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German Pages 274 [272] Year 2015
Martin Ludwig Hofmann Monopole der Gewalt
Martin Ludwig Hofmann, geb. 1972, Soziologe und Journalist. Studium und Promotion an der Universität Freiburg. Forschungsaufenthalte in Großbritannien und bei Lakota-Indianern in den USA. Seit 2001 leitender Redakteur einer Monatszeitschrift. Zuletzt erschienen von ihm die Bücher »Indian War«. Der Fall des indianischen Bürgerrechtlers Leonard Peltier, Bremen 2000 sowie Architektur und Disziplin. Über die Formbarkeit menschlicher Existenz in der Moderne, Frankfurt a.M. u.a. 2000.
Martin Ludwig Hofmann
Monopole der Gewalt Mafiose Macht, staatliche Souveränität und die Wiederkehr normativer Theorie
Die vorliegende Arbeit wurde im Frühjahr 2003 von der Philosophischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br. als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.
© 2003 transcript Verlag, Bielefeld Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 2003. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Martin Ludwig Hofmann Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-89942-170-1
Inhalt
Prolog einer offenen Kriegserklärung
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I. Einleitung
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II. Eine Theorie des Ausnahmezustands 1. Notwendige Vorbemerkungen 2. Carl Schmitts Theorie starker Staatlichkeit
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III. Die politische Bedeutung organisierter Kriminalität 1. End of History und neue Gefahren 2. Organisierte Kriminalität 3. Grundlinien der Forschung 4. Grundprobleme der Bekämpfung
71 73 76 85 94
IV. Die Ordnung der Paten 1. Gemeinschaft der »Ehrenmänner« 2. Modernisierung und Transformation
103 105 113
V. Ordnung und Gegenordnung 1. Ein angegriffener Staat 2. Verteidigung der legitimen Ordnung 3. Ein Kulminationspunkt
135 137 155 173
VI. Partieller Ausnahmezustand und normative Bindung 1. Ordnungsstiftung und Gewalt 2. Verbindungslinien: Gewalt, Macht, Staat 3. Gewaltmonopol und Legitimität 4. Souveräne Macht und normative Bindung
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VII. Schluss
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Epilog einer politischen Tragödie
243
Literatur
253
Für Roswitha
Prolog einer offenen Kriegserklärung
»Wenn der Kampf, den wir führen, in einen Krieg umschlägt, der wie alle Kriege noch mehr Tote und Verletzte fordert, dann muss man ihn umso ernster nehmen«,1 schrieb Italiens bekanntester Anti-Mafia-Ermittler Giovanni Falcone im Jahr 1991. Und weiter: »Wenn man die Einheit und Autorität des Staates auf feindlichem Gebiet vertreten soll, bleibt man sich es selbst schuldig, unverwundbar zu sein«.2 Unverwundbarkeit – eine auch für Falcone übermenschliche Forderung. Am 23. Mai 1992 um 17:58 Uhr wurde unterhalb der Autobahn, die den Flughafen Punta Raisi mit Palermo verbindet, eine gewaltige Bombe gezündet. Ein 55 Zentimeter starkes Abwasserrohr, gefüllt mit 500 Kilogramm Sprengstoff, das unterhalb der Autobahn verlegt worden war, schlug einen 50 Meter breiten Krater in die Asphaltdecke, die über eine Länge von fast 400 Metern aufplatzte. Falcone, seine Frau Francesca und drei seiner Begleiter kamen durch die Wucht dieser Detonation zu Tode. Das nahezu Unmögliche war eingetreten: Der bestbewachte Vertreter des italienischen Staates war Opfer eines minutiös geplanten Attentats geworden. Und über die Medien erhielt die schreckliche Nachricht alsbald ihre Symbole: Der Bombenkrater und die ausgebrannten Autowracks wurden zu Sinnbildern der Verletzbarkeit des Staates, zu Sinnbildern staatlicher Schwäche.
1 Giovanni Falcone, Marcelle Padovani: Inside Mafia, München 1992, S. 147. 2 Ebd., S. 153.
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MONOPOLE DER GEWALT
Das italienische Parlament verfügte einen Tag Trauer, in Sizilien wurde für einen Tag der Generalstreik ausgerufen, und die Särge der fünf Bombenopfer wurden im Justizpalast von Palermo öffentlich aufgestellt. Tausende Bürgerinnen und Bürger pilgerten zu den Särgen, um dem zu Lebzeiten durchaus umstrittenen »Mafia-Jäger« Respekt zu zollen. Als die Vertreter des Staates, hochrangige Politiker und Minister, vor dem Justizpalast erschienen, flogen aus der Menge Münzen und Geldscheine. Dazu skandierten aufgebrachte Bürger: »Mörder ... Geht nach Hause ... Geht zu Euren Schmiergeldern.« Am gleichen Tag begannen einige Bewohner Palermos ihre Trauer und ihren Protest in Worte zu fassen, die sie auf Bettlaken schrieben und vor ihre Fenster hingen: »Wir fordern Gerechtigkeit«, »Holt die Mafiosi aus der Regierung« oder einfach »Genug!«. Gleichzeitig äußerten sich viele der wichtigsten politischen Kommentatoren Italiens voller Enttäuschung und Pessimismus. Der Soziologe Pino Arlacchi schrieb beispielsweise am 25. Mai 1992 in der Zeitung La Repubblica: »Mit dem Tod Falcones schließt sich ein historischer Kreis, und zwar auf die denkbar schlimmste Weise: mit dem offenkundigen und unzweideutigen Untergang des Staates.«3 Bald nach Falcones Beerdigung trug man dessem Freund und langjährigem Weggefährten Paolo Borsellino den Posten des neu geschaffenen »Obersten Ermittlungsrichters« an. Ein Amt, für dessen Errichtung Falcone lange gestritten hatte und das er selbst hätte übernehmen sollen. »Während Falcone zum Märtyrer verklärt wurde, jubelten sie [die Medien, MLH] Borsellino zum neuen Erlöser hoch – eine gefährliche Simplifizierung des Kampfes gegen die Mafia, die bewirkte, dass alle Augen sich auf Borsellino richteten«,4 schreibt dazu Alexander Stille. Und in der Tat: Borsellino wurde in der öffentlichen und veröffentlichten Meinung als »rechtmäßiger Erbe« Falcones gehandelt. Vielfach transformierten sich die Ängste nach der Ermordung Falcones in Hoffungen auf Paolo Borsellino. Umso deutlicher ist deshalb das Fanal des 19. Juli 1992 als symbolträchtige Demonstration zu verstehen. An diesem Sonntag, keine zwei Monate nach dem Attentat auf Falcone, erschütterte am späten Nachmittag erneut eine gewaltige Detonati-
3 Zitiert nach: Alexander Stille: Die Richter. Der Tod, die Mafia und die italienische Republik, München 1997, S. 366. 4 Alexander Stille: Die Richter, S. 368.
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PROLOG
on die süditalienische Ruhe. Borsellino war in der Via d’Amelio in Palermo gerade auf dem Weg, seiner verwitweten Mutter einen Besuch abzustatten, als die Bomben gezündet wurden. Sechs Hochhäuser wurden durch die Wucht der Explosion zerstört, bis hinauf in die zehnten und elften Stockwerke gingen Fensterscheiben zu Bruch. Mehr als 50 Autos standen in Flammen. Als man die Leichen Borsellinos und seiner fünf Leibwächter geborgen hatte, waren sie bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Die Nation stand unter Schock. »Die Mafia hatte den totalen Krieg erklärt. Innerhalb von zwei Monaten waren jene zwei Richter ermordet worden, in denen sich der Kampf gegen die Cosa Nostra wie in niemandem sonst verkörperte«,5 fasst Vincenzo Delle Donne die Bestürzung in Worte. Neben der Trauer, die weite Teile der Bevölkerung ergriffen hatte, richtete sich vielerorts offene Wut gegen den Staat, dem eine Mitschuld am Tod der beiden Richter zugesprochen wurde. Agnese Borsellino beispielsweise lehnte das Angebot eines feierlichen Staatsbegräbnisses für ihren Mann ab, statt dessen sollte die Trauerfeier im engsten Familienund Freundeskreis begangen werden. Und zwar ausdrücklich unter Ausschluss offizieller Staatsvertreter und Politiker. Als die politische Prominenz statt dessen mit einem öffentlichen Begräbnisgottesdienst von den getöteten Leibwächtern Abschied nehmen wollte, kam es zum Eklat: Wütende Demonstranten durchbrachen einen aus mehreren Tausend Polizisten gebildeten Sicherheitskordon, bewarfen die Staatsvertreter mit Steinen und Feuerzeugen und stießen wütende Beschimpfungen aus. Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro war fassungslos. Mit zitternder Stimme sagte er: »Das Land braucht eine neue Resistenza, einen neuen Widerstandskampf – einen Widerstandskampf wie während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg.«6 Auch wenn man die emotionale Anspannung und die besonderen Umstände berücksichtigen muss, unter deren Bedingungen dieser Satz formuliert wurde, sind diese Worte frappierend. Denn Scalfaro zieht hier einen Vergleich zwischen dem Bombenterror der Cosa Nostra und der Besatzung Italiens durch die nationalsozialisti-
5 Vincenzo Delle Donne: Falcone. Die Biographie, Frankfurt/M., Berlin 1993, S. 169. 6 Zitiert nach: Vincenzo Delle Donne: Falcone. Die Biographie, S. 174 (Hervorhebung im Original).
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schen deutschen Truppen. Er stellt eine Analogie her zwischen der Gegenwart und jenem historischen Zustand, in dem der italienische Staat für einige Zeit faktisch aufgehört hatte zu existieren – als während des Zweiten Weltkriegs die italienische Staatsgewalt in weiten Teilen des Nordens von den deutschen Besatzern und ihren Kollaborateuren übernommen worden war. Fast als wollte der amtierende Premierminister Giuliano Amato verdeutlichen, dass Scalfaros Analogie ein Fehlschluss sei, ergriff er einige drastische Maßnahmen, um gegen das organisierte Verbrechen vorzugehen. Und doch erschien die augenfälligste seiner Maßnahmen fast wie ein unbeabsichtigtes Eingeständnis der Schwäche: die Entsendung von 7.000 Soldaten nach Sizilien. Der Einsatz von Militär sei das im Kampf gegen die Mafia Unsinnigste, was man tun könne, hatte Falcone Jahre zuvor immer wieder betont. Dies würde nur eine Irreführung der Öffentlichkeit darstellen.7 Entgegen aller Unkenrufe patrouillierten nun doch Soldaten durch Palermo und verstärkten das Gefühl vieler Bürger, einen staatlichen Ausnahmezustand zu erleben. Neben dieser als zwiespältig empfundenen Militärentsendung setzten die Regierung Amato und das Parlament auch auf den genuinen Feldern der Mafia-Bekämpfung innerhalb weniger Tage Maßnahmen durch, die zuvor jahrzehntelang heftig umstritten waren. An exponierter Stelle ist hier das erste Zeugenschutzprogramm der Geschichte Italiens zu nennen. Aber auch die Verlegung führender inhaftierter Mafia-Bosse auf Gefängnisinseln galt als längst überfälliger Schritt – hoffte man doch, es damit den »Paten« weit schwerer zu machen, ihre kriminellen Gruppen aus dem Gefängnis zu steuern.8 Der Staat war auf blutige Art und Weise herausgefordert worden. Fieberhaft, so schien es, versuchte Premierminister Amato daraufhin den Eindruck zu erwecken, er, der Staat, sei in der Lage, hart und angemessen darauf zu reagieren.
7 Vgl. dazu: Vincenzo Delle Donne: Falcone. Die Biographie, S. 10. 8 Vgl. dazu: Alexander Stille: Die Richter, S. 384.
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I. Einleitung
Sichtbare Kräfte sind weit weniger gefürchtet als unsichtbare. Der Staat gehört zu den letzteren, seitdem die Gespenster verschwunden sind. Ernst Bloch
[Aus ders.: Naturrecht und menschliche Würde, Frankfurt/M. 1961, S. 301.]
I. EINLEITUNG
Den Staat als Hort der politischen Macht zu begreifen, sei einer der grundlegenden Irrwege, der einen tatsächlichen theoretischen Zugang zur Macht versperre, wurde Michel Foucault nicht müde zu betonen. Handele es sich dabei doch um eine veraltete westliche Denkweise der Machtausübung, die Foucault als »juristische Soziologie der Macht« bezeichnet, da sie von »einer juristischen Auffassung her«1 über die Macht nachdenke. Macht werde nach dieser Auffassung als Herrschaftspraxis verstanden, als Kraft der Normsetzung, die in einer Regierung gebündelt sei, welche die Gesellschaft zu ordnen versuche. »Ich glaube, von dieser juristischen Auffassung der Macht, von dieser Auffassung der Macht vom Gesetz und vom Souverän, von Regel und Verbot her muss man sich jetzt befreien, wenn wir zu einer Analyse nicht mehr der Repräsentation der Macht, sondern ihres tatsächlichen Funktionierens kommen wollen«,2 schreibt Foucault. Und noch weiter gehend: »Man muss die Mächtesysteme nicht nur von den Staatsapparaten, sondern auch von den politischen Strukturen trennen.«3 Die Bedeutung Foucaults für die notwendige Weitung des diskursiven Feldes der Machtanalyse kann kaum hoch genug veranschlagt werden, und seine Theoreme fanden im Verlauf der vergangenen drei Jahrzehnte nicht ohne Grund ihren Weg vom subversiven Rand der scientific community ins Zentrum derselben. Es dürfte gegenwärtig kaum eine sozialwissenschaftliche Studie über Macht und deren Analyse veröffentlicht werden, die nicht auf die eine oder andere Art und Weise auf Foucault Bezug nimmt. Foucaults Arbeiten sind von einem grundlegenden Perspektivenwechsel gegenüber den handlungsorientierten Theoremen gekennzeichnet, die seit Max Weber den Horizont der wissenschaftlichen Analyse der Macht, zumal der politischen Macht, weitgehend vorgegeben hatten. Macht ist in Foucaults Denken nicht etwas, was einer Person, einer Klasse oder einem Zirkel von Menschen eignet, sondern Macht wird als polyzentrisches Kräfteverhältnis begriffen, in dessen Netzwerk alle Gesellschaftsmitglieder 1 Michel Foucault: »Die Maschen der Macht«, in: Freibeuter, 63, März 1995, S. 24. 2 Ebd., S. 26. 3 Michel Foucault: »Die Macht und die Norm«, in: Ders.: Mikrophysik der Macht. Michel Foucault über Strafjustiz, Psychiatrie und Medizin, Berlin 1976, S. 116.
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gleichzeitig aktiv und passiv eingebunden sind, und sei es nur als »beobachtete Beobachter«. Da nicht erst seit Max Webers berühmter Definition des Politischen die beiden Komplexe »Macht« und »Politik« als auf das Engste miteinander verbunden gedacht werden,4 muss das Feld des genuin Politischen durch Foucaults theoretische Prämisse zwangsläufig gesprengt werden, oder anders formuliert: Durch diese Form der Machtanalyse wird das Politische auf die Totalität gesellschaftlicher Existenz geweitet, wie es auch in dem Sponti-Spruch »Alles Private ist politisch!« unmissverständlich zum Ausdruck kommt. Schließlich wirken die Dispositive der Macht bis in die entlegendsten Winkel der Gesellschaft. Wilhelm Hennis hat sehr früh und noch vor der Formulierung von Foucaults poststrukturalistischer Machtanalyse5 eine beißende Kritik an einer solchen Weitung des politischen Feldes geübt. Gegen Otto Stammer gerichtet schreibt Hennis: »Ist das der Fall, dann reicht ›Politik‹, wie man es gesagt hat, allerdings ›vom Gesichtskreis des Kegelclubs bis zur Perspektive des Kampfes um Weltmacht‹. Eine Untersuchung mit Befragungen und Tiefeninterviews der ›Machtorganisation‹ eines beliebigen Kegelclubs wäre also offenbar im Rahmen einer so verstandenen Wissenschaft genauso ›politische Wissenschaft‹ wie eine Schilderung ›des Kampfes um die Weltmacht‹.«6 Denkt man an dieser Stelle weiter, dann liegt es nahe, dass eine solchermaßen verstandene Weitung des politischen Feldes mit einer Bedeutungsabwertung des Staatlichen einhergehen muss. Denn wer Macht als vielgestaltig begreift, wird den Staat eben lediglich als einen Akteur unter vielen wahrnehmen.7 Und – wie Foucault schließlich pointiert – als veral4 Max Weber: Politik als Beruf (1919), Berlin 1991, S. 8: »›Politik‹ würde für uns heißen: Streben nach Machtanteil oder nach Beeinflussung der Machtverteilung, sei es zwischen Staaten, sei es innerhalb eines Staates zwischen den Menschengruppen, die er umschließt.« 5 Zumindest vor der Übersetzung der zentralen Texte ins Deutsche, die vor allem von Walter Seitter und Ulrich Raulff geleistet wurde, und der danach zaghaft einsetzenden westdeutschen Rezeption Foucaultscher Schriften. 6 Wilhelm Hennis: Politik und praktische Philosophie. Schriften zur politischen Theorie, Stuttgart 1977, S. 9. 7 Dieter Grimm spricht von einer »Entzauberung« des Staates in den Sozialwissenschaften, die in Form einer Kategorisierung des Staates »als Subsystem der Gesellschaft ohne hierarchische Spitzenposition und überlegene Machtbefugnis« vonstatten gegangen sei. Dieter
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I. EINLEITUNG
tetes Prinzip der Herrschaftsbündelung, das den neuzeitlichen und modernen Strategien einer flexiblen Form der Macht kaum als Beschreibung genügen dürfte. Damit jedoch wird man der grundlegenden Suprematie, die den Staat in seiner Eigenschaft als hegemonialer Akteur des politischen Feldes auszeichnet, in keiner Weise gerecht. Wohlgemerkt ist hier zunächst die Rede von einer faktischen Suprematie in Form der Machtmittel, die dem sozialen Konstrukt »Staat« eignen, um das Gewaltmonopol durchzusetzen, das überhaupt erst die Bedingung und die Legitimation seiner Existenz ausmacht. Denn neben allen wohlfahrtstaatlichen, steuerungspolitischen, rechtssetzenden und rechtswahrenden Funktionen, die den modernen Staat auszeichnen – und von manchen Betrachtern als dessen Legitimitätsbasis bezeichnet werden –, ist es bis heute vor allem seine Leistung als friedensschaffende und -sichernde Macht, die ihn überhaupt erst begründet und damit schlussendlich legitimiert.8 Ein Umstand, den Georg-Christoph von Unruh in Anlehnung an Hermann Heller formuliert: »[Die] ›Vielseitigkeit des Spektrums‹, [die] der staatliche Bereich als ein Grundmoment des menschlichen Daseins bietet, ›erfordert eine entsprechend weite Betrachtungsweise‹, die allerdings immer wieder auf das Bedürfnis des Menschen nach friedlichen zwischenmenschlichen Beziehungen und entsprechender sichernder Ordnung rekurrieren muss. Diesen Anliegen dient der Staat als ›Aktionseinheit‹.«9 Diese »Aktionseinheit« des Staates als theoretisches und soziales Konstrukt stößt seit Jahrzehnten innerhalb der politischen Soziologie auf ein eigenartiges Desinteresse. Fragen des Staates und der Staatlichkeit werden in der Soziologie kaum mehr analysiert und diskutiert10 – zwischen der Analyse von Systemen und StrukGrimm: »Staat und Gesellschaft«, in: Thomas Ellwein, Joachim Jens Hesse (Hg.): Staatswissenschaften: Vergessene Disziplin oder neue Herausforderung?, Baden-Baden 1990, S. 13. 8 Vgl. zur Genese und Geschichte neuzeitlicher Staatsgewalt die groß angelegte Studie von Wolfgang Reinhard: Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999. 9 Georg-Christoph von Unruh: Der Staat. Betrachtungen über Grundlagen und Grenzen der hoheitlichen Gewalt, Wien u.a. 1985, S. 106. 10 Eine durchaus erstaunliche Ausnahme stellt deshalb die Themenwahl des Deutschen Soziologiekongresses 2002 dar, der unter dem Leitthema »Entstaatlichung und soziale Sicherheit« vom 7. bis 11.
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MONOPOLE DER GEWALT
turen, Politikfeldern und Diskursen scheint der Staat durch die Raster der wissenschaftlichen Wahrnehmung gefallen zu sein. Selbst in der Politikwissenschaft hat der Staat den Rang eines Forschungs- und Reflexionsobjekts weitgehend verloren, wie Klaus von Beyme lakonisch anmerkt: »In den meisten Werken zur Politikfeldanalyse ist das Stichwort ›Staat‹ nicht einmal im Index zu finden.«11 Solch ein demonstratives Desinteresse hat in der Regel eine tiefere Ursache, deren zeitliche Verortung weit vor den paradigmatischen Einbrüchen zu datieren sein dürfte, die durch systemtheoretische und (post-)strukturelle Theoreme in die ursprünglich weitgehend handlungstheoretisch ausgerichteten Sozial- und Politikwissenschaften erfolgt sind. Wahrscheinlich bedarf es keiner allzu großen argumentativen Anstrengung, um darzulegen, dass die besondere Vorsicht im theoretischen Umgang mit dem Phänomen und dem Begriff des Staates einen wesentlichen Grund in den Hypostasierungen der Staatlichkeit in den faschistischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts hat. Die Staatsverherrlichung, die auch und gerade von Seiten der Wissenschaft betrieben wurde, kann als Sündenfall der Staatstheorie begriffen werden – der Leviathan hatte sich zum Behemoth gewandelt, und große Teile der Wissenschaft hatten diesen Wandel sekundiert. Der Staat hatte sich unter der Ägide des Faschismus – und ganz besonders unter seiner deutschen Ausprägung des Nationalsozialismus – zu einer »Maschine der Gewalt« gewandelt, die ihre »Bürger«12 weitgehend entmündigt, sie nach politischen, ethnischen und religiösen Kategorien selektiert und in millionenfacher Zahl kühl kalkulierend ermordet hatte. Die staatliche Autorität hatte mit bestürzender Klarheit bewiesen, dass sie, »um Recht zu
Oktober 2002 in Leipzig stattgefunden hat. Ob der Kongress als Indiz einer Trendwende hin zu einer vermehrten soziologischen Beschäftigung mit Fragen der Staatlichkeit bewertet werden kann, wird sich in den kommenden Jahren zu erweisen haben. 11 Klaus von Beyme: Die politischen Theorien der Gegenwart, Opladen 1992, S. 126. 12 In einem faschistischen Staat von »Bürgern« zu sprechen widerstrebt dem normativen Gehalt des Begriffes, der in der französischen Sprache durch die Ausdifferenzierung in die Begriffe Citoyen und Bourgeois im Terminus des Citoyen, des Staatsbürgers, einen Ausdruck findet.
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I. EINLEITUNG
schaffen, nicht Recht zu haben braucht«.13 Der Staat hatte sich als soziales Konstrukt erwiesen, das in seiner empirischen Ausgestaltung die Gefahr eines Missbrauchs der Machtmittel in sich birgt, und die Gesellschaft hatte sich als erschreckend schwach erwiesen, dem Missbrauch dieser Machtmittel durch den Staat Einhalt zu gebieten. Staat und Gesellschaft, daran soll an dieser Stelle erinnert werden, müssen als Begriffe scharf voneinander getrennt gedacht werden, obgleich sie in ihrer faktischen Existenz direkt aufeinander bezogen sind. Dieter Grimm verweist darauf, dass diese gedankliche Trennung in jüngerer Zeit zunehmend verwischt werde, dass aber die Schaffung eines grundlegenden rechtlichen Rahmens – einer Verfassung – gerade auf diese Differenz von Staat und Gesellschaft und der ihr innewohnenden Spannung begründet ist. »Sie [die Verfassung, MLH] verdankt ihre Entstehung dem [gesellschaftlichen, MLH] Bedürfnis, die öffentliche Gewalt, die sich im Zuge der Herausbildung des modernen souveränen Staates ihrer rechtlichen Bindungen weitgehend entledigt hatte, aber selbst eine umfassende Regelungsbefugnis in Anspruch nahm, auf eine Garantenfunktion für individuelle Freiheit und gesellschaftliche Autonomie einzuschränken.«14 In diesem Sinne kann die wissenschaftliche Rezeption der Begriffe Staat und Gesellschaft in der seit einigen Jahren vielfach als überholt bezeichneten politischen Rechts-Links-Schematik verortet werden. »Der Staatsbegriff ist im 20. Jahrhundert zum Schlüsselbegriff der konservativen politischen Theorien geworden«,15 schreibt Klaus von Beyme – und dasselbe lässt sich ohne Übertreibung von der Bedeutung des Begriffes der Gesellschaft für die politische Linke sagen.16 Noch deutlicher wird diese Verortung, 13 Carl Schmitt: Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität (1922), München und Leipzig 1934, S. 20. 14 Dieter Grimm: »Staat und Gesellschaft«, S. 14. 15 Klaus von Beyme: Die politischen Theorien der Gegenwart, S. 130. 16 Die zentrale Bedeutung des Begriffs der Gesellschaft für die politische Linke findet sich schon im Manifest der Kommunistischen Partei von Marx und Engels: »Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.« Hier wurde die Gesellschaft und ihre Geschichte untersucht, nicht die des Staates. Der Staat galt schlicht als Instrument zur Machtzentrierung nach einer erfolgreichen proletarischen Revolution, der schließlich nach dieser revolutionären Phase absterben und an dessen Stelle eine Assoziati-
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wenn man zwei davon abgeleitete Kernbegriffe betrachtet, die für das jeweilige politische Lager geradezu habituellen Charakter gewonnen haben: »Der Staat ist eine Gemeinschaft in allem, was wissenswürdig, in allem, was schön, in allem, was schätzbar und gut und göttlich im Menschen ist«,17 schreibt Edmund Burke, einer der Gründerväter des politischen Konservatismus. »Es ist nicht zu übersehen, dass man nach Burkes Auffassung grundsätzlich Vertrauen zum Staat haben soll. Vertrauen, Consent, aber ist ein konservativer Schlüsselbegriff, den man durchaus als Gegenstück zum Begriff ›Kritik‹ verstehen sollte«,18 ergänzt dazu Uwe Weller. Und »Kritik« ist ohne Zweifel der Kernbegriff der politischen Linken, und zwar in philosophischem, theoretischem und praktischem Verständnis.19 Vertrauen in die friedensschaffende und ordnende Kraft des Staates einerseits und Kritik an den Auswüchsen einer monopolisierten Gewalt und an gesellschaftlichen Missständen andererseits – in der Geschichte der letzten Jahrhunderte finden sich zahlreiche Beispiele für die Berechtigung und Notwendigkeit des einen wie des anderen Ansatzes. Die weltpolitische Erfahrung des Faschismus – und schließlich auch die des Kommunismus20 – haben das Vertrauen in die staatliche Gewalt jedoch dermaßen nachhaltig er-
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on treten würde, »worin die freie Entwicklung eines Jeden, die Bedingung für die freie Entwicklung Aller ist«. Karl Marx, Friedrich Engels: »Manifest der Kommunistischen Partei« (1848), in: Karl Marx: Frühschriften, hrsg. von Iring Fetscher, Berlin, Gütersloh 1992, S. 466 (Hervorhebung vom Autor) und 487. Zitiert nach: B. Uwe Weller: Schlüssel zur Politik, München 1990, S. 125. Ebd. (Hervorhebung im Original). Verwiesen sei an dieser Stelle auf den für die Kritische Theorie grundlegenden Text von Max Horheimer: »Traditionelle und kritische Theorie« (1937), in: Ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 4, Frankfurt/M. 1988, S. 216: »Die kritische Theorie hat bei aller Einsichtigkeit der einzelnen Schritte und der Übereinstimmung ihrer Elemente mit den fortgeschrittensten traditionellen Theorien keine spezifische Instanz für sich, als das mit ihr selbst verknüpfte Interesse an der Aufhebung des gesellschaftlichen Unrechts.« Und diese Aufhebung ist durchaus als praktische Aufgabe zu verstehen, denn die Kritische Theorie treibe zur »Transformation des gesellschaftlichen Ganzen« (S. 193). Vgl. dazu: Stéphane Courtois u.a. (Hg.): Das Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und Terror, München 2000.
I. EINLEITUNG
schüttert, dass der offenkundige Verfall der Staatswissenschaft – nicht im Sinne einer Subdisziplin der Rechtswissenschaft, wohl aber im Sinne eines eigenständigen und interdisziplinären Feldes der Geistes-, Sozial- und Politikwissenschaften – als eine der direkten Folgen dieses nachhaltigen Vertrauensverlustes zu werten ist. Wissenschaftliche Debatten verlaufen in Konjunkturen, daran dürfte kein Zweifel bestehen. Ebenso wenig wie an der Feststellung, dass sich die sozialtheoretische Beschäftigung mit dem Phänomen des Staates seit geraumer Zeit in einer »Baisse« befindet. Wenn dennoch in dieser Arbeit innerhalb des Feldes der politischen Soziologie ein Rückgriff auf die Staatstheorie versucht werden soll, einer Subdisziplin, die einst von Max Weber ins Zentrum der sich konturierenden Sozialwissenschaft in Deutschland gestellt worden war, dann vor allem aufgrund der sich ausbreitenden Erkenntnis, dass zunehmende Steuerungskrisen, ganz gleich ob innergesellschaftlicher oder übergesellschaftlicher Art, einen Bedarf an Steuerungstheorien nach sich ziehen, die »erfahrungsgemäß auf den Staatsbegriff wenigstens als fiktive Einheit eines Handlungszentrums rekurrieren«.21 Wer jedoch in diesem Sinne über den Staat arbeitet, setzt sich quasi verfahrensbegleitend dem Ruch des Etatismus aus. Ein Etikett, das wie die meisten Etiketten schnell klebt, das aber, wenn es erst einmal haftet, sich nur schwerlich wieder lösen lässt. Aus diesem Grund soll versucht werden, einem vorschnellen labeling auszuweichen, indem die negativen Auswüchse des Etatismus frontal angegangen werden. »Wer über den etatistischen Neokonservatismus der Bundesrepublik Deutschland sich heute auslässt, darf über den Konservatismus der Weimarer Republik nicht schweigen«,22 schreibt Richard Saage – und obwohl diese Formulierung inzwischen zwanzig Jahre alt ist, soll der ihr innewohnenden Forderung in dieser Arbeit entsprochen werden. Um alle Untiefen der Staatstheorie, im Sinne einer vernachlässigten sozialtheoretischen Subdisziplin, ausgeleuchtet zu haben, auf deren Boden sich im weiteren Verlauf die vorliegende Arbeit bewegen soll, werden deshalb in Kapitel II
21 Klaus von Beyme: Die politischen Theorien der Gegenwart, S. 133. 22 Richard Saage: Rückkehr zum starken Staat? Studien über Konservatismus, Faschismus und Demokratie, Frankfurt/M. 1983, S. 7.
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die zentralen Linien der staatstheoretischen Argumentation Carl Schmitts dargelegt. Kaum ein anderer Staatsrechtler hat die Konturen einer gefährdeten Staatlichkeit, die Notwendigkeit und die Möglichkeiten ihrer Verteidigung in diesem Umfang reflektiert und sich gleichzeitig so geistreich dem nationalsozialistischen Regime angedient wie Carl Schmitt. Seine Reflexionen über das Wesen staatlicher Macht haben ihn weit über das konservative Lager hinaus (um vom faschistoiden und offen faschistischen Lager zu schweigen) zu einem Steinbruch staatstheoretischer Versatzstücke gemacht, die sich um die Kernbegriffe Souveränität und Ausnahmezustand gruppieren. Termini, die im Zeitalter um sich greifender Bürgerkriege und eines globalen Terrorismus23 an neuer und gewaltiger Bedeutung gewonnen haben. Und auch die unter amerikanischer Führung betriebene globale Bekämpfung des Terrorismus scheint in manchen Zügen mehr dezisionistische als rechtsgebundene Charakteristika aufzuweisen: Verwiesen sei an dieser Stelle auf die umstrittene Entscheidung der USA, den in Guantanamo Bay auf Kuba inhaftierten Gefangenen des Afghanistan-Feldzugs den Status von Kriegsgefangenen vorzuenthalten, auf die juristische Sonderbehandlung mutmaßlicher Terroristen nicht-amerikanischer Staatsbürgerschaft, deren Fälle vor nicht-öffentlichen Militärtribunalen verhandelt werden, und auf die unsägliche öffentliche Debatte über die »Vorzüge der Folter«.24 Um jedoch die nach dem Ende des Kalten Krieges auch für westliche Staaten zunehmend zu Tage tretende Gefährdung der Staatlichkeit zu verdeutlichen, sollen die offenkundigen Krisen23 Exemplarisch können dazu die grundlegenden Arbeiten von Hoffman und Laqueur genannt werden: Bruce Hoffman: Terrorismus – der unerklärte Krieg. Neue Gefahren politischer Gewalt, Frankfurt/M. 2001; Walter Laqueur: Die globale Bedrohung. Neue Gefahren des Terrorismus, München 2001. 24 Vgl. dazu beispielsweise: Jonathan Alter: »Time to think about torture. It’s a new world, and survival may well require old techniques that seemed out of the question«, in: Newsweek, 5.11.2001. Oder: Carsten Volkery: »Das gefährliche Spiel mit der Folter«, in: SpiegelOnline, 6.11.2002. Oder: Adrian Kreye: »Töten, bevor sie uns töten. Amerika diskutiert die Vorzüge der Folter, während Bürgerrechtler die Erosion der Zivilgesellschaft schon zu spüren bekommen«, in: Süddeutsche Zeitung, 8.11.2002. Oder: Carsten Volkery: »Tausche Freiheit gegen Sicherheit«, in: Spiegel-Online, 20.11.2002.
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I. EINLEITUNG
phänomene, also Bürgerkriege25 und Terrorismus, lediglich gestreift werden. Statt dessen soll das Augenmerk auf ein Phänomen gerichtet werden, durch dessen Beispiel die Bedrohungssituation ermessen werden kann, in der sich selbst Staaten im gemeinhin als sicher empfundenen Kernbereich Mitteleuropas befinden: Organisierte Kriminalität, dies soll in Kapitel III dargelegt werden, muss als grundsätzliche Gefährdung der Staatlichkeit begriffen werden, damit als ein implizit politisches Phänomen – auch wenn politische Soziologie und Politikwissenschaft organisierte Kriminalität bislang kaum als Forschungsobjekt würdigen, und auch wenn die einzelnen kriminellen Akteure in der Regel ihr Handeln nicht an einem politischen Impetus ausrichten. Die nationalen und internationalen Strafverfolgungsbehörden sehen sich zunehmend mit Formen der Kriminalität konfrontiert, die sich durch rationales Vorgehen, Professionalität, Anwendung modernster Technologien und Vernetzung der kriminellen Akteure bis hin zu einer Verflechtung solcher Gruppierungen mit legalen Organisationen der Gesellschaft auszeichnen. Dabei reichen die politischen Gefährdungspotenziale von direkter Einflussnahme mittels Einschüchterung und Bestechung politischer Entscheidungsträger über schleichende Inbesitznahme wirtschaftlicher Macht, die wiederum in politische Macht münden kann, bis hin zu offener Gewalt und zur Etablierung rechtsfreier Räume bzw. einem dauerhaftem Aufbrechen des staatlichen Gewaltmonopols. Henner Hess schreibt dazu: »Das zentrale Bestreben eines mafioso bzw. einer mafiosen cosca ist stets, das Gewalt- und Protektionsmonopol auf einem bestimmten Territorium zu erringen und zu behaupten.«26 Vergleicht man diese Worte mit Max Webers Definition des Staates als »diejenige menschliche Gemeinschaft, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes – dies: das ›Gebiet‹, gehört zum Merkmal – das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht«,27 wird deutlich, dass es 25 Hingewiesen sei darauf, dass diese Bürgerkriege häufig medial vermittelt werden, als würden sie am »anderen Ende der Welt« stattfinden – auch wenn sich die Tragödien, wie in den Fällen Bosniens oder des Kosovo, wenige Hundert Kilometer von mitteleuropäischen Hauptstädten entfernt zutragen. 26 Henner Hess: Mafia. Ursprung, Macht und Mythos, Freiburg 1993, S. 201. 27 Max Weber: Politik als Beruf (1919), S. 8.
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sich hier um eine strukturelle Analogie handelt, die zu faktischer Inkommensurabilität führen muss. Die politischen Implikationen dieser strukturell bedingten Inkommensurabilität werden im weiteren Verlauf der Arbeit anhand eines empirischen Beispiels veranschaulicht: Da die Konturen sozialer Realitäten meist dann besonders deutlich hervortreten, wenn sie in extremen Situationen potenziert werden, wird als empirisches Beispiel der als Sonderfall begreifbare Casus der italienischen Cosa Nostra gewählt. Und zwar in der Zeitspanne des Italien der so genannten Ersten Republik, also etwa der Jahre von 1945 bis 1993/94, wobei auf die Ereignisse der 1970er und 1980er Jahre ein besonderer Schwerpunkt gelegt werden wird. Jenen Jahren, in denen die Mafia mit offener Brutalität agierte und der italienische Staat dieser Herausforderung entgegenzutreten begann, was den Gegenstand der Kapitel IV und V darstellt. Das grundsätzliche Interesse dieser Arbeit richtet sich erstens darauf, die Notwendigkeit staatstheoretischer Reflexion innerhalb der Soziologie zu unterstreichen, und zweitens darauf, das Phänomen der organisierten Kriminalität aus dem rein empirischdeskriptiven Zugriff kriminologischer und rechtswissenschaftlicher Forschung zu lösen, um mittels einer genuin theoretischen Perspektive das politische Gefährdungspotenzial sichtbar zu machen. Diese Ausrichtung ist unter anderem durch das häufig beklagte »Theorie-Defizit« der Forschung zur organisierten Kriminalität28 motiviert und führt in Kapitel VI zu grundlegenden theoretischen Reflexionen: Gewalt und Gegengewalt schraubten sich im italienischen Anti-Mafia-Kampf wechselseitig in die Höhe. Zahlreiche Leichenfunde, Ruinen ausgebombter Autos und öffentliche Schießereien in den Straßen süditalienischer Städte ließen für breite Teile der Bevölkerung Umrisse eines Schreckbildes sinnlich erfahrbar werden, das als theoretischer Gegenpol zum gedanklichen Konstrukt des Staates begriffen werden muss: der Bürgerkrieg. Der innere Zusammenhang der Begriffe Gewalt, Macht und Staat, der die Verbindungslinie zwischen den Polen Bürgerkrieg 28 Vgl. u.a.: Claudio Besozzi: Organisierte Kriminalität und empirische Forschung, Chur, Zürich 1997, S. 24: »Schließlich muss hervorgehoben werden, dass die Debatte um die Definition der organisierten Kriminalität in einem weitgehend theorielosen Raum stattfindet, was die Konstruktion eines theoretisch relevanten Untersuchungsprojekts nicht gerade fördert.«
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I. EINLEITUNG
und Staat darstellt, wird unter Rückgriff auf grundlegende Überlegungen Max Webers, Heinrich Popitz’ und Carl Schmitts dargelegt, in denen sich implizit das basale gedankliche Instrumentarium Thomas Hobbes’ bewahrt findet. Die fundamentale Rolle der Gewalt, die Heinrich Popitz als »die ordnungsstiftende Erfahrung schlechthin«29 beschreibt, wird dabei gleichsam als »Wiederkehr eines Verdrängten« neu aufscheinen. Schließlich verweisen alle drei Theoretiker auf den basalen Urgrund, den auch befriedete Gesellschaften nicht verschwinden machen können: Die soziale Erfahrung der Notwendigkeit der Einhegung von Gewalt mittels Gewalt, was wiederum auf den Ursprung des Rechts in der Gewalt verweist. Am Ende aber – dies soll gezeigt werden – steht die Erkenntnis, dass Gewalt sich nicht aus sich selbst legitimieren kann, und dass das staatliche Gewaltmonopol, will es dauerhaft ordnungsstiftend wirken, einer konsensualen normativen Rückbindung bedarf. Um etwaige Unklarheiten zu vermeiden, sei noch eine kurze Bemerkung zur disziplinären Verortung der vorliegenden Untersuchung vorweggeschickt: Das Vorgehen dieser Studie ist dem Verständnis der Soziologie als Transdisziplin geschuldet, was bedeutet, dass diese Arbeit im Niemandsland zwischen Staatstheorie, philosophischer Reflexion, Politikwissenschaft und Soziologie angesiedelt ist. Diesen überschreitenden Gestus verdankt diese Arbeit Wolfgang Eßbach, der seinen Studierenden mit auf den Weg gibt: »Wer Soziologie treibt, muss in fremden Gärten wildern.«30 Zumal, so könnte ergänzt werden, wenn die eigentlichen Gartenpächter in den entlegenen Winkeln ihrer Gehege die Ernte so unvollständig einholen.31 Prof. Wolfgang Eßbach und Prof. Willem van Reijen haben mich zu dieser Arbeit ermutigt und ihre Genese betreut und begleitet, ihnen gebührt deshalb an dieser Stelle mein ganz beson29 Heinrich Popitz: Phänomene der Macht, Tübingen 1992 (2., stark erweiterte Auflage), S. 61 (Hervorhebung im Original). 30 Wolfgang Eßbach: Studium Soziologie, München 1996, S. 69. 31 Noch eine Bemerkung zur formalen Gestaltung: Die in dieser Arbeit verwendete Orthographie und Interpunktion entspricht den Regeln der neuen deutschen Rechtschreibung. Auch Zitate werden, so weit es den ursprünglichen Inhalt nicht beschädigt, modernisiert wiedergegeben, um ein einheitliches Lesebild zu erzeugen.
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ders herzlicher Dank. Roswitha Brender und Axel T. Paul haben frühere Fassungen des Manuskripts gelesen und mir durch ihre Kommentare wertvolle Anregungen gegeben. Dafür sei auch ihnen von Herzen gedankt.
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II. Eine Theorie des Ausnahmezustands
Die großen Denker sind irgendwie seismisch, sie machen keine Entwicklung durch, sondern kommen nur durch Krisen, durch Erschütterungen voran. Gilles Deleuze
[Aus ders.: »Was ist ein Dispositiv?«, in: François Ewald, Bernhard Waldenfels (Hg.): Spiele der Wahrheit. Michel Foucaults Denken, Frankfurt/M. 1991, S. 153.]
II. EINE THEORIE DES AUSNAHMEZUSTANDS
1. Notwendige Vorbemerkungen Wer über Carl Schmitt schreibt, begibt sich auf schwankenden Boden, denn Schmitt ist eine der tragischen Figuren der deutschen Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts. Eine Figur, an der sich die Geister bis heute scheiden wie an kaum einem anderen Gelehrten der Zeitgeschichte. Schmitts Verstrickungen in den Nationalsozialismus sind evident und aus diesem Grund wird Schmitt von vielen schlicht als »Kronjurist des Dritten Reiches« qualifiziert. Oder wie Ernst Niekisch treffender formulierte: als »Quartiermacher des Nationalsozialismus«.1 Schließlich diente Schmitts staatstheoretisches Werk der Zwischenkriegszeit in weiten Teilen unverhohlen dem Kampf gegen die parlamentarische Verfasstheit der Weimarer Republik, was auf den folgenden Seiten deutlich gemacht werden soll. Trotz der Kenntnis dieser eindeutigen Prägung werden in der hier vorliegenden Arbeit Versatzstücke der Schmitt’schen Staatstheorie aus ihrem ursprünglichen Kontext isoliert und anschließend für einen neuen Kontext operationalisiert. Mit einem solchermaßen erarbeiteten theoretischen Instrumentarium soll eine sozialtheoretische Analyse durchgeführt werden, mit Hilfe derer ein vertieftes Verständnis der Gefährdungspotenziale ermöglicht werden soll, die liberal-demokratisch verfassten Staaten seitens organisierter Kriminalität drohen. Schmitts Werk bietet sich für diese Untersuchung in besonderer Weise an, da er wie kaum ein anderer Staatstheoretiker das Phänomen des staatlichen Ausnahmezustands untersucht und thematisiert hat. Schmitt, daran dürfte kein Zweifel bestehen, ist einer der grundlegenden Denker, der einerseits Angriffe auf staatliche Herrschaft und staatliche Souveränitätsansprüche sowie andererseits staatliche Verteidigungsmöglichkeiten zum Gegenstand seines Oeuvres gemacht hat. Bernhard Willms plädierte bereits 1988 dafür, unabhängig von der normativen Verortung des eigenen politischen Standpunkts, Carl Schmitt als »jüngsten Klassiker des politischen Denkens« an-
1 Zitiert nach: Paul Noack: Carl Schmitt. Eine Biographie, Frankfurt/M., Berlin 1996, S. 9.
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zuerkennen.2 Auch wenn Willms in diesem Plädoyer mit Polemik gegen »Bonn« (soll heißen die Bundesrepublik) und »Frankfurt« (soll heißen die behauptete linksliberale Ausrichtung der Politikund Sozialwissenschaften in der Bundesrepublik) nicht geizte, was den Text in weiten Strecken schwer genießbar macht,3 so ist seinem grundsätzlichen Appell, »sich auf den Autor [Carl Schmitt, MLH] einzulassen«, durchaus zuzustimmen. Aus der »professionellen Sicht des Ideenhistorikers« stellt Willms vier Forderungen an den zukünftigen Umgang mit dem Werk Carl Schmitts: Erstens ein »Durchstoßen zum Wesentlichen«, statt sich ausschließlich mit biografischen Details oder charakterlichen Mängeln des Autors aufzuhalten. Zweitens die Aufforderung, »zu sammeln, was eben zu haben ist«. Drittens die Forderung, »alle Werke zugänglich zu machen«. Und viertens schließlich die »Auseinandersetzung, Aneignung und Interpretation«.4 Die in dieser Arbeit durchgeführte Operationalisierung beruht auf einer Destillation der wesentlichen Elemente aus den staatstheoretischen Schriften Carl Schmitts der Zwischenkriegszeit und versteht sich als produktive Auseinandersetzung und Interpretation, die über eine reine Exegese hinausweist. Strukturiert durch die im Kontext der Schmitt’schen Schriften der Zwischenkriegszeit zu erarbeitenden Elemente, des Begriffs der Souveränität, des Begriffs des Ausnahmezustands, des Kriteriums der Freund-FeindUnterscheidung sowie des Konzepts der Sichtbarkeit der Macht soll im Anschluss ein staatstheoretischer Zugang zum Bedrohungspotenzial organisierter Kriminalität generiert werden, der gleichsam als Meta-Diskurs über die praktische rechtswissenschaftliche Beschäftigung und klassische kriminologische Forschung hinausweist.
2 Bernhard Willms: »Carl Schmitt – jüngster Klassiker des politischen Denkens?«, in: Helmut Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt, S. 577-597. 3 Ebd., S. 596: »Diese weltweit steigende Anerkennung des Klassikers Carl Schmitt wird heute nur noch von einem Provinzialismus geleugnet, für den freilich nicht etwa ein Name wie ›Plettenberg‹ stehen kann, sondern höchstens Namen wie ›Bonn‹ oder auch so einer wie ›Frankfurt‹.« (Hervorhebung im Original). 4 Vgl. dazu: Ebd., S. 595f.
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II. EINE THEORIE DES AUSNAHMEZUSTANDS
Nähert man sich heute Carl Schmitt, bewegt man sich in einem gut gefüllten Diskursraum: Die Zahl der über Schmitt publizierten Monographien geht inzwischen in die Hunderte und die Kette der Veröffentlichungen scheint nicht abzureißen. In der vorliegenden Arbeit sind im Wesentlichen die staatstheoretischen Schriften Schmitts der Zwischenkriegszeit von Interesse, eben jene Werke, die von konservativer Seite aufgrund ihrer analytischen Klarheit und Brillanz bewundert und die von liberaler und linker Seite als Wegbereitung des Nationalsozialismus sowie als Produkt eines autoritätshörigen Opportunismus geschmäht werden. Um den gegenwärtigen Forschungsstand zu skizzieren, sei an dieser Stelle auf einige wenige Publikationen hingewiesen, die wesentliche Etappen der Schmitt-Rezeption in Deutschland bezeichnen. Christian Graf von Krockow erörterte bereits 1958 die geistesgeschichtlichen Grundlagen und existenzialistischen Gemeinsamkeiten Ernst Jüngers, Carl Schmitts und Martin Heideggers, die – so Krockow – im Pathos der Entscheidung kulminierten.5 Jürgen Fijalkowski pointierte im gleichen Jahr, Schmitt habe vor aller Theoriebildung – damit auch vor 1933 – eine Entscheidung für den Nationalsozialismus gefällt, was in dieser Undifferenziertheit heute sicherlich nicht mehr zu halten ist.6 Sechs Jahre später, 1964, beschrieb und analysierte Hasso Hofmann dagegen überraschend nüchtern die Phasen der Theoriebildung Schmitts.7 Hofmanns »Legitimität gegen Legalität« gab für viele Jahre, zumindest in deskriptiver Weise, den Stand der Schmitt-Diskussion vor. Aus der Perspektive marxistischer Ideologiekritik näherte sich 1976 Ingeborg Maus den Schmitt’schen Schriften und betonte in ihrer Studie vor allem die Kontinuität der Theorie Carl Schmitts – über alle biografischen und zeitgeschichtlichen Brüche hinweg.8 Die von Helmut Quaritsch 1988 herausgegebene Edition einer ers5 Christian Graf von Krockow: Die Entscheidung. Eine Untersuchung über Ernst Jünger, Carl Schmitt, Martin Heidegger, Stuttgart 1958. 6 Jürgen Fijalkowsky: Die Wendung zum Führerstaat. Die ideologischen Komponenten in der politischen Philosophie Carl Schmitts, Köln 1958. 7 Hasso Hofmann: Legitimität gegen Legalität. Der Weg der politischen Philosophie bei Carl Schmitt, Neuwied 1964. 8 Ingeborg Maus: Bürgerliche Rechtstheorie und Faschismus. Zur sozialen Funktion und aktuellen Wirkung der Theorie Carl Schmitts, München 1976.
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ten großen wissenschaftlichen Tagung zum Denken Carl Schmitts, in der allerdings nur wenig Schmitt-Kritisches zu lesen ist, markiert den Wendepunkt zu einer deutlich vermehrten Hinwendung des Wissenschaftsbetriebs zu Schmitt’schen Schriften.9 Ein Jahr später legte Quaritsch seine eigene Deutung des Schmitt’schen Werks vor.10 Dirk van Laak öffnete 1993 den Bezugskreis der bisherigen Schmitt-Exegesen und analysierte die Bedeutung Carl Schmitts für die politische Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik.11 Dagegen legten Reinhard Mehring (1989) und Manfred Dahlheimer (1998) ihr Augenmerk auf die vielfältigen geistigen Verbindungslinien des Schmitt’schen Denkens zum Katholizismus.12 Eine eigenwillige Schmitt-Interpretation psychoanalytischer Lesart bietet Nicolaus Sombart (1991).13 Vergleichbar mit Klaus Theweleits großer psychoanalytischer Faschismusstudie,14 interpretiert Sombart Schmitt als Verteidiger eines patriarchalischen Obrigkeitsdenkens, der verzweifelt versuche dem heraufdämmernden Matriarchatsmythos Einhalt zu gebieten. Sombarts Text ist kenntnisreich und durchaus originell – für die weitere SchmittExegese besaß er allerdings eher marginale Bedeutung. Obwohl Schmitt bei Aussagen über sich selbst eher Sparsamkeit walten ließ und sein Privatleben zu schützen versuchte, war seine Biografie bislang zwei Mal Gegenstand umfangreicher Arbeiten. Der US-Amerikaner Joseph W. Bendersky veröffentlichte
9 Helmut Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt, Berlin 1988. 10 Helmut Quaritsch: Positionen und Begriffe Carl Schmitts, Berlin 1989. 11 Dirk van Laak: Gespräche in der Sicherheit des Schweigens. Carl Schmitt in der politischen Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik, Berlin 1993. 12 Reinhard Mehring: Pathetisches Denken. Carl Schmitts Denkweg am Leitfaden Hegels: Katholische Grundstellung und antimarxistische Hegelstrategie, Berlin 1989. Manfred Dahlheimer: Carl Schmitt und der deutsche Katholizismus 1888-1936, Paderborn 1998. 13 Nicolaus Sombart: Die deutschen Männer und ihre Feinde. Carl Schmitt – ein deutsches Schicksal zwischen Männerbund und Matriarchatsmythos, München, Wien 1991. 14 Klaus Theweleit: Männerphantasien, 2. Bde., München 1996 (erstmals erschienen 1977, 1978).
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1983 »Carl Schmitt. Theorist for the Reich«,15 eine solide Dokumentation – vor allem der Jahre 1922 bis 1947 –, die in ihrer kritiklosen Haltung gegenüber Schmitt die mehrdimensionale Tiefe des Lebens und Werks Carl Schmitts jedoch nicht auszuloten vermochte. Deutlich ambitionierter und umsichtiger ging Paul Noack ans Werk, der 1993 seine Biografie Carl Schmitts vorlegte.16 Noacks Studie bietet ein umfassendes und um Ausgewogenheit bemühtes Porträt, das in seiner Komplexität bislang den Maßstab der biografischen Carl Schmitt-Arbeit vorgibt. Als anekdotische Ergänzungen verdienen die beiden kürzeren Texte von Jacob Taubes (1987)17 und Hansjörg Viesel (1988)18 eine Erwähnung. Eine zuvor kaum beleuchtete Seite Schmitts stellte 1995 Ingeborg Villinger ins Zentrum ihrer Arbeit: seine frühe Rolle als Kulturkritiker.19 Abseits des Mainstreams der Schmitt-Forschung lieferte Villinger einen wichtigen Beitrag zur Verdeutlichung der Mehrdimensionalität des Schmitt’schen Werks. Daneben ordnete sie mit Dirk van Laak Schmitts Nachlass und öffnete damit der weiteren biografischen Forschung neue Möglichkeiten.20 An dieser Stelle sei auch auf den 1999 erschienenen, vorzüglich edierten Briefwechsel zwischen Ernst Jünger und Carl Schmitt hingewiesen,21 der über einen Zeitraum von mehr als 60 Jahren ein Panorama biografischer Zeitzeugenschaft eröffnet. Einige der nach 1985, also nach Schmitts Tod, veröffentlichten Aufsätze finden sich darüber hinaus in Günter Maschkes »Der Tod des Carl Schmitt« (1987).22
15 Joseph W. Bendersky: Carl Schmitt. Theorist for the Reich, Princeton 1983. 16 Paul Noack: Carl Schmitt. 17 Jacob Taubes: Ad Carl Schmitt. Gegenstrebige Fügung, Berlin 1987. 18 Hansjörg Viesel: Jawohl, der Schmitt. Zehn Briefe aus Plettenberg, Berlin 1988. 19 Ingeborg Villinger: Carl Schmitts Kulturkritik der Moderne. Text, Kommentar und Analyse der ›Schattenrisse‹ des Johannes Negelinus, Berlin 1995. 20 Dirk van Laak, Ingeborg Villinger: Nachlass Carl Schmitt. Verzeichnis des Bestandes im nordrhein-westfälischen Hauptstaatsarchiv, Düsseldorf 1993. 21 Ernst Jünger, Carl Schmitt: Briefe 1930-1983, hrsg. von Helmuth Kiesel, Stuttgart 1999. 22 Günter Maschke: Der Tod des Carl Schmitt. Apologie und Polemik, Wien 1987.
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2. Carl Schmitts Theorie starker Staatlichkeit Über Carl Schmitt zu schreiben, mag in den letzten Jahrzehnten eine beachtliche Verbreitung erfahren haben, mit Carl Schmitt zu arbeiten, scheint bis heute aufgrund großer normativer Vorbehalte kaum möglich zu sein. Denn erstaunlicherweise existiert eine Fülle von Arbeiten über Carl Schmitt, jedoch kaum eine wissenschaftliche Studie, die versucht, die Schmitt’schen Schriften zu operationalisieren, um damit aktuelle politikwissenschaftliche oder staatstheoretische Problemkreise zu bearbeiten.23 Zum überwiegenden Teil dürfte dies der antidemokratischen und – zumindest zwischen 1933 und 1945 – offen faschistischen Grundströmung des Schmitt’schen Werks geschuldet sein. Und der Befürchtung, dass, wer mit einem aus Schmitts Schriften destillierten theoretischen Instrumentarium arbeitet, sich selbst dem Verdacht aussetzt, antiliberale und antidemokratische Affekte zu hegen. Diese Befürchtung mag – in einigen Fällen – durchaus gerechtfertigt sein. Allerdings sollte andererseits argumentiert werden können, dass es für demokratische Geistesarbeiter gerade ein Zeichen von Vertrauen in das eigene basale Wertesystem darstellt, sich dem »geistigen Waffenarsenal des Gegners« zu stellen, es in Teilen vielleicht sogar für eigene Zwecke dienstbar zu machen. Ein solcher Zugang wäre wohl ein Gewinn, selbst wenn es lediglich darum ginge, die eigenen Gedanken an Schmitts Theoremen zu schärfen. Ganz im Sinne Michel Foucaults werden deshalb im Folgenden die Schriften Carl Schmitts als »kleine Werkzeugkisten«24 beg-
23 Als Ausnahme muss hier Giorgio Agamben angeführt werden, der jüngst auf der Grundlage der Schmitt’schen Souveränitätslehre einerseits und der dem römischen Recht entstammenden Rechtsfigur des »Homo sacer« andererseits ein bipolares theoretisches Modell entwickelte, um die Schlüsselrolle zu begründen, die dem »Leben« in den Gesellschaftsformationen der Moderne zugewiesen werde. Vgl. dazu: Giorgio Agamben: Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben, Frankfurt/M. 2002. 24 Michel Foucault: »Von den Martern zu den Zellen. Ein Gespräch mit Roger-Pol Droit«, in: Ders.: Mikrophysik der Macht. Über Strafjustiz, Psychiatrie und Medizin, Berlin 1976, S. 53: »Alle meine Bücher ... sind, wenn Sie so wollen, kleine Werkzeugkisten. Wenn die Leute sie aufmachen wollen, und diesen oder jenen Satz, diese oder jene
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riffen, aus denen einzelne Ideen und Versatzstücke herausgebrochen werden, um aus ihnen ein theoretisches Instrument zu schmieden. Es wird ein Versuch der Operationalisierung des staatstheoretischen Werks Carl Schmitts unternommen, wobei Schmitts Werk als in einer dreifachen Einbettung verharrend begriffen wird. Sozialtheoretisch eingebettet in den Komplex der Theorie der Moderne, zeitgeschichtlich eingebettet in den Erfahrungshorizont der Weimarer Republik und staatstheoretisch eingebettet in ein Amalgam, das aus Versatzstücken der so genannten Denker der Gegenrevolution (in erster Linie von Louis Gabriel Ambroise Vicomte de Bonald, Graf Joseph de Maistre und Juan Maria Donoso Cortés) und aus Elementen der Schriften von Thomas Hobbes besteht (teilweise mit Anleihen bei Jean Bodin). Grundlegend bei dieser Operationalisierung wird Schmitts Theorie staatlicher Macht sein – einer Macht, deren Souveränitätsanspruch immer wieder Angriffen und Gefährdungen ausgesetzt ist.
Die geschichtsphilosophische Matrix Im Jahr 1922 veröffentlicht der 34 Jahre alte Carl Schmitt ein kurzes Büchlein, das den prägnanten Titel »Politische Theologie«25 trägt. Es sollte sein wahrscheinlich berühmtester Text werden und den Beginn eines viele Jahrzehnte andauernden labelings markieren. Der Begriff der Politischen Theologie prägt seither – gleichsam wie ein Markenname – das Schmittsche Denken. Ein Markenname jedoch, der bis heute Anlass gibt zu Missverständnissen und Fehldeutungen. Denn bei Schmitts Politischer Theologie geht es weniger um Theologie oder Metaphysik als vielmehr um die geschichts- und staatsphilosophische Matrix, auf deren Hintergrund die (auch später entwickelten) Gedanken seines staatstheoretischen Werks verstanden werden müssen. »Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe«,26 beginnt Schmitt das dritte Kapitel, das auch als Kapitelüberschrift den Titel »Politische Theologie« trägt. Dieser kurze Satz beinhaltet bereits zwei eminent wichIdee oder Analyse als Schraubenzieher verwenden, um die Machtsysteme kurzzuschließen ... – nun gut, umso besser.« 25 Carl Schmitt: Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, München und Leipzig 1934 (erstmals erschienen 1922). 26 Ebd., S. 49.
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tige Aspekte der Politischen Theologie: Zum einen besagt er, dass theologisches Denken dem Staatsdenken vorgelagert ist – denn die Begriffe der Staatslehre entstammen der Theologie und nicht umgekehrt. Zum anderen, dass es sich um säkularisierte theologische Begriffe handelt – dieser Aspekt bedarf einer besonderen Betonung, denn Schmitts Politische Theologie ist keine theologische Politikbetrachtung, sondern ein durch und durch säkularisierter Denkansatz. Kurz und prägnant können die Grundannahmen der Politischen Theologie als strukturelle Übereinstimmung des theologischen und metaphysischen Weltbildes einer Zeit mit dem Bild vom Staat dieser Zeit umschrieben werden.27 Einige Jahre später fügt Schmitt dieses Modell der strukturellen Übereinstimmung in ein zeitliches Raster. In dem 1929 erschienenen Aufsatz »Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen« schreibt er: »Erinnern wir uns der Stufen, in denen sich der europäische Geist der letzten vier Jahrhunderte bewegt hat ... Es sind vier große, einfache säkulare Schritte: Sie entsprechen den vier Jahrhunderten und gehen vom Theologischen zum Metaphysischen, von dort zum Humanitär-Moralischen und schließlich zum Ökonomischen.«28 Vordergründig scheint es sich um ein einfaches geschichtsphilosophisches Modell zu handeln, das einerseits durch seine Klarheit besticht, andererseits aufgrund seiner Schlichtheit, ja fast Holzschnittartigkeit Zweifel hervorruft. Schmitt, der sich dieses Mangels durchaus bewusst ist, versucht deshalb seine »Stufenfolge« gegen drei mögliche Einwände zu immunisieren: Erstens gegen eine Gleichsetzung mit dem »vulgären Drei-Stadien-Gesetz«, das in der Tradition von Vico oder Comte die europäische Entwicklung statisch in die Abfolge Theologie, Metaphysik und schließlich Wissenschaft zu bringen versuche. Zweitens gegen das Konstrukt einer fortlaufenden Linie des Fortschritts nach oben bzw. des Verfalls nach unten.29 Und 27 Vgl. zu den Implikationen dieser Strukturanalogie: Karl-Heinz Ladeur: »Carl Schmitt und die Nichthintergehbarkeit der Politischen Theologie – Die Versuchung des Totalitarismus in der liberalen Gesellschaft«, in: Politische Vierteljahresschrift, 37. Jhg., 1996, S. 665-686. 28 Carl Schmitt: »Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen«, in: Ders.: Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien, Berlin 1963, S. 80. 29 Ebd., S. 81.
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schließlich drittens gegen das »Missverständnis, die Stufenfolge so auszulegen, als hätte es in jedem dieser Jahrhunderte nichts anderes gegeben als gerade das Zentralgebiet«.30 Vielmehr bestünde immer ein pluralistisches Nebeneinander verschiedener bereits durchlaufener Stufen. »Die wechselnden Zentralgebiete betreffen ... nur das konkrete Faktum, dass in diesen vier Jahrhunderten europäischer Geschichte die führenden Eliten wechselten, dass die Evidenz ihrer Überzeugungen und Argumente sich fortwährend änderte, ebenso wie der Inhalt ihrer geistigen Interessen.«31 Und weiter, um das Modell der strukturellen Übereinstimmung mit dem Modell der Stufenfolge zu verbinden: »Vor allem nimmt auch der Staat seine Wirklichkeit und Kraft aus dem jeweiligen Zentralgebiet, weil die maßgeblichen Streitthemen der FreundFeindgruppierungen sich ebenfalls nach dem maßgebenden Sachgebiet bestimmen.«32 Dieses methodische Vorgehen bezeichnet Schmitt als »Soziologie von Begriffen«,33 zu der gehöre, »dass, hinausgehend über die an den nächsten praktischen Interessen des Rechtslebens orientierte juristische Begrifflichkeit, die letzte, radikal systematische Struktur gefunden und diese begriffliche Struktur mit der begrifflichen Verarbeitung der sozialen Struktur einer bestimmten Epoche verglichen wird«.34 Oder einfacher formuliert: »Das metaphysische Bild, das sich ein bestimmtes Zeitalter von der Welt macht, hat dieselbe Struktur wie das, was ihr als Form ihrer politischen Organisation ohne weiteres einleuchtet. Die Feststellung einer solchen Identität ist die Soziologie des Souveränitätsbegriffes.«35 Schmitt erläutert diesen Gedankengang auf zwei Ebenen. Zum einen auf der Ebene der historischen Entwicklung, das heißt, er beschreibt, wie die Begriffe aus der Theologie auf die Staatslehre übertragen wurden, »indem zum Beispiel der allmächtige Gott zum omnipotenten Gesetzgeber wurde«.36 Zum anderen zeigt er auf 30 31 32 33
Ebd. Ebd., S. 82. Ebd., S. 86 (Hervorhebung im Original). Vgl. dazu: Reinhard Mehring: »Carl Schmitts Lehre von der Auflösung des Liberalismus: Das Sinngefüge der ›Verfassungslehre‹ als historisches Urteil«, in: Zeitschrift für Politik, 1991, Heft 2, S. 213-215. 34 Carl Schmitt: Politische Theologie, S. 59. 35 Ebd., S. 59f. 36 Ebd., S. 49.
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der Ebene der systematischen Struktur, wie es im voraufklärerischen Denken möglich war, Nicht-Normales zu denken. Hier verdeutlicht er, dass der Ausnahmezustand für die Staatslehre eine analoge Bedeutung hat zum Wunder in der Theologie. Ausnahmezustand und Wunder sind etwas Mögliches, deshalb müssen sie mitgedacht werden, ohne dass man sie näher in ein Denkschema pressen könne, da sie sich ja gerade normalen Strukturen entzögen.37 Ein Wunder kann man nicht vorhersehen und nicht rational erklären, diese Qualitäten machen ja schließlich gerade ein Wunder aus. Der Rationalismus der Aufklärung verwerfe den Ausnahmefall in jeder Form – also sowohl auf der theologischen als auch auf der staatsphilosophischen Ebene. Die Aufklärung glaube weder an Wunder, noch könne sie, so Schmitt, den juristischen Ausnahmezustand denken. Im Gegenteil, die Aufklärung versuche, alles zu normieren und somit zum Normalfall zu machen. Damit entziehe die aufgeklärte positivistische Staatslehre sich selbst die Möglichkeit, Letztbegründungen zu liefern. Denn wer nur in Kategorien des Normalfalls denke, könne den Anfang einer Normalsituation nicht denken. Einfacher ausgedrückt heißt das, dass der Normalzustand erst geschaffen werden muss, um als Normalzustand mit seinen genormten Regeln zu funktionieren. Und dieser Schöpfungsakt ist gerade nicht mit den Kategorien des Normalzustands zu denken, weil er eben diesem vorgelagert ist.38 Auf den ersten Blick scheint Schmitts Frage nach der Letztbegründung eine deutliche Affinität zu einem der ältesten erkenntnistheoretischen Probleme der Philosophie aufzuweisen: der Suche »nach einem archimedischen Punkt für den Bereich der Erkenntnis«, wie Hans Albert es formulierte.39 Albert machte deutlich, dass der Rekurs auf das »allgemeine Postulat der klassischen Methodologie des rationalen Denkens«, also auf den Satz vom zureichenden Grund, zu einem nicht lösbaren »MünchhausenTrilemma« führt.40 Entweder versucht man, immer weiter auf Begründungen zurückzugreifen, dann stößt man auf das bereits von Aristoteles formulierte Problem der Nichtdurchführbarkeit, da
37 38 39 40
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Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 49-66. Hans Albert: Traktat über kritische Vernunft, Tübingen 1968, S. 9. Ebd., S. 9f.
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man unendlich weit zurückgehen müsste.41 Albert nennt dies einen infiniten Regress. Oder aber man verfällt einem logischen Zirkel in der Deduktion, das heißt, man greift auf Gründe zurück, die selbst begründungsbedürftig sind. Damit jedoch wäre eine gesicherte Basis für Erkenntnis nicht gegeben. Die dritte Möglichkeit besteht in dem bewussten Abbruch des Begründungsverfahrens an einem bestimmten Punkt. Da die Wahl des Zeitpunkts für diesen Abbruch von der Willkür des Forschers abhängt, führt dieses Vorgehen ebenfalls zu keiner gesicherten Erkenntnis. Albert zog aus dieser Analyse des »Münchhausen-Trilemmas« die Folgerung, dass der Satz vom zureichenden Grund als Postulat einer rationalen Wissenschaftstheorie untauglich sei und ersetzte ihn durch die Idee der kritischen Prüfung,42 womit er den Grundstein legte für die Genese des kritischen Rationalismus Popperscher Prägung.43 Dies alles geschah jedoch fast ein halbes Jahrhundert nachdem Schmitt seine Frage nach der Letztbegründung gestellt hatte. Darüber hinaus existiert zwischen Schmitts und Alberts Problemlage eine nuancenhafte Verschiebung, die weit reichende Konsequenzen zeitigt. Schmitt stellt die Frage nach der Letztbegründung normativer Setzungen, Albert nach der Letztbegründung wissenschaftlicher Erkenntnis. Schmitt war weniger an »reiner Erkenntnis« interessiert, als vielmehr an der »konkreten, zeitgebundenen Frage der staatsrechtlichen Ordnung«. Insofern waren seine Überlegungen zweckgebunden und zielgerichtet, was in der »Politischen Theologie« deutlich wird: »Von dieser Art ideengeschichtlicher Betrachtung aus gesehen, zeigt die staatstheoretische Entwicklung des 19. Jahrhunderts zwei charakteristische Momente: die Beseitigung aller theistischen und transzendenten Vorstellungen und die Bildung eines neuen Legitimitätsbegriffes.«44 Der alte monarchische Legitimitätsbegriff, also das Königtum von Gottes Gnaden, habe in einer enttheologisierten Welt seine Kraft verloren, so Schmitt. Es bedürfe also einer neuen Legitimität, einer Legitimität, die dem gottlosen Zeitalter entspreche, in dem wir leben. Und hier
41 42 43 44
Aristoteles: Texte zur Logik, Leck/Schleswig 1967, S. 51. Hans Albert: Traktat über kritische Vernunft, S. 35. Vgl. dazu: Karl R. Popper: Objektive Erkenntnis, Hamburg 1973. Carl Schmitt: Politische Theologie, S. 65.
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zitiert Schmitt Thomas Hobbes: »Auctoritas, non veritas facit legem«45 (Stärke, nicht Wahrheit schafft Recht). Mit diesem Kernsatz haben wir bereits die geschichtsphilosophische Matrix verlassen und sind mitten im dezisionistischen Denken Schmitts angekommen. Nicht Moral, nicht Religion, nicht Kultur – sondern die Entscheidung begründe die Ordnung. Und damit nun wird deutlich, wohin Schmitts geschichtsphilosophische Reflexionen und seine Frage nach der Letztbegründung führen: Zum Dezisionismus, also zur Erkenntnis, dass in einer »entzauberten Welt« am Anfang jeglicher staatsrechtlichen Ordnung die Dezision stehe, die freie und normativ ungebundene Entscheidung für und gegen jeweils alternative Ordnungsmodelle.
Der Begriff der Souveränität Mit dem gerade vollzogenen Umschlag von der Geschichtsphilosophie zum Dezisionismus stellt sich unweigerlich eine Frage: Wer entscheidet? Wer fällt die freie und normativ ungebundene Entscheidung? Wer ist befugt, Ordnung zu stiften? Oder anders formuliert: Wer besitzt die Souveränität, wer ist Souverän? Schmitt pariert diese Frage mit einer gedanklichen Wendung von außerordentlicher Eleganz. Die Frage, die sich aus dem theoretischen Konstrukt des Dezisionismus entwickelte, wird an den Dezisionismus zurückverwiesen: »Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.«46 Mit diesem berühmten ersten Satz der »Politischen Theologie« eröffnet er seine Ausführungen zum Begriff der Souveränität – ausgehend vom und hinführend zum Dezisionismus und ersetzt damit die gemeinhin anerkannte Definition der Souveränität als höchste, nicht abgeleitete Herrschermacht. Für Schmitt ist die höchste Entscheidungsgewalt somit nichts Statisches, sondern etwas höchst Vitales: Zur Souveränität ist man nicht befugt, zur Souveränität ist man befähigt.47 Eine 45 Ebd., S. 66. 46 Ebd., S. 11. 47 Walter Benjamin veranschaulicht diesen Gedanken anhand des Negativbeispiels der Entschlussunfähigkeit des Tyrannen, wie sie in barocken Trauerspielen dargestellt werde – als Nicht-Befähigung zur Souveränität: »Die Antithese zwischen Herrschermacht und Herrschvermögen hat für das Trauerspiel zu einem eigenen ... Zug geführt, dessen Beleuchtung einzig auf dem Grunde der Lehre von
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erstaunliche Begriffsdefinition für einen Juristen, offenbart sie doch ein gehöriges Maß an Geringschätzung des gesetzten Rechts. Diese Geringschätzung wird auch in den weiteren Ausführungen seiner Begriffsklärung der Souveränität deutlich. Denn, was Schmitt besonders betont: Der Souverän entscheidet sowohl darüber, ob der extreme Notfall vorliegt, als auch darüber, was geschehen soll, um ihn zu beseitigen.48 Er wird quasi als »Hüter der Verfassung«49 gedacht, der jedoch selbst außerhalb der Verfassung steht. Im Klartext heißt das, der Souverän braucht sich nicht an geltendes Recht zu halten: »Im Ausnahmefall suspendiert der Staat das Recht, kraft seines Selbsterhaltungsrechtes.«50 Denn die Existenz des Staates besitze eine zweifellose Überlegenheit über die Geltung der Rechtsnorm. »Der Souverän schafft und garantiert die Situation als Ganzes in ihrer Totalität.«51 Die Entscheidung ist damit, oder besser formuliert: hat sich von jeder normativen Gebundenheit gelöst und wird »im eigentlichen Sinne absolut«.52 Und um etwaige Missverständnisse zu vermeiden, fasst Schmitt in aller Deutlichkeit noch einmal zu-
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der Souveränität sich abhebt. Das ist die Entschlussunfähigkeit des Tyrannen. Der Fürst, bei dem die Entscheidung über den Ausnahmezustand ruht, erweist in der erstbesten Situation, dass ein Entschluss ihm fast unmöglich ist ... Immer von neuem fasziniert im Untergang des Tyrannen der Widerstreit, in welchem Ohnmacht und Verworfenheit seiner Person mit der Überzeugung von der sakrosankten Gewalt seiner Rolle im Gefühl des Zeitalters liegen.« Walter Benjamin: Ursprung des deutschen Trauerspiels (1928), Frankfurt/M. 1996, S. 52f. Die direkte Bezogenheit dieser Passage auf das staatstheoretische Denken Schmitts wird durch einen Brief Benjamins an Schmitt belegt, in dem es heißt: »Sie werden schnell bemerken, wie viel das Buch in seiner Darstellung der Lehre von der Souveränität im 17. Jahrhundert Ihnen verdankt.« Zitiert nach: Willem van Reijen, Herman van Doorn: Aufenthalte und Passagen. Leben und Werk Walter Benjamins, Frankfurt/M. 2001, S. 105. Vgl. grundsätzlich zum Verhältnis zwischen Benjamin und Schmitt: Susanne Heil: »Gefährliche Beziehungen«. Walter Benjamin und Carl Schmitt, Stuttgart 1996. Vgl. Carl Schmitt: Politische Theologie, S. 12f. Vgl. zu den konkret-politischen Implikationen dieses Konstrukts: Carl Schmitt: Der Hüter der Verfassung, Berlin 1985 (erstmals erschienen 1931). Carl Schmitt: Politische Theologie, S.19. Ebd., S. 20. Ebd., S. 19.
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sammen: »Darin liegt das Wesen der staatlichen Souveränität, die also richtigerweise nicht als Zwangs- oder Herrschaftsmonopol, sondern als Entscheidungsmonopol juristisch zu definieren ist ... die Autorität beweist, dass sie, um Recht zu schaffen, nicht Recht zu haben braucht.«53
Exkurs: Die Souveränität des Führers Ergänzend sei an dieser Stelle eine Betrachtung des Argumentationsgangs von »Der Führer schützt das Recht«54 aus dem Jahr 1934 eingefügt. Zwei Momente des Schmitt’schen Denkens sollen damit veranschaulicht werden. Zum einen die Bezogenheit seiner Schriften auf die konkrete politische Wirklichkeit der jeweiligen Entstehungszeit, zum anderen die »Anschlussfähigkeit« seiner begrifflichen und theoretischen Konstrukte von vor 1933 an jene der nationalsozialistischen Texte nach 1933. Beide Momente sind nicht unumstritten,55 woran Schmitt selbst maßgeblichen Anteil hatte. Nach 1945 gab er zu Protokoll, dass »das Tun, für das ich verantwortlich gemacht werde, in seinem Kern und im wesentlichen Inhalt nur in der Veröffentlichung von wissenschaftlich gemeinten Darlegungen [bestand] ..., die zu manchen wissenschaftlich fruchtbaren Auseinandersetzungen geführt haben«.56 Und nicht ohne Pathos schreibt er 1950 im Vorwort von »Der Nomos der Erde«: »Dieses Buch, die wehrlose Frucht harter Erfahrungen, lege ich auf dem Altar der Rechtswissenschaft nieder, einer Wissenschaft, der ich über vierzig Jahre gedient habe. Ich kann nicht voraussehen, wer sich meiner Opfergabe bemächtigen wird, sei es ein denkender Mensch, sei es ein praktischer Verwerter, sei es ein Zerstörer und Vernichter, der das Asyl missachtet. Die Schicksale eines Buches stehen nicht in der Hand des Autors, so wenig wie sein persönliches Schicksal, das daran hängt.«57 Dass es sich bei Schmitts Texten weder um »wehrlose Früchte« handelt, noch dass es ihm mit seinen Interventionen 53 Ebd., S. 20. 54 Carl Schmitt: »Der Führer schützt das Recht« (1934), in: Ders.: Positionen und Begriffe, S. 199-203. 55 Vgl. dazu beispielsweise: Helmut Quaritsch: Positionen und Begriffe Carl Schmitts, vor allem das Kapitel »Der Konvertit«. 56 Paul Noack: Carl Schmitt, S. 246. 57 Carl Schmitt: Der Nomos der Erde, S. 5.
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lediglich um wissenschaftliche Auseinandersetzungen gegangen ist, soll mit Hilfe der folgenden Betrachtung verdeutlicht werden. Wie kaum ein anderer Aufsatz ist »Der Führer schützt das Recht« zeitgebunden und bewusst in den konkreten politischen Raum hineingeschrieben. Es ist der berühmt-berüchtigte Versuch, Hitlers so genannten »Röhm-Putsch« juristisch zu legitimieren. Was »Röhm-Putsch« heißt, darüber herrscht in der geschichtswissenschaftlichen Forschung seit Jahrzehnten Einigkeit, war kein Putsch, sondern vielmehr eine staatlich geplante und von der SS durchgeführte Mordaktion, um Rivalitäten innerhalb der NSBewegung zu beenden. Ulrich Herbert hat ausführlich dargelegt, dass die SA als Massenorganisation, die nach der Integration der »nationalen Wehrverbände« sogar mehr Mitglieder aufzuweisen hatte als die NSDAP, in den Augen des neuen Regimes in der Tat als rivalisierende Kraft erscheinen musste.58 Das »Mordkomplott«, so Herbert, bedeutete »für das NS-Regime insgesamt einen wichtigen Einschnitt oder sogar Wendepunkt, ... denn für Himmlers Organisationsimperium aus SS, SD, Politischer Polizei und Konzentrationslagern bedeutete der 30. Juni den Durchbruch zum Status einer selbstständigen und an Einfluss beständig zunehmenden Machtgruppe innerhalb des NS-Regimes«.59 Golo Mann schreibt dazu: »Am 30. Juni [1934] ließ [Hitler] den Hauptmann Röhm und Hunderte von seinen Freunden umbringen, die gesamte Führung der SA, wobei er selber in Oberbayern die Aktion leitete.«60 Neben den Spitzen der damit faktisch entmachteten SA wurden auch einige Vertreter der alten konservativen Elite ermordet: Katholische Politiker, Schriftsteller, Anwälte – unter ihnen General Schleicher, ehemaliger Reichskanzler und Reichswehrminister, als dessen Berater Schmitt fungiert und mit dem er noch im Jahr 1932 Staatsnotstandspläne durchgespielt hatte. Und was schreibt Schmitt über Hitlers Mordaktion? »Der Führer schützt das Recht vor dem schlimmsten Missbrauch, wenn er im Augenblick der Gefahr kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft ... Der wahre Führer ist
58 Vgl. dazu: Ulrich Herbert: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, 1903-1989, Bonn 1996, S. 133-147. 59 Ebd., S. 146. 60 Golo Mann: Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Frankfurt/M. 1992, S. 834.
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immer auch Richter.«61 Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet, scheint hier Schmitts zentrale Denkfigur zwischen den Zeilen unzweifelhaft hervor. Hitlers Souveränität leite sich von nichts ab, außer von der Kraft seiner eigenen souveränen Entscheidung. Und um den Anschluss an die Schriften der zwanziger Jahre vollends herzustellen, fügt Schmitt hinzu: »Inhalt und Umfang seines Vorgehens bestimmt der Führer selbst.«62 Der Führer habe kraft seiner Souveränität erstens darüber entschieden, dass der Ausnahmezustand vorliege, und zweitens darüber, was zu tun sei, um ihn zu beheben. Eine präzisere Beschreibung seiner Denkfigur der aus der Dezision geborenen Souveränität hätte Schmitt kaum bieten können. Christian Graf von Krockow folgert deshalb: »Im Grunde konsequent ist es darum auch, wenn der Lehrer des Rechts schließlich – im Sommer 1934 – die Mordserie des Gewaltregimes als den ›Schutz des Rechts‹ feiert.«63 Gibt es da noch eine andere Lesart? Ja, die gibt es. Schmitt selbst hat sie geliefert, und einige konservative Anhänger transportieren sie bis heute. Bei Helmut Quaritsch beispielsweise ist zu lesen, dass Schmitts Aufsatz »zwei Vorzüge« geboten hätte. Zum einen sei er Schmitts »Alibi« gewesen, als Teile der SS im Jahr 1936 gegen ihn intrigierten.64 Zum anderen sei Schmitt damit der einzige deutsche Rechtswissenschaftler gewesen, der öffentlich eine strenge Strafverfolgung derjenigen gefordert hätte, die bei dieser Gelegenheit alte Rechnungen beglichen.65 Das Zitat, auf das sich Quaritsch bezieht, lautet: »Außerhalb oder innerhalb des zeitlichen Bereiches der drei Tage fallende, mit der Führerhandlung in keinem Zusammenhang stehende, vom Führer nicht ermächtigte ›Sonderaktionen‹ sind umso schlimmeres Unrecht, je höher und 61 Carl Schmitt: »Der Führer schützt das Recht«, S. 200. 62 Ebd., S. 202. 63 Christian Graf von Krockow: Die Deutschen in ihrem Jahrhundert, Reinbek bei Hamburg 1990, S. 182. 64 Trotz seiner offen zur Schau gestellten Linientreue fällt Schmitt – als ehemaliger Vertreter des konservativen Weimarer Bürgertums – 1936 innerparteilichen Intrigen von Seiten der SS zum Opfer. Er verliert daraufhin alle Partei- und Ehrenämter, darf aber als Professor weiter lehren. Vgl. dazu: Anonymus: »Eine peinliche Ehrenrettung«, in: Das Schwarze Korps, 1936, Nr. 49, S. 14 und Anonymus: »Es wird noch peinlicher!«, in: Das Schwarze Korps, 1936, Nr. 50, S. 2. 65 Vgl. dazu: Helmut Quaritsch: Positionen und Begriffe Carl Schmitts, S. 82.
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reiner das Recht des Führers ist. Nach den Erklärungen des preußischen Ministerpräsidenten Göring ... ist eine besonders strenge Strafverfolgung solchen unzulässigen Sondervorgehens angeordnet.«66 Zynisch gesprochen – und doch präzise im Duktus Schmitt’schen Denkens verbleibend – könnte man demnach sagen: Lediglich der Führer, dieser dafür ohne Einschränkungen, hat kraft seiner Souveränität das Recht zu Willkürmorden. Nach Angaben Paul Noacks soll Schmitt bis in die siebziger Jahre hinein seinen Stolz über diesen Aufsatz bekundet haben.67
Die Freund-Feind-Unterscheidung Als ob Schmitt die begriffliche Verwertbarkeit seines Denkens für die NS-Ideologie mit dem Aufsatz »Der Führer schützt das Recht« in besonders umfänglicher Weise demonstrieren wollte, zitiert er schließlich noch eine weitere zentrale Figur seines Denkgebäudes: die Freund-Feind-Unterscheidung. »[Manche Feinde Deutschlands] werden es unerhört finden, dass der heutige deutsche Staat die Kraft und den Willen hat, Freund und Feind zu unterscheiden«,68 schreibt Schmitt nicht ohne Häme. Diesen auf den ersten Blick vielleicht unscheinbaren Satz versteht nur derjenige, der weiß, dass für Schmitt die Freund-FeindUnterscheidung das zentrale Kriterium des Politischen darstellt. Ein Kriterium, das er im Jahr 1927 in »Der Begriff des Politischen« entworfen hatte – und das sich bis in unsere Tage auf den Seiten politikwissenschaftlicher Lehrbücher wiederfindet.69 Dirk BergSchlosser und Theo Stammen schreiben zwar, dass sich die nach 1945 erneuerte Politikwissenschaft mit keinem anderen Politikverständnis häufiger und kritischer auseinandergesetzt habe, doch: »Gleichwohl haben die Gedanken des 1985 verstorbenen Carl Schmitt bis in die Gegenwart das praktisch-theoretische Denken beachtlich bestimmt.«70 Mit dem Versuch einer eigenständigen Definition des Politischen stellte sich Schmitt selbst in die Reihe großer politischer 66 67 68 69
Carl Schmitt: »Der Führer schützt das Recht«, S. 202. Paul Noack: Carl Schmitt, S. 196. Carl Schmitt: »Der Führer schützt das Recht«, S. 203. Vgl. dazu: Dirk Berg-Schlosser, Theo Stammen: Einführung in die Politikwissenschaft, München 1992, S. 27f. 70 Ebd., S. 28.
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Denker von Aristoteles über Machiavelli bis zu Karl Marx. Und, wenn man die Liste bis in die Gegenwart hinein erweitern möchte, mit systemischen Denkern wie David Easton, Talcott Parsons oder Niklas Luhmann.71 Schmitts Begriff des Politischen besticht vordergründig durch seine Klarheit und Einfachheit – wie es das Schmittsche Denken oft zu tun vermag. Manfred Lauermann spricht in diesem Zusammenhang treffend von »Begriffsmagie«:72 »Politische Positionen werden in Begriffe und Gegenbegriffe umgeformt.«73 Oder wie Ulrich K. Preuß es formuliert: »[I]n Begriffen, die einen komplexen Sachverhalt ausdrücken, werden einzelne Elemente von ihrem historischen und systematischen Kontext isoliert, abstrahiert und dann antithetisch und unvermittelbar einem in gleicher Weise entwickelten Gegenbegriff entgegengesetzt ... es ist eine ›begriffsrealistische Methode‹, in der Erkenntnisse über die Realität nur noch über die Entfaltung der inneren Logik eines den Begriffen eingepflanzten ›geistigen Prinzips‹ gewonnen werden.«74 Und in der Tat: Schmitt entwickelt Begriffe, die Klarheit zumindest gerieren, wenn nicht wirklich schaffen. Termini, die – so falsch sie sein mögen – in der Lage sind, die komplexe empirische Wirklichkeit zu strukturieren. Eine Leistung, die in der wissenschaftlichen Debatte durchaus nicht gering zu schätzen ist. Unter anderem ist diese strukturierende Kraft seiner Schriften einer der Gründe, weshalb in dieser Arbeit Versatzstücke des Schmitt’schen Werks einer konkreten sozialwissenschaftlichen Analyse zugeführt werden. Doch zurück ins Jahr 1927, zurück zur Definition des Begriffs des Politischen: »Die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind. Sie gibt eine 71 Vgl. dazu: Ulrich von Alemann: »Politikbegriffe«, in: Dieter Nohlen (Hg.): Wörterbuch Staat und Politik. Neuausgabe, Bonn 1995, S. 542545. 72 Manfred Lauermann: »Begriffsmagie. ›Positionen und Begriffe‹ als Kontinuitätsbehauptung – Bemerkungen anlässlich der Neuauflage 1988«, in: Hans-Georg Flickinger (Hg.): Die Autonomie des Politischen. Carl Schmitts Kampf um einen beschädigten Begriff, Weinheim 1990, S. 97-127. 73 Ebd., S. 108. 74 Ulrich K. Preuß: »Carl Schmitt und die Frankfurter Schule: Deutsche Liberalismuskritik im 20. Jahrhundert«, in: Geschichte und Gesellschaft, 1987, S. 408.
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Begriffsbestimmung im Sinne eines Kriteriums, nicht als erschöpfende Definition oder Inhaltsangabe. Insofern sie nicht aus anderen Kriterien ableitbar ist, entspricht sie für das Politische den relativ selbstständigen Kriterien anderer Gegensätze: Gut und Böse im Moralischen; Schön und Hässlich im Ästhetischen usw.«75 Mit anderen Worten, erst wenn man in der Lage ist, Freund und Feind zu bestimmen, betritt man die Sphäre des Politischen und verlässt die Sphären des Privaten oder des Ökonomischen, in denen ganz andere Grenzlinien zu ziehen sind. Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass die Freund-FeindBestimmung eine Unterscheidung ist, die aktiv gefällt werden muss, das heißt: Bei der Freund-Feind-Unterscheidung handelt es sich um eine Entscheidung im eminenten Sinne, wodurch die innere Logik der Begrifflichkeiten Carl Schmitts aufscheint. Denn die Freund-Feind-Unterscheidung ist ein integrales Element des dezisionistischen Denkens, sie stellt durch die Feststellung der Freundschaft bzw. Feindschaft den politischen Raum erst her, oder anders formuliert: Die Freund-Feind-Unterscheidung begründet das Feld des Politischen. Dabei kann die Freund-Feind-Unterscheidung weitgehend wertfrei erfolgen: »Der politische Feind braucht nicht moralisch böse, er braucht nicht ästhetisch hässlich zu sein; er muss nicht als wirtschaftlicher Konkurrent auftreten, und es kann vielleicht sogar vorteilhaft scheinen, mit ihm Geschäfte zu machen. Er ist eben der Andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, dass er in einem besonders intensiven Sinne existenziell etwas Anderes und Fremdes ist, so dass im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich sind, die weder durch eine im voraus getroffene generelle Normierung, noch durch den Spruch eines ›unbeteiligten‹ und daher ›unparteiischen‹ Dritten entschieden werden können.«76 Inwieweit diese Freund-Feind-Theorie im Wortsinne zu verstehen ist, also als konkretes und auf die empirische Wirklichkeit zielendes politisches Theorem, ist bei einigen Exegeten des Schmitt’schen Werks umstritten. Auch Paul Noack schreibt, dass er die nach 1945 dominierende Deutung des Freund-Feind-Theo-
75 Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen, Berlin 1963 (erstmals erschienen 1927), S. 26f. (Hervorhebung im Original). 76 Ebd., S. 27.
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rems als Vernichtungstheorie nicht teile.77 Könne es nicht vielmehr sein, dass die Freund-Feind-Unterscheidung als philosophische Denkfigur verstanden werden müsse? Schmitt selbst legt dies nahe – allerdings erst nach 1945! Wieder einmal hatte Schmitt selbst massiven Anteil an »plötzlich auftretenden Verständnisschwierigkeiten« seiner Schriften von vor 1945. In der Gefängnishaft 1945 bringt er einen kurzen aber bedeutungsschwer anmutenden Satz zu Papier, den er im Jahr 1963 in der »Theorie des Partisanen« ein weiteres Mal aufgreift: »Der Feind ist unsere eigene Frage als Gestalt.«78 Kurz, prägnant – aber irgendwie nicht wirklich präzise. Damit öffnet sich in der bislang geschlossenen Denkfigur des Freund-Feind-Theorems eine neue Tür, die Zu- und Durchgänge schafft, wo bislang Frontlinien verliefen. Ist am Ende die martialische Begriffslegung doch lediglich als metaphorische Wendung zu verstehen? Anlässlich der Neuausgabe von »Der Begriff des Politischen« im gleichen Jahr (1963) schreibt Schmitt im Vorwort, dass sein Text damals auf die »Herausforderung einer Zwischenlage« geantwortet habe, und dass er noch immer zweifle, ob es sinnvoll gewesen sei, seine Gedanken mit »dieser auf den ersten Blick undurchsichtigen Abstraktion zu beginnen«.79 Vollends verwirrt, so scheint es, schreibt Thomas Vesting schließlich im Jahr 1990 von einem Begriff des Politischen, »der seinen letzten Grund in einem Gegensatz haben soll, von dem man auch nach mehrmaligem Lesen nur weiß, dass er dermaßen existenziell ist, dass er nicht ökonomischer, moralischer oder sonstiger Natur sein kann«.80 Verwundert mag man sich hier die Augen reiben: Werden Schmitts Schriften nicht meist ob ihrer Klarheit und stringenten 77 Paul Noack: Carl Schmitt, S. 118. 78 Carl Schmitt: Theorie des Partisanen, S. 87. Der Vollständigkeit halber muss darauf hingewiesen werden, dass dieser Satz ein Zitat seines früheren Freundes Theodor Däubler ist. Und als Zitat des Dichters Däubler hat Schmitt diesen Satz bereits 1916 in eine seiner Schriften aufgenommen, allerdings noch ohne jeden Bezug zum später entwickelten Begriff des Politischen. Vgl. dazu: Carl Schmitt: Theodor Däublers »Nordlicht«. Drei Studien über die Elemente, den Geist und die Aktualität des Werkes, München 1916. 79 Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen, S. 13. 80 Thomas Vesting: Politische Einheitsbildung und technische Realisation. Über die Expansion der Technik und die Grenzen der Demokratie, BadenBaden 1990, S. 54.
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begrifflichen Diktion bis heute gerühmt? Übrigens durchaus in beiden Lagern seiner Exegetenschaft, im Lager der »Anhänger« wie in dem der »Gegner«. Und nun soll Schmitt gerade in dem für sein Denken zentralen Theorem der Freund-Feind-Unterscheidung mit unklaren Begriffen und verschwommenen Argumentationslinien gearbeitet haben? Lässt man die deutende und manchmal missdeutende Sekundärliteratur beiseite und wendet sich dem Originaltext zu, finden sich eindeutige und klare Sätze, die die skizzierte Debatte als Makulatur erscheinen lassen: »Die Begriffe Freund und Feind sind in ihrem konkreten, existenziellen Sinn zu nehmen, nicht als Metaphern oder Symbole«,81 beginnt Schmitt das dritte Kapitel von »Der Begriff des Politischen« und fährt fort: »Der politische Gegensatz ist der intensivste und äußerste Gegensatz und jede konkrete Gegensätzlichkeit ist umso politischer, je mehr sie sich dem äußersten Punkte, der FreundFeind-Gruppierung, nähert.«82 Um Missverständnisse zu vermeiden, erläutert er darüber hinaus: »Denn zum Begriff des Feindes gehört die im Bereich des Realen liegende Eventualität eines Kampfes ... Krieg ist bewaffneter Kampf zwischen organisierten politischen Einheiten, Bürgerkrieg bewaffneter Kampf innerhalb einer (dadurch aber problematisch werdenden) organisierten Einheit.«83 Und weiter: »Die Begriffe Freund, Feind und Kampf erhalten ihren realen Sinn dadurch, dass sie insbesondere auf die reale Möglichkeit der physischen Tötung Bezug haben und behalten. Der Krieg folgt aus der Feindschaft, denn diese ist seinsmäßige Negierung eines anderen Seins.«84 Das sind klare und unmissverständliche Worte, die dem Gedankengang eine eindeutige Form geben und wohl jede Möglichkeit einer differierenden Auslegung ausschließen – sie entsprechen eben jener »begriffsrealistischen Methode«, für die Schmitt bis heute gerühmt wird. Schmitts Ausführungen machen deutlich, dass er das Freund-Feind-Theorem Ende der zwanziger Jahre nicht als pure philosophische Reflexion verstanden wissen wollte, sondern direkt in den konkreten politischen Raum seiner Zeit geschrieben hatte. Es ging ihm gerade nicht um Metaphern oder
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Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen, S. 28. Ebd., S. 30. Ebd., S. 33. Ebd. (Hervorhebung vom Autor).
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Symbole, wie er unmissverständlich zu Papier brachte. Und um die Geschlossenheit seines gesamten staatstheoretischen Denkgebäudes zu demonstrieren, fügt Schmitt selbst die Freund-FeindUnterscheidung in den Kontext seines Konzepts der Souveränität: »Politisch ist jedenfalls immer die Gruppierung, die sich an dem Ernstfall orientiert. Sie ist deshalb immer die maßgebende menschliche Gruppierung, die politische Einheit infolgedessen immer, wenn sie überhaupt vorhanden ist, die maßgebende Einheit und ›souverän‹ in dem Sinne, dass die Entscheidung über den maßgebenden Fall, auch wenn das der Ausnahmefall ist, begriffsnotwendig immer bei ihr stehen muss ... Das, worauf es ankommt, ist immer nur der Konfliktfall.«85 Und die Instanz, die diesen Ausnahmefall löst, muss sich dabei deutlich zu erkennen geben – womit bereits das Feld eines weiteren zentralen Elements des Schmitt’schen Staatsdenkens betreten wäre: die Sichtbarkeit der Macht.
Die Sichtbarkeit der Macht Schmitts Konzept der Sichtbarkeit der Macht ist Teil eines Gegensatzpaares, wie das oft bei seinen Denkfiguren der Fall ist. Die idealtypische Zuspitzung gegensätzlicher Begriffe zu unversöhnlich gegenüberstehenden Antithesen, zwischen denen keine Vermittlung möglich ist, sondern zwischen denen man sich entscheiden muss, ist dem bis tief in die Methodik transzendierten Habitus des Dezisionismus geschuldet. Kurz: Auch auf dem Feld geistiger Reflexion gilt es für Schmitt, eine Entscheidung zu fällen. Wobei erwähnt werden sollte, dass Schmitt seine Entscheidung bereits getroffen zu haben scheint, bevor er diese Gegensatzpaare entwickelt. Der eigens konstruierte Gegenbegriff dient allem Anschein nach lediglich dazu, die von diesem bezeichnete empirische Wirklichkeit zu desavouieren. Reinhard Mehring spricht in diesem Zusammenhang von »dekonstruktiver Argumentation«86, wobei darauf hingewiesen sei, dass diese dekonstruktive Argumentation kaum etwas gemein hat mit jenem Begriff der Dekonstruktion, den
85 Ebd., S. 39 (Hervorhebung im Original). 86 Reinhard Mehring: Carl Schmitt zur Einführung, Hamburg 1992, S. 72.
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Jacques Derrida in den Diskurs zeitgenössischer Philosophie eingeführt und zu beachtlicher Popularität gebracht hat.87 Carl Schmitts Methode der Antithesenbildung im Sinne einer dekonstruktiven Argumentation stellt ein Verfahren dar, mit dem er die jeweilige juristische Materie durchdringt, um »staatstheoretische Modelle von hoher Abstraktheit in perspektivisch-pointierter Wahrnehmung der Gegenwart zu konstruieren, um dann deren historische Selbstzersetzung infolge der Entfaltung immanenter Inkonsequenzen und Selbstwidersprüche zu beschreiben«. Die Begriffs- oder Modellkonstruktion ist demnach nicht Schmitts letztes staatsrechtliches Ziel, »sondern dient der praktischen Demontage, die aber nicht offen als politische Kritik erfolgt, sondern mehr in Form der juristischen Analyse bestimmter Auflösungsprozesse.«88 Kurz: Schmitt erarbeitet Idealbegriffe, die er nicht nur gegeneinander, sondern auch gegen die weitaus komplexere und problembeladenere politische Wirklichkeit ausspielt. Am Beispiel der Sichtbarkeit der Macht und ihres Pendants, der geheimen Hinterzimmerpolitik des Parlamentarismus, kann dieses Vorgehen veranschaulicht werden. Mit der 1923 erschienenen Arbeit »Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus«89 legte Schmitt eine viel beachtete und beeindruckende Streitschrift gegen das politische Ordnungsmodell des Parlamentarismus vor. Einer der darin enthaltenen zentralen Kritikpunkte lautet, dass das parlamentarische System die tatsächlichen Machtverhältnisse verschleiere. Es fungiere lediglich als eine »schlechte Fassade«, da »die eigentliche Tätigkeit nicht in den öffentlichen Verhandlungen des Plenums, sondern in Ausschüssen und nicht einmal notwendig in parlamentarischen Ausschüssen sich abspielt und wesentliche Entscheidungen in geheimen Sitzungen der Fraktionsführer oder gar in außerparlamentarischen Komitees fallen«.90 Die zentrale Frage, wer tatsächlich entscheidet, bleibe in solch einem System im Dunkeln. Der Parlamentarismus führe somit zur Nicht-Sichtbarkeit der Macht, er verberge die tatsächlichen Herrschaftsverhältnisse: 87 Vgl. dazu: Jacques Derrida: Grammatologie, Frankfurt/M. 1974. Oder auch: Ders.: Die Schrift und die Differenz, Frankfurt/M. 1976. 88 Reinhard Mehring: Carl Schmitt zur Einführung, S. 72f. 89 Carl Schmitt: Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, Berlin 1969 (erstmals erschienen 1923). 90 Carl Schmitt: Die geistesgeschichtliche Lage, S. 28.
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die Klüngelherrschaft von Parteien und wirtschaftlichen Interessen.91 Demgegenüber entwickelt Schmitt in Anlehnung an das Modell der katholischen Kirche92 ein Konzept der Sichtbarkeit der Macht, das im Begriff der Repräsentation mündet93 – wobei zu beachten gilt, dass dieser Repräsentationsbegriff scharf abzugrenzen ist von jenem der repräsentativen Demokratie, in der die Abgeordneten als Repräsentanten der Bevölkerung wirken, aus deren Mitte sie stammen und von der sie in freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt werden. Die Repräsentation im Schmitt’schen Sinne besteht aus fünf zentralen Wesensmerkmalen, die in der »Verfassungslehre« von 1928 unter Paragraf 16 »Bürgerlicher Rechtsstaat und politische Form«94 ausführlich dargelegt sind: Erstens könne Repräsentation nur in der Sphäre der Öffentlichkeit stattfinden. Damit seien alle privatrechtlichen Begriffe der Vertretung ausgeschlossen, in denen es eben lediglich um die Wahrung privater Interessen gehe. Und: »Geheime Sitzungen, geheime Abmachungen und Beratungen irgendwelcher Komitees können sehr bedeutungsvoll und wichtig sein, aber niemals einen repräsentativen Charakter haben.«95 Ein kaum verhohlener Seitenhieb gegen den Parlamentarismus, wie Schmitt ihn sieht. Zweitens sei Repräsentation kein normativer Vorgang, kein Verfahren und keine Prozedur, sondern etwas Existenzielles, das heißt, ein unsichtbares Sein werde durch ein öffentlich anwesendes Sein sichtbar gemacht und vergegenwärtigt. Hier tritt die Analogie zur katholischen Kirche am deutlichsten zum Vorschein. Denn deren vorrangigste Leistung bestehe in der dauerhaften Sichtbarmachung der einstmaligen und einmaligen Inkarnation Gottes auf Erden. Nach Schmitt verleihe die katholische Kirche
91 Ebd., S. 29. 92 Vgl. zu den katholischen Wurzeln von Schmitts Staatstheorie die präzisen Ausführungen Axel T. Pauls: »Die Sichtbarkeit der Macht. Zur politischen Theorie Carl Schmitts«, in: Fragmente, 1993, Heft 42/43, S. 131-152. 93 Carl Schmitt: »Die Sichtbarkeit der Kirche. Eine scholastische Erwägung«, in: Summa. Eine Vierteljahresschrift, 1917, Zweites Viertel, S. 71-80. 94 Carl Schmitt: Verfassungslehre, Berlin 1954 (erstmals veröffentlicht 1928), S. 200-220. 95 Ebd., S. 208.
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Gottes Entscheidung zur Gnade Form, indem sie die Inkarnation als Körperschaft wiederhole und perpetuiere.96 In Strukturanalogie dazu repräsentiere in der Sphäre des Politischen der Souverän die nationale Einheit und dauerhafte Homogenität des Volkes. »Die Idee der Repräsentation beruht darauf, dass ein als politische Einheit existierendes Volk gegenüber dem natürlichen Dasein einer irgendwie zusammenlebenden Menschengruppe eine höhere und gesteigerte, intensivere Art Sein hat ... Die Repräsentation gehört der Sphäre des Politischen an und ist deshalb in ihrem Wesen etwas Existenzielles. Sie ist mit Subsumtionen unter generelle Normen nicht zu fassen.«97 Drittens könne nur die politische Einheit als Ganzes repräsentiert werden. Einzelinteressen, Berufsgruppen oder sonstige Teile der Bevölkerung seien nicht in der Lage, repräsentiert zu werden. »In dieser Repräsentation liegt etwas, das über jeden Auftrag und jede Funktion hinausgeht. Daher ist nicht jedes beliebige ›Organ‹ Repräsentant. Nur wer regiert, hat teil an der Repräsentation.«98 Viertens sei der Repräsentant in einem grundsätzlichen Sinne unabhängig, daher weder Funktionär, Agent oder Kommissar. »Wenn der Repräsentant nur als Vertreter behandelt wird, der aus praktischen Gründen (weil unmöglich alle Wähler immer und zu gleicher Zeit an einem Ort zusammenkommen können) die Interessen der Wähler wahrnimmt, so ist keine Repräsentation mehr vorhanden.«99 Und fünftens schließlich erhalte der Staat seine Einheit erst in der Person des Repräsentanten. »Der Staat hat wie Hobbes sagt, ›seine Einheit in der Person eines Souveräns‹; er ist ›united in the Person of one Sovereign‹. Die Repräsentation bewirkt erst die Einheit, doch ist es immer nur die Einheit eines Volkes im politischen Zustand, die bewirkt wird.«100 Schmitts Konstrukt der Souveränität erfährt hiermit also eine Ergänzung: Der Repräsentant, der öffentlich und in einem existenziellen Sinne wirkt, was heißt, dass in ihm die politische Einheit sichtbar wird, die er als Ganzes repräsentiert, ist in einem
96 Vgl. dazu: Axel T. Paul: »Die Sichtbarkeit der Macht«, S. 133. 97 Carl Schmitt: Verfassungslehre, S. 210f. 98 Ebd., S. 212. 99 Ebd., S. 213. 100 Ebd.; S. 214.
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grundsätzlichen Sinn unabhängig und in seinen Entscheidungen absolut frei. Und – durch ihn als sichtbares Zentrum der Macht erhält der Staat erst seine Einheit. Diese Souveränitätsvorstellung als faschistisch zu bezeichnen (um diesen in den Debatten der sechziger und siebziger Jahre häufig überforderten und darin fast bis zur Schablone abgenutzten Begriff dennoch zu verwenden)101 ist wohl kaum eine Übertreibung und entspricht den Charakterisierungen, die Schmitt selbst bereits in den zwanziger Jahren vorgenommen hatte. Unter dem Eindruck des italienischen Faschismus schreibt er 1929 in einer Buchrezension: »Der faschistische Staat will mit antiker Ehrlichkeit wieder Staat sein, mit sichtbaren Machtträgern und Repräsentanten, nicht aber Fassade und Antichambre unsichtbarer und unverantwortlicher Machthaber und Geldgeber.«102 Wieder blitzt als Gegenstück zur antiken Ehrlichkeit sichtbarer Machtträger der Parlamentarismus zwischen den Zeilen hervor, als Fassade und Antichambre unsichtbarer Machthaber und Geldgeber. Es scheint also an der Zeit zu sein, Schmitts Kritik des Parlamentarismus endlich etwas genauer zu betrachten.
Die Kritik des Parlamentarismus Die verschiedenen Elemente seiner Parlamentarismuskritik durchziehen nahezu alle staatstheoretischen Schriften Schmitts der Zwischenkriegszeit. Am klarsten, umfassendsten und eindrucksvollsten hat er seine Kritik jedoch 1923 in »Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus« niedergelegt, einer in ihrer Kürze (das Büchlein umfasst gerade mal 90 Seiten) dennoch er101 Vgl. zum Begriff des Faschismus die einführenden Ausführungen von Hans Feske: »Faschismus und benachbarte Bewegungen«, in: Hans-Joachim Lieber (Hg.): Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart, Bonn 1993, S. 781-801. Aber auch die umstrittene Studie von Ernst Nolte: Der Faschismus in seiner Epoche. Action Francaise, Italienischer Faschismus, Nationalsozialismus, München 1963. Und dazu: Thomas Nipperdey: »Der Faschismus in seiner Epoche. Zu den Werken von Ernst Nolte zum Faschismus«, in: Historische Zeitschrift, 1970, Heft 210, S. 620-638. Grundlegend: Karl Dietrich Bracher: Zeit der Ideologien. Eine Geschichte des politischen Denkens im 20. Jahrhundert, Stuttgart 1982. 102 Carl Schmitt: »Wesen und Werden des faschistischen Staates« (1929), in: Ders.: Positionen und Begriffe, S. 114.
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staunlich materialreichen Arbeit von – um in diesen altmodischen Worten zu sprechen – hoher Gelehrsamkeit. In der Einleitung schreibt er: »Das wissenschaftliche Interesse der folgenden Untersuchung ist nicht darauf gerichtet, [die vorhandene Literatur zum Parlamentarismus] zu bestätigen oder zu widerlegen, sondern zu versuchen, den letzten Kern der Institution des modernen Parlaments zu treffen.«103 Dass Schmitts Schriften kaum im Raum wertfreier Wissenschaft zu verankern sind, wurde bereits hinlänglich gezeigt, insofern ist das Verb treffen hier im doppelten Wortsinne zu verstehen. Zum einen geht es Schmitt darum, in historischer und rechtstheoretischer Herleitung die zentralen Wesensmerkmale des Parlamentarismus zu benennen (begrifflich zu treffen), zum anderen soll das liberale Prinzip des Parlamentarismus tatsächlich in seinem Kern getroffen, das heißt: destruiert werden. Da die hier vorliegende Arbeit sich nicht in die Reihe exegetischer Schriften zu Schmitts Werk einordnen möchte, sondern lediglich wesentliche Elemente seiner staatstheoretischen Überlegungen zu operationalisieren versucht, wird im Folgenden keine Vollständigkeit beanspruchende Wiedergabe des Argumentationsgangs von »Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus« geliefert. Vielmehr geht es darum, die zentrale Argumentationsfigur dieser Schrift herauszuarbeiten. Dennoch soll an dieser Stelle Interpretationen entgegengetreten werden, die versuchen, Schmitts Parlamentarismuskritik in ihrer Konsequenz abzuschwächen. Karl-Heinz Ladeur beispielsweise schreibt: »Bei aller überzogenen Polemik Carl Schmitts gegen die Integrationsfähigkeit eines parteienstaatlich vermachteten Parlaments darf man nicht übersehen, dass es ihm nicht primär um Zweifel an dessen Fähigkeit zur Bewältigung von Konflikten des pluralistisch begrenzten Typus ging.«104 Doch, ist man geneigt, hier in aller Deutlichkeit zu schreiben, gerade darum ging es ihm – mehr noch: Schmitt wollte den Parlamentarismus in keiner Weise reformieren, noch schwebte ihm
103 Carl Schmitt: Die geistesgeschichtliche Lage, S. 30. 104 Karl-Heinz Ladeur: »Carl Schmitt und die Nichthintergehbarkeit der Politischen Theologie – Die Versuchung des Totalitarismus in der liberalen Gesellschaft«, in: Politische Vierteljahresschrift, 37. Jhg., 1996, S. 666.
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eine Form eines irgendwie gearteten »besseren Parlamentarismus« vor – seine Alternative zum Parlamentarismus benennt er eindeutig und mehrfach: »Gegenüber diesem parlamentarischen Konstitutionalismus, nicht gegenüber der Demokratie, wird der den Parlamentarismus aufhebende Begriff der Diktatur wieder aktuell.«105 Oder in der »Politischen Theologie«: »Es liegt, nach Donoso, im Wesen des bürgerlichen Liberalismus, sich in diesem Kampf nicht zu entscheiden, sondern zu versuchen, statt dessen eine Diskussion anzuknüpfen ... Donoso hält das nur für eine Methode, die Verantwortung zu umgehen ... Diktatur ist der Gegensatz zu Diskussion.«106 Bereits 1921 widmet Schmitt der Diktatur eine Monografie, in der er die Ideengeschichte des Souveränitätsgedankens anhand des Begriffs der Diktatur analysiert.107 Und 1929 schreibt er über die Suprematie des faschistischen Staats Mussolinis – in deutlicher Abgrenzung zum parlamentarischen System: »Der faschistische Staat entscheidet nicht als neutraler, sondern als höherer Dritter.«108 Mit der Aufhebung des Parlamentarismus sowie der Gewaltenteilung durch die kraftvolle Entscheidung eines Souveräns, der die Einheit des Staates repräsentiere und damit auch garantiere, der das »ewige Gespräch« des liberalen Diskussionskults beende und den Staat zu Handlungsfähigkeit und der ihm zustehenden Suprematie führe, benennt Schmitt seine Alternative zum parlamentarischen System. Doch wie bereitet er die theoretische Inkraftsetzung dieser Alternative vor, sprich: Wie formuliert er seine Parlamentarismuskritik? Lediglich kursorisch listet er die klassischen Versatzstücke der Kritik an der parlamentarisch verfassten Demokratie auf, wie sie bis heute in der politischen Debatte immer wieder aufscheinen: Der Parlamentarismus führe zur Herrschaft der Parteien, zu einer unsachlichen Personalpolitik (»Postenschacher«), zu einer minder qualifizierten Regierung (»Regierung von Amateuren«) und zu fortwährenden Regierungskrisen (»Diskussion statt Entscheidung«). Darüber hinaus bemängelt Schmitt die 105 Carl Schmitt: Die geistesgeschichtliche Lage, S. 63. 106 Carl Schmitt: Politische Theologie, S. 75 und 80. 107 Carl Schmitt: Die Diktatur. Von den Anfängen des modernen Souveränitätsgedankens bis zum proletarischen Klassenkampf, Berlin 1963 (erstmals veröffentlicht 1921). 108 Carl Schmitt: »Wesen und Werden des faschistischen Staates«, S. 113.
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Zwecklosigkeit und Banalität vieler Parlamentsreden, das sinkende Niveau der parlamentarischen Umgangsformen, den Missbrauch parlamentarischer Immunitäten und Privilegien bis hin zur Duldung selbst einer den Parlamentarismus verhöhnenden Opposition. Schließlich benennt er den bereits oben erwähnten Kritikpunkt der Nicht-Sichtbarkeit der Macht, das heißt, den Umstand, dass viele Entscheidungen in geheimen Sitzungen und Zirkeln gefällt würden, statt in der Öffentlichkeit des parlamentarischen Plenums.109 Die zentrale Argumentationsfigur seiner Parlamentarismuskritik ist jedoch von weitaus größerer Originalität, es ist eine theoretische Konstruktion, die zunächst befremdet: »Der Glaube an den Parlamentarismus, an ein government by discussion, gehört in die Gedankenwelt des Liberalismus. Er gehört nicht zur Demokratie. Beides, Liberalismus und Demokratie, muss voneinander getrennt werden, damit das heterogen zusammengesetzte Gebilde erkannt wird, das die moderne Massendemokratie ausmacht.«110 In der »Verfassungslehre« von 1928 wird er noch deutlicher und spricht gar von einem »Gegensatz von Liberalismus und Demokratie«.111 Damit wird Schmitts Methode der Antithesenbildung auch an dieser Stelle deutlich: Liberalismus und Demokratie, zwei Begriffe, die für viele Betrachter durchaus verwandte Konzepte bezeichnen, werden von Schmitt in einen Gegensatz gebracht. Die Denkfigur ist einfach und entfaltet seine volle Kraft durch zwei kleine Subsumtionen: Da der Parlamentarismus der Gedankenwelt des Liberalismus entstamme, sei somit auch der Parlamentarismus als Gegensatz zur Demokratie zu begreifen. Die Diktatur dagegen widerspreche demokratischen Prinzipien keineswegs, im Gegenteil: Diktaturen seien zwar antiliberal, aber nicht notwendig antidemokratisch. Schmitt veranschaulicht diesen Gedankengang am Beispiel der »Expeditivität«: Eigentlich, so Schmitt, müsste in einer wahren Demokratie das Volk in seiner Gesamtheit entscheiden (»wie das früher der Fall war, als sich noch alle Gemeindemitglieder unter 109 Carl Schmitt: Die geistesgeschichtliche Lage, S. 28. 110 Ebd., S. 13 (Hervorhebung im Original). Wortgleich findet sich diese Passage auch in dem Aufsatz: »Der Gegensatz von Parlamentarismus und moderner Massendemokratie« (1926), in: Ders.: Positionen und Begriffe, S. 59. 111 Carl Schmitt: Verfassungslehre, S. 309.
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der Dorflinde versammeln konnten«112) – da solch eine Zusammenkunft in Zeiten der so genannten Massendemokratie aus rein praktischen Gründen unmöglich sei, helfe man sich mit einem gewählten Ausschuss von Vertrauensleuten, eben den Expedienten, die nicht verwechselt werden dürfen mit der oben erarbeiteten Figur des Repräsentanten. Die Expedienten, die entsandten Vertreter, bilden das Parlament. »So entsteht die bekannte Stufenleiter: das Parlament ist ein Ausschuss des Volkes, die Regierung ein Ausschuss des Parlaments. Dadurch erscheint der Gedanke des Parlamentarismus als etwas wesentlich Demokratisches. Aber trotz aller Gleichzeitigkeit und aller Zusammenhänge mit demokratischen Ideen ist er das nicht ... Wenn aus praktischen und technischen Gründen statt des Volkes Vertrauensleute des Volkes entscheiden, kann ja auch im Namen desselben Volkes ein einziger Vertrauensmann entscheiden, und die Argumentation würde, ohne aufzuhören demokratisch zu sein, einen antiparlamentarischen Cäsarismus rechtfertigen.«113 Und an anderer Stelle noch deutlicher: »Vor einer nicht nur in technischen, sondern auch im vitalen Sinne unmittelbaren Demokratie erscheint das aus liberalen Gedankengängen entstandene Parlament als eine künstliche Maschinerie, während diktatorische und zäsaristische Methoden nicht nur von der acclamatio des Volkes [also der unmittelbaren Zustimmung, MLH] getragen, sondern auch unmittelbare Äußerungen demokratischer Substanz und Kraft sein können.«114 Kurz: Schmitt konstruiert per Setzung den Liberalismus als Gegensatz zur Demokratie, subsumiert unter Liberalismus den Parlamentarismus und unter Demokratie die Möglichkeit einer Diktatur – und setzt damit den Parlamentarismus in Gegensatz zur Demokratie. Eine in hohem Maß originelle und perfide Argumentationsführung, erlaubt sie doch, im Namen der Demokratie den Parlamentarismus zu bekämpfen und die Diktatur zu befördern. Ein Paradoxon! – Zumindest für die Vertreter eines westlichen Demokratieverständnisses, für die es kaum nachvollziehbar sein dürfte, wie der Parlamentarismus in einen Gegensatz zur Demokratie gebracht werden kann. Verstehen wird diesen Gedankengang deshalb nur, wer Schmitts Begriff der Demokratie
112 Carl Schmitt: Die geistesgeschichtliche Lage, S. 42. 113 Ebd. 114 Ebd., S. 22 (Hervorhebungen im Original).
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kennt. Denn in diesem liegt der Schlüssel zum tieferen Verständnis der antithetischen Gegenüberstellung von Parlamentarismus und Demokratie. Vor der Folie dieses Demokratiebegriffs treten für Schmitt die vermeintlichen Schwächen des Parlamentarismus zu Tage. Schließlich sei diese Antithese die Ursache der grundlegenden Krise des heutigen Parlamentarismus: »Es ist der in seiner Tiefe unüberwindliche Gegensatz von liberalem EinzelmenschBewusstsein und demokratischer Homogenität.«115 – Individualisierung und Pluralismus auf der einen Seite, Homogenisierung und Totalisierung auf der anderen. Damit spätestens, ist der geistesgeschichtliche Kosmos der Weimarer Republik eröffnet, jener Jahre der Zwischenkriegszeit, die mit dem prägenden Begriff der »klassischen Moderne« versehen werden können.116 Um Schmitts Demokratiebegriff in seiner Tiefe ausloten zu können, soll an dieser Stelle eine Annäherung an diesen über den Umweg eines Exkurses in die Strukturen und Erfahrungen der klassischen Moderne unternommen werden.
Exkurs: Kontingenzerfahrung und die Krise der Moderne »Die Zeit bewegte sich ... Man wusste bloß nicht, wohin. Man konnte auch nicht recht unterscheiden, was oben und unten war, was vor und zurück ging«,117 beschreibt Robert Musil die spezifisch moderne Erfahrung des In-Bewegung-Seins der Weimarer Republik. Und zwar eines In-Bewegung-Seins, das unplanmäßig verlaufe, das jederzeit seine Richtung ändern könne, so dass man eben nie recht wisse, woran man sei. Diese Form der Wahrnehmung sozio-politischer »Wirklichkeit« kann, wie Michael Makropoulos virtuos darlegte, als Kontingenzerfahrung bezeichnet werden,118 als Erfahrung dessen, dass alles, wie es vor unseren Augen abläuft, auch anders sein könnte.119
115 Ebd., S. 23. 116 Vgl. dazu: Detlev J. K. Peukert: Die Weimarer Republik. Krisenjahre der klassischen Moderne, Frankfurt/M. 1987. 117 Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, Bd. 1, Erstes und zweites Buch, hrsg. von Adolf Frisé, Reinbek bei Hamburg 1987, S. 13. 118 Michael Makropoulos: Modernität und Kontingenz, München 1997. 119 Grundlegend zur Theorie der Moderne: Wolfgang Welsch: Unsere postmoderne Moderne, Berlin 1993 und Hans van der Loo, Willem van Reijen: Modernisierung. Projekt und Paradox, München 1997.
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Nicht erst mit den wirtschaftlichen und politischen Krisen Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts wurde in Teilen der Bevölkerung solch eine Situation als absolut offen und gerade deshalb als hochgradig krisenhaft erfahren. Die Entwicklung des Industriekapitalismus seit dem 19. Jahrhundert, der von einem immer größeren Teil der arbeitenden Bevölkerung räumliche Mobilität verlangte, riss eine Vielzahl von Menschen aus tradierten sozialen Zusammenhängen, was oft Individualisierung und Entfremdung nach sich zog. Elie Kedourie spricht in diesem Zusammenhang von einer »atomisierten Gesellschaft«.120 Diese Freisetzung der Individuen aus angestammten und umfassenden Gemeinschaftsbindungen kann als zentrales soziales Charakteristikum der Moderne verstanden werden. Denn räumliche Mobilität führte in der Folge auch zu sozialer Mobilität, das heißt, von nun an war der Einzelne weder an eine Scholle noch an den Beruf seines Vaters gebunden. Dies erzeugte Ängste, eröffnete aber auch neue Chancen. Als lebensweltlichen Effekt dieser Freisetzung kann man Michael Makropoulos folgend »die Vielfalt von Lebensentwürfen und Lebensgewohnheiten an einem Ort und zu gleicher Zeit«121 nennen, also eine Simultanpräsenz von Heterogenem. Die gesamten zwanziger Jahre hindurch führte das Erleben der Kontingenz häufig zu einem Gefühl der Verunsicherung, das sich an einem spezifischen Ort auf besondere Weise verdichtete: der modernen Großstadt. Die großen Städte waren und sind »Orte, an denen die Arbeits- und Lebensweise der industrialisierten Gesellschaft modellhaft vorgeführt wird«.122 Hier schien und scheint sich das Leben zu beschleunigen, Lebensstile und Moden sich in akzeleriertem Tempo zu verändern – hier wurden und werden Heterogenität und Pluralität jeden Tag aufs Neue erlebt. Kein Wunder also, dass die Frage nach einer neuen Ordnung zuallererst in den Großstädten evident wurde. Ob in Krisenzeiten, 120 Elie Kedourie: Nationalismus, München 1971, S. 116. 121 Michael Makropoulos: »Haltlose Souveränität. Benjamin, Schmitt und die Klassische Moderne in Deutschland«, in: Manfred Gangl, Gérard Raulet (Hg.): Intellektuellendiskurse in der Weimarer Republik. Zur politischen Kultur einer Gemengelage, Frankfurt/M., New York 1994, S. 198. 122 Joachim Schlör: Nachts in der großen Stadt. Paris, Berlin, London 18401930, München 1991, S. 20.
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wie Schmitt sie nach dem Ersten Weltkrieg in München erlebte, oder im gewöhnlichen Alltag – die Heterogenität und Pluralität modern-urbaner Gesellschaften verschreckte und isolierte. Robert Ezra Park verglich die moderne Großstadt mit einem »mosaic of little worlds which touch but do not interpenetrate«,123 einer Vielzahl von ›Welten‹ also, die mehr oder weniger in sich geschlossen und lediglich durch funktionale Austauschbeziehungen mit anderen ›Welten‹ verbunden seien. Angesichts der Wahrnehmung einer solchermaßen fragmentierten sozialen Wirklichkeit wurde der Ruf nach einer neuen Ordnung immer lauter, der sich zum Teil in radikaler Modernitätskritik entlud. Auf der rechten Seite des politischen Spektrums firmieren die bedeutendsten Vertreter dieser radikalen Kritik bis heute unter der Bezeichnung »Konservative Revolution«.124 Eine Gruppenbezeichnung, die Gefahr läuft, Unterschiede zu verwischen und deshalb nur behutsam verwendet werden sollte. Unter den Intellektuellen, die mit diesem Label versehen werden, befinden sich neben Carl Schmitt Schriftsteller wie Oswald Spengler, Arthur Moeller van den Bruck oder Ernst Jünger – um nur einige zu nennen. Die »Konservative Revolution« war, um es in aller Deutlichkeit zu betonen, eine äußerst heterogene Gruppe, deren Zeitdiagnosen in Inhalt und Qualität stark differierten. Gemeinsam jedoch war ihnen das Ziel, eine neue Ordnung zu schaffen, in der Nation und Staatlichkeit erneut Bedeutung erlangen sollten. Ernst Jünger umriss dieses staatliche Zielkonstrukt mit vier prägnanten Adjektiven: »national, sozial, wehrhaft und autoritativ.«125 Wolfgang Eßbach differenziert die verschiedenen theoretischen Radikalismen der Zwischenkriegszeit in eine Kritik an einer unvollendeten Moderne, eine Kritik an einer schwierigen Moderne
123 Robert Ezra Park: »The City: Suggestions for the Investigation of Human Behavior in the Urban Environment«, in: Ders. u.a. (Ed.): The City, Chicago 1967, S. 40. 124 Vgl. dazu: Stefan Breuer: Anatomie der konservativen Revolution, Darmstadt 1993, in Auszügen: Norbert Bolz: Auszug aus der entzauberten Welt. Philosophischer Extremismus zwischen den Weltkriegen, München 1989, und unter Vorbehalt seiner Parteilichkeit Armin Mohler: Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932. Ein Handbuch, Darmstadt 1989. 125 Zitiert aus: Paul Noack: Ernst Jünger. Eine Biografie, Berlin 1998, S. 61.
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sowie schließlich eine Kritik an einer ungeliebten Moderne und verweist auf die Verortung der Schmitt’schen Staatstheorie in den Kontext der Kritik an einer ungeliebten Moderne: »Der dritte Typus von Modernitätsauffassungen, die ungeliebte Moderne, hat sein Theorieprofil mit der Erfahrung des Ersten Weltkriegs ausgebildet ... Schmitt identifiziert den Pluralismus der Moderne als Bürgerkrieg, als perennierenden Ausnahmezustand«.126 Und Michael Makropoulos führt weiter aus: »Der ›Ausnahmezustand‹ der absoluten Kontingenz – darin war man sich einig – musste beseitigt werden, und deshalb war die konstruktivistische Freiheit von vorneherein auf den Versuch finalisiert, die ontologische Kontingenz zu ihrer vollständigen Aufhebung zu nutzen.«127 Die Offenheit der gegenwärtigen Epoche wurde als Übergangsstadium wahrgenommen, das es zu beenden galt. Nach der Unruhe die Ordnung, nach der Pluralität die Homogenität! Oder wie Wolfgang Eßbach Schmitts Staatslehre zusammenfasst: »Der Staat, der seine Souveränität gegen die Krise der Moderne behaupten will, muss sich gegen das fremde Totale entscheiden, um eine fundamentale Homogenität herzustellen.«128 Als Schlüsselbegriff dieser auf Homogenität zielenden Kritik drängt der Terminus Gemeinschaft ins Zentrum der Betrachtung. Dieser Begriff durchzieht als Gegenentwurf zur modernen Gesellschaft linkes wie rechtes Gedankengut. Die Vielfalt im alltäglichen und politischen Leben, die »Vereinsamung in der Masse« und die zunehmende Anonymität in den großen Städten führten (und führen) bei Teilen der Bevölkerung zu einer »vorwärts gerichteten Rückwärtsgewandtheit«, die das überschaubare Gemeinschaftsleben als Endziel sozio-kultureller Entwicklung deklarierte. »Das Idol dieses Zeitalters ist die Gemeinschaft«, schrieb der junge Helmuth Plessner bereits 1924 und schloss an diese Feststellung sogleich eine Warnung an: »Mit der gesinnungsmäßigen Preisgabe eines Rechts auf Distanz zwischen Menschen im Ideal gemeinschaftlichen Aufgehens in übergreifender organischer Bindung ist 126 Wolfgang Eßbach: »Radikalismus und Modernität bei Jünger und Bloch, Lukács und Schmitt«, in: Manfred Gangl, Gérard Raulet (Hg.): Intellektuellendiskurse in der Weimarer Republik, S. 148 und 157 (Hervorhebung im Original). 127 Michael Makropoulos: »Haltlose Souveränität. Benjamin, Schmitt und die Klassische Moderne in Deutschland«, S. 204. 128 Wolfgang Eßbach: »Radikalismus und Modernität«, S. 157.
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der Mensch selbst bedroht.«129 In der zeitlichen Distanz von mehr als einem Dreivierteljahrhundert wirken die analytische Schärfe und die prophetische Hellsichtigkeit dieser Worte gespenstisch. Auf grausame Weise bewahrheitete sich Plessners Warnung wenige Jahre später, als man in Deutschland tatsächlich versuchte, das Ideal der Volksgemeinschaft zu verwirklichen. Die antipodische Gegenüberstellung der Begriffe Gemeinschaft und Gesellschaft geht im Kontext der deutschen Sozialtheorie auf Ferdinand Tönnies zurück, der diese terminologische Differenzierung 1887 in einem viel beachteten Text erstmals vorgenommen hatte.130 Betrachtet man den Begriff der Gemeinschaft etwas genauer, versteht man, warum er den Sehnsüchten vieler von der Moderne verunsicherter Menschen entsprach und bis heute entspricht. Denn »Gemeinschaft, das ist jene kreishaft geschlossene Sphäre der Vertrautheit, verwurzelt in imaginierten Traditionen, getragen von einem starken Gefühl der Zusammengehörigkeit«.131 Gemeinschaften sind eigentlich kleine, überschaubare Gruppen, so genannte face-to-face-groups, in denen jeder jeden kennt. Der Einzelne ist in ihnen aufgehoben, nicht nur als Träger einer bestimmten Funktion, sondern als gesamte Person. Gemeinschaften dieser Art sind im Verlauf der sozio-ökonomischen Umwälzungen der Moderne mehr und mehr zerbrochen und in dem größeren Konstrukt der Gesellschaft aufgegangen. Gesellschaften sind primär durch eine unvollständige Sozialintegration gekennzeichnet, das heißt: Der einzelne ist an vielen Stellen partiell gebunden, beispielsweise gleichzeitig als Arbeitnehmer in einem Großbetrieb, in dem er zu einem überschaubaren Kreis von Personen eine kollegiale Beziehung unterhält, als Mieter in einem Mehrparteienhaus, in dem er zu den anderen Bewohnern eine nachbarschaftliche Beziehung pflegt, als Käufer oder Verkäufer in alltäglichen Geschäftsverhältnissen, als Privatperson im Kreis der Freunde und als Staatsbürger mit oft als abstrakt emp129 Helmuth Plessner: »Grenzen der Gemeinschaft. Eine Kritik des sozialen Radikalismus« (1924), in: Ders.: Gesammelte Schriften, Band V, Frankfurt/M. 1981, S. 28. 130 Ferdinand Tönnies: Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie, Darmstadt 1991 (erstmals erschienen 1887). 131 Wolfgang Eßbach: »Gemeinschaft – Rassismus – Biopolitik«, in: Wolfgang Pircher (Hg.): Das Fremde – Der Gast, Wien 1993, S. 21 (Hervorhebung im Original).
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fundenen Rechten und Pflichten. In allen diesen Fällen müssen verschiedene Rollen ausgefüllt werden, um den Ansprüchen der jeweiligen sozialen Beziehung zu genügen. Auf diese Weise wird die Moderne nicht nur als äußere Fragmentierung empfunden, sondern auch, was wahrscheinlich schwerer wiegt, als innere – das konstruierte Ideal der einen Persönlichkeit (der einen Identität) scheint in viele »Teilpersönlichkeiten« zu zersplittern. Und damit ist neben den politischen, wirtschaftlichen und ästhetischen Pluralismen ein Maß an Kontingenz vorherrschend, das im wahrsten Sinne des Wortes die einzelne Person bis tief in ihrem Innersten berührt. Das moderne Individuum fühlt sich Widersprüchen ausgesetzt, die daraus resultieren, dass es an vielen Stellen partiell gebunden ist, ohne die mildernde Wirkung eines alle Lebens- und Alltagsbereiche durchdringenden Sinns erfahren zu können. Ein die Welt einender Sinn ist im Zuge einer umfassenden Säkularisierung verloren gegangen. Eine moderne Gesellschaft wird eben nicht primär durch eine Tradition bestimmt, sondern Bruchstücke von Traditionslinien vermengen sich mit avantgardistischen Elementen, woraus neue Traditionslinien entstehen. Es ist gerade diese funktionale Ausdifferenzierung von gesellschaftlichen Teilsystemen, die als bedrohliche Fragmentierung empfunden wurde, was wiederum die Grundlage einer modernitätskritischen Haltung bildete, die Peter Gay treffend »Hunger nach Ganzheit«132 nennt, und die ein »verzweifeltes Verlangen nach Verwurzelung und Gemeinschaft«133 offenbart. Im politischen Raum gipfelt das Verlangen nach Gemeinschaft in der Forderung, eine neue Ordnung durchzusetzen. Dabei handelt es sich um eine spezifisch moderne oder zumindest neuzeitliche Ordnung, da ihr das grundlegende Element einer vorneuzeitlichen Ordnung fehlt: die ontologische Letztbegründbarkeit. Auf diesen fundamentalen Unterschied verweist Bernhard Waldenfels, der zwei grundlegende Typen von Ordnung unterscheidet, einen klassischen und einen modernen.134 Der klassische Ordnungstyp ist allumfassend, vorgegeben, nicht wandelbar, fest in den Dingen 132 Peter Gay: »Hunger nach Ganzheit«, in: Michael Stürmer (Hg.): Die Weimarer Republik. Belagerte Civitas, Königstein/Ts. 1985, S. 224-236. 133 Ebd., S. 231. 134 Bernhard Waldenfels: »Das Geregelte und das Ungebärdige. Funktionen und Grenzen institutioneller Regelungen«, in: Ders.: In den Netzen der Lebenswelt, Frankfurt/M. 1985, S. 79-93.
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selbst verankert und setzt die Existenz einer »alles durchherrschenden Vernunft«135 voraus. Als Beispiel kann hier die antike kosmische Ordnung der Griechen genannt werden. Eine solchermaßen verstandene Ordnung wurde im Prozess der Modernisierung brüchig und zersprang schließlich in viele Teilordnungen. Diese Ordnungen konnten weder allumfassend, noch fest in den Dingen verankert oder vorgegeben sein. Im Gegenteil, der moderne Ordnungstypus zeichnet sich gerade dadurch aus, dass es sich um eine geschaffene Ordnung handelt, weshalb sie einerseits als veränderbar aufgefasst wird und andererseits nicht ontologisch letztbegründet werden kann. Ordnung ist etwas, das in der Moderne erst geschaffen werden muss. Hier schließt sich der Kreis zur Staatsphilosophie Carl Schmitts. Und über das Konstrukt der Gemeinschaft findet sich der Weg zu Schmitts Demokratiebegriff.
Der Begriff der unmittelbaren Demokratie Die antithetische Gegenüberstellung steht: Auf der einen Seite der Liberalismus mit seinem technisch-ideellen Konstrukt des Parlamentarismus, auf der anderen Seite die Demokratie. Doch wie muss diese »Demokratie« beschaffen sein, dass sie als Antithese zum Parlamentarismus taugt? Schmitt schreibt dazu: »Was bleibt also von der Demokratie? Für ihre Definition eine Reihe von Identitäten. Es gehört zu ihrem Wesen, dass alle Entscheidungen, die getroffen werden, nur für die Entscheidenden selbst gelten sollen. Dass hierbei die überstimmte Mehrheit ignoriert werden muss, macht nur theoretisch und nur scheinbar Schwierigkeiten. In Wirklichkeit beruht auch das auf der Identität ..., dass der Wille der überstimmten Minderheit in Wahrheit mit dem Willen der Mehrheit identisch ist ... in der Demokratie stimmt der Bürger auch dem Gesetze zu, das gegen seinen Willen geht; denn das Gesetz ist die volonté générale, und das ist wiederum der Wille der freien Bürger« – und weiter – »der Bürger gibt also niemals einem konkreten Inhalt seine Zustimmung, sondern in abstracto dem Resultat, dem aus der Abstimmung sich ergebenden Generalwillen ... Weicht das Resultat von dem Inhalt der Abstimmung des Ein-
135 Ebd., S. 81.
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zelnen ab, so erfährt der Überstimmte, dass er sich über den Inhalt des Generalwillens geirrt hat«.136 Hier wird deutlich, in welche Tradition sich Schmitt stellt: in die Tradition des Konzepts der direkten Demokratie, wie JeanJacques Rousseau es im »Contrat Social« 1762 skizziert hatte. Eine naheliegende Ahnenwahl, schließlich gilt Rousseau zu Recht als der große Antipode John Lockes und Montesquieus, der sich vehement gegen die Lehre der Gewaltenteilung wendete, die zu den Grundlagen des politischen Liberalismus gehört. Mag Schmitt sich auch an der vertragstheoretischen Ausrichtung von Rousseaus Werk gestört haben, die Idee einer volonté générale, eines Gemeinwillens, der niemals irren kann,137 griff er gerne auf: »Der Gedanke des freien Vertrages aller mit allen kommt aus einer ganz anderen, gegensätzliche Interessen, Verschiedenheiten und Egoismen voraussetzenden Gedankenwelt, aus dem Liberalismus. Die volonté générale, wie Rousseau sie konstruiert, ist in Wirklichkeit Homogenität. Das ist wirklich konsequente Demokratie.«138 Homogenität als konsequente Demokratie – damit wird sichtbar, welchen Einfluss die in der klassischen Moderne flotierenden Vorstellungen der Gemeinschaft auf Schmitts Denken hatten. Das Ideal, das durch seinen Demokratiebegriff hindurchscheint, ist eine längst vergangene Dorfgemeinschaft: »[E]igentlich müsste das Volk in seiner wirklichen Gesamtheit entscheiden, wie das ursprünglich der Fall war, als sich noch alle Gemeindemitglieder unter der Dorflinde versammeln konnten«.139 Und dieses Ideal schlägt sich in seiner zentralen Forderung nach Homogenität nieder: »Zur Demokratie gehört also notwendig erstens Homogenität und zweitens – nötigenfalls – die Ausscheidung oder Vernichtung
136 Carl Schmitt: Die geistesgeschichtliche Lage, S. 34 (Hervorhebung im Original). 137 Jean-Jacques Rousseau: »Der Gesellschaftsvertrag (Contrat Social)«, in: Ders.: Ausgewählte Texte, hrsg. von Hans Christian Meiser, München 1988, S. 47: »Aus dem Vorhergehenden folgt, dass der Gemeinwille jederzeit Recht hat und jederzeit nach dem Gemeinwohl strebt. Aber es folgt daraus nicht, dass die Beratungen des Volkes jederzeit die gleiche Lauterkeit haben.« 138 Carl Schmitt: Die geistesgeschichtliche Lage, S. 20 (Hervorhebung im Original). 139 Ebd., S. 42.
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des Heterogenen.«140 Homogenität zeichnet – wenn überhaut – Gemeinschaften aus, Gesellschaften dagegen sind von Pluralität geprägt. Insofern fügt sich Schmitts staatstheoretisches Werk in den Denkhorizont seiner Zeit: des modernitätskritischen Projekts der Bekämpfung der fragmentierten Gesellschaft im Namen einer Einheit und Zusammenhalt versprechenden Gemeinschaft. Im Kern handelt es sich um den utopischen Versuch, eine neue Ordnung zu schaffen, indem die Strukturen der face-to-faceGemeinschaft auf das große und unübersichtliche Konstrukt der modernen Gesellschaft übertragen werden. Kurz: Schmitt konstruiert ausgehend von verschiedenen Identitätsvorstellungen (»Identität von Herrscher und Beherrschten, Regierenden und Regierten, Staat und Volk, Subjekt und Objekt politischer Gewalt«141) einen Begriff der unmittelbaren Demokratie. Die dafür notwendige Identität, oder genauer Identifizierung,142 wird durch die Homogenität des Volkes ermöglicht. Ist diese gefährdet oder geschwächt, muss eingegriffen werden: »Die politische Kraft einer Demokratie zeigt sich darin, dass sie das Fremde und Ungleiche, die Homogenität Bedrohende zu beseitigen oder fernzuhalten weiß.«143 Hier, dies als Anmerkung, kündigt sich bereits die später entwickelte Freund-Feind-Unterscheidung als zentrales Kriterium des Politischen an. In dieser unmittelbaren Demokratie ergibt sich der Volkswille von selbst: »Die Einmütigkeit ist, ebenso wie die volonté générale, entweder vorhanden oder nicht vorhanden, und zwar, wie Alfred Weber treffend gesehen hat, naturhaft vorhanden.«144
140 Carl Schmitt: »Der Gegensatz von Parlamentarismus und moderner Massendemokratie« (1926), in: Positionen und Begriffe, S. 59, wortgleich auch in: Ders.: Die geistesgeschichtliche Lage, S. 14. 141 Carl Schmitt: »Der Begriff der modernen Demokratie in seinem Verhältnis zum Staatsbegriff« (1924), in: Ders.: Positionen und Begriffe, S. 24. 142 Carl Schmitt: Die geistesgeschichtliche Lage, S. 35: »Weder juristisch noch politisch noch soziologisch handelt es sich um etwas real Gleiches, sondern um Identifikationen.« 143 Ebd., S. 14. 144 Carl Schmitt: »Der Gegensatz von Parlamentarismus und moderner Massendemokratie«, S. 63 (Hervorhebung im Original). Vgl. auch: Ders.: Die geistesgeschichtliche Lage, S. 19 oder Ders.: Verfassungslehre, S. 215.
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Wahlen, geheime Abstimmungen oder parlamentarische Volksvertreter werden in solch einem Demokratieverständnis nicht gebraucht: »Es gehört zu den undemokratischen ... Vorstellungen, das Volk könne seinen Willen nur in der Weise äußern, dass jeder einzelne Bürger, in tiefstem Geheimnis und völliger Isoliertheit, also ohne aus der Sphäre des Privaten und Unverantwortlichen herauszutreten ..., seine Stimme abgibt, dann jede einzelne Stimme registriert und eine arithmetische Mehrheit berechnet wird.«145 Freie, gleiche und geheime Wahlen sind in Schmitts auf eine nicht näher erläuterte gemeinschaftliche »Vorzeit« bezogenem Verständnis von Demokratie lediglich »wesenlose sozialtechnische Behelfe«. Der tatsächliche Gemeinwille lasse sich damit nicht ermitteln. »Ganz elementare Wahrheiten sind ... in Vergessenheit geraten und der heutigen Staatslehre anscheinend unbekannt. Volk ist ein Begriff des öffentlichen Rechts. Volk existiert nur in der Sphäre der Publizität. Die einstimmige Meinung von 100 Millionen Privatleuten ist weder Wille des Volkes, noch öffentliche Meinung. Der Wille des Volkes kann durch Zuruf, durch acclamatio, durch selbstverständliches, unwidersprochenes Dasein ebenso gut und noch besser demokratisch geäußert werden, als durch den statistischen Apparat, den man seit einem halben Jahrhundert mit einer so minutiösen Sorgfalt ausgebildet hat.«146 Wie solch eine acclamatio in einer Massendemokratie durchgeführt werden soll, führt Schmitt nicht näher aus. Da aber nicht das ganze Volk die Staatsführung übernehmen kann, müssen – auf welchem Weg auch immer – Vertrauensleute bestellt werden. Und Schmitt macht keinen Hehl daraus, wie er sich dieses Procedere vorstellt: »Vor einer, nicht nur im technischen, sondern auch im vitalen Sinne unmittelbaren Demokratie erscheint das aus liberalen Gedankengängen entstandene Parlament als eine künstliche Maschinerie, während diktatorische und zäsaristische Methoden nicht nur von der acclamatio des Volkes getragen, sondern auch unmittelbare Äußerungen demokratischer Substanz und Kraft sein können.«147
145 Carl Schmitt: Die geistesgeschichtliche Lage, S. 22. 146 Ebd. (Hervorhebung im Original). 147 Ebd., S. 22f. (Hervorhebung im Original).
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Damit ist der teleologische Bezugspunkt der staatstheoretischen Schriften Carl Schmitts herausgearbeitet: Diktatur als die bessere Demokratie. – »Der Irrtum des Schmitt’schen Werkes ist die Wahrheit der deutschen Geschichte«, schreibt Nicolaus Sombart.148 Und dem wäre nichts hinzuzufügen – wenn nicht einige der Kernbegriffe Schmitts, wie die Frage der Souveränität, die Virulenz des Ausnahmezustands oder die Gewaltförmigkeit des Ursprungs einer jeden Rechtsordnung ein theoretisches Feld eröffnet hätten, das bis heute unterhalb der gesetzten Ordnung des Normalzustands ruht. Vor dem Hintergrund dieses Wissens gewinnt nicht zuletzt das eigentlich primär polizei- und rechtswissenschaftliche Phänomen der organisierten Kriminalität eine neue Qualität. Zu den hinlänglich bekannten kriminologischen Aspekten gesellt sich eine staatstheoretische Dimension – und damit auch eine politische, wie im Folgenden zu zeigen sein wird.
148 Nicolaus Sombart: Die deutschen Männer und ihre Feinde, S. 13.
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III. Die politische Bedeutung organisierter Kriminalität
Jeder religiöse, moralische, ökonomische, ethnische oder andere Gegensatz verwandelt sich in einen politischen Gegensatz, wenn er stark genug ist, die Menschen nach Freund und Feind effektiv zu gruppieren. Carl Schmitt
[Aus ders.: Der Begriff des Politischen, Berlin 1963, S. 37.]
III. ORGANISIERTE KRIMINALITÄT
1. End of History und neue Gefahren Was haben die Feuilletons gejubelt! Und nicht nur sie. Auf den Straßen ehemaliger Ostblockstaaten wurde getanzt, in amerikanischen Think Tanks war man in Champagnerlaune und zahlreiche Forschungsinstitute ließen sich zu teilweise unseriösen Prognosen verleiten. Damals – als Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts die kommunistischen Regime in Osteuropa implodierten, als am Ende des 20. Jahrhunderts der weltweite Wettkampf der Systeme entschieden war und der endgültige Sieger festzustehen schien. Unerschütterlich, so machten manche Kommentatoren glauben, stehe die liberale parlamentarische Demokratie westlicher Prägung an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. Mit diesem historischen Sieg, so die vordergründig einhellige Meinung, stelle die parlamentarische Demokratie das einzige realpolitische Ordnungsmodell der Zukunft dar. Ein bis dahin kaum bekannter amerikanischer Verwaltungsbeamter japanischer Abstammung hatte bereits vor dem Fall der Berliner Mauer für Aufsehen gesorgt, als er am John-M.-OlinZentrum für Demokratieforschung der Universität Chicago eine Vorlesung mit dem Titel »End of History« hielt. Der Vortrag wurde im Sommer 1989 in der Zeitschrift The National Interest publiziert, erschien schließlich 1992 in mehreren Sprachen in Buchform und avancierte innerhalb kürzester Zeit zu einem internationalen Bestseller. Die Rede ist von Francis Fukuyama, dem damals stellvertretenden Direktor des Planungsstabs im US-Außenministerium, und seinem Erfolgsbuch »Das Ende der Geschichte«1 – einer »Lektion eines ungebrochenen Lehrbuch-Hegel«, wie Wolfgang Eßbach schreibt.2 Fukuyama prognostizierte den historischen Sieg der westlichen Demokratie über den Kommunismus, was bei einem hochrangigen US-Beamten für wenig Überraschung sorgen dürfte. Weit erstaunlicher war dagegen, dass er diese Prognose mit Hegel und Marx begründete: »Unser Mechanismus ist mit an1 Francis Fukuyama: Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir?, München 1992. 2 Wolfgang Eßbach: »Ende und Wiederkehr intellektueller Vergangenheit. Fukuyama und Derrida über Marxismus«, in: Ders. (Hg.): Welche Modernität? Intellektuellendiskurse zwischen Deutschland und Frankreich im Spannungsfeld nationaler und europäischer Identitätsbilder, Berlin 2000, S. 437.
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deren Worten eine Art marxistischer Interpretation der Geschichte, die zu einem völlig unmarxistischen Schluss kommt. Das ›Gattungswesen Mensch‹ hat das Bedürfnis zu produzieren und zu konsumieren, deshalb zieht der Mensch vom Land in die Stadt, arbeitet in großen Fabriken oder Bürokratien statt auf dem Feld ... Im Gegensatz zu Marx’ Erwartung ermöglicht nicht die kommunistische, sondern die kapitalistische Gesellschaft dem Menschen, die größtmögliche Quantität von Produkten bei größtmöglicher Gleichheit zu produzieren und zu konsumieren.«3 Fukuyamas »marxistische Geschichtsdeutung mit unmarxistischem Ausgang« schien tatsächlich eine weltpolitische Bestätigung zu erfahren: Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hatte sich der Kommunismus als ordnungspolitische und ideologische Alternative überlebt. Und damit schien – zumindest für Westeuropa und die USA – die Zahl der Bedrohungen liberaler Demokratie in der Tat zusammenzuschnurren. Dieser Umstand wurde selbstverständlich auch von jener Wissenschaft zur Kenntnis genommen, die sich der theoretischen Reflexion und Verteidigung demokratischer Regeln und Wertvorstellungen als einer ihrer genuinen Aufgaben angenommen hatte: der normativ ausgerichteten Politikwissenschaft. Mit dem Wegfall der »kommunistischen Herausforderung« veränderten die Politikwissenschaftler den Katalog der Gefährdungspotenziale liberaler Demokratie. Manfred G. Schmidt benannte in diesem Sinne vier »kritische Herausforderungen«, denen sich moderne Demokratien in Zukunft zu stellen hätten:4 Erstens den Rückzug eines Großteils des Staatsvolkes aus der politischen Beteiligung, zweitens eine Machtverteilung, welche möglichen Antisystemkräften die Vorherrschaft entweder im Parlament oder im Parteiensystem verschaffen könnte, drittens die »Inkonstanz der Zahl«5 und viertens Span-
3 Francis Fukuyama: Das Ende der Geschichte, S. 439. 4 Manfred G. Schmidt: »Ist die Demokratie wirklich die beste Staatsverfassung?«, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft, 28. Jhg., 1999, Heft 2, S. 196. 5 Das Konzept der »Inkonstanz der Zahl« geht ursprünglich auf Thomas Hobbes zurück und besagt schlicht und einfach, dass Abstimmungsmehrheiten in Demokratien sich verändern können (Inkonstanz). Kritisch wird es, wenn große Teile des Staatsvolkes diese Inkonstanz (im Sinne einer demokratisch herbeigeführten Niederlage) nicht mehr akzeptieren.
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nungen zwischen hoher internationaler Interdependenz und nationalstaatlicher Verankerung der Demokratie. Bei diesen von Manfred G. Schmidt genannten Herausforderungen fällt auf, dass es sich um genuin politische Phänomene handelt, die jeweils von politisch motivierten Akteuren initiiert werden. Dass auch Prozesse, die von nicht politisch motivierten Akteuren in Gang gesetzt werden, politisch relevante Ergebnisse zeitigen können, wird von Schmidt an dieser Stelle nicht berücksichtigt. Überhaupt scheint die gegenwärtige Demokratietheorie diesen Umstand kaum zu reflektieren, was am Beispiel terroristischer Akte veranschaulicht werden kann. Politisch motivierter Terror wird – nicht erst seit dem 11. September 2001 – als Gefahr wahrgenommen. Ökonomisch motivierte organisierte Kriminalität, die zur Durchsetzung ihrer Interessen auch vor Terrorakten nicht zurückschreckt, dagegen nicht. Zumindest wird von der gegenwärtigen Demokratietheorie das politische Gefährdungspotenzial, das von organisierter Kriminalität ausgehen kann, kaum thematisiert.6 Eine Untersuchung dieser politischen Gefährdungspotenziale erscheint daher in besonderem Maße geboten. Die herrschende Meinung kann verkürzt folgendermaßen in Worte gefasst werden: Politisch ist, was von politisch motivierten Akteuren ausgeht. Dabei müsste es besser heißen: Politisch ist, was in den politischen Raum wirkt. Betrachtet man die konkreten Gefährdungspotenziale, die von organisierter Kriminalität ausgehen, kommt in diesem Sinne ein ganzer Katalog von Gefahren in Betracht, die um vier Kernbegriffe gruppiert werden können. Naheliegenderweise sind Korruption und Einschüchterung von Politikern und leitenden Beamten zu nennen, aber auch die Erringung wirtschaftlicher Macht, die schließlich in politische Macht münden kann. Daneben die Errichtung rechtsfreier Räume, was ein dauerhaftes Aufbrechen des staatlichen Gewaltmonopols nach sich ziehen und schließlich zur Errichtung von »Schattenstaaten« oder »Staa6 Organisierte Kriminalität wird beispielsweise weder bei Manfred G. Schmidt: »Ist die Demokratie wirklich die beste Staatsverfassung?«, noch in dessen Grundlagenbuch Ders.: Demokratietheorien, Opladen 1995 thematisiert. Auch bei Werner Weidenfeld (Hg.): Demokratie am Wendepunkt. Die demokratische Frage als Projekt des 21. Jahrhunderts, Berlin 1996 findet sich bei keinem der darin enthaltenen Autorenbeiträge ein Hinweis auf die politischen Implikationen organisierter Kriminalität.
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ten im Staate« führen kann, die einen jeweils eigenen Rechtskodex besitzen. Als Klimax schließlich die offene Kriegserklärung an den Staat, wenn die kriminellen Organisationen sich existenziell gefährdet sehen.7 Hier spätestens schimmert das für Carl Schmitt zentrale Kriterium des Politischen deutlich hervor: die offene Feind-Erklärung als Folge einer Freund-Feind-Unterscheidung. Doch dazu später mehr. Zunächst sollen grundlegende Arbeiten zu den verschiedenen für den politischen Raum relevanten Formen der organisierten Kriminalität vorgestellt werden, um den Horizont aufzuzeigen, den die bisherige Forschung vorgibt. Aufgrund der Fülle des Materials kann dieser Überblick lediglich kursorischer Natur sein.
2. Organisierte Kriminalität Sonderfall Italien Wer über organisierte Kriminalität schreibt, kommt nicht umhin, den Sonderfall der italienischen Mafia zu berücksichtigen. In Italien, zumal in Süditalien, wird für den Bereich der organisierten Kriminalität eine qualitative Sondersituation konstatiert, die auch bereits von sozialwissenschaftlicher Seite gut aufgearbeitet wurde. Grundlegend und ganze Forschergenerationen prägend war die Arbeit von Henner Hess,8 die vor allem den individualpsychologischen Habitus des mafiosen »Ehrenmannes« analysierte und in den soziokulturellen Kontext Süditaliens einfügte. Seine Untersuchung kulminierte in der heute sehr umstrittenen These, dass es sich bei der Mafia mehr um eine Lebenseinstellung als um eine Organisation handele. Weiterführend und die Mafia tatsächlich als Organisation untersuchend – im Sinne eines eher strukturell-analytischen Zugangs – waren die Arbeiten Pino Arlacchis9 und Nando dalla Chiesas.10
7 Vgl. dazu exemplarisch die Ermordung der beiden Mafia-Ermittlungsrichter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino. 8 Henner Hess: Mafia. Ursprung, Macht und Mythos, Freiburg 1993 (erstmals erschienen 1970). 9 Pino Arlacchi: Die unternehmerische Mafia. Mafiose Ethik und der Geist des Kapitalismus, Frankfurt/M. 1989.
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Von besonderer Bedeutung, weil einerseits zweifelsfrei die Existenz der Cosa Nostra als umfassende und hierarchische Organisation bestätigend und andererseits einen tiefgehenden Einblick in mafiose Strukturen gewährend, waren die Aussagen des Kronzeugen Tommaso Buscetta.11 Die aus diesen Aussagen gewonnenen Erkenntnisse haben Eingang gefunden in unzählige Arbeiten, von denen beispielhaft die mit Hilfe von Marcelle Padovani in Buchform gebrachten autobiografischen Aufzeichnungen Giovanni Falcones12 oder die Schriften Werner Raiths13 genannt werden können. Einen detaillierten Blick in die italienische »Mafia von innen« geben die von Pino Arlacchi zu Papier gebrachten Lebenserinnerungen des Kronzeugen Antonino Calderone.14 Alexander Stille recherchierte die Hintergründe der Eskalation der Gewalt in den achtziger und neunziger Jahren und fügte diese in Korrespondenz zu den Lebensgeschichten der Untersuchungsrichter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino sowie in Korrespondenz zu den Konjunkturen italienischer Politik.15 Vincenzo delle Donne legte kurz nach Falcones Ermordung eine lesenswerte Biografie des wohl bekanntesten Mafia-Jägers der letzten Jahrzehnte vor.16 Und aufgrund ihrer Fülle an historisch-deskriptivem Material zur Ge10 Nando dalla Chiesa: Der Palazzo und die Mafia, Köln 1987. Nando dalla Chiesa ist der Sohn des 1982 von der Mafia ermordeten Polizeipräfekten von Palermo, General Carlo Alberto dalla Chiesa. Er lehrt Soziologie in Mailand. 11 Darüber hinaus waren die Aussagen Buscettas von grundlegender Bedeutung für den so genannten »Maxi-Prozess« in Palermo (10. Februar 1986 bis 16. Dezember 1987), bei dem ein Ermittlungsrichterstab (Pool Antimafia) um Giovanni Falcone Anklage gegen 475 mutmaßliche Mitglieder der Mafia erhoben hatte. Am Ende wurden 19 Angeklagte zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt, im Gesamten wurden 2.655 Jahre Gefängnis verhängt – 114 Angeklagte wurden freigesprochen. 12 Giovanni Falcone, Marcelle Padovani: Inside Mafia, München 1992. 13 Vgl. beispielsweise: Werner Raith: Parasiten und Patrone. Siziliens Mafia greift nach der Macht, Frankfurt/M. 1992. 14 Pino Arlacchi: Mafia von innen. Das Leben des Don Antonino Calderone, Frankfurt/M. 1993. 15 Alexander Stille: Die Richter. Der Tod, die Mafia und die italienische Republik, München 1997. 16 Vincenzo delle Donne: Falcone. Die Biografie, Frankfurt/M., Berlin 1993.
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schichte und Wirkung der italienischen Mafia verdient schließlich die Dissertation von Peter Müller eine Erwähnung.17
Schwierigkeiten mit einem Begriff Was für die Sondersituation Italiens anerkannt wird, wo seit Jahrzehnten niemand mehr die Existenz der Cosa Nostra verneint, ist in den anderen Staaten der Europäischen Union durchaus streitig. Ob man in Deutschland, Frankreich oder Großbritannien überhaupt von der Existenz organisierter Kriminalität ausgehen kann, darüber herrscht Uneinigkeit. Für einen Teil der Autoren gilt die Existenz komplexer krimineller Organisationen per se als gesichert. Zu nennen sind hier beispielsweise Dagobert Lindlau,18 Konrad Freiberg, Berndt Georg Thamm und Wolfgang Sielaff,19 Jürgen Roth20 oder Jean Ziegler.21 Auf der anderen Seite wird organisierte Kriminalität als soziale Konstruktion betrachtet, im Sinne eines Legitimitätsreservoirs, das in erster Linie dazu diene, staatliche Eingriffe in Grundrechte der Gesellschaftsmitglieder zu rechtfertigen. Hier sind beispielsweise Heiner Busch22, HansJürgen Kerner23 und Hubert Beste24 zu nennen. Auch Claudio Besozzi zweifelt in einer Studie für den Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung zunächst die Existenz von organisierter Kriminalität in Eu17 Peter Müller: Die politische Macht der Mafia. Bedingungen, Formen und Grenzen, Frankfurt/M., Bern, New York 1991. 18 Dagobert Lindlau: Der Mob. Recherchen zum organisierten Verbrechen, Hamburg 1987. 19 Konrad Freiberg, Berndt Georg Thamm, Wolfgang Sielaff: Das MafaSyndrom. Organisierte Kriminalität: Geschichte, Verbrechen, Bekämpfung, Hilden 1992. 20 Jürgen Roth: Die Russen-Mafia, Hamburg 1996. 21 Jean Ziegler: Die Barbaren kommen. Kapitalismus und organisiertes Verbrechen, München 1999. 22 Heiner Busch: »Organisierte Kriminalität. Vom Nutzen eines unklaren Begriffes«, in: Demokratie und Recht, 1992, Nr. 4, S. 375-395. Vgl. auch: Ders.: Grenzenlose Polizei? Neue Grenzen und polizeiliche Zusammenarbeit in Europa, Münster 1995. 23 Hans-Jürgen Kerner: »Organisierte Kriminalität: Realitäten und Konstruktionen«, in: Neue Kriminalpolitik, 1995, Nr. 7, S. 40-42. 24 Hubert Beste: »Organisierte Kriminalität. Soziale, politische und ökonomische Dimensionen«, in: Neue Kriminalpolitik, 1995, Nr. 7, S. 43-46.
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ropa (außerhalb Italiens) an und konstatiert für den Terminus »organisierte Kriminalität« mangelhaften wissenschaftlichen Wert: »Anstatt Klarheit schafft er Verwirrung. Anstatt die Wahrnehmung der Wirklichkeit zu strukturieren, täuscht er Wirklichkeit vor.«25 Gleichwohl verwendet Besozzi den Begriff der organisierten Kriminalität, konstatiert wenige Zeilen später gar die Notwendigkeit der Erforschung dieses Phänomens und plädiert für einen Paradigmenwechsel im Bereich der Forschung. Statt klassisch kriminologischer Untersuchungen sollten die »illegalen Märkte« unter Zuhilfenahme ökonomischer Begriffe und Theorien analysiert werden. Schließlich sei die Existenz illegaler Märkte die Grundbedingung organisierter Kriminalität. Dieser auf der Basis wirtschaftswissenschaftlicher Theoreme agierende Forschungsansatz ist jedoch keine genuine Neuerung Besozzis, in angelsächsischen Ländern ist er bereits als Economics of Crime fest etabliert. Als grundlegende Einführung in diesen Forschungsansatz kann der Sammelband gleichen Namens von Daryl A. Hellman und Neil O. Alper genannt werden.26 Im deutschsprachigen Raum gingen Ulrich Sieber und Marion Bögel daran, Strukturmerkmale organisierter Straftätergruppen mit Hilfe eines betriebswirtschaftlichen Analyserasters zu erfassen. Sieber und Bögel bezeichnen ihren Forschungsansatz als »Logistik der Organisierten Kriminalität« (LOOK).27 Über den Begriff der organisierten Kriminalität wurde und wird viel gestritten. Unstrittig ist in den meisten Fällen jedoch, dass sich die Strafverfolgungsbehörden seit einigen Jahren tatsächlich mit neuen Formen der Kriminalität konfrontiert sehen. »Freilich ist die ›Existenz‹ organisierter Kriminalität durchaus konsensfähig. Dass organisierte Kriminalität existiert, jedenfalls in dem Sinne, dass Straftaten in organisierter Weise begangen werden, steht über25 Claudio Besozzi: Organisierte Kriminalität und empirische Forschung, Chur 1997, S. 23. 26 Daryl A. Hellman, Neil O. Alper (Hg.): Economics of Crime. Theory and Practice, Nedham Heights 1993. 27 Ulrich Sieber, Marion Bögel: Logistik der organisierten Kriminalität (LOOK), Wiesbaden 1993. Vgl. auch: Ulrich Sieber: »Logistik der organisierten Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland. Ergebnisse eines neuen Forschungsansatzes«, in: Juristenzeitung, 50. Jhg., 11.08.95, Nr. 15/16, S. 758-768.
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haupt nicht in Frage«,28 so Hans-Jörg Albrecht. Gleichwohl schreibt er im selben Text: »Mit dem Begriff der organisierten Kriminalität ist ein Feld umschrieben, das wie kein anderes durch Mythen, Schätzungen und Spekulationen geprägt ist.«29 Der Umstand, dass der Terminus organisierte Kriminalität als unscharf konturiert erscheint, hat mehrere Ursachen. Zuallererst den nahe liegenden Grund der geheimen Operation. Existieren kriminelle Organisationen, so ist ihnen alles daran gelegen, die Spuren ihrer Existenz zu verwischen und die Operationen so geheim wie möglich zu planen. Der manchmal romantisch aufgeladene Begriff der »Omertà« der italienischen Cosa Nostra packt dieses Bestreben in eine konsistente Form: das Gesetz des Schweigens. Wer dagegen verstößt, verliert sein Leben. Außenstehende Personen, die Verdachtsmomente und Vermutungen äußern, werden gezielt als Verschwörungstheoretiker diskreditiert und der Lächerlichkeit preisgegeben. Zweitens ist die Beobachtungsferne zu nennen. Organisierte Kriminalität ist kein Phänomen, dass empirischer Erforschung direkt zugänglich ist. Wissenschaftler können nicht selbst Datenmaterial erheben oder per teilnehmender Beobachtung qualitative Forschung betreiben. Der Einsatz verdeckter Ermittler scheint zwar Analogien zur teilnehmenden Beobachtung aufzuweisen, geschieht aber in erster Linie mit dem Ziel der Zerschlagung der infiltrierten Organisation. Wissenschaftliche Grundsätze eines Forschungsparadigmas spielen hier keine Rolle. Damit ist bereits der dritte Aspekt angesprochen: die polizeiliche Quelle. Die Daten und Erkenntnisse, die dennoch an die Öffentlichkeit gelangen, entstammen nahezu ausschließlich den Ermittlungsergebnissen der Polizei. Die Strafverfolgungsbehörden stehen tagtäglich im Kampf mit organisierter Kriminalität und zeichnen sich insofern aus nahe liegenden Gründen gerade nicht durch die für wissenschaftliches Arbeiten notwendige Distanz aus.30 Hinzu kommt, dass die oft unterbesetzten Dienste in der 28 Hans-Jörg Albrecht: »Organisierte Kriminalität – Theoretische Erklärungen und empirische Befunde«, in: Deutsche Sektion der Internationalen Juristen-Kommission (Hg.): Organisierte Kriminalität und Verfassungsstaat, Heidelberg 1998, S. 8. 29 Ebd., S. 1. 30 Vgl. dazu: Salvatore Lupo: Die Geschichte der Mafia, Düsseldorf 2002, S. 25: »Die polizeilichen oder juristischen Quellen sind fast genauso
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Regel an einer Ausweitung ihrer Kompetenzen interessiert sind, um über damit einhergehende Etaterhöhungen ihre personelle und materielle Situation zu verbessern. Am Beispiel der Ausführungen Eckart Werthebachs, des damaligen Präsidenten des Verfassungsschutzes, lässt sich dies veranschaulichen: »Die Organisierte Kriminalität hat mit einer politischem Extremismus gleichen Bedrohungsqualität in Deutschland Fuß gefasst ... Wenn die Organisierte Kriminalität (OK) ... darauf gerichtet ist, die Grundwerte des freiheitlichen Rechtsstaates zu beseitigen oder zumindest die ihn tragenden Institutionen von innen heraus auszuhöhlen, fällt dies in den Beobachtungsauftrag des administrativen Verfassungsschutzes.«31 Als vierter Aspekt ist das Problem der Zuordnung zu nennen. Werden Straftaten aufgedeckt, so erscheinen sie zunächst als Einzeldelikte. Größe und Umfang der Strukturen, die unterhalb des Oberflächenphänomens der ermittelten Straftat versteckt liegen, sind oft nur per Mutmaßung abzuschätzen. In polizeilichen Zentralstellen, wie dem deutschen Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden, werden die Daten der einzelnen Ermittlungsergebnisse gesammelt und ausgewertet, um mögliche Verbindungslinien zwischen verschiedenen »Einzelstraftaten« zu erschließen. »In der Kriminalaktenhaltung des BKA sind mehr als 2,5 Millionen Personalien von Tätern, die schwere oder überregional bedeutsame Straftaten begangen haben, registriert«,32 beziffert das BKA die Dimension ihres Datenbestands. Trotz dieser Bemühungen wird bei der Zahl der Zuordnungen zu Gruppen der »Netzstrukturkriminalität« von einer recht hohen Dunkelziffer ausgegangen werden müssen.
subjektiv geprägt wie alle anderen. Wer sie benutzt, tritt sofort ein in ein Spiel von Spiegeln, das Spiel der gegensätzlichen Wahrheiten von Anklage und Verteidigung.« 31 Eckart Werthebach, Bernadette Droste-Lehen: »Organisierte Kriminalität«, in: Zeitschrift für Rechtspolitik, 1994, Heft 2, S. 57. 32 Zitiert aus dem Internetauftritt des BKA: www.bka.de/about/ infotext.htm.
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Definitionsversuche Aufgrund dieser Schwierigkeiten ist es durchaus nachvollziehbar, wenn Rechtswissenschaftler wie Hans-Jürgen Kerner massive Bedenken äußern: »Grundsätzlich ist das Wissen über Ausmaß, Struktur und gegenseitige Verbindung der Formen ›organisierter‹ geplanter und begangener Straftaten weder systematisch noch im einzelnen substanziell gesichert.«33 Auf der anderen Seite sprechen die Ergebnisse der Strafverfolgungsbehörden, die beispielsweise in Deutschland seit 1991 jährlich vom BKA in einem »Lagebericht Organisierte Kriminalität«34 veröffentlicht werden, eine ganz andere Sprache. Die Zunahme schwerer Straftaten, die zunehmend professionelle Art und Weise der Begehung und die transnationale Verflechtung der begangenen Verbrechen, die Pino Arlacchi vor nicht allzu langer Zeit am besonders abscheulichen Beispiel des Menschenhandels verdeutlicht hat,35 lassen kaum Zweifel an der massiven Existenz organisierter Kriminalität zu. Insofern hielten es mehrere staatliche Stellen in den letzten Jahrzehnten für geboten, »offizielle« Definitionen des Problems der organisierten Kriminalität zu entwickeln. Den Anfang machte Italien, was aufgrund der Sondersituation der italienischen Mafia nicht verwundern dürfte. Bereits am 31. Mai 1965 verabschiedete das italienische Parlament »Maßnahmen gegen die Mafia«, in denen zu lesen war: »Dieses Gesetz ist anzuwenden gegen Personen, die verdächtig sind, Mitglieder von Vereinigungen mafiosen Typs zu sein, der Camorra oder anderer Vereinigungen, wie diese auch immer örtlich heißen, sowie gegen Personen, die Ziele verfolgen und Methoden anwenden, die denjenigen von Vereinigungen mafiosen Typs entsprechen.«36 Was nun aber eine Vereinigung mafiosen Typs auszeichnet, wurde nicht näher erläutert. Die Mitgliedschaft in solch einer Vereinigung mafiosen Typs wurde dementsprechend auch nicht unter Strafe gestellt.
33 Hans-Jürgen Kerner: »Organisierte Kriminalität: Realitäten und Konstruktionen«, S. 40. 34 Im Internet auf der Web-Seite des BKA einsehbar: www.bka.de. 35 Pino Arlacchi: Ware Mensch. Der Skandal des modernen Sklavenhandels, München 2000. 36 Zitiert nach: Werner Raith: Parasiten und Patrone. Siziliens Mafia greift nach der Macht, Frankfurt/M. 1992, S. 114.
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Es brauchte fast zwanzig Jahre und die Aufgebrachtheit der Bevölkerung über die brutale Ermordung des nur 120 Tage im Amt verweilenden Polizeipräfekten von Palermo, General Carlo Alberto dalla Chiesa, bis 1982 eine Verschärfung der Gesetzeslage und eine Legaldefinition mafioser Gruppierungen erfolgte: »Eine Vereinigung ist mafiosen Typs, wenn diejenigen, die ihr angehören, sich der Einschüchterungskraft der Gruppe und der Unterdrückung und der daraus entstehenden Omertà bedienen, um Verbrechen zu begehen, um auf direkte oder indirekte Art die Führung und Kontrolle über wirtschaftliche Aktivitäten, Konzessionen, Genehmigungen und öffentliche Aufträge zu erlangen, oder um ungerechtfertigte Profite oder Vorteile für sich oder andere zu verwirklichen.«37 Das Gesetz trägt den Namen Rognoni-La Torre-Gesetz, nach dem damaligen Innenminister Rognoni und dem sizilianischen Abgeordneten La Torre, der einige Monate zuvor zusammen mit seinem Fahrer erschossen wurde – nachdem er zuvor jahrelang dafür gekämpft hatte, dass die Mitgliedschaft in der Mafia unter Strafe zu stellen sei. Mit diesem Gesetz wurde sein Bestreben posthum in Textform gebracht und mit Gesetzeskraft versehen. In den Vereinigten Staaten von Amerika, wo sich bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Ableger der italienischen Cosa Nostra gebildet hatten, wird das Problemfeld der organisierten Kriminalität seit Jahrzehnten intensiv diskutiert, was sicherlich durch die geschätzte Größe der amerikanischen Mafia befördert wird. Die UNO-Konferenz gegen transnationale Kriminalität ging schon 1994 davon aus, dass der amerikanische Ableger der Cosa Nostra 25 »Familien« und 3.000 Mitglieder umfasse, die einen Umsatz von 60 bis 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr »erwirtschafteten«.38 Klaus C. Rohr, Deputy Legal Attaché der US-Botschaft in Deutschland, erläutert die amerikanischen Bemühungen um eine Definition der organisierten Kriminalität folgendermaßen: »Das amerikanische Bundesjustizministerium und das FBI definieren die Organisierte Kriminalität als eine fortgesetzte und sich selbst erhaltende kriminelle Verschwörung, die ihre Machtposition durch Einschüchterung und Korruption erhält und von Habgier
37 Zitiert nach: Peter Müller: Die politische Macht der Mafia, S. 279. 38 Zitiert nach: Werner Raith: Organisierte Kriminalität, Reinbek bei Hamburg 1995, S. 36.
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motiviert ist.«39 Nach dieser Definition ist eine kriminelle Organisation »eine Vereinigung, deren erstes Ziel die Machterhaltung ist. Diese Macht kann nur erhalten werden, wenn die Organisation im Geheimen wirkt und alle Konkurrenten sowie die Strafverfolgungsorgane ausgeschaltet sind. Gegen Konkurrenten werden Gewalt und Einschüchterung angewandt, Organe des Staates korrumpiert.«40 In Deutschland wurde wesentlich länger und erbitterter diskutiert als in den USA, bis sich 1990 eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der Justiz und der Innenministerien (AG Polizei/Justiz) auf eine gemeinsame Definition einigte, die jedoch keinen Gesetzescharakter erlangte: »Organisierte Kriminalität ist die von Gewinnund Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere Zeit oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig a) unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsmäßiger Strukturen, b) unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel, c) unter Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft zusammenwirken.«41 Diese erarbeitete Formulierung ist eine umfassende Definition, die für manchen Kritiker zu umfassend ist. »Die mehrfache Unschärfe macht die Definition für eine exakt abgrenzende Kennzeichnung Organisierter gegenüber nicht organisierter Kriminalität wertlos«, schreibt beispielsweise Norbert Pütter.42 Und in der Tat dürfte die von der AG Polizei/Justiz erarbeitete Definition auch viele Straftatbestände abdecken, die gemeinhin nicht mit dem Label »organisierte Kriminalität« versehen würden. Wahrscheinlich wurde diese Definition eben deshalb nicht in Gesetzesform gebracht. Dennoch muss festgehalten werden, dass in den letzten zehn Jahren das Problemfeld der organisierten Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland zunehmend ins Zentrum 39 Klaus C. Rohr: »Organisierte Kriminalität in den USA«, in: Europa im Griff der Mafia. Internationales Symposium der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, 25. Oktober 1993, als Internetveröffentlichung unter: www.lpb.bwue.de/publikat/eumafia/usa.htm. 40 Ebd. 41 Zitiert nach: Klaus Boehrs: »Was ist OK? Streitfall: Organisierte Kriminalität«, in: Neue Kriminalpolitik, 1995, Heft 3, S. 38. 42 Norbert Pütter: Der OK-Komplex, Münster 1998, S. 284.
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rechtspolitischer Aktivitäten gerückt wurde. Gesetze wie das OrgKG (Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität) vom 15.07.1992, das Geldwäschegesetz (Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten) vom 25.10.1993 sowie das Verbrechensbekämpfungsgesetz (Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozessordnung und anderer Gesetze) vom 28.10.1994 belegen diese These nachdrücklich.43
3. Grundlinien der Forschung »OK-Forschung« in Deutschland Organisierte Kriminalität ist ein chimärenhaftes Phänomen, das aufgrund seiner klandestinen Organisationsstruktur zahlreiche Räume der Unsicherheit und Spekulation schafft, die einer politischen Instrumentalisierung des Phänomens Vorschub leisten – wodurch die Notwendigkeit der Erforschung organisierter Kriminalität noch zusätzlich unterstrichen wird. Die Wahrnehmung erster Formen organisierter Kriminalität begann in Deutschland zaghaft in den frühen siebziger Jahren. Hans-Jürgen Kerner prägte 1973 den Begriff der »Straftäterverflechtung« im Sinne eines grenzüberschreitenden, informellen Netzwerks gegenseitiger Bekanntschaften im kriminellen Milieu und füllte damit den Terminus »organisierte Kriminalität« erstmals mit Inhalt.44 In den achtziger Jahren wurden von Strafverfolgungsbehörden neben diesen lockeren Straftäterverflechtungen zunehmend Stützpunkte ausländischer krimineller Organisationen festgestellt, »die dann in den 90er Jahren Gegenstand vor allem der Polizeifor-
43 Vgl. dazu: Edwin Kube: »Situationsbericht für Deutschland«, in: Christoph Mayerhofer, Jörg-Martin Jehle (Hg.): Organisierte Kriminalität. Lagebilder und Erscheinungsformen. Bekämpfung und rechtliche Bewältigung, Heidelberg 1996, S. 17-32. 44 Hans-Jürgen Kerner: Professionelles und organisiertes Verbrechen. Versuch einer Bestandsaufnahme und Bericht über neuere Entwicklungstendenzen in der Bundesrepublik Deutschland und in den Niederlanden, Wiesbaden 1973.
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schung wurden«.45 Eine erste Definition organisierter Kriminalität wurde wie bereits erwähnt 1990 in den »Gemeinsamen Richtlinien der Justizminister/-senatoren der Länder über die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei bei der Verfolgung der Organisierten Kriminalität«46 erarbeitet. Auf der Grundlage dieser Definition erstellt das Bundeskriminalamt seit 1991 jährlich ein »Lagebild Organisierte Kriminalität«, in dem statistische Daten zum quantitativen Ausmaß organisierter Kriminalität in Deutschland veröffentlicht werden. Der jeweils aktuelle Lagebericht ist im Internet einsehbar.47 Seit Anfang der neunziger Jahre ist darüber hinaus allgemein ein zunehmendes Interesse der Kriminologie an organisierter Kriminalität festzustellen, für das exemplarisch die Arbeiten von Christian Pfeiffer stehen können.48 Grundsätzlich sind für die OK-Forschung im deutschsprachigen Raum fünf Tendenzen zu konstatieren: Erstens stammt der überwiegende Teil der Erkenntnisse über organisierte Kriminalität – aus nahe liegenden Gründen – von Polizei- und Justizbehörden sowie polizeinahen Forschungseinrichtungen, in denen die Existenz organisierter Kriminalität in der Regel nicht in Frage gestellt wird. Vergleichend können hier beispielsweise die Publikationen des Bundeskriminalamts, Veröffentlichungen des Verlags Deutsche Polizeiliteratur in Hilden sowie die einschlägigen Zeitschriften genannt werden. Zweitens findet der Schwerpunkt genuin wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit organisierter Kriminalität im Bereich der Rechtswissenschaften statt, in denen die sozio-politische Facette organisierter Kriminalität kaum oder gar keine Beachtung findet.49 Diese Lücke versuchen – drittens – journalistische und populärwissenschaftliche Abhandlungen zu füllen: Zu nennen sind 45 Ulrich Sieber: »Logistik der organisierten Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland«, S. 759. 46 Vgl. die oben gemachten Ausführungen, wo auch die von der AG Polizei/Justiz erarbeitete OK-Definition abgedruckt ist. 47 Der jeweils aktuelle Lagebericht des BKA findet sich im Internet unter: www.bka.de. 48 Vgl. beispielsweise: Christian Pfeiffer: Organisierte Kriminalität. Empirische Erkenntnisse und Erkenntnismöglichkeiten, Perspektiven ihrer Bekämpfung, Hannover 1995. 49 Vgl. beispielsweise: Christoph Mayerhofer, Jörg-Martin Jehle (Hg.): Organisierte Kriminalität. Lagebilder und Erscheinungsformen. Bekämpfung und rechtliche Bewältigung, Heidelberg 1996.
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hier die Arbeiten Dagobert Lindlaus,50 Werner Raiths,51 Rolf Uesselers,52 Jürgen Roths53 und Jean Zieglers.54 Viertens findet die Debatte um organisierte Kriminalität, wenn sie denn geführt wird, in einem hochpolitisierten Raum statt, in dem vordergründig die gesinnungspolitischen Grenzen gezogen zu sein scheinen. Diejenigen, die von der Existenz organisierter Kriminalität ausgehen, scheinen sich im Lager des politischen Konservatismus zu bewegen. Auf der anderen Seite wird häufig in linksgerichteten und linksliberalen Kreisen die Existenz organisierter Kriminalität bezweifelt oder organisierte Kriminalität als »politischer Kampfbegriff« abgewertet.55 Vor allem bei Debatten über konkrete Gesetzesmaßnahmen, wie beispielsweise dem »Großen Lauschangriff«, gruppiert sich die Mehrzahl der Diskursteilnehmer entlang dieser imaginären Grenze. Grenzgänger wie der Genfer Soziologe Jean Ziegler, die neomarxistisch argumentierend ein hartes Vorgehen gegen organisierte Kriminalität fordern, sind eher selten anzutreffen. Schließlich kann fünftens ein fast grundsätzliches Desinteresse deutschsprachiger Sozialwissenschaft am Komplex organisierter Kriminalität festgestellt werden. Über empirisch-deskriptive Analysen polizeiinterner oder -naher Forschungseinrichtungen sowie einigen kriminologischen Studien hinaus, bietet sie wenig Beiträge zum Forschungsgebiet der organisierten Kriminalität. Beim 1998 in Freiburg im Breisgau veranstalteten Soziologiekongress der deutschen, österreichischen und schweizerischen Gesellschaften für Soziologie,56 an dem 2.000 Sozialwissenschaftler teilnahmen,
50 Dagobert Lindlau: Der Mob. 51 Werner Raith: Parasiten und Patrone, oder auch: Ders.: Das neue Mafia-Kartell. Wie die Syndikate den Osten erobern, Berlin 1994. 52 Rolf Uesseler: Herausforderung Mafia. Strategien gegen Organisierte Kriminalität, Bonn 1993. 53 Jürgen Roth: Die Russen-Mafia. 54 Jean Ziegler: Die Barbaren kommen, oder auch: Ders.: Die Schweiz wäscht weißer. Die Finanzdrehscheibe des internationalen Verbrechens, München 1990. 55 Till Müller-Heidelberg: »Organisierte Kriminalität. Ein politischer Kampfbegriff«, in: trend.onlinezeitung, 02/1999, als Internetveröffentlichung unter www.trend.partisan.net/trd0299/t510299.htm. 56 Grenzenlose Gesellschaft? 29. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, 16. Österreichischer Kongress für Soziologie, 11. Kongress der
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etwa 100 themenspezifische Veranstaltungen stattfanden und fast 650 Vorträge gehalten wurden, gab es beispielsweise keine einzige Veranstaltung zum Thema organisierte Kriminalität. Verstreut in verschiedenen Sektionssitzungen wurden drei dem Forschungskomplex organisierte Kriminalität nahestehende Vorträge57 und ein einziger Vortrag gehalten, der sich konkret auf OK-Forschung bezogen hatte.58 Angesichts dieser Verhältnisse ruft Rolf Uesselers provozierender Seitenhieb gegen die Sozialwissenschaften wenig Verwunderung hervor: »Die Wissenschaft offeriert auf dem Gebiet der organisierten Kriminalität keinerlei Stützen. Man hat sogar den Eindruck, dass sie nicht einmal bereit ist, dieses Phänomen in ihr Blickfeld aufzunehmen, wenn sie nicht sogar dessen Existenz gänzlich negiert.«59 Als direkter Ausfluss des Umstands, dass die Sozialwissenschaft nur geringe Beiträge zum Forschungskomplex organisierte Kriminalität beisteuert, kann das »Theorie-Defizit« des wissenschaftlichen OK-Diskurses aufgefasst werden, wie es beispielsweise bei Besozzi beklagt wird: »Schließlich muss hervorgehoben werden, dass die Debatte um die Definition der organisierten Kriminalität in einem weitgehend theorielosen Raum stattfindet, was die Konstruktion eines theoretisch relevanten Untersuchungsobjekts nicht gerade fördert.«60 Dieses »Theorie-Defizit« der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Formen organisierter
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Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie, 14. bis 18. September 1998, veranstaltet in der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br. Norman Braun (Bern): Zur Rational-Choice Analyse illegaler Drogenmärkte, im Rahmen der Sektionssitzung: Modellierungsstrategien im Rational-Choice Ansatz; Thomas Gilly (Freiburg): Der europäische Sicherheitsraum und die innere Sicherheit Frankreichs und Deutschlands. Zur Dialektik von Globalisierung und Partikularisierung, im Rahmen der Sektionssitzung: Konvergenz und Ungleichheit; Jo Reichertz (Essen): Crime profiling – ein neues Verfahren zur Ermittlung nicht-lokal operierender Serientäter, im Rahmen der Sektionssitzung: Begrenzte Sicherheit – Grenzen durch Sicherheit. Jachen C. Nett (Basel): Bedingt organisierte Kriminalität eine kriminelle Organisation?, im Rahmen der Sektionssitzung: Entgrenzte Gesellschaft und soziale Kontrolle. Rolf Uesseler: Herausforderung Mafia, S. 21. Claudio Besozzi: Organisierte Kriminalität und empirische Forschung, S. 24.
III. ORGANISIERTE KRIMINALITÄT
Kriminalität ist eine der zentralen Motivationen, die zum Entstehen der vorliegenden Arbeit geführt haben. Da die Akteure der organisierten Kriminalität – im Gegensatz zu jenen des politisch motivierten Terrorismus – durch ihre illegalen Handlungen weniger politische als vielmehr ökonomische Ziele verfolgen, ist es geboten, wenigstens einen kursorischen Überblick über jene zwei Teilaspekte der Forschung zur organisierten Kriminalität zu bieten, die sich primär mit der ökonomischen Seite des Phänomens befassen: der Korruption und der Erlangung wirtschaftlicher Macht. Wobei darauf hingewiesen werden muss, dass auch diese Aspekte selbstredend politische Implikationen nach sich ziehen, da sich wirtschaftliche Macht in politische Macht transformieren kann und Korruption direkt in den Bereich der öffentlichen Verwaltung hinein wirkt und seine Autorität von innen her zersetzt.
Teilaspekt Korruption Organisierte Kriminalität ist ein vielschichtiges Phänomen, das aus verschiedenen Einzelphänomenen besteht, unter denen Korruption wahrscheinlich eines der weit reichendsten ist. Der Weltbank-Präsident James Wolfensohn bekannte beispielsweise im Jahr 1999, dass Korruption das »bei weitem wichtigste Thema« sei, das ihn und seine Institution beschäftige.61 Bereits 1987 untersuchte Paul Noack unter sozialwissenschaftlicher Perspektive diesen Themenkomplex.62 Am konkreten Beispiel des Wohnungsbaus analysierte Johannes Ludwig das Phänomen der Korruption63 und Horst-Eberhard Richter näherte sich ihm unter psychoanalytischer Perspektive.64 Für den Bereich der Entwicklungspolitik und der Situation in Ländern der so genannten Dritten und Vierten Welt zeigt Georg Cremer mögliche Lö61 Zitiert aus: Bartholomäus Grill: »Der globale Sumpf. Korruption bedroht den Fortschritt und Wohlstand der ganzen Welt«, in: Die Zeit, 28.10.99, S. 11. 62 Paul Noack: Korruption. Die andere Seite der Macht, München 1987. 63 Johannes Ludwig: Wohnungsbau und Bankenmacht. Warum die eigenen vier Wände immer teurer werden, Frankfurt/M. 1991. 64 Horst-Eberhard Richter: Die hohe Kunst der Korruption. Erkenntnisse eines Politik-Beraters, Hamburg 1989.
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sungsansätze auf.65 Aktuelle Schätzungen zur Verbreitung der Korruption in Polizei, Justiz und Zoll finden sich bei Robert Mischkowitz und Heike Bruhn.66 Hans Leyendecker, Heribert Prantl sowie Michael Stiller zeigen anhand des so genannten CDU-Parteispendenskandals, wie fließend die Grenzen zwischen legaler Spendenpraxis und illegaler Korruption sind – und wie zweifelhafte Finanztransaktionen und geheime Konten selbst bei demokratischen Parteien wuchern.67 Friedhelm Schwarz veranschaulicht die »finanziellen Gefährdungen« in einem weiteren Sinne an der Praxis politischer Lobbyarbeit in der Bundesrepublik.68 Auf institutioneller Ebene versucht die weltweit agierende Organisation Transparency International (TI)69 gegen Korruption vorzugehen und veröffentlicht im Zuge dieser Bemühungen jährlich einen Korruptionsindex für verschiedene Staaten und 1999 erstmals eine »Weltrangliste« jener Staaten, in denen Korruption besonders große Ausmaße angenommen hat. Dabei ist Transparency International eine vergleichsweise junge Organisation: 1993 wurde sie in Berlin von einem kleinen Kreis von Personen um Peter Eigen gegründet. Doch innerhalb weniger Jahre ist aus der überschaubaren Initiative eine weltweit agierende Institution geworden, an deren Veranstaltungen Staatspräsidenten, Minister, Bankiers, Industrielle und hochrangige Polizeivertreter teilnehmen. Im Jahr 1999 waren beispielsweise 1.600 Delegierte aus 135 Ländern beim TI-Kongress im südafrikanischen Durban anwesend gewesen. Dass die internationale Arbeit gegen Korruption erste Früchte trägt, zeigt sich an mehreren Gesetzesnovellen der letzten Jahre. Beispielsweise verabschiedete die OECD am 21. November 1997
65 Georg Cremer: Korruption begrenzen. Praxisfeld Entwicklungspolitik, Freiburg/Br. 2000. 66 Robert Mischkowitz, Heike Bruhn u.a.: Einschätzungen zur Korruption in Polizei, Justiz und Zoll (BKA-Forschungsreihe Bd. 46), Wiesbaden 2000. 67 Hans Leyendecker, Heribert Prantl, Michael Stiller: Helmut Kohl, die Macht und das Geld, Göttingen 2000. 68 Friedhelm Schwarz: Das gekaufte Parlament – Die Lobby und ihr Bundestag, München 1999. 69 Aktuelle Informationen von und über Transparency International finden sich im Internet unter: www.ti-deutschland.de.
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ein Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr, das in der Bundesrepublik im Februar 1999 in Form des Gesetzes zur Bekämpfung internationaler Bestechung (IntBestG) in Kraft getreten ist.70
Teilaspekt wirtschaftliche Macht Über die dominierende Rolle transnationaler Konzerne in einer globalisierten Welt und den »verlorenen Primat der Politik« wurde und wird viel geschrieben. Der potenzielle Umschlag von ökonomischer in politische Macht wird im Zuge eines allgemeinen Globalisierungsdiskurses breit reflektiert. Als einige der populärsten Wortführer dieser Kritik eines weltweiten Neoliberalismus seien Noam Chomsky,71 Viviane Forrester,72 Pierre Bourdieu73 sowie Michael Hardt und Antonio Negri74 genannt. Dagegen ist das Problemfeld der Erringung wirtschaftlicher Macht durch kriminelle Organisationen, die diese eben auch in politische Macht transformieren können, deutlich seltener Gegenstand sozialwissenschaftlicher Untersuchungen. Dabei werden immer wieder einschlägige Warnungen vorgebracht: »Wenn Ihnen jemand das Foto eines Mafiabosses zeigt (jener mit der Waffe in der Hand), geben Sie sich damit nicht zufrieden: Fragen Sie nach dem finanziellen Gehirn, nach dem politischen Geist, nach dem kulturellen Kopf«,75 verweist Leoluca Orlando, der frühere Bürgermeister Palermos, auf die ökonomische und politische Macht mafioser Gruppierungen. Und auch Gio70 Vgl. zu den Anstrengungen der Organisation for Economic Cooperation and Development: OECD (Hrsg.): No longer business as usual. Fighting Bribery and Corruption, Paris 2000. 71 Noam Chomsky: Profit over People. Neoliberalimus und globale Weltordnung, Hamburg, Wien 2000. 72 Viviane Forrester: Der Terror der Ökonomie, Wien 1997. 73 Pierre Bourdieu: Gegenfeuer. Wortmeldungen im Dienste des Widerstands gegen die neoliberale Invasion, Konstanz 1998. 74 Michael Hardt, Antonio Negri: Empire. Die neue Weltordnung, Frankfurt, New York 2002. 75 Leoluca Orlando: »Plädoyer für eine Berücksichtigung der italienischen Erfahrungen im Kampf gegen die Mafia«, in: Ulrich Sieber: Internationale Organisierte Kriminalität. Herausforderungen und Lösungen für ein Europa offener Grenzen, Köln u.a. 1997, S. 208.
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vanni Falcone warnte: »Heute stellt man – nicht zuletzt dank der Arbeiten des Soziologen Pino Arlacchi – fest, dass die parasitäre Organisation einen Wandel vollzogen hat. Nicht etwa, dass sich der Mafioso als Unternehmer verkleidet hätte: Nein, er ist ein wahrer Unternehmenschef geworden, wobei er sich den zusätzlichen Vorteil der Zugehörigkeit zur Cosa Nostra zunutze gemacht hat.«76 Um Missverständnissen vorzubeugen, müssen an dieser Stelle die Termini Wirtschaftskriminalität und organisierte Kriminalität begrifflich differenziert werden. In Anlehnung an Winfried Hassemer unterscheidet Jean Ziegler die beiden Kriminalitätsformen anhand zweier Merkmale. Erstens: »Die Mafiafürsten erwerben bereits ihr Grundkapital auf illegale Weise und vermehren es auch so ... Der Wirtschaftskriminelle geht in der Regel anders vor: Er hat sein Grundkapital ... auf vollkommen legale Weise erworben. Wenn er jedoch im Lauf der Zeit mit Hindernissen konfrontiert wird, wenn eine Krise sein Kapital zu vernichten oder seine Gewinne zu schmälern droht, dann nimmt er seine Zuflucht zu kriminellen Methoden.«77 Und zweitens: »Die organisierte transkontinentale Kriminalität charakterisiert sich durch ihre Fähigkeit, den Justizapparat (und in geringerem Maße den politischen Apparat) zu terrorisieren, zu lähmen und eventuell zu korrumpieren. Wirtschaftskriminelle verfügen nicht über derartige Kompetenzen.«78 Wirtschaftskriminalität ist ein wissenschaftlich gut aufgearbeitetes Feld. Eine umfassende Einführung in dieses Forschungsgebiet leisten beispielsweise die Ausführungen von Rudolf Müller, Heinz-Bernd Wabnitz und Thomas Janovsky.79 Die politischen Implikationen ökonomischer Kriminalität und ihr Umschlag in entstaatlichende Gewalt, werden dagegen weit weniger thematisiert. In einer Edition von Hans See und Dieter Schenk wird im Rahmen von Wirtschaftsverbrechen der Problemkreis der Transformation ökonomischer in politische Macht zwar angesprochen, 76 Giovanni Falcone, Marcelle Padovani: Inside Mafia, S. 124 (Hervorhebung im Original). 77 Jean Ziegler: Die Barbaren kommen, S. 54. 78 Ebd., S. 53. 79 Rudolf Müller, Heinz-Bernd Wabnitz, Thomas Janovsky: Wirtschaftskriminalität. Eine Darstellung der typischen Erscheinungsformen mit praktischen Hinweisen zur Bekämpfung, München 1997.
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eine vertiefte Analyse wird jedoch nicht geboten.80 Allerdings bemühen sich die beiden Herausgeber seit Jahren um eine größere öffentliche Aufmerksamkeit in Bezug auf Wirtschaftsverbrechen und stellen diese dabei auch in einen umfassenderen Kontext. 1991 gründeten sie dafür Business Crime Control (BCC), eine Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Erforschung der Ursachen, Strukturen, sozialen, politischen, ökologischen und immateriellen Folgeschäden von Wirtschaftsverbrechen zu fördern und zu publizieren. Wirtschaftskriminalität wird jedoch nicht nur von Kriminologen und Rechtswissenschaftlern untersucht, sondern nahe liegender Weise richtet sich auch das Interesse einiger Wirtschaftswissenschaftler darauf. Das spezifische Instrumentarium einer ökonomischen Analyse der Wirtschaftskriminalität findet sich beispielsweise bei Sven Ricks, allerdings auch hier ohne eine vertiefte Untersuchung des Umschlags wirtschaftlicher in politische Macht.81 Dagegen hat Werner Raith bereits vor fast 20 Jahren vor einer »Industrialisierung« der italienischen Mafia gewarnt, also vor einer Transformation krimineller Organisationen in legale Unternehmen.82 Und auch Jean Ziegler versteht seine populärwissenschaftlichen Arbeiten als »Warnrufe« vor der zunehmenden wirtschaftlichen und politischen Macht krimineller Organisationen. Dass seine oft bemerkenswert materialreichen Arbeiten teilweise auf harsche Ablehnung stoßen, dürfte an der Grundlage seiner Argumentation liegen, die in der neomarxistisch inspirierten These gebündelt werden kann, dass das organisierte Verbrechen die höchste Entwicklungsstufe der kapitalistischen Produktionsweise und Ideologie darstelle: »Der Kapitalismus findet im organisierten Verbrechen zu sich selbst.«83 Neben dieser grundsätzlich systemkritischen Position werden auch im bürgerlichen Lager zunehmend Stimmen laut, die vor einer strukturellen Verschmelzung von Wirtschafts- und organisierter Kriminalität warnen. »Da jedoch die OK erst dann ihren höchs80 Hans See, Dieter Schenk (Hg.): Wirtschaftsverbrechen. Der innere Feind der freien Marktwirtschaft, Köln 1992. 81 Sven Ricks: Ökonomische Analyse der Wirtschaftskriminalität unter besonderer Berücksichtigung der Korruption und Bestechung, Köln 1995. 82 Werner Raith: Die ehrenwerte Firma. Der Weg der italienischen Mafia vom »Paten« zur Industrie, Berlin 1983. 83 Jean Ziegler: Die Barbaren kommen, S. 42.
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ten Gefährlichkeitsgrad erreicht, wenn sie – durch ihre illegalen Tätigkeiten wirtschaftlich maximal gestärkt – am legalen Wirtschaftsleben teilnimmt, fließen in diesem Stadium OK und WK [Wirtschaftskriminalität, MLH] strukturell zusammen«,84 schreibt beispielsweise Peter J. Schick. Oder wie es der bürgerliche Politiker Leoluca Orlando formuliert: »Die Cosa Nostra macht sich fit für das nächste Jahrtausend ... Aus den Killern werden Banker.«85
4. Grundprobleme der Bekämpfung Innen oder außen: Positionalität als Problem Organisierte Kriminalität fordert einen jeden Staat heraus und stellt ihn, zumal wenn er liberal-demokratisch verfasst ist, vor Probleme, die weit über Methodenfragen polizeilichen Vorgehens hinausweisen. In wenigen der Forschung bekannten Fällen dürften diese Problemkreise so deutlich zu erkennen sein wie bei der ausdifferenzierten sizilianischen Cosa Nostra. Nicht zuletzt aufgrund dieses exemplarischen Charakters wird die Cosa Nostra in dieser Arbeit als empirisches Beispiel gewählt. Ohne den folgenden Kapiteln vorzugreifen, seien deshalb bereits an dieser Stelle die Grundprobleme der Bekämpfung krimineller Organisationen am Beispiel des Sonderfalls der italienischen Mafia veranschaulicht. Denn der Kampf gegen die Mafia begleitet die Geschichte des modernen Italien quasi von Anbeginn der italienischen Nationalstaatlichkeit im 19. Jahrhundert. Bereits 1874 war die hohe Kriminalitätsrate auf Sizilien das Thema einer landesweiten Debatte. Ein Jahr darauf wurde eine erste parlamentarische Untersuchungskommission eingesetzt, deren Aufgabe es sein sollte, die Lage in Sizilien, die Formen der Kriminalität und das Phänomen der Mafia zu erforschen sowie Verbesserungsvorschläge der inneren Sicherheit auszuarbeiten. Die Kommission arbeitete über die Dauer eines Jahres, von ihren 84 Peter J. Schick: »Organisierte Kriminalität im Bereich der Wirtschaft«, in: Christoph Mayerhofer, Jörg-Martin Jehle (Hg.): Organisierte Kriminalität. Lagebilder und Erscheinungsformen. Bekämpfung und rechtliche Bewältigung, Heidelberg 1996, S. 91. 85 Zitiert nach: Hans-Jürgen Schlamp: »Aus Killern werden Banker«, in: Der Spiegel, 22.11.1999, S. 217.
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Ergebnissen gelangte jedoch nichts an die Öffentlichkeit – denn die Protokolle der Kommissionssitzungen wurden in geheimen Staatsarchiven unter Verschluss gehalten. Zeitgleich zur Tätigkeit der parlamentarischen Untersuchungskommission hatte die Regierung einen eigenen Plan zur Kriminalitätsbekämpfung auf Sizilien ausgearbeitet. Dieser sah polizeiliche Notstandsmaßnahmen vor, um auf Sizilien die öffentliche Ordnung wieder herzustellen. Doch auch dieser Plan wurde nie in die Tat umgesetzt, statt dessen einigten sich Regierungsvertreter und Vertreter der Mafia auf einen »fatalen Kompromiss«, wie Alexander Stille schreibt: »Die Mafia half der Polizei, diejenigen Banditen aufzuspüren und zu verhaften, die es am dreistesten getrieben hatten, und im Gegenzug ließ die Regierung zu, dass die Mafia ihre eigene, subtilere Form wirtschaftlicher Kriminalität fortsetzen konnte.«86 Dieser frühe »Kompromiss« macht zum einen die über weite Strecken duldsame Haltung der Staatsgewalt gegenüber der Mafia deutlich, zum anderen das Kerndilemma der Positionalität als Problem. Leopoldo Franchetti, ein junger Parlamentsabgeordneter aus der Toskana, hatte 1876 Sizilien bereist und schon damals dieses Dilemma in Worte gefasst: »Die italienische Regierung hat die Pflicht, dieser Bevölkerung [Siziliens, MLH] Frieden zu geben und sie über die Bedeutung des Rechts aufzuklären, und sie muss diesem Ziel jegliches private oder politische Interesse opfern. Was wir statt dessen zu sehen bekommen, ist, dass italienische Minister aller Parteien ein Exempel statuieren, indem sie sich just auf jene ›interessierten Transaktionen‹ einlassen, die der Untergang Siziliens sind, indem sie jene lokalen Mächte, die sie zu beseitigen versuchen sollten, anerkennen und mit ihnen verhandeln, um im Wahlkampf ihre Unterstützung zu erhalten.«87 Eben diese Nähe von Vertretern der staatlichen Autorität zu »Ehrenmännern« der Mafia, die in ihrer zeitlichen und überparteilichen Konstanz weit über Verfehlungen einzelner korrumpierbarer Individuen hinausweist, soll mit dem Terminus Positionalität als Problem umrissen werden. Denn im Gegensatz zum politisch motivierten Terror, 86 Alexander Stille: Die Richter, S. 23. 87 Leopoldo Franchetti: Condizione politiche e amministrative della Sicilia (1877), Rom 1992, S. 19, hier zitiert nach: Alexander Stille: Die Richter, S. 23. Vgl. zu Franchettis Reise auch: Salvatore Lupo: Die Geschichte der Mafia, insbesondere S. 70-78 (»Unter dem Blickwinkel Franchettis«).
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dessen Intention auf eine Schwächung oder Vernichtung des »herrschenden Systems« zielt, lässt sich die Mafia aus der Perspektive konkreter Staatsvertreter offenkundig deutlich schwerer positionieren. Während politisch motivierter Terror in der Regel immer als »außen« positionalisiert werden kann, als direkte Konfrontation gegen den Staat, so scheint die Positionalität der Mafia deutlich schwieriger feststellbar zu sein. Denn die Intention der Mafia zielt nicht primär auf eine Schwächung und schon gar nicht auf eine Vernichtung des herrschenden Staates und des von ihm repräsentierten Ordnungsmodells, sondern in erster Linie auf ökonomische Profitmaximierung. Der einzelne Clan bzw. die einzelne Familie agiert gleichsam wie ein Wirtschaftsunternehmen, das selbst keine direkten politischen Interessen verfolgt, sondern nur indirekt die politischen Verhältnisse so zu beeinflussen versucht, um die Rahmenbedingungen für das eigene wirtschaftliche Handeln möglichst vorteilhaft zu gestalten. Insofern zielt das kriminelle Handeln der Mafia vordergründig nicht zwingend gegen die herrschende Ordnungsmacht, sondern versteht sich eher als Aktion eines gesellschaftlichen Teilsystems innerhalb des polyzentrischen Konstrukts, als welcher der moderne Staat begriffen werden kann. In diesem Sinne dürfte sich die Mehrzahl der »Ehrenmänner« durchaus als Bürger und Mitglieder des Staates empfinden, dem sie so lange Loyalität entgegenbringen, so lange die staatlichen Interessen nicht mit den eigenen kollidieren. Die Mafia-Clans positionieren sich damit selbst als »innerhalb« des staatlichen Gefüges befindlich und knüpfen zur Festigung dieses »Innerhalb« den Kontakt zu lokalen (und, wie spätestens im Gefolge der staatsanwaltlichen Operation Mani pulite deutlich geworden ist, auch darüber hinaus) Vertretern der Politik und der staatlichen Administration. Dieser Kontakt wiederum scheint oft von beiden Seiten gesucht zu werden, da er nicht nur den Vertretern der Mafia einen Nutzen verspricht. Vertretern der legitimen Ordnung bietet die Nähe zu hochrangigen Mafia-Bossen in der Regel mehrere potenzielle Vorteile, die in idealtypischer Weise in Form folgender fünf Aspekte umschrieben werden können. In erster Linie handelt es sich oft ganz profan um einen finanziellen Nutzen, der von kleineren »Geschenken« bis hin zur systematischen Korruption reichen kann. 96
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Davon abgeleitet kann ein zweiter Nutzen formuliert werden, der als »Netzwerk-Funktion« bezeichnet werden könnte. Ein Mafia-Boss ist eine oft auch in der legalen Sphäre einflussreiche Persönlichkeit, über die der Kontakt zu zahlreichen weiteren einflussreichen Persönlichkeiten hergestellt werden kann, sobald man in ihrer Nähe weilt. Drittens können hochrangige Mafiosi als legale Geschäftspartner dienen. Wie weiter oben bereits erwähnt, agieren Mafia-Bosse in vermutlich zunehmendem Maße in legalen Unternehmungen, die aus reichhaltigen illegalen finanziellen Ressourcen gespeist werden. Insofern gerieren sie in einem Maß, das nicht unterschätzt werden sollte, den Nutzen einer geschäftlichen Partnerschaft zum beiderseitigen Vorteil. Viertens eröffnet die Nähe zur Mafia eine zusätzliche Dimension der Interessensdurchsetzung mittels mafioser Gewalt. Dies kann von der Einschüchterung eines Konkurrenten, die als kleiner »Gunsterweis« erledigt wird, bis hin zum Auftragsmord reichen. Fünftens kontrolliert die Mafia einige Kontingente von Wählerstimmen in Süditalien, die Politikern helfen können in Wahlämter zu gelangen, eine Erfahrung, die seit der Einführung des allgemeinen Wahlrechts immer wieder beklagt wird. Aus diesen Gründen macht die Positionierung der Mafia »außerhalb« des staatlichen Gefüges große Schwierigkeiten. Denn die Fronten verlaufen nicht immer klar zwischen Staat und organisierter Kriminalität. Peter Müller schreibt dazu: »In Sachen Mafia ist eine weniger scharf differenzierte Haltung sowohl in der italienischen Gesellschaft generell, als auch bei Repräsentanten und Funktionären des italienischen Staates erkennbar ... Zudem stehen nicht alle Staatsvertreter der Mafia in Feindschaft gegenüber: Zu allen Zeiten, in denen politische Partizipation über Wahlen zu Parlament und Spitzenämtern der Verwaltung praktiziert wurde, gab es Kandidaten für Wahlämter, die sich mit Mafiosi zum gegenseitigen Vorteil arrangierten, und es gab Leidtragende, denen mafiose Macht zum Nachteil gereichte.«88 Rolf Uesseler fasst die Schwierigkeiten bei der Positionierung der Mafia in noch deutlichere Worte: »Organisierte Kriminalität ist kein Phänomen, das
88 Peter Müller: Die politische Macht der Mafia, S. 267.
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›von außen‹ den ansonsten gesunden Körper von Staat und Gesellschaft bedroht.«89 Um diese These zu stützen, erläutert er die idealtypische Form einer Genese des Verhältnisses zwischen nicht-kriminellen Gesellschaftsmitgliedern und organisierter Kriminalität: »Die Biedermänner aus den Chefetagen des organisierten Verbrechens, die sich selbst nicht die Hände schmutzig machen, erwerben mit Gefälligkeiten und ihrem enormen Reichtum das Vertrauen von Politikern, Beamten und Leuten aus dem (zumeist mittleren) Management der Wirtschaft; und wenn diese gewahr werden, in welcher Gesellschaft sie sich tatsächlich befinden, ist der Weg zurück versperrt, weil sie erpressbar geworden sind.«90 Tritt dies ein, hat der Mechanismus der Korrumpierung gegriffen, und wie ein Gewinde schraubt er die Vertreter der Wirtschaft (respektive der öffentlichen Verwaltung) tiefer in die Verstrickung mit der organisierten Kriminalität. Die allzu schlichte Grenzziehung zwischen legaler Wirtschaft und Verwaltung innerhalb sowie illegaler Kriminalität außerhalb des staatlichen Gefüges hat sich als theoretisch und empirisch höchst fragwürdig erwiesen, womit die Positionalisierung organisierter Kriminalität als Problem erkannt ist.
Verflechtungen in Mikro- und Makroperspektive Aufgrund dieser Problemlage zieht der von Rolf Uesseler zitierte Erklärungsversuch zwar keine Grenze mehr zwischen legaler Wirtschaft (innen) und organisierter Kriminalität (außen), aber er behält das dieser Grenzziehung zugrunde liegende Gesellschaftsmodell bei, das auf der einen Seite eine ursprünglich reine, ehrliche und heile Gesellschaft in der Organisationsform eines funktionierenden Staates und auf der anderen Seite eine schmutzige und kriminelle Welt des Verbrechens sieht. Uesseler erkennt jedoch selbst diesen Mangel und ergänzt deshalb das vorgeschlagene Modell um einen zweiten Erklärungsansatz, der wiederum in zwei Ebenen – gemäß einer Mikro- und einer Makroperspektive – strukturiert ist.
89 Rolf Uesseler: Herausforderung Mafia. Strategien gegen organisierte Kriminalität, Bonn 1993, S. 15. 90 Ebd., S. 99.
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Zum einen bietet Uesseler quasi mikroperspektivisch eine akteursbezogene Erklärung, die an der Verführbarkeit des einzelnen Funktionsträgers ansetzt: »Die ... Erklärungsweise ... sieht die Ursachen jedoch darin, dass diese Gesellschaft nicht ›heil‹ ist, sondern dass ›genügend Geld korrumpiert‹.«91 Dieser Ansatz beruht auf jener anthropologischen Grundannahme, die den Menschen als moralisches Mängelwesen begreift, was im Volksmund in die schlichte Formel gebracht wird: »Jeder hat seinen Preis«, soll heißen: Jeder sei käuflich, was differiere sei lediglich die Summe, für die Werte und Überzeugungen verraten würden. Andererseits verweist Uesseler quasi makroperspektivisch auf überindividuelle, strukturell angelegte Situationen der Korrumpierbarkeit ganzer staatlicher Organe: »Einmal wird deutlich, dass der Staat in einer bestimmten (Ausnahme-)Situation seinen Interessen in Hinblick auf ein ›übergeordnetes‹ Ziel am effizientesten nachkommt, wenn er die von ihm selbst erlassenen Gesetze ... durch seine eigenen staatlichen Institutionen verletzen lässt ... Es gibt auch eine strukturelle Notwendigkeit, die in dem Widerspruch begründet liegt, dass Gesetze geschaffen werden, die zwar für das friedliche Zusammenleben der einzelnen Mitglieder in einer Gesellschaft und für die innere Kontrolle seitens des Staates notwendig sind, die jedoch die maximale Verwirklichung staatlicher Interessen nach außen behindern. Die Lösung für den Staat besteht darin, sich eher kriminellen Mitteln zu bedienen, als gegen feindliche Konkurrenten nur deshalb zu verlieren, weil der eigene moralische Kodex – also der nach innen gesetzte gesetzliche Rahmen – eingehalten wird.«92 Diese Gedanken bedürfen einiger Erläuterungen, wobei bereits die Wahl der Begriffe – feindliche Konkurrenten im Ausland – deutlich macht, in welchem historischen Kontext Uesseler seine Diagnose entwickelt hat: Es handelt sich um die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, in der die Außenpolitik quasi weltweit unter dem Paradigma des Kalten Krieges organisiert wurde. Uesseler selbst nennt einige konkrete Beispiele, die seine theoretischen Ausführungen zur teilweise strukturellen Zusammenarbeit zwischen organisierter Kriminalität und legaler politischer Macht
91 Ebd., S. 99f. 92 Ebd., S. 111 und 114.
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stützen sollen: 93 die Verbindungen der USA zur amerikanischen und sizilianischen Cosa Nostra bei der Invasion Siziliens durch US-Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg; die Unterstützung der chinesischen Triaden gegen das kommunistische China Mao Tse Tungs;94 die Involvierung der US-Mafia in die versuchte KubaInvasion in der Schweinebucht;95 die illegalen Waffen- und Drogengeschäfte der so genannten Iran-Contra-Affäre.96 Unabhängig von der konkreten zeitlichen und räumlichen Verortung dieser Vorfälle wird deutlich, dass es zum einen sowohl eine innen- als auch eine außenpolitische Dimension der Verflechtung staatlicher Interessen mit mafiosen Gruppierungen gibt. Und dass zum anderen diese beiden Dimensionen jeweils zum oben genannten mikro- bzw. makroperspektivischen Erklärungsansatz in Beziehung gesetzt werden können. In weiten Teilen dürfte die innenpolitische Dimension mit der mikroperspektivischen und akteursbezogenen Erklärung zur Deckung kommen, die an der Verführbarkeit des einzelnen staatlichen Funktionärs ansetzt. Ebenso kann eine weit reichende Deckung der außenpolitischen Dimension mit der makroperspektivischen und überindividuellen Erklärung konstatiert werden, die auf die gleichsam strukturell angelegte Korrumpierbarkeit ganzer staatlicher Organe in bestimmten (tatsächlichen oder vermuteten) Krisen verweist. Wobei auf das grundsätzliche Phänomen der Durchlässigkeit hingewiesen werden muss, das die theoretische Trennung der innen- und außenpolitischen Dimension charakterisiert – in erster Linie in Richtung von der außenpolitischen zur innenpolitischen Korrumpierbarkeit. Denn nahe liegender Weise sind jene Vertreter einer Administration, die sich bei außenpolitischen Krisen von Teilen der organisierten Kriminalität Hilfestellungen geben ließen, in be-
93 Vgl. dazu: Ebd., S. 108f. 94 Vgl. dazu beispielsweise: Berndt Georg Thamm: Drachen bedrohen die Welt. Chinesische Organisierte Kriminalität – Triaden, Hilden 1996. 95 Vgl. dazu beispielsweise: Bill Moyers: »Wir haben gelernt zu töten« (Teil I), in: Der Spiegel, 25.07.77, Nr. 31, S. 116-124, sowie Bill Moyers: »Wir haben gelernt zu töten« (Teil II), in: Der Spiegel, 01.08.77, Nr. 32, S. 102-109. 96 Vgl. dazu beispielsweise: Michael Lynch, David Bogen: The Spectacle of History: Speech, Text and Memory at the Iran-Contra Hearings (PostContemporary Interventions), Duke University Press 1996.
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sonderem Maße auch in innenpolitischen Fragen durch die »illegalen Helfer« erpressbar. Im Falle Italiens dürfte die mikroperspektivische Betrachtung von deutlich größerem Interesse sein als die makroperspektivische, oder anders formuliert: die innenpolitische Dimension der Korrumpierbarkeit deutlich mehr Relevanz aufweisen als die außenpolitische. Zumal die italienische Außenpolitik der Nachkriegszeit eingebunden war in die multilateralen Netzwerke der westlichen Welt, allen voran der Europäischen Union (vormals Europäische Gemeinschaft) und, in militärischer Hinsicht, der Nato. Von eigenständigen, spezifisch italienischen außenpolitischen Krisen blieb Italien, wie überhaupt die meisten westeuropäischen Länder, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts weitgehend verschont. Was nicht bedeuten soll, dass die besondere außenpolitische Konstellation der bipolaren Weltordnung des Kalten Krieges keine Nachwirkungen im Kontext des Verhältnisses des italienischen Staates zur Mafia gezeitigt hätte. Im Gegenteil, allerdings waren diese Auswirkungen zwar außenpolitischen Ursprungs, konstituierten sich jedoch als innenpolitisches Phänomen.97 Zusammenfassend soll noch einmal betont werden, dass organisierte Kriminalität nicht einfach als Phänomen aufgefasst werden kann, das gleichsam von außen einen ansonsten »heilen und gesunden« Staat bedroht. Anstelle dieser allzu schlichten Betrachtungsweise bietet sich ein eher funktionalistischer Zugang per mikro- und makroperspektivischer Erklärung an. Die mikroperspektivische und weitgehend akteursbezogene Erklärung geht von der Verführbarkeit einzelner Funktionsträger aus, die Staat und Gesellschaft in vermutlich allen Hierarchieebenen durchzieht – eine These, die durch die von Zeit zu Zeit in jeder Gesellschaft und jedem Staat auftretenden Korruptionsskandale gestützt wird. Auf der anderen Seite verweist die makroperspektivische Betrachtung auf die überindividuelle und gleichsam strukturell angelegte Möglichkeit der Korrumpierbarkeit ganzer staatlicher Organe im Kontext außenpolitischer Krisen. Beide Aspekte, sowohl die Positionalität als Problem als auch die mikro- und makroperspektivische Be-
97 Die besondere Bedeutung, die die außenpolitische Konstellation des Kalten Krieges für die Genese mafioser Macht in Süditalien hatte, wird in einem folgenden Kapitel dargelegt.
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trachtung, bilden schließlich die Folie, auf deren Grundlage die verschiedenen Elemente und Möglichkeiten des Kampfes des Staates gegen die Mafia betrachtet werden müssen. Denn die Verflechtung staatlicher Vertreter mit der Cosa Nostra stellt die Grundschwierigkeit dieses Kampfes dar. Oder wie Pino Arlacchi es formulierte: »Die Männer der Cosa Nostra sind stark, weil sie mit anderen, noch gefährlicheren Personen verbündet sind, die in unseren Institutionen sitzen, mitten unter uns.«98 Da die Konturen sozialer Realitäten meist dann besonders deutlich hervortreten, wenn sie in extremen Situationen potenziert werden, soll im Folgenden das empirische Beispiel des oben genannten Sonderfalls Italien ausgeführt werden, und zwar in der konkreten Zeitspanne der so genannten »Ersten Republik«, also etwa der Jahre von 1945 bis 1994, wobei auf die Ereignisse der 1970er und 1980er Jahre ein besonderer Schwerpunkt gelegt werden wird. Jenen Jahren, in denen die Mafia mit zuvor kaum bekannter Brutalität agierte und den italienischen Staat offen herausforderte. Mit dieser Wahl des Sonderfalls zum empirischen Objekt der reflexiven Betrachtung, dies sei am Rande bemerkt, bewegen wir uns bereits im gedanklichen Fahrwasser Carl Schmitts. Denn: »Die Ausnahme ist interessanter als der Normalfall. Das Normale beweist nichts, die Ausnahme beweist alles; sie bestätigt nicht nur die Regel, die Regel lebt überhaupt von der Ausnahme. In der Ausnahme durchbricht die Kraft des wirklichen Lebens die Kruste einer in Wiederholung erstarrten Mechanik.«99
98 Pino Arlacchi in: La Repubblica , 25. Mai 1992, zitiert nach: Alexander Stille: Die Richter, S. 366. 99 Carl Schmitt: Politische Theologie, S. 22.
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IV. Die Ordnung der Paten
Die Mafia ist in ihrem Wesen, wenn man genau nachdenkt, nichts anderes als der Ausdruck eines Verlangens nach Ordnung und damit nach Staat. Giovanni Falcone
[Zitiert nach: Henner Hess: Mafia. Ursprung, Macht und Mythos, Freiburg 1993, S. 200.]
IV. DIE ORDNUNG DER PATEN
1. Gemeinschaft der »Ehrenmänner« Die Aufzeichnungen des Don Antonino Calderone Sie beginnen wie eine Beichte: die Aufzeichnungen des Don Antonino Calderone, die der Soziologe Pino Arlacchi Anfang der neunziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts in Buchform publiziert hat. Eine Beichte, die mit einer Mischung aus Trotz und Stolz vorgetragen wird: »Mein Name ist Antonino Calderone. Ich bin 56 Jahre alt und habe viel zu sagen über die Mafia, denn ich war ihr Mitglied. Ich habe mich entschlossen, mich der Justiz anzuvertrauen und auszusagen, in der Hoffnung, dass man auch beachtet, was ich sage.«1 Eine Hoffnung, die nicht enttäuscht werden sollte. Antonino Calderones Äußerungen wurden in der Tat wahrgenommen – und zwar sowohl von der Öffentlichkeit als auch von der Justiz. Aufgrund seiner Aussagen wurden am 9. März 1988 rund 160 Haftbefehle ausgestellt, die quer über ganz Sizilien verteilt exekutiert wurden.2 Calderone, 1936 im sizilianischen Catania geboren, galt als eine der Führungspersönlichkeiten der sizilianischen Mafia. Sein Bruder Giuseppe Calderone, genannt »Pippo«, war Kopf der Mafia in Catania und soll Mitte der siebziger Jahre gar Mitglied der »Kommission«, der so genannten »Cupola«, gewesen sein, des höchsten Koordinierungs- und Schlichtungsorgans der Cosa Nostra. 1978 wurde »Pippo« von Killern einer rivalisierenden Familie, den »Corleonesern«, ermordet. Antonino blieb noch bis 1983 stellvertretender Chef der lokalen »Familie« in Catania, setzte sich dann nach Frankreich ab, wo er 1986 verhaftet wurde. Nach einigen Monaten Haft entschloss er sich, mit der Justiz zusammenzuarbeiten. Und 1991 konnte Pino Arlacchi eine Reihe von Gesprächen mit Calderone führen, deren Protokolle die Grundlage der erwähnten Buchveröffentlichung darstellen. In diesem Buch spricht Calderone mit eigenartigem Stolz: »Wir sprechen niemals das Wort ›Mafia‹ aus. Cosa Nostra ist geheim, eine Vereinigung der ›Uomini d’onore‹, der ›Männer der Ehre‹ ... Entschuldigt bitte, dass ich zwischen Mafia und gewöhn-
1 Pino Arlacchi: Mafia von innen. Das Leben des Don Antonino Calderone, Frankfurt/M. 1993, S. 15. 2 Vgl. dazu: Alexander Stille: Die Richter, S. 244.
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licher Kriminalität unterscheide, aber darauf lege ich Wert. Alle Mafiosi legen Wert darauf. Das ist wichtig: Wir sind Mafiosi, alle anderen sind gewöhnliche Leute. Wir sind Uomini d’onore. Nicht so sehr, weil wir darauf geschworen haben, sondern weil wir die Elite unter den Kriminellen sind. Wir sind gewöhnlichen Verbrechern haushoch überlegen.«3 Trotz dieses demonstrativ zur Schau gestellten Stolzes stellt sich bei diesen Ausführungen die Frage, durch was die Überlegenheit der »Ehrenmänner« gegenüber »gewöhnlichen Kriminellen« begründet sein soll. Naheliegender Weise können zunächst zwei Aspekte genannt werden: Erstens die weit reichende, komplexe und geheime Organisationsstruktur, und zweitens die tiefe Durchdringung der süditalienischen Gesellschaft.
Die komplexe und geheime Organisationsstruktur Lange Zeit war heftig umstritten, ob man bei der Mafia überhaupt von einer strukturierten und geordneten Geheimorganisation sprechen könne. Und selbst Peter Müller schrieb noch 1991: »Mafia, das gilt es festzustellen, war nie eine Geheimgesellschaft.«4 Verwundert mag man sich die Augen reiben, steht doch diese Einschätzung in diametralem Gegensatz zum so genannten »Buscetta-Theorem«, das Giovanni Falcone auf der Basis der Aussagen des Mafia-Aussteigers Tommaso Buscettas5 Mitte der achtziger Jahre erarbeitet hatte. Das Buscetta-Theorem diente unter ande-
3 Pino Arlacchi: Mafia von innen, S. 16f. (Hervorhebungen im Original). 4 Peter Müller: Die politische Macht der Mafia. Bedingungen, Formen und Grenzen, Frankfurt/M., Bern, New York 1991, S. 21. 5 Vgl. zur Wirkung Buscettas die zahlreichen Veröffentlichungen auch in der deutschen Presse: Klaus Arnsperger: »Die Rache des ehrenwerten Don Masino. Palermo – Massenprozess gegen die Mafia«, in: Süddeutsche Zeitung, 8./9.02.86; Erwin Brunner: »Ehrenwerte Leichen: Die Mafia hinter Gittern«, in: Die Zeit, 1986, Nr. 15, S. 17-19; HeinzJoachim Fischer: »Spirito mafioso. Die Nachfolger der Paten und ihre blutigen Machenschaften«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.10.1984; Ohne Verfassernennung: »›Das Wasser im Kessel kocht.‹ Zum ersten Mal in der Geschichte der Mafia packt ein großer Boss aus«, in: Der Spiegel, 1984, Nr. 41, S. 144-148; Horst Schlitter: »Ein Mafia-Boss brach das Schweigen. Tommaso Buscettas Aussagen machten Schlag gegen die Unterwelt möglich«, in: Frankfurter Rundschau, 01.10.84.
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rem als Grundlage der Schuldsprüche beim so genannten MaxiProzess, die am 31. Januar 1992 nach einigem juristischen Tauziehen höchstrichterlich bestätigt wurden. Kurz gefasst kann das Buscetta-Theorem folgendermaßen skizziert werden: Die Macht der verschiedenen Mafia-Familien Siziliens ist pyramidal strukturiert. Schwerwiegende Entscheidungen, wie die Ermordung von Politikern, Polizisten oder Richtern, werden nicht ohne die Einwilligung des obersten Gremiums gefällt. Insofern sind die Mitglieder dieses obersten Gremiums auch dann als Mittäter von Morden an Richtern, Politikern und Polizisten zu betrachten, wenn ihnen keine unmittelbare Tatbeteiligung nachgewiesen werden kann. Das Buscetta-Theorem ist eine juristische Konstruktion, die es ermöglicht, nicht nur die einfachen Killer, sondern auch die Hintermänner zur Rechenschaft zu ziehen. Auf die Person Tommaso Buscettas und die ungemein bedeutende Rolle, die er für den juristischen Kampf gegen die Mafia gespielt hat, wird an späterer Stelle ausführlicher eingegangen werden. Hier soll statt dessen die Organisationsstruktur dargestellt werden, wie sie erstmals Buscetta und in der Folgezeit Calderone und andere geständige »Ehrenmänner« glaubhaft skizziert haben. Das organisierte Verbrechen in Italien unterteilt sich in vier »mafiose Kulturkreise«. In Neapel und dem dazu gehörenden Hinterland arbeitet die Camorra, die aus rund 7.000 Mitgliedern besteht, die wiederum in ungefähr 145 Familien organisiert sind. In Apulien, an der Adriaküste, in den Bergen des Benevent und der Basilicata herrscht die Sacra Corona Unita, die sich aus etwa 1.000 Mitgliedern rekrutiert. Kalabrien ist das Einflussgebiet der N’dranghetta, die etwas mehr als 5.000 Mitglieder hat, die in 80 Familien organisiert sind. Und die größte und mächtigste Verbrecherorganisation Italiens ist die sizilianische Cosa Nostra. Sie besteht aus rund 180 Familien und etwa 9.000 Mitgliedern.6 Die Cosa Nostra wiederum, das wurde in den Ausführungen Buscettas Mitte der achtziger Jahre zum ersten Mal deutlich und in der Folgezeit immer wieder belegt, ist eine straff strukturierte Organisation, die sich in ein streng hierarchisches Schema gliedert. Jeder »Ehrenmann« gehört dabei einer Familie oder einer Sippe an. Auf der niedrigsten Stufe stehen die einfachen Soldaten 6 Vgl. zu den Ausführungen der vier mafiosen Kulturkreise: Jean Ziegler: Die Barbaren kommen, S. 49f.
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(Soldati). Diese gewöhnlichen Soldaten werden in jeder Familie in Gruppen von etwa zehn Männern zusammengefasst, mit jeweils einem Hauptmann (Capodecina) an der Spitze, der darüber wacht, was seine »Ehrenmänner« tun. Diese Hauptmänner wiederum sind dem Oberhaupt der Familie verantwortlich, dem Repräsentanten (Capofamiglia). Er vertritt die Gruppe nach außen und sorgt für die Einhaltung der Regeln im Inneren. Der Repräsentant wird durch Wahlen ermittelt, »reguläre Wahlen mit gleichem Stimmrecht für alle«, wie Antonino Calderone betont.7 Der Capofamiglia bestimmt für den Fall seiner Inhaftierung oder sonstiger Verhinderungen einen Stellvertreter, den so genannten Unterboss (SottoCapo), sowie einen oder zwei Berater (Consiglieri). Wie oben bereits erwähnt, besteht die Cosa Nostra aus etwa 180 solcher Familien. Etwa 30 davon sollen in Palermo existieren, die sich wiederum auf zehn Bezirke (Mandamenti) verteilen. Jeder Bezirk umfasst also etwa drei Sippen. Die Repräsentanten der Familien eines Bezirks einigen sich auf einen Distriktchef (Capomandamento). Die Distriktchefs einer Region wählen schließlich ein aus fünf bis sieben Mitgliedern bestehendes Leitorgan, die Kommission (Cupola), die für eine ganze Region zuständig ist. Die Mitglieder der Kommission wählen einen Vorsitzenden, der nach Angaben verschiedener Mafia-Aussteiger schlicht als Sekretär bezeichnet wird, faktisch aber als »Boss der Bosse« betrachtet werden muss. Die Kommission hat die Aufgabe, wichtige Richtungsentscheidungen zu treffen, Streitigkeiten zwischen den Sippen zu schlichten und bedeutsame Tötungsbeschlüsse zu fällen, etwa wenn es um die Ausschaltung von Polizeibeamten, Richtern, Politikern oder ranghohen Mafiosi geht. Die juristische Anerkennung der Existenz dieser Kompetenz führte zum oben erwähnten Buscetta-Theorem, das wiederum die spektakulären Verurteilungen des Maxi-Prozesses ermöglichte, bei denen zum ersten Mal hochrangige Kommissionsmitglieder für Verbrechen zur Verantwortung gezogen wurden, die innerhalb »ihrer« Region begangen wurden, an denen ihnen jedoch eine direkte Tatbeteiligung nicht nachgewiesen werden konnte.8
7 Pino Arlacchi: Mafia von innen, S. 33. 8 Die Darstellung der Organisationsstruktur der Cosa Nostra folgt im Wesentlichen Antonino Calderones Darstellung in: Pino Arlacchi: Mafia von innen, S. 33-42 und S. 327f. Sowie den Darstellungen Tom-
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Neben dieser strengen Hierarchie, ist die Geheimhaltung – also die Omertà, das »Gesetz des Schweigens« – ein wesentliches Strukturmerkmal der Cosa Nostra. Jeder »Ehrenmann« muss ein Schweigegelübde ablegen und darf Fremden gegenüber weder seine Zugehörigkeit zur Mafia, noch Einzelheiten der Organisation offenbaren. Wer das Schweigegelübde bricht, wird gemäß des mafiosen »Ehrenkodex« mit dem Tod bestraft. Ein neues Mitglied wird mittels eines archaisch anmutenden Initiationsritus in den Kreis der »Ehrenmänner« aufgenommen. Die Existenz solcher Riten war von italienischen Wissenschaftlern lange Zeit als »Hollywood-Mythos« abgetan worden, inzwischen haben jedoch die Aussagen Buscettas, Calderones und zahlreicher anderer MafiaAussteiger den Vollzug solcher Riten zweifelsfrei bestätigt. »Der Neuling wird mit ... mindestens drei ›Ehrenmännern‹ der Sippe zusammengebracht; das älteste anwesende Sippenmitglied macht ihn darauf aufmerksam, dass ›dieses Haus‹ dazu da sei, die Schwachen vor der Willkür der Mächtigen zu schützen; er sticht dann dem Neuling in den Finger und lässt sein Blut auf ein geheiligtes Bildnis tropfen. Das Bild wird dem Neuling in die Hand gegeben und angezündet. Der Neuling muss den Schmerz der Flammen aushalten und das Bild von Hand zu Hand wandern lassen, bis es vom Feuer verzehrt ist; dabei muss er schwören, den Grundsätzen der Cosa Nostra treu zu bleiben.«9 Was einem außenstehenden Betrachter folkloristisch anmuten dürfte, verweist im Kern auf die Verwurzelung der Cosa Nostra in die spezifisch sozio-kulturellen Bedingungen Süditaliens.10
Die Durchdringung der süditalienischen Gesellschaft Der Ursprung des Begriffs »Mafia« ist bis heute nicht eindeutig geklärt. »Abgeleitet vom Arabischen erscheint der Ausdruck Mafia zum erstenmal in Sizilien gegen Ende des 16. Jahrhunderts. Er bedeutet ›Voraussicht‹, ›Mut‹, ›Selbstsicherheit‹ aber auch ›Arro-
maso Buscettas, vgl. dazu: Alexander Stille: Die Richter, S. 107f. Oder: Werner Raith: Organisierte Kriminalität, S. 42-46. Oder: Vincenzo Delle Donne: Falcone, S. 93-101. 9 Zitiert nach: Alexander Stille: Die Richter, S. 121. 10 Vgl. dazu auch: Salvatore Lupo: Die Geschichte der Mafia, vor allem S. 14-39.
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ganz‹«, schreibt Jean Ziegler.11 Werner Raith verweist auf das 1868 erschienene »Sizilianisch-italienische Wörterbuch«, das unter dem Begriff »Mafia« lediglich Bedeutungen aufweist wie »Aktionen von Menschen, die sich beherzt zeigen wollen« oder »seelische Sicherheit«.12 Ende des 19. Jahrhunderts wird der Terminus »Mafioso« schließlich auch im juristischen Sinne gebräuchlich, zunächst vor allem für besonders angesehene Häftlinge in den Gefängnissen.13 »Die Mafia-Historiografie verfolgt ›Mafia‹ eher nach inhaltlichen Kriterien zurück und identifiziert als erste nachweisbare Form des ›Mafioso‹ Personen, die lange vor jeder Kennzeichnung mit ›Mafia‹ lebten, die aber mit Methoden arbeiteten, die später mafiaüblich wurden: Es handelt sich um die seit Aufhebung der feudalen Leibeigenschaft ... üblich gewordenen ›gabellotti‹«, so Werner Raith.14 Die Gabellotti waren von den Großgrundbesitzern zur Bestellung des Landes eingesetzte Landpächter, die durch massiven Druck dafür zu sorgen hatten, dass die inzwischen »freien« Bauern und Landarbeiter weiter Dienst auf den Feldern verrichteten. Dieser Druck wurde oft schlicht und einfach durch Drohung und Anwendung von Gewalt erzeugt. Ein Vorgehen, das durch das Fehlen einer starken Zentralgewalt erst ermöglicht worden war. Der italienische Schriftsteller Sebastiano Vassalli schreibt zu diesen historischen Bedingungen: »Sizilien, seit jeher von wechselnden auswärtigen Mächten regiert, stand seit Anfang des 18. Jahrhunderts unter der Herrschaft der spanischen Bourbonen, die in Neapel residierten und sich um die wahren Belange der Insel wenig scherten ... Grund und Boden war in riesige Latifundien aufgeteilt, deren adelige Besitzer den größten Teil des Jahres in der Stadt verbrachten und die Bewirtschaftung ihrer Güter meist skrupellosen und hauptsächlich an der eigenen Bereicherung interessierten Verwaltern überließen ... Ein solches Klima von Selbstjustiz und einer selbstgeschaffenen, oft gegen die ferne Staatsmacht oder mit der Zeit sogar gegen die ursprünglichen Auftraggeber gerichteten Ordnung bot einen idealen Nährboden für ma-
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Jean Ziegler: Die Barbaren kommen, S. 46. Werner Raith: Parasiten und Patrone, S. 27. Vgl. dazu: Pino Arlacchi: Mafia von innen, S. 327. Werner Raith: Parasiten und Patrone, S. 28.
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fiose Machtstrukturen.«15 Der Klientelismus dieser Gabellotti, samt seiner psychosozialen und ökonomischen Grundlagen, war somit das vorstechendste Fundament jener Machtstrukturen, aus denen die Cosa Nostra entstehen sollte. Diese gewachsenen Machtstrukturen blieben in Sizilien auch nach dem Fall der Herrschaft der Bourbonen erhalten. Giuseppe Garibaldi hatte zwar unter dem revolutionären und nationalen Banner des »Jungen Italien« (La Giovine Italia) die Insel eingenommen, doch auch gegen die neue norditalienische Herrschaft war allerorten Widerstand zu spüren. Am 4. März 1861 war zwar feierlich die Einheit Italiens erklärt worden – doch unter der Führung Piemonts, mit Turin als Hauptstadt (bis 1864) und Vittorio Emanuelle II. als König war von Anfang an ein machtpolitisches Nord-Süd-Gefälle in dem neuen Einheitsstaat angelegt, was den Unmut des schwächer entwickelten Südens auf sich zog. Giuliano Procacci schreibt dazu: »Der großen Mehrheit erschien der Staat lediglich in der Gestalt des Steuereintreibers verkörpert und bestand im Wesentlichen aus der Verpflichtung zum Militärdienst ... Im rückständigsten Teil Italiens, im Süden, nahm der Protest die traditionelle Form des Brigantenunwesens an. Die Banden, die sich in Süditalien schon seit den Zeiten Garibaldis zum größten Teil aus Bauern und Fahnenflüchtigen gebildet hatten, erhielten zwar durch Agenten der Bourbonen und des Papstes Unterstützung, das allein erklärt keineswegs die Verbissenheit, mit der die Banden vier Jahre lang gegen bis zu 100.000 Mann starke reguläre Truppen kämpften und diesen größere Verluste beibrachten, als alle Kriege des Risorgimento zusammen gekostet haben.«16 Die Cosa Nostra passte sich dieser antipiemontesischen Stimmung an, und aus »einer Geheimgesellschaft im Dienste der Prinzen und Lokalfürsten« wurde eine patriotische »antiitalienische Widerstandsorganisation«, wie Jean Ziegler betont.17 Dieser »patriotische« Kampf, dies sei nur am Rande bemerkt, wurde von der Cosa Nostra selbstredend nicht aus uneigennützigen Gründen geführt. Schließlich entsprach es ihrem genuinen Interesse, die neue italienische Zentralgewalt möglichst schwach zu halten, um auch
15 Sebastiano Vassalli: Der Schwan, München 1996, S. 225f. 16 Giuliano Procacci: Geschichte Italiens und der Italiener, München 1989, S. 279f. 17 Jean Ziegler: Die Barbaren kommen, S. 47.
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in Zukunft eigentlich dem Staat vorbehaltene Aufgaben ausführen zu können: Rechtssprechung, Schlichtung, Zuteilung von Ressourcen, Eintreiben von »Steuern«. »Ein moderner Staat«, schrieb der politische Philosoph Antonio Labriola bereits 1896, »in einer fast ausschließlich agrarischen Gesellschaft, mit zum großen Teil veralteten Agrarstrukturen, schafft ein allgemeines Unbehagen, und das wiederum führt zu dem Gefühl der Unstimmigkeit von allem und jedem.«18 Giuliano Procacci kommentiert diese Ausführungen Labriolas mit den Worten: »Unstimmigkeit: Dieser Begriff kommt einem geradezu spontan über die Lippen, je weiter man den Weg des modernen Italien verfolgt.«19 Und in der Tat zeitigt der weitere Verlauf der eigenartigen Beziehung zwischen dem neuen italienischen Staat und der süditalienischen Mafia einiges, was man zumindest mit dem Begriff »Unstimmigkeit« umschreiben müsste. Zwischen sizilianischen Separatisten und Vertretern des italienischen Zentralstaats kam es in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen, von denen die Revolte von 1893 wohl diejenige mit den schlimmsten Ausmaßen war. Die Zentralgewalt verhängte daraufhin den Belagerungszustand und schickte ein 50.000 Mann starkes Expeditionskorps auf die Insel. Um die gefährliche Gemengelage aus separatistischen, sozialistischen, anarchistischen und frühfaschistischen Bewegungen unter Kontrolle zu bekommen, entschloss sich die italienische Zentralregierung zu einem folgenschweren Kompromiss zwischen Mafia und Staat: »Die Mafia half der Polizei, diejenigen Banditen aufzuspüren und zu verhaften, die es am dreistesten getrieben hatten, und im Gegenzug ließ die Regierung zu, dass die Mafia ihre eigene, subtilere Form wirtschaftlicher Kriminalität fortsetzen konnte.«20 Wieder einmal hatten die »Ehrenmänner« der Cosa Nostra ihre sozio-politische Wandlungsfähigkeit unter Beweis gestellt: Von der ursprünglichen »Geheimgesellschaft im Dienste der Lokalfürsten« über die »antiitalienische Widerstandsorganisation« zu »Kollaborateuren der italienischen Staatsgewalt«. Dabei immer als lokale Patrone wirkend, die jeweils oberste
18 Zitiert nach: Giuliano Procacci: Geschichte Italiens und der Italiener, S. 298. 19 Ebd. 20 Alexander Stille: Die Richter, S. 23.
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inoffizielle Autorität, Beschützer, Ratgeber, Richter und Schutzgeldeintreiber in ihrer Region darstellten. Gleichsam als Garanten einer autochthonen Ordnung, die die Forderung nach regionaler Selbstregulation erfüllten. »Diese Forderung nach einer Selbstregulierung des Systems traf mit dem Bedürfnis der uomini di rispetto zusammen, ihre Ehre aufrechtzuerhalten, und bewirkte dadurch, dass diese mit einer Reihe wichtiger öffentlicher Funktionen, wie dem Schutz der traditionellen Gesetze und der Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung betraut wurden. So werden die Mafiosi Zivil- und Strafrichter, Schlichter und Scharfrichter, indem sie in einer Person viele der heikelsten Gewalten vereinen, die normalerweise vom Staat ausgeübt werden«,21 beschreibt Pino Arlacchi die spezifische Machtausübung der Cosa Nostra um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Und fügt hinzu: »Wenn wir uns nicht den öffentlichen Aspekt der Vertretung der kollektiv bedrohten Interessen vergegenwärtigen, die durch den Mafioso im selben Augenblick übernommen wird, in dem er Ziele zur Erhaltung und Erweiterung seiner persönlichen Macht verfolgt, werden wir wenig von der traditionellen Mafia verstehen.«22
2. Modernisierung und Transformation Drei Volten der Modernisierung Innerhalb der traditionalen lokalen Gesellschaft Siziliens war die Mafia somit ein Teil des regionalen Sozialgefüges, die neben der Sicherung und Erweiterung der eigenen Macht klare und festgefügte soziale Funktionen ausübte. »Den Schwachen ... bot es zumindest eine gewisse Garantie, dass gegenseitige Verpflichtungen eingehalten wurden, d.h. der gewohnte Grad der Unterdrückung nicht ständig überschritten wurde ... Wohl befriedigte das Maffiasystem auch ein Rachebedürfnis, weil es dafür sorgte, dass auch die Reichen nicht immer ungeschoren davon kamen ... Für die Feudalherren war es ein Mittel, Eigentum und Autorität zu si-
21 Pino Arlacchi: Mafiose Ethik und der Geist des Kapitalismus. Die unternehmerische Mafia, Frankfurt/M. 1989, S. 43. 22 Ebd., S. 45.
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chern, für die ländliche Mittelklasse eines, um sie zu gewinnen«,23 schreibt dazu Eric J. Hobsbawm. Mit dem politischen Modernisierungsschub der Errichtung der Demokratie und der Einführung des allgemeinen Wahlrechts eröffneten sich der Mafia neue Möglichkeiten der Kommerzialisierung ihres lokalen Einflusses, denn die lokalen Patrone kontrollierten wachsende Kontingente an Wählerstimmen der mäßig gebildeten Menschen ihres Einflussbereichs. Damit konnten die Patrone Politikern helfen, Wahlen zu gewinnen, und die Amtsträger auf diese Art und Weise direkt von sich abhängig machen. Die eigentliche Modernisierung und Transformation der Mafia im 20. Jahrhundert verlief jedoch in Form dreier Volten: Erstens einer Schwächung während der Herrschaft des Faschismus und eines erstarkten Wiederauftauchens Mitte der vierziger Jahre. Zweitens einer eindeutigen Politisierung und Positionierung im Spannungsfeld des Kalten Krieges. Und drittens einer Professionalisierung als unternehmerische Vereinigung, deren Ziele, die ökonomische Fortentwicklung der eigenen »Familie« und die Akkumulation von Kapital, mittels einer Gemengelage aus rationaler Unternehmensführung und mafioser Gewalt erreicht werden sollten.
Schwächung während der faschistischen Diktatur Eine weit reichende Wirtschaftskrise, soziale und politische Unruhen sowie offener Aufruhr der Landbevölkerung in den südlichen Teilen des Landes schwächten den italienischen Staat nach dem Ersten Weltkrieg und stärkten die radikalen Kräfte. Allen voran die 1919 von Benito Mussolini gegründete faschistische Bewegung,24 die sich einer »Duldung, ja sogar Komplizenschaft des Heeres und der Exekutive« sicher sein konnte.25 Und schon im Oktober 1922 übernahm Mussolini nach dem von Legenden umrankten »Marsch auf Rom« die Regierungsgeschäfte. Was in der 23 Eric J. Hobsbawm: Sozialrebellen. Archaische Sozialbewegungen im 19. und 20. Jahrhundert, Gießen 1979, S. 63f. 24 Vgl. zu den Spezifika des italienischen Faschismus, auch im Vergleich zum deutschen Nationalsozialismus: Wolfgang Schieder (Hg.): Faschismus als soziale Bewegung. Deutschland und Italien im Vergleich, Göttingen 1983. 25 Giuliano Procacci: Geschichte Italiens und der Italiener, S. 355.
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offiziellen Propaganda als »faschistische Revolution« gefeiert wurde, war faktisch eine Mischung aus Demonstration, Erpressung und verfassungskonformer Regierungsübernahme. »Nach einer Faschistenversammlung in Neapel beschlossen die faschistischen ›Quadrumvirn‹ mit der Zustimmung Mussolinis nach Rom zu marschieren. Ministerpräsident Luigi Facta ... schlug dem König vor, den Belagerungszustand zu verhängen. Nach einigem Zögern lehnte der König jedoch ab.«26 Damit hatte Mussolini, der nicht mit seinen Getreuen nach Rom »marschiert« war, die Machtprobe quasi aus der Distanz gewonnen. Denn der Duce war zunächst in Mailand geblieben, um die Entwicklung in Rom zu beobachten – wahrscheinlich, um bei einem Misserfolg in die nahe gelegene Schweiz flüchten zu können. Nach dem defensiven königlichen Votum stieg Mussolini in einen Schlafwagen und fuhr nach Rom, wo er vom König den Auftrag zur Regierungsbildung entgegennahm. Obwohl die Faschisten von Anfang an verbal gegen die Mafia vorgingen, war das tatsächliche Verhältnis zwischen Faschismus und Cosa Nostra in den Anfangsjahren der faschistischen Herrschaft, als Mussolini seine Position noch festigen musste, von stillschweigender Duldung bis hin zu regelrechter Kooperation geprägt. Bei den Regionalwahlen 1924 akzeptierten die Faschisten auf Sizilien offene »Wahlhilfe«. »Sie arrangierten sich mit den örtlichen Bossen, die ihre Clientele für die Faschisten votieren ließen und Schläger an den Wahlurnen postierten.«27 Bald darauf zerbrach diese Kooperation, und es setzte eine Phase des breit angelegten Kampfes gegen die Mafia ein. Norman Lewis erzählt in diesem Zusammenhang eine missliche Geschichte, die Mussolini derart verärgert haben soll, dass sie als Auslöser des massiven Kampfes gegen die Mafia fungiert habe. Ein Pate eines nahe bei Palermo gelegenen Dorfes soll sich bei einem offiziellen Besuch Mussolinis dermaßen offen als Beschützer seines Gastes aufgeführt haben, dass der Duce verärgert die Notwendigkeit der Durchsetzung der »einen und einzigen Gewalt« im Lande beschlossen habe.28 Dass diese Geschichte mehr als eine Anekdote
26 Ebd., S. 357. 27 Peter Müller: Die politische Macht der Mafia, S. 153. 28 Vgl. dazu: Norman Lewis: Die Ehrenwerte Gesellschaft. Die Geschichte der Mafia, Düsseldorf, Wien 1965, S. 65-67. Vgl. auch die Schilderung
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sein dürfte, wird durch die Tatsache nahegelegt, dass sie an zahlreichen Stellen wiedergegeben wird, und dass Mussolini selbst sie in der berühmten Parlamentsrede vom 26. Mai 1927 schilderte, in der er das Ende der Mafia verkündete.29 Den staatlichen Herrschaftsanspruch auf Sizilien sollte Polizeipräfekt Cesare Mori durchsetzen, der für den Kampf gegen die Mafia eigens in das Amt des Präfekten von Sizilien gehoben und 1925 mit umfassenden Vollmachten ausgestattet worden war. Alexander Stille schreibt dazu: »Erst unter dem faschistischen Mussolini-Regime wurde ein erster ernsthafter, allerdings auch blutiger Anlauf zur Ausschaltung der Mafia unternommen. Zwischen 1924 und 1929 ließ Mussolinis ›Eiserner Präfekt‹, Cesare Mori, Massenverhaftungen durchführen, ganze Städte abriegeln und belagern, Geiseln nehmen sowie Vermögenswerte und Vieh vernichten, um vermutete Mafia-Straftäter zur Strecke zu bringen.«30 Moris Vorgehen führte einerseits tatsächlich zu einer – zumindest oberflächlichen – Verringerung der Straftaten: Nach amtlichen Statistiken sank die Zahl der Bluttaten mit Todesfolge in der Provinz Palermo von 278 im Jahr 1924 auf nur noch 25 im Jahr 1928.31 Auch wenn man mögliche statistische Manipulationen unterstellen würde, die durchgeführt worden wären, um per amtlicher Statistik den Erfolg des eigenen Vorgehens belegen zu können, so ist doch bei einer Reduzierung von über 90 Prozent ein tatsächlicher Effekt kaum zu leugnen. Allerdings ein Effekt, der mit einem extrem hohen Preis bezahlt wurde: Mori brach den Terror der Mafia durch den Terror des Staates. Norman Lewis schreibt beispielsweise: »Ohne sich durch die Haarspaltereien demokratischer Rechtsprechung beirren zu lassen, verhaftete Mori Tausende von Verdächtigen ... Die Rechtsprechung durch die faschistischen Gerichte war hart, verworren und oberflächlich, und oft kam es vor, dass zwei oder gar drei Personen wegen desselben Verbrechens verurteilt und eingesperrt wurden ... Wenn Mori in einer Stadt erschien, konnte es die Festnahme und Entführung der gesamten männlichen Bevölkerung bedeuten, und man stellte fest,
des Vorfalls bei Claire Sterling: Die Mafia. Der Griff nach der Macht, Bern, München, Wien 1990, S. 43-46. 29 Vgl. dazu: Peter Müller: Die politische Macht der Mafia, S. 153. 30 Alexander Stille: Die Richter, S. 24. 31 Vgl. dazu: Ebd.
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dass man ihn nur besänftigen konnte, wenn man vor seinem Einzug eine Ehrenpforte errichtete, an der die Worte Ave Caesar angebracht waren.«32 Diese bizarren Auswüchse der Selbstherrlichkeit und Willkür wurden von weiteren Rechtsbrüchen begleitet: Um die Omertà, das Gesetz des Schweigens, zu brechen, ließ Mori unzählige Verdächtige foltern, teilweise so schwer, dass die Opfer dabei unwiderruflich zu Krüppeln gemacht wurden.33 Es war daher kein Wunder, dass in ganz Süditalien der faschistische Präfekt bald als größeres Übel begriffen wurde, als es die Mafia je war: Eine willkürliche Schreckensherrschaft, die an die Stelle der kalkulierbaren kriminellen Herrschaft der Cosa Nostra getreten war. »Im Ergebnis hatten damit die Faschisten mittels Gewaltausübung und Missbrauchs staatlicher Normen und zugleich in Konformität mit dem gültigen Wertesystem die Mafia substituiert«,34 fasst Peter Müller die Selbstdesavouierung des Staates auf Sizilien zusammen. Doch diese faschistische Mafiajagd hatte noch eine zweite unbeabsichtigte Nebenwirkung, die wahrscheinlich noch weit reichendere Folgen zeitigte als die erste: Moris und Mussolinis Kampf gegen die Mafia hatte die Cosa Nostra mitsamt ihres kriminellen Anhangs bis hinunter zu den einfachen Killern und Auftragsmördern pauschal zu Gegnern des Faschismus gemacht, oder anders formuliert: zu »Antifaschisten«. Eine Verflechtung zwischen Mafia und Faschismus war von Seiten des faschistischen Staates unmöglich gemacht worden – ein Umstand, der nachdem im Juli 1943 alliierte Truppen auf Sizilien gelandet waren, von grundsätzlicher Bedeutung werden sollte. Denn die Alliierten waren auf der Suche nach zuverlässigen Verbündeten auf der süditalienischen Insel, die ihnen während des alliierten Feldzuges durch Europa den Rücken frei halten sollten. »Männer von Ehre, jetzt allesamt standhafte Antifaschisten, gelangten direkt aus dem Gefängnis in ein öffentliches Amt ... Da der gesamte faschistische Machtapparat zusammengebrochen war, traten sie an dessen Stel32 Norman Lewis: Die Ehrenwerte Gesellschaft, S. 68f. (Hervorhebung im Original). 33 Vgl. dazu: Anton Blok: Die Mafia in einem sizilianischen Dorf 18601960. Eine Studie über gewalttätige bäuerliche Unternehmer, Frankfurt/M. 1981, S. 228. 34 Peter Müller: Die politische Macht der Mafia, S. 160.
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le. Lokale Mafiabosse übernahmen in Dutzenden von sizilianischen Städten das Bürgermeisteramt. Ihr gerade aufgestiegener capo di tutti cappi Don Calogero Vizzini steuerte vom Rathaus seiner Heimatstadt Villalba aus einen blühenden Schwarzmarkt. Vizzini, in dessen früherer Kriminalakte 39 Morde, sechs Mordversuche, 36 Raubüberfälle, 37 Diebstähle und 63 Erpressungen verzeichnet waren, wurde nun Besitzer eines Waffenscheins ›zum Schutz gegen faschistische Überfälle‹. Die US-Armee hatte ihn zum Ehrenoberst ernannt.«35 Und der seinerzeit wohl bekannteste italienisch-amerikanische Mafioso Vito Genovese brachte es zum offiziellen Dolmetscher des amerikanischen Gouverneurs von Sizilien. Zahlreiche hochrangige Vertreter der Mafia standen als »vertrauenswürdige Personen« ganz oben auf den Listen der Militärregierung, die aufgrund der Empfehlungen unbescholtener und angesehener Bürger, der Geistlichkeit und lokaler Mitarbeiter des amerikanischen Militärkommandos erstellt worden waren.36 Die »Ehrenmänner« der Mafia befanden sich damit wieder in ihren angestammten sozialen Rollen: Als Patrone, die als Oberhäupter ihrer jeweiligen Region nahezu alle legalen und illegalen Märkte kontrollierten. Mehr noch: Die Cosa Nostra schien gestärkt aus der Verfolgung durch den faschistischen Staat hervorgegangen zu sein.
Positionierung im Spannungsfeld des Kalten Krieges Wenn es denn so etwas wie eine Lehre gab, die solch eine verzweigte Organisation wie die Cosa Nostra aus den Erfahrungen unter Mussolini zu ziehen in der Lage war, dann wohl diejenige, dass sie in Zukunft alles daran setzen müsste, die direkte und umfassende Konfrontation mit dem Staat zu umgehen und statt dessen Verbündete in hohen Staatsämtern zu suchen. Der noch vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs sich abzeichnende und bald darauf sich schnell verschärfende Kalte Krieg bot für dieses Ansinnen sehr gute Aussichten. Nachdem die Sowjetunion in den von der Roten Armee befreiten Staaten angefangen hatte, sozialistische bzw. kommunistische Regierungen zu installieren, reagier35 Claire Sterling: Die Mafia. Der Griff nach der Macht, S. 44 und 48. 36 Vgl. dazu: Ebd., S. 49f.
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ten die Vereinigten Staaten von Amerika bereits 1946 mit einer Politik der Eindämmung sowjetischer Machtausweitung.37 Im Gefolge dieser weltweiten Blockbildung wurde die politische Partizipation linker Parteien in westlichen Demokratien mit besonderem Argwohn beobachtet. Die Angst vor einem »legalen Machtwechsel« mittels Wahlentscheid, der sich zu einem »Systemwechsel« ausweiten könnte, bestimmte in großem Umfang die USAußenpolitik der Nachkriegszeit. In Italien hatte die Angst vor einem Wahlsieg von Sozialisten und Kommunisten und damit vor einer Machtübernahme durch die vereinte Linke durchaus reale Beweggründe: »Bei den Regionalwahlen in Sizilien im April [1947, MLH] hatten die Christdemokraten eine empfindliche Niederlage hinnehmen müssen«,38 schreibt Friederike Hausmann. Kommunisten und Sozialisten hatten als »vereinte Linke« 30 Prozent der Wählerstimmen erhalten, neun Prozent mehr als die Christdemokraten. Dieser Wahlerfolg war tatsächlich eine Sensation. Der US-Außenminister George Marshall, dessen Name bis heute fest mit dem European Recovery Program, der US-Wiederaufbauhilfe für Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, verbunden ist, sandte an den US-Botschafter in Rom ein Telegramm, in dem er seine große Beunruhigung über die Erfolge der Kommunisten in Sizilien zum Ausdruck brachte. Marshall betonte die Notwendigkeit »neuer Maßnahmen der Stärkung antikommunistischer, pro-amerikanischer Elemente«.39 Damit bewegte sich der Außenminister voll und ganz im Rahmen der Doktrin von Präsident Harry S. Truman, die dieser am 12. März 1947 in einer inzwischen legendären Rede vor dem Kongress skizziert hatte: »Zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Weltgeschichte muss fast jede Nation zwischen alternativen Lebensformen wählen ... Die freien Völker der Erde rechnen auf unsere Unterstützung in ihrem Kampf um die Freiheit. Wenn wir in unserer Führungsrolle zaudern, gefährden wir den Frieden der Welt – und wir schaden mit Sicherheit der Wohlfahrt unserer ei-
37 Vgl. dazu: Jürgen Bellers: »Ost-West-Konflikt«, in: Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch Internationale Politik, Opladen 1995, S. 370-378. 38 Friederike Hausmann: Kleine Geschichte Italiens von 1943 bis heute, Berlin 1997, S. 45. 39 Vgl. dazu: Alexander Stille: Die Richter, S. 26.
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genen Nation.«40 Wenige Tage zuvor hatte der amerikanische Botschaftsrat George F. Kennan aus Moskau eine Analyse der vermuteten sowjetischen Politik sowie strategische Handlungsvorschläge nach Washington telegrafiert: »Alles in allem haben wir es mit einer politischen Kraft zu tun, die sich fanatisch zu dem Glauben bekennt, dass es mit Amerika keinen dauernden Modus vivendi geben kann ... Gemessen an der westlichen Welt insgesamt sind die Sowjets noch bei weitem schwächer. Ob sie Erfolg haben, hängt also wirklich von dem Maß an Zusammenhalt, Festigkeit und Kraft ab, das die westliche Welt aufbringen kann. Und das ist ein Faktor, den zu beeinflussen in unserer Macht steht.«41 Dieser kurze Exkurs in die politische Geschichte des Kalten Krieges ist notwendig, um nachvollziehbar zu machen, in welch aufgeheizter Atmosphäre und aus welchen Gründen Teile der Führung der italienischen Christdemokraten einen folgenschweren Schritt taten. Giuseppe Alessi, einer der Gründer der sizilianischen Christdemokraten, gab einige Jahre später offen zu, dass die Entscheidung, »auf Sizilien die Hilfe der Mafia in Anspruch zu nehmen«, ganz bewusst getroffen worden sei.42 Der Historiker Francesco Renda schreibt dazu: »Die DC [Democrazia cristiana, die christdemokratische Partei Italiens, MLH] beschloss, die Unterstützung der Mafia zu akzeptieren, um sich für den Kampf gegen den Kommunismus zu stärken. Wenn man das nicht versteht, kann man unmöglich alles weitere verstehen, das danach geschah ... Die Mafia wurde dadurch geadelt, dass man ihr die Rolle des militärischen Schildes einer maßgeblichen politischen Kraft anvertraute, etwas, das ihr in der Vergangenheit nie widerfahren war. Kein Wunder, dass die Mafia in der Folge die Staatsmacht für ihre Zwecke instrumentalisierte.«43 Was Francesco Renda schreibt, bedarf einer Ergänzung. Denn zweifellos dürfte es so gewesen sein, dass die Mafia in diesem Beziehungsgefüge aus gegenseitigen Gunsterweisen und Abhängigkeiten nicht zwingend den dominierenden Part inne hatte (und 40 Harry S. Truman: »Rede des amerikanischen Präsidenten vor beiden Häusern des Kongresses, 12. März 1947«, in: Wolfgang Lautemann, Manfred Schlenke (Hg.): Die Welt seit 1945, München 1980, S. 576f. 41 George F. Kennan: Memoiren eines Diplomaten, Band 1, Stuttgart 1968, S. 553-556. 42 Vgl. dazu: Alexander Stille: Die Richter, S. 26. 43 Zitiert nach: Alexander Stille: Die Richter, S. 26f.
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hat). Es dürfte sich bei diesem Beziehungsgeflecht vielmehr um ein fragiles Sozialgefüge handeln, das je nach Situation der einzelnen Akteure der einen oder anderen Seite eine temporäre Möglichkeit der Dominanz beschert und damit die Möglichkeit der Instrumentalisierung der anderen Akteursseite für eine gewisse Zeit eröffnet. Im Kern kann also von einer eher symbiotischen Beziehung gesprochen werden. Peter Müller verweist in diesem Kontext auf den Lobby-Charakter dieses mafiosen Handelns: »Moderne politische Machtgewinnung von Mafia lässt sich auch in den Termini des Lobbyismus beschreiben. Mafia neigt per se zu kooperativer Nähe zu legalen und gesellschaftlichen Subsystemen.«44 Dieser Umstand darf allerdings nicht zu Missverständnissen führen: Auch wenn davon ausgegangen werden kann, dass die Mafia die Nähe zu legalen Subsystemen sucht, heißt das wiederum nicht, dass die kriminelle und gewalttätige Seite der Cosa Nostra damit eine Schwächung erfahren würde. Ganz im Gegenteil, schließlich ist doch gerade die Option der Gewaltanwendung das soziale Kapital, das die Mafia in das Beziehungsgeflecht ihrer »Lobby-Arbeit« einbringen kann. Sei es in Form von Drohung und Einschüchterung, sei es in Form von kriminellen »Hilfsdiensten« – je nachdem, welches Handlungsmuster die aktuelle Situation gerade erfordert. Alexander Stille verdeutlicht die Instrumentalisierung der Gewaltanwendung im Sinne einer politischen Positionierung, wenn er einerseits schreibt, dass zwischen 1945 und 1955 in Sizilien 43 Sozialisten bzw. Kommunisten ermordet wurden, viele davon zu Wahlkampfzeiten, und andererseits anfügt: »Bekannten Mafiabossen mit umfangreichem Vorstrafenregister wurden Ehrenplätze der Christlich-Demokratischen Partei angedient. Umgekehrt erschienen nicht selten prominente Politiker als Ehrengäste zu den Tauf-, Hochzeits- und Begräbnisfeierlichkeiten namhafter Mafiafamilien. Als Freund eines Mafioso bekannt zu sein, war in Sizilien keine Schande, sondern ein Ausweis von Macht.«45 Wie weit und bis hinauf in welche Ebene die Verfilzung zwischen Mafia und Politik bzw. staatlicher Administration ging (und geht), ist bis heute Gegenstand wissenschaftlicher Dispute und öffentlicher Streitigkeiten. Sicher scheint zu sein, dass auch im Fall 44 Peter Müller: Die politische Macht der Mafia, S. 20. 45 Alexander Stille: Die Richter, S. 27f.
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der Christdemokraten nicht alle leitenden Parteimitglieder Kontakt mit der Mafia hatten, wohl aber einige exponierte Vertreter. Damit stand die DC allerdings nicht allein: Auch hochrangige Vertreter anderer Parteien, wie beispielsweise Bettino Craxi, seinerzeit Vorsitzender der sozialistischen Partei (PSI), wurden in den 1990er Jahren mit schwerwiegenden Verdachtsmomenten konfrontiert. Werner Raith vertritt den Standpunkt, dass es bis auf wenige Ausnahmen nicht gerade »die Chefetage der Ministerien« sei, für die sich mafiose Gruppen besonders interessieren würden, sondern eher »die Ebene der lokalen regionalen Parteileitung sowie Teile der nationalen Parteipräsidien«.46 Regine Igel verweist dagegen auf die immer wieder vermuteten Mafiaverwicklungen des siebenmaligen italienischen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti, um deutlich zu machen, dass die Mafia zumindest zeitweise ihren Einflussbereich bis in die Spitze der italienischen Administration ausgeweitet haben könnte.
Exkurs: Der »Unzerstörbare« vor Gericht »Sechsundzwanzigmal ist Giulio Andreotti im Laufe der Jahre von ermittelnden Staatsanwaltschaften der Verwicklung in Attentate und dunkle Machenschafen verdächtigt worden ... Sechsundzwanzigmal entschieden Parlamentsmitglieder, den Dingen nicht auf den Grund zu gehen und die Störung des Regimes durch die Wahrung der Immunität des Parlamentariers Andreotti zu vermeiden«,47 schreibt Regine Igel über die jahrzehntelang rumorenden Gerüchte um eine mögliche Verstrickung des italienischen Spitzenpolitikers mit der Cosa Nostra. Am 27. März 1993 kam es dann doch zur Sensation: Staatsanwalt Giancarlo Caselli hatte wegen des »Verdachts auf Beteiligung an einer mafiosen Vereinigung« einen Ermittlungsbescheid gegen Andreotti ausgestellt. Etwas mehr als drei Jahre danach, im April 1996, wurde schließlich tatsächlich gegen den wohl einflussreichsten italienischen Politiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Prozess eröffnet. Um ermessen zu können, was dieser Prozess für das politische Gefüge Italiens bedeutete, muss kurz der Wer-
46 Vgl. dazu: Werner Raith: Parasiten und Patrone, S. 174. 47 Regine Igel: Andreotti. Politik zwischen Geheimdienst und Mafia, München 1997, S. 16f.
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degang Andreottis beleuchtet werden: Giulio Andreotti, 1919 als Sohn eines Grundschullehrers geboren, studierte Kirchenrecht und knüpfte schon früh Kontakte zum Vatikan. Im Alter von 24 Jahren wurde er von Papst Pius XII. zum Präsidenten der katholischen Studentenorganisation ernannt. Erst 26 Jahre alt, gehörte er 1945 bereits der Verfassungsgebenden Versammlung an, die Italien nach der Überwindung des Faschismus und der deutschen Fremdherrschaft eine neue Konstitution geben sollte. Zwei Jahre danach wurde er zum Staatssekretär berufen. Als Andreotti schließlich 1972 zum ersten Mal Ministerpräsident wurde, konnte er unter anderem bereits auf drei Jahre als Finanzminister und sieben Jahre als Verteidigungsminister zurückblicken. In den darauf folgenden zwanzig Jahren hatte er in der krisengeschüttelten und schnelllebigen italienischen Politik insgesamt siebenmal das Amt des Ministerpräsidenten inne, zuletzt bis ins Jahr 1992.48 Was konnte diesem starken Mann der italienischen Politik, der von italienischen Zeitungen oft als »der Unzerstörbare« oder »der nie Rostende« bezeichnet worden war, vorgeworfen werden, das so schwerwiegend war, dass tatsächlich ein Gerichtsverfahren eröffnet wurde? Es war ein komplexes Gebäude aus Vorwürfen und Indizien, das letztlich in einen konkreten Mordverdacht mündete: Giulio Andreotti solle den Auftrag gegeben haben, so die Anklage, den Skandalreporter Carmine Pecorelli umbringen zu lassen. Denn Pecorelli habe versucht, Andreotti mit belastendem Material, das ihm in die Hände gekommen sei, zu erpressen. Pecorelli war Herausgeber und Reporter einer kleinen politischen Zeitschrift mit zweifelhaftem Ruf gewesen, die unter dem Namen »OP« (Osservatore politico, »Politischer Beobachter«) firmierte und auf das Aufspüren politischer Skandale spezialisiert gewesen war. Am 20. März 1979 hatte man den Journalisten erschossen aufgefunden. Mehr als ein Jahrzehnt danach verdichteten sich die Verdachtsmomente gegen Giulio Andreotti. Im Wesentlichen stützte sich die Anklage dabei auf die Aussagen dreier Mafia-Aussteiger: Tommaso Buscetta, Baldassare Di Maggio und Francesco Marino Mannoia. Baldassare Di Maggio und Francesco Marino Mannoia verwiesen zunächst auf Andreottis vermeintliche Beziehungen
48 Die kurze Darstellung der zentralen Daten der Biografie Andreottis folgt im Wesentlichen Regine Igel. Vgl. dazu: Regine Igel: Andreotti. Politik zwischen Geheimdienst und Mafia.
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zur Mafia. Beide behaupteten, jeweils an geheimen Mafiatreffen teilgenommen zu haben, bei denen neben hochrangigen Vertretern der Cosa Nostra auch Giulio Andreotti teilgenommen habe.49 Und Buscetta hatte unmissverständlich zu Protokoll gegeben: »Der Mord an Pecorelli war ein politisches Verbrechen, das die Vettern Salvo auf Bitten von Onorevole Andreotti in Auftrag gaben.«50 Am 24. September 1999 wurde schließlich das Urteil verkündet: Freispruch für Andreotti. Nachdem 231 Zeugen gehört worden, die Prozessakten auf das unglaubliche Volumen von 650.000 Seiten gewachsen und mehr als drei Jahre vergangen waren, befand das Gericht, dass trotz der Menge an Beweismaterial und Zeugenaussagen, die Ankläger und Verteidiger aufgeboten hatten, nach wie vor zu große Zweifel an der Schuld Andreottis existierten. Aus diesem Grund folgte das Gericht dem Antrag der Staatsanwaltschaft nicht, die eine lebenslange Freiheitsstrafe gefordert hatte. Einen Monat später wurde Andreotti auch in einem zweiten Verfahren freigesprochen, in dem separat und explizit seine mutmaßlichen Verstrickungen mit der Mafia verhandelt worden waren. Giulio Andreotti war damit – zumindest juristisch – rehabilitiert.51 Dennoch war die italienische Öffentlichkeit bis ins Mark erschüttert. Mit Giulio Andreotti war die zentrale Figur der so genannten ersten italienischen Republik auf der Anklagebank gesessen, die von den Anfängen in der Verfassungsgebenden Versammlung nach dem Zweiten Weltkrieg bis zu ihrem Ende in den Jahren 1992/93 gestaltend auf den politischen Prozess eingewirkt hatte. Und Andreotti hatte nicht allein auf den Anklagebänken der 49 Vgl. dazu: Alexander Stille: Die Richter, S. 400f. 50 Zitiert nach: Ebd., S. 401. 51 Nachtrag: Am 17. November 2002 wurde der oben genannte Freispruch aufgehoben. In einem Berufungsverfahren in Perugia wurde Giulio Andreotti wegen Beteiligung an der Ermordung des Journalisten Pecorelli zu 24 Jahren Gefängnis verurteilt. Aufgrund seines hohen Alters (Andreotti war zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung 83 Jahre alt) bleibt ihm aller Wahrscheinlichkeit nach eine tatsächliche Inhaftierung erspart. Zudem bleibt ihm die Möglichkeit, das jetzige Urteil in einem erneuten Berufungsverfahren anzufechten. Anfang Mai 2003 wurde Andreotti darüber hinaus in einem zweiten Verfahren in Palermo freigesprochen. Darin war ihm Zusammenarbeit mit der Mafia vorgeworfen worden.
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italienischen Republik Platz genommen: Im Zuge mehrerer Prozesse aufgrund des Verdachts der Korruption, schwarzer Konten und illegaler Parteienfinanzierung wurde in den 1990er Jahren gegen zahllose Mitglieder fast aller regierenden Parteien Italiens ermittelt. Die Democrazia cristiana löste sich im Gefolge dieser Skandale auf, der ehemalige Ministerpräsident und Vorsitzende der sozialistischen Partei (PSI), Bettino Craxi, floh ins Ausland und wurde in Abwesenheit verurteilt. Bis zum Frühjahr 1994 stieg die Zahl der Personen, gegen die ermittelt wurde, auf 6.059 an. Die Generalsekretäre aller Regierungsparteien traten zurück. Die so genannte Operation Mani pulite (saubere Hände) einer Gruppe von Juristen um den Mailänder Staatsanwalt Antonio Di Pietro52 zeitigte offenkundig Erfolg und veränderte die politische Wirklichkeit Italiens grundlegend. Friederike Hausmann schreibt: »Die Wahlen vom 27. März 1994 besiegelten das Ende der Ersten Republik. Die alte classe politica wurde hinweg gefegt. Fast die Hälfte der Volksvertreter zog zum ersten Mal ins Parlament ein, berücksichtigt man die Senatoren auf Lebenszeit, so konnten 70 Prozent der Parlamentarier der 11. Legislaturperiode keinen Sitz mehr erringen.«53 Diese erdrutschartigen Veränderungen der politischen Wirklichkeit sind nach Ansicht einiger politischer Kommentatoren eng mit dem Ende des Ost-West-Konflikts verbunden – womit sich der Kreis zu den Anfängen der ersten Republik schließt. In diesem Sinne schlussfolgert auch Friedericke Hausmann: »Der Wandel des politischen Kräftesystems im Weltmaßstab, symbolisiert durch den Fall der Berliner Mauer, muss auch als die Grundvoraussetzung für die Aufdeckung der systematischen Korruption gelten, die unter dem Namen ›Tangentopoli‹ bekannt geworden ist.«54 Und Leoluca Orlando resümierte bereits im Jahr 1993 öffentlich: »Es interessiert die Amerikaner einfach nicht mehr, Leute wie Craxi und Andreotti zu schützen.«55 52 Vgl. dazu: Paolo Flores d’Arcais: »Die liberale Revolution von Mani Pulite«, in: Susanne Schüssler (Hg.): Berlusconis Italien – Italien gegen Berlusconi, S. 67-85. 53 Friederike Hausmann: Kleine Geschichte Italiens von 1943 bis heute, S. 168f. (Hervorhebung im Original). 54 Ebd., S. 151 (Hervorhebung im Original). 55 Leoluca Orlando am 24. Januar 1993 in der Zeitschrift »Panorama«, zitiert nach: Friederike Hausmann: Kleine Geschichte Italiens von 1943 bis heute, S. 150.
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Die Hoffnung auf einen grundlegenden Neuanfang sollte sich jedoch als Luftschloss erweisen. 1994 gelang es Silvio Berlusconi zum ersten Mal, das Amt des Ministerpräsidenten zu erringen.56 Berlusconi gilt als der reichste Mann Italiens, er gebietet über die drei größten privaten Fernsehsender des Landes, kontrolliert 38 Prozent des Zeitungsmarktes und mehr als 30 Prozent des italienischen Buchmarktes, dazu kommen Beteiligungen in anderen Branchen und anderen Ländern. Wie es dem Sohn eines kleinen Bankbeamten gelang, diesen märchenhaften Aufstieg zu Macht und Reichtum zu schaffen, konnte bislang nicht schlüssig geklärt werden.57 Alexander Stille schreibt über Berlusconis erste Amtsperiode: »Er, der zahlreiche Male selbst ins Visier der Justiz geraten war, verwendete einen Gutteil seiner politischen Energie darauf, die Anti-Korruptions-Teams der Mailänder Justiz unter Beschuss zu nehmen.«58 Nach nur sieben Monaten zerbrach damals die rechte Koalition durch den Austritt der Lega Nord. Im Jahr 2001 konnte Berlusconis Forza Italia allerdings erneut einen Wahlsieg erringen und mit den Neo-Faschisten und der Lega Nord zum zweiten Mal eine Rechts-Koalition bilden. Beim Amtsantritt der neuen Regierung waren nach Angaben des italienischen Nachrichtenmagazins L’Espresso mehr als zwei Dutzend Forza Italia-Abgeordnete in laufende Gerichtsverfahren verwickelt, »weil sie als Geldwäscher der Mafia gearbeitet, in die Staatskasse gegriffen oder Richter bestochen haben sollen«.59 Ge-
56 Vgl. dazu: Susanne Schüssler (Hg.): Berlusconis Italien – Italien gegen Berlusconi, Berlin 2002. 57 Vgl. dazu: Friederike Hausmann: »Italien: Der ganz normale Sonderfall«, in: Susanne Schüssler (Hg.): Berlusconis Italien – Italien gegen Berlusconi, S. 11: »Ende der siebziger Jahre errichtete Berlusconi, der sich vom Entertainer auf Kreuzfahrtschiffen zum Bauunternehmer gemausert hatte, eine ganze Trabantenstadt bei Mailand und stieg unmittelbar danach ins Fernsehgeschäft ein. Geldgeber ... waren zweiundzwanzig Holdings, deren Gründer und Gesellschafter unter anderem eine Hausfrau im Rentenalter und ein Invalide waren. Ein Untersuchungsbericht der Banca d’Italia stellt fest, dass auf den Konten dieser Gesellschaften teilweise im Abstand von wenigen Tagen aus unbekannten Quellen Millionenbeträge in bar eingezahlt wurden.« 58 Alexander Stille: Die Richter, S. 424. 59 Zitiert nach: Dirk Koch, Hans-Jürgen Schlamp: »Trauerspiel am Tiber«, in: Der Spiegel, 14.01.02, Nr. 3, S. 114.
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gen Regierungschef Berlusconi selbst liefen gleichzeitig vier Gerichtsverfahren. »Der Kampf gegen die Roten Roben hat deshalb seit seinem Amtsantritt Vorrang vor allem anderen«,60 schreibt das Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Und dieser Kampf werde allem Anschein nach über mehrere »Kanäle« geführt: Mittels der legislativen Kraft des Parlaments, mittels der exekutiven Möglichkeit des Dekrets, mittels der medialen Macht einer Monopolstellung auf dem italienischen Fernsehmarkt und mittels ganz profaner Personal- und Disziplinarmaßnahmen. Nach Angaben des Spiegel würde beispielsweise attentatsgefährdeten Richtern und Staatsanwälten der Personenschutz gestrichen, bei anderen würden Beförderungen blockiert. »Sie nehmen uns die Luft weg«,61 verdeutlichte Staatsanwalt Antonio Ingroia die bedrohliche Situation. Bei der feierlichen Eröffnung des juristischen Jahres 2002 rief der scheidende Generalstaatsanwalt Francesco Saverio Borrelli zum Widerstand auf. Nichts Geringeres als die »Unabhängigkeit der Justiz« und die »Herrschaft der Gesetze« stehe auf dem Spiel. Und Berlusconi? Er lässt in seinen Sendern immer wieder verlautbaren, dass »Rote Roben«, also politisierte Staatsanwälte und Richter, die im Kern noch immer »Kommunisten« seien, versuchen würden, ihn aus dem Amt zu jagen.62 Und mit Blick auf die Zeitgeschichte erläutert er seine Perspektive auf die Hintergründe der Operation Mani pulite: »Richter, die die Kommunistische Partei in den Justizapparat eingeschleust hatte«, hätten vorsätzlich jene Parteien eliminiert, »die Italien ein halbes Jahrhundert regiert hatten«.63 Auch wenn die tatsächliche Bedrohung obsolet geworden ist, die Denkstrukturen des Kalten Krieges scheinen noch vorhanden zu sein und zumindest als Grundlage politischer Rhetorik zu taugen. Die Cosa Nostra verhält sich derweil ruhig – keine Aufsehen erregenden Attentate, keine blutigen Bandenkriege. »Die Mafia hat sich unsichtbar gemacht, aber sie ist wahrscheinlich effizienter denn je«,64 diktierte Palermos Chefstaatsanwalt Piero Grasso bei 60 Hans-Jürgen Schlamp: »Die Nacht der Demokratie«, in: Der Spiegel, 25.02.02, Nr. 9, S. 155. 61 Zitiert nach: Ebd. 62 Ebd., S. 154f. 63 Zitiert nach: Ebd., S. 156. 64 Zitiert nach: Hans-Jürgen Schlamp: »Dicker Brocken für die Mafia«, in: Der Spiegel, 09.07.01, Nr. 28, S. 131.
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einer Pressekonferenz im Sommer 2001 Journalisten in den Notizblock.
Professionalisierung als unternehmerische Vereinigung In einem 1990 veröffentlichten Interview schlug Pino Arlacchi eine dreifache Definition der Cosa Nostra vor: »Es gibt verschiedene Definitionen der Mafia. Am vollständigsten scheint mir die zu sein, die in der Mafia eine ökonomische, eine politische und eine militärische Macht sieht.«65 Ähnlich äußerte sich Palermos ExBürgermeister Leoluca Orlando, der den Dreischritt um eine vierte Komponente, das Element der kulturellen Macht, ergänzte: »Die Mafia unterscheidet sich von anderen Formen des Organisierten Verbrechens durch ihr Verhältnis zur öffentlichen Macht und durch ihr Verhältnis zum Geld. Die Mafia zielt in jedem Fall auf den größtmöglichen wirtschaftlichen Profit ... Die Mafia ist – durch ihr Verhältnis zu den Institutionen – nicht nur ein bewaffnetes verbrecherisches Phänomen, sondern auch ein Charakteristikum der wirtschaftlichen Macht, eine Eigenschaft der politischen und kulturellen Macht.«66 Die kulturelle Macht speiste sich in erster Linie aus den tiefen Wurzeln der Cosa Nostra in der sizilianischen Gesellschaft der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert.67 Darin wiederum waren die Wurzeln der politischen Macht angelegt, die jedoch erst unter den Bedingungen des Kalten Krieges ihre Blüte entfalten konnte. Die in weiten Teilen der politischen Elite Nachkriegsitaliens als handlungsleitendes Motiv existierende Abwehr kommunistischer Tendenzen führte teilweise zu einer Tolerierung der Cosa Nostra und manches Mal sogar zu einer Fraternisierung mit ihr. Die militärische Macht wiederum muss gleichsam als conditio sine qua non jeder mafiosen Organisation begriffen werden. Denn Drohung und Anwendung von Gewalt stellen, wie bereits dargelegt, das grundsätzliche soziale Kapital organisierter Kriminalität dar. 65 Werner Raith: »Interview mit Pino Arlacchi«, in: Ders.: Parasiten und Patrone, S. 53. 66 Leoluca Orlando: »Plädoyer für eine Berücksichtigung der italienischen Erfahrungen im Kampf gegen die Mafia«, in: Ulrich Sieber (Hg.): Internationale Organisierte Kriminalität, S. 208. 67 Vgl. dazu die oben gemachten Ausführungen.
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Und die ökonomische Macht? »In den siebziger Jahren bewirkte die Erschütterung des staatlichen Gewaltmonopols bei der kalabresischen und sizilianischen Mafia die Verwandlung der Gewalt in eine ökonomische Kraft und in ein Mittel zur Veränderung der Eigentumsverhältnisse und der bestehenden Produktion. Mord ist nicht länger ein durch den Staat durchgesetztes Tabu, sondern ein immer weniger riskantes und kostspieliges Mittel zur Konfliktlösung«,68 schreibt Pino Arlacchi, der die soziale Entwicklung in den siebziger Jahren in Sizilien als Phase sozialer Desintegration bezeichnet: »Die in den siebziger Jahren auftretenden Tendenzen sind das Gegenteil derjenigen, die im Laufe der großen Transformation der Nachkriegszeit herrschend waren. Was zuvor vereinigt und integriert worden war, wird nun durch starke Kräfte zerrüttet. So kommt es wieder zu einer ganzen Reihe von Partikularismen, die durch die bereits stattgefundene Homogenisierung der italienischen Gesellschaft und Ökonomie ein für allemal ausgelöscht zu sein scheinen ... In diesem Umfeld eines allgemein veränderten Szenario, das von der Tendenz zu ökonomischer und sozialer Desintegration beherrscht wird, entsteht die unternehmerische Mafia und erreicht ihre Vollendung.«69 Dieser von Arlacchi konstatierte zunehmende Verlust staatlicher Autorität in den siebziger Jahren kann unter anderem durch den deutlichen Anstieg der Zahl gewaltsam Getöteter verdeutlicht werden. Waren 1970 ca. 600 gewaltsame Todesfälle polizeilich erfasst, so stieg diese Zahl bis zum Jahr 1980 auf ca. 1.200 pro Jahr. Die tödliche Gewalt auf der Straße verdoppelte sich also innerhalb eines Jahrzehnts – zumindest statistisch betrachtet.70 Doch wie sieht jenes Konstrukt aus, das aus dieser Schwäche staatlicher Autorität seine Kraft gezogen haben soll? Was macht die »unternehmerische Mafia« aus? Jean Ziegler spricht von drei Organisationsformen, die sich eigentlich gegenseitig ausschlössen und die sich in der unternehmerischen Mafia zu einer Organisationsform verdichten: Die unternehmerische Mafia sei zum ersten eine Wirtschafts- und Finanzorganisation kapitalistischen Typs, die nach den Prinzipien der Profitmaximierung und der Effizienzsteigerung funktioniere. Zweitens
68 Pino Arlacchi: Mafiose Ethik und der Geist des Kapitalismus, S. 93. 69 Ebd., S. 90. 70 Vgl. dazu: Ebd., S. 92.
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besitze sie eine quasimilitärische Hierarchie und verfüge über quasimilitärische Mittel. Das heißt, dass Gewalt und eine durch sie erzwungene Unterordnung die Grundlage der Organisation der unternehmerischen Mafia bilde. Schließlich werde sie als Familie und im internationalen Kontext als Clan organisiert, also nach ethnischen Kriterien.71 Dies wiederum, so Jachen Curdin Nett, eröffne die Möglichkeit des Rückgriffs auf ganz spezifische »ethnische Ressourcen«.72 Ivan Light erläutert, was unter diesem Terminus zu verstehen ist: »Typische ethnische Ressourcen sind zum Beispiel das jeweilige kulturelle Erbe, das System gegenseitiger Kreditvereinbarungen, ... reaktive Solidarität, vielfältige soziale Netze ... sowie ein Reservoir unterbeschäftigter Landsleute.«73 Durch die Kombination dieser drei Sozialformen gelinge es dem kriminellen Kartell, so Jean Ziegler, die jeder einzelnen innewohnende Leistungsfähigkeit zu bündeln.74 Oder anders formuliert: Durch die Kombination dieser eigentlich disparaten Organisationsformen im Verbund mit der oben skizzierten politischen Positionierung im Kalten Krieg erzielt die unternehmerische Mafia vier ganz spezifische Wettbewerbsvorteile: Erstens eine Nähe zu öffentlichen Auftragebern, die nicht selten Formen von Klientelismus oder Korruption annimmt, was bei der Vergabe öffentlicher Aufträge gegenüber legalen Mitbewerbern einen entscheidenden »Wettbewerbsvorteil« darstellt. In den sechziger und siebziger Jahren war dieses Geschäftsgebaren vor allem im Bausektor, aber auch in anderen Bereichen der öffentlichen Hand, wie zum Beispiel der Abfallbeseitigung, sehr lukrativ. Zweitens ein immenses Aufkommen an finanziellen Mitteln, die aus illegalen Geschäften stammen und in legale Unternehmungen fließen. Dies sorgt für einen oft entscheidenden Liquiditätsvorteil gegenüber legalen Konkurrenten. Diese »Kriegskassen« werden in der Regel auf Nummernkonten oder in Off-Shore71 Vgl. dazu: Jean Ziegler: Die Barbaren kommen, S. 19-21. 72 Vgl. dazu: Jachen Curdin Nett: »Soziologische Aspekte ethnischer Kriminalität«, in: Hans-Rudolf Wicker u.a. (Hg.): Das Fremde in der Gesellschaft: Migration, Ethnizität und Staat, Zürich 1996, S. 112. 73 Ivan Light: »Unternehmer und Unternehmertum ethnischer Gruppen«, in: Klaus Heinemann (Hg.): Soziologie wirtschaftlichen Handelns [Sonderheft 28 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie], Opladen 1987, S. 210. 74 Jean Ziegler: Die Barbaren kommen, S. 21.
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Gesellschaften »geparkt«. Paolo Bernasconi, ein ehemaliger Staatsanwalt, der heute als Rechtsanwalt in Lugano arbeitet und sich seit Jahrzehnten aus beruflichen Gründen mit dem Phänomen der Geldwäsche beschäftigt, schreibt dazu: »Man hat es heute mit enormen Geldströmen zu tun, die den nationalen Steuerbehörden entgehen und vor ihnen durch die Benutzung von Off-Shore Ländern versteckt werden ... Unter Berücksichtigung der wachsenden Infiltrierung der legalen Wirtschaft durch das Organisierte Verbrechen ist zu erwarten, dass Handels- und Treuhandgesellschaften, welche weltweit in vielen Ländern ihre Dienste für Operationen mit nicht verbuchten Mitteln anbieten, je länger desto mehr von kriminellen Organisationen ausgenutzt werden, unter anderem von solchen, die enorme Erträge aus kriminellen Aktivitäten schöpfen.«75 Drittens eine bessere Kontrolle der Arbeitnehmerschaft und eine Herabsetzung der Löhne – oft deutlich unter ein vereinbartes Tarifniveau – mittels Androhung oder Anwendung von Gewalt. »Die mafiose Macht innerhalb der betrieblichen Produktionsbeziehungen steigert die Produktivität des Unternehmens: Indem sie den Druck auf die Arbeiter steigert, ermöglicht sie die Erzielung einer größeren Menge an Surplus.«76 Viertens – falls die ersten drei genannten Wettbewerbsvorteile nicht ausreichen, um die gesetzten Ziele auf dem legalen Markt zu erreichen – die Möglichkeit der Einschüchterung oder Ausschaltung missliebiger Konkurrenten mittels Gewalt. Das Ausmaß an Einschüchterung und Angst, das in Siziliens Wirtschaftskreisen herrschte (und herrscht?) kann vielleicht ermessen werden, wenn man jenes Phänomen betrachtet, das genuin auf der Einschüchterung von Geschäftsleuten beruht: die Schutzgelderpressung. Giovanni Falcone sagte darüber kurz vor seinem Tod: »Fast jeder bezahlt heute Schutzgeld. In den Notizbüchern, die man 1990 in Antonio Madonias Versteck gefunden hat, befand sich eine lange Liste von Leuten in Palermo, die etwas produzieren oder Gewinne machen – und die zahlen.«77
75 Paolo Bernasconi: »Der Missbrauch von Off-Shore-Gesellschaften zur Geldwäsche«, in: Ulrich Sieber (Hg.): Internationale Organisierte Kriminalität, S. 198 und 204. 76 Pino Arlacchi: Mafiose Ethik und der Geist des Kapitalismus, S. 103. 77 Giovanni Falcone, Marcelle Padoviani: Inside Mafia, S. 120.
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Es kann also zusammengefasst werden, dass diese vier spezifischen Wettbewerbsvorteile – die besondere Nähe zu Vertretern der öffentlichen Hand, das immense Finanzaufkommen aus illegalen Tätigkeiten, das legalen Unternehmungen zur Verfügung gestellt wird, die bessere Kontrolle der Arbeitnehmerschaft mittels Gewalt, was zu einer erhöhten Produktivitätsquote bei reduziertem Lohn führt, und die Möglichkeit der Einschüchterung und Ausschaltung missliebiger Konkurrenten – die unternehmerische Mafia für den legalen Wirtschaftskreislauf in besonderem Maße gefährlich machen. In eben diesem Maße und aus eben jenen Gründen, ist das Umfeld des legalen Wirtschaftskreislaufs für die Mafia so attraktiv, da durch die Verbindung illegalen und legalen Wirtschaftens extrem hohe Renditeerwartungen verbunden werden können. Giovanni Falcone schreibt dazu: »Dieser Wandel ist eine Folge der enormen Geldsummen, die zunächst durch den Tabakschmuggel, später durch den Rauschgifthandel zuflossen.«78 Seit Jahren zeichnet sich somit eine erschreckende Vision ab: Teile der Cosa Nostra transformieren sich von einer lokalen kriminellen Macht zu einer transnational agierenden Kraft in einer globalisierten Wirtschaft. Leoluca Orlando warnte bereits 1999: »Aus den Killern werden Banker.«79 Soll heißen, zu profaner Kleinkriminalität, brutaler Bandenkriminalität und profitabler Rauschgiftkriminalität gesellt sich die Rechtsform eines legalen Unternehmens, das die gesamten Bereiche mafiosen Handelns neu strukturiert. Wie diesem Durchmarsch der unternehmerischen Mafia in die Chefetagen der legalen Wirtschaft entgegengetreten werden könnte, deutet Pino Arlacchi an: »Der polyvalente Charakter der illegalen Unternehmen wird größtenteils von der eigentümlichen Natur der illegalen Produktionsfaktoren und -bedingungen diktiert. Damit diese ablaufen können, müssen drei grundlegende Güter und Dienste verfügbar sein: Kapital, Gewalt und das Nicht-Handeln der Polizei.«80 Die ersten beiden »Güter und Dienste«, Kapital und Gewalt, sind allen polizeilichen Ermittlungsergebnissen und Hochrechnungen zufolge reichlich vorhanden. Der Bundesnachrichten-
78 Ebd., S. 124 (Hervorhebung im Original). 79 Zitiert nach: Hans-Jürgen Schlamp: »Aus Killern werden Banker«, in: Der Spiegel, 22.11.99, Nr. 47, S. 217. 80 Pino Arlacchi: Mafiose Ethik und der Geist des Kapitalismus, S. 231.
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dienst (BND) spricht beispielsweise bei einer »vorsichtigen Schätzung« des weltweiten Umsatzes der organisierten Kriminalität von einem »dreistelligen Milliardenbetrag« pro Jahr.81 Auch wenn man einer solchen Hochrechnung eher skeptisch gegenübersteht, vermittelt die Größenordnung des interpolierten Wertes eine Orientierung, in welchem Umfang sich die wirtschaftliche Potenz transnational agierender krimineller Organisationen bewegt. Ein Ansatzpunkt, um einen Hebel anzusetzen, mit dem das reibungslose Gefüge der unternehmerischen Mafia aus den Angeln gehoben werden könnte, stellt somit die Abschöpfung dieser illegalen Kapitalakkumulation dar. Eine solche Abschöpfung wiederum ist nur möglich, wenn das dritte »Gut« bzw. der dritte »Dienst« dem mafiosen Unternehmen nicht mehr in ausreichendem Maße zur Verfügung steht: das Nicht-Handeln der Polizei. Oder, um es positiv zu formulieren: Die einzige Möglichkeit, der unternehmerischen Mafia Einhalt zu gebieten, besteht in dem Versuch der Durchsetzung staatlicher Ordnung gegenüber mafioser Ordnung. Der ehemalige Ermittlungsrichter Luciano Violante fasste diesen Gedanken bereits 1990 in folgende Worte: Was die Herren der unternehmerischen Mafia »auf keinen Fall hinnehmen können, ist eine effiziente Justiz, eine fähige Polizei, unkorrupte Politiker, funktionierende Institutionen. Kommen diese dennoch zustande, muss die Mafia das mit allen Mitteln, auch denen des Umsturzes, verhindern. Hier haben wir einen mächtigen qualitativen Sprung der Mafia gegenüber früher.«82 Profan gesprochen handelt es sich also schlicht um einen Manichäismus, um die Entscheidung für rechtmäßige Ordnungsstiftung durch den Staat gegen unrechtmäßige Ordnungsstiftung durch die Mafia. Es ist zugegebenermaßen das freilich Naheliegende, das am Ende dieser Analyse steht. Und auch wenn diese Erkenntnis auf den ersten Blick als Binsenweisheit erscheinen mag, zeigte sich ihr tragischer Wahrheitsgehalt spätestens im Frühsommer 1992, als die Mafia in schneller Folge die beiden wohl bestbewachten Staatsdiener Italiens mittels hochgradig professioneller Bombenattentate hinrichtete. Der staatsge-
81 Bundesnachrichtendienst: Internationale Organisierte Kriminalität, Veröffentlichung im Internet: www.bundesnachrichtendienst.de/ seiten/ok-bnd.htm (Stand: 14.12.01). 82 Werner Raith: »Interview mit Luciano Violante«, in: Ders.: Parasiten und Patrone, S. 129.
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MONOPOLE DER GEWALT
fährdende und in diesem Sinne politische Impetus der Cosa Nostra war in dieser Demonstration der Stärke deutlich zu Tage getreten – und zwar unabhängig davon, ob er von den Akteuren selbst bewusst in ihren Handlungen angelegt war. Um mit Carl Schmitt zu sprechen: »Jeder religiöse, moralische, ökonomische, ethnische oder andere Gegensatz verwandelt sich in einen politischen Gegensatz, wenn er stark genug ist, die Menschen nach Freund und Feind effektiv zu gruppieren.«83 Eben dies war mit blutiger Konsequenz geschehen.
83 Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen, S. 37.
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V. Ordnung und Gegenordnung
Die Mafia muss nicht um ihrer Werte Willen bekämpft werden, sondern wegen ihres Wesen an sich: Es kann in einer Gesellschaft keine zwei Rechtsstaaten geben. Giovanni Falcone
[Aus ders., Marcelle Padovani: Inside Mafia, München 1992, S. 137.]
V. ORDNUNG UND GEGENORDNUNG
1. Ein angegriffener Staat Mafia als »militärische Macht« »Wer zu einer ›Mafia-Familie‹ gehört, muss zu einem Mord imstande sein. Die Soldati führen den Mordbefehl gerne aus, weil das ihr Renommee erhöht und ihre Karriere fördert. Die besonders grausame Ausführung eines Mordes erfreut sich innerhalb der Cosa Nostra keiner besonderen Wertschätzung, dennoch wird ein Mann besonders geachtet, wenn ihn Blut nicht beeindruckt und er ruhig und kalt bleibt, während er jemanden tötet.«1 Mit diesen Worten beschreibt der Mafia-Aussteiger Antonino Calderone, welche Bedeutung Gewalt für die Mafia hat. Es ist ihr soziales Kapital, ihr Instrument zur Durchsetzung ihrer Interessen. Ein Phänomen, das auch Pino Arlacchi besonders betont, der von »militärischer Macht« spricht, »militärisch im Sinne eines überaus umfangreichen und spezialisierten Gebrauchs von Gewalt.«2 Diese militärische Macht richtet sich keineswegs ausschließlich gegen Vertreter des Staates. Statt einer »Frontlinie« existieren viele Frontlinien, die oft nur zeitlich befristet bestand haben. Denn die Cosa Nostra als Ganzes stellt kein homogenes Gefüge dar, sondern sollte eher als Feld illegaler Ökonomie begriffen werden, das strukturell ähnlich organisiert ist wie das Feld legaler Ökonomie: Eine grundsätzliche Konkurrenzsituation um knappe Güter ist die Basis aller Handlungen, Profitmaximierung der Antrieb der Akteure, und Absprachen sowie Kooperationen auf Zeit zwischen verschiedenen Akteurseinheiten sind durchaus übliche Instrumente der unternehmerischen Zielverwirklichung. Bei diesem illegalen Marktgeschehen tritt allerdings neben die Instrumente ökonomischer Macht das Instrument der gezielten Einsetzung physischer Gewalt. Mit anderen Worten heißt das, dass eine unternehmerische Mafia-Einheit (eine Familie, ein Clan) das Instrument der Gewalt in erster Linie zur Durchsetzung der eigenen »Familieninteressen« einsetzt, ganz gleich, ob sich die Gewalttat gegen einen Staatsvertreter oder eine andere unternehmerische Mafia-
1 Pino Arlacchi: Mafia von innen. Das Leben des Don Antonino Calderone, S. 236. 2 Werner Raith: »Interview mit Pino Arlacchi«, in: Ders.: Parasiten und Patrone, S. 53.
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Einheit richtet. Das vollkommen freie Spiel dieser gewaltsamen Kräfte wird dabei durch die Kommission (Cupola) kontrolliert.3 Verstöße gegen die Weisungen der Cupola werden streng sanktioniert – wer gegen den Willen der Kommission einen Mord begeht, kann damit seine Mafia-Familie in Widerspruch zur Gesamtheit aller anderen Mafia-Familien stellen, was zu einem Ausschluss oder gar zur physischen Ausschaltung der gesamten Familie führen kann. Insofern stellt die Einhegung der Gewalt eine der zentralen Aufgaben der Cupola dar. Dass die Cupola dieser Aufgabe nicht immer gerecht wurde, zeigt sich in Phasen der besonderen »Entladung von Gewalt«, den so genannten Mafia-Kriegen. In der Geschichte der Ersten italienischen Republik gab es in Palermo zwei große innermafiose Auseinandersetzungen. Den so genannten ersten Mafia-Krieg in den sechziger Jahren und den gewaltsamen Kampf des Clans der Corleoneser unter Toto Riina und Bernardo Provenzano um die Vorherrschaft innerhalb der sizilianischen Cosa Nostra in den siebziger und achtziger Jahren. Es liegt in der Natur der Sache, dass solche innermafiosen Kriege sich schnell zu Auseinandersetzungen zwischen Staat und Mafia transformieren. Denn innerhalb eines Mafia-Krieges tritt die ansonsten eher mit Bedacht dosierte und oft verdeckt angewendete Gewalt4 offen und massiv zu Tage und fordert damit das Eingreifen staatlicher Polizeikräfte heraus. Offene Schusswechsel auf den Straßen, Bombenattentate und das Auffinden von Leichen, all diese öffentlichen Manifestationen der Gewalt verunsichern die Bevölkerung und zwingen den Staat dazu, sein Monopol legitimer physischer Gewalt zu verteidigen. Auch wenn sich die Gewaltakte gemäß der Intention der kriminellen Akteure rein gegen andere Vertreter der organisierten Kriminalität richten, so wirken sie doch gleichsam als Herausforderung des staatlichen Gewaltmonopols. »Die politische Einheit ist höchste Einheit, nicht, weil sie allmächtig diktiert oder alle anderen Einheiten nivelliert, sondern weil sie entscheidet und innerhalb ihrer selbst alle anderen gegensätzlichen Gruppierungen daran hindern kann, sich zur extremen Feindschaft (d.h. bis zum Bür-
3 Vgl. dazu die Darstellung des Organisationsaufbaus der Cosa Nostra in einem vorherigen Kapitel. 4 Man denke beispielsweise an das »Verschwindenlassen« von Leichen, um möglichst wenig Aufsehen zu erregen.
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V. ORDNUNG UND GEGENORDNUNG
gerkrieg) zu dissoziieren«,5 umschreibt Carl Schmitt die moderner Staatlichkeit immanente Aufgabe, als übergeordneter Dritter jegliche gewaltsamen Auseinandersetzungen zweier Parteien – ob diese gegen den Staat gerichtet sind oder nicht – mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu beenden.
Der erste große Mafia-Krieg »Die Kuppel [Cupola, MLH] funktionierte so gut, dass ich mich nicht erinnern kann, dass irgendein Ehrenmann zwischen 1957 und Anfang 1963 umgebracht worden wäre«,6 beschreibt Tommaso Buscetta die Ruhe vor dem ersten großen Mafia-Krieg von Palermo. Doch der vordergründige Frieden täuschte über tatsächliche Entwicklungen hinweg: Unter der Oberfläche gärte es bereits, denn ein neues Geschäftsfeld mafiosen Unternehmertums hatte sich aufgetan und versprach gigantische Gewinnchancen. Der Rauschgifthandel, insbesondere die Herstellung und der Handel mit Heroin, verschaffte der Cosa Nostra neue und immens hohe Einnahmemöglichkeiten. »In Palermo zeigten sich die ersten krassen Symptome des Heroinfiebers Ende der fünfziger Jahre. Obwohl der Kodex der Mafia für Rauschgifthandel die Todesstrafe vorsah, waren Verstöße nun allgemein verbreitet und Strafen selten. (Tatsächlich wurde niemand bestraft.) ... Der Vorsitzende der Kuppel trieb es sogar am schlimmsten. Es gab keine Empörung in den Reihen der Mafia darüber, dass Cichiteddu Greco eines der angeblich strengsten Gesetze der Mafia brach. Die Moral kümmerte sie zuletzt, wenn es um Heroin ging«,7 schreibt Claire Sterling. Der Verlauf des folgenden Mafia-Kriegs liest sich wie ein antikes Drama: Zwei Fraktionen stehen sich gegenüber, die von einem dritten Intriganten gegeneinander ausgespielt werden. Gewalt und Gegengewalt schaukeln sich wechselseitig auf, bis die gestörte Ordnung durch die Ermordung des Intriganten wieder hergestellt wird. So zumindest der vereinfachte Ablauf, aus einer rein mafiaimmanenten Perspektive dargestellt. Die eine Fraktion kann dabei als »Establishment der Regierenden« bezeichnet werden
5 Carl Schmitt: »Staatsethik und pluralistischer Staat« (1930), S. 141. 6 Zitiert nach: Claire Sterling: Die Mafia, S. 100. 7 Claire Sterling: Die Mafia, S. 103.
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und gruppiert sich um den Vorsitzenden der Kuppel, Salvatore Cichiteddu Greco. Die andere Fraktion entspricht dem idealtypischen Widerpart der »jungen Wilden« und gruppiert sich um die aggressiven Aufsteiger Angelo und Salvatore La Barbera. Als Intrigant wirkt Michele Cavataio. Als die Barbera-Brüder sich Anfang 1963 in einem Streit mit Calcedonia di Pisa befanden, einem weiteren Mafia-Boss von Palermo und Vertreter der Greco-Fraktion, ließ der Intrigant Michele Cavataio ihn liquidieren – in der Hoffnung, dass der Verdacht auf die Barbera-Brüder falle, was tatsächlich geschah. Während eines hitzigen Treffens der lokalen Paten wurde die Familie der Barbera-Brüder aus der Kommission ausgeschlossen – und der erste Mafia-Krieg nahm seinen Lauf. Erstes prominentes Opfer wurde kurz darauf Salvatore La Barbera, den wiederum dessen Bruder Angelo zu rächen versuchte. »Während die Rivalen Cavataios einander systematisch dezimierten, gossen er und seine Männer kontinuierlich Öl ins Feuer, indem sie verdeckte Feuerüberfälle und Autobomben-Anschläge gegen beide Parteien inszenierten«,8 erläutert Alexander Stille Cavataios Taktik, die so lange zu funktionieren schien, bis eine Bombe zum falschen Zeitpunkt explodierte: Im Juni 1963 sollte der Vorsitzende der Kommission, Salvatore Greco, durch eine Autobombe aus 100 Kilogramm Dynamit liquidiert werden. Die Bombe zündete jedoch zum falschen Zeitpunkt und tötete statt des Mafia-Bosses sieben Polizeibeamte. »Die Bombe von Ciaculli ließ den ersten Mafiakrieg unvermittelt in den ersten Krieg gegen die Mafia umschlagen«,9 schreibt Stille. Tatsächlich war die Öffentlichkeit empört, und der italienische Staat reagierte mit bis dahin kaum bekannter Härte. 10.000 Polizisten und Carabinieri durchkämmten Palermo und seine Vororte, unterstützt von Hubschraubern, Fallschirmjägern und Panzerwagen. Unter dem Eindruck dieses Attentats nahm noch im Juli 1963 die erste parlamentarische Untersuchungskommission der Nachkriegszeit ihre Arbeit auf, nachdem deren Einsetzung zuvor immer wieder verzögert worden war.10
8 Alexander Stille: Die Richter, S. 110. 9 Ebd. 10 Vgl. zur Einsetzung und Arbeit der Untersuchungskommission die in einem folgenden Kapitel gemachten Ausführungen.
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Der Erfolg dieses Durchgreifens ließ nicht lange auf sich warten: Insgesamt wurden 1.903 Verhaftungen vorgenommen, massenhaft Waffen beschlagnahmt, mehrere Mafia-Bosse auf das italienische Festland verbannt – und der Untersuchungsrichter Cesare Terranova erhob innerhalb eines Verfahrens gleichzeitig gegen 114 hochrangige Mafia-Führer Anklage. Daraus entwickelte sich ein Gerichtsverfahren, dessen Ausmaß in der Geschichte des italienischen Staats bis zum damaligen Zeitpunkt einmalig gewesen war. »In Wirklichkeit war es ein Prozess gegen die Mafia selbst, weltweit der erste echte Antimafia-Prozess in den Annalen der Justiz«,11 schreibt Claire Sterling. Während einige hochrangige Justizbeamte und renommierte Sozialwissenschaftler noch darüber stritten, ob die Mafia als Organisation überhaupt existiere, schrieb Cesare Terranova in seiner Anklageschrift: »Die Mafia ist Unterdrückung, Arroganz, Zwang, Gier, Selbstbereicherung, Macht und Vorherrschaft über und gegen alle anderen. Sie ist kein abstrakter Begriff ... Sie ist eine Verbrecherorganisation, von ungeschriebenen, aber eisernen und unbeugsamen Regeln beherrscht, ... die ganz Italien verseucht ... mit Duldung und sogar passiver Förderung durch die staatlichen Organe ... Das Wissen, dass niemand wagen wird, ihn anzuklagen, dass verborgene und mächtige Einflussnehmer zu seinen Gunsten intervenieren werden, macht einen Mafioso hochfahrend und selbstsicher, trotzig und arrogant – solange er vom Gesetz nicht streng und gerecht angepackt wird.«12 Der Prozess musste auf dem italienischen Festland durchgeführt werden, weil auf Sizilien die Sicherheit der Prozessteilnehmer nicht in ausreichendem Maße gewährleistet werden konnte. Die Mafia schien empfindlich getroffen zu sein – einige der höchsten Paten standen vor Gericht, andere waren auf der Flucht. »Wie Falcone ... von Buscetta erfuhr, wurde die Kommission damals sogar aufgelöst, und die verbliebenen capi [Bosse, MLH] der Cosa Nostra kamen überein, alle Aktivitäten ruhen zu lassen, bis der staatliche Druck nachließ.«13 Doch der Erfolg dieser Anti-MafiaBemühungen war nur von kurzer Dauer. Nachdem die Mordanschläge aufgehört hatten, legte sich die öffentliche Empörung
11 Claire Sterling: Die Mafia, S. 152. 12 Zitiert nach: Ebd. 13 Alexander Stille: Die Richter, S. 110 (Hervorhebung im Original).
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recht schnell. Das von Richter Cesare Terranova angestrengte Gerichtsverfahren endete mit 104 Freisprüchen, fast alle MafiaFührer konnten als freie und »ehrenwerte« Männer den Gerichtssaal verlassen. Die Cosa Nostra schien damit den selbstgeschaffenen Mythos der Unantastbarkeit eindrucksvoll bestätigt zu haben. Am 10. Dezember 1969 endete der erste große Mafia-Krieg der italienischen Nachkriegsgeschichte mit der Ermordung Michele Cavataios, jenes Intriganten, der die Greco-Fraktion und die Barbera-Fraktion gegeneinander ausgespielt hatte und damit maßgeblich für den Ausbruch des Mafia-Kriegs verantwortlich war. Nach Angaben des Kronzeugen Buscetta markierte dieser Mord das Wiederaufleben der Cosa Nostra und die Neuerrichtung der klassischen Organisationsstruktur mit einer Kommission an der Spitze, die in der Folgezeit von einem Triumvirat geleitet wurde, das von Toto Riina, Stefano Bontate und Gaetano Badalamenti gebildet wurde.
Eine Krise des staatlichen Gewaltmonopols Die anbrechenden siebziger Jahre waren in Italien gewaltsame Zeiten. Politischer Terror von rechts und links erschütterte die Republik, mafiose Gewalt und Korruption zermürbten sie in weiten Teilen, und einige Vertreter hochrangiger Kreise arbeiteten an einem Staatsstreich – der letzten Endes zwar kläglich scheitern sollte, der jedoch die Fragilität der staatlichen Souveränität der damaligen italienischen Republik durchaus vor Augen zu führen vermag: In der Nacht vom 7. auf den 8. September 1970 versuchte eine kleine Schar rechtsextremer Gardisten unter der Führung des Armeegenerals Junio Valerio Borghese mittels eines Putschversuchs die Macht an sich zu reißen. Borghese entstammte einem alten Adelsgeschlecht, war im Zweiten Weltkrieg U-Boot-Kommandant gewesen und hatte 1968 die neofaschistische Fronte Nazionale gegründet, die während des Putsches als tragende Organisation fungieren sollte. Doch der »Staatsstreich« dauerte nur wenige Stunden. Vor dem Innenministerium und dem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender RAI hatten die Putschisten Panzer in Stellung gebracht, und einige der Gardisten waren sogar bereits in das Gebäude des Innenministeriums eingedrungen, als der versuchte Staatsstreich ohne nennenswerte Gewaltaktion abgebrochen wur142
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de. Über die tatsächlichen Gründe für diesen plötzlichen Rückzug wird bis heute spekuliert. Fürst Borghese entzog sich dem staatlichen Zugriff und setzte sich in das faschistische Spanien Francos ab, wo er 1974 unter bislang ungeklärten Umständen ums Leben kam.14 Was viele Jahre lang als »Stück aus der komischen Oper« belächelt wurde, erhielt durch die Geständnisse Tommaso Buscettas eine zusätzliche Facette: »Wir ... erfuhren, dass Fürst Junio Valerio Borghese einen antikommunistischen Staatsstreich organisierte ... Fürst Borghese wünschte sich von der Cosa Nostra bewaffnete Unterstützung auf Sizilien, für den Fall, dass dort Widerstand geleistet würde, den man niederschlagen müsse ... Außerdem waren auch bestimmte Gruppen in den regierenden Parteien und in anderen Institutionen bereit, Unterstützung zu gewähren«,15 gab Buscetta zu Protokoll. Und Antonino Calderone ergänzte einige Jahre später: »Alles in allem ging es darum, bei einem Militärputsch mitzumachen, der sich von Rom aus über das ganze Land ausbreiten sollte ... Man diskutierte lange. Die Meinungen gingen auseinander ... Die Gegenleistung der Putschisten für die Mafia sollte in der Revision einer Anzahl bereits abgeschlossener Prozesse bestehen ... Doch es herrschte viel Misstrauen: Schließlich waren die Putschisten Faschisten, und vorher hatte es die Sache mit Mussolinis Präfekten Mori gegeben.«16 Calderone erläutert auch, weshalb der »operettenhafte« Putsch scheiterte: »Später haben wir erfahren, dass ein Carabinieri-General aus Neapel im letzten Augenblick aus dem Projekt ausgestiegen war. Wir selbst hatten, wie schon angedeutet, stets große Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Angelegenheit.«17 Auch wenn an der operativen Durchführbarkeit des Putschversuchs von Fürst Borghese Zweifel angebracht sein dürften, und auch wenn seine dilettantische Durchführung eine eigene Komik entwickelt haben mochte, sollte dies jedoch nicht über die grundsätzliche Ernsthaftigkeit der Situation hinwegtäuschen. Umsturz14 Vgl. dazu beispielsweise: Regine Igel: Andreotti. Politik zwischen Geheimdienst und Mafia, S. 122f. 15 Protokoll der Vernehmung Tommaso Buscettas, zitiert nach: Alexander Stille: Die Richter, S. 158. 16 Pino Arlacch: Mafia von innen. Das Leben des Don Antonino Calderone, S. 110. 17 Ebd., S. 110f.
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gedanken waren vor und nach diesem versuchten Staatsstreich das zentrale Motiv zahlreicher rechtsgerichteter Bombenattentate in Italien: Am 12. Dezember 1969 tötete eine Bombe 16 Menschen und verletzte 88 Personen. Am 22. Juli 1970 tötete eine Bombe sieben Menschen und verletzte 50 weitere Personen. Am 17. Mai 1973 tötete eine Bombe vier Menschen und verletzte 52 weitere Menschen. Am 28. Mai 1974 tötete eine Bombe acht Menschen und verletzte 94 weitere Personen. Diese Liste könnte um viele weitere Attentate verlängert werden – und würde doch nur eines verdeutlichen: eine tiefgehende Schwäche des staatlichen Gewaltmonopols. Neben diese Krise des Gewaltmonopols trat in den siebziger Jahren eine Schwächung der Legitimationsbasis staatlichen Handelns. Korruptions- und Konspirationsvorwürfe gegen Vertreter der staatlichen Administration erzeugten ein Klima des Misstrauens, das sich insbesondere gegen hochrangige Vertreter des Staates richtete. Pier Paolo Pasolini packte dieses Misstrauen in prosaische Worte, die er am 14. November 1974 im Corriere della sera veröffentlichte: »Ich weiß. Ich kenne die Namen der Verantwortlichen von dem, was Putsch genannt wird ... Ich kenne die Namen derjenigen, die zwischen zwei Messen die Anweisungen gegeben haben, und alten Generälen, jungen Neofaschisten und Neonazis und gewöhnlichen Kriminellen bis heute und vielleicht für immer politische Deckung zugesichert haben. Ich kenne die Namen der ernsthaften und gewichtigen Personen, die hinter all dem stehen ... Ich kenne all diese Namen und kenne alle Tatsachen (Anschläge auf Institutionen, Blutbäder), deren sie sich schuldig gemacht haben. Doch ich habe keine Beweise.«18 Bei einem in diesem Sinne zweifach geschwächten Staat, verwundert es kaum, dass die Gewalt auf den Straßen in den siebziger Jahren massiv zunahm. Die Staatsmacht schien nicht in der Lage zu sein, das ihm zustehende Gewaltmonopol in ausreichendem Maße durchzusetzen. Arlacchi schreibt über die vermeintlich zugrundeliegenden Ursachen: »Der im Verlauf einer bestimmten Zeit erfolgte Verlust des territorialen staatlichen Gewaltmonopols ist gewiss sowohl Ursache als auch die Folge nicht nur der wachsenden Macht der Mafia in der Ökonomie und in der Politik, son18 Zitiert nach: Regine Igel: Andreotti. Politik zwischen Geheimdienst und Mafia, S. 108f.
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dern auch derjenigen anderer gefährlicher Konkurrenten und Gegner eines solchen Monopols, wie der terroristischer Gruppen und der organisierten nationalen und internationalen Kriminalität.«19 Aus diesen Erkenntnissen zieht er den Schluss: »Die Krise des staatlichen Gewaltmonopols wirkt als Multiplikator der Macht der Mafiosi, da sie ihnen ermöglicht, das ganze Repertoire an unterdrückerischen und gewaltsamen Heldentaten ... zum Zweck der Akkumulation ... einzusetzen.«20
Der zweite große Mafia-Krieg Die Cosa Nostra, die in den siebziger Jahren diese Krise des staatlichen Gewaltmonopols zur Steigerung der eigenen Macht benutzte, war eine kriminelle Organisation, die zunächst, wie bereits erwähnt, von Gaetano Badalamenti, Stefano Bontate und Toto Riina geleitet wurde. Unter deren Regentschaft vertieften sich die Geschäftsbeziehungen zwischen der sizilianischen und der amerikanischen Cosa Nostra und erhöhte sich das Volumen an Rauschgift, das über den Atlantik geschmuggelt wurde in exorbitanter Weise. »Ende der siebziger Jahre schickten sizilianische Rauschgifthändler etwa eine Milliarde Dollar jährlich von Amerika über die Schweiz, Liechtenstein, London, Caracas und die Caymaninseln nach Palermo«,21 schreibt Claire Sterling und führt weiter aus: »Die Mafia schwamm in Geld und war trunken vor Gier. Die Bestialität, mit der der Kampf um ein sagenhaftes Imperium geführt wurde, entsprach dem, was auf dem Spiel stand.«22 Drahtzieher jenes Machtkampfes, der schließlich in den zweiten großen Mafia-Krieg auf Sizilien mündete, sollen die Corleoneser um Toto Riina gewesen sein. Und auch wenn die ansonsten sehr gründlich recherchierende Journalistin Claire Sterling angibt, dass der zweite Mafia-Krieg im März 1981 »ausgebrochen« sei,23 so ist doch die Version Tommaso Buscettas plausibler, der eine langsame, sich über Jahre hinziehende Entwicklung konstatiert, die schließlich in den zweiten Mafia-Krieg mündete: »Schon damals [Mitte der 70er Jahre] verfolgten die Corleoneser den außer19 20 21 22 23
Pino Arlacchi: Mafiose Ethik und der Geist des Kapitalismus, S. 92f. Ebd., S. 93. Claire Sterling: Die Mafia, S. 201. Ebd., S. 217. Ebd.
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ordentlich raffinierten Plan, Stefano Bontate schrittweise zu isolieren, um ihn am Ende ausschalten zu können, ohne negative Folgen befürchten zu müssen.«24 Buscetta zufolge gelang es den Corleonesern zunächst, Gaetano Badalamenti zu isolieren und aus der Kommission auszuschließen. Badalamenti soll auf eigene Rechnung in den Drogenhandel eingestiegen sein, ohne die anderen Bosse davon zu unterrichten, was als Vergehen gegen die Gesetze der Cosa Nostra gewertet wurde. Der Mafia-Aussteiger Calderone gab dazu zu Protokoll: »Gaetano Badalamenti hätte zumindest die Leute seines Ranges wissen lassen müssen, dass er in den Drogenhandel eingestiegen war ... Außerdem hätte er nach den Regeln der Höflichkeit andere ›Familien‹-Oberhäupter einladen müssen, Mitgesellschafter zu werden. Doch er hatte es nicht getan. Und nun? ... Riina jedenfalls rächte sich unverzüglich, kaum hatte er von Badalamentis Drogengeschäften erfahren. Auch er begann mit dem Rauschgifthandel ... Daraus entstand der zweite große Mafiakrieg.«25 Badalamenti wurde 1978 wegen seines Fehlverhaltens aus der Kommission und der gesamten Cosa Nostra ausgeschlossen, wobei die Corleoneser darauf achteten, dass sie nicht als Drahtzieher dieser Aktion in Erscheinung traten. Aus diesem Grund trugen sie Michele Greco, genannt der »Papst«, den Vorsitz der Kommission an, statt diesen für die eigene »Familie« zu reklamieren. »Michele Greco war aufgrund seines ausgleichenden und schwachen Naturells der perfekte Kandidat für den Kommissionsvorsitz, insofern als er den Zielen Riinas nicht im Weg stand«,26 kommentierte Buscetta. Während Michele Greco versuchte, die Kommission zusammenzuhalten, versetzte Toto Riina den anderen Mafia-Sippen immer wieder Nadelstiche. Im Frühjahr 1981 eskalierte schließlich die Gewalt, als Stefano Bontate auf offener Straße durch Schüsse aus einer Maschinenpistole niedergestreckt wurde. Etliche Mitglieder der Bontate-Familie »verschwanden« in den darauf folgenden Wochen. Am 11. Mai 1981 wurde der Mafia-Boss Salvatore Inzerillo ermordet. Und 24 Protokoll der Vernehmung Tommaso Buscettas, zitiert nach: Alexander Stille: Die Richter, S. 113. 25 Pino Arlacch: Mafia von innen. Das Leben des Don Antonino Calderone, S. 117-119. 26 Protokoll der Vernehmung Tommaso Buscettas, zitiert nach: Alexander Stille: Die Richter, S. 115.
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auch in diesem Fall »verschwanden« kurz darauf sein Sohn, sein Bruder und mehrere ranghohe Mitglieder seiner Sippe. Darüber hinaus wurden zahlreiche Verwandte des Ausgestoßenen Gaetano Badalamenti umgebracht. »In den letzten Monaten des Jahres 1981 und den ersten Monaten von 1982 geschah in Palermo durchschnittlich alle drei Tage ein Mafiamord«, rechnet Alexander Stille vor und führt weiter aus: »Was hier ablief, war ein Ausrottungsfeldzug im großen Stil: Verwandte wurden ebenso umgebracht wie Freunde von Freunden; um jedes am Leben gebliebene Mitglied einer Sippe, das potenziell eine Gefahr darstellen konnte, versuchte man eine Zone verbrannter Erde zu schaffen.«27 Mit kaltblütiger Grausamkeit räumten die Corleoneser ihre innermafiosen Konkurrenten aus dem Weg. Ein Umstand, der zur zentralen Machtstellung der Corleoneser innerhalb der Cosa Nostra führte, die in den achtziger Jahren auch für die staatlichen Verfolgungsbehörden offensichtlich wurde. Im Dezember 1986 schrieb der Anti-Mafia-Hochkommissar Ricardo Bocca in seinem Bericht an den Innenminister: »Die Corleonesi sind der einheitliche Bezugspunkt für alle entstehenden Gruppen, die in den verschiedenen sizilianischen Provinzen tätig sind. Die Gruppen in jeder Einflusszone sind lokale Beauftragte der Vertreter der Corleonesi, besonders in Bezug auf den Drogenhandel.«28 An der Spitze der Sippe der Corleoneser standen drei Männer: Luciano Leggio, Salvatore »Toto« Riina und Bernardo Provenzano. Luciano Leggio, obwohl seit 1974 in Haft, galt als Kopf der Corleoneser, der über seine Getreuen Toto Riina und Bernardo Provenzano die Cosa Nostra aus dem Gefängnis heraus gesteuert haben soll. Leggio, 1925 als zehntes Kind einer ärmlichen Bauernfamilie geboren, veranschaulicht durch seine Biografie in exemplarischer Weise die vertikale soziale Durchlässigkeit, die die Mafia als »Versprechen der Möglichkeit des sozialen Aufstiegs« für benachteiligte Bevölkerungsschichten in besonderem Maße anziehend macht. Leggios soziale Ausgangslage war miserabel, es stand ihm weder ökonomisches noch kulturelles Kapital zur Ver-
27 Alexander Stille: Die Richter, S. 67. 28 Der Bericht des Hochkommissars Ricardo Bocca an den Innenminister, veröffentlicht in Cronache Parlamentari Siciliane im Dezember 1986, hier zitiert nach: Claire Sterling: Die Mafia, S. 229.
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fügung. Nach nur vier Jahren Volksschule verließ er die Schule, ohne richtig lesen oder schreiben gelernt zu haben. Neben diese grundlegenden Bildungsmängel trat eine tuberkulöse Wirbelentzündung, die ihn schwer zeichnete und von früher Jugend an zwang, ein hölzernes Stützkorsett zu tragen. Allen Berichten zufolge handelte es sich bei Leggio um einen sozial und körperlich benachteiligten Jungen, dessen soziale Aufstiegschancen als äußerst gering eingeschätzt wurden. Im Alter von 19 Jahren verübte er seinen ersten Mord und soll kurz darauf offiziell in die Cosa Nostra aufgenommen worden sei. Danach ging nachweislich alles recht schnell: Bereits ein Jahr darauf war aus dem Tagelöhner ein Gutsherr geworden, der eine herrschaftliche Villa besaß, und schon mit Ende zwanzig galt er als eine der einflussreichsten Persönlichkeiten seiner Heimatstadt Corleone. Nach mehreren Anklagen und Gerichtsverhandlungen verschwand er 1974 endgültig hinter Gefängnismauern, woraufhin er über seine so genannten »Prokonsuln« Riina und Provenzano regiert haben soll. Toto Riina gilt als besonders skrupelloser und gefährlicher Mafioso, was ihm den Beinamen »die Bestie« eingebracht hat. Fabrizio Calvi bezeichnet ihn als »Staatsfeind Nummer 1« der achtziger und frühen neunziger Jahre.29 »Man hält ihn für den grausamen Auftraggeber Hunderter von Verbrechen«, schreibt der Journalist Saverio Lodato. »Ein Großteil der pentiti, der reuigen und aussagebereiten Mafiosi, hat ihn als den unbestrittenen ›Despoten‹ bezeichnet, der die Vorherrschaft seines Familienclans, der Corleoneser, durchgesetzt hat, indem er eine beeindruckende militärische Macht entfaltete und die Macht der Korruption geschickt nutzte.«30 Riina gilt zudem als Auftraggeber der Attentate auf Giovanni Falcone und Paolo Borsellino. Am 15. Januar 1993 wurde er in Palermo festgenommen und verbüßt seither eine lebenslange Haftstrafe.31 29 Fabrizio Calvi: Jenseits von Palermo. Gehört Europa der Mafia?, München 1993, S. 36. 30 Antonino Caponnetto, Saverio Lodato: Die Antimafia. Wie dem organisierten Verbrechen der Prozess gemacht werden kann, München 1993, S. 10. 31 Vgl. zu neueren Entwicklungen im Fall Riina: Martin Ludwig Hofmann: »Gnade für ›die Bestie‹? Zwischen Kriegserklärung, Ausnahmezustand und Waffenstillstand: Führt der italienische Staat Geheimverhandlungen mit der Mafia?«, in: Badische Zeitung, 24.2.01,
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Das dritte Führungsmitglied der Corleoneser gilt bis heute als Phantom. Das letzte Foto von Bernardo Provenzano ist 39 Jahre alt – die staatlichen Verfolgungsbehörden können nur erahnen, wie Provenzano inzwischen aussehen mag. »Eine Task-Force mit 300 Leuten jagt ihn seit vielen Jahren. Immer wieder waren die Ermittler ihm, wie sie glaubten, ganz nahe gekommen – er entwischte ihnen jedes Mal«,32 schreibt Hans-Jürgen Schlamp. Provenzano ist damit der letzte des einstigen Führungstrios der Corleoneser, der noch auf freiem Fuß ist.
Direkte Angriffe gegen den Staat »Der letzte große Mafia-Krieg wurde von zwei Allianzen 19811983 geführt ... Aus diesem Krieg, der allein 1982 über 300 Tote und 150 Vermisste kostete, gingen ... die Corleonesi als dominierende Kraft hervor ... Überhaupt heißt Monopol hier natürlich immer nur: andere Mafiosi ausschließend. Der Staat bleibt als dauerhafter Konkurrent stets weiter auf dem Feld«,33 schreibt Henner Hess und macht damit die grundsätzlich antagonistische Rollenverteilung zwischen Staat und Cosa Nostra deutlich. Eine Rollenverteilung, die sich während und im Gefolge des zweiten Mafia-Krieges in eine gewaltsame und blutige Auseinandersetzung transformieren sollte. Die Cosa Nostra begann, offen den Staat herauszufordern, indem sie in schneller Folge mehrere hochrangige staatliche Vertreter ermordete, sobald diese ihr gefährlich zu werden drohten. Am 21. Juli 1979 wurde Boris Giuliano erschossen, der Leiter der AntiMafia-Brigade Palermos. Zwei Monate danach, am 25. September 1979, fiel Richter Cesare Terranova einem Attentat zum Opfer. Terranova war zu diesem Zeitpunkt im Begriff gewesen, den Vorsitz der Anti-Mafia-Kommission im Justizpalast Palermos zu übernehmen. Am 6. Januar 1980 wurde der Präsident der Region S. I-II (Magazin); sowie: Martin Ludwig Hofmann: »Gesellschafter für ›die Bestie‹. Italien lockert die Haftbedingungen für Mafiaboss Riina«, in: Badische Zeitung, 15.3.01, S. 3. 32 Hans-Jürgen Schlamp: »›Aus Killern werden Banker.‹ Ein Verdacht geht um in Sizilien: Sind die gefeierten Erfolge des Staates im Kampf gegen die Mafia nur schöner Schein?«, in: Der Spiegel, 22.11.1999, S. 219. 33 Henner Hess: Mafia. Ursprung, Macht und Mythos, S. 201.
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Sizilien Piersanti Matarella ermordet. Am 3. Mai 1980 fiel der Carabinieri-Hauptmann Emanuele Basile einem Anschlag zum Opfer. Basile hatte die Ermittlungsaufgaben des ermordeten Boris Giuliano übernommen und dessen Untersuchungen im Bereich des großangelegten Drogenhandels weitergeführt. Am 6. August 1980 fiel Gaetano Costa, der Oberstaatsanwalt des palermitanischen Gerichts, einem Attentat zum Opfer. Am 10. September 1981 wurde Polizeimeister Vito Jevolella in Palermo ermordet.34 Die Liste der excellent cadavers, der so genannten »hoch angesehenen Leichen«, wurde immer länger. Am 3. April 1982 schließlich wurde der Vorsitzende der kommunistischen Partei auf Sizilien und bekannte Mafia-Kritiker Pio La Torre erschossen. La Torre war Parlamentsabgeordneter und Urheber eines weit reichenden Gesetzentwurfs gegen die Mafia gewesen. Kurz vor diesem Aufsehen erregenden Mord hatte die italienische Regierung dem landesweit geachteten Carabinieri-General Carlo Alberto dalla Chiesa das Amt des Präfekten der Provinz Palermo angetragen. Ein Schritt mit großer Symbolwirkung, der – so schien es – durch ein Verbrechen mit großer Symbolwirkung beantwortet werden sollte. An seinem ersten Arbeitstag als Präfekt von Palermo musste dalla Chiesa dem Begräbnis von Pio La Torre beiwohnen. General dalla Chiesa galt in weiten, vor allem politisch konservativen Teilen der italienischen Republik als eine Art Nationalheld. Die maßgeblich unter seiner Leitung in den 1970er Jahren errungenen Erfolge im Kampf gegen den Links-Terrorismus hatten ihn bereits zu Lebzeiten zu einer Legende in Polizeikreisen gemacht. Die weitgehende Zerschlagung der Roten Brigaden wurde ihm als persönliche Leistung angerechnet. Als mit Sondervollmachten ausgestatteter Leiter des anti-terroristischen Kampfes war er darüber hinaus maßgeblich an mehreren Anti-TerrorGesetzen beteiligt gewesen, die teilweise massive Einschränkungen von Freiheitsrechten mit sich brachten: verstärkte administrative Überwachung der Bevölkerung, Präventivhaft oder unbefristete Untersuchungshaft bei dem Verdacht auf Bildung krimineller
34 Die Liste der politischen Morde folgt im Wesentlichen: Fabrizio Calvi: Jenseits von Palermo, S. 285-287.
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Vereinigungen beispielsweise.35 Dalla Chiesa wurde von Teilen der Bevölkerung verehrt, von Teilen hoch geachtet, wieder von anderen gefürchtet und von einigen sicher auch gehasst. In allen diesen Fällen fungierte er jedoch als Sinnbild eines Vertreters des starken Staats – freilich mit jeweils verschiedenen Konnotationen. Als in den letzten Monaten des Jahres 1981 und den ersten Monaten des Jahres 1982 die immer länger werdende Liste der MafiaOpfer den Staat zum Handeln zwang, versuchte Ministerpräsident Giovanni Spadolini mit der Ernennung des Generals zum Präfekten von Palermo die Entschlossenheit des staatlichen Vorgehens zu verdeutlichen. Dalla Chiesa machte seine Zustimmung allerdings von der Erteilung einiger Sondervollmachten abhängig, die ihn nach seiner Einschätzung überhaupt erst in die Lage versetzen sollten, massiv gegen die Mafia vorgehen zu können.36 Die Regierung hatte kaum Verhandlungsspielraum und sicherte dalla Chiesa einen Großteil der geforderten Vollmachten zu. »Als Präfekt von Palermo war der General der oberste Abgesandte des Staates. Das Kabinett hatte dafür gestimmt, ihm unfassende Vollmachten zu geben, um ›den Kampf gegen die Mafia auf nationaler und lokaler Ebene zu koordinieren‹, weil er ohne diese den Auftrag abgelehnt hätte«, schreibt Claire Sterling und führt weiter aus: »Er wollte, dass diese Vollmachten ›verkündet und schriftlich gefasst‹ würden, schrieb er vor seiner Abfahrt an den Premierminister, ›weil die Erfahrung gezeigt hat, dass jedes Versprechen vergessen wird, jede Garantie sich auflöst und alles erstickt wird, sobald gewisse Interessen berührt werden‹. In Wirklichkeit aber wurde das Versprechen vergessen und wurden die Vollmachten, über die das Kabinett abgestimmt hatte, nie schriftlich gefasst. Dass sie vorenthalten wurden, war genau die Botschaft aus dem Palazzo, auf die die Sizilianer achteten.«37 Anfang Mai 1982 hatte dalla Chiesa das Amt des Präfekten von Palermo angetreten. Er notierte damals in sein Tagebuch: »Wieder einmal bin ich drauf und dran, zum Instrument einer Po35 Vgl. dazu: Peter Müller: Die politische Macht der Mafia, S. 274. Oder auch: Werner Raith: Die ehrenwerte Firma. Der Weg der italienischen Mafia vom »Paten« zur Industrie, Berlin 1983, S. 143. 36 Vgl. zu den geforderten Vollmachten: Peter Müller: Die politische Macht der Mafia, S. 273. 37 Claire Sterling: Die Mafia, S. 240.
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litik gemacht zu werden, die Schlupflöcher in jede Richtung lässt.«38 Und in der Tat verschoben sich innerhalb weniger Wochen die politischen Koordinaten, unter denen er das Amt angetreten hatte. Auch in der öffentlichen Meinung änderte sich die Grundstimmung: In den Medien nahmen die kritischen Stimmen massiv zu und selbst hochrangige konservative Politiker begannen, sich abfällig über den Carabinieri-General zu äußern. Der christdemokratische Bürgermeister von Palermo, Nello Martellucci, sprach sich beispielsweise in einem Interview gegen dalla Chiesa aus und warnte vor der »Kriminalisierung einer Region und einer Stadt, die vielmehr den Respekt einfordern, der ihnen zusteht«.39 In manchen Beiträgen wurden gar Parallelen zwischen General dalla Chiesa und dem faschistischen Präfekten Cesare Mori gezogen. Nando dalla Chiesa, der Sohn des Carabinieri-Generals, der heute als Professor für Soziologie in Mailand lehrt und sich auch in seiner akademischen Arbeit mit dem Problemkreis der Mafia beschäftigt, analysiert die damalige Verschiebung innerhalb der öffentlichen (oder veröffentlichten) Meinung anhand der beiden idealtypischen und für die öffentliche Meinung besonders relevanten Gruppen der »Intellektuellen« und der »Politiker«: »Als mein Vater die großen Terrorgruppen – Rote Brigaden und Prima linea – zerschlug, spendeten die Politiker einhellig Beifall, die Intellektuellen zogen dagegen alle Register gegen ihn. Der Grund für beider Verhalten entsprang ein und derselben Denkweise: Die Politiker fühlten sich ... erstmals persönlich gefährdet ... [die Intellektuellen] fühlten sich andererseits ... überwiegend sicher vor Attentaten der Brigaden – sahen sich aber von den Politikern angegriffen, die ihnen geistige Wegbereitung des Terrorismus vorwarfen, bekamen Angst vor Verfolgung, sahen nun in meinem Vater ausschließlich einen Handlanger der Mächtigen.«40 Beim AntiMafia-Kampf sei eine völlig neue Situation entstanden, so Nando dalla Chiesa, denn »nun stand er [General dalla Chiesa, MLH] plötzlich nicht mehr im Konflikt mit Gruppen, die sich wie die Terroristen außerhalb dieses Staats gestellt hatten und ihn dann
38 Zitiert nach: Alexander Stille: Die Richter, S. 75. 39 Zitiert nach: Ebd., S. 76. 40 Werner Raith: »Interview mit Nando dalla Chiesa«, in: Ders.: Parasiten und Patrone, S. 243f.
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von ›draußen‹ bekämpften – nun hatte er es mit Zirkeln zu tun, die sich selbst unmittelbar mit dem Staat identifizierten ... Er kämpfte jetzt plötzlich gegen Amtsträger und demokratisch an die Macht gekommene, aber gleichwohl kriminelle oder in kriminelle Machenschaften verwickelte Gruppen«.41 Diese Verschiebung hätten die Intellektuellen allerdings nicht wahrgenommen: »Dalla Chiesa blieb für die Intellektuellen weiter der Knecht der Mächtigen.«42 Auch wenn diese Analyse reduktionistische Züge trägt und von der Emotionalität persönlicher Betroffenheit gekennzeichnet ist, so macht sie doch zwei Aspekte deutlich: Erstens verweist Nando dalla Chiesa auf die oben bereits hergeleitete problematische Positionierung der Cosa Nostra in Bezug zu ihrem Verhältnis zum Staat. In der Person des Carabinieri-Generals dalla Chiesa kann dieses Problem symbolhaft gefasst werden. Vereinfacht formuliert lässt es sich folgendermaßen begreifen: Als dalla Chiesa den Terror bekämpfte, positionierte er sich im Staat und attackierte eine Gruppe, die sich selbst außerhalb des Staates begriff. Als er gegen die Cosa Nostra vorging, fühlte er sich zwar immer noch als im Staat befindlich (in dessen Auftrag er agierte), trat jedoch gegen eine Gruppe an, die sich zumindest zum Teil ebenfalls subjektiv im Staat positioniert fühlte und teilweise vielleicht sogar qua politischer Klientel objektiv im Staat positioniert war. Die Folgen dieser problematischen Positionierung der beiden gegnerischen Lager führten zu einem Wegfall zuvor vorhandener Solidaritätsbeziehungen. »Die Politiker«, um in den holzschnittartigen Kategorien Nando dalla Chiesas zu sprechen, wendeten sich von dem polizeilichen Vertreter des Staates ab. Auf der anderen Seite hatten »die Intellektuellen« weiterhin massive Vorbehalte gegen einen rechtsstaatlich fragwürdigen Superpolizisten, weshalb sich keine neuen Solidaritätsbeziehungen entwickelten. Am Ende fand sich General dalla Chiesa weitgehend ohne Unterstützung wieder. Dieser erste Aspekt führt direkt zum zweiten: »In Sizilien zielt die Mafia auf die Diener des Staates, die der Staat nicht zu schützen in der Lage ist.«43 Diese Worte Giovanni Falcones, die auf den ersten Blick tautologisch klingen mögen, machen deutlich, dass
41 Ebd., S. 244. 42 Ebd., S. 245. 43 Giovanni Falcone, Marcelle Padovani: Inside Mafia, S. 163.
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die Cosa Nostra in der Regel versucht, einen geeigneten Moment für ein politisch brisantes Attentat abzuwarten. Carlo Alberto dalla Chiesa selbst hat in einem Interview öffentlich auf diesen Sachverhalt hingewiesen: »Ich habe diese neue Erscheinung genau untersucht: Die Mafia, die die Mächtigen mordet, die auf die Herren des Palazzos zielt. Ich glaube, ich habe die neuen Spielregeln begriffen: Der Mächtige wird getötet, wenn sich eine fatale Kombination ergibt, wenn er zu gefährlich geworden ist, aber ermordet werden kann, weil er allein steht.«44 Vier Wochen nach Veröffentlichung dieses Interviews, am Abend des 3. September 1982 wurden General Carlo Alberto dalla Chiesa, seine Frau Emanuela Setti Carrara-dalla Chiesa und der Eskortenpolizist Domenico Russo auf offener Straße erschossen.45 Ein Symbol der Stärke war gefallen – und Nando dalla Chiesa, der Sohn des Ermordeten, ließ in der Zeitung La Repubblica verlautbaren: »Sucht die Auftraggeber in der DC.«46 Eine Welle der Empörung schwappte über das Land. »Dalla Chiesa erschien vielen als Symbol des funktionierenden Teils des Staates, als Hoffnung für Sicherheit und Moral. Durch seine Ermordung fühlte sich plötzlich ein Großteil des indifferenten Italiens betroffen und bedroht«,47 schreibt Peter Fritzsche. Und der Aufschrei dieses wach gerüttelten Teils der Bevölkerung ließ auch das Parlament in ungewohnter Geschwindigkeit einige weit reichende Gesetzesvorhaben verabschieden. Der Staat schien plötzlich mit Nachdruck daran zu arbeiten, seinen Anspruch der Aufrechterhaltung der legitimen Ordnung gegen die permanenten Angriffe einer illegitimen Ordnung durchsetzen zu wollen.
44 Zitiert nach: Claire Sterling: Die Mafia, S. 243. 45 Vgl. zum Ablauf des Attentats die Darstellung in der Anklageschrift des Maxi-Prozesses, nachgedruckt in: Werner Raith: Parasiten und Patrone, S. 197-203. 46 Zitiert nach: Peter Müller: Die politische Macht der Mafia, S. 276. Vgl. auch: Vincenzo Delle Donne: Falcone. Die Biografie, S. 79: »Erstmalig wurde die Vermutung laut, dass es sich bei der Ermordung dalla Chiesas um ein ›politisches Attentat‹ handle ... Nando dalla Chiesa war sich sicher, dass die Drahtzieher des Mordes an seinem Vater bei den sizilianischen Christdemokraten zu suchen seien.« 47 Peter Fritzsche: Die politische Kultur Italiens, Frankfurt/M. u.a. 1987, S. 251f.
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2. Verteidigung der legitimen Ordnung Anti-Mafia-Gesetz und Hochkommissariat Mit General Carlo Alberto dalla Chiesa wurde ein Symbol zu Grabe getragen. »Hier ruht die Hoffnung ehrlicher Palermitani«,48 stand auf einem Beileidsschreiben, das mitsamt einem Blumengebinde am Ort des Attentats niedergelegt worden war. Und wahrscheinlich fasste der anonyme Trauernde tatsächlich die Gefühlslage eines großen Teils der Bevölkerung zusammen, die auch die Verantwortlichen in der Politik ergriffen zu haben schien. Schon zehn Tage nach dem Attentat hatte ein neues AntiMafia-Gesetz sowohl die Abgeordnetenkammer als auch den Senat passiert. Das so genannte Rognoni-La-Torre-Gesetz – benannt nach dem ermordeten kommunistischen Parlamentsabgeordneten Pio La Torre, der zuvor jahrelang für das Gesetz gestritten hatte, und dem christdemokratischen Innenminister Virginio Rognoni, der das Gesetz durch das Parlament brachte – definierte eine Reihe von neuen Straftatbeständen, die den Kampf gegen die Mafia erleichtern sollte. Vor allem schuf es eine juristische Definition der kriminellen Vereinigung mafiosen Typs – und, was jahrelang zuvor heftig umstritten war: Es erklärte alleine schon die Mitgliedschaft in solch einer kriminellen Vereinigung zum Straftatbestand, unabhängig von weiteren Delikten, die jeweils individuell nachgewiesen werden mussten. Weitere weit reichende Neuerungen des Rognoni-La-TorreGesetzes waren unter anderem eine Vermögenskontrolle derjenigen, die der Mitgliedschaft in der Mafia verdächtigt wurden, und eine Beschlagnahme des Vermögens, wenn nicht nachgewiesen werden konnte, dass das Vermögen auf legale Weise erworben wurde. Hinzu kamen erste behutsame Ansätze eines Zeugenschutzes, der die »Abschöpfung« aussteigewilliger Mafiosi erleichtern sollte. So wurde beispielsweise festgeschrieben, dass Zeugen in Mafia-Prozessen unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen werden können. Neben diesem Gesetz wurde innerhalb weniger Tage ein weiterer schneller Schritt im Kampf gegen die Mafia getan: Es wurde ein Anti-Mafia-Hochkommissariat geschaffen, das mit einigen der 48 Zitiert nach: Claire Sterling: Die Mafia, S. 244.
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Vollmachten ausgestattet war, die dalla Chiesa zuvor erfolglos für sich eingefordert hatte. Der Staat schien sich nach dem Attentat ernsthaft gegen die Angriffe der Cosa Nostra in Stellung bringen zu wollen, denn erstmals sollte eine Behörde in die Lage versetzt werden, gezielt die verschiedenen Fäden im Kampf gegen die Mafia bündeln zu können. Was sich nach einer konsequenten Umsetzung der tragischen Lehren anhört, die aus dem Scheitern General dalla Chiesas gezogen werden können, offenbart sich bei genauerer Betrachtung zunächst allerdings als ein eher symbolhafter Schritt. Aufgrund einer fragwürdigen Personalpolitik war das Amt in den ersten Jahren weit davon entfernt, die ihm grundsätzlich innewohnenden Möglichkeiten auszuschöpfen. Zuerst übernahm Emanuele De Francesco, ein ehemaliger Chef des italienischen Geheimdienstes, das Amt. Eineinhalb Jahre später gab er es ab, ohne dass er in der Zwischenzeit in besonderem Maße in seiner Rolle als Anti-Mafia-Hochkommissar in Erscheinung getreten wäre. Als sein Nachfolger übernahm Riccardo Bocca das Amt, der kaum mehr Ambitionen zeigte. Ihm folgte der kurz vor seiner Pensionierung stehende Pietro Verga, der schließlich bis 1988 versuchte, das Amt auszufüllen. Nach dessen Amtszeit, am 10. August 1988, resümierte Aldo Rizzo, der damalige stellvertretende Bürgermeister von Palermo: »Drei Hohe Kommissare – ein einziges Scheitern.«49 Dieses Resümee kann zugleich als pessimistische Prognose gelesen werden, denn fünf Tage zuvor war der vierte Amtsinhaber in das Amt des Hohen Kommissars eingeführt worden: Domenico Sica, ein Staatsanwalt aus Rom, der in den davor liegenden Jahren mehrere Prozesse gegen mutmaßliche Terroristen geführt hatte. Sica versuchte, den bleiernen Stillstand aufzubrechen, und setzte eine Erweiterung der Kompetenzen des Amtes durch, von der leichteren und schnelleren Telefonüberwachung bis zur besseren Akteneinsicht bei Geldinstituten. Doch was hoffnungsvoll begann, sollte auch dieses Mal scheitern. Fabrizio Calvi schreibt über die Amtszeit Domenico Sicas: »Das Hohe Kommissariat, das in allen großen Städten der Halbinsel über Außenstellen verfügte, hatte theoretisch Zugang zu den geheimsten Akten aller italienischen Gerichte, der verschiedenen Polizeiorgane und der Spionage- und 49 Zitiert nach: Peter Müller: Die politische Macht der Mafia, S. 276.
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Gegenspionagedienste ... Doch nach und nach wurden dem Hohen Kommissariat seine Befugnisse genommen.«50 Schließlich spricht Calvi sogar von einem »Gnadenstoß«, den die italienische Regierung im Herbst 1991 dem Hochkommissariat versetzt habe, »indem sie eine völlige Umstrukturierung aller Körperschaften« angekündigt habe. »Eine jahrelange Arbeit wurde durch eine Ministerunterschrift zunichte gemacht ... und das Team von 200 Leuten, das Sica nach Kräften zusammengeschweißt hatte, in alle Winde verstreut.«51 Trotz Domenico Sicas Bemühen, der gegen zahlreiche Widerstände anzukämpfen hatte und mehrfach durch Intrigen und Rivalitätskämpfe in seinem Handlungsrahmen stark eingeschränkt wurde,52 fällt auch Alexander Stille über das Anti-Mafia-Hochkommissariat ein vernichtendes Urteil: »In typischer Halbherzigkeit besetzte man den Posten jedoch mit einem farblosen Bürokraten nach dem anderen, die so lange nichts ausrichteten, bis das Amt mit der Begründung, es sei überflüssig, wieder abgeschafft wurde.«53
Parlamentarische Untersuchungskommissionen Einige der ersten Instrumente, die der italienische Staat im Kampf gegen die Cosa Nostra entwickelt hatte, waren parlamentarische Untersuchungskommissionen. Wie an anderer Stelle bereits erwähnt, wurde schon im Jahr 1875 eine erste Untersuchungskommission eingesetzt, deren Aufgabe es war, die Lage in Sizilien zu evaluieren und Vorschläge zur Bekämpfung der dortigen Kriminalität zu erarbeiten. Als die Kommission 1876 ihre Arbeit beendete, verschwanden die Protokolle der Sitzungen sowie die schriftlich niedergelegten Analysen und Vorschläge zur Bekämpfung
50 Fabrizio Calvi: Jenseits von Palermo, S. 264. 51 Ebd., S. 264f. 52 Aus der Vielzahl interner Affären und Intrigen ragt die so genannte »Affäre Contorno« besonders heraus, die vielmehr als »Affäre Di Pisa« bezeichnet werden müsste. Alberto Di Pisa war Staatsanwalt im Pool Antimafia und versuchte unter Ausnutzung der Rivalität zwischen Domenica Sica und Giovanni Falcone letzteren mit anonymen Briefen und Beschuldigungen zu diskreditieren. Vgl. dazu beispielsweise: Fabrizio Calvi: Jenseits von Palermo, S. 270-272. 53 Alexander Stille: Die Richter, S. 83.
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der Mafia in einem geheimen Staatsarchiv. Die Wirkungen, die von dieser ersten parlamentarischen Untersuchungskommission ausgingen, waren dementsprechend schwach. Als 86 Jahre nach diesem unrühmlichen Ende der ersten Kommission der italienische Senat54 erneut die Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission beschloss, schienen die Vorzeichen eine ähnlich geringe Wirkung zu versprechen. Noch bevor die Kommission eingesetzt worden war, rührte sich Widerstand – im sizilianischen Regionalparlament und selbst in überregionalen Parteizirkeln der Christdemokraten: »Die Gegner der Kommission und die etwa dreißig christlich-demokratischen Abgeordneten, die im sizilianischen Regionalparlament gegen sie gestimmt hatten, behaupteten standhaft, die Mafia sei ein Mythos – eine verleumderische Legende«,55 schreibt Norman Lewis. Die argumentative Strategie, die Existenz einer kriminellen Organisation namens Mafia zu leugnen, zog sich durch die italienische Politik bis in die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Spätestens mit den blutigen Anschlägen der Corleoneser, die in den siebziger Jahren als primär innermafiose Aktionen einsetzten und sich in den folgenden Jahrzehnten in einen Bombenterror gegen Richter und Staatsanwälte transformierten, sowie den Ergebnissen der Aktion Mani pulite dürfte diese »Legende der Legende« jedoch endgültig aus der öffentlichen Debatte verschwunden sein. 1962 mussten diejenigen Abgeordneten, die gegen die Cosa Nostra vorgehen wollten, allerdings noch mit dieser Legende kämpfen, was auch in der Genese der zweiten großen parlamentarischen Untersuchungskommission deutlich zu Tage tritt: Im April dieses Jahres beschloss der Senat die Einsetzung einer Untersuchungskommission. Es dauerte neun Monate bis das entsprechende Gesetz verabschiedet werden konnte, das eine Kommission
54 Das parlamentarische System Italiens wurde von der verfassungsgebenden Versammlung Italiens 1947 als bicamerales System angelegt, mit einem Senat als zweiter Kammer, allerdings mit der Besonderheit, dass beide Kammern völlig identische Funktionen und Rechte besitzen. Dieses spezifisch italienische Zwei-KammerSystem wird als »Bicameralismo perfetto« bezeichnet. Vgl. dazu: Carol Mershon, Gianfranco Pasquino (Hg.): Italian Politics. Ending the First Republic, Oxford 1995. 55 Norman Lewis: Die Ehrenwerte Gesellschaft. Die Geschichte der Mafia, Düsseldorf, Wien 1965, S. 266.
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vorsah, die aus 30 Abgeordneten und Senatoren, also Vertretern beider Kammern, gebildet werden sollte. Doch die Kommission trat nicht ein einziges Mal zusammen, wurde schließlich im März 1963 aufgelöst, um nach den Parlamentswahlen, die im April 1963 stattfanden, in neuer Besetzung zusammenzutreten. Doch eine konstituierende Sitzung wurde abermals verschoben, bis im Juli 1963 ein Bombenattentat, das sieben Carabinieri das Leben kostete, die Öffentlichkeit aufschreckte. Erst im Gefolge dieser öffentlichen Empörung nahm die Kommission schließlich ihre Arbeit auf. Ihr Auftrag war klar umrissen: In allen Stadt- und Provinzverwaltungen auf Sizilien, und nur dort, denn darauf beschränkte sich ihre Tätigkeit, sollten Ermittlungen durchgeführt werden. Akten und Berichte wurden analysiert und Tausende von Zeugen angehört. Und tatsächlich zeitigte dieses Vorgehen recht schnell erste Erfolge. Waffen wurden beschlagnahmt, zahlreiche mutmaßliche Angehörige der Mafia verhaftet und vermeintliche MafiaBosse in die Verbannung geschickt.56 Einige Monate lang war die Kommission Teil eines beherzten Vorgehens gegen die Mafia. Doch schon bald zeigte sich, dass die Kommissionsmitglieder über das Ausmaß des Vorgehens uneinig waren. »Rücktritte der Ausschussmitglieder häuften sich 1964, einige Christdemokraten, Sozialisten und Liberale traten aus ... Der Dissens innerhalb der Kommission verschärfte sich ab Herbst 1964, die Fronten verliefen nach den Rücktritten deutlich zwischen den Parteien, speziell zwischen DC und Kommunisten ... 1968 legte die Kommission einen Bericht von sechs Seiten vor, der in dem Hinweis gipfelte, die Kommission sei noch zu keinem Ergebnis gelangt.«57 Im Mai 1972 veröffentlichte die Kommission schließlich einen weiteren Bericht, dieses Mal einen, der 2.000 Seiten umfasste und 56 Die Aktivitäten dieser Untersuchungskommission fanden auch in der deutschen Presse ihren Nachhall. Vgl. dazu beispielsweise: O.V.: »Der Staat als Komplice der Mafia. Untersuchungsbericht: Organisiertes Gangstertum reicht bis in die Politik«, in: Süddeutsche Zeitung, 15.07.1971. Albert Wucher: »›Die Mafia entzieht sich jedem Zugriff.‹ Nach zehnjährigen Ermittlungen in Italien: Beweise für Beziehungen zur Politik«, in: Süddeutsche Zeitung, 27.05.1972. Christa Peduto: »Kontakte zwischen Mafia und Politik bestätigt. Bericht einer italienischen Untersuchungskommission«, in: Tagesspiegel, 05.06.1972. Klaus Schidrowski: »Drei Kugeln für den Richter. Das neue Gesicht der Mafia«, in: Zeit-Magazin, 23.11.1979, S. 13-37. 57 Peter Müller: Die politische Macht der Mafia, S. 270f.
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zu dem resignativen Schluss kam, »dass sich die Mafia ihrer ganzen Natur nach jeder Bekämpfung entzieht. Alle staatlichen Stellen, die in Aktion treten, bleiben unwirksam, weil sie in unterschiedlichem Ausmaß mit Mafiosi und ihren Beschützern verfilzt sind.«58 Hier offenbart sich in klaren Worten das oben dargestellte Problem der Positionierung organisierter Kriminalität. Vier Jahre nach diesem resignativen Bericht beendete die Kommission im Jahr 1976 ihre Tätigkeit mit der Formulierung eines Abschlussberichts. Und wie bereits 100 Jahre zuvor wurden die Akten, in denen die Ergebnisse der 13-jährigen Tätigkeit der Kommission zu Papier gebracht worden waren, in einem geheimen Staatsarchiv verschlossen. »Damit war diese Antimafia-Kommission nicht nur eine ›verpasste Gelegenheit‹. Durch die Verheimlichung der Ermittlungsergebnisse trug sie selbst aktiv dazu bei, die Mythen von der Unangreifbarkeit und Allgegenwart der Mafia zu bestärken«,59 konstatiert Peter Müller. Das Instrument der parlamentarischen Untersuchungskommission sollte sich auch in den folgenden Jahren als recht schwach erweisen. Und das obwohl die offene Gewalt der Mafia in den siebziger und achtziger Jahren massiv zunahm. Wie oben dargelegt, wurden 1982 in kurzer Folge die prominenten Mafia-Gegner Pio La Torre und General Carlo Alberto dalla Chiesa ermordet. Unter dem Eindruck dieser offenen Gewalt gegen Repräsentanten des Staates wurde erneut eine Untersuchungskommission eingerichtet, die drei Jahre später ihren Abschlussbericht vorlegte. Dieser wurde zwar nicht im geheimen Staatsarchiv verschlossen, bestand dafür aber in weiten Teilen lediglich aus allgemeinen Analysen zum Phänomen der Mafia. Nach drei weiteren Jahren wurde 1988 erneut eine Untersuchungskommission ins Leben gerufen, bevor einige Jahre danach die so genannte Erste Republik im Zuge zahlreicher Korruptionsermittlungen untergehen sollte.
58 Zitiert nach: Ebd., S. 271. 59 Ebd.
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Der Pool Antimafia Als deutlich wirkungsvolleres Instrument im Kampf gegen die sizilianische Mafia sollte sich der ein Jahr nach der Errichtung des Hohen Kommissariats geschaffene so genannte Pool Antimafia erweisen. Wie bei der Einsetzung der parlamentarischen Untersuchungskommissionen, bei der Verabschiedung des Rognoni-LaTorre-Gesetzes und der Errichtung des Hochkommissariats ging auch bei der Schaffung des Pool Antimafia ein groß angelegtes Attentat voraus: Am 28. Juli 1983 wurde Rocco Chinnici, der Leiter des Ermittlungsrichterstabs am palermitanischen Gerichtshof, Opfer eines Bombenanschlags. Der Sprengstoff war in einem Auto deponiert gewesen, das vor Chinnicis Privathaus abgestellt war. Mit Chinnici starben seine beiden Leibwächter und eine Hausmeisterin, 14 weitere Menschen wurden verletzt. »In den Monaten nach der Ermordung Rocco Chinnicis kamen in Palermo die Mühlen der Justiz zum Stillstand«,60 schreibt Alexander Stille. Und als die Nachricht in Umlauf gebracht wurde, dass der schon 63-jährige Richter Antonino Caponnetto aus Florenz Chinnicis Nachfolge antreten sollte, glaubten manche Beobachter, Parallelen zur Personalpolitik bei der Besetzung des AntiMafia-Hochkommissariats zu erkennen. Caponnetto war zum einen recht alt und verfügte zum anderen über keinerlei juristische Erfahrung im Umgang mit Mafia-Fällen. Die Vorzeichen versprachen wenig Gutes. »Vorläufig setzen sie mal Caponnetto ein, weil sie sonst niemanden haben, später werden sie ihn ersetzen«,61 zitiert Saverio Lodato eine Stimme, die die damals im palermitanischen Justizpalast vorherrschende Meinung pointiert wiedergebe. Am 10. November 1983 wurde Antonino Caponnetto in sein neues Amt eingeführt und entgegen zuvor geäußerter Mutmaßungen, nahm Caponnetto vom ersten Tag an sein Amt sehr ernst. »Ich erkannte sehr bald die Notwendigkeit, alle Mordfälle der letzten zehn Jahre, die in zahllosen Verfahren gegen Unbekannt mal dem einen, mal dem anderen Richter zugeteilt und somit völlig aufgesplittert worden waren, wieder zusammenzufassen«,62 60 Alexander Stille: Die Richter, S. 94. 61 Antonino Caponnetto, Saverio Lodato: Die Antimafia. Wie dem organisierten Verbrechen der Prozess gemacht werden kann, München 1993, S. 55. 62 Ebd., S. 71.
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beschreibt Caponnetto, was ihn zum Aufbau eines Verbunds von Untersuchungsrichtern veranlasst hatte, der sich ausschließlich mit Mafia-Fällen befassen sollte. Dieses Konzept der konzertierten und kollektiven Aktion entwickelte Caponnetto in Anlehnung an Sonder-Ermittlungsrichtereinheiten des Anti-Terror-Kampfes der siebziger Jahre: »Ich erinnerte mich an die Arbeitsgruppen, die während der Terrorismusprozesse ausgezeichnet funktioniert hatten, und war überzeugt davon, auf eine analoge Arbeitsmethode in der Ermittlungsbehörde von Palermo nicht verzichten zu können.«63 Um jedoch solch einen Verbund von Anti-Mafia-Ermittlungsrichtern zu schaffen, musste zunächst eine juristische Hürde überwunden werden. Denn das italienische Verfahrensrecht spricht jeweils von einem einzelnen Ermittlungsrichter, der die Ermittlungen zu leiten habe. Eine Poolbildung, die dazu führt, dass mehrere Ermittlungsrichter zeitgleich und mit gleichen Befugnissen und Pflichten in mehreren Fällen ermitteln, sah das Verfahrensrecht dagegen nicht vor. Caponnetto löste das Problem, dass der neu zu schaffende Pool Antimafia in Widerspruch zu dem Prinzip der monokratischen Amtsführung stehen könnte, auf denkbar einfache Art und Weise: Er wies sich selbst die Leitung all der anfallenden Mafia-Verfahren zu und bewahrte damit nach außen die monokratische Amtsführung. Im Inneren des Pool Antimafia hatten die beteiligten Ermittlungsrichter jedoch in allen Fällen vollkommen freie Hand und agierten teilweise so selbstständig, dass die Leitung Caponnettos selbst bei professionellen Betrachtern manchmal übersehen wurde. So schreibt beispielsweise Peter Müller: »Dieser Pool hatte unter der Leitung von Giovanni Falcone [sic!] erfolgreich in der Vorbereitung des ersten Maxiprozesses ermittelt.«64 Dieser juristische Kunstgriff der formalen Wahrung des Prinzips der monokratischen Amtsführung wurde zwar mehrfach von Anwälten mutmaßlicher Mafiosi in Zweifel gezogen, überstand jedoch jede richterliche Prüfung: »[M]eine Entscheidung wurde in den verschiedenen Prozessphasen angefochten, sie wurde aber immer wieder als rechtmäßig anerkannt«,65 schreibt Antonino Ca-
63 Ebd., S. 69. 64 Peter Müller: Die politische Macht der Mafia, S. 291. 65 Antonino Caponnetto, Saverio Lodato: Die Antimafia, S. 73.
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ponnetto mit Verweis auf den Maxi-Prozess. In den Pool Antimafia berief Caponnetto zunächst vier Richter, allen voran Giovanni Falcone. »Selbstverständlich dachte ich wegen seiner Erfahrung und des Ansehens, das er sich erworben hatte, sofort an Falcone«,66 schreibt Caponnetto über jenen Richter, der ihn kurz nach dessen Amtseinführung in Palermo überhaupt erst in den Stand der Mafiaermittlungen eingewiesen hatte. Auf Anraten Falcones wurde schließlich auch Paolo Borsellino in den Pool berufen, der von Kindesbeinen an ein Freund Falcones gewesen war. Beide waren in La Kalsa, einem heruntergekommenen Stadtviertel Palermos, in bürgerlichen Elternhäusern aufgewachsen. Als dritter Richter wurde Giuseppe Di Lello berufen, einer der ehemals engsten Vertrauten des ermordeten Rocco Chinnici. »Da ich die anderen Richter nicht ausreichend kannte und sich unter ihnen einige befanden, auf die ich mich nicht verlassen konnte, vervollständigte ich den Pool einfach durch den ältesten«,67 durch Leonardo Guarnotta. Es waren vor allem vier Aspekte, die – unabhängig von der besonderen persönlichen und fachlichen Qualifizierung der beteiligten Juristen – eine strukturelle Überlegenheit des Pools gegenüber der bisherigen monokratischen Ermittlungsarbeit generierten. Erstens der Aspekt der umfassenden Sichtweise: Vincenzo Delle Donne spricht in diesem Zusammenhang von der Möglichkeit, mittels einer übergeordneten Perspektive, Zusammenhänge zwischen bisher als vereinzelten Delikten wahrgenommenen Straftaten zu entdecken: »Dem Prinzip der kollegialen Ermittlung folgend, wurden fortan sämtliche Mafiaverbrechen automatisch der Kompetenz dieses einen Richterstabes zugewiesen, so dass sich eine umfassende Sichtweise ergab ... Der Kompetenzbereich wurde weit über Palermo hinaus erweitert, umfasste praktisch ganz Sizilien und sogar darüber hinaus. Nicht mehr vereinzelte Ermittlungen, die vielfach ohne Verbindung untereinander blieben, wurden durchgeführt, sondern im großen Stab wurde nun zusammen ermittelt – dem Aktionsradius der Cosa Nostra entsprechend. So kamen Zusammenhänge einzelner Spuren ans Licht, die
66 Ebd., S. 71. 67 Ebd., S. 72.
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sich früher verlaufen und fast immer die Einstellung des Verfahrens zur Folge hatten – mangels Beweisen.«68 Zweitens der Aspekt der Bündelung von Ressourcen: Brauchte bislang jeder einzelne Ermittlungsrichter Spezialisten, die den Ermittler überhaupt erst in die Lage versetzten, Verbindungslinien zu entdecken, so konnte jetzt der Pool Antimafia Spezialabteilungen einrichten, auf die wiederum alle beteiligten Ermittler zurückgreifen konnten. In diesem Sinne wurde im Justizpalast beispielsweise ein Stab von Finanzexperten geschaffen, der mithalf, die komplizierten Finanztransaktionen und Geldwäschemanöver der Cosa Nostra zu verfolgen und nachzuzeichnen. Drittens der Aspekt der größeren Sicherheit: Giovanni Falcone selbst verwies unter Hinweis auf die Ermordung General dalla Chiesas auf die in der monokratischen Amtsführung angelegte Tendenz der Personifizierung: »Die Professionalität beinhaltet auch, dass die Ermittlungen nicht in den Händen einer einzigen Person liegen dürfen, sondern die Frucht der Arbeit eines Teams sein müssen. Die übertriebene Personifizierung ist nach Leichtfertigkeit die größte Gefahr, der sich die Antimafia-Kräfte aussetzen können. Ich denke an General dalla Chiesa. Er war allein. Er hatte nicht einmal genügend Zeit, um sich der militärischen Macht der Mafia voll bewusst zu werden.«69 Und Vincenzo Delle Donne ergänzt: »Jeder Richter zeichnete für die Ermittlung seiner Kollegen mitverantwortlich. Die Angriffsfläche gegen einzelne Richter wurde dadurch so klein wie möglich gehalten. Theoretisch nahm man möglichen Attentaten die Brisanz, dass der Ermordete wichtige Erkenntnisse ins Grab mitnahm.«70 Zumindest vordergründig eng mit diesem dritten Aspekt verbunden, bei genauerer Betrachtung jedoch weit tiefer in die Sphären der psychosozialen Bedingungen des Anti-Mafia-Kampfs verweisend, ist als vierter Aspekt jener der De-Isolierung zu nennen. Denn als traurige Kehrseite des Kampfes gegen die Mafia, die als individueller Preis von jenen erbracht werden muss, die ihn im Namen und im Auftrag des Staates führen, manifestiert sich die psychosoziale Komponente der Vereinsamung, die weit über rein berufliche Aspekte hinausgeht. Das Leben eines prominenten An-
68 Vincenzo Delle Donne: Falcone, S. 86. 69 Giovanni Falcone, Marcelle Padovani: Inside Mafia, S. 150f. 70 Vincenzo Delle Donne: Falcone, S. 88.
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ti-Mafia-Ermittlers ist ein Leben, das abgesehen von berufsbedingten Kontakten kaum soziale Beziehungen zulässt. Ein Leben, das sich fast ausschließlich in geschlossenen Räumen abspielt, tagsüber im Büro, nachts in der gesicherten Wohnung. Ein Leben, das weitgehend durch einen Kreis von Leibwächtern, gleichsam wie in einem Kokon, von Einflüssen und Reizen der Außenwelt abgeschirmt wird. Carmen Butta veranschaulicht dieses »gestohlene Leben« in einer einfühlsamen Reportage, die in ruhigen Bildern das einsame Leben des Anti-Mafia-Ermittlers und Staatsanwalts Roberto Scarpinato eingefangen hat.71 Giovanni Falcone sprach in diesem Sinne von einem »Leben als Zwangsarbeiter«: »Um der Cosa Nostra die Sache eben nicht leicht zu machen, haben wir im AntimafiaPool wie Zwangsarbeiter gelebt: Wecken vor Sonnenaufgang, um nochmals die Akten durchzugehen, bevor man zum Gericht fuhr; zu Hause waren wir meist nicht wieder vor 22 Uhr ... Manchmal verbrachten wir sogar unsere Ferien im Gefängnis. Zum Beispiel 1985, als wir in Asinara auf Sardinien in einem Gefängnis die Anklageschrift für den Maxi-Prozess formulierten.« Und mit gleichsam trotzigen Worten fügt er hinzu: »Ich bereue dieses anormale Leben nicht.«72 Antonino Caponnetto spricht von ähnlichen Erfahrungen: »Mein erstes Weihnachts- und Neujahrsfest verbrachte ich in der Kaserne, und es war ziemlich deprimierend. Sie fragen nach meinem Verhältnis zu Palermo? Zu Palermo hatte ich nie ein Verhältnis. Wie konnte ich auch eine Beziehung aufbauen zu einer Stadt, in der ich in einem gepanzerten Auto nur einen kurzen Straßenabschnitt durchfuhr – wenn auch jeden Morgen einen anderen –, am Justizpalast ausstieg und später am Abend in die Kaserne zurückkehrte?«73 Auch wenn der Pool Antimafia an diesen Grundbedingungen natürlich nichts ändern konnte, so half er doch zumindest über die enge berufliche Zusammenarbeit in einem kleinen Team so etwas wie ein soziales Umfeld zu schaffen, das die grundlegenden psy71 Carmen Butta: Um Kopf und Kragen. Das gestohlene Leben eines MafiaJägers, Fernsehreportage, deutsche Bearbeitung im Auftrag des ZDF 2001, hier nach der Ausstrahlung in 3Sat am 13.3.02, 20.15 bis 21.00 Uhr. Roberto Scarpinato war unter anderem einer der verantwortlichen Staatsanwälte, die gegen Giulio Andreotti ermittelt hatten. 72 Giovanni Falcone, Marcelle Padovani: Inside Mafia, S. 150. 73 Antonino Caponnetto, Saverio Lodato: Die Antimafia, S. 78f.
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chosozialen Bedürfnisse befriedigen konnte. Denn fast jeden Abend trafen sich die fünf Ermittlungsrichter des Pool Antimafia, um sich mindestens zwei bis drei Stunden lang über das Fortkommen in den einzelnen Bereichen auszutauschen und um sich gegenseitig so etwas wie Ansprache und Anerkennung zu ermöglichen.74 Eine kleine, beiläufige Bemerkung des stellvertretenden USBundesanwalts Richard Martin, der damals parallel zum Pool Antimafia die amerikanische Seite des sizilianisch-amerikanischen Geflechts des Rauschgifthandels der Cosa Nostra bearbeitete, veranschaulicht die psychosoziale Bedeutung der engen, kollegialen Zusammenarbeit innerhalb des Pools. Martin spricht davon, dass Falcone seines Erachtens Borsellino als persönlichen »RealitätsSensor« benutzt habe. Oft habe Martin gehört, wie Falcone am Telefon fragte: »Paolo, bin ich auf dem richtigen Weg oder ist das alles Hokuspokus?«75 Unabhängig davon, in welchem Maß jeweils individuell diese psychosoziale Komponente als bedeutsam empfunden worden sein mochte, kann wohl in der Tat mit den Worten Vincenzo Delle Donnes konstatiert werden: »Die Zeiten, in denen einzelne Richter allein, isoliert und ziellos ermittelten, waren vorbei.«76 Zumindest für einen gewissen Zeitraum.
Der Pentito Unter dem Stichwort Pentito schreibt Werner Raith in einem Glossar zu Begriffen der Mafia-Forschung: »[E]ine Art Kronzeuge. Ins italienische Strafrecht 1979 eingeführt, zunächst nur für terroristische Taten: ›pentiti‹ – zu deutsch ›Reuige‹ – können, je nach Tragweite ihrer Aussagen, bis zu 2/3 Strafnachlass und weitere Vergünstigungen erhalten. Für mafiose und camorristische ›pentiti‹ gilt die Norm seit 1985 in etwas eingeschränktem Maße.«77 Der Begriff bezeichnet demnach die italienische Variante des Kronzeugen, »reuige« Mafiosi, die aus ihrer kriminellen Organisation ausgestiegen sind und anschließend mit den Justizbehörden zusammenarbeiten. 74 Vgl. dazu beispielsweise die Ausführungen Caponnettos in: Antonino Caponnetto, Saverio Lodato: Die Antimafia, S. 73f. 75 Zitiert nach: Alexander Stille: Die Richter, S. 130f. 76 Vincenzo Delle Donne: Falcone, S. 88. 77 Werner Raith: »Begriffe und Namen«, in: Ders.: Parasiten und Patrone, S. 30.
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Der wahrscheinlich berühmteste Pentito in der Geschichte Italiens dürfte Tommaso Buscetta sein,78 der keineswegs der erste aussagewillige Mafia-Aussteiger war, wie manches Mal verkürzt wiedergegeben wird, wohl aber der erste hochrangige Pate, der das Schweigen brach.79 Die Wirkungen, die von Buscettas Geständnissen ausgingen, können wahrscheinlich kaum hoch genug veranschlagt werden. »Tommaso Buscetta trat eine Lawine los«,80 schreibt beispielsweise Vincenzo Delle Donne. Und Falcone ergänzte: »Bevor er kam, hatte ich – hatten wir – nur ein oberflächliches Verständnis des Phänomens Mafia.«81 Tommaso Buscetta, der von seinen Anhängern ehrerbietend »Don Masino« genannt wurde, war am 24. Oktober 1983 in Brasilien verhaftet worden. Zu diesem Zeitpunkt galt er als einer der zentralen Akteure des internationalen Rauschgifthandels und wurde per internationalem Haftbefehl gesucht. Obwohl Buscetta von Beamten der brasilianischen Polizei gefoltert worden sein soll – Claire Sterling spricht unter anderem von Elektroschocks an den Genitalien, im After, an den Zähnen und Ohren82 –, soll Buscetta jede Zusammenarbeit mit der Polizei verweigert haben. Erst Giovanni Falcone, so die allgemein verbreitete Darstellung, habe ihn zum Sprechen gebracht.83 Falcone selbst sagte dazu ganz nüch78 Tommaso Buscetta ist zwar italienischer Staatsbürger und war Mitglied der sizilianischen Cosa Nostra, lebt aber inzwischen unter neuem Namen und nach gesichtschirurgischen Eingriffen in den USA. Insofern ist er im engen juristischen Sinne kein Pentito des italienischen Rechts, sondern Nutznießer des US-amerikanischen Zeugenschutzprogramms. Faktisch jedoch gilt er als derjenige MafiaAussteiger, der das weit reichendste Geständnis der italienischen Geschichte abgelegt hat. Aus diesem Grund wird er unter die Rubrik der Pentiti subsumiert, obgleich die italienischen Bestimmungen des Zeugenschutzes auf ihn keine Anwendung finden. 79 Vgl. dazu: O.V.: »Mafia: ›Das Wasser im Kessel kocht‹. Zum erstenmal in der Geschichte der Mafia packte ein großer Boss aus«, in: Der Spiegel, 1984, Nr. 41, S. 144-148. 80 Vincenzo Delle Donne: Falcone, S. 93. 81 Zitiert nach: Alexander Stille: Die Richter, S. 128. 82 Vgl. dazu: Claire Sterling: Die Mafia, S. 125. Vincenzo Delle Donne spricht darüber hinaus von herausgerissenen Fußnägeln und Todesdrohungen: Vincenzo Delle Donne: Falcone, S. 94. 83 Vgl. dazu beispielsweise: Vincenzo Delle Donne: Falcone, S. 94: »Selbst als ihm die brasilianische Polizei die Fußnägel einzeln abzog, gab Buscetta nichts weiter preis als: ›Mein Name ist Tommaso
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tern: »Ich traf Buscetta zum ersten Mal im Juli 1984 in Brasilien. Ich hatte, den Vorschriften entsprechend, eine Liste mit Fragen vorbereitet, die ein brasilianischer Richter an meiner Stelle dem gerade Verhafteten vortrug.«84 Kurz darauf wurde Buscetta nach Italien ausgeliefert. Allerdings nur für einen begrenzten Zeitraum. »Denn ehe er sich zur Zusammenarbeit mit der italienischen Justiz bereit erklärte, verlangte Buscetta vom italienischen Staat, dass er in den USA leben durfte. Die Organisation Witsec, die Robert Kennedy ins Leben gerufen hatte, verschaffte Buscetta einen neuen Namen, organisierte die gesichtschirurgischen Eingriffe, die an ihm vorgenommen wurden, und versah ihn mit einer neuen Identität.«85 Jean Ziegler verweist darauf, dass die Aufnahme in das amerikanische Witness Protection Program für einen Ausländer ein seltenes Privileg darstellt und durch die hohe Relevanz der Aussagen Buscettas begründet sein dürfte – Aussagen, die nicht nur für die italienischen Justizbehörden, sondern auch für amerikanische, französische, deutsche und Schweizer Behörden eine Rolle spielten.86 Das amerikanische Zeugenschutzprogramm geht wesentlich weiter als die italienischen Zeugenschutzbestimmungen, zumal wenn man den rechtlichen Stand Anfang der achtziger Jahre betrachtet, über den Antonino Caponnetto schreibt: »Wir operierten in einem absoluten Rechtsvakuum, wir mussten täglich improvisieren. Das waren unhaltbare Zustände ... In Italien schafft es der Staat nicht, diejenigen, die mit ihm kooperieren, und deren Familienangehörigen, den nötigen Schutz zu gewährleisten.«87 Es fehle vor allem an Geld, so Jean Ziegler, um kosmetische Gesichtsoperationen und einen effektiven Polizeischutz rund um die Uhr sicherzustellen: »Der ›pentito‹, ob Mann oder Frau, lebt gefährlich,
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Buscetta.‹ ... Falcone hatte das Kunststück fertiggebracht, Buscetta zum Reden zu bewegen.« Vgl. auch: Alexander Stille: Die Richter, S. 104. Oder: Antonino Caponnetto, Saverio Lodato: Die Antimafia, S. 86-89. Giovanni Falcone, Marcelle Padovani: Inside Mafia, S. 47. Vincenzo Delle Donne: Falcone, S. 99. Vgl. dazu: Jean Ziegler: Die Barbaren kommen, S. 257. Vgl. auch: Horst Zimmermann: »Auch deutsche Polizei hofft auf den ›singenden Paten‹. ›Don Masino‹ soll Verbrechen im Bundesgebiet klären helfen«, in: Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 25.10.1984. Antonino Caponnetto, Saverio Lodato: Die Antimafia, S. 80-82.
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ganz egal, ob er in einer Kaserne oder mit neuer Identität in einer vom Justizministerium bezahlten Wohnung lebt.«88 Über Monate hinweg verhörte Falcone 1984 den geständigen Mafiosi, der erstmals einen umfassenden Einblick in die Strukturen der Cosa Nostra lieferte. Buscetta hatte in Palermo eine Blitzkarriere gemacht, bevor er im zweiten großen Mafia-Krieg ein Opfer des Hegemoniestrebens der Corleoneser wurde. Rachegefühle für diese Niederlage dürften neben der Straferleichterung und der Aufnahme in das amerikanische Zeugenschutzprogramm ein wesentliches Motiv für die Zusammenarbeit mit den Justizbehörden darstellen. Buscetta war am 13. Juli 1928 im heruntergekommenen palermitanischen Stadtteil Oreto als Sohn eines Glasers auf die Welt gekommen. Mit 14 Jahren soll er mit der Waffe in der Hand gegen die deutschen Besatzer gekämpft haben, worüber er auch während der Verhöre seinen Stolz bekundete. Drei Jahre später heiratete er und wurde bald darauf Vater einer Tochter. Um sich und seine Familie zu ernähren, so seine eigene Begründung, verdingte er sich bei den örtlichen Mafiosi. 1958 wurde er zum ersten Mal verhaftet, als er mit fast vier Tonnen unverzollter Zigaretten erwischt worden war. Allerdings wurde er damals lediglich zu einer Geldstrafe verurteilt und befand sich deshalb bald darauf wieder in Freiheit. 1963 verließ er Italien – nachdem er dort inzwischen aufgrund anderer Delikte wieder per Haftbefehl gesucht wurde – und verbrachte einige Zeit im Ausland, zunächst in Deutschland, dann in Paraguay, Mexiko, Kanada und in den USA. In New York galt er, Claire Sterling zufolge, als der »mächtigste sizilianische Don«.89 1972 konnte er schließlich in Brasilien verhaftet werden und wurde nach Italien ausgeliefert, wo er vor Gericht gestellt wurde und anschließend die nächsten Jahre im Gefängnis verbringen musste. Nachdem Buscetta auf Grund »guter Führung« den Status eines Freigängers erhalten hatte, also tagsüber einer Tätigkeit außerhalb des Gefängnisses nachgehen durfte, nutzte er diesen Status und floh im Jahr 1980 aus der Haft.90 Bald darauf setzte er sich wieder
88 Jean Ziegler: Die Barbaren kommen, S. 250. 89 Claire Sterling: Die Mafia, S. 108. 90 Buscetta war keineswegs »vorzeitig entlassen worden«, wie Peter Müller irrtümlich schreibt. Vgl. dazu: Peter Müller: Die politische Macht der Mafia, S. 284.
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nach Brasilien ab, wo er erneut in den Rauschgifthandel eingestiegen sein soll. Doch der Wiedereinstieg in den internationalen Drogenhandel dürfte nicht der einzige Grund für die Abreise aus Italien gewesen sein, vielmehr kann das »brasilianische Exil« als Flucht vor den Attacken im Verlauf des so genannten zweiten Mafia-Kriegs begriffen werden, als die Corleoneser in kurzer Folge 14 direkte Verwandte Buscettas töteten. Darunter zwei Söhne, seinen Bruder und seinen Schwiegersohn. Der zweite große Mafia-Krieg war in vollem Gang, und Buscetta gehörte offenkundig zu den Verlierern. Am 24. Oktober 1983, nachdem Buscettas »Familie« im wahrsten Sinne des Wortes ausgeblutet war und Buscetta selbst im Machtgeflecht der Cosa Nostra als isoliert galt, wurde er schließlich in Brasilien erneut verhaftet.91 In Anbetracht dieser Begleitumstände der Verhaftung, konstatiert Peter Müller wahrscheinlich zu Recht: »Es ist kaum glaubhaft, dass ein Mann in solcher Situation aus moralischen Erwägungen heraus mit den Behörden kooperiert. Wahrscheinlicher ist angesichts der genannten Tatsachen, dass er kapitulierte und dann in der Rolle des Kronzeugen eine Chance sah, seinen Gegnern zu schaden.«92 Mit diesen Überlegungen verweist Müller auf eines der zentralen Argumente, das häufig gegen die grundsätzliche Begründung einer Sonderbehandlung von Kronzeugen ins Feld geführt wird. Denn die Gefahr der Ausnutzung des Rechtsinstituts der Kronzeugenschaft zur persönlichen Rache ist in der Tat virulent und wird bei Buscetta in besonderem Maße deutlich. Als Verlierer einer innermafiosen Auseinandersetzung scheint die Zusammenarbeit mit staatlichen Strafverfolgungsbehörden aus der Perspektive des Mafioso eine letzte Möglichkeit des Gegenschlags zu sein. Selbst Antonino Caponnetto, einer der glühendenden Fürsprecher des Pentitismo, konstatiert in Bezug auf Buscetta: »Hätte er sich nicht bereit erklärt, die alten Rechnungen zu begleichen und mitzuarbeiten, hätte er für immer ein Leben auf der Flucht führen müssen. Außerdem war da noch manch persönliche Rache im Spiel.«93 Neben diese Gefahr der Ausnutzung des Rechtsinstituts
91 Die Darstellung der Biografie Buscettas folgt im Wesentlichen den Darstellungen von Delle Donne, Sterling und Stiller. 92 Peter Müller: Die politische Macht der Mafia, S. 284. 93 Antonino Caponnetto, Saverio Lodato: Die Antimafia, S. 90.
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zur persönlichen Rache tritt der ebenfalls schwerwiegende Vorwurf, dass die Sonderbehandlung eines Kronzeugen das verfassungsmäßige Prinzip der Gleichbehandlung aller Delinquenten außer Kraft setze. Denn der Kriminelle, der eine Herabsetzung seiner Strafe aushandelt, entgeht damit zumindest zum Teil seiner rechtmäßigen Strafe. Dies widerspricht, bei exakter Betrachtung, nicht nur dem Gleichheitsgrundsatz, sondern auch dem Sühneaspekt des Strafrechts, da vom jeweiligen Kronzeugen begangene Verbrechen eben nicht in dem rechtlich kodifizierten Maß gesühnt werden. Beide Aspekte sind schwer wiegend und auf direktem Wege kaum zu widerlegen. Im Hinblick auf den Sühnegedanken fügt Jean Ziegler jedoch unter Verweis auf Pino Arlacchi zu Recht an: »Arlacchis Argumente gewinnen zusätzliche Überzeugungskraft durch die schlichte Tatsache, dass die ›pentiti‹ meist einen hohen Preis für ihre Buße zahlen. Die Mafia verzeiht niemals die Verletzung der ›omertà‹, des Gelübdes, das jeder ›Ehrenmann‹ mit seinem Blut besiegelt und in dem er schwört, niemals und unter keinen Umständen irgendeine Information über sein Leben, seine Taten, die Führer seiner Organisation preiszugeben.«94 Insofern wäre es eine zu vereinfachte Betrachtung, wollte man behaupten, die Pentiti entzögen sich durch ihr Geständnis vollständig jedweder Sühne und Verantwortung. Der Preis, den die Pentiti zahlen, ist oft sehr hoch, wenn auch nicht in einem rechtlich kodifizierten Sinne. Deutlich mehr argumentatives Gewicht, als diese Überlegungen und Abwägungen im rechts- und moralphilosophisch schwierigen Feld von Schuld und Sühne, hat jedoch der praktische Nutzen des Pentitismo. Kronzeugen haben sich als bislang effektivstes Instrumentarium erwiesen, um die verborgenen Strukturen mafioser Organisationen transparent zu machen. Im Fall Bucettas herrscht darüber bei nahezu allen Betrachtern Einigkeit: »Buscetta hatte uns endlich den Code geliefert, um die Struktur der Mafia von innen heraus zu entziffern«,95 schreibt beispielsweise Antonino Caponnetto. Ähnlich äußert sich Giovanni Falcone: »Er öffnete uns eine Sicht nach innen ... Er gab uns einen Schlüssel für die Interpretation in die Hand, eine Sprache und einen Code. Er war für 94 Jean Ziegler: Die Barbaren kommen, S. 257. 95 Antonino Caponnetto, Saverio Lodato: Die Antimafia, S. 91.
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uns wie ein Sprachprofessor, der es uns ermöglichte, zu den Türken zu gehen, ohne dass wir versuchen mussten, uns per Handzeichen zu verständigen.«96 Jean Ziegler weitet in seiner Betrachtung der Rolle Buscettas den Bezugsrahmen und formuliert schließlich apodiktisch: »Ohne die ›pentiti‹ gibt es keinen erfolgreichen Krieg gegen die Mafia.«97 Mit größerer Behutsamkeit ergänzt dagegen Peter Müller: »Was er [Buscetta, MLH] aussagte, bewerteten die Richter als glaubwürdig, ob er sein gesamtes Wissen preisgab, muss bezweifelt werden ... Mit Hilfe von Buscetta trugen die Ermittlungsrichter eine fast 9.000 Seiten starke Anklageschrift gegen anfangs 475 Mitglieder krimineller Vereinigungen mafiosen Typs zusammen.«98 Damit fügten sich Mitte der 1980er Jahre einige der wesentlichen Elemente des Anti-Mafia-Kampfs der späten siebziger und frühen achtziger Jahre im so genannten Maxi-Prozess zusammen, der am 10. Februar 1986 eröffnet wurde. Zuvor hatte der Pool Antimafia teilweise auf der Basis der Rechtsgrundlage des Rognoni-LaTorre-Gesetzes eine umfassende Anklageschrift verfasst, deren zentrale Elemente durch die Aussagen mehrerer Pentiti,99 allen voran Tommaso Buscetta, gestützt wurden.
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Zitiert nach: Alexander Stille: Die Richter, S. 128. Jean Ziegler: Die Barbaren kommen, S. 256. Peter Müller: Die politische Macht der Mafia, S. 284 und 287. Nachtrag zum Pentitismo: Im Sommer 1997 verabschiedete das italienische Parlament gegen den energischen Widerstand von Staatsanwälten, Richtern und Polizisten eine Neuformulierung des Artikels 513 (Terminologischer Hinweis: Das deutsche Strafgesetzbuch »StGB« enthält Paragraphen, der Codice penale »C.P.« Artikel): Nach neuer Rechtsage werden Aussagen der Pentiti vor Gericht nur dann als gültiges Beweismittel anerkannt, wenn sie vor Gericht persönlich bekräftigt werden. Vor dieser Gesetzesrevision konnte der reuige Mafiosi vor Prozessbeginn seine Aussage abgeben und anschließend an einen geheimen Ort gebracht werden. Sein während der Ermittlungsphase abgelegtes Geständnis behielt auch während des Prozesses Gültigkeit. Jean Ziegler schreibt dazu: »Die neue Regelung bringt den reuigen Mafioso in Todesgefahr. Zwischen der Eröffnung einer Strafuntersuchung und der Prozessaudienz liegen in Italien meist Jahre ... 1997 verloren die italienischen Staatsanwälte eine entscheidende Schlacht.« Jean Ziegler: Die Barbaren kommen, S. 251.
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3. Ein Kulminationspunkt Der Maxi-Prozess Alleine schon die nackten Zahlen künden von einem Superlativ: Gegen 475 Personen wurde im Rahmen eines einzigen Verfahrens Anklage erhoben.100 Die Anklageschrift umfasste dabei 8.607 Seiten. Hinzu kam ein mehrere Tausend Seiten umfassender Anhang, bestehend aus Dokumenten, Kopien von Beweismitteln und Fotos. Mehr als 200 Rechtsanwälte hatten die Verteidigung übernommen. Mehr als 50 weitere Anwälte vertraten die Nebenklage, unter ihnen Leoluca Orlando. Mehr als 1.300 Zeugen wurden in den Zeugenstand gerufen. Es brauchte acht Anläufe, bis sich überhaupt erst ein Richter bereit erklärte, den Vorsitz zu übernehmen. Keiner der angefragten in Palermo amtierenden Strafrichter war dazu bereit gewesen, so dass schließlich ein Zivilrichter die Aufgabe übernehmen musste: Richter Alfonso Giordano. Ihm zur Seite wurden zwei weitere Richter gestellt, die das Richterkollegium komplettierten und die Fortführung des Prozesses für den Fall garantierten sollten, falls Giordano etwas zustoße. Die bald als »Maxi-Prozess« bezeichnete Gerichtsverhandlung wurde am 10. Februar 1986 eröffnet. Der Prozess dauerte länger als 22 Monate und alleine die abschließende Beratung des Gerichts nahm 35 Tage in Anspruch. Am 16. Dezember 1987 wurden schließlich die Urteile verkündet. Ort der Verhandlung war ein direkt an das Ucciardione-Gefängnis in Palermo gebauter Bunker, der eigens für diesen Prozess errichtet worden war. Im Inneren des Bunkers bot eine lange Balustrade Hunderten von Prozessbeobachtern Platz. Am Kopfende des Gerichtssaals befand sich das Richterpodium. Entlang der rückwärtigen und den seitlichen Wänden waren 30 Metallkäfige errichtet, in denen die mutmaßlichen Mafiosi dem Prozess beiwohnten. Zwischen Käfigen und Richterpodium saßen mehrere Hundert Juristen: Anwälte, Ne100 Gegen 475 Personen war Anklage erhoben worden (gegen 471 Männer und gegen vier Frauen). Einer der Angeklagten starb kurz vor Prozessbeginn, bei zwölf Angeklagten wurde das Verfahren abgetrennt, ein vorzeitig aus der Untersuchungshaft entlassener Angeklagter und ein flüchtiger Angeklagter wurden während der Dauer des Prozesses ermordet. Somit wurden am Ende über die Fälle von 460 Angeklagten Urteile gesprochen.
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benkläger und Staatsanwälte. Der Zeugenstand war mit kugelsicherem Glas umgeben und mehrere Hundert mit Maschinenpistolen ausgestattete Carabinieri sorgten für die Sicherheit im Gerichtssaal. Vor dem Gebäude wurden Panzer aufgefahren, und direkt über dem Ucciardione-Bunker sorgten Helikopter für die Sicherung des Luftraums. Wenn die Metapher vom »Krieg gegen die Mafia« noch einer Visualisierung bedurft hätte, der MaxiProzess hätte sie geliefert. In den Metallkäfigen saßen zahlreiche einfache Killer, aber auch einige der mächtigsten Paten Siziliens, wie beispielsweise der legendäre Luciano Leggio oder »der Papst« Michele Greco. Leggios Verteidigungsstrategie entsprach dem klassischen Habitus des »Ehrenmannes«, der in einen dunklen Anzug gekleidet, mit seidenem Einstecktuch und dezenter Krawatte, zu seiner Verteidigungsrede ansetzte: »Ich habe nie in meinem Leben etwas gemacht, wofür ich mich selber tadeln müsste. Ich war nie jemandes Feind. Ich war immer ein ruhiger Mann ... Sie können mich verleumden, aber niemand kann ein Wort gegen mich sagen.«101 Am Ende wurden er und 17 weitere Angeklagte zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.102 Im Gesamten wurden 2.665 Jahre Gefängnishaft verhängt. Doch entgegen der teilweise vorgebrachten Befürchtung, dass der Maxi-Prozess als Massenveranstaltung zu bereits vor der Verhandlung festgelegten Pauschalurteilen führen würde, statt der individuellen Schuld jedes Einzelnen nachzuspüren, wurden 114 Angeklagte aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Der Anklagepunkt, der am häufigsten zu einer Verurteilung geführt hatte, war der Straftatbestand der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung gewesen, der im Rognoni-La-TorreGesetz definiert worden war. Und als wichtigstes und häufigstes Beweismittel dienten übereinstimmende Zeugenaussagen. »Ohne 101 Zitiert nach: Claire Sterling: Die Mafia, S. 309. 102 In einigen Statistiken wird von 19 Mal lebenslänglich gesprochen. Tatsächlich jedoch wird dabei das Urteil gegen den zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung bereits ermordeten Mario Prestifilippo mitgezählt. Vgl. dazu: Werner Raith: Parasiten und Patrone, S. 312. Einige Angeklagte wurden in Abwesenheit verurteilt, da sie sich zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung noch auf der Flucht befanden, darunter die mutmaßlichen Köpfe der Corleoneser Cosa Nostra: Toto Riina und Bernardo Provenzano.
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die Rechtsfigur der Kriminellen Vereinigung und ohne Kronzeugenregelung hätten die meisten Angeklagten in diesem Prozess aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden müssen«,103 resümiert deshalb auch Peter Müller. Der Maxi-Prozess von 1986/87 gegen 475 Personen war von den Ermittlungsrichtern des Pool Antimafia eigentlich als erster von vier großangelegten Gerichtsverfahren gegen mutmaßliche Mafiosi konzipiert worden. Noch während die Verhandlungen des ersten Maxi-Prozesses in Gang waren, bereiteten Mitarbeiter des Pool Antimafia die Anklageschrift für einen zweiten großen Prozess vor, der 1987 gegen 79 Angeklagte angestrengt wurde. Der zweite Prozess zog jedoch weit weniger mediale Aufmerksamkeit auf sich als der erste, und auch der Erfolg aus Sicht der Ermittlungsrichter und Ankläger hielt sich in Grenzen, da viele der Angeklagten freigesprochen wurden. 1988 wurde gegen 170 Angeklagte ein dritter Prozess angestrengt, auch dieses Mal mit mäßigem Ergebnis. »Im April 1990 wurden in einem Verfahren gegen 213 Angeklagte in Messina, Sizilien, [die Angeklagten] von dem Vorwurf der Mitgliedschaft in einer Kriminellen Vereinigung mafiosen Typs freigesprochen, weil die Richter die Aussagen von Kronzeugen nicht als Beweismittel zuließen.«104 Nach dem spektakulären Erfolg des ersten Maxi-Prozesses, der aufgrund der faktischen Ergebnisse als einziger »Maxi-Prozess« der achtziger Jahre bewertet werden muss, schien sich innerhalb weniger Jahre die Stimmung in Politik, Medien und Justiz gegen die Anti-Mafia-Ermittler gewendet zu haben.
Das Buscetta-Theorem Die wahrscheinlich weit reichendste Bedeutung, die der MaxiProzess hatte, war der Umstand, dass das Gericht in seiner Urteilsbegründung in vollem Umfang dem so genannten BuscettaTheorem gefolgt war. Das nach Tommaso Buscetta benannte Theorem besagt, dass die Macht der verschiedenen Mafia-Familien Siziliens pyramidal aufgebaut sei. Die Annahme dieser hierarchischen Organisationsweise zieht schwerwiegende juristische Folgen nach sich. Denn wenn die Ermordung von Politikern, Polizis103 Peter Müller: Die politische Macht der Mafia, S. 288. 104 Ebd., S. 289.
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ten oder Richtern nicht ohne die Einwilligung der Kommission, also des obersten Gremiums, durchgeführt werden kann, dann sind die Mitglieder dieses obersten Gremiums auch dann als Mittäter bei Morddelikten zu betrachten, wenn ihnen keine unmittelbare Tatbeteiligung nachgewiesen werden kann. In den Worten Buscettas: »Kein Vertreter (Capo-Famiglia) darf auf eigene Faust jemanden töten, ohne seinen Capo-Mandamento zu fragen, der dies an den Ausschuss [die Kommission, MLH] weitergibt. Der Ausschuss weiß über jeden Mord Bescheid, besonders bei wichtigen Leuten.«105 Die Akzeptanz des Buscetta-Theorems zog zwei wesentliche Folgen nach sich. Zum einen war damit zum ersten Mal in der italienischen Geschichte eine juristische Konstruktion geschaffen worden, die es ermöglichte, nicht nur die einfachen Killer, sondern auch die Hintermänner zur Verantwortung zu ziehen. Und zwar selbst dann, wenn die direkte Auftragsweisung weder durch Zeugenaussagen noch durch andere Indizien gestützt werden kann, was aufgrund der klandestinen Organisationsstruktur der Cosa Nostra die Regel sein dürfte. Zum anderen war damit der jahrzehntelange Disput, ob die Cosa Nostra als kriminelle Vereinigung mit hohem Organisationsgrad oder als lose Ansammlung zahlreicher rivalisierender Banden betrachtet werden sollte, juristisch entschieden. »Die sizilianische Mafia, 100 Jahre lang als bloße ›Geistesverfassung‹ interpretiert, entpuppte sich endlich als organisiertes internationales Verbrechersyndikat. Aus den Beweisen ging sie als ›ein Staat im Staate, als Gegenstaat mit Regierung, Armee, Territorium, Ritualen, Moralkodex und Rechtsordnung hervor‹, wie der Staatsanwalt in seinem Resümee formulierte.«106
105 Zitiert nach: Claire Sterling: Die Mafia, S. 304. 106 Claire Sterling: Die Mafia, S. 299.
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Wandel der öffentlichen Meinung Seit der Verhaftungswelle im Sommer des Jahres 1984, als aufgrund der Ermittlungsarbeiten des Pool Antimafia und der Aussagen Buscettas zeitgleich 366 Haftbefehle ausgestellt und in einer konzertierten Aktion vollstreckt worden waren, machten zahlreiche Tageszeitungen mit »Anti-Mafia«-Schlagzeilen ihre Titelseiten auf.107 Große Teile der öffentlichen und veröffentlichten Meinung betrachteten offenkundig die Mafia als schlimmes Übel und den Kampf gegen sie als zentrale Aufgabe des Staates. Kurz vor Eröffnung des Maxi-Prozesses hielten Schüler und Studenten in Palermo eine Kundgebung ab, um ihre Solidarität mit den Ermittlungsrichtern öffentlich zu demonstrieren. Dennoch erscheint in der historischen Retrospektive der größte Erfolg des Pool Antimafia, der Maxi-Prozess, gleichsam als Kulminationspunkt, der das Moment des Niedergangs bereits in sich zu tragen schien. Bereits vor Eröffnung des Prozesses deuteten sich kritische Stimmen an. Der Erzbischof von Palermo, Salvatore Pappalardo, erklärte beispielsweise auf einer Pressekonferenz: »Warum widmen Sie dieser Frage (nach der Mafia) so große Beachtung? In meiner Tätigkeit als Bischof macht sie vielleicht nur 2 Prozent meiner Arbeit aus ... Die Mafia kostet weniger Menschenleben als die Abtreibung.«108 Auch wenn die öffentliche Meinung noch mehrheitlich hinter der Arbeit der Ermittlungsrichter zu stehen schien, wurde während des Prozessverlaufs zunehmend Kritik laut. Die palermitanische Tageszeitung Giornale di Sicilia begann Artikel zu publizieren, in denen die Autoren ihren Unmut über den Lärm der Fahrzeugkolonnen äußerten, mit denen die Richter und Staatsanwälte täglich zum Gerichtssaal eskortiert wurden. Es 107 Diese euphorische Stimmung prägte auch bei den europäischen Nachbarstaaten die mediale Wahrnehmung. Vgl. beispielsweise: Johannes von Dohnanyi: »Kopflose Hydra. Im Kampf gegen die Mafia holte die italienische Polizei zu einem entscheidenden Schlag aus«, in: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 7.10.84, S. 7. Klaus Arnsperger: »Die Rache des ehrenwerten Don Masino. Palermo: Massenprozess gegen die Mafia«, in: Süddeutsche Zeitung, 8./9.2.86, S. 3. Erwin Brunner: »Ehrenwerte Leichen. Die Mafia hinter Gittern«, in: Die Zeit, 1986, Nr. 15, S. 17-19. Horst Schlitter: »Kampf der Familien. Die Mafia zerstört mit ihren großen Geschäftserfolgen die eigene Basis«, in: Frankfurter Rundschau, 26.5.1986, S. 21. 108 Zitiert nach: Alexander Stille: Die Richter, S. 186.
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wurde der Vorwurf formuliert, die Mafia-Jäger würden mit Polizeikolonnen und Carabinieri-Einheiten die Stadt »militarisieren«. Darüber hinaus wurden der Aufwand und die hohen Kosten des Maxi-Prozesses hochgerechnet und mit Finanzierungslücken in den öffentlichen Haushalten in Beziehung gesetzt. Schließlich wurden prominente Politiker zitiert, die vor einer »Vorverurteilung« und einem »Klima der Verdächtigungen« warnten. Und als Vito Ciancimino, ein früherer Bürgermeister von Palermo, im Zuge von Korruptionsermittlungen verhaftet wurde, demonstrierten Arbeitslose in den Straßen der sizilianischen Stadt und sollen dabei nach Medienberichten »Unter Ciancimino gab es wenigstens Arbeit!« und »Lang lebe die Mafia!« skandiert haben.109 Die vordergründig vielgestaltige und zunehmende Kritik am Pool Antimafia kann kategorial in drei Argumentationsstrategien unterteilt werden: Erstens in persönliche Angriffe gegen die Ermittlungsrichter, zweitens in eine grundsätzliche Kritik an der Verwendung von Kronzeugen und drittens in eine Kritik am MaxiProzess als Massengerichtsverhandlung, die nicht in vollem Umfang rechtsstaatliche Grundsätze garantiere. Persönliche Angriffe gegen die Ermittlungsrichter: Unter den persönlichen Angriffen ist jener, der am 10. Januar 1987 als Zeitungsartikel im Corriere della Sera erschienen ist, also ziemlich genau zur Halbzeit des Maxi-Prozesses, wohl derjenige mit der weit reichendsten Wirkung gewesen. Unter der Überschrift »Beruf MafiaJäger« veröffentlichte der Schriftsteller Leonardo Sciascia einen bitteren Text, in dem er beklagte, dass der Krieg gegen die Mafia in Sizilien zu einem »machtpolitischen Instrument« und zu einem »Karrieresprungbrett« verkommen sei. Als personale Beispiele führte er Palermos damaligen Bürgermeister Leoluca Orlando und Paolo Borsellino an, einen der Ermittlungsrichter des Pool Antimafia. Sciascia beendete seinen Artikel mit der bissigen Feststellung: »Nichts ist einem Karrieresprung in der sizilianischen Justiz förderlicher, als wenn man an einigen Mafia-Prozessen mitgewirkt hat.«
109 Vgl. zu diesen Vorzeichen eines Stimmungsumschwungs beispielsweise: Vincenzo Delle Donne: Falcone, S. 110. Claire Sterling: Die Mafia, S. 301. Alexander Stille: Die Richter, S. 185.
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Dieser Angriff sorgte alleine schon aufgrund des Autors für Aufmerksamkeit, denn Leonardo Sciascia war nicht nur der berühmteste Schriftsteller Siziliens, sondern hatte sich in den sechziger und siebziger Jahren als Mafia-Kritiker eine hohe moralische Anerkennung erworben.110 Viele seiner Werke sind schlichte Kriminalromane, in denen die mafiose Gesellschaftsordnung exemplarisch vorgeführt und angeklagt wird: Intrigen, Korruption, Verfilzung von Wirtschafts- und Parteiinteressen, Gewalt, Verschleierung und der Versuch der Aufklärung. Darüber hinaus war Sciascia selbst politisch aktiv gewesen. 1975 war er als unabhängiger Kandidat auf der Liste der Kommunistischen Partei in den Stadtrat von Palermo gewählt worden, und von 1979 bis 1983 war er unabhängiger Abgeordneter mit Fraktionsanbindung an die Partito Radicale von Marco Panella im italienischen und Europäischen Parlament gewesen. Was konnte diesen ehemaligen Mafia-Kritiker bewogen haben, in dieser Radikalität als Kritiker der Anti-Mafia-Kräfte aufzutreten? Alexander Stille nennt zwei mögliche Gründe: Zum einen führt er die »nonkonformistische Provokateurs-Mentalität« Sciascias an, die den Schriftsteller dazu gebracht habe, in einer Zeit, in der sich die Mehrheit der Bevölkerung allem Anschein nach geschlossen hinter die Anti-Mafia-Ermittler scharte, eine Gegenposition einzunehmen und vor einem neuen Konformismus zu warnen. Überzeugender jedoch scheint der zweite Grund zu sein, den Stille darin vermutet, dass sich Sciascia vom Beginn seiner Autorenlaufbahn an mit dem Problem einer unkontrollierten Justiz auseinandergesetzt habe.111 Einige Jahre vor der Veröffentlichung dieses Artikels hatte er sich beispielsweise im skandalösen Fall des Fernsehmoderators Enzo Tortora engagiert, der fälschlicher-
110 Leonardo Sciascias (1921 bis 1989) Romane können noch heute als Sittengemälde Siziliens gelesen werden und prägten für Generationen das Bild der Mafia. Zu seinen bekanntesten Romanen gehören Der Tag der Eule (aktuelle Ausgabe: Berlin 2000), Das Gesetz des Schweigens (aktuelle Ausgabe: Wien 1998), Der Zusammenhang (aktuelle Ausgabe: Berlin 2001) oder Tote auf Bestellung (aktuelle Ausgabe: Berlin 2001). 111 Auch Salvatore Lupo stützt diese These: »Völlig konträr ist die Position Leonardo Sciascias, der, als guter Anarchist, eine ›Handschellenkultur‹ befürchtet.« Salvatore Lupo: Die Geschichte der Mafia, S. 317.
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weise des Drogenhandels bezichtigt worden war und dessen Karriere durch diesen Vorwurf ruiniert wurde.112 Berücksichtigt werden sollte auch, dass Sciascia 1987 bereits sehr krank war und nach kritischen Reaktionen auf seinen Artikel selbst eingestand, dass er kaum etwas über Borsellino wisse, außer einigen Dokumenten, die Freunde ihm zugespielt hätten.113 »Falcone sprach immer mit Hochachtung von Sciascia. In mir leben jedoch die Bitterkeit und die Wut über einen ungerechten und unmotivierten Angriff fort, der überdies eine Person wie Paolo Borsellino – Hauptziel von Sciascias Artikel – traf«,114 schreibt Borsellinos ehemaliger Vorgesetzter Antonino Caponnetto und fügt hinzu: »Ein Satz des Artikels hat sich mir eingeprägt: ›Um heutzutage Karriere zu machen, reicht es einen Mafia-Prozess anzustrengen.‹ Wenn ich mir diesen Satz ins Gedächtnis zurückrufe, kann ich nicht umhin, an Livatino, Scopelliti, Falcone, Borsellino und all die anderen zu denken, die ›Karriere gemacht haben‹.«115 Kritik an der Verwendung von Kronzeugen: Die Sonderbehandlung und die gerichtliche Verwendung von Kronzeugen, so genannter Pentiti, waren und sind Gegenstand einer heftigen rechtswissenschaftlichen, rechtspolitischen und rechtsphilosophischen Debatte – nicht nur in Italien –, deren detaillierte Nachzeichnung den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde.116 Die 112 Der Fernsehmoderator Enzo Tortora war 1983 in Neapel verhaftet worden, einzig aufgrund der Aussagen zweier Mafiosi, die ihn des Drogenhandels bezichtigt hatten. Er wurde in Untersuchungshaft genommen, sein Fall machte Schlagzeilen und seine Fernsehkarriere war aufgrund dieses Vorfalls ruiniert. Während des anschließenden Kampfs um seine Rehabilitierung starb Tortora an Krebs. 113 Vgl. dazu: Alexander Stille: Die Richter, S. 202-204. 114 Antonino Caponnetto, Saverio Lodato: Die Antimafia, S. 120. 115 Ebd., S. 121. Vgl. dazu auch: Leoluca Orlando: Ich sollte der nächste sein. Zivilcourage – die Chance gegen Korruption und Terror, Freiburg 2002, S. 127: »Der von Sciascias Beitrag ausgelöste Aufruhr tobte noch wochenlang und wurde durch die Beiträge anderer Zeitungen noch vergrößert. Im Endergebnis standen wir in der anwachsenden Antimafiabewegung so da, als ob wir ein Zwilling der Mafia wären.« 116 Vertiefte rechtswissenschaftliche Einblicke in diese Debatte, die nicht nur in Italien vehement geführt wird, finden sich in: Stefanie Mehrens: Die Kronzeugenregelung als Instrument zur Bekämpfung organisierter Kriminalität. Ein Beitrag zur deutsch-italienischen Strafprozessrechtsvergleichung, Freiburg 2001. Oder in: Matthias Breucker,
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durchaus schwerwiegenden Argumente, die von Gegnern einer Kronzeugenregelung ins Feld geführt werden, lassen sich vereinfacht auf drei Grundargumente zurückführen: Erstens bestehe, wie bereits an anderer Stelle dargelegt, die Gefahr der Ausnutzung des Rechtsinstituts der Kronzeugenschaft zur persönlichen Rache. Zweitens bestünden generelle Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Aussteiger aus dem kriminellen Milieu. Drittens verletze die Sonderbehandlung eines Kronzeugen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung.117 Auf der anderen Seite verweisen die Befürworter einer Kronzeugenregelung auf den praktischen Nutzen der Pentiti, ohne deren Aussagen vertiefte Einblicke in die klandestine Organisationsstruktur der Cosa Nostra nicht möglich wären. Wobei auch die Befürworter selbstverständlich die Notwendigkeit betonen, dass zwischen glaubwürdigen und unglaubwürdigen Kronzeugen unterschieden werden müsse. Der damalige Justizminister Oliviero Diliberto betonte dies 1999, als nach dem Freispruch Giulio Andreottis erneut ein erbitterter Streit um die Glaubwürdigkeit von Mafia-Aussteigern entbrannt war. Oliviero Diliberto schloss mit der Feststellung: »[Die Überprüfung der Glaubwürdigkeit der Aussagen] obliegt den Richtern. Es wäre Unsinn, die Reumütigen zu dämonisieren.«118 Grundsätzliche Kritik am Maxi-Prozess: Die öffentlich formulierten Ängste und Befürchtungen gingen teilweise über Warnungen
Rainer O. Engberding: Die Kronzeugenregelung. Erfahrungen, Anwendungsfälle, Entwicklungen, Stuttgart 1998. Oder in: Florian Jessberger: Kooperation und Strafzumessung. Der Kronzeuge im deutschen und amerikanischen Strafrecht, Berlin 1999. 117 In Deutschland führten diese Bedenken 1999 zur Abschaffung der Kronzeugenregelung in den Bereichen Terrorismus und organisierter Kriminalität, lediglich im Drogenstrafrecht blieb die so genannte »kleine« Kronzeugenregelung bestehen. Die Kronzeugenregelung war 1989 ins deutsche Strafrecht eingeführt worden, wegen der rechtsstaatlichen Bedenken jedoch auf drei Jahre befristet worden. 1993 und 1996 wurde sie verlängert. 1999 verzichtete der Bundestag auf eine Verlängerung und ließ das Gesetz somit »auslaufen«. 118 Zitiert nach: Bernhard Hülsebusch: »Der Streit um die MafiaAussteiger. Vorwürfe nach Andreottis Freispruch gegen Kronzeugen – Urteil in Palermo kommt im Oktober«, in: Badische Zeitung, 27.09.99.
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vor einer Gefährdung durch geständige Verbrecher hinaus, deren Aussagen dazu dienen könnten, persönliche Rachegelüste zu stillen und angesehene Bürger ins Gefängnis zu bringen. »Gleichzeitig wurde eine Pressekampagne gestartet, ... die erreichen wollte, den Maxi-Prozess als gerichtliches Instrumentarium an sich in Frage zu stellen«,119 schreibt Antonino Caponnetto. Und Vincenzo Delle Donne ergänzt über die damals vorherrschende Stimmung: »Massenprozesse seien die moderne Form der Inquisition und machten eine Wahrheitsfindung a priori unmöglich. Das Aburteilen von Angeklagten in Massenprozessen, hieß es, sei nur eine rudimentäre Antwort der Justiz auf die Bedrohung durch das organisierte Verbrechen.«120 Dieser Kritik kann im Wesentlichen mit zwei Argumenten entgegengetreten werden, mit einem implizit substanziellen und mit einem empirischen. Implizit substanziell für diese Form des Massenprozesses spricht der in der Anklageschrift umfassend begründete Verdacht, dass die Vielzahl der einzelnen Delikte nicht nur als separate Vergehen betrachtet werden sollten, sondern als Teile eines einheitlichen, organisierten kriminellen Handelns bewertet werden müssen. Wenn man dem Buscetta-Theorem folgt, dann ist der Mord eines einfachen »Soldaten« auch ein Gewaltverbrechen, das den Vertretern der übergeordneten Ebenen angelastet werden kann und muss. Darüber hinaus steht dieser einzelne Mord in direktem Zusammenhang mit dem »Geschäftsgebaren« der Organisation, in deren Namen er vollstreckt wurde. Um diese Strukturen offen legen zu können, müssen einzelne Delikte in Komplexen zusammengefasst werden, die wiederum mit möglicherweise aus anderen Fällen gewonnenen Erkenntnissen in Verbindung gesetzt werden müssen. Eben genau dieses Vorgehen entsprach der Ermittlungsarbeit des Pool Antimafia, der schließlich durch diese Methodik die Grundlagen für den Maxi-Prozess geschaffen hatte. Corrado Stajano, der die Anklageschrift in gekürzter Fassung als Buch herausgegeben hat, schreibt dazu in seinem Vorwort: »Die 40 Bände und 8.607 Seiten der Anklageschrift fügen sich zu einem grundlegenden Röntgenbild der italienischen Gesellschaft von heute zusammen, ... deren Widersprüche schwer begreiflich sind, solange man die Mafia außer acht lässt, ... ihre le119 Antonino Caponnetto, Saverio Lodato: Die Antimafia, S. 124. 120 Vincenzo Delle Donne: Falcone, S. 110.
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galen und illegalen geschäftlichen Aktivitäten, ... ihre Organisationsstruktur und militärische Stärke, ihre internen Hegemoniekämpfe, ihre politischen Anschläge, aber auch ihre Sprache und Gepflogenheiten ... Zum ersten Mal seit der Einigung Italiens ... liegt uns eine Darstellung des Phänomens [Mafia] in seiner ganzen Komplexität vor.«121 Neben diesem impliziten und substanziellen Argument lässt sich quasi ex post ins Feld führen, dass alleine die empirische Tatsache, dass am Ende 114 Angeklagte aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurden, die These stützt, dass die Richter und Geschworenen des Maxi-Prozesses trotz der Größe des Verfahrens eben nicht Pauschalurteile gefällt, sondern trotz der Gesamtschau die individuell nachweisbaren Straftatbestände als Basis der Urteilsfindung berücksichtigt haben.
Die Phase der Berufungsverhandlungen Während der 22 Monate, in denen der Maxi-Prozess verhandelt wurde, kam es zu einem massiven Rückgang im Bereich der Gewaltkriminalität in Palermo.122 Doch Peter Müller verweist darauf, dass direkt nach der Urteilsverkündung Anfang 1988 eine »neue Welle der Gewalt mit einigen Hundert Gewaltverbrechen« losgebrochen sei, »dazu schnellte die Zahl der Anschläge auf Repräsentanten des Staates nach einer Phase der Ruhe während des Maxiprozesses wieder nach oben«. Das Gefährdungs- und Gewaltpotenzial der Mafia schien wieder zuzunehmen. Was diese Krisensituation zusätzlich verschärfte, war der Umstand, dass viele Urteile des Maxi-Prozesses aufgehoben wurden, weil »die Richter den Aussagen von Kronzeugen allein keine ausreichende Beweiskraft mehr einräumten«.123 Am weit reichendsten war jedoch die Entwicklung, dass die Rechtmäßigkeit des Buscetta-Theorems in Zweifel gezogen wurde, was für die Arbeit des Pool Antimafia als Existenzfrage bewertet werden musste. Denn ohne die Anerkennung eines hierarchischen Aufbaus der Cosa Nostra, die dabei als komplexe Organisa121 Corrado Stajano zitiert nach Alexander Stille: Die Richter, S. 183. 122 Nach rund 150 Morden pro Jahr in der Phase des zweiten großen Mafiakrieges, sank in den Jahren 1986 und 1987 die durchschnittliche Zahl der amtlich registrierten Morde in Palermo auf 33. 123 Peter Müller: Die politische Macht der Mafia, S. 288f.
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tion begriffen wird, würde nicht nur ein Großteil der Urteile des Maxi-Prozesses obsolet werden, sondern es wäre grundsätzlich – auch in Zukunft – kaum möglich, über die einfachen Ausführenden einer Mordtat an die Hintermänner dieser Tat zu gelangen. Die Frage der Rechtmäßigkeit des Buscetta-Theorems kann für die juristische Seite des Kampfes gegen die Mafia kaum hoch genug veranschlagt werden und ging deshalb folgerichtig durch alle Gerichtsinstanzen und musste am Ende höchstrichterlich entschieden werden. Zuvor, so rechnet Claire Sterling vor, flüchteten 2.992 Strafgefangene in der zweiten Hälfte des Jahres 1988 auf die denkbar einfache Art und Weise aus dem Gefängnis, indem sie einfach aus dem Gefängnisurlaub oder dem täglichen Freigang nicht zurückkehrten. Bei mindestens der Hälfte der Geflohenen soll es sich um Mafiosi gehandelt haben, die wegen Raub, Rauschgifthandel, Entführung oder Mord verurteilt worden waren. Konkret auf den Maxi-Prozess bezogen schreibt Sterling, dass zu Beginn des Jahres 1989 sich lediglich noch 60 der im Maxi-Prozess verurteilten Angeklagten tatsächlich in Haft befunden haben sollen.124 Diese Entwicklung einer massiven Fluchtbewegung verurteilter Mafiosi aus den Gefängnissen löste die hart erarbeiteten Ergebnisse des MaxiProzesses in weiten Teilen gleichsam auf. Parallel zu dieser Entwicklung erschütterte ein erneutes Attentat auf einen Richter die sizilianische Öffentlichkeit: Am 25. September 1988 wurde Richter Antonio Saetta ermordet, der am parlermitanischen Appellationsgericht mit Berufungsverhandlungen des Maxi-Prozesses betraut war. Nicht ganz drei Jahre danach, am 9. August 1991, wurde Antonio Scopelli getötet, ein Staatsanwalt, der zu diesem Zeitpunkt an den Plädoyers für die letztinstanzliche Berufungsverhandlung zum Maxi-Prozess am Obersten Gerichtshof Italiens arbeitete.125 Die Situation war paradox: Während sich der Großteil der im Maxi-Prozess verurteilten Mafiosi wieder in Freiheit befand – auf legale oder illegale Weise –, mussten die mit den Berufungsverhandlungen des Maxi-Prozesses betrauten Juristen unter der Last offenkundiger Todesdrohungen quasi in »Sicherheitsverwahrung« leben.
124 Claire Sterling: Die Mafia, S. 314 und 316. 125 Vgl. dazu: Fabrizio Calvi: Jenseits von Palermo, S. 292f.
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Keine sechs Monate nach dem Attentat auf Antonio Scopelli verkündete der Oberste Gerichtshof Italiens schließlich am 31. Januar 1992 seine letztinstanzliche Entscheidung zu den Urteilen des Maxi-Prozesses. Das mit Spannung erwartete Urteil verschaffte der Arbeit des Pool Antimafia eine eindrucksvolle Bekräftigung: Alle erstinstanzlichen Urteile wurden bestätigt, und die Anwendung des Buscetta-Theorems wurde als rechtmäßig anerkannt.
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VI. Partieller Ausnahmezustand und normative Bindung
Der Souverän ist der Punkt der Ununterschiedenheit zwischen Gewalt und Recht, die Schwelle, auf der Gewalt in Recht und Recht in Gewalt übergeht. Giorgio Agamben
[Aus ders.: Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben, FrankfurtM. 2002, S. 42.]
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1. Ordnungsstiftung und Gewalt Die Geschichte der Mafia ist eine Geschichte der Gewalt. Das wurde in den oben gemachten Ausführungen hinlänglich verdeutlicht und wird durch den dargelegten Sachverhalt verständlich, dass Gewalt eines der wesentlichen Bestandteile des sozialen Kapitals mafioser Gruppierungen darstellt: Es ist die Basis ihres Durchsetzungspotenzials nach außen und gleichsam das Bindemittel organisierter Kriminalität nach innen. Initiiert ist, wer seine Gewaltbereitschaft für die gemeinsame Sache unter Beweis gestellt hat. Doch nicht nur die Geschichte der Mafia ist eine Geschichte der Gewalt – »Gewalt ist die ordnungsstiftende Erfahrung schlechthin«,1 schreibt Heinrich Popitz und verweist damit auf einen basalen Urgrund, den auch befriedete Gesellschaften nicht verschwinden machen können. Unverkennbar stellt sich Popitz in die philosophische Tradition von Thomas Hobbes, wenn er weiter ausführt: »[D]ie Idee der Ordnung entsteht im Naturzustand aus der Furcht vor Gewalt und dem Gegenmotiv der Sicherheit.«2 Es ist die anthropologische Grundpotenz, andere verletzen oder töten zu können, ihnen also Gewalt antun zu können, die unter dieser Perspektive als Bestimmungsgrund der Struktur sozialen Zusammenlebens begriffen werden muss. Denn: »Gewalt ist eingrenzbar und ist dauerhaft nur eingrenzbar durch soziale Institutionen.«3 Aber auch soziale Ordnungen, die Gewalt eingrenzen, können Gewalt nicht in Nichts auflösen. »Sie benötigen vielmehr selbst Gewalt – eine ›Eigengewalt der Ordnung‹ –, um die Eindämmung von Gewalt durchsetzen und sich selbst verteidigen zu können. Jeder Ordnungsentwurf unterliegt diesem circulus vitiosus der Gewalt-Bewältigung: Soziale Ordnung ist eine notwendige Bedingung der Eindämmung von Gewalt – Gewalt ist eine notwendige Bedingung zur Aufrechterhaltung sozialer Ordnung.«4 Damit ist der grundsätzliche Zusammenhang von Gewalt und Ordnungsstiftung von Heinrich Popitz herausgearbeitet, den
1 Heinrich Popitz: Phänomene der Macht, Tübingen 1992 (2., stark erweiterte Auflage), S. 61 (Hervorhebung im Original). 2 Ebd. 3 Ebd., S. 62f. (Hervorhebung im Original). 4 Ebd., S. 63.
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Carl Schmitt als Staatstheoretiker in grundlegender Weise formuliert, indem er gleichsam archäologisch das unter der Oberfläche befriedeter politischer Normalzustände verborgene Fundament der Gewalt in Zeiten des Ausnahmezustands sichtbar zu machen versucht. Wahrscheinlich liegt in diesem Wesenszug der Schmitt’schen Schriften eine tiefere Ursache für die bis heute andauernde Ablehnung seiner Reflexionen in weiten Teilen der Politik-, Sozial- und Rechtswissenschaften. Die charakterlichen Mängel des Autors, seine Verstrickungen in und Anbiederungen an den Nationalsozialismus nach 1933 und die Legitimierung neuzeitlicher Diktatur lange vor 1933 können unter dieser Perspektive als Oberflächenphänomene begriffen werden, die letzten Endes den Blick auf die tiefere Ausrichtung seiner Arbeit verstellen: den Impetus der Konfrontation mit der verdrängten und überwunden geglaubten Gewaltförmigkeit des eigenen sozialen Fundaments.5 Im Bezugsraum des befriedeten und verfassungsrechtlich gesetzten Raumes westlicher Industriegesellschaften, die auf der Basis der Gewaltlosigkeit und Rechtförmigkeit der sozialen Interaktion den Umgang zwischen den einzelnen Gesellschaftsmitgliedern regeln, wirkt Schmitts Denken wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Im ersten 5 Wo dieser Impetus wahrgenommen wird, findet er in der Regel keine ausreichende Würdigung. Dirk Berg-Schlosser und Theo Stammen bezeichnen Schmitt lediglich als »bestimmte[n] Unterfall dieses realistischen Politikbegriffs ... im deutschen Bereich«, der »nicht zufällig u.a. auch auf Thomas Hobbes« verweise. Dirk Berg-Schlosser, Theo Stammen: Einführung in die Politikwissenschaft, München 1992, S. 27 und 28. Auch Manfred Mols subsumiert Schmitt unter die so genannte realistische Schule der Politikwissenschaft und erläutert: »Man nennt im allgemeinen diejenigen, die sich beim wissenschaftlichen Nachdenken über Politik auf Machtverhältnisse konzentrieren, Realisten. Die realistische Schule hat besonders in der Lehre von den internationalen Beziehungen einen anerkannten Stellenwert.« Manfred Mols: »Politik als Wissenschaft. Zur Definition, Entwicklung und Standortbestimmung einer Disziplin«, in: Ders., Hans-Joachim Lauth, Christian Wagner (Hg.): Politikwissenschaft: Eine Einführung, Paderborn u.a. 1994, S. 26. Was bei diesen Beurteilungen nicht in ausreichendem Maße wahrgenommen wurde, ist der Umstand, dass es bei Schmitt nicht nur um Macht, sondern an wesentlichen Stellen um Gewalt geht. Zwei Begriffe, die aufeinander bezogen sind, aber dennoch (oder vielleicht gerade deswegen) terminologisch scharf geschieden werden müssen.
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Augenschein erscheinen die Grundfiguren seines Denkens archaisch und unzeitgemäß, doch nur eben so lange, wie man sich im Bezugsraum des gegenwärtigen mitteleuropäischen oder zumindest westlichen Ist-Zustands aufhält. Und selbst hier scheint an den Grenzen der Aufrechterhaltung der herrschenden Ordnung, wie sie beispielsweise durch das Phänomen der organisierten Kriminalität und den staatlichen Bemühungen ihrer Bekämpfung deutlich werden, die Evidenz der Schmitt’schen Kategorien auf. Schmitts Theoreme sind grundlegender Natur, sie verweisen auf die Grundlegung der Staatlichkeit, den Moment der Setzung, der nicht selten ein Moment der Durch-Setzung ist. Ein Moment, der sich in Grenzsituationen, oder anders formuliert in Ausnahmezuständen, perpetuieren und erneut beweisen muss. In diesem Bezugsrahmen gewinnen Schmitts Kategorien Diagnosekraft, lediglich hier werden die hinlänglich bekannten Konstrukte – sein Begriff der Souveränität, die Freund-Feind-Unterscheidung oder die Sichtbarkeit der Macht – zu brauchbaren Instrumentarien sozialtheoretischer Reflexion.
2. Verbindungslinien: Gewalt, Macht, Staat Gewalt als »Horizont des sozialen Lebens« Der Hiatus zwischen der befriedeten Oberfläche des Normalzustands und seiner zumindest potenziell gewaltförmigen Grundlegung kann auch in philosophischen Kategorien gefasst werden. Willem van Reijen weist darauf hin, dass es gegenwärtig zwei Bedeutungen von »Politik« gebe: »In der einen geht es um alles oder nichts, Himmel oder Hölle, Überleben oder Untergang, die Anderen sind entweder Freund oder Feind ... In der anderen, modernen Bedeutung von Politik geht es um die Feststellung und Sicherung praktischer Interessen, wie wir sie im Rahmen westeuropäischer Demokratien zu schätzen gelernt haben.«6 Und weiter: »Wir sind alle von der Unverzichtbarkeit der Gewaltenteilung, der parla-
6 Willem van Reijen: Kann Philosophie politisch sein?, unveröffentlichtes Manuskript der Antrittsvorlesung anlässlich der Verleihung der Honorarprofessur an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br., gehalten am 19. Juni 2002 in Freiburg, S. 2.
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mentarischen Regierungskontrolle, einer frei und geheim gewählten Volksvertretung und einer gut funktionierenden Verwaltung überzeugt. Gleichwohl zeigt sich, dass diese Errungenschaften auf Dauer nicht ausreichen, zu verstehen, was ›Politik‹ ist.«7 Anders formuliert: Man kommt nicht umhin, unter die Oberfläche zu blicken und die eingehegte Gewaltsamkeit anzuerkennen. »Letzter Bezugspunkt für jede politische Philosophie ist die Gewalt«,8 schreibt Willem van Reijen folgerichtig. Oder wie Raymond Boudon und François Bourricaud es formulieren: »Die Gewalt bildet so etwas wie den Horizont des sozialen Lebens ... Sie stellt die äußerste Grenze dar, die Schwelle, jenseits deren die Individuen keine authentische Gemeinschaft mehr bilden.«9 Ohne namentlich auf ihn zu rekurrieren, geben Boudon und Bourricaud an dieser Stelle im Kern zwei der zentralen Sätze von Heinrich Popitz wieder: Erstens, dass Gewalt die ordnungsstiftende Erfahrung schlechthin sei, und zweitens, dass Gewalt dauerhaft nur durch soziale Institutionen eingrenzbar sei. Im Wechselschluss fassen Boudon und Bourricaud das in die Worte: »Eine auf Gewalt reduzierte Gesellschaft ist letzten Endes ein Widerspruch in sich: eine ›Nicht-Gesellschaft‹.«10 Denn eine der grundlegenden Leistungen sozialen Zusammenschlusses stellt eben die Einhegung der Gewalt dar. Was aber ist unter Gewalt zu verstehen? Popitz gibt eine Definition der Gewalt, die in ihrer Klarheit an die Tradition Weberscher Begriffsbestimmungen erinnert: »Gewalt meint eine Machtaktion, die zur absichtlichen körperlichen Verletzung anderer führt, gleichgültig, ob sie für den Agierenden ihren Sinn im Vollzug selbst hat (als bloße Aktionsmacht) oder, in Drohungen umgesetzt, zu einer dauerhaften Unterwerfung (als bindende Aktionsmacht) führen soll.«11 Raymond Boudon und François Bourricaud ergänzen diese Definition um eine Differenzierung in dezentralisierte und organisierte Gewalt: »Die dezentralisierte Gewalt wird auf einen ihr vorausgehenden Zustand der Desorganisation 7 Ebd. 8 Willem van Reijen: Der Schwarzwald und Paris. Heidegger und Benjamin, München 1998, S. 184. 9 Raymond Boudon, François Bourricaud: »Gewalt«, in: Dies.: Soziologische Stichworte, Opladen 1992, S. 175. 10 Ebd., S. 179. 11 Heinrich Popitz: Phänomene der Macht, S. 48.
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zurückgeführt. Die organisierte – und dadurch wirksamere – Gewalt hängt von dem Organisationsgrad der Gruppen ab, die sich ihrer bedienen.«12 Dass organisierte Gewalt in der Tat wirksamer ist als dezentralisierte Gewalt, wurde in dieser Arbeit am Beispiel der organisierten Kriminalität der Cosa Nostra hinlänglich verdeutlicht.
Exkurs: Georges Sorels Mythos der Gewalt Wenn theoretisch über Gewalt reflektiert wird, zumal im Kontext des staatstheoretischen Werks Carl Schmitts, darf ein Verweis auf Georges Sorel nicht fehlen. Seine Anfang des 20. Jahrhunderts vorgelegte Theorie der Gewalt13 hatte großen Einfluss auf die Genese des italienischen Faschismus einerseits und die konzeptionelle Erneuerung der anarchistischen »Propaganda der Tat« andererseits. Carl Schmitt betrachtete Sorel gar als »Schlüssel zu allem gegenwärtigen politischen Denken«.14 Von der Lebensphilosophie Henri Bergsons ausgehend und anarchistische Impulse von Pierre-Joseph Proudhon und Michail Bakunin aufnehmend, entwickelte Sorel eine dem Irrationalismus verpflichtete Lehre der sozialen Mythen, die den Dualismus aus kühl kalkulierendem Intellekt einerseits und freiem, unmittelbarem und konkretem Leben andererseits überwinden helfen sollte. Denn dieser Dualismus binde das Leben und führe zur Dekadenz der bürgerlichen Neuzeit. Grundlegend für Sorels Argumentation ist dabei eine entlang der Trennlinie zwischen Rationalismus und Irrationalismus entwickelte definitorische Grundunterscheidung zwischen Utopie und Mythos. »Während unsere gegenwärtigen Mythen die Menschen dazu führen, sich auf einen Kampf vorzubereiten, um das Bestehende zu zerstören, ist es stets die Wirkung der Utopie gewesen, die Geister auf Reformen hinzulenken, die
12 Raymond Boudon, François Bourricaud: »Gewalt«, S. 179. 13 Georges Sorel: Über die Gewalt (1906), Frankfurt/M. 1969. 14 »In Deutschland ist Sorel auch heute noch (1926) kaum bekannt ... Dabei hat Wyndham Lewis ... durchaus recht, wenn er sagt: ›George [sic!] Sorel is the key to all contemporary political thought.‹« Carl Schmitt: Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 78 (Anmerkung 2, die erst in der zweiten Auflage eingefügt wurde).
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durch teilweise Umänderung ins Werk gesetzt werden können«,15 erläutert Sorel die verschiedenen Wirkungsweisen von Utopie und Mythos und verknüpft sie mit den klassischen politischen Optionen der sozialistischen Bewegung: Reform und Revolution. Vereinfacht lässt sich Sorels Argumentation in die schematischen und antagonistischen Ordnungslinien »Rationalismus (Räsonnement) – Utopie – Reform« contra »Irrationalismus (konkretes Leben) – Mythos – Revolution« bringen. »Ein Mythos kann nicht widerlegt werden, da er im Grunde das gleiche ist wie die Überzeugung einer Gruppe, da er der Ausdruck dieser Überzeugungen in der Sprache der Bewegung ist, und da es folglich nicht angeht, ihn in Teile zu zerlegen, wie sie bei einem Plane historischer Beschreibungen Verwendung finden könnten. Hingegen lässt die Utopie wie jede soziale Verfassung eine Erörterung zu; man kann die automatischen Bewegungen, die sie voraussetzt, mit denjenigen vergleichen, die im Laufe der Geschichte festgestellt worden sind, und so ihre Wahrscheinlichkeit abschätzen.«16 Kurz gefasst: Jenseits aller Diskutierbarkeit erzeuge der Mythos als bildhaftes Selbstverständnis vollzogener Aktionen eine kollektive Anpassung, die zu heroischen Taten beflügeln könne. Konkret erblickt Sorel im Mythos des Generalstreiks diese mobilisierende Kraft, die sich in gewaltsamen Aktionen entladen könne und die gerade deshalb die Arbeiterschaft zu einen vermöge.17 Carl Schmitt fasst diesen Gedankengang folgendermaßen zusammen: »Sorel sucht zu beweisen, dass nur noch die sozialistischen Massen des Industrieproletariats einen Mythus haben, und zwar im Generalstreik, an den sie glauben ... Der Glaube an den Generalstreik und an eine durch ihn herbeizuführende ungeheure Ka15 Georges Sorel: Über die Gewalt, S. 41. 16 Ebd., S. 42. 17 Nach den umfassenden Gewalterfahrungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der Shoah, der beiden Weltkriege, des Archipel Gulag sowie der Atom-Bomben-Abwürfe von Hiroshima und Nagasaki resümierte Hannah Arendt (freilich ohne die Wirkungsgeschichte Sorels zu würdigen): »Georges Sorel ... hatte jedoch letzten Endes nichts Gewaltsameres vorzuschlagen als den ›Mythos des Generalstreiks‹, eine Form der Aktion, die wir heute eher dem Arsenal der gewaltlosen Politik zuweisen würden. Vor fünfzig Jahren trug ihm selbst dieser bescheidene Vorschlag, ungeachtet seiner Begeisterung für Lenin und die russische Revolution, den Ruf eines Faschisten ein.« Hannah Arendt: Macht und Gewalt (1970), München 1994, S. 16.
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tastrophe des ganzen sozialen und wirtschaftlichen Lebens gehört daher zum Leben des Sozialismus.«18 Schmitt versucht in seiner Paraphrase des Sorelschen Textes nicht zu verhüllen, dass er in dem Franzosen, obwohl dieser sich der sozialistischen Bewegung verpflichtet fühlte, einen Bündnispartner gegen den rationalen und liberalen »Bürgerstaat« gefunden zu haben glaubte. »Aus den Tiefen echter Lebensinstinkte, nicht aus einem Räsonnement oder einer Zweckmäßigkeitserwägung, entspringt der große Enthusiasmus, die große moralische Dezision und der große Mythus.«19 Und schließlich in aller Deutlichkeit: »Unter dem Gesichtspunkt dieser Philosophie wird das bürgerliche Ideal friedlicher Verständigung, bei dem alle ihren Vorteil finden und ein gutes Geschäft machen sollen, zu einer Ausgeburt feigen Intellektualismus; die diskutierende, transingierende, parlamentierende Verhandlung erscheint als ein Verrat am Mythus und an der großen Begeisterung, auf die alles ankommt. Dem merkantilen Bild von der Balance tritt ein anderes entgegen, die kriegerische Vorstellung einer blutigen, definitiven, vernichtenden Entscheidungsschlacht.«20 Hier scheint ein unverhohlen produziertes Selbstbild eines »Kriegers am Katheder« auf, der von der Sehnsucht nach einem Aufreißen der ungeliebten, befriedeten Oberfläche21 getrieben zu sein scheint, um durch einen Rekurs auf das durch Ausgrenzung eingegrenzte soziale Substrat der Gewalt die Grundlage für eine neue Ordnung schaffen zu können. Insofern muss Schmitt immer als paradoxe Doppelfigur gelesen werden: als Apologet einer Gewaltkultur und zugleich als selbstberufener Bewahrer vor eben dieser.22 18 Carl Schmitt: Die geistesgeschichtliche Lage, S. 81. 19 Ebd., S. 80. 20 Ebd., S. 81. Anzumerken bleibt, dass Schmitt die Lehre der sozialen Mythen Sorels insofern wesentlich modifiziert, als dass er nicht länger den Generalstreik, sondern die nationale Erhebung als stärksten Mythos verstanden wissen will. »Die Energie des Nationalen«, so Schmitt, »[ist] größer als die des Klassenkampfmythus.« Ebd., S. 88. 21 Vgl. zum Begriff der »ungeliebten« Moderne die Ausführungen von Wolfgang Eßbach: »Radikalität bei Jünger und Bloch, Lukács und Schmitt«, in: Manfred Gangl, Gérard Raulet (Hg.): Intellektuellendiskurse in der Weimarer Republik, Frankfurt/M., New York 1994, S. 145159. 22 Vgl. dazu: Andreas Jung: »Der Aufhalter des Bösen. Carl Schmitt und die Grenze«, in: Markus Bauer, Thomas Rhan (Hg): Die Grenze.
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Macht als »universales Element der Vergesellschaftung« Popitz begreift Gewalt, also die anthropologische Grundpotenz, andere verletzen oder töten zu können, als erste Grundform der Machtausübung, aus der drei weitere anthropologische Grundformen abgeleitet werden können. Damit geht nach Popitz Gewalt implizit der Macht grundsätzlich voraus, auch dann, wenn sie explizit ihr nicht vorausgegangen ist, wie im Folgenden gezeigt werden wird. Macht, so Popitz, ist dabei »als universales Element menschlicher Vergesellschaftung zu verstehen«.23 Über die einfache Gewaltausübung, die Popitz auch verletzende Aktionsmacht nennt, schreibt er: »Menschen können über andere Macht ausüben, weil sie andere verletzten können ... Verletzungsaktionen setzen keine Methoden dauerhafter Kontrolle und keine organisierte Ausbeutung voraus, sie sind buchstäblich aus dem Handgelenk ausführbar.«24 Aus den spontanen Aktionen der verletzenden Aktionsmacht kann instrumentelle Macht werden, wenn bestimmte Aktionen, wie beispielsweise Strafen oder Belohnen, zurückgenommen werden zu Drohungen und Versprechungen. Die Wirkung solcher Drohungen und Versprechungen ist über Zeit und Raum dehnbar, da sie Angst und Hoffnung erzeugen, also handlungsleitende Gemütszustände, die das Handeln an Vermeidungshoffnungen oder Erlangungswünschen ausrichtet. »Die Motive, die Konformität erzeugen, ... können nur funktionieren, weil unser soziales Handeln sich am zukünftig erwarteten Handeln anderer orientiert, also aufgrund der konstitutiven Zukunftsorientiertheit von Interaktionen.«25 Anders formuliert: Instrumentelle Macht bedeutet die Verfügungsgewalt über Furcht und/oder Hoffnung anderer Menschen zu besitzen, und damit Begriff und Inszenierung, Berlin 1997, S. 88: »Was mit Hilfe des Katechon wesensmäßig gebannt werden soll, ist das aufziehende Chaos, das den Cäsarismus und Nihilismus der Neuzeit kennzeichnet. Er [der Katechon, MLH] wird zum Idealtypus eines modernen Heros, der für kurze Zeit als sinnstiftende und personale Kraft die Macht des Antichristen aufzuhalten weiß. In dieser Deutung des Mittelalters fundiert Schmitt seine Bejahung der Barbarei, weil sie für ihn noch zu einer raumkonstituierenden übergeordneten Einheit fähig ist.« (Hervorhebung im Original). 23 Heinrich Popitz: Phänomene der Macht, S. 3. 24 Ebd., S. 25. 25 Ebd., S. 26.
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eine auf die Zukunft gerichtete Verhaltenssteuerung durchsetzen zu können. Wenn über diese quasi »äußere« Verhaltenssteuerung hinaus, der Unterworfene auch in Momenten der Nichtkontrolle – quasi im Sinne einer »inneren Macht« – bereit ist, sein Verhalten (und auch seine ästhetischen und normativen Einstellungen) an von der Macht gesetzten Normen auszurichten, spricht Popitz von autoritativer Macht: »Ihre allgemeine anthropologische Basis ist die Orientierungsbedürftigkeit, die Maßstabs-Bedürftigkeit des Menschen ... Die Autoritätsbeziehung beruht auf einem zweifachen Anerkennungsprozess: Auf der Anerkennung der Überlegenheit anderer als der Maßsetzenden, Maßgebenden und auf dem Streben, von diesen Maßgebenden selbst anerkannt zu werden.«26 Damit gewinnt Macht zum Teil den Charakter einer sozialen Tauschbeziehung, genauer: eines Tausches wechselseitiger Anerkennung unter den Bedingungen einer asymmetrischen Struktur. Grundlage dieser Tauschbeziehung ist der Umstand, dass Selbstwahrnehmung und damit auch Selbstwertgefühl einen sozialen Außenhalt brauchen, eine Bestätigung durch andere.27 Eine vierte anthropologische Grundform der Macht erblickt Popitz in der menschlichen Kompetenz des technischen Handelns, die sich als datensetzende Macht manifestieren kann: Denn »jedes Artefakt fügt dem Wirklichkeitsbestand der Welt eine neue Tatsache hinzu, ein neues Datum. Wer für dieses neue Datum verantwortlich ist, übt als ›Datensetzer‹ eine besondere Art von Macht über andere Menschen aus, über alle ›Datenbetroffenen‹ ... Die Planer und Entwerfer einer neuen Siedlung entscheiden über die Lebensbedingungen, über Freiräume und Zwänge vieler Menschen.«28 Wahrscheinlich ist diese Form der datensetzenden Macht selten in solch einer Klarheit zu Tage getreten, auch und besonders in der theoretischen Selbstreflexion und -begründung der einzelnen Protagonisten, wie bei der Architektur der klassischen Moderne.29 26 Ebd., S. 28 und 29. 27 Vgl. dazu: Axel Honneth: Kampf um Anerkennung, Frankfurt/M. 1992. 28 Heinrich Popitz: Phänomene der Macht, S. 30. 29 Vgl. dazu: Martin Ludwig Hofmann: Architektur und Disziplin. Über die Formbarkeit menschlicher Existenz in der Moderne, Frankfurt/M. u.a. 2000.
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Für die hier vorliegende Arbeit bildet diese Form der Macht die Grenze des relevanten Feldes, denn in der datensetzenden Macht deutet sich, trotz der Existenz und des Agierens eines Datensetzers, die Entpersonalisierung der Macht an, die in den Arbeiten des französischen Potstrukturalismus seit den 1960er Jahren die Spitze der theoretischen Beschäftigung mit dem sozialen Phänomen der Macht darstellt. Damit kann unter genuin theoretischer Perspektive die datensetzende Macht als Umschlagspunkt begriffen werden, in dem die tendenziell handlungsorientierte Soziologie des Heinrich Popitz in die strukturlogischen Theoreme eines Michel Foucault übergehen könnte.
Exkurs: Michel Foucaults Mikrophysik der Macht Wer über die soziale Konstruktion von Macht reflektiert, kommt nicht umhin, sich mit Michel Foucault auseinander zu setzen. Seine Versuche, das komplexe Phänomen der Macht sozialtheoretisch zu durchdringen,30 sind von einem grundlegenden Perspektivenwechsel gegenüber handlungsorientierten Theoremen gekennzeichnet: Macht ist in Foucaults Denken nicht etwas, was einer Person, einer Klasse oder einem Zirkel von Menschen eignet, und was von diesem Zentrum auf die Peripherie der Untergebenen ausgeübt wird. Unter Macht versteht Foucault »die Vielfältigkeit von Kräfteverhältnissen, die ein Gebiet bevölkern und organisieren; das Spiel, das in unaufhörlichen Kämpfen und Auseinandersetzungen diese Kraftverhältnisse verwandelt, verstärkt, verkehrt ... die Macht ist etwas, was sich von unzähligen Punkten aus und im Spiel ungleicher und beweglicher Beziehungen vollzieht.«31 Diese vordergründig verwirrende Beschreibung der Macht als polyzentrisches Kräfteverhältnis will Foucault als Gegenkonstrukt verstanden wissen, das die bisherige westliche Denkweise der Machtausübung ersetzen soll, die er als »juristi30 Allen voran sind hier zu nennen: Michel Foucault: Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft (1961), Frankfurt/M. 1996, Ders: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften (1966), Frankfurt/M. 1997, Ders.: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses (1975), Frankfurt/M. 1994, Ders: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1 (1976), Frankfurt/M. 1997. 31 Michel Foucault: Der Wille zum Wissen, S. 113 und 115.
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sche Soziologie der Macht«32 bezeichnet, da sie von »einer juristischen Auffassung her«33 über die Macht nachdenke. In dieser »juristischen Soziologie« werde Macht lediglich als Herrschaftspraxis verstanden, als Kraft der Normsetzung, die in einer Regierung gebündelt sei, welche die Gesellschaft zu ordnen versuche. Von dieser verengten Betrachtungsweise müsse man sich befreien, was gelingen könne, wenn man vier grundsätzliche Prämissen über das Wesen der Macht akzeptiere. Erstens, »dass es nicht eine Macht gibt, sondern mehrere Mäch34 te«, was bedeute, dass verschiedene Formen der Herrschaft existieren, die lokal funktionieren und jeweils eigene Verfahren und Techniken besitzen. Eine Gesellschaft wäre demnach nicht durch eine Macht geprägt, sondern durch die Aneinanderreihung und Überlagerung verschiedener Machtregionen, in denen Macht auf verschiedene Weise ausgeübt wird. Zweitens müsse man sich von der Vorstellung lösen, »dass die politische Macht immer in einer bestimmten Anzahl von Elementen und im Wesentlichen in den Staatsapparaten lokalisiert ist«.35 In diesem Kontext ist von einer Hierarchisierung der Mächte Abstand zu nehmen, das heißt von der Vorstellung, dass die Vielzahl der lokalen Machtbeziehungen von der staatlichen Zentralmacht abgeleitet seien. Drittens müsse die effizienzsteigernde Kraft der verschiedenen Mächte anerkannt werden. »Man muss aufhören, die Wirkungen der Macht immer nur negativ zu beschreiben ... In Wirklichkeit ist die Macht produktiv«,36 schreibt Foucault und verweist mehrfach auf das praktische Beispiel der Verbindung von Arbeitsteilung und Disziplin, die zu immenser Produktivitätssteigerung geführt habe. Schließlich gelte es – viertens – diese Machtverfahren als soziale Techniken zu begreifen, »das heißt als Verfahren, die erfunden worden sind, perfektioniert werden und sich unaufhörlich weiter 32 Michel Foucault: »Die Maschen der Macht«, in: Freibeuter, 63, März 1995, S. 24. 33 Ebd. 34 Ebd., S. 27 (Hervorhebung im Original). 35 Michel Foucault: »Die Macht und die Norm«, in: Ders.: Mikrophysik der Macht. Michel Foucault über Strafjustiz, Psychiatrie und Medizin, Berlin 1976, S. 114. 36 Michel Foucault: Überwachen und Strafen, S. 250.
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entwickeln«.37 Damit wendet sich Foucault explizit gegen Theoreme, die Macht als anthropologisches Moment begreifen, was in der abendländischen Philosophie eine lange Tradition hat. Auf diese Tradition rekurrieren – in durchaus verschiedener Weise und mit unterschiedlicher Intention – eben auch Max Weber, Carl Schmitt und Heinrich Popitz. Das Wesen der verschiedenen Machttechnologien habe sich in der Moderne grundsätzlich verändert, so Foucault. Notwendig wurde diese Transformation, weil das »Machtsystem, das aufzurichten der Monarchie seit dem Ende des Mittelalters gelungen war, ... für die Entwicklung des Kapitalismus zwei große Nachteile«38 darstellte: die Diskontinuität und die Aufwändigkeit. In anderen Worten heißt das, die »Maschen des Netzes waren zu groß, eine fast unendliche Zahl von Dingen, Elementen, Verhalten, Vorgängen entzog sich der Kontrolle der Macht«.39 Aufgrund dieser zwei Nachteile entwickelte sich einerseits eine kontinuierliche, präzise und individualisierende Macht, und zweitens eine Macht, die idealiter alles bis in die kleinste Einzelheit kontrolliert und dennoch nicht aufwändig ist. Die erste Form der Macht bildete sich um Techniken, die »den Menschen als lebende[n] Körper«40 begreifen, als Körper, den es zu durchdringen, zergliedern und wieder neu zusammenzusetzen gilt.41 Diese Techniken können mit dem Begriff der Disziplin umschrieben werden. Die Disziplin ist ein Machtverfahren, das nicht mit dem Recht, sondern mit der Technik, nicht mit dem Gesetz, sondern mit der Normalisierung, nicht mit der Strafe, sondern mit der Kontrolle arbeitet, und das sich in Formen und auf Ebenen
37 Michel Foucault: »Die Maschen der Macht«, S. 29. 38 Ebd., S. 30. An dieser Stelle impliziert Foucaults Denken – durchaus in Anlehnung an Max Weber – die Prämisse einer engen Beziehung zwischen kapitalistisch-rationaler Wirtschaftsorganisation und Genese der Moderne, was als Relation zweier sich bedingender und sich verstärkender Elemente gedacht wird. 39 Ebd., S. 30. 40 Michel Foucault: Der Wille zum Wissen, S. 110. 41 »Der menschliche Körper geht in eine Machtmaschinerie ein, die ihn durchdringt, zergliedert und wieder zusammensetzt.« Michel Foucault: Überwachen und Strafen, S. 176.
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vollzieht, die über den Staat und seine Apparate hinausgehen.42 Klausur, Parzellierung, Zuweisung von Funktionsstellen und Erstellung einer Rangordnung sind für Foucault zentrale Disziplinartechniken, deren Zusammenspiel er als »politische Anatomie« oder Anatomo-Politik bezeichnet. Die zweite Form der Macht bildet sich um Techniken, »die nicht auf die Individuen als Individuen zielten, sondern vielmehr auf die Bevölkerung«.43 Die Bevölkerung wird innerhalb dieser Machttechnologie nicht einfach als Gruppe von Menschen aufgefasst, sondern als Gattungskörper, der von biologischen Prozessen und Gesetzen durchzogen ist. Geburtenziffer, Sterblichkeitsrate, Alterskurve, Krankheitsziffer und Gesundheitszustand rücken ins Zentrum des Interesses und werden durch die Entwicklung neuer statistischer Methoden sichtbar. »Zum ersten Mal in der Geschichte reflektiert sich das Biologische im Politischen«,44 schreibt Foucault. »Die Tatsache des Lebens ist nicht mehr der unzugängliche Unterbau, der nur von Zeit zu Zeit, im Zufall und in der Schicksalhaftigkeit des Todes ans Licht kommt. Sie wird zum Teil von der Kontrolle des Wissens und vom Eingriff der Macht erfasst.«45 Statistik, Verwaltung und Bevölkerungsregulierung sind die Begriffe, die den Machtkomplex der Bio-Politik erzeugen. »Das Leben ist jetzt, vom 18. Jahrhundert an, ein Objekt der Macht geworden«,46 so Foucault, und zwar in Form eines doppelten Zugriffs: auf den einzelnen Körper und auf die Bevölkerung. Diese beiden Machtformen – Anatomo- und Bio-Politik – sind nicht als Gegensätze zu verstehen, sondern als »zwei durch ein Bündel von Zwischenbeziehungen verbundene Pole«.47 Ihre Schlüsselbegriffe sind jeweils Disziplin und Bevölkerungsregulierung, und ihre Analyse kann als Mikrophysik beziehungsweise Makrophysik der Macht bezeichnet werden. Michel Foucault entwickelte seine umfassende Theorie der Macht als Gegenentwurf zum politischadministrativen Verständnis von Herrschaft und Machtausübung, 42 Vgl. dazu: Michel Foucault: Der Wille zum Wissen, S. 110f. Vgl. dazu auch: Ulrich Bröckling: Disziplin. Soziologie und Geschichte militärischer Gehorsamsproduktion, München 1997. 43 Michel Foucault: »Die Maschen der Macht«, S. 30. 44 Michel Foucault: Der Wille zum Wissen, S. 170. 45 Ebd. 46 Michel Foucault: »Die Maschen der Macht«, S. 34. 47 Michel Foucault: Der Wille zum Wissen, S. 166.
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die er abfällig als »juristische Soziologie der Macht« bezeichnete. »Man muss die Mächtesysteme nicht nur von den Staatsapparaten, sondern auch von den politischen Strukturen trennen«,48 sagte Foucault und erweiterte damit das Feld der Machtanalyse.49 Was als Gegenentwurf oder gar als Ersetzung des politisch-administrativen Machtverständnisses konzipiert war, sollte jedoch eher als Ergänzung desselben begriffen werden, gerade aufgrund der Erkenntnis, dass Macht vielgestaltig und multipräsent ist. Eine spezifische Form der Macht bleibt bis heute in den Organen des Staates lokalisierbar und insofern ist eine politischadministrative Perspektive eben für diese Form der Macht unabdingbar. Erkenntnistheoretisch sollte man deshalb Foucault nicht gegen Weber auszuspielen versuchen, soll heißen strukturlogische Forschungsansätze nicht gegen handlungsorientierte, sondern statt eines »Entweder-oder« für eine plurale Strategie optieren, die sich rein an der Forschungsfrage ausrichtet, statt an Grenzlinien philosophischer Schulen. Und dass Foucault selbst in den klassischen politisch-administrativen Diskurs über die Macht eingebunden werden kann, zeigt sich an kleinen Randbemerkungen, in denen eine verbindende Traditionslinie aufscheint: »[D]ie Macht ist eine permanente Strategie, die man auf dem Hintergrund des Bürgerkrieges denken muss.«50 Max Weber, Carl Schmitt und Heinrich Popitz hätten nicht widersprochen.
48 Michel Foucault: »Die Macht und die Norm«, S. 116. 49 Vgl. zu den Blockaden und Barrieren, die in Kreisen der deutschen Intelligenz gegen Foucaults Theoreme errichtet wurden: Wolfgang Eßbach: »Deutsche Fragen an Foucault«, in: François Ewald, Bernhard Waldenfels: Spiele der Wahrheit. Michel Foucaults Denken, Frankfurt/M. 1991, S. 74-85, oder auch: Wolfgang Eßbach: Michel Foucault – ein französischer Autor in deutschen Lesarten, Vorträge des Frankreich-Zentrums der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Heft 2, März 1994. Vgl. allgemein zur Rezeptionsgeschichte des französischen Poststrukturalismus in der Bundesrepublik Deutschland: Bernd Neumeister: »Deutsch-französisches Grenzdenken. Die Anfänge der westdeutschen Rezeption des französischen Strukturalismus«, in: Wolfgang Eßbach (Hg.): Welche Modernität? Intellektuellendiskurse zwischen Deutschland und Frankreich im Spannungsfeld nationaler und europäischer Identitätsbilder, Berlin 2000, S. 383-404. 50 Michel Foucault: »Die Macht und die Norm«, S. 115.
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Staat als »Quelle des Rechts auf Gewaltsamkeit« »Siebzig Jahre nach seinem Tod ist Max Weber aktueller denn je. Symposien werden ihm gewidmet, Bücher und Aufsätze über ihn erscheinen jährlich in solcher Zahl, dass selbst die Fachleute nicht mehr alles verarbeiten können ... Wir stehen mitten in einer zweiten Max-Weber-Renaissance«,51 schrieb Detlev Peukert Ende der 1980er Jahre. Dieses hohe Maß an Aufmerksamkeit und akademischer Wertschätzung sollte jedoch nicht über eine teilweise tiefgreifende Kritik hinweg täuschen, die vor allem an Webers Herrschaftssoziologie und Staatstheorie geäußert wurde. Trotz Webers offenkundiger Nähe zum politischen Liberalismus, sprachen vor allem Vertreter der Frankfurter Schule von einer Legitimierung des autoritären Staats durch Webers Werk.52 Karl Loewenstein nannte Weber gar einen »Ahnherrn des plebiszitären Führerstaats«.53 Statt diese Debatte an dieser Stelle wiederzugeben,54 sollen im Folgenden einige Gedankengänge von Webers Staatstheorie umrissen werden, die in der Tat an zentraler Stelle auf die Termini Macht und Gewalt rekurrieren, und die dennoch deutlich
51 Detlev J. K. Peukert: Max Webers Diagnose der Moderne, Göttingen 1989, S. 5. Als Zeit der ersten Max-Weber-Renaissance in Deutschland bezeichnet Peukert die 1960er Jahre, in denen Weber vor allem durch die Vermittlung Talcott Parsons als systematischer und kategorialer Grundlagentheoretiker wahrgenommen worden sei. In den späten siebziger und achtziger Jahren sei dann zunehmend jener Max Weber ins Zentrum gerückt worden, der mit Zeitgenossen wie Georg Simmel oder Werner Sombart als hellsichtiger Diagnostiker der Krisenphänomene der Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts begriffen werden müsse. 52 Vgl. dazu: Brigitte Hommerich: Der Wille zur Herrschaft und der Hunger nach Glück. Max Webers Werk aus der Sicht der Kritischen Theorie, Opladen 1986. 53 Karl Loewenstein: »Max Weber als ›Ahnherr‹ des plebiszitären Führerstaats«, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 13, 1961, S. 275-288. 54 Vgl. zu der Debatte um Max Weber: Otto Stammer (Hg.): Max Weber und die Soziologie heute. Verhandlungen des 15. Deutschen Soziologentages, Tübingen 1965. Insbesondere die Beiträge von Theodor W. Adorno: »Rede beim offiziellen Empfang im Heidelberger Schloss« (S. 99-102) und von Hans Paul Bahrdt: »›Diskussionsbeitrag‹ zu ›Max Weber und die Machtpolitik‹« (S. 124-130).
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machen, dass im Falle Max Webers wohl kaum von einem »Ahnherrn des plebiszitären Führerstaats« gesprochen werden kann. Carl Schmitts berühmtem Diktum folgend, dass der Begriff des Staates den Begriff des Politischen voraussetze,55 kann man bei Max Weber einen definitorischen Dreischritt aus Macht, Politik und Staat ausmachen, da Weber implizit seinen Begriff der Politik von seinem Begriff der Macht ableitet, und beide Begriffe schließlich in jenen des Staates münden. Als Macht definiert Max Weber »jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht«.56 Macht wiederum kann sich zu Herrschaft verfestigen, die Weber als Chance definiert, »für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden«.57 Auf dieser Definition aufbauend schreibt Weber: »›Politik‹ würde für uns heißen: Streben nach Machtanteil oder nach Beeinflussung der Machtverteilung, sei es zwischen Staaten, sei es innerhalb eines Staates zwischen den Menschengruppen, die er umschließt.«58 Damit gewinnt Politik den Charakter eines Wettbewerbs, was im System der parlamentarischen Demokratie durchaus deutlich hervortritt, als durch gesetzte Regeln formalisierter Kampf um Mehrheiten und damit eben um Machtanteile. Von Vertretern eines normativen Politikverständnisses wurde mehrfach gegen diese Definition ins Feld geführt, dass sie zum einen den Politik-Begriff lediglich auf die Mittel reduziere und die Ziele des jeweiligen politischen Handelns nicht berücksichtige.59
55 Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen, S. 20. 56 Max Weber: Methodologische Schriften. Mit einer Einführung besorgt von Johannes Winckelmann, Frankfurt/M. 1968, S. 336. 57 Ebd. 58 Max Weber: Politik als Beruf (1919), Berlin 1991, S. 8 (Hervorhebung vom Autor). 59 Vgl. dazu beispielsweise Wilhelm Hennis: Politik und praktische Philosophie. Schriften zur politischen Theorie, Stuttgart 1977: »Es sind wertfreie Sozialtheorien denkbar, aber keine wertfreien politischen Theorien.« (S. 13) Man dürfe die Politikwissenschaft nicht als empirische Sozialwissenschaft begreifen, sondern müsse sie als praktische Philosophie im aristotelischen Sinne verstehen, die »sich auf die äußere und innere Glückseligkeit des Menschen« beziehe. (S. 24) »Die praktische Philosophie, und mit ihr die politische Wissenschaft, steht und fällt mit dem Anerkenntnis, dass das Fällen von Werturteilen, die Bestimmung des aufgegebenen Zieles menschli-
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Zum anderen verweisen Kritiker darauf, dass der alleinige Rekurs auf Macht für eine Begriffsbestimmung des Politischen zu unspezifisch sei, da damit nahezu jede soziale Beziehung als »politisch« begriffen werden müsse. Formen der Machtausübung und des Strebens nach Machtanteil kennzeichnen in verschiedenem Ausmaß schließlich jede soziale Beziehung.60 Wilhelm Hennis pointiert: »Wo die Politik als Wissenschaft ihren Gegenstand bestimmt im ewigen Kampf um die Macht, kann nichts anderes ihre Aufgabe sein, als der unabschließbare Versuch, die jeweiligen Machtlagen und Machtchancen statistisch zu beschreiben. Nahezu alle bisher vorgelegten so genannten empirischen Untersuchungen zur Politik sind denn auch nichts anderes als Statistik von Machtlagen. Wenn dabei ›im Blickpunkt der politischen Wissenschaften‹ bisher noch nicht die Machtlagen von Kegelclubs standen, ... so ist das im Ergebnis begrüßenswert, von den Prämissen aus aber ganz akzidentiell.«61 Wenn auch die normative Politikwissenschaft in den letzten Jahrzehnten stark an Einfluss eingebüßt hat,62 ist ihre Kritik an Webers Politik-Begriff bis heute virulent. Mit Klaus von Beyme kann in der Tradition Max Webers zwar nach wie vor zu Recht attestiert werden, dass Macht »einer der zentralen Begriffe der Politikwissenschaft« darstellt,63 gleichwohl sollte der exemplarisch von Wilhelm Hennis vorgetragenen Kritik Rechnung getragen werden – insofern, dass die auf Machtstreben gründende Definition lediglich als Grenzbegriff des Politischen begriffen werden soll-
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chen Handelns und Zusammenlebens, die Erörterung des ›Staatszwecks‹, eine legitime wissenschaftliche Aufgabe ist.« (S. 53). Vgl. dazu beispielsweise die oben gemachten Ausführungen zu den Arbeiten Michel Foucaults. Wilhelm Hennis: Politik und praktische Philosophie, S. 9. Vgl. dazu: Klaus von Beyme: Die politischen Theorien der Gegenwart, Opladen 1992, S. 17: »Im Gegensatz zur Zeit unmittelbar nach dem Krieg [dem II. Weltkrieg, MLH], als vor allem die Schule Arnold Bergstraessers die Politikwissenschaft als Reeducation-Wissenschaft unter der Protektion der Alliierten und später der maßgeblichen Politiker förderte, haben die normativen Theorien heute in der wissenschaftlichen Diskussion kaum einen Einfluss.« Vgl. auch: Jürgen Bellers: »Politikwissenschaft in Deutschland. Ihre Geschichte, Bedeutung und Wirkung«, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B52-53/90, 21.12.1990, S. 14-22. Klaus von Beyme: Die politischen Theorien der Gegenwart, S. 136.
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te. Festzuhalten bleibt schließlich, dass Politik ohne Streben nach Machtanteil schlechterdings kaum denkbar ist. Die ersten beiden Elemente des Weberschen definitorischen Dreischritts, Macht und Politik, sind umrissen. Unter Rückgriff auf das Element der physischen Gewaltsamkeit, definiert Weber schließlich den Staat als »diejenige menschliche Gemeinschaft, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes – dies: das ›Gebiet‹, gehört zum Merkmal – das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht. Denn das der Gegenwart Spezifische ist: dass man allen anderen Verbänden oder Einzelpersonen das Recht zur Gewaltsamkeit nur so weit zuschreibt, als der Staat sie von ihrer Seite zulässt: Er gilt als alleinige Quelle des ›Rechts‹ auf Gewaltsamkeit.«64 Um Missverständnissen vorzubeugen, muss an dieser Stelle klar formuliert werden, dass Max Weber keine geschlossene, systematische Staatstheorie entwickelt hat. Insofern sollte von einem einheitlichen Staatsbegriff Max Webers nur unter Vorbehalten gesprochen werden. Innerhalb seines Gesamtwerks trifft man an sehr verschiedenen Stellen eine Vielzahl von Begriffen und Gedanken, die auf den Komplex Staat und Herrschaft verweisen: die »drei reinen Typen legitimer Herrschaft«, den Begriff der »Legitimität« oder den Verweis auf den Prozess der zunehmenden »Bürokratisierung« zum Beispiel. Über alle Fragmentierung hinweg bleibt jedoch festzuhalten, dass Weber dem Kriterium des Monopols legitimer physischer Gewaltsamkeit bei der Definition des Staates eine zentrale Bedeutung zugemessen hat.
Max Webers Staatsbegriff als Grenzbegriff Webers Staatsverständnis ist insofern in der Tat im Wesentlichen auf Macht und im Gefolge dessen auf Herrschaft bezogen und reflektiert weitere grundlegende Komponenten moderner Staatlichkeit nicht. Sozialstaatlichkeit und Rechtsstaatlichkeit sind bei Weber kaum berücksichtigt, obwohl der moderne Staat gerade aus diesen Elementen einen Großteil seiner Legitimität speist. »Über den hohen legitimatorischen Rang wohlfahrtsstaatlicher Siche-
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rungssysteme gibt es keinen Zweifel«,65 schreibt Martin Greiffenhagen und führt weiter aus: »Dabei haben moderne soziale Sicherungssysteme einen ›transzendenten‹ Sinn, der über die tatsächliche Leistung und den darauf gerichteten Anspruch hinausgeht. Sie vermitteln dem Einzelnen nämlich das stabilisierende Empfinden einer Garantie gegen biografische Einbrüche.«66 Die von der Bevölkerung zugeschriebene Bedeutung dieser wohlfahrtsstaatlichen Leistungen kann zuweilen solche Ausmaße annehmen, dass sie in bedenklichem Maße die wahrgenommene Bedeutung rechtsstaatlicher Leistungen beeinträchtigt: »Die gewachsene Abhängigkeit weiter Teile der Bevölkerung von staatlichen Regulierungen und Gewährleistungen führt dazu, dass – so das Ergebnis von Einstellungsforschungen – von der Mehrheit der Bevölkerung soziale Grundrechte inzwischen liberalen Freiheitsrechten vorgezogen werden.«67 Gegenüber der Kritik, dass Weber diese zentralen Funktionen moderner Staatlichkeit nicht berücksichtigt habe, verweist Corinna Rath auf den Umstand, »dass zu Lebzeiten Webers Sozialstaatlichkeit in unserem heutigen Sinne noch kein Thema staatstheoretischer Diskussionen war«.68 Dabei unterschlägt sie, dass durch die dynamischen Umwälzungen der Industrialisierung und der durch sie hervorgebrachten politischen Mobilisierung verarmter Massen im 19. Jahrhundert die soziale Frage eine der meistdiskutierten Probleme dieser Zeit darstellte. Das Deutsche Reich unter Reichskanzler Otto von Bismarck schuf zwischen 1883 bis 1889 staatlich gestützte Pflichtversicherungen zur Absicherung bei Krankheit, industriellen Unfällen, Invalidität und zur Altersabsicherung, um die Arbeitermassen mit dem monarchistischen Obrigkeitsstaat zu versöhnen.69 Im Gefolge dieser Sozialgesetzge65 Martin Greiffenhagen: Politische Legitimität in Deutschland, Bonn 1998, S. 171. 66 Ebd., S. 11. Vgl. zur Ambivalenz dieses staatlichen Vorsorgeaspekts auch: François Ewald: Der Vorsorgestaat, Frankfurt/M. 1993. 67 Martin Greiffenhagen: Politische Legitimität in Deutschland, S. 11. 68 Corinna Rath: Staat, Gesellschaft und Wirtschaft bei Max Weber und bei Walter Eucken. Eine theorievergleichende Studie, Egelsbach, Frankfurt/M. u.a. 1998, S. 31. 69 Die Sozialgesetze Bismarcks müssen in Verbindung mit dem Sozialistengesetz Bismarcks (1878 verabschiedet, 1890 aufgehoben) gesehen werden, das alle sozialdemokratischen, sozialistischen und kommunistischen Versammlungen verboten hatte. Selbst die Arbeit der
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bung erließen auch andere europäische Staaten Sozialgesetze. »Der Großteil aller Programme entstand in einer Zeitspanne von etwa dreißig Jahren zwischen 1885 und 1915.«70 Insofern war Sozialstaatlichkeit ein vordringliches Thema der Sozialwissenschaft, das gerade zu Lebzeiten Max Webers (1864-1920) dabei war, sich in die Gefilde der Staatstheorie vorzuarbeiten.71 Weber, der in den Grenzgebieten von Kulturwissenschaft, Nationalökonomie, Soziologie und Staatstheorie arbeitete, wäre somit prädestiniert gewesen, diese Transferleistung zu erbringen. Dass er dies nicht getan hat, dürfte deshalb weniger dem Umstand geschuldet sein, dass Sozialstaatlichkeit »kein Thema staatstheoretischer Diskussionen war«, wie Corinna Rath schreibt, sondern vielmehr auf einen eigenen theorieimmanenten Grund verweisen: Der Tatsache, dass Weber seinen Begriff des Politischen – und im Gefolge dessen seinen Staatsbegriff – bewusst als Grenzbegriff konzipiert hatte. Die inhaltliche Ausgestaltung einer allgemein gültigen Definition des Staates hat Weber nicht zu leisten versucht, was Raymond Boudon und François Bourricaud zu Folge ohnehin als »nahezu unlösbare Aufgabe« begriffen werden müsse.72 Warum es so außerordentlich schwierig sei, das Wesen des Staates zu erfassen, werde klar, »wenn man bedenkt, dass der Staat, zumindest der der Gegenwart, der vollkommenste Ausdruck des Bemühens um eine rationale (oder vernünftige) Organisation der Beziehungen zwischen den Menschen ist ... Aber dieses Bemühen bleibt zutiefst ›unbefriedigend‹.«73 Bereits bei dieser kurzen Ausführung wird deutlich, wie sehr bei einer allgemeinen Beschreibung von Staatlichkeit erstens nor-
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Gewerkschaften fiel unter dieses Verbot. Insofern bilden die Anfänge der Sozialstaatspolitik in Deutschland die Kehrseite einer offenen Repressionspolitik gegen die Arbeiterbewegung und können somit zutreffend als »autoritäre Sozialpolitik von oben« bezeichnet werden. Jens Alber, Martin Schölkopf: »Sozialstaat/Wohlfahrtsstaat«, in: Dieter Nohlen (Hg.): Wörterbuch Staat und Politik, S. 708. Vgl. den zeitgenössischen Aufsatz von Ferdinand Tönnies: »Das Versicherungswesen in soziologischer Betrachtung«, in: Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft, 17, 1917, S. 603-624. Vgl. auch: François Ewald: Der Vorsorgestaat, Frankfurt/M. 1993. Raymond Boudon, François Bourricaud: »Staat«, in: Dies.: Soziologische Stichworte, S. 540. Ebd., S. 548f.
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mative und deskriptive Gesichtspunkte ineinander greifen (»Bemühen um eine rationale Organisation«) und zweitens die Morphologie des Staates an Konturen verliert, da es bei Staatlichkeit um die »Organisation der Beziehungen zwischen den Menschen« geht. Oder anders formuliert: »Man kann den Staat durch die von ihm hergestellte Interdependenz zwischen Regierenden und Regierten definieren, und sein Handeln erstreckt sich auf alle Dimensionen des sozialen Lebens.«74 Diese Definition wird zwar einerseits dem umfassenden Charakter der dem Wohlfahrtsgedanken verpflichteten modernen Staatlichkeit gerecht, verliert jedoch andererseits an theoretischer Prägnanz. Diese Schwierigkeiten dürften wesentlich dazu beigetragen haben, dass »Staat« als politikwissenschaftliche Kategorie weitgehend aus den wissenschaftlichen Diskursen und Subdiskursen verschwunden ist und durch Termini wie »politisch-administratives System«, »government« oder »soziale Steuerung« ersetzt wurde. Max Weber wich diesen Schwierigkeiten aus, indem er seinen Staatsbegriff als Grenzbegriff definierte, der wesentlich auf das Moment des Gewaltmonopols rekurriert und damit über Zeitund Raumgrenzen hinweg als Lackmustest begriffen werden kann, der festschreibt, ab wann von einem faktischen Ende des Zustands der Staatlichkeit gesprochen werden kann: Exakt dann, wenn ein Staat nicht mehr in der Lage ist, das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit »mit Erfolg«75 für sich zu beanspruchen. Ein Ordnungskonstrukt, dem es nicht gelingt, innerhalb eines bestimmten Gebietes das Gewaltmonopol durchzusetzen, verliert demnach seinen Charakter und damit seine Legitimität als Staat. Unter dieser Perspektive wird nun unweigerlich deutlich, dass organisierte Kriminalität als Objekt wissenschaftlicher Betrachtung aus der Sphäre der Kriminologie in die Sphäre der politischen Soziologie übergegangen ist und weit in die Sphäre der Staatstheorie hinein reicht.
74 Ebd., S. 543. 75 Max Weber: Politik als Beruf (1919), S. 8.
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3. Gewaltmonopol und Legitimität Legitimität aus der Garantie des Normalzustands Organisierte Kriminalität, zumal im Ausmaß und Organisationsgrad der italienischen Cosa Nostra, stellt per se eine Herausforderung des Staates dar. Denn kein Staat der Welt kann eine solch weit reichende kriminelle Vereinigung hinnehmen, ohne dass diese Passivität massive Einbußen seiner legitimatorischen Basis nach sich ziehen würde. Vergleicht man Max Webers Definition des Staates mit der Definition mafioser Macht, wie sie beispielsweise Henner Hess formuliert, so fällt eine strukturelle Analogie auf: »Das zentrale Bestreben eines mafioso bzw. einer mafiosen cosca ist stets, das Gewalt- und Protektionsmonopol auf einem bestimmten Territorium zu erringen und zu behaupten.«76 Diese strukturelle Analogie muss zwangsläufig in eine faktische Inkommensurabilität führen, da das staatliche Gewaltmonopol unteilbar ist. Giovanni Falcone hat diesen Umstand in die griffige Formel gebracht: »Es kann in einer Gesellschaft keine zwei Rechtsstaaten geben.«77 Mit den Worten Carl Schmitts kann präzisiert werden, dass die Leistung des Staates gerade darin besteht, »dass er [der Staat, MLH] die konkrete Situation bestimmt, in welcher überhaupt erst moralische und rechtliche Normen gelten können ... Wenn der Staat die ›äußeren Bedingungen der Sittlichkeit‹ setzt, so bedeutet das: Er schafft die normale Situation. Nur darum ist er (nach Locke wie Kant) der oberste Richter. Bestimmt nicht mehr der Staat, sondern die eine oder andere soziale Gruppe von sich aus diese konkrete Normalität der Situation des Einzelnen, die konkrete Ordnung, in welcher der Einzelne lebt, so entfällt auch der ethische Anspruch des Staates auf Treue und Loyalität.«78 Oder anders formuliert: Ist der Staat nicht mehr in der Lage, sein ihm rechtmäßig zustehendes Monopol legitimer physischer Gewalt durchzusetzen, verliert er die legitimatorische Basis seiner selbst und droht – zumindest in Teilen – sich aufzulösen. 76 Henner Hess: Mafia. Ursprung, Macht und Mythos, S. 201 77 Ebd. 78 Carl Schmitt: »Staatsethik und pluralistischer Staat« (1930), in: Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar – Genf – Versailles, Berlin 1988, S. 136f.
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Was sich für mitteleuropäische Ohren apokalyptisch anhören mag und vielleicht in der Tat schwer vorstellbar ist, kann noch heute in verschiedenen Teilen der Welt empirisch beobachtet werden. Zu nennen wären hier die ethnisch-nationalistisch motivierten Bürgerkriege auf dem Balkan, die zur Auflösung der staatlichen Einheit der sozialistischen Republik Jugoslawien geführt haben.79 Zu nennen wären aber auch die tragischen Schicksale einiger afrikanischer Länder (von Staaten zu sprechen, ist in diesen Fällen im normativen Sinne des Begriffs kaum möglich), die nach jahrzehntelangen Bürgerkriegen von so genannten Warlords beherrscht werden, Anführern krimineller Banden, die mittels der profanen Gewalt marodierender Söldner und automatischer Schnellfeuerwaffen jeweils regional begrenzte Gebiete kontrollieren. Am wahrscheinlich eindrucksvollsten bot sich dieses erschütternde Bild einer weitgehenden Entstaatlichung in Somalia dar.80 Aber auch in Teilen Lateinamerikas finden sich Länder, in denen Drogenkartelle und Rebellengruppen das staatliche Gewaltmonopol aufgebrochen haben. Hier kann beispielsweise Kolumbien genannt werden.81 Diese Aufzählung von Ländern und Regionen, in denen es dem jeweiligen Staat nicht gelingt oder nicht gelungen ist, das ihm zustehende Monopol legitimer physischer Gewalt durchzusetzen, könnte noch um weitere tragische Beispiel erweitert werden. Es wären Beispiele, die wie die oben genannten Fälle gleichsam auf die Erfahrungshorizonte der ideengeschichtlichen Entstehung des Begriffs moderner Staatlichkeit verweisen würden. Denn aus der Erfahrung blutiger Bürgerkriege, die im 16. und 17. Jahrhundert die Form konfessioneller Auseinandersetzungen innehatten, entstand der Gedanke der Sicherung des Friedenszustands durch die Schaffung eines Gewaltmonopols.
79 Vgl. dazu beispielsweise: Hans Krech: Der Bürgerkrieg in BosnienHerzegowina (1992-1997). Ein Handbuch, Berlin 1997. 80 Vgl. dazu beispielsweise: Michael Birnbaum: Krisenherd Somalia, München 2002. 81 Vgl. dazu beispielsweise: Ingrid Betancourt: Die Wut in meinem Herzen, München 2002 (Ingrid Betancourt war im Jahr 2002 Präsidentschaftskandidatin in Kolumbien und wurde während des Wahlkampfs von Rebellen der Farc entführt, die heute Teile des Landes kontrollieren).
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Bürgerkrieg und Gewaltmonopol Thomas Hobbes entwickelte unter dem Eindruck der Konfessionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts seine Staatslehre des »Leviathan«.82 Geprägt von einer pessimistischen anthropologischen Grundeinstellung spricht Hobbes von einem vorzeitlichen Naturzustand als Zustand eines Krieges aller gegen alle: »Wie das Leben ohne eine furchtgebietende oberste Gewalt aussehen würde, kann man aus dem Zustand ersehen, in den Menschen, die vorher unter einer friedlichen Regierung gelebt haben, im Bürgerkrieg verfallen ... Wenn ein jeder gegen jeden Krieg führt, so kann auch nichts als unerlaubt gelten. Für die Begriffe Recht und Unrecht, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit bleibt kein Raum. Wo es keine Herrschaft gibt, gibt es auch kein Gesetz.«83 Um diesen Krieg aller gegen alle beenden zu können, den Hobbes als letztlich in der Natur des Menschen angelegt denkt, bedürfe es eines Vertragsschlusses. Dieser Vertragsschluss wiederum werde nur dadurch möglich, dass in der menschlichen Natur neben dem Machttrieb ein Selbsterhaltungstrieb veranlagt sei: »Die letzte Ursache und der Hauptzweck des Zusammenlebens der Menschen in einem Staat und somit auch der damit verbundenen Selbstverpflichtung (die in offenem Gegensatz zu seiner natürlichen Freiheitsliebe und seinem Machttrieb steht) ist sein Selbsterhaltungstrieb und sein Wunsch nach einem gesicherten Leben. Damit ist gemeint: Der Wunsch, jenem elenden Zustand des Krieges aller gegen alle zu entrinnen.«84 Aufgrund dieses Wunsches nach einem gesicherten Leben entschlössen sich die Menschen zu einem Vertragsschluss, der als zentrales Unterpfand die Abtretung der Gewalt an einen Einzigen beinhalte: »Die einzige Möglichkeit, eine Gewalt zu schaffen, die in der Lage ist, die Menschen ohne Furcht vor feindlichen Einfällen oder den Übergriffen ihrer Mitmenschen ihres Fleißes und des Bodens Früchte genießen und friedlich für ihren Unterhalt sorgen zu lassen, liegt darin, dass alle Macht einem Einzigen übertragen 82 Thomas Hobbes: Leviathan – oder Wesen, Form und Gewalt des kirchlichen und bürgerlichen Staats, Reinbek bei Hamburg 1965 (erstmals 1651 veröffentlicht in englischer Sprache, 1668 in lateinischer Sprache und überarbeiteter Version erneut erschienen). 83 Ebd., S. 100f. 84 Ebd., S. 133.
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wird – oder aber einer Versammlung, in der durch Abstimmung der Wille aller zu einem gemeinsamen Willen vereinigt wird. So wird praktisch ein Einziger oder eine Versammlung zum Vertreter aller ernannt, und jeder Einzelne gewinnt auf diese Weise das Gefühl, dass er selbst Teil hat an jeder nur erdenklichen Handlung oder Vorschrift desjenigen, der an seiner Stelle steht ... Wenn sich Menschen so zu einer Person vereinigen, bilden sie einen Staat, der Lateiner sagt civitas. Dies ist die Geburt des Großen Leviathan, oder vielmehr (um ehrerbietiger zu sprechen) des sterblichen Gottes, dem allein wir unter dem ewigen Gott Schutz und Frieden verdanken ... Er macht das Wesen des Staates aus, den man definieren kann als eine Person, deren Handlungen eine große Menge durch Vertrag eines jeden mit einem jeden als die ihren anerkennt, auf dass sie diese einheitliche Gewalt nach ihrem Gutdünken zum Frieden und zur Verteidigung aller gebrauche. Und er, der diese Person trägt, wird Souverän genannt. Man sagt, er habe souveräne Gewalt. Und alle übrigen nennt man Untertanen.«85 Eindrucksvoller hatte zuvor wahrscheinlich noch niemand den Staat als absoluten Souverän beschrieben, als sterblichen Gott, der geschaffen wurde durch die Abtretung der Gewalt eines jeden einzelnen seiner Untertanen. Ikonografisch umgesetzt wurde dieses sprachliche Bild auf dem Titelblatt der Originalausgabe des Leviathan or the Matter, Forme and Power of a Commonwealth Ecclesiasticall and Civil von 1651. Der Leviathan erscheint darauf als riesenhaft großer Herrscher, der mit Krone, Schwert und Zepter über miniaturverkleinerten Bergen, Städten und Feldern thront – und dessen Körper aus vielen kleinen menschlichen Körpern zusammengesetzt ist: Der Staat als Einheit einer Vielheit. Hobbes hatte, ausgehend von den von Krieg und Bürgerkrieg geprägten Erfahrungen seiner Zeit, den Fokus auf die staatlichen Funktionen der Friedenssicherung und der Schutzgarantie im Inneren gelegt und damit eine Herleitung des staatlichen Gewaltmonopols geleistet. Kontrollinstanzen der staatlichen Macht, bürgerliche Freiheitsrechte, eine Verfassungsgebundenheit des Souveräns oder gar demokratische Elemente der staatlichen Organisation lagen ihm fern. Es bedurfte der staatstheoretischen Reflexionen John Lockes, Charles de Montesquieus, Immanuel Kants, Thomas Jeffersons oder John Stuart Mills, um nur einige zu nen85 Ebd., S. 136f.
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nen, um jenes gedankliche Konstrukt zu schaffen, das als liberaler parlamentarisch-demokratischer Verfassungsstaat im 20. Jahrhundert den globalen »Wettkampf der Systeme« für sich entschieden zu haben scheint.86 Von einem sterblichen Gott, einem absoluten Souverän kann heute sicherlich nicht mehr gesprochen werden. In diesem Sinne schreibt Rainer-Olaf Schulze: »In unserer polyzentrischen Welt kann kein gesellschaftliches Teilsystem, auch nicht der Staat, Suprematie für sich beanspruchen ... Auch im Innern ist der Staat weder homogen noch hierarchisch strukturiert, sondern gleichfalls fragmentiert und vernetzt. Dies betrifft sowohl die traditionellen horizontalen wie vertikalen Gewalten- und/oder Funktionsteilungen als auch die interbürokratischen und intersektoralen Konflikte im politisch-administrativen System des ausdifferenzierten Wohlfahrtsstaates.«87 Dennoch diagnostiziert auch Rainer-Olaf Schulze, dass der Staat »trotz aller Handlungsrestriktionen auch weiterhin über ein beachtliches Maß an relativer Autonomie und Steuerungsfähigkeit [verfügt], die sich aus seiner Besonderheit herleiten: Er ist unverändert der einzige legitime Ort, an dem gesamtgesellschaftlich verbindliche Entscheidungen fallen können, und die einzige Instanz, die die Definitionsgewalt zur Bestimmung des öffentlichen Interesses besitzt.«88 Insofern widerspricht sich Schulze an dieser Stelle, da er nun doch so etwas wie Suprematie beschreibt, was durch das Monopol legitimer Anwendung physischer Gewalt noch unterstrichen wird, das dem Staat bis heute eignet – auch wenn die Organe der legitimen Gewaltanwendung in vielfältige und wechselseitige Kontrollverhältnisse eingebunden sind.
86 Vgl. dazu die oben gemachten Erläuterungen zu Francis Fukuyamas Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir?, München 1992. 87 Rainer-Olaf Schulze, Josef Esser: »Staatstheorie«, in: Dieter Nohlen (Hg.): Wörterbuch Staat und Politik, Bonn 1995, S. 738. 88 Ebd., S. 739.
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Gewalt als soziales Kapital Die Zivilisierung und Rationalisierung von Gewalt mittels der Schaffung eines Gewaltmonopols im Rahmen eines Rechtsstaats wird nicht erst durch den Zerfall staatlicher Einheit im Zuge eines Bürgerkriegs gefährdet, sondern bereits durch die Rückkehr der Gewalt in den Gesellschaftszusammenhang in Form sozialen Kapitals. Wenn Gewalt als soziales Kapital einzelner Gesellschaftsmitglieder oder Gruppen taktische oder gar strategische Bedeutung im Wettbewerb um Macht- und Geldressourcen erlangt und es dem Staat nicht gelingt, diese Tendenz zu unterdrücken, gibt er das ursprünglich seine Legitimität begründende Monopol physischer Gewaltsamkeit zumindest zum Teil preis. Die wertschöpfende Bedeutung von Gewalt, die das basale soziale Kapital der Cosa Nostra darstellt, von dem die anderen Formen ihres sozialen Kapitals, wie Prestige und Anerkennung, direkt abgeleitet werden können, wurde im Verlauf dieser Arbeit ausführlich dargelegt.89 Gewalt wird in ihrer zurückgenommenen Form der Drohung (im Sinne instrumenteller Macht)90 über Zeit und Raum dehnbar und dient damit als direkte Grundlage für die weit verzeigte »Geschäftstätigkeit« krimineller Organisationen. Von der schlichten Schutzgelderpressung bis zur Selbstbehauptung gegen rivalisierende Gruppen und staatliche Strafverfolgungsbehörden ist die Drohung mit und die Anwendung von Gewalt konstitutiv für eine kriminelle Organisation. Diese mafiose Form der Gewalt kann als erstes idealtypisches Modell der Gewalt als soziales Kapital begriffen werden. Eine Form, die in besonderer Weise den wertschöpfenden Charakter der Gewalt verdeutlicht und gleichzeitig die Schwächung des staatlichen Gewaltmonopols vor Augen führt. Aus dieser Schwäche leitet sich das zweite idealtypische Modell der Gewalt als soziales Kapital ab, das vordergründig dem ersten idealtypischen Modell entgegen gesetzt erscheint, was allerdings nicht über eine tief liegende Verwandtschaft hinweg täuschen sollte: Die Rede ist von der »Privatisierung der Sicherheit«, die gleichsam invers Gewalt in soziales Kapital transformiert. Trutz von Trotha hat darauf hingewiesen, dass in modernen westlichen 89 Vgl. dazu insbesondere die Kapitel IV und V. 90 Vgl. dazu: Heinrich Popitz: Phänomene der Macht, S. 79-103.
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Gesellschaften die Sicherstellung des staatlichen Gewaltmonopols durch das »bemerkenswerte Anwachsen der privaten Sicherheitsindustrie und privater Sicherheitsdienstleistungen« zunehmend unter Druck gerät.91 Wenn der Staat beginnt, seine Kernfunktion der Friedenssicherung an private Dienstleister zu delegieren, die ihr Produkt »Sicherheit« nur an solvente Kunden verkaufen,92 wird die primäre Quelle der Legitimität des modernen Staats empfindlich berührt. Auch wenn die sozialstaatlichen Funktionen moderner Staatlichkeit bisweilen in öffentlichen Debatten die ursprüngliche Leistung der Friedenssicherung vergessen zu machen scheinen, sollte man sich nicht über das Maß der Legitimitätseinbußen täuschen, das diese Delegation einer grundsätzlichen Funktionsleistung mit sich bringt. Ulrich K. Preuß hat darauf verwiesen, dass das staatliche Gewaltmonopol, wie oben ausführlich dargestellt, zum einen historisch mit der Herausbildung des modernen Staats verbunden ist, zum anderen jedoch in ähnlichem Maße mit der Genese moderner westlicher Demokratie: »Die Selbstbestimmung des Volkes drückt sich in der Beherrschung der Steuerungsmittel aus und das primäre Steuerungsmittel der Gesellschaft ist eben das Gewaltmonopol ... Es gibt einen theoretischen Strang, der durch die Französische Revolution begründet worden ist und der den Zusammenhang von Staatsmacht und Demokratie festlegt, das heißt die Staats-
91 Trutz von Trotha: »Ordnungsformen der Gewalt oder Aussichten auf das Ende des staatlichen Gewaltmonopols«, in: Birgitta Nedelmann (Hg.): Politische Institutionen im Wandel [Sonderheft der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie], Opladen 1995, S. 153. 92 Eine drastische Darstellung dieses sozialen Phänomens der »privaten Sicherung« am Beispiel der USA findet sich bei Mike Davies: City of Quartz. Ausgrabungen der Zukunft in Los Angeles und neuere Aufsätze, Berlin, Göttingen 1994, S. 259: »Aus den sorgfältig manikürten Rasenflächen an der Westside von Los Angeles sprießen Wälder von unheilverkündenden kleinen Schildern, die eine ›bewaffnete Vergeltung!‹ androhen. Sogar die reicheren Viertel in den Canyons und Hügel isolieren sich hinter Mauern, die von schwer bewaffneten Privatpolizisten und den allerneusten elektronischen Überwachungssystemen geschützt werden.« Eine sehr gelungene romanhafte Verarbeitung dieses Phänomens findet sich darüber hinaus bei T. Coraghessan Boyle: América, München, Wien 1996.
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macht als etwas Progressives interpretiert.«93 Dieser theoretische Strang der Verbindung von Demokratie und Gewaltmonopol im Verständnis einer legitimen Staatsmacht, verliert seine Relevanz, wenn die Staatsmacht Gewalt in ökonomisierter Form im Gesellschaftsverbund toleriert.
4. Souveräne Macht und normative Bindung Der partielle Ausnahmezustand Umso stärker die Gefährdung des staatlichen Gewaltmonopols evident wird, desto mehr rückt das begriffliche Instrumentarium Schmitts ins Zentrum einer theoretischen Betrachtung. Denn anhand der oben erarbeiteten Termini seines staatstheoretischen Werks lassen sich die Momente sowohl der Gefährdung als auch der Stärkung moderner Staatlichkeit im konkreten Konfliktfall mit organisierter Kriminalität herausarbeiten. In der theoretischen Entwicklungslogik Schmitts verbleibend, stellt sich zunächst die Frage nach dem Ausnahmezustand. Wann liegt er vor, und ist es überhaupt angemessen, im Kontext der Gefährdung durch organisierte Kriminalität von einem staatlichen Ausnahmezustand zu sprechen? Um terminologisch bedingte Missverständnisse zu vermeiden, muss zunächst festgestellt werden, dass sicherlich nicht im juristischen Sinne eines staatlichen Notstands, der die Außerkraftsetzung verfassungsmäßig garantierter Grundrechte nach sich zieht, von einem Ausnahmezustand gesprochen werden sollte. Vielmehr kann im Sinne einer soziologischen Begriffbildung das dauerhafte partielle Aufbrechen des Gewaltmonopols durch ein straff organisiertes Verbrecherkollektiv, als Grundlage und Indiz eines dauerhaften partiellen Ausnahmezustands begriffen werden. Auf den ersten Blick mag die Begriffsbildung des »partiellen« Ausnahmezustands paradoxal erscheinen, gilt der Ausnahmezustand doch als Zustand, der – wenn er denn eintritt – absoluten Charakter hat und als definitiver Gegenbegriff zum Terminus des
93 Ulrich K. Preuß, Otto Schily: »Gewaltmonopol, Selbstbestimmung und Demokratie. Ein Gespräch«, in: Freibeuter, 28, 1986, S. 47 und 48.
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Normalzustands verstanden wird.94 Denn erst wenn der Staat nicht mehr in der Lage ist, die Aufrechterhaltung des Normalzustands zu gewährleisten, ist es die Aufgabe des Staates, den Ausnahmezustand auszurufen – ganz gleich, ob Naturgewalten oder von Menschen gemachte Gewalt für den Ausnahmezustand verantwortlich sind. Der partielle Ausnahmezustand des teilweisen und permanenten Aufbrechens des Gewaltmonopols durch organisierte Kriminalität ist dagegen nicht als Gegenpol zum Normalzustand zu begreifen. Partieller Ausnahmezustand und Normalzustand gehen eine eigenartige Liaison ein, deren gespenstischer Charakter in den oben gemachten Ausführungen über die Bedingungen aufscheint, unter denen Falcone, Caponnetto und zahlreiche andere italienische Staatsanwälte und Anti-Mafia-Ermittler ihr Leben fristen mussten und viele andere heute noch müssen. Staatsanwalt Giuseppe Ayala spricht sogar expressis verbis von einem Ausnahmezustand: »Unser Ziel ist aber wohl auch gerade, die Stadt wieder so zu machen, dass jeder ohne Eskorte gehen kann – auch ein Richter und Staatsanwalt. Bisher allerdings leben wir hier in einer Art Ausnahmezustand. Und ich muss sagen, dass wir uns alle schämen, dass es so weit hat kommen müssen.«95 Für einen großen Teil der Bevölkerung geht während eines partiellen Ausnahmezustands das Leben vordergründig seinen gewohnten Gang. Bedroht, so scheint es, ist nur derjenige, der sich aktiv gegen die Mafia stellt, derjenige, der sich weigert, Schutzgeld zu bezahlen, derjenige, der sich nicht mit miserablen Vertragsbedingungen zufrieden geben möchte, und eben derjenige, der im Auftrag des Staates gegen das kriminelle Kollektiv vorzugehen versucht. Alle anderen können, so scheint es, ein Leben führen, als herrschte der Normalzustand. Doch der Schein trügt.
94 Mit der Begriffsbildung des partiellen Ausnahmezustands stellen wir uns auch in offenen Widerspruch zu Schmitts Terminologie: »Denn nicht jede außergewöhnliche Befugnis, nicht jede polizeiliche Notstandsmaßnahme oder Notverordnung ist bereits Ausnahmezustand. Dazu gehört vielmehr eine prinzipiell unbegrenzte Befugnis, das heißt die Suspendierung der gesamten bestehenden Ordnung. Ist dieser Zustand eingetreten, so ist klar, dass der Staat bestehen bleibt, während das Recht zurücktritt.« Carl Schmitt: Politische Theologie, S. 18. 95 Zitiert nach: Werner Raith: Parasiten und Patrone, S. 311 (Hervorhebung vom Autor).
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Denn wenn der Staat nicht in der Lage ist, das Gewaltmonopol durchzusetzen, verliert die Rechtsordnung zuerst ihre faktische und in der Folge auch ihre legitimatorische Basis. An die Stelle der rechtstaatlichen Ordnung tritt das archaische Ordnungsgefüge des kriminellen Kollektivs, denn eine rechtsstaatliche Ordnung ist unteilbar und muss gegen jedes Mitglied der Rechtsordnung vollzogen werden, unabhängig vom Ansehen der Person. Ist dies nicht mehr möglich, verliert die Rechtsordnung nicht nur einen Teil ihrer Wirkungskraft, sondern in Gänze die sie legitimierende Basis. Stellt man die terminologischen Konstrukte Ausnahmezustand und partieller Ausnahmezustand in Beziehung zur Rechtsordnung, so wird die systematische Differenz der beiden Begriffe deutlich, die eben gerade nicht als schlichter Unterschied in der Intensität des Notstands begriffen werden darf. »Im Ausnahmefall suspendiert der Staat das Recht, kraft seines Selbsterhaltungsrechtes«,96 schreibt Carl Schmitt und macht damit deutlich, dass es der Souverän ist, der im Ausnahmezustand die Rechtsordnung aufhebt – und zwar die gesamte bestehende Rechtsordnung. Oder anders formuliert: Der Souverän macht sich frei von der Bindung an das Gesetz, denn »die Autorität beweist, dass sie, um Recht zu schaffen, nicht Recht zu haben braucht«.97 Im partiellen Ausnahmezustand hingegen macht sich nicht der Staat, sondern das organisierte Verbrechen frei von der Bindung an das Gesetz und führt damit durch seine Handlungen eine Schwächung der bestehenden Rechtsordnung herbei. Der Staat jedoch stellt sich und sein Handeln weiter unter die Geltung des Gesetzes und versucht gerade nicht eine Aufhebung, sondern eine Bewahrung der beschädigten Rechtsordnung.98 Diese Handlungsstrategie resultiert aus einer tiefen normativen Bindung des Staates an »seine« Rechtsordnung, deren Verwundbarkeit und Fragilität gerade in der kühlen Per-
96 Carl Schmitt: Politische Theologie, S. 19. 97 Ebd., S. 20. 98 Wenn Leoluca Orlando davon spricht, dass »die Offensive der Mafia im Sommer 1993 Züge eines Staatsstreichs« angenommen habe, dann benennt er damit quasi aus der Perspektive der Mafia die Kehrseite des partiellen Ausnahmezustands (der ein Begriff aus der Perspektive des Staates darstellt). Vgl. dazu: Leoluca Orlando: Ich sollte der nächste sein, S. 189.
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spektive der formal-logischen Argumentation Carl Schmitts aufscheint.
Souveränität und Recht Das staatstheoretisch wohl größte Verdienst erwarb Carl Schmitt mit der Aufdeckung eines strukturimmanenten Grundlagenproblems moderner Staatlichkeit: des dezisionistischen Charakters ihrer Setzung. Auch normativ argumentierenden Theoretikern dürfte es trotz Rückgriffe auf die Naturrechtslehre oder auf die Proklamation des Universalismus der Menschenrechte nicht gelingen, der bestechenden Tiefe der schlichten Schmitt’schen Erkenntnis, dass »jede Ordnung ... auf einer Entscheidung« beruht,99 ein widerlegendes Argument entgegen zu setzen.100 Wenn man aber nun akzeptiert, dass auch die Rechtsordnung, wie jede andere Ordnung, auf einer Entscheidung beruht »und nicht auf einer 99 Ebd., S. 16. 100 Wo es dennoch versucht wird, vermag die Argumentation kaum zu überzeugen. In diesem Sinne stellen die Arbeiten Alasdair MacIntyres ein populäres Beispiel der jüngeren Theoriegeschichte dar (siehe vor allem: Der Verlust der Tugend. Zur moralischen Krise der Gegenwart, Frankfurt/M. 1987). MacIntyre erkennt im Verschwinden einer nicht begründungsbedürftigen Tugendethik (»Verlust aller letzten Kriterien«) das zentrale Übel der Moderne und die wesentliche Ursache der sozialen Auflösungstendenzen moderner Gemeinwesen. Unabhängig davon, ob man bereit ist, diese Diagnose zu teilen, wird implizit deutlich, dass auch MacIntyre – zumindest unter der Ägide der säkularisierten Moderne – dem Dezisionismus argumentativ nichts entgegen zu setzen hat: Denn auch eine Abkehr vom normativen Pluralismus und eine Entscheidung für »letzte Kriterien« wäre eine Entscheidung im eminenten Sinne. An ähnliche Grenzen stoßen die Arbeit John Rawls (Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt/M. 1979) und die seiner kommunitaristischen Kritiker (Michael Sandel: Liberalism and the Limits of Justice, Cambridge/Mass. 1982 oder Charles Taylor: Negative Freiheit? Zur Kritik des neuzeitlichen Individualismus, Frankfurt/M. 1988). Wie auch immer man die Wertbasis eines Gemeinwesens definiert und herleitet – die Entscheidung für die Anerkennung der Werte ist letzten Endes eine kollektive Dezision. Vgl. in diesem Sinne zur Kommunitarismusdebatte: Stephen Mulhall, Adam Swift: Liberals and Communitarians, Cambridge/Mass. 1997 und Axel Honneth (Hg): Kommunitarismus. Eine Debatte über die moralischen Grundlagen moderner Gesellschaften, Frankfurt/M. 1993.
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Norm«,101 dann gesteht man ein, dass die herrschende Rechtsordnung lediglich eine Möglichkeit von mehreren darstellt, die im Moment ihrer Setzung ausgewählt wurde – und die potenziell jederzeit durch eine alternative Rechtsordnung ersetzt werden könnte.102 Damit aber werden die beiden Komplexe Souveränität und Recht in eine Rangordnung gebracht, in der das Recht von der souveränen Macht gesetzt wird und abhängig ist – und nicht andersherum. In der zeitgenössischen Demokratietheorie spricht man vom Souverän als der Gesamtheit der wahlberechtigten und wahlfähigen Bürgerinnen und Bürger eines Gemeinwesens. Um an dieser Stelle begrifflichen Missverständnissen vorzubeugen, sei noch einmal darauf hingewiesen, dass Carl Schmitt weitgehend in der Herrschaftsterminologie des 19. Jahrhunderts dachte und schrieb, die als Souverän die herrschende Instanz bezeichnete und namentlich im Falle Carl Schmitts dies durchaus im personalen Sinne verstand. Für Schmitt war der Souverän eine Person, deren Führungsanspruch so stark ist, dass sie durch ihre worauf auch immer gründende Autorität in die Lage versetzt wird, »über den Ausnahmezustand zu entscheiden«.103 Was im Schmitt’schen Sinne eben bedeutet, dass sie in der Lage ist, die gesamte bestehende Ordnung zu suspendieren. 101 Carl Schmitt: Politische Theologie, S. 16. 102 Im deutschen Grundgesetz hat man versucht, dieser Möglichkeit eines grundsätzlichen Systemwechsels vorzubeugen, der in der historischen Erfahrung der Aushebelung der Weimarer Demokratie durch den Nationalsozialismus konkrete Wirklichkeit geworden war, indem man »Staatsfundamentalnormen« geschaffen hat, deren grundsätzliche Unveränderbarkeit in Artikel 79, Absatz 3 GG »für alle Zeiten« festgeschrieben wurde: »Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.« Diese und ähnliche juristische Regelungen auf Länderebene verführten neokonservative Vertreter, wie den Journalisten Johannes Gross, zu hämischen Äußerungen über die Bundesrepublik Deutschland als die »Staat gewordene Verneinung des Ernstfalls«, wo in Hessen »die Errichtung einer Diktatur sogar gesetzlich verboten« sei. Vgl. dazu: Johannes Gross: Unsere letzten Jahre. Fragmente aus Deutschland. 1970-1980, Stuttgart 1980, S. 85. 103 Carl Schmitt: Politische Theologie, S. 11.
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Giorgio Agamben spricht in diesem Zusammenhang von einem Paradox der Souveränität, denn der »Souverän steht zugleich außerhalb und innerhalb der Rechtsordnung«.104 Der Souverän, der die Macht inne hat, die Geltung des Rechts aufzuheben, setzt sich damit legal außerhalb des Rechts. In Schmitts Theorie des Dezisionismus hört sich das folgendermaßen an: »Die Ordnung muss hergestellt sein, damit die Rechtsordnung einen Sinn hat. Es muss eine normale Situation geschaffen werden, und souverän ist derjenige, der definitiv darüber entscheidet, ob dieser normale Zustand tatsächlich herrscht ... Der Ausnahmefall offenbart das Wesen der staatlichen Autorität am klarsten. Hier sondert sich die Entscheidung von der Rechtsnorm, und (um es paradox zu formulieren) die Autorität beweist, dass sie, um Recht zu schaffen, nicht Recht zu haben braucht.«105 Die Ausnahme kann damit als eine Art der Ausschließung begriffen werden. Sie ist ein Einzelfall, der aus der generellen Norm ausgeschlossen ist. »Die Norm wendet sich auf die Ausnahme an, indem sie sich von ihr abwendet, sich von ihr zurückzieht«, schreibt Agamben und ergänzt: »Die Ausnahme, welche die Struktur der Souveränität definiert, ist jedoch noch komplexer ... Es ist nicht die Ausnahme, die sich der Regel entzieht, es ist die Regel, die, indem sie sich aufhebt, der Ausnahme stattgibt; und die Regel setzt sich als Regel, indem sie mit der Ausnahme in Beziehung bleibt.«106 Anders formuliert: Der Ausnahmezustand ist in jeder Rechtsordnung als latente Möglichkeit immer gegenwärtig und mit der souveränen Macht ohne Unterlass in Verbindung. Damit aber wird der Souverän in der Tat, wie Agamben formuliert, zum »Punkt der Ununterschiedenheit zwischen Gewalt und Recht, [zur] Schwelle, auf der Gewalt in Recht und Recht in Gewalt übergeht«.107 Aufgrund dieses paradoxalen Charakters der Souveränität, des Umstands, dass sie zugleich außerhalb und innerhalb der Rechtsordnung steht, teilt sich die souveräne Macht in eine rechtsetzende (konstituierende) und eine rechtswahrende (konstituierte) Gewalt, wobei darauf hingewiesen werden muss, dass die
104 105 106 107
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Giorgio Agamben: Homo sacer, S. 25. Carl Schmitt: Politische Theologie, S. 20. Giorgio Agamben: Homo sacer, S. 27 und 28. Ebd., S. 42.
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souveräne Macht trotz dieser Teilung mit beiden Elementen in Verbindung bleibt. Denn wäre der Souverän nicht in der Lage, den Ausnahmezustand zu beherrschen, würde er seinen Charakter als souveräne Macht verlieren und zur schlichten konstituierten Gewalt degenerieren – und als solche früher oder später von einer neuen konstituierenden Gewalt hinweggefegt werden. Ein Vorgang, der bei jedem beliebigen Staatsstreich oder Putsch beobachtet werden kann, und den Walter Benjamin als Teil eines »Schwankungsgesetzes« bezeichnet hat, das darauf beruhe, »dass jede rechtserhaltende Gewalt in ihrer Dauer die rechtssetzende, welche in ihr repräsentiert ist, durch die Unterdrückung der feindlichen Gegengewalten indirekt selbst schwächt ... Dies währt so lange, bis entweder neue Gewalten oder die früher unterdrückten über die bisher rechtssetzende Gewalt und damit ein neues Recht zu neuem Verfall begründen«.108 Der Ausnahmezustand liegt somit latent unter jeder Ordnung – und die Macht, die sich ihm nicht stellen könnte, wäre nicht souverän, sondern allenfalls konstituiert. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum die Souveränität westlicher Staaten angesichts der Herausforderung durch organisierte Kriminalität nicht mit der Ausrufung eines Ausnahmezustands reagiert, auch wenn dies von politischen Hardlinern durchaus als willkommene Lockerung rechtsstaatlicher Beschränkungen begriffen werden könnte. Erstens stellt organisierte Kriminalität zwar eine grundsätzliche Bedrohung der Rechtsordnung dar, jedoch nicht im Benjaminschen Sinne des Schwankungsgesetzes. Das heißt, die kriminellen Organisationen werden eben nicht von dem Impetus getrieben, die herrschende Ordnung durch eine neue zu ersetzen, sondern versuchen lediglich die Durchsetzungskraft der bestehenden Rechtsordnung möglichst gering zu halten, um Freiräume für die eigene kriminelle »Geschäftstätigkeit« zu schaffen. Im Verhältnis zur bestehenden Staatlichkeit ist ihr Charakter deshalb eher als parasitär zu begreifen, denn als tatsächliche Konkurrenz. Insofern kann im Fall der kriminellen Vereinigungen allein unter rein kate-
108 Walter Benjamin: »Kritik der Gewalt« (1920/21), in: Ders.: Gesammelte Schriften, Bd. II/I, hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt/M. 1980, S. 202.
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gorialen Gesichtspunkten die Ausrufung des Ausnahmezustands als nicht adäquat klassifiziert werden. Zweitens ist der Ausnahmezustand ein quasi archaisches Rechtsinstitut, das auf den gewaltförmigen Ursprung der Rechtsordnung verweist, indem es die ursprüngliche Ununterschiedenheit von Gewalt und Recht in die gegenwärtige Gesellschaftswirklichkeit zurückholt. Somit würde die Ausrufung des Ausnahmezustands die in gewachsenen Demokratien tief verwurzelte normative Verbundenheit mit dem bestehenden Recht auflösen, was als mindestens ebenso weit reichende Schädigung der (demokratisch legitimierten) Staatlichkeit begriffen werden muss, wie die Herausforderung des Gewaltmonopols durch organisierte Kriminalität. Auch unter der Ägide eines partiellen Ausnahmezustands stellen moderne westliche Staaten deshalb ihr Handeln weiter unter die Geltung des Gesetzes – selbst einzelne Notstandsmaßnahmen, die möglicherweise ergriffen werden, müssen sich dem gesellschaftspolitischen Diskurs stellen.109 Demokratische Staaten legen sich diese Beschränkungen selbst auf, um damit erstens den Versuch der Bewahrung der beschädigten Rechtsordnung zu unternehmen und zweitens die Herbeiführung jenes Punktes der Ununterscheidbarkeit von Gewalt und Recht zu vermeiden, der eine Wiederkehr des sozial Verdrängten in Gang setzen könnte: Das Aufscheinen der grundsätzlichen Gewaltförmigkeit gesellschaftlicher Interaktion, die Manifestation jenes kollektiven und weitgehend unbewussten Wissens, dass Gewalt »die ordnungsstiftende Erfahrung schlechthin« sei.110 Ein solches staatliches Handeln ist somit einer Erwägung geschuldet, gegen die theoretisch zu Felde zu ziehen, Schmitt als eine seiner vordringlichsten Aufgaben begriffen hatte: der normativen Gebundenheit einer bestehenden Rechtsordnung im Sinne eines gesellschaftlichen Konsenses, der in Teilen und innerhalb festgelegter Regeln immer wieder neu ausgehandelt und an veränderte soziale Wirklichkeiten angepasst werden muss. Dessen grundlegendes Wertegerüst jedoch der Diskussion enthoben ist. 109 Verwiesen sei an dieser Stelle beispielsweise auf die oben gemachten Ausführungen zum Disput über die Rechtmäßigkeit der Schaffung des Pool Antimafia und auf die Diskussionen über die Rechtskonformität des Maxi-Prozesses. 110 Heinrich Popitz: Phänomene der Macht, S. 61 (Hervorhebung im Original).
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Wert und Unwert normativer Bindung »Ich glaube, dass wir, wenn wir das staatliche Gewaltmonopol diskutieren, nicht so sehr über die gesellschaftlichen Zielsetzungen reden sollten, sondern über das Phänomen, dass unabhängig von konkurrierenden politischen Zielsetzungen in der Gesellschaft Konflikte vorkommen, die zum Teil gewaltförmigen Charakter haben. Und dass es schließlich innerhalb der Gesellschaft eines Konsenses bedarf, wie man damit umgeht«, sagte Otto Schily Mitte der 1980er Jahre im Kontext einer Diskussion über die Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols innerhalb der demokratischen Linken und insbesondere innerhalb der Partei der Grünen. Und führte weiter aus: »Das ist zunächst einmal ein völlig formales Kriterium, und es kann sich umkehren in dem Moment, wo die Unterlegung dieses formalen Konsenses einen diktatorischen oder inhumanen Charakter hat.«111 Damit hat der spätere Bundesminister des Inneren implizit auf die Doppelstruktur des gesellschaftlichen Konsenses innerhalb demokratischer Staaten verwiesen, auf eine Zweiteilung in eine formale und eine inhaltliche Übereinkunft. Der formale Konsens kann mit dem Begriff der Gewaltlosigkeit umschrieben werden, oder anders formuliert: mit der Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols. Keine gesellschaftliche Gruppe besitzt demnach das Recht, zu Mitteln der Gewalt zu greifen. Dieser Vorgang stellt den oben beschriebenen historischen Versuch dar, Gewalt aus dem Gesellschaftskontext auszuschließen, indem sie in den Institutionen des Staates eingeschlossen wird. Der formale Konsens wiederum setzt einen inhaltlichen Konsens voraus, was Schily mit den Worten umschreibt, dass er das Gewaltmonopol eines Staates, der »einen diktatorischen oder inhumanen Charakter« aufweist, nicht anerkennen würde. Ulrich K. Preuß präzisiert in diesem Sinne: »Das heißt, der formale Konsens hat immer eine Referenz auf eine mindestens minimale inhaltliche Übereinkunft.«112 – Auf eine normative Basis, die von der Mehrheit der Gesellschaftsmitglieder als unverbrüchlich angesehen wird.
111 Ulrich K. Preuß, Otto Schily: »Gewaltmonopol, Selbstbestimmung und Demokratie. Ein Gespräch«, in: Freibeuter, 28, 1986, S. 49. 112 Ebd., S. 50.
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Mit dem Verweis auf eine normative Basis moderner demokratischer Staaten begibt man sich auf theoretisch schwieriges Gelände, was gerade Carl Schmitt in mehreren öffentlichen und halböffentlichen Einlassungen in den 1960er und 1970er Jahren deutlich zu machen versuchte. Unter dem griffigen Titel »Die Tyrannei der Werte«113 polemisierte er gegen eine normative Rückgebundenheit der Rechts- und damit der Staatsordnung. »[E]ine multiple, d.h. überentwickelt pluralistische, aus zahlreichen heterogenen Gruppen sich integrierende Gesellschaft muss die ihr adäquate Öffentlichkeit in ein Übungsfeld wertlogischer Demonstrationen verwandeln ... Die Verwandlung in Werte, die ›VerWertung‹, macht das Inkommensurable kommensurabel.«114 Mit diesen Worten eröffnet Schmitt das Untersuchungsfeld und macht deutlich, weshalb die Diskussion um eine normative Basis – um Grundwerte – gerade in modernen Demokratien geführt werden muss. Denn pluralistische Gesellschaften, die sich durch ein hohes Maß an Kontingenz auszeichnen, bedürfen eines gemeinsamen Codes, eines gemeinsamen Werte-Systems. Schmitt bereitet den Boden für seine rechtstheoretischen Überlegungen zunächst mittels eines Verweises auf die Herkunft des Wert-Begriffs, denn alle gesellschaftliche Ver-Wertung habe »sei113 Nach Schmitts eigenen Angaben fiel das Wort von der »Tyrannei der Werte« erstmals während einer Ebracher Diskussion am 23. Oktober 1959, an der Theologen, Philosophen und Juristen teilgenommen haben. Seinen damaligen Diskussionsbeitrag veröffentlichte Schmitt kurz darauf unter dem Titel »Die Tyrannei der Werte. Überlegungen eines Juristen zur Wert-Philosophie« als Privatdruck in einer Auflage von 200 Stück. 1964 griff die Frankfurter Allgemeine Zeitung die von Schmitt geäußerten Überlegungen auf und machte diese damit einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich. Sein »bescheidenes Vehikel von beinah antikem Format« wurde nach eigener Einschätzung damit »durch ein Weltblatt in eine polemische Auseinandersetzung hineingezogen«. 1967 veröffentlichte er daraufhin den Text des ursprünglichen Privatdrucks, ergänzt durch eigens hinzugefügte einleitende Worte, in einer Festschrift für Ernst Forsthoff (Carl Schmitt: Die Tyrannei der Werte, aus Säkularisation und Utopie, Ebracher Studien, Festschrift für Ernst Forsthoff, Stuttgart 1967). Der darin enthaltene Text wurde von Sepp Schelz 1979 erneut herausgegeben (Sepp Schelz (Hg): Die Tyrannei der Werte, Hamburg 1979). 114 Carl Schmitt: »Die Tyrannei der Werte«, in: Sepp Schelz (Hg.): Die Tyrannei der Werte, Hamburg 1979, S. 13.
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VI. PARTIELLER AUSNAHMEZUSTAND
nen guten Sinn, so lange man sich der spezifischen Besonderheit des Wert-Begriffes bewusst bleibe und seinen konkreten Sinn dort suche, wo er hingehöre, also im Bereich des Ökonomischen«.115 Ausgehend von dieser Prämisse, werde deutlich, dass die Logik des Wertes dem Prinzip der Tauschgerechtigkeit diene, der justitia commutativa, die eigentlich inkommensurable Dinge und Sachverhalte mit Wert versehe und damit kommensurabel mache: »Die Verwandlung in einen Wert ist ja nichts anderes als eine Versetzung in ein System von Stellen-Werten ... Entscheidend ist, dass alle Werte, vom höchsten bis zum niedrigsten, auf dem WertGeleise rangieren.«116 Gleich einem Markt kann damit alles in Wert, gleichsam in Preis und Geld, ausgedrückt werden. Auf den ersten Blick mag dieser Verweis auf die ökonomische Herkunft des Wertbegriffs zu überzeugen. Doch Schmitt selbst scheint seiner Prämisse nicht vollends zu trauen und macht deutlich, dass dieses ökonomische Werte-Verständnis dem normativen Grundwerte-Verständnis demokratischer Staaten nicht gerecht werde. So schränkt er einige Seiten später ein: »Selbstverständlich sind Wert und Preis und Geld-Geltung ökonomische Begriffe und tief in ökonomische Zusammenhänge verstrickt. Aber es wäre ungerecht, sie darauf zu reduzieren und die ganze Wert-Philosophie damit abzutun.«117 Aufgrund dieser Einschränkung sucht Schmitt einen zweiten Zugang, dieses Mal mittels einer genuin philosophiegeschichtlichen Prämisse. Unter Berufung auf Martin Heidegger118 schreibt er, dass die Genese der Wert-Philosophie als Antwort auf die Nihilismus-Krise des 19. Jahrhunderts verstanden werden müsse, als »die Freiheit des Menschen« durch den Nihilismus Friedrich Nietzsches einerseits und durch die kausalgesetzliche, wertfreie Naturwissenschaft andererseits bedroht worden sei. »Auf diese Herausforderung antwortete die Wert-Philosophie, indem sie dem Reich eines nur kausal bestimmten Seins ein Reich der Werte entgegenstellte, als ein Reich des idealen Geltens.«119 In dieser knappen Feststellung transportiert Schmitt nicht nur die nachvollzieh-
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Ebd., S. 13. Ebd., S. 17 (Hervorhebung im Original). Ebd., S. 30. Vgl. dazu: Martin Heidegger: Holzwege, Frankfurt/M. 1950. Carl Schmitt: »Die Tyrannei der Werte«, S. 31.
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bare Ursache der Genese der Wert-Philosophie, sondern eine weitere Prämisse, der zu Folge der Wert kein Sein darstelle, sondern eine Geltung besitze. »Der Wert ist nicht, sondern er gilt«,120 schreibt Schmitt und ergänzt, dass dieses Gelten einen starken Drang zur Verwirklichung impliziere. »Denn das Spezifische des Wertes liegt eben darin, dass er statt eines Seins nur eine Geltung hat. Die Setzung ist infolgedessen nichts, wenn sie sich nicht durchsetzt; die Geltung muss fortwährend aktualisiert, dass [sic!] heißt: geltend gemacht werden, wenn sie sich nicht in leeren Schein auflösen soll. Wer Wert sagt, will geltend machen und durchsetzen.«121 An dieser Stelle scheint nun zum ersten Mal auf, weshalb Schmitt von einer »Tyrannei der Werte« spricht. Werte müssen gelten, und ihre Geltung muss durchgesetzt werden. Und ganz der Logik des Dezisionismus folgend, konstatiert Schmitt, dass die Geltung der Werte auf Setzungen beruhe. Damit ist ein Dreischritt formuliert aus der Setzung der Werte, ihres Anspruchs auf Geltung und der daraus resultierenden Durchsetzung der Geltung. Wenn nun aber am Anfang dieses Dreischritts eine Setzung steht, stellt sich die Frage, wer den Wert setzt. Damit führt auch an dieser Stelle die dezisionistische Frage ins Zentrum des Problems: zur Frage der Legitimität einer Wert-Setzung. Schmitt nennt zwei große philosophische Traditionen, die eine Antwort auf diese Frage zu geben versuchten: die subjektive und die objektive Wert-Philosophie. Max Webers Werturteilsfreiheit122 stellt dabei für Schmitt die »klarste und insofern auch ehrlichste Antwort« dar, was nicht verwundert, da sie eine oberflächliche 120 Ebd., S. 29. 121 Ebd., S. 33. 122 Carl Schmitt bezieht sich hier auf ein Zitat aus »Wissenschaft als Beruf«, in der Weber »die Unvereinbarkeit und also die Unaustragbarkeit des Kampfes der letzten überhaupt möglichen Standpunkte zum Leben, die Notwendigkeit also: zwischen ihnen sich zu entscheiden« benennt. Max Weber: »Wissenschaft als Beruf« (1917/19), in: Ders.: Gesamtausgabe, Band 17, Tübingen 1992, S. 104 (Hervorhebung im Original). Die eigentliche systematische Herleitung der so genannten Werturteilsfreiheit findet sich in: Max Weber: »Die ›Objektivität‹ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis (1904)«, in: Ders.: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hrsg. von Johannes Winckelmann, Tübingen 1951, S. 146-214.
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VI. PARTIELLER AUSNAHMEZUSTAND
Analogie zu seiner Figur des Dezisionismus aufzuweisen scheint. Denn für Weber ist es der einzelne Mensch, der in voller und rein subjektiver Entscheidungsfreiheit die Werte setzt, indem er sich – subjektiv – für einen Wert entscheidet. Insofern ist Webers Werturteilsfreiheit deshalb als subjektive Wert-Philosophie zu verstehen. »Die rein subjektive Freiheit der Wertsetzung führt aber zu einem ewigen Kampf der Werte und der Weltanschauungen, einem Krieg aller mit allen, einem ewigen bellum omnium contra omnes, im Vergleich zu dem das alte bellum omnium contra omnes und sogar der mörderische Naturzustand der Staatsphilosophie des Thomas Hobbes wahre Idyllen sind«,123 schließt Schmitt aus den Folgen eines Verzichts der Möglichkeit einer objektiven Wertsetzung. Wenn jeder selbst entscheiden kann, welche Werte Geltung haben sollen, und welche Werte nicht, so führt das für Schmitt in letzter Konsequenz zu anarchischen Zuständen. »Immer sind es die Werte, die den Kampf schüren und die Feindschaft wach halten.«124 Um diesem Dilemma subjektiver Wert-Setzungen zu entgehen, versuchten vor allem der phänomenologisch geschulte Philosoph Max Scheler und der vom Neukantianismus kommende Nicolai Hartmann die Geltung der Werte objektiv zu begründen. Die Versuche ihrer objektiven Wertphilosophie vermögen jedoch in der Tat kaum zu überzeugen, ganz gleich, ob man Schelers Stufenordnung der Werte vom Nützlichen zum Heiligen125 oder Hartmanns System des objektiven Zusammenhangs einer Welt in Schichten vom Anorganischen zum Geistigen126 betrachtet. Denn 123 Carl Schmitt: »Die Tyrannei der Werte«, S. 31. 124 Ebd., S. 32. 125 Max Scheler entwickelte einen streng geordneten Stufenbau, den ordo amoris, der eine Hierarchie der Werte festlegte – vom Nützlichen über das Edle zum Schönen und schließlich zum Heiligen –, dazu nannte er die jeweils zuordenbaren Personentypen (»Vorbilder«), die Handlungen (»Akte«), die durch die jeweiligen Werte eröffnet werden, und die Zustände, an denen die Werte wie ein Indikator abgelesen werden könnten. Vgl. dazu: Max Scheler: Gesammelte Werke, Band 10: Schriften aus dem Nachlass I: Zur Ethik und Erkenntnislehre, hrsg. von Maria Scheler, Bonn 1986. 126 Nach Nicolai Hartmann umspannen vier Hauptschichten den Umkreis des Seins in der realen Welt. Die beiden unteren Schichten, die der Dinge und die des Lebendigen, bilden gemeinsam den Bereich der räumlichen Außenwelt, über dem die Schichten des Un-
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ob der einzelne Mensch die Geltung der »objektiven« Werte anerkennt, ist letztlich eben doch wieder eine subjektive Entscheidung – zumal in einer »entzauberten«, modernen und pluralistischen Gesellschaft. »Werte mögen so hoch und heilig gelten, als Werte gelten sie immer nur für etwas oder für jemanden«,127 schreibt Schmitt – und es fällt schwer, ihm zu widersprechen. Die entscheidende Wendung in Schmitts Argumentation findet in jenem Punkt statt, von dem an er nicht länger Prämissen erörtert, sondern Deduktionen durchführt. Es ist die suggestive Kraft seiner Rhetorik, die diesen Wechsel in der Argumentationsstrategie zunächst kaum erkennen lässt. »Wer Werte setzt, hat sich damit gegen Unwerte abgesetzt«, schreibt Schmitt vordergründig schlüssig und führt weiter aus: »Der Geltungsdrang des Wertes ist unwiderstehlich und der Streit der Werter, Abwerter, Aufwerter und Verwerter unvermeidlich.«128 Daran anschließend fügt Schmitt Sätze, die den Eindruck erwecken, von den bisherigen Gedanken direkt abgeleitet zu sein: »Der höhere Wert hat das Recht und die Pflicht, den niederen Wert sich zu unterwerfen, und der Wert als solcher vernichtet mit Recht den Unwert als solchen.«129 Diese vermeintliche Deduktion, die in ihrer drastischen Wortwahl (Vernichtung des Unwerts) wahrscheinlich nicht zufällig an die Sprache des Dritten Reiches (Vernichtung unwerten Lebens) erinnert,130 ist keine zwingende Schlussfolgerung, sondern schlicht ei-
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räumlichen liegen, die Schicht der seelischen Erscheinungen und die Schicht des Geistes. Vgl. dazu: Nicolai Hartmann: Ethik (1926), Berlin 1962. Carl Schmitt: »Die Tyrannei der Werte«, S. 32. Ebd., S. 36. Ebd. Schmitt kokettiert in diesem Aufsatz auf durchaus unappetitliche Art und Weise mit der »Wertgebundenheit« des Nationalsozialismus, dem er selbst einige Jahrzehnte zuvor seine intellektuelle Kompetenz und Reputation angedient hatte, worüber er zeitlebens nie ein Wort des Bedauerns oder der Entschuldigung verloren hat. Der Verweis auf die NS-Wertgebundenheit dient allem Anschein nach dazu, normativ argumentierende Rechts- und Politikwissenschaftler zu desavouieren. Vgl. Carl Schmitt: »Die Tyrannei der Werte«, S. 17: »Im Wertsystem und Wörterbuch der rassischen Weltanschauung erscheinen Wert und Leben innig verbunden an höchster Stelle. Hitler erklärte ... den Menschen, und zwar den deutschen Menschen, zu einem ›unvergleichlichen Wert‹; das
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ne Tatsachenbehauptung. »Jede Rücksicht auf den Gegner entfällt, ja sie wird zum Unwert, wenn der Kampf gegen diesen Gegner ein Kampf für die höchsten Werte ist«,131 führt Schmitt weiter aus, ohne zu berücksichtigen, dass gerade die Rücksicht auf den Gegner einer der höchsten Werte sein könnte. Die Menschenrechte,132 die Rechte jedes Menschen – auch des eigenen Gegners – auf Leben, Würde und körperliche Unversehrtheit, finden bei Schmitt keinerlei Erwähnung. Dass es Werte geben könnte, denen man sich verpflichtet fühlt und deren Geltung man durchzusetzen versucht, auch wenn dies zum eigenen Nachteil gereicht, ist ein Gedanke, der jenseits des Schmitt’schen Kosmos anzusiedeln ist. Doch erst aus diesem Gedankengang heraus wird verständlich, warum demokratisch legitimierte und rechtsstaatlich gebundene Staatsorgane auch im Kampf mit Gruppen und Organisationen, die sich nicht an rechtsstaatliche Grundsätze halten, ihr Handeln an den vom Gegner missachteten Werten ausrichten müssen. Denn die kollektive Wertbasis kann nicht durch den Bruch ebendieser verteidigt werden. Und wenn Schmitt schreibt, dass wertlogisch gelten müsse, »dass für den höchsten Wert der höchste Preis nicht zu hoch ist und gezahlt werden muss«,133 dann ist er der tieferen Erkenntnis dieses Gedankens näher als er es selbst wahrgenommen haben dürfte. Denn was sonst könnte der »höchste Preis« sein, als massive eigene Nachteile bis hin zur grundsätzlichen existenziellen Gefährdung, die man in letzter Konsequenz in Kauf nimmt, um die Geltung der Grundwerte zu verteidigen? Um einem Bekenntnis zur Notwendigkeit einer normativen Basis innerhalb eines demokratischen und rechtsstaatlichen Gemeinwesens auszuweichen, schließt Schmitt seine Überlegungen zur Wert-Philosophie mit einem durchaus überraschenden Fazit: Er räumt die von ihm bezogene rechtsphilosophische Position und verabschiedet sich vom Dezisionismus. Damit verlässt Schmitt den Bezugsraum des potenziell allgegenwärtigen Ausnahmezudeutsche Volk war der ›Höchstwert, den es auf dieser Erde gibt‹. Alfred Rosenberg erblickte im ›Dienst an den höchsten Werten‹ den ›Stempel des wahren Genius‹.« 131 Ebd., S. 39. 132 Vgl. dazu: Ludger Kühnhardt: Die Universalität der Menschenrechte, Bonn 1991. 133 Carl Schmitt: »Die Tyrannei der Werte«, S. 38.
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stands, den er einige Jahrzehnte zuvor so virtuos eröffnet und damit das grundlegende Paradox souveräner Macht in ihrer zweifachen Existenz als konstituierende und konstituierte Gewalt in bestechender Klarheit herausgearbeitet hatte. Am Ende verwandelt Schmitt sich in eben das, was er zuvor jahrzehntelang bekämpft hatte: einen schlichten Rechtspositivisten, der der reinen Formlehre treu ergeben ist. »In einem Gemeinwesen, dessen Verfassung einen Gesetzgeber und Gesetze vorsieht, ist es Sache des Gesetzgebers und der von ihm gegebenen Gesetze, die Vermittlung durch berechenbare und vollziehbare Regeln zu bestimmen und den Terror des unmittelbaren und automatischen Wertvollzugs zu verhindern«,134 schreibt Schmitt – ohne die existenziellen Fragen, die er zuvor an jede Staatsordnung gestellt hat, weiterhin zu bedenken. Doch die Fragen existieren weiter, auch wenn Schmitt selbst sie nicht mehr stellt: Wer schuf die Verfassung? Wer garantiert ihren Vollzug? Wer sichert ihren Bestand? Und noch eine Frage sei in dezisionistischer Tradition an Schmitts neu erworbene Position gestellt: Ist nicht gerade die Verfassung als Gesetz gewordene kollektive Wertbasis zu verstehen, die ein Gemeinwesen sich selbst gibt und deren Geltung es durchsetzt? Dieter Grimm sieht in der Verfassung ein Bindeglied zwischen Gesellschaft und Staat, das den Staat auf »eine Garantenfunktion für individuelle Freiheit und gesellschaftliche Autonomie«135 verpflichtet – für Werte, die das Gemeinwesen kollektiv gesetzt hat. Die Verfassung ist damit selbst Resultat eines WertUrteils, mehr noch: eine Wert-Setzung inklusive der rechtskräftig verbrieften Regelung ihrer Durch-Setzung. Die Abscheu vor der Anerkennung der Notwendigkeit der Setzung einer normativen Basis scheint bei Carl Schmitt so groß zu sein, dass er die souveräne Macht am Ende zur schlichten konstituierten Macht degenerieren lässt. Herausforderungen, die nicht in den kalkulierbaren Bahnen »berechenbarer und vollziehbarer Regeln« verlaufen, werden von ihm, dem ursprünglichen Theoretiker des Dezisionismus, negiert. Und es scheint fast, als würde Schmitt theoretische Abbitte für begangene Fehler zu leisten versuchen, wenn er
134 Ebd., S. 40. 135 Dieter Grimm: »Staat und Gesellschaft«, S. 14.
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VI. PARTIELLER AUSNAHMEZUSTAND
schließlich schreibt: »Ein Jurist, der sich darauf einlässt, unmittelbarer Wertvollzieher zu werden, sollte wissen, was er tut.«136 Damit, so kann man schließen, ist Schmitt im doppelten Wortsinne am Ende seiner Argumentation angelangt.
136 Carl Schmitt: »Die Tyrannei der Werte«, S. 41.
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VII. Schluss
Auch die genialste Philosophie, die amoralisch bleibt, ist in einem radikalen Sinne unvollständig. Vittorio Hösle
[Aus ders.: »Die Irrtümer der Denker«, in: Der Spiegel, Nr. 29, 16.07.01, S. 139.]
VII. SCHLUSS
Mit Carl Schmitt wurde der theoretische Bezugsraum der vorliegenden Arbeit eröffnet, mit Schmitt wird er auch wieder geschlossen. Über sein an der konkreten Möglichkeit des »Ernstfalls« ausgerichtetes staatstheoretisches Instrumentarium konnte das Phänomen der organisierten Kriminalität, wie es am besonders prägnanten Beispiel der italienischen Cosa Nostra hier vorgestellt wurde, ins Zentrum einer sozialtheoretischen Analyse der Herausforderungen geführt werden, denen moderne Staatlichkeit sich zu stellen hat. Auch wenn Politikwissenschaft und politische Soziologie die genuin politische Dimension organisierter Kriminalität bislang kaum als Gegenstand theoretischer Reflexion wahrgenommen haben, ist mit einem an Schmitt geschultem Verständnis des staatlichen Gewaltmonopols diese Dimension unabweisbar. Man kann von einer strukturellen Inkommensurabilität sprechen, die jenseits konkreter juristischer oder normativer Erwägungen, die fundamentale Notwendigkeit der staatlichen Bekämpfung krimineller Organisationen begründet – im Sinne einer Konkurrenz verschiedener Monopole der Gewalt. Denn wenn der Staat nicht mehr in der Lage ist, sein Monopol legitimer physischer Gewalt durchzusetzen, verliert er die ihn legitimierende Basis. In den Worten Carl Schmitts lautet diese Erkenntnis: »Bestimmt nicht mehr der Staat, sondern die eine oder andere soziale Gruppe von sich aus ... die konkrete Ordnung, in welcher der Einzelne lebt, so entfällt ... der ethische Anspruch des Staates auf Treue und Loyalität.«1 Damit aber ist der theoretische Boden des staatlichen Monopols der Gewalt betreten, unter dessen Oberfläche der innere Zusammenhang der Begriffe Gewalt, Macht und Staat aufscheint, der als Verbindungslinie zwischen den idealtypischen Polen Bürgerkrieg und Staat betrachtet werden muss. Heinrich Popitz bezeichnet Gewalt als »die ordnungsstiftende Erfahrung schlechthin«2 und verweist damit auf deren fundamentale Bedeutung für die Genese sozialer Ordnung. Setzt man diese Erkenntnis in Verbindung mit dem von Schmitt aufgedeckten strukturimmanenten Grundlagen-
1 Carl Schmitt: »Staatsethik und pluralistischer Staat« (1930), in: Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar – Genf – Versailles, Berlin 1988, S. 136f. 2 Heinrich Popitz: Phänomene der Macht, S. 61 (Hervorhebung im Original).
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problem moderner Staatlichkeit – des dezisionistischen Charakters ihrer Setzung –, so wird der Ursprung des Rechts in der Gewalt sichtbar. Eine im Bezugsraum gesetzter und stabiler Rechtsstaatlichkeit weitgehend verdrängte Tatsache, die jedoch in Momenten des staatlichen Ausnahmezustands – in denen »das Recht zurücktritt« und »der Staat bestehen bleibt«, da der Souverän die gesamte bestehende Ordnung suspendiert3 – erneut erfahrbar wird. Über das Phänomen des Ausnahmezustands führt der Weg direkt zu Schmitts berühmter Definition der Souveränität4 und damit zum paradoxalen Charakter souveräner Macht, der jüngst von Giorgio Agamben erneut dargelegt worden ist.5 Die souveräne Macht, so Agamben in Anlehnung an Carl Schmitt und Walter Benjamin, steht zugleich innerhalb und außerhalb der Rechtsordnung, da sie in der Lage ist, im Ausnahmezustand die gesamte Rechtsordnung zu suspendieren. Damit teilt sich die souveräne Macht in eine rechtsetzende (konstituierende) und eine rechtswahrende (konstituierte) Gewalt und bleibt trotz dieser Teilung als eigenständiges Element bestehen und mit beiden Teilgewalten in Verbindung. In den ruhigen Momenten des Normalzustands zeigt sich die souveräne Macht lediglich in der Gestalt der konstituierten Gewalt, was jedoch erstens nicht zu einer Gleichsetzung der beiden Mächte führen darf und zweitens über den eigentlichen Zusammenhang zwischen souveräner Macht sowie konstituierender und konstituierter Gewalt nicht hinwegtäuschen sollte, der sich erst im Ernstfall erweist: Wäre der Souverän nicht in der Lage, jederzeit den Ausnahmezustand zu beherrschen, würde er seinen Charakter als souveräne Macht verlieren und zur schlichten konstituierten Gewalt degenerieren – und als solche früher oder später von einer neuen konstituierenden Gewalt hinweggefegt werden. Der Ausnahmezustand liegt somit latent unter jeder Ordnung – und die Macht, die sich ihm nicht stellen könnte, wäre nicht souverän, sondern allenfalls konstituiert.
3 Carl Schmitt: Politische Theologie, S. 18. 4 Ebd., S. 11: »Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.« 5 Vgl. dazu: Giorgio Agamben: Homo sacer.
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VII. SCHLUSS
Wie kann nun das dauerhafte partielle Aufbrechen des Gewaltmonopols durch ein straff organisiertes Verbrecherkollektiv, wie das der Cosa Nostra, in diesem theoretischen Komplex verortet werden? Die Antwort folgt der dezisionistischen Logik Schmittscher Staatstheorie und orientiert sich am Handeln des Souveräns. Würde der Staat einen Ausnahmezustand ausrufen und damit die gesamte bestehende Rechtsordnung suspendieren, dann würde es sich bei diesem Konflikt, staatstheoretisch gesprochen, um das Ringen zweier potenziell gleichwertiger Monopole der Gewalt handeln, die gemäß des Benjaminschen »Schwankungsgesetzes« um die Vorherrschaft als rechtserhaltende Gewalt kämpften.6 Um diese Aufwertung krimineller Kollektive zu verhindern, hat kein westlicher Staat, auch nicht Italien, im Kampf gegen die organisierte Kriminalität bislang die bestehende Rechtsordnung außer Kraft gesetzt. Vielmehr kann festgestellt werden, dass die bestehende Rechtsordnung nicht vom Staat, sondern von den kriminellen Organisationen angegriffen und damit in Teilen außer Kraft gesetzt wird, weshalb im Sinne einer soziologischen Begriffsbildung dieses dauerhafte partielle Aufbrechen des Gewaltmonopols als Indiz eines partiellen Ausnahmezustands begriffen werden kann. Im Gegensatz zum juristischen Ausnahmezustand ist der partielle Ausnahmezustand dabei nicht als Gegenpol zum Normalzustand zu begreifen. Der partielle Ausnahmezustand und der Normalzustand gehen vielmehr eine Liaison ein, deren gespenstischer Charakter in den oben gemachten Ausführungen über die Bedingungen aufscheint, unter denen italienische AntiMafia-Ermittler ihr Leben fristen müssen. Stellt man die terminologischen Konstrukte Ausnahmezustand und partieller Ausnahmezustand in Beziehung zur Rechtsordnung, so wird die systematische Differenz der beiden Begriffe deutlich, die gerade nicht als schlichter Unterschied in der Intensität des Notstands begriffen werden darf. »Im Ausnahmefall suspendiert der Staat das Recht, kraft seines Selbsterhaltungsrechtes«,7 schreibt Carl Schmitt und macht damit deutlich, dass es der Souverän ist, der im Ausnahmezustand die Rechtsordnung aufhebt und sich
6 Vgl. dazu: Walter Benjamin: »Kritik der Gewalt« (1920/21), in: Ders.: Gesammelte Schriften, Bd. II/I, hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt/M. 1980, S. 202. 7 Carl Schmitt: Politische Theologie, S. 19.
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damit frei macht von der Bindung an das Gesetz. Im partiellen Ausnahmezustand macht sich dagegen nicht der Staat, sondern das organisierte Verbrechen frei von der Bindung an die Rechtsordnung – und führt damit ihre Schwächung herbei. Der Staat jedoch stellt sein Handeln weiter unter die Geltung des Gesetzes und versucht gerade nicht eine Aufhebung, sondern eine Bewahrung der beschädigten Rechtsordnung. Diese Handlungsstrategie, die als Hemmnis in der Bekämpfung eines »inneren Feindes« begriffen werden kann, ist einer tiefen normativen Bindung des Staates an seine Rechtsordnung geschuldet. »Auch in Zeiten flagranter Bedrohung der Inneren Sicherheit brauchen wir abwägungsfeste, unverfügbare Bereiche bürgerlicher Freiheit«, führt Winfried Hassemer aus, denn: »Eine Rechtskultur erweist sich an den Prinzipien, in deren Verletzung sie nicht einwilligen wird, auch wenn diese Verletzung höchsten Gewinn verspricht.«8 Die Einsicht in die Notwendigkeit der Rückbindung staatlicher Herrschaft an eine gesellschaftlich ausgehandelte und tradierte normative Basis scheint unter der kühlen Perspektive der formal-logischen Argumentation Carl Schmitts nicht auf. »Dass, nicht wie entschieden wird, ist die Abbreviatur seines Dezisionismus«,9 schreibt Axel T. Paul und verweist damit auf die eigenartige normative Leere in Schmitts staatstheoretischem Werk: »Der Dezisionismus Schmitts ... hatte menschliche Emanzipation nie auf seine Fahnen geschrieben, insistierte vielmehr auf der Unvermeidlichkeit von Herrschaft und machte mit dem Verzicht auf objektive Maßstäbe Ernst.«10 Schmitts Ablehnung jeglicher wertlogischer Überlegungen im staatstheoretischen Feld führt sogar so weit, dass er – um einem Bekenntnis zur Notwendigkeit einer normativen Basis auszuweichen – seine rechtsphilosophische Position des Dezisionismus op-
8 Winfried Hassemer: »Rechtsstaaliche Grenzen bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität«, in: Ulrich Sieber (Hg.): Internationale Organisierte Kriminalität. Herausforderungen und Lösungen für ein Europa offener Grenzen, Köln u.a. 1997, S. 218: »Zu diesen Prinzipien gehört beispielsweise die Entschlossenheit, Verdächtige auch dann nicht zu foltern, wenn man auf diesem Wege etwa das Leben einer unschuldigen Geisel retten könnte.« 9 Axel T. Paul: Die Sichtbarkeit der Macht. Zur politischen Theorie Carl Schmitts, unveröffentlichtes Manuskript, S. 77. 10 Ebd., S. 78.
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VII. SCHLUSS
fert und den theoretischen Bezugsraum des potenziell allgegenwärtigen Ausnahmezustands verlässt. Ohne die weit reichende Bedeutung der Doppelexistenz souveräner Macht weiter zu berücksichtigen, verwandelt Schmitt sich am Ende in eben das, was er zuvor jahrzehntelang bekämpft hatte: einen Rechtspositivisten.11 Damit aber entzieht er sich den existenziellen staatstheoretischen Fragen, die er selbst mit aufgeworfen hatte, wodurch er diese selbstredend nicht verschwinden machen kann. Die Evidenz der Frage nach einer normativen Fundierung staatlicher Ordnung bleibt erhalten und tritt gerade in jenen Momenten deutlich zu Tage, in denen der Staat gezwungen ist, sein Gewaltmonopol anzuwenden. »Der Satz politischer Grammatik, den wir Thomas Hobbes verdanken, behält auch hier seine Gültigkeit: Wer stark genug ist, alle zu schützen, ist auch (potenziell) stark genug, alle zu unterdrücken«,12 verweist Ernst-Wolfgang Böckenförde auf die Möglichkeit des staatlichen Machtmissbrauchs und macht damit deutlich, dass der Staat gerade aufgrund seines Monopols der physischen Gewalt einer normativen Fundierung bedarf, was sich auch und gerade im Kampf gegen das organisierte Verbrechen zu erweisen hat. »Es gibt keine ›Waffengleichheit‹ zwischen Kriminalität und kriminalitätsbekämpfendem Staat in dem Sinne, dass dem Staat der Einsatz all derjenigen Mittel erlaubt sein müsse, zu welchen Kriminelle Zugang haben«, führt Winfried Hassemer weiter aus: »Der Staat braucht, auch im Angesicht der Bevölkerung, eine moralische Überlegenheit über das Verbrechen, die sich nicht nur normativ begründet, sondern auch symbolisch-praktisch zeigt. Er darf verbrecherische Methoden nicht verwenden, weil er sonst diese Überlegenheit und damit langfristig seine Glaubwürdigkeit und das Vertrauen der Bevölkerung in die rechtliche Ordnung des Staates gefährdet.«13 Diese moralische Überlegenheit, die sich praktisch zeigen muss, bedarf eben einer normativen Begründung, weshalb noch einmal mit aller Klarheit aufscheint, was im Rückgriff auf Wilhelm Hennis in dieser Arbeit bereits formuliert 11 Vgl. dazu: Carl Schmitt: »Die Tyrannei der Werte«, S. 40. 12 Ernst-Wolfgang Böckenförde: »Der verdrängte Ausnahmezustand. Zum Handeln der Staatsgewalt in außergewöhnlichen Lagen«, in: Neue Juristische Wochenschrift, 31. Jahrgang, 1978, S. 1190. 13 Winfried Hassemer: »Rechtsstaatliche Grenzen bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität«, S. 218.
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wurde: Dass wertfreie Sozialtheorien denkbar sind, aber kaum wertfreie politische Theorien – zumindest nicht, wenn sie in die Sphäre der Staatstheorie reichen und über eine rein deskriptive Funktion hinausweisen sollen. Denn, um mit Hennis zu sprechen, die »Realität des Politischen steht immer unter einem sittlichen Anspruch ... ein Staat ist nur gegeben in Gestalt einer bestimmten Staatsform, also so oder so verfasst. Dazu gehört nicht zuletzt die bestimmte Weise der Lebensführung, die dieser Gemeinschaft eigentümlich ist, die Ansprüche, unter die das Leben gestellt wird, die Formen und Anforderungen, die man als verbindlich ansieht, der Esprit, die Sitten, die Wertordnung, die rechtlichen Normen.«14 Verfügte der Staat nicht über diesen »sittlichen Anspruch«, legitimierte er sich nicht über einen demokratisch getragenen Konsens und stellte er seine Gewaltanwendung nicht unter eine öffentliche Kontrolle, dann wäre er schlicht als das stärkste Monopol der Gewalt auf einem Territorium zu betrachten, und nur aufgrund dieser Qualität zur Ordnungsstiftung legitimiert. Doch die »Staatsgewalt ist gewiss ein unabdingbares Moment seiner Wirklichkeit, aber das, was den Staat zum Staat macht, ist mehr als bloß die Staatsgewalt: Es sind nicht zuletzt die Aufgaben, die nur er erfüllen kann, das Telos, unter dessen Gebot er steht.«15 Wer die Notwendigkeit eines solchen normativen Telos nicht anerkennt, dem bleiben letztlich nur zwei theoretische Optionen: Rechtspositivismus und Dezisionismus. Ersteres in Form einer Verdrängung der Möglichkeit eines Ausnahmezustands durch den Rückzug auf die gesetzte Regelkonformität des Normalzustands, zweiteres als Votum für eine wertentleerte Vitalität, die in letzter Konsequenz auch bereit ist, die Autorität eines Paten der Cosa Nostra anzuerkennen, wäre dieser erst stark genug, über den Ausnahmezustand zu entscheiden. Carl Schmitt selbst hat beide Optionen in umgekehrter Reihenfolge erprobt. Was am Ende von seinem Werk bleibt, sind die Fragen, die er gestellt, nicht die Antworten, die er gegeben hat.
14 Wilhelm Hennis: Politik und praktische Philosophie, S. 13. 15 Ebd., S. 75.
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Epilog e ine r politis c he n Tra gödie
»Der Kampf, den wir gegen die Mafia aufnahmen, war keine offene Feldschlacht zwischen zwei Armeen, sondern eher ein Straßenkampf, in dem wir versuchten, unser bürgerliches Leben Haus für Haus und Viertel für Viertel zurückzuerobern«,1 schreibt Leoluca Orlando. Mit dem Urteil der obersten Richter in den Berufungsverhandlungen des Maxi-Prozesses haben die Anti-MafiaErmittler in diesem Kampf eine entscheidende Schlacht gewonnen. Doch der damalige Erfolg sollte nicht über eine tiefgehende Verschiebung der politischen Koordinaten innerhalb der italienischen Politik in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren hinwegtäuschen – einer Verschiebung, die sich bereits während des Maxi-Prozesses angekündigt hatte. Als nach mehreren Regierungskrisen für Juni 1987 Neuwahlen angesetzt worden waren, gestaltete die sozialistische Partei um Bettino Craxi ihren Wahlkampf zu einem guten Teil mit pauschalen Attacken gegen die erfolgreichen Ermittlungsrichter von Palermo. »In den Augen vieler Beobachter war der Wahlkampf eine subtile – und manchmal gar nicht so subtile – Kampfansage an den Anti-Mafia-Verbund von Palermo«,2 so Alexander Stille. Und die Regierungskoalition, die sich nach der Wahl in Rom etablierte, begann in weiten Teilen, das im Wahlkampf formulierte »AntiJustiz-Ressentiment« in praktische Politik umzusetzen. Ein erstes Indiz dieser »Trendwende« kann in dem Umstand gesehen wer-
1 Leoluca Orlando: Ich sollte der nächste sein, S. 130. 2 Alexander Stille: Die Richter, S. 214.
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den, dass das lange erwartete Zeugenschutzprogramm nach amerikanischem Vorbild nicht in Kraft gesetzt wurde. Ein weiteres Indiz kann in einer Verschärfung jener »Kampagnen gegen die Richter« – gegen die Justiz im Allgemeinen und die Ermittlungsrichter von Palermo im Besonderen – gesehen werden, die bereits den Wahlkampf in weiten Teilen dominiert hatten. Der politische Kampfbegriff der »Roten Roben«, der auch in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen zwischen großen Teilen der Justiz einerseits und des national-konservativen Regierungsbündnisses Silvio Berlusconis andererseits als Vehikel der öffentlichen Formulierung des Ressentiments gegen eine »unkontrollierte Macht der Richter« taugt,3 wurde hier erstmals in dieser Qualität von großen Teilen der politischen Klasse formuliert. Im Herbst 1987 verschärften sich die Kampagnen gegen »die Richter«, vor allem mittels pauschaler Vorwürfe, die italienische Justiz sei ein politisches Instrument der Kommunistischen Partei. Schlagworte wie das vom »langen Marsch der Kommunisten durch die Gerichtssäle« machten die Runde,4 und nicht selten wurde dabei vor allem Giovanni Falcone persönlich angegriffen: »Er wurde in anonymen Briefen und Kolumnen selbst seriöser Zeitungen bezichtigt, sein Amt für parteipolitische Auseinandersetzungen ... zu missbrauchen ... Falcone wurde dabei als karrieresüchtiger Richter hingestellt, der das Strafrecht mit Füßen trete; Falcone, der respektlose Kommunist«,5 schreibt Vincenzo Delle Donne.
3 Vgl. dazu beispielsweise: Hans-Jürgen Schlamp: »Die Nacht der Demokratie«, in: Der Spiegel, 25.02.02, Nr. 9, S. 154-156. 4 Dass dieser Topos sich in der politischen Debatte Italiens hält, belegen Äußerungen Berlusconis aus dem Frühjahr 2002: »›Richter, die die Kommunistische Partei in den Justizapparat eingeschleust hatte‹, hätten vorsätzlich jene Parteien eliminiert, ›die Italien ein halbes Jahrhundert regiert hatten.‹« Hans-Jürgen Schlamp: »Die Nacht der Demokratie«, in: Der Spiegel, 25.02.02, Nr. 9, S. 156. 5 Vincenzo Delle Donne: Falcone, S. 137 und 140. Der mehrfach gegen Falcone vorgebrachte Verdacht, er sei ein Zuarbeiter der Kommunistischen Partei, hat seine Wurzeln in Falcones Studienzeit. Als Jurastudent an der Universität von Palermo hatte er sich intensiv mit dem Kommunismus auseinandergesetzt und mit diesem sympathisiert, war jedoch nie in die KP eingetreten. Ein strukturell analoger, jedoch politisch diametral entgegengesetzter Vorwurf wurde Paolo Borsellino gemacht. Borsellino, der zur gleichen Zeit an der Universi-
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An der Person Falcones lässt sich die Verschiebung der politischen Koordinaten im Kampf gegen das organisierte Verbrechen exemplarisch verdeutlichen. Falcones Niedergang erscheint in der retrospektiven Betrachtung als methodische Demontage in Form einer seriellen Produktion von Niederlagen. Was ex post als politische Tragödie bezeichnet werden kann, entwickelte sich in mehreren Schritten, die im Folgenden – um im Bild der Tragödie zu verbleiben – als Akte bezeichnet werden. Erster Akt: Giovanni Falcone war zwar vor und während des Maxi-Prozesses nicht Leiter des Pool Antimafia gewesen, galt aber als dessen profiliertester Kopf. Als Antonino Caponnetto, inzwischen 68 Jahre alt, nach der Urteilsverkündung im Maxi-Prozess seinen Rücktritt von der Leitung des Pool Antimafia bekannt gab, verwunderte es deshalb kaum jemanden, dass er sich für Falcone als seinen Nachfolger aussprach. Die letztendliche Entscheidungsbefugnis über Caponnettos Nachfolge oblag dem Consiglio superiore della magistratura (CSM), dem Obersten Richterrat in Rom, der die Funktion des höchsten Selbstverwaltungsorgans der italienischen Justiz erfüllt. Offiziell hatten sich sechs Kandidaten um das Amt des Leiters der Ermittlungsbehörde von Palermo beworben. »Keiner könnte das Ermittlungsbüro besser leiten als Falcone«,6 ließ Caponnetto wieder und wieder verlautbaren, doch in der Nacht vom 18. auf den 19. Januar 1988 entschied der CSM anders: Antonino Meli, 68 Jahre alt, bislang als Richter am Berufungsgericht von Caltanissetta tätig und nie zuvor mit Aufgaben als Ermittlungsrichter in Mafia-Fällen betraut gewesen, wurde zum neuen Leiter der Ermittlungsbehörde ernannt. »Falcone hingegen bekleidete nach fast fünfundzwanzig Jahren im Justizdienst noch immer tät von Palermo Jura studiert hatte, begeisterte sich während des Studiums für den Faschismus, war aber ebenfalls nie Mitglied einer politischen Partei geworden. Beide verwahrten sich in späteren Jahren gegen jegliche Versuche der Vereinnahmung seitens faschistischer Parteien oder der KP. Die ursprüngliche Nähe zu den entgegengesetzten Enden des politischen Spektrums soll in der Freundschaft der beiden Ermittlungsrichter Gegenstand von Witzen und Neckereien gewesen sein: »›Camerata Borsellino‹ pflegte Falcone seinen Freund unter Anspielung auf die zwischen Angehörigen der Faschistischen Partei übliche Anrede zu frotzeln.« Alexander Stille: Die Richter, S. 34. 6 Zitiert nach: Vincenzo Delle Donne: Falcone, S. 135.
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den vergleichsweise bescheidenen Rang eines stellvertretenden Staatsanwalts«,7 resümiert Alexander Stille. Und Saverio Lodato ergänzt: »Kaum ein einziger Monat reichte aus, um praktisch alles zu zerstören, um dem Pool einen tödlichen Stoß zu versetzen, um die Arbeit Caponnettos, dem das bis heute keine Ruhe lässt, zunichte zu machen.«8 Antonino Caponnetto verweist auf die tiefer liegenden Motivationen, die eine Wahl Falcones verhinderten: »Ich erinnere mich an ein Treffen mit dem Kollegen Giovanni Borrè vom Bund Demokratischer Richter, bei dem ich mich für die Kandidatur Falcones wärmstens einsetzte ... Obwohl er seine Bewunderung für Giovanni Falcone zum Ausdruck brachte, entglitt ihm folgende, hier wortwörtlich wiedergegebene Äußerung: ›Wenn wir jetzt Falcone in Palermo nominieren, dann setzen sie ihn uns in zehn Jahren als Präsident des Kassationsgerichts vor die Nase.‹«9 Tief getroffen durch die Niederlage Falcones erklärte Caponnetto kurz nach der Verkündung dieser Entscheidung des CSM seinen Austritt aus der Nationalen Richtervereinigung. Zweiter Akt: Trotz dieser offenkundigen Demütigung blieb Giovanni Falcone in seinem Amt und versuchte, unter Antonino Meli seinen Dienst zu tun. Meli begann kurz nach seiner Amtseinführung mit einem Umbau der Behörde, der einer Auflösung der erfolgreichen Pool-Struktur gleichkommen sollte. Statt einer zentralen Bündelung aller Mafia-Fälle forderte Meli eine Rückkehr zum herkömmlichen Ermittlungssystem, in dem jeder Ermittlungsrichter aus den verschiedenen Bereichen des Strafrechts seine Fälle zugewiesen bekam und diese selbstständig zu bearbeiten hatte, was im Rückschluss eine Auflösung des bisherigen Pool Antimafia bedeutete. Unter Anspielung auf die Äußerungen Sciascias schreibt Alexander Stille: »Es schien, als halte Meli die Mitglieder des Anti-Mafia-Verbunds für verwöhnte Stars, die sich daran gewöhnt hatten, die Rosinen unter den anfallenden Fällen herauszupicken und den größeren Teil der Arbeit auf ihre Kollegen außerhalb des Teams abzuschieben.«10
7 Alexander Stille: Die Richter, S. 223. 8 Antonino Caponnetto, Saverio Lodato: Die Antimafia, S. 131. 9 Ebd., S. 145. 10 Alexander Stille: Die Richter, S. 251.
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Wenige Monate nach Melis Amstantritt veröffentlichte Saverio Lodato am 20. Juli 1988 in der Zeitung L’Unità ein Interview mit Paolo Borsellino, der den Pool Antimafia bereits in der Schlussphase des Maxi-Prozesses verlassen hatte und inzwischen als leitender Oberstaatsanwalt von Marsala tätig war. Borsellinos Interview sorgte in Rom und Palermo für große Aufregung, da er die Auflösung der bisherigen Pool-Struktur in Palermo offen kritisierte. Diese Entwicklung war der Öffentlichkeit und großen Teilen der politischen Klasse nicht bekannt gewesen, da die Ermittlungsbehörde aus naheliegenden Gründen äußerst diskret arbeitete. Umso erstaunter zeigten sich zahlreiche Kommentatoren über die teilweise recht harschen Äußerungen Borsellinos: »Man hat Falcone die Leitung der großen Antimafia-Ermittlungen entzogen ... Ich schreibe der Ermittlungsbehörde, und zu meiner großen Überraschung kommt die Post zurück. Ich haben den Eindruck, dass große Manöver im Gang sind, um den Pool zu zerstören ... Bis vor kurzem wurden alle Antimafia-Ermittlungen, eben wegen der Kompaktheit dieser Organisation, die man Cosa Nostra nennt, in den Pools der Staatsanwaltschaft und der Ermittlungsbüros zentralisiert. Heute dagegen verstreut man die Prozesse in alle Winde. Alle müssen sich um alles kümmern, so die offizielle Begründung ... Ich habe das unangenehme Gefühl, dass jemand das Rad zurückdrehen will ... Mir scheint, wir sind an einem sehr heiklen Punkt angelangt.«11 Der höchste Repräsentant des italienischen Staats, Präsident Francesco Cossiga, schaltete sich persönlich in diesen Fall ein und beauftragte den Obersten Richterrat mit einer Untersuchung der von Borsellino formulierten Vorwürfe. Antonino Meli ließ dagegen seinerseits in der Presse verlautbaren, dass nicht eine von Borsellinos Behauptungen der Wahrheit entspreche. Die Fronten verhärteten sich, und am 30. Juli 1988 reichte Giovanni Falcone offiziell sein Rücktrittsgesuch ein. »Im Caso Palermo bestätigte der leitende Ermittlungsrichter des Pools Falcone [sic!] alle Kritik Borsellinos. Auch er verstieß damit ... gegen seine Verschwiegenheitspflicht. Falcone machte öffentlich, er selbst sei sogar aufge-
11 Saverio Lodato: »Nachdruck des Interviews mit Paolo Borsellino«, in: Antonino Caponnetto, Saverio Lodato: Die Antimafia, S. 137-139.
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fordert worden, die Ermittlungen in den Mordfällen Piersanti Mattarella und [Pio] La Torre zu schließen.«12 Der Oberste Richterrat debattierte zwei Tage lang und versuchte eine Kompromissformel zu finden, was sich am Ende in der Aufspaltung in ein Mehrheits- und in ein Minderheitsvotum widerspiegelte. Peter Müller schreibt über die Ergebnisse: »Die Mehrheit gab Meli Recht und rügte das Verhalten von Borsellino und Falcone, weil sie ihre Kritik nicht auf dem Dienstweg angemeldet haben. Gemäß der Wertung der Minderheit im CSM handelten beide [Seiten] richtig, der Ernst der Lage rechtfertige den Schritt in die Öffentlichkeit.«13 Nach dramatischen Verhandlungen zog Falcone daraufhin sein Rücktrittsgesuch zurück, was nicht darüber hinweg täuschen sollte, dass Falcone geschwächt aus dieser Auseinandersetzung hervorgegangen war. Nicht zuletzt aufgrund der schlichten Tatsache, dass die gesamte Öffentlichkeit – damit auch Vertreter der Cosa Nostra – in den Zeitungen lesen konnte, dass Giovanni Falcone in weiten Teilen die Kontrolle über die Anti-Mafia-Ermittlungen entzogen bekommen hatte und dass der Pool Antimafia, zumindest in seiner bisherigen Form, sich in Auflösung zu befinden schien. Dritter Akt: Im August des Jahres 1988 galt es, den Posten des Hohen Kommissars für die Bekämpfung der Mafia neu zu besetzen. Ein Amt, das von seinem Anforderungsprofil her sehr gut auf Falcone zugeschnitten gewesen wäre. Doch die Regierung in Rom verkündete am 5. August 1988 die Berufung des Staatsanwalts Domenico Sica. Aus Regierungskreisen wurde die Information gestreut, Falcone sei zwar in der engeren Wahl gewesen, aufgrund des Konflikts im CSM habe man sich jedoch gegen ihn entschieden. Falcone selbst sagte, dass nicht eine einzige verantwortliche
12 Peter Müller: Die politische Macht der Mafia, S. 292f. 13 Ebd., S. 293. Eine anschließend durchgeführte Untersuchung des italienischen Justizministeriums kam zu dem eindeutigen Ergebnis, dass in der Ermittlungsbehörde von Palermo nachweislich die Ermittlungsarbeit von Fällen mit Mafiabezug behindert und blockiert worden war. »Damit hatte das Justizministerium nicht nur abstrakt fehlenden Willen einiger Richter bei der Verfolgung von Verbrechen der Mafia festgestellt, sondern konkret auch die Behinderung derer, die bei Delikten mit Bezug zur Mafia ermitteln.« Peter Müller: Die politische Macht der Mafia, S. 294.
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Person mit der Frage an ihn herangetreten sei, ob er bereit gewesen wäre, für das Amt des Hohen Kommissars zu kandidieren.14 Was in Sitzungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit diskutiert wurde, lässt sich heute kaum mehr rekonstruieren. Festzustellen bleibt jedoch, dass Giovanni Falcone erneut bei der Vergabe eines exponierten Amts im Anti-Mafia-Kampf übergangen worden war. Die später so bezeichnete »öffentliche Demontage« war um ein Kapitel erweitert worden. Vierter Akt: Offene politische Isolation sei für einen Anti-MafiaErmittler der Zustand höchster Gefährdung, hatte Falcone unter Verweis auf das Schicksal General dalla Chiesas bereits sehr früh betont: »Sie töten den Inhaber der Machtposition, wenn diese fatale Kombination gegeben ist: Er ist zu gefährlich geworden, aber man darf ihn töten, weil er isoliert ist.« Und im Gespräch mit Saverio Lodato noch deutlicher: »Ich erkenne denselben Mechanismus, der dem Tod Generals dalla Chiesa vorausging. Das Drehbuch ist dasselbe. Man braucht nur Augen, um es zu sehen.«15 Im Sommer 1989 wurde schließlich erstmals offene Gewalt gegen Falcone sichtbar: Am Abend des 20. Juni 1989 waren er und seine Frau Francesca in ein Strandhaus bei Addaura gefahren. Ursprünglich hatten sie geplant, bereits am frühen Nachmittag mit Freunden dorthin zu gehen, doch der Ausflug musste kurzfristig abgesagt werden – wider Erwarten entschied sich das Ehepaar Falcone dann doch noch spontan, am frühen Abend das Strandhaus aufzusuchen. Die Nacht verlief ruhig, bis am nächsten Vormittag das Haus geräumt werden musste. Ein Leibwächter hatte in der unmittelbaren Nähe des Hauses eine Bombe gefunden, die aus 58 Stangen Plastiksprengstoff bestand. Die Bombe war offenkundig gezielt platziert, jedoch nicht aktiviert worden – es gibt Vermutungen, dass sie aufgrund der Konfusion nicht aktiviert worden sei, die entstanden war, weil das Ehepaar Falcone den Ausflug nach Addaura zunächst abgesagt hatte. Fünfter Akt: Direkt nach diesem Attentatsversuch wurde Falcone Opfer einer Serie anonymer Diffamierungen.16 Mehrere Persön-
14 Vgl. dazu: Alexander Stille: Die Richter, S. 267. 15 Zitiert nach: Alexander Stille: Die Richter, S. 235 und 292. 16 Vgl. dazu: Peter Müller: Die politische Macht der Mafia, S. 295.
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lichkeiten des öffentlichen Lebens erhielten Briefe, in denen Falcone verdächtigt wurde, »reuige Mafiosi« auf illegale Weise zu benutzen, indem er sie gegen verfeindete Mafia-Familien ins Feld führe.17 Der Vorwurf wurde geprüft und stellte sich als nicht haltbar heraus. Dennoch hatten die Briefe am Ansehen Falcones gekratzt. Er selbst sagte dazu: »[D]iese anonymen Briefschreiber haben Risse in meine Rüstung gemacht, um mich zu diskreditieren, mich zu isolieren, mein Ansehen zu verletzen ... Und das ist eine Voraussetzung, die die Mafia auszunutzen und zu schaffen versteht, bevor sie ein Verbrechen gegen einen Repräsentanten des Staates begeht.«18 Sechster Akt: Nach Jahren der Zermürbung verlässt Falcone seine sizilianische Heimat und wechselt im März 1991 nach Rom, wo er unter Justizminister Claudio Martelli das Amt des »Direktors für Strafsachen« übernimmt. Nachdem die offene Gewalt der Cosa Nostra wieder deutlich zugenommen hatte,19 nach erneuten Regierungskrisen und Neuwahlen, konnte erneut von einer Verschiebung der politischen Koordinaten gesprochen werden. Das
17 Konkret machte sich dieser Vorwurf an der so genannten »Affäre Contorno« fest. Salvatore Contorno, der wie Buscetta einer der prominenten Zeugen des Maxi-Prozesses gewesen und der ebenfalls ins amerikanische Zeugenschutzprogramm aufgenommen worden war, kehrte Anfang des Jahres 1989 aus ungeklärten Gründen nach Sizilien zurück. Am 26. Mai 1989 wurde Contorno in Palermo festgenommen, in einem Haus, in dem er sich mit seinem wegen Mordes gesuchten Cousin Gaetano Grado getroffen hatte. In dem Haus konnte nach der Verhaftung eine größere Menge an Waffen sichergestellt werden. Der anonyme Briefschreiber bezichtigte Falcone, Contorno nach Sizilien geholt zu haben, damit dieser gewaltsam gegen den mächtigen Clan der Corleoneser vorgehen solle. Bald darauf konnte der anonyme Verleumder überführt werden, der sich im unmittelbaren Umfeld Falcones befunden hatte: Es handelte sich um Alberto Di Pisa, einen der Staatsanwälte des Antimafia-Pools von Palermo. Vgl. dazu: Fabrizio Calvi: Jenseits von Palermo, S. 265-272. 18 Zitiert nach: Alexander Stille: Die Richter, S. 294. 19 Besondere Abscheu rief in ganz Italien ein brutaler Mord in dem kalabrischen Provinzstädtchen Taurianova hervor: Am 3. Mai 1991 wurde einem Metzger am helllichten Tag mit einem Schlachtermesser der Kopf abgeschnitten, und dieser anschließend auf der Piazza des Städtchen von den Tätern öffentlich als Zielscheibe für »Schießübungen« verwendet.
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Problem der organisierten Kriminalität und ihrer Bekämpfung rückte wieder ins Zentrum der politischen Auseinandersetzung. Ein deutliches Indiz für ein neuerliches Erstarken der so genannten »Anti-Mafia-Kultur« war ein am 5. April 1992 verabschiedetes Gesetz, das die Berufung eines »Übergeordneten Ermittlers für die Koordinierung aller Anti-Mafia-Verfahren« vorsah. Als aussichtsreichster Kandidat galt – wieder einmal – Giovanni Falcone. Die mögliche Berufung sollte er nicht mehr erleben: Am 23. Mai 1992 wurde er das Opfer des bis dahin Aufsehen erregendsten Attentats der jüngeren Geschichte Italiens.
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