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German Pages 467 [468] Year 2006
Mittelalter im Film
W G DE
Trends in Medieval Philology Edited by Ingrid Kasten · Nikiaus Largier Mireille Schnyder
Editorial Board Ingrid Bennewitz · John Greenfield · Christian Kiening Theo Kobusch · Peter von Moos · Uta Störmer-Caysa
Volume 6
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Christian Kiening · Heinrich Adolf (Hg.)
Mittelalter im Film
Walter de Gruyter · Berlin · New York
© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISSN 1612-443X ISBN-13: 978-3-11-018315-3 ISBN-10: 3-11-018315-3 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© Copyright 2006 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co., Göttingen
Inhaltsverzeichnis Einleitung I.
Mittelalter im Film VON CHRISTIAN KIENING
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HISTORISCH-MYTHISCHE HEROEN II.
III.
IV.
ROBIN HOOD VON HEINRICH ADOLF
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JEANNE D'ARC VON JUDITH KLINGER
135
SAMURAI VON CHRISTOPH SCHNEIDER
171
Paradigmatische Filme V.
Fritz Lang: Die Nibelungen (1924) v o n CHRISTIAN KIENING u n d CORNELIA HERBERICHS
VI.
V I I I . ANTHONY MANN: EL CID ( 1 9 6 1 ) VON FRANC;OIS A M Y DE LA BRETEQUE
X.
227
INGMAR BERGMAN: DAS SIEBENTE SIEGEL ( 1 9 5 7 ) UND DIE JUNGFRAUENQUELLE ( 1 9 6 0 ) VON CHRISTIAN KIENING
IX.
189
Richard Thorpe: Ivanhoe (1952) VON HEINRICH ADOLF
VII.
....
249
283
ANDREJ TARKOWSKIJ: ANDREJ RUBLJOW ( 1 9 6 6 ) VON URSULA VON KEITZ
297
ERIC ROHMER: PERCEVAL LE GALLOIS ( 1 9 7 8 ) VON BRUNO QUAST
319
Inhaltsverzeichnis
VI
XI.
Bertrand Tavernier: IM Passion Reatme (1987) VON U D O FRIEDRICH
333
AUSBLICK XII.
MONUMENTALITÄT IM HISTORIENFILM VON ELISABETH BRONFEN
355
FILMOGRAPHIE VON CHRISTIAN KIENING
373
REGISTER
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Einleitung
I. Mittelalter im Film von CHRISTIAN KIENING
/. Das Genre, das keines ist Kein anderes Medium bestimmt das allgemeine Bild des Mittelalters im 20. und 21. Jahrhundert mehr als der Film. Allein in Deutschland sahen fast sechs Millionen Kinobesucher die Filmversion von Oer Name der Rose, fast fünf Millionen die neuerliche Adaptation des Robin-Hood-Stoffs (Robin Hood: Prince of Thieves). Zwei der letzten monumentalen Mittelalterstreifen, King Arthur und Kingdom of Heaven, erreichten in den ersten Monaten jeweils die Grenze der zwei Millionen. Dazukommen die Ausstrahlungen im Fernsehen sowie der Verkauf und Verleih von Videos und DVDs. Die Filme gehören damit nicht zur Spitze der Kassenschlager der letzten Jahrzehnte, doch zu einem guten Mittelfeld. Sie haben teil an einem allgemeinen Mittelalter-Boom, der sich in Ritterspielen, Kostümfesten und dokumentarischen Zeitreise-Soaps ebenso manifestiert wie in Gesellschaftsspielen und Videogames, Ausstellungen und Musikaufführungen. Das Mittelalter, das hier aufgerufen wird, ist häufig ein unscharfes, an der Grenze zur Fantasy. Es ist ein stereotypes, bestehend aus wenigen Elementen: Burgen, Ritter und edle Damen, Turniere, Rüstungen und Waffen. Und es ist ein sinnliches: farbenprächtig und aktionsgeladen, dynamisch und klangvoll. Dieses Mittelalter der Populärkultur steht seinerseits der Wissenschaft nicht völlig fern: Kaum zufällig erfolgt die analytische Auseinandersetzung mit den Filmen bevorzugt in jenen Ländern, in denen die meisten entstehen — USA, Großbritannien und Frankreich.1 Die umfassendste und gehaltvollste Aufarbeitung bietet das 1276 Seiten starke Buch von F R A N C O I S A M Y D E L A B R E T F . Q U E : L'knaginaire medieval dans le cinema occidental. Paris 2004 (Nouvelle bibliotheque du moyen age 70). Die umfangreichste Filmographie und Bibliographie findet sich bei K E V I N J . Η Λ Ι Π Ύ : The Reel Middle Ages. American, Western and Eastern European, Middle Eastern and Asian Films about Medieval Europe. Jefferson, N. C., and London 1999. Weitere Übersichtswerke: F R A N C O I S D E LA B R E ' I ' E Q U E (Hg.): Le Moyen Age au C i n e m a , in: L e s C a h i e r s de la C i n e m a t h e q u e 4 2 / 4 3 (1985), S. 3 - 1 8 2 ; VlTO
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Allerdings erschöpfen sich die Filme, die seit dem Beginn der Kinematographie mittelalterliche Stoffe, Themen und Aspekte aufnehmen, nicht in den genannten Stereotypien. Sie spannen ein weites Spektrum inhaltlicher und formaler Möglichkeiten auf, die ihrerseits alles andere als einheitliche Epoche einzufangen. Zugespitzt gesagt: So viele Mittelalterfilme, so viele Mittelalterbilder. Das macht es fraglich, ob von dem Mittelalterfilm als Genre überhaupt gesprochen werden kann. Filmgeschichtlich geläufig sind Bezeichnungen wie Abenteuerfilm, Ritterfilm oder Mantelund-Degen-Film, Kostümfilm, Monumentalfilm oder Historienfilm, >epic film< oder >period filmkinästhetisch< zu dynamisieren. 8 Zudem überspielt er die Tatsache, dass jede Anverwandlung der Vergangenheit sich auch in Differenz setzt zu dieser, und übergeht er die Bedürfnisse, die gerade die populäre Kulturindustrie nährt. In der Praxis sind es ja eben die Momente des Spektakelhaften der Inszenierung, der Verlebendigung von
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Besprechung in: Tagebuch 3 (1922), S. 1329f.; Auszüge in: Hätte ich das Kino! Die Schriftsteller und der Stummfilm. München, Stuttgart 1976 (Sonderausstellungen des Schiller-Nationalmuseums. Katalog 27), S. 205f. SIEGFRIED KRACAUER: Der historische Film, in: National-Zeitung Basel (9. 5. 1940); wieder in: ders.: Kino. Essays, Studien, Glossen zum Film, hg. von KARSTEN WITTE. Frankfurt/M. 1974 (suhrkamp taschenbuch 126), S. 43-45, hier 43f.; s. auch ders.: Theory of Film. The Redemption of Physical Reality. New York 1960, S. 77-82, wo besonders die Endlichkeit des historisch abgeschlossenen Geschehens und die unvermeidliche Präsenz der Schauspieler als Einschränkungen des Genres erscheinen. V g l . H O R S T W E N Z E L , CHRISTINA LEGI ITERMANN: R e p r ä s e n t a t i o n u n d K i n ä s t h e -
tik. Teilhabe am Text oder die Verlebendigung der Worte, in: Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie 10 (2001), S. 191-214; JÖRG JOCHEN BERNS: Film vor dem Film. Bewegende und bewegliche Bilder als Mittel der Imaginationssteuerung in Mittelalter und Früher Neuzeit. Marburg 2000; HAIKO WANDHOFF: Ekphrasis. Kunstbeschreibungen und virtuelle Räume in der Literatur des Mittelalters. Berlin, New York 2003 (Trends in Medieval Philology 3).
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statischen Bildern und des Eindringens in eine ferne, kulturell andersartige Zeit, die den Reiz ausmachen. Es entwickelt sich ein enormer technischer Einfallsreichtum, eine Faszination am Monumentalen und Materiell-Sinnlichen, ein Bemühen um die Leuchtkraft der Farben, die Emotionalität der Musik, die Weite des Panoramas, die Größe der Bauten, die Masse der Statisten. Es entwickelt sich aber auch, unterstützt durch die Beiziehung von Mittelalterexperten, ein Bemühen um den Realismus des Settings, die Authentizität von Dekors und Gewändern, die choreographische Genauigkeit von Turnieren, Schlachten und Burgerstürmungen. 9 Und es entwickeln sich gegenläufige Versuche, die Epoche zu evozieren mit sparsamen und subtilen Mitteln, die dem Zuschauer Raum für Imagination lassen. Drei grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten filmischer Präsentation zeichnen sich hier ab: Vermittelt die eine eine Illusionserfahrung (Eintauchen in die Vergangenheit), so die andere eine Geschichtserfahrung (Rekonstruktion der Vergangenheit) und die dritte eine Differenzerfahrung (Beobachtung der Vergangenheit). Sie entsprechen drei Einstellungen gegenüber der Geschichte, die man mit Nietzsche die monumentalische, die antiquarische (oder dokumentarisierende) und die kritische nennen kann.1" Sie finden wiederum in verschiedenen Zeitenräumen des Films ihre Manifestation. Der eine umschließt den Zuschauer im Sinne einer Temporärwelt eigenen Charakters. Der andere lässt ihn hin- und hergleiten zwischen Anteilnahme an der Handlung und Aufmerksamkeit fürs Detail. Der dritte zwingt ihn zur Beachtung der den Film konstituierenden medialen Gegebenheiten. In der Praxis kommt es häufig zu Ubergängen und Mischungen zwischen den drei Einstellungen und damit auch zu einem Oszillieren zwischen Präsenzeffekten und Repräsentationsstrategien: Das Vergangene soll in der Gegenwart da sein, aber auch als vergegenwärtigtes begriffen werden. Der Film kann suggerieren, die Leinwand sei ein Fenster zur Welt und das Kino ein Ort der sinnlichen Erfahrung - er kann zugleich die Spezifik dieses Fensters und die Begrenztheit dieser Erfahrung nicht verdecken. So greifen denn auch die monumentalische und die antiquarische Position immer wieder ineinander, ein Charakteristikum vieler Hollywood-Monumentalfilme: Während die monumentale Geschichte die Auswirkungen als solche betrachtet und von den Ursachen nur einfache Duelle übrig behält, in denen sich einzelne Zum Verhältnis der Ausstattung zur dargestellten Epoche HELMUT NlCKHL: Arms and Armor in Arthurian Films, in: H A R T Y , Cinema Arthuriana (Anm. 91), S. 235-251. In einer berühmten Passage des zweiten Stücks der On^eitgemässen Betrachtungen·. Vom Nutzen und Nachtat der Historie, § 2 und 3.
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gegenüberstehen, so muß sich die antiquarische Geschichte gerade ihrer annehmen und die der Epoche gemäßen Formen wieder aufleben lassen: Kriege und Auseinandersetzungen, Gladiatorenkämpfe und Wagenrennen, Pferdeturniere und so weiter. Doch der Antiquar begnügt sich nicht mit dem Duell im strengen Sinne, er bezieht die äußere Situation mit ein und konzentriert sich auf die Mittel, die bei der Handlung eine Rolle spielen, und ihre gewohnte Verwendung: Wandverkleidung, Kleidung, Aufmachung, Maschinen, Waffen und Werkzeuge, Schmuck, persönliche Gegenstände. [...] Der Antiquar verstärkt noch das Monumentale."
Das Zusammenwirken funktioniert deshalb so gut, »weil das ethische Bild, das als Maß und Struktur zugrunde liegt, in beiden Fällen das gleiche ist.«12 Es verleiht dem Authentizitätsanspruch des historischen Films eine Basis, die auch bei der kritisch-distanzierten Einstellung nicht einfach preisgegeben, wohl aber auf ihre Bedingungen befragt wird. Diese Einstellung treibt hervor, was auch dem monumentalen Film inhärent ist: dass seine Authentizität eine immer schon eingeklammerte ist, die anders als bei zeitgenössischen Sujets keine Unmittelbarkeit des eingefangenen Augenblicks suggerieren kann — es sei denn die Unmittelbarkeit des sich vor der Kamera ereignenden Spiels. Das Faktische gleitet immer schon ins Rhetorische und Semiotische hinüber. Das rnackte Bildostensive< und das >metamorphische< Bild: das eine Ausdruck einer Präsenz, die sich selbst im Akt des Etwas-präsent-Machens ausstellt, das andere Ausdruck oszillierender Effekte zwischen dem, was das filmische Bild im emphatischen Sinn sein will: gegenwärtig, sinnlich, beweglich, und dem, was es zu sein nicht verleugnen kann: eingebunden in das System der Bilder, Repräsentationen, Zeichen. 13 Der Authentizitätsanspruch des Mittelalterfilms ist somit nicht zu lösen von dem prinzipiellen Doppelcharakter des Films als eines durch Bewegung und Zeit konstituierten Mediums. Der Film ist Bewegung und repräsentiert Bewegung. Er ist strukturierte Dauer und zugleich konstruierte Zeit. Er ist ein Zeitdokument im mehrfachen Sinne, und in dem Maße, in dem man ihn als bestmögliche Repräsentation einer Zeit versteht, liegt es nahe, ihn auch als ein Geschichtsmonument zu sehen, das Vergangenheit besser repräsentiert als andere Medien. Fritz Lang hielt 1924 fest: " 12 13
GILLES DEI.EUZE: Das Bewegungsbild. Kino 1 (frz. 1983). Frankfurt/M. 1990, S. 205. Ebd. JACQUES RANGIERE: Le destin des images. Paris 2003, S. 31-39.
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»Eine spätere Zeit wird es leichter haben, unser chaotisches Zeitalter, wenn es längst zu einer Formel erstarrt sein wird, studienhalber neu vor sich aufleben zu lassen. Sie öffnet eine Büchse mit kondensiertem Leben, indem sie einen Film vor sich abrollen läßt. Da ist ein Stück Geschichte von ehemals.« 14 Geschichte selbst ist, da sowohl Ereignis wie Erzählung, immer schon vergegenwärtigte Vergangenheit, und dieser Vergegenwärtigung sind im Zeitalter der bewegten Bilder neue Möglichkeiten eröffnet. Raymond Bernard stellt seinem Film Le miracle des loups (1924) einen Satz Michelets voran: »L'histoire c'est la ressurrection« und suggeriert damit, der Film sei Erfüllung einer beinah heilsgeschichtliche Züge annehmenden Geschichtsmächtigkeit. Im Film findet die Aufbewahrung vergangenen Lebens nicht einfach nur statt. Sie wird gezielt betrieben, indem das Frühere im Modus des Gegenwärtigen neu erscheint. Langs Äußerung über die »Büchse mit kondensiertem Leben« steht im Kontext des Erscheinens des Nibelungenfilms (1924), dessen Ziel es war, den alten Stoff dem deutschen Volk im neuen Medium neu zuzueignen. 15
2. Geschichten und Vorgeschichten Das gibt eine erste Andeutung, dass trotz fehlender Genrehaftigkeit viele Mittelalterfilme doch nicht einfach im Historienfilm aufgehen, dass vielmehr ihre Anverwandlung mittelalterlicher Gegebenheiten charakteristische Eigenheiten besitzt. Dazu gehört ein Verständnis der Epoche als einer Ubergangszeit. Worsleys Version von Victor Hugos berühmtem Roman, The Hunchback of Notre Dame (USA 1923), markiert in einem der ersten Zwischentitel den Schwellencharakter der — aus amerikanischer Sicht — prähistorischen Konstelladon: »Ten years before Columbus discovered America ...«. In der Version des Immigranten Wilhelm Dieterle (USA 1939), der selbst den Übergang von der Alten zur Neuen Welt vollzog, heißt es im Vorspann: »Mit dem Ende des 15. Jahrhunderts endete auch das finstere Mittelalter. Große Veränderungen bereiteten sich in Europa vor. Frankreich, von einem hundertjährigen Krieg zerrissen, fand endlich Frieden. Das Volk unter Ludwig XI. schöpfte neue Hoffnung. Doch Aberglaube und Vorurteile standen dem vorandrängenden Menschengeist immer noch im Weg.«
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Fritz Lang: Kitsch - Sensation - Kultur und Film (1924); zitiert nach Fritz Lang: Die Nibelungen. Eine Publikation des Kulturreferates der Landeshauptstadt München 1986, S. 13-16, hier 13.
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V g l . K a p i t e l V (CHRISTIAN KlENING / CORNELIA HERBKRICHS).
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Die erste Einstellung zeigt die Kathedrale Notre Dame, gerahmt durch ein Fenster, das sich als zu einer Druckerei gehörig erweist. Der König, im einen Augenblick noch betend, lässt sich im nächsten die Segnungen der Drucktechnik erklären, die im Laufe der Handlung eine entscheidende Rolle spielen werden. Der Film im Ganzen entfaltet, was der Anfang schon als These enthält: den historischen Moment, in dem das Monument in Stein als »the handwriting of the past« zum antiquarischen Sinnbild einer vergangenen Zeit wird. 10
Wilhelm Dieterle, The Hunchback of Notre Dame (1939)
Der Blick auf die Übergangszeit sucht dasjenige, das im Verhältnis zur Gegenwart sowohl Fremdes wie Vertrautes, Diskontinuierliches wie Kontinuierliches, Gegengeschichten wie Vorgeschichten bietet.17 Mit der Antike verbindet sich die Vorstellung eines Weltreichs, dessen Größe vorgeführt, dessen Untergang plausibilisiert, dessen Dekadenz und dessen Körperkult zelebriert werden können. 18 Das Mittelalter hingegen evoziert die Idee einer Kindheitsphase der gegenwärtigen Zivilisation: Rau und agonalistisch, patriarchalisch und abergläubisch, verkörpert es Züge, die auch aus der Gegenwart nicht völlig getilgt sind; die Rede vom >neuen
'longue duree< von Phänomenen wie Gewalt und Herrschaft, Liebe und Affekt, Privatheit und Öffentlichkeit, Christentum und Heidentum, Dinglichkeit und Materialität; andererseits Situationen des Umbruchs, in denen sich die Bedingungen der Neuzeit abzeichnen Staatlichkeit, Meinungsfreiheit und Selbstbestimmung, Sozialdisziplinierung, Rationalisierung und Säkularisierung. Das Mittelalterbild, das hier entworfen wird, prägt in einem solchen Maße das allgemeine Bewusstsein, dass zeitgenössische Informationsmedien sich profilieren können, indem sie behaupten, das >wahre< Gesicht der Epoche ans Licht zu bringen: ein dunkles, kollektives, verklemmtes, abergläubisches, schmutziges, wenig erhabenes. 20 Dieses Mittelalter wird als Gegenbild zu Aufklärung und Moderne begriffen — eine muntere Erneuerung alter teleologischer Geschichtsentwürfe, die kaschieren, in welchem Maße sie selbst an den durch Hollywood genährten Imaginationen hängen. Tatsächlich finden sich ja die erwähnten Phänomene und Situationen in den europäischen und den amerikanischen Filmen nicht in gleicher Weise. So wie generell der Umgang mit dem Mittelalter dort einen anderen Status hat, wo man dessen Uberresten noch allenthalben begegnet, als dort, wo man diese Überreste nur dekontextualisiert kennt (Beispiel: The Cloisters bei New York), so spielt auch für die Filme die Art des historischen Bezuges eine wichtige Rolle. Den europäischen Filmen ist das Mittelalter Geschichte, den amerikanischen Früh- oder gar Vorgeschichte. Den einen ist es Teil des Eigenhorizonts, den andern Paradigma eines fernen Horizonts, in den man sich mit Hilfe der populären Medien des Imaginären versetzt. Daraus ergeben sich Unterschiede in der Wahl und Behandlung der Stoffe. Die europäischen Filme beziehen sich häufig auf nationale, regionale oder lokale Traditionen, auf spezifische Heroen, Heilige und historische Ereignisse, festgehalten schon in mittelalterlicher Überlieferung: Jeanne d'Arc in Frankreich, Franziskus von Assisi in Italien, Siegfried und die Nibelungen in Deutschland. Sie sind damit auch von nationalen Unterschieden gezeichnet, die aus dem jeweiligen Stellenwert 19
20
U M B E R T O E C O : Auf dem Wege zu einem neuen Mittelalter, in: ders.: Über Gott und die Welt. Essays und Glossen. München 1985, S. 7-33. MATTHIAS SCHULZ: Mythos Mittelalter, Titelgeschichte in: Der Spiegel Nr. 44 (31. 10. 2005), S. 168-182 (z. B. 169f.: »Auf schnaubenden Schlachtrossen reiten Filmhelden wie Artus und Lancelot dahin. Dass die echte Ritterschaft sich mit Sackhüpfen ertüchtigte und auf Pferden saß, die nicht größer als Ponys waren, will keiner wissen.«).
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der Epoche im kulturellen Identitätsgefüge herrühren: In Frankreich hat das Mittelalter populäre Züge — als Zeit der bewunderten romanischen und gotischen Monumente, der scholastischen Denkgebäude und der volkstümlich-gegenkulturellen Elemente des Karnevalesken und Hybriden. In Italien wird, gegen die humanistische Geschichtsschreibung, die Kontinuität zwischen Mittelalter und Moderne in den Vordergrund gestellt — sichtbar am ungebrochenen Rückbezug auf die Gründerväter der Armutsbewegung (Franziskus), der modernen Kunst (Giotto) und der volkssprachlichen Literatur (Dante, Boccaccio). In Deutschland eignet, gefördert durch die Reformation, dem Mittelalter eine größere Abgeschlossenheit — Anknüpfungsversuche, z. B. an die christlich-katholische Dimension, sind durchzogen von der Vorstellung eines »idealen Fluchtraumfs] für das nachchristliche Massenzeitalter der technischen Zivilisation«. 21 Diese Unterschiede werden auch in den Filmen wirksam. Sie sind indes im Ganzen geringer als die Basisdifferenz zu den amerikanischen Filmen. Während die europäischen das religiös-spirituelle Moment immer wieder betonen, steht in den amerikanischen das laikal-feudale im Vordergrund. Während jene aus größerer kultureller Nähe heraus kritische Entwürfe erproben, überwiegt in diesen der konstruierende oder verallgemeinernde Gestus. Viele der Hollywoodfilme bewegen sich auf der Ebene der großen Politik und transportieren elementare Themen, die für das kulturelle Selbstverständnis der Gegenwartsgesellschaft wichtig sind: die Durchsetzung demokratischer Prinzipien, die Begründung von Rechtsnormen, die Legitimierung von Herrschaft. Immer wieder begegnen Geschichten der Nationbildung, ermöglicht durch die Opferbereitschaft Einzelner und die Uberwindung tribaler Gegensätze: Angelsachsen und Normannen in Ivanhoe (1952), Kastilier und andere Iberer in El Cid (1961), Schotten und Iren in Braveheart (1995), Sarmatier und Pikten in King Arthur (2004). Vom europäischen Mittelalter durch historische Brüche und räumliche Entfernung getrennt, machen die von Hollywood geprägten Filme dieses zu einem mal mehr exemplarischen, mal mehr mythischen Terrain — auf dem die Trennung von Geschichte und Fiktion ihrerseits zu den Mythen gehört, mit denen sich das Kino selbst begründet: »And thus the Cid rode out of the 21
PETER VON MOOS: Gefahren des Mittelalterbegriffs. Diagnostische und präventive Aspekte, in: JOACHIM HEINZLE (Hg.): Modernes Mittelalter. Neue Bilder einer populären Epoche. Frankfurt/M., Leipzig 1994, S. 33-63, hier 40. Vgl. auch HANS RUDOLF GUGGISBERC: D a s europäische Mittelalter i m amerikanischen
Geschichtsdenken des 19. und frühen 20. Jhs. Basel 1964; JÜRGEN VOSS: Das Mittelalter im historischen Denken Frankreichs. Untersuchungen zur Geschichte des Mittelalterbegriffs und der Mittelalterbewertung von der zweiten Hälfte des 16. bis zur Mitte des 19. Jhs. München 1972; GERD ALTHOFF (Hg.): Die Deutschen und ihr Mittelalter. Themen und Funktionen modemer Geschichtsbilder vom Mittelalter. Darmstadt 1992.
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gates of history into legend«, heißt es in dem selbst ganz auf den Agglomerationen der Sagenbildung beruhenden Cid am Ende, als der auf dem Pferd festgeschnallte tote Körper des Heros in die letzte Schlacht hinausreitet. Die Ritter des europäischen Mittelalters berühren sich mit den Siedlern und Kavalleristen des amerikanischen Westens darin, dass die einen wie die andern sich gegen wilde, eigennützige oder gewinnsüchtige Gegenmächte behaupten und dabei Durchsetzungsfähigkeit, Loyalität und Gerechtigkeitssinn als überlegene Werte ans Licht bringen. Jeweils vollziehen sich in der (seit den fünfziger Jahren durch CinemaScope unterstrichenen Weite) des Landes emotionale Dramen, die bestätigen, worauf die Gesellschaft in ihrem Kern beruht. 22 Es sind »Filme über die Grenze (Amerikas), über die Konfrontation (mit dem Sein, dem Anderen, dem Neuen) in ihrer mythischen Dimension, Filme schließlich über das Individuum in seiner mythischen Dimension.« 23 Die Western repräsentieren das amerikanische Mittelalter, situiert zwischen den Phasen von Eroberung und Staatsgründung auf der einen, Industrialisierung und Individualisierung auf der andern Seite. Diese Konstellation lässt sich ihrerseits auf zeitlich oder räumlich differente Gebiete ausdehnen: die Zukunft im Science-Fiction-Film, die Vergangenheit im Mittelalterfilm. Die technologischen Imaginationen, die der eine zu realisieren vermag, vermag der andere zu historisieren: Die Vorliebe für Kämpfe, Schlachten und Belagerungen in den Mittelalterfilmen transportiert deshalb mit der Frage nach den unterschiedlichen technischen Mitteln und den entscheidenden technisch-militärischen Innovationen immer auch die Frage nach den Kulturtechniken von Macht und Herrschaft.
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Vgl. HANNES BÖI IRINGER: Auf dem Rücken Amerikas. Eine Mythologie der neuen Welt im Western und Gangsterfilm. Berlin 1998 (Internationaler MerveD i s k u r s 2 0 9 ) ; BERND KIEFER u n d NORBERT GROB ( H g . ) : F i l m g e n r e s . W e s t e r n . S t u t t g a r t 2 0 0 3 ( R e c l a m U B 1 8 4 0 2 ) ; TRABER/WULFF (ANM. 2), S. 4 7 . P a r a l l e l z u r
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Übernahme der amerikanischen Muster im europäischen Italo-Western der sechziger Jahre vollziehen sich auch Übertragungen auf Mittelalterfilme; beispielsweise folgt I MongoIi ( 1 9 6 0 ) des Westernregisseurs de Toth bis in Details hinein den Westerncodes (Hauptdarsteller Jack Palance als kriegslüsterner Ogotai hatte z. B. 1953 in Warrens Arrowhead den ähnlich bösartigen Apachenhäuptling Toriano gespielt); ein anderes Beispiel ist das Nibefange/i-Rernzke des Karl-MayRegisseurs Harald Reinl (1966). JOSEF FRÜCHTL: Das unverschämte Ich. Eine Heldengeschichte der Moderne. Frankfurt/M. 2004 (stw 1693), S. 40 (anhand des Western); vgl. auch RICHARD Sl.OTKIN: Gunfighter Nation. The Myth of the Frontier in Twentieth-Century A m e r i c a . N e w Y o r k 1 9 9 2 ; MARTHA W . DRIVER, SIDNEY RAY ( H g . ) : T h e M e d i e -
val Hero on Screen. Representations from Beowulf to Buffy. Jefferson, N. C., 2004.
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Zu den Innovationen gehören Belagerungstürme in The Crusades und AnNasr Salah ad-Din, Langspeere in Braveheart, Präzisionsbogen und Feuerpfeile in King Arthur, Armbrüste in First Knight, Schwarzpulver in Wohin Hood: Prince of Thieves, griechisches Feuer in The Crusaders, Büchsen in Shichinin no samurai und Quentin Durward. Doch setzen sie sich nicht immer durch. Gerade dort, wo die epische Heroisierung dominiert, behaupten sich traditionelle Kampftechniken, die es erlauben, die Integrität der Protagonisten ans Licht zu bringen. Immer wieder stehen hier denn auch Kämpfe mit ungleichen Waffen im Zentrum (Axt gegen Morgenstern in Ivanhoe, Peitsche gegen Lanze mit Feuerspitze in Quentin Durward, Sattel gegen Schwert in El Cid) — sie lassen in der technischen Unterlegenheit die moralische Überlegenheit hervortreten, die schließlich auch in eine faktische Überlegenheit mündet. Viele der amerikanischen und der daran anschließenden europäischen kommerziellen Produktionen wählen das, was D E L E U Z E als >große Form< des Bewegungsbildes beschreibt: eine innerfilmische Verschiebung, die ausgehend von einer allgemeinen (sozialen oder politischen) Definition der Situation über eine sich entwickelnde Aktion hin zu einer Veränderung der Situation führt. Die europäischen Autorenfilme bevorzugen demgegenüber die >kleine Formphrase-imagehistoirediscourschants< die Geschichte von Tristan und Isolde nach Beroul und Thomas. Jacques de Baroncelli stellte 1923 in einer französisch-belgischen Koproduktion die Legende der Heiligen Beatrix nach einem Mirakel des 13. Jahrhunderts schon auf Spielfilmlänge dar. Die auch als Theoretikerin bekannte Germaine Dulac entwarf ein Bild dörflichen Aberglaubens (Le diable dans la ville, 1925), Ε. Β. Donatien ein die Klassengegensätze überbrückendes sentimentales Liebesdrama {Florine la fleur de Valois, 1926). Im Jahr 1924 kam es zur Gründung der Societe des Films Historiques, die das ehrgeizige Projekt entwickelte, die national relevanten Stoffe, darunter die literarischen Klassiker, zu verfilmen — mit Blick auf ein internationales Publikum und in Konkurrenz zur zunehmend dominanten amerikanischen Filmindustrie. Beträchtlicher finanzieller und technischer Aufwand sollte der Genauigkeit der historischen Fakten und materiellen Details zugute kommen. Den Startschuss gab l^e miracle des loups (1924) von Raymond Bernard. Er hatte sich mit Verfilmungen von Theaterstücken seines berühmten Vaters Tristan Bernard einen Namen gemacht und galt als Spezialist für französische Geschichte. Im Gefolge des gerade erschienenen Romans von Henri Dupuy-Mazuel griff er eine für diese Geschichte entscheidende Phase heraus: den Konflikt zwischen Frankreich und Burgund, zugespitzt auf die Jahre zwischen 1461 und 1468 und emotionalisiert durch eine sich mit der Staatsaktion verflechtende Liebesgeschichte. Ber-
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nard entfaltet die schon in einem kurzen Film bei Pathe (Jeanne Hacheite, 1910) angedeutete Konstellation zu einer »fiction romanesque«, die sich indes gemäß Eingangsankündigung in einem »decor authentique« abspielt und den Zuschauern nahe bringt, wie gerade dank bürgerlicher Figuren Einheit und Zukunft des französischen Königreichs gesichert werden. Die Anklänge an den Jeanne-d'Arc-Stoff (Jeanne war 1920 heiliggesprochen worden) sind unübersehbar: Jeweils ist es ein benachbarter Feind, der Frankreich gefährdet — hier Burgund, dort England; jeweils kommt der zentrale Part einer jungen Frau namens Jeanne zu; jeweils spielt ein Mirakel eine wichtige Rolle. Der Film verbindet auf diese Weise große und kleine Geschichte und schließt an den Symbolkern der französischen Nation an. Im Jahr 1928 werden explizite Jeanne-d'Arc-Verfilmungen folgen: karg und konzentriert durch den Dänen Carl Theodor Dreyer, in üppiger Ausstattung und vor dem Hintergrund historischer Orte durch den als Illustrator bekannten Marco de Gastyne. Einen guten Absatzmarkt fanden die frühen französischen Filme in Italien, das zwischen 1905 und 1914 selbst eine florierende und international führende Produktion entwickelte. Neben dokumentarischen, psychologischen und komödienhaften Filmen waren es vor allem die Historien streifen, die ein großes Publikum gewannen. 27 Im Zentrum stand die antike und besonders die römische Geschichte. Sie hatte im kulturellen Selbstverständnis nie an Bedeutung verloren, erhielt nun aber im Kontext des italienischen Imperialismus und der filmökonomischen Expansion neue Aktualität. Die >Heldentaten< des tripolitanischen Feldzugs 1911/12 wurden von D'Annunzio besungen, der wiederum mit seiner pathetischen Rhetorik von Heimat, Liebe und Tod auch den Film beeinflusste. Produktionen wie GH ultimi giorni di Pompei (1908), Quo vadis? (1913) und Cabiria (1914) wurden Welterfolge. Die Heroisierung und Monumentalisierung der Vergangenheit ließ auch die mittelalterlichen Sujets nicht aus: II Conte Ό go lino (1909), I Nibelunghi, Cola di Rien^o, II Cid (alle 1910), I^'inferno (nach Dante, 1911), Sigfride (nach Wagner, 1912) sind nur einige Beispiele. Die Jeanned'Arc-Verfilmung von 1913 (Giovanna d'Arco, von Nino Oxiüa) gehörte mit ihren zwei Monaten Drehzeit, 1000 Mitwirkenden und 300 Pferden zu einer der größten Produktionen der Zeit.28 Zu den profiliertesten Autoren und Regisseuren zählte der aus Rom stammende Ugo Falena, der sich auf Literaturverfilmungen spezialisierte (Othello, Romeo und Julia, Anna Karenina). An mittelalterlichen Stoffen behandelte er die berühmte von Dante und Boccaccio erzählte Liebesgeschichte von Francexca da Rimini (1910), außerdem Tristano e Isotta und Guglielmo Teil (beide 1911). Seine 27 28
Vgl. etwa MARCIA LANDY: Italian Film. Cambridge 2000, Kap. 1. AMY D E L A B R B T E Q U E (Anm. 1), S. 1124f., Nr. 72.
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Franziskusgeschichte (Fratre Sole, 1918) evoziert auf Spielfilmlänge das Leben des populären Heiligen anhand vierer emblematischer Momente, die der Musik von Luigi Mancinelli korrespondieren und in Kombination von Außenräumen, gemalten Bildern und einfallsreichen Kostümen gestaltet sind. 29 Weiterentwicklungen folgten in den frühen zwanziger Jahren in größerem nationalgeschichtlichem Rahmen, versiegten dann aber.30 So wie generell der italienische Film nicht mehr die Produktivität der Vorkriegsjahre erreichte, fand auch der Mittelalterfilm, von einigen Legendenbearbeitungen abgesehen, zu keiner neuen Blüte. Erst nach dem zweiten Weltkrieg eroberte sich das Mittelalter einen festen Platz unter den nun in reicher Zahl produzierten Unterhaltungs- und Abenteuerfilmen. In Deutschland war das Mittelalter von Haus aus weniger populär als in Frankreich und Italien. Zwar gehörte Langs Nibelungenfilm zu den aufwendigsten Produktionen der Zeit, doch Schule machte er nicht. Der Historienfilm der zwanziger Jahre widmete sich eher dem in seinen politischen Umbrüchen aktuellen 18. Jahrhundert als dem mit dem Untergang des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation endgültig abgeschlossenen Mittelalter (,Madame Dubarry, Fridericus Rex, Ein Glas Wasser, Schinderhannes, Das Flötenkon^ert von Sanssouci, Danton).31 Wenn Mittelalterliches faszinierte, so als Flair des Altdeutschen, das unscharfe eigenkulturelle Bezugspunkte schuf und zugleich die Brücke zur romantisch-literarischen Tradition schlug (Golem-Füme, Der Student von Prag, Der Rattenfänger von Hameln, Das Cabinet des Dr. CaligaH, Nosferatu, Faust)?7· In Das Mirakel des Flugpioniers Karl Vollmoeller (1912) ist eine Reinhardtsche Theaterpantomime in die alte österreichische Burg Kreuzenstein und die gotische Kirche von Perchtoldsdorf versetzt — Teile des Klerus sahen in dem Film eine Profanierung des Legendenspiels. In Hamlet (Gade, 1920), der über Shakespeare hinweg auf eine norwegische Saga zurückzugreifen beansprucht, hat das Zeitkolorit sowohl mittelalterliche wie frühneuzeitliche Züge. In Der müde Tod (Lang, 1921) wird »ein deutsches Volkslied« in einer märchenhaften Raum- und Zeitreise, ausgehend von einem romantisch 29 30
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Ebd., S. 215. GlANI'RANCO M i r o GOIII: Patria diva. La storia d'Italia nei film del ventennio. Florenz 1988. Les Cahiers de la Cinematheque 5 3 ( 1 9 8 9 ) : Regards sur la revolution; Das achtzehnte Jahrhundert. Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts 2 7 / 1 ( 2 0 0 3 ) : Das 1 8 . Jahrhundert im Kino; zur Verfilmung von Autoren des 1 8 . Jahrhunderts: R O B E R T M A Y E R (Hg.): Eighteenth-Century Fiction on Screen. Cambridge 2 0 0 2 . Vgl. den Klassiker von LOTTE. H. EISNER: Die dämonische Leinwand ( 1 9 5 2 ) , hg. von Hilmar Hoffmann und Walter Schobert. Frankfurt/M. 1980; ANNE-MARIE MOULIS: La representation du moyen äge dans le cinema expressioniste allemand, in: Le Moyen Age (Anm. 1 ) , S. 4 9 - 6 1 .
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verträumten Städtchen, erzählt: vom alten Orient über das RenaissanceVenedig zum traditionellen China. 33 Bei weitem die größte Zahl an Filmen zu mittelalterlichen Themen entstand in den Vereinigten Staaten. Schon 1904 kam in dem teuersten und aufwendigsten Film, den Edwin S. Porter für Edison drehte, der Artusstoff ein erstes Mal auf die Leinwand: Der große Erfolg von Wagners Parsifal an der Metropolitan Opera hatte das Bedürfnis nach einer Fortsetzung im anderen Medium geweckt. Der Film repräsentiert die Oper, indem er herausragende Szenen auswählt, und imitiert sie zugleich, indem er mit seiner statischen, distanten Kameraposition die Zuschauer in die Rolle des Opernpublikums versetzt. Fünf Jahre später verstand sich Charles Kents Vitagraph-Produktion lMuncelot and Elaine zwar nach wie vor als getreue Übertragung einer anderen medialen Version des Stoffs (hier des Gedichts von Tennyson), doch setzten kinematographische Innovationen, eine Szene in einer dunklen Höhle, Nahaufnahmen des Turniers, spezifisch visuelle Akzente. Die Werbungsanzeige zum Film betont die »thoroughly artistic production«, »[t]he heighest developments of photography, the vast ressources of the producing plant and the very acme of pantomimic acting«. 34 Mittelalterliches interessiert, gefiltert durch spätromantische Adaptationen, als technische und schauspielerische Herausforderung — eine für das amerikanische Kino der Folgezeit zentrale Konstante: Immer wieder werden die Filme durch die Kombination technischer Finessen und bekannter Stars die Zuschauer anziehen. Eine andere Konstante sind Bezüge zur eigenen Gegenwart. Im Jahr 1917, als die nationale Selbstvergewisserung angesichts der europäischen Kriegs situation an Bedeutung gewann, kamen gleich zwei Filme heraus, die auf mittelalterliche Sujets zurückgreifen. In Joan the Woman von Cecil Β. DeMille vollzieht sich eine ziemlich direkte Propaganda für den Kriegseintritt: Die Geschichte der spätmittelalterlichen Heroine ist eingebettet in eine moderne Rahmenhandlung, in der ein englischer Soldat Jeannes Schwert findet und sich mit jenem in der Binnenhandlung auftretenden Engländer identifiziert, der, von Jeanne gerettet, sich in diese verliebt. In The Knights of the Square Table von Alan Crosland geht es in einem kaum kaschierten Werbefilm der National Field Scouts um die Ideale der (männlichen) amerikanischen Jugend: Parallel erzählt werden die Geschichte einer Pfadfindergruppe und einer üblen Gang, deren Anführer bei einem
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TOM GUNNING: The Films of Fritz Lang. Allegories of Vision and Modernity. London 2000, S. 15-33. Moving Picture World, 13. November 1909, S. 672; nach HARTY, Cinema Arthuriana (Anm. 91), S. 9.
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Überfall verwundet und von einem ihm erscheinenden Gralsritter geheilt wird; er und die Seinen schließen sich daraufhin den Boyscouts an.35 In der Nachkriegszeit brachten 20th Century Fox, United Artists und Universal im Abstand weniger Jahre Filme heraus, die bekannte Stoffe literarischen Ursprungs behandelten. Auf dem Roman von Mark Twain basiert die Geschichte eines jungen Mannes, der beim Lesen eines Ritterromans von einem Einbrecher niedergeschlagen wird und sich am mittelalterlichen Artushof wiederfindet, dem er die Segnungen der modernen Zivilisation bringt (Emmett J. Flynn, Λ Connecticut Yankee at King Arthur's Court, 1920). 36 Auf einer losen Verknüpfung verschiedenen Materials beruht die mit 1,4 Millionen Dollar budgetierte Verfilmung der Robin-HoodGeschichte (1922), mit der Allan Dwan und Douglas Fairbanks alle vorangegangenen Versionen der Stummfilmzeit um Längen überboten. Auf den Roman von Victor Hugo stützt sich Wallace Worsleys The Hunchback of Notre Dame (1923), in dem Lon Chaney der Figur Quasimodos eine bis dahin ungekannte Eindringlichkeit verlieh. Damit zeichnen sich aber auch die Grundzüge der Stoffwahl im Hollywoodfilm ab: König Artus und Robin Hood bilden die Kerne, aus denen heraus sich immer neue Handlungen entwickeln und um die herum sich immer neue Figuren gruppieren können. Dazu treten Kreuzzugsepen und Melodramen, die jeweils Legitimitäts- und Liebesgeschichten verschränken. Für die amerikanischen Studios bedeutete die Einführung des Tonfilms keine Krise (diese ergab sich eher durch die Auswirkungen der Depression), sondern eine Chance, die Effekte der Illusionsmaschinerie zu steigern. 37 Der Stummfilm hatte zwar das Wunder der Bewegung und der Überbrückung von Raum und Zeit ausgekostet, aber auch die prinzipiellen Momente der Distanz nicht verleugnet. Schon die Zwischentitel unterbrachen den Fluss des Films und brachten neben den Figurenreden auch kommentierende Dimensionen ins Spiel: In Worsley Hunchback wird die Folter Esmaraldas eingeleitet durch den Hinweis: »The >question< - the system of the Middle Ages to force confession«. Zehn Jahre später verlieren solche Distanzierungssignale an Bedeutung. Es geht nun darum, mit allen Mitteln das Eintauchen des Zuschauers in die filmische Welt zu er-
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Cinema Arthuriana (Anm. 91), S. 9. Cinematic American Camelots Lost and Found: The Film Versions of Mark Twain's Λ Connecticut Yankee in King Arthur's Court and George Romero's Knightriders, in: ders., Cinema Arthuriana, S. 96-109. HARTY,
KEVIN HARTY:
V g l . D A V I D BORDWELL, J A N E T STAIGER, KRISTIN THOMPSON: T h e
Classical
Hollywood Cinema. Film Style and Mode of Production to 1960. New York 1985; D O U G L A S G O M E R Y : The Hollywood Studio System. London 1986; T H O MAS Schatz: The Genius of the System. Hollywood Filmmaking in the Studio Era. New York 1988.
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möglichen. Aktualisierende Tendenzen, zum Beispiel politischer Art, erhalten dabei gleichzeitig neue Prägnanz und neue Subtilität: DeMille stellte sein Epos The Crusades (1935) anders als den frühen Jeanne-dArc-Film nicht unter das Zeichen des Kampfes, sondern unter das der Verständigung. In einem der großen Kassenschlager der Zeit, gedreht mit berühmten Hollywoodstars und Tausenden von Statisten, zeigte er, wie Konflikte aus >innereuropäischen< Machtbestrebungen erwachsen, gleichwohl ein Miteinander von Okzident und Orient unter bestimmten Bedingungen möglich ist — im gleichen Jahr hatte der Kongress eines von vier Neutralitätsgesetzen verabschiedet. 38 The Crusades etabliert aber auch Prinzipien, die Hollywoods Mittelalterfilme der Folgezeit immer wieder variieren werden. Da ist zum einen die Entwicklung des Helden, der vom grobschlächtigen, heiratsunwilligen, religionsabstinenten Haudrauf zum empfindsamen, liebenden, christlichen Heros wird. Da ist zum andern die Opposition der Frauen: hier die Dunkle, die Schlange, die mit ihrem Heiratsanspruch gegenüber Richard zugleich das politische Kalkül bedient; dort die Blonde, die Strahlende, die den Konnex von Liebe und Moral vertritt — in einer screwball-comedy-artigen Szene verteidigt sie ihre Ehre mit Richards eigenem Schwert gegen den Gemahl, im Orient erhält sie momenthaft die Aura einer Jeanne dArc, deren Opfer allerdings am Ende im allgemeinen Konsens aufgehoben wird. Da ist zum dritten die Mischung aus Humor und Ernst: Pointierte Dialoge und komische Aktionen führen die Zuschauer so an das Geschehen heran, dass sich Distanz zur dargestellten Zeit und Nähe zur Darstellungsweise (z. B. in der Verwendung vertrauter Komödienmuster) die Balance halten, bis mit dem Fortgang der Handlung das dramatische Moment und die Absorption durch das Monumentale die Oberhand behalten. 39
Cetil B. DeMille, The Crusades (1935) 38
ABERTH (Anm. 1), S. 86-91.
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V g l . K a p . X I I (ELISABETH BRONFEN).
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Gerade aber die durch den Ton gesteigerte Möglichkeit, die Zuschauer ins Geschehen eintauchen zu lassen, führte in diesen Jahren auch dazu, dass die zeitgenössischen Sujets gegenüber den historischen in den Vordergrund traten: sie stützten die Realitätseffekte des kinematographischen >apparatusSchatten des Kriegers< und schließlich fast zum Herrscher werdenden Protagonisten die immer prekär bleibende Einübung in die feudaladligen Praktiken unter den Bedingungen einer Spätzeit sichtbar wird, situiert sich auch der Film im Ganzen in einer Spätzeit des Genres, in der das Verhältnis von ästhetischer Fülle und kollektivem Sinn prekär geworden ist. Kurosawa lenkt mit den topographischen Grenzüberschreitungen (Tora no ο wo fumu otokotachi, Kakushi toride no sai akunin) zugleich den Blick auf die emotionalen und sozialen. Das ist einer der Gründe, weshalb die westliche Tradition, mit der er in intensivem Austausch stand, ihrerseits bereitwillig die >asiatischen< Inspirationen aufnahm: Von den meisten seiner Klassiker gibt es amerikanische Remakes, die die Samurai-Szenarien auf den Western (dessen zynische Samuraiversion Kurosawa schon in Yojimbo, 1961, geliefert hatte) oder den Gangsterfilm übertragen. Das Spätzeitliche wird hier zum Impuls filmischer Neubegründungen, die im Erzählen zugleich ihren eigenen Bezug zur Tradition mitverhandeln: Sich einschreibend in die Genregeschichte überschreiben sie diese; die Mythen dekonstruierend verhelfen sie ihnen zu neuem Leben - im Modus des Selbstreflexiven und Hybriden. Autorenfilme wie Le Samourai (Melville, 1967) oder Ghost Dog (Jarmusch, 1995) setzen auf die Durchlässigkeit zwischen den Genres sowie die Gespaltenheit einer Wahrnehmung, die immer sowohl der Geschichte wie der Geschichte der Geschichte gilt. Den Wegen der einsamen Helden zu folgen, die ihre eigenen unerreichbaren Vorbilder mit sich herumtragen, eröffnet die Möglichkeit, in filmische Bilder einzutauchen, die immer schon andere Bilder voraussetzen, eben daraus aber ihre paradoxe Magie beziehen. In Ghost Dog wird ein Satz aus dem Klassiker der Samurailiteratur Hagakure zitiert, der die eigentümliche Zeitstimmung des Films auf den Punkt bringt: »It is said what is called >the spirit of an age< is something to which one cannot return. That this spirit gradually dissipates is due to the world's coming to an end. In the same
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Kagemusha - Schatten des Kriegers, in: THOMAS KOF.BNER (Hg.): Filmklassiker. Beschreibungen und Kommentare. Bd. 3: 1965-1981. Stuttgart 2 1998, S. 509-515, hier 514. BERND KIEFER:
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way, a single year does not have just spring or summer. A single day, too, is the same.« 51 Sich auf Sätze wie diese zu beziehen kann eine nostalgische Haltung gegenüber der Vergangenheit, aber auch eine mächtige Aufladung des Gegenwärtigen anzeigen — eben das, was im Mittelalterfilm eine Rolle spielt.
4. Abseits der Genres Trotz der Durchlässigkeit der Genres dominieren im Hollywoodkino Genrekonventionen (und damit verbunden Schematismen), die im europäischen Autorenfilm allenfalls als Referenzpunkte, zitathaft oder spielerisch, aufgegriffen werden. In Großbritannien beispielsweise, in vielem durchaus eng mit den amerikanischen Studios verbunden, gab es immer wieder Produktionen, die sich vom Mainstream entfernten. Man pflegte die Tradition der Shakespeare-Verfilmungen, wobei vor allem Laurence Olivier mit seiner Mischung aus Werktreue und visueller Dynamik filmästhetische Markierungspunkte setzte {Henry V, 1944/45; Hamlet, 1948; Richard III, 1955).52 Traditionsreiche nationale und europäische Stoffe wiederbelebend und dem Kino neu gewinnend orientieren sich die Filme mehr an der Vorkriegszeit oder sogar den zwanziger Jahren als am zeitgenössischen Neorealismus. Ihre zeitgeschichtliche Dimension ist mit einer historischen und einer reflexiven verschmolzen. In Henry Κ steht zwar mit der Schlacht von Azincourt ein für das Ende des Zweiten Weltkriegs relevantes Ereignis im Zentrum, doch geht es nicht zuletzt um die Repräsentation menschlicher Erfahrung von Macht und Ohnmacht. Der Film fängt die Stimmung des 15. Jahrhunderts über »the spirit of contemporary paintings« ein.53 Eine Kamerafahrt am Anfang soll die Bedingungen des Theaters nicht vergessen, sondern bewusst machen: Von einer Luftansicht Londons nach Visschers Kupferstich von 1600 führt sie zum Globe Playhouse und macht Yamamoto Tsunetomo: Hagakure. The Book of the Samurai. Translated by William Scott Wilson. Tokyo, New York, London 1979, als Tb. 1983 u. ö., S. 68. DOUGLAS C. BRODE: Shakespeare in the Movies: From the Silent Era to Shakespeare in Love. Literary Artist's Representatives. Oxford 2000; STEPHEN M. BUHLER: Shakespeare in the Cinema. N e w Y o r k 2 0 0 1 ; DEBORAH CARTMELL:
Interpreting Shakespeare on Screen, o. O. 2000; KATHY M. HOWLETT: Framing Shakespeare on Film. Ohio University Press 2000; RUSSELL JACKSON (Hg.): The Cambridge Companion to Shakespeare on Film. Cambridge 2000; DANIEL ROSENTHAL: Shakespeare on Screen. N e w Y o r k 2 0 0 1 ; KENNETH S. ROTHWELL:
A History of Shakespeare on Screen. A Century of Film and Television. Cambridge 2001. Vorwort von Olivier, in: Masterworks of the British Cinema. The Lady Vanishes. Brief Encounter. Henry V. London, Boston 1990, S. 194.
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zum eigentlichen Gegenstand des Films die historische Aufführung, die, indem sie historische Imaginationen freisetzt, eine gegenwärtige ästhetische Erfahrung ermöglicht. 54 Hamlet verbindet Elemente des deutschen expressionistischen und des französischen poetisch-realistischen Films mit solchen des amerikanischen Film noir, um eine Allegorie des zwischen Illusion und Wirklichkeit schwankenden modernen Europäers zu entwerfen. Die genaue Zeitlichkeit bleibt offen: »Der König und die Königin tragen Kleider, wie man sie auf Spielkarten sieht, der Hof erinnert an Gemälde von Hans Holbein, während Ophelias Kleider viktorianisch erscheinen. Die gemäldeartige Bildkomposition zusammen mit der Schwarzweißphotographie und der Halbdunkelbeleuchtung mit ihren düsteren Grau- und Schwarztönen vermittelt den Eindruck eines alten Stichs.«55 Die Musik, von Prokoviefs Score zu Eisensteins Aleksandr Nevskij beeinflusst, verwendet Anklänge an Sarabanden des 17. und 18. Jahrhunderts. Kenneth Branaghs Henry V (1989) verwandelt den Chorus in eine Erzählerfigur und nutzt die eingangs von Shakespeare thematisierte Unmöglichkeit, den weiten Schlachtfeldern im kleinen Bühnenraum (cockpit) Genüge zu tun, zur Begründung des Eigencharakters des Films: Über die Bühne führend öffnet der Erzähler schließlich die Tore, durch die wir in die Geschichte eintreten — eine Geschichte, in der sich ihrerseits Literarizität, Theatraütät und filmische Spezifität die Waage halten. Unabhängig von den Shakespeare-Filmen gediehen auch andere individuelle Experimente bei der Anverwandlung mittelalterlicher Stoffe: Andrzej Wajda drehte eine kritische Geschichte des sog. Kinderkreuzzugs (Gates to Paradise, 1967); Terry Gilliam und seine Truppe betrieben eine nuancen- und pointenreiche Dekonstruktion der arthurischen Mythenwelt (Monty Python and the Holy Grail, 1975); Derek Jarman setzte ein Marlowstück radikal aktualisiert als Drama der Homosexualität in Szene (Edward II, 1991); Chris Newby nutzte die spannungsvolle Geschichte einer mittel54
Vgl. ANDRE BAZIN: Theater und Film (frz. 1951), in: ders.: Was ist Film?, hg. von ROBERT FISCHER. Berlin 2004, S. 162-216, hier 174: »die Auffuhrung spielt nicht in der Jetztzeit, als säßen wir im Theater, sie spielt zu Shakespeares Zeit, wir bekommen sogar die Zuschauer und die Kulissen zu sehen. Kein Irrtum ist möglich, kein Glaubensakt vor dem sich hebenden Vorhang wird vom Zuschauer verlangt, damit er das Schauspiel genießen kann. Wir befinden uns nicht wirklich im Stück, sondern in einem historischen Film über das elisabethanische Theater, das heißt in einem etablierten Filmgenre, an das wir gewöhnt sind. Und doch ist es das Stück, was wir genießen, und unser Vergnügen hat nichts mit dem Vergnügen zu tun, das wir vielleicht an einem historischen Dokumentarfilm hätten, es ist genau das Vergnügen an einer Shakespeare-Aufführung.«
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LAWRENCE GUNTNER: M i k r o k o s m o s K u n s t : Hamlet ( 1 9 4 8 ) , in: WERNER FAULSTICH, HELMUT KÖRTE ( H g . ) : F i s c h e r F i l m g e s c h i c h t e B d . 3: A u f d e r S u c h e
nach Werten, 1945-1960. Frankfurt/M. 1990 (Fischer 4493), S. 102-126, hier 105.
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alterlichen Reklusin zur Entfaltung einer subtilen Schwarzweiß-Ästhetik (The Anchoress, 1993); Leslie Megahey griff die ungewöhnliche Geschichte eines mit Tierprozessen befassten jungen Anwalts auf (The Hour of the Pig, 1994). Nicht weniger vielfältig sind die Akzente im französischen Kino. Trotz der frühen Ansätze, den Historienfilm zu institutionalisieren, hat sich hier sowenig wie in Großbritannien ein klarer Kanon von Stoffen und strikter Code der Darstellung ausgebildet. Die Societe des Films Historiques blieb in ihrer Wirkung beschränkt, nach Le miracle des loups wandte sie sich mit Le joueur d'echecs (1927) und Tarakanova (1930) eher dem international attraktiven Milieu der russischen Zarin Katharina II. zu. Die Vorliebe des frühen Tonfilms galt dem Musikfilm, dem gefilmten Theater und dem Melodram. Erst als unter der Vichy-Regierung zeitgenössische und heikle Themen vermieden wurden, gab es neben den eskapistischen Komödien auch dramatische Liebesgeschichten mit phantastischen, von mittelalterlichen Sujets inspirierten Stoffen. Wie in den von dem Romanisten Gustave Cohen inspirierten Laientheateraufführungen dienten sie einer Spiegelung der gefahrvollen Gegenwart an einer ins Überzeitliche stilisierten Vergangenheit: Ladisias Starewitch konnte seinen schon zwischen 1926 und 1930 entstandenen und mittlerweile mit Ton versehenen Marionetten-Animationsfilm Roman de Renart (1941) ins Kino bringen, Marcel Carne zeigt in Les visiteurs du soir (1942, Drehbuch: Jacques Prevert) ein den Schlichen des Teufels widerstehendes Liebespaar; Jean Delannoy stellt in L'Eferne/ retour (1942, Drehbuch: Jean Cocteau) die Geschichte von Tristan und Isolde in modernem Ambiente nach.56 In der Nachkriegszeit erlebten die in Studios gedrehten Kostümfilme einen großen Aufschwung: Ihre romantischen Helden sind das französische Pendant zu den für Recht und Gesetz eintretenden Heroen der amerikanischen Mantel-und-Degen-Filme. Ähnlich wie diese betrieben auch die Kostümfilme beträchtlichen Aufwand, um Epochen zu rekonstruieren. Sie warben mit bekannten Schauspielern wie Gerard Philipe, Martine Carole oder Michele Morgan, und sie erreichten hohes Niveau dadurch, dass auch Autorenfilmer wie Jean Renoir, Rene Clair oder Max Ophüls sich des Genres annahmen. Von Christian-Jacque, der mit Gerard Philipe die populäre Abenteuer-Komödie aus der Zeit Ludwigs XV. Fanfan la tulipe 56
AMY DE LA BRETEQUE (Anm. 1), S. 439-447, 482-484 und Register; ders.: Renart
ou Le jeu des lois: A propos du Roman de Renard, film de Ladisias Starewitch ( 1 9 3 8 - 1 9 4 1 ) , in: L e M o y e n A g e ( A n m . 1), S. 6 3 - 8 5 ; EDMOND GRANDGEORGE:
Les visiteurs du soir de Marcel Carne. D'une histoire ä l'autre, la force de la repres e n t a t i o n 1 9 4 2 , in: e b d . , S. 9 5 - 1 0 9 ; JOAN TASKER GRIMBERT a n d ROBERT SMARZ:
Fable and Poesie in Cocteau's L'Eternel Retour (1943), in: HARIY, Cinema Arthuriana (Anm. 91), S. 220-234.
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(1952) drehte, stammt auch der weniger bekannte Mittelalterfilm Singoalla (1950), der in eindringlichen Bildern die tragische Liebe zwischen einem schwedischen Ritter und einer Zigeunerin ausmalt. Abel Gance und Jean Delannoy Keßen die populären Stoffe der männermordenden Marguerite und des Buckligen von Notre Dame in neuer Sinnlichkeit erstehen (La Tour de Nesle, 1955; Notre Dame de Paris, 1956). Alain Cuny, der im NotreDame-Film den sinistren Frollo spielt, war ein regelrechter Spezialist für Mittelalterfilme, er hatte tragende Rollen in Les visiteurs du soir, La voie lactee, La chanson de "Roland und Les chevaliers de la table ronde, bevor er im Alter mit L'annonce faite ä Marie (1991) selbst einen eigenwilligen Mirakelfilm realisierte. Um 1960 vollzog sich mit der Nouvelle vague ein Umbruch im französischen Kino, der sich auch in den Mittelalterfilmen niederschlägt. Die Autorenfilme der Folgezeit sind Kunstfilme, die reflektierend mit ihrem Stoff umgehen. Robert Bresson erzeugt in Proces de Jeanne d'Arc (1962) und in Lancelot du Lac (1974) dichte Gewebe aus Bildern und Tönen, die den Akt der Wahrnehmung ins Zentrum stellen. Juan Luis Bunuel versetzt in Leonor (1975) eine romantische Vampirgeschichte ins Mittelalter. 57 Eric Rohmer macht in Perceval le gallois (1978) den Versroman Chretiens in bewusst distanter, theatralisch-rezitativer Art präsent. Frank Cassenti spielt in La chanson de Roland (1978) mit dem Verhältnis verschiedener historischer Ebenen und imaginativer Dimensionen. Suzanne Schiffman huldigt in Le moine et la sorciere (1987) einer weiblichen Gegenkultur und schafft damit den Schulfilm für die Mittelalterseminare amerikanischer Universitäten. 58 Tavernier entwirft in La Passion Beatrice (1987) die Abgründe einer feudalpatriarchal geprägten Welt. 59 Denis Llorca betreibt in Les chevaliers de la table ronde (1990) eine raffinierte Verschränkung von vier Erzählebenen. Serge Roullet erzählt in Le voyage etranger (1991) die mittelalterliche Alexiuslegende als Adoleszenzgeschichte, bei der die Erfahrung des Orients den Reifeprozess befördert. Auch die beiden jüngsten Jeanne-d'Arc-Verfilmungen setzen sehr eigene Akzente. Während Rivette in langsamem Rhythmus und mit dokumentarisierenden Mitteln Jeannes Leben rekonstruiert (Jeanne la pucelle, 1994), erzählt Besson stark psychologisierend und mit der Geschwindigkeit des postmodernen Aktionsfilms dasjenige einer Popikone (The Messenger: The Story of Joan of Arc, 1999). Andere europäische Länder haben keine vergleichbare Dichte an qualitätvollen Mittelalterfilmen aufzuweisen. In Italien demonstrierte zwar 57
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Leonor de Juan Luis Bunuel. Entretien avec le realisateur, propos recueillis par Xavier Kawa-Topor, in: Le Moyen Age (Anm. 1), S. 221-238. E D BENSON: Culture Wars Medieval and Modern in Le Moine et la soraere, in: DRIVER ( A n m . 1), Tl. 1, S. 56-70. V g l . Kapitel X I (UDO FRIEDRICH).
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Roberto Rossellini mit Franceso, giullare di Dio (1950), dass Neorealismus und mittelalterliche Legendarik fruchtbar zusammentreffen können. Doch die Zukunft gehörte einerseits den >Muskelprotz-Epen< im monumentalen Stil der Antikenfilme ( S i g f r i d e , 1957), andererseits den heroischen Abenteuergeschichten: den Kämpfen gegen Piraten und Sarazenen (Le meravigliose avventure di Guerrin Meschino, 1951), den Intrigen und Spannungen des Hochadels (I lancieri nen, 1961), dem tragikomisch von Abenteuer zu Abenteuer ziehenden Helden (L'armata Brancaleone, 1966).60 Durchschnittlich ein halbes Dutzend Filme im Jahr widmeten sich mittelalterlichen Szenarios, manche von Dante oder Boccaccio, Shakespeare, Ariost oder Tasso inspiriert, die meisten aber einfach daran interessiert, die traditionell erfolgsträchtige Mischung aus lokalem Ambiente und gentilem Konflikt, abenteuerlichen Aktionen und bunten Kämpfen herzustellen. Parallel zur Trivialisierung des Antikenfilms auf der Ebene der Klamotte oder des Sexfilms diente auch der Mittelalter film der Entfaltung primär sinnlicher Reize. Pasolinis einflussreiche Trilogie des Lebens (II Decameron, 1971; I racconti di Canterbury, 1972; IIfiore delle mille e una notte, 1974)61 trifft mit dem Beginn seichtester Massenproduktion zusammen: IM betia, Canterbury proibito, Decameroticus, Una cavalla tutta nuda, Confessioni segrete d'un convento di clausura — einige Titel nur aus den Jahren 1971 und 1972, als in Deutschland seinerseits Siegfried und das sagenhafte Uebesleben der Nibelungen zu sehen war. Dieser Soft-Sex-Porno mag auf die gewandelten Bedürfnisse jener gezielt haben, die sich noch einige Jahre zuvor als Jugendliche an Harald Reinls aktionsreichem Kostümfilm-Remake von Langs Nibelungen erbaut hatten. Er blieb aber in Deutschland ebenso vereinzelt wie der ernsthafte Mittelalterfilm und der Monumentalfilm im Allgemeinen, der aufgrund der Zerstörung der Filmindustrie kein Basis mehr besaß. Hatte schon unter dem Nationalsozialismus das Mittelalter nur anfangs als Terrain für Entwürfe nationaler Selbstbehauptung oder heroischen Opfers gedient (Wilhelm Teil, 1934; Das Mädchen Johanna 1935),62 so gab es auch in Zeiten des Wirtschaftswunders und der Leistungsethik kein Interesse, sich auf Vorreformatorisches zurückzubesinnen. In Kontinuität mit dem NS-Film 60
PIERRE ANDRE SIGAL: Brancaleone s'en va-t-aux croisades: satire d'un moyenä g e c o n v e n t i o n a l , in: BRETEQUE, L e M o y e n A g e ( A n m . 1), S. 1 5 2 - 1 5 4 (S. 1 5 7 -
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164 Übersicht über die italienischen Mittelalterfilme zwischen 1931 und 1979); SANDRA GORGIEVSKI: Realisme, stylisation et parodie dans le film a sujet medieval des annees 1970, in: Le Moyen Age (Anm. 1), S. 199-220. Pier Paolo Pasolini: Trilogia della vita, a cura di GIORGIO GATTEI. Bologna 1975 u. ö.; GUY FREIXE: Approche du >Decameron< de Pier Paolo Pasolini, in: BRETEQUE, L e M o y e n A g e ( A n m . 1), S. 1 4 3 - 1 5 1 .
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Auch für Italien gilt Ähnliches: GERMANA GANDINO: Le Moyen äge dans le cinema fasciste, un territoire evite, in: BRETEQUE, Le Moyen Age (Anm. 1), S. 1 3 3 - 1 4 2 .
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dominierten Komödien und ländliche Melodramen, Musik- und Operettenfilme und vor allem Heimatfilme (darunter die im Mittelalter spielende Ganghoferverfilmung einer Wilderergeschichte im Berchtesgadener Land: Oer Klosterjäger, 1953). Dem Neuen Deutschen Film wiederum ging es um das schwierige Verhältnis der Deutschen zu ihrer jüngeren Geschichte. Zwischen Fassbinders Die Niklashauser Fart (1970), dem an der Aktualität einer spätmittelalterlichen Sozialrevolutionären Bewegung gelegen war, und Annauds Der Name der Kose (1986), der den postmodernen Roman in einen Krimi mit authentischen Dekors verwandelte, hatte Mittelalterliches wenig Platz; Veith von Fürstenbergs eng der Überlieferung folgender Tristanfilm (Feuer und Schwert, 1981) fand außerhalb der Wissenschaft kaum Beachtung. Auch im nord- und osteuropäischen Kino begründeten einige herausragende Filme keine Serien. In Schweden trugen Bergmans viel gerühmte Schwarzweißfilme Det sjunde inseglet (1957) und ]ungfrukällan (1960) eine stofflich wie ästhetisch ganz und gar individuelle Handschrift. 63 In der Sowjetunion stand die Filmindustrie in der Hand des Staatsapparats. Verschiedene Auflagen hatte Sergej Eisenstein zu erfüllen, bis, nach mehreren gescheiterten Projekten, sein Film Aleksandr Nevskij (1938) zum 21. Jahrestag der Oktoberrevolution herauskommen konnte. 64 Anhand des von Nevskij angeführten Widerstands gegen die teutonischen Ritter zeigt der Film die Macht des Patriotismus und des Nationalismus: »He who comes to us I sword in hand | by sword shall he perish | on that our Russian land takes | and will forever take its stand« (Schlusstext). Wirksam wird die propagandistische Absicht vor allem durch einen klar strukturierten Bildaufbau: Außenräume, in denen sich die Figuren vom Weiß der Kirchen und des Schnees abheben, und eine dynamische, >vertikale< Montage: suggestive Verkettungen der Einstellungen nicht zuletzt durch das Zusammenspiel von Bild und Musik (Prokofiev). Die berühmte Entscheidungsschlacht auf dem zugefrorenen Peipus-See steigert sich zu einem furiosen, sogartigen Wirbel aus Nähe und Distanz, Einzelnem und Masse, der die Zuschauer physisch betreffen soll: This episode passes through all the shades of an experience of increasing terror, where approaching danger makes the heart contract and the breathing irregular. The structure of this »leaping wedge« in Alexander Nevsky is, with variations, exactly modeled on the inner process of such an experience. This didacted all the rhythms of the sequence — cumulative, disjunctive, the speeding up and slowing down of the movement. The boiling pulsing of an excited heart dictated the
63
V g l . K a p i t e l V I I (CHRISTIAN KLENING).
Μ
Vgl. ABERTH (Anm. 1), S. 112-125, Bibliographie S. 310.
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rhythm of the leaping hoofs: pictorially - the leap of the galloping knights; compositionally - the beat to the bursting point of an excited heart. 65
Eisenstein greift damit Überlegungen auf, die schon in der französischen Filmtheorie der zwanziger Jahre angestellt wurden: die Frage, wie sich das Materiale des filmischen Bildes über den Rhythmus des Dargestellten und der Montage in eine psychische Bewegung zu verwandeln vermag. 60 Sein Experiment allerdings zielt nicht auf ein >cinema purunmöglichen< Standpunkt her, in dem sich Geschichte doch schon wieder in Imagination verwandelt hat. Er bietet eine Ursprungsgeschichte, die wie alle Ursprungsgeschichten mythische Züge trägt. Nicht nur, weil der >historische< Arthur eine alles andere als greifbare Figur ist, sondern auch, weil hier mit der Begründung eines symbiotischen Nationbewusstseins ein Erstes gesetzt wird, hinter das (scheinbar) nicht zurückgegangen werden kann.
7. Filmische Komplexitäten: Artusfilme in Frankreich Erneut zeigt sich: die amerikanischen Filme zielen mit dem Artusstoff auf universalhistorische Dimensionen - ein entscheidender Unterschied zu den europäischen Autorenfilmen, vor allem zu den französischen, die sehr viel mehr die Auseinandersetzung mit der eigenen kulturellen Überlieferung suchen. 101 Chretien de Troyes, der Begründer des Artusromans, besitzt einen Ehrenplatz im Pantheon der französischen Literatur. Seine Romane und andere Artusromane sind in Übersetzungen oder Auszügen verbreitet. Die filmische Beschäftigung mit ihnen hat damit einerseits teil an der Beschäftigung mit einer sowohl fremden wie vertrauten Kultur und einem sowohl distanten wie nahen Imaginären. 102 Sie berührt sich andererseits mit derjenigen der Literaturverfilmung im Allgemeinen: wie einen Text so in ein anderes Medium übertragen, dass die Eigenart des einen wie des andern präsent bleibt. 103 Eric Rohmer und Denis Llorca, beide an Chretien orientiert, nahmen die Herausforderung dergestalt an, dass sie theatrale Dimensionen als Vermittlungsebene zwischen vergangenem Text und gegenwärtiger Rezeption einsetzten. Rohmers Perceval le gallois (1978) spielt auf einer Bühne, die von vornherein die Illusionseffekte des Hollywoodkinos verabschiedet: keine weiten Landschaften, keine wogenden Massen, keine raschen Szenenwechsel, keine dramatischen Close-ups. Die bevorzugte Einstellung ist die Halbtotale. Der Dekor ist, an mittelalterliche ιοί JEFF RIDER U. a.: The Arthurian Legend in French Cinema: Robert Bresson's Lancelot du Lac and Eric Rohmer's Perceval le Gallois, in: HARTY, Cinema Arthuriana (Anm. 91), S. 149-162. 102 103
Vgl. JACQUES LE GOFF: L'imaginaire medieval. Essais. Paris 1985 u. ö. Dazu die klassischen Beiträge von ANDRE BAZIN: Für ein unreines Kino. Plädoyer für die Literaturverfilmung (frz. 1952); Das »Tagebuch eines Landpfarrers« und die Stilistik Robert Bressons (frz. 1951), in: ders. (Anm. 54), S. 110-161. Vgl. jetzt ANNE BOHNENKAMP (Hg.): Literaturverfilmungen. Stuttgart 2005.
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Handschriftenillustrationen angelehnt, karg und stilisiert. Die Musik wird von einer Gruppe gespielt, die selbst immer wieder, >mittelalterlich< gekleidet, im Bild erscheint. Die Schauspieler rezitieren den Text und sprechen damit — wie die Darsteller im mittelalterlichen geistlichen Spiel — von sich selbst in der dritten Person. Wirkung entsteht nicht durch psychologische Nuancierung, sondern durch Natürlichkeit: Der junge Fabrice Luchini als unerfahrener Perceval macht in seiner Person eine zwar nicht einfach herzustellende, aber auch nicht veraltete Gültigkeit der Geschichte sichtbar. Gerade die Distanz der Repräsentation ermöglicht, indem sie die Zuschauer zu einer meditativen Haltung zwingt, eine neue Form der Präsenz. Das Passionsspiel am Ende setzt die transzendentale Bedingung von Erlösung ins Bild. 104 Llorcas Film Les chevaliers de la table ronde (1990) spielt ebenfalls überwiegend in bühnenhaften Innenräumen, spannt aber den Handlungsrahmen im Sinne der auch sonst bekannten Artusbiographie weiter. Zugleich nutzt er ihn zu einem Experiment mit den Erzählebenen: Mit den vier Gralsuchern Galaad, Lancelot, Perceval und Gawain verbinden sich vier räumlich und zeitlich diskontinuierliche Bereiche, die das Augenmerk auf paradigmatische Aspekte - etwa die Passionsgeschichte Christi - lenken, welche die Handlung durchziehen. Auch die Einblendung von Tableaux vivants, angelehnt an Bilder des Manierismus, die Verwendung von Close-ups und expressivem Spiel, der nuancierte Einsatz von Musik und Ton unterstreichen den sowohl überzeitlichen wie artifiziellen Charakter des Gezeigten. 105 Während die beiden Filme außerhalb Frankreichs nur begrenzte Wirkung entfalteten, bildet Bressons Lancelot du Lac (1974) einen der wichtigsten Markstein des europäischen Mittelalterfilms in den letzten drei Jahrzehnten. 106 Bresson verfährt auf den ersten Blick konventioneller als Rohmer und Llorca. Er behält wesentliche Elemente des Aktionsfilms bei: Kampf, Turnier, Intrige, Katastrophe; in einer frühen Phase der Planung (1964) hatte er sogar eine englischsprachige Produktion mit Schauspielern wie Natalie Wood und Burt Lancaster ins Auge gefasst. Dass er am Ende mit unbekannten, überwiegend jungen Akteuren arbeitete, verleiht dem Film ebenso seine eigene Note wie die konsequente Verwandlung der Elemente des Aktionsfilms in ein ästhetisches Gesamtkunstwerk, dessen Form und Stil die Aufmerksamkeit mindestens sosehr auf sich ziehen wie
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V g l . K a p i t e l X (BRUNO QUAST).
105
Genaue Analyse bei SANDRA GORGIEVSKI: From Stage to Screen: The Dramatic Compulsion in French Cinema and Denis Llorca's Les Chevaliers de la table ronde, in: HARTY, Cinema Arthuriana (Anm. 91), S. 163-176. Bibliographie bei HARTY, Cinema Arthuriana (Anm. 91), S. 278f.
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I. Mittelalter im Film
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Inhalt und Handlung. 107 Bresson orientiert sich an dem hochmittelalterlichen Versroman IM mort le roi Artu, dem Abschlussteil des Lancelot-GralZyklus. Er übernimmt allerdings nur Teile der Handlung und verzichtet auf die heilsgeschichtliche Perspektive ebenso wie auf den Aspekt der Buße. Das Resultat ist eine Untergangsgeschichte der arthurischen Welt. Szenen der Gewalt stehen am Anfang: sich erschlagende Ritter, Ströme des Bluts, geschändete Heiligtümer, Gehängte, Verbrannte, dazwischen immer wieder die Vollgepanzerten auf ihren Pferden, durch die Wälder ziehend. Ein langer Zwischentitel, über einem Kelch vor schwarzem Hintergrund, resümiert die Situation: Apres une suite d'aventures qui relevent du merveilleux et dont Lancelot du Lac fut le heros, les chevaliers du roi Artus, dits >Chevaliers de la Table rondeparametric narration*: Narration in the Fiction Film. Madison, Wise. 1985, Kap. 12. Formanalytisch grundlegend ist der Beitrag von KRISTIN THOMPSON: The Sheen of Armor, the Whinnies of Horses: Sparse Parametric Style in Lancelot du Lac, in: dies.: Breaking the Glass Armor. Neoformalist Film Analysis. Princeton, New Jersey 1988, S. 289-316; wieder in: JAMES QUANDT (Hg.): Robert Bresson. Toronto 1998, S. 339-371.
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um das Turnier, das zeitlich die Mitte des Films und handlungstechnisch das Scharnier bildet zwischen der Konzentration der Ritter am Artushof im ersten Teil und ihrer Dispersion im zweiten Teil. Beim Turnier erscheint Lancelot inkognito, nicht aber, der oben erwähnten Tradition entsprechend, als Schwarzer Ritter, er trägt ein weißes Schild: Zeichen seines Heraustretens aus der Ordnung der Repräsentation, die, den Wappenfarben gemäß, den Hof kennzeichnet, Zeichen auch der Unbestimmtheit, die seine Position kennzeichnet. Lancelot ist eine Figur zwischen den Räumen: Er bewegt sich zwischen dem Hof (dessen Aushängeschild er darstellt) und dem Wald (in dem er Guenievre trifft und von der alten Bäuerin gepflegt wird). Eine Figur zwischen Vergesellschaftung und Vereinzelung: Er entzieht sich dem Turnier und braucht dieses doch für die Demonstration der Machtverhältnisse. Eine Figur zwischen Selbstbestimmung und Selbstpreisgabe: Von der Gralsuche zurückkehrend will er das Verhältnis zu Guenievre beenden und kann ohne ihre Liebe doch nicht leben; er befreit sie aus dem Gefängnis und nimmt für sie den Kampf gegen alle auf sich. Lancelot changiert zwischen den Gruppen: in Opposition zu Mordred, der als feiger Verräter erscheint, aber auch zu Artus, der Guenievre nicht einfach preisgeben will. Am Ende bringt er seinem König die Gemahlin zurück, ohne sich selbst diesem wieder anzuschließen; erst als er von Mordreds Plan zur Übernahme der Herrschaft erfährt, stellt er sich auf die Seite von Artus. Die letzten Einstellungen zeigen, korrespondierend zu den ersten, die durch den Wald reitenden Ritter, die nun durch Bogenschützen aus dem Hinterhalt niedergestreckt werden. Es bleibt von ihnen nicht mehr als ein Blechhaufen. Auch wenn mit den Bogenschützen eine >alte< und eine >neue< Ordnung angedeutet sind, zielt Lancelot du Lac im Ganzen nicht wie die amerikanischen Filme auf die Dimension des Politischen. Vielmehr zeigt er eine Gesellschaft, die weder das Ziel findet, das über ihre eigenen Machtkonstellationen hinauswiese, noch die Macht integrieren kann, die in ihr selbst enthalten ist: die Macht persönlicher Bindungen, die in der Liebe zwischen Lancelot und Guenievre gipfelt. Diese Liebe ist wie in kaum einem anderen Artusfilm als existentielle entworfen, die die Protagonisten in ihrem leiblichen und geistigen Dasein bestimmt. Als sie sich nach der Gralsuche wiederbegegnen, will Lancelot die Trennung. Doch das vermeintlich letzte Treffen leitet eine neuen Phase der nicht aufzulösenden Bindung ein. Das erste und einzige Mal im Film lässt Lancelot seine Rüstung fallen (ein Vorzeichen des späteren tödlichen Niedersinkens): »Guenievre, mon cceur.« »Prends ce cceur, prends cette äme. Iis t'appartiennent.« — »C'est ton corps que je veux.« — »Prends ce corps interdit, prends-le, ressuscite-le.« Die Emphase wirkt gerade deshalb, weil sie doppelt gebrochen erscheint. Zum einen schwanken Lancelot und Guenievre zwischen der
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Auslieferung an den absoluten Anspruch ihrer Liebe und der Einsicht in die Unmöglichkeit ihrer Realisierung. Zum andern werden ihre Begegnungen (wie die der anderen Figuren) filmisch in extremer Zurückhaltung gezeigt — kein Gefühlskino ä la Hollywood, in dem große Stars zu bewegender Musik und in vereinnahmenden Close-ups die Zuschauer in den Sog des Affekts hineinziehen, statt dessen ein Kunstkino, in dem unbekannte Schauspieler Sätze von unheurer Wucht und philosophischem Gehalt lakonisch, tonlos und unbewegt vorbringen und gerade dadurch eine Intensität anderer Art erzeugen. Bresson hat diesen Effekt in seiner Theorie des Kinematographischen selbst formuliert: Die Schauspieler sollen >Modelle< sein, die nicht theatralisch agieren und nicht Gefühle oder Intentionen zum Ausdruck bringen, sondern Erscheinungsflächen von Bedeutungselementen bilden, aus deren kleinsten Nuancen die Dimensionen der filmischen Wirklichkeit erwachsen.108 Diese Wirklichkeit ist eine totale, die weder als Abbild noch als Spiel zu begreifen ist. Sie besteht aus einem Ensemble von Zeichen, die allesamt nicht auf etwas verweisen, das jenseits oder außerhalb von ihnen wäre — sie bringen ein System von Bedeutungen überhaupt erst hervor. So wie Dreyer den Unterschied zwischen Vordergrund, Mittelgrund und Hintergrund praktisch und theoretisch aufzuheben versucht hatte, gilt auch Bressons Bemühung einer Totalität, in der die Differenz zwischen >Hauptsachen< (Thema, Helden) und >Nebensachen< (Details, Nebenfiguren) einem feineren Netzwerk von Differenzen Platz macht. Schwach ausgeleuchtete Innenräume bedingen, dass die Figuren sich wenig von ihrer Umgebung abheben. Einfarbige, aber nuancenreiche Hintergründe unterstreichen den graphischen Charakter des filmischen Bildes. Mit Hilfe eines weniger magischen als radikalästhetischen Zeichengebrauchs schöpft Bresson die Möglichkeiten des filmischen Mediums in maximaler Weise aus: im Hinblick auf die Formen der Diegese, der Kamera und der Montage ebenso wie auf den Einsatz von Ton, Musik und Licht. Er fragmentiert die Erzählung: Gralsuche und Entscheidungsschlacht sind nur in Metonymien der Gewalt greifbar; auch die wichtige Episode der Gefangennahme und Befreiung Guenievres scheint nur in verkürzten Momenten auf. E r fragmentiert das filmische Bild: Die Protagonisten erscheinen häufig nur ausschnittweise, in Kopf-, Arm- oder Fußpartien. Auch die Welt, in der sie sich bewegen, wird nicht als Ganzheit verfügbar: Teile von Zelten, Gängen und Treppen, Fenstern und Bäumen dominieren. Dem korrespondiert der diskontinuierliche Charakter der Montage: Zu sehen sind keine flüssigen Bewegungen der Figuren von einem Ort zum andern, sondern Momente, die sich erst im K o p f des Zuschauers zu Kontinuitäten verbinden. 108
Robert Bresson: Notes sur le cinematographe. Paris 1975, 1995 (Folio 2705).
Robert Bresson, Lancelot du Lac (1974)
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Auch Ton und Musik begleiten oder untermalen nicht schlichtweg die Handlung, sondern bilden ein eigenes Zeichengefüge: Vom >Basso continuo< der trabenden Pferde, der schreitenden Ritter und der knarzenden, scheppernden und klirrenden Rüstungen heben sich einzelne Tonelemente ab — das Dudelsackspiel beim anfänglichen Ablaufen der Schrift und beim Turnier, das gelegentliche Wiehern der Pferde und Krächzen einer Dohle. Jeweils bringen sich Bild und Ton nicht zur Deckung. Sie sind gegeneinander verschoben und darin Manifestation einer nicht mehr im Gleichgewicht befindlichen Welt. In ihr sind die Zeichen Vorzeichen — des Unglücks, das bereits der erste Satz des Films, von einer alten Bäuerin geäußert, aufruft: »Celui dont on entend les pas avant de le voir, il mourra dans l'annee.« Es ist dieser schicksalshafte Bedeutungsraum, zu dem sich die Zeichen der Bilder und Töne, indem sie sich wiederholen, zusammenfügen, aus dem der Film aber wiederum nur einen Ausschnitt wiederzugeben scheint. Der Bedeutungsraum »ist keine abstrakte Universalie jenseits von Zeit und Raum. Es ist ein einzelner, einzigartiger Raum, der nur die Homogenität eingebüßt hat, das heißt das Prinzip seiner metrischen Verhältnisse oder des Zusammenhalts seiner Teile, so daß eine unendliche Vielfalt von Anschlüssen möglich wird. Es ist ein Raum virtueller Verbindung, der als ein bloßer Ort des Möglichen gefaßt wird.« 109 Lancelot ist der perfekte Repräsentant dieses Raumes. Im letzten Dialog mit Guenievre sagt er: »J'ai des yeux pour l'impossible.« Das Turnier in der Mitte des Films bietet auch in dieser Hinsicht den Mittelpunkt, treten in ihm doch die angedeuteten Prinzipien wie in einem Brennspiegel zusammen. Zwar sind die traditionellen Elemente vorhanden: die Präsentation der Wappen, die Serialität der einzelnen Kämpfe mit einem sich beschleunigenden Rhythmus, die Spannung vor dem Stoß, die Blicke auf die Reaktionen des Publikums. Doch auch hier gilt das metonymische Verfahren: kein Überblick über den Platz und die Beteiligten, kein Eindruck von der Individualität der Kombattanten, kein Raum-ZeitBild des genauen Ablaufs der Tjosten. Lanzen und Pferdebeine stehen anstelle von Kämpfern, das Geländer anstelle der Kampfbahn, das Fallen oder schließlich nur das Geräusch und der Aufschrei des Publikums anstelle des tatsächlichen Zusammenpralls. Die Wappen wiederum sind nicht, wie traditionell üblich, durch ihre Farben, Muster und Tiere deutlich voneinander unterschieden, sie ähneln einander und bezeichnen Facetten einer ritterlichen Welt, aus der sich vor allem einer abhebt: Lancelot. Sein Schild ist blank, sein Auftritt wird durch einen leichten Close-up auf Gauvain hervorgehoben, seine Kämpfe dienen der Herstellung von Nähe — 109
DELEUZE ( A m
1 1 ) , S. 1 5 3 .
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Gauvain und Artus erkennen an ihnen die Präsenz des Absenten. Sie nennen fünfmal seinen Namen: die einzigen Worte, die während des Turniers gesprochen werden. Am Turnier führt Bresson vor, wie ein Medium seinen Helden konstruiert: durch die Suggestion von körperlicher Evidenz und Präsenz. Er zeigt aber auch, wie fragil eine solche Konstruktion ist: Kaum ist das Turnier vorüber und der Held wieder von der Bildfläche verschwunden, diskutieren die Ritter die Indizien, die für oder gegen die Präsenz Lancelots sprechen. Anders als die Schwarzen Ritter des Hollywoodkinos bringt dieser Weiße Ritter nicht nur das Verhältnis von Loyalitäten und Illoyalitäten zum Vorschein. Er markiert die Aporie der dargestellten arthurischen Welt, die den Besten braucht und ihn zugleich ausschließen muss. Lancelot ist der Referenzpunkt, an dem die Welt zerbricht, und zugleich ihr Prisma, in dem sich der Sinnverlust spiegelt: »GUENIEVRE: Tu t'expliques Lancelot? — GAUVAIN: II ne pouvait pas continuer sans se perdre, perdre mon oncle [Artus], nous perdre tous.« Sich selbst zu verlieren und die Gemeinschaft zu verlieren sind die beiden Aspekte, die sich im Film durchdringen. Schon die erste Sequenz nach dem Vorspann zeigt einen Ritter, der davon spricht, seinen Weg verloren zu haben. Die Antwort der alten Bäuerin (»Je vous mettrai sur votre chemin«) wirft von vornherein die Frage auf, ob dieser Weg nicht eine Schiene ins Verderben ist. Auch die Fragmentierung von Handlung, Bild und Ton, generell eines von Bressons wichtigsten Stilmitteln,110 erweist sich als Mittel, den Weg in den Untergang filmisch zu fassen. Die Facetten der Ritter, ihrer Rüstungen, ihrer Waffen, ihrer Pferde bilden zusammengenommen den einen Körper der arthurischen Welt, der doch nicht mehr einer ist - unter anderem, weil in ihrem Zentrum (als ihre >SonneWerte< herauszupräparieren, Gefühlswerte ebenso wie Farbwerte, die mit Intensitäten und Potentialen verbunden sind. Die Abstraktion steht quer zu einer Rekonstruktion mit Hilfe von historischem Dekor. Sie führt nicht ins Mittelalter zurück, sondern zu der Frage, wie die Wahrnehmung sich erneuern kann, wenn sie durch ihre eigene (historische) Verfremdung hindurchgeht.
8. Mittelalter und Moderne Jeder filmische Entwurf mittelalterlicher Gegebenheiten ist von den Bedingungen der (Post-)Moderne geprägt. 112 Das betrifft das Dargestellte in seinen verschiedenen Dimensionen: Setting, Ausstattung und Schauspieler tragen, allen historisierenden Bemühungen zum Trotz, immer auch die Züge des Gegenwärtigen an sich. Und es betrifft das Medium mit seinen Eigensetzlichkeiten: Der Film ist gleichzeitig eine ideale Form, den Zuschauer an der Vergangenheit teilhaben zu lassen, und eine fragwürdige, verkörpert er doch selbst die fundamentale Differenz zu dem, was er darstellt. So gehört es zwar zum Grundzug vieler Mittelalterfilme, die historische wie mediale Differenz (zeitweise) vergessen machen und ins Innerste einer Zeit vordringen zu wollen: Nicht nur Hoellerings Becket-Film Murder in the Cathedral (1952), der darauf insistiert, die historischen Gewänder seien auch nach historischen Techniken hergestellt, stellt den Anspruch auf Angleichung und Partizipation ins Zentrum. Doch ebenso prägend ist die Unmöglichkeit, diese vollständig zu erreichen oder den der Illusion zugrunde liegenden Kontrakt mit dem Zuschauer zu übergehen. Gerade die Fülle der illusionistischen Mittel macht die Filme verwundbar für
112
ARTHUR LINDI,ΙΐΥ: The ahistoricism of medieval film, in: Screening the Past 3 (1998); http://www.latrobe.edu.au/www/ screeningthepast/firstrelease/fir598/ ALfr3a.htm.
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Schwächen im Detail, in der Handlung, der Figurengestaltung, der Schauspielerführung und lässt sie nicht selten aussehen wie naturalisierte Kunsträume, in denen vertraute Zustände, Konflikte oder Affekte in ein historistisches Dekor getaucht scheinen. Oft genug allerdings sind die Verfremdungseffekte, die sich durch die Kombination der Zeiten ergeben, funktional. Die Alterität der Vergangenheit wird fassbar gemacht in und mit der Alterität von Bildern, die ihre eigene Gespaltenheit zum Vorschein bringen: die Spannung zwischen dem, was sie sind, und dem, was sie darstellen, die Spannung zwischen dem Ersetzen dessen und der Nicht-Identität mit dem, auf das sie sich beziehen. Tarkowskijs Andrej Rubljow beginnt mit einer Prologszene, in der ein Mann zu fliegen versucht: im Drehbuch mit Hilfe von Flügeln, im Film in einem zusammengenähten Ballon. Die Änderung vermindert nicht nur das mythische Pathos des menschlichen Wunsches zu fliegen, sie geht auch einher mit einer Verunklärung des zeitlichen Indexes: An Gewändern und Gebäuden ist nicht klar zu erkennen, ob wir uns in einer ferneren oder jüngeren Vergangenheit befinden, deutlich ist nur, dass hier einer mit den Gesetzen der Schwerkraft auch die Fesseln seiner Zeit abzustreifen versucht - mit einem immerhin kurzzeitigen Erfolg. Das ist keine Allegorie filmischer Vergangenheitsrekonstruktion, eröffnet aber assoziative Spielräume, in denen der Film »die kompliziertesten Fragen der Gegenwart auf einem Problemniveau« aufgreifen kann, »das jahrhundertelang ein Arbeitsfeld von Literatur, Musik und Malerei war«. 113 Verabschiedet ist hier die sonst verbreitete Vorstellung, das Mittelalter beobachten zu können, indem historische Identifikationsfiguren und retrospektive Zugangsweisen eng geführt werden. Auch sonst allerdings ist diese Vorstellung durchzogen von dem Wissen, dass die Beobachtung Alsob-Charakter hat. Schriftstücke lassen sich täuschend echt imitieren, Gemälde mit historischen Techniken herstellen, Gebäude aus originalem Material nachbauen, Turniere und Mahlzeiten in geeignetem Ambiente ausrichten. Der Film vermag all dies zugleich, vermag aber (anders als der Datenhelm) all dies nur zu repräsentieren. Er eröffnet uns »eine irreale Welt und eine schon weit zurückliegende Zeit«, doch er »ist eine Projektion, die erfindende Darstellung einer drei- und vierdimensionalen Welt mittels Lichtstrahlen, Tönen und bewegter Bilder auf einer hellen Fläche. Und es ist dieser inszenatorische Aspekt, der uns als Zuschauer das bewußt ambivalente Verhältnis zum Film ermöglicht: Wir sollen und wollen >drinnen< sein, Teil des Films, und doch auch wieder nicht; also >draußen< sein, in der realen Welt, und doch auch wieder nicht.« 114 Dementsprechend 113 114
Tarkowskij (Anm. 67), S. 93; ebd., S. 91 f. zur Ballonszene. FRÜCHTL (Anm. 23), S. 64.
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schwankt der Film zwischen einem Verbergen und einem Ausstellen der Er schwankt zwischen ^Ichronismen unvermeidlicher und ./i/wchromsmen auffälliger Art. Statisten mit Uhren am Handgelenk oder Zigaretten in der Hand, Rüstungsteile, die nicht zusammenpassen, Interieurs, die aus mehreren Jahrhunderten zusammengesucht sind — Liebhaber und Experten wissen zahlreiche Beispiele zu nennen. Mehr oder weniger versteckt, erlauben sie es, punktuell die filmische Illusion zu durchbrechen: so im Falle des gedruckten Buches, aus dem in Pasolinis Decameron vorgelesen und in I racconti di Canterbury die (wiederum aus dem Decameron stammende) Inspiration bezogen wird, oder der Maiskolben, die in Bunuels Uonor auf der Tafel liegen. Während indes die Präsenz der Gegenwart in der Vergangenheit gelegentlich der filmischen Autoreflexivität dient, hat die (von den meisten Zuschauern unbemerkte) Gleichzeitigkeit eigenzeitlich verschiedener Elemente selten eine andere Funktion als die, Atmosphäre zu schaffen. In Εl Cid (1961) kennzeichnen die historisch-immanenten Differenzen das Konglomerat, aus dem die Legende entsteht. Um den hochmittelalterlichen Palast und die Kathedrale von Burgos ranken sich Früh- und Spätmittelalterliches. Der Teppich von Bayeux, an dem Jimena stickt, fällt zwar in die Lebenszeit des historischen Cid, erscheint aber selbst schon als Produkt einer sich von den Ursprüngen entfernenden heroischen Legendenbildung. Konsequenter noch macht Cassentis Film IM chanson de Roland (1978) den heroischen Stoff in seiner Historizität sichtbar:115 Dem Bedierschen Modell der Ausbreitung der Chansons de geste gemäß erfolgt die Aufführung des Heldenepos durch eine Schauspielertruppe auf dem Pilgerweg nach Santiago de Compostela. Sie wird indes nicht als Aufführung gezeigt, sondern als filmische Handlung, die wiederum von der sonstigen Handlung stilistisch unterschieden ist durch eine statischere Kamera und kältere Farben, monumentale Einstellungen und literarische Dialoge. Thematisch verflechten sich die Partien des Epos und die Stationen des Weges, um sich am Ende wieder voneinander zu lösen: Die Heroisierung von Opfer und Gewalt erweist sich als ungeeignet, mit der aktuellen Gewalt umzugehen; der Protagonist verlässt die Truppe und richtet seinen Weg von der Region der Vergangenheit (Nordspanien) zur Region der Zukunft (Flandern). Sieht man von solchen Experimenten mit der Rekonstruktion einer mehrschichtigen Vergangenheit ab, gilt das Augenmerk vieler Filme den Möglichkeiten, Mittelalter und Moderne in Beziehung zu setzen. Das kann dadurch geschehen, dass mittelalterliche Stoffe in modernes Gewand gehüllt werden: Jean Delannoy transportiert in 'L'FJernel retour (Frankreich
Gegenwärtigkeit, die sich der Vergangenheit annimmt.
115
Vgl. AMY DE LA BRETEQUE ( A M 1), S. 2 4 0 - 2 4 3 .
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1943) die Tristangeschichte in die Gegenwart, Michael Powell und Emetic Pressburger versetzen in A Canterbury Tale (Großbritannien 1944) Chaucers Pilger ins England des Kriegssommers 1943.116 George Lucas gibt in seiner galaktischen Saga Star Wars (USA/GB 1977ff.) dem Helden Luke Skywalker eine Initiierung, die an das Artus-Merlin-Muster anknüpft. 117 George Romero lässt in Knightriders (USA 1981) die arthurische Gemeinschaft in Form einer Motorradgang auferstehen, die sich durch ein ländliches Pennsylvania der siebziger Jahre bewegt und dabei der von Materialität, Medialität und Korruptivität geprägten Gegenwartskultur den American dream einer moralbewussten, gerechten und organischen Welt entgegenhält — »a Utopian society that accepts all people regardless o f race, sex, a f f e c t i o n a l
preference, or disability«. 118 Steven Spielberg ermöglicht in Indiana Jones and the Last Crusade (USA 1989) dem Archäologen Jones, seinen Vater, einen von Sean Connery gespielten kauzigen Mediävisten, mit einem Schluck aus dem Heiligen Gral zu retten und den Nazis ein Schnippchen zu schlagen. 119 Terry Gilliam versetzt in Fisher King (USA 1991) das Erlösungsmysterium des Grals ins Zentrum New Yorks: Im Central Park erzählt der Clochard Parry seinem Freund Jack die Geschichte, wie der einfache Tor den Fischerkönig heilte; im neogotischen Stadtschloss befindet sich der Sportpokal eines Milliardärs, in dem Parry den Gral verkörpert sieht und nach dessen >Befreiung< er aus seinem Koma wieder erwacht.121' Die in Fantasy, Science Fiction oder New-Age-Spiritualität fortlebenden mittelalterlichen Elemente haben meist weniger mit dem Mittelalter im Besonderen denn mit dem Abenteuerlichen und Mythischen im Allgemeinen zu tun. Uber sie hinaus lassen sich drei Grundtypen unterscheiden, in denen Mittelalter und Moderne in direkte Relation treten: (1) Die Zeiten werden diegetisch in Form einer Binnen- und einer Rahmenhandlung, zwischen denen die Figuren konkret oder imaginativ wechseln, aufeinander bezogen und zugleich getrennt; (2) eine diegetische Vermischung mittelalterlicher und moderner Elemente findet statt; (3) mittelalterliche Gegeben-
116
117 118 119 120
Zum ersten Film: ebd., S. 65-67 u. ö.; zum zweiten THOMAS VORWERK: The Archer's Tale. Der Spielfilm A Canterbury Tale und seine Beziehung zu Geoffrey Chaucers The Canterbury Tales, unter: http://www.satt.org/film/01_12_canterbury_l.html (2001). Vgl. TLM HENTHORNB: Boys to Men: Medievalism and Masculinity in Star Wars and E.T.: The Extra-Terrestrial, in: DRIVER/RAY (Anm. 23), S. 73-90. HARTY, Cinematic American Camelots (Anm. 36), S. 106. Vgl. SUSAN ARONSTEIN: >Not Exacdy a Knightc Anthurian Narrative and Recuperative Politics in the Indiana Jones Trilogy, in: Cinema Journal 34 (1995), S. 3-30. Vgl. ROBERT J. BLANCI-I: The Fisher King in Gotham: New Age Spiritualism Meets the Grail Legend, in: HARTY, King Arthur on Film (Anm. 91), S. 123-139.
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heiten werden extradiegetisch durch konnotative Bedeutungen für zeitge-
nössische Situationen transparent.121
(1) Das klassische Modell für die direkte Inbezugsetzung der Zeiten ist das der Zeitreise. Sie kann in beide Richtungen erfolgen. Der Sprung aus der Vergangenheit in die Zukunft begegnet in Vincent Wards neuseeländischem Fantasy-Film The Navigator (1988), in dem ein neunjähriger Junge, Bewohner eines abgeschiedenen englischen Dorfes, in der Pestzeit (1348) eine Vision hat, wie er sein Dorf retten kann: Er muss ein Kreuz auf einer fernen Kathedrale anbringen und dringt, zusammen mit vier Begleitern, in einem Minenschacht durch die Erde vor, bis er im Neuseeland des 20. Jahrhunderts ankommt. Nach zahlreichen Abenteuer erfüllt er seine Mission, lässt aber, zurückgekehrt, als letztes Opfer der Pest sein Leben. Ebenfalls einen mittelalterlichen Rahmen besitzen einige populäre Filme Jean-Marie Poires (Les visiteurs, 1993, mit 13,6 Millionen Kinobesuchern der beliebteste französische >MittelalterfilmZukunftbad kingsBande< laufen als Faschisten in Armeekluft herum. Als der Druck auf Edward und Gaveston zunimmt, taucht vor dem Schloss eine protestierende Gay-AktivistenGruppe auf (bestehend aus Mitgliedern der britischen Bewegung OutRage). Der homosexuelle Subtext des Marlow-Textes tritt an die Oberfläche und wird zum vehementen Angriff auf die Homophobie der ThatcherÄra. Doch fehlt es nicht an Differenzierung: Edward erweist sich nicht einfach als Opfer der Umstände, sondern als wenig regierungsfähiger Egoist, dem das eigene Vergnügen mehr bedeutet als das englische Königreich. Die leidenschaftliche Liebe zu Gaveston erhält zwar eine ergreifende Abschiedszene, in der Annie Lennox Every Time We Say Goodbye singt, wird
Edward
II, i n : S i g h t a n d S o u n d H . 6 ( O k t . 1 9 9 1 ) , S. 8 - 1 1 ; COLIN MACCABE: A
Post-national European Cinema: a Consideration of Derek Jarman's The tempest and Edward II, in: DUNCAN PETRIF. (Hg.): Screening Europe. Image and Identity in Contemporary European Cinema. London 1992, S. 9-18; SLD RAY: Münks, History, and Homophobia: Masculinity Politics in Braveheart and Edward II, in: DRIVER ( A n m . 1), T l . 2, S. 2 2 - 3 1 ; MAGGIE TAYLOR: M e m o r y , M a g i c a n d t h e M u -
sical in Derek Jarman's The tempest and Edward II, in: BILL MARSHALL and ROBYNN STILWELL (Hg.): Musicals. Hollywood and Beyond. Exeter u. a. 2000, S. 1 5 7 - 1 6 2 .
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aber auch schon wieder relativiert durch die erotische Beziehung, die den gefangenen Edward an seinen Gefängniswärter Lightborn (bei Marlowe der gedungene Mörder) bindet. Begehren des Andern und Streben nach Macht zeigen sich als konfligierende Triebkräfte menschlichen Handelns. Und es ist diese nicht zuletzt durch visuelle und textuelle Abstraktion erreichte Allgemeinheit, die das Kunststück ermöglicht, Historizität und Modernität nicht gegeneinander auszuspielen, sondern wechselseitig zu bereichern. (3) Die wohl größte Gruppe der Filme, in denen die Moderne im Spiel ist, ist jene, in der sie am schwersten fassbar ist: weil sie sich nicht in materiellen Achronismen oder Anachronismen manifestiert, sondern in Figuren· und Handlungskonstellationen, die in ihren ästhetischen, politischen oder sozialen Kontexten spezifische gegenwärtige Resonanzen finden. Solche Kontexte bestimmen grundsätzlich sowohl die Produktion wie die Rezeption der Filme: So wie diese von den technischen Bedingungen und dem kulturellen Wissen der Zeit geprägt sind, aus der sie stammen, so können auch die Zuschauer dieser nicht entkommen — sie mögen sich mit dem Sehen eines Films auf die stillschweigende Vereinbarung einlassen, das Ablaufende als nicht-gegenwärtig zu begreifen, und finden doch nur in dem, was Teil ihrer gegenwärtigen Episteme ist, Kategorien der Einordnung. Zu dieser Episteme gehört zwar das je nachdem verfügbare Vergangenheitswissen, doch als Wissen ist dieses, wie geschichtet auch immer, ebenfalls mit einem präsentischen Index versehen. Mit einem Wort: Mittelalterfilme sind immer auch Gegenwartsfilme. Das mag an herausstechenden Details sichtbar werden: Die Helme der Engländer in Dreyers Passion ähneln, obschon nach Modellen des 15. Jahrhunderts entworfen, so stark den im Ersten Weltkrieg verwendeten, dass der Film in England als antienglische Propaganda verboten wurde. Es mag auch an bestimmten Haltungen sich zeigen: In Annauds Der Name der Rose, mit 45 Millionen DM einer der teuersten europäischen Historienfilme, wird eine minutiöse Rekonstruktion der mittelalterlichen Lebensbedingungen in einer Benediktinerabtei betrieben und zugleich, dem Buch folgend, mit der Figur des aufgeklärten franziskanischen Detektivs, gespielt von Sean Connery, eine dezidiert moderne Perspektive ins Zentrum der Geschichte gestellt. Am stärksten ist das Eindringen des Gegenwärtigen in den historischen Film durch die Schauspieler. Ihre Körper sind medial geformte, aus anderen Zusammenhängen bekannt, immer in Spannung stehend zu den historischen Hüllen, in die sie schlüpfen.135 An ihnen zeigt sich, dass die 135
V g l . ERNST KARPF, DORON KIESEL, KARSTEN VISARIUS ( H g . ) : » B e i m i r b i s t D u
schön«. Die Macht der Schönheit und ihre Konstruktion im Film. Marburg 1994; R. BRUCE ELDER: A Body of Vision. Representations of the Body in Recent Film and Poetry. Waterloo/On.
1 9 9 8 ; HEINZ B . HELLER, K A R L PRÜMM,
BIRGIT
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Konstruktion von Helden und die Konzeption von Erscheinungsbildern wie Geschlechterbeziehungen in Bezug auf aktuelle Codierungen erfolgt, ohne dass dies besonders markiert sein müsste: Die Jeanne-d'Arc-Darstellerinnen (man denke an ihre verschiedenen Frisuren und Make-ups) verkörpern ebenso die Schönheits- und Weiblichkeitsvorstellungen der jeweiligen Zeit wie die Robin-Hood- oder Lancelot-Darsteller die Stärke- und Männlichkeitsvorstellungen. Das ist gelegentlich auf raffinierte Weise genutzt, ein Image zu modifizieren: Mickey Rourke, obschon scheinbar fehlbesetzt, dient in Liliana Cavanis Francesco (1989) dazu, die Wendung vom körperlich-weltlichen zum spirituellen Dasein erfahrbar zu machen; Morgan Freeman als afroamerikanischer Begleiter Robin Hoods bringt in Reynolds Robin Hood: Pnnce of Thieves (1991) eine aktuelle Dimension zur Geltung. Häufig allerdings droht gerade dort, wo auch sonst die stilistische und thematische Einheitlichkeit fehlt, an bestimmten Akteuren die historistische Illusion definitiv zu zerbrechen: Rutger Hauer als Actionheld eines Gewalt-Sex-Thrillers (Flesh and Blood, 1985), Richard Gere als empfindsamer Superman {First Knight, 1995), Mila Jovovich als erotische Popikone (The Messenger, 1999) — sie machen das Gegenwärtige des scheinbar Vergangenen intensiv wahrnehmbar, ob zum Nutzen oder zum Schaden des Films sind sich Fans und Kritiker oft uneins. Daneben gibt es auch thematische Auffälligkeiten, die kulturelle, politische oder soziale Dimensionen einer bestimmten Zeit betreffen. Sie können relativ allgemeinen Charakter haben: zum Beispiel die an der Eigentumsfrage greifbare Analogie zwischen einer spätmittelalterlichen und modernen Umbruchszeit in Der Name der Rose. Sie können aber auch spezifischer auf eine aktuelle Konstellation reagieren. Ich stelle einige der wichtigsten Filme, teilweise oben schon erwähnt, chronologisch zusammen: 1917 Joan the Woman: DeMille bezieht in den Rahmenpartien seine Jeanne-d'Arc-Version auf die Situation eines gegenwärtigen englischen Weltkriegssoldaten und macht in dessen Opferbereitschaft den Sinn, in den Krieg einzutreten, auch für ein amerikanisches Publikum evident. 1924 Die Nibelungen·. Lang erprobt im Kontext der nach Krieg und Inflation wiedererwachenden nationalen Selbstvergewisserung die filmische Neugewinnung des nationalen >HeiligtumsIpolitical correctness< und >Rassenpolitikmittelalterliche< Atmosphäre kreieren: durch Verwendung bestimmter Instrumente (Laute, Dudelsack, Posaune, Trommel) oder Anlehnung an ältere Lied- und Tanzformen (in Blanche solche des 13. Jahrhunderts). Außer dem Hufschlag der Pferde, dem Klingen der Schwerter, dem Rasseln der Rüstungen und dem Zersplittern der Lanzen gehört die musikalische 138
Generell zu den Tieren XAVIER KAWA-TOPOR: Des animaux petits et grands. La faune medievale dans le cinema europeen, in: Le Moyen Age (Anm. 1), S. 287332.
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Begleitung zu den prägendsten Sinneseindrücken, die die Filme vermitteln: Sie dient der melodramatischen Grundierung der Geschichte ebenso wie der punktuellen Exponierung ihrer Unverfügbarkeit. Sie wird im Kontext von Turnieren und Festen häufig in ihrer Herkunft gezeigt und gelegentlich genutzt, verschiedene Modalitäten der Präsenzstiftung (Bresson, Rohmer) oder divergierende Sogwirkungen kultureller und natureller Kräfte (The Pied Pipei) zu thematisieren. Der monumentale Film, durch Hollywood geprägt, schöpft in der Regel (mit größerer oder geringerer Konsequenz) alle genannten Register aus. Der Autorenfilm hingegen konzentriert sich oft auf einzelne Elemente, die metonymisch das Ganze vertreten. Das ergibt sich nicht nur aus geringeren Budgets, die zur Konzentration zwingen, sondern auch aus ästhetischen Modellen, die weniger auf Illusion denn auf Reflexion setzen. Sparsamkeit der Mittel ist hier zugleich Instrument, subtilere Formen der Intensität zu erreichen. Tarkowskij hat für Andrej Rubljow festgehalten, dass weder eine Nachstellung der russischen Malerei des ausgehenden Mittelalters noch eine altertümliche, museale Exotik Ziel gewesen sein konnte. Um »zu einer unmittelbar beobachteten Wahrheit, zu einer sozusagen >physiologischen< Wahrheit vorstoßen zu können, mußte ein Weg jenseits archäologischer oder ethnographischer Wahrheit eingeschlagen werden.« 139 Ahnlich waren schon Dreyer und Bresson bei ihren Jeanne-dArc-Filmen verfahren. Ähnlich auch Rossellini in seinem Franziskus-Film. 140 Francesco, giullare di Dio (1950) erzählt nicht die typische Heiligengeschichte nach, sondern entwirft elf Episoden aus den Legendensammlungen I fioretti di San Francesco und Vita de Fratre Ginepro in neorealistischem Stil: Uber lange Strecken kommen überhaupt keine mittelalterlichen Dekors vor und beschränken sich die signifikanten Kleider auf die franziskanischen Kutten. Im Zentrum stehen weniger die zentralen Ereignisse der Franziskusgeschichte als die alltäglichen Situationen der kleinen Gemeinschaft, geprägt von Begeisterung ebenso wie von Unzulänglichkeit, von Innigkeit ebenso wie von Naivität, von Improvisation ebenso wie von Devotion. Paradigmatisch macht die Episode um den Tyrannen Nicolai eine grobe, körperbetonte und gewaltbereite Gesellschaft sichtbar, in deren Kern, aus der zur Mechanik verdammenden Rüstung herausgelöst, das Gute schlummert, das die franziskanisch-friedliche Leidensbereitschaft zu erwecken imstande ist. Die Verwendung nicht-professioneller Schauspieler (des Franziskanerklosters Nocere Inferiore), die Bevorzugung von Außenräumen, der Verzicht auf rhetorische Effekte des Schnitts und der Montage unterstreichen die überiM Tarkowskij (Anm. 67), S. 90. 140 Zu den Franziskus-Filmen jEAN-FRANgOIS SIX: F r a n c i s d'Assise, in: BRETEQUE, Le Moyen Age (Anm. 1), S. 29-37; ders., L'imaginaire (Anm. 1), S. 206-225.
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zeitliche Modernität und Humanität der franziskanischen Idee, die sich zugleich einem monumentalen Verständnis historischen Geschehens widersetzt: Am Ende entscheidet nicht das Kalkül über die Ausbreitung zur Mission, sondern der Schwindel — Franziskus lässt die Brüder sich im Kreise drehen, bis sie zu Boden fallen, und nimmt die Fallrichtung als Zeichen für die einzuschlagende Himmelsrichtung der einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft. Auf der Grenze von Komik und heiligem Ernst situiert, fängt die Szene unübertrefflich das Schwanken zwischen Kontingenz und Determination ein, das den filmischen Vergangenheitsentwurf selbst auszeichnet und mit dem er seinerseits den zwischen Einst und Jetzt oszillierenden Zuschauer in seinen Schwindel hineinzieht. Ein anderes Beispiel bietet der im gleichen Jahr entstandene Film Rashomon von Akira Kurosawa. Auch er spielt großteils im Freien und in einer nicht präzise festgelegten Zeit, charakterisiert vor allem dadurch, dass der Tempelbezirk Kyotos im Verfall begriffen und das politisch-soziale Gefüge instabil ist. Wie bei Rossellini ist es eingangs der Regen, der das Ausgeliefertsein der Menschen an die Natur und das Verfließen von Ereignissen im Lauf der Zeit einfängt: Begleitet er in Francesco die an einer Schwelle stehende franziskanische Gruppe, die aus Rom von der Begegnung mit dem Papst zurückkehrt und nunmehr ihre eigene Lebensform zu errichten versucht, so begleitet er in Rashomon das kurzzeitige Zusammentreffen dreier Figuren, ein Knecht, ein Holzfäller und ein Mönch, die sich über das einige Tage zuvor verübte Verbrechen an einem Ehepaar unterhalten: Die Frau wurde vor den Augen des Mannes vergewaltigt und der Mann danach getötet. Das Gespräch bildet den Rahmen für die Einblendung sowohl der Gerichtsverhandlung, bei der von den Beteiligten bzw. Zeugen verschiedene Versionen des Tathergangs berichtet werden, wie der aus verschiedenen Perspektiven gefilmten Tatabläufe. Der Wechsel zwischen den drei Situationen korrespondiert einem Wechsel zwischen drei visuell unterschiedenen Orten: Das dunkle Innere des Tempels, der helle Hof des Gerichts und das aus Dunkel und Hell gemischte Innere des Waldes — sie verweisen auf das irisierende Verhältnis von Ereignis, Rekonstruktion und Erzählung, das bis zum Ende von beweglichen Plausibilitäten und Erzählhierarchien geprägt bleibt. Statt über den Mordfall aufgeklärt zu werden, sieht der Zuschauer sich letztlich mit der Unmöglichkeit der Wahrheitsfindung konfrontiert. Das gibt dem Film sowohl seine existentielle Modernität wie seine mediale Reflexivität: Als Parabel des aporetischen Versuchs, vergangenes Geschehen eindeutig zu bestimmen, bietet er zugleich ein Modell der aporetischen Bedingungen, unter denen der Historienfilm agiert.
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Akira Kurosawa, Rashomon (1950)
Dass nicht nur diese beiden Filme, sondern auch diejenigen Bergmans oder auch Bressons Proces und Tarkowskijs Andrej Kubljoiv auf Schwarzweiß-Material gedreht sind, entspricht den im europäischen Film noch bis Ende der sechziger Jahre geltenden Produktionsbedingungen; erst das in den fünfziger Jahren in den USA sich ausbreitende Eastmancolor-Verfahren drückte die Kosten des Farbfilms erheblich. Es entspricht aber auch einer ästhetischen Haltung, die Bresson selbst auf den Punkt brachte: »La couleur donne de la force ä tes images. Elle est un moyen de rendre plus vrai le reel. Mais pour peu que ce reel ne le soit pas tout ä fait (reel), eile accuse son invraisemblance (son inexistence).« 141 Nun war auch die Verwendung der Farbe im Hollywoodfilm keine schlichtweg illusionistische, sondern immer auch eine rhetorische: Sie unterstützte bestimmte Semantiken und erlaubte eine klare Zuordnung von Einzelnen und Gruppen. Oft orientierte sie sich an künsderischen Vorbildern — der >romantische< Robin Hood von 1938, ein Paradebeispiel aus der ersten Blütezeit des Farbfilms, der auch der ebenso berühmte The Wizard of Οΐζ entstammt, benutzt >romantische Zeichnungen< als Modell. Bei dem mit naturalistischem An141
Bresson ( A m 108), S. 110.
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Spruch auftretenden Der Name der Rose wirkte Michel Pastoureau, Experte für mittelalterliche Fafbenpolitik, mit. Bei dem die Agonie des feudalen Patriarchalismus fokussierenden La Passion Beatrice bringen auch die Farben die Verkehrung der Verhältnisse ans Licht: Von den beiden Geschwistern wird Arnaud in rosafarbenen Frauenkleidern vom Vater gedemütigt, während Beatrice, ein blaues Männerwams tragend, sich dem Vater (der sie vergewaltigte) widersetzt. Generell ist die scheinbare Natürlichkeit oder Unnatürlichkeit der filmischen Farben immer abhängig von den Konventionen und Behauptungen der Diskurse einer Zeit. Das gilt für die verfeinerten, auf Tiefenwirkung bedachten und oft den Eindruck eines Panoptikums erweckenden Technicolor-Filme der ausgehenden dreißiger, vierziger und frühen fünfziger Jahre. Und es gilt nicht weniger für die farblich gröberen, flacheren und weniger nachhaltigen Eastmancolor-Filme der Folgezeit. 142 Doch wie auch immer ihre Nuancen sind, außer Zweifel steht: der Schwarzweißfilm bringt von vornherein, zumal in einer Zeit, in der die medialen Repräsentationen zunehmend auf das konventionelle Wirklichkeitspotential der Farbe setzen, größere Künstlichkeit und Distanz ins Spiel — die wiederum dazu reizt, andere Formen von Wahrheit und Nähe zu entwickeln. 143 Dreyer nutzte panchromatisches Filmmaterial, die Ausdrucksfläche der Gesichter zu profilieren. Bresson begründete in seiner Theorie des Kinematographen das filmische Bild als ein eher der Malerei als dem Theater verwandtes. Tarkowskij entwickelte eine vielschichtige Bildgestaltung, die das Spannungsfeld zwischen dem Raum, den der Film eröffnet, und der Fläche, auf der er sich abspielt, unnachahmlich entfaltet. In Andrej Rubljow geht es nicht nur um den Status des Malers in der Gesellschaft und der Malerei als eines heilsvermittelnden Mediums. 144 Es geht auch um das Verhältnis zwischen der historischen Bildfrage und der filmischen Bildgebung. 145 Immer wieder wird der Blick des Zuschauers auf die Ereignisse getrübt durch Rauch, Nebel oder Regen. Zugleich erfährt er damit immer wieder die vielschichtige Flächigkeit des Bildes, die mit dem vielstimmig Atmosphärischen der Geschichte in eins fällt. Es entsteht eine Welt, in der ebenso wie brutalste Gewalt und tiefste Menschlichkeit auch intensivste Konkretheit
142
HANNU SALMI: Colore, spettacolo e storia nel cinema epico, in: Fotogenia 1
143
Vgl. schon Jurij Tynjanov: Über die Grundlagen des Films (1927), in: BEILENIIOFF (Anm. 66), S. 56-85, hier 60: »Das Fehlen der Farbe ermöglicht dem Film ein semantisches - und nicht ein materiales - Nebeneinander der Dimensionen, eine unheuerliche Disproportion der Perspektiven.« Vgl. VALERIJ SERGEJEW: Das heilige Handwerk. Leben und Werk des Ikonenmalers Andrej Rubljow. Freiburg, Basel, Wien 1991.
( 1 9 9 5 ) , S. 1 1 5 - 1 2 4 .
144
145
V g l . K a p i t e l I X (URSULA VON KEITZ).
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und äußerste Abstraktion sich berühren. Traum, Vision und Wachen gehen ineinander über, so wie Bewegung und Stillstand sich in den Bildern ablösen. Das Schwarzweiß-Material zeigt sich als das eigentliche Medium einer wechselseitigen Transformation von Geschehen und Geschichte, Repräsentation und Präsenz, Materialität und Immaterialität. Es überführt Ereignisse in Bilder und macht Bilder zum Ereignis — und bereitet vor, was am Ende als eine berückende Erscheinung sich ereignet: die Bewegung der Kamera durch Rubljows nunmehr farbige Ikonen, konzentriert auch hier auf Details, Muster und Strukturen, Pastosität und Porosität, eine zeitlose Auratisierung und Selbsttranszendierung des filmischen Bildes, die in der Dreifaltigkeitsikone gipfelt: Der Rhythmus der Gewänder, die locker von den Schultern fallen; Konturen, die hier weich und zögernd fließen, über die kornblumenblaue Oberfläche gleitend, auf der sich bereits, vom Spinnweb haarfeiner Risse durchzogen, bleiches Lila und rauchiges Purpurrot versammeln - Spuren der Jahrhunderte, welche die ohnehin unfaßbare Schönheit des Bildes nur noch erhöhen - oder dort unerwartet das jähe Gefalle des gelben Hügels aufnehmen, wo eine Fichte auf den rotbraunen Flächen der Felsen steht. Wieder und wieder klingt das Echo jener vergangenen Zeiten auf und erinnert uns an die Augenblicke der Rubljowschen Inspiration, der Geburt seiner erstaunlichen Visionen. Jetzt fallen zwischen der Kamera und dem hellen Himmel der »Dreifaltigkeit« mit seinen Spuren von Gold erste, funkelnde Regentropfen, werden allmählich dichter und fließen dann im blitzenden, rauschenden Strom eines Wolkenbruchs zusammen, durch den die Flammen eines fernen Gewitters zucken. Man vernimmt das gleichmäßige, eintönige Trommeln des Regens. Von der hinter dem Regenvorhang verschwimmenden Ikone schwenkt die Kamera auf Wiesen, fahl vom Regen, wir erblicken die Biegung eines Flusses mit bleigrauem Wellengekräusel und im nassen Gras unmittelbar am Wasser Pferde, die trübsinnig im Regen stehen. 146
Oft, wenn auch selten in gleicher Dichte, spielt mediale Reflexivität für Mittelalterfilme eine Rolle, weil sie, wie angedeutet, mit der grundlegenden Differenz konfrontiert sind, die sich aus dem der Epoche selbst fremden Medium ergeben. Da dieses Medium eine von Akteuren gespielte und in bewegten Bildern fixierte Geschichte bietet, kann die Reflexion verschiedene Dimensionen annehmen: im Blick auf erzählerische Akte, theatrales Spiel, historische Bildmedien oder textuelle Überlieferung. Das Erzählen rückt ins Zentrum bei Logans Camelot, Pasolinis Canterbury Tales, Rohmers Perceval, Cassentis Chanson de Roland oder Cavanis Francesco - nicht zufällig Filme, die sich überwiegend auf mittelalterliche Vorlagen stützen. Theatralität setzen Schauspieler- und Theater-Regisseure wie Olivier, Branagh und
i«
Tarkowskij (Anm. 67), S. 278f.
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Jarman in ihren Filmversionen historischer Dramen durchgängig ein; Rohmer und Llorca benutzen sie, die Eigentümlichkeit des Umgangs mit den mittelalterlichen Stoffen zu beleuchten; Bergman, Cassenti und McGuigan (The Reckoning) machen sie anhand einer Schauspielertruppe zum Thema; Carne (Les visiteurs du soir. Festspiel), Delannoy (Notre-dame de Pans: Narrenfest), Kurosawa (Tora no ο wo fumu otokotachi, Kagemusha: NöTheater), Megahey (The Hour of the Pig: Spiel/Tanz), Chahine (Al Massir: Tanz/Musik) und viele andere widmen ihnen zentrale Szenen. Bei Megahey ist es sogar ein ganzes Ensemble von medialen und inszenatorischen Formen, die zum Einsatz kommen: Musikaufführungen und Prozessionen stehen neben Spielen und Tableaux vivants, die den christlichen Advent blasphemisch nachstellen; Flugblätter (zum Teil nach Dürer) verkörpern das Spannungsfeld von Sinnlichkeit, Vergänglichkeit und Sensationsgier; Wandteppiche mit Jagdszenen vertreten die adlige Selbstrepräsentation, Wandmalereien des Jüngsten Gerichts die klerikale Verwaltung des Systems von Ermahnen und Erschrecken. Verschiedene soziale Haltungen und Positionen manifestieren sich in verschiedenen Medien und spiegeln auf ihre Weise die Unübersichtlichkeit einer Zeit, in der auch der aufgeklärte Jurist, von absurden Tierprozessen erschöpft, schließlich das Handtuch wirft: »the dark ages ... — The people were still gripped by ignorance and superstition, mortally afraid of the Power of Satan, daily expecting God's punishment — the plague that was sweeping Europe. — In such uncertain times (he Church, the State and the Law should have been guiding lights, but the Church was sometimes as corrupt as the State.« Hier wie so oft ist der Blick auf das Mittelalter ein sowohl Differenzen markierender wie Analogien suggerierender. Auch die Beziehung zwischen der durch >re-enactment< erzeugten filmischen Gegenwärtigkeit und der durch Medien und Handlungen repräsentierten Vergangenheit lässt es zu, Kontinuitäten wie Diskontinuitäten zu stiften. Das Bild im Bild ist dementsprechend Modell wie Kontrastfolie dessen, was sich im Film ereignet. Modell für das, aus dem sich die filmische Imagination speist. Kontrastfolie für das, was der Film gegenüber der sonstigen Überlieferung hinzubringt. Tarkowskij setzt historische Gemälde ein, Geschichtlichkeit und Gegenwärtigkeit des Films eng zu führen. Pasolini situiert eine Episode von II Decameron auf der Südtiroler Burg Runkelstein, die mit ihrer reichen Bemalung ein sinnliches Pendant liefert zu der Sinnlichkeit, welche auch die Spielhandlung bestimmt. Im zweiten Teil spielt er selbst den berühmten Giotto, der die Kirche von Assisi ausmalt, er spielt ihn als einen Exzessiven, Nie-Zufriedenen, der am Ende (zugleich Schluss des Films) räsoniert: »perche realizzare un'opera, quando e cosi bello sognarla soltanto?« Damit verweist er auf die auch den Film betreffende Unmöglichkeit, dass ein materielles Werk jemals dem imaginären Reichtum des Traums gleich-
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komme, und rückt er gleichzeitig sein eigenes (nicht nur gemaltes) Werk in die Nähe einer traumhaften Vergegenwärtigung von Ursprünglichkeit und Einfachheit, Erotik und Körperlichkeit. Bergman wirft im Siebenten Siegel anlässlich der Ausmalung einer Kapelle die Frage nach Sinn und Funktion appellativer Bildlichkeit auf: Während der Maler den Auftrag erfüllt, macht sein Zuschauer, der atheistische Knappe Jons, kein Hehl aus seiner Distanz gegenüber dem klerikalen Einsatz der Bilder im Dienste der Ermahnung, Warnung und Verunsicherung. Doch auch er muss erkennen, dass in dem Maße, in dem ihm die Schrecken der Pest imaginär gegenwärtig werden, die Wandmalerei ihre Nüchternheit verliert.
Pier Paolo Pasolini, II Decameron (1971)
Anthony Mann, El Cid (1961)
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Dem Zuschauer des Films wiederum bleibt die Einsicht, dass auch illusionslose Rationalität nicht gefeit ist gegen die Dämonen der Angst, die sie zu verdrängen hofft: Auch er vollzieht den Grenzgang zwischen Immanenz und Transzendenz, dem die Figuren ausgeliefert sind. Es gehört so nicht bloß zur historisierenden Ausstattung, wenn viele Filme bildliche Repräsentationen erscheinen lassen. Im Aufgreifen vergangener Bildtraditionen können sie ihre Authentizität doppelt erweisen: indem sie die Medien zeigen, die das Vergangene überliefern, und indem sie sich selbst als das Medium zeigen, das jene in Bewegung und in einen Kontext zu versetzen vermag. In diesem Sinne ist in EI Cid der königliche Palast im öffentlichen wie nicht-öffentlichen Bereich von opulentem Wandschmuck geprägt: Teppiche, Wappen und Malereien, zum Beispiel der über den teuflischen Drachen triumphierende Engel, der das Thema des Films, oppositionelle Mächte des Guten und Bösen, spiegelt. In einer Szene sieht man die Protagonistin, Jimena, selbst an eben jenem Ausschnitt aus dem berühmten Teppich von Bayeux sticken, in dem die für beide Seiten, Engländer wie Franzosen, verlustreiche Schlacht an einem berittenen Einzelkämpfer veranschaulicht wird. Dient der Teppich hier der Aufladung des Films mit heroischer Historizität, so dient er bei Cassenti, wo eingangs die Titel vor dem Hintergrund des Teppichs ablaufen, als parafilmisches Mittel: Die selbst präfilmische Bilderzählung stellt die Brücke dar zwischen Ereignis und Erzählung, Spiel und Imagination, unbewegtem und bewegtem Bild. Bei Reynolds, im bunt synkretistischen Robin Hood, wandert eingangs die Kamera ebenfalls über den Teppich; textliche und bildliche Signale (dux Anglorum, ad prelium, Bogenschützen, Kämpfe) stellen Beziehungen zur Filmhandlung her. Auch die Szene in der Mitte des Films, in der Marian am Teppich stickt, stiftet einen solchen Bezug: Der Hinweis auf den thronenden Herzog Wilhelm steht in Zusammenhang mit dem Versuch, König Richard Löwenherz (dessen Nichte Marian ist) von der Situation zu unterrichten — sein Erscheinen bei der Hochzeitszeremonie zwischen Robin und Marian am Ende rundet auch hier die Legitimitätsgeschichte ab. Das prominenteste handlungsimmanente Medium in Mittelalterfilmen sind Bücher, Schriftstücke und Karten. Sie spielen schon im Stummfilm eine große Rolle — weil dieser einerseits für seine Dialoge auf Schrifttext angewiesen ist, andererseits für seine eigene Standortbestimmung den Bezug zur literarischen Tradition braucht. 147 In vielerlei Nuancen umkreisen 147
Vgl. JOACHIM PAECH: Der Schatten der Schrift auf dem Bild. Vom filmischen zum elektronischen Schreiben mit Licht< oder >L'image menace par l'ecriture et sauve par l'image memei, in: MICHAEL WETZEL, HERTA WOLF (Hg.): D e r Entzug
der Bilder. Visuelle Realitäten. München 1994, S. 213-233; CHRISTIAN KIENING: Blick und Schrift. Das Cabinet des Dr. Caligari und die Medialität des frühen Spielfilms, in: Poetica 37 (2005), S. 119-145.
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die Filme das Verhältnis von Bild und Text, das sich wiederum mit jenem von Vergangenheit und Gegenwart überlagert. In Mittelalterfilmen stehen häufig Texte am Beginn. Sie dienen der Kontextualisierung und der Authentisierung und sind ihrerseits nicht selten historisierend angelegt: Auf Schriftstücke projiziert, mit Initialen und Buchschmuck versehen sowie durch altertümliche Schrift charakterisiert, stimmen sie die Zuschauer ein auf die Vergangenheitswelt, die sich vor ihnen eröffnet. Dies selbst dort, wo das Mittelalter nur die Folie der Moderne bildet: In Powell/Pressburgers Λ Canterbury Tale (1944) sieht man eingangs die manuskriptähnliche erste Seite der Canterbury Tales und hört gleichzeitig eine Erzählerstimme den Beginn des General Prologue lesen. Es folgt eine Uberblendung auf eine pseudo-historische Karte Britanniens, die wiederum, von Schattenfeldern überzogen (entsprechend der Aprilzeit, von der der Prologue spricht), für das Territorium transparent wird. Im nächsten Schritt macht ein unbewegtes graphisches Bild dreier Pilger unter den Klängen von Lautenmusik Platz für das reale Erscheinen der Figuren, die wiederum schnell in ihre modernen Pendants übergehen. Vergangenheit und Gegenwart mit ihren jeweiligen Medien sind damit sowohl aufeinander bezogen wie voneinander abgesetzt. Die neuerlich einsetzende Erzählerstimme macht dies explizit: Six hundred years have passed, what would they see, Dan Chaucer and his goodly company Today? The hills and valleys are the same, Gone are the forests since the enclosures came. Hedgerows have sprung, the land is under plow, And orchards bloom with blossom on the bough. Sussex and Kent are like a garden fair, But sheep still graze upon the ridges there. The pilgrim's way still winds about the Weald, Through wood and brake and many a fertile field. But though, so little's changed since Chaucer's day, Another kind of pilgrim walks the way. Alas, when on our pilgrimage we went, We modern pilgrims see no journey's end. Gone are the ring of hooves, the creak of wheel, Down in the valley runs our road of steel. No genial host or sinking of the sun Welcomes us in, our journey's just begun.
Vor allem in den Jeanne-d'Arc-Filmen ermöglicht angesichts der mythischheroischen Wucherungen der populären Imagination der (suggerierte) Rückgriff auf historische Dokumente, das Wirklichkeits- und Geltungspotential des Films zu steigern. Das kann dadurch geschehen, dass eine pseudohistorische Schrift auf Pergament (so in Flemings Joan of Arc) oder
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die spätmittelalterliche Handschrift selbst (so am Anfang von Dreyers Passion) gezeigt wird. Es kann auch dadurch geschehen, dass Texte oder Schrifttafeln eingeblendet (Duguay, Rivette) oder der Akt der Niederschrift und die Tätigkeit des Schreibers im Fortgang des Films sichtbar werden: so bei Dreyer und bei Bresson, der »die Gewalt der Schrift [thematisiert], in der sich die Worte verkehren«, den »kumulative [n] Charakter der Schrift, die sich zeitlos, linear und rational in der Logik des Tausches etabliert.«148 Weniger historisch als transhistorisch gibt sich der auch sonst frei mit der Geschichte umgehende Film The Messenger von Luc Besson: Die Frakturlettern, die eingangs den geschichtlichen Kontext referieren, werden abgelöst von einer Landkarte, die von Blut überschwemmt wird, aus dem die relevanten Ortsnamen aufblitzen, Intra- und Extradiegetisches vermischen sich — ein Reflex postmoderner Bemächtigung der Vergangenheit. —
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Carl Theodor Dreyer, La passion de Jeanne d'Arc (1928)
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Allan Dwan, Robin Hood (1922)
In den älteren Filmen haben die in der Handlung begegnenden Schriftstücke eher Spiegelfunktion. Dwans Robin Hood (1922) führt vor, wie der 148
S T E F A N S C H A D L E R : Kommentierte Filmographie, in: Robert Bresson. Mit Beiträgen von Peter Buchka u. a. München, Wien 1978 (Reihe Film 15), S. 95-176, hier 133.
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Film das alte Medium der Schrift, hier das Missive, das durch reitende oder fliegende Boten transportiert wird, mit seinen eigenen Methoden verwandeln kann: Die spätgotische Kursive wird in einer Überblendung zur zeitgenössischen Schreibschrift, zugleich erweckt der Film das, was Chroniken und Lieder festgehalten haben, zu neuem Leben. Dieterles Hunchback (1939) entwirft sogar eine universale medien- und geistesgeschichtliche Wende. Er stellt die von Hugo im fünften Buch des Romans behandelte Rolle des Buchdrucks programmatisch an den Beginn: Die steinerne unbewegliche Schrift der Kathedralen werde abgelöst, so der König, durch die bewegliche und freiheitliche des Buches. Während der Ubergang von der Handschrift zum Druck zwar als Wunder der Technik und wesentliche Bedingung der Demokratisierung erscheint, betrifft die eigentlich epochale Opposition das Verhältnis des Monuments zum Text: massiv, vertikal, religiös, überzeitlich das eine, leicht, horizontal, laikal, aktuell der andere. In Landammann Stauffacher (1941) repräsentieren die Schriftstücke den Kampf um den Macht: auf der einen Seite das trügerische Dokument, das den Eidgenossen ihre Rechte zu verbriefen scheint, auf der anderen ihre eigene Karte, auf der sie die Strategie für die Schlacht am Morgarten planen. Mit der Schrift steht die Macht der Tradition ebenso auf dem Spiel wie die Eigendynamik des Films. Kurosawas Tora no ο wo fumu otokotachi (1945) lässt in einer dramatischen Episode, in der eine Gruppe verkleideter Mönche die gefährliche Grenze zur Nachbarprovinz überschreitet, den Beschützer seines Prinzen, Benkel, aus einer angeblichen Spendenrolle vorlesen. Die Zuschauer sehen, dass diese tatsächlich unbeschrieben ist — die >Beschreibung< erfolgt durch den Film: nicht in Form der Schrift, sondern der Körper, der Gesten, der Stimmen, der Gesänge. Wildes The Sword of Lancelot (1963) kennzeichnet das erotische Begehren, das der Film darzustellen wie zu wecken vermag, als Überschreitung der Schrift. Eine Szene macht den ersten Kuss des ehebrecherischen Liebespaars zum Resultat der klassischen Koppelung von Lesen und Lieben, die sich hier in einem mehrstufigen Prozess vollzieht. Guinevere trifft den auf einem Einzelblatt lesenden Lancelot im Garten — dem klassischen locus amoenus der Liebesliteratur. Auf ihre Nachfrage nennt er Horazens Oden als Gegenstand seiner Lektüre und charakterisiert sie als Anleitung zur Selbstgenügsamkeit. Guinevere, die nicht schreiben oder lesen kann, beklagt, alle Texte seien auf Griechisch oder Latein, nicht aber auf Englisch geschrieben - sie würde gerne »ihrem geliebten Arthur« kleine Liebesbriefe zukommen lassen. Lancelot schreibt ihr die Buchstaben Arno te vor in den Sand und spricht sie auf Englisch aus — für Guinevere ein Liebesbekenntnis, das in den Kuss mündet. Ein mehrdimensionaler Akt der Übertragung: des Altsprachlichen aufs Neusprachliche, des Vergangenen aufs Gegenwärtige,
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des Geschriebenen aufs Gelebte, des Ehemanns auf den Geliebten. Zugleich ein Akt der Verflüchtigung: Das Schriftstück macht den flüchtigen Buchstaben auf Sand, diese dem gesprochenen Wort Platz — das, einmal von ihm, einmal von ihr gesagt, die Umarmung rahmt. Sie, die auch vom Zuschauer ersehnte, erscheint sowohl als Ergebnis der Tradition wie als Abkehr von ihr und die Schriftszene damit im Ganzen als mise en abyme des Umgangs mit der arthurischen Filmtradition, den Wilde (Hauptdarsteller und Regisseur in einem) betreibt. Die bekannten Muster aufgreifend entwickelt er ein Liebesmelodram auf der Grenze zwischen Pathos und Ironie, dessen eigentliche Pointe sich erst am Ende enthüllt: Nach letzten großen Kämpfen, nach dem Tod sowohl des im Weg stehenden Ehemanns (Arthur) wie des intrigierenden Gegenspielers (Mordred) will Lancelot Guinevere aus dem Kloster holen, sie jedoch hat sich entschlossen zu bleiben: Sie argumentiert im Sinne jener Selbstgenügsamkeit, die Lancelot aus Horaz zu lernen hoffte — die Tradition triumphiert schließlich doch, allerdings hindurchgegangen durch einen Erfahrungsprozess, mit dessen Sinnlichkeit The Sivord of hancelot alle seine Vorgänger übertrifft. Überbietung ist auch im Spiel, wenn in Oer Name der Rose die mittelalterliche Welt, hier die einer Benediktinerabtei, authentischer zum Leben erweckt werden soll als in anderen Filmen - und im Buch selbst.149 Annaud will detailliert zeigen und sinnlich erfahrbar machen, was Eco nur evoziert. Besondere Aufmerksamkeit widmet er der Bibliothek, die das geheime Zentrum des Klosters bildet und ihrerseits ein noch geheimeres Zentrum, einen inneren Bereich mit erschwertem Zugang, birgt, der ein weiteres Arkanum enthält, in dem der blinde Bibliothekar Jorge das >Buch der Bücher< hütet, die einzige Kopie jenes Teils der aristotelischen Poetik, der sich mit der Komödie beschäftigt. Bei Eco ist die Bewegung der Protagonisten durch das Labyrinth der Bibliothek eine Weltreise: Aufstellung der Bücher und Zentralbuchstaben der verschiedenen Räume führen bis an die Grenzen der Welt (finis Africae). Annaud hingegen entwirft eine Seelenreise, die die Protagonisten mit ihren Wünschen und Ängsten konfrontiert. William, begeistert über die wunderbaren Bücherfunde, stößt auf Apokalypsehandschriften — ein Spiegel des Horizonts, vor dem sich die Geschehnisse in der Abtei situieren. Adson, staunend dem Meister folgend, ist fasziniert von den Miniaturen medizinischer Handschriften, die nackte Frauen darstellen - ein Spiegel seiner eigenen erwachten Sexualität. Gefangen von der Initiation, die er erlebt und die ihm, wie die sexuelle Initiation kurz zuvor, ein nächtlich-traumhaftes Eintauchen ins Unbe-
149
Vgl. H A N S D. B A U M A N N , A R M A N S A H I H I : Der Film: Der Name der Rose. Eine Dokumentation. Weinheim, Basel 1986; R O B E R T T A U S S A T : Le nom de la rose de Jean-Jacques Annaud, in: Le Moyen Age (Anm. 1), S. 261-274.
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kannte beschert, wird ihm der Mikrokosmos, der zugleich Makrokosmos ist, zur Begegnung mit dem eigenen Selbst und dessen Abgründen. Er verliert William aus den Augen, hört nur noch dessen Stimme. Oben und unten, rechts und links geraten durcheinander. Es kommt zu einer Dissoziation, die Beklemmung erzeugt. Adson liest, während er wie in Trance umherwandert, aus einer Handschrift vor: einer Handschrift über die Liebeskrankheit, deren verwandelnde Kraft mit anderen Transformationen wie der Lykantrophie verglichen wird. Just an der Stelle angelangt, an der von einem nachts auf Friedhöfen vagierenden Wesen die Rede ist, erschrickt er vor einer undeutlichen Gestalt in der Ferne: William. Und er erschrickt ein zweites Mal angesichts einer fremden Gestalt: er selbst in einem Zerrspiegel — hinter dem sich der Zugang zu Jorges geheimstem Bereich verbirgt. Der Film ruft hervor, worin immer schon seine besondere Macht bestand: Unheimlichkeit. Gleichzeitig verweist er gerade im Innersten seiner Welt auf deren Urheber: Adson und William werfen einen Blick auf den berühmten Apokalypsekommentar des Beatus de Liebana »mit den Anmerkungen des Umberto da Bologna«. 150 Die mise en abyme der Geschichte im Arkanum der Bibliothek spielt also auch im Film eine Rolle. Doch sie findet dort eine eigene Form. Indem das Labyrinth sich nicht nur in der Ebene, sondern in der Höhe erstreckt, bringt der Film genau das ins Spiel, was die Differenz zum literarischen Text ausmacht: eine spezifisch visuelle Raumzeitlichkeit. Das Stockwerk der Bibliothek ist in Anlehnung an Bilder Piranesis und Eschers gestaltet: ein kalkulierter Anachronismus, der die innere Paradoxalität der Konstruktion und die sich nicht im Historistischen erschöpfende Imaginationskraft des Films zum Ausdruck bringt. Sie ist es, die am Ende über den Untergang der Bibliothek triumphiert: Die einzige irdische Liebe seines Lebens zurücklassend schafft sich der junge Mönch, was noch im Alter seinem Gedächtnis und seinen Träumen ungebrochen präsent ist — das Bild der Geliebten. Büchermensch und Augenmensch fallen in eins: Neben der Weisheit übernimmt Adson von William auch dessen Augengläser. Während seine letzten Worte zu hören sind, entfernt sich die Kamera von den ihren Weg ziehenden Reitern und eröffnet ein weites Panorama von Hügeln und Tälern. Sie kehrt in die Vogelschau zurück, die unsere Distanz zur Vergangenheit kennzeichnet und die doch der monumentale Film immer schon mit Nähe kombinieren muss. Ihm ist zu eigen, sowohl im Ganzen mehr sichtbar wie im Einzelnen mehr erlebbar zu machen als andere Medien, zugleich aber die Spannung zwi15° Beato de Liebana. Miniature del Beato de Fernando I y Sancha (Codice B. N. Madrid Vit. 14-2), testo e commenti alle tavole di UMBERTO ECO. Introduzione e note bibliografiche di LUIS VÄZQUEZ DE PARGA IGLESIAS. Parma, Mailand 1973 (I segni dell'uomo 13).
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CHRISTIAN KIENING
sehen dem Ensemble und dem Detail im narrativen Prozess zu kaschieren. Sein Funktionieren beruht auf der Illusion, dass beides möglich sei - eine Illusion, auf die bezogen das nachklassische Hollywood-Kino wie der Autorenfilm ihre eigenen spezifischen Effekte erzeugen. Was den amerikanischen, den europäischen und den asiatischen Mittelalterfilm verbindet, ist ihre Konstruktion einer Zwischenzeit, die zwar feste Codes, Institutionen und Strukturen besitzt, diese aber in der Dynamik des historischen Prozesses zugleich in Frage gestellt sieht. Das markiert den Unterschied zu anderen Epochen: der Antike, die mit Fragen politischer Hegemonie und religiöser Neubegründung verbunden ist, dem 18. Jahrhundert, an das sich eine bis in die Gegenwart hinein wirksame staatliche Neuordnung Europas knüpft, dem 19., das für die folgenreiche Entfaltung der bürgerlichen Innenwelt steht. Das Mittelalter ist demgegenüber, anders als es manchmal die moderne Filmkritik will, keine monolithische Ära des mächtigen Gottesgnadentums, des hehren Feudalismus, der religiösen Einheitlichkeit. Die Herrscher müssen oft genug um ihre Legitimität kämpfen, die feudaladligen Praktiken stehen an der Grenze zur Eskalation und zum Scheitern, die Religion wird durch Häretiker von innen und Gegner von außen bedroht. Nicht selten ist das Mittelalter eine Krisenzeit: in den Artusfilmen, den Robin-Hood-Filmen und den Jeanned'Arc-Filmen ebenso wie in den düsteren Entwürfen der Zeit der Kreuzzüge, des Hundertjährigen Krieges oder der Pest. Die Krisen bestehen jeweils aufs Neue aus der Spannung zwischen den alten Ordnungen, aus denen sie erwachsen, und den neuen Horizonten, in denen sie sich noch nicht vollständig aufheben. Das gibt der Zeit ihre charakteristische Agonalität und Exemplarizität: Aushandlungsfeld sozialer, politischer und religiöser Paradigmen, begründet das Mittelalter zugleich die Narrative, aus denen sich die Behandlung dieser Paradigmen noch in der Moderne speist. Da ist das Narrativ von Auszug und Rückkehr: Es erlaubt die Engführung von Welterkundung und Selbsterkundung. Das Narrativ von Kampf und Bewährung: Es unterstützt die Heroisierung der Protagonisten. Das Narrativ von Hingabe und Leiden: Es ermöglicht Uberblendungen von Transzendenz und Immanenz. Das Narrativ von Treue und Verrat: Es dient der Unterscheidung von Gruppen und der Bestätigung von Werten. Das Narrativ von Sinnlichkeit und Gegenwärtigkeit: Es überführt das Präsenzdenken der Vergangenheit in Präsenzeffekte der Gegenwart. Das Eigentümliche des Mittelalterfilms ergibt sich von daher, ungeachtet aller Differenzen der Traditionen und Filme, zumindest in dreifacher Hinsicht. Zum einen aus den verwendeten Plots: Die mittelalterlichen (oder dem Mittelalter zugeschriebenen) Stoffe von Heldentum und Liebe, Gewalt und Heiligkeit, Ursprung und Legitimität eignen sich mehr als diejenigen anderer Zeiten dazu, Vergangenheitsnostalgie und Zukunftsorien-
1. Mittelalter im Film
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tierung, Distanz und Nähe, Aktion und Reflexion zu vereinen. Zum andern aus den dargestellten Körpern: Agonal handelnd setzen sie die Codes, denen sie folgen, immer wieder aufs Spiel und bringen damit ein Stück vormoderner Logik zur Geltung. Beschirmt und fraglich in einem unterscheiden sie sich ebenso von den spärlich bekleideten, muskulösen Körpern der Antike wie von den zwar sinnlichen, aber durch Puder und Schminke, Perücke und Kleiderschichten gleichzeitig in die Etikette gezwungenen und in der Libertinage freigesetzten des 18. und den bereits ihren Neurosen und Leidenschaften preisgegebenen des 19. Jahrhunderts. Zum dritten aus den ausgestellten Zeichen: Als isolierte mit Bedeutsamkeit aufgeladen transportieren sie im jeweiligen Sinn immer auch eine spezifische Sinnlichkeit, mit der der Anspruch auf Authentizität und die Möglichkeit der Vergegenwärtigung zur Diskussion stehen. Sowenig >authentisch< die Filme auch oft scheinen, sosehr ist in ihnen doch das Problem greifbar, die Nicht-Identität zwischen vormodernen und (post)modernen Präsenzkulturen in einen seinerseits produktiven kulturellen Prozess zu verwandeln.
Historisch-mythische Heroen
II. Robin Hood von HEINRICH ADOLF
/. Mythische Biographie als Typologie Der Film ist ein Medium von außerordentlicher mythopoetischer Energie. Sie erweist sich dort als besonders produktiv, wo es darum geht, bereits bestehende, von anderen Medien tradierte Mythen weiterzuerzählen. Indem der Film ihnen einen »imaginären Bildraum« 1 zur Verfügung stellt, vermag er ihr ikonographisches, allegorisches und metaphorisches Potential in umfassender Anschaulichkeit zur Geltung zu bringen. Aufgrund seiner audiovisuellen und ästhetischen Gestaltungsmöglichkeiten vermag er den mythischen Gehalt von Stoffen und Geschichten, Epochen und Figuren zu erschließen und zu nutzen. Für den Wilden Westen mit seinen Revolverhelden, Banditen, Gesetzeshütern und weiten Landschaften gilt das ebenso wie für die oft in düsteren Farben gemalten Zukunftsszenarien mit ihren Endzeitstimmungen und Zerstörungsorgien, ihren neognostischen Archonten und Erlöserfiguren. Auch für die Antike im strahlenden Glanz ihrer Blütezeit oder in Zeiten ihres heroischen Niedergangs trifft dies zu. Vor allem aber ist es das Mittelalter, dessen mythische Aura sich im Film in voller Intensität entfalten kann, sei es in farbenprächtigem Technicolor, sei es in holzschnittartigem Schwarzweiß. Diesen kinematographischen Entfaltungsraum füllt ein Ensemble immer wiederkehrender Stoffe. Neben der Artusgeschichte ist es vor allem das Leben der Jeanne d'Arc, auf das Drehbuchautoren, Regisseure und Produzenten gerne zurückgegriffen haben. Kein mittelalterlicher Stoff jedoch wurde so häufig verfilmt wie der des Rebellen aus den grünen Wäldern Mittelenglands, was wohl nicht zuletzt daran liegt, dass er bereits ein traditioneller Gegenstand der Populärkultur war und somit prädestiniert, von dessen primärem Medium, dem Film, genutzt zu werden.
HANS-THIES: Die Raumfabrik. Mythos im Kino und Kinomythos, in: KARL HEINZ BOHRER (Hg.): Mythos und Moderne. Begriff und Bild einer Rekonstruktion. Frankfurt/M. 1983, S. 572-609, hier 573.
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HEINRICH ADOLF
Ingesamt entstanden in den letzten hundert Jahren mehr als sechzig Filme und Fernsehserien über Robin Hood. 2 Bereits die literarische Vorarbeit am Robin-Hood-Mythos aber war nicht minder produktiv. Als sich das Kino für den sagenhaften Helden aus dem Sherwood Forest zu interessieren begann (allein sechs Filme stammen aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg), verfügte dieser bereits über eine umfängliche »mythische Biographie«. 3 Seit mehr als 600 Jahren schildern Verserzählungen, Balladen, Lieder, Theaterstücke, Singspiele und Romane Episoden aus dem Leben Robin Hoods. Sie alle sind Produkt einer intensiven »Arbeit am Mythos« 4 , die sich im Erzählen vollzieht. 5 Sie zeigen, dass >der Mythos< nicht einfach eine »parasitäre leere Form« 6 darstellt, die Stoffe und Erzählungen infiziert und umkodiert. Vielmehr manifestiert sich hier exemplarisch, dass Mythen immer schon >in Arbeit< sind, der Anfang einer solchen Arbeit aber sich der Feststellbarkeit entzieht. Die Arbeit am Mythos konkretisiert sich in der unhintergehbaren Prozessualität des Wieder-Erzählens von Geschichten, und zwar solchen, die einer fortlaufenden Veränderung unterliegen, gleichwohl über einen soliden »narrativen Kern« 7 verfügen, der sich über alle Variationen hinweg durchhält. Die Variationen betreffen den Protagonisten und die Figurenkonstellation, Umfang und Form der Erzählung, außerdem die verwendeten Motive: neue werden hinzufügt, alte fallengelassen, frühere reaktiviert. Die frühesten literarischen Zeugnisse von Robin Hood sind Sprichwörter, Ortsnamen und Hinweise - Reflexe einer langen, obschon kaum rekonstruierbaren mündlichen Überlieferung. 8 Die erste Erwähnung Robin Hoods findet sich in William Langlands satirischer Verserzählung Piers 2
3 4 5
mythos< ursprünglich nur >Wort< bedeutete (als das Homerische Äquivalent zu >logosnarrativen< Form annahm.« ROLAND BARTHES: Mythen des Alltags. Frankfurt/M. 1980, S. 96. Vgl. BLUMENBERG (Anm. 4), S. 40: »Mythen sind Geschichten von hochgradiger Beständigkeit ihres narrativen Kerns und ebenso ausgeprägter marginaler Variationsfähigkeit.« GRAHAM SEAL: The Outlaw Legend. A Cultural Tradition in Britain, America and Australia. Cambridge 1996, S. 23, vermutet, dass den frühen überlieferten Balladen bereits eine reiche mündliche Tradition vorangegangen sei.
II. Robin Hood
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Vlowman (1377), wo von »Versen über Robin Hood« (rymes ofRobjn hood)9 die Rede ist. Texte in Balladenform, in denen Robin zum Thema wird, tauchen im 15. Jahrhundert auf. Die erste umfangreichere Erzählung, die das Leben des Helden schildert, ist die Balladensammlung The Gest oJRnbyn Hode.w Entstanden zwischen 1400-1450, aber an frühere Balladen anknüpfend, markiert sie den eigentlichen Anfang einer literarischen Tradition, die die mythische Biographie Robin Hoods bis heute fortgeschrieben hat — in Form von Erzählungen, Theaterstücken und Romanen. Von einer mythischen Biographie zu sprechen ist sinnvoll, weil es um einen Typus geht, der zwar nicht in idealer Reinheit hervortritt, aber in Varianten greifbar wird, die in bestimmten Zeitabschnitten jeweils Leitfunktion übernahmen. 11 Erkennbar werden vier Phasen, in denen eine je andere Arbeit am Mythos zum Ausdruck kommt, geprägt von den historischen Produktions- und Rezeptionshorizonten, in deren Umkreis sie sich vollzog. Dass diese Arbeit dem Helden einen typischen Lebensentwurf verschaffte, weist ihr Verfahren als biographisch aus — wobei trotz Lösung vom historischen Vorbild der Anspruch auf Historizität immer fortbestand bzw. sich unter den jeweiligen Umständen immer wieder erneuerte. 12 Den verbindenden typologischen Umriss des Robin-Hood-Mythos bildet das Motiv des »edlen Räubers« oder des »guten Gesetzlosen« (goode outlam)n. l)
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11
12
William Langland: The Vision according to Piers Plowman. The Β Version, hg. von GEORGE K A N E , Ε. TALBOT DONALDSON. London 1975, S. 331:1 kan noght parfitly my Paternoster as the freest it syngeth. But kan rymes of Vdbyn bood an Randolf Erl of Chestre. (Str. 5,394f.: »Ich kann mein Vaterunser nicht so perfekt aufsagen wie der Priester, dafür jedoch weiß ich Verse über Robin Hood und Randolph, Graf von Chester«). Vgl. STEPHAN KNIGIIT, THOMAS OHLGREN (Hg.): R o b i n H o o d and O t h e r Out-
law Tales. Kalamazoo, Mich. 1997. Zu den Problemen der Mythosdefinition: CHRISTOPH JAMME: >Gott an hat ein Gewandin Geschichten< umzusetzen vermag, dürfte nicht zuletzt seine anhaltende Popularität und Faszination ausmachen. Vom klassifikatorischen Standpunkt aus betrachtet, lässt er sich daher unter die »kontrapräsentischen« Mythen einreihen: In ihnen wendet sich der Held gegen aktuelle ungerechte Verhältnisse und steht für gerechte ein, die er in einer als positiv(er) empfundenen (utopischen) Vergangenheit zu finden glaubt. 14 Diese Funktion wird in den Bearbeitungen der jeweiligen Epoche variiert. S T E P H A N K N I G H T , der das Konzept der mythischen Biographie als deskriptiver Rahmen zu einer historischen Analyse des RobinHood-Mythos entwickelt hat, konnte, von den frühen Verserzählungen bis zu den jüngsten filmischen Adaption, vier typologische Hauptvarianten {archetypal Robin Hoods) identifizieren. 15 Die ersten drei entstammen der literarischen Tradition und haben die Vorarbeit geleistet für die filmische Weiterarbeit am Mythos des guten Gesetzlosen: der >verwegene freie Bauer< (boldyeoman), der >in Ungnade gefallene Graf< {distressed Lord bzw. Earl), der naturverbundene >Landedelmann< {rural gentleman) bzw. >Gutsbesitzer< {esquire) — sie treten in je unterschiedlicher historischer Gewandung auf.
2. Typologische Varianten der literarischen Vorarbeit am Mythos 2.1. Der verwegene Held Die Figur Robin Hoods repräsentiert zunächst einen Sozialrebellen nichtadeliger Herkunft. Er gehört zur Schicht der so genannten Yeoman, was
14
15
NARDY: Der Mythos vom >edlen< Räuber. Untersuchungen narrativer Tendenzen und Bearbeitungs formen bei den Legenden der vier Räuberfiguren Robin Hood, Schinderhannes, Jesse James und Ned Kelly. Saarbrücken 1997; SliAI. (Anm. 8). JAN ASSMANN: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München 5 2005, S. 78ff. hat den Begriff des »kontrapräsentischen« λίythos geprägt, den er dynamisch im Sinne einer »Mythomotorik« fasst. Für ASSMANN waltet im >Kontrapräsentischen< der Bezug eher auf eine utopische denn historische Vergangenheit. Wenn der Mythos von Robin Hood die Wiedereinsetzung des einstigen Königs oder die Wiedererlangung seiner früheren Reputation (als Adeliger) zum Ziel hat, so geht es dabei um ein Ideal, das, eben weil uneinlösbar (scheinend), in einen Mythos projiziert wurde. KNIGHT ( A n m . 3).
II. Robin Hood
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oftmals mit >Freisasse< übersetzt wird. 16 Grob gesagt, versteht man darunter einen freien Bauern, genauer, einen Mann niederen so2ialen Rangs, der frei und kein Leibeigner ist, etwas Land besitzt und über handwerkliche Fähigkeiten in einem bestimmten Bereich verfügt, sich jedoch von den zu Pferde kämpfenden Adeligen mit umfangreichem Gutsbesitz unterscheidet. Es ist diese soziale Klasse des mittelalterlichen Englands, die den historischen Horizont für die typologische Variante des >verwegenen< (bold) Robin Hood bildet. Er ist ein exzellenter Bogenschütze, der eine kleine Gruppe tapferer Männer anfuhrt: Little John, Will Scarlett und Friar Tuck — der innere Kreis der Outiaw-Bande. Ihr Widerstand gilt dem korrupten Klerus und dem Sheriff, dem Vertreter des Königs in der Grafschaft. Dem König selbst gegenüber ist Robin loyal. Er verehrt die Jungfrau Maria, wohnt im Wald und feiert Feste. Verkleidet überlistet er seine Feinde, rettet Gefangene und übersteht Gefahren in Stadt und Burg. Die >soziale Verantwortung< dieses Robin-Hood-Typus ist noch eng gesteckt. Zwar bestiehlt er die Reichen, verteilt die Beute aber nicht an Bedürftige, sondern sorgt im wesentlichen für seine eigenen Leute. In ihm steckt auch ein erhebliches Maß an Brutalität. Als Wilderer und Straßenräuber scheut er weder vor Mord noch vor Quälerei seiner Opfer zurück. 17 Dieser Typus, in den Frühlings- und Maispielen, den so genannten Play-games 18 , sowie in Balladen, etwa den erwähnten Gest of Robjn Hode, greifbar, bleibt nicht auf das 15. Jahrhundert beschränkt. Er lebt in einer bestimmten Form der literarischen Überlieferung bis ins 18. Jahrhundert weiter. 19
2.2. Der in Ungnade gefallene
Adelige
War der frühe Robin Hood ein Mann aus dem einfachen Volk, so ist der des 16. und 17. Jahrhunderts ein Adeliger. Er figuriert als in Ungnade gefallener Graf (earle), der nicht aus eigenem Entschluss, sondern aufgrund von Intrigen zum Verbrecher geworden ist. Anders als für seinen Vorgän-
16
Vgl. Robin and the Potter. »Roben Hood was the yemans name« (Str. 3,9), in: KNIGHT/OHLGREN ( A n m . 10), S. 5 7 - 7 9 , hier 62; vgl. a u c h RICHARD ALMAND, A .
17
18
19
J. POLLARD: The Yeomanry of Robin Hood and Social Terminologie in FifteenthCentury England, in: Past and Present 170 (2001), S. 52-77. JOHN ABERTH: A Knight at the Movies. Medieval History on Film. New York 2003, S. 157f. V g l . KNIGHT ( A n m . 3), S. 8 - 1 3 ; WILLIAM E . SIMEONE: T h e M a y G a m e s a n d t h e
Robin Hood Legend, in: Journal of American Folklore 64 (1951), S. 265-274. Die Robin-Hood Balladen wurden im 16. und 17. Jahrhundert in Form von Broad-
sides (Flugblättern) gedruckt und in so genannten Garlands zusammengefasst.
110
HEINRICH ADOLF
ger ist der Wald nicht sein genuines Milieu, 20 sondern das Exil, in das er sich begeben hat und in dem er so lange bleiben muss, bis seine Reputation wiederhergestellt ist. Ebenso ist die Zahl seiner Männer angewachsen. Die sprichwörtlich gewordene Losung, die Reichen zu bestehlen und die Armen zu beschenken {steal from the ήώ and give to the poor), erscheint erstmals bei diesem Typus. 21 Auch die Komplettierung des Outlaw-Ensembles durch eine Frau, die Figur der Marian, steht in Zusammenhang mit der Nobilitierung Robin Hoods. 22 Gegenüber dem verwegenen Typus tritt bei diesem Robin Hood alias Earl of Huntington die sozialrebellische Komponente zurück; allein einer ungerechten und korrumpierten Ordnung gilt sein Widerstand, nicht Ordnungen und Autoritäten schlechthin. Auch fehlt ihm die Verwegenheit und Aktivität seines Vorgängers. Der gefallene Graf< ist weitaus passiver als der wilde Yeoman. Prototypisch dafür sind Anthony Mundanes Stücke The Downfall of Robert, Earle of Huntington (1598), The Death of Robert, Barle of Huntington (1601) und Martin Parkers Ballade True Tales of Robin Hood.23
2.3. Der englische
handedelmann
Das 18. und das 19. Jahrhundert schufen ihren eigenen Robin Hood, indem sie ihm die Züge eines englischen Landedelmanns {esquire) der Epoche verliehen. Obwohl dieser Typus auf den des nobilitierten Gesetzlosen zurückgreift, kennzeichnen ihn auch Eigenschaften der frühen Tradition. Die Synthese des verwegenen und vitalen Freisassen mit dem würdevollen, 20
2·
22
23
Der >verwegene< Robin Hood in den Gest kehrt dem Hof, an den ihn der König geholt hatte, nach einer Zeit den Rücken und geht in den Wald zurück; vgl. Α Gest ofRobyn Hode, Str. 8, 1173-1176, in: KNIGHT/OHLGREN ( A n m . 10), S. 146. Vgl. KNIGHT (Anm. 3), S. 66. Laut ABERTH ( A n m . 17), S. 159-163, finden sich für
das Mittelalter selbst keine sachlichen Gründe dafür, dass Robin speziell den >Armen< zugetan war. Die Jungfrau Maria bildet für die frühe Robin-Hood-Tradition die zentrale Frauenfigur. Die Figur der Marian wird dem Helden seit dem späten 16. Jahrhundert an die Seite gestellt (KNIGIIT, S. 58-62) und im 19. zur Protagonistin (Thomas Love Peacock: Maid Marian, hg. von GEORGE SAINTSBURY. London 1895, Repr. 1959). Erst im Film jedoch wird sie zur festen Begleiterin Robins und die Beziehung zwischen beiden zum erotischen Moment des Stoffs; SHERRON LUX: And the >Reel< Maid Marian, in: THOMAS HAHN (Hg.): Robin Hood in Popular Culture. Violence, Transgression, and Justice. Cambridge 2000, S. 151-160. Anthony Munday: The Downfall of Robert, Earle of Huntington, und ders.: The Death of Robin Hood, Earle of Huntington, in: KNIGHT/OHLGREN (Anm. 10), S. 303-401 und S. 402-441; Martin Parker: The True Tales of Robin Hood, in: The English and Scottish Popular Ballads, hg. von FRANCIS J. CHILD, Bd. 3. New York 1977, S. 2 2 7 - 2 3 3 .
II. Robin Hood
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aber passiven Grafen geht auf Joseph Ritson zurück.24 Ritson, ein Anhänger der französischen Revolution, stilisiert Robin Hood zum »ideellen Führer einer revolutionären Volksbewegung«. 25 Obgleich selbst ein Adeliger, tritt er für die Rechte des gemeinen Volkes [common people) ein. John Keats und Walter Scott übernehmen diesen Typus und entwickeln ihn weiter. Als ein Bandit, der eher durch Vornehmheit besticht als durch Raubzüge von sich reden macht, dient er nunmehr als symbolisches Vehikel für zeitgenössische Ideale wie nationale Identität, männliche Stärke und Natürlichkeit sowie als Sprachrohr romantischer Zivilisationskritik. Insbesondere Keats funktionierte den Gesetzlosen zu einem Kritiker des unorganischen und entfremdeten Charakters der >modernen< Gesellschaft um. Scott wiederum verleiht der Naturverbundenheit dieses romantisierten Robin Hood einen historisch-politischen Rahmen: der quasi-historische Konflikt zwischen Angelsachsen und Normannen (Ivanhoe, 1819). Robin Hood alias Locksley — bei Scott zumindest nominell wieder zum Yeoman geworden — organisiert zusammen mit Ivanhoe den angelsächsischen Widerstand gegen die von Prinz John angeführten normannischen Unterdrücker; zudem tritt er für die Rechte des legitimen, wenngleich normannischen Königs Richard ein. Den politischen Subtext dieses Antagonismus bilden die nur wenige Jahre zurückliegenden Napoleonischen Kriege, in denen sich England und Frankreich als Opponenten gegenüberstanden. Scotts Robin in der Rolle eines »patriotischen Volkshelden« 26 zeichnet sich durch militärische Führungsqualitäten aus, z. B. durch seine aktive Rolle beim Sturm auf die Festung der Usurpatoren, die sich gegen den König verschworen haben. Macht ihn dies zu einem königstreuen Untertanen, so bleibt er andererseits doch der nicht integrierbare Gesetzlose, der sich der Ordnung, zu deren Wiederherstellung er selbst beigetragen hat, am Ende wieder entzieht. Gleich seinem Vorgänger aus dem 15. Jahrhundert kehrt auch er in sein eigenes Königreich, den Wald, zurück. Neben Führungsqualitäten, Patriotismus, Naturverbundenheit und jugendlicher Vitalität, ist es der Status eines Familienoberhauptes, der, insbesondere im Kontext der Viktorianischen Epoche, das Bild dieses Typus schließlich abrundet. 24
Joseph Ritson veröffentlichte 1795 seine zweibändige Anthologie über Robin Hood. Sie enthält alle bis dahin bekannten Texte über den Gesetzlosen aus dem Sherwood Forest und diente lange Zeit als Quelle für spätere Adaptionen des Stoffs: Robin Hood. A Collection of All the Ancient Poems: Songs and Ballads Now Extant Relative to that Celebrated Outlaw. To Which Are Prefixed Historical A n e c d o t e s o f h i s L i f e , h g . v o n JOSEPH RITSON, 2 B d e . L o n d o n
21832,
Repr.
1972. Die von Ritson als Historical Anecdotes of his Ufe betitelte und beigefugte Lebensbeschreibung des guten Gesetzlosen gibt sein spezifisches Robin-Hood-Bild wieder. 25 26
LEONARDY ( A n m . 13), S. 3 9 ; KNIGHT ( A n m . 3), S. 98. LEONARDY ( A n m . 13), S. 4 1 .
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3. Filmische Weiterarbeit am Robin Hood-Mythos 3.1 Arbeit am Mythos unter veränderten medialen Bedingungen Im >verwegenen< Robin Hood, im gefallenen Grafen< und im >Landedelmann< präsentieren sich KNIGHTS Untersuchung zufolge jene drei typologischen Varianten des guten Gesetzlosen, die die literarische Arbeit am Mythos vom 14. bis zum 19. Jahrhundert hervorgebracht hat. Als drei, bei aller chronologischen Überlappung, unterschiedliche >zeittypische Biographien des mythischen Helden spiegeln sie zeitgenössische Rezeptions- und Produktionsbedingungen: Die Mischung aus Verbrecher und Sozialrebell rekurriert auf Gegebenheiten einer nicht-adeligen-bäuerlichen Gesellschaft. Der Adelige reflektiert Werte und Vorstellungen ständischen Denkens. Der englische Landedelmann, in teils revolutionärer, teils nationalistischer Aufladung oder romantischer Verklärung, bringt Momente des geistigideologischen Horizonts des 19. Jahrhunderts zur Geltung. Auch der Film hält sich in diesen Bahnen, wenn er gegenwärtige Interessen in den Mythos des guten Gesetzlosen hineinträgt, ihn als narratives Transportmittel von zeitgenössischen Haltungen, Werten und Ideologien oder als anachronistische Bühne zur Darstellung aktueller Probleme nützt. Immer jedoch bleibt die Rückbindung an die literarische Tradition erhalten, indem der Film sich an den in ihr entwickelten Typen orientiert, narrative Muster aufgreift, Motive übernimmt. Zugleich bewirkt die Verlagerung ins andere Medium eine Veränderung der Arbeit am Mythos. Im Hollywoodkino findet sie ihren stärksten Ausdruck. Im Film erhält Robin Hood erstmals ein Gesicht, einen Körper sowie — seit dem Tonfilm - auch eine Stimme. Hinzukommt, dass uns in dem auf der Leinwand oder dem Bildschirm erscheinenden Gesetzlosen eine in Bewegung versetzte Figur begegnet, konkret in der Regel: ein Action-Held, der überdies ikonische Verdichtung erfährt.27 Schauspieler-Persönlichkeiten, denen es gelang, Leitbilder für die Darstellungen des Helden zu kreieren, wurden zu Filmikonen: Douglas Fairbanks und Errol Flynn, Sean Connery und Kevin Costner.28
Vgl. JEFFREY RICHARDS: Swordsmen of the Screen. From Douglas Fairbanks to Michael York. London 1977, Kap. 8. Auch wenn Theater und Singspiel dem Helden Gesicht, Körper und Stimme geben, kommt es bei ihnen doch nicht zu einer >überzeitlichen< ikonischen Verdichtung wie im Film. Auch kann der Film die körperliche Dynamik intensivieren und ein bestimmtes Gesicht als prototypische Ikone des Helden fixieren. Gemeinsamkeiten mit den frühen Balladen ergeben sich allerdings »by cut, montage, change of focus, by suggestive dialogue rather than novel-like elaboration«; KNIGHT ( A n m . 3), S. 1 5 1 f .
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Die medialen Bedingungen und Möglichkeiten, wie sie spezifisch der Film für die Heroisierung bereitstellt, kommen ferner dadurch zum Ausdruck, dass der Held nicht im Vorstellungsraum des Lesers oder Zuhörers oder in den Kulissen eines Bühnenraumes >Gestalt< annimmt, sondern in die Homogenität eines virtuellen Bildraums eingeht. Er ist von vornherein integrales Moment des Bedeutungszusammenhanges, in dem er agiert: eines historisierten Mittelalters. Zugleich resultiert die mythische Aura, die ihn umgibt, aus der Distanz zum historisierenden Bezugsrahmen. Eben diese Dialektik zwischen einerseits der Situierung der mythischen Gestalt als Individuum in einem historischen Szenario und andererseits der Distanzierung und Entfremdung der mythischen Gestalt zugunsten eines überhistorischen, typischen Charakters kennzeichnet die filmische Weiterarbeit am Mythos. Und eben diese Spannung zwischen historischer Individuation und mythischer Typisierung vermag der Film in anderer Weise zu erzeugen als das Theater, das von Anfang an eine viel größere Distanz zum Historischen wahrt, wiederum aber die Distanzierung des Helden von seiner historischen Situierung, die ihn überhaupt zu einer mythischen Gestalt werden lässt, weit weniger prägnant zum Ausdruck zu bringen vermag. Besonders was die mythische Biographie des Helden betrifft, unterscheidet sich die filmische Weiterarbeit am Robin-Hood-Mythos auch erheblich von der literarischen Vorarbeit. Ursache dafür sind wohl die veränderten Rezeptionsbedingungen, unter denen er sich, über den Atlantik nach Hollywood emigriert, wiederfindet. Dieser »Robin Hood of Hollywood« 29 strahlt maskulinen, jugendlichen Elan aus. Er befindet sich vernetzt in familiären Beziehungen. Seine traditionell heterosexuelle Ausrichtung ist gelegentlich von (latent) homosexuellen Zügen durchwirkt. Ins Zentrum rücken (zeit)politische Aufladungen und Entwürfe des Prozesses, in dem der Held zum Mythos wird. Das soll an prototypischen Beispielen verfolgt werden: dem Stummfilmklassiker von Dwan/Fairbanks (Robin Hood, 1922), dem Färb- und Tonfilmklassiker von Curtiz/Keighley (The Adventures of Robin Hood, 1938; Hauptrolle: Errol Flynn), der mythischen Dekonstruktion von Lester (Robin and Marian, 1976), den beiden Neubegründungen von Reynolds (Robin Hood: Prince of Thieves, 1991; Hauptrolle: Kevin Costner) und Irvin (Robin Hood, 1991; mit Uma Thurman als Marian) sowie der Komödie von Mel Brooks (Robin Hood: Men in Tights, 1993).
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KNIGHT ( A n m . 3), K a p . 4.
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3.2. Entstehung des mythischen Helden aus einer beschädigten Figur Sowenig die filmische Weiterarbeit am Mythos in der angedeuteten Hinsicht eine prägnante eigene typologische Variante ausbildet, sosehr nutzt sie die im Lauf der Zeit von der literarischen Tradition entwickelten, wobei sie jeweils einem Leitbild folgt, zumeist dem aristokratischen Typus — in Form des gefallenen Grafen oder des Landedelmannes. Damit einher geht ein mal größerer, mal kleinerer Abstand zur literarischen Arbeit am Mythos. The Adventures of Robin Hood beispielsweise, der Film, der nach allgemeiner Einschätzung den Robin-Hood-Film schlechthin repräsentiert, lässt paradoxerweise die Weiterarbeit am Mythos weniger zur Geltung kommen als andere Filme. Denn in seiner ebenso virtuosen Inszenierung wie geradlinigen narrativen Struktur 30 stellt er eine geradezu mustergültige >Literaturverfilmung< dar, die eine zum Idealtypus auskristallisierte Erzählung formt und verdichtet ins Bild setzt. Auch dass Curtiz' Film nicht die Entwicklung des Helden zur mythischen Gestalt darstellt, sondern den Zuschauer mit einem von Anfang an fertigen konfrontiert, zeigt, wie sehr er der literarischen Arbeit am RobinHood-Mythos verpflichtet ist und wie wenig der filmspezifischen. Hingegen begegnet in Filmen, an denen genau diese filmische Weiterarbeit am Mythos greifbar wird, der Protagonist nicht von vornherein als strahlender Heros in mythischer Aura, sondern als vermeintlich historische Figur mit durchaus individuellen Zügen, aus der erst noch eine mythische Gestalt werden muss. Den Ausgangspunkt der Figur bildet hier eine Schwellensituation. Die Figur ist eine, die in einer Krise steckt oder eine hinter sich hat. Sie ist desillusioniert, findet sich in der einst vertrauten Welt nicht mehr zurecht, steht an einem Wendepunkt ihres Lebens. Mit anderen Worten: derjenige, aus dem die Robin-Hood-Gestalt werden soll, ist zunächst eine beschädigte Figur — so schon in den Vorläufern von The Adventures of Robin Hood aus den zwanziger Jahren.
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Vgl. den Brief des Drehbuchautors Norman Reilly Raine vom 23. September 1937 an den Produzenten Hal B. Wallis. Raine wendet sich darin gegen die Absicht des ursprünglichen Regisseurs William Keighley - er wurde später durch Curtiz ersetzt aus The Adventures of Robin Hood einen Ritterfilm mit Turnier etc. zu machen und plädiert statt dessen entschieden dafür, sich auf den eigentlichen Robin-Hood-Plot zu konzentrieren und ihn entsprechend straff zu erzählen; vgl. RUDY BEHLMER (Hg.): Inside Warner Bros. (1935-1951). The Batdes, the Brainstorms, and the Bickering - from the Fildes of Hollywood's Greatest Studio. New York 1985, S. 47: »Story can told more effectively >and entertainingly< [...] what we set out to tell was the story of Robin Hood [...] the swashbuckling, reckless, rakehell type of character who, >by his personal adventures< has endeared himself to generations.«
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Den Kontext, innerhalb dessen sich die mythische Transformation vollzieht, bildet eine narrative Grundstruktur, wie sie mehr oder weniger in allen Filmen zu finden ist: der Held in Konflikt mit dem Sheriff von Nottingham und Prinz John. Als Geächteter findet er im Sherwood Forest Zuflucht, schließt sich dort den Gesetzlosen an und steigt in kürzester Zeit zu deren Anführer auf. Von ihrem verborgenen Lager aus fuhren Robin und seine Männer dann eine Art von Guerillakampf gegen Unterdrückung und Ausbeutung, personifiziert in eben jenen Figuren des Sheriffs und des Prinzen. Dabei berauben sie die Reichen und verteilen ihre Beute an die Armen. Wiederkehrende Motive sind: Robins freches Erscheinen in der Festung der Feinde, deren Versuch, ihn und seine Männer im Wald anzugreifen, die Rettung Marians aus den Händen des Sheriffs oder seines Vasallen (Guy of Gisbourne, Myles de Folcanet, Ranulf de Pudsey), eine Vorführung von Robins exzellenten Bogenschießkünsten, seine Gefangennahme oder die von einigen seiner Männer, gegen Ende dann die Befreiung durch Erstürmung der gegnerischen Burg, und nicht zuletzt das finale Duell, der >Showdown< zwischen dem jeweiligen Erzschurken und Robin. Die Verwandlung des beschädigten Helden in eine mythische Gestalt geschieht auf dem Wege einer Visualisierung und Thematisierung mythischer Muster. So werden Übergänge inszeniert, exterritoriale Räume ausgewiesen, Differenzen zwischen Bildern und Gegenständen, Botschaften und Handlungen, Repräsentation und Präsenz eingeebnet. Nicht zuletzt äußert sich der Mythisierungsprozess in einigen Filmen — ebenfalls bereits im frühen Robin Hood von 1922 - in Gestalt einer filmimmanenten Reflexion der Weiterarbeit am Robin-Hood-Mythos, und zwar sowohl ausdrücklich verbal wie bildlich. Diese mediale Selbstreferentialität lässt sich am deutlichsten ermessen in Kontrast zu dem Film, in dem der Held von Anfang an als mythische Gestalt auftritt und nicht erst zu einer werden muss.
3.3. Mythos ohne Mythisierung Wenn The Adventures of Robin Hood den Mythos des >guten Gesetzlosem mustergültig inszeniert und visualisiert und zugleich die filmspezifische Arbeit am Mythos am wenigsten fassbar macht, so deshalb, weil hier weder eine wirkliche Metamorphose der Figur stattfindet noch eine echte Krisensituation den Startschuss gibt. Von Anfang an tritt der Titelheld als mythische Gestalt in Erscheinung. Der Robin, der plötzlich auftaucht, um Much, den Sohn des Müllers, beim Wildern ertappt, aus den Händen Sir Guy of Gisbournes zu befreien, ist ikonographisch bereits mit den Attri-
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buten Robin Hoods, grünes Gewand, Hut mit Feder, Pfeil und Bogen, versehen, obwohl er eigentlich noch der angelsächsische Adelige Sir Robin of Locksley ist und nicht der Gesetzlose aus dem Wald. Unterstützt wird dieser Eindruck durch den spezifischen Einsatz filmischer Mittel: Großaufnahmen von Robins Gesicht, als Affektbilder* in dramatische Sequenzen hineingeschnitten, Einstellungen aus der Untersicht und bestimmte Posen bewirken eine mythische Erhöhung der Figur. Anders auch als in Michel Preads Robin Hood von 1991 muss der Earl of Locksley der Vorkriegsproduktion von seinem Begleiter Will Scarlett nicht erst mit Nachdruck aufgefordert zu werden, dem Bedrängten beizustehen. Er erweist sich, indem er ohne zu zögern aktiv und furchdos ins Geschehen eingreift, vom ersten Moment an als fertige mythische Gestalt. Typus ist er dabei nicht nur aufgrund seiner Kostümierung und Handlungsdisposition, sondern auch in seiner Besetzung. Dass Errol Flynn in der Rolle des mittelalterlichen Outlaw zum Prototypen des jungen Rebellen in seiner optimistischen Variante 31 geworden ist, verdankt er dem Verzicht auf psychologische zugunsten von typologischen Merkmalen bei der Anlage der Figur, nicht zuletzt aber auch der Tatsache, dass er als Schauspieler bereits zuvor in Rollen agierte, die einen bestimmten Typus des Filmhelden vorwegnahmen. 32 Hinzukommt die Inszenierung eines farbenprächtigen, zumeist lichtdurchfluteten Mittelalters ohne Blut, Schweiß, Morast und schäbiger Kleidung, das von der ersten Einstellung an den Zuschauer in eine artifizielle Sphäre fernab jeglicher naturalistischer Historisierung versetzt. 33 Darüber hinaus orientiert sich der von Errol Flynn dargestellte Robin Hood weitgehend an der romantischen Variante der literarischen Tradition: der des englischen Landedelmanns, wie sie Scott, Ritson und Keats geschaffen hatten. Robin Hood ist hier ein angelsächsischer Adeliger. Sein Widerstand gilt den normannischen Baronen, die eine Schreckensherrschaft über die angelsächsische Bevölkerung ausüben, um sie durch überzogene Steuern und grausames Verhalten niederzuhalten, nicht der herrDie pessimistisch-resignative Variante des jugendlichen Rebellen fand später in James Dean seine prototypische Verkörperung — als desillusioniertes Gegenbild der Nachkriegszeit zu Errol Flynns noch illusionsbehafteter Figur der Vorkriegszeit. Schon in dem Piratenfilm Captain Blood (1938) spielte er ebenfalls unter der Regie von Michael Curtiz einen jugendlichen Rebellen, einen guten Gesetzlosen, dessen Piratentum (einst war er Arzt) aus dem Widerstand gegenüber herrscherlicher Willkür resultierte. Basil Rathbone, der in The Adventures of Robin Hood Guy of Gisbourne spielte, agierte bereits hier als Flynns Widersacher. Die Künstlichkeit der Szenerie verweist auf Reginald De Kovens Operette Robin Hood (1890), die vielleicht eine Inspirationsquelle des Films war; ABERTH (Anm. 17), S. 167.
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sehenden Aristokratie schlechthin. Im Gegenteil schreitet er als loyaler Gefolgsmann des legitimen Königs gegen die Verschwörung ein, die Prinz John gegen seinen Bruder Richard anzettelt. Er ist somit alles andere als ein Revolutionär, vielmehr ein Reformer in doppelter Funktion: Einerseits hält er die sozialen Bedürfnisse des einfachen Volkes in geordneten Bahnen, andererseits bietet er der Willkürherrschaft und den Machtgelüsten politischer Eliten die Stirn. Wie wenig in The Adventures of Robin Hood die filmische Weiterarbeit am Mythos eine Rolle spielt, manifestiert sich besonders auch darin, dass der Film die politischen Implikationen der literarischen Tradition übernimmt, ohne deren inhärente Widersprüche virulent werden zu lassen. Dass Robin als Angelsachse den normannischen Adel bekämpft, zugleich aber Richard als normannischen König vorbehaltlos akzeptiert, ist als eine nicht weiter fragliche Selbstverständlichkeit vorausgesetzt. Auch die Entschärfung des Spannungsverhältnisses zwischen der egalitären Struktur der GesetzlosenBande auf der einen Seite und Robin Hood als adeliger Führergestalt auf der anderen entstammt der frühen Balladentradition. 34 In ihr figuriert Robin nicht als geborener Anfuhrer, dessen Autorität unumstritten wäre. Er vertritt die Position eines primus inter pares, basierend auf spezifischer Kompetenzverteilung. Sie manifestiert sich in der, von vielen Filmen übernommenen, berühmten Szene, in der Robin und Littie John auf einer Brücke ein Duell mit langen Stöcken bestreiten, um zu klären, wem der Vortritt gebührt. 35 Dass Robin unterliegt, ist als Hinweis zu werten für seine eingeschränkte Autorität - für die aristokratische Tradition ein gewisses Problem. In The Adventures of Robin Hood bleibt allerdings auch dieses latent. Das verdeutlicht die kaum zu überbietende Harmlosigkeit, in der Curtiz den Zweikampf auf der Brücke inszeniert: Von scherzhaften Dialogen begleitet und von der Lautenmusik Will Scarletts untermalt, ist das Duell ein bloßer Schaukampf mit Spielcharakter: Errol Flynn fuchtelt noch lange mit den Armen, ehe er von Little Johns Stups getroffen ins Wasser fällt. Auch wenn Robin später ein ähnliches Duell mit dem schwergewichtigen Bruder Tuck provoziert, kommt es zu keiner ernsthaften Herausforderung oder Gefährdung des Helden. 36 Adeliger Status und egalitäre
KNIGHT (Anm. 3), S. 17f weist auf die »democratic values« der frühen Balladen hin, lassen sie doch erkennen, dass Robins Führerschaft nicht schlechthin gegeben ist, sondern auf Zustimmung beruht. Auch ist die Gesetzlosen-Bande nicht hierarchisch strukturiert, sie basiert auf Kooperation. Das literarische Vorbild dieses Zweikampfes findet sich in 'Robin Hood and Utile John, i n : KNIGHT/OHLGREN ( A n m . 10), S. 4 7 6 - 4 8 3 , h i e r S. 4 7 8 - 4 8 0 , Str. 6 , 2 6 21,85.
Die Szene findet sich in der Ballade Rübin Hood an the Curtal Friar, KNIGHT/OHLGREN ( A n m . 10), S. 4 5 8 - 4 6 8 , h i e r S. 4 6 1 - 4 6 2 , S t r . 1 2 , 4 5 - 2 6 , 1 0 4 .
in:
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Verhältnisse sind völlig kompatibel, die Spannung zwischen ihnen ist durch die komödiantische Inszenierung entschärft. Dagegen machen die späteren Filme das Konfliktpotential sichtbar, indem sie eine ernsthafte Gefährdung des Helden hinter der komischen Oberfläche des Stockgefechtes durchscheinen lassen. Der von Kevin Costner in Robin Hood: Prince of Thieves gespielte Robin holt sich im wahrsten Sinne des Wortes eine blutige Nase, Michael Preads Robin droht infolge des Zweikampfes gar zu ertrinken. Im Gegensatz zum Vorkriegshelden müssen die beiden späteren aristokratischen Robins erst von ihrem Adelsstatus auf ein demokratisches Niveau herabgeprügelt werden, um sozial kompatibel zu sein. Wenn sie letztlich auch als Outlaws Aristokraten bleiben, dann dergestalt, dass sich ihre Nobilität unter den Gesetzlosen vom Geburts- zum Verdienstadel wandelt. 37 Das bedeutet: In beiden Fällen müssen sie ihre Kompetenzen erst unter Beweis stellen, um ihren nominellen Führungsanspruch geltend machen zu können. Geschieht dies in Michael Preads Robin Hood in Form eines Bogenschießwettbewerbs mit dem bisherigen Meisterschützen der Bande, so sind es in Robin Hood: Prince of the Thieves Robins militärische Fähigkeiten als ehemaliger Kreuzritter, durch die er hervorsticht. Auch wird ihre Autorität durch Kains- und Judasfiguren bedroht. 38 Demgegenüber muss der adelige Robin Hood des Curtiz-Films nicht erst schmerzlich >demokratisiert< werden. Er ist immer schon Demokrat; genauer gesagt wird er von den Gesetzlosen als einer der ihren anerkannt, weil er sich als Aristokrat von vornherein demokratisch verhält, indem er sich für die Rechte des Volkes einsetzt. Freilich redet der Film nicht anachronistisch einer modernen demokratischen Verfassung das Wort, vielmehr geht es ihm darum, die historische Basis einer modernen Demokratie wie der amerikanischen zu thematisieren. Sie liegt in sozialer und rechtlicher Gleichheit, ungeachtet der jeweiligen ethnischen Zugehörigkeit. 39 Der in The Adventures of Robin Hood dargestellte Held ist somit alles andere als ein Revolutionär, dem daran gelegen ist, Klassengegensätze aufbrechen zu Wenn Robin Hood: Prince of Thieves seinen Helden sagen lässt: »Adel ist kein Geburtsrecht. Er ist allein erworben durch Taten«, dann wirkt diese Aussage wie ein nachgeschobener Kommentar zu dem, was fünfzig Jahre zuvor zwar als Subtext mitschwang, aber nicht explizit formuliert wurde. Will Scarlett trägt in Robin Hood: Prince of Thieves Züge einer Kains-Figur. Als Robins Halbbruder und illegitimer Sohn beklagt er die Zurücksetzung durch den Vater. Eine Judas-Figur namens Harry (Alex Norton) innerhalb der Bande gibt es in Robin Hood (1991). Der Tradition des 16. Jahrhunderts folgend, verbindet The Adventures of Robin Hood den rechtlichen Aspekt mit dem sozialen, im Gegensatz zur spätmittelalterlichen Tradition, in der der Widerstand gegen die Korrumpierung des Rechts allein beherrschend war; vgl. ABKRTH (Anm. 17), S. 159-163.
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lassen, sondern einer, der einen durch Unterdrückung korrumpierten, aber prinzipiell demokratischen Status quo reformiert wiederherstellen will. 40 Dabei bleibt der höhere Rang der politischen Führungsschicht - der Robin ebenso angehört wie die normannischen Barone — prinzipiell unangetastet. Trotz des rebellischen und kämpferischen Gestus ist Robins Funktion die eines Restaurators geordneter Verhältnisse, deren Garant nur eine oberste Rechtsinstanz, personifiziert im König, sein kann. Dass jedoch der König vom Helden an seine Pflicht erinnert werden muss 41 , verweist darauf, was Robin Hood im eigentlichen Sinne repräsentiert: eine programmatische Forderung an den Herrschenden, tatsächlich als Wahrer von Gerechtigkeit aufzutreten. In Robin Hood könnte man also die Verkörperung des präkonstitutionellen, mythischen >Geistes< der demokratischen Verfassung sehen. Inszeniert The Adventures of Robin Hood die Demokratiefähigkeit der Aristokratie (als Herrschaftsform) exemplarisch am rechtlich-sozialen Abstieg eines ihrer Angehörigen, um Rechtsgleichheit und soziale Verantwortung als sowohl demokratische wie aristokratische Werte zu benennen, führt er umgekehrt modellhaft vor, welches politische Potenzial ein d e mokratischer Aristokratismus< für die Demokratie bereithält. Dass ein aristokratischer Vorkämpfer für Demokratie und soziale Gerechtigkeit, wie ihn das Hollywood der dreißiger Jahre in Robin Hood erstehen ließ, stark an Franklin D. Roosevelt — zeitgenössischer Prototyp eines Demokraten mit aristokratischem Habitus — erinnert, hat dazu geführt, den Film in die Nähe von Roosevelts New-Deal-Politik zu stellen.42 So wurde etwa auf die politische Nähe der Warner Studios, von denen The Adventures of Robin Hood produziert wurde, zum Präsidenten und zu seinem wirtschaftspolitischen Programm hingewiesen. 43 Roosevelts Widerstand gegen einen Laisse-Faire-Liberalismus, der die Situation der ärmeren Schichten der amerikanischen Bevölkerung in den Zeiten der Weltwirtschaftskrise verschärfte, ließ sich mit dem Kampf des Helden gegen Ausbeutung in Verbindung bringen, die sozialpolitischen Maßnahmen mit Robins Fürsorge 40
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Vgl. KEVIN J. HARTY: Robin Hood on Film. Moving Beyond a Swashbuckling Stereotype, in: HAHN (Anm. 22), S. 87-100, hier 94. Vgl. RUDY BEHLMER (Hg.): The Adventures of Rübin Hood. Wisconsin 1976, S. 211: »Richard (to Robin, somberly): And what about you? Is there nothing England's King can grant the outlaw who taught him his duty to his country?« INA REA HARK: The Visual Politics of The Adventures of Robin Hood, in: Journal of Popular Film 5 (1976), S. 3-17; HARTY (Anm. 40); VERNA HKJSKAMP: The Political Implications of The Adventures of Robin Hood. Michael Curtiz 1938, in: TLM BYWATER, THOMAS SOBCHACK (Hg.): An Introduction to Film Criticism. Major Critical Approaches to Narrative Film. London, New York 1989, S. 205-208. MICHAEL E. BIRDWELL: Das andere Hollywood der dreißiger Jahre. Die Kampagne der Warner Bros, gegen die Nazis. Hamburg, Wien 2000, S. 29ff.
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für die Mangel leidende angelsächsische Bevölkerung. Das fröhliche Gastmahl im Wald 44 mit anschließendem Blick auf das Elend des Geächtetenlebens erschien geradezu als mittelalterliche Version eines »New Deal camps«, 45 Robins Lager-Führung wie eine Propagandamaßnahme für die New-Deal-Politik, die Marian von der Notwendigkeit einer unkonventionellen sozialen Umverteilungspolitik überzeugen soll.46 Die Ausbeutung und die Unterdrückung der angelsächsischen Bevölkerung durch die normannischen Herrscher wurden als Anspielung betrachtet auf das Erstarken des Nationalsozialismus in Deutschland und die Diskussion innerhalb der USA, wie darauf zu reagieren sei. 47 Auch wenn die Bezüge im Einzelfall assoziativ bleiben, 48 ist die stärkere Politisierung des Robin-Hood-Mythos im Medium Film nicht zu übersehen. Sie adaptiert einen romantisierenden Paternalismus und offeriert ihn als Referenzpunkt der Zeitgeschichte. Doch vermag der Film vor allem, weil er ein idealtypisches Modell einer akzeptablen im Gegensatz zu einer inakzeptablen Herrschaftsbeziehung vorgibt, als mythische Projektionsfläche für innenpolitische Programme oder außenpolitische Fragen zu fungieren. Auch was die demokratische Haltung des Films betrifft, geht es um mehr als die aktuelle politische Lage. Indem sich das moderne demokratische Selbstverständnis der USA in einer vermeintlich mittelalterlichen Figur von ferne spiegelt, erhält die moderne Demokratie zugleich eine historische Legitimation, verwurzelt in der europäischen, insbesondere der britischen Vormoderne. Andere Filme durchbrechen diese Modellhaftigkeit, indem sie vom tradierten Muster abweichen. Während der von Errol Flynn verkörperte Robin Hood nicht im geringsten korrumpierbar ist, wird der von Patrick Bergin in Robin Hood (1991) dargestellte Held als einer eingeführt, der sich soweit mit der normannischen Macht arrangiert hat, dass er mittlerweile zum Freund des Sheriffs geworden ist. Dargestellt wird in diesem Fall ein
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>When Men Get MaryWeiblichkeit< — zumindest im populären Kino. Allein in den vergangenen zehn Jahren ist ihre Lebensgeschichte dreimal Gegenstand aufwendiger Verfilmungen geworden. 2 Diese mediale Kanonisierung muss eigentlich erstaunen, bemächtigt sie sich doch einer recht befremdlichen Geschichte, die voller historisch eigentümlicher Phänomene ist: der Sonderstatus der Jungfrau, die Erscheinung der Heiligen, der Kriegsauftrag, das Inquisitionsgericht. Diese Fremdheit müsste Jeanne d'Arc für ein modernes Massenpublikum unzugänglich machen, wäre sie nicht längst zur heroisch überdimensionierten Einzelerscheinung stilisiert, die die Begrenzungen der
Eine kürzere Fassung dieses Beitrags erschien in: Zeitschrift für Germanistik. Neue Folge XIII, Heft 2 (2003). Vgl. die Auswahlfilmographie am Ende des Kapitels sowie die Filmographie im Anhang. Die folgenden Überlegungen beschränken sich auf jene historisierenden Jeanne d'Arc-Filme, die sich an ein breites Publikum wenden und das populäre Bild der >authentischen Jeanne< geprägt haben. Im hier gegebenen Rahmen kann ich all jene Filme nicht berücksichtigen, die den historischen Stoff über die Einbindung in zeitgenössische Konstellationen dialogisieren. Aus der Menge jener Filme, die dezidiert als Bearbeitungen literarischer oder musikalischer Vorlagen auftreten, habe ich Saint ]oan von Otto Preminger (1957) herausgegriffen: Sein Beitrag zum populären Kinomythos besteht in der Besetzung Jeannes mit der jungen Jean Seberg, die erstmals den inzwischen gängigen Typus der jugendlichjungenhaften Jeanne d'Arc verkörpert. Eine umfangreiche Filmographie bietet N A D I A MARGOLIS: Joan of Arc in History, Literature and Film. An Annotated Bibliography. New York, London 1990, S. 393-402; ein Überblick auch bei CHRISTIAN-MARC BOSSENO: Jeanne d'Arc: la brülure de l'histoire, in: Le cinema face ä l'histoire. Paris 1997, S. 109-115.
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eigenen Zeit zu überragen scheint.3 Ihre Singularität prädestiniert sie offensichtlich dazu, einem modernen Publikum als »Frau des Jahrtausends« 4 präsentiert zu werden. So scheint es nachgerade selbsterklärlich, warum das Leben der Jeanne d'Arc immer wieder verfilmt worden ist: So fremdartig wie spektakulär eignet ihm eine kultur- und epochenübergreifende Faszination, die ihren Niederschlag auch in anderen Medien gefunden hat; den zahlreichen Sachbuchpublikationen, den literarischen wie musikalischen Bearbeitungen und den Werken der bildenden Kunst. Eine im frühen 20. Jahrhundert erschienene Ausgabe der Prozessakten attestiert Jeannes Geschichte etwa den Appeal der (moralisch erbaulichen) Tragödie: »the testimony here provided is of world-wide interest. Her fall from the supreme pinnacle of success to the lowest abyss of misfortune, never of despair; her beautiful life; her touching faith; her noble words and deeds, will ever fill some of the most impressive pages in history.«5 Anders begründet die Historikerin M A R I N A W A R N E R die Faszination für Jeanne — diese entziehe sich allen geläufigen Deutungsmustern heroischer Weiblichkeit: »she is a universal figure who is female, but is neither a queen, nor a courtesan, nor a beauty, nor a mother, nor an artist of one kind or another, nor — until the extremely recent date of 1920 when she was canonised — a saint. She eludes the categories in which women have normally achieved a higher status that gives them immortality, and yet she gained it.«6 Zugleich beschreibt W A R N E R Jeanne aber auch als >Leerstelle< (cypher), ikonographisch reduziert auf wenige Zeichen ihrer soldatischen Berufung — »a boyish stance, cropped hair, medievalised clothes, armour, an air of spiritualised exaltation mixed with physical courage« —, als Pro) ektions fläche, die sich immer neuen Interpretationen, Erzählungen und Erfindungen anbietet. 7 Die hier formulierte Spannung zwischen >Universalität< und >Singularität< skizziert auch den Rahmen filmischer Aneignungen. Jeannes Sonderstatus, darauf weist W A R N E R bereits hin, profiliert sich zunächst in der Abweichung von gängigen Weiblichkeitsmustern. Interessant ist Jeanne als Frau, die die vorgegebene Ordnung der Geschlechter in Frage zu stellen scheint. Wie eng der 3
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Vgl. dazu die programmatischen Beiträge in: HEDWIG R Ö C K E L E I N , C H A R L O T T E S C I - I O E L L - G L A S S , M A R I A E. M Ü L L E R (Hg.): Jeanne d'Arc oder Wie Geschichte eine Figur konstruiert. Freiburg, Basel, Wien 1996. RTL-Untertitelung des Films von Christian Duguay, der im Rahmen der >MillenniumJeanne d'Arc< mit zeitgenössischen Imaginationen der Universalie >Frau< verbunden ist, lässt schon die Reihe der illustren JeanneDarstellerinnen erkennen: von Geraldine Farrar, Ingrid Bergman und Jean Seberg bis zu Sandrine Bonnaire und Milla Jovovich. Meist sind es die anerkannt Schönsten, ihrerseits Leitbilder der Weiblichkeit, die Jeanne verkörpern. Im Folgenden möchte ich näher beschreiben, wie sich die wechselseitige Konstruktion von >Mittelalter< und >Weiblichkeit< in den Jeanne d'ArcFilmen vollzieht. Jeanne vertritt im Pantheon weiblicher Kinomythen das Mittelalter, 8 und die spezifischen Stilisierungen ihrer weiblichen Identität sind von dieser Epochenverortung nicht zu trennen. Den >Mythos< verstehe ich mit R O L A N D B A R T H E S als »parasitäre leere Form«, die sich prinzipiell jeder Geschichte bemächtigen kann: Deren »Sinn ist bereits vollständig, er postuliert Wissen, eine Vergangenheit, ein Gedächtnis, eine vergleichende Ordnung der Fakten, Ideen und Entscheidungen.« 9 Die »Regression vom Sinn zur Form« schafft >unbestreitbare BilderFrau< zu identifizieren. Die Zeichen der Fremdheit werden dagegen in der Materialität der historischen Umwelt aufgepflanzt und haben zumeist bloß ornamentalen Charakter. 17 Schauplätze, Ausstattung, Kostüme und Requisiten, aber auch »Schmutz, Gewalt und Wunderglauben« (TV Today 02/2000, zu Bessons The Messenger) versammeln sich zur bunten (oder blutigen) Maskerade der Historizität. Hohe Aufmerksamkeit wird im Genre des Mittelalterfilms meist auf die Korrektheit der Bekleidung und Requisiten — bis hin zur Verwendung von Nachbildungen mittelalterlicher Gerätschaften in JeanJacques Annauds Der Name der Rose (1986) - verwandt. Freilich sind diese
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Vgl. LESLIE FIEDLER: Freaks. Myths and Images of the Secret Self. New York 1978, S. 178ff. WALTER ROST: Die männliche Jungfrau. Das Geheimnis der Johanna von Orleans. Reinbek b. Hamburg 1983.
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V g l . FIEDLER ( A n m . 1 3 ) , S. 2 7 .
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Ebd., S. 347. Vgl. zu dieser Problematik auch HEDWIG RÖCKELF.IN: Jeanne d'Arc. Über histori-
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sche Authentizität i m
Film, in: ANNETTE KREUTZIGER-HEER, DOROTHEA
REDEPENNING (Hg.): Mittelalter-Sehnsucht? Kiel 2000, S. 71-86.
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Zeichen, wie auch die Parameter der überzeitlichen Ordnung, in deren Dienst sie stehen, ihrerseits historischen Veränderungen unterworfen. Vom Ritterfilm der fünfziger Jahre ist der Anstrich von Authentizität bereits abgeblättert; entsprechend fällt es leicht, in der Innenausstattung der Kemenate das Wohnzimmer der Nachkriegszeit wieder zu erkennen. Mit historischer Distanz tritt der Inszenierungscharakter hervor, und es wird das verfilmte Mittelalter wieder transparent für die Ideologien und Ordnungssysteme, die das jeweilige Mittelalterbild gemäß zeitgenössischen Produktions- und Rezeptionsbedingungen generiert haben. Nur wenige Filme stellen - wie etwa Eric Rohmers Perceval le Gallois (1978) - das >Mittelalter< als Imagination und Kulisse einer nicht einholbaren Realität aus und irritieren ihre Zuschauer, indem sie die Selbststilisierungen der fremden Kultur ins Bild setzen, statt sich an der Materialschlacht des Ausstattungsrealismus zu beteiligen. 18 Dies gilt auch für einen der ersten Jeanne d'Arc-Filme: Verfremdung und Distanzierung in der Passion de Jeanne d'Arc (1928) von Carl Theodor Dreyer sind nicht den Beschränkungen des schwarzweißen Stummfilms geschuldet, sondern konsequente Strategie der Visualisierung. Dreyers Filmhandlung beschränkt sich auf den Inquisitionsprozess und konzentriert sich dabei auf Großaufnahmen der Akteure sowie den komplexen Zeichencharakter einzelner Details: der fallende Federkiel, die Dornenkrone aus Stroh, die abstrakten Formen der Folterinstrumente als Fragmente der Gerichtsmaschinerie. Die Bildarrangements dieses Films verweigern sich der Inszenierung eines authentischen Mittelalters; stattdessen orientiert sich Dreyer in seiner Szenerie an Illustrationen mittelalterlicher Handschriften und adaptiert deren Stilisierungsprinzipien: »Die einfache Wiedergabe der Gebäude, die im Verhältnis zu den Personen zu klein waren, die naive Strichführung und die verkehrte >Perspektive< gaben die Idee für die Filmdekorationen.« 19 Spätere Jeanne d'Arc-Filme folgen dagegen den auch sonst geläufigen Tendenzen des Genres. Es dominieren weithin die jeweils gültigen Standards des filmischen Realismus; für die Historizität 18
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Eine andere Verfremdungsstrategie - der Ironisierung von Stereotypen und der komisch überdrehten Anachronismen - kommt in Monty Python and the Holy Grail zur Anwendung (1975). Vgl. dazu DAVID D. DAY: Monty Python and the Medieval Other, in: KEVIN J. HARTY (Hg.): Cinema Arthuriana. Essays on Arthurian Film. New York 1991, S. 83-92, hier 83: »Ultimately at issue in Monty Python and the Holy Grail is our ability to know the Middle Ages at all, when every attempt we make ultimately betrays the traces of its modern manufacture.« BRITTA MARTENSEN-LARSEN: Die Bedeutung mittelalterlicher Miniaturen für Carl Th. Dreyers Film La Passion de Jeanne d'Arc, in: Zeitschrift fur Kunstgeschichte 55/1 (1992), S. 136-149, hier 136. Vgl. weiter DAGMAR VON HOFF: Von der Akribie zur Passion. Jeanne d'Arc in Carl Theodor Dreyers Passion der Jeanne d'Arc, in: RÖCKELEIN/SCHOELL-GLASS/MÜLLRR (Anm. 3), S. 220-243, bes. 222f.
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des Gegenstands wird das geläufige Zeichenarsenal bemüht, das die fremde Kultur vorrangig in der materiellen Umwelt zur Anschauung bringt. Zu den Topoi dieser historischen Szenerie gehören die Kostüme der Hofgesellschaft um Charles VII, die Krönungszeremonie in Reims, die Ansichten der belagerten Stadt Orleans sowie die zeitgenössischen Kriegstechniken in mehr oder minder blutrünstiger Ausmalung. Diesen üppig ausstaffierten Tableaus der Fremdheit entspricht allerdings keine Verfremdung in Bildgestaltung oder Montage mehr. Die Verfestigung des Jeanne-d'Arc-Stoffs zum breitenwirksamen Kinomythos erfolgt des Weiteren über die Konstruktion eines schematisierten Handlungsgerüsts. 20 In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird Jeannes Geschichte verkürzt auf eine Reihe spektakulärer Szenen, die das Drama als tragische Abfolge von Aufstieg und Fall gestalten. 21 Auf die Erwählung folgt die Reise an den königlichen Hof zu Chinon, sodann die Befreiung der belagerten Stadt Orleans, die triumphale Krönung Charles VII, die den Höhepunkt in Jeannes Soldatenkarriere bildet. Ihr Sturz beginnt mit der Niederlage vor den Mauern von Paris und setzt sich fort über die Gefangennahme vor Compiegne bis zum Prozess und zur Verbrennung. Erzählt wird stets unter teleologischer Perspektive. Alles führt hin auf diesen spektakulären Schlussakkord; Jeannes Lebensgeschichte enthält entsprechend keine Episoden, die nichts zur Legende ihrer Erwählung und Verfolgung beitragen. Diese Konstruktion eines kohärenten Subjekts in Gestalt eines >Denkmals< folgt insofern noch dem hagiographischen Erzählen, 22 auch wenn dessen Sinngebung nicht mehr religiös verankert werden kann. Zur geschlossenen Konfiguration gehört ferner das Ensemble der Protagonisten, in denen sich bestimmte moralische Haltungen inkorporieren: Jeannes Gegner sind der fettleibige Intrigant bei Hofe, der Zyniker und der korrupte Kleriker; an ihrer Seite finden sich der aufrechte Soldat und der gutherzige Haudegen, häufig Repräsentanten des einfachen VolksLeben< hat — wie die Hagiographie — angesichts seiner Heiligkeit seinen Sinn längst gefunden.« Die Besetzung dieser Typen erweist sich in der Reihe der Filme als relativ stabil. Die Rolle des Intriganten bei Hofe spielt häufig der königliche Berater und Geld-
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eindeutig als vorbildliche Glaubensstreiterin zeigen, wie dies Victor Fleming in Joan of Arc (1948) tut, so dient dieses Spektrum leicht wiedererkennbarer Typen doch der Orientierung über Recht und Unrecht, trennt moralische Integrität scharf vom korrupten Opportunismus. An den verschiedenen Bearbeitungen dieses Mythos sind zum einen die Paradigmen des populären Mittelalterbildes nachzuzeichnen: Religiosität und Wunderglauben, ein >naives< oder unaufgeklärtes Weltverständnis, ungebremste Vitalität samt ihrer Schattenseite barbarischer Grausamkeit. Zum anderen arbeiten sie mit der Inszenierung der so >historisch authentischem wie dissidenten Jeanne an der Universalie >Frau< und konstruieren mit Hilfe spezifischer Zeichen eine weibliche PassionMutter Babettei auch eine mütterliche Begleiterin zur Seite und malt ihre Begegnung mit Jeanne von Luxemburg (gespielt von Shirley MacLaine) breit aus. Eine vergleichbare Sequenz findet sich bei Rivette. Da sich die Filmtitel stark ähneln, verwende ich als Kurzverweise die Namen der Regisseure, womit selbstverständlich nicht deren ausschließliche Urheberschaft an der jeweiligen Interpretation des Stoffs unterstellt werden soll. Vereinheitlichend verwende ich des Weiteren die französischen Namen der Protagonisten (Jeanne, Charles usw.) und zitiere jeweils die deutsche Synchronfassung. Vgl. dazu die Beiträge in HARTY (Anm. 18).
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belegten Wahrheit der Ereignisse auftrumpfen, die durch Quellenberufungen gestützt wird. Als primäre Quelle dienen stets die vielfach edierten Prozessakten, verschiedentlich aber auch die literarischen Bearbeitungen, etwa die Dramen Friedrich Schillers oder George Bernard Shaws. Authentizität im allgemeineren (und weit diffuseren) Sinne ist aber auch eine Qualität, die der Person Jeanne selbst zugeschrieben wird. Uber die Prozessakten und Vernehmungsprotokolle schreibt ein Biograph begeistert: »Johannas unvergleichlich prägnante und unmittelbare Ausdruckskraft ist etwas, das die Zeiten überdauert und für sich genommen bereits Grund genug wäre, die Unsterblichkeit ihres Ruhms zu rechtfertigen.« 26 Dabei bleibt freilich unberücksichtigt, dass es sich keinesfalls um wortwörtliche Mitschriften spontaner Äußerungen handelt, sondern um einen nach strengen Gattungsregeln abgefassten Text. Ferner ist das französische Protokoll nur zum Teil erhalten; das vollständige Manuskript des Inquisitionsprozesses von 1431 liegt in Lateinisch vor, bietet also nicht nur eine Übersetzung volkssprachlicher Aussagen, sondern überträgt diese in die damals übliche Kanzleisprache, der bereits spezifische Weltdeutungsmuster eingeschrieben sind.27 Die >authentische Jeanne< der Prozessakten ist ein Mythos, doch wird dieser >Topos der Unmittelbarkeit^ 8 im Kino ausgiebig zelebriert. Die Zeichen historischer Evidenz werden in den Verfilmungen betont gesetzt und bisweilen in Form eines Prologs besonders exponiert. Schon Dreyers Vassion de Jeanne d'Arc (1928) beginnt mit dem Aufblättern der Prozessakten des 15. Jahrhunderts, die abwechselnd mit Texttafeln die historische Verankerung festklopfen. Flemings Joan of Arc (1948) bewegt sich aus historischer Distanz auf sein Thema zu und setzt ein mit der Kanonisierung Jeannes. Begleitet von Bildern des sakralen Raums, von Glocken und Kerzen, rezitiert eine (Männer-)Stimme aus dem Off die Quintessenz der Geschichte. Die Autorität der Historie, die Jeanne erst gerechtfertigt und dann zur Heiligen erklärt hat, materialisiert sich im aufgeschlagenen Buch. Hier wird allerdings kein Originalmanuskript mehr ins Bild gerückt, es genügt die Frakturschrift auf Pseudo-Pergament, um die Präsenz der mittelalterlichen Quelle zu zitieren. Luc Bessons The Messenger: The Story of Joan of Arc (1999) bedient sich dagegen eines geläufigen Genresignals des Historienfilms, indem er eine Landkarte ins Bild setzt, die gleich darauf von Blut überschwemmt wird; Ortsnamen blitzen aus diesem wüsten Schlachtfeld hervor. Die jüngsten Verfilmungen (neben Besson
Johanna von Orleans. Düsseldorf 1 9 7 7 , S. 15. Jeanne d'Arc als Konstruktion der Geschichte, in: R Ö C K E L E I N / S C H 0 E L L - G L A S S / M Ü L L E R (Anm. 3), S. 9-27, hier 9. Vgl. zu diesem Topos in Jeanne d'Arc-Biographien VEDDER (Anm. 22), S. 248.
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E D W A R D LUCIE-SMITH:
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Vgl.
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HEDWIG
RÖCKELEIN:
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auch Christian Duguay 1999: Joan of Art29) rücken die Heiligsprechung Jeannes ans Ende der Handlung, wo die Nachschrift mit dem finalen Bild der brennenden Ketzerin kontrastiert und eine bereits zum Topos geronnene Ironie der Geschichte ausstellt. Generell muss auffallen, dass sich ausgerechnet das audiovisuelle Medium hartnäckig der Schrift bedient, die im Paratext (Vor- und Abspann) oder mitten in der Handlung auf dokumentierte Fakten verweist. Ob dies in Form von Einblendungen ins laufende Bild geschieht (Duguay) oder mittels Schrifttafeln (Jacques Rivette 1993: Jeanne la Pucelle)·. stets wird das Publikum mit möglichst genauen Orts- und Jahresangaben (z. B. »30. Mai, morgens«) an die Faktentreue der Fiktion erinnert.30 Solche Zeichen der Geschichtlichkeit signalisieren dem Rezipienten die Vermittlung gesicherten und daher relevanten Wissens. Die derart beschworene Faktizität des aktenkundigen Falls Jeanne d'Arc überlagert sich dabei mit der Vorstellung von der Authentizität ihrer Person, ihrer Unmittelbarkeit^ wie sie bereits in Dreyers Vorspann aufgerufen wird. Eine der ersten Texttafeln beschreibt Jeanne als »einfach, aufrichtig und menschlich«. Zwischen dem modernen Verständnis der Historie als Speicher endegener, aber nachprüfbar wahrer Ereignisse und der Suche nach einem Zugang zur authentischen Person — Joan the Woman, wie Cecil Β. DeMille (1916) seine Verfilmung betitelt hat - liegt allerdings genau jener Graben der historischen Differenz und Fremdheit, der zu überbrücken bleibt. Schließlich geht es um eine authentische Heilige, deren Status und Lebenswirklichkeit von Visionen und Wundern bestimmt wird. Im Vergleich mit dem Genre des Bibelfilms, der mit aufwendig visualisierten Wundern nicht geizt (so etwa DeMilles 'Yen Commandments, 1956), geben sich die Jeanne d'Arc-Filme indes eher verhalten und sparsam. Zeigte DeMille 1916 bei der Verbrennung Jeannes auch die Lichtgestalten ihrer Heiligen im Feuer, so vermeiden die meisten anderen Verfilmungen visuelle Konkretisierungen des Übernatürlichen. Dabei handelt es sich nicht um einen Kinofilm, sondern eine CBS-Fernsehproduktion, die allerdings mit kino-üblichem Aufwand und entsprechendem Staraufgebot (Jacqueline Bisset als Isabelle d'Arc, Peter OToole als Bischof Cauchon) realisiert wurde. Auf die Unterschiede in Inszenierungsstil und Visualisierungsstrategien kann ich hier leider nicht genauer eingehen. Daher sei nur kurz vermerkt, dass sich Rivettes Film wesentlich von denen Bessons und Duguays unterscheidet, indem er mit langen, vorwiegend halbtotalen Einstellungen aus neutraler Perspektive arbeitet und anstelle pausenloser >Action< immer wieder ausfuhrliche Dialoge sowie handlungsleere Momente und langsame Bewegungen durch den Raum zeigt. Er verweigert zudem die geläufige Emotionalisierung durch (zeitgenössische, u. U. mittelalterlich angehauchte) Musikuntermalung und setzt Musik nur dort ein, wo sie durch den Handlungszusammenhang motiviert ist.
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Ist etwa bei Dreyer oder Rivette nur die betende Jeanne zu sehen, während ihre jenseitigen Ansprechpartner unsichtbar bleiben, so arbeiten Fleming und Duguay an den einschlägigen Stellen mit Lichtstrahlen und anschwellender Musik. Die so vage wie effektvolle >Erleuchtung< der Heiligen wird durch den feierlichen Klang unterstrichen und emotional getönt, doch letztlich muss sich das Authentische der Erfahrung wie schon bei Dreyer ganz im Gesicht der Hauptdarstellerin zeigen.
Das nackte Gesicht: Blut und Tränen bei Ingrid Bergman (Joan of ArcJ und Milla Jovovich (The Messenger)
Besonders die Großaufnahmen von Ingrid Bergman, deren Tränen diamanten über ihre Wangen glitzern, verankern Authentizität im authentischen Gefühl·, das sich zur Ikone weiblicher Herzensreinheit und Schönheit verdichtet. 31 Die »suggestive Kraft der Großaufnahme« verbannt das Historisch-Spezifische aus dem Bild: »denn nur, wo Geschichte sich verflüchtigt, kann das Gesicht ewig sein.«32 Auch Leelee Sobieski (Duguays Hauptdarstellerin) werden Lichter in die Augen gesetzt, die ihre visionären Einsichten reflektieren. Nur an einer Stelle erscheint bei Duguay eine transparente Engelsgestalt, die aus den Wolken herabschwebt und der verletzten Jeanne neuen Kampfesmut verleiht. Daneben arbeitet dieser Film mit einer kalkulierten Nebensächlichkeit des Wunderbaren, das empirisch erklärbar bleibt. Während Jeannes In Giovanna d'Arco al rogo von Roberto Rossellini (1954), einer filmischen Umsetzung des Oratoriums Jeanne d'Arc au bucher von Paul Claudel und Arthur Honegger, wurde Ingrid Bergman noch ein zweites Mal als Jeanne d'Arc besetzt. V O N H O F F (Anm. 19), S. 230, zu den Großaufnahmen bei Dreyer, im Anschluss an B A R T H E S (Anm. 9). Vgl. dort S. 73f. B A R T H E S ' Beschreibung Greta Garbos in Könign Christine·. »Die Garbo offenbarte so etwas wie eine platonische Idee der Kreatur, und das erklärt, warum ihr Gesicht fast entsexualisiert ist, ohne deshalb zweifelhaft zu sein. Allerdings leistet der Film (die Königin ist nacheinander Frau und junger Ritter) dieser Ungeteiltheit Vorschub. Doch die Garbo vollbringt keine Verkleidungsleistung, sie ist immer sie selbst [...]. Im Augenblick des Übergangs versöhnt das Gesicht der Garbo zwei ikonographische Zeitalter«.
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Aufenthalt in Vaucouleurs verweigern mirakulöser Weise alle Hennen das Eierlegen, bis Robert de Baudricourt die Jungfrau schließlich nach Chinon schickt. Kaum ist sie abgereist, wird dem Stadthauptmann ein mit Eiern gefüllter Korb vorgewiesen. Unterwegs nach Chinon findet Jeanne ein Schwert in der Kapelle der Heiligen Katharina, das sie allerdings recht unspektakulär unter allerlei Kriegsschrott hervorzieht. Während die Filmprotagonisten jeweils an übernatürliche Vorgänge glauben, bleibt es dem Publikum überlassen, andere Konsequenzen zu ziehen und derlei Ereignisse für Zufalle zu halten. Duguay vermeidet damit die allzu brachiale Demonstration des Mirakels, das Otto Premingers Jeanne der Lächerlichkeit preisgegeben hatte. In Saint Joan (1957) betet die Heilige etwa einen günstigen Wind herbei oder prophezeit einem Soldaten sein nahes Ende, woraufhin dieser auch stracks zusammenbricht. Der Film weicht mit dieser Inszenierung allerdings erheblich von seiner Vorlage ab: George Bernard Shaws Saint]oanv' eröffnet nicht nur konkurrierende Perspektiven auf das vermeintlich Unerklärliche, sondern entfaltet eine Theorie des Wunderbaren mit eher protestantischem Anstrich, 34 die ganz von der individuellen Funktion des Mirakels für den Glauben bestimmt ist.35 Jeannes Visionen sind nach Shaw auch keine zweifelhaften Hirngespinste, sondern Ausdruck einer Imagination, die nach ungeahnten Veränderungen strebt.36 Hinter der nuancierten George Bernard Shaw: Saint Joan. A Chronicle Play In Six Scenes And An Epilogue (1924); zitiert nach: Die heilige Johanna. Dramatische Chronik in sechs Szenen und einem Epilog. Deutsch von Wolfgang Hildesheimer. Frankfurt/M. 1965. Tatsächlich sieht Shaw Jeannes individualisierte Auffassung des Glaubens als protestantisches Charakteristikum. Prägnant formuliert dies im Stück Graf Warwick: »[...] es handelt sich um den Protest des Individuums gegen die Vermittlung des Priesters zwischen dem eigenen Ich und Gott. Wenn ich einen Namen dafür finden müsste, so würde ich das >Protestantismus< nennen.« Shaw (Anm. 33), Vierte Szene, S. 70. In den Worten des Erzbischofs von Reims: »Das Wunder, mein Freund, ist ein Ereignis, das Glauben schafft. Das ist der Zweck und die Natur des Wunders. Wunder erscheinen vielleicht dem Augenzeugen sehr wunderbar und den Vollbringern vielleicht sehr einfach, das tut nichts zur Sache: wenn sie den Glauben festigen oder ihn schaffen, dann sind es echte Wunder. [...] Wenn diese Kleine den Dauphin unter seinen Hofleuten erkennt, so ist das für mich kein Wunder, denn ich weiß, wie sie es macht. Und mein Glaube wird dadurch nicht fester. Aber die anderen - : wenn die den Schauer des Ubernatürlichen erfahren und sich über die Masse ihrer Sünde erheben, wenn die Erkenntnis göttlicher Gegenwart plötzlich über sie hereinbricht, dann wird es für sie ein Wunder sein, und zwar ein sehr segensreiches.« Shaw (Anm. 33), Zweite Szene, S. 34f. Vgl. etwa den Dialog zwischen Robert de Baudricourt und Jeanne über deren Stimmen in der Ersten Szene: ROBERT: »Sie kommen aus deiner Phantasie.« JOHANNA: »Natürlich. So kommen die Botschaften Gottes zu uns.« Shaw (Anm. 33), S. 19.
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Argumentation, mit der der moderne Dramatiker für eine eigene Rationalität des Wunders eintritt, bleibt die Verfilmung entschieden 2urück. Mit der karikierenden Uberzeichnung der Figuren — von der pathetisch kindchenhaften Jeanne bis zum Dauphin als vertrotteltem Hanswurst — scheitert Premingers Film an den subtilen Brechungen in Shaws Stück, das einen Dialog zwischen Mittelalter und Moderne auch mit durchaus komischen Effekten inszeniert. Eine derart dialektische Annäherung an die fremde Kultur misslingt indes nicht nur hier: Angesichts der grundsätzlichen Unvereinbarkeit des modernen Verständnisses von historischer Faktizität mit der mittelalterlichen Realität des Wunders ziehen sich die Filme vorzugsweise zurück auf Inszenierungen der Authentizität von Jeannes Person und ihren ebenso authentischen Glauben an sich selbst. Diese Authentizität wird häufig dadurch etabliert und gestützt, dass sie sich gegen politische Intrigen, kalkulierte Machtspiele und taktische Manipulationen profiliert. Zentral ist für diese Strategie die kritische Darstellung des Prozesses, der zu Jeannes Verbrennung führt. Das Gerichtsverfahren wird von vornherein bloßgestellt als Schauprozess mit politischem Hintergrund; es dient nicht der Wahrheitsfindung, sondern bewegt sich auf ein längst feststehendes Urteil zu.37 Diese kritische Geste kristallisiert sich zumeist an der Figur des korrupten Richters, Jean Cauchon, der als Bischof von Beauvais zugleich den politischen Gegner repräsentiert. Fettleibig und habgierig (Fleming, Besson), rachsüchtig und machthungrig (Fleming), aggressiv-denunziatorisch (Dreyer, Rivette) oder eifersüchtig und innerlich zerrissen (Duguay): seine verdeckten Interessen kontrastieren wirkungsvoll mit Jeannes aufrechtem Beharren in ihrem Glauben. Noch wirkungsvoller ist es dann, wenn — wie bei Dreyer oder Fleming — einzelne am Prozess teilnehmende Kleriker oder gar die Henkersknechte ganz von Jeannes Sendungsbewusstsein eingenommen werden und am Schluss überzeugt sind, eine Heilige verbrannt zu haben. In verschiedenen Filmen ist die Position des berechnenden Zynikers aber auch noch mit Protagonisten aus der profanen Machtsphäre besetzt. Glänzend spielt diesen Part Gustaf Gründgens als Dauphin in Gustav Ucickys Das Mädchen Johanna (1935), wobei die Aura des berühmten Schauspielers höchst wirkungsvoll im Charisma des virtuosen Politikers aufstrahlt.38 Charles setzt die Jungfrau für seine politischen Ziele ein und
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So akzentuieren seit dem 19. Jahrhundert grosso modo auch ihre Biographen. Gründgens war zu diesem Zeitpunkt bereits Intendant des Preußischen Staatstheaters. - Vgl. zum Film weiter HEINZ STEINBERG: >Das Mädchen Johanna< de Ucicky ou Jeanne et Goebbels, in: La Revue des lettres modernes 71-73 (1962/63) [Jeanne d'Arc ä l'ecran], S. 53-57; GRAHAM GREENE: Mornings in the Dark, in: DAVID PARKINSON (Hg.): The Graham Greene Film Reader. Manchester 1993,
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täuscht dabei den Glauben an ihre Mission nur so lange vor, wie es seinen Machtinteressen dienlich ist. Als ebenso zynisch ist der Dauphin in Duguays Verfilmung gezeichnet, der die widerstrebende Jeanne überredet, gemäß einer populären Prophezeiung in der Rolle der >Jungfrau von Lothringern aufzutreten. Indem die Filme säkulare wie klerikale Politik als Rollenspiel ausstellen, weisen sie Jeanne unverstellte Echtheit zu. Je eindeutiger ihre Gegner als raffinierte Schauspieler entlarvt werden, um so glaubwürdiger ist Jeanne. Eine ganz andere Strategie wählt allerdings Luc Besson in The Messenger, der eine höchst abenteuerliche Form psychologisch-empirischer Evidenz inszeniert. In der Kindheitssequenz werden zunächst Visionen bebildert, die sich allerdings kaum mehr mit den Schilderungen der Prozessakten berühren, sondern an filmische Topoi des >MagischenUbernatürlichen< und des >Traums< anknüpfen: Wolken im Zeitraffer, elektronisch verfremdete Stimmen, weitwinklig verzerrte Bilder eines Jungen (später eines erwachsenen Mannes), den Jeanne für Jesus hält. 39 Im Zentrum dieser Erscheinungen steht das Schwert, das die kleine Jeanne auf einer Wiese neben sich entdeckt.
Trügerische Zeichen: Das Mädchen mit dem Schwert (The Messenger, 1999)
Die halluzinatorischen Erlebnisse werden in der Prozess-Sequenz wieder aufgegriffen. Statt den von Besson ausgesparten Heiligen und Ratgebern S. 39: »The real hero is Charles with his Nazi mentality, his belief in the nobility of treachery for the sake of the nation.« An diesem Punkt orientiert sich Besson vermutlich (wenn auch vage) an einer Parallelüberlieferung: Ein Brief Percevals de Boulainvilliers an den Herzog von Mailand (1429) beschreibt die Erscheinung eines unbekannten Jungen, der der noch kindlichen Jeanne begegnet und ihr erstes visionäres Erlebnis einleitet. Vgl. W A R N E R ( A n m . 6 ) , S. 1 1 9 f .
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erscheint Jeanne im Kerker das durch Dustin Hoffman eindringlich verkörperte >Gewissen< (so im Abspann: >The ConscienceGewissen< ihre Lust an der Gewalt dokumentiert. Zuletzt ist es aber die Dekonstruktion eines einzigen Zeichens, die Jeanne vom Glauben an sich selbst abfallen lässt. Das >Gewissen< bietet eine ganze Reihe empirisch-rationaler Begründungen für die Präsenz ihres Schwerts auf, die allesamt auch ins Bild gesetzt werden. Mit der Technik des Flashbacks behauptet der Film zuletzt die Unwahrscheinlichkeit von Jeannes Interpretation der Ereignisse und erschlägt das Wunderbare mit der Bildgewalt des rational Möglichen. Im Anschluss beichtet Jeanne ihrem G e wissem und erklärt sich für eitel, grausam und rachsüchtig. Allerdings ist eine (offenbar unbeabsichtigte) Ironie dieser Dekonstruktion kaum zu übersehen: Anders als Jeannes Visionen erscheint das >Gewissen< unverfremdet und konkret körperlich, eine allwissende und allmächtige Vater-Autorität, die Jeanne sehen, hören und berühren kann. Besson weist mehrfach durch Gegenschuss darauf hin, dass deren Präsenz für Außenstehende unsichtbar bleibt, und belegt damit die für Jeanne selbst unabweisbare Realität ihrer Stimmen und Erscheinungen. In der Konsequenz müsste diese letzte Vision hinsichtlich ihrer sinnstiftenden Potenz also ebenso (un)zuverlässig sein wie die Halluzinationen der Kindheit, doch diese Zwiespältigkeit seiner Visualisierungsstrategien reflektiert der Film nicht. Stattdessen setzt er auf die Leinwandpräsenz eines Dustin Hoffman, der die abschließende Wahrheit im autoritären Gestus glaubhaft verkünden kann. Die Evidenz des Wunders und der Heiligkeit muss hier der freudianischen Gewissheit eines richtenden Uber-Ich weichen.
3. Heile Welt des Aberglaubens: Gott, Geld und Vaterland Zentral für den Kinomythos vom Mittelalter ist seine Emblematisierung zum >Dark age< vor Aufklärung und Rationalismus. Diese >Dunkelheit< kann je nach ideologischer Färbung als fromme Naivität und kindliche Unmittelbarkeit oder als barbarische Irrationalität mit Hang zum religiösen Fanatismus ausgedeutet werden. An Jeanne d'Arc, die den Stimmen ihrer Heiligen folgt und sich zu Höherem erwählt weiß, können sich diese Ideologeme in besonderer Schärfe kristallisieren. Die Filme erkunden verschiedentlich das semantische Feld von Glaubwürdigkeit, Glauben und
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Aberglauben 40 und inszenieren mittelalterliche Religiosität zwischen mystischer Frömmigkeit und fanatischer Ketzerverfolgung. Die jeweilige Bewertung der Institution Kirche ist dabei am deutlichsten ideologischen Umbesetzungen unterworfen. Fleming schreibt allein dem Ankläger Cauchon niedrige Motive wie Rachsucht und Habgier zu, während die übrigen, am Verfahren teilnehmenden Kleriker um Wahrheitsfindung und Gerechtigkeit bemüht sind — insbesondere der Vertreter der päpstlichen Inquisition.41 Nicht die Kirche, sondern ein verblendeter Einzelner verkennt hier Jeannes innige und aufrichtige Frömmigkeit. Ucickys Version belässt die Religion dagegen beim Volk, das bereits nach Jeannes erstem öffentlichen Auftritt Legenden fabriziert und ihr einen Heiligenschein andichtet. Während die Mächtigen derlei »Wunder veranstalten«, erkennen sie doch in Volkes Wunderglauben den gefährlichen Keim der Demokratie: »Wenn das Volk seiner Kraft bewusst wird, dann wehe den Fürsten, wehe den Königen!« In beiden Filmen wird Jeannes Glaubensstärke aber von der Religion zur Vaterlandsliebe verschoben und gewinnt so ihre Vorbildlichkeit. Ucickys Jeanne sagt: »Ich glaube, dass ich sterben muss, damit mein Vaterland frei wird.« Gefeiert wird sie abschließend als »Befreierin des Landes von Fremdherrschaft«, vom >Volk< als Heilige bejubelt. Bei Fleming erkennt der Herzog von Αΐεηςοη in der Jungfrau dieselbe höhere Nationalmacht, vor der er dann auch bereitwillig kniet: »Für mich bist du mehr als ein König. [...] Du bist Frankreich.« 42 Diese politischen Einschreibungen der dreißiger und vierziger Jahre konstruieren ein Weltbild, das von einer rechten Ordnung der Dinge getragen wird: Die Körperschaft der >KircheVolk< steht für die Integrität der Nation, die der Jungfrau ihren wahren Heiligenschein verleiht. 43 Preminger übernimmt dagegen aus Shaws Saint Joan Bausteine einer kritischen Reflexion jener Prozesse, die zur Produktion von Heiligen
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Als Zeichen abergläubischer Volkspraktiken erscheint verschiedentlich das magische Amulett, das die verletzte Jeanne von sich weist (so schon bei Fleming und wiederum bei Besson). Papst und Vatikan werden hier explizit als Instanzen der Zuflucht und Rettung eingeführt, deren Beistand Jeanne von ihren Richtern unrechtmäßig verweigert wird. Die Stilisierung Jeannes als Volksheldin und >Heldin der Demokratie< hat ihre Tradition im 19. Jahrhundert; vgl. dazu P H I L I P P E C O N T A M I N E : Jeanne d'Arc im Gedächtnis der französischen Rechten, in: R Ö C K E I . E I N / S C H O E L L - G L A S S / M Ü L L E R (Anm. 3), S . 170-219, sowie W A R N E R (Anm. 6), S . 255ff. Quer dazu steht die Low Budget-Produktion von Steven Rumbelow (St. Joan, 1977), der Jeanne als faschistische Vorläuferin Hitlers inszeniert.
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führen. 44 Ausnahmsweise ist es nicht Bischof Cauchon, der Jeanne aus politischem Opportunismus auf den Scheiterhaufen bringt (er darf, so sagt Graf Warwick, mit jedem Namen angesprochen werden, »nur nicht mit Schwarzer Peter«): Jeanne selbst ist es, die ihre Heiligenvita mit fröhlichen Parolen und kindlichem Trotz gestaltet. Bleibt dieser (in der Verfilmung bereits verschwommene) analytische Skeptizismus auch ein Einzelfall, so ist doch den späteren Filmen der Glaube an eine rechte Ordnung abhanden gekommen. Rivette, Duguay und Besson führen mit unterschiedlichen Akzentuierungen die Kriegsspiele der Macht vor Augen, an denen sich die Kirche ebenso beteiligt wie die weltlichen Politiker. Diese kritische Haltung führt jedoch nicht zur Analyse historischer Herrschaftsformen, sondern bei Duguay und Besson zur Geste der Generaldistanzierung vom schmutzigen Geschäft der Politik und des Krieges. Während sich Rivette auf die distanzierte Beobachtung seiner Protagonisten beschränkt, fuhren Besson und Duguay ein emotionalisierendes Panorama menschenverachtender Kalkulation vor Augen. Jeanne wird benutzt und fallengelassen, doch die Schuld daran trägt letztlich immer die mangelnde Integrität Einzelner, der nicht weiter befragbare moralische Defekt. Die klerikalen Akteure unterwerfen sich opportunistisch den weltlichen Herren ihrer jeweiligen Territorien oder werden getrieben von persönlicher Eitelkeit - wenn sie nicht gar aus schlichter Bosheit handeln. Bei Duguay fordert der päpstliche Inquisitor — spätestens seit dem Namen der Rose topische Schurkenfigur des >finsteren Mittelalter einen Kerkerwächter dazu auf, Jeanne zu vergewaltigen, damit sie wieder Männerkleider anlegt und als rückfällige Ketzerin verbrannt werden kann. Bei näherem Hinsehen fällt auf, dass die Inszenierungen vermeintlich mittelalterlicher Konstellationen von Religion und Politik unterlaufen werden von der Logik der Rationalität und des Geldes. Die prekäre finanzielle Lage des historischen Dauphin wird schon bei Fleming als Keim allen Übels ausgestellt, verkörpert durch den Geldverleiher La Tremouille. Die für Geld ausgehandelte Waffenruhe erscheint Jeanne wie dem Herzog von Αΐεηςοη als »Verrat« an der vaterländischen Sache (»Wie schändlich ist der Waffenstillstand!«). Dass die gefangene Jeanne an die Engländer verkauft wird, ist aber auch in den Filmen der neunziger Jahre noch Gegenstand der Empörung. Das Geld ist hier Zeichen der Käuflichkeit und Korrumpierbarkeit der Protagonisten wie ihrer Ideale, konstituiert zugleich aber die materiale Realität der historischen Ereignisse, die von frommen Posen und religiöser Naivität nur verstellt wird. Der regelmäßige Rückverweis auf finanzielle Interessen und Transaktionen signalisiert dem Rezipienten, Vgl. insbesondere auch den Epilog in Shaws Stück (Anm. 33), S. 126-146, worin die nunmehr kanonisierte Jeanne ihren einstigen Richtern erscheint.
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worum es >eigentlich< geht. Entsprechend findet sich immer eine Position der Rationalität, die die Moderne ins Herz des Mittelalters einpflanzt: Der zynische König oder seine nicht minder abgeklärten Berater (bei Besson ist es die Schwiegermutter) glauben weder an Gott noch an Wunder, sondern verlassen sich als Vertreter pragmatischer Taktik ganz auf ihr Kalkül und politisches Geschick. In solchen Konstellationen werden die Projektionen der Moderne jedoch nicht in einen Dialog mit dem mittelalterlichen Habitus gebracht; sie höhlen die Erscheinungsformen der Religiosität vielmehr von innen aus und entlarven sie als bloße Maskerade vor den immer gleichen Strategie spielen der Politik. Vor diesem Horizont nimmt sich nun Jeannes Gläubigkeit recht isoliert aus. Ihre Religion zerfällt in die profane Machtgier der Kleriker auf der einen und die abergläubische Irrationalität des Volks auf der anderen Seite, wodurch Jeanne das Profil einer heroischen Einzelgängerin gewinnt. Ihre Frömmigkeit und Zuversicht wird dann aber nicht durch nachvollziehbare Parameter der Weltdeutung gestützt, sondern kann sich nur auf eine abstrakte (und jenseits des Filmuniversums befindliche) Instanz richten. Heißt diese Instanz auch >Gottdie Leute< zur Rettung Frankreichs brauchen, so sorgt sich schon kurz darauf ihre Beraterin Mutter Babette, die Leute seien »besessen zu glauben«. Religiosität rückt so in gefährliche Nähe zu Aberglauben und Massenhysterie; die Alternative besteht darin >auf sich selbst zu vertrauendas reine Herz< nämlich. Ähnlich ist es um die politische Führung bestellt, denn Jeanne weiß, woran es dem noch ungekrönten Dauphin eigentlich mangelt: »Er muss glauben, dass er König ist.«46
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Rivette belässt Absenz Gottes Diesen Topos gegen Jeannes Königtums.
es hier bei einer Leerstelle, die noch am genauesten die moderne widerspiegelt. ironisiert bereits Premingers Saint Joan: Der Dauphin insistiert Beschwörungen auf der Beschwerlichkeit und Kostspieligkeit des
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Bessons psychologisierender Entwurf erscheint insofern als nächster Schritt im kontinuierlichen Abbau der Religion als sinnstiftendem Ordnungssystem. Er zeigt Jeanne zunächst als so obsessiv beichtendes Kind, dass selbst der Dorfpfarrer versteckte Ursachen argwöhnt und als Amateurpsychologe nach familiären Problemen fragt. Die von Jeanne miterlebte Vergewaltigung und Ermordung ihrer Schwester bildet dann aber das auslösende Moment in ihrer Wendung zum heiligen Furor. Nach dem traumatischen Erlebnis beichtet Jeanne und verlangt, mit Christus >vereinigt< zu sein. Da ihr der Priester aufgrund ihres Alters die Kommunion verweigert, stürzt sie kurz darauf unter Donner und Blitz zum Altar, um sich dort selbst zu bedienen. Gleich läuft ihr auch der Eucharistiewein wie Blut die Kehle hinunter.47 Jeannes finale Konfrontation mit dem >GewissenGott< und >Berufung< erweisen sich als die unverstandenen Chiffren ihres Traumas; entsprechend können sich die Filmzuschauer am Ende gewiss sein, dass es statt barbarischer Verbrennung bloß einer ordentlichen Therapie bedurft hätte. Mit dieser Pathologisierung eines religiösen Subjektentwurfs ist dann aber ein Eckpfeiler des Mittelalterbildes in den Jeanne d'Arc-Filmen zum Einsturz gebracht: die Unschuld der noch unaufgeklärten Epoche, wie sie Jeanne >authentisch< verkörpert. Als Naivität kann Jeannes Religiosität positiv erscheinen, wobei die religiöse Signifikanz ihrer Jungfräulichkeit stets mit >IKind< belächelt, das weder von den Machtspielen noch von der
Eigentlich hätte sich im Tabernakel die geweihte Hostie befinden müssen, doch diktiert die im Film breit ausgespielte Symbolik des Bluts offensichtlich diese Wahl. Die Darstellung Jeannes als inspiriertem Kind der Natur und des einfachen Volkes setzt bereits im 19. Jahrhundert ein und steht in Verbindung mit ihrer Stilisierung zur Volksheldin (vgl. WARNER [Anm. 6], S. 237ff.). Die >kindliche Jeanne< wird im frühen 20. Jahrhundert dann auch zum Stoff für die religiöse Erbauung eines jugendlichen Publikums; so etwa ANNIE MATHESON: T h e Story o f a Brave Child. A Child's Life o f J o a n o f Arc. London u. a., o. J., S. 10: »on January 6, 1412 [...], a litde girl was born, who was chosen by G o d to save her beautiful country o f France, and teach people through all time how noble and heroic a simple maid may be.«
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Kriegführung etwas versteht. 49 Weibliche Reinheit und Kindlichkeit konnotieren sich wechselseitig und stabilisieren das Bild der frommen Naivität. Diese letzte Bastion der mittelalterlichen Unschuld fällt mit Bessons Kindheitssequenz; die eben noch heile Welt wird kontaminiert von erwachsener Gewalt und Sexualität, und eben diese profanen Kräfte sind es auch, die Jeannes religiöse Mission — von ihr selbst unerkannt — vorprogrammieren. Unberührt bleibt von diesen Umdeutungen allerdings das Bild des barbarischen Mittelalters: Folter, Kriegsschrecken und omnipräsente Grausamkeit bleiben die beständigen Zeichen des Fremden. Auch daran hat die institutionelle Religion Teil, und in ihren finstren Methoden erweist sie sich als wahrhaft mittelalterlich. Die immer wieder ausgespielte Konfrontation Jeannes mit den Folterinstrumenten sowie ihre abschließende Verbrennung sollen offenbar demonstrieren, dass Aufklärung und Säkularisierung genau diesen Auswüchsen irrationaler Frömmigkeit ein Ende gesetzt haben.
4. Geschlecht und Politik: die Frau im Harnisch lacht herzhaft Haha! Ich war keine Schönheit. Ich bin immer ein Trampel gewesen. Ein richtiger Soldat. Ich hätte beinah ebensogut ein Mann sein können. Schade, dass ich keiner war. Ich hätte euch manches erspart. Aber mein Kopf war in der Luft, und Gottes Segen ruhte auf mir. Und Mann oder Frau, ich hätte euch immer zu schaffen gemacht, denn eure Nasen steckten im Dreck. (George Bernard Shaw: Die heiligeJohanna·. Epilog, S. 131).
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Schon bei Friedrich Schiller, dessen >romantische Tragödie< Die Jungfrau von Orkans (1801) Cecil Β. DeMille als Vorlage für Joan the Woman diente, bleibt Johannas Weiblichkeit bei aller Stilisierung zur >Kriegsgöttin< gut sichtbar. In der Regie-Anweisung zum Fünften Auftritt im Zweiten Aufzug findet sich die Beschreibung: »Johanna mit der Fahne, im Helm und Brustharnisch, sonst aber weiblich gekleidet.« 50 Im Vierten Auftritt des Dritten Aufzugs erscheint sie dann »im Harnisch, aber ohne Helm, und trägt einen Kranz in den Haaren.« 51 Ganz ähnlich zeigt auch das berühmte Gemälde 49
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Diese Verkindlichung einer erwachsenen Frau dürfte in den vierziger und fünfziger Jahren kaum irritiert haben: In zeitgenössischen Filmen werden Frauen von ihren männlichen Gegenübern häufig mit >Kind< und >Kindchen< angesprochen (vgl. nur das geflügelte, ebenfalls an Ingrid Bergman gerichtete Kinowort »Here's looking at you, kid« im Klassiker Casablanca, 1942; Regie: Michael Curtiz). Zitiert nach: Friedrich Schiller: Die Jungfrau von Orleans, in: Sämtliche Werke in zehn Bänden. Berliner Ausgabe Bd. 4, hg. von HANS-GÜNTHER THALHEIM und einem Kollektiv von Mitarbeitern. Berlin, Weimar 1984, S. 419-598, hier 470. Schiller (Anm. 50), S. 488.
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von Jean Auguste Ingres (1854) Jeanne in Harnisch und Rock, mit langem Haar und Heiligenschein: So bleibt sie kenntlich als Frau, deren männliche Aufmachung religiös legitimiert ist. Das ist freilich noch weit entfernt vom xLeitbild der AndrogynieVerkleidung< könnte durchaus zur Herausforderung und zum Testfall der gültigen Geschlechterordnung werden, »denn die verkleidete Frau verkörpert ja gewissermaßen in einer Person die Geschlechterdifferenz«. 53 Die historische Jeanne nahm sich männliche Rechte und Privilegien heraus, vor allem das Recht zu unmittelbarer Gewaltausübung; diese Grenzüberschreitung manifestiert sich im Verstoß gegen die zeitgenössische Kleider Ordnung:54 »Die Kleiderfrage war nicht zuletzt deshalb so gravierend, weil sich nach dem mittelalterlichen Verständnis öffentlicher Repräsentation die Selbstdarstellung von Personen in Körperlichkeit rückübersetzt.« 55 Mit Waffen und Harnisch eignete sich das Bauernmädchen Jeanne also in aller Konsequenz einen adligen männlichen Körper an. Anders als die meisten in Mittelalter und Früher Neuzeit bezeugten >Frauen in Männerkleiderncross-dressing< w e i t e r MARJORIE GARBER:
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Vested Interests. Cross-Dressing and Cultural Anxiety. New York, London 1992. Damit geht die Verletzung von Standesgrenzen selbstverständlich einher. Vgl. hierzu KATHARINA SIMON-MUSCHEID: »Gekleidet, beritten und bewaffnet wie ein Mann.« Annäherungsversuche an die historische Jeanne dArc, in: RÖCKELEIN/SCHOELL-GLASS/MÜLLER (Anm. 3), S. 28-54. MARIA E. MÜLLER: Bauernmädchen. Imaginäre Grenzüberschreitungen in mittelalterlicher Literatur und Geschichte, in: RÖCKELEIN/SCHOELL-GLASS/MULLER (Anm. 3), S. 85-110, hier 105. Vgl. dazu RUDOLF DEKKER, LOTTE VAN DE POL: Frauen in Männerkleidern. Weibliche Transvestiten und ihre Geschichte. Berlin 1990; VERN L. BULLOUGH, BONNIE BULLOUGH: Cross Dressing, Sex, and Gender. Philadelphia 1993, S. 4573; VALERIE R. HOTCHKISS: Clothes Make the Man. Female Cross Dressing in Medieval Europe. New York, London 1996.
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halb der profanen Geschlechterordnung platziert. Jeanne könnte damit zur Figur der Subversion in der modernen Konstellation der Geschlechter werden, doch zeigt schon der erste Blick auf die Filme, dass sie fast unisono Jeannes unbezweifelbare Weiblichkeit hervorkehren. Diese Fixierung einer >natürlichen< und daher unabänderlichen Geschlechterdifferenz zeigt sich zum einen an der Darstellung Jeannes selbst, zum anderen über ihre Einbindung in Geschlechterbeziehungen. Vor dem Horizont modischer Emanzipation verflüchtigt sich der transgressive Charakter von Jeannes >cross-dressingmodernen Frau< erscheinen. Genau diese anachronistische Identifikation machen sich die Filme zunutze, statt sich etwa um eine wirkungsvolle Inszenierung des historischen Skandalons zu bemühen. In Ucickys Mädchen Johanna von 1935 wird scherzhaft bemerkt, dass Jeannes hübsche Beine in Hosen besonders gut zur Geltung kommen: >Warum also nicht eine Mode daraus machen?< In Leggins und Lederwams oder metallischer Tunika entspricht die Jeanne des späten 20. Jahrhunderts nahezu den zeitgenössischen Mode-Trends. Den Namen der Darstellerinnen lässt sich zudem ablesen, dass sich in Jeanne bis auf wenige Ausnahmen das jeweilige Ideal weiblicher Schönheit verkörpert. 57 Nicht zufällig kommt neben Stars wie Geraldine Farrar, Ingrid Bergman und Sandrine Bonnaire mit Milla Jovovich (nach The Fifth Element selbst Pop-Ikone) auch ein ehemaliges Model zum Einsatz. Der Trend von der vollbusigen (Farrar, Bergman) zur knabenhaften Jeanne (Sobieski, Jovovich), eingeleitet mit Jean Seberg, entspricht zudem deutlich dem gewandelten Körperideal. In den sechziger Jahren wird das Leitbild betont femininer Rundungen von schlanker und straffer Mädchenhaftigkeit abgelöst, dem Jeanne als kriegerisches Mädchen denn auch vorzüglich zu entsprechen scheint. Wie nachdrücklich auf Jeannes Attraktivität insistiert wird, illustriert Bessons Strategie, ihre Erscheinung mit dem spätmittelalterlichen Ideal weiblicher Schönheit zu konfrontieren: Faye Dunaway als Yolande von Aragon und intrigante Schwiegermutter des zaudernden Dauphin trägt, der Mode des 15. Jahrhunderts entsprechend, einen hoch ausrasierten Haaransatz. Beleuchtung wie moralische Charakterisierung dieser zwielichtigen Person lassen den Eindruck von Schönheit indes nirgends aufkommen. Schön ist nur Milla Jovovich als (noch unschuldige und langhaarige) Jeanne. Tatsächlich lässt sich die jeweilige Toleranzschwelle gegenüber Jeannes uneindeutiger Geschlechtsidentität recht präzise an der Länge Dreyer hat mit Maria Falconetti dagegen eine ungeschminkte Amateurdarstellerin gewählt, deren Gesichtszüge je nach Einstellung männlich oder weiblich wirken. Eine Amateurdarstellerin, Florence Carrez, spielt auch die Hauptrolle in Robert Bressons Proces de Jeanne d'Arc (1962).
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ihres Haars bemessen. 58 Zeigte Dreyer schon 1928 eine kurzgeschorene Jeanne, so bleiben spätere Darstellerinnen in ihrer Haartracht den jeweils geltenden Schönheitsvorstellungen verpflichtet und treten kinnlang gescheitelt (Farrar) oder mit adretter Pagenfrisur auf (Genevoix, Sallocker, Bergman, Bonnaire), während die Frisuren der Männer deutlich kürzer ausfallen und im wesentlichen den Haartrachten des männlichen Adels im 15. Jahrhundert entsprechen. Noch Leelee Sobieski trägt das Haar fransig halblang, doch entspricht dieser Schnitt bei Duguay immerhin der durchschnittlichen Haarlänge der männlichen Protagonisten. Bei Besson bleibt der kurze Haarschnitt mit soldatesk ausrasiertem Nacken auf die verhängnisvollen Kriegsepisoden beschränkt: In Chinon erscheint Jeanne mit langem Blondhaar, beim Prozess dann mit struppiger schwarzer Mähne, die am ehesten noch an den Struwwelpeter erinnert. Das schöne (weibliche) Gesicht muss ferner jederzeit ansichtig bleiben: Obschon die historische Jeanne wie ihre männlichen Mitstreiter in der Schlacht einen Helm trug, bleibt in den Filmen das Visier immer hochgeklappt, wenn den zeitgenössischen Visierhelm nicht einfach eine Haube ersetzt, die das Gesicht freilässt, oder der Helm — wie bei Besson — gleich ganz wegfällt. Das immerfort nackte Gesicht erscheint allerdings nie in Begleitung eines ebenso nackten Körpers. 59 Ganz als hingen die modernen Filme noch dem patristischen Diktum an, dass schon der indiskrete Blick die Jungfräulichkeit verletzen könne, 60 ist Jeanne im Männerheer immer nur bekleidet zu sehen. Die Prozessakten dokumentieren, dass Jeanne von ihren männlichen Begleitern bisweilen halbnackt gesehen wurde; Beschreibungen ihrer Nacktheit dienen hier dazu, das übernatürliche Ausbleiben von Lust und Begehren zu unterstreichen. 61 Noch die neuesten Jeanned'Arc-Filme vermeiden es aber, diese spezifische Artikulation ihres Sonderstatus umzusetzen. Uber die Gründe für eine derartige SelbstbescheiDie ikonographische Tradition der langhaarigen Jeanne reicht allerdings bis ins 16. Jahrhundert zurück: vgl. WARNER (Anm. 6), S. 211. Nacktheit ist im Genre des Mittelalterfilms keineswegs ein Tabu: vgl. nur die dem biblischen Sündenfall nachinszenierte Sequenz um Lanzelot und Ginevra in John Boormans Excalibur {1981). Vgl. dazu auch Johannas Widerwillen im Schiller-Drama (Anm. 50), Dritter Aufzug, Fünfter Auftritt, S. 495: »Der Männer Auge schon, das mich begehrt, | Ist mir ein Grauen und Entheiligung.« Vgl. etwa die Aussage von Jean dAulon im Rehabilitationsprozess: »Weiter sagt er, daß er, obwohl sie ein junges Mädchen war, schön und wohlgestaltet, und er manches Mal, wenn er ihr in die Rüstung half und sonst, ihre Brüste gesehen hat und gelegentlich ihre nackten Beine, wenn er ihre Wunden verband, und ihr häufig nahe war, und obgleich er jung und stark war und in voller Manneskraft, daß er dennoch niemals, wie immer er die Jungfrau sah oder berührte, von einer fleischlichen Begierde nach ihr ergriffen wurde.« (ANDREE DUBY, GEORGES DUBY: Die Prozesse der Jeanne dArc. Berlin 1985, S. 159.)
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dung lässt sich nur spekulieren, doch liegt es nahe, dass die Inszenierung nicht-erotisierender Nacktheit dem Interesse, Jeannes Schönheit zu betonen, zuwiderlaufen müsste. Der nackte weibliche Körper ist im 20. Jahrhundert nicht nur überschrieben von einem rigiden Schönheitsideal, in dieser Codierung sind >Schönheit< und >Erotik< auch untrennbar miteinander verknüpft und stabilisieren sich wechselseitig. Die Geschlechteridentitäten der Gegenwart konstituieren sich ferner wesentlich über das Begehren nach dem jeweils anderen Geschlecht: Jeannes Beharren auf ihrer Jungfräulichkeit und ihr fremd gewordenes Begehren, Gottes Willen kriegerisch zu erfüllen, müssen sich quer dazu stellen. So rücken schon die Bearbeitungen und Dramatisierungen des 18. und 19. Jahrhunderts die Frage nach dem Verbleib von Jeannes heterosexuellem Begehren in den Mittelpunkt. Einen spöttischen Kommentar liefert bereits Voltaire in seinem komischem Versepos La Pucelle d'Orleans (1762), worin die eisern jungfräuliche Jeanne fast den Avancen eines geflügelten Esels erliegt. Als tragischen Konflikt gestaltet dagegen Friedrich Schiller den Widerstreit von Johannas weiblicher Natur< mit ihrer kriegerischen Berufung. Mehrfach wird die jungfräuliche Heldin dazu ermahnt, sich >zum sanfteren Geschlechte zu bekennenbemuttern< möchte. Ihre wiederholte Selbstaussage »Ich bin ein Soldat« ergänzt sie um die naive Bemerkung »Soldaten kümmern sich immer um Kinder, wenn Gelegenheit dazu ist.«69 Im Ubersprung der Stilisierung Jeannes vom naiven Kind zur sorgenden Mutter bleibt erwachsene Sexualität, wie sie ihr Gegenüber flirtend suggeriert, als eigentliches, nur verkanntes Zentrum weiblicher Identität präsent. Einerseits signalisiert ihr >mütterlicher Instinkt«, dass Jeanne eben doch weiblicher ist, als sie selbst annimmt; andererseits insinuiert diese Szene eine Identifikation >soldatischer< Jungfräulichkeit mit kindlicher Unaufgeklärtheit anstelle einer bewussten Entscheidung für ein anderes Begehren. Neben solcher Unschuld können auch Verzicht und Verschiebung dazu dienen, das befremdliche Begehren der Heldin in die immer gleiche (und >natürlich< heterosexuelle) Ordnung zu integrieren. Duguays Jeanne tauscht verschiedentlich zärtliche Blicke mit Jean de Metz, von dem der Abspann im Gestus der historischen Evidenz notiert, er habe nie geheiratet. Besson zeigt in der Reihe der Halluzinationen auch einen suggestiven
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Vgl. dazu MARGARET R. MILES: Carnal Knowing. Female Nakedness and Religious Meaning in the Christian West. New Y o r k 1991, S. 53-77; GILLIAN CLOKE: This Female Man o f God. Women and Spiritual Power in the Patristic Age, A D 350-450. London, New York 1995; JOYCE E . SALISBURY: Church Fathers, Independent Virgins. London, New York 1991, S. 97ff. Vgl. SALISBURY (Αηχη. 65), S. 111 ff. Vgl. ζ. Β. Schiller (Anm. 50), Zweiter Aufzug, Siebenter Auftritt, S. 474: »Nicht mein Geschlecht beschwöre! Nenne mich nicht Weib. | Gleichwie die körperlosen Geister, die nicht frein | A u f ird'sche Weise, schließ ich mich an kein Geschlecht I D e r Menschen an, und dieser Panzer deckt kein Herz.« Vgl. WARNER (Anm. 6), S. 239. Diese Zeilen sind zwar Shaws Stück entnommen, werden im Film jedoch durch die Inszenierung (die hübsch geschminkte Jeanne flirtet mit kokettem Augenaufschlag mit Dunois) als blankes Unverständnis der eigenen unablegbaren Weiblichkeit bloßgestellt.
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Tanz Jeannes mit Christus, der ihrer Aussage »Ich will mit Gott vereint sein« einen erotischen Unterton verleiht. Diesen zarten Andeutungen ungelebten heterosexuellen Begehrens steht allenthalben Vergewaltigung als Paradigma der alltäglichen und daher >normalen< Geschlechterordnung gegenüber. Die Gefahr der Vergewaltigung in der Gefangenschaft — weit mehr als jede religiöse Motivation — ist es schließlich, die dem Publikum Jeannes Jungfräulichkeit und Geschlechtermaskerade erklärlich machen. In verschiedenen Zeugenaussagen des Rehabilitationsprozesses werden die Misshandlungen und Vergewaltigungsversuche beschrieben, denen Jeanne im Gefängnis durch ihre Wächter ausgesetzt war — allerdings erst, nachdem sie ihre Männerkleider abgelegt hatte.70 Fleming, Rivette, Duguay und Besson spielen dieses Motiv unterschiedlich detailliert aus.71 Fleming belässt es noch bei anzüglichen Blicken, Bemerkungen und Drohgebärden; Rivette lässt seine Jeanne brutal mit Ketten an die Pritsche fesseln, bedroht und beschimpft von ihren Wärtern (»wir werden dich vögeln, wenn es uns passt, du Hure, und danach machen wir dich kalt«). Ein englischer Besucher, der dafür bezahlt hat, die Gefangene zu sehen, überfällt kurz darauf die Wehrlose und wird nur knapp daran gehindert, sie zu vergewaltigen. Zur Vergewaltigung Jeannes kommt es dann bei Duguay. Allerdings bleibt diese Szene unbebildert; nur Jeannes Entsetzensschreie sind zu hören. Später bekennt sie dem schockierten Jean de Metz, dass es >die Jungfrau nun nicht mehr gibtcross-dressing< und sexueller Gewalt etablieren die Filme eine degenerierte und durch taktische Brutalität pervertierte Ordnung der Sexualität und des Geschlechts, die Jeannes dissidentes Verhalten erklärt. Keusche Liebe (Duguay) oder religiöse Ekstase als Ventil unausgelebten Begehrens (Besson) sind Folgeerscheinungen einer gestörten heterosexuellen Ordnung, nicht aber losgelöst von ihr zu denken. Jungfräulichkeit und Transvestitismus erscheinen als bloße Replik auf inakzeptable Geschlechterverhältnisse. In diesem Bereich sind auch die Auslassungen der Filme besonders aufschlussreich. Gestrichen wird nicht nur das religiöse Deutungsmuster, das den jungfräulichen Körper jenseits der profanen Parameter von Sexualität und Geschlecht ansiedelt, sondern auch dessen körperliche Manifestation, wie sie in den Prozessakten begegnet. Verschiedene Zeugenaussagen bekunden, dass Jeanne nie menstruiert habe: ein Wunder, das ihre Abberufung vom üblichen Schicksal der Weiblichkeit beweist. Im 20. Jahrhundert kann diese Absonderlichkeit offenbar nur noch als Beleg für einen biologischen Fall von Hermaphroditismus gedeutet werden, 73 doch diesen körperlichen Mangel an Weiblichkeit übergehen die Filme. Die mehrfach vorgenommene Überprüfung der Virginität Jeannes inszeniert Besson dagegen als Apotheose des verklemmten Mittelalters. Ein Priester incantiert, während Jeanne in Chinon halböffentlich (und gegen alle Quellen immer noch langhaarig) an den Schamteilen untersucht wird. 74 Mehr als jeder andere Film (und abermals gegen die Quellen) insistiert Bessons The Messenger auf Jeannes Weiblichkeit. Noch in Chinon trägt sie Frauenkleider, erst kurz vor der Schlacht von Orleans schneidet sie sich die Haare ab, und vom Beginn des Inquisitionsprozesses an tritt sie wieder weiblich gewandet auf. Rivette kleidet seine Jeanne zwar in einen glänzenden Panzer, doch trägt sie darunter rote Leggins, so dass bei Kampfhandlungen manches Mal Gesäß und Schoß signalfarben aufleuchten. Angesichts solcher Inszenierungen eines schönen, unverkennbar weiblichen (und wenigstens potentiell erotischen) Körpers erstaunt es nicht, dass Jeanne nie für einen Mann gehalten wird: Die Möglichkeit einer ernsthaften Verwechslung existiert nicht. Dafür, dass Jeanne ihre so evidente weibliche Natur verleugnet, ist insgesamt der ruinöse Zustand der natürlichen Geschlechterordnung verant-
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die Männerkleidung dazu, grundsätzlich den symbolhaft-mystischen Zusammenhang zwischen Männerkleidern, Mission und göttlicher Auserwähltheit zu verwischen« (SIMON-MUSCHEID [Anm. 54], S. 38f.). So R O S T (Anm. 1 4 ) , passim. Dies Spektakel bleibt zugleich dem Gestus einer verqueren Rationalität verhaftet: Da am königlichen Hof keiner an echte Wunder glaubt, bleibt nur die körperliche Jungfräulichkeit Jeannes als biologische Legitimation ihres Anspruchs.
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wortlich. Wenn praktizierte >Sexualität< nur als Vergewaltigung vorkommt, sind die Geschlechterverhältnisse bereits in schöner Eindeutigkeit als Machtbeziehungen figuriert, doch diese Schattenseite männlicher Gewalt wird ergänzt um ein durchgängig präsentes Ideal männlicher Überlegenheit und Stärke. Jeanne selbst träumt von einem integren, selbstbewussten König: ein Ideal, dem weder der schwache, von Selbstzweifeln geplagte noch der zynische Dauphin je gerecht werden kann. Nahezu alle Filme setzen dagegen aber eine Personifikation wahrer, aufrechter Männlichkeit, geradezu als >Gegenkönigcurvegrande dame< (Shirley MacLaine) reiht sich unter die Politiker, die Jeanne nur für ihre Zwecke benutzen wollen, und erscheint damit als Gegenbild zu den treusorgenden Müttern (Mutter Babette sowie Isabella Darc), denen Machtinteressen fremd sind. Weibliche Machtausübung wird so abermals negativiert und zudem als Denaturalisierung von Mütterlichkeit ausgestellt. WARNER (Anm. 6), S. 198f.; dort auch weiter zur Stilisierung Jeannes als Amazone.
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äußerst wehrhaft und tötet im Zweikampf den Waliser Montgomery. 77 Die Filme dämpfen das Bild der kämpfenden Frau jedoch erheblich. 78 Jeannes Gefallen an Rüstung, Kriegsgerät und Schlacht ist ganz offensichtlich nicht vereinbar mit der Definition von >Weiblichkeit< durch Gewaltlosigkeit. Schon Ingrid Bergman als Jeanne (»Ich hasse Schlachten!«) bricht vor der allseitigen Gewalttätigkeit in Tränen aus. Sie schwingt zwar das Schwert, doch nur, um ihre Truppen zum Angriff zu ermuntern. Obwohl Rivette seine Jeanne beim Angriff auf Paris in einen kurzen Schwertkampf verwickelt, nimmt sich dieses Intermezzo ebenso dilletantisch wie unblutig aus. Rings um die Jungfrau wird recht hemmungslos getötet, doch dafür kann diese Heldin eben nur indirekt verantwortlich sein. Obschon Besson mit Blutfontänen und rollenden Köpfen nicht spart, darf auch Milla Jovovich nicht selbst dreinmetzeln, 79 sondern steht dem Gewaltpanorama entsetzt gegenüber. Mitten in der Schlacht betätigt sie sich als Krankenschwester und sorgt sich um Verwundete. Besson inszeniert zudem eine schroffe Gegenüberstellung männlicher Brutalität und weiblichen Mitgefühls, wenn er Jeanne einen englischen Gefangenen retten lässt, bevor ihm ein französischer Soldat die Zähne aus dem Mund brechen kann. In The Messenger wie auch in Duguays Joan of Arc kommt der nur angedeutete Griff der Jungfrau zum Schwert ihrem Sündenfall gleich, der den tragischen Abstieg der Heldin einleitet. Bei Besson erscheint Jeanne unmittelbar nach der Befreiung von Orleans der blutende Christus und gibt ihr die Schuld an seinem Leiden. Nach dieser Vision bereut die hysterisch schreiende Jeanne blutüberströmt, die Schrecken des Krieges provoziert zu haben. Ihr zuvor blondes Haar bleibt von nun an dunkel verfärbt. Gewalttätig ist sie nicht, aber die Zeichen der (männlichen) Gewalt manifestieren sich an ihrem Körper. Bei Duguay ereignet sich der tragische Umschwung während der Schlacht um Paris. Gegen den Rat ihrer männlichen Begleiter (wie auch ihrer mütterlich frommen Ratgeberin) besteht Jeanne auf einem Angriff, in dessen Verlauf einer ihrer treuesten Gefolgsleute sowie der eigene Bruder ums Leben kommen. Gezeigt wird die schwertschwingende Jeanne im Ansturm gegen die Pariser Verteidiger, doch bevor es zum ersten Schlagabtausch kommen kann, fällt neben ihr der Bruder. Zu choralhaften Klängen wiegt Jeanne als Pietä dann den Sterbenden im
Schiller (Anm. 50), Zweiter Aufzug, Siebenter Auftritt, S. 476. Von Schiller kolportiert allerdings Karl August Böttiger, er habe an eine weibliche Darstellerin in der Rolle des Montgomery gedacht (Kommentar zur Ausgabe, S. 481). Das überrascht angesichts der Präsenz gewalttätiger Kinoheldinnen in der AlienSerie oder den Terminator-Filmen. Bevor ihr das >Gewissen< einredet, sie habe die Gewalt genossen, sieht man Jeanne bei ihrer Gefangennahme nur einmal und recht ungelenk das Schwert einsetzen.
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Arm. Eine Lust an der Gewalt, wie sie die männlichen Protagonisten immer wieder an den Tag legen, bleibt für die Heldin ausgeschlossen.
Sündenfall der Gewalt: Lselee Sobieski als Pietä (Joan of Arc, 1999)
Besonders offensichtlich wird die Rolle des weiblichen Körpers im Krieg aber am dramatischen Einsatz von Jeannes Harnisch, jenem Zeichen einer usurpierten Herren-Identität: »Herren trugen damals Waffen bzw. eine [...] Kleidung, die ihre Körper in ihrer dynamischen Muskelkraft und Penetrationsfähigkeit ausstellten.« 80 Jeanne tritt zwar in derartiger Panzerung auf, doch demonstrieren die Filme gleich in doppelter Hinsicht, dass ihr damit nicht schon männliche Aggressivität und Unangreifbarkeit zufallen. Vorgeführt wird dies anlässlich ihrer Verletzung durch feindliche Pfeile und Armbrustbolzen, die vor Orleans und Paris ihren Harnisch durchschlagen.
Wunden und Ketten als Passions^eichen (Ingrid Bergman als Joan of Arc, 1948)
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MÜLLER ( A n m . 55), S. 105.
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Dieses immer wieder verfilmte Ereignis belegt, dass die Frau letztlich nur in der Rolle des Opfers am Krieg partizipieren kann. Selbst der glänzende Panzer bezeichnet an ihrem Körper nicht Aggressivität, sondern Verletzbarkeit: Dieser Körper kann nach wie vor penetriert werden, und damit verrät er seine Weiblichkeit unter der bloßen Maskerade.
5. Die Zeichen der Passion und das Martyrium des Geschlechts Wollte man den Kinomythos Jeanne d'Arc auf ein einziges Bild reduzieren, so wäre dies das Bild des Scheiterhaufens — als Emblem des >Hexenwahns< auch ein gängiges Zeichen für >Mittelalter< schlechthin 81 — am Ende der Filme. Jeanne ist die Frau, die verbrannt wird. Seit DeMilles grotesk überdimensioniertem Scheiterhaufen zeigen die Jeanne-d'Arc-Filme, mehr oder minder aufdringlich, einen flammenumkränzten Frauenkörper, der sich am mittelalterlichen Marterpfahl windet. 82 Illustriert dies einerseits die Barbarei der fernen Epoche, so ist andererseits nicht zu verkennen, dass hier auch die Bestrafung einer Dissidentin zelebriert wird, über deren Rechtmäßigkeit das Publikum nunmehr befinden kann. Nirgends wird das deutlicher als in der Inszenierung Duguays: Aus Vogelperspektive blickt der Betrachter auf die »danke!« flüsternde Jeanne und besetzt damit die Position des göttlich-richtenden Blicks. Zu den Konstruktionen von >Mittelalter< und >Weiblichkeit< in den Jeanne-d'Arc-Filmen gehört wesentlich die Ikonographie der Passion: die nach oben verdrehten Augen und das schmerzverzerrte Gesicht Maria Falconettis ebenso wie die schönen Tränen Ingrid Bergmans. Wie mittelalterliche Heilige wird Jeanne begleitet von den Insignien ihres Martyriums, die zugleich ihre Weiblichkeit signifizieren und kommentieren. Außerordentlich komplex zeigt sich das Verfahren Carl Theodor Dreyers, der die religiöse Aufladung und Umdeutung der Passionszeichen selbst in den Mittelpunkt einer Sequenz rückt. Ist Jeanne zuerst im Kerker beim Korbflechten zu sehen, wird ihr kurz darauf der noch unfertige Strohring von ihren Wächtern entrissen, die ihn um ein Schwert kreisen lassen, ihn sich 81
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Mit einem solchen Bild eröffnet z. B. Elizabeth von Shekhar Kapur (1998). Wenn sich Elisabeth am Ende des Films die Haare abschneidet, verdichtet sich in dieser Geste der Preis des Machterhalts, der mit dem Verzieht auf Liebe und die eigene Weiblichkeit erkauft ist. Auch Der Name der Rose kann auf das Spektakel der Ketzer- und Hexenverbrennung nicht verzichten. Ironisch reflektiert wird dieses Mittelalter-Stereotyp schon in Monty Vython and the Holj Grail. Gegen Shaws Stück zeigt auch Premingers Saint Joan das Spektakel der Verbrennung, und das mit sichtbar sadistischem Vergnügen: Die Filmszene lässt noch deutlich erkennen, wie knapp Jean Seberg der Verletzung durch die heftig auflodernden Flammen entging.
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spöttisch als Krone aufsetzen, um schließlich Jeanne selbst damit zu krönen. Das letzte Bild dieser Sequenz erinnert deutlich an die Dornenkrone und die Passion Christi, kommentiert im Text auch mit den Worten, Jeanne sei nun als >Tochter Gottes< zu erkennen. Steht das anachronistische Zeichen des Korbflechtens zuerst für die Gefangenschaft, so verschiebt es sich im zweiten Schritt zur Metonymie für Jeannes von den Wächtern bedrohten Körper, dessen Fragilität an der Schwertspitze schmerzlich erfahrbar wird; das angespielte Motiv der Vergewaltigung kommt hier aber ohne den pornographischen Blick auf den Frauenkörper aus. Die Spottkrönung des Wärters verweist auf die Krönung Charles des VII. durch Jeanne, während sich das Korbgeflecht auf ihrem geschorenen (und geschundenen) Kopf zur Dornenkrone (und damit zur Märtyrerkrone) wandelt. Die leidende Jeanne ist als weiblicher Christus zu sehen; deutlich ist die gesamte Sequenz der Passion des verspotteten Gottessohns nachmodelliert. Ein ähnliches Zeichen der Passion verwendet auch Ucicky, der die Dornenkrone mit dem Blumenkranz kombiniert. Im Vorfeld der Königskrönung sieht man Jeanne in weiblicher Begleitung Kränze winden, wobei sie über ihr Heimweh nach Heimatdorf und Familie spricht und betrübt darüber ist, sich derart ungeschickt bei einer so vertrauten (weiblichen) Verrichtung anzustellen. Nach Charles' Krönung sitzt Jeanne dann im Harnisch an der Tafel, den Blumenkranz auf dem Kopf. Ihre schon in der voraufgegangenen Szene ausgestellte Mädchenhaftigkeit wird noch unterstrichen, indem ihr der König einen Spiegel reicht — topisches Zeichen weiblicher Eitelkeit — und dazu spöttisch bemerkt: »Du könntest dich in dich verlieben.« Die naive Jeanne (»ich denke gar nicht, ich bin glücklich«) berichtet ihrem König in dieser Szene von einem Heimatbrauch: Am Johannistag tragen alle Mädchen Blumenkränze, die >den Hochzeitskranz< bedeuten, wenn sie frisch bleiben, und >den TotenkranzEhe oder Tod< vor. Jeannes verwelkter Blumenkranz weist einerseits zurück auf den verworfenen Lebensweg (die Gründung einer eigenen Familie in der >HeimatHochzeitskranzHochzeitskranzes< weiblich besetzt. Zum dramatischen Dreh- und Angelpunkt wird die Frage der Zeichendeutung in Bessons The Messenger. In der Konfrontation Jeannes mit ihrem >Gewissen< kommt es zur Demontage jenes Zeichens, mit dem die Jungfrau ihre Auserwählung begründet. Nicht zufällig handelt es sich dabei um den >phallischen Signifikantem des Schwerts. Hatten frühere Filme Jeannes Gewalttätigkeit heruntergespielt oder übersprungen, so setzt Besson zur Rekonstruktion ihrer weiblichen Identität an, indem die patriarchale Autorität des Gewissens Jeanne jedes Anrecht auf das männliche Gewaltsymbol abspricht. 83 In der Kindheitssequenz blieb es noch Jeanne selbst überlassen, die plötzliche Präsenz der übernatürlich glänzenden Waffe als göttliche Botschaft zu deuten; in der Kerkersequenz greift der Filmemacher mit den Visualisierungen alternativer Erklärungsmöglichkeiten direkt in die Handlung ein, um Jeannes eigenmächtige Interpretation Vgl. dazu auch WARNERs Fazit zu Jeanne als >Amazone< in der Rezeptionsgeschichte (Anm. 6), S. 216: »It is not her androgynous aspect that has been obscured through fear but rather the sharpness of the Amazon threat has been sweetened. Joan's Amazonian likeness had to be softened to be countenanced at all; her transvestism, her amor, her inviolability had to seem something that in the final conclusion was offered on the altar of male supremacy.«
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zu disqualifizieren. An die Stelle der göttlichen Mission setzt er die vorgebliche Rationalität des bloßen Zufalls. Diese aufwendige Inszenierung lässt aber auch erkennen, dass die Geschlechterordnung von der Macht über die Zeichen abhängt. Nicht von ungefähr tritt Jeannes Gewissen als männliche Autorität auf, statt beispielsweise in Gestalt der Heiligen Katharina, mit der die historische Jeanne (und noch die ein oder andere Film-Johanna) Zwiesprache hielt. Wort- und bildgewaltig negiert dieses Gewissen die Möglichkeit einer legitimen Aneignung des zentralen Signifikanten der Männlichkeit. Die Waffe als >Phallus< muss unzweifelhafte Geschlechtsidentität garantieren, gerät sie >zufällig< in falsche - nämlich weibliche — Hände, dann kann es sich dabei nur um eigensinnige und halluzinatorische Anmaßung handeln. So befindet das richtende Gewissen zuletzt auf Selbsttäuschung: »Du hast nicht gesehen was wirklich war, Jeanne. Du hast gesehen, was du sehen wolltest.« Obschon die übrigen hier vorgestellten Filme die Definitionsmacht der Zeichen nicht derart explizit reflektieren, verbürgen zeichenhafte Requisiten doch stets eine spezifisch weibliche Passion. Gefangen zwischen schwer klirrenden Ketten, Frauenkleidern und Scheiterhaufen durchleidet Jeanne das Martyrium ihres Geschlechts. Auch wenn sie sich hartnäckig weigert, Frauenkleider anzulegen, ist ihr die weibliche Handarbeit nicht fremd. Flemings Jeanne wird in der Gefangenschaft für ihre schöne Stickerei gelobt; bei Rivette sagt sie: »Wenn ich das Kleid einer Frau tragen wollte, dann könnte ich es nähen.«84 Neben der bewaffneten Jungfrau erscheint hier das verworfene Gegenbild der Märtyrerin mit der Nadel. Eine letzte Geste des Widerstands und der Souveränität inszeniert Duguay, wenn die vergewaltigte Jeanne wiederum Männerkleider anlegt. In dieser Sackgasse der männlichen Macht- und Gewaltausübung deutet sie ihren >Rückfall< um zur Rettung nicht nur der eigenen Seele, sondern auch der Bischof Cauchons. Im äußerst engen, von der patriarchalen Ordnung eingeschränkten Aktionsspielraum können sich Jeannes Selbstverständnis und ihr Wille zur Selbstbestimmung nur im Umgang mit den Passionszeichen artikulieren. Flemings Jeanne d'Arc wirkt an ihrer Hinrichtung aktiv mit, wenn sie sich die verrutschende Kette selbst über die Schulter schiebt. Das mag aus historischer Distanz unfreiwillig komisch wirken, doch im Kontext des Films demonstriert diese Geste Jeannes Entschlossenheit, unnachgiebig für die eigene (hier: vaterländische) Uberzeugung einzustehen. Alle anderen Jeanne-Darstellerinnen zeigen angesichts von Verurteilung und ScheiterDieser Satz fällt in einer Sequenz, in der Rivette Ansätze zu weiblicher Solidarität gegen die Kriegspolitik der Herren vorfuhrt. Jeannes Insistieren auf Männerkleidung und kurzem Haar hebt sie hier gegen die traditionellen Weiblichkeitsmuster und eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten von Ehefrauen und Töchtern ab.
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häufen allzu menschlichen Schrecken bis hin zum hysterischen Geschrei (so Angela Sallocker bei Ucicky: »Tod! Tod!«). Rivettes Jeanne schluchzt und bejammert lautstark die bevorstehende Zerstörung ihres >reinen Leibsgotischen Formwillen< als eine Transformation nordisch-primitiver, nicht zuletzt in Tierformen konzentrierter Ornamentik gedeutet hatte. Gilt das Ornamentale generell als Verkörperung einer apriorischen Disposition »in paradigmatischer Reinheit«, nämlich als »genaue [r] Ausdruck des Verhältnisses, in dem die betreffende Menschheit zur Welt steht«, so vertritt die Gotik mit ihrer Umformung des zunächst Ausdrucklosen ins Ausdruckhafte eine ambivalente Bewegung, in der das Ubermächtige der Wirklichkeit zugleich gebändigt und gesteigert erscheint: Worringer sieht »in dieser Linienphantastik mit ihrer aller organischen Mässigung baren, fieberhaft gesteigerten Bewegtheit das intensive Verlangen, eine Welt unsinnlicher resp. übersinnlicher geistiger Ausdrucksformen
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zu schaffen.« 56 Lang zeigt, wie fragil dieses Verlangen ist: bedroht nämlich einerseits von den Energien und Trieben, die in abstrakter Form aufgehoben werden sollen, andererseits von der Totalität des abstrahierenden Prinzips, das die Gesellschaft im Ganzen erfasst und fraglich macht, ob die Kunst, die »vorher Beschwörung und Negation des Lebens war«, nun »zu einer idealen Steigerung des Lebens« wird. 57 Im Film scheint diese Steigerung kaum aus dem Innern der burgundischen Welt möglich. In ihr bleiben Figuren und Gruppen geometrisch >gebunden< — vom Kreuz, das Kriemhild auf Siegfrieds Gewand stickt, überblendet Lang auf die Reihe der Speere, aus denen Hagen den tödlichen wählt. Das Metaphorische wird zum Realen, doch die Protagonisten entkommen der Zeichenhaftigkeit sowenig wie der Schicksalhaftigkeit. Siegfried Kracauer wird wenige Jahre später, wo er das moderne Leben in seiner Spannung zur anonymisierenden Ornamentalität der Masse entwirft, diese Dimension herausheben: »Ein Strom des organischen Lebens wälzt sich von den schicksalhaften verbundenen Gruppen zu ihren Ornamenten, die als magischer Zwang erscheinen und so mit Bedeutung belastet sind, daß sie sich zu reinen Liniengefügen nicht verdünnen lassen.« 58 Kracauer sieht in der Ornamentalisierung einen »Rückschlag in die Mythologie« und unternimmt eine ideologiekritische Aufklärung seines selbst ornamentversessenen Jahrzehnts. Dass das Ornament im Film auf der Kippe zwischen Archaik und Dekadenz steht, spiegelt insofern eine durchaus aktuelle Ambivalenz — von der auch der nordische Heros nicht ausgenommen bleibt. Siegfried ist in der Welt der geometrisierten Kultur kein Fremdkörper. Mit seinem reich ornamentierten Königsmantel passt er ins Ambiente, obschon er andererseits durch seine Lichthaftigkeit und Beweglichkeit heraussticht. Mit Siegfried kommen Helle und Leben in die graue burgundische Hofexistenz. Mit ihm erhalten die Elementarkräfte (Feuer, Wasser) Einzug. Mit ihm bricht ein Stück Natürlichkeit in die Künstlichkeit ein. Als er und Kriemhild sich einige Zeit nach der Rückkehr aus Island im Garten unter dem Kirschbaum treffen, bilden sie eine Einheit mit der sie umgebenden Natur. Brunhild hingegen, die sie beobachtet, bildet eine Einheit mit dem dunklen, halbgeöffneten Vorhang, durch den 56
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Wilhelm Worringer: Formprobleme der Gotik. München 1911, 8.-12. Aufl. 1920, S. 42f. Zum zeitgenössischen Kontext der Schrift M A G D A L E N A B U S H A R T : Der Geist der Gotik und die expressionistische Kunst. Kunstgeschichte und Kunsttheorie 1911-1925. München 1990; C L A U D I A Ö H I . S C H L Ä G E R : Abstraktionsdrang. Wilhelm Worringer und der Geist der Moderne. Paderborn 2005. Worringer, ebd., S. 17. Siegfried Kracauer: Das Ornament der Masse (1926), in: ders.: Das Ornament der Masse. Essays. Mit einem Nachwort von K A R S T E N W I T T E . Frankfurt/M. 1977 (suhrkamp taschenbuch 371), S. 50-63, hier 51. Zu Kracauer auch H E L L E R (Anm. 39), S. 506f.
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wir auf sie blicken (s. oben). Wieder ist die visuelle Antithetik deutlich. Leben, Kraft und Dynamik verkörperte auch Brunhild — vor ihrer Niederlage gegen Siegfried. Durch diese wird sie zum Gegenprinzip, das schließlich dazu beiträgt, das Leben aus Worms zu vertreiben. Der konkreten Versteinerung der Nibelungenwelt, die mit Siegfrieds Aufbruch nach Worms einherging, korrespondiert eine symbolische der burgundischen Welt nach Siegfrieds Tod. Mit dem Bild der trauernden Kriemhild, schwarz gekleidet in Siegfrieds Mausoleum, umgeben von ihren Frauen, beginnt der zweite Teil des Films. Es ist Winter. Die Helligkeit der Gewänder ist der des Schnees gewichen, das mythische Feuer, das mit Siegfried in Beziehung stand, hat dem Kaminfeuer Platz gemacht. Schwermütig sitzt ein einsamer Gunther auf seinem Thron. Hagen versenkt mit dem Hort das letzte Stück von Siegfrieds (und Kriemhilds) Macht in der Donau. Doch die Erstarrung wird aufgebrochen, indem noch einmal eine andere Welt ins Spiel kommt: diejenige Etzels, der als ferner Brautwerber ebenso in einer Irisblende eingeblendet wird wie die ferne Braut Brunhild im ersten Teil. Der Auszug ins Land Etzels markiert einen Neubeginn: Es ist Frühling, die Sträucher blühen, das Leben kommt wieder in Bewegung. Allerdings auf fremdartige Weise. So wie das weite Hunnenland in Opposition steht zur geschlossenen Wormser Burg, so sind auch die Lebensformen und Bildstrukturen gegensätzlich angelegt: statt Vertikalen Horizontalen, statt Ordnung Chaos, statt Strenge Ausgelassenheit, statt Klarheit flackerndes Licht, statt Sauberkeit Schmutz, statt verfeinerten Kleidersitten unbekümmerte Dürftigkeit, anklingend an die Nibelungen des Anfangs. Thea von Harbou hat im Drehbuch die Situation beim Einzug Kriemhilds in die Etzelburg beredt ausgemalt: Das Lager ist in hellem Aufruhr. Allerorten brennende Fackeln, die nur um so deutlicher machen, mit welch bodenlosem Dreck und Morast die sogenannte Straße, die durch das Lager fuhrt, bedeckt ist. Männer, Weiber und Kinder, die Kriemhild entgegenrennen, wirken wie aus Erdhöhlen hervorgekrochen. Die Kinder sind fast ganz nackt, die Erwachsenen in Fetzen und Leder gekleidet, tragen aber zuweilen den fabelhaften Schmuck der Kriegsbeute über dem schmutzigen Fell und in den von Dreck verklebten Haaren. Hunde und Pferde vergrößern das allgemeine Durcheinander. Schweine, mager und schmutzig, struppige Ziegen, alles wirr durcheinander, dem Zuge Kriemhilds entgegen. [...] Ein^elaufnahme: Hunnenweiber mit ihren verlausten, brüllenden Kindern auf dem Rücken und den Hüften, mit offenen Mäulern zu Kriemhilds Antlitz aufglotzend. [...] Ein^elaufnahme Kriemhilds, die mit dem Ausdruck unverhohlenen Entsetzens und Abscheus auf die Szenen vor ihr blickt.59
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Ausschnitt aus dem Drehbuch, in: Fritz Lang: Die Nibelungen (Anm. 13), S. 31.
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Im Film ist der Abscheu der Protagonistin gemildert. Es dominiert die Fremdheit der »auf dem Instinkt« aufgebauten orientalischen Kultur. 60 Mit beinah ethnologischem Blick und photographischer Prägnanz beobachtet die Kamera einen primitiven Stamm, in dem Naturnähe und Kriegertum sich vereinen: Die nackten, um einen Baum tanzenden Kinder (eine Adaptation von Hans Thomas Gemälde von 1875) finden sich plötzlich von den Reiterscharen des hunnischen Heers umringt. Generell dominiert die Masse: der Haufen anonymer, wilder Kämpfer in wuselnder Bewegung, die zu keinen geordneten Formationen findet.
Wo das Nibelungenlied eher den aufwendigen Weg ins ferne Land als dessen kulturelle Fremdheit betonte, setzt der Film - vor dem Hintergrund zeitgenössischer Völkerpsychologie — auf abstrakte Oppositionen, die nicht zuletzt den Unterschied der beiden gleichermaßen vitalen heroischen Herrscherfiguren herausstellen: hier der lichtvolle, saubere, germanische Siegfried, dort der düstere, unheimliche, mongolische Etzel — der sich indes, obschon schrecklich anzusehen, als höfischer Ehemann und ω
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vorbildhafter Gastgeber erweist. Sein Ziel, Rom einzunehmen, beginnt sich unter Einfluss der >weißen Frau< zu verschieben und, als mit einem Sohn die Prokreation gesichert ist, ganz zu verflüchtigen. Die Hunnenwelt ist somit wie schon die Islandwelt zuvor nur teilweise eine Gegenwelt, sie besteht ebenso aus tanzenden, zuckenden Leibern wie aus höfischritterlichen Figuren und Codes, ebenso aus Lehmhütten und Felsenhöhlen wie aus einem mächtigen Palast, dessen Torbogen immer wieder den Wormser Bogen in Erinnerung ruft. Das heißt aber auch: Die Vergangenheit wirft ihre Schatten in die hunnische Welt hinein. Die Heirat zwischen Rüdigers Tochter Dietlind und dem jüngsten der Burgunderkönige Giselher scheint zwar eine Zukunft zu eröffnen, der Rechtsakt der ineinander gelegten drei Händepaare über den früheren, ähnlich besiegelten Männerbund (Gunther, Siegfried, Hagen) hinauszuweisen. Doch schon Rüdigers Satz »So binde ich in Treue Bechlarn und Burgund: Ein Herz, Ein Leben, Ein Tod!« zeigt: Auch diese Verbindung basiert auf der gleichen Prämisse wie die andere. Überdies erfolgt die Einblendung des Zeremoniells in Hinsicht auf Kriemhild, die versonnen-schwermütig auf die von einem hunnischen Boten mitgeteilte Neuigkeit reagiert. Für sie ist der Neubeginn nur Möglichkeit, das Alte zu Ende zu bringen. Kurz zuvor war sie noch einmal nach der Geburt ihres Sohnes in Weiß mit langen Zöpfen erschienen, nur um im nächsten Moment wieder in die Haltung trauernden Gedenkens und unzugänglicher Strenge zu wechseln. Ihr Blick bleibt, was er seit dem Tode Siegfrieds war: auf eine unbestimmte Ferne gerichtet, in der verschwand, was das Leben ausmachte, zurücklassend in der Nähe nur das, was dieses Verschwinden ermöglichte. Am beweglichsten scheinen ihre Augen, die schwarzgeränderten, die die Welt und die Zuschauer fixieren in der Ambivalenz eines zugleich wilden und tötenden Blickes. Wie eine Schlafwandlerin agiert sie, eine stolze Untote, die vom eigenen Grab her (»Ich starb, als Siegfried starb«) alles in den Untergang reißt. Dieser Untergang vollzieht sich visuell als zunehmende Verdunkelung und Horizontverengung. Die Schauplätze beschränken sich auf die Halle, in der die Burgunden sich behaupten, den Platz, auf dem sich die hunnischen Krieger versammeln, die Treppe, von der aus Kriemhild das Geschehen dirigiert. Triumphierend konstatiert sie, dass Volker wieder zu singen angehoben hat — er, der ihr die Kunde brachte von Siegfried und der seine Fiedel zerschlug, als sie sich abschiedslos zu Etzel auf den Weg machte. Erst als er wieder bei Kriemhild ist, nimmt er seinen Gesang wieder auf. Doch diesmal ist es ein trotziger, der heroische Taten nicht gegenwärtig macht, sondern begleitet. Er dient nicht mehr der Unterhaltung und der Verbreitung der Sage, sondern der Stiftung gemeinschaftlicher Identität in der Krise. Er stützt die Selbstbehauptung und weckt den Ein-
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geschlossenen, vom unehrenhaften »Rauchtod« bedroht, die Sehnsucht nach dem, was sie in diesem Moment bitter entbehren: »Ach, wären wir am kühlen, grünen Rhein!« — neben dem rettenden Element auch die ferne Heimat. Volkers wilder Blick, sein aufgelöstes Haar und seine vehementen Handbewegungen kontrastieren seinem ersten Auftritt am burgundischen Hof. Sein Lied aus der Feuerhölle begleitet das Inferno der herabstürzenden Trümmer, unterstrichen von der Musik, die »wie das Ostinato einer Passacaglia die totale Katastrophe« hörbar macht und zugleich an die vor dem Palast wartende Kriemhild vermittelt. 61 Kein Text von Volkers Gesang wird mitgeteilt. Das Lied ist das, was wir sehen. Es ist identisch mit dem Kampf, der sich vollzieht. Als Dietrich den Saal betritt, nutzt ein sterbender Hunne die Gelegenheit, einen letzten Pfeil blind hineinzuschießen - und Volker niederzustrecken (im Nibelungenlied stirbt er unter einem Streich Hildebrants; Str. 2287). Er löscht damit zugleich den Blick aus, mit dem jener die Zuschauer zuvor fixierte. 62 Mit Volkers Tod ist auch die heroische Berichterstattung am Ende. Die Kämpfe zwischen Dietrich, Hagen und Gunther bleiben ausgespart, die Kamera zeigt den Palast nurmehr von außen, als Hintergrund eines letzten kurzen Kammerspieles zwischen den Hauptfiguren, »kontrapunktiert [von] Huppertz mit beißender Satire aus dem Treuemotiv der Blutsbrüderschaft, die Hagen, Gunther und Siegfried einst verband.« 63 Gunther wird enthauptet, Hagen von Kriemhild mit einem Schwertstreich getötet, sie selbst daraufhin aber nicht wie im Epos von Hildebrant gerichtet: Von einer unsichtbaren Macht erschüttert, sinkt sie liebestodartig dahin, mit letzter Kraft das aus der Heimat mitgenommene Häufchen Erde freigebend: »Nun, Erde, trinke dich satt!«
5. Tod und
"Leben
Der Film wertet Kriemhild, die am Ende des Epos als Teufelin bezeichnet wird, auf und verschärft so die Spannung zwischen den beiden Antriebsmomenten des Untergangs: dem extremen sippengeprägten Treuebegriff der Burgunden und dem ebenso extremen liebesgeprägten Treuebegriff Kriemhilds. Beide erscheinen als Ausdruck archaischer Bindungsformen, die, in der Vergangenheit wurzelnd, in der Gegenwart nicht revidiert, nur memoriert und ausagiert werden können. Auch im Falle des zwischen den Seiten stehenden Rüdiger schlägt letztlich das höhere Alter des gegenüber Kriemhild geleisteten Treueschwurs durch; er ist gezwungen, zum ausfüh-
GT
B . HELLER ( A n m . 2 6 ) , S. 4 8 .
Μ
GUNNING ( A n m . 39), S. 50.
μ
Β . HELLER ( A n m . 2 6 ) , S. 4 8 .
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renden Organ ihrer Rache zu werden, so wie auch die andern Beteiligten als Marionetten in dem von ihr verfolgten Plan funktionieren. Doch transportiert eben dieser Plan ein Moment des individuellen Kalküls, das sich nicht zur Deckung bringt mit dem überindividuellen Schicksal, welches sich im Automatismus von Treue und Rache äußert. Allgemein gilt: Die dargestellte Hofgesellschaft ist keine schlechterdings archaische, sondern eine, deren Tragik darin besteht, die archaischen Mechanismen durchschauen, aber nicht aufheben zu können. Siegfrieds versöhnliche Geste gegenüber Gunther, Kriemhilds Totengedenken und Armenfürsorge — sie setzen Zeichen einer christlich-ethischen Problembewältigung, die sich indes von der Logik der Äquivalenz nicht lösen kann. Das unterstreicht den Eindruck, hier gehe eine Gesellschaft an sich selbst zugrunde oder genauer: an ihrem nicht integrierbaren Anderen. In dem Maße, in dem Kriemhild unbeirrbar das Andenken an Siegfried wach hält, werden die Burgunden zu denen, aus deren Welt jener seinerseits kam und deren Schatz er ihnen brachte. Sie werden, namentlich, zu Nibelungen, und das heißt im Grunde: selbst zu Vorzeitfiguren im Rahmen einer Gegenwartswelt. Anders als die nibelungischen Primitivmenschen allerdings erliegen sie nicht einfach der überlegenen heroischen Macht, sondern der Tatsache, dass sie sich dieser Macht nur heimtückisch und des heimtückischen Verräters Hagen überhaupt nicht entiedigen können. Die Beziehung zwischen Siegfried und Hagen erweist sich nun, vom Ende her, nicht einfach als oppositionelle, sondern als chiastische: Lässt sich der eine Heros nicht vollständig in die eigene Welt einschließen, so der andere nicht ausschließen — wobei dieser Chiasmus seinerseits eine Metonymie ist der Uberkreuzung, die sich zwischen den höfischen und nicht-höfischen Welten vollzieht. Der Film unterläuft die Oppositionen, die er erzeugt. Er schafft Kategorien, die es erlauben, semantische Potentiale sowohl zirkulieren zu lassen wie auf überindividuelle Größen zu beziehen. Dazu gehört das Deutsche, das plötzlich im zweiten Teil ins Spiel kommt: »Ihr kennt die deutsche Seele nicht, Herr Etzel!«, sagt Dietrich im Hinblick auf den Vorschlag, die Burgunden zu einer Auslieferung Hagens zu bringen, und wird damit zum Sprachrohr des die >wahren< geschichtsmächtigen Gefüge aufdeckenden neuen Mythos. Er stützt sich unter anderem auf die Leitmotivik von Blut und Erde. Das Blut des Drachens, das Blut Siegfrieds, das Blut der Nibelungen und der Hunnen — es repräsentiert metonymisch das Lebensprinzip, das immer wieder verletzt und in einer sich unaufhaltsam ausbreitenden Gewalt aufs Spiel gesetzt wird. Es repräsentiert aber auch das Prinzip der Bindung zwischen den Figuren und den Gruppen — von der Blutsbrüderschaft zwischen Gunther und Siegfried bis hin zu den Treue- und Racheverpflichtungen (»Blut schreit nach Blut«) im Endkampf. Es wird bezogen auf die andere Metonymie der Erde, die ebenfalls doppelt besetzt ist:
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Das kleine Häufchen, das Kriemhild bei ihrem Aufbruch ins Hunnenland von der Stelle mitnimmt, an der Siegfried sein Leben ließ, verkörpert sowohl den geliebten Toten wie die mit ihm verlorene Heimat. Es entsteht ein Netz sich überlagernder Bedeutungen, das suggeriert, mit dem Tod Siegfrieds sei eine Welt untergegangen, die sich aber im Untergang einer anderen aufheben ließe. Indem sich der Kreislauf der Rache an Dingsymbolisches koppelt, wird es möglich, abstrakte Größen wie Bindung und Heimat, Treue und Verrat zu vergegenständlichen und visuell zu konkretisieren, aber auch das Konkrete mit allgemeiner, ja transzendenter Bedeutsamkeit aufzuladen — ein probates Mittel der Ideologiebildung. In ihrem Zentrum steht ein Begriff des Lebens, der in zeitgenössischen Diskursen der Völkerpsychologie und Kulturmorphologie, der Kunstgeschichte, philosophischen Anthropologie und Soziologie ein Pendant findet.64 Die vielgesichtige Lebensphilosophie, eine der dominierenden intellektuellen Strömungen der Zeit um 1920, verstand Leben, mal mehr erkenntnistheoretisch, mal mehr metaphysisch, mal mehr sensualistisch, mal mehr psychologisch, als die Basis des Zusammenhangs von Kultur und Geschichte, Individuum und Gesellschaft, Subjekt und Objekt. Georg Simmel gemäß ist der Prozess der Kultivierung Produkt der »paradoxalen Verfaßtheit des Lebens, einerseits nicht ohne Objektivationen, andererseits aber auch nicht mit ihnen bzw. - als individuelles Leben - weder ohne noch mit Kultur allein auskommen zu können.« 65 Entscheidend ist der Gedanke, der Schopenhauers Willen zum Leben und Nietzsches Willen zur Macht kombiniert, Leben sei wesenhaft von einem Zugleich bestimmt: einem Zugleich von Beschränkung und Freiheit, Zentrierung und Dezentrierung, Grenzziehung und Grenzüberschreitung. Eben deshalb ist Leben, obschon Prinzip der Immanenz, immer von der Selbsttranszendierung geprägt, immer auf Steigerung angelegt und insofern, mit Simmeis charakteristischer Doppelformel, immer zugleich >Mehr-Leben< und >Mehr-alsLebenLebenUntermenschengedemütigten< Deutschland sorgte. In dieser Zeit ist der Untergang der Nibelungen kaum ohne Beziehung zu jenem Untergang des Abendlandsmetaphysische< halbe Stunde, von der im Offenbarungstext die Rede ist, vorüber. Die Gruppe hat abzutreten. Doch das Leben geht weiter. Der Film überblendet vom erleuchteten Gesicht des schweigsamen Mädchens, das mit seiner einzigen Rede, einem Christuswort (»Es ist vollbracht«; Johannes 19,30), seine Todesbereitschaft bekennt, auf das leuchtende Gesicht Mias, die den neuen Tag begrüßt.
Den folgenden Totentanz beschreibt J of mit Worten, die an jene Stelle aus der Apokalypse anklingen, die der zu Beginn des Films zitierten vorangehen: »Der Regen wäscht ihre Gesichter und wischt das Salz der Tränen von ihren Wangen« (Offenbarung 7,17: »Gott wird jegliche Träne aus ihren Augen wischen«). Damit schließt sich der Kreis. Eine zyklische Bewegung deutet sich an. Das Band zwischen Tod und Leben ist neu geknüpft. Das Thema, das von Anfang an den Film bestimmte, hat eine neue Dimension gewonnen. So wie in die profane Zeitlichkeit, die den Weg von Ritter und Knappe kennzeichnet, eine metaphysische Zeitlichkeit einbricht, so erweist sich die Apokalypse generell als Generator einer in sich verdoppelten oder
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gespaltenen Welt — zwischen Katastrophe und Neuordnung, Jetztzeitlichkeit und Überzeitlichkeit, Realem und Imaginärem.
3. Der Tod und das Imaginäre Zur Ebene des Realen gehören: der Stationenweg, die Berührungen, Begegnungen und Verbindungen zwischen verschiedenen Personen. Zur Ebene des Imaginären: die Konfigurationen des Apokalyptischen, die Begegnungen mit dem Tod, die Phasen der Schachpartie. Beide werden filmisch unterschieden und bleiben doch aufeinander bezogen. Der Tod ist in der dargestellten Welt ein realer: grausig der Kadaver im Mönchsgewand, qualvoll das Sterben bei Tyan und Raval. Er ist aber auch ein zeichenhafter: bildlich repräsentiert im Totentanz-Wandgemälde, metonymisch-mimetisch präsent in den Totenschädeln, die immer wieder auftauchen, und in der Totenmaske der Schauspieler, die selbst in der idyllischen Erdbeerenszene im Hintergrund hängt. Und er ist ein imaginärer: sichtbar dem Ritter, unsichtbar hingegen auf lange Zeit den anderen. Eingangs ist er als Figur plötzlich da, ohne eigentlichen Auftritt, in einem Moment der Stille. Kein Gerippe, aber eine Erscheinung zwischen Sein und Nicht-Sein, eingehüllt in einen schwarzen Kapuzenmantel, der nur das Gesicht freilässt, ein weiches, nicht besonders hageres, doch weiß wie das eines Clowns oder — eines Toten. Der Ritter begegnet ihm mit der stereotypen Frage, die auch der Jedermann der frühneuzeitlichen Moralitäten stellte: »Wer bist du?« — »Ich bin der Tod«. — »Kommst du, mich zu holen?« »Ich gehe schon lange an deiner Seite.« — »Das weiß ich.« — »Bist du bereit?« — »Mein Leib hat Angst, ich selbst aber nicht.«14 Schnell weicht der Dialog vom Muster der Moralitäten ab. Nicht fortdauernde Uneinsichtigkeit oder späte Reue ist das Thema, nicht mangelnde Bußbereitschaft oder ein verfehltes Leben. Der Tod wird als vertrautunvertraute Figur etabliert, paradox in Gestalt und Wesen, greifbar und ungreifbar, Gegner und Partner, anwesende Abwesenheit. Akustisch und visuell erscheint er meist isoliert, ohne Bezug auf andere Figuren, ohne klaren Ort im Raum — wie häufig auch der Ritter. 15 Er begegnet in dem schwarzen Mann (der auch die schwarzen Figuren führt) seinem persönlichen Anderen, einer Figur, mit der er (scheinbar) handeln kann, mit der er in ein Spiel des Aufschubs eintritt, mit der er einen Raum der Agonalität gewinnt, der den Raum der Wirklichkeit verdoppelt und verschiebt. Das 14
Kurz vor den Dreharbeiten zum Siebenten Siegel, im April 1956, produzierte Bergman eine Hörspielversion von Hofmannsthals Jedermann für den schwedischen Rundfunk.
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BLACKWELL ( A n m . 13), S. 78f.
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ermöglicht es, Fragen zu stellen, die sonst keinen Ort haben. Durch das Spiel mit dem Tod versucht Block sein Leben zu retten, aber auch dem Leben einen Sinn abzugewinnen, der Existenz Gottes näher zu kommen, der Verzweiflung, die an seiner Seele nagt, zu begegnen: RITTER: Warum kann ich Gott in mir nicht töten? Warum lebt er auf schmerzliche und demütigende Weise in mir weiter, obgleich ich ihn verfluche und ihn aus meinem Herzen reißen möchte? Warum ist er trotz allem eine gaukelnde Wirklichkeit, die ich nicht loswerden kann? Hörst du mich? TOD (als Konfessor): Ich höre dich. RITTER: Ich will Gewißheit haben. Keinen Glauben. Keine Vermutung, sondern Gewißheit. Ich will, daß Gott mir seine Hand entgegenstreckt, daß er sein Gesicht entschleiert, zu mir spricht. TOD: Aber er schweigt. RITTER: Ich rufe ihn im Dunkeln an: und manchmal ist mir, als wäre dort gar niemand. TOD: Vielleicht ist dort wirklich niemand. RITTER: Dann wäre das Leben eine sinnlose Angst. Kein Mensch kann mit dem T o d vor Augen leben, in der Gewißheit, daß alle Dinge nichts sind. TOD: Die meisten Menschen denken weder über den T o d noch über das Nichts nach. RITTER: Aber eines Tages stehen sie dann doch am äußersten Rande des Lebens und sehen dem Dunkel entgegen. TOD: Ja, an dem Tage ... RITTER: Wir müssen uns ein Abbild unseres Entsetzens machen, und dieses Abbild sollen wir Gott nennen.
Der Tod nimmt die Stelle ein, die aufgrund der Absenz Gottes leer bleibt. E r soll Antwort geben auf das Problem der Anthropodizee wie der Theodizee. E r soll den Zugang eröffnen zu einem dem Menschen verschlossenen Wissen. Auch von der >Hexe< erhofft Block sich Annäherung an das Reich des Geheimnisses, sei es auch über die Bekanntschaft mit dem Teufel. Doch er weiß: E r müsste mit ihren Augen sehen, um zu erfahren, welche andere Wirklichkeit sich ihm entzieht, und er würde selbst dann vielleicht nur ein weiteres Mal ins Leere blicken. Die Antworten, die Block erwartet, sind keine, welche seine Unruhe stillstellen könnten. Sie sind eher Echo seiner Fragen. Sie nähren die Zweifel, aus denen sie kommen. Es sind die Zweifel eines modernen Existentialisten, der den Tod als kontingentes Faktum sieht, in dem er sich seiner selbst bewusst wird und das Dasein sinnhaft zu machen versucht, der das Leben in seiner metaphysischen Sinnlosigkeit annimmt und doch, schwankend zwischen Selbstbewusstsein, Furcht und Zynismus, nicht handlungsunfähig werden will.16 16
Zum Einfluss des (theologischen) Existentialismus auf Bergman Charles B. KETCHAM: T h e Influence o f Existentialism on Ingmar Bergman. An Analysis o f the Theological Ideas Shaping a Filmmaker's Art. Lewiston/Queenston 1986
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Der Tod ist jener Andere, an dem das Subjekt seine Grenzen erfährt.
Er ist dem Ritter stets voraus und düpiert ihn, indem er in Masken
schlüpft. Im obigen Dialog weiß Block nicht, mit wem er spricht. Als er es erfährt, hat er den Plan für seine Zugkombination schon verraten. Entscheidend ist dies nicht, ist das Schachspiel doch selbst nur Illusion einer Chance, Illusion der Auseinandersetzung mit einem Gegner, der letztlich im Selbst wurzelt. In der Anfangssequenz am Meeresufer ist das Brett schon aufgestellt, bevor der Tod überhaupt erscheint. In der Sequenz der Walddurchquerung sieht Mia den Ritter gegen sich selbst spielen. Eben dieses Spiel gegen das Selbst, in dem zugleich der/das Andere schlummert, wird zur paradoxen Möglichkeit der Selbsterfahrung angesichts der Unmöglichkeit des Auswegs. Eine Chance zur Sinnbildung. Als der Tod nach der Mattsetzung fragt, ob dem Ritter der Aufschub Freude bereitet habe, bejaht dieser. Er hat ein Ziel entdeckt und verwirklicht: die Schauspielerfamilie vor dem Zugriff des Todes zu bewahren. Auch dies gehört in den Imaginationshorizont des Spiels: den Tod durch scheinbar versehentliches Umwerfen der Figuren abzulenken und so einen letzten Spielraum zu gewinnen, der nun aber nicht mehr so sehr das eigene Ende als das der anderen aufschieben hilft. Diese Retterphantasie ermöglicht es, das Selbstopfer als sinnerfüllte Tat zu begreifen. Die grundsätzlichen Zweifel räumt sie nicht aus. In der Halle seiner Burg, als der Tod gekommen ist, alle zu holen, fällt Block, wie zu Beginn des Films, zum Gebet auf die Knie. Er beschwört ein letztes Mal die Existenz Gottes, ohne, wie die anderen der Gruppe, den Tod anzublicken oder das Wort an ihn zu richten. Das schweigsame Mädchen vor ihm hingegen gibt sich, die Worte des Gottessohnes im Mund, in einfacher Gläubigkeit dem Ende hin. So hält der Film an der Komplexität des aufgeworfenen Problems fest. Er entwirft nicht eine Lösung, sondern eine Pluralität der Haltungen: Bereitwillig, unterwürfig, widerwillig, verzweifelt treten die Einzelnen am Ende dem Tod gegenüber, ohne dass es eine übergeordnete Instanz gäbe, die ihr Verhalten taxierte — oder auch nur ihre Wahrnehmung. Wenn Jof abschließend den Totentanz beschreibt, der sich den Hügel hinaufbewegt, nennt er Personen, die weder mit denen völlig übereinstimmen, die auf der Burg vom Tod geholt wurden, noch mit denen, die im Bild zu sehen waren. 17 Auch der Visionär, diese mehr poetische als religiöse Existenz, ist eine unsichere Autorität, eine irdische eben. Die Frage, ob er einen privilegierten Zugang zum Uberirdischen hat, bleibt ebenso offen wie die, ob (Studies in Art and Religious Interpretation 5), S. 57-89; zur philosophischen Dimension ROBERT E. LAUDER: God, Death, Art and Love. The Philosophical Vision of Ingmar Bergman. New York and New Jersey 1989. Zu den Entstehungsbedingungen der Szene Bergman über Bergman (Anm. 6), S. 137.
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das, was die Kamera zeigt, genau dem entspricht, was er sieht, und ob wiederum seine Deutung des >Gesehenen< stimmt. Klar ist nur: Die Visionen oder Phantasien speisen sich aus dem christlichen Bilderschatz und erweisen das Imaginäre als ein immer schon konventionalisiertes. Das gilt gerade auch für den Tod. Er ist im Film präsent in einer Vielheit von Formen, figürlichen und nicht-figürlichen, die allesamt das Problem der Repräsentation erst eigentlich sichtbar machen. Schon Szenenaufbau und Schnittfolge konfrontieren die Zuschauer mit der Spannung von Wahrnehmbarem und Nicht-Wahrnehmbarem. Im ersten Dialog zwischen den beiden Opponenten zeigt die Kamera den Tod in Halbtotale von vorn: Er hebt den rechten Arm, um den Ritter unter seinen schwarzen Mantel zu nehmen. Für einen Moment wird das Bild schwarz. Dann lässt er den Arm sinken, während man die Stimme des Ritters hört: »Warte einen Moment.« Die Kamera befindet sich nun, 180 Grad gedreht, hinter dem Tod. Eine visuelle Durchquerung des Todes, die zwar wieder ins Leben zurückfuhrt, aber eine dunkle Spur des Nicht-Repräsentierbaren in die Repräsentation hineinzieht. Die Grenze von Leben und Tod verdoppelt sich in der Grenze von Bild und Nicht-Bild. Sie wiederum vertritt einen Blick, der nicht mehr nur einer auf den Tod ist, sondern auch einer des Todes. Ein Blick, ausgelöscht in der Schwärze des Bildes.
Auch bei dem ausschnittweise zitierten Dialog im Beichtstuhl wechselt die Kamera nicht einfach, wie bei Dialogszenen üblich, im Schuss-Gegenschuss-Verfahren hin und her. Sie lässt den Zuschauer mehr sehen als den Protagonisten. Sie zeigt das Gesicht des Todes, während Block zu Boden blickt, und zeigt es, aus der Zelle gesehen, vor dem des Ritters, beide durch ein Gitter getrennt. Block ist draußen und zugleich drinnen, visuell eingefangen von den Stäben oder ihren Schatten wie von seinen Fragen und Zweifeln. Ein drittes Mal vollzieht sich der Blickwechsel in der Schlussszene in der Halle. Plötzlich bücken alle zum Eingang. Schnitt. Dort steht der Tod, sichtbar kurz aus der Entfernung. Schnitt. Die Gruppe erhebt sich vom Tisch und begibt sich in die Mitte des Raums, auf die Kamera zu. Sie nehmen Aufstellung und sprechen - zum Tod, der unsichtbar bleibt,
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gleichzeitig knapp an der Kamera vorbei. Der Zuschauer ist in der gleichen Lage wie Block beim Tod der Hexe. Geprägt von dem Begehren, zu sehen, was die Figuren sehen, gewinnt er doch kein Bild — und erfahrt eben daran die Doppelbödigkeit sowohl des voyeuristischen Begehrens wie der filmischen Vision. 18 Auch das mittelalterliche Panorama zeigt sich damit als nicht einfach illusionistisches, sondern als in seinem Illusionismus reflektiertes. Die Bilder, die den Zuschauer hineinversetzen in die Vergangenheit, stören zugleich das Vertrauen in die Möglichkeit des Eintauchens auf. Die Leinwand erweist sich nicht einfach als Fenster zur Welt, sondern auch als Fläche, auf der die Welt als künstliche erscheint, und als Spiegel, in dem der Betrachter seine eigenen Ängste wiederfindet. 19 Der Weg des Ritters Antonius Block durch eine Welt, die die seine und doch nicht die seine ist, ist transparent für den Weg des Betrachters durch eine Welt, die nicht die seine und doch die seine ist: keine schlichte Allegorie des Lebens, sondern eine komplexe Engführung von allegorischem und nicht-allegorischem Begreifen der Aporien des Lebens - und des Sehens. Mit dem Grenzgang, den der Film inszeniert, verbindet sich ein Grenzgang zwischen Dargestelltem und Darstellung. Die Spannung von Distanz und Nähe, die Block verkörpert, ist auch eine, die Kamera und Mise en scene ausspielen: indem sie den Zuschauern ebenso Affektbilder wie Panoramen, dynamische wie statische Momente präsentieren. Immer wieder geht es um Bilder, mögliche und unmögliche, äußerliche und innerliche, bewegte und unbewegte. Manche Einzelszenen, das Schachspiel zwischen Ritter und Tod, der einen Mann auf dem Lebensbaum absägende Tod, der Totentanz, besitzen mittelalterliche Vorläufer und finden in schwedischen Kirchen ein Pendant. 20 Doch wichtiger als der Realitäts- und Historizitätseffekt ist die Frage nach dem Status und der Wirkung von Bildern. Bergman legt sie dem Knappen Jons in den Mund, als dieser einen Kirchenmaler trifft: warum er solche »Schmierereien« anfertige? Die Antwort: um zu erschrecken und zum Nachdenken anzuregen. Das sind die im Mittelalter geläufigsten Bildfunktionen, ebenso geläufig wie das Nebeneinander verschiedener Bildtypen im gleichen Raum. Ungebräuchlich ist allerdings die Art der Bildtypen 18 19
20
Vgl. J O S E P H M A R T Y : Ingmar Bergman. Une poetique du desir. Paris 1991. Zur Reflexion des Status des Bildes als Fenster oder Fläche in der frühneuzeitlichen Malerei LOUIS MARIN: Opacite de la peinture. Essais sur la representation au Quattrocento. Paris 1989; VICTOR I. STOICHITA: Das selbstbewußte Bild. Vom Ursprung der Metamalerei. München 1998; KLAUS KRÜGER: Das Bild als Schleier des Unsichtbaren. Ästhetische Illusion in der Kunst der frühen Neuzeit in Italien. München 2001. A m bekanntesten sind die Wandgemälde des Albertus Pictor; vgl. E R I K L U N D B E R G : Albertus Pictor. Stockholm 1961 (Sveriges allmänna konstförenings 70).
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(neben dem Totentanz Geißlerzug und Pestkranke) und die Drastik, mit der die Pesterkrankung dargestellt wird: »Du sollst einmal die Beulen am Halse eines Kranken sehen! Du sollst einmal sehen, wie sein Körper sich verdreht, so daß die Glieder zucken, als würden sie von einem verruchten Puppenspieler regiert. Ich habe einen solchen Mann gemalt. [...] Er versucht, die Geschwulst aus ihrer Bettruh zu reißen, er zerbeißt sich die Hände, reißt sich die Adern mit den Nägeln auf; sein Geschrei ist überall zu hören. Hast du Angst bekommen?« 21
Die Kultur der Schuld und der Angst, die sich im späten Mittelalter breit machte, 22 wird im Film nicht einfach reproduziert, sondern in ihren Bedingungen präsentiert — ihren medialen Bedingungen. Indem unklar bleibt, was stärker wirkt, das Bild oder das Wort, richtet sich das Augenmerk auf die allgemeinen Konstituenten von Mimesis und Repräsentation. Das zeigt sich vor allem am Spiel im Spiel: Die Schauspieler führen auf dem Platz vor dem Wirtshaus »eine Tragödie von einer ungetreuen Ehefrau, ihrem eifersüchtigen Mann und dem stattlichen Liebhaber« auf. Sie steht nicht nur an der Grenze zur Komödie, sondern auch an der Grenze zum NichtEreignis, gestört durch Einmischungen des Publikums, mimetisch verdoppelt durch das hinter der Bühne stattfindende Anbandeln Skats, des stattlichen LiebhabersSpiele< der Wirklichkeit gerechter wird. Zwar suggeriert die Kamera eine unterschiedliche Prägnanz: hier die Gaukler, fast eins mit dem Bühnenbild, dort die Geißler, heraustretend aus dem Hintergrund. Doch hier wie dort signalisieren die Zwischenschnitte auf die Zuschauer: Das Geschehen ist abhängig von den Modalitäten der Wahrnehmung, von der Wirksamkeit der Effekte — einmal Gelangweiltheit, das andere Mal Ergriffenheit. Die theatrale Dimension des Siebenten Siegels ist insofern mehr als nur Reflex von Bergmans eigener Beziehung zur Bühne. Sie dient dazu, die thematische Ebene mit der mimetischen und der medialen zu verknüpfen.24 Nicht nur spielen die Figuren immer wieder Rollen, sie erscheinen als Akteure auch dann, wenn sie nicht zu agieren, sondern einfach sie selbst zu sein scheinen. Die Grenze zwischen Handeln und Als-ob-Handeln wird im Film systematisch verwischt, andererseits die Vorstellung des Spiels als unvermeidlich metaphorische vorgeführt. Im Spiel des Ritters mit dem Tod geht es um Leben und Lebenssinn, aber auch um Autonomie und Freiraum, um physisches und metaphysisches Gesetz. Die Demonstration gilt nicht der These, alles menschliche Tun sei nur marionettenhaft, gehorchend dem Regiebuch Gottes. Sie gilt dem Versuch auszuloten, inwieweit Welt- und Selbstdeutung im Modus des Spiels möglich sei. Im Wald wird der Prinzipal der Schauspieler, der eben noch einen wunderbaren Theatertod simuliert hat, vom Tod selbst geholt, mit dem er aber seinerseits noch einen ganz und gar theatralischen Dialog bis zum Abgang führen kann: »Mein Kontrakt?« - »Ist gekündigt.« - »Die Vorstellung?« »Abgesagt.« So hält der Film selbst in der Durchstreichung oder Einklammerung noch daran fest, die >letzten Dinge< seien agonal oder mimetisch zu begreifen. Auch verweist er, indem er das Geschehen nicht nur handlungsimmanent, sondern auch ästhetisch theatralisiert, auf die Modalitäten seiner eigenen Inszenierung. Einzelne Einstellungen, sorgfältig durch Kadrierung und Beleuchtung konstruiert, werden zu Schaubildern. Sie stellen sinnhafte Augenblicke dar, Augenblicke der Grausamkeit, der Verzweiflung, der Ruhe, eher kompositorisch als kausal verbunden. Sie ordnen die Figuren zu bedeutungstragenden Ensembles, Dreier- oder Fünfergruppen 24
Zur Wichtigkeit des Theaters vgl. Bergman über Bergman (Anm. 6), S. 138; PAISLEY LIVINGSTON: Ingmar Bergman and the Rituals of Art. Ithaca and London 1982; EGIL TÖRNQVIST: Between Stage and Screen. Ingmar Bergman directs. Amsterdam 1995, S. 95-111.
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zum Beispiel, die auf die komplementäre Beziehung des scheinbar Gegensätzlichen, Reden und Schweigen, Zugehörigkeit und Ausgrenzung, hinweisen. Auf diese Weise tritt die paradigmatische Dimension in den Vordergrund. Zugleich kommt es zu einem beständigen Umschlag zwischen Handlung und Stillstellung, Bewegung und Tableau vivant, Ereignis und Reflexion. Auch der historisierende Charakter des Films wird nicht unsichtbar, vielmehr immer wieder als solcher bewusst gemacht. Dass am Ende die Familie der Schauspieler überlebt, hat so auch eine mediale Pointe. Mit ihr behauptet sich nicht das ansonsten mit der Heiligen Familie verbundene Mysterium, in dem irdische Bindung und genealogische Auflösung zur Einheit werden.25 Mit ihr behauptet sich eine Vitalität, die der obsessiven Suche nach letzten Wahrheiten entgegengesetzt ist. Mit ihr behauptet sich ein Weltverhältnis, das auf anderen Qualitäten als christlicher Jenseitssorge beruht: dem Poetischen, dem Spielerischen, dem Träumerischen, der in sich ruhenden Annahme des Geschenks des Lebens. Jof erträumt sich von dem kleinen Mikael, dieser möge einst das Unmögliche möglich machen: einen Ball beim Jonglieren in der Luft zum Stehen zu bringen. Ein Traum von der Aufhebung der Schwerkraft, zugleich ein Traum von der Überwindung irdischer Grenzen und der Verzauberung des Augenblicks. Mit ihm reflektiert der Film seine eigenen Möglichkeiten, magische Präsenz zu erzeugen und das Verhältnis des Wirklichen zum Möglichen je neu zu entwerfen. Aber der Traum ist eben auch einer des Gauklers. Die Schauspieler überleben zu lassen garantiert, dass das Theatrum mundi auch weiterhin im Medium künsderischer Repräsentation seinen eigentümlichen Spiegel finden kann. In Ansiktet (Das Gesicht, 1958) verlagert es sich kurz darauf in die Mitte des 19. Jahrhunderts: Ein spätromantisches »magnetisches Heiltheater«, spezialisiert auf Zauberkünste und illusionistische Spektakel, muss sich gegen antimetaphysischen Skeptizismus behaupten; es kommt zu immer neuen Verwirrungen und zu einem vielschichtigen Spiel mit Realität und Illusion, gemäß dem eingangs gezeigten Satz »Am Ende ist der Betrug so perfekt, daß der Betrüger der einzige ehrliche Mensch zu sein scheint.«
4. Nordische Passion In der Jungfrauenquelle (Erstaufführung: 8. 2. 1960) tritt an die Stelle der ausdifferenzierten Welt des späteren Mittelalters eine archaische des frühe-
25
ALBRECHT KOSCHORKE:
(Fischer Tb. 14765).
Die Heilige Familie und ihre Folgen. Frankfurt/M.
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ren, an die Stelle chaotischer Ordnung die klare Hierarchie, an die Stelle ungewisser Heilszuversicht die mirakulöse Heilsstiftung. Im Zentrum steht das einsam gelegene Gehöft Töres, Halbtagesritte entfernt von der nächsten Kirche, Welten von der nächsten größeren Ansiedlung. Das Gehöft verkörpert eine patriarchale, bäuerlich-agrarische Gesellschaft, bestimmt durch die Autorität des Landbesitzenden und Waffenfähigen. Die Familie (eher eine Haushalts- denn eine Verwandtschaftsfamilie) bildet einen Mikrokosmos familiärer, sozialer und religiöser Spannungen: Das Kerndreieck Vater, Mutter und Tochter ist kein ungefährdetes; mehrere Söhne sind gestorben; die schöne, aber selbstbezogene Karin stellt ebenso eine Verbindung wie einen Keil zwischen den Eltern dar. Umgeben sind sie von den Mägden und Knechten und konfrontiert mit dem Dreieck der Gegenspieler, die die Familie ihres strahlenden Zentrums berauben. Die Handlungszeit umfasst wie in Bergmans vorangehenden Filmen Nära livet (An der Schwelle des hebens, 1958) und Ansiktet (1958) kaum mehr als 24 Stunden. Beginnend an einem Freitagmorgen und endend am nächsten Mittag vollzieht sich ein Drama von Mord und Rache, Versündigung und Entsühnung. Karin wird auf dem Weg zur Kirche von zwei Hirten geschändet und ermordet. Der Vater rächt die Tat, indem er nicht nur die beiden Vergewaltiger, sondern auch den nur als Zuschauer beteiligten Hirtenjungen tötet. Nachdem er an dem Ort, an dem die Tochter ermordet wurde, versprochen hat, die Bluttat durch einen Kirchenbau zu sühnen, bricht eine Quelle aus dem Boden hervor: Zeichen für die Reinheit der Toten wie die Reinigung der Familienmitglieder. 26 Zugrunde liegt dem Film ein über Jahrhunderte hin in Schweden verbreiteter Balladenstoff, der auf eine spätmittelalterliche Legende zurückgeht und mit einer Quelle bei der Kirche Kärna (Östergötiand) verbunden ist, die noch zum Zeitpunkt der Entstehung des Films kultisch verehrt wurde. 27 Die knappe Ballade erfährt im Film sowohl Erweiterung wie Veränderung. Entwickelt werden komplexe Figurenprofile und abstrakte thematische Leitlinien: »The film must, in quite another way, make this story of young Karin and her parents realistic, comprehensible, coherent, convincing in psychology and milieu. However, it did not seem possible to reproduce with entire realism the norms and attitudes of such a distant time, and expect modern men to understand them. The crucial task was to find as much common ground as possible and to build the film on that, so
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27
Bibliographie: HARTY (Anm. 1), Nr. 539; A m ' DE LA BRETEQUE (Anm. 1), Nr. 185. Sverigs medeltida ballader. Bd. 2. Stockholm 1986, Nr. 47, S. 175-195; eine moderne Version stammt von der Gruppe Falconer: The Ballad of Per Tjsson's daughters in Vänge.
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that the song might be both preserved and communicated.« 28 Das geschieht unter anderem dadurch, dass wie im Falle des Totentanzes im Siebenten Siegel die Inspirationsquelle im Film kenntlich wird: Die Melodie der Ballade durchzieht als Leitmotiv vom Vorspann an den Film, doch wird sie auch von den Figuren selbst umgesetzt — beim anfänglichen Ausritt singt der Bettler eine Strophe, Karin kurz darauf eine zweite. Auf diese Weise kennzeichnet der Film seinen eigenen Ausgangspunkt. Überdies deutet er das Geschick an, das über der Protagonistin schwebt. Explizit macht er es nicht: Die gesungenen Verse preisen, passend zur Situation des strahlenden Vormittags, die Natur, den Frühling, das Mädchen; erst das Wissen ums Kommende verleiht ihnen einen Hauch düsterer Fatalität. Er verdichtet sich im Laufe des Films in dem Maße, in dem sich Kontingenzen verketten: das verspätete Ausreiten Karins, das Zurückbleiben Ingeris, die Begegnung mit den Hirten, deren Eintreffen auf dem Gehöft Tores. Spätestens an diesem letzten Punkt zeichnet sich eine Bewegungslogik der Figuren ab, die nicht kausaler oder psychologischer Art ist: Dass die Hirten am Ende des Tages, wie aus dem Nichts, ausgerechnet dort auftauchen, wo am Anfang des Tages ihr späteres Opfer lebte, wirft die Frage nach der Lenkung des Geschehens auf; dass sie überdies die Tochter metonymisch an den Hof zurückbringen (indem sie deren Kleider der Familie zu verkaufen versuchen), suggeriert, hier würde sich ein Ereigniszusammenhang vollziehen, der jenseits des rational Begründbaren liegt. Die Kontingenzen verweisen, auffällig gehäuft, auf eine Providenz, die allerdings anders als in der klassischen Legende nicht am Handeln der höheren Mächte direkt aufscheint. Die genauen Verknüpfungen bleiben offen. Noch die Worte, mit denen der Hirte der Mutter das beschmutzte Kleid der Tochter anbietet, lassen unklar, ob geldgierige Dummheit oder nichtsachtende Perfidie überwiegen. Das verbindet bei allen Unterschieden die Jungfrauenquelle mit jenem Film, der einen seiner primären ästhetischen Bezugspunkte bildet: Akira Kurosawas Ikashomon aus dem Jahr 1950. Bergman selbst hat sich aus dem späteren Rückblick kritisch zu diesem Einfluss geäußert: »Der Film ist ein bißchen auf den Tourismus zugeschnitten und eine miserable Imitation von Kurosawa. Es war meine hingebungsvollste japanische Filmperiode, ich war selber fast ein Samurai geworden.«29 Das Samuraihafte, das wäre die Strenge eines Codes auf der Ebene der Handlung wie der Ästhetik, die Kühle des Modellhaften, erzeugt durch Konzentration und Abstraktion. Es zeigt sich nicht zuletzt in den Szenen der Vergewaltigung der Tochter
The Virgin Spring. New York 1960 (englische Übersetzung des Skripts), S. vi. Bergman über Bergman (Anm. 6), S. 143. ULLA ISAKSSON:
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und der Tötung der Hirten, die zugleich auch thematisch den Bogen zu Rashomon schlagen: Auch dort geht es, bezogen auf das Kyoto der späten Heianzeit (794-1185), um Vergewaltigung und Mord im Wald, deren höherer Sinn< allerdings an die Schwierigkeit gebunden ist, ein Ereignis überhaupt als solches zu rekonstruieren. Verschiedene Versionen verschiedener Personen werden geboten, die zu einem verwirrenden Bild führen und das Verhältnis von Realem, Imaginärem und Fiktivem als schillernd erweisen.30 Trotz der angedeuteten Leerstellen sucht Bergman nicht die narrative Komplexität von }kashomon. Er wählt eine klare narrative Konstruktion, beruhend auf drei räumlichen Bewegungen: der Weg Karins und ihrer Stiefschwester Ingeri zur Kirche, der (nur angedeutete) Weg der Hirten zum Gehöft, der Weg der Familie auf den Spuren Karins zum Ort des Verbrechens und dann des Wunders.31 Die Wege führen über Schwellen: die Schwelle zwischen dem Innenraum des Gehöfts und dem Außenraum der Welt, die Schwelle zwischen dem Profanen, dem bäuerlichen Lebensalltag, von dem der Weg der Protagonistin ausgeht, und dem Sakralen, der Überbringung der Kerzen an die Gottesmutter, auf das er zielt. Die Schwelle schließlich auch zwischen dem Heidnischen und dem Christlichen. Sie stellt den historischen Index des Films dar.
Das Geschehen spielt in einer Übergangssituation zwischen Heidentum und Christentum. Christliche Praktiken sind etabliert, aber nicht immer verinnerlicht, heidnische noch nicht verschwunden. Eingangs ruft die schwangere Stieftochter Ingeri den Gott Odin an — der Film zeigt an der Stelle, zu der sie blickt, das Kreuz Christi. Vor ihm wiederum gähnt der Vater beim Morgengebet. Das Ritual, mit dem er sich vor der Tötung der 30 31
DONALD RICHIE (Hg.): Rashomon. Akira Kurosawa, director. New Brunswick, New Jersey 1987. Vgl. DAVID MADDEN: The Virgin Spring. Anatomy of a Mythic Image, in: Film Heritage 2 (1966/67), S. 2-20.
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Hirten reinigt, bleibt kulturell unbestimmt. Sein Prunkstuhl ist kaum unterschieden von dem heidnischen >Göttersitz< des unheimlichen alten Odinanbeters, auf den die beiden Mädchen am Waldrand stoßen. Ingeri erhofft sich von ihm Hilfe, schreckt aber schließlich vor der archaischen Gewalt zurück. Am Ende scheint sich der Übergang zum christlichen Glauben vollzogen und die Logik von Gewalt und Opfer in die des Heilsplans verwandelt zu haben: Statt der Melodie der Ballade ertönt nun ein kirchlicher Gesang. Die entscheidende Szene, in der die Verwandlung in Gang kommt, ist die Vergewaltigung auf der Waldeslichtung, eine Szene, an deren Ausführlichkeit und Drastik sich, als der Film herauskam, die Gemüter erhitzten und die Geister schieden. Schönheit und Hässlichkeit, Reinheit und Unreinheit, weibliche Unschuld und männliche Gewalt treffen hier mit aller Wucht aufeinander. Die lichte Karin fällt den dunklen Mächten zum Opfer: den falschen Hirten, verschlagenen Dieben und unchristlichen Herumtreibern. Der älteste der Brüder hat seine Zunge verloren — nach altem Rechtsbrauch Strafe für Blasphemie. Er zertritt die weißen Kerzen, die ihrerseits als Opfergabe für die Gottesmutter, die Jungfrau Maria, gedacht waren, und vollendet damit die Pervertierung des Gemeinschaft stiftenden Mahls. Die religiöse Konnotation dieses Mahls ist unmissverständlich. Das Brot, das Karin mit den Hirten teilt, verweist auf die Hostie, in der ihrerseits der Leib Christi präsent wird. Doch es enthält auch die schwarze Kröte, die die schwangere Ingeri, neidisch auf ihre Stiefschwester Karin, dort verbarg.
Die Störung des Mahls gibt den Fremdkörper frei. Er wird in Großaufnahme gezeigt vor dem blendend weißen Hintergrund des Tischtuchs — eine Verkörperung auch des Fremden, das in das noch ungesicherte Christentum eingeschlossen ist: das Animalische, Schmutzige, Heidnische. Doch seine Freisetzung läuft nicht auf eine Infragestellung des Christlichen hinaus, sondern auf dessen tiefere Bestätigung im Angesicht der Negation.
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Den Hirten bleibt die symbolische Bedeutung des Brotes verschlossen. Ihre rituelle Logik ist eine körperlich-materielle, und sie bestimmt auch die Worte. Auf Karins Segnungsworte beim Mahl (»Empfangt dieses körperliche Brot«) reagieren sie mit einem seinerseits ritualisierten Frage-AntwortSpiel nach dem Muster des Dialogs zwischen Rotkäppchen und dem bösen Wolf. Scheinbar wird dadurch die Schönheit des Mädchens herausgestellt, tatsächlich aber diese Schönheit in Begehren übersetzt und die wahre Situation enthüllt. Das Spiel ersetzt nicht nur das Ritual, es ist auch Vorspiel zu einer Handlung, die nicht mehr Als-ob-Charakter hat. Das Umkippen wird spürbar an der Stille, die plötzlich eintritt: Das Zwitschern der Vögel verstummt mit dem Auftauchen der Kröte. Die ausbrechende Triebhaftigkeit trägt unheimliche Züge. Sie hebt die Mahlgemeinschaft auf und macht die latente Gewalt evident. Die Hässlichen bemächtigen sich der Schönheit, zerstören Karins Unschuld, beschmutzen ihren Körper, nehmen ihr ihr Leben und raffen ihre Kleider an sich. War zunächst an diesem Freitag das Passionsgeschehen memorial und metonymisch durch Karins Mutter nachvollzogen worden, indem sie sich heißes Wachs aufs Handgelenk träufelte, so wird es nunmehr neuerdings gegenwärtig, bewirkt paradoxerweise von denen, die es in seiner Bedeutung nicht erkennen. Sie sind im Sinne H Y A M M A C C O B Y S die Heiligen Henker,32 die aus Karin das Opferlamm machen — allerdings ein Opferlamm nicht im intentionalen, sondern im strukturellen Sinne: Das Mädchen gibt sich nicht wie die Heiligen und Märtyrer freiwillig hin, sein Tod erweist sich erst vom Ende her als Teil einer scheinbar zwangsläufigen vom Physischen zum Metaphysischen führenden Folge.
5. Logik des Opfers Bergman folgt einer Logik des Opfers, die R E N E G L R A R D wenig später theoretisch begründen wird.33 Ihrgemäß ist das Opfer eine soziale Institution, die Gewalt reguliert und Differenz setzt und sich auf das gründet, was zugleich innerhalb und außerhalb der erinnerbaren Kultur ist. Dieses Zugleich ist auch ein Zugleich von Unverfügbarkeit und Verfügbarkeit, möglich durch einen ungleichen symbolischen Tausch, der, um die Transzendenz in die Immanenz hereinzuholen, Elemente der Immanenz in die Sphäre der Transzendenz überführt. Die Preisgabe von Auserwähltem produziert — in Orten oder Dingen, Tieren oder Menschen — Einfallstellen 32
33
HYAM MACCOBY: Der Heilige Henker. Die Menschenopfer und das Vermächtnis der Schuld (engl. 1982). Stuttgart 1999. Vgl. MlSHLER (Anm. 7).
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des Übermenschlichen, des Göttlichen, des Heiligen, Erscheinungen des kategorial Differenten. Am Paradigma des Opfers des Gottessohnes hat die christliche Kultur dies variationsreich durchgespielt. Einerseits galt hier die Vorstellung der Äquivalenz: das Opfer stellt ein Lösegeld dar, eine Wiedergutmachung für die Menschheit, die sich mit dem Sündenfall dem Teufel auslieferte. Andererseits galt hier die Vorstellung der Inkommensurabilität: das Opfer ist notwendig nicht aufgrund der Macht des Bösen, sondern aufgrund der Logik göttlicher Selbstentäußerung, die im Akt der Stellvertretung dem Menschen ermöglicht, die Nicht-Identität mit dem Göttlichen, die seine Existenz prägt, zu überwinden. 34 Im christlichen Sinne dient das Opfer also nicht sosehr der Erzeugung von Sündenböcken, mit denen Probleme einer Gemeinschaft behoben werden können, sondern der Aufdeckung des Sündenbockmechanismus in seiner archaischen Gemeinschaft stiftenden Funktion. Indem sich Opfervollzug und Opferbereitschaft durchdringen, die Grenzen von >victime< und >sacrifice< verwischen, kann die Opferlogik in ihrer performativen Dimension vorgeführt werden. 35 Diese performative Dimension knüpft sich in der Jungfrauenqmlle an die Dynamik von Gewalt und Gewaltüberwindung, von Wiederholung und Bruch. Die Gewalt gegenüber dem Mädchen bringt weitere Gewalt hervor. Nachdem die Hirten scheinbar zufällig zum Gehöft der Familie gelangt sind, bekommen sie ein zweites Mal, nun durch den Vater, die Segnungsworte zu hören. Wieder ist im Mahl die Urszene des letzten Abendmahls und zugleich dessen Institutionalisierung in der Eucharistie präsent. Diesmal aber wird der Blick auf die Abendmahlsgruppe getrübt durch die Gäste, die auf der vorderen Bank Platz genommen haben, die Gäste, die zu den >Opferlämmem< werden, in denen die Opferlogik ein zweites Mal durchschlägt.
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Zu manchen dieser Spannungen aus philosophischer Sicht HANS BLUMENBERG: Matthäuspassion. Frankfurt/M. 1988 (Bibliothek Suhrkamp 998). HUBERT SEIWERT: Opfer, in: HUBERT C A N C I K , BURKHARD G L A D I G O W , K A R L H E I N Z K O H L (Hg.): Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe. Bd. 4 . Stuttgart, Berlin, Köln 1998, S. 268-284. Zum religiösen Opfer sowie zum christlichen Verhältnis von Gewalt und Gewaltüberwindung G E O R G BAUDLER: Töten oder Lieben. Gewalt und Gewaldosigkeit in Religion und Christentum. München 1 9 9 4 ; ders.: Gewalt in den Weltreligionen. Darmstadt 2 0 0 5 ; außerdem: BERND J A N K O W S K I und MICHAEL WELKER (Hg.): Opfer. Theologische und kulturelle Kontexte. Frankfurt/M. 2 0 0 0 ; BERNHARD DIECKMANN (Hg.): Das Opfer - aktuelle Kontroversen. Religions-politischer Diskurs im Kontext der mimetischen Theorie. Münster 2 0 0 1 (Beiträge zur mimetischen Theorie 1 2 ) ; JOACHIM NEGF.L: Ambivalentes Opfer. Studien zur Symbolik, Dialektik und Aporetik eines theologischen Fundamentalbegriffs. Paderborn 2003.
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Nachdem die Mörder endarvt sind, bekommt Tores Handeln die Unerbittlichkeit eines Henkers: »finally he seems to know exactly what he should do. From this second on, all his movements have a defined clarity, as if he were performing a holy ritual.«36 Auf einem Hügel, vor dem weiten Horizont eines grauen Morgenhimmels, ringt er eine junge Birke nieder: ein sexualisierter Akt, in dem die Art des Verlustes der eigenen Tochter emblematisch fortwirkt; ein Ausreißen der eigenen Wurzeln, das den Ubergang zu einer neuen Phase markiert. Mit den Ästen der Birke peitscht er sich im Bad bei einer rituellen Reinigung, bevor er zum Schlachtopfer schreitet. Mit Lederschürze angetan und Schlachtmesser in der Hand, metzelt er in der Halle des Hauses die beiden Hirten nieder. Auch den Hirtenjungen zerschmettert er an der Wand. Damit fällt ein zweiter Unschuldiger der brutalen Gewalt zum Opfer. Der Junge musste den Mord mit ansehen und hatte noch intuitive Pietät bewiesen, als er einige Handvoll Erde auf Karins Leichnam warf. Er konnte danach keine Nahrung mehr behalten — so wie Karin ihrerseits nach der Vergewaltigung kein Wort mehr hervorbrachte. Im spiegelbildlichen Verhältnis zwischen (Nicht-)Artikulation und (Nicht-)Inkorporation kommt zum Ausdruck, was für die rituelle Wiederholung des christlichen Passionsgeschehens eine zentrale Rolle spielt: die Leben stiftende Kraft des Eucharistiesakraments, begleitet von der Identität stiftenden Kraft der Worte (der Einsetzungsworte Christi beim letzten Abendmahl: Hoc est corpus meum). Beides erweist sich als gestört: Der Mund, der die Einsetzungsworte gesprochen hat, ist zu keiner weiteren Rede ISAKSSON, The Virgin Spring (Anm. 28), S. 92.
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mehr fähig; der Mund, der die geweihte Nahrung zu sich nimmt, ist nicht in der Lage, sie zu behalten. Karin und der Junge sind die Figuren, an denen sich die Verletzung der christlichen Symbolsystems enthüllt. Zugleich die Figuren, in denen die (Wieder-)Einsetzung dieses Systems erfolgt. Verbunden sind sie ebenso durch den kultischen Bezug wie die brutale Tötung, die zugleich profane Opfer der Gewalt (>victimessacrificesWelt< bildet; als sprudelndes Nass, das der Hütte des alten Odinanbeters höhlenartige Züge verleiht. Immer wieder gibt es Zeichen der Anwesenheit einer Macht, die die Lebensräume durchquert und die ihrerseits die Figuren dauernd überqueren, bis sie ihre Heilswirkung erfahren. Das Wasser ist ein traditionelles Element der Heiligenlegende: als Medium der göttlichen Steuerung oder der Reinigung, als Zeichen von Grenzüberschreitungen. 38 Im Film wird es zur Erscheinungsform des Heils. Zunächst Element der Alltagswelt, nahe und ubiquitär, wird es schon im Kontext der Tötung Karins zu einem komplexeren Bedeutungsträger: Der Stein, den die zuschauende Ingeri fallen lässt, rollt ins Wasser und lenkt die Aufmerksamkeit auf die Zeichen von Schuld und Erlösung. Am Ende dann ist das Wasser das Element, in dem sich die Oppositionen auflösen und die Opfer aufheben. Und es ist dasjenige, in dem die filmische Konstruktion von Heil ihren ureigensten Ausdruck findet. Das hervorbrechende Wasser verkörpert ein Moment der Bewegung, in dem zugleich die Minimaldifferenz zum unbewegten Bild sichtbar wird, in dem erscheint, was als Zeichen des Heils und als Form des bewegten Bildes untrennbar ist. 38
HEINRICH GÜNTER: Psychologie der Heiligenlegende. Studien zu einer wissenschaftlichen Heiligengeschichte. Freiburg/Br. 1949 (Register).
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Nicht nur geht es also um den Unterschied zwischen dem Verworfenen und dem Heilsträchtigen. Es geht auch um die innere Differenz der Zeichen und die Verschiebung von Bedeutung. Mit Odin konnotiert ist das Feuer, das Ingeri eingangs anfacht und über dem Töre einen der Hirten tötet — die Tat, die schließlich zum Bruch mit der archaischen Gewalt führt. Mit Odin konnotiert ist der Rabe am Eingang des Waldes, der zu Beginn von Karins Unglücksweg gezeigt wird und der erneut gezeigt wird, wenn die Gruppe den Spuren Karins folgt — auf einem Weg, der nicht mehr durch Dickicht und Gefahr führt, sondern Lichtung und Gnade. Auf diese Weise verlieren die ambivalenten Zeichen ihre heidnischen Schattierungen und verfestigen sich die christlichen Bedeutungen. Auch profiliert sich die christliche Logik des Opfers vor dem Hintergrund der heidnischen. An die Stelle der Verkettung von Gewalt tritt deren Aufhebung. An die Stelle des auf Gabe und Gegengabe beruhenden Handels mit Odin tritt die auf dem Prinzip der inkommensurablen Gabe beruhende Begegnung mit dem christlichen Gott. Sie ermöglicht es, den Verlust als Opfer zu begreifen und in ihm wiederum sich selbst zu finden.
6. Ästhetiken der Differenz Verglichen mit Rashomon, aber auch mit dem Siebenten Siegel mag die Jungfrauenquelle holzschnittartig wirken. Kurosawa setzte auf die Spannung von zeitlicher Ferne und epistemologischer Aktualität: Eine Situation kulturellen Niedergangs (der verfallende Tempelbezirk in Kyoto) dient als Folie für den Entwurf komplexer narrativer wie visueller Bedingungen der Erkenntnis. Bergman hingegen benutzt die zeitliche Ferne, um ein überzeitliches Muster herauszupräparieren: Eine Situation kulturellen Übergangs dient als Folie für die Bedingungen der Möglichkeiten, Heil zu erfahren und zu repräsentieren. Statt der Auflösung der strikten Codes des Feudalzeitalters erfolgt die Begründung der strikten Codes des christlichen Heilssystems in Absetzung vom heidnischen Vorgängerglauben. Bergman sucht nicht die epistemologische Unentschiedenheit, die den Film als Medium von Fiktion und Wahrheit zeigt. Er sucht die paradoxale Unverfügbarkeit, die den Film als Medium von Immanenz und Transzendenz profiliert. Die Unverfügbarkeit ist zentrale Herausforderung einer Moderne, die sich der religiösen Muster nicht mehr zur Selbstvergewisserung, sondern zur Selbstparadoxierung bedient. 39 Sie ist Herausforderung für eine Ästhetik,
39
Vgl. C H R I S T I A N K L E N I N G : Ästhetische Heiligung. Von Hartmann von Aue zu Lars von Trier, in: Neue Rundschau 115 (2004), S. 56-71.
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die Sinnlichkeit und Reflexivität in der Balance zu halten versucht. Die jungfrauenquelle knüpft Heil ans sinnlich Erfahrbare, unterstellt dieses aber zugleich einem abstrakten Prinzip. Schuld und Erlösung, Kontingenz und Providenz beziehen sich auf das Martyrium als Umschaltstelle zwischen irdischem und überirdischem Körper, machen diese aber selbst Teil der Logik des Opfers. Damit wird die Tatsache, dass es ein weiblicher Körper ist, der, durch seine geschlechtsspezifischen Züge markiert, sich als Medium der Verwandlung von >victimes< in >sacrifices< anbietet, im Allgemeinen aufgehoben. Doch dieses Allgemeine bleibt ein historisch und kulturell spezifisches. In Bergmans kurz vorangehendem Nära livet (An der Schwelle des Lebens), ebenfalls nach einer Vorlage von Ulla Isaksson verfilmt, war Mutterschaft obschon an drei Einzelschicksalen so doch als allgemeinmenschliches Problem behandelt worden. 40 Auch in der ]ungfrauenquelle gibt es zwischen mikrokosmischer Situation und makrokosmischer Thematik kaum Bindeglieder. Archaische Wucht der Krise und metaphysisches Gewicht ihrer Lösung beziehen sich unmittelbar aufeinander. Ästhetisches und Thetisches durchdringen sich. Doch der historische Index verhindert, dass der Film einfach als Aussage über >die Welt< genommen werden kann. Es kommt zu keiner schlichten Erneuerung der Legende: Bergman beschränkt das Mirakulöse auf das natürliche Wunder< des hervorbrechenden Wassers. Auch werden die christlichen Muster nicht einfach reproduziert: Der ehemalige Scholar, der auf dem Hof Zuflucht gefunden hat, dramatisiert die menschlichen Heilsoptionen auf sehr eigene Weise. 41 Das Historische und das Religiöse erweisen sich damit als untrennbar. Wo das eine fehlt, geht auch das andere verloren. So in Wes Cravens nicht-gekennzeichnetem Remake von 1972 (Last House on the Left)·. Situiert im Kontext einer amerikanischen Kleinstadt, zelebriert der Film die Folge von Vergewaltigung, Mord und Rache als sich steigernden Gewaltexzess. Keine Kirche bildet hier ein fernes Ziel, sondern eine Rockband; keine Figur voll-
40
41
JACQUES SICLIER: Ingmar Bergman. Paris 1960, 2 1962 (Classiques du cinema 8), S. 164. ISAKSSON, The Virgin Spring (Anm. 28), S. 81 f. (Rede zum verängstigten Hirtenjungen): »Finally, you stand before a mountain of fear. It vomits fire like an oven and at its foot, a huge abyss opens. All kinds of colors blaze there: copper and iron, blue vitriol and yellow sulphur. The flames dazzle and flash and eat the rocks. All around them, people are leaping and writhing - people who are small as ants - because this is the oven which swallows murderers and violators. [...] But at the same moment when you think you are lost, a hand will grasp you and an arm will be placed around you and you will be taken far away where evil can no longer harm you.«
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zieht eine Wandlung (auch die Begleiterin des Mädchens wird umgebracht); kein Wunder erlöst die ihrer Werte verlustig gegangene Welt. 42 Von hier aus fallt nochmals Licht auf Bergmans mittelalterliche Szenarien. Sie zeigen sich als mehr denn nur historistisch-illusionistische Vergegenwärtigungen und mehr denn Vorgeschichten späterer Entwicklungen oder Rückprojektionen gegenwärtiger Phänomene. Ihre unausgesprochene Frage lautet nicht so sehr: Wie wurde, was ist? Als vielmehr: Wie lässt sich das, was ist, von seinen Bedingungen her begreifen? Indem den Unentschiedenheiten und Unübersichtlichkeiten der Moderne Weltverhältnisse entgegengesetzt werden, die Grundkonstellationen klarer erkennen lassen,43 treten auch die Verwerfungen von Geschichte und Gegenwart deutlicher hervor. Nicht Rahmenhandlungen oder Zeitreisen dienen dazu, das Verhältnis zwischen der Gegenwart und ihrer fernen wie nahen Vergangenheit explizit zu machen, sondern sanfte Anachronismen, die das historische Bild mit Anschlussstellen durchsetzen. Das Mittelalter ist damit keine einheitliche Größe, sondern eine experimentelle. Ein epochales Labor, um philosophische, theologische oder allgemeinmenschliche Fragen an Punkten des Umbruchs, des Ubergangs, der Veränderung der Semantiken zu verfolgen. Ein Labor, um die ästhetischen Mittel zu erproben, die dem Film in seinem Entwurf vergangener Gegenwärtigkeiten zur Verfügung stehen. So verschieden die beiden Filme sind, kommen sie doch darin überein, dass sie in der Wahl des Materials, des Sujets und der Ausstattung ihre eigenen Wege gehen. (1) Das Schwarzweiß-Material befördert eine Ästhetik, die einerseits Basisoppositionen betont: Gut und Böse, Heil und Unheil, Hoffnung und Verzweiflung, andererseits Einheitlichkeit erzeugt: eine Welt verbunden in den Nuancen des Graus. Die Künstlichkeit, die damit einhergeht, kann geradezu in historische >Natürlichkeit< umschlagen. Bresson hat zu der Zeit, da Bergmans Filme entstanden, auf den ambivalenten Realitätseffekt der Farbe im Film hingewiesen: Nur zu schnell könne sich die Suggestion
42
MICHAEL BRASHINSKY: The Spring, Defiled: Ingmar Bergman's Virgin Spring and Wes
43
Cravens's
Last
House
on
the
Left,
in: ANDREW HORTON,
STUART Y .
MCDOUGAL (Hg.): Play it again, Sam. Retakes on remakes. Berkeley u. a. 1988, S. 161-171. In einem Interview, kurz nachdem das Siebente Siegel abgedreht war, bemerkte Bergman im Hinblick auf seine eigene Orientierung in den frühen Fünfzigern: »I needed a severe and schematic conception of the world to get away from the formless, the vague and the obscure, in which I was stuck. So I turned to the dogmatic Christianity of the Middle Ages with its clear dividing lines between Good and Evil. Later I felt tied by it, I felt as though I were imprisoned«; COWIE (Anm. 11), S. 182.
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von Wirklichkeit als Suggestion entlarven.44 Hingegen löst das Schwarzweiß-Material den Anspruch, zu »malen wie ein mittelalterlicher Maler« (Bergman über das Siebente Siegel), nicht durch Imitation, sondern durch Übertragung ein: Das Medium zeigt nicht einfach eine Welt, sondern hält die Leinwand als den Ort bewusst, auf dem diese Welt existiert. Es entsteht jene nicht-illusionistische Dimension, die auch dem mittelalterlichen Material zu eigen ist. (2) Die Wahl von Stoffen, abseits der sonst in Mittelalterfilmen immer wieder variierten, ermöglicht ein Absehen von den Stereotypen Hollywoods. Kein Anspruch auf die Wiedergabe oder Ausmalung einer exakt datierbaren Konstellation wird erhoben. Keine Rolle spielen die Ebene des Staates oder des Hofes, die Bereiche von Macht und Herrschaft, König oder Hochadel. Keinen Platz besitzen das Zeremonielle: Feste, Aufzüge, Turniere, die institutionalisierte Gewalt: Zweikampf, Fehde, Krieg, und die emotionale Liebeshandlung: Konkurrenz, Intrige, Verrat. Damit verschiebt sich die Perspektive von der Ereignisgeschichte zur Sinngeschichte, von den äußeren Gegebenheiten der Wirklichkeit zu den inneren Bedingungen. Möglich werden andere Formen des Agierens, andere Beziehungen der Figuren zueinander und andere Formen des Konflikts: im einen Fall Risse, feine und gröbere, die Individuen und Gruppen aufstören aus ihrer Gewissheit, in einem wohlgeordneten, auf das Jenseits hin transparenten Diesseits zu leben, im anderen Fall Katastrophen, die über eine Familie hereinbrechen und sich erst in einem das Diesseits transzendierenden Ereignis aufheben. (3) Die Entscheidung für einen überschaubaren Rekonstruktionsaufwand entfernt die Filme aus dem Dunstkreis der reinen Ausstattungs- und Kostümfilme. Mittelalterliche Szenarien werden nicht zum Selbstzweck für die Macht des Kinos, Vergangenes zum Leben zu erwecken. Sie bleiben an den Gestus der Historisierung gebunden. Gleichzeitig trägt das Vorherrschen von Außenräumen, kleineren Gruppen und begrenzten Aktionen dazu bei, das Historische für das Uber-Historische transparent zu machen. Bergman kommt dem Mittelalter gerade deshalb nahe, weil er nicht verleugnet, dass dieses nur unter den epistemologischen und medialen Bedingungen der Moderne entworfen werden kann.
44
ROBERT BRESSON: Notes sur le cinematographe. Paris 1975, 1995 (Folio 2705), S. 110: »La couleur donne de la force ä tes images. Elle est un moyen de rendre plus vrai le reel. Mais pour peu que ce reel ne le soit pas tout ä fait (reel), eile accuse son invraisemblance (son inexistence).«
VIII. Anthony Mann: El Cid (1961) von FRANCOIS AMY DE LA BRETEQUE 1
1. Amerikanisch-spanischer
Monumentalismus
Die Filmographie zum Cid erscheint, selbst wenn man sie auf seine Nachfolger und Erben ausweitet, als sehr begrenzt. Schließt man die frühen Filme aus,2 so zeigt sich, dass das Interesse an diesem Helden für kurze Zeit Mitte der sechziger Jahre - vor dem ideologischen Hintergrund der Ära Francos blühte — und durch die Verfilmung Anthony Manns (1961) inspiriert wurde. 3 El Cid wurde bei seinem Erscheinen schlecht aufgenommen. Aus zeitlicher Distanz gesehen zeigt er sich als eines der großen Monumente in der Geschichte des Mittelalterfilms. Der Kontext der Produktion ist die Blütezeit des historischen Monumentalfilms. Im weitesten Sinne kam der Impuls aus Italien: Nach den Erfolgen der italienischen Historienfilme der fünfziger Jahre entschieden sich die Hollywoodstudios, bedeutende Werke in Europa zu produzieren, insbesondere in Spanien. Der Beginn der sechziger Jahre wurde zum goldenen Zeitalter und zur Morgenröte des >epischen FilmsBroterwerbHeiligen Geistes; zu verdeutlichen. Die ganze Passage ist vol-
VIII. Mann
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Der Held steht hier am Tiefpunkt seiner Prüfung: am nächsten Tag, als er bei Sonnenaufgang aus der Scheune tritt, wartet eine Armee auf ihn, die wie ein Wunder erschienen ist. Der letzte Ritt des Helden, der den Film abschließt, ist eines der schönsten filmgeschichtlichen Beispiele einer heroischen Apotheose und eines Sprungs ins Wunderbare. Der Cid wurde während der Schlacht vor den Mauern Valencias, einer Festung, die er gegen die Mauren von Ben Yussuf verteidigt, tödlich von einem Pfeil getroffen. Er kehrt hinter die Festungsmauern zurück und erfährt von seinem muslimischen Arzt, dass er bei der Entfernung des Pfeils sofort sterben könne. Er entscheidet sich für eine ebenso tollkühne wie erhabene List: die Waffe in der Wunde stecken zu lassen, um den Angriff am folgenden Tag anführen zu können. Unterdessen lassen die Mauren das Gerücht kursieren, der Anführer der Feinde sei tot. Tatsächlich stirbt Rodrigo auch während der Nacht. Seine Gefährten binden ihn auf sein Pferd. So führt der Tote den siegreichen Angriff, Panik verbreitend in den Reihen der Feinde — wie in Kagemusha von Kurosawa. Einige Einstellungen genügen, um die wilde Flucht der Truppen zu zeigen. Das Pferd indes hält nicht an, es galoppiert weiter, seinen Reiter auf dem Rücken, am Meer entlang bis zum Horizont.
2. Komplexe Beziehungen Der Film und sein Held sind komplexer, als der erste Eindruck von Heldenhaftigkeit und Heiligkeit glauben machen möchte. Drei ideologische Botschaften verbinden oder überlagern sich. Die Apologie des christlichen Kreuzzugs und die Verteidigung der westlichen Zivilisation gegen eine diffuse Bedrohung repräsentieren nur die oberflächlichste Ebene der Bedeutung. Uber die kollektiven Ideale hinaus entwirft der Film ein Porträt des amerikanischen heroischen Individualismus. Schließlich gibt es Schattenzonen der Desillusionierung, in denen Manns Position, aber auch die Entstehungszeit des Films aufscheinen. Der Kreuzzug der christlichen Zivilisation gegen die Barbaren ist das einleitende Programm des Films, das explizit in der ersten Szene gezeigt wird. Nach einem Voice-over-Kommentar sieht man den arabischen Anführer Ben Yussuf, der in einer Ansprache die verweichlichte Mischbevölkerung auf der anderen Seite des Mittelmeers verflucht und dazu aufruft, über das Territorium der Halbinsel herzufallen, wo die Glaubensbrüder ihren Kampfgeist verlieren und sich assimilieren. Nach seinem Ausruf ler biblischer Andeutungen, Sancho etwa träumt wie der Pharao einen vorausdeutenden Traum.
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FRANQOIS A M Y DE LA B R E T E Q U E
»Allah ist barmherzig!« wird eine verbrannte Kirche gezeigt mit einem Mönch, der am Fuß eines von Pfeilen gespickten Kreuzes weint. Rodrigo nähert sich, hebt den Kleriker auf und hilft, das Kreuz zu tragen (ein Schlüsselbild, das sich später wiederholen wird). Die Aussage ist deutlich. Es geht darum, den Cid in den Verfechter eines erniedrigten und bedrohten Christentums zu verwandeln — eine Verdrehung der historischen Uberlieferung. 11 Doch das anfängliche Programm wird sogleich korrigiert. Die zweite Sequenz zeigt, wie jener, der fortan Cid Campeador genannt wird, Moutamin, den Emir von Saragossa, freilässt, womit er sich den Anordnungen des Abgesandten des Königs von Kastilien, des Grafen von Ordonez, widersetzt. Der eine wird sein treuer Verbündeter, der andere sein erbitterter Feind. Der Film nimmt also eine im Kontext der Zeit erstaunliche Abwägung zwischen guten und schlechten Mauren vor. Die Verteilung der Sequenzen zwischen diesen zwei Bildern unterliegt einem geradezu arithmetischen Kalkül. In der 55. Minute geraten Rodrigo und der Infant Sancho in einen Hinterhalt der Mauren, von Graf Ordonez organisiert, dessen Patriotismus plötzlich suspekt wird. Zufällig ist der Anführer der Muslims niemand anderes als Moutamin. Im Kontrast dazu kehrt der Film in der 75. Minute zu den Truppen von Yussuf zurück: »wilde Horden warteten auf der anderen Seite des Mittelmeers darauf, einen tödlichen Schlag auf die Christen und die Sarazenen, die auf christlichem Boden wohnten, auszuüben« (Voice-over). Der in schwarze Tücher gehüllte Yussuf bezahlt den Emir von Valencia für seine Kollaboration; er organisiert den Mord an König Sancho und will für dessen Tod seinen Bruder verantwortlich machen. In der 118. Minute treffen christliche Krieger des Cid am jenseitigen Ufer eines Flusses auf die Truppen von Moutamin; die Schwerter werden in den Boden gerammt, die beiden Armeen verbrüdern sich. Der Wasserlauf wird symbolisch durchschritten. Rodrigo, eingeladen, einen maurischen Palast zu besichtigen, hält eine friedfertige Ansprache: »Wir haben einander so viel zu geben«. Doch noch herrscht Fanatismus in beiden Lagern. In der 141. Minute lässt Ben Yussuf Graf Ordonez kreuzigen. Letzterer wechselt in extremis vom Verräter zum Märtyrer bzw. Sühneopfer. »Dein Gott gegen meinen Gott«, verkündet der Henker. Wenn schließlich die Sarazenen aus Afrika ins Meer zurückgetrieben werden, bleibt präsent,
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Der echte Rodrigo Diaz de Bivar, geb. im Jahre 1043, war eine Art militärischer Anführer, ein Hauptmann, der sich abwechselnd mit den christlichen und muslimischen Herrschern verbündete. Er kämpfte zunächst für Alfonso von Leon, trat dann in das Lager des Emirs von Saragossa über, um gegen den maurischen König von Valencia zu Krieg zu führen. Er nahm Valencia 1094 ein und herrschte bis zu seinem Tod 1099 über diese Stadt.
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dass es Moutamin war, der versuchte, den tödlich verwundeten Cid zu retten. Der Filmdiskurs ist also weniger antagonistisch, als es zunächst scheint. Er ist von einem großen Traum der Versöhnung oder gar Assimilation durchdrungen. Nach einer ersten Musterung zeigt sich: Es gibt gute Araber, mit denen sich zusammenleben ließe. Im Kontext der sechziger Jahre kann sich dies ebenso auf die Entspannung beziehen, in die die Zeit des Kalten Kriegs übergeht (hier gute Kommunisten, dort gute Araber), wie auf die Entkolonialisierung: der Film wäre dann eine Art Lektion für die europäischen Staaten, insbesondere für Frankreich.12 Einen anderen Aspekt des Films bildet die Darstellung der Konfrontation zwischen einem unabhängigen, autonomen Individuum und einem entstehenden Kollektiv.13 Dieser moderne Aspekt verbindet El Cid mit der Thematik von Manns großen Western. Hier wie dort scheint das Vertrauen in die grundlegenden Werte der amerikanischen Demokratie auf den ersten Blick intakt; doch bei näherem Hinsehen wird deren Erschütterung spürbar. Die Anklagen wegen Verrats, die verschiedene Figuren in El Cid erheben, erhalten in diesem Kontext eine neue Bedeutung.14 Es zeigt sich, dass die einfache Gleichsetzung Mauren = böse, Christen = gut nicht aufgeht. Vielmehr etabliert sich eine Hierarchie von Mächten des Bösen. An ihrer Spitze steht der Emir Yussuf, der von der anderen Seite des Meeres stammt und als letzte treibende Kraft, als Initiator aller >delegierten< Verräter dieser Erzählung, als Prinz des Bösen fungiert. Er besitzt die entsprechenden Zeichen, die schwarze Farbe seines Gewandes und das verhüllte Gesicht. Er spielt den einen christlichen Prinzen gegen den andern aus, gibt den Mord an Sancho in Auftrag und lenkt den Verdacht auf den Bruder Alfonso. Und in gewisser Weise übt er sogar Verrat am eigenen Volk, indem er den maurischen König von Valencia angreift. Daneben gibt es loyale und moderate Mauren wie auch betrügerische und fanatische Christen. Letztere sind die weiteren Verräter der Erzählung: der Graf Ordonez, Prinz Alfonso, insbesondere aber seine Schwester, die Infantin. Keine
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Wylers Ben Hur lässt sich bekanntlich als zeitpolitische Bezugnahme auf den Suezfeldzug von 1956 lesen. Das Spanien, das in El Cid gezeigt wird, stellt lediglich eine virtuelle Einheit dar (die historische Einheit wird erst im 15. Jahrhundert, durch die Ehe Ferdinands von Aragonien und Isabella von Kastilien, hergestellt). Doch unterstellt der Film ein diffuses Bewusstsein von dieser Einheit, die hier durch Kastilien vertreten wird. Der König von Aragonien wird demgegenüber in spaltender Funktion gezeigt (er erhebt Anspruch auf Calahora) - ein ideologischer Aspekt, den die späteren spanischen Filme aufnehmen. Vgl. zum Folgenden FRANCOIS AMY DE LA BRETEQUE: La Trahison, motif-cle du film historique a sujet medieval, in: Les Cahiers du CRISIMA 3 (1997), S. 163-175.
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dieser Figuren (außer der letzten) ist durch und durch böse; der Verrat steht ihnen nicht ins Gesicht geschrieben. Im Vergleich zum klassischen Hollywoodkino ist der Wertekodex verschoben und weniger deutlich lesbar. Es dominieren weniger die Rechtschaffenheit oder die einmal geschworene Treue als vielmehr der Respekt vor den Werten einer universellen Ethik der Toleranz und der Großzügigkeit. Den gesamten Film hindurch zeigt sich dies deutlich an Rodrigos Schicksal. Mehrfach folgt er der Stimme seines Gewissens gegenüber den Anordnungen seines Lehnsherrn, das Mitleid wiegt schwerer als die dynastische Treue, die taktische Vorsicht ist gewichtiger als die königlichen Befehle. Der Glaube, von dem er nicht abweicht, besteht in seiner Verpflichtung zur Freundschaft (mit dem Emir von Saragossa) und der Liebe (zu Jimena). Zu >Verrätern< werden eben jene, die keine Skrupel haben, keine Gewissenskämpfe austragen und keinen Respekt vor den allgemeinen Werten besitzen. Das Unrecht, dem der Cid begegnet, begleitet das Voranschreiten der Erzählung. Es beruht immer auf Pflichtverletzung oder Vertrauensbruch wie im Falle des vom jeweiligen König begangenen Unrechts. Der Herrscher beschuldigt seinen Vasallen des Verrats, weil er die maurischen Gefangenen befreit hat; er erhebt vor dem Hof Anklage gegen ihn, entzieht ihn seiner Verlobten und lässt ihn in den Kerker werfen. Sein Nachfolger Alfonso begeht zweimal in derselben Weise Unrecht an ihm, zuerst als er ihm die Unterstützung gegen den Eindringling Yussuf versagt, und dann als er die Krone von Valencia zurückweist, die ihm sein siegreicher Vasall überreichen lässt. Jeweils findet sich die typische epische Situation der Pflichtverletzung des Herrn gegenüber seinem Vasallen. Zugleich verdoppelt sich der Verrat durch den Verstoß gegen höhere Pflichten wie Milde, Weisheit und Vaterlandsliebe. Die Feinde des Helden und Spaniens üben sich auch in der Taktik der Hinterlist. Graf Ordonez plant während des ersten Feldzugs einen Hinterhalt gegen die Mauren und paktiert mit den Gegnern der Christen. Der intrigante Yussuf schmiedet ein Mordkomplott gegen König Sancho, um damit zugleich dessen Bruder Alfonso und seine Schwester Jimena zu kompromittieren: Er schickt als Mörder einen Christen, der den beiden einen Handel vorschlagen soll. Während Jimena emphatisch reagiert, bleibt Alfonso stumm. Er erklärt sich nicht und bleibt damit bis zum Ende des Films im Dunstkreis des Betrugs. Auch rächt er sich für die Niederlage von Sagrada, indem er Jimena und ihre Kinder gefangen nimmt. Der Eidbruch stellt eine dritte Art des Unrechts dar. Es ist Prinz Alfonso, der sich in der spektakulären und dramatischen Szene seiner Krönung schuldig macht. Rodrigo verweigert ihm die Lehnstreue. Er verlangt vom künftigen König, auf die Heilige Schrift zu schwören, dass er am
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Mord seines Bruders nicht schuld ist. Begeht Alfons einen Meineid? Oder agiert er als Sophist, der - mittelalterlichem Verständnis entsprechend nicht dem Wort, sondern nur dem Geist nach zum Komplizen geworden ist? Rodrigo gibt sich damit zufrieden, er verneigt sich vor dem König und bleibt ihm trotz allem bis ans Ende treu ergeben. Die Legitimität der herrscherlichen Funktion wiegt schwerer als die Fehler dessen, der sie ausübt. Doch überschattet Vieldeutigkeit die Situation und den Protagonisten. Die erste Amtshandlung des neuen Königs wird die Verbannung des treuen Untertanen ins Exil sein. Dreimal wird der Held von jenen, die es mehr als er verdienen, des Verrats angeklagt. Von der ersten Beschuldigung (vor dem Hof) wäscht er sich in dem einem Gottesurteil nachempfundenen Turnierkampf um Calahora rein. In der zentralen Episode ergreift er die Partei des Schwächeren und tritt für den jungen Prinzen Alfonso ein, den sein Bruder gefangen halten will. Das verleiht ihm dennoch nicht die königliche Gunst, als Sancho eliminiert und Alfonso seinerseits gekrönt wird. Er durchläuft, wie alle seine großen epischen Vorbilder, eine Phase der Ungnade und des Exils.15 Eine dritte Ungnade resultiert aus dem Bündnis mit den (moderaten) Mauren, das die Infantin als Verrat betrachtet, nicht sehend, dass hier die höchsten Interessen Spaniens auf dem Spiel stehen. Tatsächlich dient also jeder scheinbare Verrat des Helden einer höheren ethischen oder politischen Rechtfertigung. Der epische Held findet sich in komplexe interne Auseinandersetzungen verwickelt. Er steht im Zentrum zweier konfligierender Wertesysteme: hier die archaische feudale Ordnung, dort das anspruchsvollere moralische Gesetz. Er hat selbst einen keinesfalls monolithischen Charakter, er trägt die Zweifel und Skrupel der kriegerischen Helden seiner Zeit in sich. Die Art der Inszenierung spiegelt diese Problematik. Man würde einen offenen, weiten Raum erwarten, der die Ritte zu Pferd verherrlicht und die Eroberung dynamisiert. Mann wählt jedoch für die Kämpfe seiner Protagonisten häufig in souveräner Weise geschlossene Räume oder Tragik verheißende Arenen. Auch die Innenraumszenen, das Duell zwischen Rodrigo und Gormas, der Streit der zwei Infanten in der Krypta, in der der Leichnam des Vaters aufgebahrt ist, das kurze Treffen zwischen Rodrigo und Jimena, besitzen ausladende Dimension. Auf dem Höhepunkt, dem Turnier um Calahora, weitet sich der begrenzte Raum zu einer riesigen Arena unter gleißender Sonne. Der Cid spielt im Kampf mit dem aragonischen Helden Der epische Film übernimmt hier eines der großen Themen der Chansons de geste (vgl. den Baronenzyklus bzw. das Empörerepos), greift aber auch die BenHur-Thematik auf. Die Figur des verratenen loyalen Dieners hat das amerikanische Bewusstsein dieser Zeit, vielleicht in der Folge des Schicksals von Mac Arthur, stark beschäftigt.
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Don Martin das ewige Spiel des Menschen gegen den Stier. Als er alle Waffen zur Verteidigung verloren hat, schützt er sich vor den Angriffen wie ein Westernheld mit einem Sattel16 und fuhrt wie ein Torero geschickte Ausweichmanöver durch.
3. Fortschreibungen Vom Erfolg des Films von Anthony Mann angeregt, erschienen 1964 drei Filme, die mehr oder weniger mit der Figur des Cid zusammenhängen. Sie gehören allesamt in den Kontext der italienisch-spanischen und amerikanisch-europäischen Koproduktionen, setzen aber je eigene Akzente. El Cid hatte, durch die Ausgestaltung epischer Figuren und besonders des Zyklus des Verrats, die Legende in eine Sphäre des Zweifels und der Gebrochenheit gerückt. Die spanischen Fortsetzungen versuchen, sie wieder in ein traditionelles episches Register zurückzustellen und die Gründerlegende zur Legitimierung der Nation zurückzugewinnen. Dazu verwenden sie verfügbare Schemata (wie jenes von Robin Hood), ohne aber die Gebrochenheit gänzlich aufzuheben: Motive des Verrats spielten ebenso eine Rolle wie das Thema der Usurpation, gut kaschiert angesichts eines frankistischen Spanien, in das zu diesem Zeitpunkt die Modernität Einzug hielt. Generell zeigte sich der Film der iberischen Halbinsel lange zurückhaltend gegenüber dem maurischen Mittelalter. Die Filme, die sich der arabisch-andalusischen Zivilisation widmen, können an einer Hand abgezählt werden. Eigentlich wird erst in Oaniya, jardin del harem (Carlos Mira, 1986) eine wirklich positive Aussage innerhalb eines Films deutlich. Als Schauplatz für die Konfrontationen zwischen Mauren und Christen wurden aus nahe liegenden nationalistischen Gründen die Gegenden zwischen Kastilien und Andalusien vorgezogen. 17 Las Hijas del Cid., eine italienisch-spanische Koproduktion, die von Miguel Iglesias realisiert wurde, übernimmt zentrale Muster des Films von Mann: zwei Bravourstücke, ein Turnier und eine Belagerung, das Herumirren der sich nach Rehabilitierung sehnenden Verbannten auf ihren Wegen.
16
In Budd Boettichers Comanche Station (1960) verteidigt sich Ridley Scott so gegen einen Indianer.
17
V g l . J O S E ENRIQUE MONTERDE, M A R T A SELVA: L e f i l m h i s t o r i q u e f r a n q u i s t e , i n :
Les cahiers de la cinematheque 38/39 (1984), S. 65-81, hier 71. Erst Chahines Al Massir (1997) thematisiert diese Zivilisation in Form einer Averroes-Biographie als Ode an die Toleranz. In einer erstaunlichen Inversion sind die Christen vollständig aus dem maurischen Spanien verschwunden, das nur noch von Muslimen bevölkert scheint. Der tunesische Regisseur Nacer Khemir evoziert die wehmütige Erinnerung an Andalusien in Le collier perdu de la colombe (1989).
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Doch damit enden die Analogien auch schon. Ausgangspunkt ist eine jenseits der Pyrenäen wohlbekannte Legende: jene der Töchter des Cid, Gemahlinnen der Grafen von Carrion. Ihre Ehemänner sind voller Stolz und erniedrigen sie und mit ihnen ihren Vater (im Moment der Handlung ist der Campeador noch nicht tot, sondern regiert über Valencia. Man spricht über ihn, doch man sieht ihn niemals). Sinnbild dafür ist jene Szene, in der sie die beiden jungen Frauen in einem Wald an Bäume fesseln, sie eigenhändig auspeitschen und dann verlassen. Doch liefert diese legendäre Szene nur einen Ansatzpunkt, der die intrinsische Boshaftigkeit der Schwiegersöhne des Helden verdeutlicht. Als narrativer Anknüpfungspunkt dient die Geschichte der Schwerter des Campeador. Der König von Leon verlangt sie von den Schwiegersöhnen, die sie widerrechtlich verwahren. Ein Gerichtskampf wird nötig, um diesen Streit beizulegen. Darin verwickelt ist der Neffe des Eroberers, Felix, der der Held dieser neuen Geschichte hätte sein können: E r hat die Töchter des Cid befreit und in seine Obhut genommen und ist im Besitz des Schwerts des Helden. Doch eine zweite Figur erscheint: ein junger Katalane, Ramon Beranger, mit dem der Film eine entscheidende Wendung nimmt. Der katalanische Held überstrahlt den blassen Neffen des Cid. Schnell erfährt man, dass es sich um den Sohn des ehemaligen Grafen von Barcelona handelt, der von seinem Bruder ermordet wurde. E r ist also der legitime Erbe der katalanischen Stadt. Doch erst ganz am Schluss der Handlung wird erzählt, wie er seine Rechte wiedererlangt. Felix vertraut ihm das Schwert des Cid an, das ihm definitiv verliehen wird, als er schließlich mit einer der Töchter des Helden vermählt wird (ihr Ehemann wurde im Gerichtskampf getötet). Schwert und Tochter haben teil an der dynastischen Strategie des Austausche, dazu bestimmt, einen Legitimitätstransfer auszudrücken. Die Mauren wiederum verabschieden sich nach den ersten Sequenzen, in denen sie kurz als loyale Gegner erscheinen, die die Töchter ihres edlen Feindes empfangen, sogleich wieder aus der Erzählung. Das erstaunt in einem Film, der darauf zielt, den spanischen Nationalismus zu steigern. Doch er tut dies, indem er die thematische Achse verschiebt. Dort, wo Anthony Manns Legende endet — der Verrat einiger christlicher Herrscher ist schlimmer als die Existenz des feindlichen Untreuen - , setzt diese an. Die Einheit der Spanien konstituierenden Nationen wird zum Hauptthema. Das Problem, der Francozeit angepasst (»Una, Grande, Libre«), ist die Existenz der katalanischen Nation. Dem Film von Miguel Iglesias (selbst Katalane)18 haftet etwas Verschwörerisches an. Wie lässt sich besser die Anbindung Katalo-
E r ist ab 1975 einer der Autoren des Notiaaro de Barcelona, der Zeitschrift über den Film in katalonischer Sprache. Vgl. EMMANUEL LARRAZ: Le Cinema espagnol des origines ä nos jours. Paris 1986, S. 245.
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niens an Großspanien verdeutlichen als dadurch, dass man ihm das Schwert des Gründerhelden in Obhut gibt? Doch bewirkt das Motiv der Usurpation ideologische Uneindeutigkeit. Es entstammt offensichtlich der Robin-Hood-Thematik: Der junge Graf und sein Verbündeter verwandeln sich in Rächer, die in der Lage sind, die rechtmäßige Herrschaft wiederherzustellen. Um in das von ihm belagerte Barcelona hineinzugelangen, braucht Ramon die Hilfe des Volks und der Bauern. Diese erstürmen den von seinen Verteidigern verlassenen Palast und ermöglichen, dass der Tyrann verjagt wird (der Bischof verurteilt ihn zu einer Pilgerreise ins Heilige Land). Die letzte Rechtfertigung zur Wiederherstellung der Macht des jungen Grafen liefert das Volk: Eine parlamentarische Wahlmonarchie wird unter der zerschlissenen Kleidung der epischen Legende herbeigeträumt.19 Im selben Jahr schlägt The Castilian von Javier Seto eine Ersatzfigur für den Cid vor: Fernän Gonzalez, ein populärer Held, der ein Jahrhundert vor dem Cid versucht haben soll, die Einheit Spaniens gegenüber den Mauren herzustellen. Wie sein Vorbild sieht dieser »Cid der Armen«20 sich dazu genötigt, den Vater seiner Geliebten, der Infantin Sancha von Navarra, im Einzelkampf 2u töten. Das zwingt ihn, nach Kastilien zu flüchten. Das Corneillesche Motiv verändert sich mit dem unverzichtbaren Thema des Exils. Doch das Wichtigste des Films liegt in der Schlacht um das Tal der Schwerter (>Valle de las espadashöhere Welt< des Jenseitigen. Der Feindschaft und dem Haß, die bis dahin geherrscht hatten, stellte sich
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die alles umfassende Liebe entgegen. Strahlend in ewiger Eintracht, in ewigem und schweigendem Gespräch begriffen, in der ewigen Einheit der himmlischen Sphären. Dies genau ist aber jene unerklärliche Welt, welche von der DreieinigkeitsIkone Rubljows mit breitem Strom direkt in die Seele des Betrachters strömt. Dieses Lasurblau, das in der Welt nicht seinesgleichen besitzt, himmlischer selbst noch als die Himmel, ja — dieses wahrhaft überhimmlische Blau [...] diese über alles friedliche Stille des Schweigens, diese unendliche, sich gegenseitig erwiesene Demut - halten wir für den schöpferischen Inhalt der Hl. Trinitäts-Ikone.11 D e r R a h m e n v o n Rubljows Arbeit ist für FLORENSKIJ eindeutig ein spiritueller: Andrej Rubljow nährte sich als Künsder von dem, was ihm gegeben ward. Und deshalb darf nicht der Ehrwürdige Andrej Rubljow, der geistige Enkel des Hl. Sergij, sondern es muß der Stammvater des Russischen Landes selbst - Sergij von Radonesch - als der eigentliche Schöpfer eines der großartigsten Werke nicht nur der russischen, sondern selbstverständlich der Malerei überhaupt, angesehen werden. Bei der Dreieinigkeitsikone wirkte Andrej Rubljow nicht als selbständiger Künsder, sondern einzig als genialer Erfüller des schöpferischen Planes und der grundlegenden Komposition des Hl. Sergij von Radonesch.12 V o n dieser Sicht des Künstlers nicht als des eigentlichen Z e n t r u m s der Kreativität, sondern als eines Subjekts, das gleichsam i m Geiste eines anderen handelt, setzt sich Tarkowskij ab: Er w i r f t die Frage, w e l c h e n spirituellen Quellen der Protagonist seine Meisterschaft verdankt, zwar m i t den im d o k u m e n t a r i s c h e n Farbepilog gezeigten K u n s t w e r k e n auf, gibt aber keine A n t w o r t . G e r a d e die spärlichen Quellen ließen den beiden Filmautoren g e n ü g e n d Spielraum zur fiktionalisierenden E r z ä h l u n g u n d D e u t u n g der Existenz des Malers. Bezeichnend ist, dass er praktisch nie selbst tätig erscheint — sieht m a n ab v o n jenem chaotischen F a r b e n w u r f auf die leere w e i ß e W a n d der Kathedrale v o n Wladimir, die w i e eine A n s p i e l u n g auf J a c k s o n Pollocks action painting mit seinem aleatorischen Kalkül wirkt, i m filmischen Plot jedoch eine Kapitulation v o r der w e i ß e n Leere darstellt. D i e B e f l e c k u n g des Malgrundes i m A f f e k t schließt an eine Erinnerungssequenz an, in der die Baumeister i m W a l d v o n M ä n n e r n des G r o ß f ü r s t e n geblendet w e r d e n . Auslöser dieser Erinnerung ist das Erscheinen der klein e n Prinzessin in der Kirche, welche Andrej mit Milch bespritzt. A m E n d e 11
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Das Dreieinigkeits-Sergij-Kloster und Rußland (1919), in: ders.: Die umgekehrte Perspektive. Texte zur Kunst. München 1989, S. 88-110, hier 102f. Florenskij wurde im Oktober 1918 aus seiner Verbannung in Turkestan zurückgeholt und in die Kommission zum Schutz der Kunstdenkmäler und Altertümer des Dreieinigkeits-Klosters in Sergjev Posad berufen. In seinen Vorträgen forderte er die vollständige Erhaltung des Klosters als geistiges Zentrum Russlands. Dies schloss auch das Fortbestehen von Gottesdienst und Mönchsgemeinschaft ein und zugleich die Bewahrung des Ortes als Museum. Ebd., S. 103.
PAWEL FLORENSKIJ:
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der Erinnerungssequenz rinnt aus einer Flasche ebenfalls Milch aus und ergießt sich in den Waldbach. Das Weiß der Milch und das Moment des Ausrinnens, Verlierens, Verdünnens sind die ikonischen Schlüsselelemente, die Erzählgegenwart und -Vergangenheit verbinden. Erinnert wird vom Ende, von der Katastrophe her. In diesem Kontext ist der (kreuzförmige) Farbklecks, den Rubljow an die Wand wirft, die unvermittelte Spur seiner Erregung und seines Aufbegehrens in der Aporie zwischen der Weigerung, das Jüngste Gericht zu malen, und der Unmöglichkeit, dem bestialischen Gewaltakt im Wald dokumentarisch Ausdruck zu verleihen. Anstatt Malakte zu zeigen, wird in vielen Szenen ein Diskurs über den Sinn von Kunst und die Aufgabe des Künstlers in der Welt geführt und damit eine Reflexionsebene eingezogen, die sich auch auf Tarkowskij s Verständnis des Films als Bildkunst der Moderne und den Status des bewegten photographisch-technischen Bildes beziehen lässt. Der an der Schaffung des wahren Bildes< orientierte Maler-Mönch Rubljow definiert in der Episode Das Jüngste Gericht die Position des Künstlers nicht im Horizont des Verständnisses der Ikone als eines heiligen Bildes, das die göttliche Offenbarung zur Erscheinung bringt, sondern von der Wirkung her, welche die Ikone auf die Gläubigen ausübt: »Ich möchte die Menschen nicht verängstigen«, begründet er seine Weigerung, die Wiederkehr Gottes als Weltenrichter darzustellen. Damit entzieht er sich einer Abarbeitung des von Danilo skizzierten, verbindlichen Motivkanons, der diesem Sujet inhärent ist (»[...] rechts die Sünder im Pech verbrennend [...]«). Zugleich stellt er sich außerhalb einer ikonographischen Tradition mit festen Codes und einem gleich bleibenden Spektrum von >Szenen< der Hl. Schrift, deren Lesbarkeit auf ihrem Wiedererkennen beruht.
Baumeistergehilje nach der Blendung
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Wandbeschmut%ung
Nicht der Ehrfurcht gebietende Schrecken und nicht jene >orthodoxen< Regeln, die in Kap. 7 des 1. Korintherbriefs den Ausschluss von Normverletzerinnen gebieten (»eine Frau soll sich bedecken, wenn sie betet«), sind Rubljow innere Leitlinie, sondern die Wertetrias aus dem im inneren Monolog rezitierten Kap. 13 (»Das Hohelied der Liebe«), v. 11-13 und dann 1-9.13 In der umgekehrten Zitation, die von der inneren in die äußere 13
1 Kor 13,11-13: »Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin. Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.« - 1 Kor 13,1-9: »Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tö-
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(vor sich hin gesprochene) Rede Rubljows übergeht und v. 10 auslässt, 14 liegt ein Moment der subjektiven Aneignung des Textes und drückt sich die Skepsis gegenüber jeglicher Vollkommenheit bzw. Heilsgewissheit aus, die mit der eschatologischen Gerichtetheit der Welt verbunden ist. Mit der Wertetrias von Glaube, Hoffnung und Liebe eröffnet sich eine spezifische Haltung des Malers zum Bildsujet, die sich von der Position des älteren Mentors Theophanes und ihren Gewissheiten (»Ich diene Gott, nicht den Menschen«) ebenso entfernt wie von der Verbindlichkeit des biblischen Motivspektrums. Sie impliziert auch eine andere Einstellung zu den christlichen Fundamenten selbst. Vereinfacht gesagt: Es gilt nicht mehr ein konkretes Sujet zu malen, sondern >die Liebe< oder >die Hoffnung< auszudrücken, das begrifflich Abstrakte in der Konkretion erfahrbar zu machen.
Brennende Kuh in der Episode Der Überfall
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nendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüßte alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so daß ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen, und hätte die Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze. Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie läßt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. Die Liebe hört niemals auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird. Denn unser Wissen ist Stückwerk, und unser prophetisches Reden ist Stückwerk.« 1 Kor 13,10: »Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören.«
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Von der Treppe stürmendes Pferd in der Episode Der Überfall
3. Kunst und Künstler Mit dem Fehlen von expliziten Malszenen unterbleibt bei Tarkowskij die für viele westliche Künstlerfilme charakteristische Inszenierung schöpferischer Inspiration und übermenschlicher Werkstiftung. Auch entfällt das exponierte, für ein bestimmtes Werk der bildenden Kunst prägende Erlebnis oder Wahrnehmungsmoment, 15 das die konventionell erzählten Künstlerfilme inszenieren, um es als Initialmotiv des kreativen Prozesses auszuweisen. Die Werkschöpfung im eigentlichen Sinne verlagert Tarkowskij von der vergleichsweise fragilen Kunst der Malerei (und damit sowohl der Generation Theophans wie der Andrejs) zur massiveren, mit den Elementarkräften hantierenden Kunst des Glockengießens, die durch Borischka repräsentiert ist. Der durch seine Position in der episodischen Erzählung wie durch seine Extension herausgehobene Prozess des Glockengusses ist das dominant selbstreferentielle Moment des Films: Der Guss kommt produktionstechnisch dem filmischen Handwerk erheblich näher als die — durch geringfügigere Arbeitsteiligkeit charakterisierte - Malerei, gerade weil Tarkowskjis Inszenierung einer russischen Schreckensepoche, in der sich Chaos und Schöpfung verdichten, ihrerseits mit entfesselten Naturkräften und elementarer Gewalt arbeitet. Daraus ergeben sich ähnliche Kontingenzen wie bei der heroisch die Elementarkräfte bezwingenden Kunst des Glockengusses. Andrej Rubljow ist damit nicht nur Tarkowskijs Gegenent-
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Vgl. etwa die Michelangelo Buonarotti zum Deckengemälde der Beseelung Adams inspirierende Vision der Wolkenformation in Carol Reeds The Agony and the Ecstasy (USA 1964).
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wurf »zur bigotten Ikonenmalerei« 16 des sozialistischen Realismus und zu den patriotischen Geschichtsfilmen der fünfziger Jahre in der Sowjetunion. Das in den Gewaltszenen hervortretende >Reale< im Sinne Lacans ist eine Reverenz an Eisensteins Revolutions filme. Andrej 'Rubljow bildet auch ein komplementäres Modell zu den opulenten, bisweilen monumentalen, historisierenden Malerbiographien Hollywoods, vor allem zu dem fast gleichzeitig entstandenen Ausstattungsfilm The Agony and the Ecstasy,17 Nicht von ungefähr präferiert der Künstlerfilm sonst Exponenten der Renaissance, des Manierismus 18 oder der Klassischen Moderne, verknüpfen sich damit doch Assoziationen wie Autonomisierung der Kunst, Aufbruch, Tabuverletzung 19 und Genialität des Künstlersubjekts als des leidenschaftlichen, antibürgerlichen Menschen, der Bindungen hinter sich lässt. Das traditionelle Erzählkino gewinnt aus diesen Prädispositionen ein reiches Potential an Konflikten, welche die Künsderfigur mit ihrer Umwelt und mit sich selbst ausficht. Von diesem narrativen Muster ist - auch in der Dramaturgie - lediglich die letzte Episode Die Glocke geprägt. Zwischen den Ikonen Rubljows, die innerhalb der Geschichte nur als geschlossenes Freskenprogramm der Kathedrale von Wladimir in der Üfe?/a//-Episode zu sehen sind, aber nicht sichtbar >entstehendankbares< Darstellungsobjekt gelten): Als unbewegliches/unbewegtes materiales Ding ist sie im religiösen Kontext noch ohne Bedeutung; Signifikanz gewinnt sie erst in der Bewegung, im Klang. In der schwingenden Bewegung entscheidet sich auch, ob sie als Klangkörper gelungen ist oder nicht. (Ebenso liegt das Filmische nicht in der Materialität des Filmstreifens beschlossen, wenngleich Träger, Emulsion und photochemische Prozesse >gelungen< sein müssen; bedeutungstragend ist erst der Fluss der Bilder in der Projektion, mittels ihrer >Immaterialisierung< im Lichtstrahl). Die dramaturgische Aufladung und Aktionsbetontheit der Glocken-YL\>\.sode entspricht in der Geschichte unmittelbar dem existentiellen Risiko, dem sich (ähnlich wie vorher die Baumeister) Borischka und die Glockengießer unter den Bedingungen feudaler Willkürherrschaft aussetzen, indem sie für das Gelingen ihres Produktes mit ihrem Leben bürgen (»Der Fürst enthauptet sie, sollte die Glocke nicht klingen«). Dem entspricht bild- und tonästhetisch ein Aufwand, wie er sonst nur in der Überfall-Sequenz betrieben wird. Hat die Grausamkeit des Mordens und Brandschatzens der Soldaten Rubljow dazu gebracht, seinerseits zu töten und sich danach menschlicher Kommunikation zu entziehen, so bringt ihn der nach der Einweihung der Glocke zusammenbrechende Borischka, der die neue Künsdergeneration repräsentiert, dazu, symbolisch wieder in die Welt zurückzukehren. So schließt und überschreibt das Drama des Glockengusses, an dessen Ende auch die Krise Rubljows aufgehoben ist, die Katastrophe der Verwüstung Wladimirs. Es vereint Techniker, Künsder, Machthaber und Volk am Ende im Klangraum des Geläuts. Rubljows Schweigegelübde geht einher mit der Werkvernichtung: Die Ikonen von Wladimir sind nach der Erstürmung der Kathedrale verrußt (wie es Rubljows Ikonen bis kurz nach der Oktoberrevolution waren) und teilweise verbrannt, der Maler-Mönch ist am Ende seiner Bilder angelangt, er will nie wieder malen. Inmitten der Leichen erscheint ihm die Gestalt des toten Theophanes, und es kommt zum zweiten Disput der beiden Künsder, in dem nochmals ihre einander widersprechenden Positionen gegenübergestellt werden. Bezieht sich der erste Disput auf künsderischtheologische Konzepte, so der zweite auf Verhaltensnormen. Im ersten vertritt Andrej eine eigene Auffassung von der Passion Christi. Dem Pessimismus und der Weltverachtung Theophans, der davon überzeugt ist, dass die Menschen den Erlöser nicht verdient hätten, da alle ihn verraten haben, setzt Andrej seine Kritik an der Messias-Gestalt entgegen (eine >häretische< Position im Sinne KREIMEIERs). Danach wurde Jesus geboren, um die Menschen mit Gott zu versöhnen. »Sie liebten ihn als Mensch. Er aber verließ sie freiwillig und bewies Ungerechtigkeit und sogar Grausamkeit.«
IX. Tarkowskij
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Im zweiten Disput geht es um die Berufung des Malers, deren Nichterfüllung Theophanes als >Sünde< brandmarkt. Dem Maler ist die Kunst als Bestimmung auferlegt, sie ist nicht seinem subjektiven Willen anheim gegeben. Auch in der Beurteilung des Tötens als eines Notwehraktes brechen Differenzen auf. Während Rubljow an der Absolutheit des Tötungsverbotes festhält und für das Erschlagen eines Menschen Buße tun will, antwortet Theophan auch hier aus einer Heilsgewissheit heraus, die Andrej fehlt: »Für unsere Sünden hat das Übel menschliche Züge angenommen. Du hast einen Anschlag auf das Böse verübt, auf das menschliche Fleisch.« Sein Wertekanon steht ganz im Zeichen des mittelalterlichen, christlichen Ritterethos: »Lernt Gutes tun, sucht die Wahrheit, rettet die Unterdrückten, verteidigt die Waisen. Dann kommt zu mir und lasset uns urteilen.« In diesem Licht ist Rubljows Krise und innerweltlicher Rückzug eine doppelte Verweigerung. In der Narration erscheint sie als Traumatisierung, die daher rührt, dass Andrej Zeuge des schlimmsten Folterns und Mordens in der Kirche gewesen ist, eines Zivilisationsbruchs, der um so schwerer wiegt, als der Überfall die Aufkündigung eines durch das Küssen des Kreuzes bekräftigten, brüderlichen Einverständnisses bedeutet.
Andrej phantasiert sich als Gekreuzigter
Tarkowskij montiert in die Üfer/ä//-Secjuenz drei kurze Rückblenden ein, in welchen sich die verfeindeten Fürstenbrüder (gespielt von ein und demselben Schauspieler) in der Kirche treffen und sich vor dem Patriachen Treue geloben. Damit ist diese religiöse Handlung zur veräußerlichten Geste abgesunken. Sie verbürgt keine Gültigkeit und ist als symbolische Handlung entwertet, zwar bildlich als Erinnerung bezeugt, aber nur für den sich erinnernden Bruder ex post als unauthentisch zu dechiffrieren. Zudem hat Andrej für einmal seine stumme Beobachterrolle aufgegeben, um direkt in das kollektive Martyrium einzugreifen. Damit hat er sich,
312
URSULA VON KEITZ
anders als seine Mitbrüder Danilo und Kyrill, in eine individuelle Passion begeben, wie sie sich bereits in der eingeschnittenen Christus-Phantasie der Passzons-iipisode des ersten Kunstdisputes angekündigt hat: Andrej selbst lässt sich hier, in der symbolischen Nachfolge Christi, auf das Kreuz binden. Episode für Episode unterstreicht der Film, dass Rubljows irdisches Dasein im Grunde keine Anhaltspunkte für das bietet, was in seinen überlieferten Kunstwerken zur Darstellung kommt. Im Gegenteil scheinen Grausamkeit, Gewalt und Rauheit, Hunger, Not und Elend, von denen der Film erzählt hat, in dem von der Geschichte getrennten farbigen Epilog aufgehoben und in der Malerei überwunden. Die sichtbare Hinterlassenschaft des historischen Rubljow gibt das Maß der Uberwindbarkeit jener >irdischen Hölle< vor, welche die erzählte Epoche charakterisiert. MARIUS SCHMATLOCH interpretiert den Epilog als »eine Art Tagtraum, eine inspirierende göttliche Offenbarung« und »mantische Vision Rubljows nach [seiner] Wiedervereinigung mit den Menschen« 20 , der in seiner »hyperrealistischen Farbigkeit« und »Seins fülle« den Status der wahren Wirklichkeit gewinnt. »Während Borischkas >kleine Kunst< [...] die gesellschaftlichen Schichten eines Fürstentums kurzfristig zu vereinigen vermag, synthetisiert die >große Kunst< Rubljows das gesamte russische Volk zu einer mystischen christlichen Einheit und beendet den historischen Partikularismus — Uberblendungen als Zeichen für eine Nationalkunst.« 21
4. Räumlichkeit, lkoni^tät und physische Präsen^ Die spezifische Ikonizität der Ikone als ein vom Film umkreistes Thema wirft die Frage nach Tarkowskijs Auffassung vom künstlerischen Filmbild und von seinen eigenen >Bildern< auf. Welchen Status haben die inszenierten >Bilder< und Ereignisse aus der Geschichte Russlands im ausgehenden Mittelalter? Welche Durchlässigkeit besitzen bestimmte Bilder des Films auf eine höhere Wahrheit bzw. ein Vor- oder Urbild hin? »In den Filmen Tarkowskijs bilden die körperliche, diesseitige, bekannte Lebenswelt und die eidetische, jenseitige, geheimnisvolle Sphäre antipodische Bezugspunkte«. 22 In Tarkowskijs Bildkompositionen treten zahlreiche ikonographische Bezüge hervor. EVA M. J. SCHMID hat einige davon aufgespürt, so z. B. im Schlussbild der G/oßte-Episode, als Andrej den schluchzenden Borischka im Schoß hält: 20
22
MARIUS SCHMATLOCH: Andrej Tarkowskijs Filme in philosophischer Betrachtung. Sankt Augustin 2003, S. 72. Ebd., S. 357. Ebd., S. 127.
IX. Tarkowskij
313
Die Komposition erinnert an die als >Not Gottes< bekannte Variation des PietäMotivs, in der Gottvater mit dem toten Sohn dargestellt wird. Bei Tarkowskij wird die Gruppe an einem Holzpfosten gezeigt und erinnert an jene Pietä Michelangelos, wo auf dem Kreuzstamm (auch er nur als Pfosten sichtbar) die Worte zu lesen sind: »non vi si pensa quanto sangue costa«, eine Inschrift, die sich sowohl auf das (Mysterium der Erlösungc bezieht, als auch auf die künstlerische Existenz und Arbeit.23
In dem Maße, in dem die mediale Dimension der Ikone Vor- und Leitbild des Films ist, lässt sich für das Verhältnis von Darstellung und historischer >Realität< folgende homologe Beziehung postulieren: Ikonen Andrej Rubljows
:
>Wahrheit< der biblischen Offenbarung (korreliert mit Transzendenz/Absenz)
Film Andrej Rubljoiv
:
>Geschichte< des 14./15. Jahrhunderts (Absenz)
Schlüsseleinstellungen des Films
:
>transzendente< Wahrheit (Absenz)
Was beide Künstler, den Filmemacher wie den Maler auszeichnet, ist, dass sie von Absentem handeln. Der Künstler gestaltet durch die Darstellung von Glaubensinhalten einen Vorschein der Transzendenz. Der Filmemacher nähert sich der vergangenen geschichtlichen Epoche über verbürgte, im Eingangszitat erwähnte (aber ungenannt bleibende) Quellen aus »Architektur, Schrifttum und bildender Kunst«, konkretisiert aber die geschichtlichen Szenen gemäß eigener Kreation und nach Maßgabe einer >dokumentarischen< Authentizität; in herausgehobenen Schlüsseleinstellungen nähert er sich darüber hinaus der Transparenz des Ikonischen für eine übergeordnete (religiös-philosophische) Wahrheit. Insgesamt konturiert die filmische Erzählung ein dreiphasiges Modell der Ubergängigkeit und geschichtlichen Bewegung, die positiv gedeutet und durch drei Künstlergenerationen vermittelt wird: Altes Künsderkonzept/Mittelalter (repräsentiert durch Theophanes): Künsder Φ Macher/Genie Phase I = Werkzeug der tradierten göttlichen Offenbarung Mittleres Künstlerkonzept/Frührenaissance (repräsentiert durch Andrej): Künsder φ Macher/Genie Phase II = Verkünder der reinterpretierten göttlichen Offenbarung
EVA M. J. SCHMID: Erinnerungen und Fragen, in: Andrej Tarkowskij (Anm. 3), S. 56.
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Ursula von Keitz Jüngstes Künstlerkonzept/Renaissance (repräsentiert durch Borischka): Künstler = Macher/Genie/Ingenieur Phase III = bürgt mit seiner Existenz für sein Werk
Mit der Freundschaftsstiftung am Ende und der Annahme Borischkas als Gefährten hebt sich Andrej in die Phase III gleichsam mit hinüber. Der metaphorische >Sohn< des Theophanes wird, wie der ikonographische Bezug zur >Not Gottes< belegt, qua symbolischer Adopdon zum >Vater< Borischkas. Andrejs Krise erscheint als notwendige Bedingung seiner metaphorischen Wiedergeburt, verkörpert in der erneuten Weltzuwendung. In der Narration ist die historische Ubergangsepoche zur russischen Zentralmacht als Periode höchster Grausamkeit und Willkür der feudalen Machthaber dargestellt, des Großfürsten und seines rivalisierenden, die Tataren zu Bundesgenossen seiner Intrige rufenden Bruders, aber andererseits auch als eine der relativen Macht und der Verhandelbarkeit von Wahrheiten. Diese Relativität schafft, obschon die Künstlerfiguren in der Welt verloren und in Landschaften voller Trostlosigkeit (und Offenheit) ausgesetzt sind, einen schmalen Raum der Selbstbehauptung.
Deutlich wird dies in der Unbedingtheit und Voraussetzungslosigkeit der Existenz Andrejs wie Borischkas: Beide sind besitzlos, der eine prinzipiell durch das Mönchsgelübde, der andere okkasionell durch die Pestkatastrophe, die ihn zum Waisen machte und von Tod umgeben sein Heß. Ihr Vermögen tragen sie in sich, als Begabung und Wissen. Tarkowskij visualisiert die Offenheit in den Wanderungsbewegungen der Protagonisten durch Landschaften, die kaum Zivilisationsspuren tragen. Es gibt kaum vorgespurte Wege im ländlichen Raum, 24 der Gang ist immer eine BeweWo Tarkowskij befestige Wege zeigt, sind sie unmittelbar bedeutsam für das, was im Dialog der Figuren verhandelt wird; z. B. debattieren Andrej und Danilo über
IX. Tarkowskij
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gung querfeldein; sie verläuft zwar gerichtet, aber die Wanderung der drei Mönche in der Gaukler-Episode zu Beginn ist eine Setzung, folgt einem inneren Orientierungsmaß. Doch nicht nur im Hinblick auf weltliche Macht und Künstlertum ist die dargestellte Epoche eine Ubergangsphase, auch in Bezug auf den Charakter der christlichen Religion. Zum einen repräsentieren die in den Kunstdisputen vertretenen Positionen verschiedene Haltungen zur Orthodoxie und damit Binnendifferenzierungen innerhalb des christlichen Glaubens. Zum andern finden sich in der ländlichen Welt noch Spuren heidnisch-vorchristücher Kulte. So bildet ein kollektiver Koitus, eine symbolische >heilige HochzeitVerbrennen des WintersNot Gottes< als kreativ-kreatürliche Ermattung zu werten, als Sättigung und Schließung. Tarkowskijs Realismus sucht, wie im Eingangszitat erwähnt, nicht die >archäologische< oder >ethnologische< Detailtreue, das historisch >Richtigehistoire< wie verwandelt, frei, unversehrt und erlöst sind. Ein friedliches, weil menschenfernes Bild.
X. Eric Rohmer: Perceval le Gallois (1978) von BRUNO QUAST In seinem Film ~L'Anglaise et le Due von 2001, um mit einer noch jungen Regiearbeit zu beginnen, führt Eric Rohmer die Zuschauer in die stürmische Zeit der Französischen Revolution. Hierfür bedient er sich eines seit der Antike tradierten Verfahrens: der Ekphrasis. Er digitalisiert historische Gemälde der damaligen Zeit und verlagert die Handlung seines Films in die auf diese Weise verlebendigten Szenarien. Als Betrachter des Films wähnt man sich in ein Gemälde hineinversetzt, doch durch eine weitgehend kammerspielartige Inszenierungsform des Films geraten die Gemälde in Bewegung. Die Spannung zwischen der Statik des Gemäldes (oder auch unserer Vorstellung des Gemäldes) und der Dynamik einer theatralen Inszenierungsform bewirkt eine fortwährende Irritation, die eines nie aufkommen lässt: die Illusion einer realistischen Handlung, mit der man sich als Zuschauer bruchlos identifizieren könnte. Man denkt an Gemälde, man denkt an Theater und ist befremdet darüber, sitzt man doch schließlich in einem Film. Es entsteht etwas eigenartig Neues, das mit unseren Sehgewohnheiten bricht, etwas Neues, das sich nicht vorschnell einordnen und kontrollieren lässt. Das Experiment mit den verschiedenen Darstellungs- und Speicherungsformen von Wirklichkeit — in L'Anglaise et le Due das Experiment mit dem Repräsentationstyp Gemälde und der computergesteuerten Digitalisierung des Gemäldes - beschäftigt Rohmer seit Jahrzehnten. Das Interesse an filmtheoretischen und -praktischen Überlegungen, die die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Erzählung, Theater und Film als Formen von Darstellung reflektieren, lässt sich bei ihm bis in die siebziger Jahre zurückverfolgen. Mit seinem Film Perceval le Gallois (1978) reagiert Rohmer auf das cinema verite der sechziger und frühen siebziger Jahre, das Wirklichkeitskino des Neorealismus. Die Einsicht in die Konstruktionen eines Kinos, das von sich immerhin behauptete, Wirklichkeit nur abzubilden, ließ Rohmer auf Traditionen des Films zurückgreifen, die er bei Jean Cocteau und Orson Welles in Filmen der vierziger Jahre realisiert fand.
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BRUNO QUAST
Rohmer filmt als ein Kenner der Filmgeschichte und zugleich als ein Kritiker der Filmproduktion. 1 Er studierte Philosophie in Paris, war danach Lehrer und Romanautor. Seit 1949 schreibt er Filmkritiken in verschiedenen Zeitungen, er ist Mitbegründer der Cahiers du dnema, zusammen mit Truffaut, Godard, Resnais und Bazin, bald Chefredakteur der Cahiers. Parallel dazu dreht er Filme. Der erste abendfüllende Film von 1959 Le signe du Uon hatte nur mäßigen Erfolg. Die anfangs mit geringem Budget gedrehten Contes moraux waren dagegen von weit reichender Wirkung und begründeten Rohmers Ruf als Erzähler moderner Beziehungsgeschichten. Zu den wichtigsten Filmen Rohmers zählen der Episodenfilm Rendezvous ä Paris und der Vier-Jahreszeiten-Zyklus, zwischen 1990 und 1998 entstanden, der in vier Filmen das Thema der Jahreszeitenerzählung zum Teil verstörend variiert. Er zeige, was man nicht sehen könne, heißt es von Rohmer. Dies ist die Reaktion der Kritik auf Filme, die wie die Jahreszeitenfilme wieder sehr nah an die so genannte Wirklichkeit heranrücken, auf Filme, die das Spiel mit den Formen der Wirklichkeitsdarstellung, wie es Rohmers Filme der siebziger Jahre dominiert, scheinbar spurlos hinter sich lassen. Rohmers filmisches (Euvre spannt sich zwischen diesen beiden Polen: zwischen einer obsessiven Wirklichkeitsbeobachtung, die sich auch in Dokumentarfilmen niederschlägt, und einer cineastisch-selbstreflexiven Frage nach den Darstellungs- und Erkenntnismöglichkeiten des Kunstfilms.
1. Ästhetischer Spalt Perceval le Gallois ist die strikt an der Buchvorlage orientierte Verfilmung des mittelalterlichen Roman de Perceval ou le Conte du Graal von Chretien de Troyes. Chretiens Hauptschaffenszeit liegt zwischen 1165 und 1182. Als sein letztes Werk entsteht zwischen 1182 und 1191 der Fragment gebliebene Perceval. Die größte Problematik des Perceval stellt nach landläufiger Meinung die Begegnung Percevals mit dem Fischer und der bekannte Aufenthalt auf der Gralsburg dar. Perceval wird in der Einöde erzogen, fernab von jedweder Zivilisation. Die Begegnung mit Rittern weckt in ihm den Wunsch, ebenfalls Ritter zu werden. Auf seinem Weg zur Artusritterschaft, der für ihn auch die Heirat mit Blanchefleur bereithält, trifft Perceval einen edlen Fischer, den verwundeten Sohn des alten Gralskönigs. Der Fischerkönig nimmt Perceval in der Gralsburg auf. Perceval ist, ohne dass er
1
Vgl. C. G. CRISP: Eric Rohmer. Realist and Moralist. Bloomington/Ind. 1988, S. 14-24, zu biographischen Daten und frühen Filmen auch PASCAL BONITZER: Eric Rohmer. Paris 1991.
X. Rehmer
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darum weiß, der Berufene, der durch bestimmte Fragen den Fischerkönig von seinen Qualen erlösen könnte. Doch die strikte Befolgung der höfischen Sitte, nicht zuviel und zu neugierig zu fragen, hindert ihn zum einen daran, nach dem Geheimnis der blutenden Lanze zu fragen, die auf der Gralsburg dem Gral voran getragen wird, zum anderen sich danach zu erkundigen, wem der Gral diene. Die Gralsszene mit den Elementen Gral und Lanze hat zu einer Vielzahl von Deutungen angeregt. Neben christlichen Lesarten des Grals als Hostienbehälter oder Reliquienschale des Letzten Abendmahls stehen kultisch-ritualistische Theorien, die das Gralsritual mit dem paganen Demeterkult in Verbindung bringen. Psychoanalytisch orientierte Deutungen, besonders aus der Lacan-Schule, sehen in der Begegnung des jungen Perceval mit dem kastrierten Fischerkönig die Wiederauflage einer ödipalen Grundstruktur. 2 CLAUDE LEVI-STRAUSS erkennt in Perceval einen invertierten Ödipus, der anders als der griechische, der die unbeantwortbaren Fragen der Sphinx beantwortet, die von ihm erwarteten und beantwortbaren Fragen nicht stellt und auf diese Weise die Mangelsituation der Burg auf Dauer stellt.3 Mit solchen ethnologischpsychoanalytischen Deutungen hat Rohmer auf den ersten Blick nichts im Sinn. Er reagiert mit seiner P(??rliterarisch< kann ein Film sein? Zu Rohmers La Marquise d ' O . . i n : FELTEN/ROLOFF (Anm. 5), S. 95-123, hier 106.
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Bezeichnung »freie indirekte Rede«7 gewählt. Der Gebrauch der freien indirekten Rede, der an Verfremdungseffekte des epischen Theaters erinnert, führt zu dem Störeffekt, dass die Figuren als nicht mit dem in der Erzählung Dargestellten identisch wahrgenommen werden. Dieser Effekt lässt sich repräsentationsgeschichtlich als die Offenlegung der Unterscheidung von Dargestelltem und Darstellung umschreiben, der Unterscheidung von erzähltem Geschehen und Darbietung desselben. Der Unterschied zwischen Buch und theatraler Aneignung, zwischen der PercevalFigur des Romans und der Perceval-Rolle der theatralen Inszenierung, zwischen dargestelltem Inhalt und Darstellung, zwischen der Vergangenheit des dargestellten Inhalts und der Gegenwart der Darstellung wird filmisch festgehalten. Für Rohmer ist der Film hier dasjenige Medium, das die Offenlegung der Unterscheidung von Dargestelltem und Darstellung im Modus theatraler Inszenierung von einer übergeordneten Warte aus beobachtet. Erst die theatrale Inszenierung ermöglicht die Offenlegung dieser Unterscheidung — und die Kamera hält diese Offenlegung fest. Wenn Rohmer den Roman ins Bild setzt und zugleich durch die Verwendung der epischen Sprache des Romans die Illusion der Bilder deutlich macht, entsteht ein Spalt, der im Film nie vergessen lässt, dass hier eine mittelalterliche Erzählung im Modus theatraler Aufführung verfilmt ist. Die Möglichkeit eines unmittelbaren Zugangs der Moderne zur mittelalterlichen Erzählwelt wird damit kategorisch bestritten. Rohmers Interesse an der Ritualisierung und Theatralisierung des Sprechens scheint mithin unabweislich, es sollte freilich nicht als Reproduktion einer »naiven Volkstümlichkeit«8 missverstanden werden. Die Theatralisierung des Sprechens und die Ritualisierung des Handelns, die sich in einem fest gefügten, historisch angepassten Gestenrepertoire der agierenden Figuren spiegeln, sind ein von Rohmer gesuchtes Verbindungsglied zum mittelalterlichen Theater. Das mittelalterliche Theater in Form der vielfältigen Geistlichen Spiele, das mehr ein wirklichkeitsschaffendes Ritual als ein wirklichkeitsabbildendes oder -nachbildendes Illusionstheater im modernen Sinn gewesen ist9, kennt die Unterscheidung von Dargestell7
8
9
GILLES DELEUZE: Das Zeit-Bild. Kino 2. Frankfurt/M., S. 310; vgl. ERIC ROHMER: Le film et les trois plans du discours: Indirect/direct/hyperdirect, in: Eric Rohmer. Le goüt de la beaute. Textes reunis et presentes par JEAN NARBONI. Paris 1984, S. 93-99. VOLKER ROLOPF: Reden und Schweigen. Zur Märchenstruktur in Rohmers Perceval le Gallois, in: FELTEN/ROLOFF (Anm. 5), S. 87-94, hier 88. Vgl. RAINER WARNING: Funktion und Struktur. Die Ambivalenzen des geistlichen Spiels. München 1974; DERS.: Hermeneutische Fallen beim Umgang mit dem geistlichen Spiel, in: WOLFGANG HARMS u. a. (Hg): Mediävistische Komparatistik. Stuttgart, Leipzig 1997, S. 29-40; ders.: Auf der Suche nach dem Körper. Das Imaginäre des geistlichen Spiels, in: HANS-JOACHIM ZLEGELER (Hg.): Ritual und
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BRUNO QUAST
tem und Darstellung weitgehend noch nicht. Die Schauspieler spielen nicht einfach eine Rolle, man könnte sagen: sie sind, was sie spielen. Zumindest werden sie vom Publikum so wahrgenommen. So konnte der Schauspieler des Judas in mittelalterlichen Passionsspielen nach dem Spiel verfolgt werden, weil er im Spiel Jesus verraten hatte. Die Unterscheidung von Figur und Rolle, eine Unterscheidung, die die entscheidende Voraussetzung für die Entstehung moderner Theatralität ist, hatte sich noch nicht eingestellt. Indem Rohmer den repräsentationsgeschichtlich bedeutsamen Aspekt der Unterscheidung von Darstellung und Dargestelltem in den Vordergrund schiebt, unterstreicht er die Modernität seines filmischen Unterfangens. Zugleich plausibilisiert er eine grundlegende Differenz des Films zu der in ihm aufgehobenen mittelalterlichen Erzählung. In einer bestimmten Sequenz seines Films allerdings lässt er die epistemische Bedingung moderner theatraler Repräsentation außer Acht.
2. Erlösung dem Erlöser Rohmers Film zeigt am Ende ein liturgisch gebundenes Passionsspiel, das man in Chretiens Roman nicht findet. Der gekürzte Text des auf Latein gesungenen Johannesevangeliums (Joh 18,7-19,35) 10 wird erweitert um Verse des Matthäusevangeliums, die sich in Abwandlung auch bei Markus und Lukas finden. Iesus itaque sciens omnia, quae Ventura erant super eum, processit, et dixit eis: Quem quaeritis? Responderunt ei: Iesum Nazarenum. Dicit eius Iesus: Ego sum. (Ιο 18,4-5) Dixit ergo Iesus Petro: Mitte gladium tuum in vaginam. (Io 18,11) Comprehenderunt Iesum, et ligaverunt eum (Io, 18,12) [Pilatus ergo] dixit ei: Tu es rex Iudaeorum? (Io, 18,33) Respondit Iesus: Regnum meum non est de hoc mundo. (Io, 18,36) Dixit itaque ei Pilatus: Ergo rex es tu? Respondit Iesus: Tu dicis quia rex sum ego. (Ιο, 18,37) Ave rex Iudaeorum. (Io, 19,3) Exivit ergo iterum Pilatus foras, et dicit eis: (Io, 19, 4) Ecce homo. Cum ergo vidissent eum Pontifices, et ministri, clamabant, dicentes: Crucifige, crucifige eum. (Io, 19,6) Et baiulans sibi crucem exivit in eum, qui dicitur Calvariae, locum, Hebraice autem Golgotha: ubi crucifixerunt eum (Io, 19,17) Praetereuntes autem blasphemabant eum moventes capita sua, et dicentes: Vah qui destruis templum Dei, et in triduo illud reaedificas: salva temetipsum: sifilius Dei es, descende de cruce. (Mt 27,39f.) n
10
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Inszenierung. Geistliches und weltliches Drama des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Tübingen 2 0 0 4 , S . 3 4 3 - 3 5 9 . GERHARD WILD: Quem quaeritis in sepulchro? Überlegungen zu Musik und Mittelalter in Rohmers Perceval le Gallois, in: F E L T E N / R O L O F F (Anm. 5 ) , S . 1 8 3 200. Vgl. Novum Testamentum Graece et Latine, hg. von E R W I N N E S T L E , K U R T A L A N D . Stuttgart 1 9 6 9 . Übersetzung: »Jesus, der alles wusste, was mit ihm ge-
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Bei Chretien kehrt Perceval am Karfreitag bei einem Eremiten, seinem Onkel, ein, er muss durch die Belehrungen des Einsiedlers die Gottesferne und große Sünde seines bisherigen Lebens erkennen. Um diese Sünde zu büßen, wird Perceval aufgefordert, jeden Morgen eine Kirche aufzusuchen und zu Gott zu beten. Se de t'ame pitie te prent, Si aies vraie repentance, Et va en non de penitance Al mostier ainz qu'en autre leu Chascun main, si i avras preu; Ja nel laissier tu por nul plait. (6440-45) 12
Perceval folgt dem Rat seines Onkels, hört den Gottesdienst, der ihn mit Freude erfüllt, betet das Kreuz an und beweint seine Sünden. Die Szene gipfelt darin, dass ihm erneut ins Bewusstsein tritt, dass Gott an einem Freitag den Kreuzestod erlitten hat: Issi Perchevax reconnut \ Que Diex el vendredi rechut \ Mort et s i f u crucefiie\ (6509-11). Hier endet in Chretiens fragmentarischem Roman die Percevalhandlung, um Gauvains Abenteuer wiederum ins Spiel zu bringen. Rohmer schließt sich Chretien an, ohne allerdings die in der Romanvorlage erneut einsetzende Gauvainhandlung filmisch zu illustrieren. Bei Rohmer sieht man im Anschluss an die letzte Szene der Passion - ein Soldat sticht Jesus in die Seite — die letzte Einstellung des Films: den davon reitenden Perceval. Percevals Wandlung, die Hinwendung zu Gott, hat Rohmer ursprünglich als Vision inszenieren wollen, diesen Plan aber verworfen. 13 Stattdes-
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schehen sollte, ging hinaus und fragte sie: Wen sucht ihr? Sie antworteten ihm: Jesus von Nazaret: Jesus sagte zu ihnen: Ich bin es. ... Da sagte Jesus zu Petrus: Steck das Schwert in die Scheide! ... Sie nahmen Jesus fest und fesselten ihn. ... Pilatus fragte ihn: Bist du der König der Juden? ... Jesus antwortete: Mein Königtum ist nicht von dieser Welt. ... Pilatus sagte zu ihm: Also bist du doch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es, ich bin ein König ... Heil dir, König der Juden! ... Pilatus ging wieder hinaus und sagte zu ihnen: Seht, da ist der Mensch! Als die Hohenpriester und ihre Diener ihn sahen, schrieen sie: Ans Kreuz mit ihm, ans Kreuz mit ihm ... Er trug sein Kreuz und ging hinaus zur so genannten Schädelhöhe, die auf Hebräisch Golgatha heißt. Dort kreuzigten sie ihn. ... Die Leute, die vorbeikamen, verhöhnten ihn, schüttelten den Kopf und riefen: Du willst den Tempel niederreißen und in drei Tagen wieder aufbauen? Wenn du Gottes Sohn bist, hilf dir selbst, und steig herab vom Kreuz.« »Willst Du Deine Seele retten, bereue aufrichtig und besuche zur Buße jeden Morgen als erstes die Kirche; das wird dir helfen; um keinen Preis darfst du es unterlassen.« JOAN TASKER GRIMBERT: Distancing Techniques in Chretien de Troyes's Li Contes del Graal and Eric Rohmer's Perceval le Gallois, in: Arthuriana 10 (2000), S. 33-44, hier 44: »Rohmer's original plan, which he had to abandon for technical reasons, was to establish the Passion Play as Perceval's private vision simply by
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sen begegnen wir nun einem Perceval, der die Christusrolle im Passionsgeschehen übernommen hat, Percevals Mutter und Blanchefleur repräsentieren die Mutter Jesu und Maria Magdalena, die am Fuß des Kreuzes trauern. Rohmers Passionsspiel ist äußerst kontrovers diskutiert worden, die Kritik reicht von begeisterter Zustimmung 14 bis zu brüsker Ablehnung als »abusive« und »ridicule«. 15 Die Passion in Rohmers Film werde gespielt wie in Kirchen und auf Plätzen des 14./15. Jahrhunderts, so PAUL ZUMTHOR.16 Die Spieltexte des Spätmittelalters gehen indes weit über den Bibeltext hinaus, sie sind angereichert mit apokryphem Material. Gerade der Verzicht auf außerbiblische Tradition, die Konzentration auf den Bibeltext aber kennzeichnet das Passionsspiel im Film. Rohmer bietet eher Liturgie denn freies Spiel. Die Identifizierung von Perceval- und Christusrolle deutet ZUMTHOR mit Blick auf die Frage nach Percevals väterlicher Abkunft. Es ist die Leerstelle der Vaterfigur — Perceval kennt seinen Vater nicht —, die durch die Identifizierung mit Christus aufgefüllt werde. GERHARD WILD argumentiert eher theatralitätsgeschichtlich und trifft einen wichtigen Punkt. Das Quem quaeritis in der Episode über die Gefangennahme Jesu im Garten Gethsemane bei Johannes erinnere an den Ostertropus Quem quaeritis in sepulchro und damit an die Urgeschichte des mittelalterlichen Theaters. 17 Rohmer rekonstruiere eines jener geistlichen Spiele des Mittelalters, die aus der dialogischen Ausgestaltung des Ostertropus hervorgegangen seien. Im Hintergrund erklinge eine Improvisation im Stil eines frühmittelalterlichen Organum, Rohmer greife mithin auf das von Notre Dame de Paris ausgehende Klangbild der frühen Mehrstimmigkeit zurück. Was hat sich gegenüber dem ursprünglichen Vorhaben, die Passion als Vision zu inszenieren, verändert? Die Passion als Vision setzt bei aller
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intercutting closeups of his face rather than having him actually assume the role of Christ«; vgl. auch L. AUDIBERT u. a.: Entretien avec Eric Rohmer, in: Cinematographe 44 (1979), S. 11-15. NORRIS J. LACY: Arthurian Film and the Tyranny of Tradition, in: Arthurian Interpretations 4 (1989), S. 75-85, hier 79: »Curiously, the one instance in which Rohmer was unfaithful to Chretien, by the addition of the Passion Play, is also the point at which, to my mind, the result is most successsful as film; it is in fact only there that Rohmer makes a purely filmic decision, freed from the tyranny of his textual model«. GERARD GENETTE: Palimpsestes. La litterature au second degre. Paris 1982, S. 268. PAUL ZUMTHOR: Le Perceval d'Eric Rohmer: Note pour une lecture, in: Revue des sciences humaines 49/1 (1980), S. 119-124, hier 122. WILD (Anm. 10), hier S. 194f. - Die in der Formel Quem quaeritis gesuchte Nähe zum Osterspiel darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Passionsspiel Rohmerscher Provenienz gezielt auf eine Auferstehungsperspektive verzichtet.
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Exklusivität der Schau letztlich eine Trennung von Visionär und gesehenem Geschehen voraus, eine Dissoziation, die sich im Bildschnitt gespiegelt hätte. Rohmer liegt aber offenbar daran, eine solche Trennung erst gar nicht entstehen zu lassen. Perceval und leidender Christus werden eins. Percevals Hinwendung zu Gott nimmt die Gestalt der ununterscheidbaren unio im Leiden an. Über das buchstäbliche Christförmigwerden des Protagonisten hinaus wird — auch mit Blick auf die Kreuzigungsgruppe — retrospektiv Percevals Weg als genuin religiös gegründetes Erlösungsgeschehen deutbar. Wolfram von Eschenbach hat eine religiöse Grundierung der ParzivalVita, wie Rohmer sie betreibt, in seiner ins Deutsche übertragenen Adaptation des Perceval-Romans prospektiv geleistet, wenn er in der Geburtsepisode des Pargval mehrere Bilder überblendet: Herzeloyde mit Parzival im Arm, dem sie die Brust gibt, erscheint einerseits als Maria mit dem trinkenden Jesuskind, andererseits in der Haltung der Pietä, mit ihrem vor der Geburt verstorbenen Mann im Arm, den sie in ihrem Kind zu sehen glaubt. die küngin des gelüste daz si in vil dicke kuste. si sprach hin ze im in allen vliz >bon fiz, scher fiz, beä fiz.< Diu küngin nam do sunder twal diu roten välwelohten mal: ich meine ir tüttels gränsel: daz schoup si im in sin vlänsel. selbe was sin amme diu in truoc in ir wamme: an ir brüste si in zöch, die wibes missewende vloch. si düht, si hete Gahmureten wider an ir arm erbeten. si kert sich niht an lösheit: diemuot was ir bereit. [vrou] Herzeloyde sprach mit sinne >diu hoehste küneginne Jesus ir brüste bot, der sit durch uns vil scharpfen tot ame criuze mennischKche enpfienc und sine triuwe an uns begienc.< (113,1-22) 18
»Der Königin machte es Freude, ihn immer wieder zu küssen. Eindringlich sprach sie zu ihm: >Bon fils, eher fils, beau filsk Voll Eifer ergriff sie ihre zartroten Male ich meine ihre Brustspitzen — und schob sie ihm ins Mäulchen. Und die ihn in ihrem Schoß getragen hatte, war auch seine Amme: allen unweiblichen Wesens bar,
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Anfang und Ende der Christusvita sind hier bei Wolfram in kaum überbietbarer Verdichtung poetisch zusammengeführt, zugleich Christus- und Parzivalvita unzweideutig parallelisiert. Was genau verbindet Rohmers Perceval mit dem Christus des Evangeliums? Der Eremit erklärt Perceval, er habe unwissentlich eine große Sünde auf sich geladen. Et dist: >Frere, molt t'a neü Uns pechiez dont tu ne sez mot: Ce fu Ii doels que ta mere ot De toi quant departis de Ii, Que pasmee a terre chai' Al chief del pont devant la porte, Et de cel doel fu ele morte. Por le pechie que tu en as T'avient que rien n'en demandas De la lance ne del graal, Si t'en sont avenu maint mal< (6392-6402) 19
Perceval, der Erlöser, bedarf der Erlösung durch Christus. Christus und Perceval erleiden ein vergleichbares, ja — darin besteht die Kühnheit der Rohmerschen Konstruktion — ein identisches Schicksal. Auch der am Kreuz hängende Christus ist ohnmächtig. Deshalb hat Rohmer vermutlich den Johannestext um die Matthäusstelle erweitert. Die Verhöhnungsszene bei Matthäus stellt die (theologisch gesehen: gewollte) Ohnmacht des Erlösers aus. Und auch die von Rohmer aus dem Johannesevangelium übernommene Weisung an Petrus, das Schwert einzustecken, trägt zum Bild des gewaldos-ohnmächtigen Christus der Passion bei. In der Ohnmacht des Erlösers treffen Perceval und Christus zusammen.
nährte sie ihn selbst an ihren Brüsten. Es schien ihr fast, als hätte sie Gachmuret wieder in die Arme geschlossen. Sie entzog sich ihren Mutterpflichten nicht leichtfertig, sondern gab sich ihnen demütig hin. Sinnend sprach Frau Herzeloyde: >Die höchste Königin hat ihre Brüste Jesus gereicht, der später für uns in Menschengestalt einen qualvollen Tod am Kreu2 erlitt und uns damit seine Treue bewies.«Eine Sünde, um die du nicht weißt, Bruder, hat dich unglücklich gemacht: das Herzeleid deiner Mutter bei deinem Abschied; ohnmächtig sank sie am Brückenkopf vor dem Tor zu Boden, und vor Gram ist sie gestorben. Wegen dieser Sünde war es dir unmöglich, nach Lanze und Gral zu fragen; deswegen wurdest du von mancherlei Übel heimgesucht.«
X. Rohmer
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3. Trans^endentalität Das siebeneinhalbminütige Passionsspiel fällt formal aus dem Filmgeschehen heraus. Vier Sänger tragen die Passionsgeschichte vor, das Spiel folgt dem gesungenen Evangelientext stumm. Der Stillstand des erzählten Geschehens, den das Passionsspiel bedeutet, das performative Intermezzo des Heiligen Spiels, ist filmästhetisch verwandt mit Techniken, die vor allem der neorealistische Film kennt. Wenn die Kamera auf Gegenständen verharrt, die mit dem unmittelbaren Erzählgeschehen zumindest handlungslogisch in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehen, entstehen deskriptive Momente, die J E A N - F R A N C O I S L Y O T A R D mit P A U L S C H R Ä D E R Stasen genannt hat. Entscheidend sei die Arhythmie der Bilder, alles könne sehr schnell oder sehr langsam werden. Das Wort Stasis »suggeriert einen Stillstand der chronologischen Zeit, eine Unterbrechung der Fließbewegung der Wahrnehmungsgegenstände und Gedanken, evoziert aber auch eine Art Spasmus, der den Zeitraum der Wahrnehmung zusammenzieht. [...] Gewiß, man könnte die Stasis a-temporal nennen. Man könnte aber auch behaupten, dass sie die Zeit selber ist, nicht das, was in der Zeit wechselt und vergeht, sondern die Form der Zeit, die nicht wechselt und vergeht.« 20 Stasen würden die transzendentale Bedingung der Zeit vor Augen führen. Die Transzendentalität solcher Stasen, die L Y O T A R D im Kantischen Sinne begreift, hat PAUL· S C H R Ä D E R einige Jahre zuvor als filmisch-formale Ermöglichung einer Begegnung des Zuschauers mit einem religiös Transzendenten interpretiert: Transcendental style theoretically substitutes sparse means for abundant [...] Stasis, of course, is the final example of sparse means. The image simply stops. [...] The transcendental style will have, it is hoped, set the viewer in motion, moving from abundant to sparse means, as if proceeding down the aisle of a Byzantine church. When the image stops, the viewer keeps going, moving deeper and deeper, one might say, into the image. This is the >miracle< of sacred art. If it occurs, the viewer has moved past the point where any temporal means< (abundant or sparse) are of any avail. He has moved beyond the province of art.21
Beim Intermezzo des Heiligen Spiels in Rohmers Film handelt es sich um keine Stasis im phänomenologischen Sinne, die Funktion des Spiels entspricht jedoch der epistemischen Leistung deskriptiver Stasen. Die Unterbrechung des filmischen Geschehens in handlungslogischer wie filmästhetischer Hinsicht, die das Passionsspiel bietet, das Heraustreten aus 20
JEAN-FRANQOIS LYOTARD: Idee eines souveränen Films, in: THOMAS ELSAESSF.R, JEAN-FRANC;OIS LYOTARD, EDGAR REITZ: D e r z w e i t e A t e m d e s K i n o s , h g . v o n
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ANDREAS ROST. Frankfurt/M. 1996, S. 19-46, hier 32f. PAUL SCHRÄDER: Transcendental Style in Film. Ozu, Bresson, Dreyer. Berkeley, Los Angeles, London 1972, S. 161.
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BRUNO QUAST
Erzählhandlung wie Inszenierungsform, reflektiert im Modus des liturgischen Spiels die Bedingung der Möglichkeit von Erlösung. Perceval, so heißt es im Film romangetreu, müsse seine große Sünde büßen, den nicht verschuldeten Tod der Mutter beim Abschied. Diese Sünde habe ihm auf der Gralsburg die Zunge gelähmt. Die Buße könne allein darin bestehen, sich Christus zuzuwenden. Aus der geforderten Rückbesinnung wird im liturgischen Spiel Identifizierung. Diese Identifizierung mit Christus im filmischen Passionsspiel setzt sich gegenüber der Bußauflage des Eremiten als autonom. Hier liegt mehr vor als eine bloße interpretatorische Uberbietung. Vielmehr wird die Autorität des literarischen Prätextes augenfällig außer Kraft gesetzt, der Film entwickelt gegenüber der erzählten Romanhandlung eine temporäre eigentümliche >SouveränitätJungsiegfried< Richard Löwenherz zur Anerkennung privaten Glücks (The Crusades, 1935). In einer Entscheidungssituation zwischen verantwordichem, väterlichem Gatten (Versorgungsehe) und jugendlichem Geliebten (Liebesheirat) steht die umworbene Frau in First Knight (1995). Auch Ivanhoe (1952) beugt sich stumm der Pflicht des Eheversprechens zu Lasten der geliebten Jüdin Rebecca.
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UDO FRIEDRICH
Das Interesse des Genre-Kinos an mittelalterlichen Heroen ist nicht zufällig. Es liegt in den weitgehend affirmativ ausgerichteten Erzählmustern des Mittelalters selbst begründet, deren Produktion gleichermaßen ethischen Prämissen unterliegt: Der Beste ist auch der Gute. Das Prinzip dramatischer Steigerung und die Mechanik von Krise und Reintegration bilden rekurrente Strukturmuster mittelalterlicher Narration. 2 Das stereotype Handlungsrepertoire des Aventiureritters bietet dem Genre-Kino ein klassisches Rollenmuster für die Stabilisierung sozialer Normen, ein Rollenmuster, das bekanntlich auch im Western, Krimi und Actionfilm erfolgreich umgesetzt wurde: der Einzelne als Kristallisationspunkt sozialer Verantwortung. 3 Es ist bekannt, dass gerade die Filmindustrie Hollywoods sich nach dem zweiten Weltkrieg einem Moving Picture Code unterworfen hat, der all jene Funktionen in den Dienst eines Correct Entertainment und einer nationalen Erziehungsidee gestellt hat: Stilisierung, Archetypen statt Charaktere, mit einem Wort: Exempelform. 4 Das alte Modell moralischer Repräsentation, für das einst nur der König einstand, das dann aber auf den Ritter übertragen wurde, wirkt bis in die Rollenklischees moderner Heldentypen hinein: der Cowboy, der Detektiv, der Agent, der Polizist bis hin zum Familienvater: Sie alle fungieren als Garanten der sozialen Ordnung. In solch psychologischer und pädagogischer Adaptation des Mittelalters steckt nicht nur Ideologie, ihr liegt eine grundsätzliche Form von Geschichtsverarbeitung zugrunde: Der Blick auf die Geschichte konstituiert sich als Effekt des jeweiligen Wertesystems, in das der Rezipient hineinDas Erzählmuster der iGefährlichen BrautwerbungTeufelskind< durch ihren Bruder gewaltsam abtreiben lässt, inszeniert der >Werwolf< Frangois eine wahrhaftige Jagd auf den in Frauenkleider gesteckten Sohn. Gerade weil der feudale Krieger in seinen Passionen gefangen ist, diese den Inbegriff seiner Machtgeltung repräsentieren, kann er das Scheitern am äußeren Feind nicht anders als durch ein destruktives Ethos nach innen kompensieren. Die Vergewaltigung der Tochter und die Jagd auf den Sohn sind sichtbarster Ausdruck dieser feudalen Gewaltkanalisierung nach innen. Während der Glaube im Hintergrund als entscheidender Erlösungsfaktor firmiert, fuhrt der Atheismus Frangois zu einer gefährlichen Entbindung >wilder< Energien. Die Leidenschaften, die der patriarchalen Ordnung immanent sind, sie stabilisieren, bedürfen der Erlösung: Erst im Schlussakt, im freiwillig hingenommenen Vatermord der Tochter und gleichzeitigen >Selbstmord< des Vaters, findet die Passion der feudalen patriarchalen Ordnung ihr Ende.
Ausblick
XII. Monumentalität im Historienfilm von ELISABETH BRONFEN
1. Kampf Schauplätze Jerusalem und Rom In seiner Schrift Unzeitgemäße Betrachtungen: Vom Nutzen und Nachteil der Historie hält Nietzsche fest, dass wir die Historie nur soweit brauchen, als sie dem Leben dient. Das wird kaum irgendwo deutlicher als an der Traumfabrik Hollywood, die große Ereignisse und Themen der Weltgeschichte als gegenwartsbezogene Darstellungen kinematographischer Monumentalität darbietet. Das Kino erklärt eben jenes Plädoyer für einen unhistorischen Umgang mit der Vergangenheit zu seinem Leitprinzip und verweist uns darauf, dass wir die Historie nicht als etwas Feststehendes und Statisches begreifen dürfen. Es nutzt die Möglichkeit, historische Fakten — die immer nur in Anschauungsformen greifbar sind — in Bezug auf partikulare Bedürfnisse umzuschreiben. Nietzsche spricht davon, dass man die Vergangenheit richten und vernichten müsse, damit es Zukunft geben könne. Für Hollywoods Produktion von Historien filmen könnte man sagen: Die Vergangenheit ist auszuhandeln und neu zu >dichtenclash of civilizations« orientiert, die von der Prämisse ausgeht, ein Konflikt zwischen westlichen und islamischen Kulturen werde die globale Politik des ausgehenden 20. Jahrhunderts dominieren.1 Durchaus im Sinne Huntingtons hält Guy de Lusignan seine Vorstellung christlicher Hegemonie, die sich gerade in ihrem Kampf gegen eine orientalische Kultur bestimmt, der von König Balduin und Saladin vereinbarten friedlichen Koexistenz von Christen und Muslimen entgegen. Nach dem Tod Balduins wird er als Gatte von dessen Schwester Sibylla zum neuen Herrscher Jerusalems ernannt und leitet mit dem Befehl an seine Untergebenen »give me a war« jenen aussichtslosen Feldzug gegen Saladins Truppen ein, der in die Zerstörung seines Heers in der Wüste, seine eigene Hinrichtung und den Fall Jerusalems münden wird. In Kingdom of Heaven entpuppt sich somit der Kampf um Jerusalem als historische Urszene jenes unlösbaren politischen Antagonismus im Nahen Osten, dessen Nachleben Ridley Scott in der Kriegswut der Bush-Regierung wiederzuentdecken meint. Aus den Belangen der Gegenwart auf die Vergangenheit zu blicken bedeutet für ihn, einerseits im historischen Umschlagsmoment die Wurzeln für einen anhaltenden kulturellen Konflikt zu entdecken, der bis heute die Außenpolitik der westlichen Welt bestimmt, andererseits im mythisch erhöhten Szenarium eines funktionierenden Multikulturalismus ein Denkbild für die Zukunft zu entwerfen. In der epischen Verarbeitung der Historie zum monumentalistischen Spektakel entsteht das himmlische Königreich als groß angelegte Filmrealität, die auch über den fatalen Ausgang der Schlacht um Jerusalem hinausreicht. Denn auf der Kinoleinwand ist möglich, was die Globalisierungspolitik des frühen 21. Jahrhunderts sich nicht vorzustellen vermag: die multikulturelle Gemeinschaft, in der es keine Fanatiker gibt. Am Ende der Schlacht lässt Scott den siegreichen Saladin durch die verwüsteten Gemächer des hingerichteten Königs schreiten. Stumm hebt er ein auf den Boden geworfenes Kreuz auf und stellt es auf einen Tisch, bevor er in den Hof tritt und stolz zusieht, Vgl. E D W A R D S A I D : Reflections on Exile and Other Literary and Cultural Essays. London 2001, S. 569-590.
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wie auf dem Dach des Palastes triumphal der Halbmond wieder aufgerichtet wird. Die Schrifttafel, die den Abspann einleitet, erzählt verknappt von der fragilen Waffenruhe, die wenige Jahre später Richard Löwenherz, König von England, erringen konnte, und schließt mit einem direkten Verweis auf die Gegenwart: »Nearly a thousand years later, peace in the Kingdom of Heaven remains elusive.« Mit seiner nostalgischen Aneignung der Historie entfaltet Ridley Scott eine verlorene Utopie als Projekt für die Zukunft, ein Projekt, das insofern selbstreflexiv auf seine eigene Medialität verweist, als es immer schon zur Tradition von Hollywoods Genrefilmen gehörte, brisante kulturelle Antagonismen auf mythische Erzählungen zu übertragen, um dort jene sinnstiftende Auflösung zu finden, die in der zeitgenössischen politischen Realität unmöglich ist. So hält MICHAEL WOOD, in Anlehnung an LliVISTRAUSS, für die Blütezeit des Hollywood-Studiosystems fest: »virtually any Hollywood movie, however trivial, and whatever its intentions, can be seen as a text for a rather special kind of social history: the study of what might be called the back of the American mind, or perhaps the back of certain states of that mind.« Die von der mythischen Erzählung angebotene Lösung muss eine imaginäre sein, weil der kulturelle Konflikt ein authentisches Problem darstellt. Gäbe es eine reale Lösung, bräuchte man keine filmische Verhandlung des Problems. Deshalb spezifiziert WOOD die Funktion, die der >epic film< als Verarbeitung monumentaler Ereignisse der Weltgeschichte innerhalb der von Hollywood in Umlauf gesetzten Mythenproduktion einnimmt: Die Welt der Antike und des Mittelalters, so seine These, lasse sich nicht nur als ideologischer Umschlagsort, sondern auch als facettenreicher Spiegel der monumentalen Welterzeugung Hollywoods verstehen - »even when shot on location or in studios in Italy and Spain, these movies are always about the creation of such a world in a movie, about Hollywood's capacity to duplicate old splendors, to bring Jerusalem and Rome to the screen, as the old phrase had it«.2 Der Enthistorisierung der dargestellten Ereignisse zugunsten der Mythologisierung entspricht die explizite Fiktionalisierung filmischer Welten, auf der das Genrekino immer beharrte, indem es Traumbilder produzierte, um zeitgenössische Bedürfnisse zu befriedigen. Im >epic film< wird eine dem Leben dienende Historie zudem dadurch erzeugt, dass monumentale Ereignisse der Vergangenheit ihre affektive Wirksamkeit durch eine weitere Übertragung erfahren, und zwar in die Gattung des Melodramas. In Ridley Scotts Jerusalem wird der politische Machtstreit zugleich als ein Familien streit inszeniert, dessen Preis die Schwester des an Lepra erkrankten König Balduins IV. ist. Die verführeri2
Vgl. MICHAEL WOOD: America in the Movies. New York 1975, S. 126 und 165.
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ELISABETH BRONFEN
sehe Sibylla verachtet den Fanatismus des ihr zugesprochenen Guy de Lusignan, beginnt eine Affäre mit Balian und bietet dem jungen Mann die Möglichkeit, sie zu heiraten und seinen politischen Konkurrenten hinrichten zu lassen — die Möglichkeit auch zu verhindern, dass anstelle des Manns, der den Traum ihres Bruders vertritt, derjenige, der nur vom Krieg träumt, an ihrer Seite zum neuen König von Jerusalem wird. Für sie sind politische und persönliche Entscheidung deckungsgleich, für Balian hingegen stellen sie einen inakzeptablen Widerspruch dar. Er hat sich einem Populismus verschworen, dessen ausschließliches Ziel es ist, die Freiheit und Sicherheit der Bevölkerung Jerusalems zu verteidigen, ohne sich in die politischen Intrigen der Fürsten hineinziehen zu lassen. Deshalb kann er auch jene von Sibylla vertretene Realpolitik nicht annehmen, dergemäß es besser ist, Ungerechtes (die Hinrichtung seines Feindes) zu erlauben, um Gutes zu bewirken, als sich ihm zu verweigern und damit das Böse (die Machtergreifung des Feindes) zu ermöglichen. Der Kampf um Jerusalem entpuppt sich zugleich als Kampf um Sibyllas Heil. Hat sie nach dem Tod ihres Bruders, aus Wut über die Ablehnung Balians, den kriegslüsternen Lusignan zu ihrem König ernannt, erkennt sie während der Schlacht um die heilige Stadt die verheerenden Konsequenzen dieser Fehlentscheidung. So gibt sie aus Reue schließlich ihren Stand als Königin auf und kehrt mit Balian zu dessen Schmiede nach Frankreich zurück. Dort erscheint in der Abschlusssequenz König Richard Löwenherz, der mit seinen Rittern nach Palästina zieht, um Jerusalem zurückzuerobern — ohne Balian, der sich, der Gattung des Melos entsprechend, für sein persönliches Glück und gegen den politischen Ruhm entschlossen hat. Entschieden beharrt er vor dem König darauf, er sei jetzt nicht mehr der Verteidiger Jerusalems, sondern nur noch ein einfacher Schmid. Jerusalem, der Ort, an dem er seinen Traum von Bruderliebe und Egalität realisieren konnte, repräsentiert nunmehr das Opfer, das er bringen muss, damit seine Ehe mit Sibylla ein sicheres Fundament hat. Das irdische Glück, das am Ende eines klassischen Hollywood-Melos gewonnen wird, ist notwendigerweise durch emotionale Verluste erkauft. Ähnliche Muster lassen sich unter anderem an Ridley Scotts Gladiator (2000) erkennen - ein Zeichen dafür, wie durchlässig die Epochen in Hollywoods Epen oft sind. Auch in Gladiator manifestiert sich der monumentalistische Umgang mit Historie schon dadurch, dass im Rückblick auf einen entscheidenden historischen Kipppunkt des Römischen Reichs aus der Vergangenheit eine Lösung für die aseptische zeitgenössische Medienrealität gewonnen werden kann. Ganz im Sinne Nietzsches entfaltet sich am Helden Maximus eine mythische Entlastungsgeschichte, die das Höchste einer längst vergangenen Zeit lebendig, hell und groß erscheinen lässt und damit auf den Mangel an Heldentum in unserer Alltagskultur antwortet.
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Früher, so das Argument, gab es stolze, weise und starke Helden, und diese bilden als Mitglied einer Gemeinschaft die Kontinuität universalhistorischer Größe. Zudem findet auch in Gladiator eine Übertragung historischer Ereignisse auf eine am Melo orientierte mythische Geschichte statt, die sich am Wechsel von einer Generation zur anderen entzündet. Der im Sterben liegende Marcus Aurelius designiert seinen größten Feldherrn zu seinem Nachfolger, in der Hoffnung, dieser würde solange über Rom herrschen, bis der Senat wieder zur Bildung einer republikanischen Herrschaftsform in der Lage ist. Der Konflikt, der im Zentrum des Films steht, gilt damit der Vorstellung einer verlorenen politischen Kultur. Nach seiner Degradierung zum Sklaven kämpft Maximus in der Arena für die Vision des römischen Reichs, die er - wie er dem sterbenden Caesar erklärt — einst von Marcus Aurelius übernommen hat und die ihn in fernen Ländern gegen dunkle Barbarei hat kämpfen lassen. Der Sterbende hingegen beharrt darauf, dass die real existierende Korruption im Widerspruch steht zu dem Traum, den Rom einst darstellte, und will mit der Regelung seiner Nachfolge sicherstellen, dass dieser verlorene Traum erneut angestrebt wird. Wie in Kingdom of Heaven steht also die Fragilität von großen politischen Visionen auf dem Spiel, die eine systemische Notwendigkeit von Korruption und Fanatismus nicht miteinbeziehen. Wie das ethnisch durchmischte Jerusalem hat das strahlende imperiale Rom prekäre Züge, die zugleich auf die politischen Inkommensurabiütäten der Gegenwart verweisen. Als Streit der Brüder inszeniert Scott die Machtübernahme von Commodus, der den letzten Willen von Marcus Aurelius nicht befolgt, seinen Vater tötet und gegen die von Maximus vertretenen republikanischen Werte seine ehrgeizige Tyrannei durchzusetzen und den Senat abzuschaffen sucht. Zwischen den Männern steht wie in Kingdom of Heaven die von beiden geliebte Frau: die verwitwete Lucilla, Tochter Caesars, die sich zuerst dem Machthunger ihres Bruders beugt, weil sie hofft, mit ihrem Einfluss seinen Größenwahn zu mildern, dann jedoch eine politische Intrige der Senatoren unterstützt, die Maximus und seiner Armee den Einzug nach Rom erlauben soll, und am Ende wiederum, um ihren Sohn vor der Wut ihres Bruders zu schützen, das Komplott verrät. Sie bewirkt damit jenen letzten Zweikampf in der Arena, der dazu führt, dass mit dem Sieg von Maximus die politische Vision ihres Vaters doch noch triumphieren und ihre Liebe zu Maximus eine erhabene Klärung finden kann. Die politische Auflösung wird nämlich zugleich als private verhandelt, hatte sie Maximus doch erklärt, dass Commodus ihn nicht hassen würde, weil Marcus Aurelius ihn als Nachfolger auserwählt hatte, sondern weil er von ihrem Vater wie von ihr geliebt wurde. Nun, am Ende, darf sie den Soldaten, der mit seinem Sterben die
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bedrohten Werte der Republik noch einmal retten konnte, ungestraft und uneingeschränkt in ihrer Erinnerung verehren. Commodus wiederum herrscht zwar nicht im Interesse des Volkes über Rom, vertritt aber mit seiner Wiedereröffnung der Arena jenen Populismus, den Ridley Scott als Chiffre für seine Kritik an der gegenwärtigen Politik des Massenentertainments versteht. In der Arena werden politisch brisante Fragen als Kampf um Leben und Tod verhandelt, weil Commodus' Daumenentscheidung für oder gegen das Uberleben eines Kämpfers von der Stimmung des Volkes abhängt. Eben in der Arena verknüpfen sich also epische Monumentalität und mediale Reflexivität, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil hier das körperliche Charisma des Helden am deutlichsten hervortritt. Der ehemalige Gladiator Proximus erklärt seinem StarKämpfer: »Win the crowd and you'll win your freedom.« Weil es Maximus gelingt, tatsächlich ein Held der Arena zu werden und die Begeisterung des römischen Volkes für seine politischen Zwecke zu nutzen, stellt er eine Gefahr für Commodus dar, die beseitigt werden muss. So dient Scotts Rückgriff auf die Historie einer Kritik an der korrupten Politisierung der Medienwelt, die darin ihre Schärfe gewinnt, dass sie der Banalität heutiger >celebrities< einen Maximus entgegenhält, dessen Auftritte in der Arena als sublim und heroisch kodiert sind. Dabei bleibt jedoch nicht nur der Widerspruch, dass Scott jene Macht der Medien angreift, von deren Monumentalität er als Regisseur des Monumental-Kinos profitiert, sondern auch das Problem, dass die Moral selbst immer von der Faszination ihres Gegenbegriffs zehrt. Das rückt Gladiator in die Nähe eines klassischen Antikenfilms wie Anthony Manns The Fall of the Roman Empire (1964), an dessen Massenszenen (Einzug des Siegers in Rom, Schlachten in der Arena) er sich auch medial orientiert. Die große Schlacht gegen die Hunnen in der Anfangssequenz des Films feiert zwar die uneingeschränkte Loyalität des General Maximus, der sich gegen alles, was seiner Vision eines hehren Roms entgegensteht, mit äußerster Brutalität zur Wehr setzen wird. Aber die visuelle Opulenz des Films und die Ursache für das genussvolle Spektakel der Gladiatorenspiele, bei denen der Schauspieler Rüssel Crowe seine Star-Qualität wiederholt zur Schau stellt, liegt auf der Seite des Tyrannen. Sowohl Kingdom of Heaven wie auch Gladiator beziehen ihre affektive Macht aus einem nostalgischen Blick auf weltgeschichtlich bedeutsame Umschlagsmomente, die den Verlust großer politischer Entwürfe bezeugen, und gewinnen die Monumentalität der Filmbilder in Spannung zur Moral der Geschichte. Indem der ideologisch angestrebte Machtwechsel von Tyrannei zu guter Herrschaft besonders aufwendig, überbordend und zunehmend auch farbenprächtig auf großer Cinemascope-Leinwand in Szene gesetzt ist, darf das Kino-Publikum ästhetisch genießen, was es zugleich ethisch ablehnen soll.
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2. Cetil B. De Mille: Meister des >epicfilm< Der Widerspruch zwischen Moral und Monumentalität zeigt sich bei kaum einem Regisseur so ausgeprägt wie bei Cecile B. DeMille (1881-1957), bekannt nicht nur als Meister kinematographischer Extravaganzen, sondern auch als genialer Beherrscher jener compensating valuesepic style< die Historie als ein Filmspektakel, das das historisch Simulierte zugleich in ein überdimensionales gegenwärtiges Simulakrum überführt. Nie geht es um die bedeutenden Momente der Weltgeschichte allein, immer auch um das Durchsetzen einer Film-Produktion, die im Triumph des Helden gegen seine Widersacher ihre Spiegelung findet: »In the contexts of these triumphs, the movies' own engineering feats made perfect, harmonious sense, the whole show became a celebration of magnificent, improbable conquests«. 5 Dabei entspricht die Größe des welt3 4
5
Vgl. DAVID Α. COOK: A History of Narrative Film. New York 1990 und GERALD MAST: A Short History of the Movies. Chicago 1971. Vgl. RICHARD ROUD (Hg.): Cinema. A Critical Dictionary. The Major FilmMakers. Bd. 1. New York 1980, S. 265-270. WOOD (Anm. 2), S. 177.
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geschichtlichen Ereignisses der Größe der Leinwand, der technischen Virtuosität, dem Exzess der Ausstattung, der Überschwänglichkeit der Inszenierung und den üppigen Kosten des gesamten Unternehmens. Das Zusammenspiel von profaner Bilderlust und religiöser Geschichtsmoral, an dessen Fluchtpunkt immer auch eine Zelebration der Monumentalität dessen aufflackert, was das Medium Film im Hollywood-Studiosystem vermag, zeigt sich besonders anschaulich in The Crusades (1935). DeMilles Wiedergabe der Schlacht um Jerusalem beginnt an der Stelle, an der Scotts Kingdom of Heaven aufhört. Um den religiösen Code einzuführen, zeigt DeMille in der Titelsequenz Rüstungen, Schwerter, Fahnen und Feuer und leitet dann sofort zu einer pathosgeladenen Szene der Unterdrückung über. Die Sarazenen reißen Kreuze von den Dächern der Kirchen, verbrennen Bücher und Bilder, legen Christen in Ketten und verkaufen Christinnen als Sklavinnen. Ein alter Eremit droht in Europa eine Flamme im Herzen der Menschen zum Erwachen zu bringen und so ein mächtiges Heer aufzubauen, das erfolgreich im Dienste Gottes gegen die Sarazenen kämpfen und das Grab Christi befreien wird. Auch in The Crusades wird ein politischer Kampf als Familienzwist ausgetragen, nur läuft er auf jene Paarbildung hinaus, die im Rahmen des Production Code als moralische Kompensation für die Darstellung sinnlicher Ausschweifungen gefordert wurde. Der Kampf um Jerusalem entpuppt sich zwar auch als Streit des Helden um die Liebe der Heldin, Berengaria von Navarra, nur stellt nicht Entsagung oder Verlust die Voraussetzung dieser Verbindung dar, sondern das reumütige Bekenntnis zum christlichen Glauben. Denn DeMilles Inszenierung der Kreuzzüge führt König Richard Löwenherz als Prototyp des ungezügelten Hedonisten ein, der lieber mit seinen Freunden festet als sich aus politischem Kalkül mit Alicia, der Schwester des Königs von Frankreich, verheiratet. Richard glaubt nicht an Gott, sondern nur an die Kunst des Kampfes, ist aber bereit, sich mit den Kreuzrittern zu vereinigen, um einer leidigen Ehe auszuweichen. An dem neu erworbenen Schwert, das vom Eremiten für den Dienst Gottes gesegnet wird (und nicht, wie Richard meint, für England und die Gefolgschaft, die er im Turnier vertritt), wird die moralische Bekehrung des Königs verhandelt. Indem Richard zuerst das Schwert statt der Prinzessin Alice wählt, zeigt er, dass er unter falschen Vorzeichen den Kreuzzug antritt. Nicht religiöse Überzeugung treibt ihn nach Jerusalem, sondern der Wunsch, vor jener politischen Verantwortung zu fliehen, die das lustvolle Treiben der Männer unterbinden würde. Doch noch in Marseille entzündet sich an Berengaria ein zweiter Geschlechterkampf, dem Richard sich nicht mehr entziehen kann. Um vom König von Navarra das Vieh zu erhalten, das er als Nahrung für seine Armee braucht, willigt er in eine Hochzeit ein,
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bleibt aber bei seinen Männern und feiert mit diesen, während sein Diener mit seinem Schwert stellvertretend zur Braut an den Altar tritt. Um ihren Dienst am Kreuzzug zu leisten, willigt Berengaria in den heiligen Ehestand ein, nimmt das Schwert als Zeichen eines ihr von Gott auferlegten symbolischen Mandats zum Gemahl und küsst es anstelle des abwesenden Königs. Die für die Erfolgsformel des Monumentalfilms neben dem religiösen Pathos ebenso zentrale romantische Dramatik gewinnt in dem Augenblick an Bedeutung, als Richard die zunächst verschmähte Braut zu Gesicht bekommt. Zwar ist er noch immer nicht vom christlichen Glauben überzeugt, dafür aber von seinem neu entfachten Begehren für eine Frau, und so deklariert er gegen die Machtinteressen des französischen Königs, der weiterhin auf eine politische Verbindung mit seiner Schwester hofft, Berengaria zur Königin. Aus Solidarität zu seinen Gefolgsleuten in den Krieg gezogen, ist ihm nun das Bündnis mit der Gattin wichtiger als der Glaubensfeldzug. So sieht sich Richard in seinem Kampf um Jerusalem mit drei Gegnern konfrontiert: Conrad, Marquis von Monferrat, will ihn ermorden lassen, um selber König von Jerusalem zu werden; Sultan Saladin, gegen dessen Sarazenen er erfolgreich Acre erobert, beherrscht die Stadt, die er einnehmen will; Berengaria weigert sich, die als heiliges Sakrament begriffene Ehe zu vollziehen, bis er ihr nicht die Wahrhaftigkeit seiner Liebe bewiesen hat. In einer Schlüsselszene des Films verbietet sie ihrem Mann, zu ihr ins Bett zu steigen, und nimmt statt dessen sein Schwert zu sich mit der Erklärung, sie sei mit diesem - nicht seinem Leib — verheiratet. Während sie das Schwert über ihrem Kopf erhebt, um ihn von ihrer Sittsamkeit zu überzeugen, stürzen Richards Männer in das Zelt, weil die Sarazenen gerade das Lager überfallen haben. Die politische Schlacht löst den privaten Liebeskampf ab, der von DeMille zugleich als Schlüssel für die Rückeroberung Jerusalems inszeniert wird. Denn im Gegensatz zu ihrem weltzugewandten Gatten, der bruchlos in die Rolle des stürmischen romantischen Helden geschlüpft ist, steht Berengaria für jenen Zug des Melodramas, demgemäß Liebe nur gegen ein Opfer gewonnen werden kann. Um sicherzustellen, dass er aus seiner allzu irdischen Liebe zu ihr den Kreuzzug nicht abbricht, erbittet Berengaria sich von Richard einen Schwur: Das Schwert, mit dem sie verheiratet ist, muss zuerst auf das Grab Christi in Jerusalem gelegt werden, bevor die beiden Liebenden ihre Ehe vollziehen können. Sie wird sich als Gefangene des Sultans ihrerseits bereit zeigen, ein Opfer zu vollbringen, und verspricht Saladin, bei ihm zu bleiben, wenn er Richard vor den Verschwörern, die ihn nachts auf dem Schlachtfeld bei den Toten ermorden wollen, rettet. Zugleich dient sie als Figur der Versöhnung, gelingt es ihr doch, weil sich an ihr die Rivalität zweier Liebender mit dem Widerstreit zwischen zwei Herrschern verknüpft, einen Friedensvertrag zwischen Richard und
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Saladin auszuhandeln. War sie es, die als Bedingung für einen leiblichen Vollzug ihrer Ehe auf den Einzug Richards in Jerusalem bestand, so ist sie es nun, die ihn bittet, aus Liebe zu ihr sein Schwert niederzulegen. Von ihrem Glauben ist Berengaria nicht abgewichen, doch sie hat den politischen Irrtum, ihn im >clash of civilizadons< durchzusetzen, erkannt. Während Ridley Scotts Sibylla bereit ist, Blut fließen zu lassen, weil Balian keine Kompromisse in seiner Liebe zu ihr eingehen will, vertritt DeMilles Heldin eine neutestamentliche Haltung persönlicher Entsagung, um einen Weltfrieden auszuhandeln, für den Jerusalem als offene Stadt symbolisch einsteht. Nicht ohne Grund lautet die >tagline< von The Crusades·. »Wonders to dazzle the human imagination - a flaming love story set in a titanic world conflict.« Die Erfolgsformel des >epic film< fordert für das Zusammenspiel von großer romantischer Leidenschaft und weltgeschichtlich brisantem politischem Konflikt eine Auflösung im Happy End, die überdies nicht ohne Pointe ist: Als Zeichen des Opfers, das er aus Liebe zu Berengaria zu bringen bereit ist, zerbricht Richard sein Schwert, denn da Saladin als Bedingung für ihren Frieden ihm den Zutritt zu Jerusalem verboten hat, wird dieses Schwert nun auf ewig zwischen ihm und seiner Frau stehen. Die rhetorische List DeMilles liegt nun aber darin, Richard für seine Bereitschaft, auf den Vollzug der Liebe zu verzichten, gerade diese Liebe zu schenken. Der weise Saladin, der Berengaria zu einer Liebe, die ihr unmöglich ist, nicht zwingen will, endässt sie aus seiner Gefangenschaft, und so kann sie an der Stelle Richards das zerbrochene Schwert auf das Grab Christi legen. DeMille hält damit an der sentimentalen Vorstellung einer romantischen Liebe fest, die keine Opfer scheut, und belohnt Richard als Helden nicht des Kreuzzuges, sondern des Filmmelodrams. Zugleich propagiert er mit der Geste der Entsagung den Sieg eines Glaubens mit den Mitteln der Friedensreligion und nicht des Kulturkrieges. Während bei Scott am Ende das Kreuz auf einer Kirche wiederaufgerichtet wird, werden bei DeMille den Gefangenen die Ketten abgenommen, die Tore Jerusalems geöffnet und die Pilger in die Stadt hereingelassen, damit alle Christen sie umarmen können. Diese letzte Bildfolge, die Transformation von Krieg in Liebe visualisierend, greift zugleich die erste auf: Das Waffenfeuer, vor dem die Titelsequenz abgelaufen war, mündet nun in ein Lichtermeer. Die Differenz zu Kingdom of Heaven lässt rückblickend das zeitgenössische Anliegen von The Crusades erkennen. DeMilles kulturoptimisdsche Haltung macht Jerusalem nicht zum Ort der Zerstörung eines Traums, sondern zum Ort eines friedlichen Gottesdienstes, an dem zugleich der historische Umbruchsmoment einer entstehenden kulturellen Hegemonie des Christentums sichtbar wird. Scotts kulturkritische Haltung nutzt demgegenüber die Historie, um ein Narrativ zu entwickeln,
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demgemäß das Heldenhafte sich gegen Tyrannei und Fanatismus nur unter tragischen Kosten durchzusetzen weiß und ein Waffenstillstand immer fragile Züge tragen muss. Wo Scotts nostalgische Bildsprache Jerusalem als verlorenes Paradies hervorbringt, in das man nur mit jenem Sprung der Einbildungskraft zurückkehren kann, den das monumentale epische Kino anbietet, verklärt DeMille jeglichen Streit - ob zwischen den Kulturen oder den Geschlechtern — im Pathos reinen Glaubens. Er setzt die Transformation eines männerbündlerischen Unglaubens in christliche Reue ins Zentrum einer Inszenierung, die als Verschränkung von Politik und Romantik auf die Stabilisierung eines Königpaares hinausläuft, das symbolisch sowohl die Festigung von Englands politischer Macht wie auch die moralischen Werte des Christentum sicherstellt. Während am Ende von The Crusades im Hintergrund der Chor >Glory to Jesus< singt, sinkt Berengaria im weißen Gewand einer Büßerin am Grab Christi auf die Knie und legt das zerbrochene Kreuz nieder. Verzückt blickt sie auf ein Bild des Heilands, das DeMille uns vorenthält. Sein Abschlussbild gilt nicht nur der Frau, an der Richard sich in seiner moralischen Wandlung zum gläubigen Christen orientiert hat, sondern auch dem Glamourstar (Loretta Young), dessen strahlende Schönheit im weichen Kerzenlicht die Sublimation des Begehrens mit einer sinnlichen Betörung des Filmbildes verbindet, das uns seinerseits zur begeisterten Anbetung anhält.
3. DeMilles Gebote An den kinematographischen Spektakeln von Cecil Β. DeMille lassen sich Kategorien gewinnen, die den Mittelalterfilm mit anderen epischen Filmen verbinden, welche ebenfalls die Epochalität des historischen Moments und die Monumentalität des filmischen Bildes, der Inszenierung und Ausstattung aufeinander beziehen. Jeweils gilt: Es gibt Entsprechungen zwischen der Größe der weltgeschichtlichen Ereignisse oder der Bedeutsamkeit des Stoffes und dem finanziellen, technischen und ästhetischen Aufwand des Films. Zugleich aber wird die grandiose Weltgeschichte an den kleinen Geschichten einzelner Individuen verhandelt, garantiert doch nur eine Personalisierung historischer Ereignisse jene emotionale Übertragung durch Identifikation mit dem Schicksal der Helden oder dem Charisma des Stars, von der das Unterhaltungskino lebt. (1) Die historischen Ereignisse werden als Familiengeschichten abgehandelt: sei es als Ablösungsprozess zwischen Eltern und Kindern, bei dem es darum geht, wer das moralische Erbe der vorhergehenden Generation weiterträgt; sei es als Rivalität zwischen Brüdern um die Liebe der Eltern oder die einer von beiden begehrten Frau; sei es als Bildungspro-
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zess, infolgedessen ein Held für sein symbolisches Amt als Herrscher erzogen wird. Dabei steht ein persönliches Begehren entweder im Widerspruch zum historischen Auftrag, den ein Held erfüllen muss, oder privater Wunsch und öffentlicher Auftrag erweisen sich wie in The Crusades als deckungsgleich. (2) Es kommt zu einer anachronistischen Uberblendung der Historie. Die geschichtlichen Ereignisse werden zugunsten einer monumentalistischen Erhöhung ihrer Spezifik entleert, obgleich sie durchaus im Sinne von R O L A N D BART! I E S ' Definition des mythischen Signifikanten nie gänzlich ausgeblendet sind.6 Die Referenz auf die (Welt-) Geschichte verschränkt sich mit der auf moralische Erbauung ausgerichteten Botschaft in Form einer Kippfigur, die mal mehr die Historie und den Stoff, mal mehr die Gegenwart und das Genre (Melodrama) hervortreten lässt. Trotz aller Fiktionalisierungsstrategien, mit der Schauplätze und Handlungen der Vergangenheit als Hollywoodsets rekonstruiert werden, bleibt ein Anspruch auf Authentizität - der Anspruch, in der Bildsprache des Films der Vergangenheit überhaupt erst ein populäres Gesicht zu verleihen. (3) Reflektiert werden zeitgenössische Kontexte. Die Historie dient dem Monumentalfilm als Chiffre dafür, brisante kulturelle Anliegen der Gegenwart als Fiktionen der Vergangenheit, entstellt, verfremdet oder gebrochen, zu verhandeln, sei es im Sinne einer verlorenen Vision (Kingdom of Heaven), sei es im Sinne einer politischen Hoffnung, an der sich die gegenwärtige Gesellschaft orientieren kann (The Crusades). (4) Bedeutung besitzt eine ausgeprägte Intermedialität: in der Ära des Stummfilms, der in seiner Bildsprache sowohl an das Bühnen-Melodrama wie die Historienmalerei des 19. Jahrhunderts anschließt, ebenso wie in der Blütezeit der fünfziger und frühen sechziger Jahre oder im zeitgenössischen Hollywood — jeweils sind die Filme von zahlreichen Rückverweisen auf frühere Filme durchzogen. Ridley Scott verweist mit Kingdom of Heaven sowohl auf DeMilles Crusades, an den er im Sinne einer nachträglichen Vorgeschichte anknüpft, wie auf seinen eigenen Gladiator; der zwar eine andere historische Situation zum Thema hat, doch große Ähnlichkeiten sowohl in der Dramaturgie der Geschichte wie in der visuellen Inszenierung (der Massenszenen) besitzt. Dabei ist die Geschichte des General Maximus, der als Sklave in der Arena zum Held des römischen Volkes wird, seinerseits als eine Art Remake von Anthony Manns Tall of the Roman Empire konzipiert und zugleich jenes intertextuelle Bezugsnetz aufgegriffen, das DeMille meisterhaft zu spinnen verstand. Es verläuft, von The Crusades her gesehen, wo mit dem verzückten Gesicht Berengarias am Grab Christi die erlösende Kraft einer aus Liebe geborenen Selbstopferung und 6
Vgl.
ROLAND BARTHES:
Mythologies. Paris 1957, S. 14-27.
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zugleich der historische Umbruch zu einem weltumspannenden Christentum beleuchtet ist, zu jenen beiden Versionen der Ten Commandments (1923 und 1956), die die Urszene der judeo-christüchen Gesetzgebung in den Blick nehmen. Vor allem in der Fassung von 1956 steht die Frage, was monumentales Kino vermag, ganz explizit im Vordergrund. Das zeigen schon die drei als Werbung für den Film gedrehten Trailer (der erste 1956 zur Erstaufführung, der zweite 1966 für die Wiederaufführung, der dritte 1989 für eine restaurierte Fassung), die Anliegen und Erzählstrategien des >epic film< pointiert inszenieren und zugleich deren Entwicklung erkennen lassen. DeMille verlieh in seinen Filmen der fünfziger Jahre nicht nur der Geschichte oder Gott seine Synchronstimme. Er pflegte auch die kommenden Produktionen in Trailern persönlich vorzustellen, die viel länger waren als für einen Werbespot der Zeit üblich. 7 Derjenige von 1956 hatte den Sinn, mit Hilfe eines expliziten Rückgriffs auf historische Dokumente der fiktionalen Wiedergabe des jungen Moses Autorität zu verleihen. In Nahaufnahme sehen wir zuerst eine handgroße Kopie von Michelangelos Moses, eingerahmt von schweren, in dunkelbraunem Leder gebundenen Bänden auf dem Tisch des Regisseurs. Mit einem Schwenk leitet die Kamera über zu DeMille, der seine Zuschauer mit einem direkten Blick in die Kamera bittet, seinen Ausführungen über die historische Gestalt, deren Seele Michelangelo so hervorragend in seiner Statue einzufangen wusste, zu folgen. Zuerst weist er auf die beiden geheimnisvollen Hörner und erklärt im Blick auf eine auf dem Tisch liegende Ausgabe des Alten Testaments sowie eine Illustration von Gustave Dore das Mssverständnis der mittelalterlichen Leser angesichts der Lichtstrahlen, die dem Kopf des Moses entsprungen seien, als er den Berg Sinai mit den beiden Tafeln unterm Arm verließ. Ein Photo der Originalstatue in Rom dient dem Verweis auf die physiognomische Ähnlichkeit zwischen dem Schauspieler Charlton Heston und der steinernen Figur, ein Gemälde von Van Dyck, auf dem die Szene der Auffindung des kleinen Moses abgebildet ist, der Etablierung des tradierten Bildrepertoires, an das DeMille anzuschließen und dessen Lücke er zugleich zu schließen hofft. Der Blick auf die bekannten Episoden im Leben des Propheten und verschiedene mediale Repräsentationen (Statue, Photo, Gemälde) zielt auf die spezifische Überbietungsleistung, die sich im Monumentalkino abspielt und die DeMille im Folgenden profiliert. Zunächst zeigt er die Requisiten aus der eigenen Produktion, die die Eckdaten der Mosesgeschichte markieren: Korb und Schrifttafeln. Sodann unterstreicht er die historische Überlieferung (Philon, Josephus), die es erlaubt, jene Jahre zu füllen, die in der 7
ROUD ( A n m . 4), S. 266.
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Bibel nicht beschrieben werden, die aber ebenfalls lückenhaft und durch Verluste der Uberlieferung getrübt ist. Das Filmepos kann dadurch den Anspruch erheben, eine verloren gegangene Welt zu beleben, jedoch in Form einer mimetischen Übertragung, die als Simulation zugleich Simulakrum ist, weil sie sich auf keine Wirklichkeit beziehen kann, sondern nur auf Zeichen: die Schrift der Propheten und Historiker sowie die Bilder der Künstler. »To film The Ten Commandments«, erklärt DeMille, »we roled our cameras on the very ground that Moses walked«. Gleichzeitig breitet er das Faksimile einer alten Karte vor der Kamera aus und zeichnet den Weg sowohl des Propheten wie auch der Filmproduktion mit dem Stift nach, bis er am Berg Sinai angekommen ist, von wo er über ein letztes Gemälde (eine von einem Glorienschein umgebene Sonne) zur eigentlichen Vorschau der eigenen Filmbilder überleitet: »Moses' life is one of the greatest adventure stories ever put between the covers of a book.« Der folgende Zusammenschnitt von Filmszenen bebildert somit nicht nur die historischen Erkenntnisse, sondern bezeugt mit der Montage auch die Fähigkeit, die Historie in die Dramaturgie eines Monumentalfilms zu übertragen, der sein Publikum nicht nur wegen seiner historischen Wahrhaftigkeit fesselt, sondern auch aufgrund seiner Farbenpracht, seines Formats, seiner Stars, seiner brillant inszenierten Menschenmassen. Als Regisseur, der an seinem Schreibtisch, über die Bibel gelehnt, jene Fragen ans Publikum stellt, die er mit seinem Film zu beantworten verspricht, inszeniert DeMille sich selber als General, der erfolgreich Schauspieler und Statisten aufbieten und lenken kann: »The hero of The Ten Commandments is not Moses, but DeMille Himself, who set up the whole show.« 8 Der biblischen Geschichte verleiht er eine Form und mit dem Star Charlton Heston auch eine Gestalt, die sie für den durchschnittlichen Filmzuschauer deshalb nachempfindbar werden lässt, weil sie an die Erzählmuster und die Bildsprache der aus anderen Hollywoodfilmen bekannten imaginären Geographie erinnert. Im Herzen dieses Spiels frei schwebender Zeichen steht aber der Verweis auf eine dem monumentalen Spektakel immer eingeschriebene Gegenwärtigkeit. Die epische Verfilmung des Ursprungs jener Gesetzlichkeit, die es den Menschen ermöglicht, in Frieden und Freiheit zu leben, wirft die Frage auf: »Are men to be ruled by God's laws or are they to be ruled by the whims of a dictator. Are men the property of the state or are they free souls under God?« Das hatte mitten im Kalten Krieg durchaus zeitgeschichtliche Brisanz. Im Trailer von 1966, der die Wiederaufführung von The Ten Commandments begleitete, wird hingegen alles auf die Feier des kinematographischen 8
W O O D ( A R N 2), S. 1 7 3 .
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Mediums verknappt. Die Geschichte reduziert sich nun wieder auf die beiden im kulturellen Gedächtnis verankerten Eckdaten: das Baby im Schilf und der bärtige Prophet, der mit den Tafeln vom Sinai zurückkehrt und die von ihm aus der Gefangenschaft befreiten Juden um das goldene Kalb tanzend vorfindet. Nicht als Auseinandersetzung mit der Frage, welches Gesetz der Mensch befolgen soll, wird der Film angekündigt, sondern als bewegendes Filmereignis, dessen Geschichten von Liebe, Drama, Abenteuer und majestätischer Erhabenheit auch zehn Jahre nach der Erstaufführung ihre Faszination nicht verloren haben. Als Zusammenschnitt der visuell prägnantesten Massenszenen konzentriert sich der Trailer auf jene Szene, für die The Ten Commandments bereits in die Annalen der Filmgeschichte eingegangen war: die grandiose Teilung des Roten Meers, die als reines Filmvergnügen angedeutet, nicht aber gezeigt wird. 1989 schließlich, als eine restaurierte Fassung mit neuem Ton und aufgefrischtem Technicolor von Paramount lanciert wird, geht es weder um die Frage einer Historie, die dem Leben dienlich sein könnte, noch um die kontinuierliche Ausstrahlungskraft der klassischen Monumentalfilme. Das Studiosystem, das diese produziert hatte, war durch New Hollywood und die Blockbusters von Spielberg, Lucas und Scorsese abgelöst worden. 9 In den Vordergrund rückt eine nostalgische Haltung gegenüber einem längst verschollenen Hollywood, die den Versuch DeMilles, eine vergangene Welt zu neuem Leben zu erwecken, spiegelt. Während vom Zentrum einer schwarzen Leinwand sich ein kleiner Bildausschnitt, auf dem zuerst kaum etwas erkennbar ist, langsam über die Leinwand ausbreitet, bis diese ganz von einem stürmischen Himmel ausgefüllt ist, hören wir aus dem Off die von einer beruhigenden Männerstimme gesprochene Ankündigung: »There was a time when the cinema was a place of spectacle and wonder. When unforgettable films played on gigantic screens that overwhelmed the imagination. Now that time has come again.« Mit der Teilung des Roten Meeres, die die beiden älteren Trailer dem Publikum vorenthielten, wird dann DeMilles unvergesslichem Monumentalismus ein Denkmal gesetzt. Zwar erscheint der Regisseur nicht mehr im Bild, doch hat er selbst gottähnlichen Status angenommen, wird doch das technische Mirakel implizit auf der gleichen Ebene des Wunders angesiedelt wie die Gesetzgebung, von der der Film handelt. Ohne auf die biblische Geschichte hingewiesen zu werden, erhalten wir eine Montage von Einstellungen, die einerseits die (nicht namentlich genannten) mythischen Stars eines anderen Hollywood aufflackern lassen, andererseits die Massenszenen auf einen Nenner reduzieren: Aufbegehren, Verfolgung und Befreiung von in Sklaverei lebenden
Vgl.
dazu
HANS
HELMUT
PRINZLER
und
GABRIELE JATHO,
Wonderland, New Hollywood 1967-1976, Berlin 2004.
Trouble
in
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Menschen. Mit der Aufforderung, ein unvergessliches Filmereignis nochmals zu erleben, endet ein Zusammenschnitt, in dem das Monumentalkino vornehmlich sich selber feiert. Losgelöst von der Historie bietet es visuelle Versatzstücke an, deren Reiz in ihrer Vertrautheit liegt.
4. Selbstreferen^ und Historizität Nicht nur die Trailer reinszenieren den Film, schon dieser selbst zitiert die ältere Fassung von 1923, in der eingangs Figuren wie Myriam, die Wasserträgerin, und Dathan, der unzufriedene Jude, eingeführt werden, die erst in der zweiten Fassung eine personalisierende Ausarbeitung erfahren. Weil es im Film von 1923 vor allem um das Nachwirken des mosaischen Gesetzes im zeitgenössischen Amerika der zwanziger Jahre geht, werden nur im ersten Teil die Geschichte des Propheten und der zehn Plagen, die zum Auszug der Juden aus Ägypten fuhren, behandelt. Erst der von 1956 fügt die Ereignisse im Leben des jungen Moses hinzu und schmückt den Streit zwischen Moses und Ramses als Rivalität zweier Brüder um die Königstochter Nefretiri dramaturgisch aus. Doch fehlt hier wiederum jene Expressivität, mit der 1923 der Exodus filmisch rekonstruiert worden war: in Bildern, die sowohl an die Flüchtlinge des ersten Weltkriegs wie auch die Massenimmigration in die USA Anfang des Jahrhunderts erinnerten. Im Gegensatz zur starken Formalisierung in der Fassung von 1956, in der Stars wie Statisten als Details einer durchkalkulierten Bildmaschinerie eingesetzt werden, bietet die erste Fassung eine Dichte der Gesichter, die den Fokus auf das Leid und die Hoffnung der Auswanderer legt. Gleichzeitig wird jener monumentale Blick aus der Totalen auf die aufbrechende Masse entwickelt, der im Remake das visuelle Leitthema bildet. Vor allem aber lässt sich an der ersten Fassung von The Ten Commandments nochmals die den Monumentalfilm kennzeichnende unsaubere Schnittfläche zwischen authentischer Historisierung und melodramatischer Fiktionalisierung feststellen. Wenn am Ende von The Crusades Berengarias Plädoyer für einen Weltfrieden und Jerusalem als offene Heilige Stadt als versteckter Hinweis auf eine verzweifelte Hoffnung auf Weltfrieden angesichts der sich anbahnenden Kriegsanstrengungen Nazi-Deutschlands verstehbar ist, ist die erste Fassung der Ten Commandments explizit im Bezug auf den ersten Weltkrieg konzipiert. Die Schrifttafel, die als Vorspann dient, erklärt, die moderne Welt habe Gott als religiösen Komplex< und seine Zehn Gebote als lächerlich und altmodisch abzutun versucht, bis die blutdurchtränkte, bittere Nachkriegsrealität dem Gelächter ein Ende gesetzt habe. Diese Gebote indes, fährt der Erzähler fort, stellten den einzigen Ausweg dar, der sich dem zeitgenössischen Unbehagen an der Kultur biete — sie seien »the
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fundamental principles without which mankind can not live together. They are not laws — they are the LAW«. Der Rückgriff auf eine Historie, die dem Leben dienlich ist, wird im zweiten Teil des Films dramaturgisch als zeitgenössisches Familien-Melodrama umgesetzt. Mit einem Sprung in die Gegenwart führt DeMille die beiden Brüder John und Dan ein, deren Mutter gerade die Geschichte von Moses aus der Bibel vorgelesen hat. Während John sich an den Worten des Propheten, die im ersten Teil visualisiert wurden, orientiert, tut Dan sie als Unfug ab. In der Vorgeschichte hatte DeMille Gottes Strafe in den Vordergrund gerückt, die die abtrünnigen Juden traf und dreitausend den Tod brachte. Um ein Aushandeln der Härte des Gesetzes als des alleinigen Orientierungsmaßstabs für das moralische Chaos der Gegenwart dreht sich auch die Geschichte, die sich aus dem Disput der beiden Brüder entwickelt. Während der jüngere John sich mit einem bescheidenen Leben als Schreiner zufrieden gibt, bricht Dan alle Gebote, heiratet die von beiden Brüdern geliebte Mary Leigh, verdient als korrupter Architekt ein Vermögen, besitzt ein prunkvolles Haus und feiert kostspielige Feste. Er vertritt somit jene Wolllust und moralische Zügellosigkeit, die DeMille mit seiner Inszenierung des Tanzes der Ungläubigen um das goldene Kalb dramaturgisch ankündigte, und wird, durchaus im Sinne der compensating values< des Production Code, für seine Lasterhaftigkeit mit dem Tod bestraft. Wie später in The Crusades vollzieht sich aber auch schon hier jene neutestamentliche Abmilderung des mosaischen Gesetzes, die die erste Fassung von The Ten Commandments als intermediales Vorbild für eine ganze Reihe von >epic films< der fünfziger und sechziger Jahre erscheinen lässt. Sie wird durch die Mutter mit ihrem Sterben autorisiert. In die Kirche eingetreten, die ihr profitgieriger Sohn mit schlechtem Zement zu bauen begonnen hatte, hatte sie verwundert einen großen Riss in der Wand entdeckt und war bald darauf von der einstürzenden Mauer erschlagen worden. In den Armen ihres Sohnes verzeiht sie dem unwillentlich zum Mörder Gewordenen und formuliert die Einsicht, dass sie ihrem Sohn nicht nur hätte beibringen müssen, das Gesetz zu fürchten, sondern auch es zu lieben. Dieser Umschlag von einem rächenden Gott in einen liebenden, rettenden und heilenden wird dem Muster des >epic filmder FalkeFiktion< Roland verkörpert, den entgegengesetzten Weg ein. Er begibt sich, wie der am Pilgerzug selbst beteiligte Erzähler abschließend erzählt, nach Flandern, um dort mit revolutionären Liedern die Handwerker zu unterstützen. Η 83 / A 242 L e s Chevaliers de la table ronde Frankreich (Les films du jeudi) 1990 R Denis Llorca; Ρ Pierre Braunberger; Β Denis Llorca, Philippe Vialeles; D Maria Casares (Viviane), Michel Vitold (Le Roi Pecheur), Alain Cuny (Merlin), Mireille Delcroix, Alain Mace, Catherine Retore. — Farbe - 230 min. Llorcas Film erwuchs aus dem gemeinsam mit Philipe Vialeles geschriebenen 12-Stunden-Stück Quatre Saisons pour les chevaliers de la table ronde. Während der Aufführungen 1989/90 spielten die Schauspieler des Centre Dramatique National de Franche-Comte (Besan9on) untertags vor der Kamera, abends auf der Bühne. Der Film konzentriert das Geschehen, behält aber den an Chretien de Troyes orientierten Durchgang durch die Artusgeschichte bei: von Artus' Geburt über die Gründung der Tafelrunde, die Heirat mit Guenievre, deren Affäre mit Lancelot, die Gralsuche bis zum finalen Kampf zwischen Artus und Mordret und der Rückkehr von Excalibur in den See.
Filmographic
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Gemäß den vier Gralsuchem Galaad, Lancelot, Perceval und Gawain verschränken sich vier räumlich und zeitlich diskontinuierliche Erzählebenen. Die eigentliche Handlung, überwiegend in Innenräumen spielend, wird unterbrochen durch Tableaux vivants, angelehnt an Bilder des Manierismus, die dem Geschehen mythische Züge verleihen. Immer wieder scheint die Christusgeschichte durch. Close-ups, expressives Spiel und nuancierter Einsatz von Musik und Ton unterstreichen den artifiziellen Charakter des Gezeigten. Reflexive Distanz und emotionale Beteiligung halten sich die Waage. Η 87 El Cid USA (Allied Artists) 1961 R Anthony Mann; Ρ Samuel Bronston; Μ Miklos Rözsa; Κ Robert Krasker; Β Fredric M. Frank; D Charlton Heston (El Cid, Rodrigo Diaz de Bivar), Sophia Loren (Jimena), Raf Vallone (Count Ordonez), John Fräser, Genevieve Page, Gary Raymond, Frank Thring, Gerard Tichy. — Farbe - 172 min. Auf 70 mm in Spanien gedreht, ist der Film Teil des nochmals gesteigerten Monumentalismus des Hollywood-Nachkriegskinos. Die Geschichte behandelt den spanischen Nationalhelden Rodrigo Diaz de Bivar, El Cid, der schon kurz nach seinem Tod (1099) Gegenstand legendenhafter Erzählungen und Lieder geworden war (der Tragödie von Corneille, 1636, folgte der Einakter II Cid, den Mario Caserini 1910 in Italien drehte). Rodrigo kämpft in Kastilien gegen die muslimische Bedrohung. Als er einigen Gefangenen die Freiheit schenkt, wird er des Verrats angeklagt. Er tötet den ihm feindlich gesinnten Vater seiner Braut Jimena und bestätigt durch den gewonnenen Gerichtskampf gegen einen Kronland beanspruchenden Grafen sowohl König Ferdinand seine Länder wie sich selbst seine Ehre. Nach dem Tod des Königs steht er zwischen den Brüdern und wird von dem für den Tod seines Bruders verantwortlichen Alfonso, den er zum (falschen) Reinigungseid gezwungen hat, verbannt. Jimena, die ihren Hass auf Rodrigo (wegen der Vatertötung) überwindet, geht mit ihm ins Exil. Jahre später wird er angesichts erneuter Bedrohung durch die Mauren zurückgerufen und kann Valencia für Spanien erobern. Bei der Verteidigung der Stadt erhält er eine tödliche Wunde und trägt doch, an der Seite des nunmehr seine Aufgabe erkennenden Königs, zum Sieg in der Entscheidungsschlacht bei: auf dem Pferd festgebunden, reitet sein toter Körper zum Angriff, die Heiden fliehen in Panik. Der Film beeindruckt vor allem durch seine Interieurs und Massenszenen; die Geschichte folgt der für Hollywood typischen Verknüpfung von Liebe, Verrat und Ehre als Bedingungsgefüge für nationale Einigung. Η 148 / A 184
Α Connecticut Yankee USA (20th Century Fox) 1931 R David Butler; Μ Arthur Kay; Κ Ernest Palmer; Β William Μ. Conselman, Owen Davis, Jack Moffit; D Will Rogers (Hank Martin), William Farnum (König Arthur), Frank Albertson (Clarence), Mitchell Harris, Brandon Hurst, Myrna Loy, Maureen O'Sullivan. - s/w — 95 min. Eine von zahlreichen Adaptationen des Romans von Mark Twain (1889), die an der Modernisierung bzw. Amerikanisierung der Vergangenheit den Triumph des zeitge-
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nössischen Amerika über das alte Britannien feiern. Der Radioreparateur Hank wird zu einem alten Haus gerufen, wo er einen kauzigen Wissenschaftler, einen sinistren Butler, ein junges Liebespaar und eine verführerische Femme fatale vorfindet. Nach einem Schlag auf den Kopf fühlt er sich an den frühmittelalterlichen Hof von Camelot versetzt, wo er den Figuren wiederbegegnet und allerhand Abenteuer erlebt, bis er am Ende die mittlerweile hochtechnisierte Welt wieder verlässt. Eine Farb-Neuauflage durch Garnett mit Bing Crosby in der Titelrolle situiert sich im Schnittfeld von Abenteuerfilm, Komödie und Musical. Η 92 Andere Versionen: Α Connecticut Yankee at King Arthur's Court (USA 1920, Emmett J. Flynn) Α Connecticut Yankee in King Arthur's Court (USA 1949, Tay Garnett) Α Connecticut Yankee in King Arthur's Court (USA 1952, Franklin Schaffner) Α Connecticut Yankee (USA 1954, Fiedler Cook) Α Connecticut Yankee (USA 1955, Max Liebmann) Α Connecticut Yankee in King Arthur's Court (Australien 1970, Zoran Janjic) Α Connecticut Yankee in King Arthur's Court (USA 1978, David Trapper) The Unidentified Flying Oddball (USA 1979, Russ Mayberry) Α Connecticut Yankee in King Arthur's Court (USA 1989, Mel Damski) The Conqueror USA (RKO) 1953 R Dick Powell; Ρ Dick Powell, Howard Hughes; Μ Victor Young; Κ Joseph SaShele, William E. Snyder, Leo Tover, Harry J. Wild; Β Oscar Millard; D John Wayne (Temujin, Dschingis Khan), Susan Hayward (Bortai), Pedro Armendäriz (Jamuga), Agnes Moorehead, Thomas Gomez. - Farbe - 111 min. Powells Erstling in CinemaScope und Technicolor ist ein Mongolenfilm mit Westernelementen, zentriert um den gegen sein Image besetzten John Wayne und seine Partnerin Susan Hayward: Der junge mongolische Heerführer Temujin will den Tod seines Vaters an einem feindlichen Tatarenstamm rächen und nimmt dabei die Tataren-Prinzessin Bortai gefangen, die in einer eindrucksvollen Tanzszene ihre innere Freiheit demonstriert. Temujin verliebt sich in sie und wird, nachdem er alle Feinde besiegt und Bortais Herz gewonnen hat, zum Dschingis Khan, dem Herrscher über Mongolen und Tataren. Die Geschichte, obschon dem Vorspann gemäß »based on fact«, kombiniert zahlreiche ethnische und kulturelle Stereotypien. Η 102 The Court Jester USA (Paramount) 1956 R/P/B Norman Panama, Melvin Frank; Μ Sylvia Fine, Vic Schoen, Walter Scharf, Van Cleave; Κ Ray June; D Danny Kaye (Hubert Hawkins), Glynis Johns (Maid Jean), Basil Rathbone (Sir Ravenhurst), Angela Lansbury, Robert Middleton, Mildred Natwick, Cecil Parker. - Farbe - 101 min. In einem der humorvollsten Mittelalterfilme Hollywoods, farbenprächtig und von Gesang- und Tanzeinlagen durchzogen, werden sowohl die Tafelrundenfilme ä la Ivanhoe wie die Robin-Hood- und Mantel- und Degen-Filme einer Komödie anverwan-
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delt, die den kleinen Mann zum nationalen Helden erhebt: In einer Zeit, in der in England die Königsfamilie bis auf den kindlichen Thronerben (er befindet sich in der Obhut der Rebellenbande des Black Fox) von einem Usurpator getötet wurde, fällt dem zaghaften Hawkins in der Rolle des Hofnarren die Rolle zu, dem wahren Nachfolger zur Herrschaft zu verhelfen. Von einem Teil des Hofs allerdings wird er zunächst für einen gerissenen Mörder, sodann für den Black Fox selbst gehalten. Mit Glück und Geschick übersteht er das Heiratsansinnen der Königstochter, einen Turnierkampf (bei dem ihm seine durch Blitzeinschlag magnetisierte Rüstung hilft) und ein Fechtduell, bevor am Ende mit Hilfe zahlloser Liliputaner die Feinde besiegt und der legitime Baby-Herrscher präsentiert werden können. Der Film lebt vom komödiantischen Potential Danny Kayes und dem fortwährenden Umschlag zwischen Heroismus und Kleinmut, forscher Aktion und ostentativem Spiel. Η 108 Crossed Swords (II Maestro di Don Giovanni) USA/Italien (Viva Films und United Artists) 1953 R Milton Krims, Vittorio Vassarotti; Ρ Barry Mahon, Vittorio Vassarotti; Κ Jack Cardiff; Β Milton Krims; D Errol Flynn (Renzo), Gina Lollobrigida (Francesca), Cesare Danova (Raniero), Nadia Gray, Roldano Lupi, Paola Mori, Alberto Rabagliati. - Farbe - 1 1 3 min. Nach Jahren der Wanderschaft kehren Raniero, der Sohn des Herzogs von Sidona, und sein Gefährte Renzo, in ihre Heimat zurück. Doch kaum angekommen, ergreifen sie die Flucht vor einem Gesetz, das allen Männern über zwanzig Jahren zu heiraten vorschreibt. Als sie von einem Komplott gegen den Herzog erfahren, treten sie erneut die Heimreise an, um den Herzog zu schützen und sich schließlich auch dem Heiratszwang zu beugen. Η 110 The Crusaders USA/Deutschland/Spanien (Lux Vide, Kirch Media) 2001 R Dominique Othenin-Girard; Ρ Alessandro Jacchi, Sabine Tettenborn; Μ Harald Kloser, Thomas Wanker; Κ Federico Masiero; Β Andrea Porporati; D Thure Riefenstein (Andreas), Alessandro Gassmann (Martin), Johannes Brandrup (Richard), Armin Mueller-Stahl (Alessio), Karin Proia (Maria), Barbora Bobulova (Rahel), Franco Nero (Ibnazul), Uwe Ochsenknecht (Konrad), Thomas Heinze (Roland). - Farbe - 195 min. Ein monumentales, aber wenig subtiles Kreuzzugsepos, das in losem Verhältnis zu den historischen Gegebenheiten steht: Der normannische Graf Wilhelm aus Aurocastro (südlich von Bari) kehrt nach Jahren des Kampfes gegen die Sarazenen (die 1079 Jerusalem eingenommen haben und Süditalien bedrohen) aus dem Heiligen Land zurück und fällt einer Intrige seines Bruders Konrad zum Opfer. Sein Sohn Richard begibt sich inkognito als Kreuzritter nach Jerusalem, begleitet von Andreas und Martin, die ebenfalls unter Konrad zu leiden haben. Martin, Sohn eines sarazenischen Vaters und einer christlichen Mutter und von seinem Stiefvater Alessio in die Wissenschaft eingeführt, lässt seine geliebte Maria zurück. Während Richard und Martin sowie die den Thorastudien ergebene Jüdin Rahel als Pilger nach Jerusalem gelangen, wird Andreas zum Führer des Kreuzfahrerheers. Am Ende kehren alle wohlbehalten in die Heimat zurück: Martin heiratet Maria und wird Glockengießer, Andreas, mit Rachel verhei-
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ratet, übernimmt nach dem Tod Richards die Grafenwürde und lässt eine Kirche bauen - über den Reliquien Alessios und mit den Glocken Martins. The Crusades USA (Paramount) 1935 R/P Cecil Β. DeMffle; Μ Rudolph G. Kopp; Κ Victor Milner; Β Harold Lamb, Dudley Nichols, Waldemar Young; D Loretta Young (Berengaria von Navarra), Henry Wilcoxon (König Richard), Ian Keith (Saladin), Alan Hale (Blondel), Katherine DeMille, C. Aubery Smith. - s/w - 125 min. Der durch seine Ten Commandments (1923) zu Ruhm gelangte DeMille schafft in einer der aufwendigsten Produktion der Zeit ein Kreuzzugsepos nicht ganz kohärenter, aber spektakulärer Art. Obschon der Film mit Bildern muslimischer Christenfeindlichkeit beginnt, zielt er im Ganzen auf friedliche Verständigung zwischen den Völkern. Auf der Grundlage des Romans von Sir Walter Scott (The Talisman, 1825) geht es um die Situation des dritten Kreuzzugs 1187, die durch Elemente anderer Kreuzzüge ergänzt wird. Um der Heirat mit der Schwester Philippes von Frankreich zu entgehen, macht sich Richard ins Heilige Land auf, begleitet von Berengaria von Navarra, die er aus strategischen Gründen geheiratet hat, dann aber auch zu lieben beginnt. Das Komplott zwischen Philippe und Richards Bruder John wird vereitelt mit Hilfe Saladins, der sich als vorbildlicher Ritter erweist und auch Berengaria rettet und gesund pflegt. Er verliebt sich in sie und bringt Richard dazu, sie ihm abzutreten - nur um am Ende doch auf sie zu verzichten. Richard und Saladin verständigen sich auf einen Frieden, der den Pilgern den Weg nach Jerusalem öffnet. Berengaria legt schließlich das Schwert Richards, der zugesichert hat, die Stadt nicht zu betreten, am Heiligen Grab nieder: eine Transformation der historischen Niederlage in einen spirituellen Triumph, die die Transformation des raubeinigen männerbündlerischen Richard in einen liebenden christlichen Helden überhöht. Η 117 / A 116
The Dark Avenger (The Warriors) USA (Walter Mirish) 1957 R Henry Levin; Ρ Vaughan N. Dean; Μ Cedric Thorpe Davie; Κ Guy Green; Β Daniel P. Ullman; D Errol Flynn (Edward, the black prince), Joanna Dru (Lady Jane), Peter Finch, Yvonne Furneaux, Robert Urquarth, Noel Willman, Christopher Lee. Farbe - 85 min. Ein mittelalterlicher Western voller Anachronismen, mit einem alternden Star und Thorpes Ivanhoe als Vorbild: Zur Zeit des Hundertjährigen Krieges (um 1360) wird Prinz Edward vom englischen König beauftragt, die Grafschaft Aquitanien zu befrieden. Er trifft auf den Widerstand der französischen Ritter, die von De Ville und Du Guesclin (ansonsten, ζ. B. in Bertrand de Latours Du Guesclin von 1948, ein positiver Held) angeführt werden. Sie versuchen, ihn zu vergiften, woraufhin er es vorzieht, im Weiteren inkognito als »Schwarzer Prinz« aufzutreten. De Ville entfuhrt die auf seinem Grund lebende Lady Jane. Edward befreit sie und besiegt die Armee von Du Guesclin im entscheidenden Kampf. Wie in den von Scotts Romanen inspirierten Filmen steht auch hier der Held zwischen den Gruppen (Engländer/Franzosen) und triumphiert am Ende eine volkstümliche ritterliche Monarchie über einen in sich zerrissenen Adel. Η 548 / A 173
Filmographie
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II Decameron Italien (PEA und Les Productions Artistes Associes) 1971 R/B Pier Paolo Pasolini; Ρ Alberto Grimaldi; Μ Ennio Morricone, Pier Paolo Pasolini; Κ Tonino Delli Colli; D Franco Citti (Ciappelletto), Ninetto Davoli (Andreuccio von Perugia), Jovan Jovanovic (Rustico), Angela Luce, Pier Paolo Pasolini, Silvana Mangano. — Farbe — 112 min. Pasolinis Verfilmung von acht Episoden aus Boccaccios Decameron bildet den ersten Teil der proletarisierenden »Trilogie des Lebens« (I racconti di Canterbury, 1972; II fiore delle mille e una notte, 1974). Sie zielt auf ein idealisiertes Mittelalter des Volkes, das von natürlicher Nacktheit und glücklicher Sexualität bestimmt ist. Erzählt werden u. a. die Geschichten des Andreuccio von Perugia, der in den Sarkophag eines gerade beigesetzten Bischofs klettert; des taubstummen Landarbeiters Musetto, der plötzlich sprechen kann; der Peronella, die es mit ihrem Liebhaber vor dem Weinfass treibt, in dem ihr Mann ist; des Ciapaletto, der mit erlogener Beichte das Begräbnis eines Heiligen erhält; dreier Brüder, die den Geliebten ihrer Schwester töten; der Caterina, die ein Liebesverhältnis unter dem Dach der Eltern führt; des Meuccio, der seinem Freund Tingoccio aus dem Jenseits erscheint und ihm mitteilt, dass man sich dort nicht um irdische Ausschweifungen kümmere; des Wunderpriesters, der einen alten Bauern überzeugt, aus dessen junger Frau eine Stute machen zu können. In der zweiten Hälfte der Episoden tritt der Maler Giotto (gespielt von Pasolini selbst) ins Zentrum. Am Ende räsonniert er: »Warum ein Werk schaffen, wenn es so schön ist, es nur zu erträumen?« Η 125 / A 222 Le diable dans la ville Frankreich (Films de France) 1925 R Germaine Dulac; Κ Henri Stuckert; Β Jean-Louis Bouquet; D Jacqueline Blanc, Michelle Clairfont, Leon Mathot, Albert Mayer. - s/w - 61 min. Ein detailgenauer Film mit schönen Bildern und einem Schuss Ironie: In dem mittelalterlichen französischen Dorf Pimprelune stehen die Einwohner unter dem Bann zweier Statuen. Die eine stellt den Heiligen Gabriel dar, die andere einen bösen Geist. Als die Statue Gabriels beschädigt wird, bricht sich das Böse Bahn. Ein durchreisender Philosoph gerät in Bedrängnis, als er versucht, die allgemeine Hysterie zu dämpfen. Am Ende verlässt er mit der Frau, die er gefunden hat, das Dorf. Η 136 Dorotej Jugoslawien (Avala Films) 1980 R Zdravko Velimirovic; Μ Vuk Kulenovic; Κ Nenad Jovicic; Β Borislav MihajlovicMihiz, Dobrilo Nenadic, Zdravko Velimirovic; D Gojko Santic (Dorotej), Gorica Popovic (Jelena), Velimir Zivojinovic (Dadara), Jordanko Cevrevski, Darko Damevski, Dragomir Felba, Meto Jovanovski. - Farbe — 98 min. Im Jahre 1308 wird der Balkan von Pest und Hunger heimgesucht. Der Mönch Dorotej, der sich auf Kräuterkunde versteht, wandert durch das Gebiet und versucht, den Kranken zu helfen. Als er einen Abt heilt, muss er vor dessen Nachfolger, der nun um seine Aufstiegschance gebracht ist, fliehen. Als nächstes heilt Dorotej einen Kriegsherrn, nimmt sich jedoch dessen Frau zur Geliebten. Beide werden von einem Vereh-
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rer der Frau getötet. Der Film basiert auf einem serbischen Epos, das 1977 von Dobrilo Nenadic zu einem Roman umgearbeitet wurde. Η 139 Dragens Fange (The Captive of the Dragon, And Trees Grew Out of Stone u. a.) Norwegen/UDSSR (Gorkij Film) 1985 R Stanislav Rostotsky, Knut Andersen; Μ Egli Monn-Iversen; Κ Vyacheslav Shumsky; Β Aleksandr Aleksandrov, Stanislav Rostotsky, Gennadi Shumsky, Yuri Vronsky; D Aleksandr Timoshkin (Kuksja), Petronella Barker (Signy), Tor Stokke (Torir), John Andersen, Torgeir Fonnlid, Sasja Timoskin. - Farbe - 116 min. Eine billige Verknüpfung von chaotischem Schlachtgetümmel und sentimentaler Liebesgeschichte: Wikinger entführen bei einem Überfall auf Novgorod einen Knaben. Als er sich in einer Schlacht gegen die gefürchteten Dänen bewährt, wird er von Torir, dem Anführer der Wikinger, an Sohnesstatt angenommen und mit dem Namen Einar versehen. In Norwegen werden die Rückkehrer als Helden gefeiert. Einar verliebt sich in Torirs Tochter, die schon einem anderen versprochen ist. Η 73 Edward II Großbritannien (British Screen und BBC Films) 1991 R Derek Jarman; Ρ Steve Clark-Hall; Μ Simon Fisher-Turner; Κ Ian Wilson; Β Ken Butler, Steve Clark-Hall, Stephen McBride, Antony Root; D Steven Waddington (Edward II), Kevin Collins (Lightborn, der Gefängniswärter), Andrew Tiernan (Piers Gaveston), Tilda Swinton (Isabella), Jerome Flynn, Jody Garber, John Lynch, Dudley Sutton, Nigel Terry. - Farbe - 90 min. Edward II (reg. 1307-1327) lässt im Gefängnis die Jahre seiner Herrschaft seit dem Zeitpunkt der Krönung vor seinem inneren Auge vorbeiziehen: die Ereignisse um seinen Geliebten Gaveston, den er aus Angst vor der Feindschaft des englischen Adels verbannen ließ und der von Isabella, der von Edward zurückgewiesenen Königin, und Mortimer, ihrem Geliebten, getötet wird; schließlich der von Isabelle und Mortimer geplante Anschlag auf ihn selbst, der misslingt. Der Film lehnt sich in Handlung und Text eng an Christopher Marlowes gleichnamige Tragödie (1594) an, aktualisiert und politisiert aber den Stoff, indem er ihn auf das Spannungsfeld von Homosexualität und Homophobie bezieht. Karg ausgestattete Räume und moderne Designerkleidung, prägnante Ausleuchtung und plakative Symbolik betonen die psychischen und physischen Beziehungen zwischen den Figuren. Η 147 Excalibur USA (Orion) 1981 R/P John Boorman; Μ Trevor Jones; Κ Alex Thomson; Β Rospo Pallenberg, John Boorman; D Nigel Terry (King Arthur), Helen Mirren (Morgana), Nicholas Clay (Lancelot), Cherie Lunghi (Guenevere), Robert Addie, Gabriel Byrne, Nicol Williamson. Farbe - 140 min. Der Film, mit Nebel und Finsternis beginnend und mit einem blutigen Gemetzel endend, situiert die Artusgeschichte an der Grenze von Mythos und Fantasy: König
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Utherpandragon begehrt Igrayne, die Gattin seines einstigen Rivalen. Mit Merlins Hilfe verwandelt, stiehlt er sich in die Kammer Igraynes und zeugt mit ihr Arthur. Bei seinem Tod stößt er das Schwert Excalibur in einen Stein, aus dem es nur der rechtmäßige Herrscher über das Land wieder herausziehen kann. In der Folge findet Arthur, von Merlin aufgezogen, das Schwert, mit dessen Hilfe er das Land befriedet. Er heiratet Guenevere, die schon bald in eine Liebesgeschichte mit Lancelot verwickelt ist. Arthur entdeckt die nackten Liebenden im Schlaf und stößt Excalibur zwischen sie. Von seiner Halbschwester Morgana getäuscht, zeugt er mit ihr einen Sohn, Mordred, und wird bei dessen Geburt von einem Blitzstrahl getroffen. Merlin verschwindet. Das Land wird von chaotischen Zuständen heimgesucht. Arthur kann nur durch den Gral geheilt werden. Die Ritter, die den Gral suchend öde Landschaften durchstreifen, fallen überwiegend Morganas Machenschaften zum Opfer. Nur Parzival hat Erfolg und überlebt schließlich auch die Schlacht gegen Mordred. Auf Geheiß des sterbenden Königs übergibt er das Schwert wieder der Königin der See. Das vor allem auf Atmosphäre setzende und den Gral als spirituell-transzendentes Heilsmedium beschwörende Opus bedient sich motivisch bei der Jungschen Archetypenlehre, visuell bei der nachromantischen und symbolistischen Malerei, musikalisch bei Wagner und Orff. Η 159 / A 248
Feuer und Schwert (Die Legende von Tristan und Isolde) BRD (Genee und Von Fürstenberg Filmproduktion) 1981 R Veith von Fürstenberg; Ρ Peter Genee, Don Geraghty; Μ Robert Lovas; Κ Jacques Steyn, Pim Tjujerman, Des Whelan; Β Veith von Fürstenberg, Max Zihlmann; D Christoph Waltz (Tristan), Antonia Presser (Isolde), Peter Firth (Dinas), Leigh Lawson, Walo Lüönd. - Farbe - 84 min. Der Film, in Irland mit mittelalterlicher Architektur gedreht, folgt von allen Tristanverfilmungen am engsten den mittelalterlichen Überlieferungen, v. a. dem Roman Gottfrieds von Straßburg (um 1200). Er benutzt sowohl Schwarzweiß- wie Farbmaterial, um, teilweise in Anlehnung an mittelalterliche Miniaturen, eine Atmosphäre von gleichzeitiger Intimität und Unruhe zu schaffen. Am Beginn steht der Kampf zwischen Tristan und Morolt, am Ende die Verbrennung der toten Körper der Liebenden. Die Handlung zwischen diesen Polen läuft chronologisch ab: Tristans Verwundung, seine Aussetzung, die Landung in Irland, die Heilung durch Isolde, in die er sich verliebt, seine Werbung für König Marke, die Entdeckung des Ehebruchs, die Verbannung, in der Isolde das gemeinsame Kind zur Welt bringt. Neuerliche Trennungen münden schließlich in die Einsicht, dass ein Frieden zwischen Cornwall und Irland unmöglich ist, und fuhren zum Tod der Liebenden Seite an Seite. Eingeblendete Inhaltszusammenfassungen sichern die Kontinuität bei Zeitsprüngen. Die Musik unterstreicht den Wechsel von harmonischen und konflikthaften Momenten. Η 181 / A 250 Andere Versionen: Tristan et Yseult (Frankreich ca. 1909/11, Albert Capellani) Tristano et Isotta (Italien 1909, Ugo Falena) Tristan et Yseut (Tristram and Isoida; Frankreich 1920, Maurice Mariaud) Tristan et Iseult (Tristan and Isolde; Frankreich 1972, Yvan Lagrange, nach Wagner) Tristan and Iseult (Lovespell, Summer of the Falcon; Irland 1979, Tom Donovan)
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First Knight USA (Columbia Pictures) 1995 R Jerry Zucker; Ρ Hunt Lowry; Μ Jerry Goldsmith; Κ Adam Greenberg; Β Lome Cameron, David Hoselton, William Nicholson; D Sean Connery (König Arthur), Richard Gere (Lancelot), Julia Ormond (Guinevere), Ben Cross, Liam Cunningham, Christopher Villiers. - Farbe - 134 min. Der Film trivialisiert das ritterliche Melodrama der fünfziger Jahre. Der alternde König Arthur beschließt, die junge Guinevere zu heiraten, um ihr Reich zu schützen. Doch der Friede von Camelot wird erschüttert, als Malagant Guinevere entführt. Der Herumtreiber Lancelot, von einem traumatischen Kindheitserlebnis geprägt (er sah die Eltern bei einem Überfall in der Kirche verbrennen) befreit sie, wird zum Ritter geschlagen und in die Tafelrunde aufgenommen. Arthur platzt in einen leidenschaftlichen Kuss zwischen Guinevere und Lancelot und lässt über die Liebenden Gericht halten. Die Verhandlung wird jedoch von einem Angriff der Truppen Malagants unterbrochen. Arthur und Malagant werden getötet, Lancelot erhält das Land Camelot und Ginover - eine neue Variante im Umgang mit dem Stoff. Η 182 / A 280 Fisher King USA (Columbia Tri-Star) 1991 R Terry Gilliam; Ρ Debra Hill, Lynda Obst; Μ George Fenton; Κ Roger Pratt; Β Richard LaGravenese; D Jeff Bridges (Jack Lucas), Robin Williams (Parry), Lara Harris (Sondra), Mercedes Ruehl (Anne), Amanda Plummer (Lydia), Tom Waits (Sid). Farbe - 135 min. Gilliam, Mitglied der Monty Python-Truppe, die 1975 Artusgeschichte und -filme parodierte, unternimmt hier eine Neubegründung des Mythos unter den Bedingungen der Gegenwart: Der nazistische New Yorker Radiomoderator Jack Lucas verliert seinen Job und begegnet dem zum Clochard gewordenen Parry, einem früheren Geschichtsprofessor, der, ausgelöst durch einen von Jacks zynischen Kommentaren, seine Frau verlor. Parry (Perceval) fühlt sich vom Roten Ritter, traumhafte Personifikation seiner Katastrophe, verfolgt und bestimmt dazu, den Gral wiederzufinden, den er in einem banalen Sportpokal des Milliardärs Carmichael manifestiert sieht. In der zentralen Szene des Films im Central Park erzählt er Jack die Geschichte, wie der in Folge des Griffs nach dem Gral verletzte Fischerkönig durch den einfachen Toren geheilt wurde. Als Parry in todesähnliche Starre fällt, entwendet Jack den Pokal aus dem neogotischen Schloss des Milliardärs; am folgenden Tag ist Parry geheilt. Der Film verflicht mit dem Schicksal und den Zügen der beiden Hauptfiguren die Dimensionen von Schuld und Erlösung. Der bildkräftige Rückgriff auf die Artusgeschichte erfolgt vor dem Hintergrund einer universalhumanistischen Mythologie im Sinne Joseph Campbeils, die sich mit jungianisch geprägter New-Age-Spiritualität verbindet. A 272 The Flame and the Arrow USA (Warner Bros.) 1950 R Jacques Tourneur; Ρ Harold Hecht, Frank Ross; Μ Max Steiner; Κ Ernest Haller; Β Waldo Salt; D Burt Lancaster (Dardo), Virginia Mayo (Anne), Robert Douglas (Mar-
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chese Alessandro), Frank Allenby, Lynne Baggett, Nick Cravat, Gordon Gebert, Aline MacMahon. - Farbe - 88 min. In der mittelalterlichen Lombardei zur Zeit Friedrich Barbarossas verliert Dardo seine Frau an Ulrich, den Anfuhrer der hessischen Belagerer der Region. Als sie versucht, den gemeinsamen Sohn zu entfuhren, wird Dardo im Kampf gegen die Hessen verwundet. Nach seiner Genesung entführt er seinerseits die Tochter Ulrichs, die sich schon bald in ihn verliebt. In der Folge entgeht er nur knapp der Tötung durch Ulrichs Anhänger. Schließlich vermag er die Hessen aus der Lombardei zu vertreiben. Was mit der vakanten Machtposition geschieht, bleibt offen. Der Film, basierend auf dem Roman The Hawk and the Arrow von Waldo Salt (1949), nimmt Anleihen beim RobinHood-Stoff vor und betreibt in Szenarien und Ausstattung eine bunte Mischung der Zeitstufen. Sie findet in der außerhalb des Gesetzes stehenden Existenz der Rebellen um Dardo ihr Pendant. Lancaster, ein zweiter Errol Flynn, wird hier erfolgreich in jene Akrobatenrolle zurückversetzt, die seiner filmischen Karriere voranging. Η 183 / A 146 Flesh and Blood USA (Orion) 1985 R Paul Verhoeven; Ρ Gys Versluys; Μ Basil Poledouris; Κ Jan de Bont; Β Paul Verhoeven, Gerard Soeteman; D Rutger Hauer (Martin), Brion James (Karsthans), Susan Tyrrell (Celine), Ronald Lacey (Kardinal), Jennifer Jason Leigh (Agnes), Tom Burlinson (Steven). - Farbe - 128 min. Verhoevens erster Hollywood film, in Spanien gedreht, zeigt ein düsteres, endzeitliches Mittelalter, geprägt von Sex und Gewalt: Der Landsknecht Martin, in Diensten des Feldherrn Arnolfini, fuhrt ein Söldnerheer gegen die Stadt seiner Väter, um sie zurückzuerobern. Als Arnolfini die versprochenen Plünderungen untersagt, schwört er blutige Rache. Er entführt Arnolfinis zukünftige Schwiegertochter Agnes, die sich in ihn verliebt. Von Arnolfinis Truppen und seinem Sohn Steven verfolgt, zieht er plündernd über das Land. Er schafft es, das allgemeine Chaos zu überleben. Η 184 Florine la fleur de Valois Frankreich (Nicoea Films) 1926 R Ε. B. Donatien; Κ Alphonse Gibory, Jimmy Berliet; D Lucienne Legrand (Florine Deschamps), Jeanne Kerwitch (Mme Deschamps), Floria Zborowski (Gisele de Vez), Ε. B. Donatien (Jean de Vez), Georges Melchior (Loys), Maxime Dejardins (Etienne Marcel). - s/w - 3500 met. Ein sentimentales Drama, situiert im Jahre 1358 während der Revolte von Jacques: Die junge Bäuerin Florine liebt den jungen Bildhauer Loys, der seinerseits nur Augen für die Nichte des Dorfherrn hat. Ein eifersüchtiger Konkurrent denunziert ihn. Loys wird in die Verbannung geschickt und, als er nach drei Jahren zurückkommt, dem Galgen überantwortet. Florine rettet ihn, altem Brauch gemäß, indem sie ihn heiratet; doch will nun der Herr von Vez sein ins primae noctis geltend machen. Als er an ihrem Hals das Kreuz des Colliers entdeckt, das seine eigene, unter tragischen Umständen gestorbene Tochter Florine gegeben hat, lässt er von seinem Vorhaben ab. Ein die Klassengegensätze überbrückendes happy end vollzieht sich. A 105
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Francesco, giullare di Dio Italien (Rizzoli) 1950 R Roberto Rossellini; Ρ Angelo Rizzoli; Μ Renzo Rossellini, Enrico Buondonno; Κ Otello Martelli; Β Federico Fellini, Antonio Lisandrini, Felix Morion, Roberto Rossellini; D Aldo Fabrizi (Tyrann Nicolaio), Arabella Lemaitre (Chiara), Fra Nazario Gerardi (Francesco). - s/w - 83 min. Rossellini zeigt elf Episoden aus den Legendensammlungen Ifioretti di San Francesco und Vita de Fratre Gitiepro, beginnend mit dem Moment, da Franziskus mit seinen Gefährten in einem sintflutartigen Regen aus Rom zurückkehrt und die Hütte von Rivotorto von einem Esel bewohnt findet, und endend mit der Aussendung der Brüder zur Mission. Weder Konversion noch Stigmatisierung oder Tod des Heiligen spielen eine Rolle. Auch Kirche, Mirakel und Verhandlung mit dem Papst sind beiseite gestellt. Die Anlehnung an die berühmten Fioretti erlaubt die Konzentration auf eine sich an Situationen des Alltags erweisende schlichte Religiosität. Aus dem Kontext des Neorealismus stammt die Verwendung nicht-professioneller Schauspieler (des Franziskanerklosters Nocere Inferiore), die Bevorzugung von Außenräumen, der Verzicht auf rhetorische Effekte des Schnitts und der Montage. Mittelalterliche Dekors erweisen sich weitgehend als unnötig; zugleich tritt die überzeitliche Modernität und Humanität der franziskanischen Idee hervor. Die amerikanische Verleihversion beginnt mit längeren Ausschnitten aus Giottos Wandgemälden in Assisi. Η 185 / A 144 Francesco Italien/Deutschland (Italnoleggio Cinematografia, Karol u. a.) 1989 R Liliana Cavani; Ρ Ralph Serpe, Guilio Scanni, Jost Steinbruchei, Roberta Cadringher; Μ Vangelis; Κ Ennio Guarnieri, Giuseppe Lanci; Β Liliana Cavani, Roberta Mazzoni; D Mickey Rourke (Francesco), Helena Bonham Carter (Chiara), Andrea Ferreol (Mutter), Paolo Bonacelli, Mario Adorf, Tomas Arana, Domiziano Arcangeli, Peter Berling, Paolo Bonacelli, Hanns Zischler. - Farbe - 155 min. (I), 126 min. (D). Cavani, die bereits 1966 (nach einem Buch von Paul Sabatier) einen Franziskus-Film für das italienische Fernsehen gedreht hatte, benutzte für ihren Kinofilm die franziskanische liegende der drei Gefährten in der Version, die Hermann Hesse in seiner Franziskus-Monographie (1902) nacherzählt hatte. Der Film beginnt im Jahr 1226 mit der Ausstellung des toten Körpers des Franziskus und dessen Verehrung durch die junge Chiara. Bei einer Versammlung der Brüder einige Jahre später, bei der auch Chiara teilnimmt, entsteht das Bedürfnis, die Erinnerungen an den Verstorbenen aufzufrischen und schließlich auch schriftlich festzuhalten. Rückblicke vergegenwärtigen Momente der Lebensgeschichte. Der Akzent liegt einerseits auf der Körperlichkeit des Geschehens, andererseits auf der Turbulenz des Seelenlebens. In eindringlichen Bildern mit erdnahen Farben wird sichtbar, wie Francesco am Ende beinahe mit der Natur verschmilzt und auf dem Höhepunkt seiner Verzweiflung das Gotteszeichen der Stigmatisierung erhält. Mickey Rourke, der im Sinne des Actor's Studio dem Heiligen intensive Präsenz verleiht, dient gerade aufgrund seiner Popularität in modernen Rollen dazu, eine sukzessive Abwendung von der Welt anschaulich zu machen. Η 190 / A 267
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Francis of Assisi USA (20th Century Fox) 1961 R Michael Curtiz; Ρ Plato A. Skouras; Μ Mario Nascimbene; Κ Piero Portalupi; Β James Forsyth, Jack W. Thomas, Eugene Vale; D Bradford Dillman (Francis), Dolores Hart (Clare), Stuart Whitman (Paolo), Pedro Armendariz, Finlay Currie, Cecil Kellaway. - Farbe - 105 min. Curtiz' letzter Film, wiederum einen europäischen Helden in den Mittelpunkt stellend, zeigt die Lebensgeschichte des Heiligen Franziskus in weitem zeitlichem und geographischem Rahmen: von der Jugend bis zum Tod, von Italien über Sizilien bis ins Heilige Land. Der ausschweifend lebende Franz schließt sich der Armee Innozents II. an, die zur Befreiung Siziliens in den Krieg zieht. Mitten in der wichtigsten Schlacht hört er eine innere Stimme, die ihm befiehlt, nach Hause zurückzukehren. In der Heimat als Feigling gebrandmarkt und in den Kerker geworfen, hört er nach seiner Befreiung die Stimme erneut. Sie gebietet ihm, eine zerstörte Kirche wieder aufzubauen. Franz schart eine Gruppe Gleichgesinnter um sich und erreicht vom Papst die Anerkennung als Orden. Nach dem Versuch, im Heiligen Land den Sultan zum Christentum zu bekehren, zieht er sich in eine Höhle zurück, wo er, erblindet zwar, kurz vor seinem Tod Gott in aller Klarheit schauen darf. Der Film basiert auf dem Roman The Joyful Beggar von Louis De Wohl (1958). Η 192 / A 190 Fratello sole, sorella luna (Brother Sun, Sister Moon) Italien/Großbritannien (Euro International-Vic Films) 1972 R Franco Zeffirelli; Ρ Dyson Lovell, Luciano Perugia; Μ Riz Ortolani (ital. Version), Donovan (engl. Version); Κ Ennio Guarnieri; Β Suso Cecchi d'Amico, Kenneth Ross, Lina Wertmüller, Franco Zeffirelli; D Graham Faulkner (Francesco), Judi Bowker (Clare), Leigh Lawson (Bernardo), Alec Guinness (Papst Innozenz III.), Valentina Cortese, Kenneth Cranham, Michael Feast, Lee Montague, Nicholas Willatt. - Farbe 116 min. Zeffirelli, wenig zuvor durch seine Romeo-und-Julia-Bearbeitung zum Kultregisseur der Jugend geworden, konzentriert sich in diesem Breitwandfilm auf acht Jahre aus dem Leben des Heiligen Franziskus zwischen der Abwendung vom weltlichen Leben nach der Rückkehr vom Krieg und der Bestätigung des spirituellen Daseins in der Begegnung mit dem Papst. Im Zentrum des Licht und Dunkel, wahre und falsche Werte kontrastierenden Films stehen Franziskus und Clara, gespielt von jungen, unbekannten, hübschen Schauspielern. Verkörperungen eines tieferen Anspruchs auf Glück und Liebe, Freiheit, Lebenssinn und Natürlichkeit, bieten die jungen >Aussteiger< einen historischen Spiegel für die Hoffnungen der Jugendbewegung der frühen siebziger Jahre. Η 61 / A 228 Le frere du guerrier Frankreich (Bac Films) 2002 R Pierre Jolivet; Ρ Jean Labadie; Μ Serge Perathoner, Jannick Top; Κ Pascal Ridao; Β Pierre Jolivet, Simon Michael; D Vincent Lindon (Thomas), Guillaume Canet (Arnaud), Melanie Doutey (Guillemette), Francois Berleand, Brunelle Lemonnier, Frederic Lacave. - Farbe — 115 min.
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Im Frankreich des 13. Jahrhunderts fuhrt das Schicksal zwei Brüder nach Jahren der Trennung erneut zusammen. Der Söldner Thomas hat den heimatlichen Hof vor langer Zeit verlassen. Als er, von zahlreichen Kriegen gezeichnet, zurückkehrt, ist seine der Heilkunde mächtige Mutter verstorben. Vor ihrem Tod hat sie ihr Wissen an Arnaud, den jüngeren der Brüder, weitergegeben, der jedoch nach dem Angriff einer Bande Gesetzloser sein Gedächtnis verloren hat. Arnauds junger Frau Guillemette fällt die Aufgabe zu, Thomas zur Suche nach dem verlorenen Wissen zu überreden. A 288 Gates to Paradise (Bramy raju, La croisade maudite) Großbritannien (Jointex Films) 1967 R Andrzej Wajda; Ρ Sam Waynberg; Μ Ward Swingle; Κ Mieczyslaw Jahoda; Β Jerzy Andrzewski, Donald Kravanth; D Lionel Stander (Mönch), Ferdy Mayne (Graf Ludwig), Matthieu Carriere (Alexander), Jenny Agutter, Pauline Challoner, John Fordyce. Farbe - 77 min. Als sich 1212 Tausende junger Menschen auf den >Kinderkreuzzug< begeben, um das Heilige Land friedlich von den Sarazenen zurückzugewinnen, erkennt ein Mönch, der den Kreuzzug als Beichtvater und geistige Stütze begleitet, dass viele der Teilnehmer weniger von religiösem Eifer als von der Attraktivität der beiden Anführer angetrieben werden. Er versucht umsonst, der Pilgerfahrt Einhalt zu gebieten. Ohnmächtig wohnt er schließlich dem allgemeinen Massaker bei. Wajda wirft in diesem Film, der auf dem Roman Bramy raju von Jerzy Andrzewski (1960) beruht, die Frage nach den teilweise dunklen Hintergründen großer sozialer Bewegungen auf. Η 200 / A 210 Gawain and the Green Knight Großbritannien (United Artists und Sancrest) 1973 R Stephen Weeks; Ρ Carlo Ponti; Μ Ron Goodwin; Κ Ian Wilson; Β Philip Μ. Breen, Stephen Weeks; D Murray Head (Gawain), Ciaran Madden (Linet), Nigel Green (Green Knight), Robert Hardy, Ronald Lacey, David Leland, Anthony Sharp. - Farbe - 93 min. An König Arthurs Hof erscheint ein ganz in Grün gekleideter Ritter, der alle Ritter der Tafelrunde zu einem Axtkampf herausfordert. Gawein ist der einzige, der die Herausforderung annimmt. Er schlägt dem Grünen Ritter den Kopf ab, der jedoch auf rätselhafte Weise sogleich nachwächst. Der Grüne Ritter setzt Gawein eine Frist von einem Jahr, um ihn zu suchen und zu besiegen, ansonsten droht Gawein der Tod. Der Film orientiert sich an der Romanze Sir Gawain and the Green Knight (14. Jh.) und am Yvain von Chretien de Troyes. Ein dem Fantasyfilm angenähertes Remake mit Sean Connery drehte Weeks 1984 {Sword of the Valiant, USA). Η 201 / A 231 Genoveffa di Brabante Italien/Spanien (Imprecine, Hispamer) 1965 R J o s e Luis Monter; Μ Carlo Rustichelli; Κ Stelvio Massi, Julio Ortas Plaza; Β Ricardo Freda; D Maria Jose Alfonso (Genoveffa), Alberto Lupo (Conte Sigfrido), Stephen Forsyth (Golo), Beny Deus (Raiberto), Angela Rhu (Berta). - Farbe - 90 min.
Fümographie
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Eine Variante der international verbreiteten Genovevalegende: Graf Sigfrido, vom Kampf mit einer Räuberbande verletzt, wird zum Schloss des Herzogs von Brabant gebracht und dort von dessen Tochter Genoveffa gesund gepflegt. Die beiden verlieben sich ineinander und heiraten. Als Sigfrido zum Kreuzzug aufbrechen muss, überlässt er Genoveffa der Obhut von Golo, der versucht, sie zu seiner Geliebten zu machen. Genoveffa teilt Sigfrido die Ereignisse in einem Brief mit, der aber von Golo abgefangen und durch einen ersetzt wird, der sie des Ehebruchs beschuldigt. Sigfrido ordnet die Tötung Genoveffas und des gemeinsamen Sohnes an, doch die Henker setzen die beiden im Wald aus, wo Sigfrido sie nach seiner Rückkehr aus dem Krieg findet. Während die früheste Version aus dem Pathe-Studio noch ganz auf das Wunderbare setzt, rückt in den späteren das Drama des Ehebruchsvorwurfs ins Zentrum. Monters Film folgt anders als die meisten anderen Filme, die sich an Jacques Offenbachs Oper orientieren, der Version der Ligenda aurea. Η 207 / A 112 Andere Versionen: Genevieve de Brabant (Frankreich 1907, Prod. Pathe) Genoveffa (Italien/USA 1932, Guilio Amauli) Genoveffa di Brabante (Italien 1947, Primo Zeglio) La Leggenda di Genoveffa (Italien 1952, Arthur-Maria Rabenalt) Giovanna d'Arco al rogo (Jeanne au bücher) Italien/Frankreich (Produzione Cinematografiche) 1954 R Roberto Rossellini; Ρ Giorgio Crisucuolo, Franco Francese; Μ Arthur Honegger; Κ Gabor Pogäny; Β Paul Claudel, Roberto Rossellini; D Ingrid Bergman (Giovanna), Tullio Carminati (Fra Domenico), Giacinto Prantelli, Augusto Romani. - Farbe - 80 Anders als in Bergmans erstem Jeanne dArc-Film (Joan of Arc, Fleming) bietet der zweite, dem italienischen Neorealismus entsprechend, eine schlichtere, auf wesentliche Momente konzentrierte Version der Geschichte. Im Augenblick ihres nahenden Todes auf dem Scheiterhaufen hört Giovanna die Stimme ihres Beichtvaters, der ihr baldige Freiheit verheißt. Er zeigt ihr ein von Engeln geschriebenes Buch, das ihre wahre Geschichte enthält. Rückblicke vergegenwärtigen ländliche Szenen, die Ankunft in Rouen, Ausschnitte aus dem Prozess. Am Ende wird Giovanna von den Engeln in den Himmel geführt. Rossellini orientierte sich an dem Oratorium Jeanne dArc au bücher von Paul Claudel und Arthur Honegger (1939), mit dem er zur gleichen Zeit, ebenfalls mit Ingrid Bergman in der Hauptrolle, über die europäischen Bühnen zog. Η 210 / A 164 T h e Golden Horde USA (Universal) 1951 R George Sherman; Ρ Robert Arthur, Howard Christie; Μ Hans J. Salter; Κ Russell Metty; Β Gerald Drayson Adams nach einer Geschichte von Harold Lamb; D David Farrar (Sir Guy of Devon), Ann Blyth (Prinzessin Shalimar), George Macready (Schamane), Henry Brandon, Peggie Casde, Marvin Miller, Howard Petrie, Donald Randolph. — Farbe - 76 min.
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Ein aktionsgeladener Abenteuerfilm voller Schwertkämpfe im Grenzbereich von Europa und Asien. Im Jahr 1220 wird Shalimar, Prinzessin einer asiatischen Stadt, von dem Eroberer Dschingis Khan bedroht. Obwohl Sir Guy und seine Gruppe englischer Kreuzfahrer ihr ihre Hilfe anbieten, beschließt sie, den Kampf auf ihre Weise zu fuhren: mit Schlauheit und unter Benutzung von Dschingis Khans Sohn. Indem sie dessen Leichnam mit einer drohenden Inschrift über dem Tor anbringen lässt, gelingt es ihr, den abergläubischen Eroberer aufzuhalten. Η 2 1 3 / A 150 The Golden Supper USA (Biograph) 1910 R D. W. Griffith; Κ G. W. Bitzer; Β Dorothy West; D Dorothy West (Camilla), Charles West (Lionel), Claire McDowell, Alfred Paget. - s/w - 17 min. Julian liebt seine Cousine Camilla, die indes seinen Freund und Rivalen Lionel heiratet. Kurz nach der Hochzeit erkrankt Camilla an einem Fieber und stirbt scheinbar. Julian entdeckt, dass die in der Familiengruft Beerdigte noch lebt. Er schenkt sie Lionel als seinen teuersten Besitz dem Brauch gemäß bei einem Nachtmahl. Der Film basiert auf dem Gedicht The Lovers Tale von Alfred Lord Tennyson (1879), das seinerseits eine Geschichte aus Boccaccios Decameron aufnimmt. Η 214 Good King Wenceslas USA (Griffin and Family Productions) 1994 R Michael Tuchner; Ρ Adam Clapham, Michael Deakin; Μ Charles Gross; Κ Ronnie Taylor; Β James Andrew Hall; D Stefanie Powers (Königin), Jonathan Brandis (Prinz Wenceslas), Perry King (Tunna), Charlotte Chatton, Joan Fontaine, Leo McKern. Farbe - 92 min. Ein fur das Fernsehen gedrehter >FamilienfilmSchrift< mit Bildern und Tönen anzulegen. Die Komposition
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ist eine strenge, die Perspektiven sind überwiegend distante, Close-ups betreffen anders als bei Dreyer nicht Gesichter, sondern Hände und Füße. Abstraktion wird zum Mittel, den Film als dichtes Zeichengewebe zu profilieren, in dem auch Zeit und Raum primär der Konzentration auf eine existentielle Bedeutungshaftigkeit dienen. Stärker als um politische und religiöse Kontexte geht es um den exemplarischen Charakter von Jeannes Verhalten, um ihre Rolle als Spielball eines Wettkampfs zwischen widerstreitenden Kräften der katholischen Kirche, die sie nicht einhellig für schuldig halten. Η 511 / A 192 Quentin Durward (The Adventures of Quentin Durward) USA/Großbritannien (MGM) 1955 R Richard Thorpe; Ρ Pandro S. Berman; Μ Bronislau Kaper; Κ Christopher Challis, Desmond Dickinson; Β Robert Ardrey, George Froeschel; D Robert Taylor (Quentin Durward), Kay Kendall (Isabelle), Robert Morley (King Louis XI), George Cole, Alex Clunes, Duncan Lamont, Harcourt Williams. - Farbe - 103 min. Der dritte Teil von Thorpes Mittelaltertrilogie (.hanhoe, Knights of the Round Table), wie der erste nach einem Roman von Sir Walter Scott (1823) gedreht, greift einen Stoff auf, den schon einmal 1912 Adrien Caillard in einem französischen Stummfilm behandelt hatte: die Situation des schottischen Ritters Quentin Durward als Mittlerfigur zwischen Franzosen und Burgundern. Im Jahr 1465 soll er Isabelle de Marcroy, das Mündel des Herzogs von Burgund, als Braut für seinen Onkel nach Schottland holen. Er verliebt sich selbst in sie und beschützt sie fortan in einer Reihe von Abenteuern, u. a. mit dem selbstsüchtigen Guillaume de La Mark und dessen schwarzen Rittern. Nachdem er La Mark in einem der merkwürdigsten Zweikämpfe der Mittelalter filme (die beiden Gegner bekämpfen sich an den Seilen klingender Glocken hängend in der brennenden Schlosskirche) besiegt und der König auch noch den Herzog getäuscht hat, kann es zur Heirat mit Isabelle kommen. Durward repräsentiert einen anachronistischen Idealisten und Pazifisten, dem es gelingt, die Moral zu retten. Der Film spielt, auch visuell, mit dem Wechsel zwischen Privatheit und Öffentlichkeit und nutzt die Technicolor-Farben für eine genaue Unterscheidung der verschiedenen Gruppen. Η 423 / A 167 I racconti di Canterbury (Pasolinis tolldreiste Geschichten) Italien (Produzioni Europee Associate und Les Productions Artistes Associes) 1972 R/B Pier Paolo Pasolini; Ρ Alberto Grimaldi; Μ Ennio Morricone; Κ Tonino Delli Colli; D Hugh Griffith (Sir January), Laura Betti (Frau von Bath), Pier Paolo Pasolini (Geoffrey Chaucer), George Bethell Datch, Derek Deadman, J. P. Van Dyne. - Farbe - 112 min. Nach II Decameron (1971) das zweite Glied von Pasolinis »Trilogie des Lebens«: acht Erzählungen nach Chaucers The Canterbury Tales, zusammengehalten durch Blicke auf den schreibenden Autor (Pasolini selbst). Dieser mischt sich auch unter die Pilger, die sich auf der Reise zum Grab des Heiligen Thomas Becket in Canterbury Geschichten erzählen: von Sir January und seiner jungen Frau, dem Studenten und dem Müllerehepaar, dem Teufel und dem Gerichtsboten (mit Verbrennung eines Homosexuellen), dem jungen Peterkin (mit Hommage an den frühen Chaplin), den Studenten und der Müllerfamilie, den drei jungen Rüpeln und dem Tod, der Frau von Bath und der Vision der Hölle (mit Einstellungen, orientiert an den Gemälden Boschs). Η 70 / A 226
Filmographie
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R a n (Chaos) Japan (Serge Silberman Production fur Greenwich Film Production, Herald Ace und Nippon Herald Films) 1984/85 R Akira Kurosawa; Ρ Serge Silberman, Masato Hara; Μ Töru Takemitsu; Κ Takao Saito, Masaharu Ueda; Β Akira Kurosawa, Hideo Oguni, Masato Ide; D Tatsuya Nakadai (Hidetora), Akira Terao (Tarö), Jinpachi Nezu (Jirö), Daisuke Ryu, Mieko Harada, Yoshiko Myazaki, Masayuki Yui, Kazuo Katö, Shinnosuke Ikehata, Hitoshi Ueki, Jun Tazaki. - Farbe - 160 min. In einem erst nach langen Anläufen realisierten bildgewaltigen Spätwerk erzählt Kurosawa auf großer Leinwand die Geschichte des Adligen Hidetora, der sich mit unerwarteten Schwierigkeiten konfrontiert sieht, als er sein Reich unter seinen drei Söhnen aufteilt. Ausgestoßen und geistig umnachtet muss er schließlich erleben, wie Reich und Erbe in apokalyptischen Schlachten in den Untergang stürzen. Ausgehend zunächst von einer japanischen Geschichte aus dem Mittelalter, orientierte sich Kurosawa in zunehmendem Maße an Shakespeares King l^ear. R a s h ö m o n (Das Lustwäldchen) Japan (Daiei Studios) 1950 R Akira Kurosawa; Ρ Jingo Minoru; Μ Fumio Hayasaka; Κ Kazuo Miyagawa; Β Ashinobu Hashimoto, Akira Kurosawa; D Toshirö Mifune (der Räuber Tajömaro), Masayuki Mori (der Samurai Takehigo), Machiko Kyö (Masago), Takahi Shimura, Minoru Chiaki, Kichijirö Ueda, Daisuke Katö, Fumiko Minoura. - s/w - 88 min. In einer Tempelruine treffen etwa um die Jahrtausendwende ein Knecht, ein Holzfäller und ein Mönch aufeinander, die alle Schutz vor dem Regen suchen. Um sich die Wartezeit zu verkürzen, unterhalten sie sich über das vor einigen Tagen verübte Verbrechen an einem Ehepaar, bei dem die Frau vor den Augen des Mannes vergewaltigt und der Mann hinterher getötet wurde. Das Gespräch bildet den Rahmen für das eigentliche Geschehen, bei dem in einer Gerichtsverhandlung vier verschiedene Versionen des Tathergangs berichtet werden. Statt über den Mordfall aufgeklärt zu werden, sieht sich der Zuschauer mit der Unmöglichkeit der Wahrheitsfindung konfrontiert. Ein amerikanisches Remake drehte Martin Ritt (The Outroge, 1964). The Reckoning Großbritannien/Spanien (Paramount) 2004 R Paul McGuigan; Ρ Caroline Wood; Μ Mark Mancina; Κ Peter Soba; Β Mark Mills nach dem Roman von Barry Unsworth; D Paul Bettany (Nicholas), Marian Aguilera (Nicholas' Lover), Willem Dafoe (Martin), Trevor Steedman (Husband), Simon McBurney (Stephen), Tom Hardy (Straw), Brian Cox (Tobias). - Farbe - 110 min. Eine Kriminalgeschichte vor dem Hintergrund der turbulenten Situation im England des 14. Jahrhunderts: Ein Priester auf der Flucht vor seiner unehrenvollen Vergangenheit begegnet einer heruntergekommenen Truppe umherziehender Schauspieler auf der Suche nach ihrem nächsten Auftritt. In einem unbekannten Dorf werden sie mit der Situation konfrontiert, dass eine stumme Frau wegen angeblicher Ermordung eines Jungen zum Tode verurteilt wurde. Um die Wahrheit herauszufinden, entschließt sich der Chef der Truppe, Martin, mit der Tradition biblischer Spiele zu brechen und stattdessen ein Stück aufzuführen, das mit dem aktuellen Verbrechen zu tun hat. Es entfaltet sich ein >murder-mysterybin Hood (Curtiz) Robin Hood: Men in Tights (Brooks) 46, 113, 130, 43If. Robin Hood: Prince of Thieves (Reynolds) 3, 16, 45£, 8 3 , 8 5 , 1 1 3 , 1 1 8 , 1 2 1 125, 127,130f,432f. Robin Hood und seine tollkühnen Gesellen s. The Story ofRj>bin Hood and His Meny Men (Annakin)
454 Robin Hoods Vergeltung s. Rogues of Sherwood Forest (Douglas) Robin of Sherwood (Allen/Bolt) 121 A. 49 Robin und Marian s. Rubin and Marian (Lester) Den rode kappe (Axel) 433 Rogues of Sherwood Forest (Douglas) 26 Roland s. La chanson de Roland (Cassenti) Roland a Rotuevaux 18 Roman de Renard (Starevitch) 32, 433 Romance del Cid Campeador (Gil) 283 A. 3 Royal Deceit s. The Prince of Jutland (Axel) Rojaume des fees (Melles) 17 Saint Francis s. IIpoverello d'Assisi (Guazzoni) Saint Joan (Preminger) 53, 135 A. 2, 145f., 149,151 A. 46,158,164 A. 82,169, 433f. St. Joan (Rumbelow) 149 A. 43, 170 Saladin s. An-Nasr Salah ad-Din (Chahine) Le Samourai (Melville) 29 Samson and Delilah (DeMille) 25 Samurai der Dämmerung s. Tasogare Seibei (Yamada) San Francesco ilpoverello d'Assisi s. II poverello dAssisi (Guazzoni) Sanspeur et sans reproche (Jugnot) 434 Sansho Dayu (Mizoguchi) 27, 434f. Sansho Dayu — Ein lieben ohne Freiheit s. Sansho dayu (Mizoguchi) Sansho the Bailiff s. Sansho dayu (Mizoguchi) The Saracen Blade (Castle) 26, 435 Satanas — Das Schloß der blutigen Bestie s. The Masque of the Red Death (Corman) Scanderbeg s. Skanderbeg (Yutkevich) Der Schatten des Kriegers s. Kagemusha (Kurosawa) Das Schicksal s. Al Massir (Chahine) Schinderhanties (Bernhardt) 20
Register
Das Schloss im Spinnwebwald s. Kumo-nosu-jö (Kurosawa) Schwarbe Pfeile s. The Black Anow (Douglas) Der schwarte Prin~ s. The Dark Avenger (Levin) Die schwarte Rose s. The Black Rose (Hathaway) Die schwarten Ritter von Tula s. I lancieri neri (Gentiluomo) Das Schwert des Cid s. Las Ηif as del Cid (Iglesias) Das Schwert des Königs s. Siege of the Saxons (Juran) Die Sendung s. Das Mädchen Johanna (Ucicky) Sen him e (Kimura) 178 A. 17 Seppuku (Kobayashi) 180, 186 Seven Footprints to Satan (Christensen) 75 The Seventh Seal s. Det sjunde inseglet (Bergman) Shichinin no samurai (Kurosawa) 16, 28, 175-178,435 Die sieben Samurai s. Shichinin no samurai (Kurosawa) Das siebente Siegel s. Det sjunde inseglet (Bergman) Siege of the Saxons (Juran) 26, 380 Siegfried — Die Sage der Nibelungen s. Sigfrido, la leggenda di Nibelunghi (Gentilomo) Siegfried und das sagenhafte Uebesleben der Nibelungen (Friedman/Hoven) 34, 43 5f. Sigfrido (Caserini) 19, 34 Sigfrido, la leggenda dei Nibelunghi (Gentilomo) 436 The Sign of the Cross (DeMille) 25 Le signe du Uon (Rohmer) 320 Simon del desierto (Bunuel) 75 Singoalla (Christian-Jaque) 33, 436 Det sjunde inseglet (Bergman) 5, 35, 41, 93,249-281,336,346,350, 436f. Skanderbeg (Yutkevich) 36, 437 Skanderbeg — Ritter der Berge s. Skanderbeg (Yutkevich) I skugga hrafnsins (Gunnlaugsson) 437
Register
Der Sohn von Robin Hood s. Son of Robin Hood (Sherman) Soko s. Banovic Strahinja (Mimica) Son of Robin Hood (Sherman) 26 Sorder (Melies) 17 Spartacus (Kubrick) 26, 347 A. 19 Die Spinnen (Lang) 192 Springfield Rifle (de Toth) 57 Star Wars (Lucas) 5 9 , 7 2 , 4 0 6 StealingHeaven (C. Donner) 438 The Story of Robin Hood and His Merry Men (Annakin) 26 Der Student von Prag (Rye/Wegener) 20 Die Stunde des Bösen s. The Hour of the Pig (Megahey) Sultan Saladin s. An-Nasr Salah ad-Din (Chahine) Switch (Edwards) 154 The Sword of Lancelot (Wilde) 54, 58, 97f.,438 Sword of the Valiant — The Legend of Sir Gawain and the Green Knight (Weeks) 396 Taboo s. Gohatto (Oshima) Der Tag des Falken s. Ladjhawke (R. Donner) Tales of the Vikings (Williams) 442 Der Talisman s. King RJchard and the Crusaders (Butler) Tarakanova (Bernard) 32 Tasogare Sei bei (Yamada) 185, 43 8 f. The Ten Commandments (DeMille) 25, 143, 367-370 The Three Musketeers (Niblo) 42 Time Bandits (Gilliam) 74 Timeline (R. Donner) 27, 74, 439 Die Töterinnen s. Onibaba (Shindo) Tootsie (Pollack) 154 Tora no ο wo fumu otokotachi (Kurosawa) 28f, 92, 97, 174, 439f. La torn delpiacere s. La Tour de Nesle (Gance) La torn di Nesle, s. La Tour de Nesle (Gance,) La Tour de Nesle (Gance) 33, 249, 440 Les Tresors de Satan (Melies) 17 Tristan elsotta (Falena) 19
455 Tristan et Yseut (Capellani) 18 Troy (Petersen) 172 Der Turm der sündigen Trauen s. La Tour de Nesle (Gance) Ugetsu monogatari (Mizoguchi) 28, 440f. Gli ultimi giorni di Pompei 19 Die unglaublichen Abenteuer des hochwohllöblichen Ritters Branca Leone s. L'armata Brancaleone (Monicelli) Unter schwarzem Visiers. The Black Knight (Garnett) LI valle de las espadas s. The Castilian (Seto) Valley of the Swords s. The Castilian (Seto) Veiviseren s. Ofelas (Gaup) Veliky Voine Albany s. Skanderbeg (Yutkevich) Vem Dömer? (Sjöström) 441 Die verborgene Festung s. Kakushi toride no sai akunin (Kurosawa) Die Verkündigung s. L'annoncefaite ä Marie (Cuny) The Vikings (Fleischer) 26, 441 f. The Virgin Spring s. jungfmkällan (Bergman) Les visiteurs (Poire) 27, 73, 442 Les visiteurs du soir (Carne) 32f., 92, 442 The msitors s. Les visiteurs (Poire) La voie lactee (Bunuel) 33, 75, 442f. Le voyage dans la luηe (Melies) 17 Le voyage etranger (Roullet) 33, 443 A Walk with Love and Death (Huston) 27, 85, 443f. The War Lord (Schaffner) 27,444 Warrior of Russia s. Aleksandr Nevskij (Eisenstein) The Warriors s. The Dark Avenger (Levin) Wenn ich König war s. If I Were King (Lloyd) Die Wikingers. The Vikings (Fleischer) The Wild Bunch (Peckinpah) 435
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Register Yojimbo (Kurosawa) 29 Yolanda (Vignola) 445
Wilhelm Tell (Paul) 34,52 Wilhelm Tell — Burgen in Flammen (Dickoff) 52, 84, 444f. Witchcraft Through the Ages s. Häxan (Christensen) Without Fear or Blame s. Sans peur et sans reproche (Jugnot) The Wizard of Ο * (Fleming) 89
Zatoichi (Kitano) 185 Zeit der Dunkelheit - Liebe hinter Klostermauern s. Stea/ingHeaven (C. Donner) Die Zigeunerin s. Singoalla (ChristianJaque)
Ein Yankee aus Connecticut an König Arthurs Hof s. A Connecticut Yankee in King Arthur's Court (Flynn)
Personen Aufgeführt sind alle im Lauftext genannten Personen, nicht jedoch (mit Ausnahme der Regisseure) jene, die nur in den Credits im Rahmen der Filmographie erscheinen.
Abashidze, Dodo 412 Anderson, Maxwell 169,404 Anderson, Michael 74, 426 Andrzewski, Jerzy 396 Annakin, Ken 432 Annaud, Jean-Jacques 35, 82, 98, 138, 418 f. DAnnunzio, Gabriele 19 Anouilh,Jean 379 Antamoro, Giulio 378 Apfel, Oscar 20 Ariost, Ludovico 34 Avati, Pupi 384,414 Axel, Gabriel 426f., 433 Bacon, Francis 81 Balaban, Barney 245 Baläzs, Bela 50 Barkin, Ellen 154 Baroncelli, Jacques de 18 Barrault, Jean-Louis 417 Basho 172f. Bazin, Andre 320 Beer-Hofmann, Richard 6 Berger, Ludwig 402 Bergin, Patrick 120 Bergman, Ingmar 5, 35, 86, 89, 92, 249-281, 336, 350, 405, 436
Bergman, Ingrid 24, 53, 137, 144, 152,155f., 162, 164,169, 397, 404 Bernard, Raymond 10, 18f., 194, 405, 416 Bernard, Tristan 18 Beroul 18 Besson, Luc 33, 53, 96, 138, 142, 146170, 416 Bisset, Jacqueline 143 A. 29 Blank, Richard 423 Boccaccio, Giovanni 13, 19, 34, 36, 389, 398, 422 Böcklin, Arnold 197 Boetticher, Budd 292 A. 16 Boker, Henry 422 Bonnaire, Sandrine 137, 155f., 170 Boorman, John 4, 58f., 156 A. 59, 284 A. 5, 390 Borowczyk, Walerian 381 Bragaglia, Carlo Ludovico 250 Branagh, Kenneth 31, 91, 176 Α. 12, 400 Brecht, Bertolt 295f. Bresson, Robert 5, 33, 37, 53, 61 A. 103, 62-69, 86f., 89f., 96, 140 A. 21,155 A. 5 7 , 1 7 0 , 1 7 6 A. 12, 280, 403, 410, 427
Register Brooks, Mel 46, 113, 130,431 Buferd, Monica 170 Bunuel, Juan Luis 3 3 , 7 1 , 4 1 2 Bunuel, Luis 75, 442f. Burljajew, Nikolaj 297 A. 2 Burroughs, William S. 77 Butler, David 24, 37, 385f., 407 Cagney, James 44 Campbell, Joseph 392 Capellani, Albert 391, 403, 420, 440 Caravaggio, Michelangelo Merisi da 81 Carne, Marcel 5, 32, 92, 442 Carole, Martine 32 Carrez, Florence 155 Α. 57, 170 Caserini, Mario 283 A. 2, 385 Cassenti, Frank 33, 71, 9 1 f , 94, 384 Castle, Paul 24 Castle, William 435 Castro, Guillen de 284 Cavani, LiHana 34, 37, 83, 91, 394 Chahine, Youssef 40f., 84f., 92, 292 A. 17, 3 7 5 , 3 7 7 , 4 0 8 , 4 1 5 Champion, Pierre 49 Chaney, Lon 22 Chaucer, Geoffrey 36, 72, 408, 414, 428 Chretien de Troyes 3 3 , 3 6 , 6 1 , 3 2 0 , 324f., 331, 384, 396, 424f. Christensen, Benjamin 75-77, 398f. Christian-Jacque 32, 436 Clair, Rene 32 Claudel, Paul 144 A. 31, 249, 377, 397 Cocteau, Jean 32,319 Cohen, Elliot Ε. 245 Cohen, Gustave 32 Connery, Sean 25, 72, 82, 112, 132 Cooper, Gary 25 Corman, Roger 414 Corneille, Pierre 284 Costain, Thomas 380 Costner, Kevin 112f., 118, 124 Cottafavi, Vittorio 295 Craven, Wes 279,405 Crichton, Michael 439 Crosby, Bing 24 Crosland, Alan 21 Cuny, Alain 33,442
457 Curtis, Tony 25 Curtiz, Michael 24, 44, 113f, 114 A. 30, 116 A. 32,153 A. 49, 374, 395, 402 Dante Alighieri 1 3 , 1 9 , 3 4 , 3 6 , 2 0 1 , 422 Dawley, Searle 402 Delannoy, Jean 32£, 38, 71, 92, 249, 420 Delluc, Louis 52 Delvaux, Andre 421 DeMille, Cecil Β. 21, 23, 2 5 f , 37, 40, 48, 74, 83f., 143, 153,164,169, 361-369, 371f., 377, 388, 404, 407 Demy, Jacques 85,425 Detail, Joseph 49 Dickoff, Michel 84,444 Dieterle, William 10, 24, 38, 84, 97, 401 Dmytryk, Edward 244 Donatien, Ε. B. 18,393 Donner, Clive 375,438 Donner, Richard 410,439 Dore, Gustave 367 Douglas, Gordon 24, 379, 432 Dreyer, Carl Theodor 5, 19, 37, 4853, 65, 82, 87, 90, 96, 139,142144,146,156,164,166,169,424, 427 f. Dürer, Albrecht 92, 300 A. 6 Duguay, Christian 96, 143-147, 150f., 156,158-162,164,167,170 Dulac, Germaine 18, 389 Dumas, Alexandre 249, 440 Dupuy-Mazuel, Henri 18,416 Dwan, Allan 22, 42-44, 96, 113-125, 130,190,194, 374, 430f. Eco, Umberto 3 7 , 9 8 , 4 1 8 Edison, Thomas Alva 21 Edwards, Blake 154 Eichendorff, Joseph von 301 A. 7 Eisenstein, Sergej M. 5, 31, 35f., 51£, 84, 375, 377 Eliot, T. S. 58 Escher, Maurits Cornells 99 Etienne de Bourbon 37, 417
458 Fairbanks, Douglas 22, 42f., 45, 112£, 127,190,194, 374, 430f. Falconetti, Maria (Renee) 50, 155 A. 57, 164,169, 424 Falena, Ugo 19 Farrar, Geraldine 137, 155f., 169 Fassbinder, Rainer-Werner 5, 35, 77f., 420 Fehling, Jürgen 196 Α. 22 Fleischer, Richard 441 Fleming, Victor 24, 53, 95, 141 f., 144, 146,149f., 152,159,161,167-169, 397, 404 Flynn, E m m e t t J. 22 Flynn, Errol 25, 44, 112f., 116f., 120, 227 Α. 1 Ford, Aleksander 409 Ford j o h n 285 Forster, Hai 427 Francisi, Piero 415 Frank, Frederick M. 284 Frank, Melvin 386 Freeman, Morgan 83 Freud, Sigmund 76 A. 126 Friedrich, Caspar David 197 Friml, Rudolf Jr. 402 Fürstenberg, Veith von 35, 391 Füssli, Johann Heinrich 197 Fuqua, Antoine 60, 406 Gade, Svend 20,399 Gaillardet, Frederic 440 Gance, Abel 3 3 , 2 4 9 , 4 4 0 Garbo, Greta 144 A. 32 Gardner, Ava 25 Garnett, Tay 24, 84, 380, 386 Gastyne, Marco de 1 9 , 4 8 , 1 6 9 , 4 1 5 Gaup, Nils 421 Genevoix, Simone 156 Gentilomo, Giacomo 411,436 George, Heinrich 140 A. 23 Gere, Richard 83 Gibson, Mel 85,382 Gil, Rafael 283 Α. 3 Gilliam, Terry 31, 72, 74, 79, 392, 418,433 Giotto di Bondone 13, 92 Glenville, Peter 379 Godard, Jean-Luc 79,320
Register
Gogh, Vincent von 309 A. 17 Goldberg, Whoopi 74 Goldman, James 412,430 Gottfried von Straßburg 391 Greene, Graham 169, 434 Griffith, David Wark 398 Gründgens, Gustaf 146 Grüne, Karl 6 Guazzoni, Enrico 426 Guest, Val 432 Gunnlaugsson, Hrafn 437 Hai, Wallis B. 114 A. 30 Harbou, Thea von 189, 191, 193f., 198, 200, 209,214, 221f. Harvey, Anthony 412 Hathaway, Henry 380, 427 Havilland, Olivia de 44 Hauer, Rutger 83 Hayward, Susan 386 Hebbel, Friedrich 196-198,201,203 A. 41-42, 207 A. 49 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 195 Heise, William 17 Helgeland, Brian 408 Hepburn, Audrey 132 Hesse, Hermann 394 Heston, Charlton 25, 286, 385, 444 Hoellering, George 69 H o f f m a n , Dustin 148, 154 H o f f m a n n , Carl 190 H o f f m a n n , Ε. Τ. A. 300 Hofmannsthal, Hugo von 258 A. 14 Honegger, Arthur 144 A. 31, 249, 397 Hooker, Brian 402 Horkheimer, Max 244f. Hoven, Adrian 435 Hugo, Victor 10, 22, 37£, 97, 250, 400 Hunte, O t t o 190 Huppertz, Gottfried 190, 198, 217 H u s t o n , J o h n 85,443 Iglesias, Miguel 292f. Inagaki, Hiroshi 178 A. 17 Ingres, Jean Auguste 154 Irvin, J o h n 85, 113, 131, 431 Jarman, Derek 5, 31, 81f., 92, 390
459
Register
Jarmusch, Jim 29, 178 A. 16 Jolivet, Pierre 395 Jones, Terry 79,418 Jovovich, Milte 83, 137, 154f, 162, 170, 416 Jugnot, Gerard 434 Juran, Nathan 380 Kapur, Shekhar 164 A. 81 Kaye, Danny 386f. Keats,John 111,116 Keighley, William 24, 44, 113, 114 A. 30, 374 Kennedy, Burt 435 Kent, Charles 21 Kettelhut, Erich 190 Khemir, Nacer 292 A. 17 Kimura, Hiroshi 178 A. 17 Kingsley, Charles 424 Kinugasa, Teinosuke 27, 404 Kitano, Takeshi 185 Kleist, Heinrich von 78, 321 Kobayashi, Masaki 180 Koningsberger, Hans 443 Korngold, Erich Wolfgang 44 Koven, Reginald De 116 A. 33 Kracauer, Siegfried 7, 213, 219, 222 Krims, Milton 387 Kubrick, Stanley 26, 347 A. 19 Kurosawa, Akira 5, 27-29, 88, 92, 97, 174f., 177-179, 181,268, 277f., 287, 405f., 409f., 429, 435, 439, 441 Lancaster, Burt 62 Lang, Fritz 5, 9f., 20, 34, 83, 189-225, 419,425 Langland, William 106 Langley, Noel 228 Α. 2 Latour, Bertrand de 388 Leigh, Janet 25 Lennox, Annie 81 Lerner, Alan Jay 58,383 Lester, Richard 46f., 113, 132-134, 430 Levin, Henry 3 7 9 , 3 8 8 , 4 3 2 Liguoro, Giuseppe di 283 A. 2 Lindtberg, Leopold 84,411 Llorca, Denis 33, 61f., 92, 384
Lloyd, Frank 401 Loewe, Frederick 58, 383 Logan, Joshua 5 8 , 9 1 , 3 8 3 Lucas, George 72, 406 Luchini, Fabrice 62 Lumiere, August und Louis 17 MacKenzie, Aeneas 228 Α. 2, 247 Α. 34 MacLaine, Shirley 140 Α. 23, 161 Α. 75 Major, Charles 445 Malkovich, John 161 Malory, Thomas 36, 54, 408, 438 Mangrane, Daniel 74, 249, 253, 423 Mann, Anthony 15, 26, 40, 283-296, 360, 366, 385 Mancinelli, Luigi 20 Marais,Jean 417 Mariaud, Maurice 18, 201 Marlow, Christopher 81, 390 Marshall, Edison 441 Matarazzo, Raffaele 36, 422 Mate, Rudolph 4 6 , 3 7 3 , 3 8 1 , 4 2 4 May, Joe 191 Mayer, Louis B. 244 Mayo, Archie 20,373 McCarthy, Justin Huntly 402 McGuigan, Paul 92,429 Meade, Marion 438 Megahey, Leslie 32, 92, 400 Melies, Georges 5, 17, 403 Melville, Jean-Pierre 29 Merlet, Agnes 309 A. 18 Michalkow-Kontschalowskij, Andrej 297, 303 Michelangelo Buonarotti 300 A. 6, 309,313 Michelet, Jules 10 Mimica, Vatroslav 378 Minelli, Vincente 309 A. 17 Mira, Carlos 292 Miyazaki, Hayao 406 Mizoguchi, Kenzo 2 7 f , 180, 434, 441 Monicelli, Mario 328 Monk, Meredith 382 Monroe, Marilyn 135 Monter, Jose Luis 396f. Morgan, Michele 32
460 Mori, Ögai 434 Mundane, Anthony 110 Muschg, Walter 49 Nenadic, Dobrilo 389f. Newby, Chris 31,376 Nielsen, Asta 399 Niet2sche, Friedrich 8, 219, 358 Norton, Alex 118 A. 38 Novalis 300 Novelli, Amleto 283 A. 2 Offenbach, Jacques 397 Olivier, Laurence 30, 91, 227 A. 1, 400, 430 Ophüls, Max 32 Orff, Carl 391,405 Oshima, Nagisa 183 Othenin-Girard, Dominique 41, 387 O'Toole, Peter 143 A. 29 Oxilia, Nino 19 Palance, Jack 14 A. 22 Panama, Norman 386 Paradzhanov, Sergei 412 Parker, Martin 110, 124 A. 60 Pasolini, Pier Paolo 5, 34, 36, 71, 91f., 389, 414, 428 Pastoureau, Michel 90 Paul, Heinz 52f. Peckinpah, Sam 435 Pernoud, Regine 403 Philipe, Gerard 32 Pidal, Ramon Menendez 284 Pinthus, Kurt 6,200 Piranesi, Giovanni Battista 99 Poe, Edgar Allan 414,425 Poire,Jean-Marie 73,442 Pollack, Sydney 154 Pollock, Jackson 304 Pommer, Erich 191 Porter, Edwin S. 21,422 Post, William H. 402 Powell, Dick 7 4 , 9 5 , 3 8 6 Powell, Michael 72 Pread, Michel 116-118 Preminger, Otto 53, 135 A. 2, 145f., 149,151 A. 46, 158f, 164 A. 82, 169,434
Register
Pressburger, Emeric 72, 74, 95 Prevert, Jacques 32, 420 Prokovief, Sergei 31 Pyles, Howard 381 Rabenalt, Arthur Maria 249 Raffael 300 A. 6 Ranous, William V. 422 Rathbone, Basil 116 A. 32 Ray, Nicholas 283, 286 A. 7 Reed, Carol 308 A. 15, 309 Raine, Norman Reilly 114 A. 30 Reinl, Harald 14 A. 22, 34, 419 Renoir, Jean 32 Resnais, Alain 320 Reynolds, Kevin, 45, 83, 85, 94, 113, 124-126, 432 Rippert, Otto 425 Risi, Dino 381f. Ritson, Joseph 111,116 Ritt, Martin 429 Rittau, Günther 190 Rivette,Jacques 5 , 3 3 , 3 7 , 5 3 , 9 6 , 1 4 0 A. 21, 141 A. 23, 143f, 146, 150f, 159-162, 167, 170,403 Rohmer, Eric 5, 33, 61f., 87, 91f., 139,319-331,424 Romero, George 72 Roosevelt, Franklin D. 119 Rossellini, Roberto 5, 34, 87£, 144 A. 31,394, 397, 404 Rostotsky, Stanislav 390 Roullet, Serge 33, 443 Rourke, Mickey 83,394 Rözsa, Miklos 250 Rumbelow, Steven 149 A. 43, 170 Ruttmann, Walter 190, 224 Sabatier, Paul 394 Sallocker, Angela 156, 168f. Salt, Waldo 392 Savona, Leopoldo 417 Saxo Grammaticus 427, 433 Schaffner, Franklin J. 386,413,444 Schary, Dore 244-247 Schiffman, Suzanne 33, 417 Schiller, Friedrich 53, 142, 153, 157f., 169 Schlettow, Hans Adalbert 189
Register
Schnorr von Carolsfeld, Julius 197 Schopenhauer, Arthur 219 Schroeter, Werner 47 A. 80 Scorsese, Martin 369 Scott, Ridley 41, 85, 292 Α. 16, 295300, 355-366, 407 Scott, Sir Walter 37, 111, 116, 228f., 238 A. 12, 242, 388, 402, 407, 428 Seberg, Jean 53, 137, 155, 164 A. 82, 169 Serrano de Osma, Carlos 74, 249, 253, 423 Seto, Javier 294,383 Shakespeare, William 20, 28, 3 0 f , 238 A. 12, 245 A. 31, 373, 399f., 410, 427, 429f. Shaw, George Bernhard 142, 145f., 149,158 A. 69,164 A. 82, 430, 434 Sherman, George 379, 397, 432 Shindö, Kaneto 2 7 , 4 2 1 , 4 3 4 Simmel, Georg 219 Sjöström, Viktor 441 Slowacki, Juliusz 381 Sobieski, Leelee 144, 155£, 163, 168, 170 Spengler, Oswald 221 Spielberg, Steven 72, 369 Starevitch, Irene 433 Starevitch, Ladisias 433 Stelling, Jos 414 Stevens, Leslie 444 Stevenson, Robert Louis 24 Stewart, James 26, 286 Stuck, Franz von 197 Sturges,John 435 Syberberg, Hans-Jürgen 423 Tarkowskij, Andrej 5, 70, 87, 89, 90, 92, 297-318, 336,350, 376 Tasso, Torquato 34, 201, 250 Tavernier, Bertand 33, 86, 286, 333351, 423f. Taylor, Elizabeth 25, 238 A. 12 Taylor, Robert 227 Α. 1 Tennyson, Alfred Lord 21, 397 Thomas, Hans 215 Thorpe, Richard 26, 37, 54-57, 60, 84, 227-247, 402, 408, 428
461 Thurman, Uma 113 Tieck, Ludwig 300,412 Tinling, James 432 Toth, Andre de 14 A. 22, 57, 417 Tourneur, Jacques 392 Truffaut, Francois 320 Tsunetomo, Yamamoto 30 A. 51 Tuchner, Michael 398 Twain, Mark 22, 54, 74, 385 Ucicky, Gustav 52, 84, 146, 149, 155, 165f., 168f, 413 Ullmann, Liv 409 Undset, Sigrid 409 Unsworth, Barry 429 Van Dyck, Anthonis 367 Vassarotti, Vittorio 387 Veümirovic, Zdravko 389 Verhoeven, Paul 393 Vesely, Herbert 309 A. 19 Vialeles, Philipe 384 Vignola, Robert G. 445 Vogeler, Heinrich 197 Vollbrecht, Karl 190 Vollmoeller, Karl 20 Voltaire 157 Wackenroder, Wilhelm Heinrich 300 Wagner, Richard 1 9 , 2 1 , 5 9 , 7 4 , 9 6 198, 201,205, 391, 422f., 436 Wajda, Andrzej 5 , 3 1 , 8 5 , 3 9 6 Ward, Vincent 73,419 Warm, Hermann 48 Warren, Charles Marquis 14 A. 22 Wayne,John 2 5 , 3 8 6 , 4 3 5 Weeks, Stephen 396 Wegener, Paul 426 Welles, Orson 319 Weston, Jessie L. 58 White, Τ. Η. 54f., 57, 383 Whitten, Norman 374 Wiene, Robert 224 Wilde, Cornel 58, 97f., 438 Wolfram von Eschenbach 327, 423 Wood, Natalie 62 Worringer, Wilhelm 212 Worsley, Wallace 1 0 , 2 2 , 3 8 , 4 0 0 Wyler, William 286, 289 A. 12
462 Yamada, Yoij 185, 438f. Yerby, Frank 435 Yordan, Philip 284,286 Young, Roger 74 Yourcenar, Marguerite 421
Register Yutkevich, Sergei 437 Zeffirelli, Franco 395 Zucker, Jerry 60,392