom einen langen Weg hinter sich gebracht, begann der letzte der drei NBC-Berichte zur Rückkehr der Evangelikalen 196 NBC, EN – Thursday, Oct. 20 1977 – Segment 3 (The Evangelicals).
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1977. Es fuhr ein Streitwagen durch die Filmbilder. Römische Soldaten scheuchten eine Masse hilfloser Menschen durch eine Arena. John Chancellor hatte weitaus knapper als sein Kollege Binkley in den Berichten zuvor angekündigt, Kollege Hart werde nun im letzten Kapitel seiner faszinierenden Folge die Frage nach der Bedeutung des Erfolges jener in den Vereinigten Staaten unübersehbar anschwellenden Bewegung stellen. Die gezeigten Bilder waren aus einem Film, den einer der führenden evangelikalen Intellektuellen produziert hatte. Es handelte sich um Dr. Francis Schaeffer, der Christen im Jahr 1977 nicht als Opfer sondern als Führer, als „leaders“ in der Welt sehen wolle, wie Journalist Hart paraphrasierte, während Schaeffer beim Einschreiten in einer antiken Arena gezeigt wurde. Nachdem er aus dem Bild verschwunden war, tauchte die Gestalt des kleinen bärtigen Schaeffers auf einer kanzelartigen Empore vor einer Gruppe aufmerksamer Zuhörer/innen wieder auf, denen er erklärte: „After we are Christians then it is our responsibility to be an influence on our culture. We ought to be the salt in that influence.“197 In der nächsten Einstellung erschien zu verzerrten E-Gitarrenklängen eine riesige Leuchtschrift. In Großbuchstaben prangte JESUS über einer nächtlichen Konzertbühne, vor welcher eine begeisterte Menschenmasse hinter dem unteren Bildrand zu vermuten war. Hart kommentierte die Szene emphatisch wie skeptisch: Die für Evangelikale drängende Frage sei, ob sich ihr religiöser Einfluss auf die Welt oder umgekehrt der Einfluss der Welt auf sie als Gläubige stärker auswirken werde. Während sich Bild wie akustisches Signal im Bericht von der Bühne entfernten, erklärte Hart, solche Rockkonzerte und der stark wachsende Markt an christlicher Musik zeige, dass Massenunterhaltung Einzug in das Wertesystem der Evangelikalen gehalten habe. Ebenso habe Seriosität, „respectability“ Einzug in die Riege des Evangelikalismus gehalten, verkündete der Bericht bereits einen Bildschnitt weiter. Währenddessen erschien Präsident Carter beim Händeschütteln im Nachrichtenbild. Wie kaum eine andere Figur habe der Präsident zur gesellschaftlichen Anerkennung des Erlebnisses der Wiedergeburt beigetragen. Carter wurde in einem Kirchenraum gezeigt, wie er vor dem Altar stehend sagte: „Of course, we all know being Christian doesn’t make us any better than anyone else. We are sinners in god’s eyes, but we are forgiven for our sins, if we trust Jesus Christ.“ Hart erklärte vor dem Bildhintergrund einer Zeitschrift, auf deren Titelblatt in fetten Lettern „Born Again!“ prangte, die Medien hätten mit Jimmy Carter die Evangelikalen für sich entdeckt. Und Hart machte noch eine weitere Facette auf, um welche die zweite Hälfte seiner Dokumentation kreisen sollte: „… in Jimmy Carter the Evangelicals discovered the respectability of success.“ Hier war Erfolg bereits eng an evangelikale Identität, Erweckung und Führungsqualität geknüpft. Wieder wurde Carter in der Kirche eingeblendet und sagte, er sei überzeugt, ein besserer Präsident sein zu können, gerade 197 NBC, EN – Friday, Oct. 21, 1977 – Segment 3 (The Evangelicals).
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weil er einen festen Glauben habe. Mit dieser Äußerung war die christliche Identität, die Haltung eines protestantischen Gläubigen auf die Führungsqualität des Politikers im höchsten Amt projiziert worden. Die Nachrichten hatten unkommentiert den Kandidaten mit der Aussage ins Bild geschnitten, die sie einige Jahre später in einer ganzen Serie an Sondersendungen zum Problem der US-Politik stilisieren sollten. Der Wert des Erfolges sei mit dem Präsidenten sowie auf ähnlich prominenten Wegen in die gegenwärtige evangelikale Erfahrung tief eingedrungen, erklärte Hart, während ein Football-Spiel ins Bild kam. Die 1977 noch ungeschlagenen Dallas Cowboys hätten gleich eine ganze Reihe wiedergeborener Spieler in ihren Reihen und mit Tom Landry einen wiedergeborenen Trainer. Während er an der Seitenlinie des laufenden Matches zu sehen war, Spiel und Geschehen fest im Blick haltend, erklärte der evangelikale Coach den Zusammenhang von sportlichem Erfolg und Glaube folgendermaßen: „I’ve heard Christian athletes say: you know, I’m successful, you know, because God’s with me. Well if you hear that, you think, just because God’s with him, well that’s why he’s winning?! What he’s really saying to you is: because God is first in my life I wanna use every bit of an ability I have. I’m gonna have a positive nature about myself when I perform.“
In einem christlichen Comic, der nach den Weisheiten des Star-Trainers gezeichnet worden war, sagte Coach Landry: „Regardless of what I read in the paper, I knew God was preparing us for the Super Bowl.“ In scheinbar weiten Sätzen sprang der Berichtsplot der NBC-Sendung durch die Gesellschaft, über Leuchttürme des Sports bis hinab in die Abgründe des Lasters. Man landete in den Gefilden der Sex-Industrie. Es ging um religiöse Prominente und Hart stellte fest, der Erfolg der Religion habe sich herumgesprochen, sodass Penthouse sogar eine Studie zu Evangelikalen mache, nicht etwa, weil der Herausgeber nun selbst wiedergeborener Christ geworden wäre, sondern weil Religion zum Trendthema geworden war. Religion sei sexy geworden, so die Beschreibung der unheiligen Allianz, die im Bericht konstatiert wurde. Penthouse habe sogar einen Workshop mit evangelikalen Führungspersönlichkeiten veranstaltet. Die Ergebnisse würden in einer Ausgabe nächsten Frühling offenbart, so die Ankündigung. Der Herausgeber erklärte, es seien die beiden vielleicht fundamentalsten Themen des menschlichen Lebens, die an dieser Stelle eben zusammen gehen müssten – Sex und Religion. Reporter Hart erklärte vor dem Bildhintergrund der Kontrollzentrale eines christlichen Fernsehstudios, was kulturwissenschaftliche Analyse retrospektiv kaum tiefenschärfer hätte formulieren können: „As a culture the born-again have arrived, they have respectability, success, visibility, and the good life.“ Die Bilder, die der Bericht in seinen Erzählungen von der Erweckung der Gesellschaft gezeichnet hat-
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te, wurden zu dieser Formulierung von dem Journalisten noch einmal aufgerufen. Kurz vor Ende der Reportage wurde mitten ins religiöse Revival ein älteres Sängerpärchen auf einer Fernsehstudiobühne eingeblendet. – Er hatte einen Cowboyhut auf, beide wackelten freudig lachend mit dem Kopf, sie sangen: „I found it in Jesus, I found it in him. He gave me the good life, I found it in him.“198 Es gebe innerhalb der evangelikalen Bewegung aber auch Widerstand gegen diese Öffnung hin zur Öffentlichkeit und zum amerikanischen Traum, machte der Bericht noch mal den Schlenker zu einer inneren Gegenkultur im Revival der Religion. Es wurde von evangelikalen Christen berichtet, die ganz bewusst an einem Ort lebten, den Hart als „the worst part of the Washington, D.C. ghetto“ bezeichnete. Es ging um eine sozialreligiöse Gruppierung, die in ihrem Magazin „Sojourners“ die dominante Konsumkultur und die Medien angriff, wie Hart erklärte. Der Journalist behauptete, die Bedeutung dieser Richtung religiösen Engagements wachse. Doch blieb die Sparte des herrschaftskritischen Evangelikalismus in der medialen Realitätskonstruktion der folgenden Jahre äußerst marginal, tauchte in den Zeitungsnachrichten nur noch selten auf, im Fernsehen überhaupt nicht mehr. Ein Herausgeber des sozialreligiösen Magazins hatte im Interview erklärt, das Leiden sei Teil des Glaubens. Aus der Geschichte der Widerständler folgerte Hart, dass die Herausforderung des Gegensatzes zwischen Leiden und Erfolg die evangelikale Bewegung auf dem Höhepunkt ihres Erweckungserfolges erreicht habe. Doch während eine Frau und ein blonder Teenager von der Seite gezeigt wurden, die gesenkten Blickes beteten, schloss der Reporter seinen Bericht mit den Worten: „A revival that is here for one thing, because one third of the nation searching for a firmer foundation has turned to a simple faith in Jesus.“199 Als NBC drei Jahre später im August 1980 einen Bericht über Evangelikale als neue Großmacht in der politischen Landschaft der USA unter dem Titel „BornAgain Politics“ sendete, rückten der Pastor Jerry Falwell und seine Moral Majority auf einer umstrittenen Ebene des Politischen ins Zentrum der Nachrichtenöffentlichkeit.200 Einen Monat später griff auch ABC den Faden auf und produzierte eine dreiteilige Serie, welche die Öffentlichkeit kurz vor den Präsidentschaftswahlen über die Gefahren des politischen Interventionismus religiöser Streiter aufklären sollte. Auch die Nachrichtenmacher der ABC waren wohl der Hoffnung, dass ihr investigativer Eifer, welcher in kritischen Berichten gegen die Vermengung von Religion und Politik gerichtet war, Bürger/innen wach rütteln könne.201 Und doch räumten gerade diese Berichte der Wiederkehr der Religion gewaltige Bedeutung im politischen Raum ein und bereiteten den evangelikalen Protagonisten eine große 198 NBC, EN – Friday, Oct. 21, 1977 – Segment 3 (The Evangelicals). 199 Ebd. 200 NBC, EN – Tuesday, Aug. 19, 1980 – Special Segment (Born Again Politics). 201 ABC, EN – Thursday, Sept. 24, 1980 – Special Assignment (Politics and Religion).
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Bühne. Bevor in den folgenden Kapiteln diese performativen Operationen auf den Bildschirmen der Jahre 1980 und 1981 von verschiedenen Seiten in den Fokus genauerer Analyse rücken, soll zunächst noch ein weiterer Strang aufgerollt werden. Um zu moral leadership, zum politischen Postulat moralischer Führung um den Jahrzehntewechsel von 1970er zu 1980er Jahren zu gelangen, werden hierfür die Präsidentengestalten und ihre körperliche Performanz im Fernsehen durch die 1970er Jahre hindurch bis zum Wahlkampf 1980 verfolgt.
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DER
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Mitte der 1970er Jahre durchzog ein Krisennarrativ Gesellschaft und Familie, Wirtschaft und Energiepolitik, Außen- und Innenpolitik, sowie allerlei politische Institutionen in den Vereinigten Staaten und nicht zuletzt die Körper der Führungsriege in den Medienlandschaften. Eng vernetzt mit der bereits beschriebenen Krise der hegemonialen Männlichkeit und männlichen Führungsfähigkeiten, die sich an verschiedenen Stellen im Jahr 1973 bereits angedeutet hatte, machte sich angesichts der täglichen Abendnachrichten der Eindruck breit, die Lage werde im fortschreitenden Verlaufe der 1970er Jahre nicht etwa besser, sondern vielmehr immer ernster. Wie am Ende des ersten Kapitels beschrieben, sah man 1974 in den Fernsehnachrichten bereits Geschichten, die von schwer gebeutelten Familien und ihren Ernährern erzählten. Zwar hatte der Nachrichtenlage zufolge die Krise noch nicht alle Refugien, noch nicht alle Bereiche des Lebens in der Mittelschicht erfasst, über die wachsende Zahl an Problemfällen durfte aber nicht mehr hinweggesehen werden, schenkte man den journalistischen Mahnungen Glauben. In verschiedenen Wellen wurde in den Jahren 1975 und 1976 die Krise auf beinahe alle gesellschaftlichen Bereiche ausgeweitet, immer wieder aufgegriffen und für alle möglichen Gruppen der Mehrheitsgesellschaft wieder und wieder beschworen. Vor diesem Hintergrund waren die Präsidentschaftskandidaten sowie die tatsächlich gewählten Staatsoberhäupter, nicht nur nach politischen Prinzipien von ihren Parteien und der Bevölkerung gekürt worden, sondern die Körper und Images der Präsidenten, die im Folgenden beschrieben werden, wurden im medialen Feld hervorgebracht und kreiert, über Mediendarstellungen konzipiert. In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre korrespondierte die mediale Krisenklage mit der Forderung nach moralischer Führung. Dieser Verbindung aus Männlichkeitspostulat und evangelikalem Führungsideal musste jeder mögliche Präsident nach Richard Nixon entsprechen. Jimmy Carter erfüllte diese Rolle des moral leader in der Nachrichtenberichterstattung vor Amtsantritt und zu Beginn seiner Präsidentschaft. Danach kann die mediale Zerlegung seiner Figur anhand der Nachrichtenberichte von 1978 bis 1980 nachvollzogen werden. Ronald Reagan übererfüllte die Forderung auf
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sonderbare Weise. Während seiner Kandidatur waren die Zuschreibungen um seine Politikerfigur noch nicht als durchgängig moralisch angelegt. Jedoch trat Reagan als Präsident schließlich aus dem Schatten der moral leadership. Die Figur moralischer Führung wurde in Live-Berichterstattungen und Aufzeichnungen auf eine immanente Weise präsent, sodass der Präsident Reagan selbst als Inkarnation des moral leader erschien. Diese mediale Operation soll im dritten Kapitel genauer nachvollzogen werden. Zuvor werden in diesem Kapitel die unterschiedlichen Präsidenten und Kandidaten bis zum Wahlkampf 1980 beschrieben. Was allerdings für alle Präsidenten- und Kandidatenfiguren bereits in den 1970er Jahren zum Maßstab geworden war, wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung, waren die beiden Bausteine der moralischen Führung: Männlichkeit und Glaube. Im Januar 1973 deutete der Journalist Howard K. Smith in einem Kommentar an, worin die Sorge um einen Mangel an viriler Führerschaft und an Moral bestand. Staatsführung und Gesellschaft schienen in diesen beiden Punkten ähnlich defizitär zu sein. Der ABC-Mann verglich die Führung Nixons mit John F. Kennedys Verkörperung präsidentieller Führung, mit dem überraschenden Ergebnis, dass unter Nixon der Parlamentarismus in der Krise war. Interessanterweise erschien Nixon in dieser Darstellung von Anfang 1973 noch nicht als die schattenhafte Chimäre seiner selbst, zu der er ein knappes Jahr später auf den Bildschirmen und in Medienberichten verkommen sollte. Im Kommentar zeigte sich jedoch bereits eine Grundierung, die hier als Einstieg in die weitere Betrachtung der medialisierten Präsidentenkörper dienen soll, als Smith seinen Kommentar mit den Worten begann: „I’ve been trying to explain to myself the funny thing that happened on the way from John F. Kennedy to Richard Nixon.“ Unter Kennedy sei überall die Beschwerde zu hören gewesen, der Kongress sei allmächtig und der Präsident könne nichts durchsetzen. Es erstaunt auf den ersten Blick an dieser Stelle von einem impotenten Kennedy zu hören, der von einer mächtigen Struktur im Zaum gehalten wurde. Unter Nixon nun, so Smith weiter, sei knappe zehn Jahre später genau das Gegenteil der Fall: „The president has all the power, congress is impotent.“ Wie dieses Missverhältnis zustande gekommen sein mochte, konnte sich Smith nur folgendermaßen erklären: Obwohl Kennedy für seinen Mut, seine „toughness“ bewundert worden sei, war er doch eher ein zurückhaltender und schüchterner Präsident gewesen. Und um diesen Verdacht zu bestätigen, legte der ABC-Reporter weiter nach: „Vice president LBJ often complained: he just won’t put his feet to the fire!“ Wie sich herausgestellt habe, sei Nixon dagegen ein harter Typ, „fast gemein“ bei Dingen, die er durchsetzen wolle. Er gehe mit folgender Haltung zu Werke: „… to hell with congress!“ Die Macht begründete sich also dem ABC-Kommentator zufolge im Charakter und vor allem auch in der Haltung des Präsidenten. Außerdem sei Kennedy eben „ein Liberaler“ gewesen, so die milde Kritik des Journalisten weiter, habe mehr Geld ausgeben wollen und versucht, neue Dinge auf den Weg zu bringen. Das Talent des Kongresses wiederum habe darin bestanden, sich gegen
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seine Politik zu stemmen. Nixon hatte im Gegensatz zu Kennedy viel weniger ausgeben wollen und soziale Eingriffe vermieden. Gegen eine solche Einstellung habe der Kongress keine Waffen gehabt, so die Analyse der unterschiedlichen Machtpraktiken. Smith beschloss diesen Kommentar mit dem Fazit, über die Jahre sei der Kongress zu einer negativen Größe verkommen. Er sei träge, seine Haupteinflussnahme bestehe in der Verzögerung. Der Kongress müsse sich ändern, um wieder eine verantwortliche Kraft zu werden. Bis dato sei das Parlament nicht in der Lage, die aktuelle Malaise zu ändern: Eine genuine „Krise der Verfassung“!202 Noch im Januar 1973 stand die Präsidentenfigur Nixons mächtig über einer lahmen Struktur der Institution. Das sollte sich jedoch ändern.
D ER G EFALLENE Auf welche Weise bekam nun Präsident Nixon die Krise? War Nixon überhaupt jemals in der Krise? Oder war er nicht im selben Moment, in dem er fiel, bereits zum Signifikanten für das äußerst produktive Krisenszenario geworden, das in den 1970er Jahren seine hegemoniale Arbeit aufnahm, von dessen Restauration der Politiker Nixon aber selbst kein Teil mehr werden sollte? Im Zuge einer Senatsausschuss-Sitzung zur Watergate-Affäre hielt der Vorsitzende des Komitees Sam Ervin während der Befragung von Jeb Magruder, einem Mitglied des Nixon-Stabes, ein flammendes Plädoyer, in dem er Gottes Gesetz, Geschichte und gefallene Führerschaft zusammen brachte.203 CBS übertrug einen kurzen Zusammenschnitt der Veranstaltung im Juli 1973. Bereits im vorangegangenen Juni waren längere Mitschnitte der Anhörungen zur Watergate-Affäre in Sondersendungen von ABC und CBS der Öffentlichkeit vorgeführt worden.204 Unter zustimmenden Gesten des Beschuldigten zeigte Ervin in seiner Rede, welche kurzweilige Schubkraft die Macher auf den Pfad der Verführung getrieben habe:
202 ABC, EN – Wednesday, Jan. 17, 1973 – Commentary (John F Kennedy, Nixon and Cong.). Bereits im letzten Monat des Jahres 1972 hatte Smith in einem Kommentar die fahrlässige Schwäche des Kongresses beklagt und gesagt, dieser Umstand mache die Stärke Richard Nixons aus – ABC, EN – Friday, Dec. 1 1972 – Commentary (Cong. Weakness). 203 Jeb Stuart Magruder war nach Fred LaRue der zweite aus der Nixon Administration, der sich „schuldig“ bekannte am Einbruch ins Watergate Hotel beteiligt gewesen zu sein. CBS, EN – Thursday, Jul. 19, 1973 – Watergate Hearings / Larue, Mardian. 204 CBS, Special Report – Wednesday, Jun. 6, 1973 – Senate Watergate Hearing / Sloan Testimony; ABC, Special Report – Thursday Jun. 7, 1973 – Senate Watergate Hearing / Porter Testemony.
116 | M ORAL L EADERS „Men … who possessed great financial power, great political power, and great governmental power [lange Pause] undertook to nullify the laws of man and the laws of God for the purpose of gaining what history will call a very temporary political advantage. And I think that those who participated in – ahm – this effort nullifying the laws of man and the laws of God overlooked the law of God, which is set forth in the seventh verse, the sixth chapter of Galatians: Be not deceived! God is not mocked for whatsoever a man sows that shall he also reap!“
Die Rede des Komitee-Vorsitzenden Ervin wurde im Anschluss mit viel Applaus bedacht. Der ältere Herr hatte seine Ausführungen mit Nachdruck und wohlbedachten Pausen vorgetragen. Während weitere Bilder aus dem Anhörungssaal gezeigt wurden, in dem ratlose Anwälte und Angeklagte aus dem Dunstkreis der Regierungsadministration zu sehen waren, die sich berieten, gebannt in Unterlagen schauten oder in die Runde blickten, erklärte die Sprecherstimme des Reporters Daniel Schnorr, immer mehr verwirrende Details seien ans Licht gekommen. Zum Beispiel habe Nixon das Budget für die illegale Operation genehmigt. Liddy und andere Beteiligte aus der republikanischen Partei machten widersprüchliche Angaben zur Verwicklung des Präsidenten in die Entscheidungsprozesse. In seiner Abmoderation stellte Schnorr fest, es sei leichter Material zu sammeln, als es zu verstehen.205 Der Watergate-Skandal war tief in die US-Politik vorgedrungen. Welche Verwicklungen die Probleme nach innen wie außen bringen sollten, das schienen die Fernsehkommentatoren und beteiligten Juristen bereits zu ahnen. An mancher Äußerung bei den Zeugenvernehmungen und den nachgelagerten Kommentaren war zu bemerken, dass hier nicht eine Politikerpersönlichkeit namens Nixon, sondern die Figur und die Machtfülle des Präsidenten zur Disposition standen.206 In einem CBS-Kommentar beklagte Eric Sevareid, der Kongress habe die Identität, nach der man nun seit über einem Jahr suche, noch nicht gefunden. Im Weißen Haus sei man durch Korruption und Machtmissbrauch auf dem falschen Weg. Die Schwäche des Parlamentes habe genau damit zu tun. Und obwohl der Präsident bekannt habe, dass auch er einen stärkeren Kongress wolle, um Kontrolle und Ausgleich zu garantieren, bleibe letztlich unterm Strich, so das Fazit des ABCKommentars zur politischen Lage, dass ein Präsident gewählt werde: „… to be the leader, not the follower.“207 Es klang hier etwas an, was bereits in einer Flut von Auseinandersetzungen mit der Präsidentschaft Nixons im Jahr 1974 den derangierten Führungskörper vorführen sollte, der als Negativ-Matrize für einen moral leader in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre fungierte. In etlichen Berichten wurde im 205 CBS, EN – Thursday, Jul. 19, 1973 – Watergate Hearings / Larue, Mardian. 206 CBS, Special Report – Wednesday, Jun. 6 1973 – Senate Watergate Hearings / Sloan Testimony (Program Time 2.11 pm-2.39 pm); ABC, Special Report – Thursday, Jun. 7 1973 – Senate Watergate Hearings / Porter Testimony. 207 CBS, EN – Monday, Sept. 10, 1973 – Analysis (Nixon State of Union II).
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Januar 1974 die Frage diskutiert, ob Nixon wegen der Watergate-Affäre in ein Amtsenthebungsverfahren zu gehen habe. Es wurde über republikanische Abgeordnete berichtet, die in ihren Wahlkreisen die Stimmung erfragten. Neben einigen Bezirken, beispielsweise in Illinois, in denen ein Frauenkreis dem Präsidenten die Stange hielt, wurde eine Gruppe Automobilarbeiter eingeblendet, die sich überwiegend gegen Nixons Verbleib im Amt aussprachen. Ein Arbeiter sagte: „I think he’s a crock!“208 Der Januar war erfüllt von medialem Stühle-Rücken um die Figur Nixon. Der Präsident selbst wurde zu Beginn eines CBS-Berichts über seinen Besuch am Lincoln Memorial im Februar 1974 von Reporter Walter Cronkite mit der Erklärung zitiert, ihn inspiriere die Stärke, welche Lincoln im Angesichte seiner Widersacher an den Tag gelegt habe. Der 2. Februar war der Jahrestag von Lincolns Geburtstag und der Bericht eröffnete die Bedeutung der Aktion in der Erklärung, es sei Nixons erster Besuch an der Gedenkstätte für den Präsidenten des Bürgerkrieges seit jenem „lauen Frühlingsabend 1970“, als er plötzlich aufgetaucht war, um vor überraschten Demonstranten seinen Einmarsch in Kambodscha zu verteidigen. Mr. Nixon, so erklärte die Voice-over weiter, hatte bei diesem Auftritt die rhetorische Frage gestellt, warum Lincoln der am meisten geachtete Präsident der USGeschichte sei. Die Antwort lieferte der 37. Präsident auf der National Mall selbst: Lincoln habe die Sklaven befreit und die Union vor einer Spaltung bewahrt. Aber es habe auch mit Lincolns Charakter zu tun, so Nixon weiter. Das Kamerabild fing den Präsidenten dabei vor dem Denkmal aus einiger Entfernung ein. Zudem wurden immer wieder nachdenklich lauschende Zuhörer/innen im Publikum in Großaufnahme und Offiziere in Uniform eingeblendet. Bevor die Kamera Nixon selbst in Nahaufnahme ins Bild rückte, verging eine Zeit, in der er klein und allein am Fuße der gewaltigen Lincoln-Figur erschien. Dann zoomten die Berichtsbilder in Großaufnahme auf Nixons Kopf, als er sagte: „The Lincoln character that has been described in so many, many hundreds of books, much better than I can describe it in a few words – the humility, the humor, the feeling, and kindness for people – but perhaps more than anything else, the strength, the poise under pressure.“ Ein interessanter Moment der Fernsehinszenierung war dabei, dass die Kameraperspektive die Nahaufnehme von Nixons Gesicht in dem Moment aufgab, als er über die Kraft und das Durchhaltevermögen Abraham Lincolns sprach. Ob dies eine gängige Schnittpraxis beim Aufzeichnen von wichtigen Reden oder eher zufällige Akzentuierung der Bildererzählung war, ist kaum zu bestimmen. Ab dieser Passage wurde jedenfalls seine Gestalt aus erheblicher Entfernung und von hinten gezeigt, ohne dass dabei das Publikum ins Bild kam. Gängiger Weise wäre die Einstellung auf einen Redner im Schnittrepertoire in einer Einstellungsfolge gerade dadurch begründet, dass so die Masse an Zuhörer/innen in den Blickwinkel kommen konnte. 208 CBS, EN – Monday, Jan. 7, 1974 – Impeachment Public Opinion.
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Nicht so bei Nixon vor dem Memorial, der von hinten und einsam im Bild verharrte. Als er wieder frontal im Bild erschien fuhr er fort: „When we examine the American Presidents it is quite clear that no president in history has been more vilified or was more vilified during the time he was president than Lincoln. Those who knew him, his secretary, have written that he was very deeply hurt of what was said about him and drawn about him, but on the other hand Lincoln had that great strength of character never to display it, always to stand tall, and strong, and firm no matter how harsh or unfair the criticism might be.“
Nachdem noch einige Sequenzen von einer Kranzniederlegung gezeigt worden waren, erschien Reporter Robert Pierpoint im Bild und erklärte, es sei offensichtlich gewesen, dass Nixon sich in diesen Darstellungen mit Lincoln identifiziert habe. Es sei die Frage aufgetaucht, so der Journalist weiter, ob in Anlehnung an die Lincoln‘sche Amnestie südstaatlicher Rebellen am Ende des Bürgerkrieges nun auch Nixon sich für eine Amnestie für Vietnam-Deserteure einsetzen werde. Aber da sei keine Bewegung in Sicht, wie ein Berater des Präsidenten bekannt gegeben habe. Nixon stehe zu dem, was er im März vergangenen Jahres gesagt habe: „Let us not dishonor those who served their country by granting amnesty to those who deserted America!“209 Nach dem schrägen Umriss einer angeblichen Charakterverwandtschaft mit einer Figur aus der glorreichen Vergangenheit der Vereinigten Staaten kam im September 1974 die Rede auf einen Gefährten Nixons aus der Gegenwart. CBS berichtete über den südkoreanischen Geschäftsmann Sun Myung Moon, der als Prediger auftrat und ein religiöser Companion des Präsidenten war, bereit diesem bei dem bereits eröffneten Amtsenthebungsverfahren zur Seite zu springen. Moon hatte nicht nur Anhänger auf der ganzen Welt, vornehmlich junge Leute, wie im Bericht betont wurde, sondern wisse auch um ein unglaublich hohes Budget in der Schatulle seiner Glaubensgemeinschaft. Reporter Bob McNamara versah im Zuge des Berichts alle möglichen Angaben von Mr. Moon und seinen Beratern mit dem kritischen Unterton des Zweifels. Ein zwanzigjähriger sagte, Gott spreche durch Moon, der lehrte, dass Eva mit dem Teufel ein Verhältnis eingegangen sei, woraus sündige Kinder entstanden waren. Der Prediger behaupte, der neue Messias werde aus Korea kommen. Aus Bescheidenheit beanspruche Moon diesen Titel nicht für sich, wie das Nachrichtenpublikum erfuhr. Aber er schließe auch nicht explizit aus, selbst die Verkörperung des Messias zu sein. Auf dem Höhepunkt des Berichtsplots wurde Moon mit seinem „Freund“ Nixon gezeigt, und das Bild mit der Information hinterlegt, dass er von seiner Ex-Frau beschuldigt wurde, mit seinen Anhängerinnen Sex-Orgien gefeiert zu haben, obgleich 209 CBS, EN – Tuesday, Feb. 12, 1974 – President / Lincoln.
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ihm Christus bereits 1936 erschienen war. Prediger Moon tauchte im Bild auf, beim Verkünden des Gotteswillens in kostspieligen TV-Werbespots, die im Zuge einer Publicity-Kampagne für seine Organisation geschaltet worden waren. In den USA lebten seine Jünger in Kommunen zusammen, so der Kommentar von Filmausschnitten, in denen eine Ansammlung betender Menschen zu erkennen war. Die Bilder zeigten zudem Leute, die gerade belehrt wurden. Danach wurde eine Masse an gläubigen Moon-Anhänger/inne/n auf den Fernsehschirm der politischen Nachrichten gebracht, die vor dem Kapitol während der Sitzung des Repräsentantenhauses zu Nixons Amtsenthebungsverfahren sangen, Plakate schwenkten und gegen das Impeachment-Verfahren demonstrierten. Im Bericht wurden Anzeigenseiten gezeigt, die Multimillionär Moon für Nixon hatte schalten lassen, als das Amtsenthebungsverfahren in der Schwebe gewesen war. In den Anzeigen stand, dass Gott Nixon zum Präsidenten auserkoren habe.210 Vor seinem politischen Schicksal konnte auch der potente Prediger aus Korea den 37. Präsidenten mit seinen erweckenden TV-Kampagnen nicht retten. Nach Nixons Rücktritt fand das erste Treffen zwischen Präsident Ford und seinem Vorgänger in einem Krankenhaus im kalifornischen Long Beach statt. Nixon hatte im August 1974 abgedankt und war krank ins Hospital eingeliefert worden. CBS-Anchorman Cronkite berichtete, dass immer noch die Gefahr innerer Blutungen bestünde. Es wurde erklärt, Wahlkämpfer Ford habe sich zu dem kurzen Besuch bei dem kranken Vorgänger im Präsidentenamt entschieden, nachdem ihm Nixons Frau zu verstehen gegeben habe, seine Visite gebe ihrem Mann Auftrieb. Nach dem 8-Minuten-Besuch, der von etlichen Schaulustigen vor dem Krankenhaus begleitet worden war, die kurzfristig von dem Event erfahren hatten, berichtete ein ernst blickender Ford der Menge: „The president was very alert. He was very interested, but it was very obvious to me that he’s been very, very ill. But he showed a great deal of strength, manly, and I’d think physically in meeting this very serious challenge.“ Nixons persönlicher Mitarbeiter erklärte, er sei sehr müde und erschöpft gewesen, er habe aber in den 45 Sekunden, die der Referent mit ihm habe sprechen können gesagt, dass es sehr richtig von Präsident Ford gewesen sei, ihn zu besuchen. Der Mitarbeiter wirkte angegriffen im Interview. Die gesamte Sequenz war untermalt von einer obskuren Botschaft, die der kranke Körper des Präsidenten auszustrahlen schien. Reporter Bob Schieffer berichtete aus zweiter Hand, Ford habe Nixon zu Beginn seines Besuches gefragt, ob er eine gute Nachtruhe gehabt habe. Nixon hatte verneint und gesagt: „None of these nights are good!“ Dann verließ der Bericht das Krankenhaus wieder, um Ford bei einer Wahlkampfveranstaltung zu zeigen.211
210 CBS, EN – Tuesday, Sept. 17, 1974 – Mr. Moon / New Breed of Christians. 211 CBS, EN – Friday, Nov. 1, 1974 – Ford / Nixon Visit / Mathias / Cuts.
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„He spend 23 days in the hospital and he did not look well!“ ließ Reporter Edwin Newman in der NBC über den ehemaligen Präsidenten Ende des Jahres 1974 verlauten. Es wurden Bilder von Nixons Entlassung aus dem Krankenhaus gezeigt. Er sehe schwach und abgemagert aus, erläuterte Reporter Gail Christian das Geschehen, während mehrere Leute Nixon aus einem Rollstuhl halfen und er in eine schwarze Limousine gehievt wurde. Er war in Begleitung seiner Frau und einem halben Dutzend Geheimdienstlern. Einen Moment habe er vermocht ohne Hilfe zu stehen und sich lächelnd vom Krankenhauspersonal verabschiedet, so die Sprecherstimme. Es sei noch unklar, wann der Ex-Präsident sich erholt haben werde. Es ginge vor allem darum, ob er im Watergate-Prozess aussagen könne, wurde betont. Sein behandelnder Arzt habe erklärt, er habe Bluthochdruck, brauche Ruhe, Stress sei zu vermeiden. In der anschließend eingeblendeten Pressekonferenz sagte der Mediziner den versammelten Presseleuten, er habe nicht zu entscheiden, wann sein Patient prozessfähig sei und es liege auch nicht in der Entscheidungsgewalt des Kranken selbst. Das Gericht werde die Lage beurteilen, aber die Verhandlung sei genau der Stress, den der Patient nicht gut vertrage, so Dr. John Lungren.212 Es war die Darstellung des ehemaligen Präsidenten im kranken Körper, die der Bericht zur Schau stellte. Die Fernsehnachrichten sezierten in gewisser Weise Nixons Körper, so als müsse man in dem Mann im Rollstuhl einen schädlichen Keim entdecken. Auf diese Weise produzierte das Fernsehen den schlagartigen Verfall jener Präsidentenfigur mit. Impotent das eigene Schicksal zu bestimmen und zersetzt von schlechter Amtsführung war der kranke Körper des Präsidenten der Judikative ausgeliefert. Diese Gewalt, so hatte es im TV-Bericht den Anschein, würde nicht davor haltmachen den ehemaligen Präsidenten restlos zu richten. Nixon war so schnell gefallen, dass er eine Krise nie bekommen hatte. Und doch war seine Figur in ihrem Verfall zum Signifikanten der Krise geworden, in der weiße christliche Führung unmittelbar zu sein schien. Was von Nixon zunächst blieb, war eine Lücke in der Verkörperung des nationalen Führers. Auch Ford war diese Figur nie geworden, sein 8-Minuten-Besuch beim Amtsvorgänger wies symptomatisch darauf hin, dass er sich weder von der desavouierten Führung des ExPräsidenten lösen, noch sich konsequent zu ihr bekennen konnte. Und Ford konnte sich in den beiden Pattern guter Führung – Männlichkeit und Moral – zwei Jahre später auch nicht gegen Jimmy Carter durchsetzen. Carter hingegen vereinte die beiden Eigenschaften vor und nach Amtsantritt in seiner Haltung. Er war „bornagain“ und auf seinem Weg ins Präsidentenamt wurde er zum erweckten Mann an der Spitze, als eine frühe Version des moral leader.
212 NBC, EN – Thursday, Nov. 14, 1974 – Nixon / Leaves Hospital.
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D ER W IEDERGEBORENE Am 31. Oktober 1975 brachte NBC im Format „Profile“ eine Sendung über den ehemaligen Gouverneur von Georgia, Jimmy Carter. Eine Sendung solchen Formats wurde in der Regel nur politischen Akteuren zu Teil, denen der Sender eine aussichtsreiche Zukunft prophezeite. Reporterin Judy Woodruff erklärte, seit Carter elf Monate zuvor seinen Willen zur Präsidentschaftskandidatur bekannt gegeben habe, sei er 150 000 Meilen gereist, in 43 Staaten gewesen, habe über 500 Reden gehalten – all dies mit dem Ziel, die Nominierung als demokratischer Präsidentschaftskandidat zu erreichen. Carter erschien in Großaufnahme im Bild und sagte: „When I compare myself with the other candidates, I don’t see anybody there that can beat me – I work harder!“ Mit entschlossener Miene sprach er dieses Bekenntnis aus, bevor er ein leichtes Lächeln aufsetzte und fortfuhr: „I got a better family organization and more volunteers. I planned more carefully. I have a total commitment to the campaign.“213 Neben seiner Bereitschaft härter für den Erfolg zu arbeiten als alle anderen, hielt Carter sich für besser aufgestellt, für stringenter organisiert und wollte sich mit Leib und Seele der Kampagne widmen. Doch mehr noch als seine eigenen Aussagen waren es die Beschreibungen im Beitrag, die Carter als einen unbedingten und kompromisslosen Kämpfer für das Führungsamt erscheinen ließen. Interessanterweise spielte seine Religiosität in den Beschreibungen aus dem Jahr 1975 noch keine entscheidende Rolle, wenn sie auch in einem zur Schau getragenen Arbeitsethos bereits mit schwang. Für Erfolg hart zu arbeiten war ein Modus, der an der Schnittstelle von Evangelikalismus und Männlichkeit situiert war. Aber der bewundernde Tonfall in dem die Nachrichten über Carters Persönlichkeit nach der Bekanntgabe seine Kandidatur berichteten, korrespondierten mit der Trope einer Männlichkeitskrise, die sich mit der beschriebenen Zersetzung von Nixons Image bis hinauf in die Staatsspitze erstreckte. Diese Krise war immer auch als eine Krise der Authentizität, der essenziellen Erfahrung von Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit in Szene gesetzt worden. Carter wurde 1975 medial als der Antipode Nixons installiert. Carters Attribute waren bodenständig, glaubwürdig, rein und gut. Er galt in seinen Grundzügen als Führungsfigur, die „hart“, „arbeitsam“ und bis zur Selbstaufgabe „genau und unermüdlich“ war. Diese Zuschreibungen wurden zum Markenzeichen des künftigen Präsidenten und halfen ihm über die Kandidatur hinaus. Als er Präsident geworden war, überdauerten diese Zuschreibungen nur knapp die ersten beiden Jahre. Danach frästen sich in die Nachrichten über seine Politik Täuschungs- und Enttäuschungsvorwürfe und kratzten am Image des Präsidenten. Ob Jimmy Carter das Standbild einer moralisch integren Führungskraft zu Beginn seiner nationalpolitischen Karriere allen Journalist/inn/en, die ihn beobachteten und 213 NBC, EN – Thursday, Oct. 31, 1975 – Profile (Jimmy Carter).
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begleiteten, tatsächlich aktiv hatte vermitteln können, darf bezweifelt werden. Vielmehr ist aus den Berichten des Jahres 1975 über den Nominierungskandidaten ein zwanghaftes Begehr nach der Verwirklichung jener Mitte der 1970er Jahre angeblich in der gesamten Gesellschaft so selten gewordene Eigenschaft moralischer Männlichkeit zu erkennen. So erzählte Journalistin Woodruff die Geschichte des jungen Carter, der in einem kleinen Dorf auf dem Lande aufwuchs und als erster seiner Familie die High-School abschließen konnte. Sie erzählte, wie er danach seinen Weg unbeirrt fortgesetzt hatte und die Marine-Akademie mit Auszeichnung abschloss. Im Anschluss habe er sieben Jahre gedient, um danach die Erdnussfarm des Vaters zu übernehmen, die er schließlich zu einem hochprofitablen Unternehmen gemacht habe. Im Bericht wurden jeweils die entsprechenden Bilder gezeigt, seine Abschlussklasse oder Carter unter den Marinesoldaten. Im zweiten Anlauf sei er Gouverneur von Georgia geworden, wurde berichtet. Carters Mutter wurde eingeblendet und erzählte, sie habe ihn ausgelacht, als er ihr gesagt habe, er wolle Präsident werden: „President of what?“, habe sie gefragt. Aber er habe immer alles hinbekommen, was er sich vorgenommen habe, ließ die Mutter das Fernsehpublikum wissen. Als schonungslos beschrieb ihn ein Mensch, der ihn angeblich besonders gut kannte, wie die Reporterin am Ende des Berichts nicht ohne Anerkennung betonte.214 Als Jimmy Carter von den Demokraten 1976 zum Präsidentschaftskandidaten gekürt worden war, reihte sich jene mit Hoffnungen beladene Kandidatengestalt in die diffuse Religionsbewegung ein, welche, den drei großen Kabelsendern zufolge, im ganzen Land für Aufsehen sorgte. Am 1. August 1976 erklärte Gary Shepard dem CBS-Publikum zu Beginn eines Berichts zur Rückkehr der Religion in den USA: „After a decade on the back burner organized religion is making a comeback of sorts.“215 80 Millionen Amerikaner gingen wöchentlich zu irgendeiner Form von Gottesdienst. Dies seien 40 Prozent der Bevölkerung, wurde von CBS vorgerechnet. Doch nicht nur in Kirchen oder Synagogen trafen sich Gläubige, auch auf Parkplätzen, wie zum Beispiel in Massachusetts, erklärte der Reporter, um das Ausmaß der religiösen Revivals zu umreißen. Es wurde ein belebter Parkplatz eingeblendet und erklärt, es handele sich bei der Masse singender junger Leute im Bild um einen Chor von 85 „Southern Baptists“ aus Alabama, die Pastor Ray Allen unterstützten, der gerade zwei neue Kirchen an der Ostküste gegründet habe. Nachdem Reporter Shepard berichtet hatte, dass auch Studenten viel Zeit und Geld für solche Missionen aufwandten und Erwachsene wie Kinder sich von Events wie dem dargestellten angezogen fühlten, sagte Pastor Allen im Interview, sie hätten vor einigen Jahren mit 17 Leuten begonnen, von denen nicht einmal alle Baptisten gewesen waren. Nun seien sie bereits über hundert, hob der Prediger hervor. Eine Katho214 NBC, EN – Thursday, Oct. 31, 1975 – Profile (Jimmy Carter). 215 CBS, EN – Sunday, Aug. 1, 1976 – Organized Religion / Campaign / Bicentennial.
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likin bestätigte den Pastor in seinem universalistischen Ansatz und beantwortete die Frage, was sie und ihre Familie nun ausgerechnet zu einer baptistischen Bibelschule gebracht hätte, mit der Überzeugung, Gott sei überall und solange man ihn liebe, gebe es kaum einen Unterschied zwischen Katholiken oder Baptisten. Pastor Allen übersetzte die gemeinsame Überzeugung in eine national-politische Botschaft: „We do believe the bible standard is still what America needs to be built upon!“ Der evangelikale Aktivismus hatte die Anhängerschaft der Denomination auf zwei Drittel aller Protestanten gesteigert, erklärte die Reporterstimme des CBSBerichtes weiter. Währenddessen wurden etliche Bilder von Gottesdiensten und Zusammenkünften in Gemeindehäusern aus dem ganzen Land gezeigt. Von den 40 Millionen Evangelikalen wiederum seien die „Southern Baptists“ mit Abstand die größte Gruppe, stellte Shepard mit journalistischer Sorgfalt fest. Dann kam der Bericht auf die potentielle Staatsspitze zu sprechen. Es wurde betont, dass die Baptisten sogar den Präsidentschaftskandidaten Jimmy Carter in ihren Reihen hatten.216 Neben ihm zugeschriebenen Männlichkeitsattributen „Fleiß und Hartnäckigkeit“ ging der Kandidat also gewissermaßen als organischer Teil aus der Wiederkehr des Religiösen, und damit aus der evangelikalen Bewegung selbst hervor. Carter erschien im Nachrichtenbild bei einem seiner etlichen Wahlkampfauftritte, die er „unermüdlich“ durchführte, wie 1975 und 1976 kaum ein Bericht ausließ hervorzuheben.217 Anfang August 1976 wurde er von der CBS lachend in einer Kirche gezeigt, wo Gläubige Gospels sangen und klatschten. Der Reporter erklärte: „For Evangelicals and for others, Carter seems to have found the country’s hidden religious nerve.“ Der Kandidat wurde in einer Totalen gezeigt, wie er neben dem Altar und unter einer großen Kirchenorgel saß und im Rhythmus mitklatschte. Michael Novak wurde als Experte zu Fragen der Spiritualität eingeblendet und sagte, die intellektuelle Elite spreche nicht häufig über Religion, aber auf dem Lande sei Religion tief verwurzelt – und die Carter-Kampagne habe geholfen, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass die Glaubensfrage wichtig für evangelikale Gläubige im ganzen Lande sei. In der Interpretation des Experten erschien Carter geradezu als Missionar des eigenen Volkes, der die Religion zurück auf die politische Bühne geholt hatte. Demnach war er also nicht allein der gläubige Protestant, der sich als Präsidentschaftskandidat lediglich in eine Entwicklung einreihte und seine Kandidatur war auch nicht lediglich ein Symptom einer breiteren Bewegung, sondern er selbst wur216 Hier klingt etwas an, was Journalist/inn/en und Politolog/inn/en vier Jahre darauf, im Wahlkampf zwischen Carter und Reagan zu ihrem Thema machen sollten. Es gab einen mutmaßlichen Wähler-Block von einem Drittel evangelikaler wahlberechtigter Bürger/innen. In der begleitenden Berichterstattung zum Wahlkampf 1980 wurde viel gemutmaßt, diese Stimmen könnten zum wahlentscheidenden Faktor werden. 217 CBS, EN – Sunday, Aug. 1, 1976 – Organized Religion / Campaign / Bicentennial.
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de in solchen Berichten zu jener Führungsfigur stilisiert, die Amerika zurück zum Glauben, zurück ins eigene gelobte Land führen sollte. Neben den oben beschriebenen Tugenden aus dem Arsenal der Virilität, sollte dieses zweite Charakteristikum seiner Persönlichkeit, in dem er als ein religiöser Führungskopf erschien, nicht so bald aus dem Fokus der Nachrichten geraten und ihn durch die ersten eineinhalb Jahre seiner Amtsführung bringen. Berichte wie der skizzierte und viele weitere, die diesem 1976 und 1977 folgten und sich mit der Rückkehr der Religion und Jimmy Carters Rolle darin beschäftigten, verwoben ihn als religiöse Leitfigur mit der kulturellen Ordnung. Gleichzeitig heftete dieser Idealtyp einer religiösen Führungsfigur Präsidentschaft an ein moralisches Feld eines bestimmten evangelikalen Zuschnittes, mit Erwartungen auf eine Überblendung von Kirche und Staat. Die damit verbundene Erwartungshaltung evangelikaler US-Amerikaner/innen sollte in der zweiten Hälfte von Carters Amtszeit zur offenen Flanke werden. Präsident Carter sollte sich dann dem Vorwurf politisch-moralischer Inkohärenz ausgesetzt sehen, was nicht nur von der zunehmend sichtbaren Schar an evangelikalen Polit-Predigern gegen Ende der 1970er Jahre immer wieder angeprangert wurde, sondern auch von Seiten der MainstreamMedien Verbreitung fand. Im CBS-Bericht vom 1. August 1976 zeichnete man Carter jedoch noch als kohärent und integer in seinem Glauben. Er wurde beim Abschied von den sonntäglichen Kirchgängern gezeigt, denen er zurief, sie sollten am nächsten Sonntag alle wieder in ihre Kirchen gehen. Nach einem Schwenk durch eine singende Gemeinde erklärte Reporter Shepard, egal ob die Amerikaner in ihre Kirchen gingen oder nicht, eine aktuelle Gallup-Umfrage zeige, dass doppelt so viele wie noch vor einigen Jahren glaubten, der Einfluss von Religion sei im Land gestiegen.218 Mit einer interessanten Theorie zur Rückkehr der Religion durfte sich Religionsexperte No218 An dieser Stelle ist etwas angedeutet, das auch in der aktuellen Auseinandersetzung in der deutschsprachigen Debatte um die Rückkehr der Religion immer wieder eine Rolle spielt – nämlich die Frage, ob man an rückläufigen Kirchgängen einen Rückgang an Religiosität ablesen kann, oder ob es eine Transformationen von Glaubensdiskursen durch die medialen Landschaften gibt, die ebenso wenig mit einem quantitativen Raster wie mit einer qualitativen (bzw. normativen) Perspektive zu begreifen sind. Für die Verwobenheit von Religion(en) mit der soziokulturellen Ordnung braucht es mediengeschichtliche Einordnungen, die diskurstheoretisch reflektieren können, wo und wie sich Glaube in der Gesellschaft materialisiert. Daher werden auch in der vorliegenden Arbeit zum einen die medialen Wechselwirkungen von evangelikalen Medien- und Aussagensystemen mit den Nachrichtenproduzenten der Mainstream-Sender analysiert, zum anderen werden bestimmte spezifische Medienformen betrachtet: Gottesdienst, Universität, Predigerfigur, die jeweils ohne das Fernsehen in ihrer zeitgeschichtlichen Erscheinung nicht denkbar gewesen wären.
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vak in der CBS noch einmal zu Wort melden. Er hatte sich etwas ausgedacht, worüber sich Religion und Nationalismus friedlich verkoppeln ließ. Er erklärte nämlich, das zweihundertjährige Jubiläum der Nation 1976 könne etwas mit diesem religiösen Erwachen der Gegenwart zu tun haben. Jede Familie, die ihre Familiengeschichte rekonstruieren wolle, blicke zurück, um ihre Wurzeln zu finden, ob sie Baptisten, Methodisten, Lutheraner, Katholiken oder Juden seien, alle täten dies, so Nowak. Nun habe man mit neuen Herausforderungen zu kämpfen, sowohl zuhause als auch in der Außenpolitik, und bevor man sich diesen Herausforderungen stellen könne, müsse man aus der Vergangenheit Kraft schöpfen, herausfinden, woher man gekommen und wo man überall gewesen sei, so die Erklärung des Religionsfachmanns. CBS ließ den Bericht im Gegensatz dazu mit der Feststellung abmoderieren, die Amerikaner/innen seien nicht plötzlich gottesfürchtiger geworden als sie es zehn Jahre zuvor gewesen seien, was sich aber geändert habe, sei die Bereitschaft zusammenzukommen und sich zu organisieren, um herauszufinden, wohin das Land steuern solle.219 In diesem Setting war es eine gläubige Mehrheit, die sich vom Glauben führen lassen wollte und die nun lediglich noch einer politisch-religiösen Führung bedurfte. Genau für diesen Zusammenhang hatte der Präsidentschaftskandidat Carter im Zentrum des Berichtes gestanden. Die Frage nach Führung, die sich gegen Ende der Nixon-Zeit ganz vehement gestellt hatte, war auf religiösem und politischem Terrain in den Mainstream-News klar abzulesen: Carter sollte das als religiös-moralischer Mann übernehmen. * Im Januar 1977 startete Carters Amtsperiode mit einer Debatte über die Wahlmodalitäten der Präsidentenkür durch das „Electoral College“. Frank Reynolds berichtete für die ABC aus Washington, dass Carter 40 Millionen, Ford 38 Millionen Stimmen bekommen habe. Allerdings hätten knapp zehntausend Wähler in Ohio und Hawaii mehr für Ford gestimmt, wäre letzterer nun Sieger, erklärte Reynolds mit ernster Miene vor dem Stufen des Kapitols stehend. Die Atmosphäre sei angespannt gewesen, der Puls sei bei allen Beteiligten rasant angestiegen als im Parlament das Ergebnis des Wahlmännerkreises verkündet worden sei, so im ABC-Bericht zu den Ereignissen um die Präsidentschaftswahl 1976.220 Im Verlaufe des Jahres 1977 schien sich die Führungsfigur Jimmy Carter in unterschiedliche Richtungen zu entwickeln und zu verschieben. Religion spielte weiterhin eine wichtige Rolle in der Architektur der Führungsfigur des Präsidenten. Aber Religion wurde auch zum Fluchtpunkt politischer Zusammenhänge, wo es gar 219 CBS, EN – Sunday, Aug. 1, 1976 – Organized Religion / Campaign / Bicentennial. 220 ABC, EN – Thursday, Jan. 6, 1977 – Electoral Process.
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nicht unmittelbar um Carters Person und seinen persönlichen Glauben ging. So berichtete Harry Reasoner für die ABC Mitte November 1977 von einer ganz erstaunlichen Entwicklung auf dem Zeitschriftenmarkt. In der Meldung zeigte sich Skandalverleger Larry Flint geläutert und kündigte an, sein Porno-Magazin Hustler von einem Sexmagazin in ein Heft konvertieren zu wollen, das der Religion gewidmet sei. Jimmy Carters Schwester Ruth habe ihn zu diesem Schritt inspiriert, erklärte Reporter Reasoner, ohne eine Miene zu verziehen, angesichts der Skurrilität jener Meldung. Im Bildhintergrund der Nachrichtensendung stand „New Image“, darunter war eine Ausgabe des Porno-Magazins zu sehen, bei der der eigentliche Titel „Hustler“ durchkreuzt war.221 Religion hatte Carters Führung von Beginn an mit der politischen Welle jener Zeit verschränkt. Daneben wurde Carter auch 1977 weiterhin als Führungsmann, als viriler Führungskörper in der Presse präsentiert. Doch war es zuvor eine bestimmte Form von Männlichkeit, für die er zu Beginn seines nationalpolitischen Engagements gelobt und bewundert worden war, waren es Zuschreibungen wie Arbeitswut, Stringenz, Konsequenz im Handeln, die seine Anwartschaft 1975 und 1976 dem ersten Anschein nach auf Dauer gestellt hatten, dienten ab Ende 1977 gerade diese Ideale als Ansatzpunkte für zunehmend kritische Berichterstattung über seine Rolle als Präsident in Washington und der Welt. Nachdem John Chancellor für die NBC bereits in einem „Segment 3“-Bericht die Geschichte des gerade abgelaufenen SALT-Rüstungsabkommens mit der UdSSR als eine unrühmliche Verkettung von Unsicherheiten und Schwäche seitens der USA aufgerollt hatte, wurde auch die Führungsqualität Carters zur Zielscheibe innen- wie außenpolitischer Bedenken.222 Bereits im Herbst 1977 flackerten gehäuft Zweifel über die Fernsehschirme, ob Carter die Vereinigten Staaten überhaupt so konsequent und stringent führen könne oder wolle, wie er die Regierung des Bundesstaates Georgia anscheinend zu führen in der Lage gewesen war. In Sonderberichten zum „Manager Jimmy Carter“ wurde seit Ende November 1977 die Kapazität des Präsidenten als nationalem Führer von der NBC in Frage gestellt. Im Wahlkampf habe er seine Qualitäten als Manager betont, leitete NBCAnchorman Chancellor den ersten der beiden Berichte zu Carters Führungsqualitäten ein. Nun gebe es einige, die der Ansicht waren, er manage nichts gut genug, ließ der Journalist andere für sich sprechen. Der folgende Bericht begann mit Carters Sicherheitsberater Brzezinski, der bei seinem Gang durchs Weiße Haus gezeigt wurde. Als er am Oval Office vorbeiging, erklärte Reporter John Hart, dieser Raum sei meist leer. Der Plot des Berichts führte durch eine Szene von Berater- und Mitarbeiter/inne/n im Weißen Haus, die alle sagten, dass ihr direkter Vorgesetzter der 221 ABC, EN – Monday, Nov. 21, 1977 – Other News: Mercoury wins; Flynt Conversation; FBI; KKK. 222 NBC, EN – Monday, Oct. 3, 1977 – Segment 3 (Salt: Where We Stand).
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Präsident sei. Die Leute wirkten merkwürdig gelassen, und im Bericht wurde diese Aneinanderreihung präsentiert, als wüssten sie aufgrund der lockeren Atmosphäre am Sitz des Staatsoberhauptes nicht so genau, was sie im Weißen Haus überhaupt zu schaffen hätten. Die vier engsten Berater des Präsidenten wurden vorgestellt. Sämtliche Mitglieder dieses machtvollen Quartetts – bis hinab zu einem 26-jährigen Mitarbeiter, der Post für Carter sortierte und den Zufluss der Papiere in Richtung des präsidentiellen Schreibtisches kontrollierte – hatten dieser flachen Hierarchie zufolge ausschließlich den Präsidenten zum Boss. Nur manche Mitarbeiter mussten sich einen Termin geben lassen, andere konnten stets „einfach so“ bei Carter vorbei schauen, erklärte die Reporterstimme John Harts die gespenstische Führungslosigkeit im Gebäude. Der Journalist merkte lakonisch an, dass Carters Kritiker meinten, allein die Menge an dreißig Stunden Lesestoff Memoranden pro Woche führe dazu, dass der Präsident sich in Details verliere. Sie meinten: „If he did less reading, he could do better leading!“ Die weitere Bebilderung der Reportage zeigte einen Mann, der im Film hinter Carter das Büro verließ. Die Sprecherstimme kommentierte, er heiße Tim Kraft und sei jener Mann, der die Termine des Präsidenten mache. Gefragt, wer den Verkehr all derer kontrolliere, die ein Treffen, sein Ohr oder gar eine Entscheidung vom Chef haben wollten, sagte der Vize-Präsident Mondale, es sei der Präsident selbst, der dies kanalisiere. Der Bericht fuhr fort mit einer Darstellung, die dem Nachrichtenpublikum offenbarte, dass der Präsident nur eine einzige Sitzung pro Woche mit seiner Regierungsmannschaft abhalte, die Truppe sich also hauptsächlich selbst führe. Seine Führungsleute sagten, jeder wisse, was zu tun sei, es gebe einen gemeinsamen Sinn für die Dinge, die erledigt werden müssten. Der Präsident verwende daher nicht viel Zeit darauf, jedem zu erklären, was getan werden müsse, so die Eigenevaluation aus dem Regierungsstab, den die journalistische Erzählung dem Fernsehpublikum mit skeptischem Unterton präsentierte. Walter Mondale erschien im Bild und erklärte, Demokratie sei nicht lebendig, wenn ihr eine einzige Person ständig von oben einen Stempel aufdrücke. Es sei eher eine „loose and gooey“ Geschichte, ein „floaten“ von Ideen, so die Idee des VizePräsidenten vom Führungsstil seines Bosses. Reporter Hart erklärte vor dem Weißen Haus stehend, das in dem Bericht dargestellte Chaos der Regierungsmannschaft mit den Worten: „The problem is that a number of people in congress think, it is too loose and too gooey to allow the president clear leadership and to avoid mistakes.“ Frank Moor aus der Carter-Führungsmannschaft wurde am Ende des Berichtes eingeblendet und bekannte, es laufe nicht immer alles perfekt, es spiele sich zu viel ab und es seien zu viele Entscheidungen zu treffen, sodass schon mal etwas durchs Raster rutsche.223 Was da alles bereits durchgerutscht sei, wolle man sich im folgenden Bericht anschauen, versprach Hart dem NBC-Publikum. 223 NBC, EN – Monday, Nov. 28, 1977 – Segment 3 (Manager Jimmy Carter).
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Und so begann der folgende Bericht der Serie auch mit der Feststellung Chancellors, wenn die Carter-Mannschaft einen Fehler mache, würden sie das zugeben. Reporter John Hart begann seinen Bericht mit einem Besuch des Präsidenten in der Süd-Bronx und stellte heraus, die Kommunikation im Regierungslager funktioniere so wenig, dass sogar der demokratische Abgeordnete nichts von der Visite Carters in seinem Bezirk mitbekommen habe. So sei der Mann um die Chance gebracht worden, öffentlichkeitswirksame Bilder mit dem Staatsoberhaupt in seinem Distrikt zu bekommen.224 Ein guter Tag für die Süd-Bronx, ein lausiger für den Kongressabgeordneten, kommentierte Hart. Die Administration sei so lax organisiert, dass Frank Moor, der eigentlich für die Beziehungen zwischen Kongress und Weißem Haus zuständig sei, selbst nichts von Carters Besuch in der Süd-Bronx gewusst habe. Dinge wie diese hätten sich bereits zuvor abgespielt und seien Teil jener Hintergrundmusik, die Hamilton Jordan aus dem Stab Carters in seinem Büro laufen ließ, polemisierte der Bericht weiter. Dazu wurde der sich zu lauter klassische Musik, locker auf seinem Stuhl hin und her wiegende junge Politiker Jordan gezeigt, sodass nicht der Eindruck entstehen konnte, hier werde gewissenhaft an den Problemen des Landes gearbeitet. Es schienen nicht einmal die Probleme der Administration in den Vordergrund zu treten. Jordan erklärte hingegen unaufgeregt, es sei an der Pennsylvania Avenue (im Kapitol) schick geworden, mit dem Zeigefinger auf das Weiße Haus zu deuten. Mitarbeiter Jody Powell wurde eingeblendet, der amüsiert erklärte, in Anbetracht von Gefahren wie einem nuklearen Holocaust im Mittleren Osten oder einem „Rassenkrieg“ in Südafrika und der wachsenden Energiekrise solle man einen Fehler im Informationsfluss, der einen Abgeordneten über einen Präsidentenbesuch in der Süd-Bronx im Dunkeln gelassen habe, nicht zum wichtigsten gegenwärtigen Problem stilisieren. Reporter Hart kommentierte, wenn man sich dem Mittleren Osten zuwende, verändere sich das schiefe Bild der Regierung nicht. Es wurden Zeitungsschlagzeilen eingeblendet, in denen zu lesen war, Russen und Amerikaner hätten am 1. Oktober zum ersten Mal bekundet, sie wollten in der Region gemeinsame Interessen vertreten. Diese wichtige Nachricht habe Juden schockiert, die fürchte224 An dieser Stelle zeigt sich mediale Selbstbespiegelung. Der Kongressabgeordnete aus New York hätte zugegen sein sollen, so die Forderung, um mediale Aufmerksamkeit durch die örtlichen Präsenz des Führungskörpers zu gewinnen, indem er ein Bild mit sich und Carter in den Medien hätte platzieren können – Schulter an Schulter mit dem Präsidenten, die drängende Fragen des Problemstadtteils im Visier. Dies war eine neue Qualität von politischer Repräsentationsforderung, die besonders häufig im Fernsehen auftauchte. Hatten auch die Zeitungen der 1960er und 1970er Jahre solch eine Autopoiesis vorzuweisen, kam mit der breiten Rezeption von visualisierten Nachrichten im TV eine weitere Ebene dazu, auf der Präsenz in den Bildern zum Anforderungsprofil wurde.
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ten, dies bevorteile arabische Ansprüche. Die Israelis seien darauf nicht gefasst gewesen, so die Anklage des Reporters weiter, weil die Leute im Weißen Haus, die sie hätten vorbereiten sollen, davon selbst nichts gewusst hatten. Wieder wurde Hamilton Jordan mit dramatischer klassischer Musik im Rücken eingeblendet, der sagte, es sei nicht so wesentlich, ob er informiert gewesen sei oder nicht, auch die anderen hätten davon aus der Zeitung erfahren. Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski führte im Bericht eine staatsphilosophische Erkenntnis aus, die ihm in den vergangenen Monaten gekommen war. Diese lautete, jede politische Handlung stehe im Zusammenhang mit allem und fast jede außenpolitische Aktion sei auch mit innenpolitischen Wirkungen verwoben. Man habe sich entschieden, erklärte Walter Mondale, obwohl großer Druck auf dem Präsidenten laste und es manchmal wie Anarchie aussehen könne, beim „offenen Entscheidungsprozess“ zu bleiben. Dies sei allemal besser als einen Präsidenten zu haben, der nur noch höre, was er hören wolle, so der Vize-Präsident. Dem abschließenden Kommentar des Reporters konnte das Fernsehpublikum Ende 1977 entnehmen, dass die politische Architektur des Weißen Hauses, wie sie im NBC-Bericht vorgeführt worden war, einer Gewissensethik anhänge und, wie der Präsident selbst auch, nach seinen guten Absichten, nicht nach seinen effektiven Handlungen beurteilt werden wolle. Hart resümierte in diesem Sinne: „What this White House wants is to be judged by is its best intentions, not by its bad days.“225 In einer weiteren Welle häuften sich ab Mitte 1978 Berichte, in denen Jimmy Carter als unsicher oder zu nachgiebig in Erscheinung trat. Katalysiert wurde das Bild der Schwäche des bis dahin immer noch gelegentlich als glaubensfest und zielstrebig portraitierten Mannes nun wiederum in Berichten zum Verhältnis der Vereinigten Staaten zur UdSSR. In einem ABC-Beitrag vom Juni 1978 wurden gleich mehrere solcher Schwachstellen offenbart.226 Es war eine Abhörvorrichtung in der amerikanischen Botschaft in Moskau gefunden worden, die in einem geheimen Gang versteckt war. Über die Wanze hatten sich die Sowjets geheime USInformationen erschlichen. Außerdem wurde der spektakuläre Fall eines verwanzten Emblems, ein Geschenk „der Russen“ gezeigt und betont, dass solche Dinge immer dann vorkämen, wenn die USA und die Sowjetunion mit harten Bandagen kämpften. Doch die beschriebenen Ungereimtheiten reichten nicht aus, eine kleine Führungskrise auszulösen. Carter selbst war erbost vor die Presse getreten und hatte einen Bericht der Washington Post als haltlos zurückgewiesen, nach welchem die Regierung die Abrüstungsverhandlungen mit der UdSSR als Folge der Vorgänge hätte einfrieren müssen. Der Präsident versuchte selbst, seinem Image als unentschlossen und „zu soft“ im Umgang mit den Sowjets zu begegnen, indem er mit neuer Entschiedenheit 225 NBC, EN – Tuesday Nov. 29, 1977 – Segment 3 (Manager Jimmy Carter). 226 ABC, EN – Friday, Jun. 2, 1978 – US-USSR Relations.
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Menschenrechtsverletzungen an Oppositionellen in der UdSSR anprangerte. Die Begehrlichkeiten in Afrika von Seiten Kubas und der UdSSR seien zunächst wohlwollend zur Kenntnis genommen worden, so der Bericht weiter, jetzt würden sie aber mit wachsendem Misstrauen von der US-Regierung beäugt und verurteilt. Der sowjetische Außenminister Gromyko habe bei seinem Besuch im Weißen Haus vor kurzem eine strenge Lektion zu diesem Thema von Präsident Carter selbst erhalten. Reporter Ted Koppel fasste die Ereignisse zusammen, indem er festhielt, der neue harte Ton Washingtons gegenüber der Sowjetunion habe für das Waffenabkommen mit der UdSSR Konsequenzen. Nun habe die Abrüstungsvereinbarung genau zwei Chancen im Parlament: in einer „ganz mickrigen Version“ verabschiedet zu werden oder gar nicht, so der polemische Kommentar des Journalisten.227 In einem Kommentar zu Carters Auftritt beim Bonner Wirtschaftsgipfel im Juli 1978 verdichtete ABC-Reporter Howard K. Smith die Beschreibung der Schwäche, die Carter angeblich auf der Weltbühne abgab. Ohne Fortune und Rückhalt im eigenen Lager war der Präsident demzufolge nicht mehr in der Lage, die USamerikanische Nation und die Interessen „der freien Welt“ zu vertreten: „No president has ever gone to an international summit in the weak condition of Mr. Carter now in Bonn. Much of the weakness derives from his own inconstant record as president, but in fairness some of it is sabotage by fellow officials who should be doing their outmost to strengthen him in international talks. For example, the world’s main complain about us is our huge trade deficit, weakening the Dollar, which as the world’s basic trading currency hampers world trade, and economic recovery and could lead to a depression. Most of that deficit has come from enormous wasteful imports of foreign oil. Since Carters energy bill to cut those imports and stabilize the Dollar is stagnant in congress he had hoped to tell his colleagues in Bonn that he would cut imports and stabilize the Dollar by executive ordered quotas. But then – the other day – Senator Dole introduced an amendment depriving him of that executive power and sending him to Bonn defenseless. There upon another blow to the subtle, but vital factor of his prestige: his own new ambassador – reacting to the political trial in Russia – said there were thousands of such political prisoners in the United States. In effect he justified Russia’s obscenities and made Carter, the champion of human rights, look like a fool.“228
Carter hatte nicht nur die eigene Schwäche in seinen internationalen Auftritt getragen, er war auch nicht mehr in der Lage, die nationalen Politiker hinter sich zu bringen. Die „Schwäche“ der Präsidentenfigur, ihr Mangel an Charisma nach außen wie innen, wurden in der zweiten Hälfte des Jahres 1978 immer häufiger von den Nachrichten als bedrohlich für die USA zuhause und in der Welt beschrieben. Doch zu Beginn des Jahres 1979 gab es bereits wieder Hoffnung in den Nachrichten für 227 ABC, EN – Friday, Jun. 2, 1978 – US-USSR Relations. 228 ABC, EN – Friday Jul. 14, 1978 – Commentary (Carter and Economy Summit).
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den in Bedrängnis geratenen Präsidenten. Für die ABC berichtete Frank Reynolds Anfang Januar, Carters Umfragewerte seien bereits seit Ende 1978 wieder gestiegen, ganz immens jedoch nach der erfolgreichen Vermittlung des Friedenabkommens zwischen Israel und Ägypten in Camp David.229 Die folgende Nachricht widmete sich einem Treffen, das im Gegensatz dazu keine alten Feinde zusammenbringen, sondern alte Freunde zusammenhalten sollte, wie Reynolds formulierte. Auf Guadeloupe trafen sich die Staatsführer der wichtigsten vier führenden westlichen Nationen, Helmut Schmidt, James Callaghan, Valéry Giscard d’Estaing und Jimmy Carter. Sie zeigten sich äußerst schweigsam gegenüber der Presse, zumindest was die politischen Fragen in ihren Gesprächen anbetraf. Carter wurde im Bericht allerdings einmal mehr als lockerer Gastgeber portraitiert, der sich selbst rühmte, seine Hausaufgaben ordentlich gemacht zu haben. Dem Nachrichtenpublikum wurde der Präsident beim Dozieren vorgeführt als er seinen Gästen erläuterte, das Haus, in dem er mit seinen Gästen gegessen hatte, sei vor 100 Jahren aus Louisiana hergebracht worden. Eine Armee von Reportern versuchte herauszufinden, welche Vereinbarungen nun von diesem Treffen zu publizieren seien. Reporter Sam Donalds schloss den Bericht, indem er sagte, es scheine ein sehr ergiebiges Meeting gewesen zu sein, aber davon wüssten letztlich nur die vier Männer etwas, aus denen sei bislang nichts herauszubekommen gewesen.230 Neben dem Umstand, dass die Verweigerung der Presse gegenüber noch einer alten medialen Ordnung angehörte, war für die Folie moralischer Führung an den Fernsehbeschreibungen auffällig, dass Carter trotz dieser Haltung im Zuge von solchen Berichten, wie dem über das Treffen der Staatsmänner in Guadeloupe, zu Beginn 1979 wieder Boden gut zu machen schien. Er wurde wieder als unverkrampfte Leitfigur dargestellt, die gewissenhaft, manchmal zu verschlossen, aber zielstrebig Anliegen verfolgte und Ergebnisse produzierte. Allerdings war dieses spezielle Männlichkeitsterrain, auf dem er 1979 nicht mehr derart derangiert gezeichnet wurde wie noch im letzten Halbjahr des Vorjahres lediglich eine mögliche Seite des moral leader. Der Zusammenhang von Männlichkeit und Religion schien andererseits auch auf außenpolitischem Terrain bereits von evangelikalen Deutungen affiziert. So bedeutete ein immenser Erfolg auf dem diplomatischen Feld, wie der Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten, nicht zwingend einen durchschlagenden Zugewinn an moralischer Männlichkeit in der Führung. 229 Gerade die Vermittlung zwischen Israel und einem seiner Gegner war eine liberale Version eines evangelikalen Themas, nämlich der Garantie des Existenzrechtes jenes Staates, aus dem sich die jüdisch-christliche Tradition ableitete. Der Erfolg im Friedensabkommen verwies mittelbar auf „toughness“ und männliche Führung in der moralischnationalen Tradition und rückte Carter zunächst ein Stück zurück ins Feld der moral leadership. 230 ABC, EN – Friday, Jan. 5, 1979 – Carter / Popularity / Guadeloupe Summit.
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Die zunehmend sichtbare religiöse Rechte erklärte in ihren apokalyptischen Projektionen auf Israel und die judeo-christliche Tradition Carters Bemühung um Frieden für Verrat. Im evangelikalen Geschichtsbild hatten Christen im zwangsläufig herannahenden Entscheidungskampf, der nach der Endzeit anstand, Seite an Seite mit den Israeliten den Feinden unversöhnlich gegenüberzustehen. Aus dieser Weltsicht betrachtet waren solche Friedensverträge Teufelszeug. Entsprechend solcher Halb-Erfolge auf dem Feld moralischer Männlichkeit, das sich im Verlaufe des Jahres 1979 mit einer Fülle von Auftritten einer wachsenden Schar politischer Prediger in der Öffentlichkeit und schließlich mit der Gründung der Moral Majority immer mehr auf einen bestimmten evangelikalen Moralbegriff verengte, wurde auch das außenpolitisch kurzzeitig aufpolierte Bild des Präsidenten im Feld der Führung wieder als zerrüttet dargestellt. Auch sein kurzer Höhenflug in den Umfragen schien bald wieder gestoppt. Verschiedene Reportagen und Nachrichten widmeten sich im Jahresverlauf wieder einer im Ansehen ramponierten Führungsgestalt. So wurde in einem CBS-Bericht geschildert, dass eine Anweisung an die Demokraten im Parlament ergangen sei, sie sollten bei den Sitzungen des Repräsentantenhauses die Redebeiträge mit einer lobenden Message über eine Tat des Präsidenten eröffnen, um dem „SAGGING IMAGE“, so der hervorgehobene Begriff aus dem internen Dokument, das im Nachrichtenbild erschien, des Präsidenten zu begegnen.231 Im Juni 1979 berichtete Reynolds für die ABC, dass die schlechte Wirtschaftslage und die Energiekrise sich unübersehbar auf die politische Fortune Carters auswirkten. Es wurde von einem Umfrageergebnis im Kongress berichtet, demzufolge so viele Abgeordnete der Demokraten und Republikaner wie bislang nur einmal zuvor in der Geschichte der Präsidentschaftsanwärter sagten, sie könnten nicht für den amtierenden Präsidenten stimmen.232 Das Sezieren des präsidentiellen Körpers in den Nachrichten hatte Mitte 1979 unweigerlich begonnen. Es gab keinen Raum mehr, aus dem heraus eine Wiedergeburt Carters als moral leader vorstellbar erschien. Das Berichtskostüm stand fest. Der Präsident musste selbst die Schwäche, einen Mangel in seiner Führung konzedieren. Diese Krise zentrierte Carter als Persönlichkeit aber nicht, wie die soziokulturelle Krisenproklamation ihre Subjekte in hegemonialer Manier. Carter steckte im Korsett des Fremdkörpers in einer Medienkultur, die sich gewandelt hatte. Er beherrschte die mediale Berichterstattung nicht, so als hätte sich das kulturelle Feld des Politischen unter seinen Füßen verschoben. Er wirkte wie ein Fehler im System, passte nicht mehr in den Fernsehzuschnitt der moral leadership. Selbst liberale Journalisten konnten und wollten ihm weder Moral noch Männlichkeit attestieren.
231 CBS, EN – Friday, Mar. 9, 1979 – Strauss. 232 ABC, EN – Thursday, Jun. 28, 1979 – Carter / Poll Results.
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„My fellow citizens, men and women of the press …“, begann Carter eine Pressekonferenz, zu der am 25. Juli 1979 Pressevertreter/innen der Washingtoner Szene, aber auch ausnahmsweise Presseleute von außerhalb der Hauptstadt ins Weiße Haus eingeladen worden waren. Diese Pressekonferenz war der Ort, an dem der hilflose Versuch gestartet werden sollte, das Heft wieder in die Hand zu bekommen. ABC-Reporter Max Robinson erklärte, Carter wolle erst eine Rede halten, soweit man das den Ankündigungen habe entnehmen können, wie der Journalist einschränkend hinzufügte, was der präsidentiellen Kommunikation implizit Defizite attestierte.233 Die CBS übertrug in einem „Special Report“ die Veranstaltung ebenfalls in voller Länge.234 An dieser Stelle erklärte Bruce Morton, der Präsident habe die Presse zum ersten Mal in den Ostflügel des Weißen Hauses geladen und es sei außerdem die erste Pressekonferenz seit über 2 Monaten. Auch hier war die Kritik des Journalisten an der Informationspolitik des Weißen Hauses kaum zu überhören. Das einleitende Statement Carters war ein Versuch für seine EnergieGesetzesvorlage zu werben und darin Führungskompetenz zu beweisen. Bereits vor zehn Tagen habe er sich an die Öffentlichkeit gewandt, habe über seine Sorge um die Zukunft des Landes gesprochen und über eine: „Crisis of the American Spirit.“ Diese sei genauso real, so der Präsident weiter, wie die Probleme, denen man entgegenblicke: Energieknappheit oder Inflation. Man könne das alles überwinden, wie es schon so oft in der Vergangenheit geschehen sei, wenn man für eine gemeinsame Sache kämpfe, versuchte der Präsident seine Hörer/inne/n in einem nicht gerade aufrüttelnden Rededuktus zu ermutigen. Dann kam er zu dem Projekt, das er bewerben wollte und bei dessen Durchsetzung er im Parlament sogar in den Reihen der eigenen Partei viel Widerstand zu erwarten hatte: Eine Kontrolle der Energiepolitik. Man müsse die gefährliche Abhängigkeit von ausländischem Erdöl überwinden. Viele Millionen Amerikaner stimmten mit ihm überein, zog sich Carter Schritt um Schritt aus der exponierten und gleichzeitig in den Medien vehement eingeforderten Rolle der Führungsfigur zurück, dass man den Pessimismus überwinden müsse, auch wenn man den Glauben an die Regierung und andere Institutionen verloren habe. Mit Patriotismus und harter Arbeit könnten die Amerikaner gemeinsam vorankommen, so Carters Appell. 233 Diese Aussage steht symptomatisch für viele solcher Statements von Journalist/inn/en, die immer wieder den Informationsfluss aus dem Weißen Haus und der Regierungsmannschaft in Richtung Presse beklagten oder in solchen Anmoderationen beiläufig durchblicken ließen, dass die Dinge, die aus Regierungsrichtung kamen, unwägbar seien. ABC, Special Report – Wednesday, Jul. 25, 1979 – Carter Press Conference (Introduction). 234 Die folgenden Zitate und Informationen zur Pressekonferenz sind dem CBS, Special Report zur Pressekonferenz entnommen: CBS, SR – Wednesday, Jul. 25, 1979 – Carter Press Conference.
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Nach diesem Versuch einer Emotionalisierung der nationalen Zusammengehörigkeit, kam der Präsident auf die Umbildung seiner Regierungsmannschaft zu sprechen, die er in den Tagen vor der Pressekonferenz vorgenommen hatte. Er habe nun zügig ein Team gebildet, das mit ihm zusammenarbeiten werde, betonte er. Das Team werde Einigkeit an den Tag legen und mit Zutrauen erfüllt sein, ein Team das sich kämpferisch, „in good fighting shape“ erweisen werde, um die Probleme anzugehen. Gleichzeitig habe er dem Kongress ein ambitioniertes Programm vorgeschlagen, um die amerikanische Erfindungskraft zu befördern und die Energiesicherheit zu gewährleisten. Dies koste viel Geld und könne nur durch eine Besteuerung von Profiten finanziert werden, die Ölkonzerne erzielten, aber eigentlich nicht verdient hätten. Die Mehrheit der Amerikaner befürworte eine solche Steuer, im Repräsentantenhaus gebe es Zustimmung und diese Maßnahme lasse immer noch genug Spielraum für die Ölkonzerne, die Ölgewinnung hier im eigenen Lande voranzutreiben, stellte Carter seinen ambitionierten Plan in denkbar passiver Körperhaltung vor. Nun sei es am Senat, den Weg dafür frei zu machen. Wenn die „Windfall Profits Bill“ nicht verabschiedet werde, könne man die Ziele der Energiepolitik nicht erreichen. Als Präsident werde er alles in seiner Macht stehende dafür tun, da er es für entscheidend für die Zukunft der Nation halte, erklärte Carter mit ernster Miene. Und weil das Parlament, anders als die Nachrichten es zu Zeiten Nixons beschrieben hatten, anscheinend wieder stark aus seiner Krise gekommen war und wieder die Stärke besaß zu blockieren, die es unter bereits Kennedy genutzt hatte, bat der Präsident in seiner Pressekonferenz die Bürger/innen fast flehend um Hilfe: „I need your help, I need the help of the people of America, this is a democracy, your voice can be heard, your voice will be heard, your voice must be heard!“ So lautete der eindringliche Apell des Präsidenten an sein Volk. Und er fügte hinzu, alle, die an die Zukunft des Landes glaubten, die daran glaubten, dass die Gesetzesvorlage zur Energie verabschiedet werden müsse, sollten sich an den Kongress wenden und speziell an den US-Senat mit der Bitte, dass die Kammer die für eine Energiesicherheit der Zukunft so wichtige Vorlage beschließe. Es sei ein gewaltiger Schritt auf dem anstrengenden Weg, das Land wieder zusammen zu bringen: „to restore our spirit – the spirit of America and our confidence, our confidence as people in the future of our great country.“235 Nachdem die innenpolitischen Fronten gerade in so flehenden Aufrufen an sein Volk nicht mehr zu seinen Gunsten aufgebrochen werden konnten, Carter den Resonanzraum moralischer Führung in diesem Feld anscheinend endgültig eingebüßt hatte, waren Berichte über die Außenpolitik das letzte Terrain, auf dem der Präsident in den Nachrichten nicht ausschließlich als Problemfigur erschien. Doch dies änderte sich wenige Monate darauf, als Nachrichten aus Persien über die Bild235 CBS, SR – Wednesday, Jul. 25, 1979 – Carter Press Conference.
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schirme der US-Fernseher flimmerten. Ab dem 4. November 1979 schien Carter von Ereignissen ferngesteuert, die sich im Iran abspielten. Dort waren 52 Diplomaten und Angestellte der US-Botschaft als Geiseln genommen worden. Die Geiselnahme, welche im Zuge der „Islamischen Revolution“ erfolgte, ging einher mit der Forderung einer Auslieferung des Schahs, der sich in den Vereinigten Staaten im Exil befand. Von der Unfähigkeit der Carter-Administration etwas für die gefangen gehaltenen US-Bürger/innen zu tun, berichteten die TV-Nachrichten immer wieder. Vom Beginn der Geiselnahme in der Botschaft in Teheran über die missglückte Aktion zur Befreiung „Operation Eagle Claw“, die in der Medienlandschaft spöttisch als „Operation Rice Bowl“ verhöhnt wurde, bis tief in die mediale Konturierung der Ereignisse nach dem Fehlschlag der Befreiung, wurde das unorganisierte Agieren zum Beweis fehlender Führung stilisiert. Ein weiterer außenpolitischer Beleg für Carters Schwäche als Repräsentant der USA und seine lahme Handlungsagilität gesellte sich knappe eineinhalb Monate später zu den Ereignissen in Teheran. Es war der Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan, der neben dem Geiseldrama in Persien den zweiten Ansatz einer Konfrontation mit der Sowjetunion geboten hätte. Auch darüber berichteten alle Sender mit einer Flut von Anklagen, in denen Journalisten meinten, der Präsident sei im entscheidenden Moment „nicht auf der Brücke“ gewesen. Nach den Berichten über die Außenpolitik an der Wende der Jahrzehnte kam Carter auch nicht mehr aus dem medialen Licht des Schwächlings heraus. Die hochbebilderte Medienlandschaft, aber insbesondere auch die gerade über die Fernsehberichterstattung verdichtete Forderung nach moral leadership – am Rednerpult und in den Pressekonferenzen – hatte sich im Rücken des demokratischen Präsidenten verschoben. Militärische Misserfolge in unterschiedlichen Weltregionen waren an den Führungskörper des Präsidenten geheftet worden. Der Trend wurde in den Fernsehlandschaften in Bildern und Kommentaren verstärkt. Seine Misserfolge wurden sogar dann zitiert, wenn die Nachrichten für Carter hätten sprechen können und eigentlich von Zustimmung zu seiner Führungsweise handelten. So nahm im März 1980 ein ABC-Bericht zu der Lage im iranischen Geiseldrama seinen Ausgangspunkt bei der Feststellung, die Einschätzung der Bevölkerung zu der außenpolitischen Performance des Präsidenten habe sich seit Beginn der Geisel-Krise im Iran gerade entscheidend zu seinen Gunsten gedreht.236 Allerdings sei genau das irreführend, wie man im folgenden Bericht sehen werde, verwies Reporter Max Robinson auf die Darstellung seines Kollegen im Fernsehbeitrag. Die 236 Die Charts, welche in der Sendung gezeigt wurden, wiesen für den Tag der Botschaftserstürmung durch die Geiselnehmer am 4. November eine Zustimmung von 32% zur Außenpolitik des Präsidenten aus – 55% seien nicht einverstanden. Vier Monate später hatten sich im März 1980 die beiden Zahlen nahezu gedreht – 52% Zustimmung und 37% Ablehnung.
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hohe Zustimmung könne eben arg über die wahre Problemlage um die Führungsfigur und ihre Handlungen hinweg täuschen, erklärte Dunsmore in journalistischer Richtigstellung, bevor in dem Beitrag alle kritischen Stimmen zu Carter aus Washington sowie den einzelnen Staaten zu Wort kommen durften. Ted Kennedy habe den Präsidenten dafür kritisiert, den Schah überhaupt ins Land gelassen zu haben, was viele Beobachter allerdings als ein Argument im innerparteilichen Poker um die Kandidatur abtaten, wie der Reporter noch einräumte. Aber dann habe auch George F. Kennan, einer der renommiertesten Sowjet-Experten das Geschick des Präsidenten im Umgang mit der Afghanistan-Krise bezweifelt und die Politik in einem Zeitungsartikel für fehlgeleitet erklärt.237 Die Zahl der Kritiker, die sich gegen die Politik des Präsidenten aussprächen, wüchse stetig. Während die Köpfe von Politikern aller Lager eingeblendet wurden, kommentierte der ABC-Reporter: „Some very different political bedfellows raised similar concerns!“ Der Nachrichtensender hatte diese unterschiedlichen „bedfellows“ selbst zu Interviews gebeten, sie ließen aber auch die Vertreter gegenteiliger Ansichten in Erscheinung treten. So bekannte der demokratische Senator und ehemalige Präsidentschaftskandidat George McGovern, er glaube nicht, dass es hilfreich sein könne, eine lokale Krise zu einer globalen Konfrontation zu stilisieren. Auch Senator Henry Jackson wurde gezeigt und sagte, seine größte Sorge sei das „born-again hawksyndrome“ – dies kennzeichne sich dadurch, dass man eine Weile schief gelegen habe und dann meine, eine Überreaktion an den Tag legen zu müssen. Schließlich hätten manche in der Regierung sogar schon von Krieg gesprochen, fügte der Senator besorgt hinzu. Weil auch die Europäer solche Ängste teilten, musste der Außenminister Cyrus Vance wichtigen Verbündeten einen Besuch abstatten, um sie davon zu überzeugen, dass die USA nicht überreagierten und ihre Politiklinie halten würden, so der Reporter über das ganze Ausmaß der diplomatischen Misere. Die Mitarbeiter des Präsidenten beklagten, er nehme die sowjetische Invasion in Afghanistan „zu persönlich“. Sie bangten um das Rüstungsabkommen SALT. Auch ein republikanischer Senator aus Utah, Jake Garn, kam zu Wort und durfte dem Fernsehpublikum zur Frage nach der Bedrohung nationaler Sicherheit durch die Politik Carters verkünden: „It’s just like most of his foreign policy since he has been in office: incredibly weak, naive and devastating!“
237 An dieser Stelle wurde eine Bildertechnik der Narration angewandt, die weitergehende Beachtung verdient. Zunächst wurde der Experte George F. Kennan gezeigt, wie er seine Kritik in einer Sitzung vorbrachte, dann gefror das bewegte Bild und erschien in etwas kleinerem Format auf der Zeitungsseite. Über eine solche Bildmontage sollte die intermediale Bedeutung der Kritik unterstrichen werden. Die Überschrift, die im Bericht auf der Zeitungsseite zu lesen war, lautete: “George F. Kennan, on Washingtons’s Reaction to the Afghan Crisis: ‘was this Really Mature Statesmanship?’”.
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Anhand einer Karte wurden die US-Stützpunkte im Mittleren Osten und an der Ostküste Afrikas im Bild gezeigt und dazu bemerkt, der präsidentielle „honeymoon“, keine Waffen mehr in diese Länder zu bringen, sei nun vorbei. „Enough is enough“, verkündete Demokrat Henry Jackson und sagte, dass die Geduld der Amerikaner überstrapaziert worden sei. Man habe sich aus nationalem Gemeinsinn zurückgehalten, sei aufgrund der Lebensbedrohung, welcher eigene Landsleute im Iran ausgesetzt waren, sehr gnädig mit dem Präsidenten umgegangen und habe bislang kaum Kritik geübt, erklärte Garn aus Utah. Nun müsse der Präsident endlich Mut beweisen und bestimmt auftreten, so die Forderung des Republikaners an sein Staatsoberhaupt. Diese Positionen in Bezug auf die Problemlage um die Geiseln im Iran widersprachen denen, welche dieselben Leute in der Afghanistanfrage eingenommen hatten. Diese Ambivalenz, die Fernsehnachrichten über Aussagen namhafter Politiker verbreiteten, umzingelte die Führungsfigur Carter. Ob als Diplomat, als Außenpolitiker oder als oberster Befehlshaber des Militärs: Carter konnte aus der Zuschreibung von Unentschiedenheit und Schwäche heraus nicht mehr reüssieren. Mehr noch, in vielen Berichten wurde die US-amerikanische Nation dargestellt, als befinde sie sich selbst in Geiselhaft eines schwachen Präsidenten. Dadurch wurden alle diplomatischen Bemühungen und demokratischen Haltungen des Präsidenten und der Administration zu einem Vergehen am eigenen Volke. Das wiederum stärkte die Forderung nach kompromissloser moral masculinity als dem entscheidenden Kern moralischer Führung. Die diesem Schema der Kritik folgende Berichterstattung diskreditierte Diplomatie und flache Hierarchie auf unabsehbare Zeit in der US-Politik. Für das diskursive Feld der unnachgiebigen Stärke war Jimmy Carter so der Signifikant für eine Krise der Durchsetzungskraft geworden. Und so war im Plot solcher Berichte bereits angelegt, was Dunsmore in seinem Schlusskommentar zum ABC-Bericht im März 1980 auf den Punkt brachte: „Even if the Iran-crisis appears to be easing – the President’s problems are far from over. His flop over the UN-resolution condemning Israeli settlements rekindles the view that he is not a strong leader. Pakistan’s rejection of US-aid raises serious doubts about the whole South-Asia policy, and once the hostages are free, so too, will the critics be. And they will be loud, and they will be many.“238
Und als ob Senator Henry Jackson, der seine Bedenken gegenüber dem „born-again hawk-syndrome“ in Bezug auf den anderen Konfliktherd in Afghanistan geäußert hatte, eine Vorahnung gehabt hätte, kam es im April 1980 zur „Operation Eagle Claw“ im Iran, jener äußerst missglückte Operation zur Befreiung der Geiseln, die in der Presse wieder und wieder aufgegriffen und als letzter Beleg für die Inkompe238 ABC, EN – Thursday, Mar. 6, 1980 – United States Foreign Policy / Carter.
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tenz Carters ins Bild gebracht werden sollte. Nachdem die Meldungen über in die Wüste stürzende Militärmaschinen, zurückgelassene Helikopter und ums Leben gekommene Soldaten am ersten Tag nach dem Desaster am 25. April 1980 durch die Fernsehstudios in die Wohnzimmer der US-Bürger/innen übermittelte worden waren, zeigten die Nachrichten Betroffenheit unter den Mitbewerbern Carters um das Präsidentenamt. Bis auf Anderson, der Bedenken hatte, dass die „tragischen Fehlentscheidungen“ des Präsidenten nicht allein zuhause, sondern auch unter den Freunden und Alliierten den Ruf der Entscheidungskompetenz des Weißen Hauses ruiniert haben könnte, übten sich alle wichtigen Politiker in patriotischer Zurückhaltung. George Bush sagte, es sei nicht die Zeit zu kritisieren. Ted Kennedy sagte, man stehe als Nation in der Verantwortung gegenüber den Geiseln, in Verantwortung für die Familien der Opfer der Militäraktion und der Trauer um die mutigen Männern, die beim Versuch ihre Mitbürger zu befreien, ihr Leben gelassen hätten. Reporterin Lynn Sherr betonte, dass sich sogar Herausforderer Nr. 1 zurückhaltend gab. Reagan machte wenige Worte über die Schwäche des anderen, versuchte aber bereits darin den moralischen Führer der Nation zu geben, als er sagte: „It’s time for us as a nation and as a people to stand united. It’s a day for quiet reflection. It’s a moment when words should be few and confined essentially to our prayers.“239 Alle drei Sender versuchten sich an jenem Nachrichtentag in etlichen ausführlichen Sondersendungen an umfassenden Berichten über Hintergründe und Hergang der missglückten Rettungsoperation.240 Wie das Versagen auf Carters Führungskörper projiziert wurde und dieser zur ultimativen Negativfolie für moralische Führung werden konnte, zeigten die Berichte der kommenden Wochen. Zwar waren die Äußerungen, die sich in der Folge der Vorgänge in der Wüste häuften, bereits zuvor diskursiv angelegt, nach der gescheiterten Operation im Iran dynamisierte sich Schuldzuweisung an die Führungsgestalt und sein Umfeld jedoch noch einmal erheblich.241 Bereits am ersten Tag, nachdem der Schock vom Absturz der Spezialeinheit die Berichterstattungen durchzogen hatte, berichtete Reporter Marvin Kalb von einem kranken Außenminister Vance, der sich nicht äußern wolle, und von der Furcht im Lande, dass die Sowjets nun im amerikanischen Präsidenten eine „lahme Ente“ erkannt haben könnten. Dementsprechend würden sie versuchen, ihre Machtpositionen am Persischen
239 ABC, EN – Friday, Apr. 25, 1980 – Iran Crisis. 240 CBS, Special Report, Friday, Apr. 25, 1980 – The Rescue That Failed; ABC, Special Report – Friday, Apr. 25, 1980 – Iran: Day 174: Failure and Tragedy; NBC, Special Report – Friday, Apr. 25, 1980 – The Mission that Failed. 241 Abzulesen sind diese Kritikstränge an der Führungsfigur Carter z.B. in der NBCBerichterstattung zu der Geiselnahme bereits einige Wochen vor dem gescheiterten Befreiungsversuch – vgl.: NBC, EN – Sunday, Apr. 5, 1980 – Iran.
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Golf zu verbessern.242 Am folgenden Tag erschien der Präsident in der ABC als wortkarger Kirchgänger. Lediglich einen „Guten Morgen!“ habe er gewünscht. Dafür ließ er seine Mitarbeiter die Kriegstrommel rühren. Verteidigungsminister Harold Brown wurde zitiert mit der Aussage, dass die militärische Option keineswegs passé sei und Carters nationaler Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski zeigte sich im Fernsehinterview sichtlich angespannt als er sagte: „Do not scoff at American power, do not scoff at American reach. This president and this country will do what is necessary. And we have the means for doing it. One setback doesn’t shape the future!“ Die politische Zukunft des Präsidenten hänge an der Befreiung der Geiseln im Iran, kommentierte Reporter Jack Smith. Die Gegebenheiten vor Ort schienen das jedoch auszuschließen. Deshalb sei der Präsident gefangen „between a rock and a hard place.“243 * Noch in der Nacht vor Reagans Amtsantritt hatte Carter die Vereinbarung zur Freilassung der Geiseln mit dem Iran unterschrieben. Tags darauf flog er zum Empfang der US-Bürger nach Europa. Reagan war mittlerweile zum Präsidenten inauguriert. Jimmy Carter hatte in der medialen Arena der Innenpolitik nicht mehr der Form entsprochen, die sich mit ihm selbst zu Beginn seiner nationalen Karriere gebildet hatte. Er war vom potentiellen moral leader zu einer Gestalt geworden, die über die Nachrichten und von Kritiker/inne/n als schwach und unsicher in die sich im Wandel befindende Ordnung projiziert worden war. Dies war in der Platzierung seiner Präsidentenfigur innerhalb der Krise bereits angelegt und verstärkte sich im Jahr 1978 entscheidend. Zunächst flankierte die Problematisierung der US-Außenpolitik die Zweifel an seiner Durchschlagskraft in der innenpolitischen Führung. Spätestens 1980 wurde in den Nachrichten über die „vom Wüstensand verwehte Operation“ die Autorität des Präsidenten Carters endgültig medial malträtiert, wobei die diskursive Stigmatisierung seiner Führung durch stille Diplomatie von den Medien bereits zuvor mit Skepsis kommentiert worden war. Durch diesen Vorlauf war das Versagen in der militärischen Rettungsaktion eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Die Aktion, ihr Scheitern und die mediale Resonanz waren nicht Ursache eines politischen Versagens, sondern Effekte einer immer wieder vorgetragenen Forderung nach Führung durch eine starke Hand. Fluggeräte stürzten ab, Hubschrauber blieben in der Wüste zurück und sogar eine Liste von US-Geheimagenten im Iran wurde in einem der abgestürzten Militärgeräte gefunden. Die Berichterstattung dazu war durch den Vorlauf und die immer wieder artikulierten Zweifel an Carters Entscheidungskompetenz, an seiner Führungsstärke ermöglicht worden. 242 CBS, EN – Saturday, Apr. 26, 1980 – Iran / White House Reaction. 243 ABC, EN – Sunday, Apr. 27, 1980 – Iran / Carters Reaction.
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Dadurch konnte sogar das Ausbleiben einer Kritik seitens der Opponenten von Journalistenseite als die Bestätigung der zuvor bereits vermuteten Durchschlagsschwäche gelesen werden. Nach dem Scheitern jener „Operation Rice Bowl“ begann die Führungsfigur zerlegt zu werden, weil sich Carters Image als moral leader längst im freien Fall befand.244 Neben dem Männlichkeitsparadigma hatte sich die moralische Ebene unter Carters Füßen verschoben. In gewisser Weise war eine evangelikale Moral wieder neu an den Führungskörper gekoppelt worden. Es hatte sich eine neue evangelikale Predigerfigur vor ihn in die Politik geschoben. Die Predigerfigur als politischer Resonanzkörper war in den letzten Jahren der Carter-Regierung längst in der Welt der Medien und Fernsehnachrichten unterwegs, bevölkerte die Fernseh- und Nachrichtenstudios und stand im Zentrum einer Televisualisierung der Gebetsräume. Und auch wenn Ronald Reagan diesen Prediger noch nicht gänzlich verkörperte, als er gegen Carter die Wahl gewann, war er bereits auf dem Weg. Carter dagegen konnte, wollte und sollte diese Version des moral leader nicht werden. Am 20. Januar 1981, einem Tag als Carter in den Fernsehnachrichten beim Halten einer Rede in Georgia gezeigt wurde, bei der er die „Freude und der Erleichterung der gesamten Nation“ über die Freilassung der Teheraner Geiseln Ausdruck verlieh, berichtete CBS-Reporter Robert Pierpoint: „Tomorrow citizen Jimmy Carter is flying from Plains to Wiesbaden, West Germany, as the guest of president Reagan to welcome back to freedom the fifty-two American hostages who had dominated the last month, hours and even minutes of his presidency.“245 Doch auch der Gastgeber des Zivilisten Carter auf diesem Flug war einige Jahre vor seiner Wahl zum Präsidenten bereits ein ambitionierter Mann in der nationalen Politik gewesen.
D ER M ANN „So there is another candidate ‚not running‘ as hard as he can“, fasste der NBCReporter Kenley Jones im Januar 1974 einen Bericht über Ronald Reagan zusammen, worin dieser einmal mehr als ein Hoffnungsträger der republikanischen Partei für die Wahlen im Jahr 1976 gehandelt worden war. Doch Reagan hatte zunächst noch abgewinkt. Im Bericht war der Gouverneur des Staates Kalifornien als ein aussichtsreicher Mann gezeichnet worden. Laut Fernsehkommentar sprach er so, wie ein Anwärter auf das höchste Amt sprechen musste, zudem sah er auch noch so aus, wie ein Präsidentschaftskandidat auszusehen hatte, auch wenn er seinen Willen zur Kandidatur partout noch nicht offiziell verkünden wolle, so die journalistische Klage über das Dunkel in dieser Entscheidung. Er könne die Partei aus der Water244 CBS, EN – Tuesday, Jan. 20, 1981 – Hostages Released. 245 Ebd.
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gate-Krise schaukeln, so die Vermutung der NBC. Im Hinblick auf Nixon und Watergate zeigte sich Reagan am Rednerpult kämpferisch. Er sagte, den Demokraten gehe es nur darum, einen Mann zu zerstören und das grandiose Wahlergebnis von 1972 zu revidieren, in welchem sich die Amerikaner gegen jene ökonomisch unverantwortliche Politik der vergangenen 40 Jahre entschieden hätten.246 Bereits einige Tage zuvor hatte CBS Reagan zum ersten Mal als einen hoffnungsvollen republikanischen Kandidaten portraitiert. 1976 werde er 65 Jahre alt sein, bemerkte Terry Drinkwater, während erste Bilder von Reagan und seiner Frau gezeigt wurden, die beide in dicker Winterkleidung bei stürmischem Wetter aus einem Flugzeug stiegen. Der zweimalige Gouverneur sehe aber nicht annähernd so alt aus, fügte der Reporter hinzu. Er habe noch immer volles Haar und die schlanke Figur seiner Hollywood-Tage. Draußen vor der Tür hätten ihn klirrende Kälte und Demonstranten erwartet, erklärte die Sprecherstimme, drinnen im Gebäude warte eine Wohltätigkeitsveranstaltung. Reagan sei selbst ein Veteran solcher Anlässe, aber er käme bei vielen so „sauber und ehrlich“ rüber, wie zu jener Zeit als er noch die „guten Jungs“ in den alten Western gespielt habe. Über Watergate und Nixons großen Wahlsieg 1972 habe er gesprochen, so der Reporter, während der Gouverneur am Rednerpult vor einer US-Flagge stehend gezeigt wurde. Er führte anklagend aus: „We are told that the illegal and immoral acts of some individuals involved in that campaign must be worn as a political hair shirt by the entire Republican Party. Let the facts be known, let those who are guilty of wrong doing accept the consequences for their action. But for America’s sake: let’s get on with the business of government!“247
Applaus brandete auf im Saal. Doch in den Vorwahlen innerhalb der republikanischen Partei 1976 wehte dem Hoffnungsträger ein rauer Wind entgegen. John Chancellor berichtete für die NBC darüber, wie Reagan bei einer Veranstaltung in New Hampshire direkt in die Phalanx der Kritik hineingelaufen sei. Es waren die Unterstützer einer Kandidatur von Präsident Ford, die Reagan zwangen, zu seinem Vorschlag Stellung zu beziehen, die Sozialausgaben um 90 Millionen Dollar zu kürzen. Es ging um Dinge wie Essensmarken und Gesundheitsfürsorge. Reagan wurde am Rednerpult bei verschiedenen Reden zu seinem politischen Programm gezeigt.248 Zu seiner Verteidigung sagte er immer wieder einen Satz, der auch in seiner Inaugural Address des Jahres 1981 wieder zu hören sein sollte: „Government is not the solution, government is the problem!“249 246 NBC, EN – Thursday, Jan. 24, 1974 – Reagan 1976 Noncandidate. 247 CBS, EN – Monday, Jan. 21, 1974 – Presidential Hopefuls / Reagan. 248 Es war unter anderem ein Filmausschnitt vom Oktober 1975 zu sehen. 249 NBC, EN – Monday, Jan. 5, 1976 – Reagan / New Hampshire / Plan / Record.
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Daraufhin zeigte NBC ein Portrait der Figur, deren Geschichte wie durch Zufall mit einem jungen Filmstar am Ende des zweiten Weltkrieges ihren Anfang nahm und in die Gestalt eines umworbenen Politstars in der zweiten Hälfte der 1970er einmünden sollte. Das Hollywood jener Zeit wäre nicht nur glamourös daher gekommen – es sei auch ein Schlachtfeld der Gewerkschaften gewesen, untermalte eine politische Note den Bericht über Reagans Werdegang. Blut, Chaos und kommunistische Einflüsse hatte es gegeben und Ronald Reagan sei einer gewesen, der dagegen angekämpft habe. Er wurde an einem Tisch hinter Mikrophonen gezeigt, als er dieser „gut organisierten Minderheit“ den Kampf ansagte. Laut Reagan versuchte die „gut organisierte Minderheit“ (die Gewerkschaft) eine große Organisation zu unterwandern. Man werde ihr aber nicht erlauben, sich durchzusetzen, so Reagans unerbittliche Haltung. Auf diese Weise war er Politiker geworden, habe zehn Jahre später, nachdem er Gouverneur geworden sei, keine Zeit verstreichen lassen das Chaos, die „mess“ an den Universitäten seines Bundesstaates anzugehen. Als schließlich die Demonstrationen gegen den Krieg zugenommen hätten, habe er hart durchgegriffen und an einer Stelle gesagt, wenn es ein Blutbad brauche, dann müsse man dies hinter sich bringen. Als man die Unruhen an den Universitäten hinter sich gebracht hatte, kommentierte Reporter Frank Bourgholtzer lakonisch, habe man auch das kostenfreie Studium hinter sich gehabt. Vor Reagan sei studieren für kalifornische Söhne und Töchter noch gebührenfrei gewesen, so Bourgholtzer. Das wurde geändert, denn es sei inhärenter Teil der Politik des Gouverneurs, den Staatshaushalt zu drücken, so der Reporter weiter. Zur Bebilderung einer Aufzählung jener ambivalenten Bilanz Reagans in Kalifornien, in der überraschend liberale Aktionen drakonischen Maßnahmen in krassen Gegensatz gegenüberstanden, wurde er in Cowboymontur mit Hut gezeigt. Der Journalist berichtete, es sei ein weiterer dieser Widersprüche, dass Reagan in Kalifornien für eine rigide Umweltpolitik stehe und gleichzeitig für laxe Gesetze, was die Verpflichtung der Industrie betraf. Hatte Reagan davon gesprochen das Wohlfahrts-Monster erlegen zu wollen, wurde im Bericht einige Zeit darauf verwendet, diese Politiklinie als Popanz abzutun. Er habe dazugelernt und schließlich eine ausgeglichene Haushaltsbilanz hinterlassen. Dass sein Nachfolger, der Demokrat Edmund Brown Jr. den Staat ganz ähnlich weitergeführt habe, sei als Kompliment an den ehemaligen Schauspieler zu verstehen, endete das Portrait. Während dieser letzten Beschreibung seines Vermächtnisses in Kalifornien zeigten die Bilder den aktuellen Reagan locker in Cowboymontur auf einem Pferd durch eine Buschlandschaft traben.250 Nachdem der Cowboy hinter der Frontier her getrabt war, diese kulturelle Saumfalte der US-Männlichkeit fast selbstverständlich an den westlichen Rand des Kontinents vor sich her geschoben hatte, erschien ein halbes Jahr später eine 250 NBC, EN – Monday, Jan. 5, 1976 – Reagan / New Hampshire / Plan / Record.
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durchweg technisierte, Massen taugliche und durch und durch medialisierte Version jenes Reichs, das der Cowboy bis 1975 beherrscht hatte in den Nachrichten. Der NBC-Bericht vom 7. Juni 1976 kündigte einen heißen Wahlsommer in Kalifornien an. Dann wurden die Dimensionen nach allen Richtungen ausgeleuchtet. Der Staat sei riesig, größer und reicher als die meisten Länder der Erde, eröffnete David Brinkley die Beschreibung. Und es könne nur einen Weg für die politische Elite geben, hier Kampagnen zu fahren. Dieser Weg war das Fernsehen.251 Daraufhin begann in den Fernsehnachrichten eine selbstreferenzielle Dynamisierung, die dennoch Reagan als den unabdingbaren Mann der Mitte in ihrem Zentrum hatte. Wäre Kalifornien eine unabhängige Nation, so wäre der vorherrschende Zeitvertreib im Lande Politik und die Nationalreligion Sport. Jerry Brown wäre der König, wurde dargestellt. Dieser König wurde bei einer enthusiastischen Rede gezeigt und ein anschwellender Drehorgelsound begleitete die Berichtsatmosphäre. Jimmy Carter sei der Kronprinz, so die Voice-over weiter, daraufhin ertönte ein Tusch. Dann verkündete die Sprecherstimme: „The old King of California now wants to take over the United States“, während dessen wurde Ronald Reagan eingeblendet und die Voiceover fuhr fort, „by badly beating the temporary American head of state“, wobei Ford im Bild erschien und die Drehorgelklänge mit einem Tusch beendet wurden. Die Bedeutung des Fernsehens war ganz explizit im Beitrag als der Kampfplatz des Politischen schlechthin herausgestellt worden. Reporter Pettit erklärte nun, es gehe gerade bei den Vorwahlen der Republikaner in Kalifornien „um alles“. Dabei habe Ronald Reagan lediglich zwei Worte benötigt, um sein Konterfei auf die Fernsehschirme zu bekommen: „Panama Canal.“ Nun habe er schon wieder ein neues Wort gefunden, das noch effektiver war: „Rhodesia.“ Vor Mikrophonen, das Bild (im Bild) wiederum von einem Fernseher gerahmt, wurde Reagan bei der Verlautbarung folgender Erklärung gezeigt: „I believe in the interest of peace and avoiding bloodshed, and to achieve democratic majority rule which we all, I think, would subscribe to, I think it would be worth this.“ Danach wurde eine Frau eingeblendet, die in einem vielfach ausgestrahlten Wahlwerbespot aus der FordKampagne mit besorgter Miene verkündete, ein Gouverneur Reagan könne keinen Krieg beginnen, ein Präsident Reagan könne dies durchaus. Wieder von einem Fernsehgerät gerahmt erschien daraufhin Reagan und dementierte, dass er die Vereinigten Staaten partout in einen militärischen Konflikt führen wolle. Er fügte hinzu, Präsident Ford wisse dies auch. Ford wiederum wurde im Interview gezeigt und erklärte, Reagan könne einen hervorragenden Vize-Präsidenten abgeben. Im Bericht 251 In diesem Beitrag wurde TV mit Politik und Religion verquickt. Eine televisualisierte Kultur feierte sich selbst. An dieser Stelle wird dieser immanente Baustoff politischer Kultur der Zeitgeschichte nun selektiv noch einmal angeführt in jenem Maße, in dem er – und das keinesfalls unerheblich – in die Konstruktion von leadership und insbesondere in die Figur Ronald Reagan hineinspielte.
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durfte Reagans Sprecher Lyn Nofziger die scheinbar widersprüchliche Haltung in der Ford-Kampagne zuspitzen. Nofziger sagte, Präsident Ford behaupte auf der einen Seite, sein Chef würde einen guten Vize-Präsidenten abgeben und im nächsten Moment behaupte er, dass Reagan das Land in den Dritten Weltkrieg stürzen wolle.252 Die Gestalt Reagans wurde in diesen medialen Zusammenhängen bereits für die große Aufgabe zugeschnitten und profilierte sich in den nationalen Nachrichten immer wieder in dieser Richtung. Da und dort geriet sie aus der Form, allerdings nur, um sich wieder neu mit Konfliktpotential und medialer Präsenz aufzuladen. Mal kippte der Protagonist aus Kalifornien selbst Öl ins Feuer der Auseinandersetzung um die gesellschaftliche Ordnung, mal wurde er auf dem Tableau der sich gerade entwickelnden Formation moralischer Führung gerückt und geschoben. Reagan war mit seinem Credo einer Staatsverschlankung und den beschriebenen reaktionären Aussagen zur Anwendung von Gewalt jedenfalls immer wieder in den Nachrichten. Und damit sollte er später auch auf dem Feld der evangelikalen Moral Punkte sammeln, was aus Reagans persönlicher Biographie nicht herzuleiten gewesen wäre. Schon in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre bewegte sich evangelikale Moral auf Erfolg, mediale Performance und Männlichkeitsdispositiv zu. Und in dieser medialen Bewegung befand sich auch Ronald Reagan, ohne ihr nominell anzugehören. Noch bevor evangelikale Sprecherstimmen maßgebliche Stichworte in die Mainstream-Medien speisten, wurde 1977 eine Abgrenzungsmöglichkeit präpariert, die Reagan nutzen konnte, um seine eigene Kontur auf dem sich entwickelnden moralischen Feld zu schärfen. So berichtete Walter Cronkite für die CBS, Reagan habe die Carter-Administration bezichtigt, unterschiedliche Maßstäbe in Hinblick auf Menschenrechte anzulegen. Dieser Punkt war Mitte 1977 sicher noch als ein recht bedeutungsloser Fleck in einem sonst eindeutigen Muster auf dem Thementableau zu betrachten. In der Rückschau des diskursiven Gesamtarrangements aber weist diese politische Intervention Reagans bereits auf eine Schaltstelle im Kampf um moral leadership hin und darauf, dass sich das Feld bereits 1977 unter Carter weg zu bewegen begann. Schon als Carter sich selbst noch im Herzen des Prozesses wähnte, hatte Reagan begonnen, dem unerbittlichen Moralbegriff der Evangelikalen zu folgen. In Reagans Angriffen wurde die Debatte um Moral vor dem außenpolitischen Hintergrund neu eröffnet. Und Äußerungen Reagans wurden durch einen evangelikal inspirierten Missionarismus geformt und von der Forderung nach einem kämpferischen Interventionismus angeleitet. Daneben begann Reagan sich in der Innenpolitik mit seinen Vorstellungen rigider Sozialpolitik und Ordnung um jeden Preis als moralisch-verantwortungsvoller Politiker darzustellen. Damit war er eng an der Restauration eines Männlichkeitsideals beteiligt, in dem jeder (Mann) die 252 NBC, EN – Monday, Jun. 7, 1976 – California / Politics / Television.
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Freiheit haben sollte, ohne unnötige staatliche Umverteilung und Interventionismus um seine Position zu streiten. Reagan selbst war als „starker Führer“ angelegt, der gegen die Ungerechtigkeit der Verschwendung im Innern und gleichzeitig mit dem selektiven Blick eines christlich-jüdisch Traditionsverständnis gegen jedwede „Ungerechtigkeit“ – aus einer ganz spezifischen moralischen US-Perspektive – nach „Außen“ stehen wollte. An dieser Flanke griff er Carter an und bezichtigte seine Administration der Kopflosigkeit und sogar der Doppelzüngigkeit.253 Im Jahr 1978 wurde es recht ruhig um den republikanischen Hoffnungsträger in den Nachrichten. Doch er verschwand nie gänzlich von der Bildfläche und sollte wieder auftauchen.
G ESTALTEN IM W AHLKAMPF Der Kampf um die Wahl war 1980 längst ein offener Streit um die Position im Zentrum moralischer Führung geworden. Beide Ingredienzien, Virilität einerseits und evangelikaler Moralbegriff andererseits produzierten im Zusammenspiel in der Figur des moral leader einen Überschuss. Die richtige Koordinate auf dem weiten Feld der moral leadership schien aber, zumindest was den Wahlkampf zwischen Carter und Reagan betraf, unteilbar nur für eine Person erreichbar. Dies war ein dichotomer aber essentieller Teil der Zuspitzung eines durchweg medialisierten Wahlkampfes, in dem die Vorstellungen flacher Hierarchien und die Netzwerkgedanken Carters nicht nur geschluckt worden waren, sondern sich vehement gegen ihn gewendet hatten. Längst war Carters Haltung, seine politische Agenda und seine Vorstellung von Moral in den Nachrichten eingeschmolzen worden zusammen mit seinen „Niederlagen“. Die Präsidentengestalt war zur Zielscheibe von Kritik von allen Seiten geworden. Diese kam mal implizit, mal explizit von politischen Gegnern, von Journalist/inn/en oder aus den eigenen Reihen. Es war seine Schwäche geworden, nicht eindeutig evangelikal und gewaltsam seine Präsidentschaft in jene politische Performance gegossen zu haben, die spätestens 1980 als unumgänglich erachtet wurde. Zwischen Carter und Reagan war es bereits ein absoluter Kampf, bevor dieser begonnen hatten: Richtig gegen falsch, stark gegen schwach, gut gegen böse. Dieser Antagonismus überprägte die Berichterstattung zum Wahlkampf im Fernsehen. Und jener binäre Gegensatz war auch für den weiteren Verlauf in der politischen Kultur der 1980er Jahre entscheidend. Wie der Ausgang des Wahlkampfes in die Dekade der 1980er Jahre übersetzt wurde, soll zu Beginn des nächsten Kapitels genauer betrachtete werden. Hier wird nun zunächst der politische Wettstreit betrachtet, dessen Ausgang nach der oben gezeigten Berichterstattung nicht so überraschend war, wie einige Journalist/inn/en am Wahltag behaupteten. Ein evangelika253 CBS, EN – Thursday, Jun. 9, 1977 – Reagan Criticism / Carter.
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les Muster war in dieser Phase der US-Politik bereits aufgerufen. Allen anderen Meinungsforen voran hatten die Fernsehnachrichten Carter zerpflückt, seine Haltung bezweifelt, seine mediale Strahlkraft minimiert, ihm die Verkörperung von Charisma aberkannt. Die Erdrusch-Niederlage Jimmy Carters war Folge des Verlustes jener Position auf dem Feld moralischer Führung, den er bereits erlitten hatte, lange bevor Reagans Kandidatur in absehbare Nähe gerückt war. Und Ronald Reagan sollte nun die Figur unzweideutig neu beschreiben. Über diese medial-materialisierten Bedingungen zu Beginn des Wahlkampfes hinaus, rückten die Personen aus dem Zentrum. Sie wurden an Orten verhandelt und dort als Figuren präsent, von denen weder die Wahlkampforganisation noch die Fernsehjournalismus Notiz nahmen. Zwar hatte das Fernsehen, sowie die Zeitungslandschaften – lokal wie national – ihren Anteil daran, dass im letzten Winkel des Landes Multiplikatoren den Wahlkampf führten, aber es war vor allem die Mobilisierung durch evangelikale Sprachrohre im nationalen Mediensystem, die sich im Politischen niederschlugen und Wähler fern der urbanen Zentren um die Figur Reagan versammelten. Das Gefühl weißer Pastoren kleiner Gemeinden, Teil einer sozialen Bewegung zu sein, wurde von Predigern wie Jerry Falwell und in den Mainstream-Medien unwidersprochen weiter perpetuiert und rhetorisch zu einer „Bürgerrechtsbewegung“ aufgerüstet. Gleichzeitig war die Medialisierung des Predigerkörpers als Politiker Teil der Identifikation der vielen kleinen Pastoren, die in ihren Gemeinden für Reagan warben, weil sie sich mit ihren Vorbildern, den strahlenden großen Figuren, die in Washington und im nationalen Fernsehen die Rolle des politischen Botschafters spielten, identifizierten. Immer wieder gezeigt und als spezifisches Phänomen in diesem Wahlkampf gekennzeichnet, selten in ihrer Wirkmacht reflektiert, produzierte diese Bewegung Prediger wie beispielsweise Reverend Glenn Jaspers, der wie tausend andere in seiner kleinen Gemeinde zu Werke ging, um in den Köpfen seiner Hörerschaft den Führungskörper Reagan mit moralischer Führungsqualität zu füllen. Es gab in diesem Wahlkampf unterschiedliche mediale Ebenen, die in Kapitel 4 und 5 noch genauer betrachtet werden, auf denen moral leadership im Tagesgeschäft kaum wahrnehmbar in einer Vielzahl an Äußerungen reproduziert wurde. Trotzdem sind die blinden Flecken des Nachrichtenjournalismus umso erstaunlicher, da die Mainstream-Medien selbst Forum für diese Figuren waren und als Bühne der Verkündung zur Verfügung standen. Nicht nur in den Fernsehpredigten evangelikaler Emissionen waren Prediger wie Falwell in Gottesdiensten und Kirchenräumen zugegen, die zu Räumen des Politischen wurden. Sie verbreiteten ihre politischen Botschaften auch über die Frequenzen der Mainstream-Nachrichten. Die Prediger wurden zu Resonanzkörpern einer neuen politischen Religion auf den Fernsehbildschirmen. Auch in den kritischen Berichten über diese Entwicklung, waren die Fürsprecher Reagans präsent. Doch stellt sich die Frage, ob der Blick auf die Mediengeschichte in diesem synchronen Geflecht überhaupt so etwas wie Lager
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erkennen kann? Und wenn es politische Lager gab, spielten sie nicht ihre Rollen maßgeblich in den Performanzen des gegnerischen Lagers? Oder sie waren so durchsetzt von Trojanern, dass sie nicht identifizierbar waren? Konkreter gefragt: Warum bedeuteten die kritischen Berichte über evangelikale Prediger auf dem politischen Parkett allem Anschein nach einen Vorteil für denjenigen Kandidaten, den sie unterstützten? Die mediale Dimension des Politischen im Fernsehen hatte sich in eine Aufmerksamkeitsökonomie verwandelt. Die Prediger verkörperten im Rücken aller journalistischen Aufklärungsversuche über die angebliche Schädlichkeit der Vermischung von Kirche und Staat moral leadership. Die Anhänger/innen wandten sich nicht ab und neue Fans einer moralischen Männlichkeit an der Spitze der Nation wurden durch die Auftritte von Leuten wie Falwell oder Robison hinzugewonnen. Daher war das Feld 1980 nicht mehr in ein rechtes und ein linkes Feld aufzuteilen, wenn es eine solche Unterteilung je zuvor eindeutig gegeben haben sollte. In jedem Fall versuchten die Mainstream-Medien im Wahlkampfjahr eine „säkulare Öffentlichkeit“ zu erreichen und diese über den „religiösen Rand“ aufzuklären. Dass dieser Versuch an der historischen, der körpergeschichtlichen Dimension der Figur des moral leader in den TV-Nachrichten und darüber hinaus scheitern musste, war Teil des positivistischen Irrtums. Und die Folgen jener Bemühung, die Mitte über den Rand zu informieren, waren tiefgreifend. Sendezeit war die politische Währung, in der die Mainstream-Nachrichten ihre Aufklärung bezahlten. Das Auftauchen der evangelikalen Gewährsmänner als nationale Führungsfiguren war der Preis, so sehr sich auch Reporter wie beispielsweise Jim Wooten in seiner kämpferischen ABC-Serie von seinem Berichtsobjekt distanzieren mochten. Der Journalist hatte seine Berichtsserie im September 1980 mit der Äußerung beschlossen, dass die Evangelikalen bereits ein gewichtiger Faktor in der politischen Landschaft seien und die Frage nur noch wäre, ob sie die entscheidende Kraft beim Ausgang der Wahlentscheidung darstellten.254 Im Hintergrund sang ein Chor Gläubiger „God bless America.“255 * In einem CBS-Bericht Ende September wurden die Figuren auf dem Bewerberfeld noch einmal neu verschoben, und zwar im Hinblick auf Geschlechterverhältnisse und bezüglich ihres Verhältnisses zur Moral Majority. Von Carter wurde berichtet, dass er in New York vor der Gewerkschaft der Textilarbeiterinnen gesprochen ha254 ABC, EN – Tuesday, Sept. 23, 1980 – Special Assignment (Politics and Religion); ABC, EN – Wednesday, Sept. 24, 1980 – Special Assignment (Politics and Religion); ABC, EN – Thursday, Sept. 25, 1980 – Special Assignment (Politics and Religion). 255 ABC, EN – Thursday, Sept. 25, 1980 – Special Assignment (Politics and Religion).
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be. Er sagte, die Republikaner hätten den amerikanischen Frauen den Rücken zugekehrt. Dann kam der Demokrat Leon Jaworski ins Bild, der auf einer Pressekonferenz seiner Ein-Mann-Organisation „Democrats for Reagan“ sagte, Carter habe auf ganzer Linie versagt. Wenn so etwas im Baseball passiere, so Carters Kritiker aus den eigenen Reihen, würde man nach dem Manager rufen, um die Auswechslung des miserablen Spielers zu forcieren. Und wenn dem so sei, müsse man eine solche Figur auch in der Politik auswechseln, erklärte Jaworski und fügte hinzu, er hoffe, seine Kollegen aus der Fraktion der Demokraten würden landesübergreifend „Partei ergreifen“, um Carter aus dem Spiel zu nehmen. Darauf angesprochen, dass er noch im April im Zuge der Unterstützung George Bushs Reagan einen Extremisten genannt habe, einen „extremist with over the counter simplistic remedies and sharp worn platitudes“, wie er es formuliert hatte, sagte Jaworski, er habe lieber einen kompetenten Extremisten zum Präsidenten als einen inkompetenten Moderaten.256 Der unabhängige Kandidat John Anderson, der selbst wiedergeborener Christ war, wie Walter Cronkite in seinem Bericht zu dem dritten und gänzlich aussichtslosen Anwärter auf das Präsidentenamt betonte, habe sich in Washington, D.C. in eine Rolle begeben, die er mochte, nämlich die des „Daniel in der Löwengrube“. Vor Vertretern der „Religious Broadcasters“, dem Zusammenschluss religiöser Rundfunkanstalten beschuldigte Anderson die Moral Majority religiös verbrämter Intoleranz: „The political marriage of the so called Moral Majority and the New Right is not one ordained in heaven. It is a union which thunders with misguided motives. It is a union which seeks to inject on bending rigidity and intolerance …“ Am Ende des Beitrages über die Kandidaten und ihr Verhältnis zu evangelikalen Kräften im Wahlkampf kommentierte Bob Faw, Anderson hätten diese Aussagen sicher nicht sonderlich geschadet, denn die Mehrheit der Gefolgsleute jener Christlichen Rechten sei ohnehin schon Reagan verschrieben. Der Journalist vergaß nicht zu loben, dass der Kandidat an das glaube, was er sage, und dass er überdies glaube, das übrige Land sei auf seiner Seite.257 Die letzten Wochen der Wahlkampfkampagnen drehten sich um außenpolitische Macht. Es kam zu einem medialen Gerangel um Verteidigungsstärke und militärische Potenz. NBC berichtete über eine Rede, die Staatssekretär Edmund Muskie an der „University of Notre Dame“ gehalten hatte, in der er die Verfechter einer unbedingten militärischen Überlegenheit der USA aus dem gegnerischen politischen Lager angriff. Diese seien schlicht gegen die Abrüstungspolitik, gegen die „Strategic Arms Limitation Talks“ (SALT). Ein Wahlsieg der Republikaner werde das Risiko bewaffneter Konflikte erhöhen, so interpretierten die Fernsehjournalisten der NBC Muskies Äußerungen. Und obwohl er das so nicht gesagt hatte, mag allein der Umstand, dass der Staatssekretär die unterschiedlichen Führungsweisen in diesem Zu256 CBS, EN – Monday, Sept. 29, 1980 – Campaign ’80 / Carter / Reagan. 257 Ebd.
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sammenhang als offene Richtungsfrage beschwor, ein Hinweis darauf sein, dass er den Präsidentenstuhl bereits als vakant betrachtete.258 Als seien die Angriffe und die Unterstellung heimlicher Kriegswut in seinem Lager kein Problem der künftigen US-Führungsspitze, ging Reagan gar nicht erst auf die Vorwürfe aus der gegnerischen Partei ein, wie Jessica Savitch berichtete. Die NBC-Reporterin erklärte allerdings anschließend, militärische Aktionen seien für Reagans Gefolgsleute sehr wohl ein Thema. Und auch für die Gegenseite der Carter-Administration schien die Ableitung des eigenen Führungsanspruches aus der militärischen Kraft der USA unumgänglich. Es wurde Verteidigungsminister Harold Brown eingeblendet, der bereits zwei Tage zuvor nach Texas geschickt worden war, um das Pentagon „zu verteidigen“. Er sagte, die Vereinigten Staaten seien gegenwärtig stärker als zuvor, die militärischen Möglichkeiten seien in den vergangenen Jahren noch gestiegen. Der designierte republikanische Vizepräsident Bush war bereits zuvor im Bericht aufgetaucht, hatte Brown vorab schon kritisieren dürfen. Bush äußerte, die Haltung sei eine Rückkehr ins Abseits und es sei ein unmöglicher Auftritt für einen Außenminister, solche Vorstellungen von Gestaltung der Außenpolitik zu verbreiten. Militärberater traten auf und sagten, es sei gefährlich der Bevölkerung vorzugaukeln, man könne den Weltfrieden erhalten, wenn man in der Realität gar nicht dazu in der Lage sei. William Middendorf trat auf, ein ehemaliger Navy-Sekretär und sagte, vier weitere Jahre von Carters Führerschaft kämen einer Kapitulation der Navy und ihrer Stellung in den internationalen Streitkräften gleich. Ein ehemaliger General sagte, heute sei man im Vergleich zur Situation vor fünf Jahren gegenüber der Sowjetunion schwächer geworden.259 Solche Berichte, die sich mit militärischer Impotenz beschäftigten, konnten die Bürger/innen in jenen Wochen kurz vor der Wahl quer durch die Sendelandschaften immer wieder sehen. Wieder und wieder waren der Präsident und sein Team bemüht zu erklären, dass man institutionell und symbolisch kräftig und stark nach allen Seiten in der Welt aufgestellt sei. Nach solchen Beteuerungen ließen die Nachrichten meist jemanden aus dem Heer derjenigen Streiter zu Wort kommen, die nicht nur die Meinung vertraten, das einzige Qualitätsmerkmal einer Regierung sei ihre Möglichkeit zur Gewaltanwendung, sondern auch beschworen, dass die USA nie schwächer, schutzloser und zugleich nie bedrohter gewesen seien als in den vergangenen Jahren und der Gegenwart. Was die Fragen nach Stärke und Bedrohung anbetraf, unterschieden sich die Berichte der Mainstream-Nachrichten kaum von denen, die in evangelikalen Medien, Magazinen oder Ansprachen in Sattelitensendungen verkündet wurden. Diese rückten zwar häufiger den Begriff der Moral explizit ins Fadenkreuz der Kritik an der Führungsfigur Carter, aber auch hier war die Entmännlichung, für die der Präsident stand und das Versprechen der Re258 NBC, EN – Saturday, Oct. 11, 1980 – Campaign ’80 / Muskie / Reagan. 259 Ebd.
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Maskulinisierung im Falle seiner Abwahl das leitenden Motiv. In einer Ausgabe des „Moral Majority Report“ vom September 1980 unterstellte beispielsweise ein rechtskonservativer Journalist Präsident Carter, er sei so versessen, entfremdet und unverantwortlich in seiner Führung, dass er plane, den Iran anzugreifen, um seine Siegchancen bei den Wahlen zu erhöhen und sich ins nächste Jahrzehnt zu retten. Dieser Artikel, der Mitte September erschien, war überschrieben mit dem Titel: „Carter Plans Iranian Invasion to Insure Re-Election.“ Im Untertitel waren die Begriffe „Erroneous, Irresponsible“ zu lesen.260 In dieser spekulativen Übertreibung wurde der angeblich besorgniserregende Zustand der Nation festgestellt. Diese war durch ihre unsichere präsidentielle Verkörperung führungslos und zugleich durch Carters „hysterisch“ und „profilneurotisch“ zersetzte Männlichkeit bedroht. Dagegen kam ein Satz des zentralen evangelikalen Sprachrohres und Herausgebers jenes „Moral Majority Report“, den ABC über den Fernsehbildschirm in die Abendnachrichten brachte, geradezu simpel daher: „At this point in time – for me: It’s Reagan!“ Damit bestätigte Jerry Falwell die Vermutung, die CBS-Reporter Faw an anderem Ort bereits angestellt hatte, dass die Christliche Rechte sich hinter Reagan versammelt habe, einige Tage darauf über einen weiteren Mainstream-Kanal. In der Reportage zur Rolle von Religion in der Politik, in welcher dieser Satz am 23. September 1980 gesendet worden war, kam der Führer der Moral Majority auch zu seiner Einschätzung des Einflusses der Christlichen Rechten und seiner Organisation auf die Politik in diesen Wahlkampftagen zu Wort. Er durfte erklären, die Moral Majority sei ein politisches Aktionsbündnis, eine Interessensvertretung, so wie etwa Gewerkschaften als Zusammenschluss von Arbeitern. Die Moral Majority wäre aber auch ein Spendenquell für die evangelikale Rechte, wurde von journalistischer Seite erläutert. Falwell beteuerte im Bericht selbstgewiss, seine Organisation werde Leute an die Urnen bringen, die noch nie zuvor gewählt hätten. Weiße evangelikale Christen hatten aus den sozialen, sexualitätspolitischen und antirassistischen Bewegungen der 1960er Jahre identitätspolitische Muster übernommen und versahen sich mit dem Image einer politischen Befreiungsbewegungen. Dies räsonierte in Falwells Ankündigung, eine bis dato stille und apolitische Mehrheit an die Urnen zu bringen. Zudem verbarg sich darin das Argument, durch eine „Politik der Moral“ die deliberative Demokratie zu befördern.261 Nach Falwells Äußerungen, die politische Kraft demonstrieren sollten, konnten die Evangelikalen ihre Vorstellung von der Politik nach demokratischen Spielregeln und gleichzeitig 260 Moral Majority Report, Vol. 1, No. 12, September 15, S. 3. 261 Dieses Argument übernimmt Jon A. Shields in seinem 2009 erschienen Buch „The Democratic Virtues of the Christian Right“. Vgl. Die Rezension zum Buch: Felix Krämer: Rezension zu: Shields, Jon A.: Democratic Virtues of the Christian Right. Princeton
2009,
in:
H-Soz-u-Kult,
berlin.de/rezensionen/2009-2-216>.
22.06.2009,